Herr Kollege Dreßler, ich empfehle Ihnen eine dickere Brille. Mit zwei Zentnern und einigen Kilo Gewicht müßte ich eigentlich unübersehbar sein. Ich möchte Sie aber bitten: Lassen Sie uns in der Sache darüber reden.
Ich muß Ihnen schon sagen: Man hätte Frau Fuchs in vielen Punkten schon vorher widersprechen müssen, als sie diese Dinge, die völlig unschlüssig sind, vorgetragen hat. Das Unschlüssigste an der ganzen Kiste war dann wohl, als sie gesagt hat: Zur Gegenfinanzierung nehmen wir einmal die Steuer auf das Flugbenzin. - Wenn man einmal sieht, um welche Summen es sich da handelt - wir brauchen nicht Millionen, wir brauchen Milliarden -, dann muß ich Ihnen, Herr Kollege Dreßler, vorhalten: Sie haben das Problem, daß Sie immer Millionen und Milliarden verwechseln.
- Nein, einmal genügt, Herr Kollege.
Ich muß noch etwas zu den Ausführungen von Frau Matthäus-Maier sagen. Sie hat vorgestern ausgeführt: Nicht der Sozialstaat ist zu teuer, sondern die Arbeitslosigkeit. - Das ist auch so ein Quatsch. Das hilft uns in der Sache überhaupt nicht weiter, weil man damit die Notwendigkeit des Umbaus des Sozialstaates verneint. Genau an diese Aufgabe müssen wir jetzt gehen.
Nach der Auffassung der CDU/CSU gibt es in unserem Sozialstaat zu viele Szenarien, bei denen der einzelne nicht genügend herausgefordert wird, für sich selbst zu sorgen.
- Es ist sehr schön, daß Sie jetzt so konkret werden wollen. Das paßt genau zu dem, was ich jetzt sagen möchte.
Lassen Sie es mich mit einem Zitat sagen:
Das Thema der Solidarität in Deutschland muß neu definiert werden. Bislang haben wir das Thema der Solidarität nur aus der Sicht derjenigen definiert, die staatliche Leistungen in Anspruch genommen haben. Wir müssen gesamtgesellschaftliche Solidarität auch aus der Sicht derjenigen mitdefinieren, die diese staatlichen Leistungen erwirtschaften.
Dieses Zitat stammt von keinem CDU-Politiker, es stammt vom Oberbürgermeister der Stadt Pforzheim, einem SPD-Mitglied, und zwar aus dessen neuestem Buch „Der erschöpfte Sozialstaat" .
Das sollten Sie sich einmal etwas stärker hinter die Ohren schreiben,
damit wir dann vielleicht auf eine etwas andere Diskussionsebene kommen.
Hans-Joachim Fuchtel
Unsere Befürchtung ist - darauf komme ich noch zurück -, daß, ähnlich wie bei der Asylfrage, erst der mühsame Protest Ihrer eigenen Basis, vor allem der Kommunalpolitiker, Sie langsam dazu bewegt, auch hier in Bonn umzudenken. Nur, so lange können wir hier nicht warten. Wir haben schon bei der Asylfrage viel zu lange auf Sie gewartet.
Jetzt komme ich zum Konkreten, Frau Kollegin Fuchs. Sie wollten ja ein Beispiel haben. Herr Kollege Scharping hat gestern ganz pauschal gesagt: 3,5 Millionen Arbeitslose, sie alle warten auf Arbeit. - Wir in diesem Hause sind uns einig, daß wir alles tun müssen, um möglichst viele Menschen in Arbeit zu bringen.
Es stellt sich die Frage, ob wir bereit sind, differenziert darüber zu reden, oder ob wir es so machen wie Sie, die von den 3,5 Millionen sprechen und glauben, damit das ganze Thema abgehandelt zu haben. Wir sollten vielmehr - das wäre der Sache angemessen - dazu übergehen, uns wirklich sektoral differenziert mit solchen Problemen zu befassen und die Schlagworte aus der Diskussion herauszuhalten, die immer wieder eine konkrete Lösung verhindern. Dazu sind wir bereit. Wir brauchen allerdings auch Ihre Bereitschaft dazu, damit wir vorankommen.
Tatsache ist, daß im Jahr 1994 1,2 Millionen Arbeitserlaubnisse für Ausländer erteilt wurden, davon 400 000 an nachziehende Ehegatten von Ausländern. Das sage ich nur an die Adresse derjenigen, die die Gesetze auch auf diesem Gebiet immer weiter öffnen möchten.
- Das sind ja keine Ausländer, wenn Sie das noch nicht gelernt haben.
Das ist schon traurig, wenn Sie bis zum heutigen Tage, obwohl Sie schon ein Jahr Mitglied im Deutschen Bundestag sind, noch nicht begriffen haben, daß hier ein Unterschied gemacht werden muß. Manches, was Sie so daherreden, wundert mich jetzt nicht mehr, wenn Sie diese Differenzierung nicht vornehmen können.
700 000 von diesen 1,2 Millionen sind Arbeitnehmer von außerhalb der Europäischen Union, weil unter den Arbeitslosen in Deutschland eben niemand bereit war, diese Arbeiten zu tun. Denn Voraussetzung dafür, daß Arbeitserlaubnisse erteilt werden, ist, daß erst einmal geprüft wird, ob es auf dem deutschen Arbeitsmarkt Leute gibt, die bereit sind, die Arbeiten zu tun. In 700 000 Fällen ist die Prüfung negativ verlaufen. Wir brauchten jede Menge Saisonarbeiter, wir brauchten Erntehelfer usw.
Bei dieser Sachlage ist es doch nicht angemessen, so pauschal von 3,5 Millionen Arbeitslosen zu reden. Wir müssen uns dort, wo wir feststellen, daß bisherige Regelungen nicht dazu führen, daß derjenige, der arbeiten kann, zur Arbeit ermuntert wird, bemühen, künftig Anreizsysteme zu schaffen, damit dies möglich wird.
Nach meinem Empfinden erwartet das der ganz große Teil unserer Bevölkerung. Wir müssen uns dieser Aufgabe schleunigst annehmen, um nicht den Mißmut der Bevölkerung in diesem Bereich zu stärken.
Deswegen gehen wir jetzt an die Arbeit. Wir wären dankbar, wenn Sie sich beteiligen, anstatt sich zu versagen - woraufhin wir wieder harte Konfrontationen haben, aber Probleme nicht vom Tisch schaffen. Es liegt nicht an uns, wenn hier nichts geschieht. Wenn wir hier Zeichen setzen, werden das die Leute draußen im Lande sicher aufmerksam verfolgen und positiv zur Kenntnis nehmen.
Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich noch etwas sagen, was mir in der Debatte aufgefallen ist. Es gibt einen sehr ausführlichen Bericht der OECD. Nachdem bekannt wurde, daß sehr viel Positives über die Bundesrepublik drinsteht, überlege ich mir dauernd, was wohl der Grund dafür ist, daß er von Ihrer Seite kein einziges Mal erwähnt wurde. Eigentlich müßten Sie jetzt sagen: Jawohl, da wurde etwas positiv beschrieben,
wir sind auf dem richtigen Weg. Aber Sie sind so engstirnig, daß Sie das ganz vergessen.
Ich frage mich: Wie oft würde dieser Bericht wohl heute zitiert werden, wenn er für diese Bundesregierung negativ ausgefallen wäre?
Dann hätten Sie gar nicht genügend Vervielfältigungspapier gehabt, um das alles über uns auszubreiten.
Aber, meine Damen und Herren, so ist die Situation: Die SPD ist derzeit nicht in der Lage, auf dem Boden der gesellschaftlichen Realitäten zu diskutieren,
schon gar nicht in der Sozialpolitik. Wir hoffen, daß Ihnen die Augen bald aufgehen und daß wir dann bessere Gespräche miteinander führen.
Denn auch Ihnen dürfte nicht entgangen sein, daß beispielsweise die Entwicklung der Inflationsrate auch ein Ergebnis unserer Politik ist. Wenn man fragt, was die beste Sozialpolitik für den kleinen Mann ist,
Hans-Joachim Fuchtel
muß man doch antworten: Für den kleinen Mann, der keine Sachwerte besitzt, ist eine niedrige Inflationsrate die beste Sozialpolitik, die man machen kann.
Insofern sehen wir uns auch auf dem Gebiet der Sozialpolitik auf dem richtigen Weg. Wir hoffen, daß Sie in den kommenden Beratungen auf sachlicherer Ebene, als das vorhin bei dem Kollegen Dreßler der Fall war, versuchen, die notwendigen Weichenstellungen zu treffen.
Vielen Dank.