Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bildung und Wissenschaft, Forschung und Technologie sind vielgestaltig mit anderen Politikbereichen und dadurch mit zahlreichen Debattenschwerpunkten dieser Woche verbunden. Ohne daß eine Bedrohung dieses Landes vorliegt, werden deutsche Soldaten - nach Jahrzehnten erzwungenen Verzichts - als Ordnungsfaktor auf auswärtige Kriegsschauplätze geschickt. Damit sind Zeiten angebrochen, in denen deutsche Professoren wieder einmal antreten, Deutschland und seine machtpolitische Rolle größer und bedeutender zu reden und zu schreiben. Es wird wieder einmal schicksalhaft zugehen.
Der Sozialstaat kann nebenbei erledigt werden - mit nationalem Pathos selbstverständlich. Herr Schäuble wußte bei seinem Plädoyer für das Nationale, wozu es brauchbar ist.
Die öffentliche Meinung soll wieder dahin gehen, an Kriegen teilhaben zu wollen und in sie eingreifen zu müssen, auch wenn es Geld kostet: bisher beispielsweise 350 Millionen DM im ehemaligen Jugoslawien und über 50 Milliarden DM im sogenannten Verteidigungshaushalt, auch wenn es menschliche Opfer kostet. Aber dafür braucht man die soldatischen Legenden eines Ernst Jünger und einen Kongreß „Mut zur Ethik" am kommenden Wochenende. Der staatsnahe Eifer konservativer Intellektueller sollte die Öffentlichkeit alarmieren.
Der Bundesfinanzminister lobte den Haushalt des Zukunftsministers als modellhaft. Das Lob hat den moralischen Wert eines Steckbriefes. Das Modell der Deregulierung, Flexibilisierung und Privatisierung wird an einigen Punkten besonders deutlich; dazu gehören Berufsausbildung und Studienfinanzierung. Nach einer Selbstdarstellung des Ministers vom 7. Juli dieses Jahres sei mit der Unterfütterung des Maßnahmenpakets zur Stärkung der beruflichen Bildung in Höhe von 350 Millionen DM ein „wichtiger Durchbruch" geschafft.
Mit der vom Bildungsminister als Teil des Maßnahmenpakets angepriesenen sogenannten Lehrstellenoffensive ist die seit nunmehr drei Jahren laufende Inszenierung von Versprechungen, Schuldzuweisungen, Abwiegelungen und statistischen Rechenkunststücken gemeint. Wir sind derzeit mitten in einer aktuellen Neuauflage. Für das Grundproblem - steigende Nachfrage und sinkendes Angebot auf dem Lehrstellenmarkt - ist weder in der kurz- noch in der mittelfristigen Planung ein Lösungsansatz in Sicht.
Maritta Böttcher
Politischer Handlungsbedarf kann nicht einfach weggerechnet werden und ist auch mit alljährlichen Feuerwehreinsätzen nicht zu beheben. Wenn junge Leute ihr Leben mit der Erfahrung von Chancen- und Perspektivlosigkeit beginnen müssen, dann ist schließlich wohl der Innenminister mit seinen Vorschlägen zur Beherrschung der Jugendkriminalität an der Reihe.
Es bleiben die Fragen, auf welchem Gebiet das Geld der Steuerzahler besser angelegt ist und wie lange deren Geduld noch reicht.
In Ostdeutschland - ich lasse die Zahlen jetzt bewußt weg; wir haben vorhin gemerkt, daß keiner so recht weiß, welche Zahlen stimmen - sind gegenwärtig noch ca. 60 000 Jugendliche auf Lehrstellensuche. Bei Gegenüberstellung des Angebots an betrieblichen Ausbildungsplätzen und Lehrstellenbewerberinnen und -bewerbern kommt man trotzdem noch auf einen Fehl von betrieblichen Ausbildungsplätzen in Ostdeutschland. Wie in den vergangenen Jahren wird in letzter Minute - ich deutete das schon an - ein Hilfsprogramm zur Schaffung außerbetrieblicher Ausbildungsplätze gestartet. An der grundlegenden Situation, daß betriebliche Ausbildungsplätze in Ostdeutschland und ausreichende Beschäftigungsperspektiven für die Jugendlichen seit Jahren fehlen, ändert sich dadurch aber nichts.
Das grundgesetzlich verbürgte Recht, Beruf und Ausbildungsstätte frei zu wählen, war für die Mehrheit der ostdeutschen Jugendlichen seit dem Tag der Einheit zu keinem Zeitpunkt gewährleistet. Nun wird es auch für immer mehr westdeutsche Jugendliche de facto außer Kraft gesetzt. Einen Großteil der Verantwortung für diesen Zustand trägt die Bundesregierung.
Notwendig ist jetzt ein längerfristiges koordiniertes Programm zur Schaffung eines quantitativ und qualitativ ausreichenden, d. h. auch auswahlfähigen Lehrstellenprogramms. Das muß die Sicherung von Beschäftigungsperspektiven nach der Ausbildung und eine Reform der Ausbildungsfinanzierung einschließen. Dabei sind nicht oder unterhalb einer Mindestquote ausbildende Betriebe in geeigneter Weise, z. B. durch eine Ausbildungsabgabe, an der Finanzierung zu beteiligen.
Auch der Ansatz zur Förderung beruflicher Aufstiegsfortbildung reicht nach Einschätzung des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks nicht aus, um junge Leute zu einer Qualifizierung zum Handwerksmeister und damit zum Existenzgründer zu motivieren.
Monatliche Fördersätze, die zur Hälfte über zu 8,5 % verzinste Darlehen laufen und weit unter den Sozialhilfesätzen liegen, zeigen einmal mehr ein Grundproblem des Bildungshaushalts: die ungenügende soziale Absicherung der Studierenden und Auszubildenden in diesem Land, die Privatisierung der Bildungsrisiken und damit die Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen vom freien Zugang zu Beruf und Bildung.
Ich will das mit einem Blick auf die Studienfinanzierung und die BAföG-Kontroverse verdeutlichen. Das BAföG, 1971 ins Leben gerufen, um „auf eine berufliche Chancengleichheit junger Menschen hinzuwirken und dem einzelnen eine Ausbildung zu ermöglichen, die seiner Neigung, Eignung und Leistung entspricht", wurde in der Ära Kohl systematisch ausgehöhlt.
Durch seines Zukunftsministers neueste Vorschläge, den staatlichen Darlehensteil durch ein hochverzinsliches Bankdarlehen, ob nun 8,5 % oder 4 %, zu ersetzen, wird es vollends seines sozial- und gesellschaftspolitischen Sinns beraubt.
„Ernst kann es werden", meinte die „FAZ" am 30. August 1995, „wenn die Koalition ihre Pläne bei der Gewerbekapitalsteuer oder bei der Verzinsung von BAföG-Zuwendungen in Angriff nimmt".
Minister Rüttgers will auf diese Weise bei dem sozial schwächsten Teil der Studierenden, den BAföG-Empfängerinnen und -empfängern, bis 1999 1,6 Milliarden DM einsparen und diese Mittel bevorzugt für die Technologieförderung im Dienste der Großunternehmen einsetzen. Das ist eine der unglaublichsten und unverfrorensten Angriffe auf die Reste sozialer Chancengleichheit beim Bildungserwerb.
Studierende, die sich von Hause aus eigentlich nicht leisten können, zu studieren, sollen nun wenigstens mit einer Schuldenlast von ca. 70 000 DM für ihren Übermut bestraft und mit dieser Androhung möglichst vom Studium ferngehalten werden. Diese Pläne müssen vom Tisch und mit ihnen der vorliegende Haushaltsentwurf des Zukunftsministers.
In der Diskussion über die Hochschul- und Bildungsreform, so war es zutreffend in der „Frankfurter Rundschau" vom 17. August zu lesen, komme der soziale Aspekt zu kurz. Nach den Plänen der Regierung würde das BAföG „zum Vehikel der indirekten sozialen Eliteförderung" .
Statt endgültiger Abkehr vom Prinzip der sozialen Chancengleichheit beim Bildungserwerb ist eine Rückbesinnung auf dieses Prinzip und seine Stärkung notwendig. Das geht nur durch eine gründliche Reform der Studienfinanzierung auf dem Weg zu einer allgemeinen sozialen Grundsicherung. Wir werden dazu unsere Vorschläge machen.
Ich möchte abschließend festhalten: Der Haushaltsentwurf ordnet sich wie die gesamte Politik des Zukunftsministers strikt der Standort-Deutschland-
über-alles-Ideologie unter. Es ist kein Plan, der von den gesamtgesellschaftlichen und globalen Aufgaben von Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie ausgeht und die bessere Erledigung dieser Aufgaben zum Ziel hat, sondern ein im Kern auf die Förderung der Wirtschaft, speziell die Verbesserung der Standortbedingungen für die Großunternehmen gerichteter Plan.
Maritta Böttcher
Das schließt drastische Maßnahmen des Sozialabbaus und der Umverteilung von unten nach oben ein. Davon ist der sozial schwächere Teil der Studierenden und ein immer größerer Teil der Jugendlichen, die eine berufliche Ausbildung absolvieren wollen, besonders betroffen.
Auf weitere Bestandteile des Entwurfs wird in der Beratung des Haushalts noch einzugehen sein. Er wird von der Gruppe der PDS abgelehnt, da er mit der Demontage von Chancengleichheit und Bildungsförderung rückwärtsgewandt und den wirklichen Zukunftserfordernissen in ihrer nationalen und internationalen Dimension abträglich ist.