Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An meiner Fröhlichkeit brauchen Sie keinen Zweifel zu haben, Herr Kollege Rexrodt.
Daß Politik Spaß macht, weiß ich auch; deswegen stehe ich hier. Sie werden an mir eine unverbesserliche Optimistin haben, keine Sorge.
Wir reden heute über Wirtschaftspolitik. Das war eben eine traurige Vorstellung, meine Damen und Herren. Wenn Sie schon wieder einmal Herrn Spöri zitieren wollen, dann übernehmen Sie doch bitte für die Bundesebene sein hervorragendes Programm zur Hilfe für kleine und mittlere Unternehmen, um diesen bei Liquiditätsproblemen zu helfen, damit sie nicht pleite gehen, sondern weiterarbeiten können.
Wenn Sie schon Hermann Rappe zitieren, dann bitte auch jenen Satz, in dem er beklagt, daß wir in unserer Gesellschaft im Augenblick die Unternehmer in ihrer sozialen Verantwortung unterfordern. Er mahnt mehr soziale Verantwortung der unternehmerischen Wirtschaft an. Das ist Hermann Rappe, und so handelt er auch richtig, meine Damen und Herren.
Ich habe mich in der Vorbereitung zu dieser Rede nicht nur mit dem eh mageren Haushalt des Wirtschaftsministers beschäftigt. Wirtschaftspolitik ist doch eine Gesamtpolitik. Ich habe bei Herrn Wissmann, bei Frau Merkel, bei Herrn Bötsch und bei Herrn Töpfer zugehört. Die Antwort auf die Frage, ob es eine wirtschaftspolitische Gestaltungsfähigkeit dieser Regierung gibt, ist für mich: nein. Sie haben alle das Aussitzen des Bundeskanzlers verinnerlicht, meine Damen und Herren, warten ab und begründen kläglich, warum Sie sparen müssen, und dann noch in die falsche Richtung.
Das ist keine zukunftsorientierte, keine beschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik. Wenn man bedenkt, wie wichtig eine beschäftigungsorientierte, zukunftsorientierte Verkehrspolitik ist, ist man enttäuscht von dem, was Herr Wissmann gesagt hat. Wenn man daran denkt, daß Frau Merkel eigentlich unseren Weg der ökologischen Erneuerung mitgehen müßte, ist es Kleinkram, was sie hier erzählt hat. Wenn man bedenkt, wie wichtig es gerade jetzt, in dieser konjunkturellen Situation, wäre, den Wohnungsbau zu forcieren, statt ökonomisch unsinnig zu reduzieren, und über den Wohnungsbau der Bauwirtschaft auch weiterhin zu helfen, und Herrn Töpfer hört, muß man zu dem Ergebnis kommen: Das ist in der Tat eine klägliche Veranstaltung, meine Damen und Herren. Das ist keine zukunftsorientierte Politik mehr.
Als ich Herrn Rexrodt eben zugehört habe, wurde ich auch nicht gerade frohgemut. Ihretwegen fange ich nicht an zu lächeln,
sondern ich fange an zu lächeln, weil ich versuchen will darzustellen, wo die Handlungsfelder liegen. Sie sagen uns, wir nennen die richtigen Handlungsfelder. Von Ihnen würden wir gerne endlich mal Taten sehen, wenn Sie soviel rumschwadronieren. Tun Sie doch endlich etwas, damit endlich Gestaltungskraft sichtbar wird.
Ich bin schon überrascht - das ist in diesen Tagen des öfteren angesprochen worden -, wie locker vom Hocker der Wirtschaftsminister die Arbeitslosenzahlen zur Kenntnis nimmt
und überhaupt kein Konzept dafür entwickelt, was wir in dieser Gesellschaft tun können, um Massenarbeitslosigkeit nicht in Kauf zu nehmen. Wir wissen doch alle, daß Massenarbeitslosigkeit das Teuerste ist, was wir uns leisten können, abgesehen von den Folgen für die Familien und für die Menschen.
Auch ich habe kein Patentrezept, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, aber die Zusammenfassung aller Politikbereiche, von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik muß beschäftigungsorientiert sein. Deswegen müssen wir doch alle Instrumente daraufhin überprüfen, ob sie in Anbetracht der Globalisierung der Weltmärkte, für unsere Wirtschaft nützlich sind und dazu führen, daß Männer und Frauen durch Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen können, meine Damen und Herren.
Da tun Sie nichts. Sie nehmen Massenarbeitslosigkeit in Kauf, weil es Ihnen eigentlich egal ist. Hier liegt der grundlegende Unterschied zu uns: Sie setzen auf Sozialabbau. Herr Rexrodt hat in dieser Sommerpause in rasanter Einfalt über Sozialpolitik geredet. Ich will das gar nicht alles wiederholen; Sie haben es gelesen. Nicht, was er da sagt, aber welche Geisteshaltung dahintersteht, ist das, was mich bewegt, daß man wirklich nichts begriffen hat.
Sie sollten einmal Hermann Rappe zu sich holen, damit er Ihnen erzählt, was aus der Sicht der Menschen in unserem Lande Sozialstaat und Wirtschaftspolitik miteinander zu tun haben, welchen Produktivitätsfaktor dies darstellt.
Anke Fuchs
Die Globalisierung der Märkte und die Herausforderungen, die wir alle kennen, die auch zu Umdenken und neuen Instrumenten führen müssen, dürfen doch nicht von dem Bild begleitet sein: erst mal Sozialabbau, Armut in Kauf nehmen. Die Menschen kommen in zweiter Linie. Das kann nicht das Ergebnis der Gestaltungskraft dieser Gesellschaft sein, meine Damen und Herren.
Dahinter steckt - das sagt Herr Schäuble immer wieder - die Auffassung von einer Vollkaskomentalität, von vorhandener Risikoscheu. Nun ist ihm etwas ganz Tolles eingefallen - auch der Bundeskanzler selbst hat gestern davon gesprochen -: Wir wollen Mißbrauch verhüten. - Das finde auch ich gut. Ich bin gegen jeden Mißbrauch. Ich bin auch dagegen, daß Sozialhilfe mißbraucht wird. Es war aber für mich hochinteressant, daß der Bundeskanzler dann sagte, er sei auch gegen Mißbrauch in Form von Steuerhinterziehung.
Meine Damen und Herren, wenn es darum geht, Sozialhilfemißbrauch zu bekämpfen, wird eine riesige Gesetzgebungsmaschinerie in Gang gesetzt. Aber auch in bezug auf Steuerhinterziehung habe ich noch keine Handlung dieser Bundesregierung gesehen.
Das ist der zweite Teil Ihrer Geisteshaltung - Herr Hintze, ich gucke Sie jetzt an -: Sie unterfordern damit auch die unternehmerische Wirtschaft. Sie lassen zu, daß sie sich aus der sozialen Verantwortung zieht, wie Hermann Rappe zu Recht beklagt. Wir lassen zu, daß die unternehmerische Wirtschaft nur mit dem Thema Lohnnebenkosten- und Steuersenkung die wirtschaftspolitische Debatte bestreitet. Dabei müssen wir von Ihnen Äußerungen darüber erwarten, wie Sie sich die Zukunft vorstellen, welche Instrumente Sie anzubieten haben, um mit gemeinsamen Mitteln die wirtschaftspolitischen Herausforderungen zu bestehen.
- Herr Kollege, wenn das, was Herr Rexrodt dazu gesagt hat, alles sein soll, dann gute Nacht, Deutschland. Mit einer solchen Wirtschaftspolitik werden Sie die Zukunft nicht gestalten können.
Sie nehmen die Arbeitslosigkeit in Kauf. Ja, Sie nehmen in Kauf, daß wiederum Sozialabbau das einzige Ziel ist. Da komme ich zu dem Schluß, daß Sie dies ohne uns machen müssen.
Sie sagen: Sozialhilfe ist zu teuer. - Sie ist deswegen zu teuer, meine Damen und Herren, weil wir keine Arbeitsplätze anzubieten haben. Der Kern dieses ganzen Teufelskreises ist die Frage: Wie schaffen wir es, vernünftige, beschäftigungsorientierte Politik zu machen? Da sind doch Sie gefordert, Herr Rexrodt, mit ganz praktischen Beispielen zu mehr Beschäftigung beizutragen. Das heißt, wir brauchen endlich die Entsenderichtlinie, damit portugiesische Bauarbeiter nicht billiger arbeiten können als deutsche Bauarbeiter.
Wir brauchen die Bekämpfung von illegaler Beschäftigung; wir brauchen die Bekämpfung von Schwarzarbeit. Wenn Sie mit mir auch nur ein Wort über Ladenschluß reden wollen, dann tue ich das erst dann, wenn Sie die Geringfügigkeitsgrenze abgeschafft haben und wir ordentliche Teilzeitarbeitsplätze in diesem Lande organisieren können,
damit 4 Millionen Frauen die Chance haben, sich durch ihre Verdienste eine soziale Sicherung aufzubauen.
Daß das nicht geschieht, nehmen Sie alle in Kauf. Deswegen kann man Ihre Politik eigentlich nicht ernst nehmen.
Sie sagen: Die Sozialhilfe ist zu teuer. Ihre Philosophie ist: Obwohl Massenarbeitslosigkeit - 3,6 Millionen Menschen - herrscht, obwohl wir also keine Arbeitsplätze haben, wollen Sie den Anreiz zur Arbeitsaufnahme erhöhen. Das heißt im Klartext: Wir haben zwar keinen Arbeitsplatz; wenn du aber dem Anreiz nicht folgst, einen Arbeitsplatz anzunehmen - den wir gar nicht haben -, streiche ich dir Sozialhilfe. - Stellen Sie sich das einmal vor! Wir haben keinen Arbeitsplatz anzubieten, aber der Anreiz zur Arbeitsaufnahme soll verstärkt werden! Und wenn man dem nach irgendwelchen Statistiken oder irgendwelchen Aufforderungen nicht nachkommt, wird die Sozialhilfe gestrichen.
Nein, meine Damen und Herren, so kann es nicht gehen. Es geht darum, Arbeitsplätze zu schaffen, nicht die Arbeitslosen zu bekämpfen, sondern die Arbeitslosigkeit.
Ich will mich heute bei meinem kurzen Diskussionsbeitrag nicht bei diesem Thema aufhalten. Ich will aber den Wirtschaftspolitikern - einige kennen mich aus dem Ausschuß - noch einmal mit Nachdruck sagen: Die Beschäftigungsorientierung der Wirtschaftspolitik ist das zentrale Problem. Immer
Anke Fuchs
darüber hinwegzusehen und zu sagen, das werde sich alles hinschuckeln, wird nicht ausreichen, um diese Kernfrage für unser Land wirklich vernünftig zu diskutieren.
Ich habe gesagt: Wir unterfordern die soziale Verantwortung der unternehmerischen Wirtschaft. Ich glaube, wir unterfordern auch uns selbst. Der Bundeskanzler hat ja von der Elite geredet. Das kommt mir immer ein bißchen komisch vor. Ich glaube, er meint damit die Wirtschaftsbosse. Ich will das einmal aufnehmen. Auch die Wirtschaftsbosse in unserem Land sind doch unterfordert, weil man ihnen nicht abverlangt, mit uns zusammen die Fragen zu beantworten: Wie soll dieser Wirtschaftsstandort in Zukunft aussehen? Welche Werte legen wir zugrunde? Welche Richtung wollen wir angeben?
Ich denke, die Menschen warten darauf, daß mit neuen Ideen und gebündelter Kreativität Reformvorhaben vorgetragen werden. Ich glaube, man kann dieses an dem Thema „Arbeit und Umwelt" deutlich machen.
Ich will nun nicht den Eindruck erwecken, als ob die ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft - ich sage dazu einfach: Arbeit und Umwelt - das Patentrezept sei. Tun wir bitte nicht so, als ob wir in diesem schwierigen Feld ein Patentrezept hätten, das die ganzen Probleme löst, so wie Sie immer behaupten: Wenn wir alle länger arbeiten, lassen sich die Probleme schon lösen. Das ist ja nicht wahr! Wir brauchen hier einen „policy mix", wir brauchen, um es mit Karl Schiller zu sagen, so viel Staat wie nötig und so viel Markt wie möglich. Das muß man dann mit Blick auf die Herausforderungen der Zeit, in der wir sind, variieren.
Eine der Herausforderungen ist, daß wir die Weichen in Richtung ökologische Erneuerung stellen müssen. Warum? - Weil da unsere Zukunftschancen liegen, weil wir auf diese Weise mit intelligenter Technik, mit vernünftigen Produktionsweisen etwas für die Umwelt tun können und trotzdem unsere Wettbewerbsfähigkeit und Standortfähigkeit verbessern können. Das ist doch das, was die Menschen bewegt. Die wissen doch, daß es mit der Umweltpolitik so nicht weitergehen kann. Sie wissen, daß hier etwas Neues zu geschehen hat. Deswegen ist das Umschichten in Richtung ökologische Produkte, in Richtung ökologische Produktionsweisen das, was wir uns vornehmen müssen. Frau Merkel hat dazu überhaupt nichts gesagt. Ich habe jetzt das Beispiel meiner Kollegin Liesel Hartenstein nicht mehr ganz parat, aber dem Sinn nach hat sie gesagt: Die Verpakkungsverordnung, die dringend nötig ist, die ein Instrument ist, mit dem diese Regierung handeln könnte, wird nicht angewandt. Da werden Chancen vertan, - Diese Regierung nutzt die Instrumente, die sie selbst geschaffen hat, nicht konsequent, meine Damen und Herren. Deswegen passiert auf dem Sektor der ökologischen Erneuerung unserer Industriegesellschaft nichts.
Wir wollen das Thema „Arbeit und Umwelt" - die Debatte der letzten Jahre - endlich realisieren, das was wir doch alle immer sagen: Arbeit muß billiger werden, die Inanspruchnahme der Umwelt muß verteuert werden. Wenn wir Arbeit billiger machen wollen, dann könnten wir damit anfangen, daß wir die Arbeitslosenversicherungsbeiträge senken: für Arbeitnehmer wie für Arbeitgeber.
- Wir wollen die Arbeitslosenversicherungsbeiträge senken, Herr Kollege, herunterziehen.
Wir wollen, daß die Arbeitsmarktpolitik auf neue Füße gestellt wird. Seit Jahren, meine Damen und Herren, sagen wir, daß es nicht angehen kann, daß Arbeitsmarktpolitik allein aus Beitragsmitteln finanziert wird.
Eine beschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik fordert auch finanzielle Unterstützung des Staates. Deswegen ist es richtig, wenn die Bundesanstalt berechenbar und zuverlässig Staatsmittel bekommt, um ihre wichtige, begleitende, innovative Arbeitsmarktpolitik auch finanzieren zu können. Also senken wir die Arbeitslosenversicherungsbeiträge und statten die Bundesanstalt für Arbeit entsprechend aus.
Davon haben auch die Rentner Vorteile, weil durch die nettolohnbezogene Anpassung der Renten auch deren Einkommen steigen kann.
Wie wollen wir das finanzieren? - Sehr richtig, Herr Kollege: Wir wollen es durch eine Stromsparsteuer sowie eine moderate Anhebung der Mineralölsteuer finanzieren, die auch Herr Rexrodt durchaus will.
Sich angesichts des Wegfalls des Kohlepfennigs dafür auszusprechen, daß Strom noch billiger werden soll, ist doch geradezu unsinnig, meine Damen und Herren. Die privaten Haushalte sollen auf dem jetzigen Stand gehalten werden. Sie sollen so viel zahlen, als ob es den Kohlepfennig noch gäbe, sage ich einmal ein bißchen vereinfacht. Die unternehmerische Wirtschaft wollen wir sogar besserstellen, weil wir um ihre Wettbewerbsprobleme wissen und weil wir wollen, daß Arbeitsplätze in der Bundesrepublik bleiben. Das ist wichtig auch hinsichtlich der Frage, wie dieses Konzept realisiert werden kann.
Wir wollen darüber hinaus moderat, aber zuverlässig und berechenbar die Mineralölsteuer anheben. Wenn Sie fordern, die Inanspruchnahme von Umwelt muß verteuert und Arbeit muß entlastet werden, dann muß es auch finanziert werden. Wir wollen das aufkommensneutral machen. Wir werden das Aufkommen aus der Mineralölsteuer an die Arbeitgeber und Arbeitnehmer zurückgeben und in
Anke Fuchs
einem späteren Schritt auch eine Senkung der Lohn- und Einkommensteuer vornehmen. Das ist unser Konzept einer richtigen Neujustierung von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, meine Damen und Herren.