Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf den ersten Blick scheint der hier debattierte Entwurf des Einzelplanes 09, wie Herr Kollege Rossmanith festgestellt hat, bei einer Steigerung von über 48 % in Ordnung zu gehen. Fast könnte man glauben, daß den Beschwörungsformeln des Bundeswirtschaftsministers von der Sicherung des Wirtschafts- und Technologiestandortes Deutschland, vom „Fitmachen" für die Informationsgesellschaft, von der Bündelung der Wirtschaftsfördermittel tatsächlich Taten gefolgt wären. Aber es ist wie überall im Leben: Der erste Blick täuscht. Kühnen Worten folgen einmal mehr kleinmütige Taten. Sie reichen weder für die Gegenwart, noch sind sie für die Zukunft geeignet. In Wahrheit geht es auch in diesem Haushalt um eine Senkung um etwa 15 %.
Herr Rexrodt, Sie haben Flexibilisierung und Deregulierung angesprochen. Ich möchte dazu nur zwei Anmerkungen machen.
Erstens. Im Gespräch mit führenden Vertretern eines Automobilkonzerns, an dem ich im Rahmen des Wirtschaftsausschusses teilnehmen konnte, bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß die Flexibilisierung in der Wirtschaft gegenwärtig viel weiter vorangeschritten ist, als wir es politisch annehmen. Bei vielen Forderungen, die wir Politiker stellen, hinken wir hinterher. Auch bin ich der Auffassung, daß in den Unternehmen die Flexibilisierung zuallererst von den Arbeitnehmern abgefordert wird.
Zweitens. Mit Blick auf die DASA-Gespräche fürchte ich, bekennende Deregulierer werden einmal mehr nach dem Motto verfahren: Gewinne sind zu privatisieren, Verluste zu vergesellschaften, selbst wenn sie allein von Managern zu verantworten sind. Hier und nicht bei den wirklich Bedürftigen sollte über Leistungsmißbrauch gesprochen werden. Auch im Etat des Wirtschaftsministers zeigt sich, daß mit den Sparmaßnahmen zuallererst bei den Schwächeren in der Gesellschaft angesetzt wird.
Herr Waigel sprach von der Stärkung des Industriestandortes Deutschland und damit von mehr Arbeitsplätzen. Was soll solch eine Behauptung angesichts von beispielsweise knapp 300 Millionen DM, mit denen diese Bundesregierung Fünfzigjährige an
Ruhr und Saar als „Anpassungsgeldfälle" abzuschreiben gedenkt, anstatt mit diesem Geld Wege zu ebnen, damit Menschen dauerhaft in Arbeit kommen und ihr Leben selbst gestalten können?
Die zitierte Behauptung entspricht auch dann den Tatsachen nicht, wenn Beamten des Wirtschaftsministeriums zum Befehl des Herrn Waigel, global um 125 Millionen DM zu kürzen, nichts anderes einfällt, als regionale Wirtschaftsförderung, Forschungsförderung und Absatzförderung insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen Ostdeutschlands weiter zusammenzustreichen, und dies, obwohl niemand ernsthaft bestreitet, daß sich eine selbsttragende Wirtschaftsstruktur in den neuen Ländern weitgehend nur noch auf der Basis solcher Unternehmen entfalten können wird, weil es kaum noch andere Unternehmen gibt, und das, obwohl wir uns alle in diesem Haus einig sind, daß die kleinen und mittleren Unternehmen hinsichtlich der Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen das Rückgrat der Wirtschaft sind.
Sie sind von ihrer Struktur her die flexibelsten Wirtschaftseinheiten, aber sie leiden an einer chronischen Eigenkapitalschwäche. Sie haben deshalb Probleme insbesondere bei der Überführung von Innovationen zur Marktreife und beim Absatz.
Erst legen Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, Programme auf, die in Hochzinsphasen eher als Umsatzlokomotiven für Banken und potentielle Galgenstricke für Existenzgründer denn als Mittelstandsförderung geeignet sind,
und in der Stunde der Wahrheit, die jetzt gekommen ist, wollen Sie nun dem schon in der Schlinge befindlichen Delinquenten auch noch den Schemel unter den Füßen wegziehen.
Gestern war überall zu lesen, daß die Zahl von Unternehmenspleiten von Januar bis Ende Mai gegenüber demselben Vorjahreszeitraum im Westen Deutschlands um 12,3 % und in Ostdeutschland um sage und schreibe 48,7 % angestiegen ist. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie das mit der vom Wirtschaftsministerium gegebenen Begründung einhergeht, einer „beabsichtigten Konzentration der Mittel" bei der Absatzförderung Rechnung zu tragen.
Herr Rexrodt wird nicht müde, über das Auslichten des Förderdickichts zu sprechen. Daß sein Haus die Axt nun ausgerechnet an die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" anzulegen gedenkt, zeugt weniger von findigen Wirtschaftslenkern denn von Elefanten im Porzellanladen ökonomischen Strukturwandels. Damit wird eines der wenigen flexibel handhabbaren und dabei tatsächlich abrechenbaren Fördermittel, weil es sich an konkreten Arbeitsplätzen und nicht an abstrakten Investitionssummen orientiert, nicht zu einer Förderbasis in Ost und West ausgebaut, sondern - gemessen an der Größe 1994 - um über 620 Millionen DM zusammengestrichen.
Rolf Kutzmutz
Ich kann keine Strategie erkennen, wenn einerseits mit dem aktuellen Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe Fördersätze und Förderfelder, wie ich finde, zu Recht, ausgedehnt werden, die Bundesregierung jedoch andererseits - ich zitiere aus der Erläuterung zum Einzelplan 09 - „eine schrittweise Rückführung der GA Ost für vertretbar" hält. Das klingt moderat, entpuppt sich jedoch als Kahlschlag von 500 Millionen DM, mit dem das Bewilligungsvolumen an Länder-, Bundes- und EU-Mitteln um insgesamt 2 Milliarden DM schrumpfen würde.
Wohl wissend, daß es Vorschläge unserer Gruppe in diesem Hause immer schwer haben, überhaupt Gehör zu finden, werden wir demokratischen Sozialisten in den bevorstehenden Ausschußberatungen Anträge einbringen, die eine effektive regionale Wirtschaftsförderung im Osten konsolidieren und im Westen durchaus ausweiten können.
Auch meinen wir, daß durch Erhöhung der Förderung regenerativer Energien von 30 auf mindestens 100 Millionen DM zumindest ein bescheidenes Signal für den ökologischen Umbau gesetzt werden sollte, übrigens ohne den Gesamtetat zu erhöhen.
Herr Rexrodt hat - ich denke, durchaus unter dem Eindruck der gestern veröffentlichten Arbeitslosenzahlen - davon gesprochen, daß es jetzt darum gehe, dicke Bretter zu bohren. Ich will die Ausführungen von Frau Kollegin Wolf dazu hier nicht wiederholen, obwohl das von ihr gewählte Beispiel sehr gut war, aber fragen möchte ich: Wer hindert eigentlich daran, daß dicke Bretter gebohrt werden? Wer hat Herrn Rexrodt bisher daran gehindert, angesichts von 3,5 Millionen Arbeitslosen dicke Bretter zu bohren?
Ich kann die Frage nicht beantworten und warte deshalb auf eine Antwort von der Regierungsbank.
Eine grundlegende Veränderung der Arbeitsmarktsituation setzt eine Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bei gleichzeitig gestaltender Arbeitsmarktpolitik und vor allem öffentlich geförderter Arbeit voraus. Das ist keine neue Erkenntnis, obwohl sie immer wieder diskutiert wird.
Es ist gut zu wissen, mit dieser Auffassung nicht allein zu sein. Ich entnahm sie nämlich einer Studie, am Montag veröffentlicht, der Evangelischen Kirche in Deutschland. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der F.D.P., uns schon nicht zuhören,
dann sollten Sie, die Sie das C in Ihrem Parteinamen tragen, ab und an wenigstens auf Signale aus den Kirchen hören.
Danke schön.