Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Klaus Natorp von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" schrieb dieser Tage folgendes:
Daß es in keinem Land der Erde Frauen so gut geht wie Männern, daß sie in ihrem Leben nicht nur länger arbeiten als Männer, sondern bei gleicher Arbeit auch weniger verdienen, daß ihre Haus- und Feldarbeit fast überall in der Welt unterbewertet wird, daß zwischen Männern und Frauen im Hinblick auf Bildung und Gesundheit immer noch eine Kluft besteht, ist eine Schande.
So ist es in einem Leitartikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" formuliert.
Ich denke, daß diese Formulierung gut ist. Wir sind uns sicherlich in dieser Einschätzung über Parteigrenzen hinweg einig.
Deshalb ist es gut, daß die Frauenkonferenz in Peking stattfindet und daß wir, vertreten durch die Bundesregierung, aber auch durch Parlamentarier, dort sind.
Frau Ministerin Nolte hat glasklare Ausführungen gemacht zu den Maßstäben, die es dort einzufordern gilt. Ich räume ein: Damit verbunden sind auch Verpflichtungen im eigenen Land. Aber auch dazu hat sie etwas gesagt. Wir als Koalitionsfraktionen haben deshalb Respekt angesichts der Form und des Inhalts, des Auftretens und der Ausführungen, die Frau Ministerin Nolte aktuell in Peking gemacht hat.
Meine Damen und Herren, ich möchte in dieser ersten Lesung des Haushalts etwas im Blick auf den Gesamtetat sagen. Wir diskutieren zum zweitenmal nach der Bundestagswahl einen Bundeshaushalt. Vor einem halben Jahr haben wir festgestellt, daß der Einzeletat, um dessen Beratung es hier im konkreten Fall geht, im letzten Jahr eine Steigerung von 6,5 % erfahren hat, und das angesichts einer Steigerung des Gesamthaushalts 1995 von lediglich 1,3 %. Schon damals habe ich gesagt: Das ist eine deutliche, eine nachvollziehbare Akzentsetzung. Sie war ja auch vom Bundeskanzler in seiner ersten Regierungserklärung dieser Legislaturperiode angekündigt.
Ich möchte darauf hinweisen, daß wir diese Akzentsetzung auch in diesem Jahr, also im Blick auf den Haushalt 1996 fortsetzen. Andere reden, wir handeln!
Der entscheidende Punkt ist: Wären die Ausgaben, die im Zusammenhang mit dem neuen Familienleistungsausgleich auf den Bund zukommen, im Einzelplan 17 veranschlagt worden, wie dies all die Jahre der Fall gewesen ist, und hätten wir das System nicht auf Steuervergünstigung umgestellt - das wollten wir ja; es ist unbürokratischer, es ist direkter -, dann würde der Einzelplan 17, um dessen Beratung es jetzt geht, um sage und schreibe 20 % steigen. Das ist doch eine beachtliche Leistung, an Hand deren man sozialstaatliches Engagement, familienpolitisches Engagement demonstrieren kann. Das ist nicht Theorie, das ist nicht allein eine Frage der Willensbekundung, sondern drückt sich in ganz konkreten materiellen Ansätzen aus, auch und gerade in diesem Bundeshaushalt 1996.
Deshalb geht es nicht nur um die Erhöhung des Kindergelds für das erste und das zweite, für das dritte und jedes weitere Kind, geht es nicht nur um die Anhebung des Freibetrages. Es gibt zudem die Heraufsetzung der allgemeinen Altersgrenze für den Bezug des Kindergeldes von bisher 16 auf 18 Jahre. Es gibt die Heraufsetzung der Einkommensgrenze für Kinder über 18 Jahre. Es gibt die gesicherte Perspektive - darauf hat man sich parteiübergreifend verständigt - der weiteren Anhebung des Kindergeldes auf 220 DM ab 1997. Und es gibt den erklärten politischen Willen einer Dynamisierung der familienpolitischen Leistungen über 1998 hinaus.
Dies verdeutlicht die Fortsetzung einer familienpolitischen Akzentsetzung, wie sie seit mehr als einem Jahrzehnt in der Verantwortung der Koalitionsfraktionen vorgenommen wird. Ich nenne nur die Regelungen zum Erziehungsurlaub, zum Erziehungsgeld, die Anerkennung der Erziehungsjahre und der Pflegeleistungen für die Rente. Zusammengenommen
Peter Jacoby
sind das nicht nur Mosaiksteine, sondern es ergibt mittlerweile ein nachhaltiges Bild und belegt, wie man in familienpolitischer, in sozialstaatlicher Motivation handeln und entscheiden kann.
Meine Damen und Herren, es ist trotz des Ziels einer notwendigen Haushaltskonsolidierung gelungen, die zur Verfügung stehenden freien Mittel, also die Mittel, die man im operativen Bereich des Ministeriums neben den gesetzlichen Aufgaben einsetzen kann, durchweg zu stabilisieren; da und dort sind sogar Zuwächse in Ansatz gebracht worden. Dies spricht in der Tat für die Kontinuität, für die Verläßlichkeit einer Politik.
Wenn auch manches knapp kalkuliert ist: Führt man in diesen Tagen Gespräche mit den Wohlfahrtsverbänden, mit den Jugendverbänden, mit den vielen freiwilligen Initiativen, für die wir ja die Initialzündung bieten - wir gehen ja davon aus, daß das ehrenamtliche Engagement dann erst freigesetzt werden kann -, dann hört man: Wir akzeptieren angesichts der Haushaltssituation, daß die Mittelansätze so bleiben, wie sie sind; aber bitte kümmert euch darum, daß nicht eine globale Minderausgabe am Ende der Haushaltsberatungen herauskommt. Deshalb haben wir die Bitte an die Opposition, mitzuhelfen, die Dinge stabil zu halten, weil wir dann das Kürzen mit der Heckenschere vermeiden können - und das im Interesse all derer, die von unseren finanziellen Rahmenbedingungen, die wir schaffen, profitieren. Letztendlich ist es das gesamte Land, die ganze Gesellschaft, die davon profitiert.
Ich will in diesem Zusammenhang schon darauf hinweisen: Es ist nicht nur der Bund, der in unserem Land sozialstaatliche Verantwortung trägt, sondern gefordert sind natürlich auch die Länder und die Kommunen.
Da ist es schon eigenartig, im Zusammenhang mit dem Recht auf einen Kindergartenplatz, völlig aus dem Bewußtsein zu verdrängen, daß es anläßlich der Solidarpaktverhandlungen vor zwei Jahren eine Besserstellung der Länder bei der Verteilung der Umsatzsteuer gegeben hat; gerade im Vorgriff auf dieses Recht auf einen Kindergartenplatz, um dessen Realisierung wir uns bemühen. Hätten die Länder die zur Verfügung gestellten Mittel an die Gemeinden weitergegeben, wären vielerorts andere Prioritäten gesetzt worden; dann bräuchten wir uns in der Tat, Frau Kollegin Wolf, jetzt nicht darüber zu ärgern, daß Stichtagsregelungen als Überbrückung in Erwägung gezogen werden; Stichtagsregelungen, die in der Tat kein Dauerzustand sein können und die in der Tat politisch von dieser Bundesregierung und diesen Koalitionsfraktionen auch nicht gewollt sind.
Bei aller Kritik im Einzelfall: Man muß doch auch sehen, was alles mittlerweile auf der Länderebene und auf der Ebene der Kommunen an Streichorgien in diesem Zusammenhang veranstaltet wird; angefangen bei den Sozialstationen über die mobilen sozialen Dienste bis hin zu den Ansätzen für die freien Träger.
Insofern, glaube ich, kann man nicht in einer einseitigen Schuldzuweisung mit Blick auf den Bund argumentieren, sondern es ist in der Tat so, daß die Haushaltszwänge durchgängig das Problem sind. Man braucht nur heute in der Tageszeitung zu lesen, wie die Haushaltsdebatte im Landtag von Hessen geführt worden ist, wie die Regierungserklärung in Bremen ausgesehen hat und welche Auswirkungen das für die Sozialdebatte hatte, die dort geführt worden ist.