Rede von
Klaus
Hagemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Viele unserer Wählerinnen und Wähler beklagen - oft zu Recht - die Glaubwürdigkeitslücke, die die Politik hinterläßt. Sie beklagen insbesondere, daß das alle Couleurs, alle politischen Farben betrifft. Wir alle als Politikerinnen und Politiker tragen durch unser Tun und Handeln sowie durch unser Reden oft dazu bei, daß das zu einer allgemeinen Politikerverdrossenheit in unserem Lande geführt hat und führt.
Als aktuelles Beispiel - das möchte ich nur mit einem Stichwort ansprechen - ist hier die Ausbildungsplatzsituation zu nennen, bei der Versprechen und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Dies führt natürlich zu einer Politikerverdrossenheit. Es ist leider nicht so, daß nur im Osten unserer Republik Lehrstellen fehlen, sondern ich weiß, daß auch in meinem Bundesland - beispielsweise in der Westpfalz, die von der Konversion sehr gebeutelt ist - ein erheblicher Lehrstellenmangel festzustellen ist.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich, wenn ich über Glaubwürdigkeit rede, ein anderes Beispiel ansprechen, und zwar den Zivildienst. Ich bin erfreut, Frau Kollegin Dempwolf, daß Sie in Ihrer heutigen Rede die positive Entwicklung des Zivildienstes herausgearbeitet haben. Ich stimme Ihnen in fast allem zu, was Sie gesagt haben. Aber die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube, wenn ich daran denke, was aus anderen Mündern Ihrer Partei zu hören war und was die Frau Wehrbeauftragte Marienfeld vor wenigen Tagen in einem Interview gesagt hat, als sie eine ganze Generation junger Menschen als „eine Generation von Egoisten" bezeichnet hat.
- Das ist unerhört, und das ist nicht in Ordnung.
Es ist auch nicht dementiert worden; jedenfalls ist es mir nicht bekannt.
Meine Damen und Herren, ich würde jetzt gerne mit Frau Marienfeld Auge in Auge sprechen. Sie ist leider nicht da; dann muß ich es in dieser Art und Weise machen.
Ich bin dankbar, daß sich Herr Hackler, der Beauftragte für den Zivildienst, sowie die Verbände und Kirchen vor die Zivildienstleistenden gestellt haben. Hier möchte ich. stellvertretend Herrn Caritas-Präsidenten Puschmann zitieren, der von einer „Beleidigung der Zivildienstleistenden" gesprochen hat. Er hat recht, das war eine Beleidigung.
Die Aussagen von Frau Marienfeld sind einseitig. Das Verteidigungsministerium hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, daß die Zukunft der Wehrpflichtarmee in Deutschland trotz der hohen Verweigerungsrate nicht gefährdet ist. Wenn Frau Marienfeld vor dem eben angesprochenen Interview am 5. August in einem Interview mit der „Katholischen Nachrichtenagentur" meinte, daß die Mehrheit der Zivildienstleistenden „in Bereichen tätig ist, die keine besonderen Leistungen verlangen", so ist auch dies nicht korrekt; denn mehr als die Hälfte der Zivildienstleistenden - das sind mehr als 60 000 junge Männer - arbeiten im Pflege- und Betreuungsdienst. Daß dies schwierig und hart ist, wissen wir selbst.
Klaus Hagemann
Die Einrichtungen beantragen immer mehr Zivildienstleistende. Also sind wir hier sicherlich auch auf dem richtigen Weg. Schließlich sei darauf hingewiesen, daß Zivildienstleistende überhaupt keinen Pflegedienst leisten dürfen. Sie können hier allenfalls betreuen.
Eigentlich wäre hier, um noch einmal mit dem Caritas-Präsidenten zu reden, eine Entschuldigung seitens der Wehrbeauftragten notwendig. Ich hoffe, es ist geschehen.
Diese Aussage von Frau Marienfeld ist nicht nur ein Ausrutscher, wie es auch bezeichnet worden ist, sondern vielen in der Koalition, insbesondere in der CDU/CSU, paßt die ganze Richtung nicht, was den Zivildienst angeht. In Zeitungsartikeln und Interviews ist immer wieder die Rede davon, der Ersatzdienst müsse die „lästige Alternative" sein, die Hürden müßten im Verfahren wieder höher gelegt werden. Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Verfahren muß eigentlich entbürokratisiert werden. Ich denke beispielsweise an das polizeiliche Führungszeugnis, das die jungen Männer beibringen müssen. Daß Sie die Verkürzung der Wehrdienstzeit nicht an die Zivildienstleistenden weitergeben wollen, wie es das Gesetz vorschreibt - auch das ist eine Forderung aus Ihren Reihen -, spricht ebenfalls Bände.
Meine Damen und Herren, wir beraten den Haushalt 1996, und daher möchte ich einige Sätze zum Kapitel Bundesamt für Zivildienst sagen und darauf hinweisen, daß man die Realitäten auch in diesem Bereich im Haushalt nicht wahrhaben will. Wo ist denn beispielsweise in den Ansätzen berücksichtigt, daß wir, wie bereits 1995, auch im kommenden Jahr mit steigenden Zahlen zu rechnen haben, weil eben mehr junge Männer gemustert werden, was zur Folge hat, daß sicherlich mehr junge Männer zum Zivildienst gehen?
Ein anderer Punkt: Etwa 5 500 Zivildienstleistende sind in der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung eingesetzt; ich glaube, das ist eine der schwierigsten Aufgaben. Hier haben Sie, Frau Staatssekretärin, den Wohlfahrtsverbänden mit Hinweis auf Übernahme der Beträge durch die Pflegeversicherung mitgeteilt, daß die Zuschüsse aus dem Etat des Jugendministeriums gestrichen werden könnten. Dies ist eigentlich - man braucht das nur zu untersuchen -, eine sehr mutige und, wie ich meine, auch eine unverantwortliche Anordnung, die bereits jetzt im Haushalt 1996 ihren Niederschlag findet.