Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will gleich bekennen: Ich habe weder heute noch in Zukunft Lust und Spaß an einer großen sozialpolitischen Hackerei. Wir sollten nämlich bei all unseren Diskussionen nicht vergessen, daß von unseren sozialpolitischen Entscheidungen Millionen von Menschen betroffen sind. Um ein Wort von Katharina der Großen umzuwandeln: Wir schreiben auf der empfindlichen Haut von Menschen, nicht auf totem Papier.
Deshalb plädiere ich für sozialpolitische Besonnenheit. Das ist keine tatenlose Besinnlichkeit, keine handlungslose Betroffenheit. Sie sucht ihren Weg zwischen dem Übermut derjenigen, die die Welt zum zweiten Mal erfinden wollen, und der Erstarrung ei-
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
ner Betonmentalität. Es wird nicht alles beim alten bleiben, es wird aber auch nicht alles neu. Zwischen Erstarrung und Chaos suchen wir einen Weg der Vernunft, der Verantwortung, des Augenmaßes.
Täglich erscheinen neue Vorschläge. Schneller sind sie vergessen als ausgesprochen. Nicht jeder Lichtschein am Himmel ist ein Fixstern; manche sind nur Sternschnuppen. Forderungen werden erhoben, die längst durchgesetzt sind. Der befristete Arbeitsvertrag wird gefordert; den haben wir längst umgesetzt. Eine neue Arbeitszeitordnung, die der Flexibilität Bahn bricht, wird gefordert; wir haben sie längst erreicht. 23 Gesetze sind über Nacht überflüssig geworden.
Die einen schreien: Keine Veränderungen, es muß alles beim alten bleiben. Die anderen sagen: Alles muß neu werden. Zu der einen Seite, den Katastrophenspezis, die aus jeder Veränderung schon den Ruin des Sozialstaates herleiten, sage ich: Es ist noch immer so, daß jede dritte Mark der öffentlichen Finanzen für Soziales ausgegeben wird. Wer dabei von Ruin spricht, der kennt die Welt nicht.
Im übrigen: Jede Mark muß von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bezahlt werden. Insofern beginnt der Sozialstaat nicht erst auf der Ausgabenseite, sondern er beginnt bei der Belastungsfähigkeit seiner Zahler.
Preisstabilität halte ich für eines der wichtigsten sozialpolitischen Ziele. 1 % weniger Preissteigerung bedeutet 18 Milliarden DM mehr Kaufkraft, 1 % Rentenerhöhung bedeutet nur 2,7 Milliarden DM mehr Kaufkraft. 2 % Lohnerhöhung bedeutet soviel wie 1 % weniger Preissteigerung; denn die Hälfte der Lohnerhöhung kommt beim einzelnen gar nicht an.
Ich möchte an die beste Erfindung unseres Sozialstaates Deutschland erinnern, an dem viele mitgewirkt haben. Die beste Erfindung ist soziale Partnerschaft. Sie hat uns eine Sozialkultur ermöglicht, um die uns andere beneiden. Noch immer gehört der Sozialstaat Deutschland zu jenen Gesellschaften mit dem geringsten Arbeitsausfall durch Arbeitskämpfe. Das ist nicht vom Himmel gefallen, und das wird auch in Zukunft nur erhalten bleiben, wenn der Sozialstaat gehegt und gepflegt wird. Ich glaube, seine wichtigste Voraussetzung ist die Fähigkeit zum Kompromiß, zum Geben und Nehmen.
Da sehe ich diese Sozialkultur durchaus bröckeln. Sie bröckelt und wandelt sich zum Teil in eine Herausholergesellschaft. Ich warne allerdings nachdrücklich davor, die Herausholer nur auf der Arbeitnehmerseite zu sehen. Großbetriebe, die keine Lehrlinge ausbilden, sich aber den Nachwuchs vom Handwerk beschaffen, halte ich für klassische Herausholer. Ich halte sie für eine Gefahr für unseren Sozialstaat.
Ich warne auch, von einzelnen auf alle zu schließen. Ich schließe auch nicht von dem Herrn Schneider auf alle Kreditnehmer. Das wäre eine Beleidigung.
Eine amerikanische Mentalität des Heuern und Feuerres verträgt sich nicht mit unseren Sozialstaatstraditionen. Es ist widersprüchlich, wenn Branchen ältere Arbeitnehmer mit goldenem Handschlag verabschieden und ein halbes Jahr später die Facharbeiter suchen, die sie sechs Monate vorher mit Sozialplänen ins Freie befördert haben. Solche Unternehmensplanung halte ich für dumm und kurzsichtig.
Auch ein Bauer verfuttert nicht sein Saatgut. Mancher Großbetrieb könnte sich da eine Scheibe beim handwerklichen Betrieb abschneiden.
Im Handwerk gibt es eine alte Tradition, den familiären Zusammenhalt. Man hält in guten und schlechten Zeiten zusammen. Es müßte uns doch zu denken geben, daß der Krankenstand in den Kleinbetrieben unter vier Arbeitnehmern 2,4 % und bei manchen Großbetrieben bis zu 11 % beträgt. Es kann doch nicht sein, daß bei den Kleinbetrieben die Gesunden und bei den Großbetrieben die Kranken arbeiten. Könnte es nicht auch sein, daß dies etwas mit Betriebsloyalität, mit Zusammenhalt zu tun hat? Wer den haben will, der kann nicht heuern und feuern, der muß auch das Miteinander pflegen.
Zum Thema Mißbrauch. Im Rahmen der Pflegeversicherung haben wir ermöglicht, daß ab dem ersten Tag der Krankmeldung zum Vertrauensarzt geschickt werden kann, wer unter Verdacht des Mißbrauchs steht. Man muß das nicht mit allen machen. Warum sollte man alle verdächtigen? Ich halte das für ein richtiges Instrument.
Zwei Klugheiten sind in unseren Sozialstaat eingebaut: erstens die Subsidiarität und zweitens die Leistungsgerechtigkeit. Zur Subsidiarität. Wir haben die soziale Sicherung nicht den Staatskassen überlassen, sie wird nicht steuerfinanziert, sondern durch Beiträge. Das schafft mehr Selbständigkeit, schützt gegen Manipulation, macht die soziale Sicherheit von den Verteilungskämpfen unabhängig, die wir jährlich im Zusammenhang mit dem Haushalt, gerade heute wieder, führen müssen: Was ist für Bildung, was ist für Straßenbau? Die selbstverwaltete Sozialversicherung ist ein großes Moment der Selbständigkeit. Es war eine große Klugheit, sie zu schaffen.
Der zweite Gesichtspunkt ist, daß wir unsere Rentenversicherung auf dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit aufbauen: Jedem das Seine. Das legen wir aus und verbinden es mit: Wie du mir, so ich dir, wie die Jungen die Alten behandeln, so werden, wenn sie alt sind, auch sie behandelt. Unser Sozialstaat ist nicht die Reduzierung auf Armenfürsorge, ist nicht das Armenhaus unserer Gesellschaft; das ist ein großes Mißverständnis.
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Das in der Erwerbsphase differenzierte Einkommen setzt sich auch im Alter fort. Das ist eine Stützung des Leistungsprinzips. Alle, die auf Grundversorgungssysteme abstellen, müssen wissen, daß darin sehr viel mehr Umverteilung als in unserem Sozialsystem enthalten ist.
Meine Damen und Herren, wir haben große Ref ormen bewältigt. Wir haben die Gesundheitsreform geschafft, und zwar zweimal mit großen Entlastungen, die auch noch heute wirken. Wo wären wir ohne zwei Gesundheitsreformen hingekommen? Allein die Veränderungen in der Renten- und in der Arbeitslosenversicherung entlasten die Beitragszahler in diesem Jahr um 60 Milliarden DM, nur in diesem Jahr und nicht etwa kumuliert. Wir fangen also nicht bei Null an.
Wir haben ein großes Reformprojekt, das Arbeitsförderungsgesetz, noch vor uns. Es ist in den Zustand der Unlesbarkeit geraten. Bei § 242 sind wir bei „u" angekommen. Für solche Ausfächerungen hat die Krankenversicherung 100 Jahre gebraucht; das haben wir im Arbeitsförderungsgesetz in nicht ganz 30 Jahren geschafft. Diese Ausfächerung ist schon ein Grund für die Reform; denn der Sozialstaat muß durchsichtig sein. Um ihn zu nutzen, sollte man keinen Berater nötig haben. Aber um die Lohnkostenzuschüsse heute zu durchschauen, braucht man einen Lohnkostenzuschußberater.
Ich sehe die erste und wichtigste Aufgabe in der Verantwortung der Beteiligten; denn die Arbeitsmarktpolitik kann nicht alles schaffen. Wir haben ja keine Planwirtschaft. Es bleibt bei der Verantwortung der Unternehmer und der Tarifpartner. Die Arbeitsmarktpolitik muß sich, wie ich glaube, auf diejenigen konzentrieren, die es schwer haben, vermittelt zu werden, die es aus eigener Kraft kaum schaffen, in den Arbeitsmarkt zurückzufinden. Das sind die Langzeitarbeitslosen, die Ungelernten und die Behinderten.
Auch die Frauen haben es noch schwer. Auf diese Gruppen muß sich die Arbeitsmarktpolitik konzentrieren.
Integration in den ersten Arbeitsmarkt heißt dabei das Gebot der Stunde.
Denn wer einen zweiten Arbeitsmarkt stabilisiert, der schafft eine neue Klassengesellschaft, ohne daß er es will. Die Jungen, Gesunden und Ausgebildeten im ersten Arbeitsmarkt, und für die Kranken und Alteren haben wir einen ghettoähnlichen zweiten Arbeitsmarkt. Für uns bleibt das Ziel: Integration der Behinderten, der Langzeitarbeitslosen und der Ungelernten in den ersten Arbeitsmarkt.
- Herr Fischer, Sie waren nicht sehr lange auf dem ersten Arbeitsmarkt. Deshalb kennen Sie sich dort nicht so gut aus.
- So lange wie Sie wahrscheinlich auch. Ich bin im übrigen noch jetzt auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Wir bleiben dabei: Der erste Schritt ist der wichtigste. Denn die größte Hemmung für Langzeitarbeitslose besteht darin, daß sie in den ersten Arbeitsmarkt überhaupt nicht hineinkommen, daß sie keine Chance bekommen. Deshalb meine ich - das ist eine alte Erfahrung -: Wenn jemand im ersten Arbeitsmarkt ist, ist die Hemmung der Arbeitgeber, ihn wieder zu entlassen, größer. Das zeigen befristete Arbeitsverträge.
- Sie können ruhig lachen. Das steht wahrscheinlich in Ihren Lehrbüchern anders. Die Erfahrung zeigt, daß die Mehrzahl der befristeten Arbeitsverträge entgegen Ihrer Ideologie zu unbefristeten Arbeitsverträgen geführt hat.
Ich entnehme Sozialpolitik nicht fernen Lehrbüchern, sondern der Erfahrung.
Befristete Arbeitsverträge, Leiharbeitsverträge, Einstiegstarife, von den Tarifpartnern ausgehandelt - ich bin gegen staatliche Einstiegstarife -, und Einarbeitungsverträge - unsere ganze Phantasie muß darauf gerichtet sein: Wie bekommt derjenige, der jahrelang arbeitslos war, wieder eine Chance, in den ersten Arbeitsmarkt zurückzukommen? Das ist das Wichtigste.
Die Ungelernten werden das große Arbeitsmarktproblem der Zukunft. Die Arbeitsplätze für Ungelernte schmelzen wie der Schnee unter der Sonne. Da kann die Konjunktur boomen, aber die Arbeitsplätze für Ungelernte fallen noch immer weg. Das erste heißt: Qualifizierung. Was machen wir mit denjenigen, die im Bereich der Technologie nicht qualifizierungsfähig, aber trotzdem begabt sind? Ich sehe in den neuen Beschäftigungsfeldern Haushalt und Pflege auch neue Beschäftigungsmöglichkeiten für diejenigen, die weder Spaß noch Begabung haben, einen Computer zu bedienen.
Nur warne ich davor, das neue Feld Pflege zu überprofessionalisieren. Wir brauchen Profis, hochqualifizierte Fachkräfte. Aber ich füge hinzu: Übertreibt es nicht! Um einen 30jährigen zu füttern, brauche ich keine sechs Semester Psychologie. Dazu brauche ich ein gutes Herz und eine ruhige Hand.
Ein weiterer Punkt wird sein: Dezentralisierung. Wir müssen die Bundesanstalt in der Tat vom Kopf auf die Füße stellen: mehr Verantwortung vor Ort,
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mehr Flexibilität, auch mehr Entscheidungsbefugnis. Wir brauchen einen Wettbewerb zwischen den Arbeitsämtern in bezug auf Initiative, Engagement und neue Einfälle.
Auch die Finanzierungsfrage stellt sich. Das ist nicht originär von Blüm; auch ich habe kein Patentrezept. Schon 1969 bei der Verabschiedung des Arbeitsförderungsgesetzes wurde diese Frage gestellt. Sie ist die Grundfrage unseres Sozialstaats. Was muß der einzelne zahlen? Was übergeben wir der Eigenverantwortung? Was muß der Solidarität übergeben werden? Ich gebe zu, daß diese Grenze nicht fest ist, daß immer balanciert werden muß.
Aber bezüglich der Solidarität entsteht eine weitere Frage. Was muß vom Steuerzahler und was vom Beitragszahler gezahlt werden? Der Beitragszahler ist nicht für alles, was gut und nützlich ist, zuständig; denn sonst würden wir eine Umverteilung von unten nach oben betreiben. Wenn der Beitragszahler zahlt, zahlen nicht alle - die Beamten und die Selbständigen nicht, und selbst die, die zahlen, zahlen nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Also stellt sich diese Frage auch aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit und aus Gründen der Entlastung der Lohnzusatzkosten.
Ich gebe zu, daß sich diese Frage bei der Haushaltslage nicht von heute auf morgen löst. Laßt uns ein Stufenprogramm machen. Jedenfalls kann sie, wie ich glaube, nicht ausgeklammert werden. Übrigens hat sie die Koalition nie ausgeklammert. Wir haben die Aussiedlerfinanzierung aus der Beitragsfinanzierung herausgenommen und dem Steuerzahler übertragen.
Die erfolgreiche Organisation des Hauptschulabschlusses - es gab großen Widerstand, ich erinnere mich an das Spektakel - ist eine Frage der Bildungspolitik und nicht des Beitragszahlers. Wenn die Schüler den Abschluß nicht schaffen, wieso ist der Beitragszahler, der Arbeitnehmer, der Handwerksmeister und der Arbeitgeber dafür zuständig? Wir haben neu organisiert gegen - wie ich zugebe - viel Widerstand aus den Ländern.
Zu den älteren Arbeitnehmern. Ich sage, die Alternative darf nicht Sozialplan oder Vollerwerbsarbeit sein. Die Alternative muß lauten: Teilzeit mit Teilrente statt ganz heraus aus allem. Ich bin gegen ganz heraus. Das entspricht auch nicht den Bedürfnissen der älteren Arbeitnehmer.
Ich glaube, daß die Teilzeit nur Schub bekommt, wenn sie an die Lebenslage und die besonderen Bedürfnisse der Menschen anknüpft. Ich sehe zwei Felder, in denen ein Schub entstehen kann. Dort, wo Mutter und Vater kleine Kinder erziehen, besteht ein Bedürfnis nach anderen Arbeitszeiten. Und die älteren Arbeitnehmer haben zwei Grundbedürfnisse: erstens mit dem Betrieb in Kontakt zu bleiben, aber zweitens weniger zu arbeiten als früher.
Zur Arbeitslosenhilfe. Ich nehme das große Wort Reform gar nicht in den Mund. Aber der Frage muß doch nachgegangen werden: Soll die Bemessungsgrundlage für die Arbeitslosenhilfe unendlich gelten? Soll sie noch nach 20 Jahren nach dem ehemaligen Spitzenlohn bemessen sein? Das hatte das Arbeitsförderungsgesetz nie gemeint.
Das geltende Recht sieht vor, daß nach drei Jahren individuell überprüft wird. D'as wäre eine Marktwertveranstaltung. Ich sage: Laßt uns das pauschal machen, aber nicht als kopflose, pauschale Abwertung, sondern nur nach einem Vermittlungsversuch mit den Langzeitarbeitslosen - es sind ja alles Langzeitarbeitslose -; denn die Gefahr ist, daß sie vergessen werden, daß sich die Vermittlung in erster Linie an die richtet, die es leichter haben, vermittelt zu werden, daß sie sozusagen in den toten Winkel der Anstrengungen geraten.
Es kann doch nicht sein, daß unsere ganze Welt schon an solchen kleinen Veränderungen zusammenbricht. Herr Scharping hat gestern ein leidenschaftliches Plädoyer für Reformfähigkeit gehalten. Manchmal denke ich, die Kraft zu mutigen Überschriften ist umgekehrt proportional zur Bereitschaft zu kleinen Veränderungen. Manchmal kommt es mir so vor, als kommt der Gewichtheber auf die Bühne, kündigt einen Weltrekordversuch an, schnallt den Gürtel enger, bestreicht die Hände mit Magnesium, verneigt sich vorm Publikum und geht von der Bühne wieder runter. Das ist die ganze Veranstaltung.
Ich bin diese großen Theorien leid. Der Fortschritt und die Umstellung erfolgen immer nur schrittweise. Wir fordern nicht Tabula rasa. Ich sehe in aller Kürze eine große Reformaufgabe: breite Streuung des Eigentums, Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital. Das ist ein uneingelöstes Versprechen der sozialen Marktwirtschaft. 10 % der Bevölkerung besitzt die Hälfte des Vermögens, 25 % ein Drittel - und die restlichen 65 %?
- Es gibt in der Einkommenspolitik eine Fixierung auf den Konsumlohn. Wir haben es nicht geschafft, eine breite Investivlohnphilosophie umzusetzen.
Ich gebe zu, daß auch wir nicht den größten Druck gemacht haben. Wir gebrauchen dazu die Tarifpartner, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite; denn eine solche breite Eigentumsstreuung hat zwei Entlastungsfunktionen. Sie könnte erstens die Tarifpolitik von der Verkrampfung durch die Fixierung auf den Konsumlohn entlasten, und sie könnte zweitens die kollektiven Sicherungssysteme entlasten. Ich weiß auch, daß man da nicht immer draufsatteln kann.
Das Eigentum hat eine zweifache Entlastungsfunktion. Ich finde es schon eine Provokation: Die Millionen Arbeitnehmer zahlen mit ihren Steuergroschen auch die Investitionsförderung im Osten, die sein muß. Aber das schlägt sich nicht in Eigentumstitel für diejenigen nieder, die diese Investitionen mitfinanzieren. Ich gebe zu, daß uns bisher noch keine intelligente Regelung eingefallen ist. Auch in Ihrer Regierungszeit ist über solche Mechanismen diskutiert
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worden. Aber jetzt haben wir genug diskutiert. Politiker sind nicht zum Besprechen, sondern zum Arbeiten eingesetzt. Deshalb müssen uns hier, wie ich glaube, im Sinne der Stabilisierung der Eigentumsordnung neue Wege einfallen.
Der Umbau braucht manchmal Nachhilfe. Ich hoffe, daß die Tarifpartner es schaffen, eine eigenständige Regelung auch für das Schlechtwettergeld zu finden, das nicht der Allgemeinheit zu übertragen. Der Fortschritt hat es schwer. Es wäre im Sinne des Sozialstaates, das Risiko dort abzusichern, wo es entsteht, und nicht der Allgemeinheit aufzubürden.
Noch eine wichtige Mitteilung wollte ich machen. Die ersten Ergebnisse der Pflegeversicherung zeigen, daß die Anträge auf stationäre Unterbringung zurückgehen und nach dem Urteil aller Fachleute weiter zurückgehen werden. Das ist das Ergebnis eines verstärkten Angebotes an ambulanter Hilfe. Wir brauchen auch stationäre Hilfe; deshalb brauchen wir auch den zweiten Schritt. Aber die stationäre Pflege darf nicht der normale Weg sein. Ich glaube, daß eine solche Veränderung sozialer und humaner Fortschritt sein kann und wirtschaftliche Entlastung bringt.
Sie sehen, Wirtschaft und sozialer Fortschritt sind keine Gegensätze. Deshalb: Der Haushalt steht unter dem Motto „ Sparen und Gestalten" . Sparen ist notwendig, auch aus sozialen Gesichtspunkten. Um so mehr ist unsere Gestaltungskraft herausgefordert.