Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die deutsche Wirtschaft befindet sich weiterhin auf Wachstumskurs. Das Expansionstempo hat sich allerdings verlangsamt. Aber es geht weiterhin kräftig und stetig aufwärts. Auf dem Niveau, das die deutsche Wirtschaft hat, bedeutet ein reales Wachstum von 2,6 % einen Zuwachs an Gütern und Dienstleistungen gegenüber dem ersten Halbjahr 1994 von rund 90 Milliarden DM. Das ist ein kräftiges und darüber hinaus ein stetiges Wachstum.
Daß die Erwartungen nicht voll erfüllt sind, meine Damen und Herren, hat mehrere Ursachen. Hier zeigen sich die Bremsspuren der unerwartet hohen
Lohnsteigerungen und der Höherbewertung der D-Mark, auch der Steuererhöhungen.
Das alles geht dort ein.
Aber es ist unbestritten, daß wichtige Faktoren für die Fortsetzung der Aufwärtsentwicklung auch in den nächsten Jahren sprechen. Die Preise sind und bleiben stabil, das Wachstum ist weiterhin spannungsfrei. Die Kapazitätsauslastung in der Industrie ist bis zuletzt deutlich gestiegen, und das wird die Investitionstätigkeit der Unternehmen anregen. Die Entlastungen durch das Jahressteuergesetz und der Wegfall des Kohlepfennigs werden den privaten Verbrauch anregen. Die jüngste geldpolitische Entscheidung der Bundesbank hat die Bedingungen für anhaltend niedrige Zinsen weiter verbessert. Der Dollarkurs normalisiert sich.
Das Fazit daraus lautet: Die wirtschaftliche Entwicklung setzt sich mit Aufwärtstrend fort.
Aber, meine Damen und Herren, am Arbeitsmarkt gibt es keine Entwarnung. Wir stehen vor großen Herausforderungen und müssen dicke Bretter bohren. Wir müssen endlich die harten Themen angehen, um mit der Arbeitslosigkeit fertig zu werden, und das tun wir.
Der Aufschwung ist kein Selbstläufer. Wir werden im Herbst die gesamtwirtschaftliche Projektion für 1995 und 1996 auf der Basis dann vorliegender Daten überprüfen und aktualisieren.
Mir liegt viel daran, darauf hinzuweisen, daß in den neuen Ländern der kräftige Aufwärtstrend ungebrochen ist. Die Menschen nehmen dort den Aufbau zunehmend auch selbst in die Hand. Dennoch ist erst die Hälfte des Weges zu einer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft geschafft. Die neuen Länder brauchen und erhalten auch weiterhin unsere Unterstützung.
Mit dem Jahressteuergesetz und dem vorliegenden Haushaltsentwurf trägt die Bundesregierung allerdings dem Grundsatz Rechnung, daß die Transfer-
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
zahlungen und die Hilfen konzentriert werden und degressiv angelegt sein müssen. Die Konzentration erfolgt auf das verarbeitende Gewerbe und da insbesondere auf den Mittelstand.
Noch in diesem Monat werde ich einen Bericht vorlegen, der eine Bilanz der wirtschaftlichen Entwicklung der fünf Jahre nach der Wiedervereinigung für die neuen Länder aufzeigt.
Meine Damen und Herren, wenn ich mir die Wirtschaftspolitik der SPD und die Diskussion um die Wirtschaftspolitik innerhalb der SPD ansehe, dann weiß ich nicht, ob ich weinen oder lachen soll.
- Sie geben mir die Antwort: Wenn man Ihre Politik ansieht, muß man eher weinen. Sie fordern eine Wirtschaftspolitik zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Dabei beschreiben Sie im Grunde - das sagen Sie ja auch selbst - die gleichen Handlungsfelder, auf denen etwas getan werden muß, wie wir.
Ihr Dilemma besteht nur in folgendem, und da wirken Sie dann immer wieder inkonsequent, auch in den Augen der Öffentlichkeit:
Sobald es darum geht, die Rezepturen, die Instrumente für eine solche Politik zu finden, schrecken Sie vor Ihrer eigenen Courage zurück.
In der Forschungspolitik sind Sie halbherzig und zerstritten,
so bei der Gentechnologie, in der Energiepolitik und bei der Luft- und Raumfahrt.
In der Sozialpolitik sprechen Sie von zu hohen Lohnnebenkosten und erklären gleichzeitig die wichtigsten Handlungsfelder zu Tabuzonen. Bei der Arbeitsorganisation setzen viele von Ihnen nach wie vor auf blockweise Arbeitszeitverkürzung, ohne zu bedenken, daß dadurch die Arbeit weiter verteuert wird und Arbeitsplätze abwandern. Erst langsam dämmert es, daß nur Flexibilisierung weiterhilft.
Sie bekennen sich, meine Damen und Herren, zu weniger Bürokratie und lassen eben da, wo der Bürger mit der Bürokratie konfrontiert wird, in Ländern und Gemeinden, die Bürokratie überborden.
Sie sprechen von Privatisierung und tun da, wo Sie Verantwortung tragen, in Ländern und Gemeinden, nichts dafür.
Dann ist es doch kein Wunder, daß Sie Kritik auch aus den eigenen Reihen bekommen.
Ich habe im übrigen, wenn ich das einmal so sagen darf, von Herrn Schröders ökonomischem Sachverstand nie viel bemerkt. Er ist ein Selbstdarsteller mit dem Gespür für die richtige Windrichtung.
Da halte ich dann schon sehr viel mehr von Leuten wie Herrn Spöri, und diesen zitiere ich dann auch gern, wenn er Ihnen die richtige Lektion für moderne Wirtschaftspolitik liest.
Die meisten von Ihnen hier bei der SPD in Bonn wollen noch nicht wahrhaben, daß wir bei den Themen Umbau der Sozialsysteme, Neuorganisation der Arbeit und Deregulierung viel mehr tun müssen, als nur kosmetische Eingriffe vorzunehmen.