Rede von
Peter W.
Reuschenbach
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich verstehe nicht, was Sie mit ,Morgenpost" meinen.
— Verzeihen Sie mir, Sie können mir ruhig glauben, daß ich an der Stelle, wo ich meine, daß es nötig ist, auch gegenüber meinen eigenen Freunden klare Worte rede.
Nur von den Verantwortlichen ist keiner im Saal.
Ich wollte nur sagen, man soll sich nicht täuschen lassen, daß das, was Herr Professor Biedenkopf da an neuerer Wirtschaftspolitik in die Unionspolitik einführt, ein Tageseinfall wäre, sondern dies ist nach meiner Einschätzung Staats- und wirtschaftspolitische Gegenreformation von rechts. Die Neukonservativen in den Vereinigten Staaten vom Schlage Feldstein und Nozick finden offenbar zunehmend Jünger in den Reihen der Union. Deren These lautet schlicht und einfach: Der Staat soll aufhören, Wirtschaftspolitik zu machen, und der Wohlfahrtsstaat sei vom Übel.
Das halte ich in der Tat für einen zentralen Angriff auf das Prinzip der Sozialstaatlichkeit. Ihre Kolumne, Herr Professor Biedenkopf, in einer der letzten Ausgaben von „Manager-Magazin" hat mich da doch richtig erschreckt. Sie haben dort unter anderem zu Papier gebracht:
Die Politik hat eine Stelle erreicht, wo es für sie
nur noch die Alternative anzubieten gibt: Freiheit oder Sicherheit, aber nicht mehr beides zusammen.
Wenn Sie dieses nicht nur mit den Schlagworten stehen lassen, sondern im Zusammenhang mit Wirtschaftspolitik, mit Strukturpolitik, mit Arbeit, mit Vollbeschäftigung zu Ende führen, so ist die Konsequenz eine Politik des Laisser-faire, Laisser-aller, wie man sie sich — ich sage es noch einmal — kaltschnäuziger überhaupt nicht vorstellen kann, wo es nur noch die Wahl gibt zwischen diesen beiden Möglichkeiten: Freiheit oder Sicherheit. Da gehen die Schwachen, da gehen diejenigen, die, aus welchen Gründen auch immer, am Markt die Schwächeren geblieben sind, rasch unter die Räder.
Das zentrale Anliegen der Wirtschaftspolitik bleibt auch in Zukunft eine Sicherung des langanhaltenden, kräftigen, sich selbst tragenden Wachstumsprozesses. Ihre pessimistischen, Einschätzungen darüber mögen Ihre Einschätzungen sein, können aber nicht unsere Politik sein, denn angesichts der Aufgaben, die vor der Tür stehen, bleibt überhaupt keine andere Wahl, als sich mit öffentlichen Instrumenten und Mitteln darum zu kümmern, daß für die Bewältigung dieser Aufgaben Raum genug bleibt.
Wenn wir trotzdem und gleichzeitig die Begrenzung der industriellen Entwicklung betonen und Umweltschutz nicht als lästige Pflichtaufgabe erledigen, wenn wir auf optimale Schonung der Landschaft und sparsamen Umgang mit Ressourcen hinarbeiten, dann brauchen wir uns weder von dem mitleidigen Lächeln oder gar von bissiger Kritik aus den Reihen der Opposition sonderlich beeindrukken zu lassen, weil wir uns da in guter Gesellschaft befinden.
Dreimal darf geraten werden, wer den Politikern wie folgt ins Gewissen redet — ich zitiere —:
Wir scheinen uns heute wohl mehr der Tatsache bewußt zu sein, daß die Nutzung der Erde, jenes Planeten, auf dem wir leben, eine vernünftige und gerechte Planung erfordert. Gleichzeitig aber bewirken diese Nutzungen zu wirtschaftlichen und sogar militärischen Zwecken, diese unkontrollierte Entwicklung der Technik, die nicht eingeordnet ist in einem Gesamtplan eines wirklich menschenwürdigen Fortschrittes, oft eine Bedrohung der natürlichen Umgebung des Menschen. Sie entfremden ihn von .seiner Beziehung zur Natur, sie trennen ihn von
ihr ab. Der Mensch scheint oft keine andere Bedeutung seiner natürlichen Umwelt wahrzunehmen als allein jene, die dem Zweck eines unmittelbaren Gebrauches und Verbrauches dient.
Das sagt kein Marxist, auch kein Systemveränderer, sondern der Papst Johannes Paul in seiner letzten Enzyklika. Ich finde, Sie sollten sie häufiger lesen und ihn nicht nur ehren, sondern auch seine Empfehlungen ernster nehmen, vor allen Dingen in der Auseinandersetzung mit Ihren politischen Gegnern.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15241
Reuschenbach
Leider ist es bei Ihnen wie auch bei den meisten anderen Kollegen aus Ihrer Fraktion dabei geblieben, mehr oder weniger kleinkarierte Kritik an Vergangenem zu üben. Sie haben Ihre Theorie des „der Markt über alles" in den Mittelpunkt gestellt, aber kaum jemand von Ihnen hat — über Allgemeinplätze hinaus — nun wirklich gesagt, wie eine künftige Wirtschaftspolitik, die man anstreben müßte, aussehen könnte und aussehen sollte. Sie mögen das selbst verantworten, Sie mögen glauben, das wäre besser, als ehrlich und offen die Wahrheit zu sagen. Ich bedauere das, weil die Diskussion so schwierig ist, wenn man sich nur an Kritik und nicht auch an dem reiben kann, was ein anderer für richtig hält.
Deshalb halte ich es wirklich für vertretbar, zusammen mit anderen zu sagen: Bisher hat es in dieser wirtschaftspolitischen Debatte an Alternativen wenig Erkennbares gegeben, und wer als einziges den Glauben übrigläßt, man könne alles allein dem Markt überlassen, meldet sich in Wirklichkeit aus der Politik ab.
Das neoliberalistische Wirtschaftskonzept würde früher oder später zur Zerstörung der sozialen und der politischen Stabilität hierzulande führen.
Ich weiß nicht, ob Sie, Herr Professor Biedenkopf, das einkalkulieren; das kann ich zwar nicht behaupten, aber für möglich halte ich es inzwischen.
Unserem Votum für den Haushalt des Wirtschaftsministers möchte ich unseren ausdrücklichen Dank an ihn und seine Mitarbeiter hinzufügen.
Das gilt auch seitens jener unter uns, die sich im Detail gelegentlich mit ihm anlegen oder an ihm reiben; er ist ja ein Mann, der hart im Nehmen und hart im Geben ist. Unser Dank und Respekt fällt uns vor allen Dingen deshalb nicht schwer, weil er ein Mann ist, bei dem ja ja und nein nein ist, und diese Klarheit und Verläßlichkeit ist eine solide Grundlage. für weitere vertrauensvolle und erfolgreiche Zusammenarbeit.