Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die Sitzung.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesordnungspunkt i - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1996
- Drucksache 13/2000 -
Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 1995 bis 1999 - Drucksache 13/2001 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft; das ist der Einzelplan 09. Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Günter Rexrodt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die deutsche Wirtschaft befindet sich weiterhin auf Wachstumskurs. Das Expansionstempo hat sich allerdings verlangsamt. Aber es geht weiterhin kräftig und stetig aufwärts. Auf dem Niveau, das die deutsche Wirtschaft hat, bedeutet ein reales Wachstum von 2,6 % einen Zuwachs an Gütern und Dienstleistungen gegenüber dem ersten Halbjahr 1994 von rund 90 Milliarden DM. Das ist ein kräftiges und darüber hinaus ein stetiges Wachstum.
Daß die Erwartungen nicht voll erfüllt sind, meine Damen und Herren, hat mehrere Ursachen. Hier zeigen sich die Bremsspuren der unerwartet hohen
Lohnsteigerungen und der Höherbewertung der D-Mark, auch der Steuererhöhungen.
Das alles geht dort ein.
Aber es ist unbestritten, daß wichtige Faktoren für die Fortsetzung der Aufwärtsentwicklung auch in den nächsten Jahren sprechen. Die Preise sind und bleiben stabil, das Wachstum ist weiterhin spannungsfrei. Die Kapazitätsauslastung in der Industrie ist bis zuletzt deutlich gestiegen, und das wird die Investitionstätigkeit der Unternehmen anregen. Die Entlastungen durch das Jahressteuergesetz und der Wegfall des Kohlepfennigs werden den privaten Verbrauch anregen. Die jüngste geldpolitische Entscheidung der Bundesbank hat die Bedingungen für anhaltend niedrige Zinsen weiter verbessert. Der Dollarkurs normalisiert sich.
Das Fazit daraus lautet: Die wirtschaftliche Entwicklung setzt sich mit Aufwärtstrend fort.
Aber, meine Damen und Herren, am Arbeitsmarkt gibt es keine Entwarnung. Wir stehen vor großen Herausforderungen und müssen dicke Bretter bohren. Wir müssen endlich die harten Themen angehen, um mit der Arbeitslosigkeit fertig zu werden, und das tun wir.
Der Aufschwung ist kein Selbstläufer. Wir werden im Herbst die gesamtwirtschaftliche Projektion für 1995 und 1996 auf der Basis dann vorliegender Daten überprüfen und aktualisieren.
Mir liegt viel daran, darauf hinzuweisen, daß in den neuen Ländern der kräftige Aufwärtstrend ungebrochen ist. Die Menschen nehmen dort den Aufbau zunehmend auch selbst in die Hand. Dennoch ist erst die Hälfte des Weges zu einer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft geschafft. Die neuen Länder brauchen und erhalten auch weiterhin unsere Unterstützung.
Mit dem Jahressteuergesetz und dem vorliegenden Haushaltsentwurf trägt die Bundesregierung allerdings dem Grundsatz Rechnung, daß die Transfer-
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
zahlungen und die Hilfen konzentriert werden und degressiv angelegt sein müssen. Die Konzentration erfolgt auf das verarbeitende Gewerbe und da insbesondere auf den Mittelstand.
Noch in diesem Monat werde ich einen Bericht vorlegen, der eine Bilanz der wirtschaftlichen Entwicklung der fünf Jahre nach der Wiedervereinigung für die neuen Länder aufzeigt.
Meine Damen und Herren, wenn ich mir die Wirtschaftspolitik der SPD und die Diskussion um die Wirtschaftspolitik innerhalb der SPD ansehe, dann weiß ich nicht, ob ich weinen oder lachen soll.
- Sie geben mir die Antwort: Wenn man Ihre Politik ansieht, muß man eher weinen. Sie fordern eine Wirtschaftspolitik zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Dabei beschreiben Sie im Grunde - das sagen Sie ja auch selbst - die gleichen Handlungsfelder, auf denen etwas getan werden muß, wie wir.
Ihr Dilemma besteht nur in folgendem, und da wirken Sie dann immer wieder inkonsequent, auch in den Augen der Öffentlichkeit:
Sobald es darum geht, die Rezepturen, die Instrumente für eine solche Politik zu finden, schrecken Sie vor Ihrer eigenen Courage zurück.
In der Forschungspolitik sind Sie halbherzig und zerstritten,
so bei der Gentechnologie, in der Energiepolitik und bei der Luft- und Raumfahrt.
In der Sozialpolitik sprechen Sie von zu hohen Lohnnebenkosten und erklären gleichzeitig die wichtigsten Handlungsfelder zu Tabuzonen. Bei der Arbeitsorganisation setzen viele von Ihnen nach wie vor auf blockweise Arbeitszeitverkürzung, ohne zu bedenken, daß dadurch die Arbeit weiter verteuert wird und Arbeitsplätze abwandern. Erst langsam dämmert es, daß nur Flexibilisierung weiterhilft.
Sie bekennen sich, meine Damen und Herren, zu weniger Bürokratie und lassen eben da, wo der Bürger mit der Bürokratie konfrontiert wird, in Ländern und Gemeinden, die Bürokratie überborden.
Sie sprechen von Privatisierung und tun da, wo Sie Verantwortung tragen, in Ländern und Gemeinden, nichts dafür.
Dann ist es doch kein Wunder, daß Sie Kritik auch aus den eigenen Reihen bekommen.
Ich habe im übrigen, wenn ich das einmal so sagen darf, von Herrn Schröders ökonomischem Sachverstand nie viel bemerkt. Er ist ein Selbstdarsteller mit dem Gespür für die richtige Windrichtung.
Da halte ich dann schon sehr viel mehr von Leuten wie Herrn Spöri, und diesen zitiere ich dann auch gern, wenn er Ihnen die richtige Lektion für moderne Wirtschaftspolitik liest.
Die meisten von Ihnen hier bei der SPD in Bonn wollen noch nicht wahrhaben, daß wir bei den Themen Umbau der Sozialsysteme, Neuorganisation der Arbeit und Deregulierung viel mehr tun müssen, als nur kosmetische Eingriffe vorzunehmen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schwanhold?
Ja, bitte.
Herr Minister Rexrodt, nachdem Sie sich auf die Gemeinden bezogen haben, würde ich Sie sehr gern bitten, mir doch eine Gemeinde zu nennen, in der die F.D.P. die Gelegenheit hat, die Bürokratie abzubauen.
Lieber Herr Schwanhold, leider gibt es nur - noch! - wenige Gemeinden, wo wir in erster Verantwortung stehen.
Wenn wir das wären - und die Bürger werden sich mehr und mehr in dieser Richtung entscheiden, auch wenn Sie das nicht wollen -,
wäre die Situation anders.
Herr Schwanhold, das war im übrigen ein sehr konstruktiver Beitrag, um von Ihrer Verantwortung in Ländern und Gemeinden abzulenken.
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
In den Ländern, wo Sie die Verantwortung tragen, sind die Landesbanken damit befaßt, ganze Industrieimperien aufzubauen, zusammenzukaufen, in denen Sie dann mit staatlicher Gängelung Industriepolitik machen, eine Industriepolitik, die immer in die Sackgasse führt.
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?
Nein, ich würde jetzt gern in meinem Gedankengang hier vorankommen.
Wirtschaftspolitik, meine Damen und Herren, besteht nicht darin, Showveranstaltungen zu vollziehen - hier im Bundestag nicht, Herr Schwanhold, und auch nicht draußen. Ich treffe da im übrigen nicht nur SPD-Politiker, die sich von einem sogenannten Autogipfel eine Menge versprochen haben. Ich halte nichts von einer derart verfehlten Standortpolitik; ich bin für den Dialog mit Wirtschaft und Gewerkschaften.
Ich warne vor der Fixierung von Staatszielen für die Industrie, die so oft nicht erreicht wurden und die zu einem Grab für Steuermillionen geworden sind. Denken Sie an die Reaktorlinien, die wir gefördert haben, denken Sie an die Mikrochips und an die Raumtransporter.
Die Wirtschaft selbst ist allemal besser in der Lage, unternehmerische Entscheidungen zu treffen. Dazu brauchen wir den Austausch mit Gewerkschaften und Politik. Deshalb spricht die Bundesregierung in ihren Standortdialogen mit allen Beteiligten in den betroffenen Branchen.
Mit der Automobilindustrie haben wir bereits am 15. März dieses Jahres ein ausführliches Gespräch gehabt; im übrigen war die IG Metall dabei. Auch damals war das Dreiliterauto ein zentraler Punkt. Wir haben uns in die Investitionspläne und -entscheidungen der Industrie nicht eingemischt. Wir haben auch keine steuerlichen Subventionen für bestimmte Motoren zugesagt, wie das in Niedersachsen der Fall gewesen ist.
Ein zweifelhafter Erfolg war auch die Einmischung von Herrn Schröder in die Diskussion um die Schließung des Standortes Lemwerder. Seine unbedingte Arbeitsplatzgarantie für dieses Werk gefährdet Arbeitsplätze für die Lufthansawerft in Hamburg. Dieser Standortegoismus darf sich nicht in die aktuelle Diskussion um die Luft- und Raumfahrtstandorte einmischen. Das darf dort keine Wiederholung finden.
Hier sind die Unternehmen gefordert, alle betrieblichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um in Deutschland weiter wettbewerbsfähig produzieren zu können.
Auch Gipfeltreffen auf hoher Ebene, wo immer sie stattfinden, ändern nichts an den ökonomischen Zwängen, unsere Wettbewerbsfähigkeit an den Weltmarkt anzupassen.
Jetzt muß der DASA-Vorstand - das muß deutlich gesagt werden - Vorschläge machen. Dem politischen Druck - oder wie auch immer das gemeint sei, was dort in Vorlagen, die nicht abgestimmt sind und die Horrorszenarien beschreiben, erklärt wird - der Konzernführung wird sich die Bundesregierung jedenfalls nicht unterwerfen.
Erst muß das Unternehmen seine Aufgaben machen.
Ich füge aber auch hinzu, und das mit Blick auf Sie, meine Damen und Herren von der Opposition: Wer militärische Flugzeugbeschaffung ablehnt, kann sich nicht glaubhaft für die Erhaltung der Standorte der Luftfahrtindustrie einsetzen. Das ist ein falscher Standortegoismus.
Zweifelsohne ist die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie in einer schwierigen Situation, und schnelles Handeln ist geboten. Ich warne aber vor Panikmache, ich warne vor blindem Aktionismus und übereilten Schuldzuweisungen.
Für Mitte Oktober habe ich die Industrie und die Ministerpräsidenten der betroffenen Länder erneut eingeladen, um mit ihnen gemeinsam die Handlungsmöglichkeiten und Handlungsnotwendigkeiten in den jeweiligen Verantwortungsbereichen zu erörtern.
Während die SPD noch darüber streitet, wie sie ihre Wirtschaftspolitik titulieren soll,
hat die Bundesregierung längst ihren wirtschaftspolitischen Fahrplan in Richtung Fitmachen des Standorts Deutschland festgelegt. Wir setzen u. a. auf Flexibilisierung, auf weniger Bürokratie, auf Reduktion der Kosten und Senkung der steuerlichen Belastungen.
Das heißt, im Herbst muß endgültig die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer beschlossen werden. Wir müssen endlich an die mittelstandsfreundliche Senkung der Gewerbeertragsteuer herangehen.
Aber solche Verbesserungen für die Unternehmen dürfen dann nicht durch eine, ich betone: falsch angelegte Ökosteuer wieder zunichte gemacht werden. Erst Steuern eintreiben und anschließend damit staatlich lenkend eingreifen, wie das im SPD-Konzept der Fall ist, das ist kein wirtschaftspolitisch vernünftiger Ansatz.
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Ich bin ebenfalls für eine CO2-/Energiesteuer - das habe ich auch in diesem Parlament gesagt -, um unseren umweltpolitischen Zielen, die der Bundeskanzler auf dem Weltklimagipfel in Berlin unterstrichen hat, Rechnung zu tragen.
Das von uns entwickelte Konzept ist wettbewerbs-
und beschäftigungspolitisch verträglich. Um unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht zu gefährden, schließt mein Konzept für den Fall des nationalen Alleingangs die Selbstverpflichtung der Industrie ein und weiterhin, daß die enormen Investitionen, die damit verbunden sind, angerechnet werden.
Unabdingbare Voraussetzung ist aber, daß mindestens eine gleichgewichtige und auch zeitgleiche Entlastung bei den Steuern stattfindet. Wir sollten möglichst eine Vorleistung erbringen, etwas an die Bürger und die Unternehmen zurückgeben, um dann eine CO2-/Energiesteuer vereinbaren zu können, die einen Lenkungseffekt hat.
Bevor wir über weitere ökologische Steuerpläne nachdenken, muß aus gesamtwirtschaftlichen Gründen glasklar festgelegt werden: Der Solidaritätszuschlag muß abgebaut werden, und zwar so schnell wie möglich. Die F.D.P. hat dazu einen festen Fahrplan vorgelegt. Dieser darf nicht an den Finanzegoismen der Bundesländer scheitern.
- Jeder hat dabei seine Vorstellung. Alle in der Koalition sind der Auffassung, daß das eine Steuer ist, die vorübergehender Art ist, und daß sie abgebaut werden muß. Wir als F.D.P. dringen mit großem Nachdruck darauf, daß der Solidarzuschlag so schnell wie möglich verschwindet.
Meine Damen und Herren, heute vormittag, während wir debattieren, hat die Bundesanstalt für Arbeit die Arbeitsmarktzahlen für August bekanntgegeben. Diese Zahlen sind nicht gut, sie sind sogar schlechter als erwartet. Die Arbeitslosigkeit hat sich nur leicht verringert; saisonbereinigt hat sie sich sogar erhöht.
Dies zeigt, daß sich uns auf dem Sektor Arbeitsmarktpolitik noch riesige Herausforderungen stellen. Wir alle wissen, daß die Arbeitslosigkeit strukturell bedingt ist, daß keiner einen Königsweg kennt - auch Sie nicht, niemand kennt ihn. Wir müssen dicke Bretter bohren. Dazu gehört das, was ich gerade gesagt habe: Flexibilisierung der Arbeitswelt, Deregulierung, Abbau von Steuern und Abgaben sowie der Umbau der Sozialsysteme.
Der Zusammenhang zwischen Löhnen, Arbeitszeit und Arbeitsplätzen ist evident. Die Tarifparteien haben hier große Aufgaben vor sich. Wir müssen als Staat, wenn dies notwendig ist, auch andere Rahmenbedingungen setzen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß beim Stichwort Flexibilität noch eines sagen: Es freut mich, daß nun endlich auch in Ihren Reihen beim Thema Ladenschluß etwas Bewegung festzustellen ist. Wir müssen uns von dem Märchen abwenden, daß verlängerte, flexiblere Ladenöffnungszeiten keinen zusätzlichen Umsatz für den Handel bringen. Das ist eben nicht der Fall. Das Ifo-Institut spricht von 20 Milliarden DM.
Zudem können 50 000 zusätzliche Arbeitsplätze im Handel geschaffen werden. Das ist schlüssig. Unser geltendes Ladenschlußgesetz ist nicht länger zeitgemäß; es paßt nicht zum Standort Deutschland - nicht für die 90er Jahre und schon gar nicht für das nächste Jahrhundert.
Ich bin ja froh, daß bei Ihnen, wenn auch retardierend, endlich Bewegung festzustellen ist.
Meine Damen und Herren, ich lade Sie ein, im wohlverstandenen Interesse des Standorts Deutschland mit der Bundesregierung gemeinsam moderne Wirtschaftspolitik zu machen. Dabei wünschte ich mir gerne Männer wie Hermann Rappe als Kontrahenten und Partner auf der Seite der Gewerkschaften.
Ich zitiere aus seiner Rede bei der Eröffnung des Gewerkschaftstages der IG Chemie in Hannover am Montag. Er hat gesagt:
Wir müssen unter Beachtung unserer Grundwerte unsere Positionen, aber auch unsere Verantwortung für die Gestaltung unserer Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung deutlich machen, und wir müssen uns gleichzeitig den Veränderungen in der Welt und in Europa stellen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, lassen Sie uns in diesem Sinne die Zukunft bejahen und positiv denken. Ziehen Sie Ihre Mundwinkel hoch,
und freuen Sie sich über ein erfolgreiches und geeintes Deutschland.
Ich danke Ihnen.
Als nächste spricht unsere Kollegin Anke Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An meiner Fröhlichkeit brauchen Sie keinen Zweifel zu haben, Herr Kollege Rexrodt.
Daß Politik Spaß macht, weiß ich auch; deswegen stehe ich hier. Sie werden an mir eine unverbesserliche Optimistin haben, keine Sorge.
Wir reden heute über Wirtschaftspolitik. Das war eben eine traurige Vorstellung, meine Damen und Herren. Wenn Sie schon wieder einmal Herrn Spöri zitieren wollen, dann übernehmen Sie doch bitte für die Bundesebene sein hervorragendes Programm zur Hilfe für kleine und mittlere Unternehmen, um diesen bei Liquiditätsproblemen zu helfen, damit sie nicht pleite gehen, sondern weiterarbeiten können.
Wenn Sie schon Hermann Rappe zitieren, dann bitte auch jenen Satz, in dem er beklagt, daß wir in unserer Gesellschaft im Augenblick die Unternehmer in ihrer sozialen Verantwortung unterfordern. Er mahnt mehr soziale Verantwortung der unternehmerischen Wirtschaft an. Das ist Hermann Rappe, und so handelt er auch richtig, meine Damen und Herren.
Ich habe mich in der Vorbereitung zu dieser Rede nicht nur mit dem eh mageren Haushalt des Wirtschaftsministers beschäftigt. Wirtschaftspolitik ist doch eine Gesamtpolitik. Ich habe bei Herrn Wissmann, bei Frau Merkel, bei Herrn Bötsch und bei Herrn Töpfer zugehört. Die Antwort auf die Frage, ob es eine wirtschaftspolitische Gestaltungsfähigkeit dieser Regierung gibt, ist für mich: nein. Sie haben alle das Aussitzen des Bundeskanzlers verinnerlicht, meine Damen und Herren, warten ab und begründen kläglich, warum Sie sparen müssen, und dann noch in die falsche Richtung.
Das ist keine zukunftsorientierte, keine beschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik. Wenn man bedenkt, wie wichtig eine beschäftigungsorientierte, zukunftsorientierte Verkehrspolitik ist, ist man enttäuscht von dem, was Herr Wissmann gesagt hat. Wenn man daran denkt, daß Frau Merkel eigentlich unseren Weg der ökologischen Erneuerung mitgehen müßte, ist es Kleinkram, was sie hier erzählt hat. Wenn man bedenkt, wie wichtig es gerade jetzt, in dieser konjunkturellen Situation, wäre, den Wohnungsbau zu forcieren, statt ökonomisch unsinnig zu reduzieren, und über den Wohnungsbau der Bauwirtschaft auch weiterhin zu helfen, und Herrn Töpfer hört, muß man zu dem Ergebnis kommen: Das ist in der Tat eine klägliche Veranstaltung, meine Damen und Herren. Das ist keine zukunftsorientierte Politik mehr.
Als ich Herrn Rexrodt eben zugehört habe, wurde ich auch nicht gerade frohgemut. Ihretwegen fange ich nicht an zu lächeln,
sondern ich fange an zu lächeln, weil ich versuchen will darzustellen, wo die Handlungsfelder liegen. Sie sagen uns, wir nennen die richtigen Handlungsfelder. Von Ihnen würden wir gerne endlich mal Taten sehen, wenn Sie soviel rumschwadronieren. Tun Sie doch endlich etwas, damit endlich Gestaltungskraft sichtbar wird.
Ich bin schon überrascht - das ist in diesen Tagen des öfteren angesprochen worden -, wie locker vom Hocker der Wirtschaftsminister die Arbeitslosenzahlen zur Kenntnis nimmt
und überhaupt kein Konzept dafür entwickelt, was wir in dieser Gesellschaft tun können, um Massenarbeitslosigkeit nicht in Kauf zu nehmen. Wir wissen doch alle, daß Massenarbeitslosigkeit das Teuerste ist, was wir uns leisten können, abgesehen von den Folgen für die Familien und für die Menschen.
Auch ich habe kein Patentrezept, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, aber die Zusammenfassung aller Politikbereiche, von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik muß beschäftigungsorientiert sein. Deswegen müssen wir doch alle Instrumente daraufhin überprüfen, ob sie in Anbetracht der Globalisierung der Weltmärkte, für unsere Wirtschaft nützlich sind und dazu führen, daß Männer und Frauen durch Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen können, meine Damen und Herren.
Da tun Sie nichts. Sie nehmen Massenarbeitslosigkeit in Kauf, weil es Ihnen eigentlich egal ist. Hier liegt der grundlegende Unterschied zu uns: Sie setzen auf Sozialabbau. Herr Rexrodt hat in dieser Sommerpause in rasanter Einfalt über Sozialpolitik geredet. Ich will das gar nicht alles wiederholen; Sie haben es gelesen. Nicht, was er da sagt, aber welche Geisteshaltung dahintersteht, ist das, was mich bewegt, daß man wirklich nichts begriffen hat.
Sie sollten einmal Hermann Rappe zu sich holen, damit er Ihnen erzählt, was aus der Sicht der Menschen in unserem Lande Sozialstaat und Wirtschaftspolitik miteinander zu tun haben, welchen Produktivitätsfaktor dies darstellt.
Anke Fuchs
Die Globalisierung der Märkte und die Herausforderungen, die wir alle kennen, die auch zu Umdenken und neuen Instrumenten führen müssen, dürfen doch nicht von dem Bild begleitet sein: erst mal Sozialabbau, Armut in Kauf nehmen. Die Menschen kommen in zweiter Linie. Das kann nicht das Ergebnis der Gestaltungskraft dieser Gesellschaft sein, meine Damen und Herren.
Dahinter steckt - das sagt Herr Schäuble immer wieder - die Auffassung von einer Vollkaskomentalität, von vorhandener Risikoscheu. Nun ist ihm etwas ganz Tolles eingefallen - auch der Bundeskanzler selbst hat gestern davon gesprochen -: Wir wollen Mißbrauch verhüten. - Das finde auch ich gut. Ich bin gegen jeden Mißbrauch. Ich bin auch dagegen, daß Sozialhilfe mißbraucht wird. Es war aber für mich hochinteressant, daß der Bundeskanzler dann sagte, er sei auch gegen Mißbrauch in Form von Steuerhinterziehung.
Meine Damen und Herren, wenn es darum geht, Sozialhilfemißbrauch zu bekämpfen, wird eine riesige Gesetzgebungsmaschinerie in Gang gesetzt. Aber auch in bezug auf Steuerhinterziehung habe ich noch keine Handlung dieser Bundesregierung gesehen.
Das ist der zweite Teil Ihrer Geisteshaltung - Herr Hintze, ich gucke Sie jetzt an -: Sie unterfordern damit auch die unternehmerische Wirtschaft. Sie lassen zu, daß sie sich aus der sozialen Verantwortung zieht, wie Hermann Rappe zu Recht beklagt. Wir lassen zu, daß die unternehmerische Wirtschaft nur mit dem Thema Lohnnebenkosten- und Steuersenkung die wirtschaftspolitische Debatte bestreitet. Dabei müssen wir von Ihnen Äußerungen darüber erwarten, wie Sie sich die Zukunft vorstellen, welche Instrumente Sie anzubieten haben, um mit gemeinsamen Mitteln die wirtschaftspolitischen Herausforderungen zu bestehen.
- Herr Kollege, wenn das, was Herr Rexrodt dazu gesagt hat, alles sein soll, dann gute Nacht, Deutschland. Mit einer solchen Wirtschaftspolitik werden Sie die Zukunft nicht gestalten können.
Sie nehmen die Arbeitslosigkeit in Kauf. Ja, Sie nehmen in Kauf, daß wiederum Sozialabbau das einzige Ziel ist. Da komme ich zu dem Schluß, daß Sie dies ohne uns machen müssen.
Sie sagen: Sozialhilfe ist zu teuer. - Sie ist deswegen zu teuer, meine Damen und Herren, weil wir keine Arbeitsplätze anzubieten haben. Der Kern dieses ganzen Teufelskreises ist die Frage: Wie schaffen wir es, vernünftige, beschäftigungsorientierte Politik zu machen? Da sind doch Sie gefordert, Herr Rexrodt, mit ganz praktischen Beispielen zu mehr Beschäftigung beizutragen. Das heißt, wir brauchen endlich die Entsenderichtlinie, damit portugiesische Bauarbeiter nicht billiger arbeiten können als deutsche Bauarbeiter.
Wir brauchen die Bekämpfung von illegaler Beschäftigung; wir brauchen die Bekämpfung von Schwarzarbeit. Wenn Sie mit mir auch nur ein Wort über Ladenschluß reden wollen, dann tue ich das erst dann, wenn Sie die Geringfügigkeitsgrenze abgeschafft haben und wir ordentliche Teilzeitarbeitsplätze in diesem Lande organisieren können,
damit 4 Millionen Frauen die Chance haben, sich durch ihre Verdienste eine soziale Sicherung aufzubauen.
Daß das nicht geschieht, nehmen Sie alle in Kauf. Deswegen kann man Ihre Politik eigentlich nicht ernst nehmen.
Sie sagen: Die Sozialhilfe ist zu teuer. Ihre Philosophie ist: Obwohl Massenarbeitslosigkeit - 3,6 Millionen Menschen - herrscht, obwohl wir also keine Arbeitsplätze haben, wollen Sie den Anreiz zur Arbeitsaufnahme erhöhen. Das heißt im Klartext: Wir haben zwar keinen Arbeitsplatz; wenn du aber dem Anreiz nicht folgst, einen Arbeitsplatz anzunehmen - den wir gar nicht haben -, streiche ich dir Sozialhilfe. - Stellen Sie sich das einmal vor! Wir haben keinen Arbeitsplatz anzubieten, aber der Anreiz zur Arbeitsaufnahme soll verstärkt werden! Und wenn man dem nach irgendwelchen Statistiken oder irgendwelchen Aufforderungen nicht nachkommt, wird die Sozialhilfe gestrichen.
Nein, meine Damen und Herren, so kann es nicht gehen. Es geht darum, Arbeitsplätze zu schaffen, nicht die Arbeitslosen zu bekämpfen, sondern die Arbeitslosigkeit.
Ich will mich heute bei meinem kurzen Diskussionsbeitrag nicht bei diesem Thema aufhalten. Ich will aber den Wirtschaftspolitikern - einige kennen mich aus dem Ausschuß - noch einmal mit Nachdruck sagen: Die Beschäftigungsorientierung der Wirtschaftspolitik ist das zentrale Problem. Immer
Anke Fuchs
darüber hinwegzusehen und zu sagen, das werde sich alles hinschuckeln, wird nicht ausreichen, um diese Kernfrage für unser Land wirklich vernünftig zu diskutieren.
Ich habe gesagt: Wir unterfordern die soziale Verantwortung der unternehmerischen Wirtschaft. Ich glaube, wir unterfordern auch uns selbst. Der Bundeskanzler hat ja von der Elite geredet. Das kommt mir immer ein bißchen komisch vor. Ich glaube, er meint damit die Wirtschaftsbosse. Ich will das einmal aufnehmen. Auch die Wirtschaftsbosse in unserem Land sind doch unterfordert, weil man ihnen nicht abverlangt, mit uns zusammen die Fragen zu beantworten: Wie soll dieser Wirtschaftsstandort in Zukunft aussehen? Welche Werte legen wir zugrunde? Welche Richtung wollen wir angeben?
Ich denke, die Menschen warten darauf, daß mit neuen Ideen und gebündelter Kreativität Reformvorhaben vorgetragen werden. Ich glaube, man kann dieses an dem Thema „Arbeit und Umwelt" deutlich machen.
Ich will nun nicht den Eindruck erwecken, als ob die ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft - ich sage dazu einfach: Arbeit und Umwelt - das Patentrezept sei. Tun wir bitte nicht so, als ob wir in diesem schwierigen Feld ein Patentrezept hätten, das die ganzen Probleme löst, so wie Sie immer behaupten: Wenn wir alle länger arbeiten, lassen sich die Probleme schon lösen. Das ist ja nicht wahr! Wir brauchen hier einen „policy mix", wir brauchen, um es mit Karl Schiller zu sagen, so viel Staat wie nötig und so viel Markt wie möglich. Das muß man dann mit Blick auf die Herausforderungen der Zeit, in der wir sind, variieren.
Eine der Herausforderungen ist, daß wir die Weichen in Richtung ökologische Erneuerung stellen müssen. Warum? - Weil da unsere Zukunftschancen liegen, weil wir auf diese Weise mit intelligenter Technik, mit vernünftigen Produktionsweisen etwas für die Umwelt tun können und trotzdem unsere Wettbewerbsfähigkeit und Standortfähigkeit verbessern können. Das ist doch das, was die Menschen bewegt. Die wissen doch, daß es mit der Umweltpolitik so nicht weitergehen kann. Sie wissen, daß hier etwas Neues zu geschehen hat. Deswegen ist das Umschichten in Richtung ökologische Produkte, in Richtung ökologische Produktionsweisen das, was wir uns vornehmen müssen. Frau Merkel hat dazu überhaupt nichts gesagt. Ich habe jetzt das Beispiel meiner Kollegin Liesel Hartenstein nicht mehr ganz parat, aber dem Sinn nach hat sie gesagt: Die Verpakkungsverordnung, die dringend nötig ist, die ein Instrument ist, mit dem diese Regierung handeln könnte, wird nicht angewandt. Da werden Chancen vertan, - Diese Regierung nutzt die Instrumente, die sie selbst geschaffen hat, nicht konsequent, meine Damen und Herren. Deswegen passiert auf dem Sektor der ökologischen Erneuerung unserer Industriegesellschaft nichts.
Wir wollen das Thema „Arbeit und Umwelt" - die Debatte der letzten Jahre - endlich realisieren, das was wir doch alle immer sagen: Arbeit muß billiger werden, die Inanspruchnahme der Umwelt muß verteuert werden. Wenn wir Arbeit billiger machen wollen, dann könnten wir damit anfangen, daß wir die Arbeitslosenversicherungsbeiträge senken: für Arbeitnehmer wie für Arbeitgeber.
- Wir wollen die Arbeitslosenversicherungsbeiträge senken, Herr Kollege, herunterziehen.
Wir wollen, daß die Arbeitsmarktpolitik auf neue Füße gestellt wird. Seit Jahren, meine Damen und Herren, sagen wir, daß es nicht angehen kann, daß Arbeitsmarktpolitik allein aus Beitragsmitteln finanziert wird.
Eine beschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik fordert auch finanzielle Unterstützung des Staates. Deswegen ist es richtig, wenn die Bundesanstalt berechenbar und zuverlässig Staatsmittel bekommt, um ihre wichtige, begleitende, innovative Arbeitsmarktpolitik auch finanzieren zu können. Also senken wir die Arbeitslosenversicherungsbeiträge und statten die Bundesanstalt für Arbeit entsprechend aus.
Davon haben auch die Rentner Vorteile, weil durch die nettolohnbezogene Anpassung der Renten auch deren Einkommen steigen kann.
Wie wollen wir das finanzieren? - Sehr richtig, Herr Kollege: Wir wollen es durch eine Stromsparsteuer sowie eine moderate Anhebung der Mineralölsteuer finanzieren, die auch Herr Rexrodt durchaus will.
Sich angesichts des Wegfalls des Kohlepfennigs dafür auszusprechen, daß Strom noch billiger werden soll, ist doch geradezu unsinnig, meine Damen und Herren. Die privaten Haushalte sollen auf dem jetzigen Stand gehalten werden. Sie sollen so viel zahlen, als ob es den Kohlepfennig noch gäbe, sage ich einmal ein bißchen vereinfacht. Die unternehmerische Wirtschaft wollen wir sogar besserstellen, weil wir um ihre Wettbewerbsprobleme wissen und weil wir wollen, daß Arbeitsplätze in der Bundesrepublik bleiben. Das ist wichtig auch hinsichtlich der Frage, wie dieses Konzept realisiert werden kann.
Wir wollen darüber hinaus moderat, aber zuverlässig und berechenbar die Mineralölsteuer anheben. Wenn Sie fordern, die Inanspruchnahme von Umwelt muß verteuert und Arbeit muß entlastet werden, dann muß es auch finanziert werden. Wir wollen das aufkommensneutral machen. Wir werden das Aufkommen aus der Mineralölsteuer an die Arbeitgeber und Arbeitnehmer zurückgeben und in
Anke Fuchs
einem späteren Schritt auch eine Senkung der Lohn- und Einkommensteuer vornehmen. Das ist unser Konzept einer richtigen Neujustierung von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, meine Damen und Herren.
Frau Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Solms?
Aber mit Vergnügen, vielleicht lernt er dann etwas von dem, was wir wollen.
Zunächst einmal möchte ich von Ihnen eine Information haben, weil Sie eine Dreiecksrechnung aufmachen, die nicht aufgeht. Sie sagen, Sie wollen die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken, um die Arbeitskosten zu vermindern. Dieses Ziel ist richtig. Das muß dann eben aus dem Haushalt finanziert werden. Deswegen - sagen Sie - wollen Sie eine Stromsteuer einführen und die Mineralölsteuer erhöhen. Aber das Ganze soll aufkommensneutral sein.
Diese Rechnung, verehrte Kollegin Frau Fuchs, kann nicht aufgehen. Das heißt also, wenn Sie auf der einen Seite etwas senken wollen, müssen Sie auf der anderen Seite etwas erhöhen. Das ist eine Umverteilung; diese Bilanz geht nicht auf.
Das stimmt ja nicht. - Es spricht der Fraktionsvorsitzende der F.D.P. -
Ich stelle es noch einmal ganz einfach dar.
- Sie fragen mich, deswegen will ich ja gern einen Beitrag dazu leisten, daß Sie mich verstehen. Ich kann es auch andersherum machen, indem ich sozusagen Ihre „Denke" aufnehme.
- Langsam.
Die Stromsparsteuer wird eingeführt und die Mineralölsteuer wird schrittweise und berechenbar erhöht. Dann habe ich ja Geld. Dieses Geld nehme ich und gebe es der Bundesanstalt für Arbeit für ihre Aufgaben. Da ich das Geld für die Bundesanstalt für Arbeit nicht mehr von den Beitragszahlern holen muß, kann ich dieses Geld, das ich durch Stromsparsteuer und Mineralölsteuererhöhung eingenommen habe, dazu verwenden, durch Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung die Lohnnebenkosten zu vermindern.
Das ist der eine Teil der ökologischen Erneuerung. Ich will das ergänzen und noch einmal sagen: Hinzukommen müssen natürlich ein entsprechender Ordnungsrahmen und weitere Elemente. Das will ich jetzt nicht vertiefen, weil mir sonst die Zeit wegläuft.
Frau Fuchs, da gibt es noch den Wunsch nach einer Zwischenfrage der Abgeordneten Homburger.
Noch eine? - Gerne. Das ist schön. Bitte sehr.
Frau Kollegin Fuchs, ich hätte gern von Ihnen gewußt, wie Sie denn bitte die Programme für regenerative Energien bezahlen wollen, die Ihr Kollege Müller exakt aus dem Aufkommen dieser Stromsparsteuer, die Sie fordern, finanzieren will, und wie sich das mit der Aufkommensneutralität verhält, wenn Sie die Einnahmen zurückgeben und gleichzeitig etwas anderes mit ihnen finanzieren wollen. Offensichtlich paßt das wohl doch nicht zusammen.
Frau Kollegin, Sie glauben gar nicht, wie dankbar ich Ihnen für diese Frage bin.
Es bleibt dabei - das habe ich gesagt -: Wir wollen die Stromsparsteuer einführen und die Mineralölsteuer erhöhen. Es gibt einen großen Bereich von auch ökologisch unsinnigen Steuersubventionen. Dazu könnte ich Ihnen eine ganze Liste schicken; ich will das jetzt nicht vertiefen.
Die werden wir „umswitchen" - so sage ich es einmal -, um damit folgendes zu erreichen: Wir haben ja unser Klimaschutzprogramm vorgelegt; das ist eingebracht worden. Wir wollen durch Abbau jener Subventionen Anreize dazu geben, daß im Rahmen unseres Klimaschutzprogrammes auch privates Kapital investiert wird.
Ich darf es noch ein bißchen platter sagen: Wir haben in verschiedenen Bereichen gute Erfahrungen gemacht, wenn wir mit finanziellen Anreizen privates Kapital mobilisieren, um damit sinnvolle Gemein-
Anke Fuchs
schaftsaufgaben oder auch sinnvolle wirtschaftliche Projekte zu finanzieren. Das ist unser Weg. Ich schicke Ihnen, Frau Kollegin, das gern zu. Das ist sauber durchgerechnet, keine Sorge!
Es bleibt bei der Aufkommensneutralität von Stromsparsteuer und Mineralölsteuererhöhung. Das ist das sozialdemokratische Konzept.
Haben Sie eine Zusatzfrage?
Ja. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Bitte.
Frau Fuchs, ich möchte von Ihnen gern zwei Dinge wissen. Ich möchte von Ihnen nicht etwas zugeschickt bekommen; ich möchte heute von Ihnen wissen, erstens welche Subventionen Sie abbauen wollen und zweitens wann Sie gedenken, einen Abstimmungsprozeß in Ihrer Fraktion zwischen dem Herrn Kollegen Müller und Ihnen durchzuführen, weil Herr Kollege Müller nämlich nicht sagt, daß er die regenerativen Energien mittels Subventionsabbau fördern will, sondern sagt, daß er das aus dem Aufkommen der Stromsteuer tun wolle. Sie erzählen jetzt das eine; Kollege Müller erzählt das andere. Ich denke, das sollte man hier einmal festhalten. Ich hätte gern eine Antwort auf diese meine Fragen.
Frau Kollegin, auch für diese Frage bin ich Ihnen ausgesprochen dankbar. Fangen wir doch einmal an mit der Steuerbefreiung von Flugbenzin!
Wir haben im übrigen ein Konzept vorgelegt - über das weitere Verfahren sage ich gleich noch etwas -, dem der Kollege Müller zugestimmt hat.
Die Fraktion hat das Konzept, von dem ich hier spreche, mit nur einer Gegenstimme - und das war nicht die des Kollegen Müller - verabschiedet. Damit ich es nicht einfacher darstelle, als es eigentlich ist, will ich den Weg gleich beschreiben.
Bevor ich das zum Abschluß tue, will ich weiter der Frage der ökologischen Umsteuerung nachgehen. Es wird immer davon geredet - das wiederum sollte Herrn Rexrodt interessieren, weil das die Frage des politischen Handelns betrifft -, daß man eigentlich energiearme Autos braucht. Wir wissen alle, daß das technisch möglich ist. Nun kann man die mit zwei Instrumenten einführen: Entweder läßt man ab einem gewissen Jahr nur noch Autos zu, die wenig Sprit verbrauchen, oder man baut darauf, daß durch die Anhebung des Benzinpreises die Menschen selbst darauf kommen, daß es ökologisch sinnvoller ist, Autos zu fahren, die wenig Benzin verbrauchen. Ich setze auf letzteres. Das heißt aber auch, daß wir die ganze Steuer umgestalten müssen, damit es sich steuerrechtlich lohnt, ein verbrauchsarmes Auto zu fahren. Das ist der Weg einer ökologischen Erneuerung.
Von Umweltnormen und sonstigen Dingen will ich nicht mehr sprechen. Vielmehr will ich zurückkommen auf die Frage, wie man mit diesem Thema umgeht. Frau Kollegin Homburger, auch bei uns war die Erarbeitung dieses Konzeptes schwierig. Ich habe zig Stunden daran gearbeitet, mit vielen, vielen zusammen, und mich nicht vorher in die Öffentlichkeit begeben. Denn ich möchte immer gerne, daß Sozialdemokraten ihre Vorschläge bündeln und sie dann, wenn sie etwas vereinbart haben, nach außen hin vertreten. Das ist Gestaltungskraft, und die brauchen wir dringend - sowohl in der SPD als auch in der Politik insgesamt.
Ich weiß ja, daß auch Sie über so etwas nachdenken. Ich weiß ja, daß Herr Repnik eigentlich meiner Auffassung ist. Ich beobachte nur, daß sich der, der sich bei Ihnen aus dem Fenster lehnt - ich weiß, wie so etwas geht -, erst einmal eins aufs Dach kriegt, erst einmal zurückgepfiffen wird. Ich ermuntere deswegen die Kolleginnen und Kollegen, die das, was ich sage, eigentlich vernünftig finden, in ihrer Fraktion dafür zu sorgen, daß wir damit ein Stückchen vorankommen. Denn ich denke, das kann ein gemeinsames Reformkonzept sein. Es wäre doch ganz toll, wenn wir über diesen ökonomisch, ökologisch und sozial richtigen Weg so diskutieren, daß die Leute draußen sagen: Mensch, da ist denen etwas eingefallen.
Auch ich weiß natürlich, daß wir noch über die Auswirkungen reden müssen, daß wir fragen müssen: Was hat das für Auswirkungen auf die Pendler, was hat das für Auswirkungen auf die einkommensschwächeren Menschen in unserem Land, was hat das für Auswirkungen auf die energieintensiven Betriebe? Das ist mir alles klar. Wir werden an der Beantwortung dieser Fragen arbeiten. Aber ich habe gelernt: Meistens hört man die Leute, die zunächst einmal sagen, warum etwas nicht funktioniert.
Ich bin der Überzeugung, daß dies ein richtiges Reformprojekt ist, das wirksam werden kann. Da ich immer ins Gelingen verliebt bin, werde ich mich mit meiner Fraktion auf den Weg machen, die Fazilitäten noch ein bißchen zu verbessern, um dann mit diesem Reformprojekt in der Gesellschaft zu argumentieren.
Wenn Sie uns da begleiten, bin ich ganz froh.
Anke Fuchs
Ich komme noch einmal auf die Unterforderung zurück. Mich bedrückt es schon, daß wir dann, wenn wir mit den Menschen draußen im Lande - ich nehme das sofort zurück: Johannes Rau sagt immer, es sind nicht die Menschen draußen im Lande, sondern die Menschen im Lande -, also mit den Bürgerinnen und Bürgern, sprechen, immer zu hören bekommen: Ja, sagt uns doch, wo es langgeht! Ich glaube, daß die Lust zur Zukunft, die Gestaltungsfähigkeit von Politik, das Sagen, wo es langgehen kann, uns gemeinsam gelingen kann, wenn wir endlich dazu kommen, den Menschen Hoffnung zu geben. Hoffnung gebe ich den Menschen nicht, wenn ich z. B. die Arbeitnehmer immer nur zu Kostgängern der Betriebe degradiere.
Wir brauchen doch qualifizierte Arbeitnehmer. Sie sollen doch in den Betrieben arbeiten können.
Ich glaube, daß ein Zukunftsprojekt, das die Breite der ökonomischen Veränderung klarmacht, für uns alle von Bedeutung sein kann. Deswegen bitte ich Sie sehr herzlich, sich mit uns zusammen auf diesen Weg zu begeben.
Frau Fuchs, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hinsken?
Herr Hinsken, bitte sehr.
Verehrte Frau Kollegin Fuchs, ich gehe davon aus, daß Sie heute Hauptrednerin der SPD-Fraktion zur Wirtschaftspolitik sind. Nun haben Sie sich intensiv mit Ökologie und Ökonomie auseinandergesetzt, aber zur Wirtschaftspolitik allgemein fast nichts gesagt.
Sie haben also in diesem Fall an der Sache vorbeigeredet. Deshalb möchte ich Sie abschließend bitten, mir Ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen einmal kumuliert zuzuleiten, damit sie nachgelesen werden können, um Ihnen gegebenenfalls eine bessere Antwort darauf geben zu können.
Herr Kollege Hinsken, wenn ich jetzt unfair wäre - aber das bin ich nicht -, dann könnte ich Ihnen jetzt eine umfassende Antwort geben. Dann muß ich aber eine halbe Stunde reden. Das wäre eigentlich ganz gut.
Wenn Sie von der Wirtschaftspolitik der SPD reden: Es ist Kern unserer Wirtschaftspolitik, daß wir schauen: Wo kommen denn die Arbeitsplätze her?
Wo ist denn die Innovation? Wie verbinden wir Umwelt, Ökonomie und Sozialpolitik miteinander? Sie haben es leider nicht verstanden. Unser wirtschaftspolitischer Sprecher wird heute noch das Wort ergreifen. Ich hoffe, daß auch er über ökologische Steuerreform redet. Sie werden jedenfalls keinen Keil zwischen uns treiben können. Denn die SPD-Bundestagsfraktion ist ein geschlossener Verein. Stellen Sie sich darauf ein!
Ich wiederhole: Die SPD-Bundestagsfraktion ist ein geschlossener Verein, ein Verein mit den Schwierigkeiten, die auch Sie alle haben. Aber ich sage Ihnen: Uwe Jens und ich, wir machen Ihnen heute klar, was wir wollen. Davon werden Sie hoffentlich ganz begeistert sein.
Herzlichen Dank.
Als nächster spricht unser Kollege Kurt Rossmanith.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute den dritten Tag der ersten Lesung des Haushalts 1996. Ich freue mich, daß sich zumindest einige Kolleginnen und Kollegen von der SPD mit diesem Thema befaßt haben, auch wenn sie mitunter eine Horrorvision an die Wand malten. Aber immerhin haben sie sich mit dem Haushalt befaßt, trotz der Schwierigkeiten - ich sehe es ein -, daß sie sich zeitlich anders belasten müssen, nämlich mit Ihnen, Herr Scharping, und Herrn Schröder.
Aber von Ihnen, Frau Fuchs, habe ich zum Haushalt überhaupt nichts gehört. Sie haben - da hat der Kollege Hinsken natürlich recht - auch wirtschaftspolitisch nur sehr Diffuses von sich gegeben. Ich bedaure das. Ich bedaure vor allem auch, Frau Fuchs, daß Sie, nachdem Sie im ersten Teil - ich sage das, obwohl Sie nicht meine Meinung vertreten haben - doch sachlich argumentiert haben, im zweiten Teil wieder sehr stark in Polemik verfallen sind. Außer Steuererhöhungen fällt Ihnen nichts ein, wobei wir heute aus Ihrem Mund vernommen haben, daß Sie für eine Steuererhöhung schon zwei Ausgabeposten haben. Das ist sozialistische Politik, wie wir sie kennen und nie wieder haben wollen.
- Mir reicht es schon, wenn Sie eine Mark zweimal ausgeben wollen; das ist ja Ihre Vision.
- Fünfmal ist bei der SPD mitunter auch denkbar, Herr Kollege Hinsken. - Ich bedaure das um so mehr, als natürlich die Haushalts- und die Finanzpolitik
Kurt J. Rossmanith
eine Schlüsselrolle für die künftige Entwicklung unseres Landes einnimmt.
Die schwierige Übergangsphase nach der Herstellung der deutschen Einheit ist inzwischen abgeschlossen. Dank der stabilitätsorientierten Politik von Bundesregierung und Koalition sind bereits wichtige Konsolidierungserfolge zu verzeichnen. Ich will nur darauf hinweisen, daß Deutschland trotz der finanziellen Belastungen durch die Wiedervereinigung schon seit dem vergangenen Jahr, seit 1994, alle Kriterien des Vertrages von Maastricht erfüllt und damit auch die Teilnahme an der Europäischen Währungsunion seitens Deutschlands gegeben wäre.
Dies ist natürlich nur dank einer konsequenten Konsolidierungspolitik möglich, um die uns manches Mitgliedsland der Europäischen Union beneidet. Selbstverständlich muß diese Konsolidierungspolitik, dieser Konsolidierungskurs auch in den kommenden Jahren fortgesetzt werden. Die Finanz- und Haushaltspolitik muß ihren Beitrag für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung durch eine weitere Rückführung der Staatsverschuldung, der daraus resultierenden Zinsbelastungen sowie der hohen Abgabenquote leisten. - Das ist das Thema, mit dem wir uns auch zukünftig zu beschäftigen haben. -
Eine verläßliche Entlastungsperspektive ist wesentliche Voraussetzung für eine kontinuierliche und positive Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Deutschland.
Wir zeigen mit dem Regierungsentwurf des Bundeshaushalts 1996 und der mittelfristigen Finanzplanung bis 1999, daß wir entschlossen sind, die Begrenzung und Rückführung der Ausgaben des Bundes auch in den nächsten Jahren fortzusetzen. Danach sinken die Ausgaben des Bundes gegenüber dem Vorjahr, selbst unter Berücksichtigung - ich bitte darum, das hier nicht unter den Tisch fallenzulassen - der Umstellung des Auszahlungsverfahrens beim Kindergeld, noch um 1,3 %. Das ist eine beachtliche Leistung, für die unser Bundesfinanzminister, Dr. Theo Waigel, uneingeschränkte Anerkennung verdient.
Lassen Sie mich auch anmerken: Das letzte Mal, daß ein Bundesfinanzminister einen Haushalt mit sinkenden Ausgaben vorlegen konnte, liegt immerhin 43 Jahre zurück. Der damalige Finanzminister hieß Fritz Schäffer; auch er wurde von der CSU gestellt. Wir dürfen stolz darauf sein, daß sein Nachfolger an diese Tradition, die die CSU immer geprägt hat, anknüpft und sie fortsetzt.
- Dagegen ist nichts einzuwenden, Kollege Weng. Ich bin auch mit der derzeitigen Koalition zufrieden, was ihre Leistung anbelangt. Ihre Partei ist Ihr ureigenes Thema, mit dem Sie zurechtkommen müssen. Die Koalition macht gute Arbeit. Deshalb stehen wir selbstverständlich uneingeschränkt zu ihr.
Vielleicht kommt in der teilweise unsachlichen und überzogenen Kritik der Sozialdemokraten am Haushalt 1996 nur die Enttäuschung zum Ausdruck, daß Ihnen das, was uns, dem Bundesfinanzminister und der Bundesregierung, mit dem Haushalt 1996 gelingt, während Ihrer Regierungszeit, die ja 13 Jahre gedauert hat, nie gelungen ist.
Die Staatsausgabenquote soll nach der von der Bundesregierung vorgelegten Planung von jetzt 50,5 % - das ist natürlich viel zu hoch - bis zum Jahr 2000 auf 46 % zurückgeführt werden. Damit läge sie auf dem gleichen Niveau wie vor der Wiedervereinigung. Außerdem soll die Nettokreditaufnahme - auch das ist ein ganz wichtiger Punkt - bis 1999 stufenweise auf 29 Milliarden DM reduziert werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese ehrgeizigen Ziele lassen sich natürlich nur mit einer strikten Ausgabendisziplin realisieren. Hierzu hat die Bundesregierung die volle Unterstützung unserer CDU/CSU-Fraktion.
Wenn man kurz einen Blick auf den Haushalt des Bundesministers für Wirtschaft wirft, könnte man zunächst meinen, daß dieser Haushalt mit einer Steigerungsquote von fast 50 % vom allgemeinen Sparkurs ausgenommen ist. Dieser Eindruck ist natürlich nicht richtig, wie man bei näherem Hinsehen feststellen kann; denn der hohe Anstieg der Gesamtausgaben ist darauf zurückzuführen, daß nach dem Wegfall des Kohlepfennigs die Hilfen für die Verstromung deutscher Steinkohle ab dem Jahr 1996 aus dem Haushalt gezahlt werden müssen. Hierbei handelt es sich immerhin - man kann das nicht verschweigen - um den enormen Betrag von insgesamt 8 Milliarden DM, der sich einerseits aus dem im Artikelgesetz vorgesehenen Finanzplafond für die Bergbauunternehmen in Höhe von 7,5 Milliarden DM zusammensetzt und andererseits aus den für die Verzinsung des Defizits der bisherigen Verstromungsfonds erforderlichen Mitteln von 500 Millionen DM.
Ich finde es beachtlich, daß es gelungen ist, diese 8 Milliarden DM unter Verzicht auf eine Ersatzfinanzierung und ohne Erhöhung der im bisherigen Finanzplan vorgesehenen Nettokreditaufnahme im Haushalt 1996 zu veranschlagen.
Natürlich konnte dieses Ergebnis nicht ohne Einsparungen an anderer Stelle erzielt werden. Das zeigt einmal mehr, mit welcher Konsequenz die Bundesregierung ihren Kurs der Begrenzung der Staatsausgaben verfolgt.
Kurt J. Rossmanith
Das Artikelgesetz sieht für die Bergbauunternehmen jährliche Finanzplafonds von 7,5 Milliarden DM für 1996 und jeweils 7 Milliarden DM für die Jahre 1997 bis 2000 vor. Hier ist schon eine gewisse Degressionslinie vorgezeichnet. Ich weiß, daß es innerhalb der Bundesregierung Überlegungen gibt, zumindest für die Jahre 1999 und 2000 die Depressionslinie noch stärker abzuflachen.
Ich würde es begrüßen, wenn ein solches Signal gesetzt werden könnte, schon um den Bergbau im Rahmen seiner Möglichkeiten zu einem stärkeren unternehmerischen Handeln zu veranlassen.
Im übrigen will ich nur daran erinnern, daß auch die Revierländer ihrer besonderen Verantwortung für den Bergbau gerecht werden müssen. Wie schwer sie sich damit tun, haben die Verhandlungen über die Kokskohlenbeihilfe im Frühjahr dieses Jahres gezeigt. Ich bin aber froh, daß es uns gelungen ist, den Anteil des Bundes an der Kokskohlenbeihilfe von bisher zwei Dritteln auf 60 % zu reduzieren.
Ich erwarte, daß für den nächsten Plafondzeitraum, der 1998 beginnen wird, weitere Schritte in diese Richtung folgen werden.
Ohne diesen Sonderfaktor - 8 Milliarden DM für die Verstromungshilfen - geht das Ausgabevolumen im Entwurf des Einzelplans des Bundesministers für Wirtschaft gegenüber dem Vorjahr um rund 1,8 Milliarden DM, d. h. um mehr als 14 %, zurück. Das zeigt, daß auch das Bundesministerium für Wirtschaft einen spürbaren Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten wird.
Diese Reduzierung des Ausgabevolumens beruht zum Teil auf einer maßvollen und vertretbaren Rückführung einzelner Förderprogramme für die neuen Länder. Inzwischen wird allseits, auch von den Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern, anerkannt, daß der Wiederaufbauprozeß in den neuen Ländern gut vorangekommen ist. Die Investitionsquoten liegen dort so hoch wie niemals zuvor in der alten Bundesrepublik. Auch die sonstigen aktuellen Wirtschaftsdaten lassen insgesamt eine Fortsetzung des beachtlichen Wirtschaftswachstums erkennen. Das sind gute Voraussetzungen für den weiteren Aufholprozeß; denn natürlich bleibt die volle Angleichung an das wirtschaftliche Niveau in den alten Ländern unser gemeinsames Ziel.
Die schrittweise Rückführung der Fördermaßnahmen liegt auch auf der Linie der Bundesbank, die in einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung den Anpassungsprozeß in den neuen Ländern analysiert hat. Die Bundesbank äußert darin ihre Sorge, daß sich in den neuen Ländern eine Subventionsmentalität ausbreiten könnte, die sich nachteilig auf die Schaffung wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstrukturen auswirken wird. Die degressive Gestaltung der Förderprogramme liegt deshalb auch im wohlverstandenen Interesse der Wirtschaft in den neuen Bundesländern.
Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, der mir sehr große Sorgen bereitet. Das ist die Ausbildungsstellensituation in den neuen Bundesländern. Ich begrüße deshalb die Ankündigung der Bundesregierung, ein Programm zur Schaffung von 15 000 zusätzlichen Lehrstellen zu realisieren.
Daß das nur im außerbetrieblichen Rahmen möglich ist, macht mich allerdings alles andere als glücklich; denn das duale Ausbildungssystem, d. h. Betrieb, Schule und überbetriebliche Ausbildungsmaßnahmen, muß weiterhin die Basis unserer beruflichen Bildung bleiben.
Ich appelliere deshalb noch einmal mit allem Nachdruck an die Unternehmen, damit sie ihrerseits alles tun, um jungen Leuten eine zukunftsorientierte Ausbildung zu ermöglichen. Eine Lehre im Betrieb ist in der Regel nicht nur qualitativ besser, sie stellt auch sicher, daß Lehrlinge, d. h. zukünftige Berufstätige, nicht am Arbeitsmarkt vorbei ausgebildet und nach ihrer Lehre nicht in die Arbeitslosigkeit entlassen werden.
Ein letzter Punkt, den ich anführen möchte, ist, daß ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland mit hohen Arbeitskosten nur dann am Weltmarkt bestehen kann, wenn es sich als Hochtechnologiestandort weiterhin behauptet.
Zu den technologieintensivsten Industriezweigen gehört sicherlich die Luftfahrtindustrie. Hier ist natürlich das Airbus-Programm zu nennen. Allerdings steht die Luftfahrtindustrie auf Grund der veränderten Wechselkurse und des harten internationalen Wettbewerbs vor erheblichen Anpassungsschwierigkeiten, die in den nächsten Jahren überwunden werden müssen. Der Staat kann hier nur flankierend eingreifen. In erster Linie ist es Sache der Unternehmen und auch der Arbeitnehmervertretungen, ihren Beitrag zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit zu leisten. Der Bund hat in der Vergangenheit Milliardensummen aufgewandt, um die Luft- und Raumfahrtindustrie zu entwickeln. Er stellt demnächst auch noch ein 600-Millionen-DM-Förderprogramm für Forschung und Entwicklung zur Verfügung. Diese staatliche Flankierung halte ich für den richtigen Weg. Mehr kann und sollte und darf meines Erachtens der Staat aber auch nicht leisten, denn es wäre überzogen, von ihm auch noch Arbeitsplatzgarantien zu verlangen, wie dies in jüngster Zeit wieder geschehen ist. Die Erfolge des Airbus-Programms sind nicht zu leugnen und geben auch künftig Anlaß
Kurt J. Rossmanith
zur Zuversicht. Erst kürzlich ist das neue Modell, die A 319, vorgestellt worden, das ohne staatliche Förderung entwickelt und zur Marktreife gebracht worden ist.
Ich möchte ein Projekt aus dem mittelständischen Bereich vorstellen. Ein mittelständisches Unternehmen hat mit dem neuen Höhenforschungsflugzeug Strato 2 C mit 18,5 km Höhenleistung eine neue Weltrekordleistung für propellerbetriebene Luftfahrzeuge erreicht. Wir sollten auf diesem Weg, der für Ökologie und für Höhen- und Klimaforschung notwendig ist, weiter voranschreiten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß zusammenfassen: Die Konsolidierungspolitik dieser Bundesregierung und dieser Koalition schafft die Voraussetzungen für künftiges Wachstum und damit für mehr Beschäftigung.
Der Bundeshaushalt 1996 ist ein wichtiges Kriterium. Ich wünsche mir deshalb auch von der Opposition, daß sie eine konstruktive Diskussion bei den noch ausstehenden Ausschußberatungen mit uns führen wird.
Als nächste hat die Kollegin Margareta Wolf das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Rexrodt, Sie haben Ihre Rede damit begonnen, daß Sie sich u. a. um die Beschäftigungssituation in diesem Land sorgen. Ich als Abgeordnete aus dem Kreis Groß-Gerau hätte mir durchaus gewünscht, daß Sie die innovative Kraft z. B. der Firma Opel hier einmal gelobt hätten, anstatt immer nur zu sagen: Wir wollen den Dialog suchen. Gleichzeitig müssen Sie, wenn Sie sich so sorgen, diesem Hohen Hause erklären, warum die Mittel an die BA in diesem Haushalt um 8 Milliarden DM gestrichen werden. Ich halte das für einen Skandal. Das straft Ihre Worte wirklich Lügen.
Zweites Stichwort: Herr Rexrodt, Sie haben über den Ladenschluß geredet. Ich bin da durchaus offen und für eine Flexibilisierung. Aber ist Ihnen denn nicht klar, daß genau Sie - ich nenne das Stichwort „Zeitsouveränität" -, wenn Sie jetzt sagen, die Mitbestimmung müsse eingeschränkt werden, das Thema jetzt schon wieder kaputtreden?
Wenn Sie sagen, wir müßten dicke Bretter bohren, dann kann ich Sie nur bitten, vorher Ihr Brett von Ihrem Kopf zu nehmen, sonst wird es tatsächlich gefährlich.
Der von Ihnen, Herr Rexrodt, vorgelegte Haushaltsplan 09 ist ein frustrierend deutliches Zeichen, daß die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung keine zukunftszugewandte und moderne Wirtschaftspolitik ist. Ich möchte sogar sagen, Sie gerieren sich wie ein Fossil aus dem letzten Jahrhundert. Eine moderne Wirtschaftspolitik orientiert sich an den Grundsätzen der ökologischen Verantwortung und der sozialen Gerechtigkeit. Eine moderne Wirtschaftspolitik hat den Standort Deutschland als innovatives, kreatives und produktives Hochlohnland im Blick. Eine moderne Wirtschaftspolitik orientiert sich an den Prinzipien einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft.
Herr Minister, die Solidarität in diesem Lande brökkelt. Die Kollegin Fuchs hat es vorhin schon angesprochen: Ich finde es erschütternd, daß in dieser Situation ausgerechnet Sie als Wirtschaftsminister hingehen und die aus Ihrer Sicht für die Standortgefährdung Verantwortlichen outen. Wir können es nicht mehr hören, und es ist wirklich eine Bedrohung für den sozialen Frieden in diesem Lande, daß Sie hier immer die Kranken, die Sozialhilfeempfänger, die Arbeitslosen und in diesem Falle auch die Arbeitnehmer beschuldigen. Das ist typisch F.D.P. Sie rechtfertigen damit die Tatsache, daß Sie nicht in der Lage sind, Ihre Hausaufgaben zu machen.
Die Kosten für den Faktor Arbeit sind zu hoch, die Kosten für den Faktor Umwelt zu niedrig. Ich hoffe, daß darüber in diesem Hause ein Konsens besteht. Aber genau deshalb liegt von uns das Konzept für eine konsequente ökologische Steuerreform auf dem Tisch, während Sie, Herr Rexrodt, und Ihre Partei sich noch immer mit dem Einzelaspekt der Kfz-Steuer beschäftigen und als Bundesregierung bis dato nicht in der Lage waren, ein umfassendes Konzept für den dringend notwendigen Strukturwandel einzuleiten.
Richtig ist auch - ich bin Herrn Blüm für seinen Brief an Herrn Waigel durchaus dankbar -, daß die Bundesregierung die Sozialversicherung in den letzten Jahren mißbraucht hat. Sie sind es doch, die die Sozialversicherung jährlich mit über 100 bis 150 Milliarden DM mit sogenannten versicherungsfremden Leistungen belasten, Leistungen, die im wesentlichen gesamtgesellschaftliche, ergo staatliche Aufgaben sind. Anstatt zu sagen: „Wir müssen den Zuschuß erhöhen", dreschen Sie auf genau diejenigen ein, die die Beiträge entrichten. Das sind nicht Sie, Herr Rexrodt.
Die notwendige Entlastung des Faktors Arbeit, wie wir sie mit unserer ökologischen Steuerreform vorschlagen, ist ökologisch und wirtschaftspolitisch überfällig. Ich bin der Kollegin Fuchs sehr dankbar, daß sie Herrn Solms die Grundstruktur der Ökosteuer vorhin erklärt hat. Vielleicht läßt das hoffen.
Margareta Wolf
Ich fände es schade, wenn Thomas Hanke mit seiner Vermutung in der „Zeit" recht behielte, daß Ihnen der Mut zu einer ökologischen Steuerreform fehlt. Die Blätter fallen, der Herbst naht. Sie haben nicht mehr viel Zeit. Wir sind gespannt.
Der Einzelplan 09 ist ein Offenbarungseid. Er macht nachhaltig deutlich, daß Sie nicht zukunftsfähig sind. Einsparungen erfolgen ausgerechnet in den Zukunftsfeldern neue Bundesländer, ökologischer Umbau und Innovation. Das Sonderprogramm für Forschung und Entwicklung in den neuen Bundesländern wird gekürzt. Das Fördergefälle der GA wird zu Lasten des Ostens verschoben. Forschungsförderung Ost wird reduziert, Absatzförderung ostdeutscher Produkte dito, industrielle Gemeinschaftsförderung dito, Technologietransfer dito.
Herr Rexrodt, das Büro für Technikfolgenabschätzung empfiehlt in einer vom Hause Rüttgers in Auftrag gegebenen Studie,
die Umsetzung von Forschungsergebnissen bei neuen Werkstoffen in marktfähige Produkte insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen mit Steuervergünstigungen, Sonderabschreibungen oder rückzahlbaren Darlehen zu fördern. Sie wissen doch spätestens seit der legendären Geschichte mit dem Faxgerät oder seit der neuerlichen Geschichte - darüber ist hier schon diskutiert worden - mit der Abwanderung der Photovoltaik, deren wirtschaftspolitische Folgen wir heute erst erahnen können, daß es einen dringenden Handlungsbedarf bei der Umsetzung von Forschungsergebnissen in marktfähige Produkte gibt. Den KMUs fällt es zunehmend schwer, sich an innovativen Werkstoffentwicklungen zu beteiligen. Sie sagen, Sie seien ein Mittelstandspolitiker. Das sind Sie nicht; dieser Haushalt weist das deutlich aus.
Herr Rexrodt, der Bundesverband der Deutschen Industrie fordert von Ihnen - offenbar aber ungehört - eine nachhaltige Stärkung der Industrieforschung in den neuen Bundesländern. Der BDI sagt: Die Planungssicherheit der Unternehmen erfordert eine solide mittelfristige Finanzplanung auch für die Programme des BMWi, insbesondere für Innovationsförderung. Wenn selbst diese Herren Ihr Ohr nicht mehr erreichen können, Herr Rexrodt, dann frage ich, mit wem Sie überhaupt noch reden. Soviel zu dem Stichwort „Dialog" .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, soll der Aufbau Ost tatsächlich gelingen, darf es keinen Abbau der Ostförderung geben. Für mindestens zehn Jahre muß die Ostförderung noch auf hohem Niveau gefahren werden, so leid es mir tut. Sie wissen doch selber - ich möchte vor allem den Staatssekretär Ludewig aus dem Hause Rexrodt ansprechen -, daß ostdeutsche Wachstumsschrittmacher oftmals noch am Fördertropf hängen. Sie wissen, daß industrielle Restbestände sowieso am Fördertropf hängen. Die öffentlichen Hilfen haben eine enorme stabilisierende Wirkung, gerade für die regionale Wirtschaft und den
Aufbau der Infrastruktur. Unüberlegte Einschnitte in diese Förderprogramme können zu einem Rückschlag führen, der sich mittelfristig als finanzschweres Eigentor erweist.
Ein weiterer Aspekt. Mit der Einbringung des Einzelplans 09 wurde offenbar, was Verbände seit Monaten befürchten. Die Förderung der Sanierung von Fernwärmeanlagen in den neuen Bundesländern wurde in toto gestrichen. Diese Entscheidung wird zur Folge haben, daß die umweltfreundliche Fernwärme ganz deutlich an Boden verliert. Sie haben sich mit dieser Entscheidung einseitig für die Übertragung der monopolisierten Energieversorgung seitens der EVUs, wie sie in Westdeutschland praktiziert wird, gen Osten entschlossen.
Herr Rexrodt, wir werden Ihnen demnächst die Gelegenheit bieten, uns einmal verbindlich zu erklären, wie Sie das Klimaschutzziel der CO2-Reduktion um 25 % bis 2005 erreichen wollen. Uns wird das immer unklarer. Derzeit steigen die CO2-Emissionen sogar.
Ich vermisse bei Ihnen - aber das ist in der Tat nichts Neues - den Mut und die Kraft für ein zukunftsfähiges Wirtschaften. Ich vermisse den Mut für den Einstieg in eine ökologische, klimafreundliche und wirtschaftsfreundliche Politik. Ich vermisse die Verantwortung für diese und die nächste Generation. Ihr Haushalt straft wirklich das Lügen, was Waigel gestern gesagt hat, dieser Haushalt sei zukunfts- und zielorientiert. Ihr Haushalt konterkariert diese Einschätzung geradezu.
Ich möchte abschließend noch einmal ausdrücklich eine Forderung des Sparkassen- und Giroverbandes unterstützen. Dieser Verband fordert Sie, Herr Minister, auf, die Unternehmen - auch das betrifft in erster Linie wieder die kleinen und mittleren Unternehmen sowie auch die Existenzgründer - von der Undurchsichtigkeit des Förderdickichts zu befreien.
- Genau. Herr Köhler ist im übrigen CDU-Mitglied.
Wir haben inzwischen 300 bis 500 Förderprogramme. Herr Rexrodt, vielleicht wäre das der erste Schritt weg von einer konzeptlosen Politik der Wirtschaftsförderung hin zu einer effizienten und qualifizierten Wirtschaftsförderung, die auch Geld spart. Das weiß jeder. Das ist eine Binsenweisheit.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der zu beratende Einzelplan ist ein Ausdruck der Angst vor der Zukunft. Er greift aus lauter Mutlosigkeit, aus beängstigender Innovationsschwäche in die Mottenkiste. Dieser Haushalt ebnet nicht den Weg in die Zukunft, er ebnet den Weg zurück ins letzte Jahrhundert.
Danke schön.
Es spricht jetzt Dr. Otto Graf Lambsdorff.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Eine Bemerkung vorweg: Immer wieder wird gesagt, die Begrenzung des Solidarzuschlages sei gleichzusetzen mit der Begrenzung und der Beendigung der Unterstützung des wirtschaftlichen Aufbaus im Osten. Das ist weder denklogisch richtig, noch ist es ökonomisch zwingend.
Ich fand es gut und bemerkenswert, daß der Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, dies hier klargestellt hat. Es sind zwar nicht unbedingt zwei Paar verschiedene Schuhe - sie gehören zusammen -, aber es ist nicht zwingend, daß der Solidarzuschlag in der bisherigen Höhe, auf unbegrenzte Zeit festgelegt - es war von 10 Jahren die Rede -, erhalten werden muß, um die Ostförderung fortzusetzen.
Diese Diskussion ist schlichtweg falsch, und teilweise, so glaube ich, ist sie bewußt irreführend angelegt.
Meine Damen und Herren, der Hungrige kann dem Satten kein Bruder sein. Janusz Reiter, der polnische Botschafter in Bonn - mit Recht geschätzt, hat in einem Interview am Wochenende dieses polnische Sprichwort zitiert.
Ich denke, wir sollten in einer wirtschaftspolitischen Debatte des Deutschen Bundestages, auch in der Haushaltsdebatte, wenigstens einen kurzen Augenblick über unsere Grenzen hinaussehen.
Bis zur großen Wende des Jahres 1990 waren die Hungrigen dieser Welt in den Entwicklungsländern von uns, den Satten, relativ weit entfernt. Wir schickten Entwicklungshilfe, meist zuwenig - heute übrigens viel zuwenig. Aber jetzt sitzen die Hungrigen vor unserer Haustür. Diese Haustür ist und bleibt geöffnet, sosehr wir uns dagegen stemmen. Es kommen die Produkte. Wenn wir das behindern, dann kommen die Menschen - entweder als Flüchtlinge oder als legale und illegale Arbeitskräfte.
Was tun wir - nicht nur in Deutschland - in den Industrieländern? Wir wahren Besitzstände. Es kann aber auf Dauer kein Frieden in Europa und in der Welt sein, wenn wir das Wohlstandsgefälle nicht wenigstens abflachen. Es gab den Abstand bereits vor 1914 und vor 1939. Aber so groß wie heute war er nie, besonders wenn Sie an die GUS-Staaten denken.
Erinnern Sie sich noch, verehrte Kolleginnen und Kollegen, an das bedrückende Bild der Polen-Märkte in Berlin nach der Öffnung der Mauer? Da kamen die Menschen aus Polen, um ihre letzten Habseligkeiten gegen harte Währung zu verkaufen. Heute sind das die Russen-Märkte in Warschau, gleich neben dem Fußballstadion.
Wir, die reichen Industrieländer, werden das Problem nicht durch Finanztransfers lösen. Lösen können wir es übrigens überhaupt nicht. Das können nur die betroffenen Länder selbst. Sie tun es ja auch: mit Härten, mit Entbehrungen für die Menschen. Sie tun es mehr und mehr erfolgreich. Lassen Sie mich zwei Beispiele nennen: Polen und Estland.
Wir müssen vor allem eines tun, was uns schwerfällt: Wir müssen unsere Märkte öffnen. Trade is better than aid: Handel ist besser als Hilfe. Die Entwicklungsländer haben das begriffen, unsere Nachbarn auch. Aber was tun wir? Versuchen wir nicht mehr und mehr, uns hinter Schutzzäunen zu verbarrikadieren? Reagieren wir mutig und offensiv, oder reagieren wir defensiv und ängstlich?
Die Polen würden uns nur zu gerne ihre Steinkohle verkaufen. Wir verbieten Importe, subventionieren die deutsche Steinkohle mit etwa 20 Milliarden DM und plündern dafür den deutschen Steuerzahler.
Wir versuchen uns mit Importquoten zu schützen, mit überzogenen Sozial- oder Umweltklauseln, mit Arbeitnehmerquoten gegen die Hungrigen in unserer Europäischen Union sogar mit dem protektionistischen Sündenfall eines Entsendegesetzes, dem der Bundeswirtschaftsminister wenigstens die schlimmsten Giftzähne gezogen hat.
Wir versuchen den unvermeidlichen Anpassungsprozeß zurückzustauen. Das kann nur zu Brüchen führen, mit der Gefahr ökonomischer und politischer Destabilisierung.
Warum, meine Damen und Herren, schafft wirtschaftliches Wachstum nicht mehr Arbeitsplätze wie früher? Begreifen wir eigentlich, daß die neue internationale Arbeitsteilung die Arbeitsmärkte umfaßt? Unser Tarifkartell merkt das sehr wohl. Aber auch hier wird defensiv reagiert.
Die Politik, eine ganz riesengroße Koalition in Deutschland, weit über die Parteien hinaus, schützt diesen Egoismus. Dabei ist es nicht einmal der Egoismus der Deutschen gegenüber dem Wettbewerber, der über unsere Grenzen kommt. Es ist auch der blanke Egoismus der deutschen Arbeitsplatzbesitzer gegenüber den eigenen, den deutschen Arbeitslosen.
Das Tarifkartell in Deutschland schaufelt die Folgen seines unflexiblen Tuns vor die Türen des Staates, und der zahlt und zahlt und überzieht seine Bürger mit maßlosen Steuern und Abgaben auf allen staatlichen Ebenen. Er merkt gar nicht, daß wir uns auf diese Weise immer tiefer in diesen Sumpf hineindrehen.
Das Land braucht Reformen, aber nicht die grünen Reformen der Staatsintervention, auch nicht eine sogenannte moderne Wirtschaftspolitik. Das ist die Wirtschaftspolitik des kurzfristigen Intervenierens, gut für die nächste Landtagswahl, schlecht für die Volkswirtschaft. Lemwerder ist ein Beispiel.
Dr. Otto Graf Lambsdorff
Wir brauchen, meine Damen und Herren, Luft zum Atmen, zum Investieren, zur Innovation. Wir müssen herunter mit Steuern und Abgaben.
Was nutzt das Verschiebespiel mit versicherungsfremden Leistungen, das uns hier vorgeführt wird? Sie haben recht, daß sie nicht in den sozialen Bereich hineingehören. Aber dann machen Sie Vorschläge, wie eingespart werden kann. Von einer Kasse in die andere zu verlagern bringt gesamtwirtschaftlich überhaupt nichts.
- Ich verstehe überhaupt nicht, warum sich die Sozialdemokraten so aufregen.
Sie verkünden doch dauernd, daß die Steuern und Abgaben zu hoch seien. Befassen Sie sich doch damit! Sie machen nur Vorschläge, um die Abgaben weiter zu erhöhen. Wer die 580-DM-Arbeitsverhältnisse abschaffen und verbieten will, der jagt die Leute in die Illegalität, in die Arbeitslosigkeit und in die Schwarzarbeit.
Das ist die Wahrheit.
Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schwanhold?
Bitte sehr, mit Vergnügen.
Graf Lambsdorff, wären Sie bereit, mir zwei oder drei Beispiele für Subventionskürzungen und damit für Steuerersparnisse zu nennen, die der Vorgänger im Amt von Herrn Rexrodt, Wirtschaftsminister Möllemann, uns sehr lautstark angekündigt hat, damit ich nachvollziehen kann, was von Ihrer Seite getan worden ist?
In der öffentlichen Diskussion wird meistens völlig übersehen - ich gebe zu, bei den unmittelbaren Transferleistungen sind wir im Rückstand -, was wir an steuerlichen Subventionen in dieser Koalition in den letzten zehn, zwölf Jahren abgeschafft haben. Das ist wirklich aller Ehren wert und läßt sich vorzeigen. Spielen Sie das nicht immer herunter.
Aber wenn es darum geht, die unglaublich hohen Subventionen auf Arbeitsplätze im deutschen Steinkohlenbergbau einzuschränken, wer steht dann auf der Barrikade? Sie doch zu allervörderst.
Sie sind doch immer wieder dabei, um das zu verhindern.
- Verehrter Herr Kollege Fischer, Sie können mich nicht von dem Unsinn der europäischen Agrarpolitik überzeugen, weil ich längst überzeugt bin. Da brauchen Sie sich nicht anzustrengen.
Aber wenn ich hier höre, meine Damen und Herren, wie Frau Fuchs uns finanzwissenschaftliche Vorlesungen hält, dann erinnert mich das an „Faust", zweiter Teil, Mephisto am Hofe des Kaisers. Das endet mit dem Satz: Da habt ihr's nun, mit Narren sich beladen, das kommt zuletzt dem Teufel selbst zu Schaden. - So werden Finanzprobleme nicht gelöst.
Meine Damen und Herren, wir brauchen mehr Liberalität in diesem Lande, wir brauchen mehr Flexibilität. Aber wenn man von Flexibilität am Arbeitsmarkt spricht, dann ruft Herr Dreßler „Knochenbrecher" .
Wir brauchen mehr Markt und nicht weniger, und zwar in allen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens.
Wir brauchen mehr Verantwortung des einzelnen, nicht nur für sein Eigeninteresse, auch für die freie Bürgergesellschaft, in der wir leben wollen.
Bei uns darf man ja kaum die Frage nach der Verführung zum Mißbrauch stellen, die in der Regelung der Lohnfortzahlung liegt. Das ist doch darin enthalten, und darüber sollte man doch einmal reden. Aber das ist schon verboten. Das Wort „Krankfeiern" gibt es in keiner anderen Sprache der Welt; das gibt es nur in der deutschen Sprache.
Wer unsere Sozialpolitik kritisiert, verfällt in Deutschland dem Verdikt der Political Correctness. Herr Dreßler ist einer der Anführer; ich erinnere an die Worte, die gestern hier zitiert worden sind, wie man Debatten einfach totschlägt und eine intellektuelle und redliche Auseinandersetzung gar nicht mehr zuläßt.
Liberale Wirtschaftspolitik, Soziale Marktwirtschaft verstehen sich seit Walter Eucken und Ludwig Erhard immer auch als Gesellschaftspoltik. Der
Dr. Otto Graf Lambsdorff
Markt ist nicht Willkür, der Markt ist ein Ordnungsprinzip. Wettbewerb ist nicht Catch-as-catch-can, sondern Regelwerk in einer sittlich gefestigten freien Ordnung.
Auf diesem Wege möchte die F.D.P.-Fraktion die Bundesregierung sehen. Zu diesem Wege ermutigt sie sie, und auf diesem Wege unterstützt sie den Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rolf Kutzmutz.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf den ersten Blick scheint der hier debattierte Entwurf des Einzelplanes 09, wie Herr Kollege Rossmanith festgestellt hat, bei einer Steigerung von über 48 % in Ordnung zu gehen. Fast könnte man glauben, daß den Beschwörungsformeln des Bundeswirtschaftsministers von der Sicherung des Wirtschafts- und Technologiestandortes Deutschland, vom „Fitmachen" für die Informationsgesellschaft, von der Bündelung der Wirtschaftsfördermittel tatsächlich Taten gefolgt wären. Aber es ist wie überall im Leben: Der erste Blick täuscht. Kühnen Worten folgen einmal mehr kleinmütige Taten. Sie reichen weder für die Gegenwart, noch sind sie für die Zukunft geeignet. In Wahrheit geht es auch in diesem Haushalt um eine Senkung um etwa 15 %.
Herr Rexrodt, Sie haben Flexibilisierung und Deregulierung angesprochen. Ich möchte dazu nur zwei Anmerkungen machen.
Erstens. Im Gespräch mit führenden Vertretern eines Automobilkonzerns, an dem ich im Rahmen des Wirtschaftsausschusses teilnehmen konnte, bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß die Flexibilisierung in der Wirtschaft gegenwärtig viel weiter vorangeschritten ist, als wir es politisch annehmen. Bei vielen Forderungen, die wir Politiker stellen, hinken wir hinterher. Auch bin ich der Auffassung, daß in den Unternehmen die Flexibilisierung zuallererst von den Arbeitnehmern abgefordert wird.
Zweitens. Mit Blick auf die DASA-Gespräche fürchte ich, bekennende Deregulierer werden einmal mehr nach dem Motto verfahren: Gewinne sind zu privatisieren, Verluste zu vergesellschaften, selbst wenn sie allein von Managern zu verantworten sind. Hier und nicht bei den wirklich Bedürftigen sollte über Leistungsmißbrauch gesprochen werden. Auch im Etat des Wirtschaftsministers zeigt sich, daß mit den Sparmaßnahmen zuallererst bei den Schwächeren in der Gesellschaft angesetzt wird.
Herr Waigel sprach von der Stärkung des Industriestandortes Deutschland und damit von mehr Arbeitsplätzen. Was soll solch eine Behauptung angesichts von beispielsweise knapp 300 Millionen DM, mit denen diese Bundesregierung Fünfzigjährige an
Ruhr und Saar als „Anpassungsgeldfälle" abzuschreiben gedenkt, anstatt mit diesem Geld Wege zu ebnen, damit Menschen dauerhaft in Arbeit kommen und ihr Leben selbst gestalten können?
Die zitierte Behauptung entspricht auch dann den Tatsachen nicht, wenn Beamten des Wirtschaftsministeriums zum Befehl des Herrn Waigel, global um 125 Millionen DM zu kürzen, nichts anderes einfällt, als regionale Wirtschaftsförderung, Forschungsförderung und Absatzförderung insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen Ostdeutschlands weiter zusammenzustreichen, und dies, obwohl niemand ernsthaft bestreitet, daß sich eine selbsttragende Wirtschaftsstruktur in den neuen Ländern weitgehend nur noch auf der Basis solcher Unternehmen entfalten können wird, weil es kaum noch andere Unternehmen gibt, und das, obwohl wir uns alle in diesem Haus einig sind, daß die kleinen und mittleren Unternehmen hinsichtlich der Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen das Rückgrat der Wirtschaft sind.
Sie sind von ihrer Struktur her die flexibelsten Wirtschaftseinheiten, aber sie leiden an einer chronischen Eigenkapitalschwäche. Sie haben deshalb Probleme insbesondere bei der Überführung von Innovationen zur Marktreife und beim Absatz.
Erst legen Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, Programme auf, die in Hochzinsphasen eher als Umsatzlokomotiven für Banken und potentielle Galgenstricke für Existenzgründer denn als Mittelstandsförderung geeignet sind,
und in der Stunde der Wahrheit, die jetzt gekommen ist, wollen Sie nun dem schon in der Schlinge befindlichen Delinquenten auch noch den Schemel unter den Füßen wegziehen.
Gestern war überall zu lesen, daß die Zahl von Unternehmenspleiten von Januar bis Ende Mai gegenüber demselben Vorjahreszeitraum im Westen Deutschlands um 12,3 % und in Ostdeutschland um sage und schreibe 48,7 % angestiegen ist. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie das mit der vom Wirtschaftsministerium gegebenen Begründung einhergeht, einer „beabsichtigten Konzentration der Mittel" bei der Absatzförderung Rechnung zu tragen.
Herr Rexrodt wird nicht müde, über das Auslichten des Förderdickichts zu sprechen. Daß sein Haus die Axt nun ausgerechnet an die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" anzulegen gedenkt, zeugt weniger von findigen Wirtschaftslenkern denn von Elefanten im Porzellanladen ökonomischen Strukturwandels. Damit wird eines der wenigen flexibel handhabbaren und dabei tatsächlich abrechenbaren Fördermittel, weil es sich an konkreten Arbeitsplätzen und nicht an abstrakten Investitionssummen orientiert, nicht zu einer Förderbasis in Ost und West ausgebaut, sondern - gemessen an der Größe 1994 - um über 620 Millionen DM zusammengestrichen.
Rolf Kutzmutz
Ich kann keine Strategie erkennen, wenn einerseits mit dem aktuellen Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe Fördersätze und Förderfelder, wie ich finde, zu Recht, ausgedehnt werden, die Bundesregierung jedoch andererseits - ich zitiere aus der Erläuterung zum Einzelplan 09 - „eine schrittweise Rückführung der GA Ost für vertretbar" hält. Das klingt moderat, entpuppt sich jedoch als Kahlschlag von 500 Millionen DM, mit dem das Bewilligungsvolumen an Länder-, Bundes- und EU-Mitteln um insgesamt 2 Milliarden DM schrumpfen würde.
Wohl wissend, daß es Vorschläge unserer Gruppe in diesem Hause immer schwer haben, überhaupt Gehör zu finden, werden wir demokratischen Sozialisten in den bevorstehenden Ausschußberatungen Anträge einbringen, die eine effektive regionale Wirtschaftsförderung im Osten konsolidieren und im Westen durchaus ausweiten können.
Auch meinen wir, daß durch Erhöhung der Förderung regenerativer Energien von 30 auf mindestens 100 Millionen DM zumindest ein bescheidenes Signal für den ökologischen Umbau gesetzt werden sollte, übrigens ohne den Gesamtetat zu erhöhen.
Herr Rexrodt hat - ich denke, durchaus unter dem Eindruck der gestern veröffentlichten Arbeitslosenzahlen - davon gesprochen, daß es jetzt darum gehe, dicke Bretter zu bohren. Ich will die Ausführungen von Frau Kollegin Wolf dazu hier nicht wiederholen, obwohl das von ihr gewählte Beispiel sehr gut war, aber fragen möchte ich: Wer hindert eigentlich daran, daß dicke Bretter gebohrt werden? Wer hat Herrn Rexrodt bisher daran gehindert, angesichts von 3,5 Millionen Arbeitslosen dicke Bretter zu bohren?
Ich kann die Frage nicht beantworten und warte deshalb auf eine Antwort von der Regierungsbank.
Eine grundlegende Veränderung der Arbeitsmarktsituation setzt eine Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bei gleichzeitig gestaltender Arbeitsmarktpolitik und vor allem öffentlich geförderter Arbeit voraus. Das ist keine neue Erkenntnis, obwohl sie immer wieder diskutiert wird.
Es ist gut zu wissen, mit dieser Auffassung nicht allein zu sein. Ich entnahm sie nämlich einer Studie, am Montag veröffentlicht, der Evangelischen Kirche in Deutschland. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der F.D.P., uns schon nicht zuhören,
dann sollten Sie, die Sie das C in Ihrem Parteinamen tragen, ab und an wenigstens auf Signale aus den Kirchen hören.
Danke schön.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Stefan Heym.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich danke Ihnen, daß Sie mir zwei Minuten geschenkt haben, Frau Professor Süssmuth.
Gestern ist unter dem Mururoa-Atoll eine Atombombe explodiert. Gestern ist wieder eine Wunde in die Hülle unserer armen Erde gerissen worden, die böse Folgen für die Menschheit haben wird.
Gestern sprachen hier zu dem Thema die Herren Dr. Schäuble und Dr. Kohl. Ich habe hier gesessen und ihnen zugehört und habe mich geschämt, wie zwei erwachsene Männer, beide ausgestattet mit großer Macht, sich wie Schulbuben gewunden haben, die vor dem Lehrer faule Ausreden vorbringen.
„Freundschaft", sagen Sie, „Freundschaft mit der französischen Regierung". Was ist das für eine Freundschaft, wo sich der eine Partner weigert, auf die Bitten und Warnungen des anderen auch nur einzugehen und statt dessen auf seinen mörderischen Plänen besteht? Wie wird sich eine solche Freundschaft bei anderer Gelegenheit bewähren?
Wie klein und ängstlich muß einer sein, der sich weigert, einem eitlen und machthungrigen Mann wie dem französischen Präsidenten die Meinung der Menschen hier zu sagen, und statt dessen eine entsprechende gemeinsame Entschließung dieses Hauses verhindert?
Laßt uns wenigstens heute das Versäumte nachholen und in einer Protestresolution an das französische Parlament verlangen,
daß weitere Tests unter Mururoa gestoppt werden. Ich danke Ihnen.
Herr Heym, ich habe Sie nicht unterbrochen, damit nicht der Eindruck entsteht, dieses Haus ginge nicht fair mit Ihnen um. Aber ich muß Ihnen sagen: Die Kurzintervention hat mit unserem heutigen Tagesordnungspunkt nichts zu tun.
Das muß ich einfach der Ordnung halber feststellen,
so daß ich Ihnen das einmal sagen möchte.
- Das ist geschehen, Frau Enkelmann. Wir haben in Ruhe zugehört. Aber es ist dennoch notwendig, dies hier zu sagen.
Der Abgeordnete Schily hat ebenfalls das Wort zu einer Kurzintervention.
Ich möchte auf eine Bemerkung des Herrn Rexrodt zurückkommen, in der er behauptet hat, die sozialdemokratisch regierten Kommunen seien beim Bürokratieabbau nicht vorangekommen.
Herr Rexrodt, vielleicht ist Ihnen nicht bekannt - dann lassen Sie sich das vielleicht von Ihren Mitarbeitern einmal deutlich machen -, daß gerade sozialdemokratisch regierte Kommunen bei der Modernisierung der Verwaltung und beim Bürokratieabbau besondere Erfolge zu verzeichnen haben.
Wenn Sie mir das nicht glauben, dann erkundigen Sie sich bitte bei der Akademie für Verwaltungswissenschaften in Speyer, die nämlich z. B. die Städte Saarbrücken und Heidelberg für die hervorragende Arbeit ausgezeichnet hat, die dort auf diesem Gebiet geleistet wird.
Ich will Ihnen gern eine Einladung von Frau Weber vermitteln. Ich selber habe mir angesehen, wie dort enorme Kostenersparnisse und Leistungszuwächse durch eine vernünftige Verwaltungsmodernisierung erzielt werden.
Also, gucken Sie sich das doch selber einmal an, ehe Sie uns Ihre Vorurteile präsentieren.
Das Wort hat jetzt in der weiteren Debatte der Abgeordnete Rainer Haungs.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Übereinstimmung in dieser Debatte war, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Deutschland vordringliche Aufgabe unserer Politik der Zukunft sein wird. Denn die Kurzanalyse heißt: Konjunktur gut, Beschäftigung schlecht. Dabei steht im Vordergrund, den Investitions- und Innovationsstandort Deutschland zu sichern und seine Attraktivität zu erhöhen. Wer allerdings den Rednern aufmerksam zugehört hat, wird wohl festgestellt haben, daß wir zur Erreichung dieses Ziels nach wie vor unterschiedliche Wege verfolgen.
Die Realität - dies will ich den Kolleginnen und Kollegen von der Opposition sagen - wurde dieser Tage richtig von der „Stuttgarter Zeitung" beschrieben, in der es heißt:
Wer den Begriff Standort Deutschland als bekämpfenswerte Parole der Regierung begreift, darf sich nicht wundern, wenn ihm die wirtschaftliche Kompetenz abgesprochen wird.
Wenn ich dies interpretiere, muß ich nach wie vor, auch nach dem, was gestern Herr Scharping und heute Frau Kollegin Fuchs gesagt haben,
fragen: Wann lernt die SPD hier endlich dazu und kommt zu der Erkenntnis, daß Beschlüsse von Parteioder Gewerkschaftstagen nichts an den weltwirtschaftlichen Konkurrenzverhältnissen ändern können? Ich werde noch einige Zitate anfügen.
Wann begreift die SPD als traditionelle Arbeitnehmerpartei früherer Tage, daß deutsche Unternehmen in einem freien Weltmarkt auswandern können, die deutschen Arbeitnehmer aber nicht?
Frau Fuchs, Sie sagten auch einiges Richtige.
Sie haben gesagt: Das deutsche Management ist gefordert. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß es nicht reicht, Werke zu schließen und Mitarbeiter zu entlassen, weil dies keine unternehmerische Leistung ist, die den Standort Deutschland für die Zukunft fit macht. Gleichermaßen aber sind wir in der Politik gefordert, endlich die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, daß Deutschland wettbewerbsfähig bleibt und die Produkte verkauft werden können.
Vor dem Hintergrund fundamental geänderter weltwirtschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen bedeutet dies - ich zitiere -, daß der Produktionsstandort selbst nur konkurrenzfähig bleibt, wenn er den sich aus der Globalisierung der Märkte ergebenden Rationalisierungs- und Produktivitätsdruck aushält. Dieses in der Sache richtige Zitat stammt vom niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, der für solche Sätze und - das gebe ich zu - andere Ungehörigkeiten von der SPD nicht geschätzt wird und vom Amt des wirtschaftspolitischen Sprechers entbunden wurde.
Lieber Kollege Jens - Sie sprechen ja nach mir -, passen Sie auf, daß Sie jetzt und in der Zukunft nicht zu viel Wahres sagen. Es könnte Ihnen von Ihrer Partei schlecht belohnt werden.
- Ja. Sie meinen, schon der Versuch sei strafbar?
Die mit Recht angemahnte Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft muß auch die Konkurrenzfähigkeit und die damit verbundene Flexibilität unseres Arbeitsmarktes einbeziehen. Flexibilität heißt eben, den Samstag als Regelarbeitstag - das heißt: Arbeit ohne Zuschläge - anzuerkennen.
Wie schreibt die FAZ so schön: Der Normalarbeitstag im Tarifvertrag gehört ebenso wie der Normaleinkaufstag im Ladenschluß in die Frühzeit des Industriezeitalters. Ich füge hinzu: Er paßt nicht mehr in die heutige Zeit.
Rainer Haungs
Was tut die SPD? Sie schreit auf. Wenn wir Flexibilität in der Arbeitswelt fordern, sei es in der Industrie, sei es bei den Dienstleistungen, dann wird gleich der Totalangriff auf den Sozialstaat ausgerufen. Das ist völlig falsch und übertrieben. Unsere Forderungen, die Anreize zur Arbeitsaufnahme zu verbessern, werden ebenfalls als Anschlag auf den Sozialstaat diffamiert.
Doch, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ohne größere Flexibilität in allen Bereichen, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt, werden die zukünftigen Herausforderungen nicht zu meistern sein.
Wir werden die Arbeitslosigkeit nicht abbauen können, wenn die Rezepte, die Sie vorgetragen haben - ich habe allen Kollegen aufmerksam zugehört -, verordnet würden. Das wäre die falsche Kur für den Patienten „Arbeitsmarkt Deutschland".
Die Erwartungen an die Tarifautonomie waren noch nie so hoch wie derzeit. Zu beobachten sind jedoch unangemessen hohe Tarifabschlüsse, unzeitgemäße Flächentarife, Streik und Arbeitsniederlegungen, die nicht in die konjunkturelle Landschaft der Automobilindustrie passen, eine außergewöhnlich teure Konstruktion der Lohnfortzahlung mit vielen Mißbrauchsmöglichkeiten und unangemessene Forderungen nach wöchentlicher Arbeitszeitverkürzung, wobei wir alle wissen, daß Jahresarbeitszeitregelungen das Richtige wären.
Aber alle Bemühungen zu Reformen werden von der SPD fast schon reflexhaft verworfen. Die Rede Ihres Fraktionsvorsitzenden gestern war der beste Beweis dafür. Wenn das „Handelsblatt" schreibt, mit dieser Rede könne er höchstens Sozialminister, niemals aber Bundeskanzler werden, wird dies wohl keine adäquate Leistung gewesen sein, um eine Wirtschaftskompetenz für die Opposition zu erreichen.
Herr Haungs, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Fuchs?
Ja, gern.
Herr Kollege, können Sie mir zustimmen,
daß auch die Frage der Flexibilisierung in der Zwischenzeit zu einem Kampfthema geworden ist?
- Habe ich mich schlecht benommen? Mir wird schlechtes Benehmen vorgeworfen, Frau Präsidentin. Das trifft mich tief.
Ich frage noch einmal: Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß wir aufpassen müssen, daß wir nicht einzelne Themen sozusagen als Kampfthemen benutzen, um uns gegenseitig zu diskreditieren?
Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir Sozialdemokraten für Flexibilisierung sind. Ihr Thema Jahresarbeitszeit finde ich spannend, weil es Schwankungen in der Konjunktur auffangen kann. Wir sind da voll mit Ihnen auf dem Dampfer. Deswegen fände ich es sehr viel praktischer, wenn wir es nicht gegeneinander diskutieren würden, sondern nach sachlichen Übereinkünften suchen würden, damit wir dieses Kampfgetöse unterlassen können.
Ich darf Sie auch fragen, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, daß das meiste, was Sie hier vortragen, Aufgabe der Tarifvertragsparteien ist, und deren Konsensfähigkeit zu erhalten ist unsere Aufgabe.
Da hinten sitzt er.
Liebe Kollegin Fuchs, wenn ich es richtig verstanden habe, waren es zwei Fragen. Bei dem einen stimme ich Ihnen voll und ganz zu und bitte Sie und alle Kollegen von der SPD, wenn wir über den Umbau des Sozialstaats reden,
wo es um Flexibilisierung geht, wo es um viele Bereiche geht, dies nicht als Kampfthema aufzufassen, sondern mit uns sachlich und seriös über diese Dinge zu reden, die wir tun können.
Ich bin mit Ihnen der Meinung - das habe ich auch gesagt -, daß die Tarifpartner heute Anforderungen ausgesetzt sind wie noch nie in der Vergangenheit und daß wir sie allerdings in der Politik unterstützen sollen, die richtigen Wege zu gehen. Jahresarbeitszeit ist in der Tat ein spannendes Thema, aber Sie dürfen dann nicht, wenn bei uns Stichworte wie „Schlechtwettergeld" oder „Jahresarbeitszeit" fallen, sofort in das Getöse ausbrechen und Streiks ausrufen. Wenn wir für die Automobilindustrie eine flexible Jahresarbeitszeit - im Frühjahr mehr, im Herbst weniger - fordern, dürfen Sie nicht nach Zuschlägen für Samstagsarbeit oder so etwas rufen, sondern müssen damit einverstanden sein, dies übers Jahr zu flexibilisieren.
Ich bin mit Ihnen auch der Meinung, daß die Bewahrung des Sozialstaats und des sozialen Friedens ein positiver Wirtschaftsfaktor für die Bundesrepublik Deutschland ist,
Rainer Haungs
erhalten werden sollte, daß aber jeder, der diese positiven Dinge erhalten will, gefordert ist, sie an unsere heutige Zeit und die Wettbewerbsverhältnisse anzupassen.
Es wurde von meinen Vorrednern schon gesagt, wie wenig im Vergleich zu früheren Jahren - jetzt ist überhaupt niemand mehr da - die Troika vertreten ist. Ministerpräsident Schröder ist nicht mehr gelitten; das kann ich verstehen.
Aber der Ministerpräsident des Saarlandes, Lafontaine, hat beim Gewerkschaftstag der IG Chemie einen Redebeitrag geleistet, der fundamental dem widerspricht, was hier so dargelegt wird, als ob man über viele vernünftige Dinge der Wirtschaftspolitik reden könne. Er ist leider nicht da. Er war, wenn ich es richtig erinnere, vor Herrn Schröder wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Partei. Was soll man von den Ausführungen des saarländischen Ministerpräsidenten halten, der auf dem Gewerkschaftstag der IG Chemie erklärt hat, daß das Kostenargument - das ist ein Zitat - nicht dazu mißbraucht werden dürfe, Arbeitsplätze zu exportieren; eher solle man darauf hinwirken, das Lohnniveau in den Konkurrenzländern anzuheben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in welcher Traumwelt lebt denn die Opposition? In welcher Traumwelt lebt denn Herr Lafontaine? Wenn wir sagen, die Globalisierung von Produkten und Arbeitsmärkten erfordere Anpassung und keine Leugnung, keine Flucht in eine Traumwelt, und Sie mir nicht glauben, dann darf ich noch einmal eine Zeitung zitieren, der ich nur zustimmen kann: Diese Gedankenführung sei „gut sozialdemokratisch gedacht - aber an der Wirklichkeit vorbei" .
Herr Haungs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Büttner?
Sehr gern.
Herr Haungs, wenn ich Ihre Aussage richtig interpretiere, dann haben Sie gesagt, es müsse, weltweit gesehen, das Lohnniveau abgesenkt werden. Wenn das so ist, wollen Sie mir dann bitte erklären, wie Sie damit neue Kaufkraft, neue Märkte und neue Nachfrage schaffen wollen?
Ich danke Ihnen für diese Frage, gibt sie mir doch die Möglichkeit, den Kollegen von der SPD-Fraktion ein paar Hinweise zu wirtschaftspolitischen Zusammenhängen zu geben.
Ich habe natürlich nicht gesagt, daß wir das Lohnniveau in unseren Konkurrenzländern absenken sollten. Darauf haben wir im übrigen gar keinen Einfluß. Ich wundere mich immer wieder, welche Gedanken sich die SPD über die Verhältnisse in anderen Ländern macht, anstatt daranzugehen, die Verhältnisse in unserem Land tatkräftig zu ändern.
Interpretieren Sie mich also nicht falsch!
Das zweite ist ökonomisch völlig klar. „Trade is better than aid", hat vorhin der Kollege Graf Lambsdorff gesagt. Darum sagen wir: Wir geben den Menschen in den Entwicklungsländern die beste Chance, wenn wir ihnen die Möglichkeit bieten, ihre Produkte am Weltmarkt anzubieten.
- Ja. Da wir aber gleichzeitig die verdammte Pflicht haben, die politischen Voraussetzungen in der Bundesrepublik Deutschland dafür zu schaffen, daß unsere Bürger Arbeit haben, müssen wir diese Konkurrenzverhältnisse sehen und darauf antworten.
Dann haben Sie noch das Kaufkraftangebot genannt. Es ist schon langsam lächerlich, wie oft man hier und andernorts dieses Argument, das in etwa der Münchhausen-Theorie entspricht, widerlegen muß.
Sie werden, bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland, keine Chance haben, mit dem Kaufkraftargument eine Belebung der Wirtschaft zu erzielen.
Da könnten Sie nur in Verbindung mit Protektionismus etwas erreichen. Denn wir leben in einem offenen Markt mit den Wettbewerbs- und Kaufverhältnissen, die ich zu beschreiben versuche. Auch häufiges und energisches Kopfschütteln ändert nichts an diesen Zusammenhängen.
Herr Haungs, es gibt eine weitere Zwischenfrage, und zwar des Abgeordneten Hiksch. - Herr Hiksch.
Sehr geehrter Kollege, können Sie mir zustimmen, daß es geradezu absurd ist, zu behaupten, daß es nicht notwendig sei, wenn man wirtschaftspolitisch kompetent sein möchte, sich auch mit wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in anderen Ländern zu beschäftigen? Gerade die Globalisierung der Wirtschaft verlangt von nationalen Parlamenten, sich damit auseinanderzusetzen, wie es gelingen kann, in einer integrierten Strategie durchzusetzen, daß wirtschaftspolitische Rahmendaten ähnlich gesetzt werden. Können Sie mir gleich-
Uwe Hiksch
zeitig zustimmen, daß es das Gegenteil - ich betone: das absolute Gegenteil -
zu einem Teil - ich sage bewußt: einem Teil - Ihrer Politik darstellt, davon zu sprechen, daß Sozialdemokraten in einer Traumwelt lebten, wenn sie sich dafür einsetzen, daß Kostenstrukturen, Sozialbedingungen und Löhne in anderen Ländern verbessert werden?
Tritt - da ist die Frage - Ihre Partei nicht mehr dafür ein, daß auf europäischer Ebene, in allen 15 Ländern, Rahmendaten geschaffen werden, damit es gelingt, Mindestbedingungen im Sozialbereich und vor allen Dingen auch im Lohnbereich durchzusetzen?
Diese Frage ist ein bißchen kompliziert und verwunderlich.
Fangen wir einmal bei dem letzten an. Vorhin wurde doch gerade gesagt, wir versuchten - auch ich tue das -, in der Lohnpolitik die Tarifpartner darüber entscheiden zu lassen, welche Daten sie in bezug auf Beschäftigungschancen setzen. Dies gilt in der Bundesrepublik Deutschland genau so wie für die Tarifpartner in anderen Ländern.
Die andere Frage war natürlich sehr polemisch gestellt. Deshalb kann ich sie nur verneinen. Ich würde den Sozialdemokraten sehr viel eher empfehlen, sich um die Bedingungen in den anderen Ländern etwas intensiver zu kümmern. Ich kann Ihnen nur raten, möglichst viele Reisen in unsere Konkurrenzländer zu machen und dort zu schauen, unter welchen Bedingungen und zu welchen Bedingungen Produkte erstellt werden, die mit unseren im Wettbewerb stehen. Da würde ich auch jegliche Kritik des Bundes der Steuerzahler ertragen. Wenn es Ihnen gelänge, hier nicht nur irgendwelche soziologischen Studien zu treiben, sondern hier die ökonomischen Verhältnisse zu studieren und die richtige Konsequenz für die Arbeitswelt in Deutschland zu ziehen, dann würde ich Ihnen dies sehr empfehlen. Die Beschäftigung mit der Konkurrenz ist schon immer die Grundlage des Erfolges. Was für eine Firma gilt, gilt insgesamt auch für eine Volkswirtschaft.
Ich darf jetzt in meinen Ausführungen fortfahren, sage aber noch einmal ausdrücklich, daß ich für jede Zwischenfrage dankbar war. Die Senkung der Lohnzusatzkosten - jetzt sind wir wieder bei diesem etwas trockenen Thema, von dem man ab und zu Ausflüge in die Weltpolitik machen kann - wird von der Wirtschaft als eine viel wichtigere Frage angesehen als von Ihnen. Das erinnert mich an ein Zitat des früheren Hamburger Bürgermeisters von Dohnanyi, der gesagt hat: Die SPD liebt die Soziologen, achtet die
Volkswirte - das spricht für den Kollegen Jens -, haßt aber die Betriebswirte. Das ist wahrscheinlich eines ihrer Grundprobleme, daß Sie es nach wie vor nicht verstehen, hier die Konkurrenzverhältnisse und die betriebswirtschaftlichen Verhältnisse in den deutschen Unternehmen so zu beurteilen, daß Sie die Konsequenzen aus den Reden ziehen und an den Änderungen der Rahmenbedingungen so mitarbeiten, daß bei uns wieder mehr Arbeitsverhältnisse entstehen.
Sich den Realitäten zu stellen bedeutet Unabhängigkeit von Parteitagsbeschlüssen, die Modernisierung der Arbeitsorganisation, die Reform des Sozialstaates und eine konkurrenzfähige Unternehmensbesteuerung. Es ist erfreulich, zu sehen, daß sich die SPD uns in einigen Punkten angenähert hat. Aber ich sage Ihnen noch einmal: So viel Zeit wie sich die SPD beispielsweise beim Abbau der Gewerbesteuer oder beim Energiekonsens, zu dem ich noch zwei Sätze sage, nimmt, hat die deutsche Wirtschaft nicht.
Es geht nicht darum, unverbindlich über alles zu diskutieren und anschließend wieder das Haus zu verlassen. Frau Fuchs, Sie haben zur Energiepolitik und auch zu der Notwendigkeit, was man hier alles machen könnte, richtige Worte gesagt. Man hätte sehr viel machen können: die Nutzung der heimischen Energiereserven, den Umbau für regenerative Energien, die Weiterentwicklung sicherer Reaktorlinien. All dies hätte man tun können. Ich gehe davon aus, Sie hätten es getan, und einige Ihrer Kollegen hätten es auch getan. Der Kollege Hinsken war bei diesen Gesprächen dabei. Wir haben eine weitgehende Übereinstimmung in sachlichen Themen gefunden, wie die Energiepolitik der Bundesrepublik Deutschland in der Zukunft aussieht.
Ich meine, eine Partei, die sich dann aus ideologischen und nicht zuletzt aus persönlichen Gründen innerhalb der SPD, gegen diesen richtigen Kompromiß, gegen diesen richtigen Konsens wehrt und hier auftritt und über Modernisierung der Wirtschaft spricht, ist nicht akzeptabel. Sitzen wir doch zusammen, und reden wir. Suchen wir doch gemeinsam eine vernünftige Lösung. Bevor wir wieder eine solche Runde ansetzen, um eine vernünftige Lösung zu suchen, wo man dann aus eigensinnigen SPD-Parteigründen nicht zum Zuge kommt, muß man überlegen, ob dies in Zukunft eine Chance haben kann.
Ich mache abschließend ein paar Bemerkungen zu ebenso wichtigen Themen. Wir müssen die Chancen auf den Wachstumsmärkten dieser Welt eröffnen. Die Südamerika-Offensive und die Ostasien-Offensive zeigen, daß der Wirtschaftsminister, daß wir, die Wirtschaftspolitiker der Koalition, in diesem Bereich das Richtige tun. Man sucht ja immer nach Konzepten. Es dürfte in einer arbeitsteiligen Weltwirtschaft wohl das richtige Konzept sein, einerseits bei uns die Produktionsbedingungen zu modernisieren, anderer-
Rainer Haungs
seits den Unternehmen da Hilfestellung zu geben, wo es notwendig ist. Wenn ich mir die Auseinandersetzung zwischen dem Wirtschaftsminister und dem Außenminister über die Frage anschaue - wobei ich von vornherein den Wirtschaftsminister unterstütze -, wer für die AuBenwirtschaftspolitik die größere Verantwortung tragen soll, dann sage ich: Mir ist es lieber, daß auf einmal ein edler Wettstreit zwischen zwei Ministerien ausbricht und beide dafür zuständig sein wollen, deutschen Unternehmen im Ausland zu helfen und Anlaufstellen für sie zu finden, als daß sich das Außenministerium wie in früheren Jahren vornehmer Zurückhaltung befleißigt. Aber als Ergebnis dieses edlen Wettstreits sollte herauskommen, daß der Wirtschaftsminister die Federführung hat und behält, weil es ein eminent wichtiges Gebiet unserer Wirtschaftspolitik ist, Chancen für die Außenwirtschaft zu eröffnen.
Auch die vorhin vorgetragenen Vorwürfe, wir würden in den neuen Bundesländern zuwenig machen, gehen völlig an den Tatsachen vorbei. Wir bestärken den Wirtschaftsminister darin - wir haben den Haushalt auch so angelegt -, sich auf die wichtigen Hilfen vor allem im industriellen Bereich zu konzentrieren. Wir wollen aber nicht in unseren Anstrengungen nachlassen, die Differenzen zwischen Produktivitäts-
und Einkommensniveau möglichst bald zu beseitigen.
Ich komme zum Schluß. Wer so einseitig wie Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, eine Umverteilungspolitik alten Stils einfordert, an der sozialen Klagemauer steht, wie Ihr Herr Scharping gestern - erinnern Sie sich doch an diese schwache Rede-, wer die notwendige Modernisierung verweigert und die Kostenprobleme negiert oder bagatellisiert, der ist im Schröderschen Sinne wirklich „unmodern".
Als nächster spricht der Kollege Prof. Dr. Uwe Jens.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe zehn Minuten Redezeit und möchte deutlich machen: Sozialdemokratische Wirtschaftspolitik ist moderne Wirtschaftspolitik.
Wir haben zwei Probleme - das gebe ich zu -, nicht nur bei uns, sondern in fast allen Industrienationen: eine viel zu hohe Verschuldung, die es mittelfristig zu reduzieren gilt, und eine viel zu hohe Arbeitslosigkeit. Vor allem gegen die Arbeitslosigkeit tut diese Regierung einfach zuwenig. Das Rezept von Herrn Rexrodt lautet: Wir brauchen Wachstum. Er lobt schon ein Wachstum von 2,5 %. Dieses Wachstum trägt überhaupt nicht dazu bei, daß die Arbeitslosigkeit geringer wird, vielmehr wird sie bei diesem Wachstum eher noch steigen.
Folgendes kommt hinzu: Er meint, Deregulierung, Flexibilisierung und Entbürokratisierung seien offenbar schon Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Das ist völlig falsch.
Zunächst werden mit der Deregulierung, der Privatisierung und der Entbürokratisierung Arbeitsplätze abgebaut.
Aber ich gebe gern zu - weil ich mich immer um Objektivität bemühe -: Dies führt schon dazu, daß die Wachstumsbedingungen vielleicht besser werden, so daß wir dann möglicherweise ein Wachstum haben und Arbeitsplätze schaffen können.
Aber das ist ein sehr, sehr langfristiger Prozeß.
Nein, wir müssen, um das Problem der Arbeitslosigkeit ein bißchen besser in den Griff zu bekommen, die Weichen ganz zweifellos endlich neu stellen. Wir brauchen einen höheren Zuwachs des Bruttosozialprodukts, und wir müssen ganz zweifellos etwas für mehr Flexibilisierung tun. Dafür will ich mich ausdrücklich aussprechen,
insbesondere wenn wir wollen, daß die Lohneinkommen in der Bundesrepublik Deutschland auf der jetzigen Höhe gehalten werden oder möglicherweise gar noch verbessert werden. Wir brauchen mehr Flexibilisierung; wir brauchen ebenfalls eine Flexibilisierung der Arbeitszeit
- das ist gar keine Frage -.
Wir brauchen ebenfalls eine Flexibilisierung der Arbeit, wenn wir zu Jahres- oder Lebensarbeitszeitkonten kommen wollen.
Wenn wir dorthin gelangen wollen, brauchen wir allerdings auch Maßnahmen, die Sie, Herr Rexrodt, vielleicht ergreifen müssen, um die Mobilität nicht einzuschränken und um zu verhindern, daß ein Arbeitnehmer am Ende seines Lebens möglicherweise durch Konkurs seines Unternehmens seine angesparte Arbeitszeit verloren hat. Das darf nicht sein; darüber muß man nachdenken, glaube ich.
Ich begrüße ausdrücklich den Tarifabschluß bei Opel, der gestern zustande gekommen ist und der ganz deutlich dazu beigetragen hat, mehr Flexibilisierung auch im Automobilbereich zu schaffen.
Dr. Uwe Jens
Ich gebe gerne zu: Auch ich bin der Ansicht, die Gewerbekapitalsteuer sollte abgeschafft werden.
Wir brauchen allerdings einen großzügigen Ausgleich für die Gemeinden
und müssen die Einnahmen der Gemeinden endlich festschreiben; meines Erachtens in der Verfassung, so daß sie genau wissen, womit sie zu rechnen haben, und nicht immer von den Ländern abhängig sind.
Wir brauchen auch aus meiner Sicht mehr Flexibilisierung bei den Ladenschlußzeiten.
Aber das wird dazu führen, daß mehr Teilzeitarbeit geschaffen wird. Wir müssen dafür sorgen, daß diese eine ordentliche Teilzeitarbeit wird, daß die Menschen auch abgesichert sind. Es darf nicht sein, daß dies Arbeitsverhältnisse sind, bei denen keine Beiträge zur Sozial- und Rentenversicherung gezahlt werden.
Wir wollen mehr Flexibilisierung, aber vor allem für die kleinen und mittleren Unternehmen und nicht etwa für die Supermärkte auf der grünen Wiese. Wer allerdings glaubt, Flexibilisierung sei ein entscheidender Lösungsansatz zur Verringerung der Arbeitslosigkeit, der irrt sich aus meiner Sicht ganz zweifellos.
Wir brauchen eine rationalere Wirtschaftspolitik. Ich sehe mit großer Freude, daß die CDU/CSU, zum Teil aber vielleicht auch die F.D.P. schon viele Vorschläge der Sozialdemokraten übernommen haben, die wir in die Diskussion gebracht haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Grafen Lambsdorff?
Bitte sehr.
Herr Kollege Jens, warum eigentlich wollen Sie bei Ihrer - richtigen - Unterstützung der Teilzeitarbeit diejenigen, die - ich drücke es einmal einfach aus - in den 580Mark-Arbeitsverhältnissen unter den jetzigen Bedingungen arbeiten wollen,
zwingen, in die Abgabe- und Steuerpflicht zu gehen? Warum wollen Sie nicht die Wahlmöglichkeit, so wie sie heute besteht, für beide offenlassen?
Das ist ein weites Feld.
Ich glaube schon, daß der einzelne Arbeitnehmer grundsätzlich nur kurzfristig denkt
und vergißt, daß er hinterher keine Ansprüche gegenüber der Rentenversicherung hat. Das sieht er einfach manchmal nicht ganz richtig.
Ich möchte hier auch vor allem deshalb eine Änderung erreichen, weil damit elementare Wettbewerbsverzerrungen im Bereich des Handels geschaffen worden sind. Die Supermärkte arbeiten mit solchen Arbeitskräften, die Sie begünstigen wollen, und die kleinen Fachhandelsunternehmen arbeiten mit Vollzeitarbeitskräften und können entsprechend nicht mehr mithalten.
Also, es gibt eine Fülle von Gründen, die dazu animieren, daß wir diesen Mißstand beseitigen.
Lassen Sie uns doch einmal darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll ist, diese Leute von der ersten Mark an, die sie verdienen, sozialversicherungspflichtig zu machen und dafür möglicherweise die Steuer, die Sie jetzt gerade auf 20 % erhöht haben, bei Einkommen bis zu 500 DM zurückzunehmen, so daß die Begünstigung erhalten bleibt, aber sie endlich vernünftig gegenüber Krankheit und im Alter versichert sind. Das scheint mir sinnvoll zu sein.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? - Bitte schön, Graf Lambsdorff.
Herr Jens, ich denke, Sie sehen die Konsequenz, daß aus einer solchen Regelung Minirenten entstehen, die später zu Forderungen nach Zuschüssen und Aufbesserungen führen werden. Sind Sie bereit, diese Lasten der Sozialversicherung aufzubürden, um deren Überbelastung sich ja auch Ihr Fraktions- und Parteivorsitzender gerade sorgt?
Graf Lambsdorff, jetzt ist es so geregelt, daß sie gegenüber der Rentenversicherung überhaupt keinen Anspruch im Alter haben.
Dr. Uwe Jens
Wenn Sie meinem Vorschlag folgen wollten, dann würden sie einen Anspruch gewinnen. Das ist ein Schritt in eine vernünftige Richtung.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Fuchs?
Bitte sehr.
Herr Kollege Jens, stimmen Sie mir zu, daß die Frauen heute überhaupt keine Chancen haben, einen Arbeitsplatz jenseits der 580-Mark-Grenze zu bekommen, und daß die Bezahlung der Teilzeitarbeit deswegen so niedrig ist, weil dies die Grenze zu den vernünftig bezahlten Teilzeitarbeitsplätzen ist?
Stimmen Sie mir weiter zu, daß Graf Lambsdorff irrt, wenn er meint, die Frauen wollten es so? Ich kenne viele Verkäuferinnen, Arbeiterinnen in Restaurants, die gerne einen Vollzeitarbeitsplatz hätten, aber keinen bekommen, und ich kenne viele Frauen, die nicht ein Leben lang Teilzeitarbeit leisten - deswegen ist das Argument mit der geringen Rente falsch -, sondern eine Erwerbsbiographie haben, in der einmal Vollzeitarbeit und einmal Teilzeitarbeit steht. Deswegen ist es wichtig, daß wir die Lücken in der Rentenbiographie schließen. Das kann nur geschehen, wenn wir die Grenze zu den geringfügig Beschäftigten verändern. Stimmen Sie mir da zu, Herr Kollege?
Damit haben wir die schöne Figur einer Dreiecksfrage.
Bitte.
Liebe Anke Fuchs, ich stimme dir selbstverständlich voll und ganz zu.
Ich habe mich darüber gefreut, daß diese Regierung endlich das tut, was wir vorgeschlagen haben. Mittlerweile gibt es regelmäßige Treffen zwischen Gewerkschaften, Unternehmerverbänden und der Regierung im Bundeskanzleramt. Das haben wir früher Konzertierte Aktion genannt. Das ist nicht ganz das, was wir eigentlich wollen. Aber Sie sind auf dem richtigen Weg. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat gerade gefordert, wir brauchten dringend wieder eine Konzertierte Aktion, alle Kräfte an den runden Tisch der kollektiven Vernunft.
Ich füge gerne hinzu, Sie haben den Forschungs-und Technologierat etabliert. Dort ist zwar Herr Kohl der Vorsitzende geworden. Das war natürlich nicht unsere Idee. Das können Sie mir gerne glauben.
Aber das ist ein Antrag der Sozialdemokraten, den wir in der letzten Legislaturperiode eingebracht haben. Schönen Dank, daß Sie das endlich umgesetzt haben.
Ich verweise auf die Branchengespräche - Herr Rexrodt hat sich dabei immer geziert -, wir haben das in der letzten Legislaturperiode gefordert. Daraufhin hat er gesagt: Das kommt für mich überhaupt nicht in Frage. Mittlerweile führt er solche Branchengespräche. Natürlich müssen wir mit den Stahlarbeitern, mit den Unternehmern, mit der Automobilindustrie, mit diesen Branchen reden, um herauszufinden, wo es Innovationshemmnisse gibt, um sie dann zu beseitigen. Keine Protektion, keine Subvention, aber Branchengespräche sind vernünftig. Sie könnten noch deutlich besser werden, Herr Rexrodt.
Schließlich darf ich daran erinnern: Sie haben das Eigenkapitalhilfeprogramm für kleine und mittlere Unternehmen in den alten Bundesländern abgeschafft. Wir haben gedrängelt und haben gekämpft. Sie haben es jetzt auf Grund unseres Druckes wieder eingeführt. Das ist vernünftig. Sie lernen offenbar, wie ich feststelle, dazu.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Rossmanith?
Bitte sehr.
Herr Kollege Professor Jens, wollen Sie zur Kenntnis nehmen, daß wir seinerzeit gesagt haben, nur auf Grund der Haushaltszwänge und der Wiedervereinigung und damit diese Mittel alle in den neuen Bundesländern konzentriert werden können, wird das Eigenkapitalhilfeprogramm für die alten Bundesländer nur ausgesetzt, bis die finanziellen Möglichkeiten es wieder zulassen, auch dieses Programm in den alten Bundesländern zu realisieren? Dies haben wir auch getan. Ich bin dankbar, daß Sie mitgeholfen und sich insofern unserer Meinung angeschlossen haben.
Herr Rossmanith, zunächst einmal muß ich feststellen: Sie haben das Eigenkapitalhilfeprogramm abgeschafft. Das läßt sich überhaupt nicht leugnen.
Ich glaube, daß dies für kleine und mittlere Unternehmen eine Maßnahme ist, die man nicht regional differenzieren kann. Es geht darum, daß wir den Nachwuchs in der marktwirtschaftlichen Ordnung fördern. Dabei kann man nicht einfach vier Jahre Pause machen. Das muß man ununterbrochen weiterführen.
Dr. Uwe Jens
Ich nehme zur Kenntnis, daß Sie im Haushalt 09, den wir heute diskutieren, etwa 720 Millionen DM für die neuen Bundesländer gestrichen haben. Ich wage zu bezweifeln, ob das vernünftig ist. Mir scheint es vernünftiger zu sein, Sie würden noch ein bißchen mehr für die neuen Bundesländer tun, bis dort endlich ein selbsttragender Aufschwung zustande kommt. Sie tragen auf Grund dieser gewaltigen Kürzung dazu bei, daß das nicht der Fall sein wird.
Ich möchte noch einmal festhalten, daß es - ich sage einmal - mit der CDU/CSU Diskussionsbedarf über verschiedene Maßnahmen gibt. Da erinnere ich daran, daß wir wirklich etwas tun müssen, daß die Wechselkurse stabiler werden. Die Bundesbank versucht es jetzt. Aber durch diese Aufwertung der D-Mark ist natürlich gewissermaßen das, was die Tarifvertragsparteien an Zurückhaltung geübt haben, wieder völlig kaputtgemacht worden. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, wie wir mehr Stabilität bei den Wechselkursen bekommen. Das hat möglicherweise zur Folge - das gebe ich gerne zu -, daß die Bundesbank ihr altes, überholtes Geldmengenkonzept endlich über Bord schmeißen muß. Das ist schon richtig.
Wir brauchen z. B. auch endlich weltweit Mindeststandards. Dafür muß Herr Rexrodt kämpfen.
Wir wollen natürlich keinen Protektionismus, weder national noch europaweit. Aber wir wollen dafür sorgen, daß sich die Bedingungen in den anderen Ländern ändern. Wir brauchen dringend soziale und ökologische Mindeststandards.
So hat z. B.. ein konservativer Landesbankchef, Herr Sievert, vor kurzem gefordert, daß wir Mindeststandards auch im Bereich der Finanzdienstleistungen brauchen. Greifen Sie das auf und sorgen Sie dafür! Ich gebe gerne zu, daß der Wettbewerbsdruck aus dem Ausland für uns auf diese Art und Weise ein wenig abgeschwächt wird - ein wenig, nicht mehr.
Wir brauchen, Herr Hinsken, dringend eine vernünftige Makropolitik - darüber muß man in der Konzertierten Aktion reden -, die dafür sorgt, daß die Wachstumsbedingungen verbessert werden, daß der Zins angesichts dieser Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik Deutschland auf alle Fälle niedrig gehalten wird; das ist dringend notwendig. Auch die Haushaltspolitik muß so gestaltet werden, daß sie etwas antizyklisch wirkt und die konjunkturellen Schwankungen ein wenig abflacht.
Das sind im großen und ganzen Allgemeinplätze. In allen anderen Industrienationen würde man das akzeptieren, nur in der Bundesrepublik Deutschland nicht. Deshalb gibt es auf Ihrer Seite wirklich noch Lernbedarf.
Ich gebe gerne zu - das sage ich jetzt als Uwe Jens -: Wir müssen natürlich etwas tun, damit die Lohnnebenkosten sinken. Das ist gar keine Frage.
Frau Fuchs hatte schon deutlich gemacht, daß es uns mit unserer ökologischen Steuerreform gelingt, die Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit um 2 % zu senken - ganz wichtig, dringend notwendig.
Das wird aber noch nicht ausreichen. Deshalb sage ich: Wir müssen auch darüber nachdenken, wie die politischen Lasten in der Rentenversicherung und in der Krankenversicherung anders finanziert werden können. So, wie es jetzt der Fall ist - durch die Beiträge der Arbeitnehmer -, ist es zutiefst ungerecht. Da muß man vielleicht einmal an die Steuererhöhung denken.
Ich denke manchmal auch an die Mehrwertsteuer; das gebe ich gerne zu.
Auch seitens des Staates brauchen wir eine Innovationspolitik, damit in den Unternehmen die Weichen neu gestellt werden, damit sie endlich mit dem Sozialabbau, mit dem Rausschmeißen und mit dem sozialen Kahlschlag aufhören und damit sie endlich erkennen: Das sichert nicht die Zukunft; vielmehr brauchen wir dringend neue Produkte, wir müssen neue Märkte erschließen, und wir müssen auch neue Produktionsverfahren einführen. Innovationen sind sowohl auf Bundesebene als auch auf mikroökonomischer Unternehmerebene das Entscheidende.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
Ja.
Bitte.
Verehrter Herr Kollege Jens, Ihre Rede hebt sich wohltuend von dem ab, was Ihre Kollegin Frau Fuchs vorhin gesagt hat.
Meine Frage: Sie sagen immer nur, was wir brauchen. Sie fordern lediglich. Ich möchte von Ihnen gerne hören, was Sie in Ihrer eigenen Fraktion tun wollen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland wieder mehr als bisher zu festigen.
Herr Kollege Hinsken, falls Sie es noch nicht mitbekommen haben: Wir Sozialdemokraten sind noch in der Opposition. Sie sind an der Regierung. Wir stellen Forderungen.
Dr. Uwe Jens
Wir versuchen, rationale, vernünftige Vorschläge zu machen. Sie, vor allem Herr Rexrodt, müssen das umsetzen; anders geht es nicht. Aber Sie können auch gerne in die Opposition gehen. Wenn wir an der Regierung wären, würden wir unsere Forderungen natürlich verwirklichen. Darauf können Sie Gift nehmen.
Zur Innovationspolitik möchte ich noch sagen: Herr Rexrodt, Sie sollten in den Unternehmen nicht nur die Forschung fördern, sondern auch die Umsetzung der Forschungsergebnisse, d. h., die Markteinführung muß verstärkt unterstützt werden.
Ich wiederhole es: Personalkostenzuschüsse für kleine und mittlere Unternehmen - wenn diese Chemiker, Physiker, Ingenieure einstellen, die massenweise arbeitslos sind - wäre ein Beitrag zur Beschäftigung dieser Gruppen. Das wäre meiner Meinung nach dringend notwendig.
Ich glaube z. B. auch, daß in den Betrieben verstärkt darüber nachgedacht werden muß, ob die Arbeitsorganisation so wirklich richtig ist. Mehr Gruppenarbeit wird immer wieder gefordert. Aber wenn man das will, dann muß man die Mitbestimmung, die es gibt, auch akzeptieren und darf sie nicht, wie Herr Rexrodt, immer in Frage stellen. Das ergibt keinen Sinn.
Ich glaube, wir haben auch ein paar elementare Unterschiede gegenüber der praktizierten Politik. Ich will gerne differenzieren. Ich meine, wir stimmen weitgehend wenigstens mit den Ansätzen überein, die in der CDU/CSU deutlich geworden sind. Wir haben elementare Differenzen mit diesem neoliberalen Wirtschaftsminister, der noch immer die Rezepte der Reagonomics predigt, obwohl die Reagonomics selbst in Amerika schon lange in den Mülleimer der Geschichte gewandert sind.
Wir wollen auf alle Fälle - ich hoffe, die CDU stimmt mir zu - die Eckpfeiler der sozialen Entwicklung sichern und erhalten.
Wir brauchen ganz zweifellos etwas mehr an moralischen Wirtschaftsprinzipien, wie sie auch Herr Henkel immer wieder fordert. Wir müssen dafür sorgen, daß sie stärker in die Köpfe der Unternehmer und der Politiker hineingehämmert werden.
Ich sage ausdrücklich: Graf Lambsdorff, ich möchte keinen punktuellen Interventionismus, wie es in der Fachsprache heißt; mal hier und mal da eingreifen. Die Gelder in einer Volkswirtschaft sind knapp. Wir haben hier in Bonn zu entscheiden, wo wir sie rational ausgeben, wo wir mit dem wenigen, knappen Geld am meisten erreichen können, um das Problem der Arbeitslosigkeit zu verringern.
Ich sage aber auch - wahrscheinlich in Übereinstimmung mit Herrn Hinsken -: Wir brauchen den Staat auch in Zukunft in der Wirtschaft. Es geht nicht, daß man sagt, Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht. Möglicherweise hat der Staat jetzt neue Aufgaben bekommen, aber er hat Aufgaben und muß sie auch endlich wahrnehmen.
Vor vier Monaten habe ich meinen Referenten gebeten, mir aufzuschreiben, wo die Unterschiede zwischen CDU und SPD in der Wirtschaftspolitik sind. Bisher hat er mir nichts geliefert.
Meine Analyse kommt zu dem Ergebnis: Wir stimmen mit der konservativen - so darf man sie wohl nennen - CDU/CSU in der Wirtschaftspolitik in vielen Feldern überein. Es gibt graduelle, aber keine grundsätzlichen Unterschiede.
Aber bei der F.D.P., bei dem, was Herr Rexrodt immer predigt, z. B. bei den Gothaer Versicherungen in Göttingen, läuft uns Sozialdemokraten in der Tat ein Schauer über den Rücken. Mit dieser Art der Politik haben wir wirklich nichts gemein.
Ich glaube, wir Politiker sind auch verpflichtet, uns ein wenig mehr um Klarheit und Wahrheit zu bemühen. Wir sollten weniger taktieren. Ich habe eine Fülle von Punkten angesprochen. Lassen Sie uns über diese Punkte gemeinsam diskutieren und versuchen, das brennende Problem der Arbeitslosigkeit möglichst schnell zu verringern!
Schönen Dank.
Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft liegen nicht vor.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Das Wort hat der Minister Dr. Norbert Blüm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will gleich bekennen: Ich habe weder heute noch in Zukunft Lust und Spaß an einer großen sozialpolitischen Hackerei. Wir sollten nämlich bei all unseren Diskussionen nicht vergessen, daß von unseren sozialpolitischen Entscheidungen Millionen von Menschen betroffen sind. Um ein Wort von Katharina der Großen umzuwandeln: Wir schreiben auf der empfindlichen Haut von Menschen, nicht auf totem Papier.
Deshalb plädiere ich für sozialpolitische Besonnenheit. Das ist keine tatenlose Besinnlichkeit, keine handlungslose Betroffenheit. Sie sucht ihren Weg zwischen dem Übermut derjenigen, die die Welt zum zweiten Mal erfinden wollen, und der Erstarrung ei-
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
ner Betonmentalität. Es wird nicht alles beim alten bleiben, es wird aber auch nicht alles neu. Zwischen Erstarrung und Chaos suchen wir einen Weg der Vernunft, der Verantwortung, des Augenmaßes.
Täglich erscheinen neue Vorschläge. Schneller sind sie vergessen als ausgesprochen. Nicht jeder Lichtschein am Himmel ist ein Fixstern; manche sind nur Sternschnuppen. Forderungen werden erhoben, die längst durchgesetzt sind. Der befristete Arbeitsvertrag wird gefordert; den haben wir längst umgesetzt. Eine neue Arbeitszeitordnung, die der Flexibilität Bahn bricht, wird gefordert; wir haben sie längst erreicht. 23 Gesetze sind über Nacht überflüssig geworden.
Die einen schreien: Keine Veränderungen, es muß alles beim alten bleiben. Die anderen sagen: Alles muß neu werden. Zu der einen Seite, den Katastrophenspezis, die aus jeder Veränderung schon den Ruin des Sozialstaates herleiten, sage ich: Es ist noch immer so, daß jede dritte Mark der öffentlichen Finanzen für Soziales ausgegeben wird. Wer dabei von Ruin spricht, der kennt die Welt nicht.
Im übrigen: Jede Mark muß von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bezahlt werden. Insofern beginnt der Sozialstaat nicht erst auf der Ausgabenseite, sondern er beginnt bei der Belastungsfähigkeit seiner Zahler.
Preisstabilität halte ich für eines der wichtigsten sozialpolitischen Ziele. 1 % weniger Preissteigerung bedeutet 18 Milliarden DM mehr Kaufkraft, 1 % Rentenerhöhung bedeutet nur 2,7 Milliarden DM mehr Kaufkraft. 2 % Lohnerhöhung bedeutet soviel wie 1 % weniger Preissteigerung; denn die Hälfte der Lohnerhöhung kommt beim einzelnen gar nicht an.
Ich möchte an die beste Erfindung unseres Sozialstaates Deutschland erinnern, an dem viele mitgewirkt haben. Die beste Erfindung ist soziale Partnerschaft. Sie hat uns eine Sozialkultur ermöglicht, um die uns andere beneiden. Noch immer gehört der Sozialstaat Deutschland zu jenen Gesellschaften mit dem geringsten Arbeitsausfall durch Arbeitskämpfe. Das ist nicht vom Himmel gefallen, und das wird auch in Zukunft nur erhalten bleiben, wenn der Sozialstaat gehegt und gepflegt wird. Ich glaube, seine wichtigste Voraussetzung ist die Fähigkeit zum Kompromiß, zum Geben und Nehmen.
Da sehe ich diese Sozialkultur durchaus bröckeln. Sie bröckelt und wandelt sich zum Teil in eine Herausholergesellschaft. Ich warne allerdings nachdrücklich davor, die Herausholer nur auf der Arbeitnehmerseite zu sehen. Großbetriebe, die keine Lehrlinge ausbilden, sich aber den Nachwuchs vom Handwerk beschaffen, halte ich für klassische Herausholer. Ich halte sie für eine Gefahr für unseren Sozialstaat.
Ich warne auch, von einzelnen auf alle zu schließen. Ich schließe auch nicht von dem Herrn Schneider auf alle Kreditnehmer. Das wäre eine Beleidigung.
Eine amerikanische Mentalität des Heuern und Feuerres verträgt sich nicht mit unseren Sozialstaatstraditionen. Es ist widersprüchlich, wenn Branchen ältere Arbeitnehmer mit goldenem Handschlag verabschieden und ein halbes Jahr später die Facharbeiter suchen, die sie sechs Monate vorher mit Sozialplänen ins Freie befördert haben. Solche Unternehmensplanung halte ich für dumm und kurzsichtig.
Auch ein Bauer verfuttert nicht sein Saatgut. Mancher Großbetrieb könnte sich da eine Scheibe beim handwerklichen Betrieb abschneiden.
Im Handwerk gibt es eine alte Tradition, den familiären Zusammenhalt. Man hält in guten und schlechten Zeiten zusammen. Es müßte uns doch zu denken geben, daß der Krankenstand in den Kleinbetrieben unter vier Arbeitnehmern 2,4 % und bei manchen Großbetrieben bis zu 11 % beträgt. Es kann doch nicht sein, daß bei den Kleinbetrieben die Gesunden und bei den Großbetrieben die Kranken arbeiten. Könnte es nicht auch sein, daß dies etwas mit Betriebsloyalität, mit Zusammenhalt zu tun hat? Wer den haben will, der kann nicht heuern und feuern, der muß auch das Miteinander pflegen.
Zum Thema Mißbrauch. Im Rahmen der Pflegeversicherung haben wir ermöglicht, daß ab dem ersten Tag der Krankmeldung zum Vertrauensarzt geschickt werden kann, wer unter Verdacht des Mißbrauchs steht. Man muß das nicht mit allen machen. Warum sollte man alle verdächtigen? Ich halte das für ein richtiges Instrument.
Zwei Klugheiten sind in unseren Sozialstaat eingebaut: erstens die Subsidiarität und zweitens die Leistungsgerechtigkeit. Zur Subsidiarität. Wir haben die soziale Sicherung nicht den Staatskassen überlassen, sie wird nicht steuerfinanziert, sondern durch Beiträge. Das schafft mehr Selbständigkeit, schützt gegen Manipulation, macht die soziale Sicherheit von den Verteilungskämpfen unabhängig, die wir jährlich im Zusammenhang mit dem Haushalt, gerade heute wieder, führen müssen: Was ist für Bildung, was ist für Straßenbau? Die selbstverwaltete Sozialversicherung ist ein großes Moment der Selbständigkeit. Es war eine große Klugheit, sie zu schaffen.
Der zweite Gesichtspunkt ist, daß wir unsere Rentenversicherung auf dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit aufbauen: Jedem das Seine. Das legen wir aus und verbinden es mit: Wie du mir, so ich dir, wie die Jungen die Alten behandeln, so werden, wenn sie alt sind, auch sie behandelt. Unser Sozialstaat ist nicht die Reduzierung auf Armenfürsorge, ist nicht das Armenhaus unserer Gesellschaft; das ist ein großes Mißverständnis.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Das in der Erwerbsphase differenzierte Einkommen setzt sich auch im Alter fort. Das ist eine Stützung des Leistungsprinzips. Alle, die auf Grundversorgungssysteme abstellen, müssen wissen, daß darin sehr viel mehr Umverteilung als in unserem Sozialsystem enthalten ist.
Meine Damen und Herren, wir haben große Ref ormen bewältigt. Wir haben die Gesundheitsreform geschafft, und zwar zweimal mit großen Entlastungen, die auch noch heute wirken. Wo wären wir ohne zwei Gesundheitsreformen hingekommen? Allein die Veränderungen in der Renten- und in der Arbeitslosenversicherung entlasten die Beitragszahler in diesem Jahr um 60 Milliarden DM, nur in diesem Jahr und nicht etwa kumuliert. Wir fangen also nicht bei Null an.
Wir haben ein großes Reformprojekt, das Arbeitsförderungsgesetz, noch vor uns. Es ist in den Zustand der Unlesbarkeit geraten. Bei § 242 sind wir bei „u" angekommen. Für solche Ausfächerungen hat die Krankenversicherung 100 Jahre gebraucht; das haben wir im Arbeitsförderungsgesetz in nicht ganz 30 Jahren geschafft. Diese Ausfächerung ist schon ein Grund für die Reform; denn der Sozialstaat muß durchsichtig sein. Um ihn zu nutzen, sollte man keinen Berater nötig haben. Aber um die Lohnkostenzuschüsse heute zu durchschauen, braucht man einen Lohnkostenzuschußberater.
Ich sehe die erste und wichtigste Aufgabe in der Verantwortung der Beteiligten; denn die Arbeitsmarktpolitik kann nicht alles schaffen. Wir haben ja keine Planwirtschaft. Es bleibt bei der Verantwortung der Unternehmer und der Tarifpartner. Die Arbeitsmarktpolitik muß sich, wie ich glaube, auf diejenigen konzentrieren, die es schwer haben, vermittelt zu werden, die es aus eigener Kraft kaum schaffen, in den Arbeitsmarkt zurückzufinden. Das sind die Langzeitarbeitslosen, die Ungelernten und die Behinderten.
Auch die Frauen haben es noch schwer. Auf diese Gruppen muß sich die Arbeitsmarktpolitik konzentrieren.
Integration in den ersten Arbeitsmarkt heißt dabei das Gebot der Stunde.
Denn wer einen zweiten Arbeitsmarkt stabilisiert, der schafft eine neue Klassengesellschaft, ohne daß er es will. Die Jungen, Gesunden und Ausgebildeten im ersten Arbeitsmarkt, und für die Kranken und Alteren haben wir einen ghettoähnlichen zweiten Arbeitsmarkt. Für uns bleibt das Ziel: Integration der Behinderten, der Langzeitarbeitslosen und der Ungelernten in den ersten Arbeitsmarkt.
- Herr Fischer, Sie waren nicht sehr lange auf dem ersten Arbeitsmarkt. Deshalb kennen Sie sich dort nicht so gut aus.
- So lange wie Sie wahrscheinlich auch. Ich bin im übrigen noch jetzt auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Wir bleiben dabei: Der erste Schritt ist der wichtigste. Denn die größte Hemmung für Langzeitarbeitslose besteht darin, daß sie in den ersten Arbeitsmarkt überhaupt nicht hineinkommen, daß sie keine Chance bekommen. Deshalb meine ich - das ist eine alte Erfahrung -: Wenn jemand im ersten Arbeitsmarkt ist, ist die Hemmung der Arbeitgeber, ihn wieder zu entlassen, größer. Das zeigen befristete Arbeitsverträge.
- Sie können ruhig lachen. Das steht wahrscheinlich in Ihren Lehrbüchern anders. Die Erfahrung zeigt, daß die Mehrzahl der befristeten Arbeitsverträge entgegen Ihrer Ideologie zu unbefristeten Arbeitsverträgen geführt hat.
Ich entnehme Sozialpolitik nicht fernen Lehrbüchern, sondern der Erfahrung.
Befristete Arbeitsverträge, Leiharbeitsverträge, Einstiegstarife, von den Tarifpartnern ausgehandelt - ich bin gegen staatliche Einstiegstarife -, und Einarbeitungsverträge - unsere ganze Phantasie muß darauf gerichtet sein: Wie bekommt derjenige, der jahrelang arbeitslos war, wieder eine Chance, in den ersten Arbeitsmarkt zurückzukommen? Das ist das Wichtigste.
Die Ungelernten werden das große Arbeitsmarktproblem der Zukunft. Die Arbeitsplätze für Ungelernte schmelzen wie der Schnee unter der Sonne. Da kann die Konjunktur boomen, aber die Arbeitsplätze für Ungelernte fallen noch immer weg. Das erste heißt: Qualifizierung. Was machen wir mit denjenigen, die im Bereich der Technologie nicht qualifizierungsfähig, aber trotzdem begabt sind? Ich sehe in den neuen Beschäftigungsfeldern Haushalt und Pflege auch neue Beschäftigungsmöglichkeiten für diejenigen, die weder Spaß noch Begabung haben, einen Computer zu bedienen.
Nur warne ich davor, das neue Feld Pflege zu überprofessionalisieren. Wir brauchen Profis, hochqualifizierte Fachkräfte. Aber ich füge hinzu: Übertreibt es nicht! Um einen 30jährigen zu füttern, brauche ich keine sechs Semester Psychologie. Dazu brauche ich ein gutes Herz und eine ruhige Hand.
Ein weiterer Punkt wird sein: Dezentralisierung. Wir müssen die Bundesanstalt in der Tat vom Kopf auf die Füße stellen: mehr Verantwortung vor Ort,
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
mehr Flexibilität, auch mehr Entscheidungsbefugnis. Wir brauchen einen Wettbewerb zwischen den Arbeitsämtern in bezug auf Initiative, Engagement und neue Einfälle.
Auch die Finanzierungsfrage stellt sich. Das ist nicht originär von Blüm; auch ich habe kein Patentrezept. Schon 1969 bei der Verabschiedung des Arbeitsförderungsgesetzes wurde diese Frage gestellt. Sie ist die Grundfrage unseres Sozialstaats. Was muß der einzelne zahlen? Was übergeben wir der Eigenverantwortung? Was muß der Solidarität übergeben werden? Ich gebe zu, daß diese Grenze nicht fest ist, daß immer balanciert werden muß.
Aber bezüglich der Solidarität entsteht eine weitere Frage. Was muß vom Steuerzahler und was vom Beitragszahler gezahlt werden? Der Beitragszahler ist nicht für alles, was gut und nützlich ist, zuständig; denn sonst würden wir eine Umverteilung von unten nach oben betreiben. Wenn der Beitragszahler zahlt, zahlen nicht alle - die Beamten und die Selbständigen nicht, und selbst die, die zahlen, zahlen nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Also stellt sich diese Frage auch aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit und aus Gründen der Entlastung der Lohnzusatzkosten.
Ich gebe zu, daß sich diese Frage bei der Haushaltslage nicht von heute auf morgen löst. Laßt uns ein Stufenprogramm machen. Jedenfalls kann sie, wie ich glaube, nicht ausgeklammert werden. Übrigens hat sie die Koalition nie ausgeklammert. Wir haben die Aussiedlerfinanzierung aus der Beitragsfinanzierung herausgenommen und dem Steuerzahler übertragen.
Die erfolgreiche Organisation des Hauptschulabschlusses - es gab großen Widerstand, ich erinnere mich an das Spektakel - ist eine Frage der Bildungspolitik und nicht des Beitragszahlers. Wenn die Schüler den Abschluß nicht schaffen, wieso ist der Beitragszahler, der Arbeitnehmer, der Handwerksmeister und der Arbeitgeber dafür zuständig? Wir haben neu organisiert gegen - wie ich zugebe - viel Widerstand aus den Ländern.
Zu den älteren Arbeitnehmern. Ich sage, die Alternative darf nicht Sozialplan oder Vollerwerbsarbeit sein. Die Alternative muß lauten: Teilzeit mit Teilrente statt ganz heraus aus allem. Ich bin gegen ganz heraus. Das entspricht auch nicht den Bedürfnissen der älteren Arbeitnehmer.
Ich glaube, daß die Teilzeit nur Schub bekommt, wenn sie an die Lebenslage und die besonderen Bedürfnisse der Menschen anknüpft. Ich sehe zwei Felder, in denen ein Schub entstehen kann. Dort, wo Mutter und Vater kleine Kinder erziehen, besteht ein Bedürfnis nach anderen Arbeitszeiten. Und die älteren Arbeitnehmer haben zwei Grundbedürfnisse: erstens mit dem Betrieb in Kontakt zu bleiben, aber zweitens weniger zu arbeiten als früher.
Zur Arbeitslosenhilfe. Ich nehme das große Wort Reform gar nicht in den Mund. Aber der Frage muß doch nachgegangen werden: Soll die Bemessungsgrundlage für die Arbeitslosenhilfe unendlich gelten? Soll sie noch nach 20 Jahren nach dem ehemaligen Spitzenlohn bemessen sein? Das hatte das Arbeitsförderungsgesetz nie gemeint.
Das geltende Recht sieht vor, daß nach drei Jahren individuell überprüft wird. D'as wäre eine Marktwertveranstaltung. Ich sage: Laßt uns das pauschal machen, aber nicht als kopflose, pauschale Abwertung, sondern nur nach einem Vermittlungsversuch mit den Langzeitarbeitslosen - es sind ja alles Langzeitarbeitslose -; denn die Gefahr ist, daß sie vergessen werden, daß sich die Vermittlung in erster Linie an die richtet, die es leichter haben, vermittelt zu werden, daß sie sozusagen in den toten Winkel der Anstrengungen geraten.
Es kann doch nicht sein, daß unsere ganze Welt schon an solchen kleinen Veränderungen zusammenbricht. Herr Scharping hat gestern ein leidenschaftliches Plädoyer für Reformfähigkeit gehalten. Manchmal denke ich, die Kraft zu mutigen Überschriften ist umgekehrt proportional zur Bereitschaft zu kleinen Veränderungen. Manchmal kommt es mir so vor, als kommt der Gewichtheber auf die Bühne, kündigt einen Weltrekordversuch an, schnallt den Gürtel enger, bestreicht die Hände mit Magnesium, verneigt sich vorm Publikum und geht von der Bühne wieder runter. Das ist die ganze Veranstaltung.
Ich bin diese großen Theorien leid. Der Fortschritt und die Umstellung erfolgen immer nur schrittweise. Wir fordern nicht Tabula rasa. Ich sehe in aller Kürze eine große Reformaufgabe: breite Streuung des Eigentums, Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital. Das ist ein uneingelöstes Versprechen der sozialen Marktwirtschaft. 10 % der Bevölkerung besitzt die Hälfte des Vermögens, 25 % ein Drittel - und die restlichen 65 %?
- Es gibt in der Einkommenspolitik eine Fixierung auf den Konsumlohn. Wir haben es nicht geschafft, eine breite Investivlohnphilosophie umzusetzen.
Ich gebe zu, daß auch wir nicht den größten Druck gemacht haben. Wir gebrauchen dazu die Tarifpartner, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite; denn eine solche breite Eigentumsstreuung hat zwei Entlastungsfunktionen. Sie könnte erstens die Tarifpolitik von der Verkrampfung durch die Fixierung auf den Konsumlohn entlasten, und sie könnte zweitens die kollektiven Sicherungssysteme entlasten. Ich weiß auch, daß man da nicht immer draufsatteln kann.
Das Eigentum hat eine zweifache Entlastungsfunktion. Ich finde es schon eine Provokation: Die Millionen Arbeitnehmer zahlen mit ihren Steuergroschen auch die Investitionsförderung im Osten, die sein muß. Aber das schlägt sich nicht in Eigentumstitel für diejenigen nieder, die diese Investitionen mitfinanzieren. Ich gebe zu, daß uns bisher noch keine intelligente Regelung eingefallen ist. Auch in Ihrer Regierungszeit ist über solche Mechanismen diskutiert
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
worden. Aber jetzt haben wir genug diskutiert. Politiker sind nicht zum Besprechen, sondern zum Arbeiten eingesetzt. Deshalb müssen uns hier, wie ich glaube, im Sinne der Stabilisierung der Eigentumsordnung neue Wege einfallen.
Der Umbau braucht manchmal Nachhilfe. Ich hoffe, daß die Tarifpartner es schaffen, eine eigenständige Regelung auch für das Schlechtwettergeld zu finden, das nicht der Allgemeinheit zu übertragen. Der Fortschritt hat es schwer. Es wäre im Sinne des Sozialstaates, das Risiko dort abzusichern, wo es entsteht, und nicht der Allgemeinheit aufzubürden.
Noch eine wichtige Mitteilung wollte ich machen. Die ersten Ergebnisse der Pflegeversicherung zeigen, daß die Anträge auf stationäre Unterbringung zurückgehen und nach dem Urteil aller Fachleute weiter zurückgehen werden. Das ist das Ergebnis eines verstärkten Angebotes an ambulanter Hilfe. Wir brauchen auch stationäre Hilfe; deshalb brauchen wir auch den zweiten Schritt. Aber die stationäre Pflege darf nicht der normale Weg sein. Ich glaube, daß eine solche Veränderung sozialer und humaner Fortschritt sein kann und wirtschaftliche Entlastung bringt.
Sie sehen, Wirtschaft und sozialer Fortschritt sind keine Gegensätze. Deshalb: Der Haushalt steht unter dem Motto „ Sparen und Gestalten" . Sparen ist notwendig, auch aus sozialen Gesichtspunkten. Um so mehr ist unsere Gestaltungskraft herausgefordert.
Das Wort bekommt nun der Abgeordnete Rudolf Dreßler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den vergangenen Jahren wurde dieses Haus sowohl in der ersten wie in der zweiten und auch in der dritten Beratung des Bundeshaushaltes für Arbeit und Sozialordnung der verbalen Klimmzüge des Bundesarbeitsministers teilhaftig: Wie toll doch der Sozialstaat bei dieser Regierung aufgehoben sei, sehe man am stetigen Wachstum des Sozialetats. Eine Wiederholung dieser alljährlichen Aufführung ist in diesem Jahr ausgeblieben, wie wir gehört haben.
An Hand des Rückganges im Sozialetat von über 10 Milliarden Deutsche Mark muß diese Vorstellung beim Bundeshaushalt 1996 ausfallen. Das übrigens müßte nicht von Schaden sein. Denn die These von Herrn Blüm, ein stetiges Wachstum der Sozialausgaben sei Ausdruck der Qualität in der Sozialpolitik, war, gelinde gesagt, reichlich frivol.
Die Wahrheit nämlich war weniger erfreulich. Das stetige Wachstum des Sozialetats war nicht Ausdruck planvoller, bewußter sozialpolitischer Gestaltung, sondern war erzwungen: erzwungen von einer stetig wachsenden Zahl an Arbeitslosen. Mehr Arbeitslose, höhere Sozialausgaben: So lautete die politische Gleichung der vergangenen Jahre.
Diese Regierung war Opfer ihrer eigenen mangelhaften Wirtschaftspolitik, die Arbeitslosigkeit in Kauf nahm oder gar produzierte, die versäumte, mit gezielten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Entwicklung entgegenzuwirken. Der stetig gewachsene Sozialetat der vergangenen Jahre war also nicht Ausdruck sozialpolitischer Qualität, sondern des Gegenteils. Er war Ausdruck des gesellschaftspolitischen Mißmanagements und der arbeitsmarktpolitischen Verantwortungslosigkeit.
Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, wäre der Rückgang der Sozialausgaben eigentlich begrüßenswert, wenn, ja wenn dieser Rückgang durch ein Sinken der Zahl der Arbeitslosen, durch eine Abnahme der Massenarbeitslosigkeit hervorgerufen worden wäre, wenn die politische Gleichung des Jahres 1996 also lautete: weniger Arbeitslose, weniger Sozialausgaben. Dies ist aber offenbar nicht der Fall. Die Massenarbeitslosigkeit verharrt auf hohem Niveau. Der sogenannte konjunkturelle Aufschwung, derzeit allenfalls ein laues Lüftchen, geht völlig am Arbeitsmarkt vorbei.
Wenn also der Rückgang der Sozialausgaben 1996 nicht durch einen Rückgang der Massenarbeitslosigkeit hervorgerufen worden ist, dann gibt es nur eine denkbare andere Erklärung: Diese Bundesregierung, CDU/CSU und F.D.P., fuhrwerken in den Sozialleistungen herum. Sie streichen, sparen und würgen sich die 10 Milliarden DM für 1996 zusammen. Die Wahrheit hat sie also eingeholt. Diese Koalition kann ihre Politik des Sozialabbaus nicht mehr hinter dem Mäntelchen eines durch wachsende Arbeitslosigkeit aufgeplusterten Sozialetats verbergen. Sozialer Rückschritt ist nunmehr auch konkret an Haushaltszahlen ablesbar.
Es war ja bemerkenswert, daß der für diesen Haushalt federführende Minister es in seiner ganzen Rede sorgsam vermieden hat, auch nur einen Satz zu den Inhalten dieses Haushalts zu sagen und uns eine Begründung dafür zu geben. Das war bemerkenswert!
Man könnte es auch anders ausdrücken: Es ist erstaunlich, auf welch naßforsche Art hier Politik gemacht wird. Da stellt die Regierung, die Herren Waigel und Blüm, Arm in Arm fest, der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit sei gesundet. Für den Bund ergebe sich daraus die erfreuliche Konsequenz, ein aus seiner Defizithaftung folgender Bundeszuschuß an die Bundesanstalt sei nicht notwendig. Man stelle sich vor: Die Massenarbeitslosigkeit bleibt, aber die Bundesanstalt für Arbeit braucht kein Geld. Das ist schlicht absurd, meine Damen und Herren.
Rudolf Dreßler
Man mag sich ja die Welt durch Gesundbeterei eine Weile schönreden können, aber die Stunde der Wahrheit wird man dadurch nicht verhindern können. Noch im Haushaltsjahr 1996 wird sich das alles als Trick herausstellen. Angesichts der Lage am Arbeitsmarkt wird die Bundesregierung der Bundesanstalt für Arbeit doch einen Bundeszuschuß in Milliardenhöhe zahlen müssen. In Wahrheit wissen die Herren Waigel und Blüm das auch; sie tun nur so als ob, und die Regierungsfraktionen machen mit. Soll diese Trickserei etwa Haushaltspolitik sein?
Nun gibt es natürlich noch eine andere Interpretationsvariante, mit der die Zahlenakrobatik der Koalition erklärt werden könnte. Diese allerdings ist nicht minder pervers. Die Bundesregierung definiert das zu erwartende Defizit der Bundesanstalt für Arbeit nicht nur einfach künstlich weg, nein, sie vermeidet es tatsächlich. Sie tut dies, indem sie brutal in die Leistungen eingreift und kürzt. Daß die Herren Kohl, Waigel und Blüm in dieser Hinsicht Männer mit Vergangenheit sind, und zwar einer reichlich unrühmlichen, können sie nicht einmal selber leugnen.
Was also liegt näher als die Prognose, daß diese Bundesregierung auch diesmal zum Mittel des Sozialabbaus greifen wird?
Nun hat Herr Rexrodt, als Bundeswirtschaftsminister sicherlich einer der intellektuellen Leuchttürme dieser Koalition,
sich vor wenigen Tagen mit der Bemerkung vernehmen lassen, unser Land benötige in Sachen Sozialpolitik einen ökonomischen Befreiungsschlag. Daß Rexrodtsche Befreiungsschläge in der Regel zu sozialpolitischen K.-o.-Schlägen werden, das wissen wir. So liest sich auch diesmal die Liste der Maßnahmen von Herrn Rexrodt, die er als Befreiung bezeichnete, nicht anders als ein Gruselkatalog. Was er als Befreiung definiert, ist nichts weiter als die weitgehende Privatisierung der sozialen Sicherung. Es ist die Zerstörung der solidarisch finanzierten Sozialversicherung.
Dies ist übrigens nicht verfassungswidrig. Aber es ist auch nicht verfassungswidrig, die deutsche Bevölkerung darauf hinzuweisen und hinzuzufügen: Wenn Sie demnächst beabsichtigen, diesen neuen Weg zu gehen, wird an irgendeiner Stelle der Straße das Schild mit den Worten „No return" , „keine Rückkehr", auftauchen, und dann ist es zu spät für Art. 20 GG und für die bis dato parteienübergreifende Obereinstimmung, daß diese Vorschrift zu wahren sei, daß sie unser eigentliches Glück war, unser Standortvorteil, die Voraussetzung für unsere wirtschaftliche Expansion sowie dafür, all das zu erreichen, was wir heute haben. Auf diesem Weg, meine Damen und Herren von der Union, wird Sie die SPD nicht nur nicht begleiten, sondern wir werden alles versuchen, was in unseren Kräften steht, Sie davon abzuhalten.
Weil nun der Bundeswirtschaftsminister diesen Befreiungsschlag formuliert hatte, will ich wenigstens die Volkspartei CDU/CSU auf eine Winzigkeit hinweisen dürfen. Rexrodt ist ja, wie Sie wissen, ein Berliner Spitzenpolitiker.
- Ja, so steht es in den F.D.P.-Broschüren.
Ich darf Sie darauf hinweisen, daß hinter dieser Art von Befreiungsschlag, die er auch heute wieder in diesem Haus vertreten hat, zur Zeit nach On Umfragen 2 % der Berliner Bevölkerung stehen,
und ich kann nur sagen: Als Volkspartei CDU/CSU sollten Sie von Ihrer gravierenden Mehrheit Gebrauch machen und solche gefährlichen Wegbereiter für eine veränderte Republik bremsen. Das ist auch Ihre Pflicht.
Daß die Klientel der F.D.P. den Sozialstaat als Mühlstein am Halse der Wirtschaft diskreditiert, der der deutschen Volkswirtschaft angeblich ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit nehme, ist nicht neu. Diese Leier kennen wir.
Ich will Ihnen etwas sagen: Ihre Partei ist zur Zeit auf einem Wege, den ich Vulgärkapitalismus nenne und nicht anders.
Das bedeutet, was dem Geschäft dient, ist gut, was ihm schadet, schlecht. So einfach ist diese F.D.P.-Philosophie. Gesellschaftspolitische Wertung von Politik findet nicht mehr statt, soziale Wertigkeit ist hinderlich, allein die Kasse zählt. Als Motiv dient eine als Gewinnmaximierung getarnte Habgier, und das war's dann auch schon. Das ist heute diese F.D.P.
Neu in dieser Diskussion ist für mich allerdings die Erfahrung, daß sich nunmehr auch Teile der CDU/ CSU
in einschlägiger Weise an dieser Diskussion beteiligen, genauer gesagt, der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble und seine gesammelten Flüstertüten von Doss bis Dregger, von Louven bis Haungs.
Wo die Eigenverantwortung verkümmert, wo die Menschen sich daran gewöhnen, daß andere für sie sorgen, verkommt die Freiheit.
Das ist Originalton Schäuble.
Wie wahr, könnte man da nur sagen, und man kann die Frage an diese Regierung, vor allem an die
Rudolf Dreßler
CDU/CSU, anschließen: Wo sind denn eigentlich die politischen Konsequenzen aus diesem Satz? Was tun Sie, um die 3,6 Millionen registrierten erwerbslosen Menschen in Deutschland arbeitsplatzmäßig zu befrieden, damit sie endlich ihrer Eigenverantwortung gerecht werden können? Was tun Sie dafür?
Diese Menschen wollen das nämlich. Sie wollen für sich selbst sorgen, sie wollen ihre ökonomische und soziale Freiheit endlich zurück.
Tatsache ist doch, daß die arbeitsmarktpolitische Nichtstuerei dieser Regierung sie ihnen vorenthält, und angesichts der gesellschaftspolitischen Realität in Deutschland kommt dieser Satz des Herrn Schäuble einer Verhöhnung dieser Menschen gleich.
Nun hat Herr Schäuble seit geraumer Zeit ein Exempel gefunden, an dem er exekutieren möchte, was er unter Stärkung der Eigenverantwortung versteht - die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Da kann das Kanzleramt im Auftrag des Allerhöchsten noch so heftig dementieren, da kann Herr Seehofer noch so heftig räsonieren - die Wahrheit ist: CDU und CSU wollen die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einschränken; wer krank ist, soll weniger Geld bekommen.
Herhalten für diese Philosophie müssen dann die sogenannten Blaumacher, denen es an den Kragen gehen soll.
Blaumacher, meine Damen und Herren, die gibt es auch, aber gesellschaftliche Realität ist, daß die erdrückende Mehrheit der arbeitsunfähigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eben nicht blaumacht, sondern schlicht krank ist.
Gesellschaftliche Realität ist auch, daß bereits heute ausreichende gesetzlich festgelegte Maßnahmen gegeben sind, dieses sogenannte Blaumachen zu bekämpfen,
etwa im Entgeltfortzahlungsgesetz, das auch regelt, daß eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung spätestens am vierten Tag vorzulegen ist. Und ich zitiere den Gesetzestext im Original:
Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen.
So heißt es dort. Mit dieser Bestimmung kann man also gegen sogenannte Blaumacher vorgehen, wenn man wirklich will. Man muß sie nur anwenden, meine Damen und Herren.
Herr Kollege Dreßler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
Aber selbstverständlich, Herr Präsident.
Herr Kollege Dreßler, wie beurteilen Sie die Tatsache, daß die westdeutschen Arbeitnehmer während des Jahres 1991 an 26 Tagen krank waren, 1992 an 24 Tagen und 1993 an 21 Tagen und man im Vergleich dazu in Italien nur 18 Tage, in Großbritannien 17 Tage und in Japan 6 Tage im Jahr krank ist?
Sind das arbeitsfreudigere oder gesündere Menschen als bei uns, oder worauf führen Sie das zurück?
Herr Hinsken, ich bin nicht in der Lage, Ihnen das wissenschaftlich zu beantworten, weil ich diese Analysen nicht gemacht habe.
Aber eines weiß ich, und ich denke, das sollten auch Sie wissen: In der Bundesrepublik Deutschland gibt es nur eine Institution, die Arbeitsunfähigkeit attestieren darf. Das ist die Institution der Ärzte. Haben Sie die einmal danach gefragt?
Wollen Sie hier in diesem Hause indirekt unterstellen, daß die Ärzte, die das allein attestieren dürfen, korrupt seien oder betrügen? Soll das in Ihrer Frage mehr oder weniger mitklingen?
Mein lieber Herr Hinsken, ich rate Ihnen dringendst, derartige Fragen in Zukunft vorher zu überdenken. - Frau Babel, bitte schön. - Eine weitere Expertin in Sachen Kürzung beim Lohnfortzahlungsgesetz.
Herr Kollege Dreßler,
überlassen Sie die Worterteilung ruhig mir. Aber ich merke, Sie gestatten eine Zwischenfrage von Frau Dr. Babel. - Bitte schön.
Herr Kollege Dreßler, ich kenne Ihren Vorwurf, daß es sich hier nur um ein Phänomen für die Korruptheit von Ärzten handelt.
Würden Sie mir zustimmen, daß es einem Arzt wohl kaum erlaubt sein kann, wenn ein Arbeitnehmer zu ihm kommt und erklärt: „Ich habe Leibschmerzen, ich habe unerträgliche Kopfschmerzen", ihm zu sagen: „Mein Guter, nun geh' mal ruhig zur Arbeit; das wird die Arbeit dann schon lösen"?
Das heißt, es gibt doch Beschwerden - da möchte ich jetzt einmal Ihre Bewertung -, die Ärzte heute nicht von vornherein klar als Mißbrauch oder sozusagen als wirkliche Krankheit erkennen können.
Deshalb ist ein Arzt natürlich geneigt, einem solchen Arbeitnehmer die gewünschte Bescheinigung, daß er krank ist, nicht zu verweigern.
Frau Dr. Babel, einen Augenblick! - Meine verehrten Kollegen, es hat überhaupt keinen Sinn, daß Sie hier so laute Zurufe oder Zwischenrufe machen, daß keiner die Frage verstehen kann. Darum bitte ich Sie, Frau Dr. Babel, Ihre Frage noch einmal zu stellen.
Noch einmal kurz: Halten Sie es für einen Mißbrauch eines Arztes, wenn er einen Arbeitnehmer krankschreibt, der zu ihm kommt und über Schmerzen klagt? Halten Sie das für einen Mißbrauch, ja oder nein?
Nein, Frau Dr. Babel, das halte ich nicht für einen Mißbrauch. Für einen Mißbrauch halte ich aber, daß Sie das Lohnfortzahlungsgesetz heutiger Prägung, das dem Unternehmer die gesetzliche Möglichkeit eröffnet, den Sachverhalt mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom ersten Tag an belegt zu bekommen, wobei der Arbeitnehmer, wenn er dies nicht tut, kein Geld bekommt, ignorieren und so tun, als ob nun die deutsche Gesellschaft aus Arbeitern, Angestellten und Beamten aus Blaumachern, aus Menschen besteht, die sich in diesem Sozialstaat ausruhen und die dadurch letztlich den Auftrag, den Sozialstaat zu konsolidieren, konterkarieren. Das halte ich für einen Mißbrauch.
Wenn Sie so in der Praxis tätig gewesen wären wie ich, Frau Dr. Babel,
und wenn Sie mit diesem Lohnfortzahlungsgesetz hätten arbeiten müssen, dann hätten Sie eine ganz einfache Erklärung für dieses Phänomen: Die Arbeitgeber, die Unternehmer verzichten nämlich in Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen freiwillig in über 80 % aller Beschäftigungsverhältnisse in diesem Staat auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum dritten oder vierten Tag, weil sie wissen, daß das in ihrem Bereich unternehmenspolitisch und damit, wenn Sie so wollen, auch betriebswirtschaftlich besser ist, als den Weg zu gehen, den Sie hier indirekt suggerieren.
In Wahrheit, Frau Dr. Babel, wollen Sie doch etwas ganz anderes: Sie wollen, daß in den ersten Tagen einer Arbeitsunfähigkeit, also einer Krankheit, der gesamten deutschen Bevölkerung, die arbeitet und krank wird, kein Lohn mehr gezahlt wird. Punkt! Das ist das Problem.
Ich sage Ihnen, Frau Dr. Babel: Das, was Sie wollen, ist nicht strafbar und nicht verfassungswidrig. Es ist aber doch ebensowenig verfassungswidrig, wenn ich mich dagegen wehre und sage: Dies will ich und auch meine Fraktion nicht.
Da lasse ich mir doch nicht von Herrn Schäuble vorhalten, ich würde den Standort Deutschland gefährden. Wo sind wir denn eigentlich hingekommen? Als ob dies etwas mit Standortpolitik zu tun hätte!
Auch ich bekomme diese Briefe.
Sie haben sich auf den Weg begeben, mit dieser Frage die Lufthoheit über den Stammtischen Deutschlands zu erobern. Ich stehe unter dem Tisch und versuche von unten, die Erkenntnis über die Realitäten in Deutschland doch noch mehrheitsfähig zu machen. Ich weiß, wie schwer es ist, gegen solche Biertischparolen anzukommen, wie Sie sie hier vertreten. Das aber ändert doch nichts am Sachverhalt, meine Damen und Herren.
Der Koalition geht es in diesen Fragen um einen ideologischen Fixpunkt, an dem eine grundlegende gesellschaftspolitische Richtungsänderung in unserem Land festgemacht werden kann.
Auch die Senkung der Lohnnebenkosten geriet bei dieser Bundesregierung in der Diskussion der vergangenen Jahre zu einem ideologischen Schlagwort. Das hat sich mittlerweile etwas relativiert. Seit unabweisbar ist, daß unser Land seit 1990 nur einen einzigen Produzenten von höheren Lohnnebenkosten kennt - das ist diese Regierung mit ihrer Politik, die Folgen der deutschen Einheit zu einem guten Teil über Sozialversicherungsbeiträge zu finanzieren -, haben CDU/CSU und F.D.P. weniger Spaß an diesem Thema.
Für meine Fraktion will ich hier feststellen: Wir wollen die Lohnnebenkosten von Unternehmen und Arbeitnehmern - auch die haben welche - senken, indem wir z. B. die finanziellen Konsequenzen der
Rudolf Dreßler
deutschen Einheit dort ansiedeln, wo sie hingehören. Nicht mehr nur die Sozialversicherten und ihre Unternehmen, sondern die Gesamtheit der Bürger sollen sie tragen.
Ich wiederhole zum unzähligsten Male, Frau Dr. Babel: Ich finde es unerträglich, daß Sie und ich an der Finanzierung der deutschen Einheit über die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen seit vier Jahren nicht beteiligt sind. Deshalb fordere ich Sie auf, mit mir dafür zu sorgen, daß auch wir endlich an der Finanzierung beteiligt werden - so, wie es die Arbeiter und Angestellten, teilweise die Beamten und die Unternehmen leisten müssen. Das ist der eigentlich gravierende Punkt.
Diejenigen in diesem Hause, die sich einem solchen Schritt beharrlich verweigern, sind die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. Auch hier zeigt sich, daß es der Koalition nicht um die Sache geht; denn sobald sich der Nebel über den ideologischen Formeln gelichtet hat, sobald man also konkret werden muß - die Opposition in diesem Hause hat möglicherweise noch nicht signalisiert, daß dies auch ihr Ziel ist; sie will dies seit drei Jahren -, flüchtet sie sich in die nächste Unverbindlichkeit und sucht krampfhaft nach der nächsten nebulösen Formel. Die lautet nun, wie ich gelesen habe: Senkung der Staatsquote.
Der Bundesarbeitsminister hat dazu seinen Fraktionskollegen aus der CDU/CSU einen höchst interessanten Brief geschrieben, der ausnahmsweise wirklich lesenswert ist. Im Gegensatz zu der sonst in Koalitionskreisen gängigen, böswilligen Behauptung, der ach so üppige, ständig weiterwuchernde Sozialstaat sei Verursacher einer gestiegenen Staatsquote, kommt Herr Blüm - das ist nachzulesen - zu folgendem Ergebnis:
Der Anstieg der Staatsquote in den vergangenen fünf Jahren ist vor allem die Folge der vom Staat im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung geschulterten Lasten.
Herr Blüm fährt fort:
Die Rückführung der Staatsquote ist zur Senkung der Defizite der öffentlichen Haushalte und zur Reduzierung der Abgabenlast mittelfristig notwendig.
Ich habe dem nichts hinzuzufügen, außer vielleicht einen kleinen Erinnerungsposten. In eine Frage gekleidet lautet dieser Erinnerungsposten so: Wer, meine Damen und Herren, regiert eigentlich seit 13 Jahren dieses Land und zeichnet für diese Ergebnisse verantwortlich?
Da man sich vor Unterstellungen nicht schützen kann, will ich, um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen, gleich hinzufügen: Es ist nicht so, daß irgendeiner oder irgendeine in diesem Hause nicht der Meinung wäre, die finanziellen Konsequenzen der deutschen Einheit hätten nicht geschultert werden sollen. Wenn sie aber die Ursache für die gestiegene Staatsquote sind, woher nimmt dann diese Koalition die Rechtfertigung, statt dessen, an dieser Ursache vorbei, in unserem Sozialstaat herumfummeln zu wollen?
Ob Lohnfortzahlung, ob Lohnnebenkosten oder jetzt die Staatsquote, die Diskussion zeigt: Der Koalition geht es darum nicht. Jedes einzelne dieser Themen dient vielmehr nur als Alibi, um eine gesellschaftspolitisch grundlegend andere Weichenstellung zu erzwingen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beck?
Aber natürlich.
Herr Kollege Dreßler, ich teile Ihre Einschätzung mit jedem Wort. Ich habe nur eine Frage, die ich Sie bitte mir zu beantworten: Wie können Sie eigentlich vertreten, mit einer Partei, die diese Art von Politik macht, auf Länderebene, wie in Bremen, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Koalitionen einzugehen?
Frau Beck, ich habe in den letzten drei Wochen, wie Sie sicherlich vernommen haben - es war ja unüberhörbar -, meiner Fraktion gegenüber ein paar kritische schriftliche Akzente in Sachen Föderalismus gesetzt.
Da ich derjenige bin, dem zweifellos in diesem Zusammenhang vorzuhalten wäre - das hat eine Tageszeitung übrigens auch getan -, ich hätte am meisten mit denen gekungelt - Stichwort Rentenversicherung, Stichwort Gesundheitsstrukturgesetz, Stichwort Rentenüberleitungsgesetz, Stichwort Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz, Stichwort Erster Staatsvertrag, Stichwort Einigungsvertrag -, nehme ich für mich folgendes in Anspruch:
Bei der Abwägung von Tatbeständen und Maßnahmen, die diese Koalition praktizieren wollte und will, und der Möglichkeit, aus der Opposition heraus für Millionen Menschen Schlimmes zu verhindern,
habe ich die Wahl zwischen einer Politik von Franz Josef Strauß - Sonthofen: alles muß noch viel tiefer sinken, damit die Menschen begreifen, was sie regiert -, also parteipolitischer Taktik, und der Verant-
Rudolf Dreßler
wortung vor den Millionen, die sich hinter diesen dann auf sie zukommenden Gesetzen verbergen. Ich habe mich in diesen Fällen jedesmal mit Rückendekkung der Beschlüsse meiner Partei und Fraktion für den zweiten Weg entschieden - gegen parteipolitische Taktik und für das gemeinsame Ganze.
Daß das von diesen Damen und Herren dort im umgekehrten Falle nicht gemacht worden wäre, weiß ich. Aber, Frau Beck, ich weiß ja auch, warum ich in der SPD und nicht in der CDU/CSU bin.
Um das zusammenzufassen: Die Koalitionsregierung will die aus Art. 20 unseres Grundgesetzes f olgende Verpflichtung zu einer Pseudolegitimation für eine erzkonservative Wirtschafts- und Sozialpolitik verbiegen. Ich will hier hinterlassen: Bilden Sie sich bloß nicht ein, Sie könnten damit bei Sozialdemokraten irgendeinen Blumentopf gewinnen. Wir stehen zum Sozialstaatsgebot unserer Verfassung und werden dieses Gebot geschlossen und entschlossen verteidigen. Einfach ausgedrückt: Die SPD will keine andere Republik, meine Damen und Herren.
Wir wollen unser Land für zukünftige Herausforderungen fitmachen. Wir wollen unseren Sozialstaat als qualitativen Standortvorteil in den Wettbewerb mit konkurrierenden Ländern einbringen und ihn darauf ausrichten, anstatt ihn zu zerstören.
Ich habe heute morgen in der Rede von Herrn Blüm zwei Dinge vernommen, die ich zum Schluß abhandeln möchte. Das erste war - ich zitiere den Bundesarbeitsminister -: Um Lohnzuschüsse zu durchschauen, benötigen die Unternehmer einen Lohnzuschußberater. - Herr Blüm, es ist ja wohl nicht unrichtig, daß Ihnen die sozialdemokratische Opposition in diesem Hause x-fach angeboten hat, diesen auch jetzt zu Protokoll gegebenen Unsinn zu verändern. Darf ich Sie darauf hinweisen, daß ich Ihre Analyse teile; aber wir alleine haben nicht die Möglichkeit, Sie dazu zu bringen, es zu ändern. Sollte das ein Angebot gewesen sein: Fangen Sie morgen früh an! Wir machen mit.
Aber Sie können es nicht immer hier sagen, und dann werden Sie von Ihrer Fraktion und der F.D.P. hängengelassen, Herr Blüm. Das geht nicht so weiter.
Der zweite Satz geht in die gleiche Richtung. Sie haben heute morgen etwas zu versicherungsfremden Leistungen ausgeführt. Das ginge nicht hopplahopp, und Sie haben vorgeschlagen, einen Stufenplan zu machen. Herr Blüm, fangen wir bitte morgen früh mit diesem Stufenplan an! Wir verlangen ihn seit drei Jahren. Sie können nicht so tun, als ob die Opposition keine Vorschläge machte, dann, wenn wir sie machen, sie von diesen Herrschaften abmeiern lassen, und hier nun so tun, als ob irgendeine imaginäre Gewalt Sie daran hindern würde.
Nein, Herr Blüm, setzen Sie sich mit uns zusammen! Dann können wir gemeinsam Ihren Laden endlich zur Vernunft bringen.
Guten Tag.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Joachim Fuchtel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Dreßler hat fortgesetzt, was vor ihm die anderen Redner auch schon getan haben, nämlich zu versuchen, unseren Bürgerinnen und Bürgern im Land zu suggerieren, daß die Reduzierung des Sozialetats etwas Negatives sei.
Richtig ist: Das ist etwas Außergewöhnliches. Denn erstmals seit vielen Jahren ist ein Arbeits- und Sozialminister in der Lage, einen Etat vorzulegen, der nicht mehr Ausgaben vorsieht, sondern weniger Ausgaben.
Nicht umsonst hat das „Handelsblatt" geschrieben: 10 Milliarden weniger - das ist ein Kraftakt. Jawohl, das ist ein Kraftakt zur rechten Zeit, und er muß sein.
Herr Dreßler, Ihr Problem ist, daß Sie sich nicht mit der Zeit, in der wir sind, auseinandersetzen. Vielmehr mahlen Sie auf den alten Mühlen weiter, ohne die Herausforderungen anzunehmen, die jetzt vorhanden sind.
Keiner von uns bestreitet - wir beide sind lange genug in diesem Gremium, um das zu wissen -, daß ein so großer Einzelplan wie der Etat des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsrisiken beinhaltet. Das will ich gar nicht wegdiskutieren. Aber selbst wenn wir diese Haushaltsrisiken einrechneten, blieben wir unter einem Wert von 10 Milliarden DM, das sind immerhin 10 000 Millionen DM, und können damit sagen: Der Koalition gelingt mit diesem Sozialhaushalt ein sichtbares Zeichen der Begrenzung der Sozialausgaben. Meine Damen und Herren, alle Wirtschaftssachverständigen fordern dies, und wir tun dies. Es ist höchste Zeit, daß es getan wird.
Wir tun dies im übrigen, obwohl sich die wirtschaftliche Lage erholt. Wir lassen uns nicht verführen, jetzt wieder eine Aufweichung mitzumachen. Vielmehr setzen wir die strikte Konsolidierung des Bundeshaushalts und den Umbau des Sozialstaats fort. Wir handeln; wir reden nicht nur darüber.
Hans-Joachim Fuchtel
Das muß auch sein, wenn man die Arbeitslosigkeit wirklich ernsthaft begrenzen möchte. Wer die Abwanderung von Betrieben verhindern will, wer die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft erhalten will, wer bezahlbare Stundensätze im Auge hat und auch die Qualität unseres Sozialstaates weiter sichern möchte, der muß jetzt günstige Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche und gesamtpolitische Geschehen schaffen. Nichts anderes tun wir.
Dazu gehört zweifellos und nicht zuletzt die Senkung der Staatsquote.
- Darauf komme ich noch zu sprechen. - Nur wenn wir dies tun, werden wir eine Begrenzung der Sozialausgaben erreichen.
Wenn wir das nicht tun, werden uns die Sozialausgaben weglaufen,
wird die Staatsquote immer weiter steigen, wird immer mehr Geld durch den staatlichen Bereich laufen und wird immer weniger für den Gestaltungsraum der Wirtschaft übrigbleiben.
So einfach sind die Zusammenhänge. Das müssen Sie erst einmal begreifen, bevor Sie hier etwas kritisieren.
Sie, meine Damen und Herren aus dem Jammertal der Opposition - anders kann ich das, was der Kollege gerade gesagt hat, gar nicht bezeichnen -, stehen vor einem großen Dilemma. Sie sehen, wie wir auch, daß wir Einsparungen vornehmen müssen. Jeder von Ihnen fordert pauschale Einsparungen. Sie trauen sich aber an den großen Etat des Bundesministers für Arbeit nicht richtig heran. Das ist die Situation. Sie halten es lieber im Stil des Känguruhs: mit leerem Beutel große Sprünge machen. Es ginge vielleicht, wenn Sie einen Goldesel hätten, aber Sie haben eben Rudolf Scharping. Mit diesem Rudolf Scharping werden Sie nicht zu neuen Ufern aufbrechen und nicht das tun, was notwendig ist.
Da ist der Herr Spöri schon etwas weiter. Aber der hat ein riesiges Glaubwürdigkeitsproblem, weil er ein einsamer Rufer in der Wüste ist und weil mit Sicherheit der Dissens zwischen dieser Bundestagsfraktion und Spöri auch so groß ist wie der zwischen der Bundestagsfraktion und Schröder. Da sind wir einmal gespannt, wie das im baden-württembergischen Landtagswahlkampf dann ausdiskutiert werden soll.
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat gestern an dieser Stelle die Lage ganz klar analysiert. Er hat gesagt, Sie gehen den Herausforderungen aus dem Wege. So ist es. Deswegen haben wir von Ihnen auch nur eine einzige Einlassung die ganze Zeit über gehört, die von Substanz ist. Es ist die Frage, ob und wie die Sozialversicherungen von sachfremden Kosten entlastet werden sollen.
Es wird darüber in allen Fraktionen derzeit diskutiert.
Aber, meine Damen und Herren, eines müssen wir auch beantworten: Man kann nicht nur sagen, wir entlasten die Sozialversicherungen, sondern die Kosten müssen dann auch woanders aufgebracht werden.
Bitte schön, meine Damen und Herren, da sind wir beim Thema. Wir können das entweder über eine Änderung von Leistungsgesetzen machen - dazu sind wir im Rahmen des Umbaus des Sozialstaates auch bereit; dazu sind Sie aber nicht bereit -, oder wir müssen dies durch eine andere Finanzierung tun, weil das Geld irgendwo herkommen muß. Dann sagen Sie uns doch, aus welchen Töpfen diese hohen Milliardenbeträge kommen sollen, dann können wir diese Frage auch weiter diskutieren. Im Augenblick sehe ich, solange der Solidarbeitrag besteht, keine Möglichkeit, hier kurzfristig neue Handlungsspielräume zu eröffnen. Diese Antwort bleiben Sie uns durch die ganze Debatte hindurch schuldig. Deswegen sind diese Aussagen auch nicht so viel wert.
Wir erinnern uns noch sehr schmerzlich an die Diskussion über die Pflegeversicherung. Da saßen Sie mit riesen Spendierhosen am Tisch, und als es an die Gegenfinanzierung ging, mußten wir Sie unter diesem Tisch wieder sehr mühsam herausziehen, um mit Ihnen die Gegenfinanzierung zu klären.
- Ja, Sie kommen zu wenig in die Ausschüsse, wo solche Sachen besprochen werden, Herr Kollege.
Gleiches befürchten wir jetzt, wenn es um diese konkrete Aufgabe geht. Auch da erheben Sie jetzt die große Forderung, man möge die Sozialversicherungen entlasten, aber Sie sagen uns nicht, in welcher
Hans-Joachim Fuchtel
Weise die dann erforderlichen Mittel aufgebracht werden müssen.
Bevor wir in diese Diskussion nicht konkret eintreten können, können Sie auch nicht ernsthaft denken, daß das Konzepte sind, die man hier ernst nehmen kann. Sie müssen hier schon mit anderen Vorschlägen herangehen. Vor diesen Vorschlägen haben Sie Angst, ganz einfach deswegen, weil sie damit zusammenhängen, daß wir die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sichern müssen. Das können wir nur, wenn wir die Ausgaben insgesamt senken.
Es ist ein Witz, wenn immer wieder behauptet wird, es hänge nicht an den Lohnkosten, warum viele Betriebe abwandern. Tag für Tag kommen zu uns Unternehmer und sagen uns, daß sie bei dem Lohnniveau mit all den Zusatzkosten nicht mehr mithalten können. Deswegen müssen wir jetzt Zeichen setzen.
Herr Kollege Fuchtel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßler?
Natürlich.
Herr Kollege Fuchtel, ich muß unterstellen, daß Sie im Laufe des Vormittags nicht im Saal waren, denn wenn Sie im Saal gewesen wären, hätten Sie eine Vorlesung der Kollegin Anke Fuchs gegenüber dem Vorsitzenden der F.D.P.-Fraktion des Deutschen Bundestages mitbekommen, und zwar über die Modalität der Finanzierung, über die Art und Weise des Aufkommens und ihrer Verteilung.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß heute morgen in Ihrer Abwesenheit - ich muß ja unterstellen, daß Sie keine Zeitungen lesen; sonst hätten Sie es auch dort schon nachlesen können - das, dessen Fehlen Sie gerade beklagen, mindestens 20 Minuten Gegenstand der politischen Auseinandersetzung im Parlament gewesen ist? Sind Sie bereit, es nachzulesen, damit Sie in den nächsten Wochen einen solchen Unsinn nicht mehr reden?
Herr Kollege Dreßler, ich empfehle Ihnen eine dickere Brille. Mit zwei Zentnern und einigen Kilo Gewicht müßte ich eigentlich unübersehbar sein. Ich möchte Sie aber bitten: Lassen Sie uns in der Sache darüber reden.
Ich muß Ihnen schon sagen: Man hätte Frau Fuchs in vielen Punkten schon vorher widersprechen müssen, als sie diese Dinge, die völlig unschlüssig sind, vorgetragen hat. Das Unschlüssigste an der ganzen Kiste war dann wohl, als sie gesagt hat: Zur Gegenfinanzierung nehmen wir einmal die Steuer auf das Flugbenzin. - Wenn man einmal sieht, um welche Summen es sich da handelt - wir brauchen nicht Millionen, wir brauchen Milliarden -, dann muß ich Ihnen, Herr Kollege Dreßler, vorhalten: Sie haben das Problem, daß Sie immer Millionen und Milliarden verwechseln.
- Nein, einmal genügt, Herr Kollege.
Ich muß noch etwas zu den Ausführungen von Frau Matthäus-Maier sagen. Sie hat vorgestern ausgeführt: Nicht der Sozialstaat ist zu teuer, sondern die Arbeitslosigkeit. - Das ist auch so ein Quatsch. Das hilft uns in der Sache überhaupt nicht weiter, weil man damit die Notwendigkeit des Umbaus des Sozialstaates verneint. Genau an diese Aufgabe müssen wir jetzt gehen.
Nach der Auffassung der CDU/CSU gibt es in unserem Sozialstaat zu viele Szenarien, bei denen der einzelne nicht genügend herausgefordert wird, für sich selbst zu sorgen.
- Es ist sehr schön, daß Sie jetzt so konkret werden wollen. Das paßt genau zu dem, was ich jetzt sagen möchte.
Lassen Sie es mich mit einem Zitat sagen:
Das Thema der Solidarität in Deutschland muß neu definiert werden. Bislang haben wir das Thema der Solidarität nur aus der Sicht derjenigen definiert, die staatliche Leistungen in Anspruch genommen haben. Wir müssen gesamtgesellschaftliche Solidarität auch aus der Sicht derjenigen mitdefinieren, die diese staatlichen Leistungen erwirtschaften.
Dieses Zitat stammt von keinem CDU-Politiker, es stammt vom Oberbürgermeister der Stadt Pforzheim, einem SPD-Mitglied, und zwar aus dessen neuestem Buch „Der erschöpfte Sozialstaat" .
Das sollten Sie sich einmal etwas stärker hinter die Ohren schreiben,
damit wir dann vielleicht auf eine etwas andere Diskussionsebene kommen.
Hans-Joachim Fuchtel
Unsere Befürchtung ist - darauf komme ich noch zurück -, daß, ähnlich wie bei der Asylfrage, erst der mühsame Protest Ihrer eigenen Basis, vor allem der Kommunalpolitiker, Sie langsam dazu bewegt, auch hier in Bonn umzudenken. Nur, so lange können wir hier nicht warten. Wir haben schon bei der Asylfrage viel zu lange auf Sie gewartet.
Jetzt komme ich zum Konkreten, Frau Kollegin Fuchs. Sie wollten ja ein Beispiel haben. Herr Kollege Scharping hat gestern ganz pauschal gesagt: 3,5 Millionen Arbeitslose, sie alle warten auf Arbeit. - Wir in diesem Hause sind uns einig, daß wir alles tun müssen, um möglichst viele Menschen in Arbeit zu bringen.
Es stellt sich die Frage, ob wir bereit sind, differenziert darüber zu reden, oder ob wir es so machen wie Sie, die von den 3,5 Millionen sprechen und glauben, damit das ganze Thema abgehandelt zu haben. Wir sollten vielmehr - das wäre der Sache angemessen - dazu übergehen, uns wirklich sektoral differenziert mit solchen Problemen zu befassen und die Schlagworte aus der Diskussion herauszuhalten, die immer wieder eine konkrete Lösung verhindern. Dazu sind wir bereit. Wir brauchen allerdings auch Ihre Bereitschaft dazu, damit wir vorankommen.
Tatsache ist, daß im Jahr 1994 1,2 Millionen Arbeitserlaubnisse für Ausländer erteilt wurden, davon 400 000 an nachziehende Ehegatten von Ausländern. Das sage ich nur an die Adresse derjenigen, die die Gesetze auch auf diesem Gebiet immer weiter öffnen möchten.
- Das sind ja keine Ausländer, wenn Sie das noch nicht gelernt haben.
Das ist schon traurig, wenn Sie bis zum heutigen Tage, obwohl Sie schon ein Jahr Mitglied im Deutschen Bundestag sind, noch nicht begriffen haben, daß hier ein Unterschied gemacht werden muß. Manches, was Sie so daherreden, wundert mich jetzt nicht mehr, wenn Sie diese Differenzierung nicht vornehmen können.
700 000 von diesen 1,2 Millionen sind Arbeitnehmer von außerhalb der Europäischen Union, weil unter den Arbeitslosen in Deutschland eben niemand bereit war, diese Arbeiten zu tun. Denn Voraussetzung dafür, daß Arbeitserlaubnisse erteilt werden, ist, daß erst einmal geprüft wird, ob es auf dem deutschen Arbeitsmarkt Leute gibt, die bereit sind, die Arbeiten zu tun. In 700 000 Fällen ist die Prüfung negativ verlaufen. Wir brauchten jede Menge Saisonarbeiter, wir brauchten Erntehelfer usw.
Bei dieser Sachlage ist es doch nicht angemessen, so pauschal von 3,5 Millionen Arbeitslosen zu reden. Wir müssen uns dort, wo wir feststellen, daß bisherige Regelungen nicht dazu führen, daß derjenige, der arbeiten kann, zur Arbeit ermuntert wird, bemühen, künftig Anreizsysteme zu schaffen, damit dies möglich wird.
Nach meinem Empfinden erwartet das der ganz große Teil unserer Bevölkerung. Wir müssen uns dieser Aufgabe schleunigst annehmen, um nicht den Mißmut der Bevölkerung in diesem Bereich zu stärken.
Deswegen gehen wir jetzt an die Arbeit. Wir wären dankbar, wenn Sie sich beteiligen, anstatt sich zu versagen - woraufhin wir wieder harte Konfrontationen haben, aber Probleme nicht vom Tisch schaffen. Es liegt nicht an uns, wenn hier nichts geschieht. Wenn wir hier Zeichen setzen, werden das die Leute draußen im Lande sicher aufmerksam verfolgen und positiv zur Kenntnis nehmen.
Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich noch etwas sagen, was mir in der Debatte aufgefallen ist. Es gibt einen sehr ausführlichen Bericht der OECD. Nachdem bekannt wurde, daß sehr viel Positives über die Bundesrepublik drinsteht, überlege ich mir dauernd, was wohl der Grund dafür ist, daß er von Ihrer Seite kein einziges Mal erwähnt wurde. Eigentlich müßten Sie jetzt sagen: Jawohl, da wurde etwas positiv beschrieben,
wir sind auf dem richtigen Weg. Aber Sie sind so engstirnig, daß Sie das ganz vergessen.
Ich frage mich: Wie oft würde dieser Bericht wohl heute zitiert werden, wenn er für diese Bundesregierung negativ ausgefallen wäre?
Dann hätten Sie gar nicht genügend Vervielfältigungspapier gehabt, um das alles über uns auszubreiten.
Aber, meine Damen und Herren, so ist die Situation: Die SPD ist derzeit nicht in der Lage, auf dem Boden der gesellschaftlichen Realitäten zu diskutieren,
schon gar nicht in der Sozialpolitik. Wir hoffen, daß Ihnen die Augen bald aufgehen und daß wir dann bessere Gespräche miteinander führen.
Denn auch Ihnen dürfte nicht entgangen sein, daß beispielsweise die Entwicklung der Inflationsrate auch ein Ergebnis unserer Politik ist. Wenn man fragt, was die beste Sozialpolitik für den kleinen Mann ist,
Hans-Joachim Fuchtel
muß man doch antworten: Für den kleinen Mann, der keine Sachwerte besitzt, ist eine niedrige Inflationsrate die beste Sozialpolitik, die man machen kann.
Insofern sehen wir uns auch auf dem Gebiet der Sozialpolitik auf dem richtigen Weg. Wir hoffen, daß Sie in den kommenden Beratungen auf sachlicherer Ebene, als das vorhin bei dem Kollegen Dreßler der Fall war, versuchen, die notwendigen Weichenstellungen zu treffen.
Vielen Dank.
Ich erteile nun der Abgeordneten Annelie Buntenbach das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Blüm, das war ja am Anfang wirklich eine Rede, die zu Herzen geht. Ich will und kann den Bogen jetzt nicht so weit spannen, wie Sie das getan haben. Ich möchte auf dem Teppich bleiben und mich gleich Ihrem Haushaltsentwurf zuwenden.
Aber eine Vorbemerkung muß ich einfach machen: Herr Blüm, reden Sie die Pflegeversicherung nicht schön! Angesichts der vielfältigen Probleme, die deren Umsetzung allerorten aufwirft, erwarten wir von Ihnen etwas ganz anderes: Geben Sie endlich zu, daß noch vielfacher Änderungsbedarf besteht, damit die Pflegeversicherung zum Fortschritt und nicht zu einer Beschwernis für die Betroffenen wird.
Schauen wir uns doch einmal an, wie Sie von seiten der Regierung die großen Herausforderungen dieser Zeit angehen! Das war ja vorhin angekündigt. Aber offensichtlich haben wir ein unterschiedliches Verständnis davon, was die großen Herausforderungen dieser Zeit sind. Ich dachte, sie bestehen aus dem Kampf gegen Massenerwerbslosigkeit und Armut. Aber offensichtlich meint Herr Fuchtel, daß die Herausforderung darin besteht - ich werde das sehr kurz zusammenfassen --, den Mut zu haben, auch dann Sozialausgaben zu kürzen, wenn es offensichtlich unsinnig und gegenüber den Betroffenen nicht zu verantworten ist.
Weit mehr als 3 Milliarden DM will die Bundesregierung allein bei der Arbeitslosenhilfe streichen. Das ist einer der größten Sparposten in diesem Haushalt. Nun, wer im Geld schwimmt, kann auch abgeben. Offensichtlich meint die Bundesregierung, daß die Milliarden, die in den öffentlichen Kassen fehlen, auf privaten Konten liegen. Soweit kann ich sogar folgen. Nur, daß diese Konten ausgerechnet denen gehören sollen, die Arbeitslosenhilfe beziehen, darauf ist außer Ihnen noch niemand gekommen - und das zu Recht.
Aber ich kann gar nicht so zynisch werden, wie Ihr Haushaltsentwurf gegenüber den Betroffenen ist. Wissen Sie eigentlich, wie hoch die Arbeitslosenhilfe monatlich im Durchschnitt ist, was die Menschen an Geld zur Verfügung haben? In den alten Bundesländern sind das durchschnittlich 984 DM, in den neuen Bundesländern noch weit weniger, nämlich 776 DM. Diese Zahlen sind ein statistischer Durchschnitt. Das heißt, für viele sieht die Situation noch schlimmer aus. Viele bekommen weniger als 600 DM im Monat. Im Osten ist das fast ein Viertel aller Arbeitslosenhilfebezieher. Jetzt wagen Sie es wirklich, ausgerechnet diesen Leuten noch das Geld zu kürzen? Das ist doch ein bodenloser Zynismus.
Sicher, es geht nicht um eine lineare Kürzung, sondern um eine Strukturveränderung. Sie nennen es Arbeitslosenhilfereform. Das ist eine viel zu hübsche Bezeichnung für einen widerlichen Sachverhalt. Dieser Sachverhalt besteht im wesentlichen aus verschärften Kontrollen, Zwangsmaßnahmen und Schikanen gegenüber den Betroffenen. Sie wollen die Leute in Billig-ABM drücken. Vielleicht können Sie mir dann bei Gelegenheit erklären, wo diese überhaupt herkommen sollen, wenn Sie gar keine aktive Arbeitsmarktpolitik mehr betreiben. Sie wollen die Leute in billige Ernteeinsätze drängen. Das ist eine echte Perspektive für die „kräftigen jungen Leute", von denen immer wieder gesprochen wird, und wahrscheinlich auch ein echter Beitrag zum Erhalt ihres Marktwertes.
Sie wollen die Bedürftigkeit noch genauer prüfen und noch mehr als bisher in den privaten Angelegenheiten der Betroffenen herumschnüffeln. Dabei können Sie sich mit Herrn Seehofer zusammentun und in den Kühlschränken von Wohngemeinschaften ganz genau nachschauen, ob denn jede und jeder auch ein eigenes Käsekästchen und Margarinetöpfchen hat.
Sie wollen zukünftig die Arbeitslosenhilfebezieher nach ihrem jeweils aktuellen Marktwert einstufen. Wir alle, auch Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, wissen doch, daß die Ausgrenzung aus dem Erwerbsleben, gerade wenn sie länger dauert, Qualifikationen zerstört und daß die adäquate Wiedereingliederung immer schwerer wird. Genau gegen diese Risiken zu schützen, das ist doch die Aufgabe der Arbeitslosenversicherung. Die Beiträge, die die Beschäftigten einzahlen, sind nicht nach deren zukünftigem Marktwert nach zwei Jahren Erwerbslosigkeit berechnet.
Genau hier liegt außerdem die Verantwortung von aktiver Arbeitsmarktpolitik, nämlich Angebote zur Wiedereingliederung zu schaffen, die dem Verlust an Qualifikation perspektivische Alternativen, aber nicht Ernteeinsätze entgegensetzen. Wenn diese Verantwortung von der Bundesregierung nicht wahrgenommen wird, dann kann man dies doch nicht den einzelnen Erwerbslosen anlasten und ihnen die Schuld in die Schuhe schieben.
Annelle Buntenbach
Sie setzen einen solchen Affront gegen die Erwerbslosen in die Welt, Herr Blüm, und wissen noch nicht einmal, wie dieses absurde Verfahren der Marktwertbestimmung überhaupt funktionieren soll. Wir haben uns erlaubt, dazu eine Anfrage an die Bundesregierung zu stellen, nämlich: Nach welchen Kriterien sollen die Arbeitsämter künftig entscheiden, welches Gehalt der Erwerbslose auf dem Arbeitsmarkt noch erzielen könnte und wieviel Prozent dieses fiktiven Nettogehaltes dann künftig als Arbeitslosenhilfe ausgezahlt werden? Die prosaische Antwort vom August 1995: Die Prüfung, welche Vorschriften geschaffen werden sollen, ist noch nicht abgeschlossen. - Diese Vorschriften sollten Sie sich besser ganz sparen und Ihre sogenannte Arbeitslosenhilfereform schnellstens wieder einstampfen, bevor Sie damit noch mehr Schaden anrichten.
Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, unterstellen den Menschen, die keinen Arbeitsplatz haben, immer wieder, sie wollten nicht arbeiten.
- Das ist die Unterstellung, die genau aus diesen Kontrollen und Zwangsmechanismen hervorgeht, die Sie einrichten.
Faktum ist, daß die Menschen nicht arbeiten können. Diese tragische Tatsache kann angesichts von 6 Millionen fehlenden Arbeitsplätzen niemand vom Tisch wischen. Dagegen helfen keine Kürzungen, keine noch so scharfen Kontrollen und Zwangsmaßnahmen gegen die Betroffenen.
Es sind nicht die Betroffenen, die schuld sind und ihr Verhalten ändern müssen. An allererster Stelle ist es diese Regierung. Wo bleiben denn Ihr Angebot an Arbeitsplätzen und Ihre aktive Arbeitsmarktpolitik? Es erwartet bestimmt niemand, daß Sie Millionen von Arbeitsplätzen aus dem Ärmel schütteln. Ich erwarte aber, daß Sie ein klares Signal für ein echtes Bemühen setzen. Genau davon kann ich in diesem Haushaltsentwurf nichts erkennen; im Gegenteil.
Der Bundeszuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit ist auf null gesetzt. Das trifft ausschließlich die aktive Arbeitsmarktpolitik, die von dort gemacht werden könnte. Den Pflichtausgaben, die sich unmittelbar aus der Arbeitslosenversicherung ergeben, muß die Bundesanstalt auf jeden Fall nachkommen.
Sie nehmen den Arbeitsämtern mit all den Kontroll- und Zwangsmaßnahmen jede Luft zum Atmen und jeden Hauch einer Chance, in den Regionen überhaupt eine neue Dynamik in die Arbeitsmarktpolitik zu bringen. Wenn Sie dieses Durchstylen einer Behörde - vielleicht bleibe ich besser bei der Bezeichnung Anstalt - auf puren Zwangscharakter für ein Modellprojekt der Reform des öffentlichen Dienstes und einen Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung halten, dann gute Nacht.
Einen Teil der Arbeitslosenhilfebezieher wollen Sie künftig direkt an die Sozialhilfe durchreichen. Dann können die Kommunen sehen, wie sie mit dem Problem umgehen. Natürlich kann man beim Bund Kosten sparen, indem man nicht das Problem angeht, sondern die Kostenstellen zu Lasten der Betroffenen hin- und herschiebt. Darin haben Sie große Übung: vom Bund an die Bundesanstalt, an Land oder Kommune und wieder zurück.
Herr Seehofer will, daß die Kommunen 600 000 Sozialhilfeberechtigte in Lohn und Brot bringen. Auch wir wollen, daß Sozialhilfeberechtigte stärker in aktive Arbeitsmarktpolitik einbezogen werden. Aber wie sollen ausgerechnet die ausgebluteten Kommunen das leisten können? Geld oder organisatorische Möglichkeiten werden vom Bund nicht mitgeliefert, geschweige denn irgendwelche vernünftigen Konzepte. Ein solches Vorgehen, von dem von vornherein alle wissen, daß es überhaupt nicht funktionieren kann, ist einfach unredlich.
Eine Sozialstaatsreform ist nötig, Herr Blüm; das ist gar keine Frage. Die Frage ist aber, in welche Richtung diese Änderungen gehen sollen. Wir wollen solidarische Lösungen, die Sozialversicherungssysteme armutsfest machen, Erwerbsarbeit solidarisch umverteilen, Frauen gleichberechtigt einbeziehen und besser absichern.
Was Sie Sozialstaatsreform nennen, ist nichts anderes als die weitere Durchlöcherung sozialer Absicherung, und das auf der ganzen Linie. Ihre Maßnahmen - Bundessozialhilfegesetz, Ausländerleistungsgesetz, Arbeitslosenhilfe, Arbeitsförderungsgesetz - zeigen doch ganz klar, wohin Sie wollen. Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, setzen offensichtlich auf Deregulierung, auf Ausweitung des Billiglohnsektors, auf Senkung der sozialen Mindeststandards. Die Schutzrechte und Regeln, die in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen erkämpft worden sind, scheinen Ihnen nur Hindernisse im Fluß der freien Marktwirtschaft zu sein, die die Probleme von selbst am besten lösen würde, wenn sie sich so frei entfalten könnte wie z. B. in Amerika.
Eine solche Lösung - das können Sie sich in Amerika anschauen - macht die Gesellschaft zu einem sozialen Pulverfaß. Sie beruht auf einem immensen Reichtums- und Privilegiengefälle, zwingt Arme ohne soziale Absicherung, jede Arbeit unter jeder Bedingung anzunehmen, sich bei den Reichen um jeden Preis zu verdingen und da all die Aufgaben zu erfüllen, die an Dienstleistungen nicht mehr öffentlich organisiert werden.
In den privaten Haushalten, die es sich leisten können, gibt es bei Kinderbetreuung und Hausarbeit zu Billiglöhnen endlich die neuen Arbeitsplätze, von denen Sie hier immer schwärmen. Die hätten, finde ich, besser in das vorige Jahrhundert gepaßt.
Sozialstaat ist der Versuch des Schutzes vor den härtesten Ungerechtigkeiten bei der Verteilung von Arbeit und Einkommen, bei der Existenzsicherheit, wie der Markt sie zwangsläufig mit sich bringt.
Armelle Buntenbach
Das jedenfalls war die Haltung der Väter der Sozialen Marktwirtschaft. An deren Konzepten läßt sich viel begründete Kritik anbringen, aber nicht an der Grunderkenntnis, daß die menschenverachtenden Tendenzen des Marktes durch politische Steuerung konterkariert werden müssen.
Von dieser Grunderkenntnis rückt die Bundesregierung immer weiter ab. Das können auch Ihre großen Worte, Herr Blüm, nicht zudecken. Das Ergebnis ist: keine Verbesserung des Angebots an Arbeitsplätzen, die dringend nötig wäre, sondern Entmutigung. Die schlechte Lage der von Ausgrenzung Betroffenen wird noch mehr verschlechtert. Sie werden weiter verunsichert, als Sündenböcke diffamiert und gedemütigt, ohne Perspektive draußen stehengelassen.
Die Botschaft dieser Politik für die Gesellschaft ist verheerend. Es werden Strukturen geschaffen, die das Auseinanderdriften der Gesellschaft beschleunigen und die soziale Ausgrenzung eines großen Teils dieser Gesellschaft zementieren. Es entsteht ein immenses gesellschaftliches Konfliktpotential, und Sie steuern uns in eine Zerreißprobe.
Patentrezepte gegen Massenerwerbslosigkeit hat in diesem Hause niemand.
Sie müssen zum Schluß kommen, Frau Kollegin.
Aber es gibt eine ganze Reihe vernünftiger Vorschläge. Von all diesen Vorschlägen findet sich in diesem Haushaltsentwurf nichts wieder. Das mindeste wäre doch, daß angesichts von Millionen von Erwerbslosen von diesem Haus deutliche Signale ausgingen, die ein ernsthaftes Bemühen für eine solidarische Lösung deutlich machen und nicht die Ausgrenzung verschärften und Betroffene diffamieren.
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich höre mehrfach in Reden, Fragen und Zurufen gerade in dieser Debatte immer wieder Worte wie Quatsch und Unsinn. Ich möchte dazu sagen: Das sind weder parlamentarische Ausdrücke, noch sind sie überzeugend. Ich wäre dankbar, wenn wir uns auf die normalen Debattenbeiträge beschränkten.
Ich erteile der Kollegin Dr. Gisela Babel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung bleibt mit der Rekordhöhe von 26 % des gesamten Haushalts der mit Abstand größte Einzelplan. Er umfaßt 118 Milliarden DM und verzeichnet einen Rückgang von 10 Milliarden DM.
Er gibt damit ein Signal für den festen Willen der Koalition und der Regierung, die Staatsausgaben zurückzuführen. Ich begrüße diese in Taten und nicht nur in Worten nachweisbare feste Absicht und sehe im Gegensatz zur Opposition darin auch nicht den Beweis eines Kahlschlags im Wald der sozialen Leistungen.
Im Gegenteil: Wer mit geeigneten und verantwortbaren Mitteln dafür sorgt, daß heute und morgen die sozialen Netze halten, der handelt sozial, und nicht derjenige, der in diese Sozialnetze immer mehr und neue Lasten hineinverlagert.
In einer Haushaltsdebatte sprechen wir nicht nur von Zahlen, sondern immer auch von den davon betroffenen und damit bedachten Menschen.
Diese Maßnahmen sind als Hilfe gedacht. Wir müssen fragen: Erreichen sie diese Hilfe? Wirken sie?
Die Zahl von 3,5 Millionen Arbeitslosen ist bedrükkend hoch. Den Menschen, die vom Arbeitsmarkt nicht aufgenommen werden können, sind jene hinzuzurechnen, die durch Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit in Qualifikations- und AB-Maßnahmen beschäftigt sind und vielleicht eine Perspektive bekommen, aber dennoch weder reguläre Arbeitsplätze besetzen noch an der Wertschöpfung teilnehmen. Das sind zusätzlich 800 000 Menschen. Zu Recht machen sich die Sozialpolitiker Sorgen, wie die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt verläuft.
Lichtzeichen gibt es schon, etwa der Rückgang der Kurzarbeit - er ist immer ein Indikator für künftige Besserungen - und der Rückgang der Arbeitslosigkeit von 9,4 auf 9,3 %. Aber schon daran sehen wir, und das ist heute die allgemeine Einschätzung, daß auch mit einem Konjunkturaufschwung und einem Wirtschaftswachstum die Arbeitslosigkeit nicht im erhofften Maße beseitigt wird.
An diesem Punkt trennen sich die Wege von Opposition und Regierung. So sind die sinnvollen Änderungen z. B. bei der Arbeitslosenhilfe ein erneuter Versuch, an diesem Versorgungssystem etwas zu ändern. Aber da gibt es heftige Ablehnung durch die Opposition. Über die Vorschläge kann man diskutieren.
Eines steht fest: Die unbegrenzte Arbeitslosenhilfe in Deutschland unterscheidet uns von allen anderen Industriestaaten um uns herum, und sie stehen mit uns im Wettbewerb. Sie führt dazu, daß wir ein aufwendiges Doppelsystem zweier Fürsorgearten nebeneinander erhalten. Das ist dringend zu ändern. Denn die Arbeitsämter sollen nicht Sozialämter werden und die gesamte Problematik des Mißbrauchs aufgehalst bekommen. Bei den meisten Versicherten herrscht der Eindruck, daß die Arbeitslosenhilfe eine Art zweiter und etwas gesenkter Versicherungsanspruch ist, den sie sich auf Grund ihrer Beiträge erworben haben. Aber sie ist eine Fürsorge- und Unterhaltsleistung des Bundes, die er allein und auf Dauer bezahlt.
Dr. Gisela Babel
Allerdings - ich stimme Frau Buntenbach zu - kommt massiver Widerstand von den Sozialhilfeträgern. Ich kann diesen Widerstand verstehen. Aber Reformen sollten nicht deswegen unterbleiben, weil wir in der Finanzierungsfrage keine Einigung erreichen. Es muß natürlich eine Ausgleichsmöglichkeit geben. Die dafür ins Auge gefaßten und vom Herrn Gesundheitsminister Seehofer verfolgten Anderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes sind aber dazu insgesamt ungeeignet.
Bürgerkriegsflüchtlinge dürfen gerade nicht Asylbewerbern gleichgesetzt werden, und ihre Versorgung darf nicht gesenkt werden. Die F.D.P. - ich sage das hier deutlich - stimmt dem nicht zu. Im übrigen helfen solche Maßnahmen auch gar nicht überall, denn nicht überall gibt es Bürgerkriegsflüchtlinge, bei denen die gesenkten Kosten für einen Ausgleich sorgen können.
Dagegen unterstützt die F.D.P. den Bundesarbeitsminister bei seinen Vorschlägen, Arbeitslose auch zu solchen Arbeiten heranzuziehen, für die es sonst nur ausländische Saisonarbeiter gibt. Es ist in der Tat nicht einzusehen, daß wir die Arbeit, die wir unter dem Aspekt der Zumutbarkeit als für Deutsche ungeeignet ansehen, nur Ausländern vorbehalten.
Wer aber nun die Frage aufwirft, ob eine zeitliche Begrenzung der Arbeitslosenhilfe oder die in der Tat notwendige Veränderung bei der Zumutbarkeit von angebotener Arbeit oder Trainingsmaßnahmen von Arbeitslosen, damit sie in den Arbeitsmarkt zurückfinden und wieder Fuß fassen können, ausreichen, um das große Problem der Arbeitslosigkeit zu lösen, dem würde ich antworten: Nein, es reicht nicht aus. Auch die Opposition teilt diese Meinung.
Der Fraktionsvorsitzende der SPD schlägt nun wieder das alte Arbeits- und Strukturförderungsgesetz, das die SPD schon in der letzten Legislaturperiode und jetzt wieder einbrachte, mit dem Rechtsanspruch auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vor. Wir wissen, was das heißt. Das ist der Drehtüreffekt Arbeitslosengeld, AB-Maßnahme, Arbeitslosengeld. Meine Damen und Herren, das kennen wir Sozialpolitiker alle sehr gut.
Manche Passagen seiner Rede lassen vermuten, der Fraktionsvorsitzende der SPD sei Mitglied oder des öfteren Gast des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung. Aber eines fehlt: die Erkenntnisse, die in den Anhörungen zu diesem Gesetzentwurf zutage traten, gewonnen von Experten der Wissenschaft und Wirtschaft. Es wäre vielleicht ein guter Vorschlag einer Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahme für den SPD-Fraktionsvorsitzenden, daß er einmal in diese Anhörungen kommt, um kritische und neutrale Stimmen zu dem, was Sie da vorschlagen, zu hören.
Das Urteil war vernichtend: Eine Ausdehnung der aktiven Arbeitsmarktpolitik - die ja auch bezahlt werden muß - könne das Problem wegfallender, durch Tarifverträge wegrationalisierter Arbeitsplätze eben nicht lösen.
Meine Damen und Herren, wir mögen es drehen und wenden, wie wir wollen, wir kommen um die ernsthafte Reform zur Senkung der Arbeitskosten nicht herum. Es nützt nichts, wenn in der Offentlichkeit die Brisanz der Lage vernebelt und die vielleicht notwendigen, wenn auch schwer vertretbaren Maßnahmen und Einschnitte bei der Senkung von Lohnnebenkosten durch das Zauberwort „versicherungsfremde Leistungen" hinweggeredet werden.
Es nützt nichts, wenn Herr Dreßler - hier und heute wieder - die falsche Finanzierung der deutschen Einheit durch die Sozialversicherung anprangert und glaubt, sich damit glücklich über die Runden zu bringen. Wir haben gar keinen Dissens in der Bewertung. Aber es geht doch darum, daß wir für die Zukunft die richtigen, vertretbaren Maßnahmen treffen. Darüber täuschen Sie hinweg. Sie glauben, daß, wenn Sie als Sozialpolitiker hier einen Vorschlag machen, die Finanzpolitiker es schon richten werden. Die Finanzpolitiker aber sagen, daß es sich um Maßnahmen handelt, die aufkommensneutral sind und die Steuerzahler nicht belasten. Sie jedoch wollen zusätzliche Kosten in Milliardenhöhe schaffen.
In Deutschland sind die Kosten pro Arbeitsstunde am höchsten und ist die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden am niedrigsten. Deutsche Unternehmen investieren im Ausland. Auch in Zukunft gehen Arbeitsplätze auf Grund ungünstiger Standortfaktoren verloren. Dazu gehören nicht nur die Kosten - das will ich zugeben -, dazu gehören auch andere Dinge. Ich meine nicht zuletzt die Genehmigungsverfahren, die wir uns leisten. Das ist abenteuerlich. Auch dadurch gehen Arbeitsplätze sicherlich verloren.
Noch dramatischer aber wird es - den Hinweis darauf habe ich in all Ihren Ausführungen vermißt -, wenn man sich vor Augen hält, wie stark in allen Sozialversicherungen der Kostendruck ist und wie die Beitragszahlen in der Zeit steigen, in der wir hier sitzen, zuschauen und glauben, daß uns der Steuerzahler die Probleme von den Schultern nimmt.
Meine Damen und Herren, ich fordere eine gemeinsame Anstrengung von Tarifparteien, Unternehmen und dem Gesetzgeber, in dieser Legislaturperiode Lohnnebenkosten zu senken.
Nehmen wir uns doch einmal eine Zielgröße vor. Sagen wir doch einmal: Wir streben an, insgesamt 5 % zu senken. Jeder trägt seinen Part; der Gesetzgeber vielleicht in der Größenordnung von 2,5 %. Was hieße das? Um das zu erreichen, werden wir in der Tat alle Kostenfaktoren untersuchen müssen. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird dabei sein.
Die allgemeine, allumfassende und gleichtönende Entrüstung über meinen Vorschlag einer zwanzig-
Dr. Gisela Babel
prozentigen Lohnkürzung im Krankheitsfall zeigt eines überdeutlich:
Es gehört heute Mut dazu, Einschnitte im sozialen Bereich zu vertreten. Es bedarf noch mühseliger Überzeugungsarbeit, eine Bereitschaft hierfür herzustellen.
Frau Kollegin Dr. Babel, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich komme jetzt gleich zum Schluß.
Ich möchte das noch gerne ausführen.
Wir müssen uns doch darüber klar sein: Wer möchte, daß Arbeitsplätze in Deutschland bleiben, der muß sich doch wirklich einmal fragen: Ist es nicht annehmbarer, daß wir die Lohnersatzleistungen in einer Größenordnung von 10 oder 20 % in einem begrenzten Zeitraum senken, wenn das dazu führt, daß jemand nicht von 100 % Lohn auf 60 % Arbeitslosengeld herunterfällt? Das ist die Alternative, über die wir uns im klaren sein müssen.
Verantwortlich handeln wir im sozialen Feld - ich sagte das zu Beginn -, wenn wir zur Sicherung der sozialen Netze und zur Lösung der Arbeitslosigkeit die Arbeitskosten senken.
Wir sagen dem Bundesarbeitsminister unsere Unterstützung beim Einzelplan 11 zu.
Ich bedanke mich.
Ich erteile dem Kollegen Manfred Müller das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst auf den Beitrag von Frau Dr. Babel eingehen. Ich habe volles Verständnis dafür, daß die Konservativen versuchen, den arbeitenden Menschen weiter das Geld aus der Tasche zu ziehen.
- Ja, was ist denn das anderes, wenn man 10 bis 20% dessen kürzt, was dem arbeitenden Menschen nach Tarifvertrag und nach Gesetz zusteht? Was ist denn das wohl anderes?
Ich habe aber kein Verständnis dafür, wenn hier die arbeitenden Menschen in den Betrieben pauschal zu Drückebergern gemacht werden und damit die Begründung für derartige Maßnahmen geschaffen werden soll, obwohl wir doch alle wissen, daß nur noch weniger als die Hälfte der erwerbstätigen Menschen auf Grund der gesundmachenden Arbeit in den Betrieben das ordentliche Rentenalter erreicht? Woran liegt denn das wohl?
Woran liegt es, daß mehr als die Hälfte der Menschen erwerbs- oder berufsunfähig werden und vorzeitig in die Rente geschickt werden? Weil die Arbeitsbedingungen in den Betrieben so gesund sind?
Es hat noch niemand ausgerechnet, was es kostet, wenn die Menschen aus Angst nicht rechtzeitig zum Arzt gehen, und welche gesellschaftlichen Folgekosten entstehen, wenn sie Krankheiten verschleppen, weil sie befürchten müssen: Wer zum Arzt geht, wird als erster gefeuert. Das ist Ergebnis Ihrer Polemik gegen die arbeitenden Menschen in unserem Land.
Herr Abgeordneter Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich?
Aber gerne. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte.
Herr Kollege Müller, könnten Sie sich bitte bereiterklären, dem Hohen Hause darzustellen, wie die Lohnfortzahlung früher in der DDR war? Könnten Sie, bevor Sie sich hier so aufregen und sich in dieser Art und Weise parlamentarisch aufführen, uns vielleicht einmal sagen, wie Ihre Leitgedanken früherer Geschichte waren?
Ich möchte gerne zur Sache reden. Aber meine Aufgeregtheit bitte ich Sie zu verstehen, weil ich weiß, was für Arbeitsbedingungen in den Betrieben inzwischen auch im Angestelltenbereich herrschen, und weil ich darüber empört bin, daß diejenigen, die zum Arzt gehen, hier pauschal verunglimpft werden mit der Behauptung, sie schützten Kopfschmerzen vor, die gar nicht vorhanden sind, die der Arzt aber nicht widerlegen kann, und erschlichen sich so quasi die Lohnfortzahlung.
Manfred Müller
Zur Aufnahme der DDR in die Bundesrepublik: Wir haben den Menschen in der DDR gesagt, welche Arbeitsbedingungen bei uns herrschen. Dazu gehörte die Lohnfortzahlung.
Es geht jetzt nicht darum, das alles zurückzudrehen, nachdem wir sie letztlich für unser System gewonnen haben. Zu unserem System gehörte die von den Gewerkschaften durchgesetzte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Das ist ein ganz entscheidender sozialpolitischer Fortschritt, den Gewerkschaften erkämpft haben und den der Gesetzgeber dann nachvollzogen hat.
Sie wissen doch, daß Sie den sozialen Frieden gefährden, wenn Sie die Gewerkschaften zwingen, jetzt wiederum wochenlange Arbeitskämpfe durchzuführen, um den Besitzstand zu verteidigen.
Lassen Sie mich noch einmal kurz auf den Haushaltsentwurf eingehen. Er ist sicher ein geradezu historisches Dokument, ein Dokument, das konsequent mutig und ohne Umschweife die Politik der Bundesregierung auf den Punkt bringt.
Nirgendwo wird dies deutlicher als im Einzelplan des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Dieser Einzelplan dokumentiert eine historische Wende bundesdeutscher Politik. Er setzt einen Schlußstrich unter das Gerede vom Umbau des Sozialstaats. Von nun an, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird konsequent abgebaut.
Nachdem vor fünf Jahren die DDR abgewickelt wurde, befreit sich die Bundesregierung jetzt von den Altlasten des Sozialstaates und kürzt nicht nur einfach hier und da etwas im Einzelplan 11, sondern versieht eine ganze Titelgruppe, wie den Zuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit, mit einem mageren Gedankenstrich.
Ich bringe großes Verständnis dafür auf, daß der Finanzminister stolz ist, als erster Finanzminister in der Geschichte der Bundesrepublik mit einem Entwurf vor die Offentlichkeit zu treten, der nicht steigende, sondern sinkende Sozialausgaben aufweist. Aber das eigentliche Verdienst kommt nicht dem Finanzminister zu, sondern dem Kollegen Norbert Blüm.
Es ist nur deshalb gelungen, das Volumen des eingebrachten Etatentwurfs unter das des Vorjahres zu drücken, weil der Etat des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung nicht nur dafür herhalten muß, die Einsparquote von Minus 1,3 % zu erwirtschaften, sondern auch noch die Mehrausgaben der anderen Ressorts zu finanzieren.
Angesichts schon jahrzehntelang anhaltender Massenarbeitslosigkeit und zunehmender Armut kürzen Sie den Sozialetat um 7,8 %. Kein anderes Feld der Politik bringt solche Opfer wie der Sozialetat. Im Gegenteil: Von den 25 Einzelplänen verzeichnen 16 sogar Mehrausgaben, die sich alle aus den Einsparungen für Arbeitsmarkt und Sozialpolitik finanzieren.
Ihr christliches Gewissen schlägt Purzelbäume, weil das Bundesverfassungsgericht Klassenräume ohne Kruzifix sich vorstellen - nicht vorschreiben, sondern sich vorstellen - kann. Wo, meine Damen und Herren der Regierungskoalition, bleibt eigentlich Ihr Gewissen, wenn der Bundesminister für Finanzen einen Etat vorlegt, in dem die Sozialausgaben um fast 8 % sinken und die Ausgaben des Wirtschaftsministers um 50 % steigen?
Wo bleibt Ihre christliche Überzeugung, wenn sich die Erhöhung der Militärausgaben aus dem Abbau der Sozialausgaben speist? Haben Sie die Armutsberichte der Kirchen nicht gelesen? Oder vertrauen Sie darauf, daß niemand merkt, was Sie in diesem Land anrichten? Sie brechen den Sozialstaat ab, während ihn immer mehr Menschen brauchen. Sie reden von der Senkung der Staatsquote. Das einzige, was dabei herauskommt, ist eine Reduzierung der Sozialausgaben.
Nun gut, Sie werden Ihr Gewissen damit beruhigen, daß die erhoffte wirtschaftliche Entwicklung es rechtfertigt, den Sozialstaat auf ein solch beispielloses Niveau zu reduzieren. Woher nehmen Sie Ihre Gewißheit? Was veranlaßt Sie, die Ausgaben für Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz sage und schreibe um 34,2 % zu kürzen?
- Das sind Ihre Zahlen, die vorgelegt worden sind.
Der Finanzbericht des Herrn Ministers Waigel verrät es: Da wird doch tatsächlich für die nächsten Jahre eine durchschnittliche Zunahme des Bruttoinlandsprodukts von nominal 5,5 % jährlich angenommen. Lesen Sie denn keine Zeitungen? Ist Ihnen entgangen, daß selbst ein Ihnen nahestehendes Institut wie das Ifo-Institut schon für dieses Jahr Ihre angenommene Wachstumsrate um ein Sechstel nach unten korrigiert hat
und alle Institute von einer Abkühlung der Konjunktur sprechen?
Man könnte Ihre Argumentation in vornehmer Zurückhaltung unseriös nennen. Aber es ist schlimmer. Ihr Optimismus nährt sich nicht aus Wachstumsillusionen, sondern aus der handfesten Gewißheit, daß Sie mit diesem Haushaltsentwurf den Einstieg in den endgültigen Ausstieg aus dem Sozialstaat einleiten.
Danke schön.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Ottmar Schreiner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir seit heute morgen 9 Uhr die wirtschafts- und sozialpolitische Debatte angehört. Wenn man das zusammenfassen will, muß man sagen: Die Kümmerlichkeit der Argumente der Koalition in beiden Debattenteilen läßt den Eindruck entstehen, daß sich die Koalition in dem Zustand befindet, den Sie von der SPD vermuten.
Das war eine kärgliche und kümmerliche Debatte! Zu keinem der zentralen Themen ist wirklich ein ernsthafter Vorschlag gemacht worden.
Ich will Ihnen das an Hand von drei, vier wichtigen Beispielen zu belegen versuchen.
Von seiten der Koalition ist immer wieder vorgetragen worden, wesentlich beim Bundeshaushalt sei die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Sie haben bis zur Stunde nicht ein einziges Beispiel gebracht, dem man entnehmen könnte, daß der Bundeshaushalt eine beschäftigungspolitische Orientierung hätte. Nichts hat er. Das Gegenteil ist der Fall.
Selbst beim Haushalt des Bundesarbeitsministeriums wird jetzt als Ziel die Streichung des Bundeszuschusses zur Finanzierung der Bundesanstalt für Arbeit angegeben. Präsident Jagoda von der Bundesanstalt hat vor zwei Tagen schriftlich erklärt, daß wir jetzt ungefähr den gleichen Arbeitslosenstand wie vor etwa einem Jahr haben. Er hat dazugesagt, das sei darauf zurückzuführen, daß die aktive Arbeitsmarktpolitik massiv nach unten gefahren worden sei.
Wenn Sie den Bundeszuschuß auf null fahren, heißt das im Klartext: Die Bundesregierung versucht sich aus Resten der Mitverantwortung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit herauszustehlen. Das ist die Wahrheit.
Sie haben nicht nur keinen Beitrag, sondern Sie versuchen, jede Mitverantwortung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit abzulehnen.
Zweiter Punkt: Umbau des Sozialstaats. Ich habe während des gesamten Vormittags nicht einen einzigen ernstzunehmenden Vorschlag aus den Reihen der Koalition gehört. Sie haben eine ganze Fülle von Vorschlägen gemacht, die aber nichts anderes sind als reaktionärer Abbau von sozialstaatlichen Leistungen. Das hat mit Umbau überhaupt nichts zu tun.
Ich will Ihnen drei Beispiele nennen. Wenn sich die Koalitionsredner wie den gesamten Vormittag lang über die. hohen Arbeitskosten beklagen und sagen,
die hohen Arbeitskosten seien ein wesentliches Beschäftigungshemmnis, dann ist das nichts anderes - ich sage das in aller Freundschaft - als pure Heuchelei.
Auch das werde ich Ihnen belegen.
Sie haben seit dem Frühjahr 1991 - Herr Kollege Dreßler und andere haben darauf hingewiesen - die deutsche Einheit wesentlich über eine massive Erhöhung der Lohnnebenkosten und der Beiträge in die Systeme der sozialen Sicherung mitfinanziert. Damit haben Sie den Faktor Arbeit erheblich verteuert. Wenn Sie wirklich ernsthaft der Meinung wären, die hohen Kosten des Faktors Arbeit seien das zentrale Beschäftigungshindernis, dann müßten Sie morgen früh eine Gesetzesinitiative einleiten und diese Finanzierungsanteile aus den Systemen der sozialen Sicherung herausführen und zum Gegenstand einer Bundeshaushaltsfinanzierung machen. Das wäre die zwingende Logik Ihrer eigenen Argumentation.
Nun sagt der Bundesarbeitsminister, er schlage einen Stufenplan vor. Der Bundesarbeitsminister schlägt schon seit Jahren Stufenpläne vor.
- Meine Güte, welche Kraft haben Sie eigentlich noch in der Koalition? Wem schlagen Sie das eigentlich vor? Das verhält sich ähnlich wie der Vorschlag des Kollegen Schäuble zu einer ökologisch-sozialen Steuerreform, auf den ich gleich zurückkomme. Das hat heute morgen der Vorsitzende der F.D.P.-Fraktion zum erstenmal im Rahmen einer langen Unterweisung durch die Kollegin Fuchs zur Kenntnis nehmen müssen.
Allmählich ist es rätselhaft, was Sie überhaupt in Koalitionsgesprächen bereden. Dort verhält es sich offenkundig so, wie im Neuen Testament bei Matthäus beschrieben:
Die einen redeten so, die anderen redeten anders, und am Ende wußte niemand mehr, weshalb sie zusammengetreten waren. - Das scheint Ihre Koalitionsthematik zu sein.
Herr Kollege Schreiner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Blüm?
Ja.
Herr Kollege Schreiner, darf ich Sie noch einmal daran erinnern, daß wir die milliardenschweren Ausgaben für die Aussiedler von den Beitragszahlern weggenommen und den Steuerzahlern zugeordnet haben und daß Sie dagegen gestimmt haben, daß das Nachholen des Hauptschulabschlusses nicht mit Beitragsgeldern, sondern
Dr. Norbert Blüm
mit Steuergeldern bezahlt werden soll? Können Sie zustimmen, daß wir also nicht mit fernen Stufenplänen beginnen, sondern das Programm schon begonnen haben? - Das war eine Frage für Ihr Gedächtnis.
Herr Abgeordneter Blüm, ich stimme Ihnen dann zu, wenn Sie mir ebenfalls zustimmen, daß es einen Unterschied zwischen einem kleinen und einem großen Fehler gibt. Es mag sein, daß es ein kleiner Fehler war, bestimmte Aspekte öffentlicher Aufgaben über die Sozialversicherung zu finanzieren. Das ist aber vom Volumen her überhaupt kein Vergleich mit beispielsweise den annähernd 50 Milliarden DM - das entspricht 3,5 Beitragspunkten der sozialen Sicherungssysteme -, mit denen Sie die deutsche Einheit fälschlicherweise über eine Belastung der sozialen Sicherungssysteme finanzieren.
Sie sind doch der größte Mathematikus: Stimmen Sie zu, daß es einen Unterschied zwischen klein und groß gibt! Wenn Sie also einen Umbau wollten, hätten Sie hier Gelegenheit, die falsche Weichenstellung zu korrigieren.
Der zweite Punkt: Ich erinnere an das, was die Kollegin Fuchs heute morgen vorgetragen hat. Der Grundansatz ist vom Vorsitzenden der CDU/CSU-
Fraktion im vorigen Jahr in einem schriftlichen Beitrag formuliert worden, aber in der Koalition nicht durchsetzungsfähig zu machen. Ich darf Herrn Schäuble zitieren:
Gegenwärtig wird durch unser Steuer- und Abgabensystem entgegen aller ökonomischen Vernunft das besonders teuer gemacht, wovon wir gegenwärtig im Überfluß haben, nämlich Arbeit. Dagegen ist das, woran wir - zumal unter globalen Gesichtspunkten - eigentlich sparen müßten und dessen Knappheit uns immer deutlicher vor Augen tritt in einem Zeitalter, in dem bei jeder Entscheidung auch ökologische Gesichtspunkte eine Rolle spielen müssen, viel billiger: Energie und Rohstoffe. Ökonomisch wie ökologisch sinnvoller wäre es, im Mix der Produktionsfaktoren menschliche Arbeit billiger zu machen und im Gegensatz dazu den Verbrauch von Rohstoffen und Energie zu verteuern.
Genau das ist der Kerninhalt der SPD-Initiative für eine ökologisch-soziale Steuerreform, die wir Ihnen in absehbarer Zeit hier im Parlament präsentieren werden.
Wenn Sie in die Vergangenheit schauen, wissen Sie, daß in Deutschland in dem Zeitraum von 1970 bis 1993 die Belastung des Faktors Arbeit mit Lohnsteuer und Sozialabgaben drastisch, nämlich um mehr als 40 %, erhöht worden ist, während in denselben 23 Jahren der ohnehin geringe Steueranteil des Faktors Natur um 22 % zurückging. Das wäre ein, wie ich denke, aus ökologischen, beschäftigungspolitischen und sozialen Gründen sinnvolles Projekt zum Umbau des Sozialstaates und zur Erreichung dessen, was wir als umweltverträgliches, ökologisches Wirtschaften bezeichnen.
Da werden Sie gefordert sein. Da reicht es nicht, wenn der Fraktionsvorsitzende der F.D.P. in dieser Debatte so tut, als habe er zum allerersten Mal von den Problemen und den denkbaren Lösungsansätzen gehört. In den zentralen inhaltlichen Fragen sind Sie nicht nur knapp, sondern sehr weit hinter dem Mond.
Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen. Meine Damen und Herren, wenn wir über Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik reden, dann müssen Sie auch bereit sein, mit uns über die dramatisch wachsende Problematik im Bereich nach Deutschland importierter Billigstlöhne zu reden.
Oder anders herum: Es geht um Lohndumping, um Stundenlöhne von vier, fünf oder sechs Mark, mit denen einheimische Arbeitskräfte nicht mehr konkurrieren können.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung läßt bis zur Stunde zu, daß Hunderttausende Arbeitnehmer aus Ländern der Europäischen Union in Deutschland zu Spottlöhnen und ohne irgendeinen Pfennig Beiträge in die sozialen Sicherungssysteme zu zahlen einheimische Arbeitskräfte verdrängen und arbeitslos werden lassen.
Das ist in einem vierfachen Sinne hochproblematisch: Die Arbeitslosigkeit in Deutschland steigt weiter massiv an. Die Sozialsysteme werden mittelfristig finanziell auf Grund fehlender Beiträge ausgetrocknet. Die Ausländerfeindlichkeit nimmt auf Grund dieser unkontrollierten Verdrängungsprozesse zu, und der europäische Gedanke wird bei der deutschen Arbeitnehmerschaft in hohem Maße diskreditiert.
Meine Damen und Herren, bis zur Stunde waren Sie nicht in der Lage, eine angemessene nationale Antwort auf diese Probleme zu finden, nachdem die Bemühungen auf europäischer Ebene gescheitert waren.
Ohne klare Regelung werden aus den bislang hunderttausendfachen Verdrängungsprozessen spätestens dann millionenfache Verdrängungsprozesse, wenn - wie der Bundeskanzler sympathischerweise erklärt - in einigen Jahren Polen und anderen mitteleuropäischen Ländern die Mitarbeit in der Europäischen Union ermöglicht werden soll. Wie wollen Sie denn mit diesen millionenfachen Verdrängungsprozessen auf den einheimischen Arbeitsmärkten auf Grund von Lohndumpingangeboten von vier oder fünf Mark die Stunde spätestens dann überhaupt noch umgehen?
Ottmar Schreiner
Das, was Sie vorgelegt haben, was Sie in der nächsten Zeit dem Parlament präsentieren wollen, ist eine kümmerliche Antwort angesichts der Größe des Problems. Wir werden Sie mit einem eigenen Gesetzentwurf konfrontieren, von dem ich annehme, daß er halbwegs in der Lage ist, eine angemessene Antwort auf die angesprochenen Probleme darzustellen.
Meine Damen und Herren, noch eine Bemerkung zur Forderung der F.D.P., den Solidarzuschlag möglichst rasch abzuschaffen. Ich hätte mir gewünscht, daß die F.D.P. gerade in bezug auf Arbeitskosten sich nicht nur Gedanken über die Abschaffung des Solidarzuschlages macht, sondern auch über die Frage, ob nicht gerade die unerträglich hohe Belastung der Arbeitnehmerschaft - ich habe darauf hingewiesen - in einem doppelten Sinne ungerecht ist und einen Quasi-Solidarzuschlag darstellt, an dem wir alle, wie wir hier sitzen, nicht beteiligt sind.
Ich glaube, daß die ökonomisch-soziale Debatte des heutigen Vormittags gezeigt hat, daß die Koalition in den zentralen wirtschafts- und sozialpolitischen Handlungsfeldern ohne angemessene Antworten dasteht. Ich denke, es hat sich auch gezeigt, daß die sozialdemokratische Fraktion hier sehr wohl in der Lage war, in einer Reihe von Punkten - Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Umbau des Sozialstaates - angemessene Antworten zu geben.
Sie sind mit denjenigen zu vergleichen, von denen der berühmte Philosoph Hiller einmal gesagt hat: Das Gesäß ist kein zureichender Ersatz für den Kopf.
Schönen Dank.
Ich erteile das Wort der Kollegin Gerda Hasselfeldt.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach diesem lautstark vorgetragenen Horrorszenario scheint es mir doch angebracht, darauf hinzuweisen, daß unsere sozialen Sicherungssysteme, flankiert von den staatlichen Sozialleistungen, zu den vorbildlichsten auf der ganzen Welt gehören.
Sie sind nicht nur leistungsstark und sozial gerecht, sondern auch anpassungsfähig. Diese Leistungs- und Anpassungsfähigkeit wird nicht zuletzt deutlich, wenn wir uns gerade die soziale Situation in den neuen Ländern vor Augen halten.
Meine Damen und Herren, die Krankenversorgung, die Versorgung der älteren Menschen, die Versorgung der Behinderten in den neuen Ländern sind in den letzten fünf Jahren nicht nur ein bißchen besser geworden, sondern sie haben sich gewaltig geändert.
Auch und gerade dies war eine Leistung dieses Sozialstaates, eine Leistung der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, eine Leistung der Politik in diesem Land.
Das wird gerade bei den Renten deutlich. Wir hatten am 30. Juni 1990 ein Niveau der Ostrenten von 29 bis 37 % im Vergleich zum Westniveau, und wir hatten am 1. Juli 1995 ein Niveau von 79 % im Vergleich zum Westniveau. Bei den durchschnittlichen Zahlbeträgen sind wir mittlerweile sogar schon bei 99 %.
Wenn dies keine Verbesserung ist, wenn dies keine große soziale Leistung ist, dann weiß ich nicht, was wir sonst noch beurteilen sollen.
Nun weiß ich sehr wohl, daß die Zahl der Arbeitslosen noch viel zu hoch ist. Deshalb ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit letztlich die zentrale wirtschafts-, sozial- und innenpolitische Aufgabe.
Es ist ganz legitim, daß wir in diesem Haus über die richtigen Wege und Mittel kontrovers diskutieren und streiten. Aber über eines, meine Damen und Herren, brauchen wir uns nicht zu streiten, nämlich über die Tatsache, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nur bei einer gewaltigen Anstrengung aller Beteiligten erfolgreich sein kann. Das ist nicht nur eine Aufgabe der Politik.
Die Entscheidung, ob Arbeitnehmer eingestellt oder entlassen werden, ob neue Betriebe mit neuen Arbeitsplätzen entstehen, hängt ganz wesentlich davon ab, ob sich dies für den Betrieb rechnet. Die Arbeitskosten sind zu einem ganz wesentlichen Faktor geworden.
Es ist ja nicht so, als sei keine Arbeit vorhanden. Unser Problem ist vielmehr, daß die Arbeit in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern zu teuer ist. Deshalb muß der Staat das Seine tun und müssen auch die Tarifpartner das Ihre tun. Sie sind nicht nur für diejenigen verantwortlich, die Arbeit haben, sondern genauso für diejenigen, die von Arbeitslosigkeit bedroht oder gar betroffen sind.
Meines Erachtens ist der Weg über eine pauschale Arbeitszeitverkürzung nicht der richtige. Es muß angesetzt werden bei maßvollen Lohnkosten, bei der Durchforstung der Lohnnebenkosten, vor allem auch bei mehr Flexibilität in der Lohngestaltung und natürlich auch bei mehr Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung.
Ich habe heute morgen mit Interesse gehört, daß in der Wirtschaftsdebatte ein SPD-Kollege sagte: Auch wir sind für Flexibilität in der Arbeitszeit. Meine Damen und Herren, warum haben Sie denn dann gegen das Arbeitszeitgesetz gestimmt?
Gerda Hasselfeldt
Es ist schon interessant, daß der SPD-Sozialminister von Nordrhein-Westfalen jetzt durch die Lande zieht und dieses Gesetz, gegen das die Bundestagsfraktion der SPD gestimmt hat, nun feiert und sagt, durch dieses Gesetz seien eine ganze Reihe von zusätzlichen Arbeitsplätzen entstanden.
Frau Kollegin, der Kollege Büttner würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.
Ja.
Frau Kollegin Hasselfeldt, können Sie mir erklären, wieso es auch zu Zeiten des alten Arbeitszeitgesetzes in Betrieben wie z. B. bei Audi in Ingolstadt so flexible Arbeitszeitregelungen gab, daß allein 132 verschiedene Arbeitszeiten von Montag bis Sonntag - je nach Bedarf - möglich waren, und wieso es dann notwendig war, dieses generell auszuweiten?
Ich habe nie bestritten, Herr Kollege Büttner, daß schon das bisherige Arbeitszeitrecht durchaus Flexibilität eröffnet hat. Aber genauso unbestritten ist, daß das neue Gesetz, das erst vor kurzem von uns beschlossen wurde, zusätzliche neue Möglichkeiten eröffnet hat,
und gerade diese haben Sie abgelehnt.
Ich kann mich noch sehr gut erinnern, als Sie uns beispielsweise die Sonntagsarbeit um die Ohren gehauen haben. Nun lobt der SPD-Minister in Nordrhein-Westfalen gerade dieses als eine gute Entwicklung.
Notwendig ist in gleicher Weise eine Senkung der Lohnnebenkosten; Minister Seehofer ist dabei im Bereich der Reform des Gesundheitswesens, wir sind dabei im Bereich der Reform des Arbeitsförderungsrechts.
Frau Kollegin Buntenbach, lassen Sie mich auf Grund Ihrer Rede noch folgendes erwähnen: Es macht, wenn wir über neue Arbeitsplätze beispielsweise im Haushalt reden, keinen Sinn, daß wir diese Debatte mit einer Neiddiskussion begleiten. Vielmehr sollten wir dies unter dem Aspekt der Schaffung zusätzlicher Arbeitsmöglichkeiten insbesondere für Frauen sehen.
Herr Kollege Schreiner hat moniert, daß wir nicht an einem Umbau des Sozialstaats arbeiten. Ich will nur ein Beispiel nennen, Herr Kollege Schreiner: Ein typisches Beispiel für den begonnenen Umbau des Sozialstaats ist die Pflegeversicherung. Es war eine historische Tat, eine historische Leistung, die große Herausforderung einer Absicherung der Pflege zu bestehen und dazu auch auf einen Feiertag zu verzichten. Wir haben weiß Gott hart darum gerungen. Es hätte auch andere Lösungen geben können. Aber gut, man muß das nehmen, was realisierbar ist. Das war und ist ein Beispiel für diesen Umbau. Wir sind dabei noch nicht am Ende.
Es gibt noch eine Reihe anderer Vorschläge, die ich hier auf Grund der begrenzten Redezeit nicht extra aufführen will. Ich will nur deutlich machen: Ich bin dafür, daß alle Vorschläge zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ohne jedes Tabu sachlich diskutiert, erörtert und geprüft werden.
Im übrigen aber bin ich der Meinung, daß das, was möglich und schon gesetzlich beschlossen ist, auch praktiziert werden sollte. So ist es beispielsweise schon heute möglich, sich ab dem ersten Tag der Erkrankung vom Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen zu lassen und zur weiteren Überprüfung den medizinischen Dienst einzuschalten. Ich bin dezidiert dafür, daß zunächst einmal das, was möglich ist, praktiziert wird. Erst danach sollten und können wir uns über andere Möglichkeiten unterhalten.
Ich will noch eines anfügen, was mir etwas Sorge bereitet: Wenn Sie heute durch Großbetriebe gehen, finden Sie kaum noch Beschäftigte im Alter von 58 Jahren und älter. Dies, meine Damen und Herren, ist nicht im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer. Es kann auch nicht im Interesse der Unternehmen sein, sich in einem solch großen Ausmaß von erfahrenen Mitarbeitern zu trennen. Schon gar nicht ist dies im Interesse der Beitragszahler, die dafür viel Geld aufbringen müssen. Mir wäre ein mehr gleitender Übergang, beispielsweise verbunden mit Teilzeit, wesentlich lieber.
Meine Damen und Herren, Arbeitsmarktpolitik kann nie von der wirtschaftlichen Situation losgelöst werden. Trotz Wiedervereinigung, trotz schwieriger weltwirtschaftlicher Bedingungen haben wir eine niedrigere Inflationsrate, haben wir so niedrige Zinsen wie schon seit Jahren nicht mehr. Dies sind günstige Ausgangspositionen auch für den Arbeitsmarkt. Weil dies so ist, können wir im Haushalt 1996 auf einen Bundeszuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit verzichten.
Trotzdem fahren wir auf dem hohen Niveau der Arbeitsmarktpolitik fort. Im Bereich Fortbildung und Umschulung erwarten wir die gleiche Teilnehmerzahl wie in diesem Jahr. Im Bereich Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wird noch einmal etwas zugelegt.
Hier ist ganz besonders wichtig, daß künftig auch die Bezieher der Arbeitslosenhilfe in diese Maßnahmen stärker einbezogen werden; denn gerade für diese sind sie ja gedacht.
Sie sollten künftig entsprechend ihrem Anteil an der Zahl der Arbeitslosen an den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beteiligt werden.
Gerda Hasselfeldt
Es ist richtig, wenn künftig die Arbeitslosenhilfe, die ja schließlich unbefristet gezahlt wird, nicht mehr nach dem letzten Nettolohn, sondern nach dem aktuell zu erzielenden Lohn berechnet wird. Es ist niemandem zu vermitteln, daß wir derzeit trotz hoher Arbeitslosigkeit im Inland Hunderttausende von Arbeitserlaubnissen an ausländische Arbeitnehmer erteilen. Wir sind auch im Interesse der Beitragszahler gehalten, mit diesen Mitteln sparsam, effizient und gerecht umzugehen. Deshalb ist die Reform, die Bundesminister Blüm im Bereich der Arbeitslosenhilfe plant, der richtige Ansatz.
Meine Damen und Herren, eine riesige Aufgabe steht vor uns: die Reform des Arbeitsförderungsrechts. Wir haben damit die große Chance, dieses Gesetz übersichtlicher, transparenter und verständlicher zu gestalten. Wir haben damit auch die große Chance, mehr für die Arbeitslosen zu tun.
Ich lade Sie ein: Beteiligen Sie sich an diesem konstruktiven Projekt! Beteiligen Sie sich aber nicht, wie Sie das in Ihrem Gesetzentwurf vorgeschlagen haben, mit der Festschreibung von Quoten, mit starrem Dirigismus, sondern im Sinne von mehr Transparenz, mehr Flexibilität, mehr Dezentralisierung und damit mehr Treffsicherheit in der Arbeitsmarktpolitik! Dann sind Sie mit uns gemeinsam auf dem richtigen Weg.
Zu diesem Geschäftsbereich liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bevor wir die Haushaltsberatungen fortsetzen, müssen wir über zwei Geschäftsordnungsanträge abstimmen. Die Fraktion der SPD und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben jeweils fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung zu erweitern. Die Fraktion der SPD wünscht die Aufsetzung ihres Antrags zu den Atomwaffentests von China und Frankreich auf Drucksache 13/2251 mit einer Debattenzeit von einer Stunde. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beantragt die Aufsetzung ihres Antrags zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Frankreich wegen Mißachtung des Euratom-Vertrags, Drucksache 13/2270.
Zu diesen Geschäftsordnungsanträgen liegen bereits Wortmeldungen vor. Als erstes erteile ich das Wort unserem Kollegen Dr. Peter Struck.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ein ungewöhnliches Verfahren, daß wir plötzlich im Rahmen einer Haushaltsdebatte einen Tagesordnungspunkt, der nicht unmittelbar etwas mit dem Haushalt zu tun hat, debattieren wollen.
Aber ich glaube, es gibt keinen ungewöhnlicheren
Vorgang als den, über den wir diskutieren wollen,
nämlich den Atomtest Frankreichs, den wir hier mit aller Schärfe verurteilen wollen.
Ich glaube, Sie sollten über Ihren Schatten von Formalitäten springen.
Es ist sehr bedauerlich, daß sich die Koalition offenbar nicht in der Lage sieht, einen gemeinsamen Beschluß des Deutschen Bundestages herbeizuführen. Ich entnehme das den Reden des Bundeskanzlers ebenso wie der Rede des Kollegen Schäuble. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es reicht nicht festzustellen, das sei ein falsches politisches Signal, sondern ich finde - wenn ich auch die Außenpolitiker der Koalition ansprechen darf -, daß die Bevölkerungen Australiens, Neuseelands und anderer Länder einen Anspruch darauf haben, daß das Parlament insgesamt eine Entscheidung trifft und es nicht nur eine Äußerung des Bundeskanzlers dazu gibt. Wer sind wir denn, daß wir nicht selbst dazu eine Meinung äußern sollten!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen, daß der Bundestag heute über einen Antrag debattiert, den wir mit „Keine Atomwaffentests durch China und Frankreich" überschrieben haben. Wir wollen, daß wir ein deutliches Signal setzen, daß der erste Test Frankreichs auch der letzte gewesen sein soll.
Wir appellieren ebenso an die Volksrepublik China, von weiteren Tests abzusehen - genauso, wie wir an Frankreich appellieren.
Es gibt das vordergründige Argument - Kollege Schäuble hat es gestern vorgetragen -, man dürfe die deutsch-französische Freundschaft nicht gefährden. In der Tat wollen wir die deutsch-französische Freundschaft nicht gefährden. Ich denke, zu einem guten freundschaftlichen Verhältnis gehört auch, daß man sich untereinander die Wahrheit sagt und nicht nur in Hinterzimmern darüber redet, was man vielleicht anders machen sollte.
Ich habe Stellungnahmen von Greenpeace vorliegen. Ich habe eine Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte vorliegen, die die von uns unterstützte Beschwerde von Mitgliedern der polynesischen Protestbewegung Hititau als vordringlich weiterbehandeln will. Ich denke, es wäre eine gute Entscheidung des Deutschen Bundestages
Dr. Peter Struck
und würde unser Ansehen in der Welt vermehren, wenn wir uns zu einer gemeinsamen Entschließung durchringen könnten und nicht so kleinkariert davor zurückschreckten.
Ich bin sehr enttäuscht von dem Verhalten der F.D.P., die zunächst signalisiert hatte, sie sei zu einer gemeinsamen Beschlußfassung bereit, aber offenbar vor der großen Koalitionsfraktion dann doch nicht den Mut gehabt hat.
Wir reden untereinander viel über Kolleginnen und Kollegen. Gelegentlich wird über jemanden schlecht geredet, auch öffentlich. Darunter hat jeder zu leiden. Ich möchte etwas zu meinen Kollegen Heidi Wieczorek-Zeul und Reinhard Schultz sagen.
- Der einzige hämische Zwischenruf kam offenbar vom Staatsminister im Auswärtigen Amt. Das hätten Sie sich sparen können, Herr Kollege Schäfer.
Ich habe großen Respekt vor der Entscheidung meiner beiden Fraktionsmitglieder, auf eigene Kosten im Zusammenwirken mit Parlamentariern aus anderen Nationen vor Ort die Solidarität mit den betroffenen Menschen zu bezeugen. Ich bedauere sehr die Umstände, unter denen diese Aktion gelitten hat, will aber an dieser Stelle deutlich versichern, daß die Entscheidung, vor Ort zu protestieren, eine richtige Entscheidung war. Ich wünsche allen auch von hier aus eine gute Rückkehr.
Das Wort hat der Kollege Joachim Hörster.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Struck, um hier keine falschen Eindrücke aufkommen zu lassen: Als Parlamentarier sind wir selbstverständlich alle dafür, daß Parlamentarier sich frei bewegen und ihre Meinung zum Ausdruck bringen können, egal, ob in diesem Hause oder im Südpazifik. Deswegen kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, daß wir wünschen, daß Frau Kollegin Wieczorek-Zeul und Herr Kollege Schultz wohlbehalten zurückkommen. Ich habe jedenfalls in meiner Fraktion und auch von anderen Mitgliedern dieses Hauses in diesem Zusammenhang keine Häme bemerkt.
Ich möchte festhalten, daß wir bereits am 22. Juni 1995 zur Wiederaufnahme der französischen Atomwaffentests in diesem Hohen Hause beraten haben. Am 13. Juli haben wir uns erneut mit dieser Sache befaßt und übereinstimmend die Ablehnung dieser Atomtests zum Ausdruck gebracht.
Bundeskanzler Helmut Kohl selbst hat damals in die Aktuelle Stunde eingegriffen und ausdrücklich auf folgendes hingewiesen - ich darf das zitieren -:
Deutschland und Frankreich haben in dieser wichtigen Frage unterschiedliche Ausgangspositionen und unterschiedliche Auffassungen. Darüber haben wir, wie dies unter Freunden selbstverständlich ist, ganz offen gesprochen.
Der Herr Kollege Scharping hat in derselben Debatte festgestellt:
Herr Bundeskanzler, wir stimmen in der Sache offenkundig völlig überein, möglicherweise nicht in der Art des Vorgehens und in der Klarheit der Worte; aber das will ich heute ausdrücklich einmal zurückstellen.
Der Kollege Pflüger hat die Sache sehr intensiv unter ökologischen Gesichtspunkten behandelt und ausdrücklich darauf hingewiesen, daß wir an unsere französischen Freunde appellieren, von diesen Atomwaffenversuchen abzusehen.
Wir sind uns also in der Sache in diesem Hohen Hause völlig einig. In all diesen Debatten ist übereinstimmend festgestellt worden, daß die Besonderheiten des deutsch-französischen Verhältnisses einen freundschaftlichen Umgang nicht nur bei großen Ankündigungen erfordern, sondern auch dann, wenn es um so heikle Themen wie das geht, um das wir hier ringen.
Der Kollege Pflüger hat - nach meinem Dafürhalten offensichtlich in der Ahnung dessen, was noch kommen könnte - damals auf folgendes hingewiesen:
Ich bin genau wie meine Fraktion und wie der Kollege Gerhardt
- von der F.D.P. -
dafür, daß man kritisiert. Aber ich bin dagegen, Kampagnen zu organisieren.
Bei den Anträgen, die Sie heute hier einbringen - ich muß das, was von den Grünen kommt, vorwegnehmen; ich weiß ja, was kommt -, handelt es sich um eine solche Kampagne. Sie ist weder zielführend noch sachdienlich. Vielmehr ist sie allenfalls in der Lage, die Kontakte zwischen Deutschland und Frankreich, die den entstandenen Schaden minimieren sollen, zu behindern und zu beschädigen.
Niemand kann behaupten, daß sich der Deutsche Bundestag mit dieser Sache nicht ausführlich befaßt habe. Herr Kollege Struck, Herr Kollege Schulz, unser gestriges Angebot an die Opposition, die Anträge, die Sie für notwendig halten, zur fachlichen Beratung an die Ausschüsse zu überweisen, ist von Ihnen abgewiesen worden. Sie wollen eine Kampagne, heute und hier, egal, ob die deutsch-französische Freundschaft dabei beschädigt wird oder nicht. Das wollen wir nicht.
In der gestrigen Aussprache zum Etat des Bundeskanzleramtes, des Auswärtigen Amtes, des Verteidigungsministeriums und des Ministeriums für wirt-
Joachim Hörster
schaftliche Zusammenarbeit - das sind die Geschäftsbereiche, bei denen solche Fragen ressortieren, wenn wir sie im internationalen Bereich zu behandeln haben - hat sich Herr Kollege Scharping in ganzen drei - ich wiederhole: ganzen drei - Sätzen mit dieser Angelegenheit befaßt, und das in einer fast einstündigen Rede. Wenn Ihnen das Ganze von der Sache her so wichtig gewesen wäre, Herr Kollege Scharping, hätten Sie es nicht auf eine solche Geschäftsordnungsdebatte ankommen lassen, sondern hätten dort ausführlich zur Sache gesprochen.
Demgegenüber hat der Bundeskanzler diese Tests ausführlich angesprochen. Er hat ganz deutlich gesagt:
Es ist ganz unübersehbar, daß die Bundesregierung und die französische Regierung in der Frage von Nukleartests unterschiedliche Ausgangspositionen und auch unterschiedliche Auffassungen ... haben.
Er hat dann weiter festgestellt - und das hat den Beifall dieses Hauses gefunden -:
Aber ich bin nicht bereit, an irgendeinem Punkt mitzumachen, der diese Freundschaft in irgendeiner Form beschädigen könnte.
Wir brauchen, wie das tägliche Brot, in den nächsten Jahren beim Bau des Hauses Europa die deutsch-französische Partnerschaft und Freundschaft. Das ist das Wichtigste, was überhaupt ins Haus steht.
Ich will noch hinzufügen: Wer sich intensiv mit der öffentlichen und internationalen Diskussion über Atomwaffentests befaßt hat und wer die Ausgangslage bei unseren französischen Freunden im Juni 1995 mit dem vergleicht, was sie jetzt ankündigen, der kann doch wirklich nicht behaupten, wir hätten, was das Einwirken auf unsere französischen Freunde und das Überdenken Ihres Standpunktes angeht, keinen Erfolg gehabt. Ich bin der Auffassung, wenn sich die Fachleute im Auswärtigen Ausschuß mit dieser Sache - so wie wir es gerne hätten - sachlich, ruhig und unter Beachtung unserer beiderseitigen Beziehungen befassen, werden wir noch mehr Erfolg haben.
Das, was Sie heute vorhaben, ist in der Sache kontraproduktiv, hinderlich. Deswegen lehnen wir die Ergänzung der Tagesordnung mit dieser Ihrer vordergründigen Zielsetzung ab.
Herr Kollege Werner Schulz, Sie haben das Wort.
Während Sie auf dem Weg zum Rednerpult sind, erlauben Sie mir den vorsorglichen Hinweis, daß ich begleitende Aktionen, die dieser oder jener heute noch vorhaben mag, nicht für eine Unterstreichung der Seriosität des Anliegens halte und mit entsprechenden Ordnungsmaßnahmen dagegen sein werde.
Bitte, Herr Kollege Schulz.
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hörster, es ist schon merkwürdig, daß Sie uns die Beantragung dieser Geschäftsordnungsdebatte vorwerfen. Wer zwingt uns denn zu dieser Debatte? Gestern abend war selbst die F.D.P. noch dafür, daß wir heute eine Sachdebatte über Atomwaffentests führen. Es hat offenbar äußersten Koalitionsdrucks bedurft, um zu verhindern, daß wir heute eine solche Aussprache haben und zu einer Beschlußfassung kommen. Bevor diese Atomtests vorbei sind, muß der Bundestag zu einer Meinungsbildung kommen - am besten heute. Es ist schon schlimm genug, wenn sich die Bundesregierung nur in unverbindlichen Äußerungen ergeht. Dann sollte zumindest das Parlament ein eindeutiges Votum abgeben.
Es reicht einfach nicht aus, Herr Schäuble, wenn Sie in der Haushaltsdebatte beiläufig Ihr Bedauern über diese Tests äußern. Das werden Sie dann wahrscheinlich bei jedem Test tun, von einem falschen Signal sprechen und erneut Ihr Bedauern zum Ausdruck bringen. Das kann es nicht sein! Wir müssen hier ein klares Votum abgeben, von diesen unverbindlichen Sprüchen wegkommen und konkrete Beschlüsse fassen. Deswegen haben wir einen Antrag vorbereitet, deswegen hat die SPD einen Antrag vorbereitet. Beide sind abstimmungsfähig.
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, bemühen immer wieder die deutsch-französische Freundschaft. Diese will überhaupt niemand attakkieren. Sie hat mit der Sache überhaupt nichts zu tun.
Jede gute und wahre Freundschaft muß klare und deutliche Worte vertragen können; sonst ist es keine Freundschaft, sonst hält sie Belastungen nicht stand.
Noch besteht die Chance, daß der französische Präsident zum Einlenken bewegt werden kann, aber nur dann, wenn die Partner - auch und gerade in der EU - klare und deutliche Worte finden, bevor diese Tests abgeschlossen sind. Die EU-Kommission hat festgestellt - und ihr Befremden darüber zum Ausdruck gebracht -, daß der erste Test stattgefunden hat, obwohl die Regularien nach dem Euratom-Vertrag in einem solchen Fall eine Überprüfung vorschreiben; die aber hat noch nicht stattgefunden. Hier liegt also offensichtlich ein Vertragsbruch vor. Es geht nicht an, daß wir dazu schweigen. Es geht
Werner Schulz
nicht an, daß jede Müllkippe in Europa, jede chemische Reinigung, jede galvanische Werkstatt strenger geprüft wird als ein Atomtest im Pazifik. Das können wir doch nicht zulassen.
Wir von der Opposition werden nicht zulassen - da können Sie sich über diese Geschäftsordnungsdebatte aufregen, wie Sie wollen -, daß sich sämtliche politischen Hasenfüße auf der Regierungsbank versammeln und zu diesem unglaublichen Vorfall schweigen.
Lassen Sie uns eine sachliche Debatte führen!
- Ja, vielleicht sind Sie das nicht gewöhnt; vielleicht möchten Sie sich hier lieber endlos mit den Querelen der SPD beschäftigen, um die Substanzlosigkeit Ihrer Politik nicht offenbar werden zu lassen. Das mag ja sein. Aber das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
Es gibt schon noch Opposition in diesem Hause; darauf können Sie sich verlassen.
Wir werden darauf drängen, daß Sie sich zu dieser Frage klar äußern.
Ich will Ihnen noch eines sagen - ich glaube, das sollte Sie etwas ernster stimmen -: Wenn der französische Ministerpräsident Juppé heute erklärt, daß der atomare Schutzschild auf Deutschland ausgedehnt werden solle, daß man also eine konzertierte Abschreckungsmacht in Europa schaffen solle, dann sollten Sie nicht den Verdacht aufkommen lassen, daß Sie daran auch nur im geringsten interessiert seien.
Sie haben heute die Chance, das unter Beweis zu stellen. Das ist eine ernsthafte Debatte, nicht irgendeine Geschäftsordnungsdebatte, mit Tricks, um die Haushaltsberatungen zu unterbrechen.
Ich bitte Sie darum, einzuwilligen, daß wir jetzt die Debatte zu diesen Atomtests führen können, und darum, daß wir zur Abstimmung über die Anträge kommen.
Das Wort hat der Kollege Jörg van Essen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die F.D.P. ist zweimal angesprochen worden. Es ist richtig, daß ich mich gestern nachmittag darum bemüht habe, eine Brücke zwischen den verschiedenen Fraktionen und Gruppen dieses Parlaments zu bauen. Leider ist diese Brücke nicht beschritten worden; nicht die Koalitionsfraktionen, sondern die SPD hat es abgelehnt, diese Brücke zu beschreiten.
Für uns, die F.D.P., ist wichtig, daß an unserer Haltung weiterhin kein Zweifel besteht. Der Bundesvorsitzende unserer Partei hat in zwei Aktuellen Stunden deutlich gemacht, daß die F.D.P.-Bundestagsfraktion die französischen Versuche für völlig falsch und für das falsche Signal in dieser Zeit hält.
Ich bin froh, daß der Bundesaußenminister eine Fülle von Maßnahmen ergriffen hat, um das insbesondere auch der französischen Regierung deutlich zu machen. Auch er hat in allen seinen Interviews an seiner Haltung überhaupt keinen Zweifel gelassen.
Die Wahrheit, Herr Kollege Struck - ich sage das Ihnen, weil Sie es angesprochen haben -, ist gesagt worden. Es ist ja interessant, daß die „taz", die bekanntlich nicht vom Bundespresseamt herausgegeben wird, heute den Aufmacher bringt: „Selten war Bonn so einig". - Ich glaube, wenn wir ruhig nachdenken, werden wir alle zu dem gleichen Ergebnis kommen. Gestern gab es eine große Koalition der Spitzen der Regierung und der Parteien, mit eindeutigen Aussagen. Ich frage: Wird denn diesen Aussagen nicht die Wirkung genommen, wenn eine Runde von Spezialisten, von Fachleuten das Ganze noch einmal „durchkaut" und wir irgendein Papier verabschieden?
Klarer, als die Aussagen gestern waren, kann ein solches Papier nicht werden.
Deshalb stimmen wir diesen beiden Anträgen nicht zu - nicht, weil wir in den zur Diskussion stehenden Fragen anderer Meinung sind, sondern weil wir das Verfahren für falsch halten.
Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort der Kollegin Eva Bulling-Schröter.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Zuerst einmal möchte ich betonen, daß ich alles unterstütze, was mein Kollege Heym schon zu diesem Thema gesagt hat.
Der Deutsche Bundestag hat sich am 22. Juni und auf Antrag der Gruppe der PDS in einer Aktuellen Stunde am 13. Juli dieses Jahres mit der Planung französischer Atombombentests unter dem Muru-
Eva Bulling-Schröter
roa-Atoll auseinandergesetzt. Auch in einigen Reden im Rahmen der Haushaltsdebatte wurde auf die aktuellste Entwicklung, die Unglaublichkeit des trotz massivster internationaler Proteste tatsächlich vollzogenen Tests eingegangen. Im übrigen habe auch ich mich am vorigen Freitag in Paris an den Demonstrationen beteiligt; leider war ich die einzige deutsche Bundestagsabgeordnete.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade die Debattenbeiträge in dieser Haushaltsdebatte haben gezeigt, daß die Koalition die politische, ökologische und rechtliche Dimension dieser Zäsur entweder nicht überblickt oder aus einer Mischung von Opportunismus und Eigennutz ignoriert.
Aber unabhängig davon kann die Erörterung eines für die Sicherheit und den Weltfrieden erstrangigen Vorganges kaum am Rande der Haushaltsberatungen stattfinden. Eine eigenständige Debatte zu diesem Thema ist gerade für die Bundesrepublik, deren gegenwärtige Regierung zu keiner Zeit versäumt, die neue Rolle des vereinigten Deutschland in der internationalen Arena zu bekunden, das mindeste, was man überhaupt verlangen kann.
Waren Sie es nicht, Herr Bundeskanzler - leider ist er mal wieder nicht da -, der gestern noch väterliche Schelte angesichts fehlender außenpolitischer Akzente in der Rede Rudolf Scharpings austeilte? Empfinden Sie Ihren lächerlichen Verweis darauf, daß Bonn und Paris in dieser Sache unterschiedlicher Auffassung seien, als angemessene Form der Auseinandersetzung mit diesen Problemen?
Nun ist es auch keine Überraschung, daß der Bundesaußenminister nicht seinen Botschafter in Frankreich zurückruft, wie seine couragierten Kollegen in Neuseeland und Chile es getan haben. Herr Kinkel konnte sich gerade noch abringen: „Die Versuche passen nicht mehr in die Zeit." Das muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! Herr Kinkel, reden wir eigentlich über den Umgang mit menschheitsvernichtenden Waffen, oder sprechen wir hier im Bundestag - manchmal hat man hier schon den Eindruck - über Kaiserschmarren?
Meine Damen und Herren, die Debatte über die neuerliche Aufnahme der Atomwaffentests durch Frankreich gehört heute auf die Tagesordnung. Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben das ja schon betont. Sie gehört schon deshalb auf die Tagesordnung, weil seit der letzten Aktuellen Stunde weitere Erkenntnisse vorliegen.
Das schon angesprochene, im Auftrag von Greenpeace vom Öko-Institut Darmstadt erstellte Gutachten legt nahe, daß die französische Regierung mit dem Test gegen den Euratom-Vertrag verstoßen hat, indem sie diesen gefährlichen Versuch ohne Zustimmung der Europäischen Kommission durchführte. In einem solchen Fall werden den Mitgliedstaaten des Vertrages Klagemöglichkeiten vor dem Europäischen Gerichtshof eingeräumt, ein Schritt, der nach Meinung der PDS von der Bundesrepublik Deutschland gegangen werden sollte und auf den sich dieses Haus hier und heute verständigen müßte. Meine Gruppe hat eine solche juristische Initiative schon in einem Antrag vom 16. August gefordert.
Die juristische Seite ist aber nur ein begleitender Schritt zur notwendigen politischen Auseinandersetzung, und zwar nicht nur mit der französischen, sondern auch mit der europäischen, insbesondere mit der deutschen Atom- und Atomwaffenpolitik. Diese Auseinandersetzung darf keinesfalls nur ein Randthema der Haushaltsdebatte sein. Ihr Stellenwert verlangt eine eigene Debatte.
Diese Politik, die hier praktiziert wird, hat natürlich Tradition. Schon 1957 unterzeichnete der damalige deutsche Verteidigungsminister Strauß mit seinem französischen Kollegen Delmas ein Geheimabkommen für gemeinsame Studien über die militärische Anwendung der Nuklearenergie. Die Wege trennten sich dann irgendwann, und jetzt stehen wir wieder vor dem gleichen Problem, stehen wir heute - wie sich auch aus der Haltung der Bundesrepublik gegenüber Frankreich ableiten ließe - kurz davor, quasi wieder Atommacht zu werden. Die Prügelszenen in Paris - ich habe sie selber gesehen - und auch in Papeete, die gestern im Fernsehen gezeigt wurden, sprechen eine deutliche Sprache.
Abschließend möchte ich mich an die SPD-Fraktion mit der Hoffnung wenden, daß unsere im Pazifik in eine mißliche Lage geratenen Kolleginnen und Kollegen -
Frau Kollegin, Ihre Redezeit!
- glücklich nach Hause zurückkehren.
Im übrigen unterstützen wir Ihren Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung.
Meine Kolleginnen und Kollegen, der Ausdruck „Hasenfüße", Herr Kollege Schulz, war hart am Rande des parlamentarischen Sprachgebrauchs.
- Sie haben zu früh aufgeschrien. Dies sollte mir zur Begründung dienen, daß auch ich etwas tue, was am Rande der Gepflogenheiten ist, nämlich am Schluß einer Geschäftsordnungsdebatte dem Kollegen Struck noch einmal das Wort zu geben, für eine Richtigstellung in zwei Sätzen.
Herr Präsident, ich möchte mich dafür bei Ihnen bedanken und feststellen: Der Beitrag des Kollegen van Essen gibt nicht die tatsächliche Sachlage wieder. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich geweigert, über das Thema im Rahmen einer Debatte über den Forschungshaushalt zu diskutieren; denn das ist völlig unangemessen. Wir haben uns auch geweigert, damit einverstanden zu sein, diese Anträge in die Ausschüsse zu überweisen. Deshalb haben wir dieses Verfahren gewählt und nicht Ihres.
Herr Kollege van Essen, wollen Sie replizieren? - Nein.
Dann kommen wir zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Aufsetzungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/2251. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der SPD? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine. Mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der gesamten Opposition ist der Aufsetzungsantrag abgelehnt.
Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/ 2270? - Gegenprobe! -
Darf ich nach Enthaltungen fragen. - Meine Damen und Herren, ich stelle zunächst fest: Die Grünen haben die Zustimmung der Sozialdemokraten und der PDS gefunden. Der Antrag wurde mit den Stimmen der Koalition abgelehnt.
Über das Verhalten der Grünen während der Sitzung werden wir in der anschließenden Sitzung des Ältestenrates sprechen.
Wenn Sie diesen Vorgang, den Sie angeblich so ernst nehmen, zu solchen lächerlichen Mätzchen mißbrauchen, dann geht das auf Ihr Konto.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie.
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers. - Herr Minister, wenn Sie bitte noch eine halbe Minute verharren, bis der „Schichtwechsel" im Hause erfolgt ist. - Darf ich die Kollegen bitten, Platz zu nehmen. - Ich meine die Kollegen aller Fraktionen und Gruppen.
Bitte, Herr Bundesminister, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem
Haushalt 1996 setzt die Bundesregierung den Weg der Konsolidierung fort. Sie eröffnet gleichzeitig neue Finanzspielräume für Bildung und Forschung. Das ist das eigentliche Merkmal des Einzelplans 30. Ich finde es ganz wichtig, das zu Beginn zu betonen.
Die Mittel für Forschung und Technologie steigen gegenüber 1995 überproportional um 2,8 % bei einem Gesamthaushalt, den der Finanzminister auf minus 1,3 % festgelegt hat. Mit einem Gesamtumfang von 15,6 Milliarden DM wächst der Haushalt des BMBF gegenüber dem bereinigten Haushalt 1995 um 2,3 %.
Wir wollen diese neuen Spielräume jetzt nutzen, um Innovationen in Deutschland möglich zu machen, nicht aber, um alte Probleme mit neuem Geld in die Zukunft fortzuschreiben.
Es gehört zu den Besonderheiten des Einzelplans 30, daß dort eine Vielzahl von Politikbereichen angesprochen ist. Das kann man auch mit Zahlen belegen. Die Kollegen Kampeter und Friedrich werden dazu gleich noch etwas aus ihrer Sicht sagen. Ich bitte um Verständnis, daß ich das jetzt nicht aufblättern will, obwohl das spannend ist. Ich möchte, bevor ich einige politische Bemerkungen mache, nur ganz kurz zwei Zahlenbereiche erwähnen.
Der erste Punkt ist - und das vor dem Hintergrund einer Debatte, die wir vor einigen Monaten geführt haben -, daß in diesem Haushalt die Zuweisungen für die neuen Länder konstant bleiben, d. h., wir bleiben bei 3 Milliarden DM auch im Jahre 1996. Das ist wichtig, weil wir die Substanz in Forschung und Bildung weiter kontinuierlich aufbauen wollen.
Der zweite Punkt ist, daß wir insbesondere die Mittel für kleine und mittelgroße Unternehmen mit 600 Millionen DM im Jahre 1996 fortschreiben und in dem einen oder anderen Bereich, etwa bei den Mitteln für die allgemeine mittelstandsbezogene Innovationsförderung, sogar Steigerungsraten von 22,7 % auf jetzt 276 Millionen DM haben. Auch das zeigt eine besondere Schwerpunktsetzung in diesem Etat.
Technologie ist für uns keine Ideologie. Was den Menschen weiterhelfen kann, das soll nach Meinung der Bundesregierung eine Chance haben. Unser Ziel ist es, Zukunft möglich zu machen.
Man kann feststellen, daß die Bevölkerung zwei große Wünsche hat: Der eine ist Arbeit, der andere ist Umweltschutz; also mehr Beschäftigung und eine gesunde Lebenswelt. Das sind Ziele, denen man mit moderner Technik näherkommt; allerdings muß man handeln.
Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Die Experten gehen davon aus, daß in Deutschland die Zahl der Telearbeitsplätze von gegenwärtig 30 000 auf rund 800 000 im Jahre 2000 steigt. Das heißt, hier gibt es riesige Möglichkeiten für den Arbeitsmarkt. Nimmt
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
man für einen Telearbeitsplatz durchschnittliche Investitionskosten von 15 000 DM an, dann ergibt sich allein für Deutschland ein Investitionsvolumen von 12 Milliarden DM bis zur Jahrhundertwende; das ist ein Innovationsschub für unsere Wirtschaft.
Sie müssen darüber hinaus sehen, daß 800 000 Telearbeiter bei drei Telearbeitstagen pro Woche - also nicht nur zu Hause, sondern kombiniert mit dem Betrieb - und einer durchschnittlichen Entfernung von 15 km zum Betrieb pro Jahr Fahrtstrecken von zusammen 3,2 Milliarden km einsparen. Wenn das kein Beitrag zu einer sauberen Umwelt ist, dann weiß ich es nicht!
Deshalb werden wir die Mittel für die Informations- und Kommunikationstechniken im Haushalt 1996 erstmals auf über 1 Milliarde DM steigern und das zum Schwerpunkt unserer weiteren Arbeit machen.
Jeder potentielle deutsche Telearbeitsplatz konkurriert mit Arbeitsplätzen in den USA und anderswo. In den USA gibt es schon heute 7,6 Millionen Telearbeitsplätze. Die fackeln nicht; die ergreifen ihre Chancen beim Schopf. Das müssen wir auch tun.
Ich habe gelesen, lieber Herr Glotz, Sie haben versucht, einige Zukunftsstürmer in Ihrer Fraktion dafür zu begeistern, sich dieses Themas anzunehmen. Wenn ich es richtig weiß, besteht Ihr Vorschlag darin, eine neue Untersuchungskommission für Chancen und Risiken dieser Technologie einzurichten. Ich habe nichts dagegen. Meine Einschätzung ist allerdings, daß wir nicht mehr soviel Zeit haben, abzuwarten, bis eine Untersuchungskommission Chancen und Risiken definiert hat.
Bis dahin, lieber Herr Glotz, werden wir im Nationalen Forschungsrat, und zwar noch in diesem Herbst, die notwenigen Antworten geben. Sie können sich dann im Anschluß die Chancen und Risiken bestätigen lassen.
Meine Damen und Herren, ein zweiter wichtiger Technologiebereich ist die Biotechnik. In Europa gibt es Wachstumschancen von heute 38 Milliarden ECU auf 90 Milliarden ECU im Jahr 2000. Dabei geht es um 9 % der Bruttowertschöpfung. Das sind rund 9 Millionen Arbeitsplätze, über die wir reden. Deshalb werden wir das Gesamtfördervolumen im Biotechnologiebereich auf über 900 Millionen DM anheben - und das mit einem klaren politischen Ziel: Wir wollen als Bundesregierung, daß Deutschland bis zum Jahre 2000 - ich weiß, daß es hier Widerstände gibt - in der Biotechnologie in Europa die Nummer eins ist.
Das ist unser Ziel, das wollen wir erreichen.
Damit sind wir natürlich bei einem Bereich, der viel mit Arbeitsplätzen und Wirtschaft zu tun hat. Wir haben gestern den Versuch einer Darstellung von Herrn Scharping zum Thema Wirtschaftspolitik erlebt. Er hat versucht, seine - nach meiner Ansicht etwas widersprüchlichen Vorstellungen zum Thema Globalisierung und Zukunftsindustrien darzulegen. Er hat versucht, zu zeigen, daß nicht nur Herr Schröder, sondern auch er etwas von Wirtschaft versteht.
Allerdings war der Crashkurs, lieber Herr Glotz, ein bißchen kurz. Die Angelegenheit war ja auch erst in der vergangenen Woche. Jedenfalls ist sein Versuch nicht gelungen. Wenn ich es richtig sehe, hat Herr Scharping gestern verzweifelt versucht, gegen Windmühlen in diesem Bereich anzukämpfen. Lieber Herr Glotz, erlauben Sie mir, selbst wenn es gestern abgehakt wurde und alle heute schon herzlich gelacht haben, meinen Eindruck wiederzugeben: Die Bemühungen der beiden Oppositionsführer - ich weiß gar nicht, ob man das so sagen kann, also der beiden, die für die Opposition geredet haben -, Scharping und Fischer, wirkten auf mich wie ein Kampf gegen Windmühlen. Ich hatte den Eindruck, Scharping und Fischer sind so etwas wie Don Quichotte und Sancho Pansa. Das paßt irgendwie.
Das zeigt, wie verzweifelt versucht wird, neuen Zukunftsfragen hinterherzulaufen. Man kämpft da gegen Windmühlenflügel. Bei Scharping ist das an dem Beispiel der Solarindustrie deutlich geworden. Er hat gesagt, die Bundesregierung habe in dem Bereich alles Notwendige versäumt. Es ist wahr
- ist ja gut -, wir haben im Bereich der Forschungsförderung viel Geld investiert. Aber sich hier hinzustellen und zu sagen, wie Herr Scharping das gemacht hat, man könne über Forschungsförderung Arbeitsplätze in Deutschland halten, die aus Kosten- und Konkurrenzgründen ins Ausland gehen, zeigt, daß er den Kurs wirklich nicht verstanden hat. Er weiß einfach nicht, was Globalisierung ist.
Deshalb kann man ihm nur empfehlen, daß er versucht, sich mit den ökonomischen Grundsätzen vertraut zu machen.
Die Wahrheit ist, daß der, der Globalisierung sagt, auch Internationale Mobilität von Kapital und Arbeit akzeptieren muß. Natürlich ist es schlimm, wenn High-Tech-Firmen aus Deutschland abwandern. Aber deutsche Unternehmen können im globalen Wettbewerb nur dann Erfolg haben, wenn sie wie ihre ausländischen Konkurrenten den internationalen Mix ihrer Betriebsstandorte optimieren. Nur aus der Stärke des internationalen Erfolgs heraus werden auch deutsche Standorte weiter Investitions- und Produktionsstandorte bleiben.
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
Ich habe das auch bei der Investitionsentscheidung der Firma Siemens in Sachen Chip-Produktion - die bekannterweise für Schottland erfolgt ist - in Gesprächen, die ich in diesem Zusammenhang geführt habe, deutlich gespürt. Es ist klar: In diesen HighTech-Märkten wird der Standort Deutschland nur dann weiter prosperieren, wenn deutsche Firmen weltweit tätig sein können, um mit dem so erwirtschafteten Ergebnis die Produktion am teuren Standort Deutschland weiter aufrecht zu erhalten.
Deshalb dürfen wir den Unternehmen, die sich dem globalen Wettbewerb stellen und in die Welt hinausziehen, nicht wie Herr Scharping hinterherrufen: Haltet den Dieb!
Ich frage Sie: Wie soll das eigentlich geschehen: durch Verbot, Bestrafung oder Subvention? Was sind denn die Mittel, die der Staat in dem Zusammenhang hat, wenn man gleichzeitig, wie wir es heute morgen erlebt haben, dagegen kämpft, daß mehr Flexibilität, mehr Deregulierung und mehr Privatisierung den Standort Deutschland zukunftsfähig machen?
Wir müssen für Technologien der Zukunft gleichzeitig auch die Grundlagen in Bildung und Ausbildung schaffen. Die Bundesregierung steht zu ihrem Wort, daß jeder ausbildungswillige Jugendliche auch die Möglichkeit zu einer Ausbildung erhält.
Die Wirtschaft hat ihre Zusage weitgehend schon wahrgemacht, und ich habe keinen Zweifel, daß sie auch die restlichen Ausbildungsplätze im betrieblichen Bereich zur Verfügung stellt. 600 000 war die Zielmarke. Wir werden dies um 14 500 Ausbildungsplätze im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative Ost ergänzen. Das bedeutet für den Bund 420 Millionen DM an Bundesmitteln.
Der Sachverhalt ist bekannt. Was mich in dieser Sache aber wirklich nervt, ist die Art und Weise, wie die öffentliche Debatte geführt wird. Deshalb will ich dazu eine Bemerkung machen. Jeder, der sich mit diesem Thema befaßt, weiß, daß zu frühzeitiges Ankündigen eines staatlichen Programms betriebliche Ausbildungsplätze kostet. Jeder, der diese Debatte führt, nimmt dies billigend in Kauf und versündigt sich an unseren Jugendlichen.
Besonders perfide finde ich, wenn Leute wie die brandenburgische Sozialministerin Hildebrandt zu einem Zeitpunkt, an dem die brandenburgische Landesregierung schon mit dem Bund über das neue Programm verhandelt, mit Horrorzahlen durch die Welt läuft und weiterhin Unternehmer abschreckt, betriebliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Sie hat den Namen Katastrophen-Hilde, wir kennen das. Ein solches Handeln ist unverantwortlich, und man darf es auch nicht durchgehen lassen.
Seit dem 4. November 1994 - ich könnte Ihnen das vorlesen - spricht die Bundesregierung in mehr als einem Dutzend Besprechungen mit den ostdeutschen Landesregierungen über die Frage, wie ein solches Programm aussehen kann. Wer dann wie Herr Thierse, Herr Ringstorff oder Frau Hildebrandt hingeht und Leute nach außen im wahrsten Sinne des Wortes verhetzt, handelt unverantwortlich. Ich meine, das muß hier deutlich angesprochen werden.
Ich unterstreiche, daß wir uns auch im kommenden Jahr werden sehr anstrengen müssen. Wir werden im nächsten Jahr nicht nur 600 000, sondern 630 000 Lehrplätze brauchen. Insofern, Kollege Rixe, ist es richtig und wichtig, daß wir uns auch über strukturelle Fragen unterhalten. Die Bundesregierung ist dabei. Ich habe hier dazu schon mehrfach gesprochen. Die Frage, was die Tarifparteien in Tarifverträgen tun können, Zukunftsberufe, Meister-BAföG, das sind alles Themen, die wichtig sind, bei denen wir weiterkommen können und auch weiter in der Diskussion bleiben.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Odendahl?
Ja.
Herr Minister, ganz abgesehen davon, daß es wohl aller Ehren wert ist, sich in der Öffentlichkeit zu streiten, und daß man dann nicht gleich von Verhetzung reden sollte,
stelle ich an Sie die Frage: Könnten Sie diesem Hause auch mitteilen, wieviel Prozent aller Ausbildungsplätze in Ostdeutschland heute mit öffentlichen Mitteln gefördert sind?
Die neue Zahl kann ich Ihnen noch nicht nennen, weil sie, wie Sie genau wissen, heute noch nicht vorliegt, liebe Frau Kollegin. Die Zahl vom letzten Jahr war 62 %. Wir waren, wenn ich mich richtig erinnere, in diesem Hause über alle Parteien hinweg - mit einer Ausnahme - gemeinsam in dem Ziel verbunden, daß das heruntergefahren werden muß.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Rixe?
Gerne.
Herr Minister, können Sie mir sagen, welche Zahl denn jetzt stimmt? Ihr Ministe-
Günter Rixe
rium hat vor ein paar Tagen eine Presseerklärung herausgegeben, nach der nach dem Programm mit 14 600 Plätzen alle Jugendlichen eine Lehrstelle haben. Drei Tage später gibt der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Jagoda, eine Pressekonferenz und sagt, es fehlten in den fünf neuen Ländern noch 30 600 Ausbildungsplätze. Es gibt 6 000 offene Stellen. Dann verbleiben rund 24 500 fehlende Ausbildungsplätze. Nach diesen Berechnungen fehlen also letztendlich noch 10 000 Ausbildungsplätze. Können Sie sich zwischen dem Ministerium und der Bundesanstalt für Arbeit einmal einigen, welche Zahl denn jetzt stimmt?
Das Problem ist: Sie haben nicht zu Ende gelesen und nicht zu Ende gerechnet.
- Nein, wirklich nicht. Ich gebe zu, ich habe mich über Jagoda auch furchtbar geärgert.
Er hätte natürlich wissen müssen, daß er zu dem damaligen Zeitpunkt mit seiner komplizierten Rechnung die Leute verunsichert. Ich habe die Zahlen vorher mit ihm genauso wie mit den Ländern abgestimmt. Die Zahl von 14 500 ist völlig korrekt. Es kommen noch weitere Programme, wie Sie wissen, lieber Kollege Rixe, hinzu, z. B. das Benachteiligtenprogramm nach dem AFG usw. Wenn Sie das alles addieren, bleibt unter dem Strich als politisch wichtig übrig: Die Bundesregierung hat keine Zahl abgezogen, sie hat keine Zahl selber entwickelt, sondern sie hat das addiert, was die Landesregierungen aus Ostdeutschland angemeldet haben. Das ist im Programm enthalten. Da gibt es nichts zu kritisieren. Darauf gründet sich meine Aussage.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will ein letztes Thema ansprechen, nämlich das Thema BAföG.
Es hat seit einigen Wochen, seitdem ich ein Modell vorgelegt habe, plötzlich Bemühungen und intensive Diskussionen gegeben. Die Tatsache, daß es im Hochschulbereich plötzlich Bewegungen gibt, ist ein erster Erfolg, nachdem jahrelang nur lamentiert wurde.
Mir geht es darum, die Lage der Studenten zu verbessern. Das schließt die Verbesserung der Studienbedingungen ein. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich bin in dieser Sache durchaus gesprächsbereit. Wir alle wissen, daß wir letztlich zu einer gemeinsamen Antwort kommen müssen. Sie werden verstehen, daß ich mich zuerst einmal über die Rede des Grünen-Sprechers Metzger am Dienstag in der Haushaltsdebatte besonders gefreut habe. Er hat mich nämlich gelobt. Er hat gelobt, daß die
Bundesregierung nicht in den alten, traditionellen Haushaltsmustern verharrt, sondern, wie er gesagt hat, kreative Lösungsansätze entwickelt hat. Er hat das auf meinen BAföG-Vorschlag bezogen.
Herr Metzger hat natürlich recht, und ich würde ihm nicht widersprechen.
Wir haben natürlich, lieber Herr Glotz, auch Ihre Vorschläge und die der anderen gewissenhaft geprüft. Dazu möchte ich einige Bemerkungen machen, weil sie für die öffentliche Debatte wichtig sind.
Das erste ist: Keine der genannten Varianten - weder die von Herrn Glotz und/oder die von Herrn Scharping, weder die von den Grünen noch die vom Deutschen Studentenwerk - rechnet sich. Wenn man den SPD-Vorschlag, Kindergeld und Steuerfreibeträge zu streichen, einmal durchrechnet - wenn man ihn überhaupt für zulässig hält -, ergibt sich, daß er rund 5,3 Milliarden DM bringt. Dem stehen 3,1 Millionen Auszubildende gegenüber, die eine monatliche Grundförderung, Herr Glotz, von 500 DM erhalten sollen. Das macht pro Jahr 18,6 Milliarden DM, ergibt also ein Defizit von 13,3 Milliarden DM. Herr Glotz, ich frage mich, wie Sie einen solchen Vorschlag hier ernsthaft vorlegen konnten.
Die Grünen sind ja wenigstens ehrlich. Sie schreiben in ihren Text hinein: Unser Vorschlag kostet 18 Milliarden DM, die wir noch nicht gedeckt haben. Diese Summe decken wir durch eine vierprozentige Zusatzabgabe, bezogen auf das Einkommen. Das sollen die Leute lebenslang zahlen, um diesen Vorschlag zu finanzieren, und der Bund soll einige Jahre zwischenfinanzieren. Ich finde das wenigstens ehrlich.
Aber daß Herr Scharping, wie gestern zu hören war, sagt, der Vorschlag der SPD sei kostenneutral, kann ich nicht verstehen. Das ist entweder Roßtäuscherei, oder es zeigt, daß er noch immer nicht rechnen kann. Das haben wir ja schon einmal erlebt. Vor der Bundestagswahl hat er brutto und netto verwechselt, und jetzt läuft er schon wieder in eine Tara-Falle hinein.
Wer sich darüber hinwegsetzen und sagen will: „Es interessiert mich nicht, was das kostet", der muß sich ansehen, wie versucht wird, solche Löcher zu stopfen.
Verzeihung, Herr Bundesminister. Ich will dem Kollegen nur sagen, daß ich Sie gar nicht unterbrechen kann, um zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen, weil Ihre Redezeit eh schon erschöpft ist.
Aber es
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
ist gerade so spannend, Herr Präsident. Von daher gesehen lassen Sie mich bitte noch einige Bemerkungen dazu machen.
Herr Glotz hat in seinem Papier vorgeschlagen, daß man dieses Studentengehalt nur einmal bekommen soll. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das hat z. B. zur Folge, daß diejenigen, die eine Lehre absolviert haben und im Anschluß daran studieren, während des Studiums nichts mehr bekommen. Das sind 38 % der Studenten. Ich frage mich, wie man einen solchen Vorschlag machen kann.
Das Ganze ist auch noch familienfeindlich. Denn wenn man sagt: „Ich wandle das Kindergeld und die Steuerfreibeträge um" , dann hat das natürlich zur Folge, daß gerade kinderreiche Familien besonders getroffen werden, weil derjenige, bei dem das alles umgewandelt wird, nicht mehr für die Progression beim Kindergeld, die wir, Herr Finanzminister, mit Zustimmung der SPD doch gerade erst neu geregelt haben, in Frage kommt.
Es gibt noch etwas ganz Interessantes. Keiner der Vorschläge, die jetzt gemacht worden sind, erreicht in der Höhe den Betrag, den der Vorschlag der Koalition und der Bundesregierung für die Studenten ausmacht. Es gibt einen ganz wichtigen sozialpolitischen Aspekt. Ich sage das deshalb ganz ernst, weil ich natürlich gelesen habe, was es an Vorwürfen und an Bedenken gibt. Das eine oder andere davon spricht einen ja auch an.
Ich frage mich: Was ist eigentlich sozialer? Statt wie heute Akademikern 20 Jahre ein zinsloses Darlehen zu gewähren, das sie, ohne Zinsen dafür zahlen zu müssen, zurückzahlen, halte ich es für besser, den Studenten soviel Geld zu geben, daß sie ordentlich und schnell studieren können. Deshalb ist unser Modell viel sozialer als das, was wir im Moment haben. Denn die Studenten bekommen das Geld dann, wenn sie es brauchen, nämlich während des Studiums, und bezahlen es zurück, wenn sie Geld verdienen. Das, finde ich, ist der richtige Ansatz.
Wir müssen uns auch darüber klarwerden, über welche Menschen wir reden. Wir können dann wieder die Debatte führen, wer schuld ist. Ich übernehme dann wieder meinen Teil, liebe Frau Kollegin Odendahl. Wir haben inzwischen die Situation, daß nur noch 24 % der Studenten BAföG-berechtigt sind. -Bei Realisierung meines Vorschlages geht die Zahl wieder auf 30 % hoch.
Wir wollen jetzt darüber reden, welche Menschen das sind: Heute fällt man aus der Vollförderung heraus, wenn man - Vater, Mutter, ein Kind als Schüler und ein Kind auf der Universität - 3 900 DM brutto verdient.
Ich glaube, daß es ganz wichtig ist, daß wir deshalb die 6%ige Erhöhung der Freibeträge, plus die 3 %, plus die 4 %, die wir gerade haben, insgesamt 13 % innerhalb von zwei Jahren, gewährleisten. Dasgeht vor dem Hintergrund der angespannten Finanzlage nur, indem wir Umschichtungen vornehmen. Das wäre gut für die Studentinnen und Studenten. Deshalb ist dieses System in sich schlüssig.
Meine Damen und Herren, ich will wegen der kurzen Zeit weglassen, was mit dem Geld alles gemacht werden kann. Was ich wichtig finde, ist - ich will noch einmal auf Herrn Metzger zu sprechen kommen -, daß es in Zeiten knapper Kassen doch geht, Innovation durch Kreativität zu erreichen, während leider bisher von der Opposition jeweils Innovation durch Konfusion angesteuert wurde.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Professor Dr. Peter Glotz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat einen Zukunftsminister berufen. Sie hat in der Koalitionsvereinbarung eine Qualifikations- und Innovationsoffensive angekündigt. Wir Sozialdemokraten haben das eine wie das andere begrüßt. Wir haben Herrn Minister Rüttgers beim Haushalt 1995 mit Samthandschuhen angefaßt, mit dem Argument, als neu berufener Minister habe er den Haushalt 1995 nicht wirklich beeinflussen können.
Den jetzigen Haushalt konnte er beeinflussen. Ich muß heute feststellen: Die Qualifikations- und Innovationsoffensive findet nicht statt. Sie ist heiße Luft.
Der Zukunftsminister findet sozusagen statt, aber bloß als Kommunikator, nicht als Umsetzer. Herr Rüttgers mag der Tag- und Nachtschatten des Bundeskanzlers sein - um Günter Grass zu zitieren. Auf seinen Haushalt hat sich das aber noch nicht ausgewirkt. Der Zukunftsminister ist blaß um die Nase.
Ich spiele hier nicht das alberne Schwarzer-PeterSpiel zwischen Regierung und Opposition und zwischen Bund und Ländern. Ich weiß wohl, wie tief auch sozialdemokratische Länder gelegentlich in den Bildungshaushalt hineinschneiden. Ich weiß wohl, daß auch die SPD angesichts der Staatsverschuldung und der Einnahmesituation der öffentlichen Haushalte nicht beliebig viel Geld für Forschung und Bildung zur Verfügung hätte.
Aber ich sage mit allem Ernst, meine Damen und Herren, und unter voller Deckung durch meine Fraktion einschließlich der Haushaltspolitiker: Die deutschen Hochschulen und die deutsche Berufsbildung sind in einem Zustand, in dem man den Karren nicht weiterlaufen lassen kann wie in den letzten eineinhalb Jahrzehnten.
Dr. Peter Glotz
Ich neige nicht zu pathetischen Übertreibungen, aber ich fühle mich verpflichtet festzustellen: Wenn wir noch ein halbes Jahrzehnt lang Bildung und Forschung weiterhin als Haushaltsposten unter Haushaltsposten bewerten, dann sind viele deutsche Hochschulen ruiniert, und die deutsche Berufsbildung ist halbiert, meine Damen und Herren.
In diesem Punkt helfen die Rechnungen von 1995 auf 1996, die Herr Rüttgers stolz vorträgt, nicht weiter. Der Bundesanteil am Bildungsbudget lag 1975 bei rund 10 %. Jetzt liegen wir weit unter 8 %.
Wenn der Bund so wie 1975 weitergemacht hätte - damals war der Höhepunkt der Finanzierung -, hätten wir heute 3 Milliarden DM mehr im Haushalt des Herrn Rüttgers stehen.
- Sie haben durchaus recht. Der Abstieg fing nicht erst bei Helmut Kohl an. Aber bei Helmut Kohl hat er sich - und zwar nicht erst ab 1989 wegen der Sonderbedingung Wiedervereinigung, sondern bereits ab 1982 - absolut radikalisiert. Sie haben dieses Thema überhaupt nicht wichtig genommen.
Die Regierung betreibt ein Zentralgebiet der Politik wie ein Kavallerieregiment die Schreibstube: als Nebensache. Das ist nicht nur verantwortungslos. Ich glaube, es ist auch töricht.
Es geht jetzt nicht um den üblichen Zank zwischen Christdemokraten und Sozialdemokraten.
Jetzt geht es um den Rang unserer Hochschulen und um das Überleben eines Systems, das in der ganzen Welt berühmt ist, das aber in Gefahr gerät, nämlich um die duale Berufsausbildung. Bildung und Forschung müssen wieder den Rang bekommen, den sie beispielsweise unter Bundeskanzler Brandt hatten, oder wir verfehlen alle gemeinsam unsere Verantwortung.
Dazu ist auch eine Trendwende beim Bildungs- und Forschungshaushalt des Bundes notwendig. Sie haben recht, wenn Sie sagen, Herr Rüttgers, Geld ist nicht alles. Sie haben recht, wenn Sie sagen, der Bund allein kann vieles nicht bewegen. Sie haben recht, wenn Sie auf die Finanzierungsprobleme hinweisen. Aber Sie haben unrecht, wenn Sie auf eine neue Prioritätensetzung zugunsten von Bildung und Forschung verzichten.
An unseren Anträgen zur zweiten und dritten Lesung werden Sie erkennen, daß wir an hundert Stellen Einsparungsvorschläge machen. Bei der Schaffung von Arbeitsplätzen und bei der Investition in Köpfe aber muß Butter bei die Fische. Dies werden Sie an der sozialdemokratischen Haushaltspolitik erkennen, meine Damen und Herren.
Es ist eine Versündigung an den nachkommenden Generationen, daß diese Bundesregierung auf eine solche Trendumkehr verzichtet.
Jetzt, ein knappes Jahr nach Ihrem Amtsantritt, Herr Minister, muß ich das auch an Sie persönlich adressieren. Wenn Sie sich die Statistiken ansehen, stellen Sie fest: 1991 gibt es eine deutliche Ausbuchtung des Bildungs- und Forschungshaushaltes nach oben. Ich mache Jürgen Möllemann nur ungern Komplimente, aber ich muß sagen: Das ist die Möllemann-Ausbuchtung. Ich stelle mit Bedauern fest: Eine auch nur einigermaßen vergleichbare RüttgersAusbuchtung haben Sie noch nicht zustande bekommen, Herr Bundesminister.
Aber trickreicher als Ihre direkten Vorgänger sind Sie schon. Ich meine nichts Negatives, wenn ich Ihre Geschäftsführerraffinesse lobe. Die Idee, Ihren Haushalt über Zinszahlungen des einkommensmäßig untersten Fünftels der Studentenschaft aufzunorden, ist so hinterlistig - auf bayerisch würde ich sagen, aber das möchte ich Ihnen als rheinischem Menschen nicht zumuten: hinterfotzig -,
daß sich einem fast ein gequältes Bewunderungsstöhnen entringt. Aber ich füge gleich hinzu: Für viele Studierende würde sich die Rückzahlungsschuld verdoppeln und damit Dimensionen erreichen, die vom Studium abschrecken.
Wohin, verehrter Herr Rüttgers, wollen Sie die Leute eigentlich abschrecken, nachdem auch die Zahl der Ausbildungsplätze im dualen System zurückgeht?
Ihr Plan ist konzeptionslos oder, schärfer ausgedrückt, ruchlos.
Meine Damen und Herren, wir werden uns überlegen müssen, wo wir neue Finanzierungsquellen für die Bildung erschließen. Ich glaube auch nicht, daß alle notwendigen Mittel einfach aus staatlichen Haushalten erschlossen werden können. Aber ausgerechnet die untersten 20 % zu kneifen, die sowieso
Dr. Peter Glotz
schon am meisten gekniffen sind, das ist ganz und gar unakzeptabel.
Damit bin ich wieder bei der Geschäftsführerraffinesse unseres Zukunftsministers.
Er weiß natürlich, daß er mit seiner BAföG-Umschichtung an den sozialdemokratischen Ländern im Bundesrat scheitert. Deswegen will er die Länder nach dem Motto „Mit Speck fängt man Mäuse" ködern und sperrt zusätzliche Mittel für Hochschulbau, Forschungsorganisation oder Hochschulsonderprogramme qualifiziert.
Hinter diesem Konzept steht die Anthropologie von Pferdehändlern. Ich prophezeie Ihnen, Herr Bundesminister: Mit diesem Zaubertrick werden Sie scheitern. Was wir jedenfalls dazu beitragen können, daß Sie im Bundesrat scheitern, das werden wir tun.
Selbstverständlich beschränken wir uns nicht auf bissige Kritik. Wir haben Ihrem Vorschlag einen eigenen entgegengestellt, den Sie heute mit fragwürdigen und von der Öffentlichkeit schwer kontrollierbaren Rechnungen zu konterkarieren versucht haben.
- Nein, nicht gleichwohl richtig. Der Grundtatbestand, auf den wir hinweisen, ist der folgende. Sie haben einen ordentlichen Professor an einer Universität eines unserer Bundesländer. Er ist mit einer Oberstudienrätin verheiratet.
Er sagt einem - jetzt passen Sie einmal auf -: Mein Sohn ist mit 27 Jahren jetzt gerade fertig geworden. Wissen Sie, was mir im Budget fehlt? 700 DM.
Das heißt, ein Ehepaar mit diesem Einkommen hat Bildungstransfers - Kindergeld, Kinderfreibeträge und anderes - von 700 DM. Das, meine Damen und Herren, ist in der Tat unnötig. Von diesem Geld kann man ein ganzes Stück von dem finanzieren, was Herr Rüttgers den ärmsten 20 % der Studenten wegnehmen will. Das ist der Grundgedanke.
Dann ist die Frage, ob man allen, die eine Ausbildungsvergütung bekommen, die berühmten 400 DM oder 500 DM gibt. Ich gebe Ihnen recht: Da muß man genau rechnen, ob es 380 DM oder 500 DM sind. Zu dieser gemeinsamen Rechnung sind wir ja bereit. Aber dann müssen auch Sie dazu bereit sein und dürfen nicht einfach nur sagen Das steht in meinem
Haushalt, das mache ich jetzt ganz schnell, bei den unteren 20 % kassieren wir ab, und damit sind meine Probleme gelöst. - Das geht nicht, meine Damen und Herren, jedenfalls nicht mit uns.
Sie wissen im übrigen ja auch, was die Hochschulrektorenkonferenz, das Deutsche Studentenwerk, die Gewerkschaften und selbst unionsgeführte Länder zu Ihrem Patentrezept sagen. Reden Sie mit uns, bevor Sie mit Karacho in die Sackgasse fahren.
Hier bin ich sozusagen beim Cantus firmus dieser Haushaltsdebatte im Forschungs- und Bildungsbereich. Mein Plädoyer lautet: Trauen Sie sich Komplexität zu, Herr Rüttgers. Die Probleme des Ressorts, in dem Sie arbeiten und in dem wir arbeiten, sind nur durch neue Ideen lösbar, nicht durch Schlaumeiereien. Ich möchte das an zwei Beispielen verdeutlichen.
Erstes Beispiel: Schon seit einigen Jahren werden die notwendigen Ausbildungsplätze im dualen System nur noch mit Preßwehen geboren. Die Regierung macht große Appelle. Die Opposition weist pflichtgemäß auf die Defizite hin. Die Regierung beschimpft die Opposition wegen angeblicher Schwarzmalerei. Am Schluß wurde das Problem dann, jedenfalls bisher, mit Ach und Krach gelöst. Wir wünschen uns gemeinsam, daß es auch dieses Jahr gelingen möge. Ihr Sonderprogramm für 14 500 außerbetriebliche Ausbildungsplätze mag ja dazu beitragen. Es gibt aber keinen Anlaß, die Opposition zu beschimpfen und einen Kollegen wie den Kollegen Thierse mit dem Begriff „verhetzen" zu belegen. Herr Kollege Rüttgers, diesen Begriff sollten Sie wirklich aus der Debatte nehmen.
Herr Kollege Rüttgers, es ist absehbar, daß irgendwann der Zeitpunkt kommt, ab dem auf diese Weise die Probleme nicht mehr lösbar sind. Jetzt sage ich: Beenden Sie doch den jährlichen Eiertanz, und denken Sie mit uns gemeinsam über einen überbetrieblichen Leistungsausgleich zur Rettung des dualen Systems nach. Ich will keine klassenkämpferisch motivierte Abgabe. Wir wollen eine pfiffige Lösung, die uns diesen jährlichen Eiertanz erspart. Muten Sie sich Komplexität zu, und diskutieren Sie mit uns, wie man eine Politik der pathetischen und immer wirkungsloseren Appelle an die Wirtschaft durch eine Politik der intelligenten Anreize ablösen kann.
Mein zweites Beispiel zielt auf das Thema Risikokapital für junge Technologieunternehmen. Da stimmen wir beide in der Rhetorik deckungsgleich miteinander überein. Das Problem ist nur: Weil Sie wissen, daß man zu einem wirksamen Programm den Finanzminister, den Wirtschaftsminister, die Justizministerin, die Banken und noch viele andere Partner braucht, fassen Sie das heiße Eisen gar nicht an. Ich
Dr. Peter Glotz
sage Ihnen: Nichts gegen Geschäftsführergeschicklichkeit und gegen Vermittlungsausschußlogik; aber als Zukunftsminister werden Sie damit nicht durchkommen.
In dieser Bundesrepublik ist es derzeit so: Alle reden von Innovation, aber sie passiert nicht. Ich habe Ihnen vor einem Jahr jede Kooperation im Hinblick auf ein vielfältiges Innovationsprogramm angeboten. Es müßte viele Elemente umfassen: Förderung von „start up and seed capital", verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten für junge Technologieunternehmen, Änderungen von Steuersätzen, Reform des Insolvenzrechts. Ja, das ist schwierig, das ist komplex. Aber wenn Sie sich Komplexität nicht zutrauen, werden Sie in diesem Ressort scheitern, Herr Rüttgers.
Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stelle ich fest:
Erstens. Wir fordern die Bundesregierung auf, der Forschungs- und Bildungspolitik nicht nur in Sonntagsreden - das tun alle -, sondern auch in der täglichen Politik und beim Haushalt eine neue Priorität zu geben. Die Qualität unserer Bildungseinrichtungen ist nun wirklich wichtiger als die Verschickung irgendwelcher Tornados irgendwohin und manches andere, was von dieser Regierung für wichtig genommen wird.
Zweitens. Die Probleme von Bildung und Forschung sind angesichts leerer Kassen nicht durch clevere Zauberkunststücke, sondern nur durch anspruchsvolle und zugegebenermaßen schwer zu bewerkstelligende Reformkonzepte lösbar. Sie müssen sich Komplexität zutrauen und Ihr ganzes Kabinett für die Bildungsreform gewinnen. Wenn Sie es als Einzelkämpfer versuchen, müssen Sie scheitern.
Drittens. Entweder bringen wir gemeinsam - der ganze Bundestag - durch Veränderung der Rahmenbedingungen Bewegung in unsere erstarrte Industrie, oder die Arbeitslosigkeit wird in der Tat immer schlimmer werden. Wo gibt es in der Bundesrepublik Unternehmen, die jünger als 20 Jahre sind und beispielsweise einen Umsatz von mehr als 500 Millionen DM haben? Wo sind die deutschen Entsprechungen zu Apple oder Compaq? Jetzt könnte ich noch eine ganze Reihe von anderen Namen nennen.
Meine Damen und Herren, der Zukunftsminister - das ist mein letzter Satz - darf die Zukunft nicht nur beschwören, er müßte sie gestalten.
Herzlichen Dank.
Kollege Steffen Kampeter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Vorlage des Etats für 1996 wird im Bereich des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung erstmals ein Zahlenwerk vorgelegt, das auch haushälterisch die Vereinigung von zwei unabhängigen Ministerien zu einem Zukunftsministerium vollzieht. War der Haushaltsentwurf 1995 lediglich die Zusammenfassung ehemals separater Etats, so haben wir es jetzt hier mit einem gemeinsamen, integrierten Etat für Bildung, Forschung, Wissenschaft und Technologie im vereinten Deutschland zu tun.
Die bereits mit dem Etat 1995 eingelöste Zusage des Bundeskanzlers für Zuwächse in den Bereichen Forschung und Technologie wird auch mit dem Etatentwurf für 1996 verwirklicht. Mit einem Gesamtvolumen von rund 15,5 Milliarden DM ist dieser Einzelplan der fünftgrößte im Bundeshaushalt, und trotz des sinkenden Gesamtvolumens des Bundeshaushalts für 1996, Herr Kollege Glotz, steigen die Ausgaben dieses Etats immerhin noch um 2,3 %.
Die Mittel für die Förderung von Forschung und Technologie steigen gegenüber 1995 innerhalb dieses Etats überproportional mit einem Satz von 2,8 %. Das ist immerhin eine Steigerung gegenüber der bisherigen Finanzplanung in Höhe von 275 Millionen DM allein im Jahr 1996.
Somit wird zumindest für die eine Seite des Hauses klar, daß der hohen politischen Bedeutung, die diesem Politikbereich im gesamten Haus eingeräumt wird, auch eine entsprechende Würdigung im Haushalt des Bundes gegenübersteht, und dies vor dem Hintergrund von umfassenden Kürzungen in den Länderetats. Ich erinnere daran, was sich z. B. in Niedersachsen in der Forschungslandschaft abspielt. Sie können somit auch Unterschiede zwischen sozialdemokratischer und der hier von der christdemokratisch-liberalen Koalition vertretenen Forschungs- und Bildungspolitik eindeutig erkennen.
Wenn Sie, Herr Kollege Glotz, in Ihrem Debattenbeitrag zu diesem Bereich davon sprechen, wir versündigten uns an etwas, dann ist das nicht nur mit übermäßigem Pathos ausgestattet, sondern es zeigt auch, daß man einen Politikbereich auch kaputtzureden versuchen kann. Sie haben dann auch noch die Tornados mit dem Bildungsbereich in Zusammenhang gebracht. So etwas fand ich schon zu der Zeit, als ich studiert habe und als es um die Pershings ging, die gegen die Bildungsausgaben hochgerechnet worden sind, ausgesprochen billig. Daß Sie sich auf dieses Niveau herablassen, verwundert mich doch sehr.
Die Schwerpunktsetzung für den Haushalt 1996 ist klar und eindeutig: 4,6 Milliarden DM für Hochschule, Bildung und Berufsbildung, 5,2 Milliarden DM für Wissenschaft und Forschung, 4,3 Milliarden DM für die Projektförderung und 1,5 Milliarden DM für die internationale Forschungskooperation und die europäische Weltraumforschung.
Steffen Kampeter
Wichtige Positionen in diesem Haushaltsentwurf betreffen die Verwirklichung zentraler Reformvorhaben wie BAföG, Meister-BAföG und Hochschulbaureform. Das sind ehrgeizige Vorhaben, für die im Vergleich zu den Mitteln, die wir bisher in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen hatten, mehr Spielräume für Ausgaben in diesem Bereich geschaffen werden.
Ich möchte allerdings davor warnen, daß wir die Bedeutung dieses Politikbereichs allein an den Haushaltszahlen ablesen. Sie können ein günstiges Innovationsklima in Deutschland nicht allein über einen Etat steuern. Sie können Technologiefreundlichkeit oder -feindlichkeit von Menschen nicht mit Millionen beeinflussen, und Sie können handwerkliches Können nicht ohne das Zutun von privaten Unternehmen fördern.
Wir sind alle aufgefordert, deutlich zu machen, daß im Bereich Bildung, Forschung, Wissenschaft und Technologie eine der Schlüsselaufgaben für die Gestaltung der Politik im nächsten Jahrtausend liegt, und ich glaube, dieser Etat für 1996 ist dafür eine gute, eine solide Grundlage.
Lassen Sie mich einiges darüber sagen, wie Forschung in Arbeitsplätze umgewandelt wird, was ja ein ganz wesentliches Ziel unserer Förderpolitik ist. Deswegen wird auch im Etat für 1996 gerade auf die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen ein besonderer Akzent gesetzt. Sie wird mit rund 630 Millionen DM weiter aufgestockt. Die mittelstandsbezogene Innovationsförderung wächst um knapp 20 %, denn kleine und mittlere Unternehmen setzen Forschung rascher am Markt um und schaffen im Vergleich zu industriellen Investitionen mehr Arbeitsplätze.
Minister Rüttgers hat in seiner Etatrede das Lehrstellenprogramm für die neuen Länder erläutert. Eine Zeitung übertitelte kürzlich einen Artikel zur Lehrstellensituation: „Ausbildung als Eintrittskarte in die Zukunft". Die politisch relevante Frage scheint in diesen Tagen zu sein: Wer zahlt für diese Eintrittskarte? Es darf kein dauerhaft beschrittener Weg sein, daß der Staat die Kosten für Ausbildung übernimmt.
Ausbildung ist und bleibt zentrale Aufgabe der Wirtschaft. Schließlich ist die Qualifikation einer der wenigen unbestrittenen Vorzüge des Wirtschaftsstandorts Deutschland.
Das hier jetzt vorgeschlagene Lehrstellenprogramm erfüllt allerdings in bestimmten Regionen, wo wir Engpässe haben, die wir zur Kenntnis genommen haben, und jetzt politisch handeln, auch die Zusage des Bundeskanzlers, daß für die Jugendlichen im Osten die notwendigen Ausbildungsperspektiven genutzt werden.
Die Finanzierung dieses Lehrstellenprogramms stellt eine wichtige Querschnittsaufgabe über alle Etats des Bundeshaushalts dar. Aus ordnungspolitischer wie aus haushälterischer Sicht kann es jedoch nicht Daueraufgabe sein, Lehrstellenprogramme außerbetrieblicher Art zu finanzieren.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einiges zu den Ausführungen zur BAföG-Reform sagen, die Sie, Herr Glotz, hier vorgetragen haben. Ich war einigermaßen erstaunt, daß Sie hier vor dem Deutschen Bundestag behauptet haben, die Rückzahlung treffe die Ärmsten der Ärmsten. Ich bin BAföG-Student gewesen. Mein akademisches Ausbildungsende liegt mehr als vier Jahre zurück. Sie können nicht sagen, daß ich, wenn mich jetzt die Rückforderung trifft, zu den Ärmsten der Ärmsten gehöre.
Das Modell, das Sie hier verzerrt dargestellt haben, sieht vier Jahre nach dem Ausbildungsende unter Zugrundelegung von Sozialklauseln eine Rückzahlung des BAföG-Darlehens vor, und zwar lediglich die Hälfte und teilweise verzinst.
Herr Kollege Kampeter, der Herr Kollege Glotz würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ich möchte diesen Gedanken kurz noch zu Ende führen.
Herr Rixe, damit schaffen wir u. a. auch Mittel, die die vom Handwerk geforderte Meisterausbildung oder das Meister-BAföG entsprechend finanziell ausstatten. Ihre Handwerksorganisation hat heute doch großspurig gefordert, es müsse noch einmal kräftig nachgelegt werden. Nur, irgendwo müssen die entsprechenden Finanzierungsspielräume geschaffen werden.
Diese BAföG-Reform schafft 1,6 Milliarden DM für den Bund und knapp 800 Millionen DM für die Länder. Das sind zusätzliche Mittel, aufgebracht von denjenigen, die nach abgeschlossenem Studium in Lohn und Brot stehen: Ärzte, Rechtsanwälte, DiplomIngenieure, zahllose andere Berufsgänge. Darum kann man doch nicht behaupten, das sei das Abkassieren bei den Ärmsten.
Bitte, die Zwischenfrage.
Herr Kollege, würden Sie mir zugestehen, daß ich nicht von den Ärmsten der Armen gesprochen habe, sondern von den einkommensmäßig unteren 20 % der Studentenschaft?
Würden Sie zweitens konzedieren, daß wir die Sorge haben, daß Leute, die dann das Doppelte von dem zahlen müssen, was sie jetzt zahlen, vom Studium abgeschreckt werden könnten und daß dieser negative Effekt absolut nicht beabsichtigt sein kann?
Herr Kollege Glotz, Sie haben es durch das Nichtdrücken des Knopfs am Mikrofon den Stenographen ein bißchen schwergemacht, aber vor allem die übrigen Kollegen um den Genuß Ihrer Äußerungen gebracht.
Herr Kollege Glotz, ich wiederhole: Zum Zeitpunkt der Rückzahlung, vier Jahre nach Beendigung des Studiums, kann eine solche Qualifikation doch wirklich nicht mehr zutreffen. Ich konzediere gerne, daß Sie gesagt haben, das seien die Ärmsten unter den Studenten.
Sind Sie wie ich nicht auch der Meinung, daß man sich vier Jahre nach seinem Studienende, nach einem abgeschlossenen akademischen Studium, durchaus in der Lage sehen sollte, für einen mindestens um 50 % reduzierten Darlehensbetrag einen marktüblichen Zins zu zahlen? Genauso mußte bislang ein Handwerksmeister, der vollzeitschulisch seine Meisterschulung gemacht hat, in der Regel einen Kredit aufnehmen, um an dieser Ausbildung teilnehmen zu können.
Das entspricht doch einem dringenden Gebot der Gerechtigkeit gegenüber denjenigen, denen wir bisher keine staatliche Ausbildungsfinanzierung, keine staatliche Unterstützung haben zuteil werden lassen. Deswegen finde ich dieses Modell unterstützenswert.
- Als das BAföG von Vollzuschuß auf unverzinstes Darlehen umgestellt worden ist, Herr Kollege Glotz, hat es diesen Abschreckungseffekt auch nicht gegeben. Die Unterschiedsbeträge - Sie müssen das einmal auf einen Monat herunterrechnen; Sie reden immer vom Verdoppeln; das klingt sehr imposant - werden eine solche Abschreckung nicht auslösen.
Herr Kollege Kampeter, der Kollege Koppelin würde ebenfalls gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ich freue mich natürlich über jede Zwischenfrage, da sie meine Redezeit verlängert, Herr Präsident.
Wenn etwas Vernünftiges dabei herauskommt, ist das in Ordnung.
Kollege Kampeter, Sie haben vom marktüblichen Zinssatz gesprochen. Teilen Sie meine Auffassung, daß wir darüber sicher noch einmal reden müssen?
Die Antwort auf diese Frage ist: Ja. Selbstverständlich wird im Gesetzgebungsverfahren noch einmal über jedes Detail zu reden sein. Es gibt ja noch nicht einmal einen Kabinettsbeschluß. Herr Kollege Koppelin, natürlich werden wir und die Kollegen im Fachausschuß noch sehr, sehr intensiv und umfassend darüber reden.
Sind Sie auch bereit, eine Anschlußfrage des Kollegen Koppeln zu beantworten?
Selbstverständlich.
Kollege Kampeter, wären Sie vielleicht auch bereit, sich unseren Vorstellungen über einen Zinssatz in Höhe von, sagen wir, 4 % plus 1 % Bearbeitungsgebühr anzunähern?
- Ich habe Herrn Kampeter gefragt, nicht euch.
Meine Antwort: Schauen wir mal.
Ein weiteres, ganz wichtiges Element dieser BAföG-Strukturreform ist die Verknüpfung mit den Reformüberlegungen zum Hochschulbau. Ich halte das sachlich für ausgesprochen wichtig und richtig. Die Vorschläge des Bundes liegen auf dem Tisch. Sie haben gestern in der Etatrede des Bundesfinanzministers noch einmal die Eckpunkte vernehmen können: Beschränkung der Förderung auf Großvorhaben durch die Erhöhung der seit 25 Jahren unveränderten Bagatellgrenze und Reduzierung des hohen Anteils an Bauvorhaben und Großgeräten für den Medizinbereich, in dem es ja überwiegend um die allgemeine medizinische Versorgung und nicht vorrangig um Forschung und Lehre geht.
Ich will Ihnen einmal eine Zahl nennen, die in diesen Tagen in der Presse zu lesen war: 1993 flossen bei Gesamtausgaben in einer Höhe von 44,7 Milliarden DM 20,4 Milliarden DM der Hochschulausgaben in die Medizinerausbildung und die Universitätskliniken. Ich gönne jedem Medizinstudenten und jedem praktizierenden Arzt die Gelder, die für seine Ausbildung aufgewandt werden. Bei der Reform des Hochschulbaus muß aber auch die Frage erlaubt sein, ob ein so hoher Anteil nicht ein Indiz dafür ist, daß Teile der Ausgaben, die eigentlich im allgemeinen Gesundheitsetat etatisiert werden müßten, von den Sozialversicherungskassen aufgebracht werden müssen und von den Mitteln für Forschung, Bildung, Wissenschaft und Technologie abgezogen werden.
Darüber müssen wir bei der Reform reden. Es müssen auch einmal Tabus angegangen werden; denn das ist eine sehr verkrustete Geschichte. Durch ein vollkommen unideologisches und pragmatisches Herangehen an eine Reform des Hochschulbaus werden wir neue Mittel für diesen Bereich freisetzen können.
- Herr Seehofer wird genauso wie ich mit Interesse
die Zahl zur Kenntnis genommen haben, daß knapp
die Hälfte der Ausgaben in diesem Bereich dafür ge-
Steffen Kampeter
tätigt wurden. Wenn ich lediglich den Hochschulbau behalte, ist das ungefähr ein Drittel, und da werden eben nicht nur Lehre und Forschung betrieben. Darüber muß man reden. Es muß eine Lösung gefunden werden, die beiden Seiten gerecht wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch zu einem anderen Thema Stellung nehmen, nämlich zur Situation der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie. Die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie ist aus Sicht dieser Koalition eine der strategischen Schlüsselindustrien für die Zukunft. Wir haben deshalb im vergangenen Jahr mehr als 2 Milliarden DM aus dem Bundesetat aufgewendet, um Maßnahmen in diesem Bereich zu unterstützen.
Im Oktober findet in Toulouse die Ministerratssitzung über die europäische Raumfahrt statt. Auf ihr soll konzeptionell und finanziell entschieden werden, wie es mit der europäischen Raumfahrtskooperation, vorrangig zwischen Deutschland, Frankreich, Italien, aber auch weiteren europäischen Ländern, weitergehen soll. Auf Grund von Meldungen über die wirtschaftliche Lage des größten deutschen Luft- und Raumfahrtkonzerns ist die politische Debatte über die Zukunft dieses Industriezweiges wieder aufgeflammt.
Mit den im Etat ausgewiesenen Mitteln leisten wir einen soliden Beitrag für die Zukunft der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie. Dies sollte von den Unternehmen anerkannt werden.
Für unternehmerisches Versagen, egal wo, wollen wir allerdings keine staatlichen Mittel aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung stellen.
Die Haushälter erwarten vom Ministerrat in Toulouse ein eindeutiges politisches Signal für die Zukunft der europäischen Raumfahrt, die Grundlage für die Festsetzung dieses Haushaltstitels sein wird. Das Interesse der Luft- und Raumfahrtindustrie scheint auch bei denjenigen wieder erwacht zu sein, die sich bisher durch Skepsis auszeichnen.
Aber ich will mal zitieren, was die schleswig-holsteinische Wissenschaftsministerin Tidick vor kurzem zu Protokoll gegeben hat. Sie fordert nämlich in bezug auf diese Etatverhandlungen, daß wir den Bereich Luft- und Raumfahrt kräftig absenken, um andere Forschungs- und Bildungsaufgaben zu finanzieren. Gemeint sind diejenigen, für die sie im eigenen Landeshaushalt offensichtlich kein Geld mehr hat.
Wenige Tage später lese ich ganz etwas anderes - gleiche Partei, aber anderer Kopf. Da erklärt der Kollege Schwanhold neben der Kollegin SkarpelisSperk und der Kollegin Janz unter der Überschrift „Bundesregierung muß ein Konzept für Luft- und Raumfahrtindustrie vorlegen",
es dürften auf gar keinen Fall Kürzungen bei der Luft- und Raumfahrt vorgenommen werden.
Auf der einen Seite erklärt Frau Tidick, SPD, in einem Bundesland, man müsse runter mit der Raumfahrt. Herr Schwanhold erklärt - wahrscheinlich vor Vertretern von Betriebsräten und Vorstandsmitgliedern der DASA -, man dürfe auf keinen Fall runtergehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist politisch doppelzüngig. Ich würde das als Heuchelei charakterisieren.
Wir stehen zur deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie, und das machen wir mit dem Etat 1996 deutlich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Fazit: Zukunft ist auf dem Expansionskurs. Das kann man an dem leistungsfähigen Minister, an den guten Etatzahlen ablesen. Wir werden in den Haushaltsberatungen allerdings die einzelnen Titel noch mal kräftig auf den Kopf stellen. Dann glaube ich, daß im Ergebnis für eine gute Zukunft in Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie eine gute Grundlage gelegt ist.
Herzlichen Dank.
Ich erteile dem Kollegen Dr. Manuel Kiper das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Rüttgers hat auf die lobenden Worte meines Fraktionskollegen Bezug genommen. Wir haben nichts gegen Kreativität, aber wir haben wohl etwas dagegen, wenn auf dem Rücken der Studenten Zinszahlungen eingetrieben werden sollen, um damit den Hochschulbau zu finanzieren. Dagegen haben wir sehr wohl etwas, und das hat Herr Rüttgers nicht gesagt.
Herr Minister, Sie haben bereits dargestellt, daß sich der Vorschlag der Grünen angeblich nicht rechne. Sie lassen sich zwar gerne als Zukunftsminister hofieren, aber woher nehmen Sie eigentlich die Informationen über einen Vorschlag der Grünen zum BAföG? Wir werden morgen im Arbeitskreis darüber befinden. Wir werden vielleicht in vierzehn Tagen auf Bundesebene einen Parteibeschluß herbeiführen. Aber worauf stützen Sie sich denn bei Ihren Behauptungen, unser Vorschlag rechne sich nicht? So sehr können Sie offensichtlich noch nicht in die Zukunft sehen.
- Von wegen hellsehen.
Dr. Manuel Kiper
Ich bitte Sie, an uns heranzutreten. Wir möchten Sie gern mit den Vorschlägen, die wir entwickeln und beschließen werden, füttern und sie Ihnen überreichen. Aber das wird noch ein wenig dauern. Diese Zeit müssen Sie abwarten.
Herr Kollege, der Kollege Kampeter würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ja.
Herr Kollege, wie würden Sie in diesem Zusammenhang dem Hohen Haus erläutern, was der Kollege Berninger, Mitglied der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vor einigen Tagen vorgeschlagen hat: Man solle bis zu einer Höchstförderungsdauer von zwölf Semestern elternunabhängig 1 000 DM pro Monat erhalten - Teilkompensation über Kindergeld, Ausbildungsfreibeträge, über BAföG -, dann werde der Solidaritätszuschlag nicht abgesenkt, sondern durch einen Ausbildungszuschlag in Höhe von 4 % vom Bruttoeinkommen nach Abschluß der Ausbildung gegenfinanziert. Wie wollen Sie die Ausgaben, bis die ersten nach Ende eines Studiums zurückzahlen, decken? Wir geben derzeit im Jahr einen Bundesanteil von 2 Milliarden DM für Studenten-BAföG aus. So kämen Sie nach drei, vier Jahren auf eine Unterdeckung von rund 10 Milliarden DM. Theo Waigel macht sehr viel möglich, aber die 10 Milliarden DM zu finanzieren dürfte schon ein wenig schwierig sein.
Herr Kampeter, wir werden hier auch eine bildungspolitische Debatte führen. Auch über das BAföG werden wir hier wieder diskutieren; wir haben schon wiederholt darüber diskutiert. Sie werden dann Gelegenheit haben, Herrn Berninger, meinen Fraktionskollegen, dazu auch direkt zu befragen.
Ich kann hier nur soviel sagen: Natürlich hat Herr Berninger das Recht, mit Vorschlägen in die Diskussion zu gehen. Wir haben in unserer Fraktion im Augenblick verschiedene Vorschläge, über die wir in einem demokratischen Verfahren entscheiden werden. Wir werden in der Tat versuchen, das BAföG auf eine solide Grundlage zu stellen.
Herr Kollege, auch der Kollege Berninger würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ja, bitte sehr.
Lieber Kollege Kiper, würden Sie mir darin zustimmen, daß wir den Kollegen Kampeter noch ein bißchen warten lassen sollten, bis wir ihm unseren Finanzierungsvorschlag unterbreiten? Stimmen Sie mir des weiteren darin zu, daß wir dann einen Vorschlag einbringen, wenn wir die Finanzierung klar haben, weil wir eine seriöse Finanzpolitik machen, und daß wir im Moment Diskussionsvorschläge, die er irgendwoher gekriegt hat, zunächst einmal zur Diskussion stellen? Ich denke, wir sollten die Regierung hier noch ein bißchen geduldig auf den Vorschlag warten lassen, wie wir das finanzieren.
Herr Berninger, ich bin mit Ihnen selbstverständlich einer Meinung, daß wir unsere Politik, auch was die Finanzen anbelangt, solide unterfüttern und von daher den Zeitpunkt abwarten müssen, bis wir entschieden haben. Herr Kampeter wird sich so lange gedulden müssen.
Entschuldigung! Ich darf eben an die Adresse des Kollegen Schwalbe sagen: Die affirmative Form der Fragestellung ist keine Spezialität der Grünen; das machen auch andere Fraktionen.
Bitte fahren Sie fort.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es geht hier aber um ganz andere Dinge, die Herr Minister Rüttgers uns heute hier vorgestellt hat und die der Einzelplan 30 dieses Haushalts behandelt. Wenn hier jetzt so getan wird, als ob mit den 80 Millionen DM aus den Zinszahlungen der Studenten die Hochschullandschaft neu belebt werden könnte, möchte ich die Frage an den Minister richten, warum er nicht auf den FRM-II, den neuen Reaktor in Garching, verzichtet. Dafür werden mehr Hochschulbaumittel verplant, als hier auf Kosten der Studenten wieder eingetrieben werden sollen.
Herr Minister, es gibt noch andere Milliardengräber in diesem Haushalt. Ich erinnere nur an den Transrapid: Sie können natürlich die 90 Millionen DM für den Transrapid einsparen. Sie können an anderer Stelle, auch bei der Weltraumforschung, sparen. Die Weltraumforschung wird von unserer Fraktion zwar nicht insgesamt in Frage gestellt, aber wir möchten Sie auffordern: Seien Sie mutig! Beenden Sie das Programm der bemannten Weltraumfahrt! Sie ist ein Relikt der 60er, 70er und 80er Jahre und hat im nächsten Jahrtausend nichts mehr zu suchen.
Dr. Manuel Kiper
Vielmehr behindert es uns bei der finanziellen Absicherung der gesamten übrigen Forschungslandschaft.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Herr Minister Rüttgers hat es zwar fertiggebracht, Akzente zu setzen und die Forschungslandschaft in gewisser Weise kreativ zu verwalten. Er hat es aber nicht fertiggebracht, die Hauptaufgabe, die sich heute in unserem Lande stellt, anzupacken.
Ich möchte hier an den Prozeß von Rio 1992 erinnern. Es geht darum, heute ein zukunftsfähiges Deutschland zu entwickeln. Da spielen Forschung und Technologieentwicklung natürlich eine ganz zentrale Rolle.
Da, Herr Rüttgers, versagen Sie. Die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland" wird nicht von Ihnen finanziert und in Auftrag gegeben, sondern Misereor und der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland, BUND, müssen diese Studie finanzieren, weil Sie nicht das Geld für diese Grundlagenarbeit zur Verfügung stellen. Es ist Ihr eigentliches Versagen, daß Sie es nicht fertigbringen, den Forschungs- und Technologiehaushalt unter ökologischen Gesichtspunkten wirklich systematisch umzukrempeln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Minister hat, auch wenn er jetzt nicht zuhört, als zentrales Betätigungsfeld die Biotechnologie entdeckt und durch den Haushalt wieder verstärkt festgeschrieben. Herr Minister, Sie wissen genauso gut wie ich, daß Sie mit dem Begriff der Biotechnologie nur von der eigentlichen Debatte ablenken wollen, die hier über die Zukunft der Gentechnik stattfinden müßte, über Gentechnik als Sackgassentechnologie.
Herr Minister, Sie malen hier 9 Millionen Arbeitsplätze in der Biotechnologie im Jahre 2000 an die Wand und wollen damit implizieren, die Gentechnik sei eine Zukunftstechnologie. Herr Minister, wenn Sie hier die Biotechnologie ansprechen, sprechen Sie offensichtlich von Brauereien und herkömmlicher Landwirtschaft, sonst könnten Sie nicht auf diese Zahl von Arbeitsplätzen kommen.
Ich darf daran erinnern, daß in den USA, wo die Gentechnik, die moderne molekularbiologische Biotechnologie, bekanntermaßen weiter fortgeschritten ist als in Deutschland, in dieser Branche bis zum heutigen Tage knapp 100 000 Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Wir können einmal die Zahlen auf den Tisch legen. Das sind die offiziellen Zahlen. In den USA werden 450 Millionen Dollar gebraucht, um eine Firma in der Gentechnik in die schwarzen Zahlen zu führen. Ich weiß nicht, woher dies in Deutschland kommen soll. Es wird zwar 1 Milliarde DM ausden öffentlichen Haushalten in die Gentechnik gepumpt, aber das private Risikokapital ist am Markt nicht vorhanden. Von daher hat die Gentechnik hier wirtschaftlich auch gar keine Chance.
Der Kollege Catenhusen möchte Sie etwas fragen.
Ja, bitte sehr, Herr Catenhusen.
Herr Kollege Kiper, da Sie diese Diskussion einfordern, möchte ich eine Frage zur Klärung der weiteren Debatte anschließen. Wollen Sie der Gentechnik in Deutschland eine wirtschaftliche Chance geben, oder ist die Ausgangsposition Ihres Debattenbeitrages weiterhin Ihr Bundesparteitagsbeschluß über den Ausstieg aus der Gentechnik?
Dr. Manuel Kiper [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Catenhusen, Sie kennen sich in der Gentechnik auch ein wenig aus.
Ihnen wird nicht entgangen sein, daß das, was hier als Zukunftschance Gentechnik und als Zukunftstechnologie Gentechnik beschworen wird, in den USA, dem Hochland der Gentechnik und dem Vorbild für Herrn Minister Rüttgers, ganz große Einbrüche erleidet. Sie kennen doch auch die Zahlen.
Sie wissen doch wie ich, daß in den letzten 16 Jahren in der grünen Gentechnik - das hat nichts mit unserer Fraktion zu tun, sondern das ist, wie Sie wissen, die landwirtschaftliche Gentechnik - 3,2 Milliarden Dollar rote Zahlen geschrieben worden sind, allein finanziert durch Risikokapital. Sie wissen, um auf die rote Gentechnik zu sprechen zu kommen - das hat mit Ihnen nichts zu tun, sondern bezieht sich auf die Pharmaprodukte -, daß allein im letzten Jahr 1,5 Milliarden Dollar Miese erwirtschaftet worden sind. Das können Sie doch nicht als Zukunftstechnologie bezeichnen. Das kann kein Vorbild sein. Von daher sagen wir Grüne: Herr Minister Rüttgers und Sie, Herr Catenhusen, setzen Sie nicht auf das falsche Pferd, sondern diskutieren Sie die Gentechnik rational. Rational heißt natürlich, daß man sich auch über die wirtschaftlichen Chancen einer Technologie klar wird.
Herr Catenhusen, ich möchte hier gar nicht verschweigen, daß wir als Fraktion in der Lage sind, nicht nur die wirtschaftlichen Gesichtspunkte zu diskutieren, sondern auch die vielfältigen ethischen Be-
Dr. Manuel Kiper
denken, die wir gegen die Gentechnik und ihre Anwendung haben, auf den Menschen zur Sprache zu bringen, zu thematisieren und insgesamt dazu zu benutzen, um eine abwehrende und ablehnende Haltung gegen das an den Tag zu bringen und in das Parlament einzubringen, was die Geningenieure heute betreiben, nämlich letztlich auch den Angriff auf die menschliche Fortpflanzung. Die schrecken doch vor nichts mehr zurück, auch nicht vor dem Eingriff in den Menschen und eine Höherzüchtung des Menschen. Das sind doch die Themen, die diskutiert werden müssen.
Nun, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die CDU - um noch einen Satz zur Gentechnik zu sagen - nimmt für sich in Anspruch, eine christliche Partei zu sein. Sie hat gerade jetzt wieder bewiesen, daß sie in der Kruzifix-Debatte mit den Zeichen des Christentums formal Politik machen möchte. Aber ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU: Haben Sie nicht auch ethische Bedenken gegen die Patentierung von Pflanze und Tier, gegen die Patentierung selbst der menschlichen Gene? Sehen Sie denn nicht die Notwendigkeit, der Gentechnik und dem Machbarkeitswahn der Geningenieure Grenzen zu setzen, die ja offensichtlich vor keinem Tabu mehr zurückschrecken? Ich glaube, Sie sollten sich hier auch tatsächlich einmal auf Ihre christlichen Wurzeln besinnen. Ich hoffe natürlich, daß Sie sich auch ein wenig von den wirtschaftlichen Zahlen beeindrucken lassen.
Die Gentechnik ist nicht die einzige Technologie in diesem Haushalt, die wir für eine Sackgassentechnologie halten. Herr Minister Rüttgers, wir haben nichts gegen die IuK-Technologien. Sie stellen über 1 Milliarde DM in diesem Haushalt für die Informations- und Kommunikationstechnologien zur Verfügung. Wir begrüßen das. Wir haben ebenfalls gefordert, daß das deutsche Forschungsnetz endlich verkabelt wird und leistungsfähige Netze für die Forschung aufgebaut werden. Wir hinken in dieser Beziehung weit hinter den USA hinterher. Es ist erfreulich, daß Sie jetzt immerhin 155-Megabit-Netze aufbauen. Das alleine reicht nicht. Auch hier muß - das wäre Ihre Aufgabe als Minister - eine grüne Informationstechnologie in dem Sinne geschaffen werden, daß diese Technologie und die Informationsgesellschaft unter ökologischen Gesichtspunkten durchgestylt werden. Ich erinnere hier an das Projekt „Care Vision 2000" und bedaure, daß in diesem Haushalt, den Sie vorlegen, kein eigenes Programm zur „ Vergrünung" der IuK-Technologien aufgelegt wird, sondern daß diese Programme in unserem Lande und europaweit dahindümpeln.
Ich bedaure ebenfalls, daß Sie es in keiner Weise fertiggebracht haben, im Verkehrsbereich neue Akzente zu setzen und für die Aufgaben im Verkehrsbereich, nämlich einen neuen Fahrzeugtyp zu entwickeln, ein Programm aufzulegen. Das Programm „Auto 2000" ist schon fast vergessen. Es ist längst beendet, und es kommen keine neuen Initiativen von Ihnen. Das heißt, die Ökologisierung der Forschungslandschaft wird von Ihnen, obwohl Sie meinen, Zukunftsminister zu sein, nicht betrieben. Sie machen die Hausaufgaben nicht, die die Bundesrepublik in Rio übernommen hat, nämlich die Voraussetzungen für ein zukunftsfähiges Deutschland zu schaffen.
Wir könnten das fortsetzen.
Ich komme zur Friedensforschung. Wir haben dieser Tage über Bosnien und über die Bereitstellung von Mitteln diskutiert. Man muß hier ja bedauerlicherweise konstatieren, daß im Rüstungshaushalt, im Einzelplan 14, die Ausgaben für Forschung, Entwicklung und Erprobung eine 12,3%ige Steigerung aufweisen. Das ist weit jenseits der Steigerungsraten, Herr Rüttgers, die Sie im Kabinett für den zivilen Forschungshaushalt durchsetzen konnten. Wir müssen uns fragen: Warum dieses Ungleichgewicht? Warum wird nur von Frieden geredet? Es wird ja in diesem Land nur die Kriegsforschung finanziert, aber die Friedensforschung in Ihrem Haushalt, im Einzelplan 30, wird nahezu gegen Null gefahren.
Ich komme zum Schluß. Herr Minister, ich begrüße, daß Sie sich nicht zum Hausmeister der Großindustrie machen lassen und das Ansinnen von Mercedes-Benz, Daimler-Benz und dem ZVEI zurückweisen, daß aus den öffentlichen Mitteln des Forschungshaushalts verstärkt, also noch mehr als bisher, die Forschung der Großunternehmen subventioniert werden soll.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist schon ein Stück abgelaufen.
Okay.
Ich darf vielleicht noch einen Schlußsatz sagen. Es geht nach unserer Auffassung darum, dieser Bundesregierung eine Frischzellenkur zu verabreichen
und letztlich - das bieten wir Ihnen, Herr Minister, an - eine Innovationstransferbörse für die Forschungs- und Bildungspolitik einzurichten.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Karlheinz Guttmacher.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Freien Demokraten haben sich auf zwei wesentliche Vorgaben zum Haushalt festgelegt. Die erste Vorgabe: Die Konsolidierungspolitik, die auf Ausgabenbegrenzung und nicht auf Einnahmensteigerung fußt, wird uneingeschränkt fortgesetzt. Die zweite Vorgabe: Die wesentliche Stütze unseres Wohlstands, unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, unserer Wettbe-
Dr. Karlheinz Guttmacher
werbsfähigkeit, aber letztlich auch unseres Sozialstaates, sind Bildung und Ausbildung unserer Bürger, sind wissenschaftliche Höchstleistungen, sind Spitzenforschung und Spitzentechnologie. Diese Säule gilt es zu stützen.
Der vorgelegte Regierungsentwurf erfüllt diese beiden Kriterien weitestgehend. Wir begrüßen die Steigerung des Gesamtansatzes des Einzelplanes 30 um 2,3 %. Die Forschungspolitik wird geprägt von dem Erhalt des hohen Niveaus in der Grundlagenforschung sowie der Fortsetzung der unabdingbaren und ausschließlich in staatlicher Verantwortung liegenden Vorsorgeforschung.
Die Förderung von Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie in den neuen Bundesländern mit 3 Milliarden DM ist sicherlich ein ausgezeichneter Ansatz, um auch das weitere Wachstum in den neuen Bundesländern zu befördern.
Die Mittel für die allgemeine mittelstandsbezogene Innovationsförderung werden um fast ein Viertel aufgestockt. Dies unterstreicht die besondere Bedeutung der kleinen und mittelständischen Unternehmen für das Innovationsvermögen der Wirtschaft. Allein 600 Millionen DM werden darüber hinaus für den Technologietransfer zur Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen eingesetzt. Diese erkennbare Tendenz halten gerade wir Liberalen für außerordentlich wichtig, weil sie die unvermeidbare Bevorzugung der Großindustrie im Rahmen der direkten Projektförderung mindert.
Die direkte Projektförderung konzentriert sich mehr und mehr auf einige wesentliche Schlüsseltechnologien. Wir halten das für richtig. Im Bereich der optischen und optoelektronischen Datenverarbeitung, bei der Softwaretechnologie und Mikrosystemtechnik befinden wir uns noch weit entfernt vom Markt. Es ist nur recht und billig - auch ordnungspolitisch in Ordnung -, gerade auf diese Förderschwerpunkte zu setzen.
Ein zweiter wesentlicher Förderschwerpunkt ist der produktionsintegrierte Umweltschutz. In unseren Forschungsprojekten haben wir bis jetzt viel vom Umweltschutz gesprochen. Wir haben begonnen, das neue Element des produktionsintegrierten Umweltschutzes in der Breite zu finanzieren. Ich appelliere daran - das war eine alte Forderung des Kollegen Kuhlwein -, zu versuchen, den produktionsintegrierten Umweltschutz in die berufliche und allgemeinakademische Ausbildung aufzunehmen.
Die F.D.P. begrüßt die vorurteilsfreie Förderung aller Energieträger. Wissenschaft und technologische Entwicklung kennen hier kein Ende. Dies gilt sowohl für die Solarenergie als auch für die Kernenergie.
Für eine der wichtigsten Entscheidungen von Minister Rüttgers im Bereich der Forschungspolitik halten wir die gemeinsam mit seinem französischen Kollegen vorgenommene Deckelung der Beiträge zur europäischen Weltraumforschung. Die konsequente Umsetzung dieser Entscheidung im Haushalt ist auch deshalb bemerkenswert, weil gegenwärtig Belegschaften, Gewerkschaften und führende Vertreter der Luft- und Raumfahrtforschung Schulter an Schulter den Politikern auf den Pelz rücken, um tüchtig im Etat nachzufordern.
Insgesamt kann man sagen, daß die Forschungsförderung der Bundesregierung die in diesem Bereich wichtige Kontinuität in Volumen und Zielsetzung garantiert.
Meine Damen und Herren, auch in der Bildungspolitik hat sich in der letzten Zeit einiges getan. Aber die Probleme in diesem Bereich sind denen, die hier beteiligt sind, wohlbekannt. Im Hochschulbau haben wir nach wie vor große Probleme. Auch in dieser Debatte möchte ich um Prüfung bitten, ob wir nicht doch bereits ab 1996 für den Hochschulbau 2 Milliarden DM auflegen können.
Ebenso halte ich es für gut und richtig, Überlegungen anzustellen, ob aus dem Hochschulbaufinanzierungsprogramm einige Brocken, die diesen Fonds besonders belasten, herausgenommen werden. Ich denke z. B. an den Klinikbauanteil, aber auch Großgeräte. Wem wollen wir denn klarmachen, daß ein Kernresonanzspektrometer nicht privat betrieben werden kann?
Gut ist es, daß die Hochschulsonder- und Erneuerungsprogramme weitergeführt werden wie das Hochschulsonderprogramm II mit 283 Millionen DM in 1996. Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, die Stärkung der Fachhochschulen sowie die Förderung von Frauen in Wissenschaft und Forschung muß in den Vordergrund gestellt werden. Dies tun diese Programme. Dies halten wir für völlig richtig. Die bewährten Graduiertenkollegs sind auszubauen, und die Internationalität des Hochschulstandortes Deutschland muß verbessert werden.
Den Weg in die Informations- und Kommunikationsgesellschaft müssen auch die Hochschulen gehen können. Neben der Anschubfinanzierung für das deutsche Forschungsnetz erachte ich die Umwandlung der Fernuniversität Hagen in eine deutsche Fernhochschule für die Nutzung multimedialer Techniken für extrem wichtig.
Unserem Ziel, einer Verbesserung der Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Ausbildung nachzukommen, dient sicherlich die Einführung eines Meister-BAföGs, der beruflichen Aufstiegsfortbildung.
Wir haben uns - das wurde auch angesprochen - um eine neue Strukturierung, um ein neues BAföG-Modell zu bemühen. Hier wurden die Schwächen der vorliegenden Modelle der SPD und der Grünen -
Dr. Karlheinz Guttmacher
wenn sie auch noch nicht vollständig vorliegen, wie ich gehört habe - angesprochen. Aber wichtig ist doch - und dies, Herr Minister, muß ich Ihnen denn wohl sagen -: Es ist Bewegung in die Diskussion gekommen, und zwar hinsichtlich aller Möglichkeiten. Es ist auch kein Tabu, über BAföG-Finanzierungen zu sprechen.
Allerdings - dies sage ich für meine Fraktion -, 8,5 % Zinshöhe bei einem studentischen BAföG, wie es in der Presse zu lesen war, gehen mit uns nicht, sondern wir fordern, die Darlehen zum Einkaufspreis an die Studenten weiterzugeben. Das bedeutet gegenwärtig einen Zinssatz von 4 %. Ebenso bitten wir Sie, daß Sie vielleicht doch noch mit der Deutschen Ausgleichsbank verhandeln, die Verwaltungskosten von 1,3 %, wie sie angegeben werden, nach Möglichkeit noch herunterzusetzen.
Wir erwarten ein Anwachsen der Gefördertenquote von 24 % auf 30 %. Dies, so Minister Rüttgers, wird durch eine nochmalige Freibetragsanhebung von 6 % im Herbst 1996 erreicht. Diese durch die BAföG-Reform frei werdenden Mittel - darauf möchten wir auch achten - sollen unmittelbar in den Hochschul- und Bildungsbereich fließen.
Die geplante Anhebung der Freibeträge und Bedarfssätze, die vorgesehen und auch aus diesen Mitteln zu finanzieren sind, um 6 % im Herbst 1996 begrüßen wir sehr. Ebenso glauben wir auch, daß die Nachlaßmittel für die besten 30 % eines Jahrganges weiter bestehen sollen. Wir sind der Meinung, daß man vielleicht diesen Anteil auch erhöhen könnte. Ebenso sollte auch die Studienabschlußförderung beibehalten werden.
Diese BAföG-Reform bietet uns Möglichkeiten, Chancen, drängende Probleme in der Bildungsfinanzierung jetzt zu lösen. Für meine Fraktion sage ich auch hier: Dieses Modell ist ein Modell der Gegenwart, nicht aber ein Modell der Zukunft. Nach Auffassung der F.D.P. muß ein BAföG-Modell für die Zukunft auch der Tatsache Rechnung tragen, daß wir es bei den Studierenden nicht mehr mit Kindern, sondern mit mündigen, wahlberechtigten jungen Erwachsenen zu tun haben, denen Verantwortung auch für den eigenen Haushalt übertragen werden sollte.
Vor diesem Hintergrund bittet die F.D.P. die Bundesregierung, im Rahmen ihrer Expertenkommission zum Bürgergeld prüfen zu lassen, welche ausbildungsrelevanten Leistungen, die gegenwärtig den Eltern gewährt werden, zu einem Bildungsbürgergeld gebündelt werden könnten, das den Auszubildenden direkt ausgezahlt werden kann.
Wir sind uns der Tatsache bewußt, daß es hier einige rechtliche Änderungen im Unterhaltsrecht wie auch im Jahressteuergesetz geben muß. Aber einen derartigen Finanzierungsansatz in diesem Lande wird die Jugend der Politik im ganzen danken.
Das Wort hat die Abgeordnete Maritta Böttcher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bildung und Wissenschaft, Forschung und Technologie sind vielgestaltig mit anderen Politikbereichen und dadurch mit zahlreichen Debattenschwerpunkten dieser Woche verbunden. Ohne daß eine Bedrohung dieses Landes vorliegt, werden deutsche Soldaten - nach Jahrzehnten erzwungenen Verzichts - als Ordnungsfaktor auf auswärtige Kriegsschauplätze geschickt. Damit sind Zeiten angebrochen, in denen deutsche Professoren wieder einmal antreten, Deutschland und seine machtpolitische Rolle größer und bedeutender zu reden und zu schreiben. Es wird wieder einmal schicksalhaft zugehen.
Der Sozialstaat kann nebenbei erledigt werden - mit nationalem Pathos selbstverständlich. Herr Schäuble wußte bei seinem Plädoyer für das Nationale, wozu es brauchbar ist.
Die öffentliche Meinung soll wieder dahin gehen, an Kriegen teilhaben zu wollen und in sie eingreifen zu müssen, auch wenn es Geld kostet: bisher beispielsweise 350 Millionen DM im ehemaligen Jugoslawien und über 50 Milliarden DM im sogenannten Verteidigungshaushalt, auch wenn es menschliche Opfer kostet. Aber dafür braucht man die soldatischen Legenden eines Ernst Jünger und einen Kongreß „Mut zur Ethik" am kommenden Wochenende. Der staatsnahe Eifer konservativer Intellektueller sollte die Öffentlichkeit alarmieren.
Der Bundesfinanzminister lobte den Haushalt des Zukunftsministers als modellhaft. Das Lob hat den moralischen Wert eines Steckbriefes. Das Modell der Deregulierung, Flexibilisierung und Privatisierung wird an einigen Punkten besonders deutlich; dazu gehören Berufsausbildung und Studienfinanzierung. Nach einer Selbstdarstellung des Ministers vom 7. Juli dieses Jahres sei mit der Unterfütterung des Maßnahmenpakets zur Stärkung der beruflichen Bildung in Höhe von 350 Millionen DM ein „wichtiger Durchbruch" geschafft.
Mit der vom Bildungsminister als Teil des Maßnahmenpakets angepriesenen sogenannten Lehrstellenoffensive ist die seit nunmehr drei Jahren laufende Inszenierung von Versprechungen, Schuldzuweisungen, Abwiegelungen und statistischen Rechenkunststücken gemeint. Wir sind derzeit mitten in einer aktuellen Neuauflage. Für das Grundproblem - steigende Nachfrage und sinkendes Angebot auf dem Lehrstellenmarkt - ist weder in der kurz- noch in der mittelfristigen Planung ein Lösungsansatz in Sicht.
Maritta Böttcher
Politischer Handlungsbedarf kann nicht einfach weggerechnet werden und ist auch mit alljährlichen Feuerwehreinsätzen nicht zu beheben. Wenn junge Leute ihr Leben mit der Erfahrung von Chancen- und Perspektivlosigkeit beginnen müssen, dann ist schließlich wohl der Innenminister mit seinen Vorschlägen zur Beherrschung der Jugendkriminalität an der Reihe.
Es bleiben die Fragen, auf welchem Gebiet das Geld der Steuerzahler besser angelegt ist und wie lange deren Geduld noch reicht.
In Ostdeutschland - ich lasse die Zahlen jetzt bewußt weg; wir haben vorhin gemerkt, daß keiner so recht weiß, welche Zahlen stimmen - sind gegenwärtig noch ca. 60 000 Jugendliche auf Lehrstellensuche. Bei Gegenüberstellung des Angebots an betrieblichen Ausbildungsplätzen und Lehrstellenbewerberinnen und -bewerbern kommt man trotzdem noch auf einen Fehl von betrieblichen Ausbildungsplätzen in Ostdeutschland. Wie in den vergangenen Jahren wird in letzter Minute - ich deutete das schon an - ein Hilfsprogramm zur Schaffung außerbetrieblicher Ausbildungsplätze gestartet. An der grundlegenden Situation, daß betriebliche Ausbildungsplätze in Ostdeutschland und ausreichende Beschäftigungsperspektiven für die Jugendlichen seit Jahren fehlen, ändert sich dadurch aber nichts.
Das grundgesetzlich verbürgte Recht, Beruf und Ausbildungsstätte frei zu wählen, war für die Mehrheit der ostdeutschen Jugendlichen seit dem Tag der Einheit zu keinem Zeitpunkt gewährleistet. Nun wird es auch für immer mehr westdeutsche Jugendliche de facto außer Kraft gesetzt. Einen Großteil der Verantwortung für diesen Zustand trägt die Bundesregierung.
Notwendig ist jetzt ein längerfristiges koordiniertes Programm zur Schaffung eines quantitativ und qualitativ ausreichenden, d. h. auch auswahlfähigen Lehrstellenprogramms. Das muß die Sicherung von Beschäftigungsperspektiven nach der Ausbildung und eine Reform der Ausbildungsfinanzierung einschließen. Dabei sind nicht oder unterhalb einer Mindestquote ausbildende Betriebe in geeigneter Weise, z. B. durch eine Ausbildungsabgabe, an der Finanzierung zu beteiligen.
Auch der Ansatz zur Förderung beruflicher Aufstiegsfortbildung reicht nach Einschätzung des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks nicht aus, um junge Leute zu einer Qualifizierung zum Handwerksmeister und damit zum Existenzgründer zu motivieren.
Monatliche Fördersätze, die zur Hälfte über zu 8,5 % verzinste Darlehen laufen und weit unter den Sozialhilfesätzen liegen, zeigen einmal mehr ein Grundproblem des Bildungshaushalts: die ungenügende soziale Absicherung der Studierenden und Auszubildenden in diesem Land, die Privatisierung der Bildungsrisiken und damit die Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen vom freien Zugang zu Beruf und Bildung.
Ich will das mit einem Blick auf die Studienfinanzierung und die BAföG-Kontroverse verdeutlichen. Das BAföG, 1971 ins Leben gerufen, um „auf eine berufliche Chancengleichheit junger Menschen hinzuwirken und dem einzelnen eine Ausbildung zu ermöglichen, die seiner Neigung, Eignung und Leistung entspricht", wurde in der Ära Kohl systematisch ausgehöhlt.
Durch seines Zukunftsministers neueste Vorschläge, den staatlichen Darlehensteil durch ein hochverzinsliches Bankdarlehen, ob nun 8,5 % oder 4 %, zu ersetzen, wird es vollends seines sozial- und gesellschaftspolitischen Sinns beraubt.
„Ernst kann es werden", meinte die „FAZ" am 30. August 1995, „wenn die Koalition ihre Pläne bei der Gewerbekapitalsteuer oder bei der Verzinsung von BAföG-Zuwendungen in Angriff nimmt".
Minister Rüttgers will auf diese Weise bei dem sozial schwächsten Teil der Studierenden, den BAföG-Empfängerinnen und -empfängern, bis 1999 1,6 Milliarden DM einsparen und diese Mittel bevorzugt für die Technologieförderung im Dienste der Großunternehmen einsetzen. Das ist eine der unglaublichsten und unverfrorensten Angriffe auf die Reste sozialer Chancengleichheit beim Bildungserwerb.
Studierende, die sich von Hause aus eigentlich nicht leisten können, zu studieren, sollen nun wenigstens mit einer Schuldenlast von ca. 70 000 DM für ihren Übermut bestraft und mit dieser Androhung möglichst vom Studium ferngehalten werden. Diese Pläne müssen vom Tisch und mit ihnen der vorliegende Haushaltsentwurf des Zukunftsministers.
In der Diskussion über die Hochschul- und Bildungsreform, so war es zutreffend in der „Frankfurter Rundschau" vom 17. August zu lesen, komme der soziale Aspekt zu kurz. Nach den Plänen der Regierung würde das BAföG „zum Vehikel der indirekten sozialen Eliteförderung" .
Statt endgültiger Abkehr vom Prinzip der sozialen Chancengleichheit beim Bildungserwerb ist eine Rückbesinnung auf dieses Prinzip und seine Stärkung notwendig. Das geht nur durch eine gründliche Reform der Studienfinanzierung auf dem Weg zu einer allgemeinen sozialen Grundsicherung. Wir werden dazu unsere Vorschläge machen.
Ich möchte abschließend festhalten: Der Haushaltsentwurf ordnet sich wie die gesamte Politik des Zukunftsministers strikt der Standort-Deutschland-
über-alles-Ideologie unter. Es ist kein Plan, der von den gesamtgesellschaftlichen und globalen Aufgaben von Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie ausgeht und die bessere Erledigung dieser Aufgaben zum Ziel hat, sondern ein im Kern auf die Förderung der Wirtschaft, speziell die Verbesserung der Standortbedingungen für die Großunternehmen gerichteter Plan.
Maritta Böttcher
Das schließt drastische Maßnahmen des Sozialabbaus und der Umverteilung von unten nach oben ein. Davon ist der sozial schwächere Teil der Studierenden und ein immer größerer Teil der Jugendlichen, die eine berufliche Ausbildung absolvieren wollen, besonders betroffen.
Auf weitere Bestandteile des Entwurfs wird in der Beratung des Haushalts noch einzugehen sein. Er wird von der Gruppe der PDS abgelehnt, da er mit der Demontage von Chancengleichheit und Bildungsförderung rückwärtsgewandt und den wirklichen Zukunftserfordernissen in ihrer nationalen und internationalen Dimension abträglich ist.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Dr. Gerhard Friedrich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte angesichts der Rede unseres Kollegen Kiper mit einer Vorbemerkung beginnen. Er hat die Reaktion der CDU auf das Kruzifix-Urteil angesprochen. Er hat eigentlich die CSU gemeint, zumindest in erster Linie.
Er hat gefragt, wie man sich als Politiker in einer C-Partei für Gentechnik einsetzen kann. Wissen Sie, wir entnehmen dem C den Auftrag, Leben zu erhalten. Wir wissen, daß die Bio- und Gentherapie geeignet ist, Leben zu erhalten.
Mit dem Kollegen Lenzer habe ich im Frühjahr eine Außenstelle eines deutschen Konzerns besucht. Wir haben uns erläutern lassen, wie dort ein Medikament gegen die Bluterkrankheit hergestellt wird. Dieses Medikament wird von Patienten in Deutschland genommen. Wir importieren es aus den USA. Ich bedaure, daß es nicht in Deutschland hergestellt wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kiper? - Bitte. -
Würden Sie als ein christlicher Politiker mir denn zustimmen, daß der Gentechnik Grenzen gesetzt werden müssen und es, wenn es darum geht, Leben zu machen oder Leben zu patentieren, mit Ihrer christlichen Grundauffassung nicht übereinstimmen kann?
Herr Kollege, das kann ich jetzt nicht ausführlich erläutern. Wie ich das C verstehe, dazu schicke ich Ihnen etwas. Das Beste, was ich dazu gelesen habe, hat Franz Josef Strauß gesagt. Er hat das immer sehr relativiert. Ich schicke Ihnen das zu.
Was die Risiken betrifft, haben Sie recht. Ich bin nur der Auffassung, daß Sie den Fehler machen, den
Leuten einzureden, daß es in diesem Leben null Risiken gibt.
Da gibt es Leute vor dem Fernsehapparat, die Kettenraucher sind, die die vierte oder fünfte Flasche Bier trinken und sehen, wie irgendein Grüner eine Rede über die Risiken von Gentechnologie hält, und dann Angst haben und völlig übersehen, wo ihre eigenen Lebensrisiken liegen.
Es gibt kein Null-Risiko, beim Autofahren nicht, beim Rauchen nicht, und auch in der Gentechnik gibt es kein Null-Risiko. Wir müssen über Risiken reden, Risiken minimieren, dürfen aber nicht glauben, daß wir in der Lage sind, bei einigen Technologien plötzlich zum Null-Risiko zu kommen.
Ich darf Ihnen noch etwas sagen, Herr Kollege Kiper. Ich teile den Standpunkt meines F.D.P.-Kollegen, der an diesem Rednerpult gesagt hat, daß wir in Sachen Innovation und Technologie - das macht der Minister auch - sehr auf kleine und mittelständische Unternehmen achten müssen. Wir dürfen aber nicht nur auf sie achten.
Sie haben den Eindruck erweckt, als sei es eine üble Sache, bei der Forschungsförderung auch Großkonzerne zu unterstützen. Ich habe einen Wahlkreis mit einem Großkonzern, der Firma Siemens. Er erhält einiges an Förderung. Ich werde mich natürlich nicht dafür einsetzen, daß diese Mittel gesenkt werden. Der Chef dieses Unternehmens, Heinrich von Pierer, war mit mir zehn Jahre lang im Stadtrat. Über dessen soziales Schicksal bei einer Streichung der Förderung mache ich mir keine so großen Sorgen.
Dieser Konzern hatte in Erlangen 32 000 Menschen beschäftigt, er beschäftigt jetzt 28 000 Menschen; er spricht seit wenigen Jahren erstmals betriebsbedingte Kündigungen aus. Meine Mitbürgerinnen und Mitbürger im Wahlkreis, Techniker, Sekretärinnen, kommen zu mir. Sie sind erstmals seit zwei, drei Jahren verunsichert, sie haben Angst um ihren Arbeitsplatz. Um diese Leute kümmere ich mich. Sie aber haben nur ein Feindbild. Mit diesen Leuten unterhaltet ihr euch doch überhaupt nicht.
- Meinetwegen.
Noch eine Zwischenfrage? - Bitte schön.
Lieber Kollege, ist Ihnen vielleicht aufgefallen, daß wir sehr wohl mit Großkonzernen reden und viele Gespräche führen? Ich tue dies z. B. in meinem Wahl-
Dr. Manuel Kiper
kreis mit dem Großkonzern VW. Aber teilen Sie die Schlußfolgerung des Weule-Gutachtens im Gegensatz zu Ihrem Minister? Das würde mich jetzt interessieren.
Jetzt bringen Sie etwas, was wirklich nicht in dem Zusammenhang mit dem Thema, über das wir sprechen, steht. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, geht es in diesem Gutachten vor allem um die Schwerpunkte in den Großforschungseinrichtungen. Wenn Sie ein Gutachten erwähnen, bitte vorher lesen und dann im richtigen Augenblick die Frage dazu stellen.
Meine Damen und Herren, ich möchte schwerpunktmäßig noch etwas zur Forschungspolitik sagen, nachdem die meisten - was auch notwendig ist - über Bildung gesprochen haben, und trotzdem versuchen, ein bißchen auf den Kollegen von der SPD einzugehen. Wir sind uns in einigen Punkten einig, Herr Glotz. Ich glaube, wir wissen alle miteinander - die Grünen wissen das noch nicht -, daß wir einen neuen Wettbewerb um Produktionsstandorte in der ganzen Welt haben. Siemens baut insgesamt nicht ab, Herr Kollege, sondern verlagert Arbeitsplätze ins Ausland.
Wir sind uns einig, daß wir über Kostensenkung reden müssen. Das ist aber nicht das Thema der jetzigen Debatte; das ist heute früh aufgerufen worden. Wir sind uns auch einig, daß die Forschungspolitik einen Beitrag dazu leisten muß. Wir sind uns ebenfalls einig, daß wir für Forschung mehr Geld ausgeben müssen,
nicht nur staatliches Geld, sondern auch - Sie haben das angedeutet, Herr Kollege Glotz - Geld der Unternehmen. Da gibt es eine bedenkliche Entwicklung nach unten.
Der Minister hat nach einigen Wochen Nachdenken Anfang des Jahres seine Schwerpunkte zur Forschungspolitik vorgelegt. Dazu haben Sie, Herr Kollege Glotz, gesagt: Darin sind die richtigen Stichworte enthalten. Wir sind uns also auch noch bei den Schwerpunkten der Forschungspolitik einig.
Es geht weiter. Die richtige Frage, die wir auch heute diskutieren müßten, ist, ob das Geld, das verfügbar ist, auf die einzelnen Ressorts der Bundesregierung richtig aufgeteilt ist und ob Bundesminister Rüttgers in Absprache mit dem Bundesfinanzminister das ihm zur Verfügung stehende Geld richtig auf die einzelnen Kapitel verteilt.
Aus Zeitgründen sage ich jetzt nicht, was Herr Rüttgers an Schwerpunkten genannt hat und daß darin die höchsten Steigerungsraten enthalten sind. Ich stelle nur fest, daß Sie sich dieser Fragestellung verweigern.
Wenn wir über Fachetats reden, dann sprechen Sie nur über das, was wünschenswert und manchmal gar notwendig ist. Aber, Herr Kollege Glotz, wenn wir alles, was in der Umweltpolitik, in der Forschungspolitik und im Bauwesen wünschenswert und vielleicht sogar notwendig ist, addieren, dann ergibt das finanzpolitisch ein Chaos. Die Kunst der Politik besteht darin, daß das knappe Geld unter Berücksichtigung von Schwerpunkten richtig verteilt wird.
Da Sie von vornherein die falschen Fragen stellen, nämlich, was alles wünschenswert ist, haben Sie noch nicht die richtige innere Einstellung oder Haltung, die Sie zum Regieren befähigt.
Ich möchte hier nicht nur über Geld sprechen, sondern gerade wegen des Beitrags des Kollegen der Grünen ein bißchen zu anderen Dingen kommen, die in der Forschungspolitik eine Rolle spielen. Herr Kiper, ein bißchen davon haben wir heute schon angesprochen: Wir brauchen in der Forschung nicht nur Geld der Unternehmen und staatliche Mittel, wir brauchen auch Akzeptanz für bestimmte Technologien.
Es hat überhaupt keinen Sinn, sich über mehr Staatsmittel zu unterhalten, wenn Ihre Partei in großem Stil und die Parteifreunde von Herrn Glotz in kleinerem Stil vor Ort politische Kampagnen lostreten, durch die Millionen von Kapital vernichtet werden.
Nehmen wir einmal die SPD: Der Beschluß des SPD-Parteitags in Nürnberg „Ausstieg aus der Kernenergie" war die Einleitung einer riesigen Kapitalvernichtungsaktion.
Es gibt doch die Investitionsruinen; Sie kennen sie doch. Kalkar ist eine Ruine, für die Milliarden rausgeschmissen wurden. Jetzt schaffen es die Grünen und die Roten in Hessen - darauf sind sie offensichtlich auch noch stolz -, eine weitere Technologie ins Ausland zu vertreiben,
nämlich die Herstellung von Kernbrennelementen. Sie verhindern das nicht; sie sorgen nur dafür, daß wir das Ganze künftig aus dem Ausland beziehen. Ein toller Erfolg, ich muß Ihnen dazu wirklich gratulieren.
Um noch einmal zu den Grünen zu kommen: Herr Kiper, ich habe nie verstanden, daß einige Journalisten Ihren Anspruch akzeptiert haben, daß die Gril-
Dr. Gerhard Friedrich
nen für Zukunftsthemen stehen. Was sind Sie denn? Ich hoffe, daß ich jetzt nicht gerügt werde, wenn ich sage: ein kleiner Haufen von Pessimisten. Die SPD ist als Partei zwar etwas größer, und die Pessimisten sind sozusagen ein bißchen kleiner, aber es ist nur ein gradueller Unterschied vorhanden.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen auf Grund meiner Erfahrungen aus der Praxis, wozu solche politischen Kampagnen und solche Aussagen politischer Führungskräfte und von Regierungsmitgliedern in den Ländern führen. Wenn in so einem Land ein Genehmigungsbeamter einen Antrag vor sich liegen hat, bei dem er weiß, sein Ministerpräsident zieht, wenn er das Stichwort Gentechnologie hört, das Gesicht in Falten, wie verhält der sich dann? Er genehmigt nicht zügig. Er gibt im Zweifelsfall noch einmal einen Gutachtenauftrag heraus. So kann man Zukunftstechnologien ins Ausland vertreiben oder nach Bayern. Für letzteres bin ich Ihnen dankbar.
Einige Unternehmen sagen: Wir vertreiben diese und jene Technik in Bayern, weil sie in anderen Bundesländern wegen der Rahmenbedingungen in den Genehmigungsverfahren nicht akzeptiert wird. Es ist kein Zufall, daß wir in Bayern bei der Arbeitslosigkeit die günstigsten Zahlen haben. Dies ist nicht der einzige Grund, aber Akzeptanz für Zukunftstechnologien spielt bei uns eine große Rolle. Der Ministerpräsident macht eine großartige Politik, und die Leute sind bei uns beschäftigt.
Vielen Dank.
Ich erteile der Abgeordneten Edelgard Bulmahn das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kunst der Politik besteht darin, zu entscheiden, was wichtig ist für die Zukunft einer Gesellschaft und eines Landes. Unserer Meinung nach sind die Ausgaben für Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung Investitionen in die Zukunft, in die Zukunft unseres Landes und in die Zukunft der Menschen, die in diesem Lande wohnen. Deshalb sind es wichtige Investitionen.
Nur mit innovativen Produkten und intelligenten Dienstleistungen werden wir im internationalen Wettbewerb mithalten, das erreichte Einkommensniveau halten, neue Arbeitsplätze schaffen und die vorhandenen Arbeitsplätze sichern können. Wissenschaftlich-technische Innovationen entscheiden zudem maßgeblich darüber, ob die Umgestaltung unseres umweltverbrauchenden Wirtschaftssystems in ein sozial und ökologisch verträgliches und auf dauerhafte Entwicklung ausgerichtetes Wirtschaftssystem gelingt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir von unseren Kindern und Enkeln erwarten, daß sie nicht nur für unsere Renten und Versorgungsansprüche aufkommen, sondern auch die von uns ihnen überlassenen Schulden der öffentlichen Hand abtragen sollen, und wenn wir von ihnen erwarten, daß sie mit den ökologischen Hinterlassenschaften fertig werden, dann ist es unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, daß wir sie zumindest in die Lage versetzen, diese Lasten auch zu bewältigen.
Das heißt, daß wir ihnen die bestmögliche Bildung und Ausbildung zuteil werden lassen müssen. Dies allerdings ist genauso wenig zum Nulltarif zu haben wie eine leistungsfähige Wissenschaft und Forschungslandschaft. Das geht besonders an die Adresse der Regierung.
Die Bundesregierung hat in ihrer Koalitionsvereinbarung eine „Offensive für Bildung, Wissenschaft und Forschung" angekündigt und leistet sich seit einem Jahr einen Minister, der sich gerne als „Zukunftsminister" titulieren läßt. Wenn immer es aber um die Bereitstellung der nötigen Haushaltsmittel geht, Herr Rüttgers, dann verfährt diese Regierung nach der Devise: Die beste Zukunft ist diejenige, die nichts kostet.
Seitdem Ihre Bundesregierung 1982 die Regierungsverantwortung übernommen hat, haben Sie den Bildungs- und Forschungshaushalt regelrecht ausbluten lassen. Im Jahre 1982 belief sich der Anteil für Bildungs- und Forschungsaufgaben am Gesamthaushalt noch auf 4,7 %. Jetzt sind es sage und schreibe nur noch 3,3 %.
Wenn die Bundesregierung diesem Politikfeld auch nur eine durchschnittliche Bedeutung zugemessen hätte und nicht nur darüber reden, sondern auch einmal handeln würde, dann hätten wir in diesem Jahr 1995 nicht nur 15,53 Milliarden DM sondern 22,63 Milliarden DM zur Verfügung. Das heißt, wir hätten in diesem Jahr für Bildung und Forschung 7,1 Milliarden DM mehr.
Vor diesem Hintergrund, liebe Kolleginnen und Kollegen, hätte man bei diesem Haushalt eigentlich eine Trendwende erwarten können. Aber die Bundesregierung übt sich lieber im Buchstabieren des Wortes Zukunft, statt mit Entschlossenheit für die Zukunft zu handeln.
Der Haushalt dieses Jahres liegt mit 15,62 Milliarden DM ganze 0,6 % über dem Haushalt des letzten Jahres.
Edelgard Bulmahn
- Das ist ehrlich. Der Haushalt ist um 89,3 Millionen DM höher als im letzten Jahr. Herr Minister Rüttgers, Sie wollen doch nicht ernsthaft sagen, daß die Steigerung eines Einzelplans um 89 Millionen DM eine deutlich stärkere Gewichtung dieses Politikfeldes gegenüber der Vergangenheit darstellt.
- Sie wissen, lieber Herr Rüttgers, daß ich nichts verwechsle. Dazu kennen Sie mich viel zu lange. Sie wissen sehr wohl - dazu brauchen Sie nur in Ihren Haushalt zu gucken -, daß Sie eine Steigerung um lediglich 89 Millionen DM haben. Das ist keine stärkere Gewichtung dieses Politikfeldes und ist seiner Bedeutung überhaupt nicht angemessen.
Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als Mängel zu verwalten und Löcher zu stopfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, wie eng die Finanzspielräume der öffentlichen Haushalte geworden sind. Darauf hat auch mein Kollege Peter Glotz verwiesen. Verantwortungsvolle Politik erfordert deshalb auch die Erschließung neuer Handlungsspielräume durch Kreativität und Reform. Der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg, bei den Studierenden von einkommensschwächeren Schichten abzukassieren, ist allerdings überhaupt nicht innovativ. Es ist ein Rückgriff in die Mottenkiste des 19. Jahrhunderts.
Das als innovativ zu bezeichnen ist ein schlechter Witz. Dieser Vorschlag ist völlig indiskutabel. Das wissen Sie ganz genau. Er ist auch nicht durchsetzbar. Auch das ist Ihnen sehr wohl bekannt.
Deshalb ist es unredlich, die BAföG-Pläne als Maßnahme zur Stärkung der Hochschulen zu verkaufen, so wie Sie das versuchen. Mich hat erschüttert und bedrückt, wie wenig für die Hochschulen auch in diesem Haushalt zur Verfügung steht: 1995 2,5 Milliarden DM, im kommenden Jahr 2,4 Milliarden DM und 1999 schließlich 2,3 Milliarden DM.
Dies bedeutet eine permanente Auszehrung und eine schleichende Schwächung für die Hochschulen. Nicht umsonst spricht der Wissenschaftsrat deshalb auch von Stillstand statt Fortschritt. Mit Blick auf das von Minister Rüttgers vorgetragene Konzept stellt der Wissenschaftsrat fest, daß dies in keiner Weise dem festgestellten Bedarf entspreche. Damit könnten weder die Sanierung und der Aufbau der Hochschulen in den neuen Ländern noch der wissenschaftlich-politisch vorrangige Ausbau der Fachhochschulen weiter vorankommen. Letztlich würden auch die Funktionsfähigkeit vorhandener Hochschuleinrichtungen und die Leistungen der Hochschulforschung nachhaltig gefährdet werden.
Mit Nachdruck vertritt deshalb der Wissenschaftsrat die Auffassung, daß die sich abzeichnende Situation im Hochschulbereich dringender Anlaß sein sollte, die politische Prioritätensetzung zugunsten des Politikfeldes Bildung und Wissenschaft zu überprüfen. - Wohl wahr!
Meine Herren und Damen, wir dürfen uns diesem Appell nicht entziehen. Deshalb müssen wir vorurteilsfrei und sorgfältig alle Möglichkeiten prüfen, die endlich wieder Bewegung in die festgefahrene Situation bringen.
Einen bedenkenswerten und, wie ich meine, auch realisierbaren Vorschlag hat in diesem Zusammenhang der rheinland-pfälzische Wissenschaftsminister Dr. Zöllner unterbreitet. Dieser Vorschlag läuft im Kern darauf hinaus, daß durch die Mobilisierung privaten Kapitals in den Jahren 1996 bis 1999 zusätzliche Hochschulbauinvestitionen in Höhe von 4 Milliarden DM möglich sein werden. Das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wäre ein wirklicher Fortschritt gegenüber der derzeitigen Situation. Die Bauten sollen nach diesem Vorschlag in Kooperation mit privaten Investoren, mit denen langfristige Miet- und Leasingverträge eingegangen werden, errichtet werden. Nach Fertigstellung der Projekte sollen im Rahmen der regulären Hochschulbauförderungsmittel jährliche Raten für Bund und Länder in Höhe von 400 Millionen DM an Miet- und Leasingraten bereitgestellt werden. Die Projekte sollen dabei wie bisher auch durch den Wissenschaftsrat begutachtet werden.
Für dieses Modell, liebe Kolleginnen und Kollegen, sprechen meines Erachtens eine Reihe von gewichtigen Gründen. Das Modell trägt dazu bei, die jetzt dringend benötigten Gebäude kurzfristig zu errichten.
Um das gleiche Bauvolumen zu erreichen, das mit diesem Modell innerhalb der nächsten vier Jahre erreicht werden könnte, wären bei einer Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes sage und schreibe 20 Jahre nötig. Jetzt haben wir aber die überfüllten Räume, jetzt haben wir die Raumprobleme an den Hochschulen. Es nützt überhaupt nichts, einen Vorschlag zu erarbeiten, der eine Verbesserung der Situation in 20 Jahren beinhaltet, sondern wir müssen jetzt einen Vorschlag entwickeln und vorlegen, der bald Abhilfe schafft. Deshalb bitte ich Sie nachdrücklich, unseren Vorschlag zu unterstützen.
Der Vorschlag schafft innerhalb der regulären Planungen wieder Spielräume für die Anschaffung von Großgeräten und gewährleistet damit erst in vielen Bereichen wieder Forschung auf Weltniveau. Es ist ja falsch, was der Kollege Kampeter oder der Kollege Friedrich vorhin gesagt hat. Großgeräte sind ein wesentlicher Bestandteil einer wirklich modernen und adäquaten Ausbildung an den Hochschulen. Wir können doch nicht allen Ernstes einfach hinnehmen, daß Studierende heute an Geräten ausgebildet werden, die 10 oder gar 15 Jahre alt sind, die veraltet
Edelgard Bulmahn
sind und überhaupt nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen. Wir hätten mit diesem Modell die Spielräume, um auch in diesem Bereich etwas zu tun, was dringend notwendig ist.
Ein weiterer Grund: Es gibt bereits Erfahrungen mit diesem Modell in Rheinland-Pfalz und in Niedersachsen. Es führt zu keinen höheren jährlichen Belastungen der Haushalte von Bund und Ländern. Es führt zu einer zügigeren Baufertigstellung und nach unseren Erfahrungen sogar zu einer deutlichen Absenkung der Baukosten, was wir ja wohl alle nur begrüßen können.
Last but not least ist dieses Modell mit dem Hochschulbauförderungsgesetz vereinbar. Deshalb ist es, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei entsprechendem politischen Willen auch sofort durchsetzbar.
Auch würde es - das ist ebenfalls nicht ganz unwichtig - zur Belebung der Baukonjunktur beitragen, die zur Zeit einbricht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, daß wir im Ausschuß ausreichend Gelegenheit haben werden, diesen Vorschlag in allen Einzelheiten zu beraten. Von Ihnen, Herr Minister Rüttgers, erwarte ich allerdings, daß derartige Vorschläge von Ihrem Haus nicht länger blockiert werden,
sondern daß Sie darüber in ernsthafte Verhandlungen mit den Ländern eintreten und sich nicht hinter vermeintlichen Problemen verschanzen, anstatt kreativ zu deren Überwindung beizutragen. Diese Erwartung an Sie habe ich.
Meine Herren und Damen, in diesem Haus gibt es einen breiten Konsens, die berufliche Bildung zu stärken, die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung herzustellen und für mehr Durchlässigkeit zwischen den Bildungswegen zu sorgen. Das ist auch gut so. Im Haushaltsentwurf für 1996 spiegelt sich diese berufsbildungspolitische Mitverantwortung des Bundes allerdings völlig unzureichend wider. Ganze 3 % des sogenannten Zukunftshaushaltes sollen für die berufliche Erstausbildung und Weiterbildung aufgewandt werden - und dies weitgehend konzeptionslos.
Herr Minister, ich frage Sie: Wo gehen Sie eigentlich zielgerichtet die Umsetzung der Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Berufliche Bildung" an? Glauben Sie, Herr Minister, mit einer Politik, die erst die Förderung der Aufstiegsfortbildung streicht und dann, aufgeschreckt von den Folgen, einen derartig unzureichenden Entwurf wie den jetzt vorliegenden Referentenentwurf eines Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes vorlegt, die Attraktivität der Berufsbildung tatsächlich zu steigern? Wo bleiben denn Ihre angekündigten Initiativen zur Erleichterung des Hochschulzugangs für qualifizierte Berufstätige? Was ist denn das für eine Logik, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich auf der Regierungsbank und von den Regierungsfraktionen einerseits für die Öffnung der Hochschulen auch für Absolventen des beruflichen Bildungsweges einzusetzen und dann andererseits, wie jüngst im Verordnungsentwurf für die Tierärzteapprobationsordnung, eben jene Gruppe vom Studium auszuschließen?
Wo, meine Herren und Damen, bleibt denn die in der Kanzlerrunde versprochene Trendwende bei der Ausbildungsplatzentwicklung? Was hat denn die Bundesregierung unternommen, um den Rückgang des Ausbildungsplatzangebotes in der Wirtschaft zu stoppen?
Wo ist sie beispielhaft vorangegangen und hat im eigenen Verantwortungsbereich zusätzliche Ausbildungsplatzkapazitäten geschaffen?
Was heißt eigentlich, Herr Rüttgers, „zu früh" mit den Unternehmen zu reden, wenn erst in der vorigen Woche eine Gemeinschaftsinitiative angekündigt und auch beschlossen wurde, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die arbeitslosen Jugendlichen schon auf der Straße standen?
Frau Kollegin Bulmahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rüttgers?
Selbstverständlich.
Frau Kollegin Bulmahn, ist Ihnen bekannt, daß der Bund seine Ausbildungsplätze seit März um mehr als 5 % erhöht hat? Ist Ihnen bekannt, daß die Ausbildungsplanungen von Bahn und Post von 3 900 auf 9 000 Ausbildungsplätze noch einmal angehoben worden sind? Ist Ihnen bekannt, daß wir in der Zeit zwischen März und Juli in den neuen Bundesländern weit mehr als 10 000 und in den alten Bundesländern 50 000 neue Ausbildungsplätze dazubekommen haben? Ist Ihnen bekannt, daß wir das Versprechen der Wirtschaft, 600 000 Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, heute als erfüllt betrachten können?
Ist Ihnen eigentlich bewußt, daß Sie mit einem solchen Fragenkatalog - hier kann nicht jeder hineinblöken, Herr Kollege Struck - -
Dr. Jürgen Rüttgers
- Nein, nein, aber die Frage des Blöktons ist eine, die zum Problem der Menschenrechte gehört und nicht zur Frage des Parlamentarismus.
Ist Ihnen eigentlich bewußt, daß Sie mit einer solchen Fragewelle, die Sie hier gerade versucht haben anzusprechen, diejenigen, von denen Sie dringend erwarten, daß sie sich im Bereich der beruflichen Bildung engagieren und neue betriebliche Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen, derart vor den Kopf stoßen, daß am Schluß wieder junge Leute darunter leiden?
Herr Minister Rüttgers, ist Ihnen eigentlich bekannt, daß die Finanzierung der Gemeinschaftsinitiative „Ausbildungsplatzsicherung " laut Zeitungsartikel „Nordkurier" in folgender Weise vorgesehen ist?
Von seiten der Haushaltspolitiker der CDU/CSU-Fraktion wird vorgeschlagen, daß für das gerade beschlossene Lehrstellenprogramm Ost kein Pfennig zusätzlich ausgegeben wird
und daß die für 1996 als erste Rate des Programms benötigten 136 Millionen DM durch Kürzungen bei anderen Transferleistungen für die neuen Bundesländer erwirtschaftet werden.
Meine Damen und Herren, wenn ich hier auf die Haushaltsansätze zur Förderung - -
Frau Kollegin Bulmahn, Herr Minister Rüttgers möchte noch eine Frage stellen.
Aber, Herr Minister Rüttgers, ich muß Ihnen sagen, Sie haben die Gelegenheit, jederzeit zu reden, wenn Sie das wollen.
- Aber, Herr Kollege Struck, die Geschäftsordnung und die Sitzungsleitung überlassen Sie bitte in diesem Fall mir, wenn Sie einverstanden sind.
Also, Herr Rüttgers bitte.
Herr Präsident, nachdem ich mich bemühe, zur Lebhaftigkeit der Debatte gemäß den Handreichungen des Präsidiums von hier aus beizutragen,
möchte ich noch die Frage stellen, Frau Kollegin Bulmahn, und auch feststellen, daß Sie meine Fragen nicht beantwortet und damit deren Richtigkeit bestätigt haben, ob Sie eigentlich wirklich alles glauben, was in den Zeitungen steht.
Danke schön.
Ich freue mich, Herr Rüttgers, Ihre Antwort so interpretieren zu können, daß die CDU/CSU-F.D.P.-Regierung nicht beabsichtigt, die für die Gemeinschaftsinitiative „Ausbildungsplatzsicherung" notwendigen Mittel in Höhe von 136 Millionen DM durch Kürzungen bei anderen Transferleistungen für die neuen Bundesländer zu erwirtschaften.
Ich freue mich sehr, wenn ich Ihre Antwort genau so verstehen kann.
Wir werden prüfen, ob Sie auch dabei bleiben.
Meine Herren und Damen, wenn ich hier auf die Haushaltsansätze zur Förderung von Forschung und Technologie nur kurz eingehe, so deshalb, weil man aus dem Haushaltsentwurf gar nicht entnehmen kann, was tatsächlich in den einzelnen Technologiefeldern an Haushaltsmitteln zur Verfügung steht.
Ich muß leider sagen, daß ich in den Jahren meiner Parlamentszugehörigkeit bisher noch keinen Haushaltsentwurf gesehen habe, der derartig gegen die Grundsätze von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit verstößt. So sieht der Haushaltsentwurf etwa in vielen Schlüsseltechnologien durchaus erfreuliche Wachstumsraten vor, und das begrüßen wir auch. Was nützt es allerdings, wenn für die Projektförderung mit 4,6 Milliarden DM zwar 216,2 Millionen DM mehr als im Vorjahr ausgewiesen sind, davon aber 366 Millionen DM im Haushalt gar nicht gedeckt sind?
Tatsächlich stehen nämlich weder die beim BAföG gestrichenen Mittel in Höhe von 266 Millionen DM noch die im Rahmen der globalen Minderausgabe einzusparenden 100 Millionen DM zur Verfügung. Beide Beträge sind aber im Haushaltsentwurf locker verplant worden.
Das Ergebnis wird sein, daß im kommenden Jahr für die Projektförderung erneut weniger Mittel als im Vorjahr zur Verfügung stehen, ganz zu schweigen davon, daß Sie damit das Ergebnis von 1982 mit 4,7 Milliarden DM Projektförderung wiederum verfehlen werden.
Edelgard Bulmahn
Wir brauchen, Herr Minister, wenn wir den Standort Deutschland sichern wollen, keine Luftbuchungen oder schöne Worte, sondern endlich wieder Zukunftsinvestitionen. Zukunftsinvestitionen sind Investitionen in die Zukunft; sie sind keine Investitionen in der Zukunft.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Gertrud Dempwolf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Bulmahn, wir kommen beide aus Hannover. Obschon das jetzt nicht mein Bereich ist, möchte ich Ihnen doch eines sagen:
Ich habe mich im Arbeitsamt Hannover in der vergangenen Woche schlau gefragt und wollte wissen, wieviel offene Stellen es für Jugendliche gibt und wieviel Lehrstellen noch frei sind. Ich mußte feststellen: In Hannover gibt es mehr offene Lehrstellen, als Jugendliche Lehrstellen suchen, und das ist kein Einzelfall.
Frau Staatssekretärin, es ist klar: Nach dieser Eröffnung gibt es eine Zwischenfrage der Kollegin Bulmahn. Ich hoffe, daß Sie damit einverstanden sind.
Gut.
Bitte schön.
Frau Dempwolf, die Beschreibung der Situation in Hannover, die Sie gegeben haben, ist zutreffend. Sie müssen allerdings - ich weiß aber nicht, ob Ihnen das bekannt ist - auch dazusagen, daß es von seiten des niedersächsischen Ministerpräsidenten bereits vor einem Dreivierteljahr eine Initiative zur Schaffung von Ausbildungsplätzen in Niedersachsen gegeben hat und daß diese Initiative auch Wirkung gezeigt hat.
Gertrud Dempwolf, 'Pari. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich denke, Frau Bulmahn, daß das nicht die Initiative Ihres Ministerpräsidenten war, sondern daß es die Industrie- und Handelskammer war, die für die Ausbildung der Jugendlichen in Ausbildungsplätzen gesorgt hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der vorgelegte Haushaltsentwurf ermöglicht es, die bewährten Instrumente unserer Politik für Familien, Senioren, Frauen und Jugend fortzuführen. Er gewährleistet Kontinuität und gibt Raum auch für die Verwirklichung neuer Ansätze.
Nach rund 33 Milliarden DM in 1995 sieht der Haushaltsentwurf für 1996 im Einzelplan 17 ein Volumen von 13,3 Milliarden DM vor. Dieser Rückgang entspricht dem Betrag, der durch die Neuregelung des Familienleistungsausgleichs nicht mehr im Bundeshaushalt ausgeglichen werden muß. Die Neuregelung des Familienleistungsausgleichs bringt nicht nur eine deutliche finanzielle Verbesserung für die Familien, sondern durch den Abzug des Kindergeldes von der Steuerschuld zugleich auch eine Vereinfachung für Bürger und Verwaltung. -
Der Bundeshaushalt 1996 beweist: Wir meinen es ernst mit der Forderung nach einem schlanken Staat, nicht zu Lasten, sondern zugunsten der Bürger.
Unser Haus wird sich auch in Zukunft an der Diskussion um die Weiterentwicklung des Familienleistungsausgleichs beteiligen; denn es geht uns darum, die Zukunft unserer Kinder und Familien zu sichern, und zwar aller.
Nach dem Fortfall von fast 20 Milliarden DM auf der Ausgabenseite für Kindergeld beruht der weitaus größte Teil unseres Haushaltes auf gesetzlichen Leistungen des Bundes, dem Kindergeld für nicht oder nur gering Steuerpflichtige, dem Erziehungsgeld, dem Unterhaltsvorschuß und den Ausgaben für die Zivildienstleistenden. Das größte Gewicht behalten mit fast 10 Milliarden DM im Haushalt die gesetzlichen Leistungen für die Familien.
Ab 1996 erhalten Eltern für ihre ersten und zweiten Kinder ein Kindergeld von monatlich 200 DM, für dritte von 300 DM und ab dem vierten Kind von 350 DM. Auf der Basis des Bundestagsbeschlusses vom 2. Juni wird in Zukunft regelmäßig politisch über die Höhe von Kindergeld und Kinderfreibetrag entschieden. Damit ist ein Einstieg in die Dynamisierung des Familienleistungsausgleichs gelungen - ein Meilenstein, um den wir alle in der Vergangenheit jahrelang gerungen haben.
Mit unserer Entscheidung zur Wohnungsbauförderung verbessern wir die Chancen der Familien zur Schaffung von Wohnungseigentum. Das Baukindergeld wird um 50 % - ich wiederhole: um 50 % - erhöht, und das bei Aufkommensneutralität. - Ich danke dem Finanz- und dem Bauminister dafür, daß sie uns in diesen Punkten gefolgt sind. Man kann ihnen dies ja weiterleiten.
Wichtig ist aber auch, daß der zum 1. Januar 1996 geschaffene Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz umgesetzt wird. Wir wissen: Die Verantwortung hierfür tragen Bundesländer und Kommunen. Die Länder - das sage ich noch einmal - haben 1992
Parl. Staatssekretärin Gertrud Dempwolf
im Bundesrat der Einführung des Rechtsanspruches zugestimmt. 1993 haben sie durch die Neuregelung des Bund-Länder-Finanzausgleichs die notwendigen Finanzmittel dafür bekommen.
Die Bundesregierung hat in der letzten Woche zum Vorschlag des Bundesrates Stellung genommen, eine Stichtagsregelung einzuführen. Auf dieser Basis müssen Kommunen und Länder nur den am jeweiligen Stichtag dreijährigen Kindern einen Kindergartenplatz bereitstellen.
Ich betone an dieser Stelle sehr deutlich, daß wir eine solche Regelung als Dauerregelung ablehnen. Dies würde zu erheblichen Betreuungslücken führen und den Intentionen des Gesetzes widersprechen. Die am 1. Januar 1996 zu erwartenden Kapazitätsengpässe sind auf Versäumnisse der Länder in der Vergangenheit zurückzuführen.
Darunter dürfen Eltern und Kinder aber nicht auf Dauer leiden. Darum hat die Bundesregierung einer bis zum Jahre 1999 begrenzten Übergangsregelung zugestimmt.
Für uns bleibt es dabei: Jedes Kind muß einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz haben.
Im Vorfeld dieser Debatte hat es Diskussionen über die Entwicklung der Zahl der Zivildienstleistenden gegeben. Für die Bundesregierung gilt: Bei den Anträgen auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen gibt es keine Trendwende. Die Zahlen verharren zwar auf einem hohen Niveau, das wir seit der deutschen Einheit kennen. Es besteht aber keine Notwendigkeit, das seit 1984 gültige Anerkennungsverfahren zu verändern. Dieses Verfahren hat sich seit über zehn Jahren bewährt. - Natürlich werden wir auch weiterhin darauf achten, daß das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen nicht als Wahlrecht mißverstanden werden kann.
Insgesamt leisten unsere Zivildienstleistenden einen außerordentlich wertvollen Dienst,
gerade da, wo sie alten, kranken und pflegebedürftigen Menschen helfen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesministerin Frau Nolte hat gestern in Peking die 4. Weltfrauenkonferenz miteröffnet; sie hat dabei all unsere Erwartungen erfüllt. Ziel ist es, Strategien zu beschließen, die die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen weltweit voranbringen, und Gewalt gegen Frauen abzubauen.
Bereits jetzt kann man sagen: Durch diese UNKonferenz ist der Blick der Weltöffentlichkeit auf die Situation von Frauen, insbesondere auf Menschenrechtsverletzungen an Frauen, gelenkt worden; dies gilt auch für Peking. - Wir als Bundesregierung werden in der Menschenrechtsfrage kein Ergebnis hinnehmen, das hinter die Position der Menschenrechtskonferenz von Wien zurückfällt.
Auf der nationalen Ebene müssen wir uns weiter für mehr Gleichberechtigung einsetzen. Dazu gehört meiner Ansicht nach auch, den Tatbestand der Vergewaltigung in der Ehe im Strafgesetzbuch zu verankern.
Im Mittelpunkt unserer Politik für Frauen müssen Strategien für eine stärkere Vermittlung der Frauen in den ersten Arbeitsmarkt stehen. Daher werden wir in den neuen Bundesländern Konferenzen mit den Tarifparteien, den Trägern, den Wirtschaftsministern und den Landesarbeitsämtern durchführen. Die erste Konferenz wird am 9. Oktober in Erfurt stattfinden.
Auch für den Bereich der Seniorenpolitik sichert der Bundeshaushalt 1996 weiterhin gute Voraussetzungen. Zur Förderung von gesellschaftspolitischen Maßnahmen für die ältere Generation sind im Haushalt des nächsten Jahres 36,8 Millionen DM, 1,7 Millionen DM mehr als im laufenden Jahr, vorgesehen.
Die Veränderung des nach wie vor bestehenden negativen Altersbildes in der Gesellschaft gehört zu den ganz besonders wichtigen Aufgaben der Seniorenpolitik. Dieses Ziel verfolgen wir insbesondere dadurch, daß wir die Aktivitäten von Senioren und Seniorinnen fördern und auch in der Öffentlichkeit bekanntmachen. Das laufende Modellprogramm „Seniorenbüro" unseres Hauses macht dies deutlich. Das Engagement der Älteren ist vielfältig, und die Bereitschaft, sich für andere einzusetzen, ist sehr groß.
Den Bundesaltenplan als das Hauptförderinstrument in der Altenpolitik meines Hauses werden wir schrittweise weiter ausbauen. Als einen Schwerpunkt werden wir dabei das bundesweite Modell „Wohnkonzepte der Zukunft - Für ein selbstbestimmtes Leben im Alter" entwickeln und durchführen. Ich denke da an das Modell „Junges Haus", in dem man alt werden kann.
Verantwortungsvolle Seniorenpolitik muß sich frühzeitig mit der Bevölkerungsentwicklung auseinandersetzen. Darum freue ich mich, daß die EnqueteKommission „Demographischer Wandel", die schon in der 12. Legislaturperiode bestanden hat, ihre Arbeit fortsetzen wird.
Parl. Staatssekretärin Gertrud Dempwolf
Für eine tragfähige Basis seniorenpolitischer Entscheidungen werden auch die Ergebnisse der Alternsforschung noch weiter an Bedeutung gewinnen. Daher begrüßt die Bundesregierung, daß das mit dem Land Baden-Württemberg ins Leben gerufene Deutsche Alternsforschungszentrum in Heidelberg jetzt mit der Arbeit beginnen kann.
Mit dem Kinder- und Jugendplan des Bundes über 205,6 Millionen DM stellen wir auch 1996 die Vielfalt der Jugendhilfe auf Bundesebene sicher. Ein wichtiges Ziel der Jugendpolitik muß es weiterhin sein, jungen Menschen Möglichkeiten zu eröffnen, sich für andere Menschen, für kulturelle Zwecke, für die Umwelt oder für gemeinschaftliche Belange zu engagieren und zu bewähren.
Schon über 100 000 junge Frauen und Männer haben für ein Taschengeld das Freiwillige Soziale Jahr absolviert. Auch für das Freiwillige Ökologische Jahr übertrifft das Interesse bei weitem die angebotenen Stellen.
Wir werden daher bestrebt sein, zusätzliche Plätze bereitzustellen, damit möglichst viele Bewerberinnen und Bewerber ihren freiwilligen Dienst auch tatsächlich leisten können.
Aber auch in anderen Bereichen der Jugendpolitik wollen wir in mehrjährigen Aktionen Schwerpunkte setzen. So wollen wir z. B. ausgewählte Initiativen zur Integration junger Ausländer unterstützen sowie gezielte Maßnahmen zur Betreuung von nichtseßhaften Kindern und Jugendlichen fördern.
In der internationalen Jugendarbeit wollen wir insbesondere gegenüber unseren östlichen Nachbarn zusätzliche Aktivitäten initiieren und fördern. Nach dem Besuch des Bundeskanzlers in Polen ist dort die von uns lange gewünschte Bereitschaft bekundet worden, gemeinsam dem Deutsch-Polnischen Jugendwerk mehr Mittel zur Verfügung zu stellen. Denn die Teilnahme von über 60 000 jungen Polen und Deutschen am Austausch zeigt das große Interesse der Jugend am gegenseitigen Kennenlernen und Miteinander. Auch die Zusammenarbeit mit Tschechien wollen wir ausbauen.
Ein wichtiger Bestandteil unserer sozialen Landschaft und aus ihr nicht wegzudenken sind die Wohlfahrtsverbände. Mit mehr als 930 000 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stellen sie in über 80 000 Einrichtungen fast 3 Millionen Betten und Plätze bereit. Für die Durchführung ihrer zentralen und internationalen Aufgaben einschließlich der bundeszentralen Fortbildung erhalten die Wohlfahrtsverbände auch im nächsten Jahr 38,7 Millionen DM. Damit und mit den in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehenen jährlichen Erhöhungen werden wir der gesellschaftspolitischen Bedeutung der freien Wohlfahrtspflege gerecht.
Unsere Gemeinschaft lebt vom Engagement der Bürger. Eigensinn und Selbstverwirklichung dürfen nicht der Hauptpunkt in unserem Leben sein. Die Selbstverwirklichung des einzelnen endet da, wo andere dadurch zu Schaden kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies gesellschaftspolitisch wieder deutlich zu machen, darin sehe ich eine zentrale Aufgabe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Danke schön.
Ich erteile der Abgeordneten Hanna Wolf das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich auf den Bundeshaushalt eingehe, möchte ich unsere Aufmerksamkeit auf die Weltfrauenkonferenz in Peking richten. Es ist einfach skandalös, wie die chinesische Regierung versucht, den Ablauf der Konferenz, besonders jener der NGOs, zu stören.
Die Einschränkungen und Behinderungen, die Bespitzelungen und die selektive Vergabe von Visa durch die chinesischen Behörden sind beispiellos für eine Konferenz, die von der UNO veranstaltet wird.
Ich protestiere auf das schärfste - ich hoffe, im Namen von uns allen und besonders auch im Namen der Kolleginnen, die jetzt in Peking sind.
Dies an die chinesische Adresse.
Die Ministerin Nolte hat in Peking und auch hier immer unsere volle Unterstützung, wenn sie klar und deutlich für Menschenrechte von Frauen eintritt.
Ich begrüße es, daß Frau Nolte in Peking wörtlich betont hat, „keine religiösen, kulturellen oder traditionellen Einschränkungen" der Menschenrechte von Frauen hinnehmen zu wollen. So war es schon auf der UNO-Menschenrechtskonferenz in Wien beschlossen worden.
Wir fordern aber von der Ministerin, daß sie die Menschenrechte der Frauen auch hierzulande konsequent umsetzt.
Von ihrem persönlichen Abstimmungsverhalten bei
der Reform des Abtreibungsrechts möchte ich hier
nicht reden. Ich möchte nur darauf hinweisen - das
Hanna Wolf
hat die Ministerin in Peking offenbar vergessen -, daß nicht nur Zwangsabtreibungen, sondern auch Zwangsschwangerschaften eine Verletzung der Menschenrechte darstellen.
In Peking soll eine Aktionsplattform dahin formuliert werden, daß alle Frauen ein Recht auf die Bestimmung der Zahl ihrer Kinder haben. Ich habe gerade von der Staatssekretärin gehört, daß Sie gegenüber den Forderungen von Wien und Kairo nicht zurückgehen wollen. Darüber sind wir sehr glücklich; wir freuen uns, daß wir alle hierin übereinstimmen. Dann gehört auch diese Passage dazu.
Wenn sich Deutschland zu den Menschenrechten von Frauen bekennt, dann müssen wir auch den Frauen Asyl gewähren, die auf Grund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung in ihren Heimatländern verfolgt, vergewaltigt, verstümmelt oder mit dem Tod bedroht werden. Algerien ist nur das aktuellste Beispiel.
Wir müssen darauf dringen, daß diese Verletzungen der Menschenrechte von Frauen in ihren Heimatländern aufhören. Die deutsche Diplomatie und die deutsche Wirtschaftspolitik sind dazu aufzurufen, diese Menschenrechte nicht um des kurzfristigen Profits willen zu verraten.
Wir haben ebenfalls schon lange gefordert, daß hierzulande das abhängige Aufenthaltsrecht von ausländischen Ehefrauen in ein eigenständiges umgewandelt wird. Wenn diese Frauen von ihren deutschen oder ausländischen Ehemännern mit Gewalt bedroht werden, darf es für dieses Aufenthaltsrecht keine Fristen geben.
Liebe Kolleginnen von der CDU/CSU und besonders von der F.D.P. - Frau Schmalz-Jacobsen, ich sehe Sie da eigentlich in großer Übereinstimmung mit unseren Forderungen -, jetzt müssen wir in diesem Bereich auch handeln. Wir haben uns das vor der Sommerpause vorgenommen. Jetzt ist es so weit, daß wir uns im Bereich der Gewalt von den vorgesehenen Fristen trennen müssen. Ich bitte sehr herzlich darum, daß wir darin zu einer Übereinstimmung kommen; denn sonst darf Ihre Seite diese Reden, die wir alle im Bundestag halten, nicht mehr halten.
Darüber hinaus muß der Frauen- und Mädchenhandel hierzulande wirkungsvoll verfolgt werden. Deshalb müssen die Opfer durch unsere Gesetze vor Abschiebung geschützt werden.
Die Ministerin Nolte erklärte in Peking, sie werde - ich zitiere jetzt - „jegliche Anstrengungen unternehmen, daß künftig auch Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt wird." Dann darf sie aber auch nicht - das Gesetz ist lange überfällig; wir haben schon so oft darüber geredet, aber es soll ja jetzt kommen - in das Gesetz hineinschreiben wollen, daß Opfer selbst darüber entscheiden sollen, ob Täter bestraft werden. Eine solche Entscheidung darf nur das Gericht fällen.
Die Ministerin hat für 1996 eine Kampagne angekündigt, in der Männer und Frauen für die immer noch bestehende Benachteiligung von Frauen sensibilisiert werden sollen. Jetzt habe ich gedacht, der Bundeskanzler sei extra gekommen, um an dieser Sensibilisierungskampagne teilzunehmen, aber wie wir sehen, hat er den Raum verlassen. In diesem Sinne war es eine Fehlkalkulation, daß er sich tatsächlich auch einmal für dieses Thema interessiert. Aber er wäre ganz dringend hier gefordert, denn Sensibilisierungskampagnen hatten wir genug. Alle, die damit erreicht worden sind, sind sensibilisiert genug. Wir brauchen keine Worte, keine Kampagnen, sondern Taten, und das nicht nur auf der Weltfrauenkonferenz, sondern auch hier. Wir brauchen Gesetze.
Die Ministerin ist mit der Einstellung nach Peking abgereist, bei uns sehe es für die Frauen ganz gut aus. Das ist auch so in ihrem Bericht über die Lage der Frauen in Deutschland zu lesen. Dabei ignoriert sie völlig, daß die deutschen NGOs zu einem ganz anderen Urteil kommen. Sie ignoriert auch, daß wir uns dabei natürlich mit anderen Industrieländern vergleichen müssen.
Und weltweit gesehen? Die Frauen leisten die meiste Arbeit und besitzen nur einen verschwindend geringen Teil des Vermögens. Sie haben mindere Rechte oder können ihre Rechte nicht wahrnehmen. Der Internationale Gewerkschaftsbund hat errechnet, daß bei dem heutigen Tempo der Entwicklung noch 475 Jahre bis zur Gleichberechtigung vergehen werden.
Ich denke, diese Zahl ist eindrucksvoll genug.
- Wir sind auf dem Weg. Wir werden dann allerdings diese Strecke nur wenig begleiten können. Das wäre doch sehr schade. Sie haben immer angekündigt, daß wir mit Ihnen auf der Strecke des Fortschritts sind. Ich bitte Sie jetzt, diesen endlosen Ankündigungen Taten folgen zu lassen, gerade auch was die Frauen betrifft. Deswegen gehe ich heute auch speziell darauf ein. Auf den Bereich Jugend wird mein Kollege Hagemann eingehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nirgends sind die Verhältnisse rosig, auch bei uns nicht. Daran hat auch das neue Ministerium nichts geändert, nicht nur, weil dem Ministerium nach der Zuständigkeit für das Bundessozialhilfegesetz auch noch die Zuständigkeit für das Kindergeld genommen wurde, sondern es liegt vor allem daran, daß die Ministerin
Hanna Wolf
ihr Ressort nicht als Querschnittaufgabe versteht und begreift. In einem solchen Ministerium braucht es politische Durchsetzungskraft. Die hat Frau Nolte nicht, und der Kanzler gibt sie ihr auch nicht.
Nehmen wir einen wichtigen verbliebenen Haushaltspunkt: das Erziehungsgeld. Hier hat die Ministerin selbst gefordert, die Einkommensgrenzen so anzuheben, daß wieder der größte Teil der Eltern das volle Erziehungsgeld auch nach dem sechsten Lebensmonat des Kindes erhalten kann. Geschehen ist aber nichts, nicht einmal eine ernsthafte Ankündigung einer Gesetzesänderung, von entsprechenden Entwürfen ganz zu schweigen. Statt dessen müssen wir feststellen, daß für die Zahlung des Erziehungsgeldes 1996 100 Millionen DM weniger vorgesehen sind als noch im Haushalt 1995. Wieder sind viele Familien und Alleinerziehende aus der Förderung herausgefallen. Hätte Frau Nolte diesen Haushaltstitel in seiner vollen Höhe verteidigt, dann hätte sie die Möglichkeit gehabt, die Bemessungsgrenzen zu verändern, um wieder mehr Eltern mit Kindern das Erziehungsgeld zukommen zu lassen.
Die Ministerin sieht ihr Haus gern als Haus der Generationen. Sie sagt, die Jugend darf darin nicht gegen die Senioren ausgespielt werden. Gleichzeitig spielt sie aber die Familienpolitik gegen die Frauen aus. Es ist töricht, immer nur die Frauen mit der Familie in Zusammenhang zu bringen. Ich zitiere aus einem Brief des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend:
Die heutige Mädchengeneration will nicht nur die Familie, sondern darüber hinaus einen aussichtsreichen Platz in Beruf und Öffentlichkeit. Erst recht dürfen familiäre Bindungen Mädchen nicht zum Nachteil gereichen.
Aber sie gereichen ihnen später doch zum Nachteil. Ein ausreichendes Angebot an Ganztagsschulen, qualifizierten Hort- und Krippenplätzen ist das, was ihnen und einigen engagierten Partnern immernoch fehlt.
Frau Kollegin Wolf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Singhammer?
Bitte.
Frau Kollegin Wolf, Sie haben kritisiert, daß die Bundesregierung nicht sofort das Erziehungsgeld entsprechend erhöht hat. Ich frage Sie: Ist Ihnen bekannt, daß bereits in dieser Legislaturperiode innerhalb von zehn Monaten der Familienleistungsausgleich auf den Weg gebracht worden ist? Ist Ihnen bekannt, daß in der Stadt, aus der wir beide gemeinsam kommen, nämlich in München, wo eine rot-grüne Stadtregierung das Sagen hat, nahezu alle freiwilligen familienpolitischen Leistungen in den letzten Jahren gekürzt worden sind?
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß wir eine Bundesregierung haben, die den Kommunen immer mehr Lasten aufbürdet,
und daß die Kommunen nicht mehr wissen, wo sie das Geld für ihre Etats hernehmen sollen?
- Gut, ich verstehe ja, daß diese rhetorischen Retourkutschen gefahren werden.
Was brauchen die Frauen besonders? Sie brauchen unter anderem ein ausreichendes Angebot an Ganztagsschulen. Es ist Ihnen bekannt, daß Ganztagsschulen für Bayern den Inbegriff des Revolutionären darstellen. Ganztagsschulen werden in Bayern sozusagen nach wie vor nicht zugelassen. Bayern bildet in dieser Beziehung das Schlußlicht nicht nur in Europa. Bayern befindet sich am allerletzten Ende dessen, was man heute in bezug auf pädagogische und sonstige Einrichtungen braucht, um den Anspruch von Frauen und auch von Männern, wenn sie sich dann endlich einmal richtig um die Familie kümmern - Sie wollen das ja immer ganz besonders -, auf Teilhabe einlösen zu können. Daneben brauchen wir Hort- und Krippenplätze, damit wir die erforderlichen begleitenden Einrichtungen zu unserer Verfügung haben.
Wie verhält es sich mit dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz? Wir kennen diese Debatte. Wir sagen: Der Bund hätte finanzielle Mittel für dieses Jahrhundertwerk zur Verfügung stellen müssen.
Wenn Sie sagen, daß die Länder Geld bekommen haben, erwidern wir: Sie haben nicht genug bekommen. - Dieser Streit ändert aber nichts an der Tatsache, daß wir diesen Rechtsanspruch sofort und am liebsten ohne eine Stichtagsregelung einlösen möchten.
Das brauchen die Familien; die Frauen haben das durchgesetzt. Darauf können wir stolz sein. Allerdings sind die finanziellen Engpässe eindeutig.
Was Frauen aber vor allem fehlt, sind qualifizierte Arbeitsplätze. Von der steigenden Langzeitarbeitslosigkeit sind vor allem Frauen betroffen. Kürzungen bei Umschulungsmaßnahmen treffen wieder in erster Linie Frauen. In diesem Jahr fehlen Tausende von Ausbildungsplätzen, ganz besonders auch für Mädchen. Eine Debatte darüber haben wir ja vorhin geführt. Mit der von der SPD geforderten Quotierung der Ausbildungsplätze hätten Mädchen wenigstens am Anfang Chancengleichheit vorgefunden. Um Frauen insgesamt bessere Chancen auf dem Arbeits-
Hanna Wolf
markt zu geben, brauchen wir ein Gleichstellungsgesetz, das in allen Wirtschaftsbereichen gilt. Das vorhandene sogenannte Gleichberechtigungsgesetz hat bisher eigentlich wenig gezündet.
Ich habe absichtlich von qualifizierten Arbeitsplätzen gesprochen; denn unqualifizierte schlechtbezahlte Arbeit - und das auch noch in Teilzeit - ernährt die Frau jetzt nicht und im Alter nicht. Herrn Rexrodts wunderbare Arbeitswelt der flexiblen Ladenschlußzeiten bringt nicht nur noch mehr geringfügig Beschäftigte, noch geringere Bezahlung und gar keine Alterssicherung; darüber hinaus geht diese Flexibilisierung auf Kosten des Familien- und Gemeinschaftslebens.
Sie sehen selbst, das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat wirklich Querschnittsaufgaben. Die Ministerin muß sich in die Bereiche Recht, Arbeit, Soziales und Bildung einmischen. Das erfordert aber die Kraft einer Superministerin; die ist sie leider nicht. So wird aus einem Gemischtwarenladen leider auch kein Superministerium.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Peter Jacoby.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Klaus Natorp von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" schrieb dieser Tage folgendes:
Daß es in keinem Land der Erde Frauen so gut geht wie Männern, daß sie in ihrem Leben nicht nur länger arbeiten als Männer, sondern bei gleicher Arbeit auch weniger verdienen, daß ihre Haus- und Feldarbeit fast überall in der Welt unterbewertet wird, daß zwischen Männern und Frauen im Hinblick auf Bildung und Gesundheit immer noch eine Kluft besteht, ist eine Schande.
So ist es in einem Leitartikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" formuliert.
Ich denke, daß diese Formulierung gut ist. Wir sind uns sicherlich in dieser Einschätzung über Parteigrenzen hinweg einig.
Deshalb ist es gut, daß die Frauenkonferenz in Peking stattfindet und daß wir, vertreten durch die Bundesregierung, aber auch durch Parlamentarier, dort sind.
Frau Ministerin Nolte hat glasklare Ausführungen gemacht zu den Maßstäben, die es dort einzufordern gilt. Ich räume ein: Damit verbunden sind auch Verpflichtungen im eigenen Land. Aber auch dazu hat sie etwas gesagt. Wir als Koalitionsfraktionen haben deshalb Respekt angesichts der Form und des Inhalts, des Auftretens und der Ausführungen, die Frau Ministerin Nolte aktuell in Peking gemacht hat.
Meine Damen und Herren, ich möchte in dieser ersten Lesung des Haushalts etwas im Blick auf den Gesamtetat sagen. Wir diskutieren zum zweitenmal nach der Bundestagswahl einen Bundeshaushalt. Vor einem halben Jahr haben wir festgestellt, daß der Einzeletat, um dessen Beratung es hier im konkreten Fall geht, im letzten Jahr eine Steigerung von 6,5 % erfahren hat, und das angesichts einer Steigerung des Gesamthaushalts 1995 von lediglich 1,3 %. Schon damals habe ich gesagt: Das ist eine deutliche, eine nachvollziehbare Akzentsetzung. Sie war ja auch vom Bundeskanzler in seiner ersten Regierungserklärung dieser Legislaturperiode angekündigt.
Ich möchte darauf hinweisen, daß wir diese Akzentsetzung auch in diesem Jahr, also im Blick auf den Haushalt 1996 fortsetzen. Andere reden, wir handeln!
Der entscheidende Punkt ist: Wären die Ausgaben, die im Zusammenhang mit dem neuen Familienleistungsausgleich auf den Bund zukommen, im Einzelplan 17 veranschlagt worden, wie dies all die Jahre der Fall gewesen ist, und hätten wir das System nicht auf Steuervergünstigung umgestellt - das wollten wir ja; es ist unbürokratischer, es ist direkter -, dann würde der Einzelplan 17, um dessen Beratung es jetzt geht, um sage und schreibe 20 % steigen. Das ist doch eine beachtliche Leistung, an Hand deren man sozialstaatliches Engagement, familienpolitisches Engagement demonstrieren kann. Das ist nicht Theorie, das ist nicht allein eine Frage der Willensbekundung, sondern drückt sich in ganz konkreten materiellen Ansätzen aus, auch und gerade in diesem Bundeshaushalt 1996.
Deshalb geht es nicht nur um die Erhöhung des Kindergelds für das erste und das zweite, für das dritte und jedes weitere Kind, geht es nicht nur um die Anhebung des Freibetrages. Es gibt zudem die Heraufsetzung der allgemeinen Altersgrenze für den Bezug des Kindergeldes von bisher 16 auf 18 Jahre. Es gibt die Heraufsetzung der Einkommensgrenze für Kinder über 18 Jahre. Es gibt die gesicherte Perspektive - darauf hat man sich parteiübergreifend verständigt - der weiteren Anhebung des Kindergeldes auf 220 DM ab 1997. Und es gibt den erklärten politischen Willen einer Dynamisierung der familienpolitischen Leistungen über 1998 hinaus.
Dies verdeutlicht die Fortsetzung einer familienpolitischen Akzentsetzung, wie sie seit mehr als einem Jahrzehnt in der Verantwortung der Koalitionsfraktionen vorgenommen wird. Ich nenne nur die Regelungen zum Erziehungsurlaub, zum Erziehungsgeld, die Anerkennung der Erziehungsjahre und der Pflegeleistungen für die Rente. Zusammengenommen
Peter Jacoby
sind das nicht nur Mosaiksteine, sondern es ergibt mittlerweile ein nachhaltiges Bild und belegt, wie man in familienpolitischer, in sozialstaatlicher Motivation handeln und entscheiden kann.
Meine Damen und Herren, es ist trotz des Ziels einer notwendigen Haushaltskonsolidierung gelungen, die zur Verfügung stehenden freien Mittel, also die Mittel, die man im operativen Bereich des Ministeriums neben den gesetzlichen Aufgaben einsetzen kann, durchweg zu stabilisieren; da und dort sind sogar Zuwächse in Ansatz gebracht worden. Dies spricht in der Tat für die Kontinuität, für die Verläßlichkeit einer Politik.
Wenn auch manches knapp kalkuliert ist: Führt man in diesen Tagen Gespräche mit den Wohlfahrtsverbänden, mit den Jugendverbänden, mit den vielen freiwilligen Initiativen, für die wir ja die Initialzündung bieten - wir gehen ja davon aus, daß das ehrenamtliche Engagement dann erst freigesetzt werden kann -, dann hört man: Wir akzeptieren angesichts der Haushaltssituation, daß die Mittelansätze so bleiben, wie sie sind; aber bitte kümmert euch darum, daß nicht eine globale Minderausgabe am Ende der Haushaltsberatungen herauskommt. Deshalb haben wir die Bitte an die Opposition, mitzuhelfen, die Dinge stabil zu halten, weil wir dann das Kürzen mit der Heckenschere vermeiden können - und das im Interesse all derer, die von unseren finanziellen Rahmenbedingungen, die wir schaffen, profitieren. Letztendlich ist es das gesamte Land, die ganze Gesellschaft, die davon profitiert.
Ich will in diesem Zusammenhang schon darauf hinweisen: Es ist nicht nur der Bund, der in unserem Land sozialstaatliche Verantwortung trägt, sondern gefordert sind natürlich auch die Länder und die Kommunen.
Da ist es schon eigenartig, im Zusammenhang mit dem Recht auf einen Kindergartenplatz, völlig aus dem Bewußtsein zu verdrängen, daß es anläßlich der Solidarpaktverhandlungen vor zwei Jahren eine Besserstellung der Länder bei der Verteilung der Umsatzsteuer gegeben hat; gerade im Vorgriff auf dieses Recht auf einen Kindergartenplatz, um dessen Realisierung wir uns bemühen. Hätten die Länder die zur Verfügung gestellten Mittel an die Gemeinden weitergegeben, wären vielerorts andere Prioritäten gesetzt worden; dann bräuchten wir uns in der Tat, Frau Kollegin Wolf, jetzt nicht darüber zu ärgern, daß Stichtagsregelungen als Überbrückung in Erwägung gezogen werden; Stichtagsregelungen, die in der Tat kein Dauerzustand sein können und die in der Tat politisch von dieser Bundesregierung und diesen Koalitionsfraktionen auch nicht gewollt sind.
Bei aller Kritik im Einzelfall: Man muß doch auch sehen, was alles mittlerweile auf der Länderebene und auf der Ebene der Kommunen an Streichorgien in diesem Zusammenhang veranstaltet wird; angefangen bei den Sozialstationen über die mobilen sozialen Dienste bis hin zu den Ansätzen für die freien Träger.
Insofern, glaube ich, kann man nicht in einer einseitigen Schuldzuweisung mit Blick auf den Bund argumentieren, sondern es ist in der Tat so, daß die Haushaltszwänge durchgängig das Problem sind. Man braucht nur heute in der Tageszeitung zu lesen, wie die Haushaltsdebatte im Landtag von Hessen geführt worden ist, wie die Regierungserklärung in Bremen ausgesehen hat und welche Auswirkungen das für die Sozialdebatte hatte, die dort geführt worden ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehnel?
Bitte schön.
Lieber Kollege Jacoby, können Sie bestätigen, daß in den neuen Bundesländern dieser Beschluß des Deutschen Bundestages eingehalten wurde und tatkräftig umgesetzt wird, daß also dort die Kindergartenplätze durch Prioritätensetzung nahezu hundertprozentig ausgelastet sind?
Das bestätige ich gern. Deshalb ist auch die aktuelle Debatte, die zu diesem Punkt kritisch geführt worden ist, eine Debatte, die mit Blick auf die alten Länder geführt wird, deren finanzielle Voraussetzungen zur Umsetzung dieses Rechtes bei weitem besser sind als diejenigen der neuen Länder. Trotzdem ist die Situation so, wie Sie dies beschreiben.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Gerne.
Geben Sie mir recht, wenn ich Ihnen sage, daß der Überschuß an Kindergartenplätzen in den neuen Bundesländern auch damit zusammenhängt, daß es einen dramatischen Geburtenrückgang gibt, der sicherlich nicht mit der Freude auf die Zukunft bei den Frauen zu tun hat? Geben Sie mir auch recht, daß die zunehmenden Sterilisationen sicherlich auch ihren Hintergrund haben?
Ich denke, daß wir drei Jahre Zeit hatten, schon einmal zu reagieren, und das dies leider nicht geschah.
Frau Kollegin, ich bin gerne bereit, zuzugestehen, daß gesellschaftspoliti-
Peter Jacoby
sehe Hintergründe durchaus sehr kritisch und sehr differenziert zu betrachten und zu diskutieren sind und daß man nicht in einer pauschalen Art und Weise über die Dinge hinweggehen kann. Nun ist aber vorhin der Versuch gemacht worden, doch sehr schnell darüber hinwegzugehen, daß es gerade mit Blick auf das Recht auf einen Kindergartenplatz schon finanzielle Leistungen des Bundes in Richtung der Länder gegeben hat, nämlich anläßlich der Solidarpaktverhandlungen. Angesichts dessen finde ich bedauerlich, daß in der Folge die falschen Prioritätensetzungen in einigen Bundesländern, insbesondere im westlichen Bereich, vorgenommen worden sind. Wenn wir uns darüber verständigen, dann, meine ich, beklagen wir gemeinsam die jetzige Stichtagsregelung. Wir sollten zusammen dafür sorgen - auch in den Gegenden, aus denen wir kommen -, daß künftig eine andere Prioritätensetzung erfolgt.
Meine Damen und Herren, ganz generell finde ich - das möchte ich zum Schluß ansprechen -, daß wir bei der Diskussion der Themenfelder, um die es hier geht, nicht nur in der materiellen Betrachtungsweise verharren können. Vieles sind Strukturfragen, die auf den Prüfstand gehören. Das wollen wir auch im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen tun. Wir wollen es auch in Debatten möglichst ressortübergreifend tun.
Es ist falsch, daß man die Summe der Bemühungen im jugend-, frauen- und familienpolitischen Bereich nicht zur Kenntnis nimmt: vom Baukindergeld über Wohnungseigentumsförderung und Lehrstellenkampagne bis hin zu den klassischen Ansätzen, die wir im Einzeletat 17 vornehmen. Es sind nicht nur Randgruppen, die unsere Aufmerksamkeit zu Recht verdienen; es ist die breite Öffentlichkeit, die von den Initiativen profitiert. Deshalb handelt es sich auch um Akzentsetzungen, die deutlich über den Tag hinauswirken. Ich spreche nur das an, was im Zusammenhang mit dem Deutsch-Polnischen Jugendwerk an Verpflichtungen zusätzlich eingegangen wird.
Alles in allem ist das ein Etatentwurf, über den wir in den vor uns liegenden Wochen in den Ausschüssen unter materiellen, aber auch unter strukturellen Gesichtspunkten weiter diskutieren werden. Es ist jedoch ein Etatentwurf, der Perspektive und Planungssicherheit mit sich bringt. Auf beides kommt es uns an.
Ich erteile dem Abgeordneten Matthias Berninger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Weltfrauenkonferenz in Peking wurde von seiten des chinesischen Regimes vorweg ein wichtiger Satz ins Stammbuch geschrieben. Er lautete in bestem Chinesisch: „Erweisen Sie sich als würdiger Gast." Ich glaube, wir können hier gemeinsam sagen: Die vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmer erweisen sich in Peking als würdige Gäste, weil sie die Probleme, die Frauen in dieser Welt haben, über Kulturgrenzen hinweg mit einer relativ großen Einigkeit - ich glaube, sogar mit einer größeren Einigkeit als seinerzeit in Kairo - zur Sprache bringen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Ich meine, das sollten wir begrüßen.
Das zentrale Problem, vor dem die Frauen in dieser Welt stehen, ist die Armut; das ist völlig klar. Wenn wir hier in einem sehr reichen Land über dieses Thema diskutieren, wird von vielen Frauen in den Entwicklungsländern immer der Vorwurf kommen: Na ja, eure Probleme, die ihr diskutiert, sind angesichts der Armut, mit der wir konfrontiert sind, relative Kleinigkeiten. Ich meine, daß Sie das zentrale Problem ist und bekämpft werden muß. Es macht deutlich, daß Frauenpolitik nicht auf den Einzelplan, den wir gerade diskutieren, reduziert werden kann, sondern daß die Probleme, die angesprochen wurden, von der Bundesregierung auch in sehr vielen anderen Bereichen behandelt werden müssen. Sie müssen in viel stärkerem Maße übernommen werden, als das bisher geschehen ist.
Natürlich, Entwicklungspolitik muß Frauen und Männer, die die frauenspezifischen Probleme in Entwicklungsländern, in armen Ländern zum Thema machen, stärken, und zwar viel mehr, als das bisher geschehen ist. Da muß die Entwicklungshilfe der Bundesregierung ansetzen.
Des weiteren muß das Außenministerium natürlich darauf drängen, daß die Menschenrechte, die unteilbar sind und nicht von irgendwelchen kulturellen „Errungenschaften" - z. B. der Klitorisbeschneidung -beeinträchtigt werden dürfen, angesprochen und zentral thematisiert werden.
Ein zweiter Punkt. Frau Nolte hat deutlich gemacht, daß sich das Regime in China nicht als würdiger Gastgeber erwiesen hat. Ich freue mich, daß sie das so offen getan hat. Ich hoffe aber, daß das nicht - wie so oft - eine Feigenblattfunktion hat. Wir haben nämlich einen anderen, wie ich meine, in einer gewissen Form unwürdigen Gastgeber, nämlich die Bundesrepublik Deutschland, erlebt, als die Chinesen hier zu Besuch waren, ihre Verträge machen und die wirtschaftliche Zusammenarbeit intensivieren wollten. Wenn das, was Frau Nolte bei dieser Konferenz gesagt hat, richtig ist, nämlich, daß die Menschenrechte in China ein zentrales Thema sind, dann muß es auch richtig sein, wenn Herr Wissmann, Herr Rexrodt oder Herr Kohl mit den Chinesen verhandeln. Auch dabei muß das im Zentrum stehen.
Matthias Berninger
Man kann die Brücke zwischen den außen- und den innenpolitischen Dimensionen an einem ganz wichtigen Punkt, den bereits Frau Wolf ansprach, festmachen. Sind geschlechtsspezifische Verfolgungsgründe bei uns ein Grund, um Asyl zu erhalten? Bislang sind sie es nicht. Wenn eine Frau von irgendwelchen Häschern eines Regimes vergewaltigt wird, ist das noch kein Asylgrund.
Das muß sich ändern. Wir sprechen immer wieder, vor allem in Sonntagsreden davon, daß sich das ändern muß. Ich bitte sehr darum, daß wir das in diesem Jahr, in den nächsten Monaten festschreiben. Das kann doch kein so großes Problem sein.
Die Realisierung des eigenständigen Aufenthaltsrechts von Frauen darf ebenfalls kein großes Problem sein. Auch hier haben wir in Sonntagsreden einen breiten Konsens. Seit einem Jahr wird es diskutiert, aber es tut sich nichts. Ich denke, hier muß sich sehr schnell etwas tun, weil die Rolle von Frauen, die, wenn sie Asyl beantragen, immer von ihren Männern abhängig sind, zentral und wichtig ist. Wir müssen diese Frauen in den Mittelpunkt einer vernünftigen Einwanderungs- bzw. Asylpolitik stellen.
Zur Frauenpolitik hat Frau Nolte vor ihrer Abreise nach China gesagt: Wir müssen die Gleichberechtigung vollenden. Das hat sie vom Kanzler abgeguckt. Wir müssen ja schließlich auch die Einheit „vollenden" . Aber der Eindruck, daß wir soweit sind, geht fehl. Sehen Sie sich an den Universitäten um! Dort gibt es etwa 6 % Professorinnen. Das darf doch wohl nicht wahr sein. Sehen Sie sich in der CDU-Fraktion um! Ich weiß gar nicht, welchen Frauenanteil Sie dort haben. Es werden noch einige Wahlkreise purzeln müssen, wenn Sie die Gleichberechtigung vollenden.
Wir müssen an einem ganz zentralen Punkt, der noch nicht angesprochen wurde, der uns aber arg zusetzen wird, im Konsens Position beziehen. Das ist die Frage, wie wir es mit Art. 3 GG halten. Ich habe den Eindruck, daß bei den Verfahren, die gegen Gleichstellungsgesetze laufen, die Gerichte wie folgt urteilen werden: Das individuelle Recht auf Gleichheit von Männern und Frauen beim Berufszugang wird über das Recht der Frauen, gleiche Rechte in diesem Land zu erhalten, gestellt. Das scheint mir im Moment die politische Debatte zu sein. Deswegen sind so viele Gleichstellungsgesetze zur Zeit auf dem juristischen Prüfstand. Ich bitte doch sehr darum, daß sich Frau Nolte, wenn sie wieder hier ist, dieses Themas annimmt, und zwar nicht erst, wenn es zu spät ist. Verfassungswirklichkeit muß heißen, daß die Ergänzung des Grundgesetzes, die wir beschlossen haben, endlich in die Tat umgesetzt wird. Ich sehe das im Moment noch nicht und erwarte deutlichere Worte unserer Frauenministerin.
Es ist ein Problem, daß sie manchmal zu bestimmten Punkten schweigt, obwohl es wichtig wäre, daß sie sie anspricht. Auch in Peking hat sie zum Thema Abtreibung nicht viel gesagt. Frau Dempwolf, vielen Dank, daß Sie sich hinter die Kairo-Beschlüsse gestellt haben. Das ist eine gute Sache. Leuten, die sich wie Dyba hinstellen und erzählen, die katholischen Beratungsstellen werden sich nicht mehr gesetzeskonform verhalten, weil das - so Dyba - Beihilfe zum Mord sei, und die den Kompromiß zu § 218, der nicht gut ist, aus einer gesetzesfernen und extremistischen Haltung weiter unterwandern wollen, muß endlich ein Riegel vorgeschoben werden. Dazu erwarte ich deutliche Worte von einer Ministerin, die Steuergelder in diese Beratungsstellen steckt.
Es kann nicht sein, daß wir katholische Beratungsstellen nach dem Subsidiaritätsprinzip weiterhin unterstützen, obwohl sich ein Herr Dyba hinstellen und sagen kann: Wir bestimmen, wie die sich verhalten. Das Gesetz bestimmt darüber, wie sich katholische Beratungsstellen verhalten. Das heißt, daß zumindest der Kompromiß zu § 218 umgesetzt wird.
Wir wissen alle, daß das nicht ausreicht. Das kann nicht ausreichen. Aber es ist zumindest ein Anfang. Ich ärgere mich darüber, daß wir in so vielen Punkten nur einen scheinbaren Konsens herstellen, daß wir alle die Gleichberechtigung wollen, daß aber die Männer - und es sitzen eine ganze Reihe von ihnen hier -, sobald es an Besitzstände geht, sei es an den Erziehungsurlaub oder an die Festlegung der Wahlkreise im Bundeswahlgesetz, anfangen, sich zurückzuziehen und zu sagen: Wir müssen erst gucken; es gibt doch Traditionen, und das kann ganz langsam gehen.
Wenn wir den Konsens in der Haushaltspolitik hochhalten, dann bitte ich Sie: Lassen Sie uns das im nächsten Jahr auch in Gesetze ummünzen! Da ist noch einiges zu tun.
Vielen Dank.
Ich erteile der Abgeordneten Cornelia Schmalz-Jacobsen das Wort.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen aus unseren Ausschußberatungen, mit was für einer breiten Thematik wir es hier zu tun haben und daß sie meistens andere Ressorts, die Bundesländer oder die Kommunen betrifft. Wir können feststellen, daß wir es mit einem gesellschaftlichen Bereich zu tun haben, der ständigem Wandel unterworfen ist. Der Gesetzgeber kann nicht immer etwas tun. Die Dynamik wird von anderen Eckwerten bestimmt. Wohl aber können wir Akzente setzen; wir können einen Rahmen setzen. Wir müssen von den Realitäten ausgehen. Wir dürfen nicht schwarzmalen, aber wir dürfen auch nicht schönfärben, sondern müssen hinschauen, was Sache ist. Ein Beispiel - es ist schon genannt worden - dafür, wie sensibel und wie rasch veränderte Bedingungen in den Familien zu Buche schlagen, ist der dramatische Rückgang der Geburtenrate in der ehemaligen DDR.
Cornelia Schmalz-Jacobsen
Die Familie hat sich verändert. Häufig hat sich aber auch nur unsere Wahrnehmung von dem, was Familie heute ist, verändert. Ein Beispiel faktischer Veränderung, die der Gesetzgeber vorgenommen hat, letztlich auch eine Antwort auf eine veränderte Bewußtseinslage ist der Familienleistungsausgleich. Endlich nennen wir das Kind einmal beim Namen und sprechen nicht mehr von der „Last", sondern von der „Leistung".
Angesichts vieler Single-Haushalte und vieler Paare ohne Kinder ist es keine selbstverständliche Leistung. Die Lösung, die wir mit dem Familienleistungsausgleich gefunden haben, kann sich, meine ich, sehen lassen, auch wenn es ein Schönheitsfehler ist, daß sie erst unter dem Druck des Bundesverfassungsgerichts möglich war. Zusammen mit dem Entlastungsvolumen bei der Freistellung des Existenzminimums von Erwachsenen werden die Bürger im kommenden Jahr um über 22 Milliarden DM entlastet, was zum großen Teil den Familien zugute kommt. Das war dringend geboten. Aber dies kann mittelfristig natürlich nicht das Ende der Fahnenstange sein.
Aber bei der derzeitigen Haushaltslage - das müssen wir einmal sagen - ist dies sehr beachtlich.
Aus der Sicht meiner Partei, meiner Fraktion möchte ich besonders hervorheben, daß wir erstmals Steuer- und Sozialrecht miteinander verknüpfen und uns so einen ersten Schritt in Richtung auf das Bürgergeldprinzip bewegt haben, das die Liberalen bekanntlich fordern und vertreten.
Natürlich ist die Folge, daß der Gesamthaushalt des Familienministeriums um fast 20 Milliarden DM zugunsten des Finanzministers schrumpft. Aber ich gehe einmal davon aus, daß sich der Bundesfinanzminister in Sachen Familienfreundlichkeit sicher nichts vorwerfen lassen will.
Ich bin unserer Justizministerin dafür dankbar, daß sie das Kindschaftsrecht neu regeln will und wir es hoffentlich noch im Herbst oder im nächsten Jahr zu beraten haben werden.
In den letzten 16 Jahren hat es hier keine Novellierung gegeben. Aber es hat keinen Stillstand in der gesellschaftlichen Entwicklung gegeben. Meine Kolleginnen und Kollegen, es ist höchste Zeit, daß wir das Kindeswohl mehr in den Mittelpunkt rücken. Das wollen, meine ich, auch Mütter und Väter. Die Regelung der Rechtsstellung nichtehelicher Kinder und vernünftige Regelungen beim Sorgerecht geschiedener oder nichtverheirateter Eltern sind notwendig. Dabei müssen wir uns von dem Gedanken „Soviel gemeinsame Elternverantwortung wie möglich" leiten lassen. Dogmatische Vorstellungen bringen hier im übrigen überhaupt nichts.
Aber natürlich gilt das Prinzip „So viel gemeinsame Elternverantwortung wie möglich" auch für den Alltag bestehender Ehen. Auch hier können wir nur auf Umwegen zum Ziel kommen. Für eine gleichberechtigte Elternschaft sind viele Faktoren notwendig, nämlich eine gerechte Aufteilung von Familienaufgaben, meine Herren, meine Damen, gleichberechtigte Ausbildungschancen, familienfreundliche Arbeitszeitregelungen, gerechte Einkommensverteilung bei Männern und Frauen, die Steuergesetzgebung und last but not least die Kindertagesbetreuung, die hier schon häufiger angesprochen wurde.
Ich möchte heute noch einen besonderen Aspekt ansprechen. Vieles, was hinter den Kulissen im weiten Bereich der Familienarbeit, die Jugendliche und alte Menschen einschließt, stattfindet, wäre ohne ehrenamtliche Helfer nicht denkbar. Hier haben wir es mit Leistungseliten zu tun. Ehrenamtlich Tätige sind Leistungsträger unserer Gesellschaft.
Ich finde, es ist eine entsetzliche Verkürzung, wenn man den Begriff Leistung immer nur an die finanzielle Leistung koppelt. Was wären wir ohne die ehrenamtlich Tätigen?
- Die Männer. Auch ich bin der Meinung, daß es nicht so gehen kann: dem Mann das Amt, der Frau das Ehrenamt. Darin sind wir uns völlig einig. Aber nur bezahlte Ämter, das geht nicht; nicht nur, weil das nicht bezahlbar ist, sondern weil es den Zusammenhalt unserer Gesellschaft verkümmern ließe.
Ich möchte gerade den Zusammenhang zwischen ehrenamtlicher Arbeit und ausländischen Familien herstellen. Unter uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, leben viele ausländische Familien und übrigens immer mehr binationale Familien, von denen wir uns manchmal eine Scheibe abschneiden könnten.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Holzhüter?
Aber gerne. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte.
Frau Schmalz-Jacobsen, sind Sie mit mir der Meinung, daß im Hinblick auf das chinesische Sprichwort „Die Frauen tragen die Hälfte des Himmels" im Zusammenhang mit dem Ehrenamt den Männern einmal angeboten werden könnte, die andere Hälfte zu tragen?
Ich habe manchmal den Eindruck, Frau Kollegin, daß viele Männer nichts davon wissen oder wissen wollen, daß es etwas sehr Schönes und Befriedigendes sein kann, die andere Hälfte des Himmels zu tragen.
Ich sprach von den ausländischen Familien, die unter uns leben. Es ist vollkommen unsinnig, deutsche Familien und die Frage, wie es ihnen geht, gegen ausländische Familien und die Frage, wie es ihnen geht, auszuspielen. Aber es ist nun einmal eine Tatsache, daß viele der ausländischen Familien ein deutlich niedrigeres Einkommen haben als deutsche Familien, daß die Frauen es schwerer haben und daß auch die, die in der Fremde altern, besondere Probleme haben. Aber noch viel schwerer haben es Familien, die als Kriegsflüchtlinge oder Asylsuchende zu uns gekommen sind. Ohne die Frauen und Männer von der Caritas, von Pax Christi, von anderen kirchlichen oder nichtkirchlichen Organisationen wäre das Leben insbesondere der Frauen noch schwieriger, könnten noch weniger Kinder die Schule besuchen oder in ihrer Unterkunft schreiben und lesen lernen.
Ich bewundere dieses unermüdliche und selbstlose Engagement. Wir haben allen Grund, für dieses Maß an Nächstenliebe, für dieses Beispiel menschlicher Verantwortung und eines humanen Zusammenhalts dankbar zu sein.
Daran sollten wir erinnern und hier nicht nur Beifall klatschen, wenn jemand aus diesen Organisationen versucht, uns die Lage von Asylsuchenden, von Flüchtlingsfamilien und auch von mancher ausländischen Familie näherzubringen. Wir sollten das nicht abwerten. Das Ehrenamt ist übrigens einmal eine breite Diskussion in diesem Hause wert.
Vielen Dank.
Ich erteile der Abgeordneten Maritta Böttcher das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Das neu zugeschnittene Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erfüllt innerhalb der Bundesregierung eine besondere Aufgabe: Es ist das Ministerium, das die Bürgerinnen und Bürger in vielfacher Hinsicht auf ihrem Lebensweg besonders eng begleitet.
So Frau Ministerin Nolte am 21. Februar in diesem Haus.
Nun sind Verantwortung tragen und sie tatsächlich wahrnehmen zwei verschiedene Seiten einer Medaille. Prüft man dies an den Maßstäben Ihrer finanzpolitischen Umsetzung - darum geht es ja wohl in dieser Woche -, dann kann das Ergebnis nur lauten: Prüfung nicht bestanden, und zwar mit dem Haushalt 1996 insgesamt wie mit dem Einzelplan 17 im
besonderen. Betroffen vom sinkenden Sozialetat, vom Hinausschieben bei der Erhöhung des Wohngeldes, den angekündigten Eskapaden beim BAföG und dem von Minister Rexrodt eingeforderten Befreiungsschlag in der Sozialpolitik werden Frauen, Kinder und Jugendliche, Seniorinnen und Senioren sowie Familien sein. Nahezu zementiert wird frauen-, kinder-, senioren- und familienunfreundliche Politik.
Oder wird sich an folgendem Bild etwas zum Positiven ändern? Lebten vor der Wiedervereinigung in Ostdeutschland zwei Drittel aller Kinder in Haushalten, in denen beide Elternteile berufstätig waren, so sank der Anteil bis 1993 auf 46,2 %. Dagegen stieg der Anteil der Kinder, deren Eltern beide ohne Arbeit waren, von 4,3 auf 10,7 %.
Die Zahl der Kinder unter 7 Jahren, deren Eltern Sozialhilfe bekommen, betrug 1992 in den neuen Bundesländern 63 000 und ist weiter im Steigen begriffen. Über ein Viertel aller ostdeutschen Kinder lebt in Haushalten, die Arbeitslosenunterstützung beziehen. 63 % der alleinerziehenden Arbeitslosen - weit über 90 % sind Frauen - haben nicht einmal 1 800 DM monatlich zur Verfügung. Was die Kinder betrifft, wird ihre Entwicklung schonungslos weitergeführt; siehe Lehrstellensituation und BAföG-Regelungen.
Im Einzelplan 17 wird all das weitergeführt, was schon im laufenden Haushalt von der Opposition kritisiert wurde.
Einige Schwerpunkte seien kurz herausgestellt. Sachverständige bei der öffentlichen Anhörung zum 9. Jugendbericht betonten mit Nachdruck, daß Programme des Bundes oder auch der Länder nur dann Sinn machen, wenn sie von einer soliden und kontinuierlichen Grund-, Sockel- oder Regelfinanzierung ausgehen.
Das heißt für uns im Klartext: eigene, unbefristete Haushaltstitel für die Jugendarbeit statt Sondertöpfen, die nur punktuell und zeitlich begrenzt hilfreich sind, Hoffnungen wecken und nach ihrem Auslaufen große Enttäuschungen hinterlassen. Es ist dringend an der Zeit, einen Politikansatz zu gestalten, der Jugendpolitik als gesellschaftliche Querschnittsaufgabe begreift und sie von den Launen des Finanzministers abkoppelt.
Nahezu wie ein Skandal nehmen sich die Kürzungen für die Förderung von Hilfen für behinderte Menschen aus. Hier streicht der Waigelsche Rotstift weit über 50 % der Mittel. So sieht die Umsetzung des Anspruchs aus, daß die besondere Fürsorge den behinderten Menschen, vor allem den behinderten jungen Menschen, gilt. Auf gleichem Niveau bewegen sich die Maßnahmen zur Familien- und Frauenpolitik, zu Freizeit und Erholung.
Ich finde meine Auffassung bestätigt, daß das „Haus der Generationen", zu dem man sich erklärt hat, eine wesentliche ideologische Institution zur Verbreitung ihrer wertekonservativen Auffassungen von Gleichstellung, Familie, Ehe, Jugend- und Altenpolitik ist, gewissermaßen eine Abteilung Agitation und Propaganda der Regierung. Diesem Ziel dienen
Maritta Böttcher
sicher auch die vorgesehenen 10 Millionen DM für Aufklärung im Zusammenhang mit der Umsetzung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes. Darüber ist eben gesprochen worden.
Sollte man nicht vielmehr materielle Rahmenbedingungen auch in diesem Plan schaffen, damit die unvergleichliche Tendenz des Geburtenrückgangs - in den neuen Bundesländern von 1989 bis 1993 50 % - aufgehalten wird? Noch ist das Gegenteil der Fall.
Mit dem vorliegenden Haushalt wird ein schlechter Weg beschritten und werden keine Möglichkeiten für eine erfolgreiche Politik für Familie, Senioren, Frauen und junge Menschen eröffnet.
Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Walter Link.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Wolf, wenn Sie nicht das Opfer der SPD-Fraktion wären, würde ich nicht darauf eingehen. Aber da Sie gesagt haben, die Bundesministerin, die heute nicht hier sein kann, habe kein Durchsetzungsvermögen, will ich Ihnen entgegnen: Erstens haben Sie sie für ihre Peking-Rede gelobt. Da hat sie Durchsetzungsvermögen gezeigt. Zweitens hat sie bei ihrem Einzelplan 17 für 1996 in einer finanzpolitisch schwierigen Situation Durchsetzungsvermögen bewiesen.
Wie kommen Sie zum anderen darauf, Frau Wolf, zu sagen, die Bundesministerin sehe ihr Ministerium Familie, Senioren, Frauen und Jugend nicht als Querschnittsaufgabe? Das wissen wir ja nun besser, daß gerade Frau Nolte ganz großen Wert darauf legt, die Querschnittsaufgaben dieses Ministeriums in allen Politikbereichen zu sehen. Geben Sie ihr als junge Ministerin die Chance, das in Zukunft noch mehr zu beweisen!
Herr Link, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Wolf?
Bitte sehr. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte.
Herr Kollege, geben Sie mir nicht doch recht, daß Frau Nolte in Peking zwar etwas angekündigt hat - sie hat vor allen Dingen angekündigt, daß sie hier Kampagne machen will -, daß wir aber nicht Kampagnen brauchen, sondern Gesetze?
Das eine schließt das andere nicht aus. Frau Nolte hat deutlich die Position in Peking angesprochen. Das ist Durchsetzungsvermögen, habe ich gesagt. Auch alle anderen Punkte habe ich aufgezeigt. Stellen Sie also nicht Dinge in den Raum, die nicht stimmen!
Eine Sekunde, Herr Link. Frau Wolf möchte eine weitere Zwischenfrage stellen.
Nein. - Ich will mich in der heutigen Haushaltsdebatte insbesondere mit den Rahmenbedingungen unserer Politik für die Seniorinnen und Senioren in Deutschland beschäftigen. Obwohl der Gesamthaushalt 1996 geringer als der laufende ist, haben wir - das hat die Staatssekretärin schon angekündigt - 36,8 Millionen DM, d. h. 1,7 Millionen DM mehr als im laufenden Haushalt. Schon das, glaube ich, belegt Durchsetzungsvermögen.
Ein ausgewogenes Miteinander der Generationen gewinnt angesichts der Veränderungen der Altersstruktur unserer Gesellschaft zunehmend an Bedeutung. Bereits heute sind 16,6 Millionen Bundesbürgerinnen und Bundesbürger älter als 60 Jahre. Im Jahre 2040 - für all die Jahre will sich auch die Enquete-Kommission mit diesen Fragen beschäftigen - werden es 25 Millionen Bürger sein. Mehr als ein Drittel sind dann älter als 60 Jahre.
Unsere älteren Menschen sind heute aber keineswegs eine homogene Gesellschaft. Das hängt u. a. mit der Zunahme der Hochbetagten und einem steigenden Anteil von älteren Frauen zusammen. Die Fraktion der CDU/CSU ist der Auffassung, daß sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft darauf einzustellen haben.
Der Deutsche Bundestag - wir gemeinsam - hat diese Herausforderung angenommen. Die EnqueteKommission, die in der letzten Wahlperiode ihre Arbeit aufgenommen hat, setzt sie in dieser Periode fort. Ich denke, daß ich als Vorsitzender mit allen Kolleginnen und Kollegen einen Beitrag dazu leisten kann, daß wir uns drei Jahre intensivst mit diesen Jahren beschäftigen.
Die von mir genannten Zahlen machen deutlich, daß sich unsere Gesellschaft verändern wird. Sie darf aber keine alte, graue und starre Gesellschaft werden. Darum ist meine Fraktion der Auffassung, daß es der beste Weg ist, das Bild vom Alter in der Gesellschaft positiv zu verändern, indem wir die Aktivitäten von Seniorinnen und Senioren fördern und in der Öffentlichkeit bekanntmachen.
Uns liegt sehr am Herzen, eine positive Grundhaltung gegenüber dem Älterwerden zu fördern und ältere Menschen dabei zu unterstützen, sich in die Gesellschaft einzubringen.
Walter Link
Das von der Bundesregierung initiierte Modellprogramm „Seniorenbüro" zeigt, wie vielfältig das Engagement Älterer ist und wie groß die Bereitschaft ist, sich dafür einzusetzen.
Der Bundesaltenplan ist ein Hauptförderungsinstrument in der Altenpolitik. Er ist angenommen und wird schrittweise weiter ausgebaut. Er erfährt auch ein positives Wort unserer Kirchen zur sozialen Lage in der Bundesrepublik Deutschland.
Der Alternsforschung mißt meine Fraktion eine wichtige Bedeutung zu. Wir begrüßen, daß ein Alternsforschungszentrum in Heidelberg ins Leben gerufen werden soll. Wir werden mit Frau Professor Lehr, der ehemaligen Bundesministerin, auch eine Expertin in unsere Enquete-Kommission berufen, die hier an vorderster Stelle in hervorragender Weise arbeitet.
Ich denke, daß wir uns mit der Frage beschäftigen müssen, ob die Kurzzeitpflege in den Schutzbereich des Heimgesetzes aufgenommen werden soll. Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen, daß wir das Heimgesetz aber auch insgesamt überprüfen und fortentwickeln müssen.
Weitere Aufgaben ergeben sich für uns bei der Umsetzung der gesetzlichen Pflegeversicherung. Ich denke, daß wir hier einiges so zuschneidern müssen, daß wir in Zukunft ein wirklich gutes Netz für die Hilfe der älteren Menschen in der Bundesrepublik Deutschland schaffen werden.
Wenn wir die von mir aufgezeigten Wege beschreiten, dann wird es uns gelingen, die demographische Entwicklung unserer Gesellschaft zusammen mit Politik und Wirtschaft mit Leben zu erfüllen. Heute muß sich Altern in neuen Formen und neuen Bahnen entwickeln, Formen und Bahnen, die die Menschen im dritten Lebensabschnitt selbst herausfordern. Die Kompetentesten dafür sind die Seniorinnen und Senioren bei uns in der Bundesrepublik selbst. Sie sollten wir für unsere Arbeit gewinnen.
Das Wort hat der Kollege Hagemann, SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Viele unserer Wählerinnen und Wähler beklagen - oft zu Recht - die Glaubwürdigkeitslücke, die die Politik hinterläßt. Sie beklagen insbesondere, daß das alle Couleurs, alle politischen Farben betrifft. Wir alle als Politikerinnen und Politiker tragen durch unser Tun und Handeln sowie durch unser Reden oft dazu bei, daß das zu einer allgemeinen Politikerverdrossenheit in unserem Lande geführt hat und führt.
Als aktuelles Beispiel - das möchte ich nur mit einem Stichwort ansprechen - ist hier die Ausbildungsplatzsituation zu nennen, bei der Versprechen und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Dies führt natürlich zu einer Politikerverdrossenheit. Es ist leider nicht so, daß nur im Osten unserer Republik Lehrstellen fehlen, sondern ich weiß, daß auch in meinem Bundesland - beispielsweise in der Westpfalz, die von der Konversion sehr gebeutelt ist - ein erheblicher Lehrstellenmangel festzustellen ist.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich, wenn ich über Glaubwürdigkeit rede, ein anderes Beispiel ansprechen, und zwar den Zivildienst. Ich bin erfreut, Frau Kollegin Dempwolf, daß Sie in Ihrer heutigen Rede die positive Entwicklung des Zivildienstes herausgearbeitet haben. Ich stimme Ihnen in fast allem zu, was Sie gesagt haben. Aber die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube, wenn ich daran denke, was aus anderen Mündern Ihrer Partei zu hören war und was die Frau Wehrbeauftragte Marienfeld vor wenigen Tagen in einem Interview gesagt hat, als sie eine ganze Generation junger Menschen als „eine Generation von Egoisten" bezeichnet hat.
- Das ist unerhört, und das ist nicht in Ordnung.
Es ist auch nicht dementiert worden; jedenfalls ist es mir nicht bekannt.
Meine Damen und Herren, ich würde jetzt gerne mit Frau Marienfeld Auge in Auge sprechen. Sie ist leider nicht da; dann muß ich es in dieser Art und Weise machen.
Ich bin dankbar, daß sich Herr Hackler, der Beauftragte für den Zivildienst, sowie die Verbände und Kirchen vor die Zivildienstleistenden gestellt haben. Hier möchte ich. stellvertretend Herrn Caritas-Präsidenten Puschmann zitieren, der von einer „Beleidigung der Zivildienstleistenden" gesprochen hat. Er hat recht, das war eine Beleidigung.
Die Aussagen von Frau Marienfeld sind einseitig. Das Verteidigungsministerium hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, daß die Zukunft der Wehrpflichtarmee in Deutschland trotz der hohen Verweigerungsrate nicht gefährdet ist. Wenn Frau Marienfeld vor dem eben angesprochenen Interview am 5. August in einem Interview mit der „Katholischen Nachrichtenagentur" meinte, daß die Mehrheit der Zivildienstleistenden „in Bereichen tätig ist, die keine besonderen Leistungen verlangen", so ist auch dies nicht korrekt; denn mehr als die Hälfte der Zivildienstleistenden - das sind mehr als 60 000 junge Männer - arbeiten im Pflege- und Betreuungsdienst. Daß dies schwierig und hart ist, wissen wir selbst.
Klaus Hagemann
Die Einrichtungen beantragen immer mehr Zivildienstleistende. Also sind wir hier sicherlich auch auf dem richtigen Weg. Schließlich sei darauf hingewiesen, daß Zivildienstleistende überhaupt keinen Pflegedienst leisten dürfen. Sie können hier allenfalls betreuen.
Eigentlich wäre hier, um noch einmal mit dem Caritas-Präsidenten zu reden, eine Entschuldigung seitens der Wehrbeauftragten notwendig. Ich hoffe, es ist geschehen.
Diese Aussage von Frau Marienfeld ist nicht nur ein Ausrutscher, wie es auch bezeichnet worden ist, sondern vielen in der Koalition, insbesondere in der CDU/CSU, paßt die ganze Richtung nicht, was den Zivildienst angeht. In Zeitungsartikeln und Interviews ist immer wieder die Rede davon, der Ersatzdienst müsse die „lästige Alternative" sein, die Hürden müßten im Verfahren wieder höher gelegt werden. Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Verfahren muß eigentlich entbürokratisiert werden. Ich denke beispielsweise an das polizeiliche Führungszeugnis, das die jungen Männer beibringen müssen. Daß Sie die Verkürzung der Wehrdienstzeit nicht an die Zivildienstleistenden weitergeben wollen, wie es das Gesetz vorschreibt - auch das ist eine Forderung aus Ihren Reihen -, spricht ebenfalls Bände.
Meine Damen und Herren, wir beraten den Haushalt 1996, und daher möchte ich einige Sätze zum Kapitel Bundesamt für Zivildienst sagen und darauf hinweisen, daß man die Realitäten auch in diesem Bereich im Haushalt nicht wahrhaben will. Wo ist denn beispielsweise in den Ansätzen berücksichtigt, daß wir, wie bereits 1995, auch im kommenden Jahr mit steigenden Zahlen zu rechnen haben, weil eben mehr junge Männer gemustert werden, was zur Folge hat, daß sicherlich mehr junge Männer zum Zivildienst gehen?
Ein anderer Punkt: Etwa 5 500 Zivildienstleistende sind in der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung eingesetzt; ich glaube, das ist eine der schwierigsten Aufgaben. Hier haben Sie, Frau Staatssekretärin, den Wohlfahrtsverbänden mit Hinweis auf Übernahme der Beträge durch die Pflegeversicherung mitgeteilt, daß die Zuschüsse aus dem Etat des Jugendministeriums gestrichen werden könnten. Dies ist eigentlich - man braucht das nur zu untersuchen -, eine sehr mutige und, wie ich meine, auch eine unverantwortliche Anordnung, die bereits jetzt im Haushalt 1996 ihren Niederschlag findet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Hat Herr Blüm dieser Lösung eigentlich schon zugestimmt? Die weitere Frage heißt: Wie viele Verträge haben die Pflegekassen mit den Schwerstbehinderten denn bereits abgeschlossen? Sind hier schon Verträge abgeschlossen worden?
Mir ist bekannt, daß dies eben noch nicht geschehen ist, daß dieses Problem mit den Kassen und den Ländern noch nicht abschließend geklärt worden ist, und die Verbände weisen in ihren Briefen, die Sie wie wir auch erhalten haben, auf die katastrophalen Folgen hin, wenn hier keine Klarheit besteht. Denn sie müssen sich dann bei Wegfall der Zuschüsse von diesen Arbeiten aus Kostengründen verabschieden.
Meine Damen und Herren, ist Ihnen eigentlich bekannt, daß die Pflegeversicherung gegebenenfalls nur die Pflegeleistungen abdeckt, aber nicht die Betreuung? Ich hoffe jedenfalls im Interesse der Schwächsten der Schwachen, nämlich der Schwerstbehinderten, daß Sie hier nicht voreilig im Haushalt Realitäten schaffen. Denn als Alternative gäbe es nur das eine, die Heimeinweisung. Daß das billiger wird, wage ich zu bezweifeln, ganz abgesehen von den Problemen, die die Menschen dann haben.
Lassen Sie mich noch ein anderes Thema ansprechen. Wie haben Sie im Haushalt 1996 ausreichend dafür vorgesorgt, daß nicht nur 31 % eines Zivildienstjahrganges die entsprechenden Zivildienstschulen besuchen können, um sich auf ihren schwierigen Dienst vorzubereiten, sondern möglichst alle? - Hier ist in Ihrem Haushaltsentwurf nichts zu finden.
Außerdem ein weiterer Punkt: Die Bundeszuschüsse für die verbandlichen Einführungslehrgänge wurden zwar jetzt nach sieben Jahren von 50 DM auf 57 DM erhöht; die Verbände weisen aber darauf hin, daß die Kosten zwischen 80 DM und 100 DM liegen. Gleichzeitig wurden aber substantielle Schlechterstellungen eingebaut. Die Folge davon ist, daß die Erhöhung nicht bei 7 DM liegt, sondern höchstens zwischen 2 DM und 3 DM.
Wir hoffen, meine sehr verehrten Damen und Herren - hier spreche ich Sie von der CDU/CSU insbesondere an -, daß der Zivildienst nicht das ungeliebte Kind der Bundesregierung bleibt, sondern daß die Leistungen, das Engagement der Männer für die Gesellschaft ebenso ernstgenommen wird und die Anerkennung wie die Tätigkeit der Wehrdienstleistenden findet.
Wir danken an dieser Stelle allen, die sich für die Gesellschaft engagieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich beim Stichwort Pflege noch zwei Gedanken hinzufügen, die die Seniorenbetreuung betreffen. Wir erwarten, daß auch die Stärkung der mobilen und sozialen Dienste vorgenommen wird, daß dies gesetzlich geregelt wird, daß es in Zusammenarbeit mit den Ländern eine vernünftige Lösung geben wird. Außerdem stellen wir die Forderung auf - das
Klaus Hagemann
muß nun endlich Realität werden -, daß wir eine bundeseinheitliche Regelung für die Altenpflege in der Bundesrepublik bekommen und dies nicht den einzelnen Ländern überlassen.
Wenn wir von der Glaubwürdigkeit der Politik sprechen, meine Damen und Herren, so gilt dies auch für die allgemeine Jugendpolitik, für die allgemeine Förderung der Jugendarbeit. Der 9. Jugendbericht und die im Juni durchgeführte Anhörung haben dies insbesondere für die neuen Bundesländer sehr deutlich gemacht.
Wenn die Fachleute in der Anhörung berichtet haben, daß die Jugendlichen oft das Gefühl haben, es würden erst dann ausreichend Mittel von der Politik zur Verfügung gestellt, es geschehe erst dann etwas, wenn sie sich auffällig verhalten, wenn sie Randale machen, dann muß uns das doch auf allen politischen Ebenen zu denken geben, dann müssen wir hier neue Wege gehen und neue Schritte unternehmen. Herr Dehnel, bei der Anhörung waren leider immer nur wenig Leute von Ihnen anwesend. Die meisten Sachverständigen haben dies aber deutlich gemacht.
Wichtig ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß es Bund, Länder und Gemeinden den Jugendämtern und insbesondere auch den Verbänden und freien Trägern ermöglichen, eine kontinuierliche Jugendarbeit im personellen wie im sächlichen Bereich zu leisten. Daß die Gemeinden aber große Probleme haben, dies zu finanzieren, dürfte allen bekannt sein.
Sehr geehrter Herr Jacoby, noch einmal: Gerade durch das Bundessozialhilfegesetz sind ja den Gemeinden erhebliche Lasten aufgebürdet worden. Ich habe gerade gestern für meinen Landkreis AlzeyWorms die neuesten Zahlen bekommen: steigende Tendenz in der Sozialhilfe, und zwar - wenn man das aufschlüsselt - für Menschen, die nicht genügend Arbeitslosengeld, nicht genügend Arbeitslosenhilfe, nicht genügend Wohngeld bekommen.
Herr Kollege Hagemann, Sie müssen jetzt sofort zum Schluß kommen, weil Sie bereits eine Minute überzogen haben.
Mir wurde gesagt, ich hätte eine Verlängerung bekommen.
Nein, zehn Minuten, und das wurde von mir sehr großzügig ausgelegt. Also, bitte.
Zwölf Minuten. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Es tut mir leid.
Also, ich will darüber nicht diskutieren. - Es gibt genügend Punkte, die wir in der Jugendpolitik anfassen müssen, z. B. die Umgestaltung des Kinder- und Jugendplans.
Meine Damen und Herren, nehmen wir auf allen politischen Ebenen die Signale und Hilferufe unserer jungen und jüngsten Mitbürger und Mitbürgerinnen ernst, und sorgen wir dafür, daß unser Leitspruch, den auch ich immer wieder gerne sage, nämlich „Ausgaben für unsere Kinder und Jugendlichen sind wichtige und richtige Zukunftsinvestitionen”, auch bei unseren Beratungen im Ausschuß des Bundestages gilt.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich liegen nicht vor.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Das Wort hat der Herr Bundesminister Seehofer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die wohl größte und schwierigste Reform wird in den nächsten Monaten die dritte Stufe der Gesundheitsreform sein.
Wir haben bereits vor Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes im Jahre 1992 auf die Notwendigkeit dieser Reform Mitte der 90er Jahre hingewiesen. Ich kann mich noch gut an das Unverständnis damals erinnern, teilweise sind wir sogar mit Spott überzogen worden, als wir bereits vor drei Jahren den Handlungsbedarf Mitte der 90er Jahre angekündigt haben. Jetzt haben wir Mitte der 90er Jahre. Niemand wird bei der aktuellen Entwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung heute noch diesen Reformbedarf bestreiten wollen.
Ich möchte zuallererst das Parlament hier darüber informieren, daß die gesetzliche Krankenversicherung im ersten Halbjahr 1995 trotz der Wirksamkeit und der Gültigkeit all der Instrumente des Gesundheitsstrukturgesetzes ein Defizit von 5,4 Milliarden DM aufweist: 4,2 Milliarden DM in den alten und rund 1,2 Milliarden DM in den neuen Ländern. Die Leistungsausgaben der Krankenkassen sind in den alten Ländern im ersten Halbjahr 1995 um 6,4 % gestiegen, die Einnahmen nur um 0,7 %. In den neuen Ländern betrug der Ausgabenzuwachs 12,5 % und der Zuwachs der beitragspflichtigen Einnahmen 1,8 %. Es tritt nun genau das ein, was ich in früheren Reden gemeinsam mit der Regierungskoalition schon mehrmals angekündigt habe,
nämlich daß mit zunehmendem Abstand vom Inkrafttreten am 1. Januar 1993 das Gesundheitsstrukturgesetz seine Wirksamkeit verliert.
Es kann nicht bestritten werden, daß wir 1993 und 1994 die Finanzreserven wieder auffüllen konnten, die Ausgabenexplosion zurückführen konnten und leichte Beitragssenkungen in den alten Bundeslän-
Bundesminister Horst Seehofer
dern hatten. Aber jetzt, im dritten und letzten Jahr der Budgetierung, ist das eingetreten, was die Regierungskoalition bereits im August 1992 prognostiziert hatte.
Die aktuelle Ausgabenentwicklung unterstreicht also eindrucksvoll den Handlungsbedarf bei allen Beteiligten im deutschen Gesundheitswesen.
Daß dieser Handlungsbedarf plausibel und offenkundig wird, möchte ich mit einem Vergleich unterstreichen, vor dem Hintergrund, daß heute von diesem Podium wiederum ein Eingriff in die Lohnfortzahlung als das Wundermittel und das dringendste Mittel deutscher Sozialpolitik bezeichnet worden ist. Wenn sich der Beitrag in der gesetzlichen Krankenversicherung um einen Prozentpunkt nach oben verändern würde, entspräche dies einer Lohnkostenbelastung von 17 Milliarden DM. Das wäre mehr als das Doppelte dessen, was heute als Eingriff in die Lohnfortzahlung vorgeschlagen worden ist. Deshalb möchte ich von dieser Stelle aus wieder dafür plädieren: Konzentrieren wir uns auf die wirklich notwendigen und drängenden Dinge! Eröffnen wir nicht neue Diskussionsfelder!
Rund die Hälfte des aktuellen Defizits - das möchte ich in aller Klarheit und Deutlichkeit sagen - hat der Staat, hat die Politik zu vertreten. Rund die Hälfte dieses Defizits haben die Regierungskoalition und die SPD-Opposition durch das Rentenreformgesetz im Jahre 1989 verursacht; denn im Jahre 1995 gilt erstmals die Regel - das wurde damals gemeinsam mit der SPD beschlossen -, daß einerseits für Arbeitslose von der Bundesanstalt geringere Beiträge an die Krankenversicherung zu zahlen sind, andererseits für die Bezieher von Krankengeld höhere Beitragszahlungen von der Krankenversicherung an die Arbeitslosen- und die Rentenversicherung geleistet werden.
Dieses im Jahre 1989 beschlossene Konzept, das zum 1. Januar 1995 in Kraft getreten ist, belastet die Krankenversicherung, bezogen auf das gesamte Jahr 1995, in einer Größenordnung von zwischen 5 und 6 Milliarden DM. Diese durch den Akt der Rentenreform verursachte Belastung der Krankenversicherung wird, jedenfalls im ersten Halbjahr 1995, nicht wesentlich durch die Pflegeversicherung gemildert, da sie erst am 1. April in Kraft getreten ist. Deshalb drückt sich die Entlastung in diesem Zeitraum nur in geringem Maße aus. Das erklärt mehr als die Hälfte des Defizits in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Ich möchte ausdrücklich davor warnen, eine Diskussion darüber zu beginnen, diese Aktion wieder rückgängig zu machen. Dann nämlich hätten wir das Defizit nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern in der Arbeitslosenversicherung.
Die andere Hälfte des Defizits ist auf die bedrohliche, ja alarmierende Ausgabenentwicklung in verschiedenen Leistungsbereichen zurückzuführen.
Ich möchte das Parlament auch hier über die wesentlichen Entwicklungen des ersten Halbjahrs 1995 informieren. Sie werden besonders deutlich, wenn man Vergleiche auch zum Zeitraum vor Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes anstellt, um die Wirkungen dieses Gesetzes über zwei, drei Jahre beurteilen zu können.
Die erste Feststellung ist, daß die ärztliche und die zahnärztliche Behandlung sowie die Verwaltungsausgaben der Krankenkassen weitgehend im Lot mit der Grundlohnentwicklung geblieben sind. Weder die Arzthonorare noch die Zahnarzthonorare sind in diesen zweieinhalb Jahren aus dem Ruder gelaufen.
Die Ausgaben für Arzneimittel und Zahnersatz liegen heute unter den Werten des ersten Halbjahres 1992.
Probleme bereitet die Ausgabenentwicklung im Krankenhausbereich. Hier sind die Ausgaben in den letzten zweieinhalb Jahren nicht nur doppelt so stark gestiegen wie die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern auch doppelt so stark wie der Zuwachs bei den Ärzten. Deshalb halte ich die Klage der Ärzte für begründet, daß ihre Sparbemühungen zu einem großen Teil durch den stationären Sektor im deutschen Gesundheitswesen wieder aufgefressen wurden.
Besonders hohe Steigerungsraten hatten wir in diesen zweieinhalb Jahren bei den Ausgaben für Heilmittel - also für Massagen -, Hilfsmittel, stationäre Kuren, Fahrtkosten und Gesundheitsförderung zu verzeichnen.
Ich möchte Ihnen vor dem Hintergrund der gesundheitspolitischen Diskussion in den letzten drei Jahren bei manchen Interessengruppen einmal einige Zahlen nennen: Die Ausgaben für Heil- und Hilfsmittel sind seit Anfang 1993 um 25 % gestiegen, davon allein bei den Massagen um 19 %. Die Ausgaben für sonstige Heilpersonen, Logopäden etc., sind um 73 % gestiegen, die für Krankenhausbehandlungen um 16 %, die für die Gesundheitsförderung und die sozialen Dienste - jeweils in den alten Ländern - um 130 %, die für Fahrtkosten um 46 % und die für Kuren um 37 %. Dies muß immer in Beziehung gesetzt werden zu der Einnahmenentwicklung bei der gesetzlichen Krankenversicherung in dem Zeitraum seit 1993. Diese betrug nur 8 %.
Meine Damen und Herren, ich erzähle dies, weil es ein Licht auf die Art und Weise der Diskussion in den letzten zweieinhalb bis drei Jahren wirft, als uns, der Regierungskoalition, von einem Teil dieser Leistungsbereiche vorgehalten wurde, die Gesundheitsstrukturreform führe dazu, daß das für die Menschen Notwendige nicht mehr geleistet werden könne. Es wurden sogar so unappetitliche Diskussionen geführt wie: Dieser Gesundheitsminister trägt dazu bei, daß Verletzte auf den Straßen liegenbleiben müssen, weil
Bundesminister Horst Seehofer
die notwendigen Gelder für die Fahrdienste nicht mehr zur Verfügung stehen.
Es ist mir über große Medien gesagt worden, man könne krebskranke Kinder nicht mehr behandeln, man müsse Aids-Betten schließen, weil die notwendigen Gelder nicht zur Verfügung stehen. Meine Damen und Herren, diese Zahlen sprechen eine andere Sprache.
Kein Bereich in unserer Volkswirtschaft, kein Sozialsystem in der Bundesrepublik Deutschland hat so gewaltige Zuwachsraten wie die gerade von mir genannten Bereiche, meine Damen und Herren. Deshalb wäre es höchste Zeit, daß manche, die diese unappetitliche Diskussion in den letzten drei Jahren geführt haben, sich in aller Öffentlichkeit dafür entschuldigen. Hier haben wir gewaltige Zuwachsbereiche.
Was ist zu tun? Im Stenogrammstil: Eine Verlängerung der sektoralen Budgetierung, wie sie die SPD fordert, lehne ich ab. Sie kann weder die Ausgabenentwicklung besser in den Griff bekommen noch die Ungleichgewichte zwischen den Leistungsbereichen beseitigen. Das zeigt die finanzielle Entwicklung im Jahre 1995. Jetzt gilt die Budgetierung ja noch voll.
Meine Damen und Herren, welchen Sinn würde es machen, ein Instrument, das seine Wirksamkeit jetzt, im dritten Jahr, weitgehend verloren hat, im nächsten Jahr zu prolongieren? Das kann nicht die politische Antwort sein. Ich halte sie auch deshalb für falsch, weil es vor dem Hintergrund des Grundsatzes „ambulant vor stationär" nicht richtig sein kann, daß der Ausgabenanteil für die niedergelassenen Ärzte immer geringer und für die Krankenhäuser immer höher wird. Deshalb muß der Zentralpunkt der nächsten Gesundheitsreform im stationären Bereich ansetzen.
Für die Entwicklung bis zum Inkrafttreten der in Aussicht genommenen dritten Stufe der Gesundheitsreform muß die Selbstverwaltung für einen begrenzten Zeitraum sicherstellen, daß die Ausgabenentwicklung in Schach und Proportionen bleibt. Ich habe deshalb schon vor langer Zeit für den nächsten Donnerstag, 14. September, alle Beteiligten am deutschen Gesundheitswesen zu einer konzertierten Aktion eingeladen, um Empfehlungen für das Jahr 1996 zu beschließen.
Wir können nicht einerseits in Aussicht nehmen, daß wir der Selbstverwaltung verstärkt Kompetenzen übertragen wollen, aber bei der Bewältigung der aktuellen Probleme die Selbstverwaltung ausblenden. Im Gegenteil: Die Selbstverwaltung ist in besonderer Verantwortung.
Nach allen Vorgesprächen, die wir für die konzertierte Aktion geführt haben - auch heute -, habe ich allen Grund zur Zuversicht, daß die Selbstverwaltung bereit ist, ihrer Verantwortung nächsten Donnerstag gerecht zu werden, und aus eigener Kraft mit entsprechenden Empfehlungen und Beschlüssen diese Ausgabenentwicklung beherrscht.
Im übrigen hält die Koalition an ihrem Fahrplan für die dritte Stufe fest. Bis Ende des Jahres wird in enger Abstimmung mit allen Beteiligten am Gesundheitswesen ein Gesetzentwurf vorgelegt, der zum 1. Juli 1996 in Kraft gesetzt werden soll.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich bei dieser Gelegenheit bei den deutschen Ärzten und auch bei den Krankenkassen bedanken, daß sie gerade in den letzten Wochen richtungsweisende Entscheidungen aus eigener Kraft getroffen haben, was das Honorierungssystem im Niederlassungsbereich betrifft. Sie haben Ernst gemacht mit dem Grundsatz, daß die sprechende Medizin besser honoriert werden soll als die Apparatemedizin. Das gibt mir auch Grund zur Zuversicht, zur Hoffnung, daß diese Selbstverwaltung die neugewonnene Kraft auch wirklich nicht als Strohfeuer, sondern für die dauerhafte Stabilisierung des deutschen Gesundheitswesens einsetzen kann. Ich bedanke mich ausdrücklich dafür. Das gilt auch für viele andere Bereiche.
Meine Damen und Herren, die Selbstverwaltung funktioniert, und deshalb halten wir daran fest, bei der nächsten Reform die Sorgfalt vor die Schnelligkeit zu setzen. Nach 20 Jahren permanenter Gesundheitsreform mit fast 50 Gesetzen und 6800 Einzelbestimmungen müssen wir endlich eine dauerhafte Stabilisierung des deutschen Gesundheitswesens erreichen. Wir können es weder den Patienten noch den Beteiligten am Gesundheitswesen zumuten, daß wir uns in einer permanenten Reformdiskussion über das deutsche Gesundheitswesen befinden. Ich bin ziemlich zuversichtlich, daß es uns gelingen wird, diese Reform zustande zu bringen.
Meine Damen und Herren, das deutsche Gesundheitswesen ist nicht krank, wie es gelegentlich gesagt wurde, im Gegenteil: Ich kenne kein besseres System auf dieser Erde. Was wir ändern müssen, sind nicht die Prinzipien dieses Gesundheitswesens, sondern die Art und Weise der Gesundheitspolitik.
Ich möchte gemeinsam mit der Regierungskoalition, daß wir der Selbstverwaltung wieder mehr Kompetenz zuweisen, im Interesse der Strukturen, der Sicherheit der Versorgung der Bevölkerung und auch der stabilen Finanzgrundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung.
Wenn uns dies gelingt, dann werden wir uns für den Rest dieses Jahrhunderts, so hoffe ich, nicht mehr in dem Maße mit der gesetzlichen Krankenversicherung beschäftigen müssen, wie das in den letzten 20 Jahren der Fall war.
Bundesminister Horst Seehofer
Ich lade alle ein. Es wird eine spannende, sicher auch kontroverse Diskussion geben. Die Regierungskoalition wird auch hier beweisen, daß sie handlungsfähig ist.
Das Wort hat der Kollege Kirschner, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesgesundheitsminister, nach dieser Rede stelle ich die Frage: Was nun, Herr Seehofer? Sie stellen das Problem dar; nun hätte ich eigentlich von Ihnen erwartet, daß Sie in der Haushaltsdebatte einmal sagen, wo es langgehen soll. Das ist etwas, was mir bisher fehlt.
Wenn ich es richtig sehe, sagen Sie: Sektorale Budgetierung - nein! Sie behaupten, das sei im Paket der SPD enthalten.
- Ja, sicher, Verlängerung. Aber wir sagen: Wir brauchen ein Globalbudget. Sie wissen ganz genau - das wissen wir auch -, daß es schon gar nicht mehr anders geht. Wenn Sie verhindern wollen, daß uns die Ausgaben geradezu unter den Fingern davonlaufen, werden auch Sie ohne Budget nicht auskommen.
In bezug darauf hätte ich von Ihnen, Herr Minister, eine Antwort erwartet.
Sie sagen: Der zentrale Punkt ist das Krankenhaus. Haben Sie eigentlich nicht gelesen, was gestern der Kollege Dr. Thomae sagte? Ohne die SPD! Es wird keine Verhandlungen geben. Heute hieß es auf einer Tagung der Arzneimittelhersteller, bei der wir gemeinsam waren: Ein Lahnstein wird es nicht geben.
- Sagen Sie einmal schön ja! - Ich frage Sie, sehr geehrter Herr Minister: Wie wollen Sie das alles ohne die Länder bewältigen? Wie sieht es aus? Wollen Sie die Krankenhausreform aussparen?
Sie können nicht einerseits die Krankenhausreform als einen zentralen Punkt darstellen und gleichzeitig keinen Ton dazu sagen, wenn die F.D.P. erklärt: Ohne die SPD! Denn Sie wissen genau, daß es ohne die Bundesländer nicht geht.
Herr Minister, so einfach geht es wirklich nicht. Sie sagen, von den 5,4 Milliarden DM Defizit entfalle die Hälfte auf die Entscheidungen der Rentenreform 1992. Aber was ist denn mit der anderen Hälfte? Was tun Sie konkret gegen das Defizit?
Wir haben hier gemeinsam - aus dieser Verantwortung können Sie sich nicht davonstehlen - das Gesundheitsstrukturgesetz gemacht. Wenn Sie, Herr Minister, hier beispielsweise darstellen, daß die Heilund Hilfsmittel zu enormen Ausgabensteigerungen führten, dann bitte ich Sie, einmal in das Gesetz zu schauen: Seit dem 1. Januar 1995 müßte ein Datenträgeraustausch gewährleistet sein. Ich frage Sie: Was tun Sie als Exekutive, um dieses Gesetz umzusetzen? Sie können sich doch nicht hier hinstellen und etwas beklagen und selber nicht dafür sorgen, daß dieses Gesetz so umgesetzt wird, wie wir es gemeinsam beschlossen haben.
Ich sage Ihnen: So geht es nun wirklich nicht.
Herr Minister, lassen Sie mich ein Weiteres sagen: Sie sagen, die Gesundheitsreform steht im Mittelpunkt. Das will ich überhaupt nicht bestreiten; Sie haben darauf hingewiesen, was uns wegen der Ausgabenentwicklung droht. Gleichzeitig sagen Sie, die SPD habe kein Konzept, obwohl wir ein Konzept haben. Dazu können Sie anderer Meinung sein. - Aber ich erwarte von einem Minister, sich dazu dezidiert kritisch zu äußern.
Wenn ich mir den vielstimmigen Chor der Koalition anhöre, dann frage ich mich, wie Sie eigentlich auf einen Nenner kommen wollen. Ich weiß: Sie haben ein für Sie nicht überwindbares Problem mit drei Buchstaben, und das heißt F.D.P.
Eben diese F.D.P. brüstet sich auch noch öffentlich damit, und der Kollege Thomae hat erst gestern und heute gesagt: Die F.D.P. ist entschlossen, die anstehende dritte Reform des Gesundheitswesens ohne Beteiligung der SPD durchzusetzen.
- Liebe Frau Babel, das mag Ihre Beurteilung sein. Nur, Sie sollten hier keine Sandkastenspielchen machen.
- Wollen Sie eine Reform oder wollen Sie keine? Wollen Sie etwa nur ein Rumpfgesetz?
In der „Welt" von heute lese ich, daß der Kollege Lohmann fordert, der Arbeitgeberbeitrag solle eingefroren werden. Sagen Sie endlich, was Sie wollen! Ist das Ihr einziges Konzept: Vorfahrt für die Selbstverwaltung? Erschöpft sich damit im Prinzip Ihre Vorstellungskraft? - und dann kommen Sie und sagen, die SPD hat kein Konzept. Wir haben ein Konzept! Das mag Ihnen zwar nicht gefallen, aber im Gegensatz zu Ihnen haben wir eines. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns.
Klaus Kirschner
Es reicht eben nicht aus, lieber Herr Seehofer, wenn Sie Ihren Koalitionspartner, unseren Freund Möllemann, in einem offenen Schlagabtausch als Streithansel in die Ecke stellen. Ich habe den Eindruck, es stehen Ihnen für die zahlreichen Streithansel innerhalb der Koalition viel zuwenig Ecken zur Verfügung. Aber das ist Ihr Problem.
Im übrigen, lieber Herr Seehofer, stellen Sie hier nicht nur dar, welche Probleme wir in der gesetzlichen Krankenversicherung haben. Sie sind hier als Minister in der Verantwortung und nicht Zuschauer. Wir fordern Sie auf, endlich zu handeln, um die gefährliche Ausgabenentwicklung, die Sie selbst dargestellt haben, zu stoppen und umzudrehen, indem Sie - ich sage das noch einmal - das Gesundheitsstrukturgesetz endlich konsequent umsetzen und damit Ihrer Verantwortung gerecht werden.
Hier sind Sie als Exekutive gefordert.
- Darüber werden wir in Kürze debattieren, und darauf freue ich mich schon.
Meine Damen und Herren, wenn Sie wirklich eine Reform wollen, insbesondere dort, wo die Wirtschaftlichkeitsreserven im System liegen, ist die Mitwirkung des Bundesrates unerläßlich. Eine weitere Reform ohne Einbindung des größten Ausgabenblocks in der Krankenversicherung, also ohne den Krankenhausbereich - das haben Sie selbst gesagt -, ist eine Sandkastenreform. Wird aber auf eine notwendige, umfassende Reform verzichtet, so bleibt letzten Endes nur noch ein gesundheitspolitischer Kahlschlag zu Lasten der Versicherten und der kranken Menschen übrig. Das wissen Sie ganz genau.
- Was wollen Sie denn eigentlich? Das müssen Sie mir erst einmal sagen, Herr Zöller. Sagen Sie es doch einmal! Sie sagen nur, Sie wollen unser Konzept nicht, aber Ihnen selbst fehlt jegliche eigene Konzeption. Da sind Sie bisher weit hinter uns zurückgeblieben.
Damit keine Mißverständnisse entstehen: Wir wollen eine Weiterentwicklung des Gesundheitswesens auf der Grundlage des Gesundheitsstrukturgesetzes, das wir gemeinsam verabschiedet haben. Ich fordere Sie auf, endlich konsequent zum Gesundheitsstrukturgesetz zu stehen. Zu diesem Gesundheitsstrukturgesetz - und das ist die Nagelprobe - gehört die Positivliste. Ich sage Ihnen, Herr Minister: Ein in Sachen Positivliste wortbrüchiger Gesundheitsminister ist kein seriöser Verhandlungspartner. Die für eine bessere Qualität der Arzneimittelversorgung unverzichtbare Positivliste soll ohne sachlichen oder gar fachlichen Grund
der Pharma-Interessenpolitik geopfert werden - und sonst gar nichts. Es ist offensichtlich: Eine pharmakologisch-therapeutische Qualitätsverbesserung auf dem Arzneimittelmarkt wird von der Bundesregierung, von CDU/CSU und F.D.P. politisch nicht gewünscht. Man muß sich nur einmal den zeitlichen Ablauf dieses von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurfes vor Augen halten. Seine Begründung basiert auf dem Vorentwurf einer Sachverständigenvorschlagsliste. Der Gesundheitsminister konnte also bei der Vorlage des Gesetzentwurfes am 12. Juli die endgültige Liste noch gar nicht kennen. Entsprechend fadenscheinig und unsinnig ist dann auch Ihre Argumentation gegen die Positivliste.
Einen weiteren Punkt möchte ich ansprechen, Herr Minister. Ich hätte erwartet, daß Sie einiges zum Bundessozialhilfegesetz sagen; denn Sie haben da doch einiges vor. Wir sind mit Ihnen in der Einschätzung einig, daß die seit Jahren erheblich gestiegenen Sozialhilfekosten zunehmend die Funktionsfähigkeit der Sozialhilfeträger, in erster Linie der Gemeinden, gefährden. Nur, der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf ist kaum tauglich, diesem Trend entgegenzuwirken oder ihn gar umzukehren. Die Ursachen von Armut und Ausgrenzung liegen nämlich nicht in einer ungenügenden Sozialhilfe, sondern vor allem in unzureichenden vorrangigen Sicherungssystemen und in der dramatischen Situation auf dem Arbeitsmarkt. Hier versagen Sie und mit Ihnen die Bundesregierung.
Bitte nehmen Sie endlich zur Kenntnis, daß mittlerweile über 4 Millionen Menschen ohne Arbeit sind und daß eine dramatische Wohnungsnot herrscht!
Es fehlen in den neuen Ländern ca. 1 Million und in den alten Ländern 1,5 Millionen bezahlbare, preiswerte Wohnungen. Allein in den alten Ländern leben 7 Millionen Menschen in Armut. Von den Kindern unter 16 Jahren leben heute ca. 10 % in armen Familien; 1 Million Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sind auf Sozialhilfe angewiesen,
500 000 Kinder sind in Obdachlosensiedlungen und Notunterkünften untergebracht. Nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, daß die häufig zitierten Aussagen von den überzogenen Ansprüchen an das soziale Netz mit der Realität nichts zu tun haben! Sowohl die Lebensverhältnisse der von Armut betroffenen Menschen als auch die Entwicklung der Sozialquote in Deutschland lassen eine solche Schlußfolgerung nicht zu.
Klaus Kirschner
Für Ihre Konzeptionslosigkeit möchte ich noch ein Beispiel nennen: Am gleichen Tag, an dem der Bundesgesundheitsminister vor der Pressekonferenz Ländern und Kommunen nicht näher bezeichnete Einsparungen bei der Sozialhilfe in Aussicht stellte, wurden von Ihrem Kollegen Blüm Einsparungen bei der Arbeitslosenhilfe von 3,4 Milliarden DM für das nächste Haushaltsjahr verlangt. Das bedeutet im Klartext, daß in etwa Mehrbelastungen in der gleichen Höhe auf die Sozialhilfeträger zukommen werden. Wundert Sie eigentlich bei dieser Trickserei noch, daß Sie mit Ihren Reformbemühungen auf breiteste Ablehnung stoßen?
Herr Minister, ich hätte auch erwartet, daß Sie etwas zur Rinderseuche BSE sagen. Dieses Thema haben Sie aber wohlweislich ausgespart; es geht auch hier um die Berechenbarkeit und Glaubwürdigkeit des Bundesgesundheitsministers.
Am 21. April vergangenen Jahres haben Sie an dieser Stelle - Sie können noch so sehr abwinken, Herr Minister - erklärt: Kein verantwortungsvoller Politiker kann auf diesem Gebiet auch nur das geringste Risiko eingehen.
Dieser Erklärung läßt der Bundesgesundheitsminister eine Dringlichkeitsverordnung folgen, wonach Fleisch von Rindern, die nach dem 1. Januar 1992 geboren sind, unbedenklich ist.
Wie verantwortungslos diese Verharmlosungsstrategie für die Gesundheit der Bevölkerung ist, zeigt der jüngst bekanntgewordene Fall eines an Rinderwahnsinn erkrankten Rindes in England im Jahre 1992.
Mit Blick auf die Rinder des Jahres 1992 haben sich die Bundesregierung sowie der Ständige Veterinärausschuß der Europäischen Kommission nachweislich geirrt. Darum appelliere ich noch einmal an Sie: Machen Sie endlich den nationalen Alleingang! Hier geht es um den vorbeugenden Schutz der Gesundheit von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Riskieren Sie dafür die Auseinandersetzung vor dem Europäischen Gerichtshof!
Ich hätte erwartet, daß Sie dazu, Herr Bundesgesundheitsminister, etwas sagen. Arbeiten Sie nicht ständig mit Dringlichkeitsverordnungen; denn das schadet der Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt.
Ich bedanke mich für Ihre Geduld.
Das Wort hat die Kollegin Angelika Pfeiffer, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Einbringung des Haushaltes durch die Bundesregierung ist traditionsgemäß die erste Gelegenheit nach der Sommerpause, die politische Auseinandersetzung im Deutschen Bundestag wieder aufzunehmen.
Das sogenannte Sommerloch haben wir ja, dank Ihnen, liebe Kollegen von der SPD, hervorragend hinter uns gebracht; es hat uns auch in sämtlichen Wahlkreisen nicht gelangweilt. Das Spiel Ihrer Partei „Wer wird wohl der nächste Kanzlerkandidat?" hat uns im Osten Deutschlands hervorragend amüsiert.
vor der Presse - über die gesundheitspolitischen Zahlen informiert. Ich begrüße das hier sehr ausdrücklich und möchte Ihnen, Herr Minister, für diese Geste danken.
Ich hoffe, daß dies, je nach den parlamentarischen Gegebenheiten, auch künftig der Fall sein wird.
Die Bilanz der Finanzentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung im ersten Halbjahr 1995 ist nicht ernüchternd und auch nicht, wie Sie, meine verehrten Damen und Herren von der Opposition, immer sagen, katastrophal.
Nein, die Bilanz ist weitgehend so, wie die Entwicklung in der Schlußphase der Budgetierung durch das Gesundheitsstrukturgesetz zu erwarten war. Die Bilanz war nicht anders zu erwarten. Die wesentlichen Fakten, die für diese Entwicklung einstehen, waren bekannt, und mit der Realisierung wurde allemal gerechnet.
Wir haben daher bereits unmittelbar nach Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes gesagt, daß
Angelika Pfeiffer
dieses Gesetz nur befristet eine kostensenkende Wirkung entfalten kann
und daß deswegen eine weitere, dritte Reformstufe unausweichlich ist.
Wir haben diese Reform mit dem Sondergutachten des Sachverständigenrates der Konzertierten Aktion sowie seit Beginn dieses Jahres mit den sogenannten Petersberger Gesprächen mit allen wesentlichen Körperschaften und Verbänden des Gesundheitswesens konstruktiv und zielorientiert vorbereitet. Wir haben dabei - das sei allerdings nur am Rande erwähnt - gerade bei der deutschen Ärzteschaft und auch bei den Spitzenverbänden der Krankenversicherungen eine erfreuliche Bestätigung der Notwendigkeit der Reform und eine Einsicht in die zentralen Probleme dieser Reform gefunden.
Wir werden diese Arbeit, wie angekündigt, zuallererst in der Koalition, aber auch mit Ihnen, Herr Kirschner, fortsetzen. Gestern wurde eine Koalitionsarbeitsgruppe eingesetzt.
Ich denke, die Arbeit wird hervorragend geleistet und fahrplanmäßig beendet werden.
- Auch wenn Sie das lustig finden: Ich finde es prima, daß wir in der Koalition so eng zusammenarbeiten.
Ich frage nun Sie, meine Damen und Herren von der Opposition: Was haben Sie denn dazu beigetragen, die erkennbaren Probleme der Krankenversicherung zu verhindern, zu mildern oder zu lösen? Zunächst - da gebe ich dem Minister vollkommen recht - haben Sie, d. h. insbesondere die SPD-geführten Länder, bereits im Herbst 1992 in Lahnstein alles getan, um das Kostendämpfungskonzept für das Krankenhaus zu verwässern. Die Löcher in den krankenhausindividuellen Budgets sind politisch zu verantworten, und zwar insbesondere von Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD.
In den Beratungen zur nächsten Phase, der sogenannten Umsetzungsphase, haben die Länder - vornehmlich wieder die SPD-geführten - erneut alles getan, die Effizienz des Preiskonzeptes zu verwischen. Sie haben also nichts Positives beigetragen. Entweder verwässern, verwischen Sie, oder Sie wollen die Sache hinauszögern.
In der Umsetzungsphase haben Sie darüber hinaus - auch das muß Ihnen immer wieder gesagt werden - in Bundesrat und Bundestag eine Lösung der Problematik zugunsten der Krankenkassen und zu Lasten der Länder, zuletzt beim GKV-Anpassungsgesetz, mit Erfolg verhindert.
Sie schieben damit so einfach 5 Milliarden DM zusätzlich in die Haushalte der Krankenversicherungen und fordern im gleichen Atemzug - und das, ohne rot zu werden, obwohl Sie eine rote Partei sind - Beitragsstabilität.
Der Beitrag der SPD-Bundestagsfraktion bzw. der SPD-geführten Länder ist somit gleich Null?
Er ist nicht gleich Null: Sie tragen in Bundestag und Bundesrat ein gerüttelt Maß an Mitverantwortung dafür, daß die Verhältnisse so sind, wie sie heute sind.
Was haben Sie in der SPD denn für Alternativen zu unserer Reformpolitik? Auch hier ist die Diagnose ernüchternd: Politisch haben Sie zunächst den Kopf in den Sand gesteckt. Monatelang war die Botschaft aus Ihrer Fraktion die: Wir brauchen keine dritte Reformstufe, wir schaffen das so; gefragt ist die Umsetzung des Gesundheitsstrukturgesetzes.
Diese Position haben Sie aber nur so lange vertreten, bis Sie von den SPD-geführten Ländern so viel Druck gekriegt haben - Gott sei Dank -, daß Sie merkten, daß die Länder anders diskutieren und Sie Ihre Politik ändern müssen.
Das nennt man - das hat Herr Kollege Dreßler richtig gesagt, Herr Kirschner, Sie werden ihm kaum widersprechen wollen - „Föderalisierung der Gesundheitspolitik" .
Inzwischen haben Sie sich aber - Gott sei Dank - eines anderen besonnen. Am 28. August 1995 haben Sie nach langen hochsommerlichen Temperaturen und Sitzungen in sogenannten Kaminrunden - die dort sehr gut hineinpassen; das ist eine Spezialität der SPD - das Konzept der SPD zur Weiterentwicklung im Gesundheitswesen präsentiert.
Dieses Konzept ist - ich beschäftige mich zwar noch
nicht lange mit dem Gesundheitswesen, aber ich
Angelika Pfeiffer
habe es mir zusammen mit meinen Kollegen angeschaut - deprimierend.
- Lesen kann ich auch, und das habe ich hervorragend gemacht. - Ein moderner Ansatz zur Lösung der anstehenden Fragen ist nicht gefunden worden.
Kernanliegen Ihres Konzeptes ist die staatliche - -
- „Reglementierung" wollte ich nicht sagen. Das hatten wir in der DDR. Ich wollte der SPD nicht ganz DDR-Mentalität unterstellen.
- Das habe ich nicht. - Ihr Konzept heißt: mehr Staat, mehr Dirigismus, mehr Kontrolle. Das hatten wir in der DDR, und das wollen Sie auch.
Selbstverwaltung, Eigenverantwortung sind und bleiben für Sie Fremdwörter.
- Also, mit Ihnen würde ich gerne hinterher eine Tasse Kaffee trinken. Wer so schöne Zwischenrufe macht, der kann mich auch mal einladen. Okay?
Sie haben aus der Diskussion in den vergangenen Jahren nichts gelernt. Sie wollen nichts lernen, und die Probleme verdrängen Sie. Es ist von Ihnen nichts anderes zu erwarten. Aber ich hoffe, daß wir in dieser Wahlperiode mit Ihnen doch noch einer Meinung sein werden.
- Ich hoffe das, weil wir gut zusammenarbeiten, wie sich auch im Fachausschuß zeigt. Da werden wir uns doch wohl noch auf eine Meinung einigen können. Auch Herr Thomae ist daran interessiert, daß wir einen großen Konsens haben. Da bin ich mir ganz sicher.
Will die SPD nun endlich zur Einsicht kommen? Wer kann denn bei diesen Fakten überhaupt etwas gegen unser Konzept haben? Es geht also jetzt nur darum, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, daß Sie Ihren bisherigen Lippenbekenntnissen Glaubwürdigkeit folgen lassen, daß Sie finanzielle Konsequenzen folgen lassen und schlicht und ergreifend einfach nur helfen. Schließlich werden auch gerade meine Kollegen aus den neuen Ländern nicht ernsthaft behaupten wollen, daß die in der 4. Novelle vorgesehenen 240 Millionen DM für das ärztliche Honorarbudget überflüssig wären. Ich jedenfalls habe von Ihnen noch nichts dergleichen gehört.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, auch wenn Sie sehr unruhig waren und versucht haben, immer wieder etwas dazwischenzurufen. Aber das macht die Sache erst würzig.
Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Marina Steindor, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die Redezeit nach dem Etatumfang bemessen würde, wäre die Debatte um den Gesundheitshaushalt schon bald beendet. Der vorliegende Haushalt und Ihre Rede, Herr Minister, spiegeln die Konzeptionslosigkeit wider, mit der Sie Politik betreiben.
Sie haben in Ihrer Rede von einigen Plänen abgelenkt, die ansatzweise in diesem Haushalt enthalten sind. Ihre menschenverachtenden Pläne, medizinische Leistungen für Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge noch weiter einzuschränken, sind im Haushalt kaum zu entdecken. Sie sprechen nicht darüber. Wir haben das Asylbewerberleistungsgesetz nicht mitgetragen. Wir werden auch diese Pläne nicht mittragen. Auch Ihre Pläne zur Amerikanisierung unserer Bundessozialhilfe haben Sie hier nicht vorgetragen. Mit diesen Plänen, Herr Minister, werden Sie selbst ein Armutsrisiko in diesem Land. Ziehen Sie diese Pläne zurück!
Mit der Verabschiedung der Positivliste, Herr Minister, ist in Ihrem Haushalt auch nicht viel zu sparen. Aber was Sie damit politisch erreicht haben, ist, daß das Gesundheitsstrukturgesetz in seiner Gänze zur Disposition gestellt wird und die gesundheitspolitischen Karten neu gemischt werden. Sie sind doch ratlos!
Legen Sie erst einmal Ihre Pläne auf den Tisch!
Sie haben niemals vorgehabt, die Positivliste umzusetzen. Sie haben sich die Zustimmung der SPD-Länder im Bundesrat regelrecht erschlichen, Herr Minister.
Sie reden immer von Selbstverwaltung; aber Sie nehmen sich doch selbst nicht ernst. Was Sie uns heute hier geboten haben, Herr Minister, ist - vornehm ausgedrückt - unverfroren. Sie sprachen hier davon, die Selbstverwaltung habe den neuen einheitlichen Bewertungsmaßstab in den letzten Wochen - ich zitiere Sie - „aus eigener Kraft" vorgelegt.
Marina Steindor
Herr Minister, Sie selbst haben diesen Vorgang - befristet - in das GSG hineingeschrieben. Sie haben sich vorbehalten - falls die Selbstverwaltung es nicht schafft -, es selbst zu tun.
Sie trauen doch Ihrem eigenen Motto nicht. Über das 4. Änderungsgesetz zum SGB V werden wir noch diskutieren.
Herr Minister, Ihre eigene Partei folgt Ihren Vorstellungen von der Freiheit für die Selbstverwaltung nicht. Wenn die Bayerische Staatsregierung per Rechtsverordnung die bayerischen AOKs fusioniert und dabei den Verwaltungssitz festlegt: Was ist das für ein Verhältnis zur beschworenen Freiheit der Selbstverwaltung?
Doch jetzt weg von der Gesundheitsstruktur!
Ich bin es langsam leid, den unkonkreten Schlagabtausch, dieses „Old-boys-Network", das in diesem Land die Gesundheitspolitik bestimmt, noch länger anzuhören.
Das Thema lautet: Was macht der Bundesgesundheitsminister mit dem wenigen Geld, das er hat? Angesichts dessen, daß das Robert-Koch-Institut und das Paul-Ehrlich-Institut keine Einzelkommentare zu Haushaltstiteln vorgelegt haben, ist für das Parlament die Transparenz dieses Bundeshaushalts nicht gewährleistet.
Was macht der BMG also mit seinem wenigen Geld? Er macht Ressortforschungsprojekte mit einem absurden Gemischtwarenladen. Er fördert z. B. den Betäubungsmitteleinsatz bei Süßwasserfischkulturen, um - ich zitiere - „ein erhöhtes Verlustrisiko" und eine „erhebliche wirtschaftliche Belastung" in der Massentierhaltung zu verringern. Wie wäre es mit einem gesetzlichen Verbot derartiger Tierhaltung, Herr Minister?
Zur Nuß- und Feigenforschung möchte ich sagen: In der Projektliste der Ressortforschung im Gesundheitshaushalt steht dazu doch allen Ernstes, man betreibe im Rahmen der Ressortforschung „Repräsentationsuntersuchung von gentechnischen Nüssen und Feigen auf Aflatoxingehalt" . „Hoppla" habe ich da gedacht. Da behauptet der Minister immer, er wisse nichts von gentechnischen Lebensmitteln in Deutschland. Nüsse und Feigen sind zwar nicht gerade das Grundnahrungsmittel der bundesdeutschen Bevölkerung.
Aber diese Nahrungsmittel müßten nach Gentechnikgesetz genehmigt oder nach EU-Freisetzungsrichtlinie in Verkehr gebracht werden. Von alledem ist nichts passiert.
Bei näheren Nachforschungen in anderen Aktenblättern des Gesundheitsministeriums entpuppte sich das Ganze als sehr aussagefähiger Druckfehler; denn wo in der Projektbeschreibung von Gentechnik die Rede ist, steht in dem Einzelblatt: „getrocknete Feigen und Nüsse". Wo, Herr Minister, haben Sie in diesem Forschungsprojekt die Gentechnik versteckt, die sich da so untergründig eingefügt hat?
Der Bundesgesundheitsminister will die Gentechnik in Diagnostik und Therapie fördern - und das ausgerechnet mit Genomdiagnostik, dem, was wir prädiktive Medizin nennen. Wahrscheinlich gehört das zum Zukunftsgehudel dieser Bundesregierung. Herr Minister, unserer Auffassung nach müßten Sie die Bevölkerung vor diesem gentechnischen Humbug schützen. Wenn Sie „Science" und „Nature" lesen, können Sie feststellen, daß auf jede Ankündigung eines neuen Krankheitsgens zwei Ausgaben später ein Widerruf oder ein neues Gen folgt. Sie unterstützen hier ungelegte biologistische Gentechnologieeier.
In den Vereinigten Staaten - und das stimmt mich sehr bedenklich - haben sich Frauen nach einem Gentest, der eine Krankheitsdisposition für Brustkrebs erbracht hatte, bereits die Brust amputieren lassen - ohne krank zu sein und ohne wissenschaftlichen Nachweis, daß dieser Gentest überhaupt aussagekräftig ist. Die Entstehung von Krankheiten ist viel komplexer, als es den Geningenieuren lieb ist. Ein Gesundheitsminister müßte die Bevölkerung vor genetischen Scharlatanen und genetischer Diskriminierung schützen.
Was macht der Bundesgesundheitsminister sonst noch mit seinem wenigen Geld? Er fördert ein zynisches Projekt zu Atemwegserkrankungen.
Er will mit Frühdiagnostik herausfinden, ob die Menschen zu Verhaltensänderungen oder zur lebenslänglichen Einnahme von Entzündungshemmern gebracht werden können.
Meine Frage lautet: Welche Luft, Herr Minister, sollen Menschen, die auf Grund der Luftverschmutzung krank werden, einatmen? Warum betreiben Sie keine konsequente Anti-Raucherpolitik? Wo war denn Ihre Stimme in der Debatte um das Ozon zu hören? Wann haben Sie sich denn um die Gesundheitsbelange der Bevölkerung gekümmert? Mit der Abgabe des Wasser-Boden-Luft-Hygiene-Instituts haben Sie jede umweltmedizinische Kompetenz abgegeben und sind in diesem Bereich genauso ratlos wie bei der Gesundheitsstruktur.
Marina Steindor
Dieser Haushalt ist ein konzeptionsloser Flickenteppich, der nicht in die Zukunft führt. Meine Fraktion lehnt ihn entschieden ab.
Das Wort hat der Kollege Möllemann, F.D.P.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn das Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung im ersten Halbjahr nicht 5 Milliarden DM betragen würde, gäbe es nach dem vor einiger Zeit gemeinsam definierten Willen dieses Hauses einen nachhaltigen, tatsächlichen Reformbedarf im Gesundheitswesen.
Wir haben nun die Haushaltsdebatte, die - ich denke, ich kann mir erlauben, das nach ein paar Jahren Mitgliedschaft in diesem Hause zu sagen - allmählich einen sehr ritualhaften Charakter bekommt. Man hat eine Stunde über ein Thema zu reden, unabhängig davon, ob der Diskussionsstand das als sinnvoll erscheinen läßt oder nicht.
Wir haben diese Haushaltsdebatte zu einem Zeitpunkt, in dem, wie Sie wissen, die Koalition wie verabredet ihre Verhandlungen über den für diesen Zeitraum angekündigten Entwurf für eine Gesundheitsreform beginnt. Man wäre versucht, zu sagen: Da das Stadium der Diskussion nicht zuläßt - auch Sie würden Koalitionsverhandlungen nicht zuerst in der Öffentlichkeit und hinterher mit Ihren Partnern führen -, daß man die kniffeligen Details jetzt vorstellt, beläßt man die Debatte an diesem Punkt und kommt in ein paar Wochen, wenn wir weiter sind, darauf zurück. Aber das geht jetzt nicht, weil Sie offenkundig geneigt sind, öffentlich den Eindruck zu erwecken, wir hätten keine Reformvorstellungen.
Der budgetäre Aspekt, den der Bundesminister zu Recht, um uns über den Sachstand zu informieren, zum Aufhänger seines Beitrags gemacht hat, begründet nach meiner Ansicht die Notwendigkeit der Reform nicht allein, Er erklärt sich im übrigen z. T. aus Entwicklungen, die wir als Gesetzgeber selbst herbeigeführt haben. Ich nenne nur die Pflegepersonalverordnung, die einen erheblichen Anteil dieser Kostensteigerung ausmacht.
- Mir ist jedenfalls bekannt, daß an dem, worum es hier in den Auswirkungen geht, der Gesetzgeber in vielfältiger Weise beteiligt war. Mir ist auch bekannt, Herr Kollege, wer für Verordnungen zuständig ist. Aber machen wir es doch nicht formalistisch. Das bringt doch nichts!
Ich möchte gerne darlegen, in welchen drei Bereichen ich besonderen Handlungsbedarf sehe.
Herr Kollege Möllemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Seehofer.
Aber gerne.
Herr Möllemann, könnten wir beide uns das seltene Ergebnis der Übereinstimmung gönnen, indem ich Sie frage: Können Sie mir zustimmen, daß der Zwischenruf des Kollegen Kirschner völlig falsch war? Die Pflegepersonalverordnung führt nur diese Bezeichnung, aber in Wirklichkeit ist sie ein Gesetz, enthalten im Gesundheitsstrukturgesetz und erlassen mit Ihrer Zustimmung.
Wie sollte ich Ihnen da widersprechen?
Herr Kollege Möllemann, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich weiß, daß die Zeiten nicht angerechnet werden. Bitte schön.
Herr Kollege Möllemann, wenn ich nicht falsch gehört habe, haben Sie von der Pflegeverordnung geredet. Das Wortprotokoll wird zeigen, daß Sie das so gesagt haben.
Sie haben das so gesagt und nicht so, wie das der Herr Bundesminister soeben interpretiert hat. Das mögen Sie vielleicht gemeint haben, aber Sie haben es anders gesagt.
Auf meinem Zettel steht: Pflegepersonalverordnung. Da ich des Lesens kundig bin, werde ich es richtig vorgetragen haben.
Soviel zum Thema, daß unsere Rede frei sein soll.
Jetzt möchte ich ganz gerne zu den drei Eckpunkten kommen, die auf jeden Fall eine wichtige Rolle spielen werden, damit es zu einer strukturellen Reform und nicht zu einer bloßen weiteren Maßnahme unter dem Stichwort Kostendämpfungsgesetz kommt. Von solchen Maßnahmen hatten wir genug, und leider wirken sie nicht hinreichend. Wir müssen stärker als bisher Mechanismen in das Gesundheitswesen einbringen, die mit den Stichworten Markt, Transparenz, Eigenverantwortung verbunden sind. Nichts sagt deutlicher als die 6 800 Regelungen, die wir immer wieder erwähnen, daß die Überbürokratisierung dieses Politikbereichs offenkundig nicht die Ziele erreichen kann, die Marktmechanismen wie Eigenverantwortung, Eigensteuerung, also ein Freiheitsmodell, eher erreichen können.
Jürgen W. Möllemann
Ich möchte dabei Transparenz auch in einer anderen Form verwirklicht sehen. Die von Ihnen in Ihrem Arbeitspapier wieder aufgestellte Behauptung, es müsse auf jeden Fall mehr als bisher beim Prinzip bleiben, daß über diese Mechanismen nicht Kostenerstattung eingeführt wird, sondern die Sachleistungen im Mittelpunkt stehen, ist falsch.
Was eigentlich hindert uns, die Kassenpatienten den Privatpatienten gleichzustellen? Warum müssen die Privatpatienten das Privileg haben, zum Arzt gehen zu können, mit dem Arzt die notwendige Behandlung zu vereinbaren und darüber eine Rechnung zu bekommen? Warum ist es nicht selbstverständlich, daß künftig alle Patienten nach einer ärztlichen Behandlung darüber eine Rechnung bekommen, damit sie wissen, was geschehen ist, was es kostet, und daß sie dann mit ihrer Versicherung abrechnen? Das brauchen wir, meine ich, auf jeden Fall.
Herr Kollege Möllemann, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßen?
Ja, bitte.
Herr Möllemann, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie die privat Versicherten und die gesetzlich Versicherten tatsächlich auf eine Stufe stellen wollen? Ist Ihnen bekannt, daß in der Privatversicherung der Solidargedanke überhaupt nicht vorhanden ist, nämlich daß der Gesunde dem Kranken hilft und auch der, der ein bißchen mehr verdient, dem hilft, der weniger hat?
Wollen Sie dieses über 100 Jahre geltende Solidaritätsprinzip tatsächlich ohne Not aufgeben? Sind Sie nicht der Meinung, daß bei der Gesundheit nicht der Markt, sondern vielmehr die soziale Verantwortung an erster Stelle stehen sollte?
Das macht es manchmal so unerfreulich, und wir wundern uns dann zu Unrecht darüber, daß die Leute draußen fragen, ob wir hier wie die Mondmännchen aneinander vorbeireden. Ich habe von dem, was Sie hier behaupten, kein Wort gesagt. Ich habe davon gesprochen, daß Kassenpatienten genauso wie Privatpatienten über das, was für sie an Leistung erbracht wird, eine Rechnung bekommen sollen. Wieso ist das eine Aufgabe der Solidarität? Wen schützen Sie eigentlich mit diesem Prinzip des anonymen Blankoschecks? Doch wohl nicht die Patienten. Ich möchte gern, daß hier Transparenz geschaffen wird, daß also das Prinzip der Kostenerstattung an Stelle des bisherigen Abrechnungsprinzips ausgeweitet und vertieft wird.
Zweiter Punkt. Wir reden über die Frage, wie die Kosten aufgebracht werden sollen, von denen wir alle annehmen, daß sie trotz aller effizienten Mechanismen, wenn das Gesundheitswesen weiterhin wirkungsvoll sein soll, möglicherweise steigen, weil die Menschen im Schnitt immer älter werden und weil der medizinische Fortschritt nicht - Gott sei Dank, möchte man fast sagen - wie in anderen Bereichen, z. B. im Bereich der industriellen Produktion, automatisch zu Rationalisierungseffekten führt. Das heißt, es gibt Forschungsergebnisse, die schlicht zu weiteren Aufwendungen und Anstrengungen zusätzlicher Art führen, die finanziert werden müssen.
Wir werden der Frage nicht ausweichen können - das meinen vielleicht auch Herr Schröder und auch Hillu, wenn sie von Modernisierung sprechen -, ob wir nicht zusätzlich zu den Leistungen, die die Solidargemeinschaft erbringen muß, die Komponente der Selbstbeteiligung verstärken müssen, damit Transparenz Wirkung haben kann, damit vernünftiges Verhalten honoriert und unvernünftiges Verhalten eben auch besonders belastet wird. Dabei ist es interessant, daß der Sachverständigenrat, der sein Gutachten gerade vorgelegt hat, zwar Skepsis gegenüber einer Ausweitung der traditionellen Struktur von Selbstbeteiligungsmechanismen anmeldet, aber sehr wohl neue Formen der Eigenverantwortung und Selbstbeteiligung für erwägenswert hält, wie z. B. Selbstbehalte, Beitragsrückgewähr und andere Maßnahmen.
Schließlich, meine Damen und Herren: Durch die Debatten dieser Tage hat sich immer wieder ein Gedanke gezogen, der heute durch die Bekanntgabe der Zahlen auf dem Arbeitsmarkt natürlich eine Verstärkung erfuhr. Es hat im Sommer keine nennenswerte Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt gegeben. Das muß uns alarmieren. Der Trend geht trotz positiver konjunktureller Entwicklung offenbar dahin, daß mehr und mehr Arbeitsplätze abgebaut, wegrationalisiert oder ins Ausland verlagert werden.
Wir suchen nach Möglichkeiten, wie man den Teil der Gründe hierfür, der in den Lohn- und Lohnzusatzkosten liegt, so mildern kann, daß sich dieser Prozeß nicht dynamisch beschleunigt. Das ist auch Gegenstand der Debatte in der SPD. So verstehe ich den Disput zwischen Scharping und Schröder über die Frage: Gibt es eine sozialdemokratische oder moderne Arbeitsmarkt- bzw. Wirtschaftspolitik?
- Ich will mich da, Herr Struck, gar nicht weiter einmischen. Auch die qualifizierenden Bemerkungen Schröders zu Ihnen will ich nicht bewerten.
Es geht mir darum, daß es gefährlich ist, wenn wir alle sozialen Sicherungssysteme und deren Dynamisierung im Ausgabenbereich immer wieder und so stringent, wie wir das tun, an die Lohnkosten anbinden. Die Frage muß doch sein, ob man sie nicht auf andere Parameter hin orientieren kann und muß.
Jürgen W. Möllemann
Daher wird die Diskussion geführt - sie wird übrigens auch bei uns kontrovers geführt; es ist ja keine Schande, wenn in Parteien kontroverse Debatten stattfinden -,
ob man die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung nicht von der traditionellen Anbindung an den Produktionsfaktor Arbeit befreien kann, beispielsweise dadurch, daß man entweder den Arbeitgeberbeitrag festschreibt - dagegen gibt es vernünftige, wichtige Argumente vorzutragen; es gibt auch gute Argumente dafür - oder daß man, wie es der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Professor Henke, vorgeschlagen hat, die Lohnkosten des Jahres 1995 oder 1996 von einem bestimmten Stichtag an als Zuschlag zum Lohn an die Beschäftigten direkt auszahlt. Diese könnten dann selbst entscheiden, wo und wie sie sich versichern, zumal wir jetzt einen Wettbewerb der Kassen haben sollen, die sowieso schon beschlossen haben, daß künftig freie Kassenwahl möglich ist. Ich glaube, das ist eine vernünftige Idee, gegen die allerdings auch Bedenken vorzutragen wären. Das weiß ich. Wir werden darüber zu diskutieren haben.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir durchaus Grund haben, auch strukturelle Fragen zu erörtern. Union und F.D.P. haben sich darauf verständigt, das in dem von Minister Seehofer beschriebenen Zeitrahmen zu tun. Ich bin optimistisch, daß wir das zu einem guten Ergebnis bringen werden.
Erlauben Sie mir eine Schlußbemerkung an die Adresse der Kollegin Steindor. Es wäre mir mühelos möglich, aus laufenden Forschungsvorhaben in allen Bundesländern, auch in solchen, die rot-grün regiert sind, hier eine Kabarettveranstaltung zu machen, indem ich die Titel dieser Forschungsvorhaben vortrage und - noch ohne daß die Ergebnisse derselben vorliegen und ohne daß eine Auswertung vorgenommen ist - Intentionen in sie hineinprojiziere. Das wird eine reine Lachveranstaltung. Ernsthafte Politik kann man so nicht betreiben. Ich würde raten, daß wir das ernsthafter tun.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Fuchs, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem für das Jahr 1996 vorgelegten Haushalt sollen erneut tiefe Einschnitte in das soziale Leistungsrecht für die verfehlte Finanzpolitik der Regierung herhalten. Die Palette reicht von massiven Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe bis hin zu Streichungen des Fahrgeldes für Schwerbehinderte.
In diesem Kontext kann es schon nicht mehr verwundern, daß auch die Ausgaben des Bundes für gesundheitliche Zwecke keineswegs, wie es eigentlich notwendig wäre, aufgestockt, sondern noch weiter zurückgefahren werden. Aufgeschlüsselt bleibt es damit bei ca. stolzen 10 DM pro Kopf der Bevölkerung, über die das Ministerium für Gesundheit jährlich verfügt, um der Verantwortung des Bundes für die Gesundheit der Menschen nachkommen zu können. Dabei ist es um diese Verantwortung wahrhaftig nicht zum besten bestellt.
Die Laufzeit des Gesundheitsstrukturgesetzes nähert sich bekanntlich - zumindest was die Budgetierungsphase betrifft - ihrem Ende. Seit langem ist ursprünglich sogar für das laufende Jahr eine weitere Reformstufe angekündigt. Von einer überzeugenden Konzeption dafür ist jedoch bis heute weit und breit nichts zu sehen.
Ganz im Gegenteil: Während sich die Situation in der gesetzlichen Krankenversicherung besorgniserregend zuspitzt und ihre Finanzen bereits in diesem Jahr schon wieder gefährlich aus dem Ruder laufen, entwickelt sich eine gesundheitspolitische Debatte im Land, die immer widersprüchlichere, ja teilweise inhumane Züge trägt. So wird mit rüden Angriffen auf die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall so ganz nebenbei wieder einmal einer der wichtigsten Eckpfeiler des sozialen Grundkonsenses in diesem Land in Frage gestellt. Auch wenn das Thema in der Öffentlichkeit rasch zurückgezogen wurde, so gilt doch insgesamt das Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein.
Die privaten Krankenversicherungen wiederum kündigten über Nacht - nachdem sie nicht ohne Erfolg über Jahre junge Menschen mit niedrigen Prämien angelockt haben - eine drastische Erhöhung der Beiträge an. Sie hätten eben gerade einmal entdecken müssen, daß die Versicherten inzwischen eine höhere Lebenserwartung haben, als man bisher dachte. Diese naßforsche Argumentation trifft noch nicht einmal auf ernsthaften Widerspruch, von einem Eingreifen der Aufsichtsbehörden ganz zu schweigen.
Der Minister, von dem man vermuten sollte, daß er u. a. noch vollauf mit der Umsetzung der letzten Reform und ebenso mit der Vorbereitung der neuen Stufe zu tun hat, ist indessen damit beschäftigt, die Positivliste als einen der tragenden Bausteine des Gesundheitsstrukturgesetzes wieder zunichte zu machen.
Nun kann man über die Positivliste denken, wie man will.
Völlig unbestreitbar bleibt, daß sie einen beträchtlichen Fortschritt für die Qualität der Arzneimittelversorgung bedeuten würde.
- Doch, ich habe Achtung vor den Berliner Ärzten, die sich dazu geäußert haben.
Dr. Ruth Fuchs
Partielle Fehler bei ihrer Erstellung hätten bei entsprechendem politischen Willen leicht korrigiert werden können. So aber werden diese zum willkommenen Vorwand genommen, dem Druck der Pharmalobby nachgeben und sich des ohnehin unbeliebten Kindes wieder entledigen zu können.
Das ist aus vielen Gründen ein schlimmer Vorgang, vor allem deshalb, weil er in geradezu exemplarischer Weise wieder einmal die Grenzen innovativer Gesundheitspolitik in diesem Land vor Augen führt.
Einen traurigen Höhepunkt der Debatte bildet auch das Gutachten, das der Sachverständigenrat unterbreitet hat. Es ist schwer zu sagen, wem mit dieser Zusammenstellung des schon lange bekannten neokonservativen und neoliberalen gesundheitspolitischen Gedankenarsenals eigentlich weitergeholfen ist. Von einem der folgenschwersten Vorschläge des Gutachtens - würde er denn realisiert -, nämlich dem einseitigen Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags, ist inzwischen auch der Minister öffentlich abgerückt. Im Gegensatz zu bisherigen Aussagen plädiert er nunmehr für eine gesetzliche Festschreibung beider Beitragshälften.
Unser verehrter Ausschußvorsitzender, Herr Kollege Thomae, hat sofort mit Hilfe einer Presseerklärung Einspruch erhoben - aus seiner Sicht natürlich mit vollem Recht. Eine solche Globalsteuerung durch den Gesetzgeber stellt natürlich ohne Zweifel ein völlig anderes Konzept dar, als es der F.D.P. vorschwebt.
Damit ist bemerkenswerterweise ein Punkt erreicht, bei dem die Koalitionspartner ihre in der Tat nicht unbeachtlichen Kontroversen schon auf offener Bühne austragen. Währenddessen läuft die Zeit für die eigentlich notwendigen Reformaufgaben davon.
Meine Damen und Herren, angesichts dieser Situation kann allerdings nicht einmal Schadenfreude aufkommen. Es ist nicht zu übersehen, daß das insgesamt so überaus trickreiche Schauspiel, das gegenwärtig unter dem Titel „dritte Stufe der Gesundheitsreform„ geboten wird, mit beträchtlichen Risiken behaftet ist.
Wenn es 1996 - wie befürchtet werden muß - zu einem bisher nie dagewesenen Kostensprung in der gesetzlichen Krankenversicherung kommt, dann werden es vor allem die Versicherten sein, die die Folgen zu tragen haben. Dem kann man aus meiner Sicht nicht zustimmen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Fink, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren den Etat des Bundesgesundheitsministers. Wir diskutieren damit den Etat eines Ministers, der im Mittelpunkt der Bemühungen
um eine Modernisierung der Sozial- und Gesundheitspolitik steht.
Es ist richtig, daß die Globalisierung der Wirtschaft von uns neue Antworten verlangt. Wir hatten bisher eine Aufgabenverteilung, die in etwa so aussah: Die Sozial- und Gesundheitspolitiker haben die vorhandenen Ausgaben verteidigt und zusätzliche gefordert. Die Finanz- und Wirtschaftspolitiker haben gesagt: Das ist zu teuer; ihr müßt weniger machen.
Es könnte sein, daß wir in dieser Beziehung völlig neu denken müssen. Es könnte sein, daß wir gerade auch in der Sozial- und Gesundheitspolitik überprüfen müssen, ob bestimmte Ausgaben notwendig sind und ob der Ausgabenanstieg begrenzt werden muß, um beim Thema Nummer eins, nämlich Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung, zu Erfolgen zu kommen. Denn es reicht nicht, meine Damen und Herren von der SPD, zu sagen: Die Arbeitslosigkeit ist die große Herausforderung, sie muß bekämpft werden. Man muß auch einen Beitrag dazu leisten, damit die Arbeitslosigkeit wirklich beseitigt werden kann.
Deshalb die Gesundheitsreform. Es gibt ein ganz klares Konzept, das der Gesundheitsminister Horst Seehofer anläßlich der letzten Etatdebatte auch vorgestellt hat. Er hat doch im wesentlichen zum Ausdruck gebracht, daß wir in Anbetracht der Tatsache, daß wir in den vergangenen Jahren Hunderte, Tausende von Gesetzesänderungen und Verordnungen gemacht haben, einen neuen Ansatz brauchen. Das heißt Vorfahrt für die Selbstverwaltung, solidarischer Wettbewerb bei gleichzeitiger Begrenzung dessen, was insgesamt vom Gesundheitswesen von dem Bruttosozialprodukt in Anspruch genommen werden kann.
Das ist doch eine richtige Konzeption. Da gibt es doch niemanden, der eine ernsthafte Alternative dazu weiß.
Herr Kollege Fink, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gerne. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte.
Herr Kollege Fink, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie sagen, es sei festzulegen, wie groß die Ausgaben für das Gesundheitswesen insgesamt sind?
Sie haben mich völlig richtig verstanden, daß wir hier eine Beitragssatzobergrenze definieren müssen. Damit ist gleichzeitig eine Form von globaler Budgetierung vorgeschlagen. Das ist ein Riesenunterschied zu der sektoralen Budgetierung, die Sie vorschlagen. Denn mit einer sektoralen
Ulf Fink
Budgetierung zementieren Sie natürlich die vorhandenen Strukturen des Gesundheitswesens.
Sie sagen selber, daß der stationäre Bereich im Verhältnis zur ambulanten Versorgung überbordend ist, und budgetieren genau diese falsche Struktur. Deshalb muß man weg von der sektoralen Budgetierung und zu neuen Lösungen kommen.
Ich möchte auf einen anderen Gesichtspunkt zu sprechen kommen, nämlich auf dasjenige, was Sie, Herr Kirschner, angesprochen haben: die Sozialhilfe. Sie haben selber eingeräumt, daß es notwendig ist, die Kosten der Sozialhilfe in Schach zu halten und die richtigen Proportionen zu finden. Ich denke, da kann es auch gar keinen Widerspruch geben. Sie haben aber darauf hingewiesen, daß man das nur so machen kann, daß man die Sozialhilfe von Leistungen befreit, die nicht in diesen Bereich gehören. Das ist auch unsere Auffassung. Deshalb ist beispielsweise die Pflegeversicherung eingeführt worden, die die Gemeinden in einer Größenordnung von etwa 10 Milliarden DM entlasten wird. Deshalb ist die Asylbewerbernovelle durchgesetzt worden. Auch die Reform des Familienleistungsausgleichs wird ein wesentlicher Beitrag zur Entlastung der Sozialhilfe sein.
Insofern tun wir etwas. Aber das alleine reicht nicht aus. Man muß auch Reformen bei der Sozialhilfe selber vollziehen.
Schauen Sie sich die neuesten Zahlen aus Berlin an! Es hat sich eine völlige Veränderung des Kreises der Sozialhilfeempfänger gegenüber früher ergeben. Früher waren es meist ältere, alleinstehende Menschen.
Heute ist in Westberlin fast jeder zweite Sozialhilfeempfänger im Alter von unter 25 Jahren.
Was muß man denn da tun? Da muß man dann doch genau das tun, was Horst Seehofer in seinem Konzept vorgeschlagen hat, nämlich Brücken in den Arbeitsmarkt hinein bauen. Das ist doch genau die Antwort darauf.
Dann darf man sich auch nicht scheuen - ich darf das an dieser Stelle sagen -, das Instrument der gemeinnützigen Arbeit, das j a im Sozialhilfegesetz vorhanden ist, auch tatsächlich anzuwenden. Wenn einer ohne einen erkennbaren Grund - obwohl er nicht alt ist, obwohl er nicht krank ist, obwohl er keine Kinder zu erziehen hat - diese Arbeit ablehnt, ist es dann zuviel verlangt, wenn man sagt, daß dem Betreffenden dann die Sozialhilfe entzogen werden soll, wenigstens aber um 25 % gekürzt werden soll? Das ist doch nicht zuviel verlangt.
Herr Kollege Fink, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Sehr gern.
Bitte, Herr Kirschner.
Herr Kollege Fink, ich will noch auf eine Frage eingehen: Wenn Sie zu Recht darauf hinweisen, daß viele Sozialhilfeempfänger - wir reden ja hier über die Empfänger, die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt bekommen - im arbeitsfähigen Alter sind, möchten Sie dann nicht endlich auch zur Kenntnis nehmen, was ich sagte, nämlich daß es uns um Arbeitsplätze geht und daß diese fehlen? Dann wäre doch die logische Konsequenz - das habe ich bisher in Ihrem Entwurf vermißt -, daß Sie die arbeitslosen Sozialhilfeempfänger in den Bereich des Arbeitsförderungsgesetzes hineinnehmen oder nicht?
Sie wissen doch, Herr Kirschner, wie es heute ist. Es gibt eine Rangfolge. Beim Arbeitsamt kommen zuerst diejenigen an die Reihe, die nur kurzfristig arbeitslos und am besten ausgebildet sind, danach diejenigen, die Arbeitlosenhilfe beziehen, und ganz zum Schluß die arbeitslosen Sozialhilfeempfänger. Warum? Weil sie zumeist längere Zeit nicht im Arbeitsprozeß waren und weil sie die Kasse des Arbeitsamtes nicht belasten.
- Herr Kirschner, Sie können mir gern eine weitere Frage stellen, wenn Sie wollen. Aber das ist die Antwort auf Ihre Frage.
Lassen Sie mich Ihnen noch ein Beispiel geben, damit Sie auch sehen, worum es geht. Sie sagen, es gebe keine Arbeitsplätze.
Wie erklären Sie sich dann beispielsweise, daß die Stadt Mannheim mit rund 300 000 Einwohnern rund 4 000 Arbeitsgelegenheiten für Sozialhilfeempfänger geschaffen hat, während die Stadt Hannover, die ja
Ulf Fink
von einem der Ihren regiert wird, exakt 238 Stellen für Sozialhilfeempfänger geschaffen hat, obwohl sie 500 000 Einwohner hat? Das muß doch an irgend etwas liegen.
Herr Kollege Fink, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Sehr gerne.
Herr Kollege Fink, wenn Sie einen Vergleich zwischen Hannover und Mannheim anstellen und uns sagen, in Hannover regiere ein SPD-Oberbürgermeister, dann möchte ich Sie darüber informieren, daß dies auch für Mannheim gilt.
Ich darf Ihnen eine kurze Antwort darauf geben: Der dortige Sozialdezernent gehört allerdings einer anderen Partei an, und der ist dafür zuständig.
Lassen Sie mich noch ein Letztes sagen: Etwas Neues tun, aber auch am Bewährten festhalten, das ist unser Konzept. Zu dem Bewährten gehört bei der Sozialhilfe die Partnerschaft zwischen Staat, Kirche und freien Wohlfahrtsverbänden. Das hat sich bewährt. Meine Fraktion und ich sind der Auffassung, daß an diesem bewährten Grundsatz nach Möglichkeit keine Änderung erfolgen soll. Der billigere Anbieter muß bei gleicher Leistung genommen werden - das ist in Ordnung -; aber es gibt einen Unterschied zwischen den freien Wohlfahrtsverbänden und Kirchen und den normalen privaten Anbietern. Ich hoffe sehr, daß es uns gelingen wird, in diesem Punkt zu einer gemeinsamen Auffassung zu kommen.
Ich bedanke mich sehr für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Schaich-Walch, SPD.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte aus der vorherigen Debatte nur kurz etwas aufnehmen. Unser Konzept zur Weiterentwicklung der GKV liegt vor. Es enthält entgegen Ihren Aussagen ein globales Budget und hat in seinem Ansatz mit den sektoralen Entscheidungen nichts mehr zu tun, die natürlich dazu beigetragen haben - gerade im Krankenhaussektor -, dieses Budget auch auszuschöpfen.
- Wir wollen es nur so kurzfristig verlängern, daß Sie genügend Zeit haben, das globale Budget gesetzlich abgesichert einzuführen, Herr Minister, und keinen Tag länger. Wenn Sie es schneller können, verzichten wir sofort und absolut auf diese Übergangszeit.
Unser Konzept liegt vor. Sie sind trotz vieler Gipfeltreffen noch dabei, eines zu erarbeiten.
- Sie arbeiten daran? Das ist schön für Sie. Ich hoffe, Sie sind so erfolgreich wie wir. - Ich gehe davon aus, daß wir noch genügend Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren.
Ich möchte aber einen Punkt von Herrn Kollegen Möllemann aufgreifen. Es ist immer sehr attraktiv, über Transparenz zu sprechen. Jeder möchte Transparenz, und keiner kann sich diesem Gedanken verschließen, wofür es ja auch keine guten Gründe gibt. Nur, Sie benutzen Transparenz als Begriff, um das, was Sie wirklich wollen, zu verschleiern.
Sie benutzen den Begriff nämlich dafür, um zu sagen, Sie wollten die Kostenerstattung im Gesundheitswesen einführen, und das heißt im Klartext: Zugang zum Arzt nur über das Portemonnaie in bar. Das sind Dinge, die mit uns nicht gehen werden.
- Das ist ganz einfach das, was Sie beschrieben haben.
Es ist nichts dagegen zu sagen, daß jemand eine Rechnung bekommt, aber es ist ein Problem, zu sagen: Du hast jetzt die Rechnung zu bezahlen, und hinterher bekommst du irgendwann das Geld zurück. - Ich denke, das ist eine Sache, die ganz einfach nicht geht.
Jetzt möchte ich aber, da wir noch Gelegenheit haben werden, über die GKV und auch das BSHG zu diskutieren, was mir sehr notwendig zu sein scheint, zum Haushalt zurückkommen. Beim Haushalt stellt sich das gleiche Problem wie in den anderen Bereichen.
Ich sehe eigentlich keine große Entwicklungsperspektive in diesem Haushalt, ich sehe keine besonderen Zielvorstellungen, ich sehe eigentlich nur eines: Uneinsichtigkeit in die Notwendigkeit, daß bestimmte wichtige Bereiche mit Nachdruck gefördert werden müßten. Das letzte will ich begründen.
Wir erleben jetzt zun x-tenmal im Haushalt für Aidsprävention eine Streichung. Das ist schon eine richtige Fortsetzungsgeschichte, aber leider ist sie nicht so amüsant wie manche unserer Seifenopern im Fernsehen und schon gar nicht amüsant und erheiternd für diejenigen, die davon betroffen sind.
Gudrun Schaich-Walch
Sie alle wissen doch ganz genau: Die Aidserkrankung ist noch nicht heilbar, ein Impfschutz nicht in Sicht, die Krankheit führt in den meisten Fällen relativ schnell zum Tod, und Präventionsmaßnahmen, Aufklärungsmaßnahmen sind die zur Zeit einzig wirklich wirksame Waffe, die wir haben.
Wir haben in keinem anderen Präventionsbereich bisher solche großen Erfolge bei der Verhaltensänderung erzielen können wie im Aidsbereich. Statt dort zu kürzen, sollten wir ernsthaft darüber nachdenken, wie man Forschungsansätze zur Förderung dessen einrichten könnte, um das, was man dort an Erfolgen in der Prävention, sprich: in der Verhaltensänderung erreicht hat, auch in anderen Bereichen der Prävention zu erreichen.
- Sie haben in dem Haushaltsansatz eine Kürzung von 2 Millionen DM. Ich weiß sehr wohl, daß die Kolleginnen und Kollegen auch Ihrer Fraktion eine Festschreibung des Betrages von 20 Millionen DM bis in das Jahr 1998 wollten, aber im Haushalt ist es leider nicht ausgewiesen. Ich freue mich ja riesig, wenn Sie jetzt sagen, es sei kein Problem, wir hätten es vom Tisch. Das ist, denke ich, eine ganz hervorragende Sache.
Ein weiteres Beispiel dafür, daß man auch mit kleinen Beträgen große Wirkungen erzielen kann, ist die Rückkehrhilfe für drogenabhängige deutsche Staatsbürger Amok in Amsterdam. Die 250 000 DM für diese Einrichtung sind gestrichen. Sie argumentieren damit, daß es hier um eine Aufgabe der Länder geht. Das wäre dann eine weitere Aufgabe, die den Ländern aufgebürdet wird. Sie argumentieren damit, daß es sich ja doch letztlich um Bürger einzelner Bundesländer handelt. Ich sehe bei uns niemanden mit einem hessischen oder einem bayerischen Paß.
Ich sehe uns alle mit einem bundesdeutschen Paß, und wir bleiben damit schlicht und einfach Bundesdeutsche. Ich denke, wir sollten folglich auch die Verantwortung tragen und die Bundesdeutschen, denen wir beim Zurückkommen in die Bundesrepublik helfen können, unterstützen,
nicht nur unter dem Gesichtspunkt, daß das eine humanitäre Maßnahme ist, sondern auch unter dem Gesichtspunkt, daß es eine Entlastung in der Zusammenarbeit verschiedener europäischer Länder, nämlich hier zwischen Deutschland und den Niederlanden, ist.
Jetzt möchte ich zu einem weiteren Bereich der Prävention kommen, bei dem ich gedacht habe, daß sich etwas mehr bewegen könnte.
Wir haben schon im Gesundheits-Reformgesetz die Gesundheitsförderung zur Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenversicherungen gemacht. Das war eine richtige und wichtige Entscheidung, ein Ansatz, der möglicherweise den Trend zum medizinischen Reparaturbetrieb etwas umkehren könnte und gleichzeitig zu Kostenersparnissen für die Solidargemeinschaft beitragen kann.
Allerdings hat sich, wie ich meine, mittlerweile gezeigt, daß die Krankenkassen diese Aufgabe nur unzureichend wahrnehmen, und es ist zu befürchten, daß der Kassenwettbewerb die Qualität der gesundheitsfördernden Maßnahmen eher verschlechtert oder auch zum Teil unsinnige Dinge gefördert werden.
Kolleginnen und Kollegen, ich denke, das ist kein Grund, jetzt mit der Kassenschelte zu beginnen. Vielmehr sollte das ein Grund für uns sein, Zielvorgaben im Wettbewerb zu machen und im Gesetz klar zu definieren, wie die Gesundheitsförderung aussehen sollte.
Für uns ist Gesundheitsförderung eine klassische Aufgabe des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Wir würden es gerne sehen, daß man die Kooperation zwischen Krankenkassen und öffentlichem Gesundheitsdienst im Gesetz festschreibt.
Aber neben den gesetzlichen Regelungen, wie Gesundheitsförderung aussehen könnte, braucht Gesundheitsförderung, meine ich, notwendigerweise eine Unterstützung durch einen Haushaltstitel. Es darf nicht sein, daß wir immer wieder die Selbsthilfeorganisationen dazu auffordern müssen, das, was sie an Know-how haben, einzubringen, daß wir sehr wohl zur Kenntnis nehmen, daß sie häufig kostengünstiger arbeiten als andere Organisationen, daß wir gleichzeitig aber nicht in der Lage sind, einen entsprechenden Titel zur Absicherung der Arbeit dieser Selbsthilfegruppen zu finden.
Wir sollten uns allerdings auch angucken, was im Umfeld des Haushalts der Gesundheitspolitik steht. Neben den klaren politischen Zielsetzungen zur Prävention, meine ich, müssen wir auch darauf achten, was wir in anderen Gesetzen tun.
Da ist in der letzten Zeit etwas ganz Verblüffendes und, wie ich meine, sehr Schädigendes passiert: Es wurde hier ein Gesetz geändert - allerdings nicht mit den Stimmen der SPD -, das die Werbung für Heilmittel regelt. Nach der Änderung dieses Gesetzes ist es möglich, daß in Jugendzeitschriften für Arzneimittel geworben werden kann.
Wenn ich mir anschaue, welche Anstrengungen wir im Drogenbereich unternehmen, dann, glaube ich, ist es absolut kontraproduktiv, daß jetzt in Zeitschriften wie „Young Miss" oder „Bravo-Girl" für Schmerzmittel geworben werden kann. Dadurch
Gudrun Schaich-Walch
wird ganz speziell ein Leserkreis oberhalb von 15 Jahren angesprochen. Andererseits denken wir ernsthaft darüber nach, wie wir im Suchtbereich Prävention leisten können.
Ich bin der Überzeugung, es kann nicht angehen, daß wir das Wohl der Pharmaindustrie und ihre Werbemöglichkeiten vor die Gesundheit der Kinder und der Jugendlichen stellen. Wir müssen das, was wir als Suchtprävention bezeichnen, sehr viel weiter im Vorfeld anlegen, als das jetzt der Fall ist. Ich hoffe, daß es uns gemeinsam gelingt, einen derartigen Fehler im Umfeld der Gesundheitspolitik zu korrigieren.
Es gibt keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Das Wort hat der Herr Bundesminister Borchert.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Landwirtschaft ist unverzichtbar. Denn rund 550 000 Betriebe sind eine wichtige Stütze der ländlichen Gebiete. Sie sind ein tragendes Element im Umwelt- und Naturschutz. Sie sind ein wichtiger Nahrungs-
und Rohstoffproduzent. Sie sind nach wie vor vor allem in den ländlichen Regionen ein eigenständiger Wirtschaftsfaktor.
Wer diese wirtschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft verkennt und wer die besonderen Leistungen der deutschen Bäuerinnen und Bauern im Umweltschutz und in der Landschaftspflege nicht ausreichend honoriert, der ruiniert diese Betriebe. Was möglicherweise noch überzeugender ist: Wer dies tut, der schadet der Landwirtschaft und fügt damit der ganzen Gesellschaft Schaden zu.
Die Bundesregierung will eine starke und leistungsfähige Landwirtschaft, die in der Lage ist, die vielfältigen und wachsenden Anforderungen der Gesellschaft zu erfüllen. Wir wollen ökonomische und ökologische Perspektiven für unser Land, für und mit der Landwirtschaft schaffen.
Dies spiegelt sich in einem ausgewogenen Bündel agrarpolitischer Maßnahmen und nicht zuletzt auch im Haushalt des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wider.
Der Haushaltsentwurf sieht ein Ausgabenvolumen von 12,1 Milliarden DM vor. Sicher wäre mehr wünschenswert gewesen. Nur, bei der notwendigen Konsolidierung des Haushalts muß auch die Agrarpolitik ihren Beitrag leisten. Man kann nicht auf der einen Seite mehr Sparmaßnahmen, mehr Konsolidierung einfordern, wenn es um den Gesamthaushalt geht, auf der anderen Seite aber bei den Einzelplänen Einsparungen beklagen und höhere Forderungen stellen. Diese notwendigen Einsparungen im Agrarhaushalt schließen auch eine Überprüfung der Ressorterforschung mit der Frage, wo und wie dort gespart werden kann, ein.
Mit dem Haushaltsansatz für die Gemeinschaftsaufgabe - dies liegt mir besonders am Herzen - kann die einzelbetriebliche Investitionsförderung uneingeschränkt mit höchster Priorität weitergeführt werden.
Wir haben diese gegen viele Widerstände gerade in den letzten Haushalten aufgestockt und behalten dieses Niveau bei; denn keine Maßnahme schafft langfristig bessere Grundlagen, um die Herausforderungen des Wettbewerbs zu bestehen, als die Investitionsförderung.
Fast 60 % der Haushaltsmittel werden für die Sozialpolitik bereitgestellt; das sind über 7 Milliarden DM, die direkt unseren Bäuerinnen und Bauern zugute kommen.
Ich hoffe, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, daß Sie in den jetzt anlaufenden Gesprächen unserem Änderungskonzept mit den wünschenswerten Korrekturen bei der Agrarsozialreform zustimmen werden. Die Betroffenen brauchen hier möglichst schnell Klarheit.
- Wir werden es Ihnen vorlegen. Ich habe nur um eine möglichst zügige Beratung und eine schnelle Verabschiedung gebeten.
Meine Damen und Herren, nach den jüngsten Währungsbeschlüssen hat unsere Landwirtschaft nunmehr auch im agrarmonetären Bereich verläßliche Planungsgrundlagen, und zwar bis zur Einführung fester Wechselkurse. Wir konnten in Brüssel durchsetzen, daß die Ausgleichszahlungen der europäischen Agrarreform in D-Mark festgeschrieben werden. Damit ist sichergestellt, daß die Preisausgleichszahlungen und die Stillegungsprämien, also die zentralen Leistungen der Agrarreform, auch bei möglichen Aufwertungen stabil bleiben.
Als weiteren wichtigen Punkt haben wir in Brüssel durchgesetzt, daß wir von der Europäischen Union einen Ausgleich für währungsbedingte Einkommensverluste erhalten. 1996 stehen dafür rund 207 Millionen DM an Mitteln der Europäischen Union bereit. National werden wir diese agrarmonetären Hilfen um den maximal möglichen, von Brüssel genehmigten Betrag aufstocken. Das heißt, daß wir die europäischen Gelder mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt verdoppeln.
Hier danke ich unserem Finanzminister, Theo Waigel, dafür, daß er trotz aller Sparmaßnahmen mit die-
Bundesminister Jochen Borchert
sem Vorgehen der Landwirtschaft in einer schwierigen Situation hilft.
Dies zeigt: Die Bundesregierung steht mit ihrer Agrarpolitik zur Landwirtschaft.
Bei manchen Vorschlägen der SPD habe ich den Eindruck, daß eher gegen die Landwirtschaft gearbeitet wird.
Einerseits lamentiert die SPD über unzureichende Förderungsmöglichkeiten, andererseits aber will sie im gleichen Atemzug unseren Landwirten einen steuerlichen Tiefschlag versetzen - so geschehen beim SPD-Vorstoß zum Jahressteuergesetz.
Um so mehr freue ich mich, daß wir die von der SPD in die Diskussion gebrachten steuerlichen Benachteiligungen der Landwirtschaft erfolgreich abwehren konnten;
denn nur mit einer investiven und steuerpolitischen Flankierung des Strukturwandels können sich unsere Betriebe im europäischen Wettbewerb behaupten.
Das lasse ich un-kommentiert.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Struck?
Aber selbstverständlich, Herr Präsident.
Herr Präsident, ich bitte sehr um Entschuldigung. Es ist auch nicht Ihre Aufgabe, sondern die Aufgabe der Schriftführer, darauf zu achten, ob sich Kollegen zu Zwischenfragen melden.
Herr Kollege Borchert, da Sie eben darauf hingewiesen haben, daß im Bundesrat die SPD versucht habe, die steuerliche Behandlung der Landwirte zu Lasten der Landwirtschaft zu verändern, wären Sie so freundlich, mir zu bestätigen, daß dies keine Vorstellung der Finanzminister der A-Länder, sondern eine Liste des Finanzausschusses des Bundesrates war - nach meiner Erinnerung mit insgesamt 79 Punkten -, die insgesamt auch von den B-Finanzministern, also auch von Herrn Mayer-Vorfelder, mitgetragen wurde?
Lieber Herr Kollege Peter Struck, ich wäre gern freundlich, aber in diesem Fall kann ich das leider nicht sein. Ich kann Ihnen nicht zustimmen, denn die Kürzungsvorschläge, die die Landwirtschaft betreffen, sind im Finanzausschuß des Bundesrates von der SPD eingebracht worden.
Wir haben am Ende verhindert, daß dies umgesetzt worden ist.
Meine Damen und Herren, was die Bundesregierung tun kann, um die deutsche Landwirtschaft im europäischen Wettbewerb zu stärken und den Agrarstandort Deutschland zu sichern, wird sie auch weiterhin tun. Neben der investiven und steuerlichen Förderung sowie den direkten Beihilfen gehört dazu auch die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen. Denn im europäischen Wettbewerb können sich unsere Bauern nur dann behaupten, wenn wir Verzerrungen abbauen und wenn einseitige und überzogene Produktionsauflagen und -erschwernisse nicht aufgezwungen, sondern abgebaut werden.
Aber zusätzliche Erschwernisse sieht gerade der Änderungsentwurf der SPD zum Bundesnaturschutzgesetz vor. Die SPD will den Naturschutz auf mindestens 10 % der Landesfläche verordnen.
- Sie gehen da noch weiter. Dann wird es noch schlimmer. Aber zum Glück werden Sie nicht die Chance bekommen, das durchzusetzen. Wir werden alles tun, dies zu verhindern.
Vor allen Dingen geht es darum, daß dies nicht ohne entsprechenden finanziellen Ausgleich geschehen darf. Die Anforderungen an die Landwirtschaft, die über die ordnungsgemäße Landwirtschaft hinausgehen, erschweren es der deutschen Landwirtschaft, wenn dies ohne Ausgleich geschieht, sich im europäischen Wettbewerb zu behaupten.
Wir müssen auf dem europäischen Binnenmarkt unseren Marktanteil im Wettbewerb gegen Anbieter aus anderen europäischen Ländern behaupten. Deswegen müssen Auflagen, die weiter gehen als Auflagen in anderen europäischen Ländern, auch entschädigt, entgolten werden. Sonst kann die deutsche Landwirtschaft mit Auflagen, wie sie etwa die SPD in ihren Anträgen zum Naturschutzgesetz vorsieht, im Binnenmarkt nicht wettbewerbsfähig bleiben. Dies
Bundesminister Jochen Borchert
wäre das Ende der Landwirtschaft in Deutschland. Deswegen kommt ein solcher Verordnungsnaturschutz einem enteignungsgleichen Eingriff gleich. Es ist ein unerträglicher Eingriff. Dies ist mit uns nicht zu machen.
Ich appelliere in diesem Zusammenhang eindringlich an die SPD-geführten Bundesländer, bei der Beratung der Düngeverordnung den Bauern nicht mit neuen Änderungsvorschlägen neue Lasten aufzubürden und ihnen damit wieder neue Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Ich höre Forderungen, „Schlagkarteien" oder andere Gängeleien einzuführen. Dies ist ein unzumutbarer Bürokratismus, den wir und die Bauern zu Recht ablehnen.
Unsere Bauern brauchen gerade in der Umweltpolitik verläßliche Rahmenbedingungen.
Ohne solche verläßlichen Rahmenbedingungen, die aber keine Wettbewerbsverzerrungen beinhalten, Herr Kollege Sielaff, kann die deutsche Landwirtschaft im Wettbewerb nicht bestehen.
Verläßliche und bessere Rahmenbedingungen braucht die Landwirtschaft auch auf den Märkten. Deshalb wird die Bundesregierung die Eckpunkte der weiteren Milchpolitik, insbesondere auch die innere Ausgestaltung der Quotenregelung, festlegen.
Deshalb werden wir alles tun, um endlich wieder etwas Luft bei den Erzeugerpreisen für Getreide, Milch und Fleisch zu gewinnen. Deshalb müssen wir, gerade wenn es um die Preise für Milch und Fleisch geht, die Vermarktungsstrukturen in Deutschland verbessern. Wir müssen nicht nur in der Produktion, sondern auch in der Vermarktung im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wettbewerbsfähig sein. Deshalb sind die Landwirtschaft und die Wirtschaft selbst gefordert, gerade in der Vermarktung alles zu tun, um Strukturen wettbewerbsfähiger zu gestalten. Deshalb haben auch weiterhin nachwachsende Rohstoffe bei uns höchste Priorität.
Das heißt: Wir wollen verläßliche Rahmenbedingungen, mit denen die Landwirtschaft vernünftig leben und ökologisch etwas leisten kann. Deshalb bitte ich Sie alle, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Unterstützen Sie diesen Agrarhaushalt im Interesse unserer Bäuerinnen und Bauern, im Interesse der ländlichen Räume, im Interesse einer gepflegten Kulturlandschaft!
Wir werden die Kulturlandschaft und die ländlichen Räume nur mit einer bäuerlichen Landwirtschaft erhalten können. Deswegen braucht die Landwirtschaft unsere volle Unterstützung. Die Landwirtschaft wird diese Aufgaben im Interesse der Gesellschaft, die sie über die Produktion hinaus leistet, nur erfüllen können, wenn sie dabei von uns auch im
Einzelplan 10 des Haushalts, im Haushalt des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, ausreichend unterstützt wird. Um diese Unterstützung darf ich sehr herzlich bitten.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Sielaff, SPD.
Herr Minister! Ihre positive Bewertung der Situation der Landwirtschaft wird von den Landwirten nicht geteilt.
Auch Sie waren beim Bauernverband und haben die Stimmung erlebt. Ich gehe davon aus, daß auch Ihre vielen Gespräche mit dem Deutschen Bauernverband in den letzten Wochen Ihnen dies vermittelt haben. Deswegen, glaube ich, ist diese positive Bewertung für viele in unserem Lande nicht nachvollziehbar.
Ich möchte eine zweite Vorbemerkung machen. Sie haben die notwendigen verbesserten Marktstrukturen angesprochen. Dafür sind auch wir. Wir haben Sie von dieser Stelle aus wiederholt aufgefordert, endlich konkrete Vorschläge auszuarbeiten, wie wir diese erreichen. Nur ist von Ihnen bisher nichts Konkretes gekommen. Sie halten hier Appelle, als wäre die Opposition für die konkrete Politik zuständig.
- Ich kann vieles unterstreichen. Was ich nicht unterstreichen kann, lieber Herr Hornung, werde ich gleich sagen.
Die Situation im ländlichen Raum spitzt sich zu. Die Probleme der Landwirtschaft wachsen enorm. Die Entwicklung in unseren ländlichen Regionen wird immer mehr eingeengt; teilweise steht sie sogar auf dem Spiel.
In diesen Tagen konnte man in den Presseverlautbarungen des Deutschen Bauernverbandes lesen:
Ländliche Räume dürfen nicht abgehängt werden - Privatisierung öffentlicher Dienste bringt Probleme fürs Land
Wir stimmen dem zu. Mit Besorgnis wird auch von uns die Diskussion über die Liberalisierung, Privatisierung und Dezentralisierung von Dienstleistungen, die bisher vornehmlich von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt wurden, beobachtet. Bekannte Beispiele hierfür sind die Entwicklungen im Bereich der Bahn, der Post, der Medien sowie im Verkehrswesen. Es ist zu befürchten, daß im Zuge dieser Entwicklungen der ländliche Raum immer mehr ins Hintertreffen gerät. Private Anbieter bisher öffentlicher Dienstleistungen werden sich vornehm-
Horst Sielaff
lich auf die gewinnträchtigen Ballungszentren stürzen. Hiervon haben Sie nicht gesprochen. Aber auch das gehört zu einer sinnvollen, zukunftsorientierten Agrarpolitik.
Wem es ernst ist mit der Sicherung der ländlichen Räume, der muß einer zukunftsweisenden Agrarpolitik neben ihren traditionellen Aufgaben, die Sie hier genannt haben, folgende zusätzliche Ziele zugrunde legen - ich nenne wichtige -:
Stabilisierung der Siedlungs- und Versorgungsstrukturen auch in abseitsliegenden ländlichen Räumen; Bewahrung der besonderen Lebensqualität auf dem Lande - an anderer Stelle haben auch Sie das angesprochen -; Sicherung landwirtschaftlicher Arbeitsplätze bei breiter Eigentumsstreuung - wir erkennen nichts, was da in Ihrem Ministerium geschähe -; Schonung der vorhandenen natürlichen Ressourcen wie Wald, Boden und Wasser.
Im Zusammenhang mit der Forderung nach regionaler Differenzierung der Strompreise ist die Solidargemeinschaft auch im Bereich der Versorgung mit Elektrizität zum Nachteil ländlicher Räume in Gefahr.
Es wird deutlich: Diese Bundesregierung hat bei ihrer Liberalisierungseuphorie kein Konzept für die Gesamtentwicklung ländlicher Räume.
Das für die vergangene Legislaturperiode angekündigte Konzept hat sie sträflicherweise sang- und klanglos untergehen lassen. Stellenabbau, Schließung und Verlagerung von Standorten der Bundesforschung des BML machen das deutlich. Die Entwicklung der Investitionsförderung in diesem Haushaltsentwurf ist besorgniserregend. Meine Kollegin Ilse Janz wird dazu Näheres sagen.
Trotz vorgetäuschter Konzepte, niedergelegt in „Der Künftige Weg - Agrarstandort Deutschland sichern" wird die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" nach dem Willen der Bundesregierung erneut gekürzt. Dieses Instrument, das die mangelhafte Wettbewerbsfähigkeit und in Teilen unzureichende Umweltverträglichkeit der landwirtschaftlichen Betriebe verbessern könnte, ist leider nicht der Schwerpunkt der Agrarpolitik dieser Bundesregierung. Die Gemeinschaftsaufgabe gehört sozusagen zur Manövriermasse, zum Stopfen von Löchern an anderen Stellen. Notwendige Beschäftigungsimpulse, gerade auch in strukturschwachen, ländlichen Räumen, bleiben auf der Strecke. 1996 bleiben gerade noch 13 % der im Haushaltsentwurf für die Gemeinschaftsaufgabe zur Verfügung gestellten Mittel für Neubewilligungen von beschäftigungswirksamen Investitionen übrig. 1995 waren es immerhin noch 30 %. Einige Flächenländer haben auf Grund der hohen Altverpflichtungen einen Neubewilligungsspielraum von 0 %. Betroffen davon ist besonders Bayern - und ich bin gespannt, Herr Kalb, wie Sie darauf eingehen -, wo, setzt man die einzelbetriebliche Investitionsförderung wie im Jahr 1995 ein, Eingriffe in die Ausgleichszulage unvermeidlich werden.
Die Bundesregierung ist die Gefangene ihrer verfehlten Politik. Sie wird von haushaltspolitischen Zwängen und nicht rechtzeitigem Überdenken ihrer bisherigen Politik getrieben. Trotz dieser sich schon lange abzeichnenden Entwicklung ist sie nicht bereit, ihre Förderpolitik auf den Prüfstand zu stellen und, falls erforderlich, neue Akzente zu setzen. Ich sage nicht: Streichung, sondern ich sage: neue Akzente zu setzen. Wir haben das erst kürzlich bei der Diskussion über die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage „Einzelbetriebliche Förderung als gezielte Agrarstrukturpolitik im geeinten Deutschland" feststellen müssen.
Die Bundesregierung ist nicht bereit, die Ausgleichszulage, die mit rund 1 Milliarde DM im Haushalt zu Buche steht, zu überprüfen. Sie ist nicht bereit, abzuwägen, ob im Interesse einer sparsamen, und zwar zielgerichteten Politik die öffentlichen Gelder noch effizienter zugunsten unserer Landwirtschaft und unserer ländlichen Räume eingesetzt werden können, natürlich unter Berücksichtigung inzwischen zusätzlich eingeführter, vor allem marktpolitischer Maßnahmen, z. B. aus der Agrarreform.
Es geht uns bei der Überprüfung - ich sage es ganz deutlich - nicht um die heimliche oder offene Abschaffung der Ausgleichszulage. Es geht uns darum, festzustellen, ob das Maßnahmenmix und damit die Mittelverwendung in der Gemeinschaftsaufgabe noch den Möglichkeiten und den Notwendigkeiten für unsere landwirtschaftlichen Betriebe in einem sich erweiternden EU-Binnenmarkt und in einem geeinten Deutschland entsprechen.
Eine ganz schlechte, eigentlich verantwortungslose Politik ist, wenn es die Bundesregierung durch ihr Nichtstun den Ländern überläßt - einige Zwischenrufe vorhin haben das bestätigt -, die Ausgleichszulage anzuknapsen, damit es, wie im Fall Bayern, überhaupt noch möglich ist, Investitionen in landwirtschaftlichen Betrieben 1996 zu bewilligen. Die Währungsturbulenzen der letzten Zeit haben deutlicher denn je uns allen gezeigt, daß die Verbesserung der Wettbewerbsstellung der Landwirtschaft gerade in den süddeutschen Regionen von größter Bedeutung ist.
Meine Damen und Herren, die Einkommensprognosen für die Landwirtschaft sind nicht positiv. Die Bundesregierung kann oder will die ungünstigen Vorhersagen des Deutschen Bauernverbandes nicht bestätigen oder korrigieren, wie wir einer Antwort auf eine Frage von uns in der Sommerpause entnehmen können.
Horst Sielaff
Erst vor zwei Tagen hat das Präsidium des Deutschen Bauernverbandes erneut festgestellt, daß die wirtschaftliche Situation der deutschen Bauern 2 Jahre nach Ihrem Amtsantritt, Herr Borchert, völlig unbefriedigend ist.
Demonstrationen sind für diesen Herbst geplant. Diese richten sich eindeutig gegen Ihre Agrarpolitik; denn nicht die Kreise und die Länder sind für den Preisverfall bei Rindfleisch und Milch verantwortlich, wie irrtümlich wohl Funktionäre des Deutschen Bauernverbandes glauben, sondern die Bundes- und EU-Politik.
Die 1984 von der Bundesregierung in die Garantiemengenregelung Milch gesetzten Hoffnungen bezüglich der Stabilisierung der Milchauszahlungspreise zur Einkommenssicherung werden täglich enttäuscht. Die Milcherzeugung ist vielfach nur über den Verzicht auf Lohnansprüche möglich. Der Rückgang der Milchviehbestände in den neuen Ländern ist auch darauf zurückzuführen.
Herr Kollege Sielaff, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber natürlich. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte sehr.
Herr Kollege Sielaff, nachdem Sie den Preisverfall bei Fleisch so drastisch dargestellt haben, möchte ich Sie fragen: Sind Sie mit mir ebenfalls der Auffassung, daß man vor Landtagswahlen in Hessen, in Nordrhein-Westfalen, auch über Bundesratsinitiativen, Angst im Volk schürt und daß der Fleischverbrauch in der Bundesrepublik Deutschland auch in Zusammenhang mit aus England stammenden Themen nicht gestiegen, sondern stark zurückgegangen ist? Ich frage weiter: Wo bleibt denn da die politische Verantwortung, wenn man Wahlkämpfe damit verbindet? Sie wissen, was ich meine.
Ich glaube, lieber Herr Schindler, daß eine Aufklärung über Gefahren notwendig ist. Ich würde das nicht leichtfertig mit Angstschürerei und ähnlichem in einen Topf werfen. Bei dem anderen Punkt gebe ich Ihnen recht. Natürlich haben die vielen Skandale um Tiertransporte, Kälber und BSE sowie die eventuelle Freigabe von Masthormonen für die Fleischerzeugung, aber auch die Auswirkungen der Produktionsausdehnungen als Ausweichaktionen für andere Produkte mit dazu beigetragen, daß der Fleischmarkt verfällt. Da gebe ich Ihnen recht. Ich wäre ja dankbar, wenn es uns gelänge, gemeinsam eine Aktion zu starten und gemeinsam nach Wegen zu suchen. Aber hier wird tatsächlich versucht, die Opposition mit Appellen einzufangen, aber es wird nichts Konkretes auf den Tisch gelegt, aus dem man ersehen könnte, wie wir das gemeinsam ändern könnten.
Meine Damen und Herren, für uns steht fest: Jede künftige Regelung für den Milchmarkt - Herr Borchert hat es angesprochen - muß folgende Dinge mitbedenken: Die Position der aktiven Milcherzeuger, der Bewirtschafter, muß gestärkt werden. Ich hoffe, darin stimmen wir überein. Zweitens muß sie dazu beitragen, eine flächendeckende Landbewirtschaftung zu ermöglichen. Die auf Milcherzeugung angewiesenen Standorte müssen auch weiterhin hierzu in der Lage sein. Es darf nicht dazu kommen, daß demnächst ganze Regionen ohne Milcherzeugung werden leben müssen.
- Ich habe von den Ausgleichszulagen gesprochen. Wenn hier dumme Bemerkungen gemacht werden - ich will das jetzt nicht wiederholen; ich glaube, Herr Carstensen war das; zumindest lächelt er so freundlich -,
dann sollte man überlegen, ob das für die Situation der Landwirte hilfreich ist, die um ihr Überleben kämpfen.
Auch ich bin der Auffassung, daß erforderliche Anpassungen sicher zuerst von der Wirtschaft in Angriff genommen werden müssen, auch im Bereich Rindfleisch. Der Bund jedoch hat bei der vorherrschenden oligopolistischen Situation die Aufgabe eines Moderators, die er bisher leider auch zum Nachteil der landwirtschaftlichen Erzeuger nicht wahrgenommen hat. Voraussetzung dafür, die Aufgabe des Moderators zu übernehmen, sind eben strukturpolitische Vorstellungen, die offensichtlich für diesen Bereich bei der Bundesregierung nicht vorhanden sind.
Die bestehenden Probleme bei Milch und Rindfleisch sind natürlich auch bedingt durch währungspolitische Einflüsse. Die Dollarschwäche hat bei unveränderten Exporterstattungen zu geringeren Drittlandexporten geführt. Die Verschiebungen innerhalb des Europäischen Währungssystems haben insbesondere Milch- und Rindfleischexporte aus dem süddeutschen Raum nach Italien beeinträchtigt.
Was liegt bei einer solchen Situation eigentlich näher, Herr Hornung, als die in Brüssel beschlossenen Ausgleichsmaßnahmen vorrangig den von den Währungsverschiebungen am stärksten betroffenen Produktionsbereichen zukommen zu lassen, so wie es auch andere bedeutsame Mittelstaaten machen wollen? Offensichtlich will die Bundesregierung jedoch auch hier den Weg des geringsten Widerstandes gehen, statt den struktur- und einkommenspolitischen Notwendigkeiten zu folgen. Also sollen die vorgesehenen Mittel, wie mehrfach schon in der Vergangenheit, nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden.
Horst Sielaff
Ich frage mich im übrigen schon, wie und wo die Bundesregierung die Mittel für die Ausgleichsmaßnahmen aufbringen will. Darüber hörten wir nichts, und auch im Haushaltsentwurf ist darüber nichts zu finden. Ein klärendes Wort dazu und über die Verteilungsabsichten sind bei der ersten Lesung des Haushalts 1996 mehr als angebracht.
Meine Damen und Herren, ich würde gerne einige Worte mehr zur Situation in den neuen Bundesländern sagen und ausführen, wie Sie die Altschuldenproblematik behandeln. Sie wollen nicht begreifen, wie leichtfertig Vermögen ostdeutscher Landwirte und die Beschäftigung in ländlichen Räumen aufs Spiel gesetzt wird. Wie soll ein landwirtschaftliches Unternehmen z. B. mit Wirtschaftsgebäuden Zinsen und Tilgung für Altkredite aufbringen, die unter völlig anderen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen entstanden, wenn diese Gebäude veraltet sind, im schlechten Zustand oder leer stehen, weil z. B. keine Milchquoten für die Auslastung zur Verfügung stehen oder weil die Produktionsstrukturen unter marktwirtschaftlichen Bedingungen völlig andere geworden sind?
Abschließend ein paar Bemerkungen zur Agrarsozialreform, die Sie, Herr Borchert, auch angesprochen haben. Wir haben im letzten Jahr gemeinsam die Alterssicherung der Landwirte reformiert. Durch die von uns vorgeschlagene Defizithaftung des Bundes sind die Renten der Bäuerinnen und Bauern gesichert, ohne daß die aktiven Landwirte unzumutbar hohe Beiträge zahlen müssen. Wir sind aber der Auffassung, daß gewisse Korrekturen, vor allem bei den versicherten Nebenerwerbslandwirten, möglich und notwendig sind. Die Zeit drängt. Die versicherten Bäuerinnen und Bauern brauchen Klarheit. Einige Wahlfristen laufen zum Jahresende aus.
Bis heute, Herr Borchert, liegt eben kein vollständiges, innerhalb der Koalition und der Bundesregierung abgestimmtes Konzept vor, das Grundlage von Konsensgesprächen sein könnte.
Bis heute liegen keine tragfähigen Abschätzungen über die Entwicklung der Zahl der Versicherten, die Ausgaben für Beitragszuschüsse usw. vor. Die Bundesregierung sieht sich auch auf Anfrage nicht in der Lage, die Entwicklung der Zahlen tendenziell einzuschätzen. Wird ein solches Konzept für die von Ihnen erneut auf die nächste Sitzungswoche verschobenen Konsensgespräche vorgelegt, werden wir natürlich versuchen, wiederum gemeinsam zu tragfähigen und verantwortbaren Lösungen zu kommen.
Um den wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Folgen im Wandel der Agrarstrukturen etwas entgegensetzen zu können bzw. diese abzufedern, ist ein sofortiger agrarpolitischer Kurswechsel nötig. Dabei ist mit Vorrang eine marktorientierte sowie nachhaltige, umweltverträgliche Landbewirtschaftung flächendeckend zu erhalten.
Zweieinhalb Jahre sind Sie, Herr Borchert, jetzt im Amt.
Sie haben heute wahrhaftig keine positive Bilanz vorlegen können, wie dieser Haushalt 1996 leider zeigt.
Das Wort hat jetzt der Kollege Susset, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Sielaff hat bemängelt, daß Bundesminister Borchert nicht zu allem etwas gesagt hat, und ist sogar so weit gegangen, hier mitzuteilen, daß die Opposition für konkrete Agrarpolitik zuständig sei.
Noch nicht einmal versprochen haben Sie konkrete Agrarpolitik, sonst hätte ich doch irgend etwas Konkretes zur Kenntnis nehmen können. Das war einfach nicht der Fall.
Zu dem, was zum Thema ländlicher Raum gesagt wurde, ist darauf hinzuweisen, daß wir alle Gelegenheit haben, zu sehen, wie unterschiedlich dies in den Bundesländern tatsächlich angegangen wird. Wir wissen, daß die Gemeinschaftsaufgabe, zu der diese Themen gehören, den Ländern großen Spielraum lassen.
Aus Zeitgründen kann ich nicht auf alles eingehen, aber es war doch bedauerlich, Herr Kollege Sielaff, daß von Ihnen kein Satz dazu gesagt wurde, daß es - wir haben jetzt 40 Jahre das Landwirtschaftsgesetz - eine Zumutung für die Landwirtschaft ist, daß sie jetzt auf Dauer mit hohen nationalen Kosten und niedrigen europäischen Preisen wirtschaften muß. Das ist das Problem, mit dem wir uns befassen müssen. Dies ist die Normalität, und zwar in der Europäischen Gemeinschaft seit 30 Jahren und jetzt in der Europäischen Union.
Wir wissen, daß die volle Integration nicht für die gesamte Wirtschaft gilt. Kürzlich wurde im Kabinett ein zu Recht gefordertes Entsendegesetz zum Schutz gegen billige Auslandskonkurrenz - bei Schweigen mancher Teile der Wirtschaft - verabschiedet; ein Gesetz, das wir unterstützen. Aber wo ist seitens der Opposition einmal ein Wort in Richtung Landwirtschaft gefallen, daß sie ihrerseits bereit ist, mit uns gemeinsam dafür zu kämpfen, daß wir auch in der Landwirtschaft Bleichgelagerte Wettbewerbsbedingungen bekommen?
Ich war heute früh bei der Debatte zum Einzelplan des Wirtschaftsministers hier. Dabei wurde das Thema Kohlesubventionen angesprochen. Sowohl vom Kollegen Fischer von den Grünen als auch aus
Egon Susset
den Reihen der SPD hieß es immer wieder: Die Landwirtschaft mit ihren 12 Milliarden DM Subventionen! Warum wurde dazu nichts gesagt? Daran wird deutlich, daß man nicht nur, wie Sie es jetzt, Herr Kollege Sielaff, getan haben, Bereitschaft bekunden darf, mehr zu tun, sondern daß es erforderlich ist, dies tatsächlich auch in der Fraktion entsprechend durchzusetzen.
Wenn immer der Vergleich zwischen Landwirtschaft und Kohle gebracht wird - besonders aus Ihren Reihen -, dann möchte ich doch einmal daran erinnern: 1955 betrug der Verbraucherpreis für Steinkohle pro Doppelzentner 11,86 DM. 1995 betrug er 68,80 DM, also sechsmal mehr. Bei Getreide waren wir 1955 bei rund 40 DM und sind jetzt bei 23,30 DM, also rund 40 % weniger. Und dann stellt man sich aus Ihrer Fraktion immer hin und vergleicht die Subventionen für die Landwirtschaft mit den Subventionen für den Bergbau. Das ist einfach unredlich. Die vielen tätigen Frauen, Männer und die jungen Leute, die in den landwirtschaftlichen Betrieben arbeiten, haben es nicht nötig, ständig als Subventionsempfänger dargestellt zu werden, obwohl wir genau wissen, warum es notwendig ist, die Landwirtschaft entsprechend zu unterstützen.
Ich möchte jetzt nicht auf den neuen Subventionsbericht der Bundesregierung eingehen, aber zwei Zahlen sind vielleicht doch interessant. Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei: 8 775 DM je Erwerbstätigen, Steinkohlebergbau 30 778 DM. Das nur, um klarzumachen, das es unredlich ist, die Landwirtschaft als Subventionsempfänger darzustellen.
Herr Kollege Susset, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Bitte, Herr Kollege Sielaff.
Herr Kollege Susset, würden Sie zugeben, daß diese Subventionspolitik in der Tat neu durchdacht werden muß, insbesondere auch im Interesse der einzelnen Landwirte, weil etwa 80 % - so sagen die Fachleute - dieser Subventionen den Landwirt überhaupt nicht erreichen,
sondern teilweise ganz andere bekommen? Insofern ist das, was Sie sagen, nicht ganz redlich, daß nämlich die Sozialdemokraten die Landwirte nicht unterstützen wollen.
Subventionspolitik heißt zunächst einmal, daß Mittel zur Verfügung gestellt werden, um den Ausgleich für die Wirtschaftszweige schaffen zu können, die heute mit Preisen am Markt bestehen müssen, die nur noch halb so hoch sind wie vor Jahren.
Hinsichtlich der Verteilung möchte ich nicht auf die sogenannten Fachleute eingehen, die Sie in Ihrer Frage angesprochen haben. Sie sagten, daß nur 80 % der Subventionen den Landwirt erreichten. Das ist Land- und Ernährungswirtschaft. Man muß den gesamten Bereich betrachten. Auch die Mittel für Getreide, die in Länder, die Hunger leiden, aber kein Geld haben, geliefert werden, werden als Mittel für die Landwirtschaft ausgewiesen. Ich glaube, das müssen wir so sehen. Zunächst aber müssen Mittel verfügbar sein.
Herr Kollege Susset, entschuldigen Sie: Es gibt zwei weitere Aspiranten, die eine Zwischenfrage stellen möchten. Gestatten Sie das? Das wird auf die Zeit nicht angerechnet.
Gut, dann habe ich viel Zeit.
Bitte schön, Herr Kollege Carstensen.
Herr Kollege Susset, können Sie vielleicht bestätigen, daß die Zahlen, die der Kollege Sielaff genannt hat, vor der Agrarreform vielleicht richtig gewesen sind? Sollte Herr Sielaff vielleicht ein bißchen mehr in seine Berichte gucken? Können Sie bestätigen, daß ein Teil der Subventionen, der vielleicht nicht direkt bei dem Landwirt ankommt, trotzdem dafür sorgt, daß den Verbrauchern Nahrungsmittel zu extrem niedrigen Preisen zur Verfügung gestellt werden?
Das kann ich hundertprozentig unterstützen. Es hat noch keine Zeit gegeben, in der die Landwirtschaft und die gesamte Ernährungswirtschaft in der Lage waren, die Verbraucher mit Nahrungsmitteln, die unter besten umweltfreundlichen Bedingungen erwirtschaftet wurden und preislich so günstig sind, zu versorgen.
Herr Kollege Susset, jetzt die Kollegin Höfken?
Ja, selbstverständlich. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte sehr.
Würden Sie uns zustimmen, Herr Kollege Susset, daß es besser wäre, auf die Ausgleichszahlungen und Subventionen zu verzichten, wenn es als Ausgleich dafür
Ulrike Höfken
kostendeckende und vernünftige Erzeugerpreise gäbe?
Selbstverständlich könnte ich dem zustimmen. Wenn wir das heute abend für die Europäische Union verbindlich beschließen könnten, dann wären, glaube ich, wieder mehr junge Leute bereit, einen landwirtschaftlichen Betrieb zu übernehmen. Sie machen sich doch heute nur deshalb Gedanken, ob sie einen landwirtschaftlichen Betrieb übernehmen sollen oder nicht, weil sie Sorge haben, daß es vielleicht einmal eine weniger landwirtschaftsfreundliche Regierung geben könnte, die nicht mehr bereit wäre, die entsprechende Unterstützung zu geben.
Meine Damen und Herren, unser Etat hat zwei Hauptblöcke, die der Minister schon darstellte: Sozialpolitik und Strukturpolitik. Mit 7,4 Milliarden DM sind immerhin 61 % im Sozialbereich gebunden. Das ist eine schwere Finanzlast. Sie ist aber gerechtfertigt, um den Strukturwandel in der Landwirtschaft sozialverträglich zu gestalten
und um das soziale Sicherungsnetz für die in der Landwirtschaft Tätigen auch in Zukunft stabil zu halten.
- Ich habe das nicht kritisiert. Sie haben ein schlechtes Gewissen, Herr Kollege Sielaff.
Die Agrarsozialreform 1995 hat die soziale Sicherung für Landwirte, auch für deren Ehefrauen und Familienangehörigen, auf eine stabile Basis gestellt und auf die Zukunft ausgerichtet. Wir sind dem Finanzminister, dem Sozialminister und dem Landwirtschaftsminister dankbar, daß sie ihrerseits ihre Bereitschaft erklärt haben, daß künftig die Defizithaftung gilt. Ich glaube, das können wir nicht oft genug zum Ausdruck bringen.
Der Kollege Sielaff hat kritisiert, daß wir mit dem, was in der Agrarsozialreform 1995 geändert werden muß, noch nicht weiter vorangekommen seien. Ich weiß, daß gestern mit dem für Ihre Fraktion zuständigen Kollegen Schreiner ein Gespräch stattgefunden hat.
Wir haben dieses Thema heute innerhalb der Koalition beraten. Wir werden, so wie es jetzt aussieht, in der nächsten Sitzungswoche das vorstellen, was an Änderungen notwendig ist. Ich wünsche mir, daß wir dann auch die entsprechende Zustimmung
finden, wie es auch beim letzten Mal nach langer Diskussion der Fall war.
Eine herausragende Bedeutung für die Zukunft der Landwirtschaft hat der Ausgabenblock Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes"; denn diese Gemeinschaftsaufgabe trägt vor allem mit den Instrumenten der einzelbetrieblichen Förderung, der Investitionsförderungen und der Ausgleichszulagen wesentlich dazu bei, einerseits die Leistungsfähigkeit der Betriebe zu steigern, aber andererseits die Landwirtschaft auch in benachteiligten Gebieten zu erhalten.
Landbewirtschaftung in der Fläche und die integrale Entwicklung des ländlichen Raumes haben einen hohen, manchmal unterschätzten Stellenwert. Sie bedingen einander. Deshalb ist eine intakte Landwirtschaft unverzichtbar; Kollege Sielaff hat es bereits angesprochen. Sie ist auch zum Schaffen vieler außerlandwirtschaftlicher Arbeitsplätze unverzichtbar.
Das wird nämlich sehr oft nicht entsprechend gewürdigt.
- Wir haben im letzten Jahr aufgestockt. Wir sollten jetzt sehen, was wir in den letzten Jahren an Mitteln hatten und was wir jetzt verfügbar haben.
Ich meine, daß diese Mittel notwendig sind. Ich bin fest davon überzeugt, daß auch Sie bei den Beratungen sowohl im Haushaltsausschuß als auch im Fachausschuß sicherlich Ihre Bemerkungen und Ihre Anregungen einbringen werden.
Wir werden darüber diskutieren. Das sind einfach
Mittel, die zur Stabilisierung der Betriebe und zur
Stabilisierung der ländlichen Räume notwendig sind.
Von Herrn Kollegen Sielaff ist auch das Thema Markt angesprochen worden. Wir sind mit ihm der Meinung, daß die Probleme auf dem Milch- und Rindfleischmarkt im wesentlichen durch Beschlüsse der EU-Kommission entstanden sind. Ich denke an Behinderungen beim Export. Wenn man im Moment Getreide zu Weltmarktpreisen verkaufen könnte, ohne daß man eine Mark aus der europäischen Kasse dazugeben müßte, muß man sich doch fragen, warum das nicht getan wird.
Wir möchten unserem Landwirtschaftsminister dafür danken, daß er es in Brüssel geschafft hat, die Aufwertungsfestigkeit durchzusetzen. In der Frage der nationalen Mittel für den Ausgleich der aus der Aufwertung entstandenen Einkommensverluste der Landwirtschaft unterstützen wir nach wie vor unseren Minister.
Egon Susset
Ich wollte gerade den Finanzminister, der in der Zwischenzeit gegangen ist, ansprechen und ihm sagen, daß wir seine Unterstützung erwarten. Die Staatssekretärin Karwatzki wird es Theo Waigel sagen.
Ich glaube, auch der Bundeskanzler wird uns in Europa unterstützen, damit wir die Mehrwertsteuer als die beste Möglichkeit zum Ausgleich der Verluste dort, wo sie entstanden sind, einsetzen können.
Ich hoffe auch auf Ihre Unterstützung. Die Unterstützung der beiden Koalitionsfraktionen und des gesamten Kabinetts haben wir. Ich wünsche uns allen dabei Erfolg.
Ich danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Höfken, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Es war eine sehr widersprüchliche Rede, Herr Susset. Sie haben am Anfang ganz zu Recht auf das Landwirtschaftsgesetz verwiesen. Wir haben ein Jubiläum zu feiern. Dieses Gesetz verpflichtet die Bundesregierung zu etwas. Man muß feststellen, daß die Bundesregierung seit 40 Jahren gesetzwidrig handelt, indem sie das nicht tut, was das Gesetz eigentlich vorschreibt, nämlich die Einkommen in der Landwirtschaft ausreichend, angemessen zu sichern. Daß das nicht der Fall ist, darüber besteht wohl Einigkeit.
Wie kaum in einem anderer Bereich dokumentiert die Situation der Landwirtschaft, auf welch wackligen Füßen die Wirtschaft unseres Landes steht. Ursache ist eine rückwärtsorientierte Politik der Bundesregierung. Der Zusammenbruch in der Landwirtschaft läßt sich kaum mehr verkleistern.
Die weiterhin staatlich dirigierten Niedrigpreise für Lebensmittel sichern die niedrige Inflationsrate, die sich unser jetzt gegangener Herr Minister Waigel auf die Fahnen schreibt, und zwar ganz zu Unrecht. Er kann sie nur auf Kosten der Landwirtschaft, der Umwelt und der Verbraucherinnen und Verbraucher erreichen. Es ist eine für uns teuer erkaufte niedrige Inflationsrate. Wenn man sie so rühmt, sollte man hinzufügen, was man dafür geopfert hat.
Die staatliche Subventions- oder Ausgleichspolitik ist ein Hohn. Allenfalls Pohlmann-Eier können unter solchen Bedingungen erzeugt werden, aber bäuerliche und umweltgerechte Landwirtschaft in Ost und West haben unter diesen Bedingungen keine Perspektive.
In Rheinland-Pfalz geben jeden Tag vier Betriebe auf, und 16prozentige Verluste für die Getreidebauern sind zu verzeichnen. Das liegt nicht nur an unserem Landwirtschaftsminister Brüderle oder an der
SPD-Landesregierung - Herr Sielaff läuft schnell weg -,
sondern selbstverständlich auch an den Rahmenbedingungen, die von Bundesregierung und EU gesetzt werden.
Herr Kohl hat in seiner Rede gesagt, gejammert habe man jahrelang, und die Bundesregierung habe es gerichtet. Wir warten einmal darauf, was sie denn hier tun will. Viel Zeit hat sie nicht mehr. Keine alten Ladenhüter, hat er gesagt, keine Tabus. Genau hier wäre ein Ansatzpunkt in der Agrarpolitik, um mit den alten Tabus endlich einmal aufzuräumen, d. h. weg mit den Subventionen und hin zu kostendeckenden Preisen für eine Landwirtschaft, die sich dann auch wirklich wieder lohnt.
In der Agrarpolitik demonstriert die Bundesregierung genau das Gegenteil von dem, was Kanzler Kohl als Zielsetzung verkündet hat, gerade auch was den Leistungswillen, der doch belohnt werden soll, betrifft: 70-Stunden-Woche, und damit erreicht man gerade 60 % des gewerblichen Vergleichslohns. Geld verdient man als Vater von Steffi Graf und nicht mit der Produktion von Käse, sondern mit den „Käseschachteln".
Die Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft soll nach bewährter Art der Bundesregierung jetzt offensichtlich auch noch durch eine Art Arbeitslagerfunktion und Sozialhilfeempfänger-Aufsichtsanstalt gestärkt werden. Arbeitslose als Erntehelfer. Kanzler Kohl im Weinberg 1998 ist wahrscheinlich die Vision, die er dabei hat, denn arbeitswillig ist er bestimmt.
Aber Sie können sich selber ausdenken, was das für den Betrieb bedeuten würde. Vermutlich würde er an den „Marktwert" eines polnischen Erntehelfers nicht herankommen, aber wahrscheinlich erreichen, daß das Betriebsergebnis entsprechend gesenkt würde.
Wir fordern die Bundesregierung auf, diesen zynischen Vorschlag zurückzunehmen. Die Arbeitgeber wollen ihn nicht, die Arbeitnehmer wollen ihn nicht, auch die Arbeitslosen wollen ihn nicht. Die Landwirtschaft muß in die Lage versetzt werden, die Arbeit wieder zu bezahlen und Arbeitnehmer aufzunehmen, die dann tatsächlich im ersten Arbeitsmarkt bleiben können, einen gerechten und vernünftigen Lohn erhalten und nicht in irgendeiner Hinsicht ausgebeutet werden, sei es als Asylbewerber, sei es als polnischer Erntehelfer, als Arbeitslosenhilfeempfänger oder als regulärer Mitarbeiter.
Ulrike Höfken
Hebel dafür ist die Förderung des Aufbaus regionaler Vermarktung und Verarbeitung. Statt einer Ausrichtung an einem globalen Wettbewerb um die Hamburger-Produktion ist es notwendig, in diesem Bereich sehr viel stärker tätig zu werden.
Problematisch - Herr Sielaff hat es erwähnt - ist einmal wieder die Kürzung der Mittel der Gemeinschaftsaufgabe. An dieser Stelle ist einmal zu kritisieren: Die Gemeinschaftsaufgabe ist eine Black box. Weder die Bundesparlamentarier noch die Landesparlamentarier haben auf die Gestaltung einen tatsächlichen Einfluß, und unter der Ausrichtung versteht jeder, was er will. Das ist eigentlich eine Zumutung in diesem Haushaltsplan.
Ein struktureller Mißgriff ist nicht nur die Kürzung der GA, sondern auch die Förderung von nachwachsenden Rohstoffen. Es genügt nicht, Nahrungsmittel einfach umzudefinieren, sondern es gehört ein Konzept dazu. Statt dessen wird immer weiter und immer länger die Subvention von Biodiesel gefördert. Ein neuer Subventionstopf wird geschaffen. Statt nur auf Rapsmethylester und Biomasse zu setzen, wäre es viel nötiger gewesen, den Dämmstoffbereich stärker in die Förderung einzubeziehen. Hier gibt es neue Chancen für den Arbeitsmarkt in den Regionen, und zwar im Baugewerbe und für die Landwirtschaft.
Wir möchten im Rahmen des Haushaltsplanes darauf abzielen, die Gasölbeihilfe nicht weiter in dieser Form zu verwenden, sondern für die Förderung umweltgerechten Einsatzes von Schmierstoffen und Treibstoffen auf der Basis pflanzlicher Öle zur Verwendung in der Land- und Forstwirtschaft sowie in der Schiffahrt zu verwenden. Da würde man einen strukturellen Effekt erzielen und der Umwelt und der Landwirtschaft dienen. So soll das in Zukunft ja auch sein.
Auch bei der Neuordnung der Bundesanstalten gibt es kein Konzept. Ich schließe mich hierbei der SPD an.
Ganz zum Schluß will ich sagen: Die Düngemittelverordnung, die Sie vorgelegt haben, ist genau das, was wir nicht haben wollen. Sie ist ein Affront gegen die Umweltpolitik und führt zu einer unglaublichen Bürokratisierung. Auf diese Art und Weise wird eine umweltschädigende Politik weiter festgeschrieben.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen Koppelin.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will nur eine Bernerkung zu der Rede meiner Vorrednerin, Frau Höfken, vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN machen. Liebe Kollegin, viele Punkte haben mich gestört, aber ein Punkt stört mich besonders, wenn Sie nämlich erneut
- ich glaube, das ist auch bei den Haushaltsberatungen 1995 von Ihnen gekommen - bei der Landwirtschaft von Subventionen sprechen.
Ich denke, wir tun der Landwirtschaft und uns allen keinen Gefallen, wenn wir in diesem Bereich von Subventionen sprechen. Wir wollen für die Landwirtschaft etwas erreichen. Dazu brauchen wir die entsprechenden Mittel. Sie kennen die Schwierigkeiten in der Landwirtschaft. Sie sollten einmal darüber nachdenken, ob Sie in der Diskussion in diesem Bereich weiter mit dem Begriff Subvention arbeiten.
Die Haushaltseinsparungen haben natürlich auch vor dem Einzelplan 10 nicht haltgemacht. Das mag man bedauern, aber mein Kollege Günther Bredehorn hat hier in einer früheren Diskussion schon einmal gesagt: Sparzwänge können auch etwas Positives haben, sie zwingen zur Prioritätensetzung.
- Zu Ihnen komme ich nachher noch. - Das gilt, meine ich, für diesen Haushalt natürlich erst recht.
Nach Auffassung der F.D.P.-Fraktion ist d i e Herausforderung in der Agrarpolitik die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft. Die F.D.P. plädiert daher für eine stärkere Gewerbe- und Dienstleistungsorientierung des landwirtschaftlichen Unternehmertums. So manches, was in diesem Bereich in der Vergangenheit geschehen ist, kann sich sehen lassen. Ich nenne hier nur ein Beispiel: Erfolgreiche Schritte sind in der Steigerung des Direktabsatzes landwirtschaftlicher Produkte gemacht worden. Hierauf werden wir - auch beim Haushalt - weiterhin unser Augenmerk halten, damit Möglichkeiten bestehenbleiben. Wir müssen also weitere Chancen eröffnen.
Der Landwirt als Dienstleister im ländlichen Raum, das muß Ziel unserer Agrarpolitik sein. Deshalb gilt unser uneingeschränktes Ja den Strukturverbesserungen. Wir würden es bedauern, wenn es auf Grund der schwierigen Haushaltssituation hier Rückschläge geben müßte.
Nun, Herr Sielaff, komme ich zu Ihnen. Sie kommen aus Rheinland-Pfalz; ich habe noch einmal nachgeschaut. Ich wäre an Ihrer Stelle etwas vorsichtig, wenn Sie etwas zum Thema Küstenschutz sagen. Die Norddeutschen kennen sich da, glaube ich, ganz gut aus.
- Doch, doch.
Jürgen Koppelin
Gerade als norddeutscher Abgeordneter liegt mir natürlich sehr daran, daß wir unsere Anstrengungen beim Küstenschutz nicht herunterfahren. Ich erwarte allerdings von den zuständigen Länderministern - hier sind es in erster Linie die sozialdemokratischen Umweltminister der norddeutschen Länder -, daß sie die gesetzlichen Auflagen beim Küstenschutz nicht so hoch ansetzen, daß die vorgesehenen Mittel ihren Zweck überhaupt nicht erfüllen können.
Wir Freien Demokraten meinen, daß die überzogenen Umweltanforderungen beim Küstenschutz in den norddeutschen Ländern inzwischen völlig unakzeptabel geworden sind. Die Effizienz der Hilfestellung ist damit nicht mehr gesichert.
Ich lade Sie sehr herzlich ein, nach Niedersachsen, nach Hamburg und nach Schleswig-Holstein zu kommen. Kollege Kuhlwein kommt ja nie an die Küste, sondern bleibt immer im Hamburger Umland. Deswegen hat auch er davon keine Ahnung.
Meine Damen und Herren, in der Agrarsozialpolitik - sie ist hier angesprochen worden - sind in der Vergangenheit die entscheidenden Weichen gestellt worden. Das Agrarsozialreformgesetz ist bei den Betroffenen überwiegend positiv aufgenommen worden. Es gibt jedoch auch - das wissen wir - Kritik. Was mich in Ihrem Beitrag von Ihrer Seite gestört hat, ist, daß Sie nur Kritik üben, daß Sie völlig unterschlagen, wie wichtig es war, bei der Agrarsozialreform zu erreichen, daß 230 000 Bäuerinnen endlich eine eigene Alterssicherung und Schutz vor Erwerbsunfähigkeit erhalten. Das ist doch der positive Aspekt, um nicht immer nur Kritik zu üben. Wir sind bereit, über Korrekturen zu sprechen. Wir nehmen die Argumente auf. Wir sind im Gespräch, und ich biete Ihnen von seiten der F.D.P. an - unsere Agrarpolitiker Bredehorn und Heinrich sitzen auch hier -, das Gespräch über dieses Thema zu führen und gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen. Das Entscheidende ist, daß wir Verbesserungen erreicht haben.
Den nachwachsenden Rohstoffen gilt unser besonderes Interesse. Der Anbau kann zukunftsweisend sein. Die Mittel, die wir den Landwirten zur Verfügung stellen, sind ein wichtiger Beitrag für die Umwelt. Wir sollten uns allerdings, meine ich, genau ansehen, ob die Mittel, die wir hier zur Verfügung stellen, auch immer effektiv eingesetzt werden.
Ich möchte diese kurze Debatte jedoch gerne nutzen, um eine Bemerkung zum Bereich der Seefischerei zu machen. Dieses Thema ist bisher noch nicht erwähnt worden, aber vielleicht kommt die Kollegin Janz gleich noch dazu.
Auch wenn wir für die vorübergehende Stilllegung von Flottenkapazitäten und für die endgültige Stillegung von Kuttern Mittel zur Verfügung stellen, so bleibt doch ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen Flottenkapazität und Fangmöglichkeiten bestehen. Das Problem hat sich zwischenzeitlich wegen des weiteren Rückgangs wichtiger Nutzfischbestände sogar noch verschärft. Viele Angehörige der Seefischerei haben das Gefühl, sie haben keine Zukunft mehr. Wir sollten und müssen versuchen, diese Branche im Rahmen unserer Möglichkeiten und auch im Rahmen der Haushaltsdebatte zu unterstützen und ihnen neue Chancen geben. Das ist eine ganz wichtige Aufgabe, der wir uns annehmen.
Ich glaube, der Vorsitzende des Agrarausschusses hat sich dieser Aufgabe auch besonders angenommen. Dafür will ich ihm an dieser Stelle einmal ausdrücklich danken.
Die Seefischerei gibt mir noch ein weiteres Stichwort. Bei dem folgenden Punkt stehen wir als F.D.P. wahrscheinlich alleine, aber ich hoffe auf Unterstützung aus der Union.
- Herr Kollege, ich wollte den Minister einmal direkt ansprechen, weil jetzt ein Punkt kommt, der uns als F.D.P. sehr wichtig ist.
Herr Minister, wir freien Demokraten werden bei den Haushaltsberatungen diesmal wirklich verlangen, daß wir dazu kommen, die Privatisierung des Fischereiforschungsschiffes Walther Herwig zu erreichen. Ich könnte Ihnen Beispiele aus anderen Bereichen nennen, in denen wir Forschungsschiffe mit großem Erfolg privatisiert haben. Ich bitte auch die Union, sich mit der Sache näher zu beschäftigen und sich die Zahlen anzusehen. Ich glaube, daß wir durch die Privatisierung Mittel im Agrarhaushalt freimachen können für andere Aufgaben.
Herr Minister, Sie haben uns in diesen Tagen einen Entwurf für ein neues Konzept der Bundesforschungsanstalt zugeleitet. Ich will in der Haushaltsdebatte nur einige allgemeine Bemerkungen machen. Grundsätzlich halten wir es für richtig, daß Sie dieses Konzept vorgelegt haben und daß eine Überprüfung unserer gesamten Forschungsaktivitäten im Bereich des BML stattfindet. Natürlich muß auch geprüft werden, inwieweit Forschungsaufgaben in der Zukunft wegfallen können.
Sie haben also unsere Zustimmung, daß ein solcher Entwurf notwendig war und auf den Tisch gelegt werden mußte. Ich will jedoch nicht verhehlen, daß man nach erster Durchsicht den Eindruck hat, daß mit heißer Nadel etwas zusammengestrickt worden ist.
Wir Freien Demokraten sagen allen Betroffenen zu, daß wir mit ihnen die Gespräche führen, daß wir ihre Argumente anhören und daß wir uns dafür einsetzen, daß soziale Härten vermieden werden. Das
Jürgen Koppelin
letzte Wort soll darüber also noch nicht gesprochen sein. Wir werden in die Diskussion eintreten.
Eine letzte etwas kritische Bemerkung, Herr Minister.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Borchert?
Da es ein sehr netter Abgeordneter ist, gerne.
Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Kollege. Herr Kollege, stimmen Sie mir zu, daß Gespräche über das Konzept der Ressortforschung dann sinnvoll sind, wenn das jetzige Arbeitspapier mit den Instituten besprochen worden ist und wenn aus dem Arbeitspapier nach der weiteren Diskussion dann eine Vorlage des Ministeriums geworden ist? Im Augenblick handelt es sich nur um ein Arbeitspapier und um einen ersten Entwurf, der mit den einzelnen Instituten noch abgestimmt werden muß.
In dem Punkt stimme ich Ihnen zu, Herr Abgeordneter. Ich meine nur: Wir bekommen in diesen Tagen viele Briefe. Ich könnte Ihnen Beispiele aus Schleswig-Holstein nennen. In Ahrensburg soll z. B. alles dichtgemacht werden. Ich kann etwas zu Kiel sagen und zu anderen Städten. Wir bekommen die Briefe, und so müssen wir natürlich irgendwie reagieren. Ich kann nicht sagen, irgendwann werden wir das und das machen. Die betroffenen Leute möchten wissen, was weiter passiert und welche Diskussion im Parlament geführt wird. Deswegen habe ich dieses Angebot gemacht.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Carstensen?
Da auch das ein netter Kollege ist, gerne.
Ich bedanke mich für das Lob, Herr Kollege. Ich frage auch nur bei netten Kollegen, wenn ich das nebenbei anfügen darf.
Herr Kollege Koppelin, stimmen Sie mir zu, daß es aber trotzdem eine grundsätzliche Notwendigkeit gibt, diese zerstreute Bundesforschung mit 3 500 Beschäftigten einmal auf den Prüfstand zu stellen, und stimmen Sie mir auch zu, daß es manchmal notwendig ist, auch einmal zu fragen, ob wir uns das leisten können, daß einige Bereiche der Bundesforschung in Gebäuden auf Flächen sind, wo Grundstückspreise, ich sage mal: zwischen 3 000 DM und 4 000 DM pro
Quadratmeter erzielt werden können? Kann man sich das leisten? Ist es nicht notwendig, hier wirklich einmal eine Neuordnung der gesamten Forschung zu überlegen?
Herr Kollege, ich stimme Ihnen nicht nur zu - ich habe das vorhin ja auch angesprochen -, sondern ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Wenn ich mir ansehe, daß wir in einigen Bereichen sogar Mittel zur Verfügung stellen müssen, um vielleicht Gebäude zu erhalten und all diese Dinge zu finanzieren - ich sehe ja, was im Haushaltsplan steht -, dann muß man sich natürlich jedesmal fragen: Sind diese Mittel wirklich notwendig? Wir werden darüber in eine Diskussion eintreten.
Mir ging es darum - das will ich noch einmal deutlich machen -, daß wir, wenn wir so viele Briefe von den Betroffenen bekommen, zügig reagieren, damit die Betroffenen wissen, woran sie sind, und daß wir nicht erst lange darüber diskutieren. Damit würden wir den Betroffenen nicht gerecht werden. Wir werden demnächst in Bonn ein Treffen mit den Betroffenen haben. Dazu ist, glaube ich, von einer Gewerkschaft eingeladen worden. Ich will das ausdrücklich begrüßen. Wir sind zur Diskussion - das biete ich noch einmal an - bereit.
Herr Kollege, noch ein netter Kollege möchte eine Zwischenfrage stellen, nämlich der Kollege Struck.
Das „nett" verkneife ich mir; aber ich sage ja.
Herr Kollege Koppeln, wären Sie so nett, dem Kollegen Borchert, der Ihnen eben eine Zwischenfrage gestellt hat, noch einmal die Gelegenheit zu einer Zwischenfrage zu geben, in der er die Frage beantwortet, wann denn wohl mit einem aus dem Ministerium vorliegenden Konzept zu rechnen ist, auch angesichts der Umstände, die Sie gerade genannt haben, nämlich der Unsicherheit bei den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?
Ich bin erstaunt, Herr Kollege, über diese Frage gerade eines Geschäftsführers der Sozialdemokraten, weil nach meiner Kenntnis Fragen in dieser Form nicht zulässig sind. Aber das muß die Frau Präsidentin entscheiden. Dann werde ich das gerne machen.
Ich würde sagen, daß Fragen in dieser Form erst nach Mitternacht zulässig sind.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Jürgen Koppelin
Das alles ist mir ja nicht von meiner Redezeit abgezogen worden, so daß ich jetzt noch zu einem wichtigen Bereich kommen kann.
Herr Kollege Borchert, Sie dürfen fragen. Der Kollege hat sein Einverständnis erteilt.
Herr Kollege Koppelin, Sie haben das Forschungskonzept angesprochen. Stimmen Sie mir zu, daß die Rahmenbedingungen für die Ressortforschung mit dem Haushalt 1996 festgelegt werden? Dies bedeutet, daß wir dieses Konzept natürlich, bevor der Haushalt 1996 in Kraft tritt, bei den Haushaltsberatungen im Agrarausschuß und im Haushaltsausschuß diskutieren müssen und einen Rahmen für die weitere Entwicklung der Ressortforschung festlegen müssen.
Ich stimme Ihnen nicht nur zu, sondern ich bin sogar der Auffassung, Herr Abgeordneter, daß der betreffende Minister für dieses Ressort ein offenes Ohr für alle Anregungen hat, die von den Betroffenen kommen werden.
Nun muß ich doch noch einmal den Minister und nicht mehr den Abgeordneten ansprechen. Herr Minister, da muß ich schon sagen: Nicht nur ich, sondern auch meine Fraktion war in diesen Tagen sehr erstaunt über eire Aktion, die Sie - zwar nicht als Minister, sondern nach meinem Eindruck für die CDU - gestartet haben. Es kam plötzlich die Forderung von Ihnen, der Tierschutzgedanke sollte Aufnahme in die Verträge über die Europäische Union finden - eine durchaus löbliche Angelegenheit. Ich sage Ihnen allerdings in aller Deutlichkeit: So löblich das Ganze ist, wir Freien Demokraten hätten erwartet, daß Sie, allerdings auch Ihre Fraktion, unseren Anträgen damals zugestimmt hätten, als wir, und zwar nicht nur wir Freien Demokraten, sondern auch andere, die Anträge zur Änderung des Grundgesetzes gestellt haben.
Ich finde es sehr einfach und billig, das für Europa zu fordern, aber nicht vor der eigenen Tür zu kehren.
Herr Minister, wir fordern Sie auf, eine entsprechende Novelle zum Tierschutzgesetz in den Bundestag einzubringen. Lieber wäre es uns, wir könnten uns im nachhinein noch über eine entsprechende Grundgesetzänderung einig werden. Wir wären dazu bereit. Also bewegen Sie Ihren Laden etwas, damit das nicht nur den Beigeschmack einer Wahlkampfaktion hat.
Das mußte ich doch noch loswerden. Ich könnte jetzt noch einiges zum Dank sagen.
Nein, Herr Kollege, jetzt geht das leider nicht mehr. Jetzt ist die Zeit zu Ende, obwohl ich die Uhr zwischendurch immer gestoppt habe.
Dann komme ich zum Schluß, Frau Präsidentin.
Die Landwirtschaft befindet sich inmitten eines schwierigen Anpassungsprozesses. Der vorgelegte Haushaltsentwurf trägt dem durchaus in vielen Bereichen Rechnung. Lassen Sie uns gemeinsam, egal, wo wir politisch stehen, zusammen mit dem Minister Borchert bei den Haushaltsberatungen das Beste für unsere Landwirtschaft erreichen und herausholen. Wir Freien Demokraten sind dazu bereit.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Maleuda.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bundesfinanzminister Dr. Waigel hat vorgestern an dieser Stelle eine sehr zutreffende Wertung vorgenommen,
indem er feststellte, die Landwirtschaft befinde sich in einer schwierigen Situation. Am gleichen Tage sprach das Präsidium des Deutschen Bauernverbandes von der „völlig unbefriedigenden wirtschaftlichen Situation" der deutschen Bauern. Der Verlauf der bisherigen Debatte bestätigte zwingend die Notwendigkeit, daß wir in der weiteren Diskussion um den Agraretat vor allem die Ursachen für diese Situation aus finanzpolitischer Sicht bewerten. Auch wird zu beantworten sein, wie mit dem Haushaltsplan 1996 diese Probleme differenziert gelöst werden sollen.
Die wesentlichen Änderungen im Einzelplan 10, sprich Kürzungen um 474 Millionen DM, resultieren aus dem Wegfall des Einkommensausgleichs von 470 Millionen DM, der, wie das Bundesministerium der Finanzen begründet, „ 1995 ausgelaufen" ist. Man muß sich überhaupt wundern, über welche Begründungstalente das Ministerium verfügt. Im Einzelplan 10 erfolgen keine Streichungen, sondern „die Ausgaben 1996 werden um 465 Millionen DM gegenüber 1995 zurückgeführt". Und statt „Streichungen bei der Gemeinschaftsaufgabe ,Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes' in Höhe von 106 Millionen DM" klingt doch viel besser, wenn man sagt, der „vorgesehene Bundesanteil wird auf 2 614 Millionen DM begrenzt".
Bezüglich der übrigen Positionen des Agrarhaushaltes scheinen die Zeit und die Kraft nicht gereicht zu haben, sie gründlich zu überdenken. Dabei wäre es doch dringend notwendig gewesen, aus den agrarpolitischen Ereignissen der zurückliegenden
Dr. Günther Maleuda
fünf Monate seit der Beschlußfassung zum Agrarplan 1995 Konsequenzen zu ziehen. Ich erlaube mir, auf einige der Konsequenzen und Erwartungen - aus Zeitgründen zusammengefaßt - hinzuweisen.
Erstens. Die Währungsturbulenzen in der EU haben den Landwirten bekanntlich Verluste von mehreren 100 Millionen DM gebracht. Noch immer ist aber unklar, in welcher Höhe und auf welche Weise sie dafür entschädigt werden sollen.
Zweitens. Die ab dem 1. Juli wirksamen GATTVerträge werden den Druck auf die Preise verstärken und die Existenzsorgen der Bauern weiter erhöhen. Im Haushaltsentwurf ist darauf keine Antwort zu finden.
Drittens. Die Probleme auf dem Milchmarkt sind nicht gelöst, und trotz steigender Weltmarktpreise bei Getreide steht der Getreidepreis in der Bundesrepublik unter großem Druck.
Viertens. Die rückläufige Eigenversorgung bei Fleisch und die katastrophale Lage beim Tierbesatz besonders in Ostdeutschland erschweren den Bauern die Erwirtschaftung eines angemessenen Einkommens.
Fünftens. Die Agrarstrukturen in Ostdeutschland werden mit dem Beginn der Privatisierung des Bodenreformlandes durch die BWG destabilisiert statt gefestigt.
- Aber damit ist zu rechnen. - Die ungelöste Altschuldenfrage und der Zwang zum Verkauf des nicht betriebsnotwendigen Vermögens schweben wie ein Damoklesschwert über Unternehmen.
Schließlich ist nicht zu übersehen, daß der diesjährige Witterungsverlauf der Landwirtschaft bei einer Reihe von Produkten, so z. B. bei Kartoffeln, erhebliche Ertragsausfälle brachte, die landwirtschaftliche Unternehmen stark belasten.
Mit einer Politik „Weiter so", „Der Markt wird es schon richten" und mit dem von der Regierung verordneten Sparkurs lassen sich die vielfältigen anstehenden Probleme der Landwirtschaft, auf die Bauernverbände bereits hingewiesen haben, nicht im Interesse der Bauern lösen.
Abschließend möchte ich den Gedanken unterstreichen, der bereits zu den Fragen der Forschung geäußert wurde. Es geht ja offensichtlich um etwa 1 300 Personalstellen und um die Tatsache, daß Forschungseinrichtungen geschlossen werden sollen. Insofern halten wir die Einsprüche und Forderungen aus Forschungseinrichtungen wie Westerau, Pillnitz und Merbitz für sehr berechtigt.
In den weiteren Haushaltsberatungen erwarten wir besonders auch im Agrarausschuß von der Bundesregierung eine angemessene haushaltspolitische Antwort auf die aktuellen und zukünftigen Probleme der Landwirtschaft. Wir werden dazu unsere Vorschläge mit einbringen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt Kollege Max Straubinger.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin schon etwas überrascht, daß Herr Sielaff sich um die bayerische Agrarpolitik und die bayerischen Bauern kümmert, aber ich möchte dann auch vermerken, daß es kein Bundesland gibt, das so viel Geld für die Bauern ausgibt, wie dies in Bayern passiert, und daß sich vor allen Dingen die niedersächsischen Bauern, vor allem die Schweinemäster, den Beistand der Bayerischen Staatsregierung gewünscht hätten, als es um die Bewältigung der Schweinepest in Niedersachsen ging. In dieser Situation hat die niedersächsische Landesregierung in Mittelmäßigkeit die Bauern im Regen stehen lassen.
Werte Damen und Herren! Unsere heimische Landwirtschaft versorgt uns mit gesunden und hochwertigen Nahrungsmitteln. Vielfach ist das den Bürgerinnen und Bürgern aus den Gedanken entschwunden und eine große Selbstverständlichkeit. Dies erbringen unsere Bäuerinnen und Bauern in den Formen des Voll-, Zu- und Nebenerwerbsbetriebes, aber sie gestalten damit vor allem über Jahrhunderte hinweg unsere Kulturlandschaft, und dies ist auch ein großer Beitrag, den sie leisten.
Den Freizeitwert, den wir genießen, haben wir auch den Bäuerinnen und Bauern zu danken, und deshalb gilt ihnen der Beistand aller. Auch die Gesellschaft muß hier bereit sein, dafür zu sorgen, daß die Bauern die gerechte Entlohnung für ihre Arbeit bekommen.
Dies drückt sich im Gestaltungswillen des Haushaltsentwurfes aus. Ich danke ausdrücklich dem Bundeslandwirtschaftsminister, aber auch dem Bundesfinanzminister für ihre Leistungen. Sie nehmen die Sorgen und Nöte der heimischen Landwirtschaft ernst.
Auch wenn im gesamten Etat Einsparungen notwendig sind, so kann man hier mit Fug und Recht behaupten, daß wir die Sorgen und Nöte der Bauern ernst nehmen und sie unterstützen.
Ich möchte in meiner kurzen Redezeit noch schnell zwei Punkte ansprechen, die auch meine Vorredner angesprochen haben. Es geht um Änderungen der Agrarsozialreform. Mit ihr wurde die eigenständige Absicherung der Bäuerinnen geschaffen, aber ich
Max Straubinger
glaube, nach ein paar Monaten gibt es auch kritikwürdige Punkte, die zu diskutieren sind und die wir, weil wir sie gemeinsam geschaffen haben, auch gemeinsam ändern sollten.
Ich bin der Meinung, vor allem die Versicherungspflicht für Ehegatten von bereits von der Beitragspflicht befreiten Nebenerwerbslandwirten ist eines der Hauptprobleme in der gesamten Diskussion.
Ich bitte alle, die hier Verantwortung tragen, sich um die Bewältigung dieses Problems zu bemühen. Ich bin der Meinung, daß mit der vergangenen Beitragspflichtbefreiung auch ein Verzicht auf mögliche Versicherungsleistungen besteht, und aus diesem Grund müßte auf alle Fälle die Befreiung von der Beitragspflicht ausgesprochen und vor allem die Möglichkeit dazu geschaffen werden. Auch müßte meines Erachtens die Wartezeit von 15 Jahren möglicherweise auf fünf Jahre herabgesetzt werden.
Diese zwei konkreten Punkte wollte ich hier ansprechen.
Ein weiteres Problem ist natürlich, daß die großen Währungsschwankungen, die der Landwirtschaft in den vergangenen Monaten Preiseinbußen gebracht haben, ausgeglichen werden müssen und sollen. Ich meine, daß wir hier natürlich am stärksten den Veredelungsbetrieben zur Seite stehen sollten. Hier wäre es am besten, wenn wir die Vorsteuerpauschale erhöhten. Damit würde meines Erachtens ein adäquater Ausgleich geschaffen.
Wichtig ist aber auch, der Preisdruckpolitik der EU gemeinsam zu begegnen und vor allen Dingen darauf hinzuwirken, daß die freien Kräfte des Marktes hier wieder mehr Wirkung erhalten. Das bedeutet, daß die Agrarreform konsequent durchgeführt werden sollte. Wir müssen zudem Flächenstillegungen beibehalten, um auch die Produktionsmengen zu reduzieren.
- Ja, aber ich bin der Meinung, daß es zumindest bisher ein gutes Instrument war.
- Genau.
Herr Landwirtschaftsminister, ich bin mir sicher, daß Sie den Bäuerinnen und Bauern auch weiterhin so standhaft beiseite stehen werden. Wir werden Sie bei dieser Arbeit unterstützen.
Besten Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ilse Janz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die Zwischenbemerkung leider nicht gehört, würde aber gerne mitlachen.
Sollte die Zwischenbemerkung frauenfeindlich gewesen sein, würde ich sie zurückweisen.
Ich bedanke mich sehr bei der Frau Präsidentin.
Herr Minister Borchert, daß der von Ihnen vorgelegte Agrarhaushalt nicht auf ungeteilte Zustimmung stößt, das haben Sie heute auch innerhalb Ihrer eigenen Koalition gemerkt. Ich hätte mir gewünscht, daß Sie Ihre Differenzen vorab geklärt hätten. Das läßt sich aber vielleicht auch noch im nachhinein machen.
- Herr Koppelin! - Die SPD zumindest befindet sich immerhin mit dem Bauernverband in guter Gesellschaft.
Es ist hier schon einmal gesagt worden, daß gerade im Bereich der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" Abstriche gemacht worden sind. Ebenfalls Herr Susset hat darauf hingewiesen, daß dies ein Problem sei. Genauso sehen auch wir das. Wir glauben, daß gerade in diesem Bereich erneut etwas draufgelegt werden muß, damit er nicht abfällt. Ich hoffe, daß Sie uns dabei kräftig unterstützen.
Um noch einmal auf den Küstenschutz einzugehen, Herr Kollege Koppelin: Ich glaube, in Bad Bramstedt gibt es nicht einmal einen Bach.
Ich weiß also nicht, ob Sie so ganz viel vom Küstenschutz verstehen. Ich wohne direkt hinterm Deich, so daß ich glaube, etwas mehr davon zu verstehen.
Über die Privatisierung der „Walther Herwig" sollten wir, so denke ich, demnächst weiter diskutieren. Auf jeden Fall melden wir in diesem Bereich schon ganz enorm Widerstand an. Sie werden sich darüber nicht wundern; denn das tun wir schon seit geraumer Zeit.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Ja, wenn sie intelligent ist.
Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Bad Bramstedt - der Ort ist zum erstenmal im Bundestag genannt worden; darüber freue ich mich - zwar mein Wohnort ist, daß ich aber an der Nordseeküste geboren und dort aufgewachsen bin? Vielleicht kennen Sie die Gegend um Büsum und Wesselburen. Ich bin also Dithmarscher durch und durch und verstehe etwas vom Küstenschutz.
Darüber freue ich mich sehr. Ich hoffe, daß Sie uns unterstützen, wenn wir in den Haushaltsberatungen die Forderung erheben, die Haushaltsansätze in diesem Bereich anzuheben.
Ich will hier aber auch noch etwas zu anderen Haushaltsrisiken, z. B. zum nationalen Verlustausgleich für die Aufwertung des sogenannten grünen Kurses sagen. Auf dieses Haushaltsrisiko, Herr Minister Borchert, haben wir Sie, wie Sie wissen, nicht zum erstenmal angesprochen. In der vergangenen Legislaturperiode, auch zum Haushalt 1995, sind Sie von der sozialdemokratischen Fraktion wiederholt auf dieses Risiko aufmerksam gemacht worden.
Ich habe mir die Mühe gemacht, Ihre, ich muß zugeben: etwas lapidaren, Antworten dazu nachzulesen. Deshalb wundert es mich überhaupt nicht, daß Sie bis heute nicht vorbereitet sind und noch immer nicht wissen, wie Sie den deutschen Landwirten den Verlust ausgleichen können.
Die Deutsche Mark wurde ab dem 1. Juli 1995 um 2,23 % aufgewertet. EU 50 %, jeweilige nationale Hilfe bis zu 50 %: Das sind für uns ganz genau 207,39 Millionen DM. Diese Summe, so habe ich jedenfalls nachlesen können, haben Sie den deutschen Bauern auf ihrem Verbandstag in Friedrichshafen im Juli dieses Jahres versprochen. Darauf warten sie nun. Es ist aber nicht so, Herr Borchert, daß die Bauern nur auf diesen Ausgleich, zweimal 207,39 Millionen DM, warten. Sie haben bereits in der Vergangenheit währungspolitisch bedingte Einkommensverluste von ca. 1 Milliarde DM gehabt.
Somit ist noch nicht einmal die Hälfte der Verluste ausgeglichen. Daß damit die Bauern nicht zufrieden sind, wissen Sie auch. Der Deutsche Bauernverband hat Demonstrationen angekündigt. Lediglich Gespräche mit dem Präsidenten des Bauernverbandes im privaten Kämmerlein reichen sicher nicht.
Am liebsten hätte ich Ihnen gesagt, Herr Minister: Nun kommen Sie doch mal endlich in Schwung! Aber ich sage: Nun erklären Sie uns doch endlich, woher Sie dieses Geld nehmen wollen.
Denn öffentlich haben Sie uns wissen lassen, daß es auf keinen Fall aus dem Agraretat geschehen soll. Das kann ich gut nachvollziehen, denn er ist schon ziemlich abgespeckt worden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich würde diesen Punkt gern zuerst zu Ende bringen, damit er überhaupt weiß, was ich sage. Er weiß es noch gar nicht.
Nun werden also angeblich unterschiedliche Lösungsmodelle beraten, einmal die von den Landwirten bevorzugte Lösung mit 2 % Vorsteuer, aber auch die Umleitung von Haushaltsmitteln anderer Ressorts. Ich könnte mir das Theater ganz gut vorstellen; persönlich erleben möchte ich es nicht.
Herr Minister, Sie wissen genau, daß die Zeit drängt. Ich kann Sie nur davor warnen, uns nicht am Tage der Haushaltsberatung im Haushaltsausschuß ein Papier auf den Tisch zu legen, über das wir dann sofort entscheiden sollen.
Aber vielleicht ist dies ein Grundsatz von Ihnen: In der Kürze liegt die Würze.
Beim Redenhalten will ich Ihnen da gerne folgen, aber nicht bei politischen Entscheidungen. Ich finde, hier gilt es, sehr gründlich zu diskutieren, und das wollen wir Sozialdemokraten mit dem hier schon angesprochenen Entwurf eines Rahmenkonzepts für die Bundesforschungsanstalten in ihrem Geschäftsbereich auch tun. Er datiert vom 1. August, mir ist er am 29. August zugestellt worden. Dazu haben Sie eben gesagt, das solle noch nicht entschieden werden, aber es solle bereits im Haushaltsausschuß darüber beraten werden.
So, wie Sie sich das vorgestellt haben, kann das nicht angehen. Man gaukelt uns vor, es handele sich um einen Entwurf, aber gleichzeitig wollen Sie hiermit schon Entscheidungen treffen. Das werden wir nicht mitmachen, Herr Minister. Sie haben bereits eine Stelleneinsparung im Haushalt vorgesehen. Ich halte es für richtig, daß Sie endlich Stellung beziehen und sagen, wie es aussehen soll.
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage?
Nein, ich habe nur noch wenig Zeit.
Weder den Agrarausschuß noch die Personalvertretung haben Sie bisher beteiligt, Herr Minister. Dann müssen Sie sich natürlich nicht wundern, wenn ein richtiges Theater entsteht.
Ich bin von Ihnen eigentlich auch ziemlich enttäuscht, Herr Minister, daß Sie ein so dünnes Papier haben rausgehen lassen.
Sie teilen nicht mit, wo Schwerpunkte liegen. Sie sagen nicht, in welchen Bereichen es möglich ist, Institute außerhalb des Bundes zu beauftragen. Sie sagen nicht, wie es sich rechnet, und Sie sagen auch nicht, wo ein finanzieller Vorteil liegt und wo die Freiheit der Forschung bleibt. Das sind Fragen, Herr Minister, die Sie erst einmal in Ihrem Ressort klären müssen, bevor Sie damit nach dem Rasenmäherprinzip umgehen. Das ist etwas, was die Sozialdemokratische Partei nicht mitmachen wird.
Machen Sie einen vernünftigen Vorschlag, machen Sie ein richtiges Konzept, sorgen Sie dafür, daß es in den Gremien und Personalräten abgestimmt wird, und legen Sie es bitte erst dann dem Haushaltsausschuß vor!
Danke.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sitzung nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, 8. September 1995, 9 Uhr ein.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.