Rede von
Dr.
Jürgen
Rüttgers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem
Haushalt 1996 setzt die Bundesregierung den Weg der Konsolidierung fort. Sie eröffnet gleichzeitig neue Finanzspielräume für Bildung und Forschung. Das ist das eigentliche Merkmal des Einzelplans 30. Ich finde es ganz wichtig, das zu Beginn zu betonen.
Die Mittel für Forschung und Technologie steigen gegenüber 1995 überproportional um 2,8 % bei einem Gesamthaushalt, den der Finanzminister auf minus 1,3 % festgelegt hat. Mit einem Gesamtumfang von 15,6 Milliarden DM wächst der Haushalt des BMBF gegenüber dem bereinigten Haushalt 1995 um 2,3 %.
Wir wollen diese neuen Spielräume jetzt nutzen, um Innovationen in Deutschland möglich zu machen, nicht aber, um alte Probleme mit neuem Geld in die Zukunft fortzuschreiben.
Es gehört zu den Besonderheiten des Einzelplans 30, daß dort eine Vielzahl von Politikbereichen angesprochen ist. Das kann man auch mit Zahlen belegen. Die Kollegen Kampeter und Friedrich werden dazu gleich noch etwas aus ihrer Sicht sagen. Ich bitte um Verständnis, daß ich das jetzt nicht aufblättern will, obwohl das spannend ist. Ich möchte, bevor ich einige politische Bemerkungen mache, nur ganz kurz zwei Zahlenbereiche erwähnen.
Der erste Punkt ist - und das vor dem Hintergrund einer Debatte, die wir vor einigen Monaten geführt haben -, daß in diesem Haushalt die Zuweisungen für die neuen Länder konstant bleiben, d. h., wir bleiben bei 3 Milliarden DM auch im Jahre 1996. Das ist wichtig, weil wir die Substanz in Forschung und Bildung weiter kontinuierlich aufbauen wollen.
Der zweite Punkt ist, daß wir insbesondere die Mittel für kleine und mittelgroße Unternehmen mit 600 Millionen DM im Jahre 1996 fortschreiben und in dem einen oder anderen Bereich, etwa bei den Mitteln für die allgemeine mittelstandsbezogene Innovationsförderung, sogar Steigerungsraten von 22,7 % auf jetzt 276 Millionen DM haben. Auch das zeigt eine besondere Schwerpunktsetzung in diesem Etat.
Technologie ist für uns keine Ideologie. Was den Menschen weiterhelfen kann, das soll nach Meinung der Bundesregierung eine Chance haben. Unser Ziel ist es, Zukunft möglich zu machen.
Man kann feststellen, daß die Bevölkerung zwei große Wünsche hat: Der eine ist Arbeit, der andere ist Umweltschutz; also mehr Beschäftigung und eine gesunde Lebenswelt. Das sind Ziele, denen man mit moderner Technik näherkommt; allerdings muß man handeln.
Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Die Experten gehen davon aus, daß in Deutschland die Zahl der Telearbeitsplätze von gegenwärtig 30 000 auf rund 800 000 im Jahre 2000 steigt. Das heißt, hier gibt es riesige Möglichkeiten für den Arbeitsmarkt. Nimmt
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
man für einen Telearbeitsplatz durchschnittliche Investitionskosten von 15 000 DM an, dann ergibt sich allein für Deutschland ein Investitionsvolumen von 12 Milliarden DM bis zur Jahrhundertwende; das ist ein Innovationsschub für unsere Wirtschaft.
Sie müssen darüber hinaus sehen, daß 800 000 Telearbeiter bei drei Telearbeitstagen pro Woche - also nicht nur zu Hause, sondern kombiniert mit dem Betrieb - und einer durchschnittlichen Entfernung von 15 km zum Betrieb pro Jahr Fahrtstrecken von zusammen 3,2 Milliarden km einsparen. Wenn das kein Beitrag zu einer sauberen Umwelt ist, dann weiß ich es nicht!
Deshalb werden wir die Mittel für die Informations- und Kommunikationstechniken im Haushalt 1996 erstmals auf über 1 Milliarde DM steigern und das zum Schwerpunkt unserer weiteren Arbeit machen.
Jeder potentielle deutsche Telearbeitsplatz konkurriert mit Arbeitsplätzen in den USA und anderswo. In den USA gibt es schon heute 7,6 Millionen Telearbeitsplätze. Die fackeln nicht; die ergreifen ihre Chancen beim Schopf. Das müssen wir auch tun.
Ich habe gelesen, lieber Herr Glotz, Sie haben versucht, einige Zukunftsstürmer in Ihrer Fraktion dafür zu begeistern, sich dieses Themas anzunehmen. Wenn ich es richtig weiß, besteht Ihr Vorschlag darin, eine neue Untersuchungskommission für Chancen und Risiken dieser Technologie einzurichten. Ich habe nichts dagegen. Meine Einschätzung ist allerdings, daß wir nicht mehr soviel Zeit haben, abzuwarten, bis eine Untersuchungskommission Chancen und Risiken definiert hat.
Bis dahin, lieber Herr Glotz, werden wir im Nationalen Forschungsrat, und zwar noch in diesem Herbst, die notwenigen Antworten geben. Sie können sich dann im Anschluß die Chancen und Risiken bestätigen lassen.
Meine Damen und Herren, ein zweiter wichtiger Technologiebereich ist die Biotechnik. In Europa gibt es Wachstumschancen von heute 38 Milliarden ECU auf 90 Milliarden ECU im Jahr 2000. Dabei geht es um 9 % der Bruttowertschöpfung. Das sind rund 9 Millionen Arbeitsplätze, über die wir reden. Deshalb werden wir das Gesamtfördervolumen im Biotechnologiebereich auf über 900 Millionen DM anheben - und das mit einem klaren politischen Ziel: Wir wollen als Bundesregierung, daß Deutschland bis zum Jahre 2000 - ich weiß, daß es hier Widerstände gibt - in der Biotechnologie in Europa die Nummer eins ist.
Das ist unser Ziel, das wollen wir erreichen.
Damit sind wir natürlich bei einem Bereich, der viel mit Arbeitsplätzen und Wirtschaft zu tun hat. Wir haben gestern den Versuch einer Darstellung von Herrn Scharping zum Thema Wirtschaftspolitik erlebt. Er hat versucht, seine - nach meiner Ansicht etwas widersprüchlichen Vorstellungen zum Thema Globalisierung und Zukunftsindustrien darzulegen. Er hat versucht, zu zeigen, daß nicht nur Herr Schröder, sondern auch er etwas von Wirtschaft versteht.
Allerdings war der Crashkurs, lieber Herr Glotz, ein bißchen kurz. Die Angelegenheit war ja auch erst in der vergangenen Woche. Jedenfalls ist sein Versuch nicht gelungen. Wenn ich es richtig sehe, hat Herr Scharping gestern verzweifelt versucht, gegen Windmühlen in diesem Bereich anzukämpfen. Lieber Herr Glotz, erlauben Sie mir, selbst wenn es gestern abgehakt wurde und alle heute schon herzlich gelacht haben, meinen Eindruck wiederzugeben: Die Bemühungen der beiden Oppositionsführer - ich weiß gar nicht, ob man das so sagen kann, also der beiden, die für die Opposition geredet haben -, Scharping und Fischer, wirkten auf mich wie ein Kampf gegen Windmühlen. Ich hatte den Eindruck, Scharping und Fischer sind so etwas wie Don Quichotte und Sancho Pansa. Das paßt irgendwie.
Das zeigt, wie verzweifelt versucht wird, neuen Zukunftsfragen hinterherzulaufen. Man kämpft da gegen Windmühlenflügel. Bei Scharping ist das an dem Beispiel der Solarindustrie deutlich geworden. Er hat gesagt, die Bundesregierung habe in dem Bereich alles Notwendige versäumt. Es ist wahr
- ist ja gut -, wir haben im Bereich der Forschungsförderung viel Geld investiert. Aber sich hier hinzustellen und zu sagen, wie Herr Scharping das gemacht hat, man könne über Forschungsförderung Arbeitsplätze in Deutschland halten, die aus Kosten- und Konkurrenzgründen ins Ausland gehen, zeigt, daß er den Kurs wirklich nicht verstanden hat. Er weiß einfach nicht, was Globalisierung ist.
Deshalb kann man ihm nur empfehlen, daß er versucht, sich mit den ökonomischen Grundsätzen vertraut zu machen.
Die Wahrheit ist, daß der, der Globalisierung sagt, auch Internationale Mobilität von Kapital und Arbeit akzeptieren muß. Natürlich ist es schlimm, wenn High-Tech-Firmen aus Deutschland abwandern. Aber deutsche Unternehmen können im globalen Wettbewerb nur dann Erfolg haben, wenn sie wie ihre ausländischen Konkurrenten den internationalen Mix ihrer Betriebsstandorte optimieren. Nur aus der Stärke des internationalen Erfolgs heraus werden auch deutsche Standorte weiter Investitions- und Produktionsstandorte bleiben.
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
Ich habe das auch bei der Investitionsentscheidung der Firma Siemens in Sachen Chip-Produktion - die bekannterweise für Schottland erfolgt ist - in Gesprächen, die ich in diesem Zusammenhang geführt habe, deutlich gespürt. Es ist klar: In diesen HighTech-Märkten wird der Standort Deutschland nur dann weiter prosperieren, wenn deutsche Firmen weltweit tätig sein können, um mit dem so erwirtschafteten Ergebnis die Produktion am teuren Standort Deutschland weiter aufrecht zu erhalten.
Deshalb dürfen wir den Unternehmen, die sich dem globalen Wettbewerb stellen und in die Welt hinausziehen, nicht wie Herr Scharping hinterherrufen: Haltet den Dieb!
Ich frage Sie: Wie soll das eigentlich geschehen: durch Verbot, Bestrafung oder Subvention? Was sind denn die Mittel, die der Staat in dem Zusammenhang hat, wenn man gleichzeitig, wie wir es heute morgen erlebt haben, dagegen kämpft, daß mehr Flexibilität, mehr Deregulierung und mehr Privatisierung den Standort Deutschland zukunftsfähig machen?
Wir müssen für Technologien der Zukunft gleichzeitig auch die Grundlagen in Bildung und Ausbildung schaffen. Die Bundesregierung steht zu ihrem Wort, daß jeder ausbildungswillige Jugendliche auch die Möglichkeit zu einer Ausbildung erhält.
Die Wirtschaft hat ihre Zusage weitgehend schon wahrgemacht, und ich habe keinen Zweifel, daß sie auch die restlichen Ausbildungsplätze im betrieblichen Bereich zur Verfügung stellt. 600 000 war die Zielmarke. Wir werden dies um 14 500 Ausbildungsplätze im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative Ost ergänzen. Das bedeutet für den Bund 420 Millionen DM an Bundesmitteln.
Der Sachverhalt ist bekannt. Was mich in dieser Sache aber wirklich nervt, ist die Art und Weise, wie die öffentliche Debatte geführt wird. Deshalb will ich dazu eine Bemerkung machen. Jeder, der sich mit diesem Thema befaßt, weiß, daß zu frühzeitiges Ankündigen eines staatlichen Programms betriebliche Ausbildungsplätze kostet. Jeder, der diese Debatte führt, nimmt dies billigend in Kauf und versündigt sich an unseren Jugendlichen.
Besonders perfide finde ich, wenn Leute wie die brandenburgische Sozialministerin Hildebrandt zu einem Zeitpunkt, an dem die brandenburgische Landesregierung schon mit dem Bund über das neue Programm verhandelt, mit Horrorzahlen durch die Welt läuft und weiterhin Unternehmer abschreckt, betriebliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Sie hat den Namen Katastrophen-Hilde, wir kennen das. Ein solches Handeln ist unverantwortlich, und man darf es auch nicht durchgehen lassen.
Seit dem 4. November 1994 - ich könnte Ihnen das vorlesen - spricht die Bundesregierung in mehr als einem Dutzend Besprechungen mit den ostdeutschen Landesregierungen über die Frage, wie ein solches Programm aussehen kann. Wer dann wie Herr Thierse, Herr Ringstorff oder Frau Hildebrandt hingeht und Leute nach außen im wahrsten Sinne des Wortes verhetzt, handelt unverantwortlich. Ich meine, das muß hier deutlich angesprochen werden.
Ich unterstreiche, daß wir uns auch im kommenden Jahr werden sehr anstrengen müssen. Wir werden im nächsten Jahr nicht nur 600 000, sondern 630 000 Lehrplätze brauchen. Insofern, Kollege Rixe, ist es richtig und wichtig, daß wir uns auch über strukturelle Fragen unterhalten. Die Bundesregierung ist dabei. Ich habe hier dazu schon mehrfach gesprochen. Die Frage, was die Tarifparteien in Tarifverträgen tun können, Zukunftsberufe, Meister-BAföG, das sind alles Themen, die wichtig sind, bei denen wir weiterkommen können und auch weiter in der Diskussion bleiben.