Rede von
Ottmar
Schreiner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir seit heute morgen 9 Uhr die wirtschafts- und sozialpolitische Debatte angehört. Wenn man das zusammenfassen will, muß man sagen: Die Kümmerlichkeit der Argumente der Koalition in beiden Debattenteilen läßt den Eindruck entstehen, daß sich die Koalition in dem Zustand befindet, den Sie von der SPD vermuten.
Das war eine kärgliche und kümmerliche Debatte! Zu keinem der zentralen Themen ist wirklich ein ernsthafter Vorschlag gemacht worden.
Ich will Ihnen das an Hand von drei, vier wichtigen Beispielen zu belegen versuchen.
Von seiten der Koalition ist immer wieder vorgetragen worden, wesentlich beim Bundeshaushalt sei die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Sie haben bis zur Stunde nicht ein einziges Beispiel gebracht, dem man entnehmen könnte, daß der Bundeshaushalt eine beschäftigungspolitische Orientierung hätte. Nichts hat er. Das Gegenteil ist der Fall.
Selbst beim Haushalt des Bundesarbeitsministeriums wird jetzt als Ziel die Streichung des Bundeszuschusses zur Finanzierung der Bundesanstalt für Arbeit angegeben. Präsident Jagoda von der Bundesanstalt hat vor zwei Tagen schriftlich erklärt, daß wir jetzt ungefähr den gleichen Arbeitslosenstand wie vor etwa einem Jahr haben. Er hat dazugesagt, das sei darauf zurückzuführen, daß die aktive Arbeitsmarktpolitik massiv nach unten gefahren worden sei.
Wenn Sie den Bundeszuschuß auf null fahren, heißt das im Klartext: Die Bundesregierung versucht sich aus Resten der Mitverantwortung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit herauszustehlen. Das ist die Wahrheit.
Sie haben nicht nur keinen Beitrag, sondern Sie versuchen, jede Mitverantwortung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit abzulehnen.
Zweiter Punkt: Umbau des Sozialstaats. Ich habe während des gesamten Vormittags nicht einen einzigen ernstzunehmenden Vorschlag aus den Reihen der Koalition gehört. Sie haben eine ganze Fülle von Vorschlägen gemacht, die aber nichts anderes sind als reaktionärer Abbau von sozialstaatlichen Leistungen. Das hat mit Umbau überhaupt nichts zu tun.
Ich will Ihnen drei Beispiele nennen. Wenn sich die Koalitionsredner wie den gesamten Vormittag lang über die. hohen Arbeitskosten beklagen und sagen,
die hohen Arbeitskosten seien ein wesentliches Beschäftigungshemmnis, dann ist das nichts anderes - ich sage das in aller Freundschaft - als pure Heuchelei.
Auch das werde ich Ihnen belegen.
Sie haben seit dem Frühjahr 1991 - Herr Kollege Dreßler und andere haben darauf hingewiesen - die deutsche Einheit wesentlich über eine massive Erhöhung der Lohnnebenkosten und der Beiträge in die Systeme der sozialen Sicherung mitfinanziert. Damit haben Sie den Faktor Arbeit erheblich verteuert. Wenn Sie wirklich ernsthaft der Meinung wären, die hohen Kosten des Faktors Arbeit seien das zentrale Beschäftigungshindernis, dann müßten Sie morgen früh eine Gesetzesinitiative einleiten und diese Finanzierungsanteile aus den Systemen der sozialen Sicherung herausführen und zum Gegenstand einer Bundeshaushaltsfinanzierung machen. Das wäre die zwingende Logik Ihrer eigenen Argumentation.
Nun sagt der Bundesarbeitsminister, er schlage einen Stufenplan vor. Der Bundesarbeitsminister schlägt schon seit Jahren Stufenpläne vor.
- Meine Güte, welche Kraft haben Sie eigentlich noch in der Koalition? Wem schlagen Sie das eigentlich vor? Das verhält sich ähnlich wie der Vorschlag des Kollegen Schäuble zu einer ökologisch-sozialen Steuerreform, auf den ich gleich zurückkomme. Das hat heute morgen der Vorsitzende der F.D.P.-Fraktion zum erstenmal im Rahmen einer langen Unterweisung durch die Kollegin Fuchs zur Kenntnis nehmen müssen.
Allmählich ist es rätselhaft, was Sie überhaupt in Koalitionsgesprächen bereden. Dort verhält es sich offenkundig so, wie im Neuen Testament bei Matthäus beschrieben:
Die einen redeten so, die anderen redeten anders, und am Ende wußte niemand mehr, weshalb sie zusammengetreten waren. - Das scheint Ihre Koalitionsthematik zu sein.