Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich auf den Bundeshaushalt eingehe, möchte ich unsere Aufmerksamkeit auf die Weltfrauenkonferenz in Peking richten. Es ist einfach skandalös, wie die chinesische Regierung versucht, den Ablauf der Konferenz, besonders jener der NGOs, zu stören.
Die Einschränkungen und Behinderungen, die Bespitzelungen und die selektive Vergabe von Visa durch die chinesischen Behörden sind beispiellos für eine Konferenz, die von der UNO veranstaltet wird.
Ich protestiere auf das schärfste - ich hoffe, im Namen von uns allen und besonders auch im Namen der Kolleginnen, die jetzt in Peking sind.
Dies an die chinesische Adresse.
Die Ministerin Nolte hat in Peking und auch hier immer unsere volle Unterstützung, wenn sie klar und deutlich für Menschenrechte von Frauen eintritt.
Ich begrüße es, daß Frau Nolte in Peking wörtlich betont hat, „keine religiösen, kulturellen oder traditionellen Einschränkungen" der Menschenrechte von Frauen hinnehmen zu wollen. So war es schon auf der UNO-Menschenrechtskonferenz in Wien beschlossen worden.
Wir fordern aber von der Ministerin, daß sie die Menschenrechte der Frauen auch hierzulande konsequent umsetzt.
Von ihrem persönlichen Abstimmungsverhalten bei
der Reform des Abtreibungsrechts möchte ich hier
nicht reden. Ich möchte nur darauf hinweisen - das
Hanna Wolf
hat die Ministerin in Peking offenbar vergessen -, daß nicht nur Zwangsabtreibungen, sondern auch Zwangsschwangerschaften eine Verletzung der Menschenrechte darstellen.
In Peking soll eine Aktionsplattform dahin formuliert werden, daß alle Frauen ein Recht auf die Bestimmung der Zahl ihrer Kinder haben. Ich habe gerade von der Staatssekretärin gehört, daß Sie gegenüber den Forderungen von Wien und Kairo nicht zurückgehen wollen. Darüber sind wir sehr glücklich; wir freuen uns, daß wir alle hierin übereinstimmen. Dann gehört auch diese Passage dazu.
Wenn sich Deutschland zu den Menschenrechten von Frauen bekennt, dann müssen wir auch den Frauen Asyl gewähren, die auf Grund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung in ihren Heimatländern verfolgt, vergewaltigt, verstümmelt oder mit dem Tod bedroht werden. Algerien ist nur das aktuellste Beispiel.
Wir müssen darauf dringen, daß diese Verletzungen der Menschenrechte von Frauen in ihren Heimatländern aufhören. Die deutsche Diplomatie und die deutsche Wirtschaftspolitik sind dazu aufzurufen, diese Menschenrechte nicht um des kurzfristigen Profits willen zu verraten.
Wir haben ebenfalls schon lange gefordert, daß hierzulande das abhängige Aufenthaltsrecht von ausländischen Ehefrauen in ein eigenständiges umgewandelt wird. Wenn diese Frauen von ihren deutschen oder ausländischen Ehemännern mit Gewalt bedroht werden, darf es für dieses Aufenthaltsrecht keine Fristen geben.
Liebe Kolleginnen von der CDU/CSU und besonders von der F.D.P. - Frau Schmalz-Jacobsen, ich sehe Sie da eigentlich in großer Übereinstimmung mit unseren Forderungen -, jetzt müssen wir in diesem Bereich auch handeln. Wir haben uns das vor der Sommerpause vorgenommen. Jetzt ist es so weit, daß wir uns im Bereich der Gewalt von den vorgesehenen Fristen trennen müssen. Ich bitte sehr herzlich darum, daß wir darin zu einer Übereinstimmung kommen; denn sonst darf Ihre Seite diese Reden, die wir alle im Bundestag halten, nicht mehr halten.
Darüber hinaus muß der Frauen- und Mädchenhandel hierzulande wirkungsvoll verfolgt werden. Deshalb müssen die Opfer durch unsere Gesetze vor Abschiebung geschützt werden.
Die Ministerin Nolte erklärte in Peking, sie werde - ich zitiere jetzt - „jegliche Anstrengungen unternehmen, daß künftig auch Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt wird." Dann darf sie aber auch nicht - das Gesetz ist lange überfällig; wir haben schon so oft darüber geredet, aber es soll ja jetzt kommen - in das Gesetz hineinschreiben wollen, daß Opfer selbst darüber entscheiden sollen, ob Täter bestraft werden. Eine solche Entscheidung darf nur das Gericht fällen.
Die Ministerin hat für 1996 eine Kampagne angekündigt, in der Männer und Frauen für die immer noch bestehende Benachteiligung von Frauen sensibilisiert werden sollen. Jetzt habe ich gedacht, der Bundeskanzler sei extra gekommen, um an dieser Sensibilisierungskampagne teilzunehmen, aber wie wir sehen, hat er den Raum verlassen. In diesem Sinne war es eine Fehlkalkulation, daß er sich tatsächlich auch einmal für dieses Thema interessiert. Aber er wäre ganz dringend hier gefordert, denn Sensibilisierungskampagnen hatten wir genug. Alle, die damit erreicht worden sind, sind sensibilisiert genug. Wir brauchen keine Worte, keine Kampagnen, sondern Taten, und das nicht nur auf der Weltfrauenkonferenz, sondern auch hier. Wir brauchen Gesetze.
Die Ministerin ist mit der Einstellung nach Peking abgereist, bei uns sehe es für die Frauen ganz gut aus. Das ist auch so in ihrem Bericht über die Lage der Frauen in Deutschland zu lesen. Dabei ignoriert sie völlig, daß die deutschen NGOs zu einem ganz anderen Urteil kommen. Sie ignoriert auch, daß wir uns dabei natürlich mit anderen Industrieländern vergleichen müssen.
Und weltweit gesehen? Die Frauen leisten die meiste Arbeit und besitzen nur einen verschwindend geringen Teil des Vermögens. Sie haben mindere Rechte oder können ihre Rechte nicht wahrnehmen. Der Internationale Gewerkschaftsbund hat errechnet, daß bei dem heutigen Tempo der Entwicklung noch 475 Jahre bis zur Gleichberechtigung vergehen werden.
Ich denke, diese Zahl ist eindrucksvoll genug.
- Wir sind auf dem Weg. Wir werden dann allerdings diese Strecke nur wenig begleiten können. Das wäre doch sehr schade. Sie haben immer angekündigt, daß wir mit Ihnen auf der Strecke des Fortschritts sind. Ich bitte Sie jetzt, diesen endlosen Ankündigungen Taten folgen zu lassen, gerade auch was die Frauen betrifft. Deswegen gehe ich heute auch speziell darauf ein. Auf den Bereich Jugend wird mein Kollege Hagemann eingehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nirgends sind die Verhältnisse rosig, auch bei uns nicht. Daran hat auch das neue Ministerium nichts geändert, nicht nur, weil dem Ministerium nach der Zuständigkeit für das Bundessozialhilfegesetz auch noch die Zuständigkeit für das Kindergeld genommen wurde, sondern es liegt vor allem daran, daß die Ministerin
Hanna Wolf
ihr Ressort nicht als Querschnittaufgabe versteht und begreift. In einem solchen Ministerium braucht es politische Durchsetzungskraft. Die hat Frau Nolte nicht, und der Kanzler gibt sie ihr auch nicht.
Nehmen wir einen wichtigen verbliebenen Haushaltspunkt: das Erziehungsgeld. Hier hat die Ministerin selbst gefordert, die Einkommensgrenzen so anzuheben, daß wieder der größte Teil der Eltern das volle Erziehungsgeld auch nach dem sechsten Lebensmonat des Kindes erhalten kann. Geschehen ist aber nichts, nicht einmal eine ernsthafte Ankündigung einer Gesetzesänderung, von entsprechenden Entwürfen ganz zu schweigen. Statt dessen müssen wir feststellen, daß für die Zahlung des Erziehungsgeldes 1996 100 Millionen DM weniger vorgesehen sind als noch im Haushalt 1995. Wieder sind viele Familien und Alleinerziehende aus der Förderung herausgefallen. Hätte Frau Nolte diesen Haushaltstitel in seiner vollen Höhe verteidigt, dann hätte sie die Möglichkeit gehabt, die Bemessungsgrenzen zu verändern, um wieder mehr Eltern mit Kindern das Erziehungsgeld zukommen zu lassen.
Die Ministerin sieht ihr Haus gern als Haus der Generationen. Sie sagt, die Jugend darf darin nicht gegen die Senioren ausgespielt werden. Gleichzeitig spielt sie aber die Familienpolitik gegen die Frauen aus. Es ist töricht, immer nur die Frauen mit der Familie in Zusammenhang zu bringen. Ich zitiere aus einem Brief des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend:
Die heutige Mädchengeneration will nicht nur die Familie, sondern darüber hinaus einen aussichtsreichen Platz in Beruf und Öffentlichkeit. Erst recht dürfen familiäre Bindungen Mädchen nicht zum Nachteil gereichen.
Aber sie gereichen ihnen später doch zum Nachteil. Ein ausreichendes Angebot an Ganztagsschulen, qualifizierten Hort- und Krippenplätzen ist das, was ihnen und einigen engagierten Partnern immernoch fehlt.