Ich finde es sehr erstaunlich, daß die Herren Zwischenrufer jetzt auch noch klatschen,
erst falsche Zwischenrufe machen, dann eine Antwort bekommmen und anschließend klatschen, wenn man sagt, der Redefluß wird unterbrochen.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir gestatten würden, hier meine Gedankengänge in aller Ruhe zu entwickeln.
Wir haben jetzt mit zunehmender Kapazitätsauslastung, mit zunehmender Preissteigerung bei den
15202 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979
Bundesminister Matthöfer
Importen in der Tat zunehmendes Gewicht auch auf die Inflationsbekämpfung zu legen. In den ersten zehn Monaten lagen die Verbraucherpreise um 4,1 % über dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Ohne die Verteuerung von außen ware die Preisentwicklung für eine Konjunkturphase, wie wir sie jetzt haben, verhältnismäßig normal.
Ich möchte dem Abgeordneten Grobecker zustimmen, daß es in diesen Wochen insbesondere darauf ankommt, Preisdisziplin zu halten, damit nicht für die Lohnforderungen im nächsten Jahr ein berechtigter Grund geschaffen wird, wieder umzuverteilen zugunsten der Arbeitnehmer. Wenn die Unternehmen jetzt nicht Preisdisziplin halten — das gilt für die Bundesunternehmen ebenso wie für die privaten Unternehmen —, dann werden die Gewerkschaften das in der Lohn- und Gehaltskampagne im Frühjahr nächsten Jahres mit Recht anführen können.
Entscheidend wird es sein, inländische Preisauftriebskräfte, die sich über das Überwälzen der Ölpreise hinaus bemerkbar machen, wirklich unter Kontrolle zu halten. Wir müssen klarmachen, daß es nicht möglich ist, entweder vom Bundesfinanzminister oder aus den Gewinnspannen der Unternehmer, das herauszuholen, was aus dem deutschen Einkommenskreislauf verschwunden ist, weil wir 12 oder 14 Milliarden DM mehr für dieselbe Menge Öl an die OPEC-Staaten oder an die multinationalen Ölkonzern zahlen. Das ist aus dem Einkommenskreislauf verschwunden und kann nicht von woanders hergeholt werden, weil sich sonst entweder die Preise entsprechend erhöhten oder sich der Bundesfinanzminister nach anderen Einnahmequellen umsehen müßte.
Dies wird auch weitgehend begriffen. Aber es muß auch begriffen werden, daß die ölpreisbedingten Steigerungen nicht als Vorwand zur Steigerung von Preisen über die Kostensteigerung hinaus benutzt werden dürfen. Dies wird entscheidend sein.
Die private Investitionstätigkeit dürfte auch 1980 weiterhin die Hauptantriebskraft der Wirtschaft bleiben. Eine weiterhin positive Beschäftigungs- und Einkommensentwicklung wird sich auch nachfragestützend auswirken. Wir müssen die hierin liegende Chance zum Abbau der Neuverschuldung nutzen, um für die Möglichkeiten eines von außen kommenden Rückschlags die finanzpolitischen Handlungsmöglichkeiten des Staates zu erhalten und zu erweitern.
Die Bürger dieses Landes und insbesondere die Arbeitnehmer brauchen angesichts der weltwirtschaftlichen Ungewißheiten, die wir ja alle sehen können, einen starken, finanziell soliden und handlungsfähigen Staat. Das ist der Grund, warum wir uns auf Ihre Steuersenkungsvorschläge für das Jahr 1980 nicht einlassen konnten.
Auf der anderen Seite stehen wir selbstverständlich vor dem Problem, die in unserem Steuersystem begründeten ungewollten Steuerbelastungsverschiebungen bei der Lohn- und Einkommensteuer zu korrigieren, soweit das gesamtwirtschaftlich zu vertreten ist.
Der Herr bayerische Ministerpräsident hat hier gestern im Ton der Entrüstung darauf hingewiesen, daß das gesamte Lohnsteueraufkommen im nächsten Jahr um mehr als 12 % steige. Darüber kann ich mich nur sehr verwundert zeigen, denn in den Zeiten, als er Bundesfinanzminister war, sah das ja einigermaßen traurig aus. Ich will Ihnen das einmal vorlesen. Wir hatten 1967 — die Weichen wurden 1966 gestellt; das hatte er nicht zu verantworten — eine Steigerung von 2,6 %. Aber 1968, als er einen Haushalt vorlegte
— in der Großen Koalition — und die Steuern erhöhte, stieg das gesamte Lohnsteueraufkommen um 12,9 %.
Im Jahre 1969, nachdem Herr Strauß zwei Jahre Gelegenheit hatte, sich zu betätigen, stieg das gesamte Lohnsteueraufkommen um 22,5 %. 1970, nach drei Jahren des Finanzministers Strauß, stieg das gesamte Lohnsteueraufkommen um 29,7 %, um fast 30 %.
— Das will ich Ihnen gern sagen: 1978 um 1,4 % und 1979 um 3,8 %.
In diesen 3,8 % sind auch noch die Auswirkungen der zunehmenden Beschäftigung — wir haben ja 400 000 neue Beschäftigte — und der zusätzlichen Überstunden und Sonderschichten, die gefahren werden, enthalten.
Das steckt alles in den 3,8 %. Abgezogen sind auch nicht, wie damals noch, die Auswirkungen des Kindergeldes. Fairerweise müßten Sie hiervon ja auch noch einmal das abziehen, was die Arbeitnehmer an Kindergeld bekommen, ja vielleicht sogar auch noch das Geld für den Mutterschaftsurlaub, weil das eine zusätzliche Leistung ist.
In diesem Zusammenhang darf ich, Herr Kollege Carstens, ein Wort zu Ihrer Bemerkung sagen, die nicht arbeitenden Mütter in der Bundesrepublik würden vom Staat bestraft. Ich finde, es ist unerhört, wie Sie die tatsächliche Situation der arbeitenden Frauen behandeln.
Haben Sie noch nie etwas von Familiensplitting gehört? Wer zahlt denn die Steuern? Die arbeitenden Frauen vielleicht nicht? Wer zahlt denn die 17,5 Milliarden DM Kindergeld mit?
— Wenn Sie sagen, die nicht arbeitende Frau werde in der Bundesrepublik bestraft, dann haben Sie un-
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Bundesminister Matthöfer
recht, weil die arbeitende Frau, wenn sie Mutter wird, die gesamte Steuerlast voll mitträgt, voll ihre Steuern zahlt. Deshalb kann sie ruhig, wenn sie ein Kind bekommt, eine gewisse Sonderleistung erhalten.
— Setzen Sie sich bitte. Ich habe Ihren Zwischenruf gehört. Ich habe überhaupt nichts gegen das Familiengeld. Ich wende mich jetzt ganz isoliert gegen Ihre unvertretbare und für uns auch unzumutbare Behauptung, bei uns würden die nicht arbeitenden Mütter vom Staat bestraft. Es ist unzulässig, so etwas zu sagen.
Ich habe 19 Jahre lang der Industriegewerkschaft Metall treu gedient, was dazu geführt hat, daß ich immer noch mit meinen gewerkschaftlich organisierten Kolleginnen diskutiere. Unterhalten Sie sich doch einmal mit den arbeitenden Frauen, deren Männer auch arbeiten und die eben keinen Vorteil vom Familiensplitting haben, weil sie beide voll zahlen.
— Die nicht arbeitenden Frauen zahlen aber keine Steuern, Herr Kollege Jenninger. Insofern ist es nicht richtig zu sagen, sie würden bestraft. Ich habe ja gar nichts gegen Ihr Familiengeld, wenn Sie eine solide Finanzierung vorweisen. Wir werden uns darüber ja, sobald das finanzierbar ist, unterhalten können. Ich wehre mich nur dagegen, daß man sagt, die nicht arbeitenden Mütter würden bei uns vom Staat bestraft.
Das ist nicht richtig, weil die arbeitenden Frauen ihre volle Steuerlast tragen und mithelfen, das Kindergeld und alles andere zu finanzieren. Das will ich sagen und nichts anderes.