Rede von
Marina
Steindor
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die Redezeit nach dem Etatumfang bemessen würde, wäre die Debatte um den Gesundheitshaushalt schon bald beendet. Der vorliegende Haushalt und Ihre Rede, Herr Minister, spiegeln die Konzeptionslosigkeit wider, mit der Sie Politik betreiben.
Sie haben in Ihrer Rede von einigen Plänen abgelenkt, die ansatzweise in diesem Haushalt enthalten sind. Ihre menschenverachtenden Pläne, medizinische Leistungen für Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge noch weiter einzuschränken, sind im Haushalt kaum zu entdecken. Sie sprechen nicht darüber. Wir haben das Asylbewerberleistungsgesetz nicht mitgetragen. Wir werden auch diese Pläne nicht mittragen. Auch Ihre Pläne zur Amerikanisierung unserer Bundessozialhilfe haben Sie hier nicht vorgetragen. Mit diesen Plänen, Herr Minister, werden Sie selbst ein Armutsrisiko in diesem Land. Ziehen Sie diese Pläne zurück!
Mit der Verabschiedung der Positivliste, Herr Minister, ist in Ihrem Haushalt auch nicht viel zu sparen. Aber was Sie damit politisch erreicht haben, ist, daß das Gesundheitsstrukturgesetz in seiner Gänze zur Disposition gestellt wird und die gesundheitspolitischen Karten neu gemischt werden. Sie sind doch ratlos!
Legen Sie erst einmal Ihre Pläne auf den Tisch!
Sie haben niemals vorgehabt, die Positivliste umzusetzen. Sie haben sich die Zustimmung der SPD-Länder im Bundesrat regelrecht erschlichen, Herr Minister.
Sie reden immer von Selbstverwaltung; aber Sie nehmen sich doch selbst nicht ernst. Was Sie uns heute hier geboten haben, Herr Minister, ist - vornehm ausgedrückt - unverfroren. Sie sprachen hier davon, die Selbstverwaltung habe den neuen einheitlichen Bewertungsmaßstab in den letzten Wochen - ich zitiere Sie - „aus eigener Kraft" vorgelegt.
Marina Steindor
Herr Minister, Sie selbst haben diesen Vorgang - befristet - in das GSG hineingeschrieben. Sie haben sich vorbehalten - falls die Selbstverwaltung es nicht schafft -, es selbst zu tun.
Sie trauen doch Ihrem eigenen Motto nicht. Über das 4. Änderungsgesetz zum SGB V werden wir noch diskutieren.
Herr Minister, Ihre eigene Partei folgt Ihren Vorstellungen von der Freiheit für die Selbstverwaltung nicht. Wenn die Bayerische Staatsregierung per Rechtsverordnung die bayerischen AOKs fusioniert und dabei den Verwaltungssitz festlegt: Was ist das für ein Verhältnis zur beschworenen Freiheit der Selbstverwaltung?
Doch jetzt weg von der Gesundheitsstruktur!
Ich bin es langsam leid, den unkonkreten Schlagabtausch, dieses „Old-boys-Network", das in diesem Land die Gesundheitspolitik bestimmt, noch länger anzuhören.
Das Thema lautet: Was macht der Bundesgesundheitsminister mit dem wenigen Geld, das er hat? Angesichts dessen, daß das Robert-Koch-Institut und das Paul-Ehrlich-Institut keine Einzelkommentare zu Haushaltstiteln vorgelegt haben, ist für das Parlament die Transparenz dieses Bundeshaushalts nicht gewährleistet.
Was macht der BMG also mit seinem wenigen Geld? Er macht Ressortforschungsprojekte mit einem absurden Gemischtwarenladen. Er fördert z. B. den Betäubungsmitteleinsatz bei Süßwasserfischkulturen, um - ich zitiere - „ein erhöhtes Verlustrisiko" und eine „erhebliche wirtschaftliche Belastung" in der Massentierhaltung zu verringern. Wie wäre es mit einem gesetzlichen Verbot derartiger Tierhaltung, Herr Minister?
Zur Nuß- und Feigenforschung möchte ich sagen: In der Projektliste der Ressortforschung im Gesundheitshaushalt steht dazu doch allen Ernstes, man betreibe im Rahmen der Ressortforschung „Repräsentationsuntersuchung von gentechnischen Nüssen und Feigen auf Aflatoxingehalt" . „Hoppla" habe ich da gedacht. Da behauptet der Minister immer, er wisse nichts von gentechnischen Lebensmitteln in Deutschland. Nüsse und Feigen sind zwar nicht gerade das Grundnahrungsmittel der bundesdeutschen Bevölkerung.
Aber diese Nahrungsmittel müßten nach Gentechnikgesetz genehmigt oder nach EU-Freisetzungsrichtlinie in Verkehr gebracht werden. Von alledem ist nichts passiert.
Bei näheren Nachforschungen in anderen Aktenblättern des Gesundheitsministeriums entpuppte sich das Ganze als sehr aussagefähiger Druckfehler; denn wo in der Projektbeschreibung von Gentechnik die Rede ist, steht in dem Einzelblatt: „getrocknete Feigen und Nüsse". Wo, Herr Minister, haben Sie in diesem Forschungsprojekt die Gentechnik versteckt, die sich da so untergründig eingefügt hat?
Der Bundesgesundheitsminister will die Gentechnik in Diagnostik und Therapie fördern - und das ausgerechnet mit Genomdiagnostik, dem, was wir prädiktive Medizin nennen. Wahrscheinlich gehört das zum Zukunftsgehudel dieser Bundesregierung. Herr Minister, unserer Auffassung nach müßten Sie die Bevölkerung vor diesem gentechnischen Humbug schützen. Wenn Sie „Science" und „Nature" lesen, können Sie feststellen, daß auf jede Ankündigung eines neuen Krankheitsgens zwei Ausgaben später ein Widerruf oder ein neues Gen folgt. Sie unterstützen hier ungelegte biologistische Gentechnologieeier.
In den Vereinigten Staaten - und das stimmt mich sehr bedenklich - haben sich Frauen nach einem Gentest, der eine Krankheitsdisposition für Brustkrebs erbracht hatte, bereits die Brust amputieren lassen - ohne krank zu sein und ohne wissenschaftlichen Nachweis, daß dieser Gentest überhaupt aussagekräftig ist. Die Entstehung von Krankheiten ist viel komplexer, als es den Geningenieuren lieb ist. Ein Gesundheitsminister müßte die Bevölkerung vor genetischen Scharlatanen und genetischer Diskriminierung schützen.
Was macht der Bundesgesundheitsminister sonst noch mit seinem wenigen Geld? Er fördert ein zynisches Projekt zu Atemwegserkrankungen.
Er will mit Frühdiagnostik herausfinden, ob die Menschen zu Verhaltensänderungen oder zur lebenslänglichen Einnahme von Entzündungshemmern gebracht werden können.
Meine Frage lautet: Welche Luft, Herr Minister, sollen Menschen, die auf Grund der Luftverschmutzung krank werden, einatmen? Warum betreiben Sie keine konsequente Anti-Raucherpolitik? Wo war denn Ihre Stimme in der Debatte um das Ozon zu hören? Wann haben Sie sich denn um die Gesundheitsbelange der Bevölkerung gekümmert? Mit der Abgabe des Wasser-Boden-Luft-Hygiene-Instituts haben Sie jede umweltmedizinische Kompetenz abgegeben und sind in diesem Bereich genauso ratlos wie bei der Gesundheitsstruktur.
Marina Steindor
Dieser Haushalt ist ein konzeptionsloser Flickenteppich, der nicht in die Zukunft führt. Meine Fraktion lehnt ihn entschieden ab.