Das macht es manchmal so unerfreulich, und wir wundern uns dann zu Unrecht darüber, daß die Leute draußen fragen, ob wir hier wie die Mondmännchen aneinander vorbeireden. Ich habe von dem, was Sie hier behaupten, kein Wort gesagt. Ich habe davon gesprochen, daß Kassenpatienten genauso wie Privatpatienten über das, was für sie an Leistung erbracht wird, eine Rechnung bekommen sollen. Wieso ist das eine Aufgabe der Solidarität? Wen schützen Sie eigentlich mit diesem Prinzip des anonymen Blankoschecks? Doch wohl nicht die Patienten. Ich möchte gern, daß hier Transparenz geschaffen wird, daß also das Prinzip der Kostenerstattung an Stelle des bisherigen Abrechnungsprinzips ausgeweitet und vertieft wird.
Zweiter Punkt. Wir reden über die Frage, wie die Kosten aufgebracht werden sollen, von denen wir alle annehmen, daß sie trotz aller effizienten Mechanismen, wenn das Gesundheitswesen weiterhin wirkungsvoll sein soll, möglicherweise steigen, weil die Menschen im Schnitt immer älter werden und weil der medizinische Fortschritt nicht - Gott sei Dank, möchte man fast sagen - wie in anderen Bereichen, z. B. im Bereich der industriellen Produktion, automatisch zu Rationalisierungseffekten führt. Das heißt, es gibt Forschungsergebnisse, die schlicht zu weiteren Aufwendungen und Anstrengungen zusätzlicher Art führen, die finanziert werden müssen.
Wir werden der Frage nicht ausweichen können - das meinen vielleicht auch Herr Schröder und auch Hillu, wenn sie von Modernisierung sprechen -, ob wir nicht zusätzlich zu den Leistungen, die die Solidargemeinschaft erbringen muß, die Komponente der Selbstbeteiligung verstärken müssen, damit Transparenz Wirkung haben kann, damit vernünftiges Verhalten honoriert und unvernünftiges Verhalten eben auch besonders belastet wird. Dabei ist es interessant, daß der Sachverständigenrat, der sein Gutachten gerade vorgelegt hat, zwar Skepsis gegenüber einer Ausweitung der traditionellen Struktur von Selbstbeteiligungsmechanismen anmeldet, aber sehr wohl neue Formen der Eigenverantwortung und Selbstbeteiligung für erwägenswert hält, wie z. B. Selbstbehalte, Beitragsrückgewähr und andere Maßnahmen.
Schließlich, meine Damen und Herren: Durch die Debatten dieser Tage hat sich immer wieder ein Gedanke gezogen, der heute durch die Bekanntgabe der Zahlen auf dem Arbeitsmarkt natürlich eine Verstärkung erfuhr. Es hat im Sommer keine nennenswerte Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt gegeben. Das muß uns alarmieren. Der Trend geht trotz positiver konjunktureller Entwicklung offenbar dahin, daß mehr und mehr Arbeitsplätze abgebaut, wegrationalisiert oder ins Ausland verlagert werden.
Wir suchen nach Möglichkeiten, wie man den Teil der Gründe hierfür, der in den Lohn- und Lohnzusatzkosten liegt, so mildern kann, daß sich dieser Prozeß nicht dynamisch beschleunigt. Das ist auch Gegenstand der Debatte in der SPD. So verstehe ich den Disput zwischen Scharping und Schröder über die Frage: Gibt es eine sozialdemokratische oder moderne Arbeitsmarkt- bzw. Wirtschaftspolitik?
- Ich will mich da, Herr Struck, gar nicht weiter einmischen. Auch die qualifizierenden Bemerkungen Schröders zu Ihnen will ich nicht bewerten.
Es geht mir darum, daß es gefährlich ist, wenn wir alle sozialen Sicherungssysteme und deren Dynamisierung im Ausgabenbereich immer wieder und so stringent, wie wir das tun, an die Lohnkosten anbinden. Die Frage muß doch sein, ob man sie nicht auf andere Parameter hin orientieren kann und muß.
Jürgen W. Möllemann
Daher wird die Diskussion geführt - sie wird übrigens auch bei uns kontrovers geführt; es ist ja keine Schande, wenn in Parteien kontroverse Debatten stattfinden -,
ob man die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung nicht von der traditionellen Anbindung an den Produktionsfaktor Arbeit befreien kann, beispielsweise dadurch, daß man entweder den Arbeitgeberbeitrag festschreibt - dagegen gibt es vernünftige, wichtige Argumente vorzutragen; es gibt auch gute Argumente dafür - oder daß man, wie es der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Professor Henke, vorgeschlagen hat, die Lohnkosten des Jahres 1995 oder 1996 von einem bestimmten Stichtag an als Zuschlag zum Lohn an die Beschäftigten direkt auszahlt. Diese könnten dann selbst entscheiden, wo und wie sie sich versichern, zumal wir jetzt einen Wettbewerb der Kassen haben sollen, die sowieso schon beschlossen haben, daß künftig freie Kassenwahl möglich ist. Ich glaube, das ist eine vernünftige Idee, gegen die allerdings auch Bedenken vorzutragen wären. Das weiß ich. Wir werden darüber zu diskutieren haben.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir durchaus Grund haben, auch strukturelle Fragen zu erörtern. Union und F.D.P. haben sich darauf verständigt, das in dem von Minister Seehofer beschriebenen Zeitrahmen zu tun. Ich bin optimistisch, daß wir das zu einem guten Ergebnis bringen werden.
Erlauben Sie mir eine Schlußbemerkung an die Adresse der Kollegin Steindor. Es wäre mir mühelos möglich, aus laufenden Forschungsvorhaben in allen Bundesländern, auch in solchen, die rot-grün regiert sind, hier eine Kabarettveranstaltung zu machen, indem ich die Titel dieser Forschungsvorhaben vortrage und - noch ohne daß die Ergebnisse derselben vorliegen und ohne daß eine Auswertung vorgenommen ist - Intentionen in sie hineinprojiziere. Das wird eine reine Lachveranstaltung. Ernsthafte Politik kann man so nicht betreiben. Ich würde raten, daß wir das ernsthafter tun.