Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kunst der Politik besteht darin, zu entscheiden, was wichtig ist für die Zukunft einer Gesellschaft und eines Landes. Unserer Meinung nach sind die Ausgaben für Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung Investitionen in die Zukunft, in die Zukunft unseres Landes und in die Zukunft der Menschen, die in diesem Lande wohnen. Deshalb sind es wichtige Investitionen.
Nur mit innovativen Produkten und intelligenten Dienstleistungen werden wir im internationalen Wettbewerb mithalten, das erreichte Einkommensniveau halten, neue Arbeitsplätze schaffen und die vorhandenen Arbeitsplätze sichern können. Wissenschaftlich-technische Innovationen entscheiden zudem maßgeblich darüber, ob die Umgestaltung unseres umweltverbrauchenden Wirtschaftssystems in ein sozial und ökologisch verträgliches und auf dauerhafte Entwicklung ausgerichtetes Wirtschaftssystem gelingt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir von unseren Kindern und Enkeln erwarten, daß sie nicht nur für unsere Renten und Versorgungsansprüche aufkommen, sondern auch die von uns ihnen überlassenen Schulden der öffentlichen Hand abtragen sollen, und wenn wir von ihnen erwarten, daß sie mit den ökologischen Hinterlassenschaften fertig werden, dann ist es unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, daß wir sie zumindest in die Lage versetzen, diese Lasten auch zu bewältigen.
Das heißt, daß wir ihnen die bestmögliche Bildung und Ausbildung zuteil werden lassen müssen. Dies allerdings ist genauso wenig zum Nulltarif zu haben wie eine leistungsfähige Wissenschaft und Forschungslandschaft. Das geht besonders an die Adresse der Regierung.
Die Bundesregierung hat in ihrer Koalitionsvereinbarung eine „Offensive für Bildung, Wissenschaft und Forschung" angekündigt und leistet sich seit einem Jahr einen Minister, der sich gerne als „Zukunftsminister" titulieren läßt. Wenn immer es aber um die Bereitstellung der nötigen Haushaltsmittel geht, Herr Rüttgers, dann verfährt diese Regierung nach der Devise: Die beste Zukunft ist diejenige, die nichts kostet.
Seitdem Ihre Bundesregierung 1982 die Regierungsverantwortung übernommen hat, haben Sie den Bildungs- und Forschungshaushalt regelrecht ausbluten lassen. Im Jahre 1982 belief sich der Anteil für Bildungs- und Forschungsaufgaben am Gesamthaushalt noch auf 4,7 %. Jetzt sind es sage und schreibe nur noch 3,3 %.
Wenn die Bundesregierung diesem Politikfeld auch nur eine durchschnittliche Bedeutung zugemessen hätte und nicht nur darüber reden, sondern auch einmal handeln würde, dann hätten wir in diesem Jahr 1995 nicht nur 15,53 Milliarden DM sondern 22,63 Milliarden DM zur Verfügung. Das heißt, wir hätten in diesem Jahr für Bildung und Forschung 7,1 Milliarden DM mehr.
Vor diesem Hintergrund, liebe Kolleginnen und Kollegen, hätte man bei diesem Haushalt eigentlich eine Trendwende erwarten können. Aber die Bundesregierung übt sich lieber im Buchstabieren des Wortes Zukunft, statt mit Entschlossenheit für die Zukunft zu handeln.
Der Haushalt dieses Jahres liegt mit 15,62 Milliarden DM ganze 0,6 % über dem Haushalt des letzten Jahres.
Edelgard Bulmahn
- Das ist ehrlich. Der Haushalt ist um 89,3 Millionen DM höher als im letzten Jahr. Herr Minister Rüttgers, Sie wollen doch nicht ernsthaft sagen, daß die Steigerung eines Einzelplans um 89 Millionen DM eine deutlich stärkere Gewichtung dieses Politikfeldes gegenüber der Vergangenheit darstellt.
- Sie wissen, lieber Herr Rüttgers, daß ich nichts verwechsle. Dazu kennen Sie mich viel zu lange. Sie wissen sehr wohl - dazu brauchen Sie nur in Ihren Haushalt zu gucken -, daß Sie eine Steigerung um lediglich 89 Millionen DM haben. Das ist keine stärkere Gewichtung dieses Politikfeldes und ist seiner Bedeutung überhaupt nicht angemessen.
Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als Mängel zu verwalten und Löcher zu stopfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, wie eng die Finanzspielräume der öffentlichen Haushalte geworden sind. Darauf hat auch mein Kollege Peter Glotz verwiesen. Verantwortungsvolle Politik erfordert deshalb auch die Erschließung neuer Handlungsspielräume durch Kreativität und Reform. Der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg, bei den Studierenden von einkommensschwächeren Schichten abzukassieren, ist allerdings überhaupt nicht innovativ. Es ist ein Rückgriff in die Mottenkiste des 19. Jahrhunderts.
Das als innovativ zu bezeichnen ist ein schlechter Witz. Dieser Vorschlag ist völlig indiskutabel. Das wissen Sie ganz genau. Er ist auch nicht durchsetzbar. Auch das ist Ihnen sehr wohl bekannt.
Deshalb ist es unredlich, die BAföG-Pläne als Maßnahme zur Stärkung der Hochschulen zu verkaufen, so wie Sie das versuchen. Mich hat erschüttert und bedrückt, wie wenig für die Hochschulen auch in diesem Haushalt zur Verfügung steht: 1995 2,5 Milliarden DM, im kommenden Jahr 2,4 Milliarden DM und 1999 schließlich 2,3 Milliarden DM.
Dies bedeutet eine permanente Auszehrung und eine schleichende Schwächung für die Hochschulen. Nicht umsonst spricht der Wissenschaftsrat deshalb auch von Stillstand statt Fortschritt. Mit Blick auf das von Minister Rüttgers vorgetragene Konzept stellt der Wissenschaftsrat fest, daß dies in keiner Weise dem festgestellten Bedarf entspreche. Damit könnten weder die Sanierung und der Aufbau der Hochschulen in den neuen Ländern noch der wissenschaftlich-politisch vorrangige Ausbau der Fachhochschulen weiter vorankommen. Letztlich würden auch die Funktionsfähigkeit vorhandener Hochschuleinrichtungen und die Leistungen der Hochschulforschung nachhaltig gefährdet werden.
Mit Nachdruck vertritt deshalb der Wissenschaftsrat die Auffassung, daß die sich abzeichnende Situation im Hochschulbereich dringender Anlaß sein sollte, die politische Prioritätensetzung zugunsten des Politikfeldes Bildung und Wissenschaft zu überprüfen. - Wohl wahr!
Meine Herren und Damen, wir dürfen uns diesem Appell nicht entziehen. Deshalb müssen wir vorurteilsfrei und sorgfältig alle Möglichkeiten prüfen, die endlich wieder Bewegung in die festgefahrene Situation bringen.
Einen bedenkenswerten und, wie ich meine, auch realisierbaren Vorschlag hat in diesem Zusammenhang der rheinland-pfälzische Wissenschaftsminister Dr. Zöllner unterbreitet. Dieser Vorschlag läuft im Kern darauf hinaus, daß durch die Mobilisierung privaten Kapitals in den Jahren 1996 bis 1999 zusätzliche Hochschulbauinvestitionen in Höhe von 4 Milliarden DM möglich sein werden. Das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wäre ein wirklicher Fortschritt gegenüber der derzeitigen Situation. Die Bauten sollen nach diesem Vorschlag in Kooperation mit privaten Investoren, mit denen langfristige Miet- und Leasingverträge eingegangen werden, errichtet werden. Nach Fertigstellung der Projekte sollen im Rahmen der regulären Hochschulbauförderungsmittel jährliche Raten für Bund und Länder in Höhe von 400 Millionen DM an Miet- und Leasingraten bereitgestellt werden. Die Projekte sollen dabei wie bisher auch durch den Wissenschaftsrat begutachtet werden.
Für dieses Modell, liebe Kolleginnen und Kollegen, sprechen meines Erachtens eine Reihe von gewichtigen Gründen. Das Modell trägt dazu bei, die jetzt dringend benötigten Gebäude kurzfristig zu errichten.
Um das gleiche Bauvolumen zu erreichen, das mit diesem Modell innerhalb der nächsten vier Jahre erreicht werden könnte, wären bei einer Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes sage und schreibe 20 Jahre nötig. Jetzt haben wir aber die überfüllten Räume, jetzt haben wir die Raumprobleme an den Hochschulen. Es nützt überhaupt nichts, einen Vorschlag zu erarbeiten, der eine Verbesserung der Situation in 20 Jahren beinhaltet, sondern wir müssen jetzt einen Vorschlag entwickeln und vorlegen, der bald Abhilfe schafft. Deshalb bitte ich Sie nachdrücklich, unseren Vorschlag zu unterstützen.
Der Vorschlag schafft innerhalb der regulären Planungen wieder Spielräume für die Anschaffung von Großgeräten und gewährleistet damit erst in vielen Bereichen wieder Forschung auf Weltniveau. Es ist ja falsch, was der Kollege Kampeter oder der Kollege Friedrich vorhin gesagt hat. Großgeräte sind ein wesentlicher Bestandteil einer wirklich modernen und adäquaten Ausbildung an den Hochschulen. Wir können doch nicht allen Ernstes einfach hinnehmen, daß Studierende heute an Geräten ausgebildet werden, die 10 oder gar 15 Jahre alt sind, die veraltet
Edelgard Bulmahn
sind und überhaupt nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen. Wir hätten mit diesem Modell die Spielräume, um auch in diesem Bereich etwas zu tun, was dringend notwendig ist.
Ein weiterer Grund: Es gibt bereits Erfahrungen mit diesem Modell in Rheinland-Pfalz und in Niedersachsen. Es führt zu keinen höheren jährlichen Belastungen der Haushalte von Bund und Ländern. Es führt zu einer zügigeren Baufertigstellung und nach unseren Erfahrungen sogar zu einer deutlichen Absenkung der Baukosten, was wir ja wohl alle nur begrüßen können.
Last but not least ist dieses Modell mit dem Hochschulbauförderungsgesetz vereinbar. Deshalb ist es, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei entsprechendem politischen Willen auch sofort durchsetzbar.
Auch würde es - das ist ebenfalls nicht ganz unwichtig - zur Belebung der Baukonjunktur beitragen, die zur Zeit einbricht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, daß wir im Ausschuß ausreichend Gelegenheit haben werden, diesen Vorschlag in allen Einzelheiten zu beraten. Von Ihnen, Herr Minister Rüttgers, erwarte ich allerdings, daß derartige Vorschläge von Ihrem Haus nicht länger blockiert werden,
sondern daß Sie darüber in ernsthafte Verhandlungen mit den Ländern eintreten und sich nicht hinter vermeintlichen Problemen verschanzen, anstatt kreativ zu deren Überwindung beizutragen. Diese Erwartung an Sie habe ich.
Meine Herren und Damen, in diesem Haus gibt es einen breiten Konsens, die berufliche Bildung zu stärken, die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung herzustellen und für mehr Durchlässigkeit zwischen den Bildungswegen zu sorgen. Das ist auch gut so. Im Haushaltsentwurf für 1996 spiegelt sich diese berufsbildungspolitische Mitverantwortung des Bundes allerdings völlig unzureichend wider. Ganze 3 % des sogenannten Zukunftshaushaltes sollen für die berufliche Erstausbildung und Weiterbildung aufgewandt werden - und dies weitgehend konzeptionslos.
Herr Minister, ich frage Sie: Wo gehen Sie eigentlich zielgerichtet die Umsetzung der Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Berufliche Bildung" an? Glauben Sie, Herr Minister, mit einer Politik, die erst die Förderung der Aufstiegsfortbildung streicht und dann, aufgeschreckt von den Folgen, einen derartig unzureichenden Entwurf wie den jetzt vorliegenden Referentenentwurf eines Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes vorlegt, die Attraktivität der Berufsbildung tatsächlich zu steigern? Wo bleiben denn Ihre angekündigten Initiativen zur Erleichterung des Hochschulzugangs für qualifizierte Berufstätige? Was ist denn das für eine Logik, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich auf der Regierungsbank und von den Regierungsfraktionen einerseits für die Öffnung der Hochschulen auch für Absolventen des beruflichen Bildungsweges einzusetzen und dann andererseits, wie jüngst im Verordnungsentwurf für die Tierärzteapprobationsordnung, eben jene Gruppe vom Studium auszuschließen?
Wo, meine Herren und Damen, bleibt denn die in der Kanzlerrunde versprochene Trendwende bei der Ausbildungsplatzentwicklung? Was hat denn die Bundesregierung unternommen, um den Rückgang des Ausbildungsplatzangebotes in der Wirtschaft zu stoppen?
Wo ist sie beispielhaft vorangegangen und hat im eigenen Verantwortungsbereich zusätzliche Ausbildungsplatzkapazitäten geschaffen?
Was heißt eigentlich, Herr Rüttgers, „zu früh" mit den Unternehmen zu reden, wenn erst in der vorigen Woche eine Gemeinschaftsinitiative angekündigt und auch beschlossen wurde, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die arbeitslosen Jugendlichen schon auf der Straße standen?