Rede von
Dr.
Ruth
Fuchs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem für das Jahr 1996 vorgelegten Haushalt sollen erneut tiefe Einschnitte in das soziale Leistungsrecht für die verfehlte Finanzpolitik der Regierung herhalten. Die Palette reicht von massiven Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe bis hin zu Streichungen des Fahrgeldes für Schwerbehinderte.
In diesem Kontext kann es schon nicht mehr verwundern, daß auch die Ausgaben des Bundes für gesundheitliche Zwecke keineswegs, wie es eigentlich notwendig wäre, aufgestockt, sondern noch weiter zurückgefahren werden. Aufgeschlüsselt bleibt es damit bei ca. stolzen 10 DM pro Kopf der Bevölkerung, über die das Ministerium für Gesundheit jährlich verfügt, um der Verantwortung des Bundes für die Gesundheit der Menschen nachkommen zu können. Dabei ist es um diese Verantwortung wahrhaftig nicht zum besten bestellt.
Die Laufzeit des Gesundheitsstrukturgesetzes nähert sich bekanntlich - zumindest was die Budgetierungsphase betrifft - ihrem Ende. Seit langem ist ursprünglich sogar für das laufende Jahr eine weitere Reformstufe angekündigt. Von einer überzeugenden Konzeption dafür ist jedoch bis heute weit und breit nichts zu sehen.
Ganz im Gegenteil: Während sich die Situation in der gesetzlichen Krankenversicherung besorgniserregend zuspitzt und ihre Finanzen bereits in diesem Jahr schon wieder gefährlich aus dem Ruder laufen, entwickelt sich eine gesundheitspolitische Debatte im Land, die immer widersprüchlichere, ja teilweise inhumane Züge trägt. So wird mit rüden Angriffen auf die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall so ganz nebenbei wieder einmal einer der wichtigsten Eckpfeiler des sozialen Grundkonsenses in diesem Land in Frage gestellt. Auch wenn das Thema in der Öffentlichkeit rasch zurückgezogen wurde, so gilt doch insgesamt das Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein.
Die privaten Krankenversicherungen wiederum kündigten über Nacht - nachdem sie nicht ohne Erfolg über Jahre junge Menschen mit niedrigen Prämien angelockt haben - eine drastische Erhöhung der Beiträge an. Sie hätten eben gerade einmal entdecken müssen, daß die Versicherten inzwischen eine höhere Lebenserwartung haben, als man bisher dachte. Diese naßforsche Argumentation trifft noch nicht einmal auf ernsthaften Widerspruch, von einem Eingreifen der Aufsichtsbehörden ganz zu schweigen.
Der Minister, von dem man vermuten sollte, daß er u. a. noch vollauf mit der Umsetzung der letzten Reform und ebenso mit der Vorbereitung der neuen Stufe zu tun hat, ist indessen damit beschäftigt, die Positivliste als einen der tragenden Bausteine des Gesundheitsstrukturgesetzes wieder zunichte zu machen.
Nun kann man über die Positivliste denken, wie man will.
Völlig unbestreitbar bleibt, daß sie einen beträchtlichen Fortschritt für die Qualität der Arzneimittelversorgung bedeuten würde.
- Doch, ich habe Achtung vor den Berliner Ärzten, die sich dazu geäußert haben.
Dr. Ruth Fuchs
Partielle Fehler bei ihrer Erstellung hätten bei entsprechendem politischen Willen leicht korrigiert werden können. So aber werden diese zum willkommenen Vorwand genommen, dem Druck der Pharmalobby nachgeben und sich des ohnehin unbeliebten Kindes wieder entledigen zu können.
Das ist aus vielen Gründen ein schlimmer Vorgang, vor allem deshalb, weil er in geradezu exemplarischer Weise wieder einmal die Grenzen innovativer Gesundheitspolitik in diesem Land vor Augen führt.
Einen traurigen Höhepunkt der Debatte bildet auch das Gutachten, das der Sachverständigenrat unterbreitet hat. Es ist schwer zu sagen, wem mit dieser Zusammenstellung des schon lange bekannten neokonservativen und neoliberalen gesundheitspolitischen Gedankenarsenals eigentlich weitergeholfen ist. Von einem der folgenschwersten Vorschläge des Gutachtens - würde er denn realisiert -, nämlich dem einseitigen Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags, ist inzwischen auch der Minister öffentlich abgerückt. Im Gegensatz zu bisherigen Aussagen plädiert er nunmehr für eine gesetzliche Festschreibung beider Beitragshälften.
Unser verehrter Ausschußvorsitzender, Herr Kollege Thomae, hat sofort mit Hilfe einer Presseerklärung Einspruch erhoben - aus seiner Sicht natürlich mit vollem Recht. Eine solche Globalsteuerung durch den Gesetzgeber stellt natürlich ohne Zweifel ein völlig anderes Konzept dar, als es der F.D.P. vorschwebt.
Damit ist bemerkenswerterweise ein Punkt erreicht, bei dem die Koalitionspartner ihre in der Tat nicht unbeachtlichen Kontroversen schon auf offener Bühne austragen. Währenddessen läuft die Zeit für die eigentlich notwendigen Reformaufgaben davon.
Meine Damen und Herren, angesichts dieser Situation kann allerdings nicht einmal Schadenfreude aufkommen. Es ist nicht zu übersehen, daß das insgesamt so überaus trickreiche Schauspiel, das gegenwärtig unter dem Titel „dritte Stufe der Gesundheitsreform„ geboten wird, mit beträchtlichen Risiken behaftet ist.
Wenn es 1996 - wie befürchtet werden muß - zu einem bisher nie dagewesenen Kostensprung in der gesetzlichen Krankenversicherung kommt, dann werden es vor allem die Versicherten sein, die die Folgen zu tragen haben. Dem kann man aus meiner Sicht nicht zustimmen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.