Rede von
Dr.
Graf
Otto
Lambsdorff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Eine Bemerkung vorweg: Immer wieder wird gesagt, die Begrenzung des Solidarzuschlages sei gleichzusetzen mit der Begrenzung und der Beendigung der Unterstützung des wirtschaftlichen Aufbaus im Osten. Das ist weder denklogisch richtig, noch ist es ökonomisch zwingend.
Ich fand es gut und bemerkenswert, daß der Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, dies hier klargestellt hat. Es sind zwar nicht unbedingt zwei Paar verschiedene Schuhe - sie gehören zusammen -, aber es ist nicht zwingend, daß der Solidarzuschlag in der bisherigen Höhe, auf unbegrenzte Zeit festgelegt - es war von 10 Jahren die Rede -, erhalten werden muß, um die Ostförderung fortzusetzen.
Diese Diskussion ist schlichtweg falsch, und teilweise, so glaube ich, ist sie bewußt irreführend angelegt.
Meine Damen und Herren, der Hungrige kann dem Satten kein Bruder sein. Janusz Reiter, der polnische Botschafter in Bonn - mit Recht geschätzt, hat in einem Interview am Wochenende dieses polnische Sprichwort zitiert.
Ich denke, wir sollten in einer wirtschaftspolitischen Debatte des Deutschen Bundestages, auch in der Haushaltsdebatte, wenigstens einen kurzen Augenblick über unsere Grenzen hinaussehen.
Bis zur großen Wende des Jahres 1990 waren die Hungrigen dieser Welt in den Entwicklungsländern von uns, den Satten, relativ weit entfernt. Wir schickten Entwicklungshilfe, meist zuwenig - heute übrigens viel zuwenig. Aber jetzt sitzen die Hungrigen vor unserer Haustür. Diese Haustür ist und bleibt geöffnet, sosehr wir uns dagegen stemmen. Es kommen die Produkte. Wenn wir das behindern, dann kommen die Menschen - entweder als Flüchtlinge oder als legale und illegale Arbeitskräfte.
Was tun wir - nicht nur in Deutschland - in den Industrieländern? Wir wahren Besitzstände. Es kann aber auf Dauer kein Frieden in Europa und in der Welt sein, wenn wir das Wohlstandsgefälle nicht wenigstens abflachen. Es gab den Abstand bereits vor 1914 und vor 1939. Aber so groß wie heute war er nie, besonders wenn Sie an die GUS-Staaten denken.
Erinnern Sie sich noch, verehrte Kolleginnen und Kollegen, an das bedrückende Bild der Polen-Märkte in Berlin nach der Öffnung der Mauer? Da kamen die Menschen aus Polen, um ihre letzten Habseligkeiten gegen harte Währung zu verkaufen. Heute sind das die Russen-Märkte in Warschau, gleich neben dem Fußballstadion.
Wir, die reichen Industrieländer, werden das Problem nicht durch Finanztransfers lösen. Lösen können wir es übrigens überhaupt nicht. Das können nur die betroffenen Länder selbst. Sie tun es ja auch: mit Härten, mit Entbehrungen für die Menschen. Sie tun es mehr und mehr erfolgreich. Lassen Sie mich zwei Beispiele nennen: Polen und Estland.
Wir müssen vor allem eines tun, was uns schwerfällt: Wir müssen unsere Märkte öffnen. Trade is better than aid: Handel ist besser als Hilfe. Die Entwicklungsländer haben das begriffen, unsere Nachbarn auch. Aber was tun wir? Versuchen wir nicht mehr und mehr, uns hinter Schutzzäunen zu verbarrikadieren? Reagieren wir mutig und offensiv, oder reagieren wir defensiv und ängstlich?
Die Polen würden uns nur zu gerne ihre Steinkohle verkaufen. Wir verbieten Importe, subventionieren die deutsche Steinkohle mit etwa 20 Milliarden DM und plündern dafür den deutschen Steuerzahler.
Wir versuchen uns mit Importquoten zu schützen, mit überzogenen Sozial- oder Umweltklauseln, mit Arbeitnehmerquoten gegen die Hungrigen in unserer Europäischen Union sogar mit dem protektionistischen Sündenfall eines Entsendegesetzes, dem der Bundeswirtschaftsminister wenigstens die schlimmsten Giftzähne gezogen hat.
Wir versuchen den unvermeidlichen Anpassungsprozeß zurückzustauen. Das kann nur zu Brüchen führen, mit der Gefahr ökonomischer und politischer Destabilisierung.
Warum, meine Damen und Herren, schafft wirtschaftliches Wachstum nicht mehr Arbeitsplätze wie früher? Begreifen wir eigentlich, daß die neue internationale Arbeitsteilung die Arbeitsmärkte umfaßt? Unser Tarifkartell merkt das sehr wohl. Aber auch hier wird defensiv reagiert.
Die Politik, eine ganz riesengroße Koalition in Deutschland, weit über die Parteien hinaus, schützt diesen Egoismus. Dabei ist es nicht einmal der Egoismus der Deutschen gegenüber dem Wettbewerber, der über unsere Grenzen kommt. Es ist auch der blanke Egoismus der deutschen Arbeitsplatzbesitzer gegenüber den eigenen, den deutschen Arbeitslosen.
Das Tarifkartell in Deutschland schaufelt die Folgen seines unflexiblen Tuns vor die Türen des Staates, und der zahlt und zahlt und überzieht seine Bürger mit maßlosen Steuern und Abgaben auf allen staatlichen Ebenen. Er merkt gar nicht, daß wir uns auf diese Weise immer tiefer in diesen Sumpf hineindrehen.
Das Land braucht Reformen, aber nicht die grünen Reformen der Staatsintervention, auch nicht eine sogenannte moderne Wirtschaftspolitik. Das ist die Wirtschaftspolitik des kurzfristigen Intervenierens, gut für die nächste Landtagswahl, schlecht für die Volkswirtschaft. Lemwerder ist ein Beispiel.
Dr. Otto Graf Lambsdorff
Wir brauchen, meine Damen und Herren, Luft zum Atmen, zum Investieren, zur Innovation. Wir müssen herunter mit Steuern und Abgaben.
Was nutzt das Verschiebespiel mit versicherungsfremden Leistungen, das uns hier vorgeführt wird? Sie haben recht, daß sie nicht in den sozialen Bereich hineingehören. Aber dann machen Sie Vorschläge, wie eingespart werden kann. Von einer Kasse in die andere zu verlagern bringt gesamtwirtschaftlich überhaupt nichts.
- Ich verstehe überhaupt nicht, warum sich die Sozialdemokraten so aufregen.
Sie verkünden doch dauernd, daß die Steuern und Abgaben zu hoch seien. Befassen Sie sich doch damit! Sie machen nur Vorschläge, um die Abgaben weiter zu erhöhen. Wer die 580-DM-Arbeitsverhältnisse abschaffen und verbieten will, der jagt die Leute in die Illegalität, in die Arbeitslosigkeit und in die Schwarzarbeit.
Das ist die Wahrheit.