Rede von
Dr.
Wolfgang
Schäuble
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jeder hat seinen eigenen Stil. Der Stil des Bundesfinanzministers kann nicht zur Nachahmung empfohlen werden.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede ein Beispiel von seltener Unfairneß geboten. Das war ein ganz unglaublicher Vorgang. Sie haben — dies muß hier klargestellt werden — mit dem Vorsitzenden unseres Arbeitskreises, Herrn Häfele — Ihrem Kollegen, Herr Westphal —, eine Absprache getroffen, daß wir diese Debatte über den finanzpolitischen Teil des Haushalts bis 11 Uhr heute beschließen. So wollten wir es handhaben. Dies ist mit Ihnen von Herrn Häfele besprochen worden. — Aber natürlich; schütteln Sie nicht den Kopf! Sie haben angedeutet, daß Sie hier etwa 15 Minuten sprechen werden.
Nun haben Sie 70 Minuten gesprochen. Nach 45 Minuten sind Sie von der Frau Präsidentin — das war sehr verdienstvoll, wie ich finde — aufgefordert worden, etwas Zusammenhängendes zu sagen. Das haben Sie aber auch in 70 Minuten nicht geschafft.
Sie haben die Präsenz der Opposition gerügt. Schauen Sie sich doch einmal auf der Regierungsbank um! Schauen Sie einmal ins Koalitionslager! Ich kann verstehen, daß Sie auf dem Berliner Partei-
15206 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979
Dr. Schäuble
tag Ihrer Partei 100 Stimmen weniger als bei der letzten Wahl erhalten haben. Das waren immer noch ein paar Stimmen zu viel.
Dies ist eine Art, miteinander umzugehen, die in diesem Hause unerträglich ist.
Wenn der Bundesfinanzminister dies bei seinem eigenen Etat tut, kann dies so nicht durchgehen.
Das Merkwürdige ist, daß Sie in der langen Zeit, in der Sie uns hier eigentlich nur gelangweilt haben, zu dem speziellen Thema Ihres Ressorts, zur Steuerpolitik, nichts gesagt haben.
— Nein, das haben Sie nicht. Sie haben sich mit dem Jahr 1966 und weit zurückliegenden Dingen beschäftigt. Herr Bundesfinanzminister, woher nehmen Sie eigentlich die Stirn, die Schwierigkeiten des Jahres 1966 in der Weise zu qualifizieren, wie Sie das hier getan haben? Sie sind doch in der Geschichte dieser Bundesrepublik Deutschland der Bundesfinanzminister, der den Rekord im Schuldenmachen hält. Sie haben doch überhaupt nicht das Recht, sich hier auf andere Zeiten, in denen die Dimensionen völlig unvergleichbar waren, zu beziehen. Wenn Sie über den Regierungswechsel im Jahre 1966 sprechen, Herr Bundesfinanzminister, sollten Sie gelegentlich auch einmal überlegen, ob Sie in diesem Stil wirklich die Frage des Wechsels von Herrn Brandt zu Herrn Schmidt im Jahre 1974 hier in diesem Hause behandelt wissen wollen. Das wäre ja wohl auch nicht gut für das Ansehen dieses Hauses.
Ich finde, der Bundesfinanzminister hätte hier etwas dazu sagen sollen — außerhalb dieses Hauses tut er dies in Pressekonferenzen ja ständig —, welches die steuerpolitischen Vorstellungen dieser Regierung sind. Er ist dazu offenbar nicht in der Lage. Man liest ja immer wieder etwas über Koalitionsgespräche; das nächste soll in der nächsten Woche stattfinden. Diese Regierung ist nicht in der Lage, hier ein Konzept vorzulegen.
Sie sprechen von einer soliden Finanzpolitik. Wenn wir für das Jahr 1980 steuerpolitische Maßnahmen beschlossen und diese Maßnahmen in die Verabschiedung des Bundeshaushalts 1980 eingebunden hätten, so wäre dies sicherlich solider gewesen als Ihr Verfahren, hier den Haushalt zu verabschieden, alle möglichen Schlagworte in den Raum zu stellen — ich komme darauf noch — und dann zu sagen: Losgelöst von der Haushaltsdebatte beraten wir im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes 1980 dann über ein großes Steuerpaket, das aber erst nach der Bundestagswahl in Kraft treten soll, so daß keiner überprüfen kann, ob die Versprechungen, die in diese Diskussion eingebracht werden, hinterher auch tatsächlich realisiert werden. Dies alles von jeder haushaltspolitischen Verantwortung loszulösen, ist kein seriöser Stil.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben — dies war einer der ganz wenigen Sätze, die, wie ich fand, eine gewisse Zustimmung verdienen — von dem Zusammenhang zwischen der Ölpreisentwicklung und den Einkommenskreisläufen sowie den Problemen, die sich daraus für die kommenden Monate — etwa auch im Hinblick auf die Tarifsituation — ergeben, gesprochen. Meine Damen und. Herren, das war doch der Punkt, warum die CDU/CSU der Auffassung gewesen ist und noch ist, daß wir angesichts der Entwicklung der heimlichen Steuererhöhungen zum 1. Januar 1980 auf dem Felde der Steuergesetzgebung, auf dem Felde des Lohn- und Einkommensteuertarifs etwas machen müssen, daß wir eine Tarifkorrektur brauchen, um heimliche Steuererhöhungen zu verhindern. Herr Bundesfinanzminister — der Herr Kollege Carstens hat es heute vormittag schon gesagt —, wir können etwa den Weihnachtsfreibetrag für 1980 auch unter technischen Gesichtspunkten noch immer in das Einkommensteuergesetz einführen, wenn Sie nur wollen, und damit diesen Zusammenhängen Rechnung tragen.
Meine Damen und Herren, es ist ja im Grunde eine falsche Diskussion, wenn wir hier von Steuersenkungen sprechen, denn in Wahrheit geht es darum, daß wir gesetzgeberische Korrekturen vornehmen müssen, um die Steuererhöhungen, die nicht im Gesetz vorgesehen sind, die aus dem Zusammenwirken von Geldentwertung, von Teuerung, von Inflation und Steuerprogression entstehen, zu verhindern.
Wenn das Lohnsteueraufkommen doppelt so schnell steigt wie die Bruttolohn- und -gehaltssumme, dann ist das nicht eine vom Gesetzgeber gewollte Steuererhöhung, sondern eine heimliche. Und diese heimliche Steuererhöhung müssen wir, da Sie nicht in der Lage sind, die Inflation zu verhindern, durch Korrekturen des Steuertarifs verhindern. Dies müssen wir nicht erst 1981 machen, dies hätten wir auch für 1980 machen sollen.