Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Rede des Kollegen Müller muß man den Eindruck haben, daß das bloße Ausgeben von Steuergeldern mit Politik verwechselt wird.
Die Zahlen, aber auch die beruhigende Rede des Kollegen Hoffie verdecken die Tatsache, daß wir bei der Verkehrsinfrastruktur mitten in einer Investitionskrise sind.
Die Deutsche Bundesbahn konnte im Jahr 1978 1 Milliarde DM für Investitionen nicht abbuchen, obwohl das im Bundeshaushalt vorgesehen war.
Die Deutsche Bundesbahn wird in diesem Jahr 250 Millionen DM für den Neubau von Strecken und für den Ausbau bestehender Strecken ausgeben, obwohl 800 Millionen DM eingeplant waren. Die Bundesregierung lobt die Steigerung der Investitionszahlen der Deutschen Bundesbahn — so war es auch gestern in der Zeitung „Die Welt" von Staatssekretär Ruhnau noch zu lesen —, aber sie verschweigt den Haushaltstrick, wonach die Investitionen der Deutschen Bundesbahn seitens des Bundes finanziert werden, die Bundesbahn aber mit ihren Verlusten auf den Kapitalmarkt verwiesen wird. Als Beweis braucht man nur den Wirtschaftsplan der Bahn anzusehen oder die Zinsaufwendungen — wie es die Bahn ausdrückt — zur Vorfinanzierung des Bilanzverlustes.
Auch die realen Investitionen der Deutschen Bundesbahn sind rückläufig. Aus einer in der Offentlichkeit wenig beachteten Veröffentlichung des Bundesministers für Verkehr ergibt sich, daß die Investitionen der Bundesbahn, gemessen an den Preisen von 1970, seit 1975 real zurückgegangen sind: im Jahre 1975 um 6,4%, im Jahre 1976 um 4,0%, im Jahre 1977 um 0,8%, im Jahre 1978 um 3,0 %.
Das gleiche ergibt sich für die Bruttoanlageninvestitionen in der Verkehrsinfrastruktur. Sie sind bereits seit dem Jahr 1972 rückläufig. Wenn man die Preise von 1970 zugrunde legt, ergibt sich hier eine stetige Kette von 16 Milliarden 481 Millionen auf 14 Milliarden 199 Millionen DM. Auch der Straßenbau ist von dieser Entwicklung nicht ausgenommen. Die Bundesregierung hat uns jetzt einen Bedarfsplan für den Ausbau der Bundesfernstraßen vorgelegt, aber von Bedarf und von wissenschaftlicher Ermittlung des Bedarfs ist nirgendwo mehr die Rede.
Der Verkehrsminister läßt sich im Rahmen der Haushaltsverhandlungen 450 Millionen DM abhandeln und übersieht, daß mehr Mittel nötig sind, wollen wir die Umweltprobleme im Verkehrsbereich tatsächlich lösen.
Eine wichtige Maßnahme für den Schutz des Bürgers vor Emissionen des Kraftverkehrs, aber auch eine nötige Voraussetzung für die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur ist das Verkehrslärmschutzgesetz. Hier hat die Bundesregierung fünf Jahre seit Inkrafttreten des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vertan, und sie hat Widerstände in der Offentlichkeit, in der Bevölkerung geradezu herausgefordert.
Die Rechtsunsicherheit bei den Gemeinden ist untragbar geworden. Dann hat sie einen Torso vorgelegt,
von dem mit Ausnahme der Berlin-Klausel kein einziger Paragraph mehr übriggeblieben ist.
Während der Beratungen im Verkehrsausschuß stand die Bundesregierung abseits. Welche Konsequenzen das Gesetz für die Investitionen der Zukunft haben wird, darum hat sie sich nicht gekümmert. Sie hat sich auch keine Gedanken darüber gemacht, daß Schallschutzfenster auch der Energieeinsparung dienen. Meine Damen und Herren, sie hat im Grunde genommen dieses Kind im Ausschuß völlig allein gelassen. Ich habe so etwas in drei Legislaturperioden im Verkehrsausschuß noch nicht erlebt.
Ich habe den Eindruck, daß die Bundesregierung entweder nicht die Erkenntnis oder nicht den Mut hat, das Nötige in der Investitionspolitik rechtzeitig und offensiv zu vertreten. Wir wissen, daß dies manchmal vor Ort sehr schwierig ist. Aber es ist Aufgabe der Politik, die öffentliche Diskussion zu beeinflussen und nicht einfach laufenzulassen, so wie dies die Bundesregierung getan hat.
Dabei war die heutige Situation vorhersehbar. Die CDU/CSU-Fraktion hat in dieser Legislaturperiode in einem Antrag zum Straßenbau verlangt, daß die Leber-Illusionen von Anfang der 70er Jahre abgebaut werden. Wir haben schon damals diesen grandiosen und unrealistischen Ausbauplan für die Bundesfernstraßen abgelehnt. Wir haben aber daneben auch mehr Flexibilität im Straßenbau verlangt, weil wir festgestellt hatten, daß in der einen Region die Investitionen nicht weiterkommen und die Mittel dringend in einer anderen Region gebraucht werden.
Wir haben in dieser Legislaturperiode einen Antrag zur Deutschen Bundesbahn vorgelegt. Er be-
15278 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979
Dr. Schulte
traf neben anderen Problemen auch die Investitionen. In diesem Antrag heißt es:
Die Bundesregierung wird ersucht, dem Bundestag in Verbindung mit der endgültigen Entscheidung über das Streckennetz ein mittelfristiges, finanziell abgesichertes Investitionsprogramm vorzulegen, das die sachliche, zeitliche und räumliche Priorität beim Ausbau der Infrastruktur der Bahn sowie bei den Investitionen in den einzelnen Leistungsbereichen der Bahn transparent macht.
Es heißt weiter:
... die Investitionsplanungen bei der Bahn so voranzutreiben, daß auch Zusatzmittel im Rahmen von Sonderprogrammen nach den festgelegten Prioritätsmaßstäben jederzeit investiert werden können.
Meine Damen und Herren, dieser Antrag wurde vor fast genau einem Jahr in diesem Hause abgelehnt — ausgerechnet in dem Jahr, in dem die Bahn 1 Milliarde DM an Investitionsmitteln nicht abrufen konnte.
Wir sind auch in der Zukunft bereit, unseren Teil der Verantwortung zu tragen, für die nötige Flexibilität zu sorgen, die Planungskapazitäten bereitzustellen, aber auch im Haushalt den Bewegungsspielraum, den wir brauchen, zu eröffnen. Nur muß sich die Bundesregierung selber im klaren sein, was sie investieren will und wie ihre Investitionspolitik in der Zukunft aussehen soll. Sie muß die entsprechenden Voraussetzungen dafür schaffen, und sie darf vor allem eines nicht tun: ständig den Versuch machen, auf zwei Hochzeiten zu tanzen.
Meine Damen und Herren, Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur sind nötig. Neben den klassischen Gründen treten neue Aspekte auf. Da geht es um die Verkehrssicherheit. Es kann niemand bestreiten, daß getrennte Fahrbahnen die Unfallgefahr halbieren. Da geht es um die Energieeinsparung. Da geht es darum, die Bahn zu fördern. Da geht es darum, die Voraussetzungen für den kombinierten Verkehr zu schaffen. Es geht auch um die Belange des Umweltschutzes.
Bei der Deutschen Bundesbahn kommen aber noch zwei zusätzliche Aspekte hinzu. Auf wichtigen Relationen der Bahn sind die Kapazitätsgrenzen bereits erreicht oder in Sicht. Es kommt hinzu, daß die Entlastung der Bilanz der Bahn auf der Kostenseite durch den Personalabbau demnächst zu Ende gehen wird. Wir haben dies ja in einer gemeinsamen Sitzung des Haushalts- und des Verkehrsausschusses im letzten Jahr eindrucksvoll bestätigt bekommen. Wenn dies aber stimmt — und die Bundesregierung hat dies bis heute nicht bestritten —, brauchen wir zusätzliche Möglichkeiten, um das Betriebsergebnis der Bahn zu verbessern.
Die Bundesregierung hat eine Eisenbahnpolitik betrieben, die fast durchweg defensiven Charakter hatte. Noch 1977 hat sie in der Regierungserklärung gesagt, man wolle von dem Zuschuß von 10 Milliarden DM herunterkommen. Wir sind jetzt bei 14 Milliarden DM. Sie plagte sich dann mit Modellen zur Streckenstillegung. Es gab ein Modell zur Trennung von Fahrweg und Betrieb.
Es wurde die Reform des Dienstrechts angekündigt. Man wollte die staatlichen Busdienste zusammenführen. Das waren alles Modelle, die zerronnen sind.
Wo sind die offensiven Maßnahmen? Wo ist die Unterstützung seitens der Bundesregierung, damit die Bahn neue Märkte finden kann?
Wo ist die Förderung des Verkehrs über große Entfernungen? Wo ist die tatkräftige Förderung des internationalen Verkehrs? Der Bundesverkehrsminister verweist immer auf einen Brief, den er in seiner Jugendzeit an seine EG-Kollegen geschrieben hat. Nur, inzwischen muß er sich selbst von seinem Kollegen Seefeld kritisieren lassen, in der europäischen Verkehrspolitik passiere nichts. Wo sind die Akquisitionsinstrumente für das Ausland? Wo sind die Anreize für Spediteure, Güter auf die Bahn zu bringen? Wo ist ein Konzept für den kombinierten Verkehr, das nicht morgen bereits wieder überholt wäre, so wie dies in der Vergangenheit der Fall gewesen ist? Wo sind Konzepte, bei denen der Transporteur nicht Angst haben muß, mögliche Kunden abweisen zu müssen?
Meine Damen und Herren, wir stehen an einem Punkt, an dem es nötig ist, von der defensiven Politik der Bundesregierung überzugehen zu einer Offensive. Wir haben genügend Modelle. Zum Teil hat die Bundesregierung die Opposition gegen ihre eigenen Modelle selber organisiert. Das Programm zur Streckenstillegung und seine Abwicklung war ein Lehrstück dazu.
Wir sind der Ansicht, daß die Bundesregierung in diesen wichtigen Bereichen, die ich angesprochen habe, die Legislaturperiode vertan hat. Es ist höchste Zeit, daß die 80er Jahre eine offensive Verkehrspolitik und Investitionspolitik bringen.