Rede von
Ottmar
Schreiner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Abgeordneter Blüm, ich stimme Ihnen dann zu, wenn Sie mir ebenfalls zustimmen, daß es einen Unterschied zwischen einem kleinen und einem großen Fehler gibt. Es mag sein, daß es ein kleiner Fehler war, bestimmte Aspekte öffentlicher Aufgaben über die Sozialversicherung zu finanzieren. Das ist aber vom Volumen her überhaupt kein Vergleich mit beispielsweise den annähernd 50 Milliarden DM - das entspricht 3,5 Beitragspunkten der sozialen Sicherungssysteme -, mit denen Sie die deutsche Einheit fälschlicherweise über eine Belastung der sozialen Sicherungssysteme finanzieren.
Sie sind doch der größte Mathematikus: Stimmen Sie zu, daß es einen Unterschied zwischen klein und groß gibt! Wenn Sie also einen Umbau wollten, hätten Sie hier Gelegenheit, die falsche Weichenstellung zu korrigieren.
Der zweite Punkt: Ich erinnere an das, was die Kollegin Fuchs heute morgen vorgetragen hat. Der Grundansatz ist vom Vorsitzenden der CDU/CSU-
Fraktion im vorigen Jahr in einem schriftlichen Beitrag formuliert worden, aber in der Koalition nicht durchsetzungsfähig zu machen. Ich darf Herrn Schäuble zitieren:
Gegenwärtig wird durch unser Steuer- und Abgabensystem entgegen aller ökonomischen Vernunft das besonders teuer gemacht, wovon wir gegenwärtig im Überfluß haben, nämlich Arbeit. Dagegen ist das, woran wir - zumal unter globalen Gesichtspunkten - eigentlich sparen müßten und dessen Knappheit uns immer deutlicher vor Augen tritt in einem Zeitalter, in dem bei jeder Entscheidung auch ökologische Gesichtspunkte eine Rolle spielen müssen, viel billiger: Energie und Rohstoffe. Ökonomisch wie ökologisch sinnvoller wäre es, im Mix der Produktionsfaktoren menschliche Arbeit billiger zu machen und im Gegensatz dazu den Verbrauch von Rohstoffen und Energie zu verteuern.
Genau das ist der Kerninhalt der SPD-Initiative für eine ökologisch-soziale Steuerreform, die wir Ihnen in absehbarer Zeit hier im Parlament präsentieren werden.
Wenn Sie in die Vergangenheit schauen, wissen Sie, daß in Deutschland in dem Zeitraum von 1970 bis 1993 die Belastung des Faktors Arbeit mit Lohnsteuer und Sozialabgaben drastisch, nämlich um mehr als 40 %, erhöht worden ist, während in denselben 23 Jahren der ohnehin geringe Steueranteil des Faktors Natur um 22 % zurückging. Das wäre ein, wie ich denke, aus ökologischen, beschäftigungspolitischen und sozialen Gründen sinnvolles Projekt zum Umbau des Sozialstaates und zur Erreichung dessen, was wir als umweltverträgliches, ökologisches Wirtschaften bezeichnen.
Da werden Sie gefordert sein. Da reicht es nicht, wenn der Fraktionsvorsitzende der F.D.P. in dieser Debatte so tut, als habe er zum allerersten Mal von den Problemen und den denkbaren Lösungsansätzen gehört. In den zentralen inhaltlichen Fragen sind Sie nicht nur knapp, sondern sehr weit hinter dem Mond.
Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen. Meine Damen und Herren, wenn wir über Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik reden, dann müssen Sie auch bereit sein, mit uns über die dramatisch wachsende Problematik im Bereich nach Deutschland importierter Billigstlöhne zu reden.
Oder anders herum: Es geht um Lohndumping, um Stundenlöhne von vier, fünf oder sechs Mark, mit denen einheimische Arbeitskräfte nicht mehr konkurrieren können.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung läßt bis zur Stunde zu, daß Hunderttausende Arbeitnehmer aus Ländern der Europäischen Union in Deutschland zu Spottlöhnen und ohne irgendeinen Pfennig Beiträge in die sozialen Sicherungssysteme zu zahlen einheimische Arbeitskräfte verdrängen und arbeitslos werden lassen.
Das ist in einem vierfachen Sinne hochproblematisch: Die Arbeitslosigkeit in Deutschland steigt weiter massiv an. Die Sozialsysteme werden mittelfristig finanziell auf Grund fehlender Beiträge ausgetrocknet. Die Ausländerfeindlichkeit nimmt auf Grund dieser unkontrollierten Verdrängungsprozesse zu, und der europäische Gedanke wird bei der deutschen Arbeitnehmerschaft in hohem Maße diskreditiert.
Meine Damen und Herren, bis zur Stunde waren Sie nicht in der Lage, eine angemessene nationale Antwort auf diese Probleme zu finden, nachdem die Bemühungen auf europäischer Ebene gescheitert waren.
Ohne klare Regelung werden aus den bislang hunderttausendfachen Verdrängungsprozessen spätestens dann millionenfache Verdrängungsprozesse, wenn - wie der Bundeskanzler sympathischerweise erklärt - in einigen Jahren Polen und anderen mitteleuropäischen Ländern die Mitarbeit in der Europäischen Union ermöglicht werden soll. Wie wollen Sie denn mit diesen millionenfachen Verdrängungsprozessen auf den einheimischen Arbeitsmärkten auf Grund von Lohndumpingangeboten von vier oder fünf Mark die Stunde spätestens dann überhaupt noch umgehen?
Ottmar Schreiner
Das, was Sie vorgelegt haben, was Sie in der nächsten Zeit dem Parlament präsentieren wollen, ist eine kümmerliche Antwort angesichts der Größe des Problems. Wir werden Sie mit einem eigenen Gesetzentwurf konfrontieren, von dem ich annehme, daß er halbwegs in der Lage ist, eine angemessene Antwort auf die angesprochenen Probleme darzustellen.
Meine Damen und Herren, noch eine Bemerkung zur Forderung der F.D.P., den Solidarzuschlag möglichst rasch abzuschaffen. Ich hätte mir gewünscht, daß die F.D.P. gerade in bezug auf Arbeitskosten sich nicht nur Gedanken über die Abschaffung des Solidarzuschlages macht, sondern auch über die Frage, ob nicht gerade die unerträglich hohe Belastung der Arbeitnehmerschaft - ich habe darauf hingewiesen - in einem doppelten Sinne ungerecht ist und einen Quasi-Solidarzuschlag darstellt, an dem wir alle, wie wir hier sitzen, nicht beteiligt sind.
Ich glaube, daß die ökonomisch-soziale Debatte des heutigen Vormittags gezeigt hat, daß die Koalition in den zentralen wirtschafts- und sozialpolitischen Handlungsfeldern ohne angemessene Antworten dasteht. Ich denke, es hat sich auch gezeigt, daß die sozialdemokratische Fraktion hier sehr wohl in der Lage war, in einer Reihe von Punkten - Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Umbau des Sozialstaates - angemessene Antworten zu geben.
Sie sind mit denjenigen zu vergleichen, von denen der berühmte Philosoph Hiller einmal gesagt hat: Das Gesäß ist kein zureichender Ersatz für den Kopf.
Schönen Dank.