Herr Minister! Ihre positive Bewertung der Situation der Landwirtschaft wird von den Landwirten nicht geteilt.
Auch Sie waren beim Bauernverband und haben die Stimmung erlebt. Ich gehe davon aus, daß auch Ihre vielen Gespräche mit dem Deutschen Bauernverband in den letzten Wochen Ihnen dies vermittelt haben. Deswegen, glaube ich, ist diese positive Bewertung für viele in unserem Lande nicht nachvollziehbar.
Ich möchte eine zweite Vorbemerkung machen. Sie haben die notwendigen verbesserten Marktstrukturen angesprochen. Dafür sind auch wir. Wir haben Sie von dieser Stelle aus wiederholt aufgefordert, endlich konkrete Vorschläge auszuarbeiten, wie wir diese erreichen. Nur ist von Ihnen bisher nichts Konkretes gekommen. Sie halten hier Appelle, als wäre die Opposition für die konkrete Politik zuständig.
- Ich kann vieles unterstreichen. Was ich nicht unterstreichen kann, lieber Herr Hornung, werde ich gleich sagen.
Die Situation im ländlichen Raum spitzt sich zu. Die Probleme der Landwirtschaft wachsen enorm. Die Entwicklung in unseren ländlichen Regionen wird immer mehr eingeengt; teilweise steht sie sogar auf dem Spiel.
In diesen Tagen konnte man in den Presseverlautbarungen des Deutschen Bauernverbandes lesen:
Ländliche Räume dürfen nicht abgehängt werden - Privatisierung öffentlicher Dienste bringt Probleme fürs Land
Wir stimmen dem zu. Mit Besorgnis wird auch von uns die Diskussion über die Liberalisierung, Privatisierung und Dezentralisierung von Dienstleistungen, die bisher vornehmlich von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt wurden, beobachtet. Bekannte Beispiele hierfür sind die Entwicklungen im Bereich der Bahn, der Post, der Medien sowie im Verkehrswesen. Es ist zu befürchten, daß im Zuge dieser Entwicklungen der ländliche Raum immer mehr ins Hintertreffen gerät. Private Anbieter bisher öffentlicher Dienstleistungen werden sich vornehm-
Horst Sielaff
lich auf die gewinnträchtigen Ballungszentren stürzen. Hiervon haben Sie nicht gesprochen. Aber auch das gehört zu einer sinnvollen, zukunftsorientierten Agrarpolitik.
Wem es ernst ist mit der Sicherung der ländlichen Räume, der muß einer zukunftsweisenden Agrarpolitik neben ihren traditionellen Aufgaben, die Sie hier genannt haben, folgende zusätzliche Ziele zugrunde legen - ich nenne wichtige -:
Stabilisierung der Siedlungs- und Versorgungsstrukturen auch in abseitsliegenden ländlichen Räumen; Bewahrung der besonderen Lebensqualität auf dem Lande - an anderer Stelle haben auch Sie das angesprochen -; Sicherung landwirtschaftlicher Arbeitsplätze bei breiter Eigentumsstreuung - wir erkennen nichts, was da in Ihrem Ministerium geschähe -; Schonung der vorhandenen natürlichen Ressourcen wie Wald, Boden und Wasser.
Im Zusammenhang mit der Forderung nach regionaler Differenzierung der Strompreise ist die Solidargemeinschaft auch im Bereich der Versorgung mit Elektrizität zum Nachteil ländlicher Räume in Gefahr.
Es wird deutlich: Diese Bundesregierung hat bei ihrer Liberalisierungseuphorie kein Konzept für die Gesamtentwicklung ländlicher Räume.
Das für die vergangene Legislaturperiode angekündigte Konzept hat sie sträflicherweise sang- und klanglos untergehen lassen. Stellenabbau, Schließung und Verlagerung von Standorten der Bundesforschung des BML machen das deutlich. Die Entwicklung der Investitionsförderung in diesem Haushaltsentwurf ist besorgniserregend. Meine Kollegin Ilse Janz wird dazu Näheres sagen.
Trotz vorgetäuschter Konzepte, niedergelegt in „Der Künftige Weg - Agrarstandort Deutschland sichern" wird die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" nach dem Willen der Bundesregierung erneut gekürzt. Dieses Instrument, das die mangelhafte Wettbewerbsfähigkeit und in Teilen unzureichende Umweltverträglichkeit der landwirtschaftlichen Betriebe verbessern könnte, ist leider nicht der Schwerpunkt der Agrarpolitik dieser Bundesregierung. Die Gemeinschaftsaufgabe gehört sozusagen zur Manövriermasse, zum Stopfen von Löchern an anderen Stellen. Notwendige Beschäftigungsimpulse, gerade auch in strukturschwachen, ländlichen Räumen, bleiben auf der Strecke. 1996 bleiben gerade noch 13 % der im Haushaltsentwurf für die Gemeinschaftsaufgabe zur Verfügung gestellten Mittel für Neubewilligungen von beschäftigungswirksamen Investitionen übrig. 1995 waren es immerhin noch 30 %. Einige Flächenländer haben auf Grund der hohen Altverpflichtungen einen Neubewilligungsspielraum von 0 %. Betroffen davon ist besonders Bayern - und ich bin gespannt, Herr Kalb, wie Sie darauf eingehen -, wo, setzt man die einzelbetriebliche Investitionsförderung wie im Jahr 1995 ein, Eingriffe in die Ausgleichszulage unvermeidlich werden.
Die Bundesregierung ist die Gefangene ihrer verfehlten Politik. Sie wird von haushaltspolitischen Zwängen und nicht rechtzeitigem Überdenken ihrer bisherigen Politik getrieben. Trotz dieser sich schon lange abzeichnenden Entwicklung ist sie nicht bereit, ihre Förderpolitik auf den Prüfstand zu stellen und, falls erforderlich, neue Akzente zu setzen. Ich sage nicht: Streichung, sondern ich sage: neue Akzente zu setzen. Wir haben das erst kürzlich bei der Diskussion über die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage „Einzelbetriebliche Förderung als gezielte Agrarstrukturpolitik im geeinten Deutschland" feststellen müssen.
Die Bundesregierung ist nicht bereit, die Ausgleichszulage, die mit rund 1 Milliarde DM im Haushalt zu Buche steht, zu überprüfen. Sie ist nicht bereit, abzuwägen, ob im Interesse einer sparsamen, und zwar zielgerichteten Politik die öffentlichen Gelder noch effizienter zugunsten unserer Landwirtschaft und unserer ländlichen Räume eingesetzt werden können, natürlich unter Berücksichtigung inzwischen zusätzlich eingeführter, vor allem marktpolitischer Maßnahmen, z. B. aus der Agrarreform.
Es geht uns bei der Überprüfung - ich sage es ganz deutlich - nicht um die heimliche oder offene Abschaffung der Ausgleichszulage. Es geht uns darum, festzustellen, ob das Maßnahmenmix und damit die Mittelverwendung in der Gemeinschaftsaufgabe noch den Möglichkeiten und den Notwendigkeiten für unsere landwirtschaftlichen Betriebe in einem sich erweiternden EU-Binnenmarkt und in einem geeinten Deutschland entsprechen.
Eine ganz schlechte, eigentlich verantwortungslose Politik ist, wenn es die Bundesregierung durch ihr Nichtstun den Ländern überläßt - einige Zwischenrufe vorhin haben das bestätigt -, die Ausgleichszulage anzuknapsen, damit es, wie im Fall Bayern, überhaupt noch möglich ist, Investitionen in landwirtschaftlichen Betrieben 1996 zu bewilligen. Die Währungsturbulenzen der letzten Zeit haben deutlicher denn je uns allen gezeigt, daß die Verbesserung der Wettbewerbsstellung der Landwirtschaft gerade in den süddeutschen Regionen von größter Bedeutung ist.
Meine Damen und Herren, die Einkommensprognosen für die Landwirtschaft sind nicht positiv. Die Bundesregierung kann oder will die ungünstigen Vorhersagen des Deutschen Bauernverbandes nicht bestätigen oder korrigieren, wie wir einer Antwort auf eine Frage von uns in der Sommerpause entnehmen können.
Horst Sielaff
Erst vor zwei Tagen hat das Präsidium des Deutschen Bauernverbandes erneut festgestellt, daß die wirtschaftliche Situation der deutschen Bauern 2 Jahre nach Ihrem Amtsantritt, Herr Borchert, völlig unbefriedigend ist.
Demonstrationen sind für diesen Herbst geplant. Diese richten sich eindeutig gegen Ihre Agrarpolitik; denn nicht die Kreise und die Länder sind für den Preisverfall bei Rindfleisch und Milch verantwortlich, wie irrtümlich wohl Funktionäre des Deutschen Bauernverbandes glauben, sondern die Bundes- und EU-Politik.
Die 1984 von der Bundesregierung in die Garantiemengenregelung Milch gesetzten Hoffnungen bezüglich der Stabilisierung der Milchauszahlungspreise zur Einkommenssicherung werden täglich enttäuscht. Die Milcherzeugung ist vielfach nur über den Verzicht auf Lohnansprüche möglich. Der Rückgang der Milchviehbestände in den neuen Ländern ist auch darauf zurückzuführen.