Rede von
Maritta
Böttcher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Das neu zugeschnittene Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erfüllt innerhalb der Bundesregierung eine besondere Aufgabe: Es ist das Ministerium, das die Bürgerinnen und Bürger in vielfacher Hinsicht auf ihrem Lebensweg besonders eng begleitet.
So Frau Ministerin Nolte am 21. Februar in diesem Haus.
Nun sind Verantwortung tragen und sie tatsächlich wahrnehmen zwei verschiedene Seiten einer Medaille. Prüft man dies an den Maßstäben Ihrer finanzpolitischen Umsetzung - darum geht es ja wohl in dieser Woche -, dann kann das Ergebnis nur lauten: Prüfung nicht bestanden, und zwar mit dem Haushalt 1996 insgesamt wie mit dem Einzelplan 17 im
besonderen. Betroffen vom sinkenden Sozialetat, vom Hinausschieben bei der Erhöhung des Wohngeldes, den angekündigten Eskapaden beim BAföG und dem von Minister Rexrodt eingeforderten Befreiungsschlag in der Sozialpolitik werden Frauen, Kinder und Jugendliche, Seniorinnen und Senioren sowie Familien sein. Nahezu zementiert wird frauen-, kinder-, senioren- und familienunfreundliche Politik.
Oder wird sich an folgendem Bild etwas zum Positiven ändern? Lebten vor der Wiedervereinigung in Ostdeutschland zwei Drittel aller Kinder in Haushalten, in denen beide Elternteile berufstätig waren, so sank der Anteil bis 1993 auf 46,2 %. Dagegen stieg der Anteil der Kinder, deren Eltern beide ohne Arbeit waren, von 4,3 auf 10,7 %.
Die Zahl der Kinder unter 7 Jahren, deren Eltern Sozialhilfe bekommen, betrug 1992 in den neuen Bundesländern 63 000 und ist weiter im Steigen begriffen. Über ein Viertel aller ostdeutschen Kinder lebt in Haushalten, die Arbeitslosenunterstützung beziehen. 63 % der alleinerziehenden Arbeitslosen - weit über 90 % sind Frauen - haben nicht einmal 1 800 DM monatlich zur Verfügung. Was die Kinder betrifft, wird ihre Entwicklung schonungslos weitergeführt; siehe Lehrstellensituation und BAföG-Regelungen.
Im Einzelplan 17 wird all das weitergeführt, was schon im laufenden Haushalt von der Opposition kritisiert wurde.
Einige Schwerpunkte seien kurz herausgestellt. Sachverständige bei der öffentlichen Anhörung zum 9. Jugendbericht betonten mit Nachdruck, daß Programme des Bundes oder auch der Länder nur dann Sinn machen, wenn sie von einer soliden und kontinuierlichen Grund-, Sockel- oder Regelfinanzierung ausgehen.
Das heißt für uns im Klartext: eigene, unbefristete Haushaltstitel für die Jugendarbeit statt Sondertöpfen, die nur punktuell und zeitlich begrenzt hilfreich sind, Hoffnungen wecken und nach ihrem Auslaufen große Enttäuschungen hinterlassen. Es ist dringend an der Zeit, einen Politikansatz zu gestalten, der Jugendpolitik als gesellschaftliche Querschnittsaufgabe begreift und sie von den Launen des Finanzministers abkoppelt.
Nahezu wie ein Skandal nehmen sich die Kürzungen für die Förderung von Hilfen für behinderte Menschen aus. Hier streicht der Waigelsche Rotstift weit über 50 % der Mittel. So sieht die Umsetzung des Anspruchs aus, daß die besondere Fürsorge den behinderten Menschen, vor allem den behinderten jungen Menschen, gilt. Auf gleichem Niveau bewegen sich die Maßnahmen zur Familien- und Frauenpolitik, zu Freizeit und Erholung.
Ich finde meine Auffassung bestätigt, daß das „Haus der Generationen", zu dem man sich erklärt hat, eine wesentliche ideologische Institution zur Verbreitung ihrer wertekonservativen Auffassungen von Gleichstellung, Familie, Ehe, Jugend- und Altenpolitik ist, gewissermaßen eine Abteilung Agitation und Propaganda der Regierung. Diesem Ziel dienen
Maritta Böttcher
sicher auch die vorgesehenen 10 Millionen DM für Aufklärung im Zusammenhang mit der Umsetzung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes. Darüber ist eben gesprochen worden.
Sollte man nicht vielmehr materielle Rahmenbedingungen auch in diesem Plan schaffen, damit die unvergleichliche Tendenz des Geburtenrückgangs - in den neuen Bundesländern von 1989 bis 1993 50 % - aufgehalten wird? Noch ist das Gegenteil der Fall.
Mit dem vorliegenden Haushalt wird ein schlechter Weg beschritten und werden keine Möglichkeiten für eine erfolgreiche Politik für Familie, Senioren, Frauen und junge Menschen eröffnet.
Danke.