Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung bleibt mit der Rekordhöhe von 26 % des gesamten Haushalts der mit Abstand größte Einzelplan. Er umfaßt 118 Milliarden DM und verzeichnet einen Rückgang von 10 Milliarden DM.
Er gibt damit ein Signal für den festen Willen der Koalition und der Regierung, die Staatsausgaben zurückzuführen. Ich begrüße diese in Taten und nicht nur in Worten nachweisbare feste Absicht und sehe im Gegensatz zur Opposition darin auch nicht den Beweis eines Kahlschlags im Wald der sozialen Leistungen.
Im Gegenteil: Wer mit geeigneten und verantwortbaren Mitteln dafür sorgt, daß heute und morgen die sozialen Netze halten, der handelt sozial, und nicht derjenige, der in diese Sozialnetze immer mehr und neue Lasten hineinverlagert.
In einer Haushaltsdebatte sprechen wir nicht nur von Zahlen, sondern immer auch von den davon betroffenen und damit bedachten Menschen.
Diese Maßnahmen sind als Hilfe gedacht. Wir müssen fragen: Erreichen sie diese Hilfe? Wirken sie?
Die Zahl von 3,5 Millionen Arbeitslosen ist bedrükkend hoch. Den Menschen, die vom Arbeitsmarkt nicht aufgenommen werden können, sind jene hinzuzurechnen, die durch Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit in Qualifikations- und AB-Maßnahmen beschäftigt sind und vielleicht eine Perspektive bekommen, aber dennoch weder reguläre Arbeitsplätze besetzen noch an der Wertschöpfung teilnehmen. Das sind zusätzlich 800 000 Menschen. Zu Recht machen sich die Sozialpolitiker Sorgen, wie die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt verläuft.
Lichtzeichen gibt es schon, etwa der Rückgang der Kurzarbeit - er ist immer ein Indikator für künftige Besserungen - und der Rückgang der Arbeitslosigkeit von 9,4 auf 9,3 %. Aber schon daran sehen wir, und das ist heute die allgemeine Einschätzung, daß auch mit einem Konjunkturaufschwung und einem Wirtschaftswachstum die Arbeitslosigkeit nicht im erhofften Maße beseitigt wird.
An diesem Punkt trennen sich die Wege von Opposition und Regierung. So sind die sinnvollen Änderungen z. B. bei der Arbeitslosenhilfe ein erneuter Versuch, an diesem Versorgungssystem etwas zu ändern. Aber da gibt es heftige Ablehnung durch die Opposition. Über die Vorschläge kann man diskutieren.
Eines steht fest: Die unbegrenzte Arbeitslosenhilfe in Deutschland unterscheidet uns von allen anderen Industriestaaten um uns herum, und sie stehen mit uns im Wettbewerb. Sie führt dazu, daß wir ein aufwendiges Doppelsystem zweier Fürsorgearten nebeneinander erhalten. Das ist dringend zu ändern. Denn die Arbeitsämter sollen nicht Sozialämter werden und die gesamte Problematik des Mißbrauchs aufgehalst bekommen. Bei den meisten Versicherten herrscht der Eindruck, daß die Arbeitslosenhilfe eine Art zweiter und etwas gesenkter Versicherungsanspruch ist, den sie sich auf Grund ihrer Beiträge erworben haben. Aber sie ist eine Fürsorge- und Unterhaltsleistung des Bundes, die er allein und auf Dauer bezahlt.
Dr. Gisela Babel
Allerdings - ich stimme Frau Buntenbach zu - kommt massiver Widerstand von den Sozialhilfeträgern. Ich kann diesen Widerstand verstehen. Aber Reformen sollten nicht deswegen unterbleiben, weil wir in der Finanzierungsfrage keine Einigung erreichen. Es muß natürlich eine Ausgleichsmöglichkeit geben. Die dafür ins Auge gefaßten und vom Herrn Gesundheitsminister Seehofer verfolgten Anderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes sind aber dazu insgesamt ungeeignet.
Bürgerkriegsflüchtlinge dürfen gerade nicht Asylbewerbern gleichgesetzt werden, und ihre Versorgung darf nicht gesenkt werden. Die F.D.P. - ich sage das hier deutlich - stimmt dem nicht zu. Im übrigen helfen solche Maßnahmen auch gar nicht überall, denn nicht überall gibt es Bürgerkriegsflüchtlinge, bei denen die gesenkten Kosten für einen Ausgleich sorgen können.
Dagegen unterstützt die F.D.P. den Bundesarbeitsminister bei seinen Vorschlägen, Arbeitslose auch zu solchen Arbeiten heranzuziehen, für die es sonst nur ausländische Saisonarbeiter gibt. Es ist in der Tat nicht einzusehen, daß wir die Arbeit, die wir unter dem Aspekt der Zumutbarkeit als für Deutsche ungeeignet ansehen, nur Ausländern vorbehalten.
Wer aber nun die Frage aufwirft, ob eine zeitliche Begrenzung der Arbeitslosenhilfe oder die in der Tat notwendige Veränderung bei der Zumutbarkeit von angebotener Arbeit oder Trainingsmaßnahmen von Arbeitslosen, damit sie in den Arbeitsmarkt zurückfinden und wieder Fuß fassen können, ausreichen, um das große Problem der Arbeitslosigkeit zu lösen, dem würde ich antworten: Nein, es reicht nicht aus. Auch die Opposition teilt diese Meinung.
Der Fraktionsvorsitzende der SPD schlägt nun wieder das alte Arbeits- und Strukturförderungsgesetz, das die SPD schon in der letzten Legislaturperiode und jetzt wieder einbrachte, mit dem Rechtsanspruch auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vor. Wir wissen, was das heißt. Das ist der Drehtüreffekt Arbeitslosengeld, AB-Maßnahme, Arbeitslosengeld. Meine Damen und Herren, das kennen wir Sozialpolitiker alle sehr gut.
Manche Passagen seiner Rede lassen vermuten, der Fraktionsvorsitzende der SPD sei Mitglied oder des öfteren Gast des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung. Aber eines fehlt: die Erkenntnisse, die in den Anhörungen zu diesem Gesetzentwurf zutage traten, gewonnen von Experten der Wissenschaft und Wirtschaft. Es wäre vielleicht ein guter Vorschlag einer Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahme für den SPD-Fraktionsvorsitzenden, daß er einmal in diese Anhörungen kommt, um kritische und neutrale Stimmen zu dem, was Sie da vorschlagen, zu hören.
Das Urteil war vernichtend: Eine Ausdehnung der aktiven Arbeitsmarktpolitik - die ja auch bezahlt werden muß - könne das Problem wegfallender, durch Tarifverträge wegrationalisierter Arbeitsplätze eben nicht lösen.
Meine Damen und Herren, wir mögen es drehen und wenden, wie wir wollen, wir kommen um die ernsthafte Reform zur Senkung der Arbeitskosten nicht herum. Es nützt nichts, wenn in der Offentlichkeit die Brisanz der Lage vernebelt und die vielleicht notwendigen, wenn auch schwer vertretbaren Maßnahmen und Einschnitte bei der Senkung von Lohnnebenkosten durch das Zauberwort „versicherungsfremde Leistungen" hinweggeredet werden.
Es nützt nichts, wenn Herr Dreßler - hier und heute wieder - die falsche Finanzierung der deutschen Einheit durch die Sozialversicherung anprangert und glaubt, sich damit glücklich über die Runden zu bringen. Wir haben gar keinen Dissens in der Bewertung. Aber es geht doch darum, daß wir für die Zukunft die richtigen, vertretbaren Maßnahmen treffen. Darüber täuschen Sie hinweg. Sie glauben, daß, wenn Sie als Sozialpolitiker hier einen Vorschlag machen, die Finanzpolitiker es schon richten werden. Die Finanzpolitiker aber sagen, daß es sich um Maßnahmen handelt, die aufkommensneutral sind und die Steuerzahler nicht belasten. Sie jedoch wollen zusätzliche Kosten in Milliardenhöhe schaffen.
In Deutschland sind die Kosten pro Arbeitsstunde am höchsten und ist die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden am niedrigsten. Deutsche Unternehmen investieren im Ausland. Auch in Zukunft gehen Arbeitsplätze auf Grund ungünstiger Standortfaktoren verloren. Dazu gehören nicht nur die Kosten - das will ich zugeben -, dazu gehören auch andere Dinge. Ich meine nicht zuletzt die Genehmigungsverfahren, die wir uns leisten. Das ist abenteuerlich. Auch dadurch gehen Arbeitsplätze sicherlich verloren.
Noch dramatischer aber wird es - den Hinweis darauf habe ich in all Ihren Ausführungen vermißt -, wenn man sich vor Augen hält, wie stark in allen Sozialversicherungen der Kostendruck ist und wie die Beitragszahlen in der Zeit steigen, in der wir hier sitzen, zuschauen und glauben, daß uns der Steuerzahler die Probleme von den Schultern nimmt.
Meine Damen und Herren, ich fordere eine gemeinsame Anstrengung von Tarifparteien, Unternehmen und dem Gesetzgeber, in dieser Legislaturperiode Lohnnebenkosten zu senken.
Nehmen wir uns doch einmal eine Zielgröße vor. Sagen wir doch einmal: Wir streben an, insgesamt 5 % zu senken. Jeder trägt seinen Part; der Gesetzgeber vielleicht in der Größenordnung von 2,5 %. Was hieße das? Um das zu erreichen, werden wir in der Tat alle Kostenfaktoren untersuchen müssen. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird dabei sein.
Die allgemeine, allumfassende und gleichtönende Entrüstung über meinen Vorschlag einer zwanzig-
Dr. Gisela Babel
prozentigen Lohnkürzung im Krankheitsfall zeigt eines überdeutlich:
Es gehört heute Mut dazu, Einschnitte im sozialen Bereich zu vertreten. Es bedarf noch mühseliger Überzeugungsarbeit, eine Bereitschaft hierfür herzustellen.