Rede von
Dr.
Graf
Otto
Lambsdorff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich könnte mir vorstellen, daß das für den bayerischen Ministerpräsidenten im Ergebnis jedenfalls eine erhebliche Erleichterung bedeuten würde.
Meine Damen und Herren, wir wissen ja alle — auch Sie wissen es —, daß Politik die Kunst des Möglichen ist. Wenn auch Sie es wissen, dann legen Sie bitte keine unterschiedlichen Maßstäbe dort an, wo wir Verantwortung tragen, und dort, wo Sie Verantwortung ausüben müssen, sondern messen Sie mit gleicher Elle!
Es wird ja wohl auch Ihnen aufgegangen sein — uns und der Offentlichkeit jedenfalls ist das, wenn ich es recht sehe, aufgegangen —, daß der Herr Kollege Barzel hier gestern eine eindrucksvolle Rede gehalten hat. Ich habe darüber nachgedacht, warum das wohl so war. Es war zum Teil sicherlich deswegen so, weil die Forderungen, die er hier im Stile seiner sonntäglichen Feuilletonarbeiten vorgetragen hat,
mit schöner, unbekümmerter Absolutheit vorgetragen wurden. Das kann man sich, meine Damen und Herren, gefallen lassen, aber nur dann, wenn sich die Opposition mit dem gleichen Maßstab messen läßt.
So, Herr Kollege Biedenkopf, war das ja auch in der ersten Lesung des Haushalts. Sie haben das Thema heute noch einmal aufgegriffen: Verschuldung und Wachstum. Sie haben gesagt, 2 % sei autonomes Wachstum — das war damals etwa Ihre Schätzung —, der Rest sei hochsubventioniert. Ist das Wachstumspessimismus? Ich meine ja, Herr Biedenkopf.
Ich glaube; daß eine solche Feststellung mindestens zu Wachstumspessimismus führt und damit — da Wachstum sehr weitgehend auch von psychologischen Faktoren abhängig ist — der weiteren Ent-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15243
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
wicklung notwendigen Wachstums — ich will es sehr vorsichtig ausdrücken — jedenfalls nicht förderlich ist.
Wir alle wissen, daß Umstände aufgetreten sind, die es uns realistisch erscheinen lassen, für die Zukunft von einem Szenarium auszugehen, das niedrigere Wachstumsraten vorhersieht. Aber ich möchte dieses Szenarium nicht mit einem Deckel in Höhe von 2 % zuschließen. Sie haben selber darauf hingewiesen, daß die meisten vorliegenden mittelfristigen Vorausschätzungen der Institute für 1980 bei etwa 3 %, manchmal 3,5 % — der Sachverständigenrat geht von 2,5 % bis 3 % aus — liegen.
Wie gesagt, Wachstumspessimismus scheint mir fehl am Platze zu sein. Natürlich wissen wir, daß jede Zielprojektion immer nur eine Zwischenstation auf dem Wege oder in dem Prozeß des — um es englisch auszudrücken — „trial and error" sein kann.
Der Politik-Spielraum in einem solchen Szenarium niedrigeren Wachstums ist begrenzt, aber er ist dennoch vorhanden.
Die Politik würde sich aus ihrer Verantwortung entlassen, Herr Biedenkopf, wenn sie von vornherein Ihre 2-%-Rate hinnehmen würde. Da stimme ich mit Herrn Reuschenbach überein.
Die Beschäftigungsprobleme würden sich bei diesem Wachstum noch verschärfen. Die Rentenversicherung würde aufs Spiel gesetzt. Die Bundesrepublik hätte zunehmende Schwierigkeiten, ihren wachsenden internationalen Verpflichtungen nachzukommen. Eine derartige Wachstumsverzichtspolitik ist in meinen Augen nicht vertretbar, auch nicht über den Ansatz, Herr Biedenkopf, den ich sehr ernst und sehr wichtig nehme — ich komme darauf noch zu sprechen —, der notwendigen Einschränkung der öffentlichen Verschuldung. Denn: Wir wollen zwar konsolidieren, aber wir wollen uns nicht zu Tode konsolidieren. Man darf die Kuh, die man melken will, gewiß nicht schlachten, aber man darf sie auch nicht verhungern lassen.