Die Frage, auf das Jahr 1980 bezogen, ist, glaube ich, doch sehr irrelevant; denn da wird sich nichts mehr ändern.
Darf ich, Herr Liedtke, die Frage kurz beantworten. Der SPD-Bundesvorstand hat in den Leitfäden für die Diskussion über die Energiepolitik ausgeführt, es seien für die nächsten 20 Jahre rund 30 Kernkraftwerke notwendig, um den Energiebedarf zu decken. Ist Ihre Frage damit beantwortet?
Die Kohle hat zur Zeit einen Anteil an der Primärenergie in Höhe von 18 %; das 01 hat einen Anteil an der Primärenergie in Höhe von 50 %. Selbst wenn wir die Kohleproduktion in absehbarer Zeit um 50 erhöhen könnten, was kein Mensch im Ruhrgebiet für möglich hält, wäre es nur möglich, einen Bruchteil der Ölabhängigkeit zu ersetzen.
Gleichzeitig würde es bedeuten — ich verstehe übrigens die Erregung nicht; das sind alles Zahlen, die Sie selbst veröffentlicht haben —, daß die Kohle für die Chemie, für die Kohlevergasung und für andere wertvolle Verwendungszwecke ausfiele. Aber gerade dort, bei der Chemie, bei der Verflüssigung, bei der Vergasung, soll sie doch einen Teil der Erdölabhängigkeit der chemischen Industrie ablösen.
Das heißt, selbst wenn wir noch so viel Kohle produzierten und selbst wenn es möglich wäre, wieder in größerem Umfang Deutsche dazu zu bewegen, unter Tage zu arbeiten, was auch ein Problem ist, kämen wir ohne den Kohle-Kernenergie-Verbund nicht aus, und zwar gerade deshalb nicht, weil die wirkliche Veredelung der wertvollen deutschen Kohle ohne die Prozeßenergie, ohne die Prozeßwärme des Kernreaktors, des Hochtemperaturreaktors, überhaupt nicht möglich wäre.
Meine Damen und Herren, die dritte Formel heißt: Absoluter Vorrang der Sicherheit. Man kann dies auf zweierlei Weise interpretieren. Entweder kann man sagen: Wir wollen keine Kosten scheuen, um die Sicherheit zu bewerkstelligen — dann sind wir uns sofort einig —, oder wir meinen damit: Es darf überhaupt kein Restrisiko übrigbleiben — dann ist die Kernenergie gestorben; denn eine Energieerzeugung ohne auch das kleinste Restrisiko gibt es nach Aussagen des Bundeskanzlers, nach Aussagen des Wirtschaftsministers, nach Aussagen aller Sachverständigen nicht. Es gibt, mit anderen Worten, bei allen drei genannten Formeln dann keine entscheidende Meinungsverschiedenheit, wenn man sie richtig interpretiert.
15238 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979
Dr. Biedenkopf
Die Meinungsverschiedenheit — und damit komme ich zum Schluß — liegt in Wirklichkeit ganz woanders. In Wirklichkeit — und nirgends ist das deutlicher geworden als in den Beschlüssen der SPD Schleswig-Holstein —
geht es bei der Diskussion der Kernenergiefrage um die Auseinandersetzung über eine neue Lebensform. Die Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein haben in ihrem Beschluß festgestellt, es gebe keinen Bedarf für Kernenergie.
Warum haben sie dies so beschlossen? Weil man in der zukünftigen Gesellschaft, wie sie sie sich vorstellen, in der Tat auf Kernenergie verzichten kann. Hier findet innerhalb der Sozialdemokratischen Partei eine sehr grundsätzliche Auseinandersetzung über die Frage statt, ob wirtschaftliches Wachstum Grundlage sozialdemokratischer Politik ist oder ob man vom wirtschaftlichen Wachstum abgehen und durch das sogenannte einfache Leben als eine neue Lebensform Kernenergie überflüssig machen kann. Hier wird auf der Bühne Kernenergie in Wirklichkeit über Systemveränderung gestritten.
Bisher noch handelt es sich um eine Minderheit, zu der auch Herr Eppler gehört. Dies ist die eigentliche Auseinandersetzung in der SPD.
In Berlin waren 58 % für den Leitantrag des Bundesvorstandes der SPD, aber nur deshalb, weil der Bundeskanzler mit seinem Rücktritt gedroht hat.
Meine Damen und Herren, die Verwirklichung des Kohle-Kernenergie-Verbundes ist mit dieser Koalition unmöglich. Deshalb kann sie eine wesentliche Voraussetzung für weiteres Wirtschaftswachsturn, für Vollbeschäftigung und für die Einlösung des Wirtschaftsprogramms des Wirtschaftsministers nicht leisten. Aus diesem Grunde lehnen wir den Etat ab.