Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesgesundheitsminister, nach dieser Rede stelle ich die Frage: Was nun, Herr Seehofer? Sie stellen das Problem dar; nun hätte ich eigentlich von Ihnen erwartet, daß Sie in der Haushaltsdebatte einmal sagen, wo es langgehen soll. Das ist etwas, was mir bisher fehlt.
Wenn ich es richtig sehe, sagen Sie: Sektorale Budgetierung - nein! Sie behaupten, das sei im Paket der SPD enthalten.
- Ja, sicher, Verlängerung. Aber wir sagen: Wir brauchen ein Globalbudget. Sie wissen ganz genau - das wissen wir auch -, daß es schon gar nicht mehr anders geht. Wenn Sie verhindern wollen, daß uns die Ausgaben geradezu unter den Fingern davonlaufen, werden auch Sie ohne Budget nicht auskommen.
In bezug darauf hätte ich von Ihnen, Herr Minister, eine Antwort erwartet.
Sie sagen: Der zentrale Punkt ist das Krankenhaus. Haben Sie eigentlich nicht gelesen, was gestern der Kollege Dr. Thomae sagte? Ohne die SPD! Es wird keine Verhandlungen geben. Heute hieß es auf einer Tagung der Arzneimittelhersteller, bei der wir gemeinsam waren: Ein Lahnstein wird es nicht geben.
- Sagen Sie einmal schön ja! - Ich frage Sie, sehr geehrter Herr Minister: Wie wollen Sie das alles ohne die Länder bewältigen? Wie sieht es aus? Wollen Sie die Krankenhausreform aussparen?
Sie können nicht einerseits die Krankenhausreform als einen zentralen Punkt darstellen und gleichzeitig keinen Ton dazu sagen, wenn die F.D.P. erklärt: Ohne die SPD! Denn Sie wissen genau, daß es ohne die Bundesländer nicht geht.
Herr Minister, so einfach geht es wirklich nicht. Sie sagen, von den 5,4 Milliarden DM Defizit entfalle die Hälfte auf die Entscheidungen der Rentenreform 1992. Aber was ist denn mit der anderen Hälfte? Was tun Sie konkret gegen das Defizit?
Wir haben hier gemeinsam - aus dieser Verantwortung können Sie sich nicht davonstehlen - das Gesundheitsstrukturgesetz gemacht. Wenn Sie, Herr Minister, hier beispielsweise darstellen, daß die Heilund Hilfsmittel zu enormen Ausgabensteigerungen führten, dann bitte ich Sie, einmal in das Gesetz zu schauen: Seit dem 1. Januar 1995 müßte ein Datenträgeraustausch gewährleistet sein. Ich frage Sie: Was tun Sie als Exekutive, um dieses Gesetz umzusetzen? Sie können sich doch nicht hier hinstellen und etwas beklagen und selber nicht dafür sorgen, daß dieses Gesetz so umgesetzt wird, wie wir es gemeinsam beschlossen haben.
Ich sage Ihnen: So geht es nun wirklich nicht.
Herr Minister, lassen Sie mich ein Weiteres sagen: Sie sagen, die Gesundheitsreform steht im Mittelpunkt. Das will ich überhaupt nicht bestreiten; Sie haben darauf hingewiesen, was uns wegen der Ausgabenentwicklung droht. Gleichzeitig sagen Sie, die SPD habe kein Konzept, obwohl wir ein Konzept haben. Dazu können Sie anderer Meinung sein. - Aber ich erwarte von einem Minister, sich dazu dezidiert kritisch zu äußern.
Wenn ich mir den vielstimmigen Chor der Koalition anhöre, dann frage ich mich, wie Sie eigentlich auf einen Nenner kommen wollen. Ich weiß: Sie haben ein für Sie nicht überwindbares Problem mit drei Buchstaben, und das heißt F.D.P.
Eben diese F.D.P. brüstet sich auch noch öffentlich damit, und der Kollege Thomae hat erst gestern und heute gesagt: Die F.D.P. ist entschlossen, die anstehende dritte Reform des Gesundheitswesens ohne Beteiligung der SPD durchzusetzen.
- Liebe Frau Babel, das mag Ihre Beurteilung sein. Nur, Sie sollten hier keine Sandkastenspielchen machen.
- Wollen Sie eine Reform oder wollen Sie keine? Wollen Sie etwa nur ein Rumpfgesetz?
In der „Welt" von heute lese ich, daß der Kollege Lohmann fordert, der Arbeitgeberbeitrag solle eingefroren werden. Sagen Sie endlich, was Sie wollen! Ist das Ihr einziges Konzept: Vorfahrt für die Selbstverwaltung? Erschöpft sich damit im Prinzip Ihre Vorstellungskraft? - und dann kommen Sie und sagen, die SPD hat kein Konzept. Wir haben ein Konzept! Das mag Ihnen zwar nicht gefallen, aber im Gegensatz zu Ihnen haben wir eines. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns.
Klaus Kirschner
Es reicht eben nicht aus, lieber Herr Seehofer, wenn Sie Ihren Koalitionspartner, unseren Freund Möllemann, in einem offenen Schlagabtausch als Streithansel in die Ecke stellen. Ich habe den Eindruck, es stehen Ihnen für die zahlreichen Streithansel innerhalb der Koalition viel zuwenig Ecken zur Verfügung. Aber das ist Ihr Problem.
Im übrigen, lieber Herr Seehofer, stellen Sie hier nicht nur dar, welche Probleme wir in der gesetzlichen Krankenversicherung haben. Sie sind hier als Minister in der Verantwortung und nicht Zuschauer. Wir fordern Sie auf, endlich zu handeln, um die gefährliche Ausgabenentwicklung, die Sie selbst dargestellt haben, zu stoppen und umzudrehen, indem Sie - ich sage das noch einmal - das Gesundheitsstrukturgesetz endlich konsequent umsetzen und damit Ihrer Verantwortung gerecht werden.
Hier sind Sie als Exekutive gefordert.
- Darüber werden wir in Kürze debattieren, und darauf freue ich mich schon.
Meine Damen und Herren, wenn Sie wirklich eine Reform wollen, insbesondere dort, wo die Wirtschaftlichkeitsreserven im System liegen, ist die Mitwirkung des Bundesrates unerläßlich. Eine weitere Reform ohne Einbindung des größten Ausgabenblocks in der Krankenversicherung, also ohne den Krankenhausbereich - das haben Sie selbst gesagt -, ist eine Sandkastenreform. Wird aber auf eine notwendige, umfassende Reform verzichtet, so bleibt letzten Endes nur noch ein gesundheitspolitischer Kahlschlag zu Lasten der Versicherten und der kranken Menschen übrig. Das wissen Sie ganz genau.
- Was wollen Sie denn eigentlich? Das müssen Sie mir erst einmal sagen, Herr Zöller. Sagen Sie es doch einmal! Sie sagen nur, Sie wollen unser Konzept nicht, aber Ihnen selbst fehlt jegliche eigene Konzeption. Da sind Sie bisher weit hinter uns zurückgeblieben.
Damit keine Mißverständnisse entstehen: Wir wollen eine Weiterentwicklung des Gesundheitswesens auf der Grundlage des Gesundheitsstrukturgesetzes, das wir gemeinsam verabschiedet haben. Ich fordere Sie auf, endlich konsequent zum Gesundheitsstrukturgesetz zu stehen. Zu diesem Gesundheitsstrukturgesetz - und das ist die Nagelprobe - gehört die Positivliste. Ich sage Ihnen, Herr Minister: Ein in Sachen Positivliste wortbrüchiger Gesundheitsminister ist kein seriöser Verhandlungspartner. Die für eine bessere Qualität der Arzneimittelversorgung unverzichtbare Positivliste soll ohne sachlichen oder gar fachlichen Grund
der Pharma-Interessenpolitik geopfert werden - und sonst gar nichts. Es ist offensichtlich: Eine pharmakologisch-therapeutische Qualitätsverbesserung auf dem Arzneimittelmarkt wird von der Bundesregierung, von CDU/CSU und F.D.P. politisch nicht gewünscht. Man muß sich nur einmal den zeitlichen Ablauf dieses von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurfes vor Augen halten. Seine Begründung basiert auf dem Vorentwurf einer Sachverständigenvorschlagsliste. Der Gesundheitsminister konnte also bei der Vorlage des Gesetzentwurfes am 12. Juli die endgültige Liste noch gar nicht kennen. Entsprechend fadenscheinig und unsinnig ist dann auch Ihre Argumentation gegen die Positivliste.
Einen weiteren Punkt möchte ich ansprechen, Herr Minister. Ich hätte erwartet, daß Sie einiges zum Bundessozialhilfegesetz sagen; denn Sie haben da doch einiges vor. Wir sind mit Ihnen in der Einschätzung einig, daß die seit Jahren erheblich gestiegenen Sozialhilfekosten zunehmend die Funktionsfähigkeit der Sozialhilfeträger, in erster Linie der Gemeinden, gefährden. Nur, der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf ist kaum tauglich, diesem Trend entgegenzuwirken oder ihn gar umzukehren. Die Ursachen von Armut und Ausgrenzung liegen nämlich nicht in einer ungenügenden Sozialhilfe, sondern vor allem in unzureichenden vorrangigen Sicherungssystemen und in der dramatischen Situation auf dem Arbeitsmarkt. Hier versagen Sie und mit Ihnen die Bundesregierung.
Bitte nehmen Sie endlich zur Kenntnis, daß mittlerweile über 4 Millionen Menschen ohne Arbeit sind und daß eine dramatische Wohnungsnot herrscht!
Es fehlen in den neuen Ländern ca. 1 Million und in den alten Ländern 1,5 Millionen bezahlbare, preiswerte Wohnungen. Allein in den alten Ländern leben 7 Millionen Menschen in Armut. Von den Kindern unter 16 Jahren leben heute ca. 10 % in armen Familien; 1 Million Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sind auf Sozialhilfe angewiesen,
500 000 Kinder sind in Obdachlosensiedlungen und Notunterkünften untergebracht. Nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, daß die häufig zitierten Aussagen von den überzogenen Ansprüchen an das soziale Netz mit der Realität nichts zu tun haben! Sowohl die Lebensverhältnisse der von Armut betroffenen Menschen als auch die Entwicklung der Sozialquote in Deutschland lassen eine solche Schlußfolgerung nicht zu.
Klaus Kirschner
Für Ihre Konzeptionslosigkeit möchte ich noch ein Beispiel nennen: Am gleichen Tag, an dem der Bundesgesundheitsminister vor der Pressekonferenz Ländern und Kommunen nicht näher bezeichnete Einsparungen bei der Sozialhilfe in Aussicht stellte, wurden von Ihrem Kollegen Blüm Einsparungen bei der Arbeitslosenhilfe von 3,4 Milliarden DM für das nächste Haushaltsjahr verlangt. Das bedeutet im Klartext, daß in etwa Mehrbelastungen in der gleichen Höhe auf die Sozialhilfeträger zukommen werden. Wundert Sie eigentlich bei dieser Trickserei noch, daß Sie mit Ihren Reformbemühungen auf breiteste Ablehnung stoßen?
Herr Minister, ich hätte auch erwartet, daß Sie etwas zur Rinderseuche BSE sagen. Dieses Thema haben Sie aber wohlweislich ausgespart; es geht auch hier um die Berechenbarkeit und Glaubwürdigkeit des Bundesgesundheitsministers.
Am 21. April vergangenen Jahres haben Sie an dieser Stelle - Sie können noch so sehr abwinken, Herr Minister - erklärt: Kein verantwortungsvoller Politiker kann auf diesem Gebiet auch nur das geringste Risiko eingehen.
Dieser Erklärung läßt der Bundesgesundheitsminister eine Dringlichkeitsverordnung folgen, wonach Fleisch von Rindern, die nach dem 1. Januar 1992 geboren sind, unbedenklich ist.
Wie verantwortungslos diese Verharmlosungsstrategie für die Gesundheit der Bevölkerung ist, zeigt der jüngst bekanntgewordene Fall eines an Rinderwahnsinn erkrankten Rindes in England im Jahre 1992.
Mit Blick auf die Rinder des Jahres 1992 haben sich die Bundesregierung sowie der Ständige Veterinärausschuß der Europäischen Kommission nachweislich geirrt. Darum appelliere ich noch einmal an Sie: Machen Sie endlich den nationalen Alleingang! Hier geht es um den vorbeugenden Schutz der Gesundheit von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Riskieren Sie dafür die Auseinandersetzung vor dem Europäischen Gerichtshof!
Ich hätte erwartet, daß Sie dazu, Herr Bundesgesundheitsminister, etwas sagen. Arbeiten Sie nicht ständig mit Dringlichkeitsverordnungen; denn das schadet der Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt.
Ich bedanke mich für Ihre Geduld.