Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich zu unserer Haushaltswoche und rufe
gleich ohne weitere Ankündigungen die Tagesordnungs-
punkte I a und b auf:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2017
Drucksachen 18/9200, 18/9202
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-
haltsausschusses zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2016 bis 2020
Drucksachen 18/9201, 18/9202, 18/9827
Wir kommen zur Beratung der Einzelpläne, und zwar
zunächst der drei Einzelpläne, zu denen keine Ausspra-
che vorgesehen ist .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I .1 auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
Drucksachen 18/9824, 18/9825
Berichterstatter sind die Abgeordneten Kerstin
Radomski, Steffen-Claudio Lemme, Dr . Dietmar Bartsch
und Ekin Deligöz .
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 01
in der Ausschussfassung, und ich frage, wer dem zustim-
men möchte . – Wer stimmt dagegen? – Möchte sich je-
mand der Stimme enthalten? – Dann ist der Einzelplan 01
mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I .2 auf:
Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
Drucksachen 18/9802, 18/9824
Hier sind Berichterstatter die Abgeordneten Johannes
Kahrs, Bernhard Schulte-Drüggelte, Roland Claus und
Anja Hajduk .
Wir stimmen über die Empfehlungen des Haushalts-
ausschusses ab . Dazu gibt es eine Wortmeldung der Kol-
legin Hajduk . – Bitte schön .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Meine Fraktion hat im Haushaltsausschuss den Ein-zelplan des Deutschen Bundestages abgelehnt vor demHintergrund der Finanzierung des Deutschen Instituts fürMenschenrechte .Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist seit die-sem Jahr angebunden an den Einzelplan 02 . Wir habenalso für die Finanzierung dieser Aufgabe aus diesemEinzelplan heraus Sorge zu tragen . Das Institut selber istschon 2001 gegründet worden, arbeitet mit zehn Stellen,sodass gerade einmal sechs wissenschaftliche Mitarbei-terinnen und Mitarbeiter für die Prüfung der Einhaltungder Menschenrechte abgestellt werden können .Wir reden hier nicht nur über ein sehr wichtiges In-stitut – was das Thema Menschenrechte angeht, braucheich, glaube ich, nicht zu erklären, in was für einem poli-tischen Umfeld wir uns gerade bewegen –, sondern wirreden hier über den Einzelplan 02 mit einem Volumenvon rund 870 Millionen Euro . Das Deutsche Institut fürMenschenrechte braucht davon rund 2,6 Millionen Euro,also 0,3 Prozent .Es ist gute Tradition, dass wir uns beim Haushalt desDeutschen Bundestages alle untereinander verständigenund einigen, wie wir mit den Bedarfen umgehen . Vor demHintergrund, dass das Institut für Menschenrechte seit15 Jahren wichtige Arbeit leistet, aber sehr bescheidenausgestattet ist, haben wir sehr intensiv darüber diskutiert,ob wir hier nicht eine Stellenerhöhung vornehmen kön-nen . Als Kompromiss lag auf dem Tisch: 186 000 Eurofür zwei Stellen zusätzlich . Das sind 0,02 Prozent dieses
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Etats . – Darauf haben sich die großen Fraktionen nichteingelassen. Ich finde, das ist ein Skandal,
insbesondere wenn man weiß, wie bedroht die Men-schenrechte sind und dass Deutschland es sich leistet –im europäischen Vergleich –, nach Griechenland daskleinste Menschenrechtsinstitut zu haben . Ich muss na-mentlich die CDU auffordern: Wir erwarten von Ihnen,dass Sie das zukünftig ändern
und diese Kleinlichkeit, diese Peinlichkeit dem Haushaltdes Deutschen Bundestages ersparen .Wir in der grünen Bundestagsfraktion haben uns ent-schieden, trotz dieser grundsätzlichen Kontroverse, inder es darum geht, für die Arbeit für die Menschenrechtemehr Geld bereitzustellen – ich finde es traurig, dass esdarüber überhaupt eine Kontroverse gibt –, hier im Ple-num dem Haushalt des Verfassungsorgans Bundestag dieZustimmung nicht zu verweigern .Danke schön .
Da diese Frage nicht nur im Haushaltsausschuss, son-
dern auch im Ältestenrat aus guten Gründen eine erheb-
liche Rolle gespielt hat, will ich mich ausdrücklich dafür
bedanken, dass Sie der Anregung, den Unterschied deut-
lich zu machen und gleichzeitig keinen Zweifel daran
bestehen zu lassen, dass der Etat des Deutschen Bundes-
tages unter allen Fraktionen unstreitig ist, folgen .
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 02 in der Aus-
schussfassung ab . Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Damit ist auch dieser Ein-
zelplan mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I .3 auf:
Einzelplan 03
Bundesrat
Drucksachen 18/9824, 18/9825
Berichterstatter sind die Abgeordneten Ulrich Freese,
Kerstin Radomski, Heidrun Bluhm und Tobias Lindner .
Wir stimmen über diesen Einzelplan in der Ausschuss-
fassung ab . Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Auch dieser Einzelplan ist einstim-
mig angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I .4 auf:
a) Einzelplan 08
Bundesministerium der Finanzen
Drucksachen 18/9808, 18/9824
b) Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
Drucksachen 18/9824, 18/9825
Berichterstatter zum Einzelplan 08 sind die Abgeord-
neten André Berghegger, Hans-Ulrich Krüger, Gesine
Lötzsch und Tobias Lindner .
Berichterstatter zum Einzelplan 20 sind die Abgeord-
neten Michael Leutert, Carsten Körber, Bettina Hagedorn
und Tobias Lindner .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zu diesen Einzelplänen 96 Minuten vor-
gesehen . – Dazu gibt es offensichtlich Einvernehmen .
Also können wir so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Gesine Lötzsch .
Vielen Dank . – Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Sicher wird in dieser Debatte wie-der viel über die schwarze Null gesprochen werden . Ichwill Ihnen in aller Deutlichkeit sagen, was mich an die-ser Diskussion am meisten stört: Es wird bewusst davonabgelenkt, wie ungerecht unser Steuersystem ist – dieReichen werden verschont, und die Mittelschicht musslöhnen . – Das muss ein Ende haben, meine Damen undHerren .
Wir Linke haben gute Vorschläge in die Haushaltsbe-ratungen eingebracht . Unser Ziel ist es, unser Land ge-rechter und sicherer zu machen . Nur ein Beispiel – wirhaben uns dabei an der Forderung des Paritätischen Wohl-fahrtsverbandes orientiert –: Wir wollen das Kindergelddeutlich erhöhen . Das wäre ein Anfang im Kampf gegensteigende Kinderarmut . Aber Sie haben den Antrag ab-gelehnt . Sie haben kein Herz für Kinder . Das ist ein Ar-mutszeugnis für diese Koalition .
Alle unsere Vorschläge sind finanzierbar. Wir müssennur endlich in diesem Land ein gerechtes Steuersystemhaben, und die Vermögenden müssen endlich ihren Bei-trag im Kampf gegen die Armut leisten . Das ist die zen-trale Frage . Dafür kämpfen wir Linke: für Gerechtigkeitund Solidarität .
Es gibt ja noch einige Kollegen, die sich über die Wah-lerfolge der AfD wundern . Aber schauen Sie sich docheinmal die Vermögensverteilung in unserem Land genauan . Gab es im Jahr 2002 34 deutsche Milliardäre, warenes 2012 schon 55 . 1 Prozent der Vermögenden besitzt einDrittel des Gesamtvermögens . Das ist das Ergebnis einerfalschen Steuerpolitik . Das können wir nicht länger hin-nehmen, meine Damen und Herren .
Selbst die Bertelsmann-Stiftung stellt in einer aktuel-len Studie fest, dass die Zahl der Menschen, die von ihrerArbeit nicht leben können, in unserem Land dramatischangestiegen ist . Der Chef der Stiftung kommentiert:Anja Hajduk
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Ein steigender Anteil von Menschen, die . . . nichtvon ihrer Arbeit leben können, untergräbt die Le-gitimität unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsord-nung .Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ganz deutlich:Die AfD ist ein Kind der Politik der Großen Koalition .
Mit dieser Politik haben Sie die AfD stark gemacht .
Wir müssen in unserem Land endlich umsteuern .
Die Stimmen in den USA waren noch gar nicht aus-gezählt, da forderte die Verteidigungsministerin schonwieder mehr Geld für die Bundeswehr . Ich glaube, Frauvon der Leyen, wäre die US-Wahl anders ausgegangen,hätten Sie wohl den gleichen Sprechzettel vorgetragen .Obwohl das Verteidigungsministerium in den nächstenJahren 130 Milliarden Euro für Kriegsgeräte ausgebenwill, kam in der Bereinigungssitzung noch eine Nachfor-derung von 1,5 Milliarden Euro auf den Tisch . Es handel-te sich um fünf Korvetten . Angeblich würde die NATOfünf Korvetten von Deutschland fordern, und dieser For-derung müsse man entsprechen . Nur: Die Bundesrepu-blik besitzt bereits fünf dieser Korvetten . Das Problemist: Von den fünf ist in der Regel nur eine einsatzfähig .Die Bundeswehr braucht also zehn Korvetten, damitzwei halbwegs funktionieren . Meine Damen und Herren,das ist doch Misswirtschaft, und Misswirtschaft wollenwir nicht finanzieren.
Ich stelle auch die Frage: Warum sagt Frau von derLeyen nicht ehrlich, dass sie fünf neue Schiffe habenwill? Warum versteckt sie sich hinter der NATO? Odervielleicht ist es gar nicht die NATO, die das will . Viel-leicht vertritt sie wieder einmal die Interessen der Rüs-tungslobbyisten . Ich bin der Meinung, wenn wir aus derAtomindustrie aussteigen können, dann können wir auchaus der Rüstungsindustrie aussteigen .
Meine Damen und Herren, viele Menschen in unse-rem Land haben Angst vor Altersarmut, vor steigendenMieten, vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes und vorsteigenden Gesundheits- und Pflegekosten. Ich sage ganzdeutlich: Das sind reale Ängste und keine eingebildeten .Die Linke will den Menschen diese Ängste nehmen, in-dem wir nicht nur darüber reden, sondern wirklich in So-lidarität investieren, nämlich in eine solidarische Renteund in ein solidarisches Gesundheitssystem . Wir brau-chen endlich eine Rentenversicherung, in die alle einzah-len und in die die Menschen aufgrund von guten Löhneneinzahlen können, damit sie eine Rente bekommen, vonder sie im Alter leben können .
Noch einmal zur schwarzen Null . Der Bundesrech-nungshof spricht in seinem jüngsten Bericht von „an-strengungsloser Verbesserung“ der Bundesfinanzen auf-grund fallender Zinslasten . Ich glaube, Herr Schäuble,das ist doch wirklich ein harter Schlag für Sie . Sie habendie schwarze Null ja als Krönung Ihrer Karriere ange-sehen . Nun schreibt Ihnen der Bundesrechnungshof, derwahrlich nicht von der Linken geleitet wird, dass das al-les anstrengungslos erreicht worden sein soll .Ja, muss ich Ihnen sagen, der Bundesrechnungshofhat recht: Niedrige Zinsen, niedriger Wechselkurs undbilliges Öl wären großartige Voraussetzungen für einenFinanzminister gewesen, endlich eine Gerechtigkeitsof-fensive zu starten . Seit 2008 haben wir wegen sinkenderZinsen rund 100 Milliarden Euro Zinszahlungen ein-gespart . Ich frage mich, warum der Finanzminister ausdiesen guten Rahmenbedingungen nichts Vernünftigesgemacht hat . Im Gegenteil: Er kritisiert die EU-Kom-mission für Investitionspläne . Dabei müssten Sie, HerrSchäuble, doch endlich einsehen, dass die Kürzungs-politik Europa in eine schwere Krise getrieben hat . Siemüssen sich doch nur die Arbeitslosenzahlen in Europaanschauen . Sogar in Italien sind 30 Prozent der Jugendli-chen ohne Ausbildung und ohne Arbeit . Die Kürzungspo-litik raubt der europäischen Jugend ihre Zukunft . MeineDamen und Herren, wir müssen diese Politik spätestensim Herbst 2017 beenden .
Die Linke steht für Solidarität, soziale Sicherheit und Zu-kunft . Und dafür streiten wir .Vielen Dank .
Eckhardt Rehberg ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Frau Kollegin Lötzsch, wenn Sie die Politik derGroßen Koaliton als Ursache des Erfolges der AfD se-hen, dann müssen Sie mir einmal erklären, warum dieLinke am 4 . September in Mecklenburg-Vorpommernbei der Landtagswahl die größten Verluste gehabt hat .
– Sie haben 5 Prozent verloren und in Mecklenburg-Vor-pommern die größten Verluste erlitten . Deswegen würdeich mir erst einmal an die eigene Nase fassen, bevor ichSchuldzuweisungen an andere vornehme .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die schwarze Nullist Generationengerechtigkeit . Das ist Basis für eine guteDr. Gesine Lötzsch
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Politik . Wir sind 2010 mit 86 Milliarden Euro Schulden-neuaufnahme gestartet . 2014 hatten wir zum ersten Malim Ist einen ausgeglichenen Haushalt . Und jetzt habenwir den dritten Haushalt in Folge, bei dem wir keine neu-en Schulden aufnehmen .Diese Politik hat dazu geführt, dass wir ohne neueSchulden mit 36 Milliarden Euro bzw . 11 Prozent diehöchste Investitionsquote der letzten 15 Jahre haben . Siehat dazu geführt, dass wir die Herausforderungen beimThema „Flüchtlinge und Fluchtursachenbekämpfung“ohne neue Schulden bewältigen können . Diese Politikhat auch dazu geführt, dass wir mit 52 Prozent seit Ge-nerationen bzw . Jahrzehnten die höchste Sozialquote imBundeshaushalt haben . Deswegen ist die schwarze Nullkein Selbstzweck an sich, sondern sie ist Basis für solidePolitik sowie für Generationengerechtigkeit .
Wir senden zwei Signale . Einmal haben wir in derBereinigungssitzung vereinbart, dass der über 2,5 Mil-liarden Euro hinausgehende Betrag des Bundesbankge-winnes wieder zur Tilgung eingesetzt wird . Wir gehenStück für Stück auf einen Schuldenstand von 60 Prozentzu . Aktuell sind wir bei 63,5 Prozent .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen kei-ne Belehrung der EU-Kommission . Deutschland zeigt,dass man mit stabiler Haushaltspolitik die soziale Ba-lance halten und auch investieren kann . Deswegen ist esgrundsätzlich falsch, wenn die EU-Kommission meint,dass man über Schulden Investitionen bzw . Haushaltefinanzieren könne. Wohin das geführt hat, haben wir inder Euro-Krise zu Beginn dieses Jahrzehnts deutlich ge-sehen . Deswegen ist der deutsche Weg der richtige undder, den die EU-Kommission vorschlägt, der falsche .
Wir haben doch gar nicht mehr das Problem, dass nichtgenug Geld für Investitionen bereitsteht . Wir haben docheher das Problem, dass wir in vielen Bereichen das Geld,das für Investitionen bereitsteht, gar nicht mehr umge-setzt bekommen, weil unser Planungs- und Baurecht vielzu kompliziert ist, weil unsere Standards zu hoch sind .Bei den Kommunen fehlen Planungskapazitäten . Vonden 3,5 Milliarden Euro an Kommunalinvestitionen sindgerade einmal 50 Millionen Euro abgeflossen und geradeeinmal 1,8 Milliarden Euro gebunden .Wir mussten dieses Programm um zwei Jahre nachhinten schieben . Bei den Kitainvestitionen gab es eineVerlängerung um ein Jahr . Wir haben, obwohl im Ver-kehrshaushalt genug Geld vorhanden ist, Mühe, dasGeld bei den Straßen, der Schiene und den Wasserstra-ßen umzusetzen . Mittlerweile sind wir so weit, dass je-des Straßenneubauprojekt, das baurechtlich genehmigtist, ausfinanziert werden kann. Hierzu kann ich nur sa-gen: 36 Milliarden Euro und eine Investitionsquote von11 Prozent sprechen eine deutliche Sprache . Der Bil-dungs- und Forschungsetat ist verdoppelt worden . Des-wegen kann ich nur sagen: Die schwarze Null ist auchBasis für Zukunftsinvestitionen, liebe Kolleginnen undKollegen .
Zur Zukunft gehört für mich – im Gegensatz zu Ihnenvon den Linken – auch das Thema Sicherheit . Wir ver-stärken die Finanzmittel bzw . die Personalstellen im Be-reich der inneren Sicherheit massiv . Es gibt bei der Bun-despolizei in den nächsten Jahren einen Aufwuchs umüber 7 000 Stellen . Ich erwarte ganz einfach, dass innereSicherheit auch bei den Ländern – bei allen 16 Bundes-ländern – wieder Priorität bekommt . Es reicht nicht aus,dass der Bund die Bundespolizei um über 7 000 Stellenaufwachsen lässt . Nein, auch die Länder müssen ihre De-fizite beheben. Die innere Sicherheit muss eine gesamt-staatliche Aufgabe sein .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht wegen derWahl in Amerika, sondern schon weit vorher haben dieseKoalition und diese Bundesregierung entschieden, denVerteidigungshaushalt massiv aufwachsen zu lassen . Aufuns werden weitere Anforderungen zukommen, und die-sen werden wir gerecht . Wir werden in den nächsten Jah-ren 20 Milliarden Euro mehr für Verteidigung ausgeben,damit Deutschland seinen Aufgaben in Europa und in derWelt nachkommen kann .Wir haben heute Morgen beschlossen, dass in dennächsten drei Jahren über 17 Milliarden Euro zur Be-wältigung der Flüchtlingskosten an die Länder undKommunen fließen. Was ich hier schon für ein Stückaus dem politischen Tollhaus halte, ist das, was dernordrhein-westfälische Finanzminister, Herr Wal-ter-Borjans, in der letzten Woche in Nordrhein-Westfa-len getan hat . Er hat die 434 Millionen Euro, den AnteilNordrhein-Westfalens an der Integrationspauschale inHöhe von 2 Milliarden Euro, als verbesserte Steuerein-nahmen deklariert. Ich kann dem Landesfinanzministervon Nordrhein-Westfalen, Herrn Walter-Borjans, nur insStammbuch schreiben: Dieses Geld ist dazu da, damit dieKommunen nicht auf ihren Kosten sitzen bleiben, undnicht zur Sanierung des Landeshaushaltes .
Deswegen ist es umso wichtiger, dass die Vereinba-rungen zwischen Bund und Ländern über die sogenannteB-Liste zum Bund-Länder-Finanzausgleich erfüllt wer-den . Ich denke hier an die Änderung der Artikel 104b und114 des Grundgesetzes . Der Bund muss wieder mitbe-stimmen, was mit dem Geld des Bundes gemacht wird,und der Bundesrechnungshof muss nicht nur im Einver-nehmen mit den Landesrechnungshöfen, sondern im Be-nehmen wieder prüfen dürfen .Ich halte das für wesentliche Punkte, wenn ich alleinedaran denke, dass wir heute Morgen beschlossen haben,in den nächsten drei Jahren über 17 Milliarden Euro alsEntlastung in Richtung Länder und Kommunen „rüber-zuschieben“ .
Eckhardt Rehberg
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 201 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 22 . November 2016 20055
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– Ja, man kann „rüberzuschieben“ sagen, lieber VolkerKauder .Der Bundesrechnungshof hat festgestellt, dass jederfünfte Euro aus dem Bundeshaushalt – 71 MilliardenEuro – im kommenden Jahr Finanzleistungen bzw . Fi-nanzhilfen für Länder und Kommunen sind, und zwarfür Dinge, für die der Bund eigentlich nicht zuständigist . Das heißt, mit jedem fünften Euro entlasten wir diekommunalen und die Länderhaushalte . Das hat es in derGeschichte der Bundesrepublik in dieser Art und Weisenoch nicht gegeben .
Die gute finanzielle Situation hat sicher etwas mit denniedrigen Zinsen zu tun . Sie hat aber auch etwas mit derguten wirtschaftlichen Entwicklung zu tun . Die Steuer-einnahmen von Bund, Ländern und Kommunen wach-sen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir leben in einerunsicheren Zeit: die Wahl in den USA, der Brexit, dieMöglichkeit eines Zinsanstiegs . Die Sozialquote in un-serem Bundeshaushalt beträgt 52 Prozent, Frau KolleginLötzsch . Das heißt, mehr als jeder zweite Euro wird fürSoziales ausgegeben . Deswegen sollten und müssen wirschon ein Stückchen darauf achten, dass wir uns in die-sem Bereich nicht überheben .Ich möchte gerne zusammenfassen: Dieser Haushalt –es ist der letzte Haushalt der Großen Koalition in dieserLegislaturperiode – ist erstens generationengerecht undzweitens zukunftsfest . Er gibt die richtigen Antwortenzur Bekämpfung der Fluchtursachen . Der Haushalt istsozial ausgewogen und länder- und kommunalfreundlich .Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Grundstein da-für, dass wir keine Schulden machen, wurde in der letz-ten Legislaturperiode gelegt . In dieser Legislaturperiodehaben wir hier das Fundament verfestigt und verbreitert .Deswegen kann ich als haushaltspolitischer Sprecher fürdie Union sagen: Die Haushalte der letzten Jahre tragenunsere Handschrift .Herzlichen Dank .
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun derKollege Kindler das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Eckhardt Rehberg hat gerade gesagt: „Es istder letzte Haushalt der Großen Koalition“ .
Ich kann nur sagen: zum Glück . Es ist gut so, dass diesder letzte Haushalt der Großen Koalition ist .
Wir sehen: Die finanzielle Lage sieht kurzfristig güns-tig aus: sehr niedrige Zinsen, gute Steuereinnahmen, ro-buster Arbeitsmarkt . Es sind also alle Möglichkeiten undalle Chancen da, um wirklich etwas zu gestalten . Gleich-zeitig sehen wir: Unsere Gesellschaft steht vor großenAufgaben . Der soziale Zusammenhalt ist gefährdet . DieKlimakrise verschärft sich . In unserem Land gibt es ei-nen riesigen Investitionsstau. Für diese Probleme findensich in diesem Haushalt sehr wenige Lösungen . Das istleider nur ein Verwalten des Status quo . Das ist deutlichzu wenig . Angesichts der großen Aufgaben und ange-sichts der Möglichkeiten ist das leider ein Haushalt derverpassten Chancen .
Zum Investitionsstau . 2012 wurden nominal 36 Mil-liarden Euro investiert, auch 2017 sollen 36 MilliardenEuro investiert werden – keine Steigerung, obwohl dieSituation deutlich besser geworden ist . Im Finanzplansinkt die Investitionsquote bis 2020 wieder ab . Das istkeine Antwort auf die maroden Schulen in diesem Land,keine Antwort auf langsames Internet, keine Antwort aufden großen Bedarf an bezahlbaren Wohnungen . Das In-vestitionsdefizit bleibt im Haushalt bestehen. Ich finde,das geht nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Woran liegt das? Das liegt auch daran, dass es keinesinnvolle Investitionsstrategie vom Bundesfinanzminis-ter, von Ihnen, Herr Schäuble, gibt . Sie haben sich lan-ge dagegen gesträubt – Sie sträuben sich sogar immernoch –, einzusehen, dass es ein Investitionsdefizit inDeutschland und in Europa gibt. Ich finde, wir sollten unsfreuen, wenn die Europäische Kommission vorschlägt,die öffentlichen Ausgaben für Investitionen zu erhöhen .Dagegen darf man keine Brandbriefe schreiben, HerrSchäuble . Das muss man begrüßen und unterstützen .
Angesichts des mangelnden Zusammenhalts in Eu-ropa, angesichts der großen Jugendarbeitslosigkeit, an-gesichts des großen Investitionsbedarfs in Europa kannman doch nicht stur auf einer harten Austeritätspolitikbeharren – gegen große Teile Europas, gegen den IWF .Ich finde, gerade in diesen schwierigen Zeiten muss manzusammenhalten und darf nicht spalten . Jetzt muss manin Europa mutig nach vorne gehen . Jetzt muss man mutigEckhardt Rehberg
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 201 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 22 . November 201620056
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in unsere gemeinsame europäische Zukunft investieren .Das wäre jetzt angesagt .
Stichwort „Zusammenhalt“ . Wo ist denn Ihr Konzeptgegen Altersarmut? Wo ist Ihr Konzept gegen Kinderar-mut? Wo sind die Konzepte für den Bildungsaufbruchbei Krippen, bei Ausbildung? Wo sind die neuen Ideenfür bezahlbaren Wohnraum? Der soziale Wohnungsbaubleibt in diesem Etat weiterhin unterfinanziert. Wohnen –das wissen wir doch alle – wird immer mehr zu der sozi-alen Frage in unseren Städten .Frau Bundeskanzlerin, Sie haben am Sonntag bei AnneWill vom Zusammenhalt geredet . Als einen Punkt gegenmangelnden Wohnraum haben Sie von mehr Wohneigen-tum, zum Beispiel in München, gesprochen . Da frage ichmich ernsthaft: Wo leben Sie eigentlich? Das ist doch indiesem Bereich fernab von jeglicher Realität . Schauenwir uns an, worum es geht . Es geht um bezahlbare Mie-ten in unseren Innenstädten . Das wollen die Menschen .Wir wollen keine neue Eigenheimzulage, sondern wirbrauchen bezahlbare Mieten für Wohnungen in unserenInnenstädten .
Zur Gerechtigkeit, Herr Kauder, gehört eben auch,dass Besitzer großer Vermögen wieder ihren Beitrag leis-ten . In keinem Land der Euro-Zone ist die Ungleichheitbei Vermögen so groß wie in Deutschland . Das liegt auchdaran, dass im OECD-Vergleich hier Vermögen sehr ge-ring besteuert werden . Wir Grüne wollen, dass man Brü-cken baut, um die soziale Spaltung zu überwinden . Wirsagen: Wer stärkere Schultern hat, der kann einen grö-ßeren Beitrag leisten . Besitzer großer Vermögen könnenhelfen, die soziale Spaltung zu überwinden . Das wäregerecht . Wir brauchen jetzt Maßnahmen gegen die Un-gleichheit in diesem Land . Das ist jetzt angesagt .
Wir reden über den Haushalt und die Haushaltspoli-tik der Großen Koalition . Da muss man Entscheidungentreffen und Prioritäten setzen . Ein Blick auf die Priori-täten der Bereinigungsnacht lässt sehr klar den Kurs derGroßen Koalition erkennen . Man sieht, dass der Verteidi-gungs- und Rüstungsetat extrem aufgebläht ist . Als wenndas nicht schlimm genug wäre, haben die Wahlkreisabge-ordneten von CDU und SPD aus Hamburg und Rostocksich fünf neue Korvetten für ihre Wahlkreise genehmigt:für 1,5 Milliarden Euro .
– Ich finde es unglaublich, dass Sie lachen und sich dafürfeiern. Ich finde es unverschämt, wie Sie mit dem Haus-halt umgehen .
Denn gleichzeitig – das haben Sie auch gemacht – ha-ben Sie die Mittel für die Arbeitsmarktintegration vonGeflüchteten und Langzeitarbeitslosen um 300 Millio-nen Euro gesenkt, obwohl jeder weiß, dass die Jobcen-ter strukturell unterfinanziert sind. Für Rüstung sitzt dasGeld bei SPD, CDU und CSU extrem locker; wenn es umdie Jobcenter geht, dann wird geknausert: Das ist, findeich, eine völlig falsche Entscheidung .
Wir sehen auch beim Klimaschutz falsche Prioritätenund falsche Entscheidungen – obwohl bekannt ist, dassauch die Klimakrise Auswirkungen auf diesen Haushalthat . Die Klimakrise ist mittelbar ein Haushaltsrisiko . An-gesichts dessen müssen wir doch gerade jetzt investieren .Jetzt müssen wir in Klimaschutz, in Gebäudesanierung,in eine ökologische bäuerliche Landwirtschaft, in Busseund Bahnen, in den öffentlichen Nahverkehr investieren .Wenn wir jetzt investieren, zahlen wir nicht später dop-pelt und dreifach für Klimaschäden . Deswegen wäre esjetzt angesagt, in diesem Haushalt deutlich in den Klima-schutz zu investieren . Das wäre jetzt nötig .
Doch was passiert stattdessen? Die umwelt- und kli-maschädlichen Subventionen liegen immer noch beiüber 50 Milliarden Euro . Sie sind in Ihrer Amtszeit um10 Milliarden Euro gestiegen, Frau Merkel . In der Be-reinigungsnacht sind weitere 200 Millionen Euro für dieFlugindustrie dazugekommen .
Auf der anderen Seite sehen wir: Der Klimaschutzplanvon Frau Hendricks wurde zerschreddert; er wurde vonHerrn Dobrindt, vom Landwirtschaftsminister und auchvon Herrn Gabriel massiv zerlöchert. Ich finde es, ehrlichgesagt, angesichts der riesigen Klimakrise, die wir ha-ben, und der großen internationalen Verantwortung, dieDeutschland hat, ignorant und verantwortungslos, wasdie Bundesregierung beim Klimaschutz macht .
Noch ein Wort zur Autobahnprivatisierung: Niemand,Herr Schäuble, braucht eine Allianz-Autobahn oder eineDeutsche-Bank-Brücke . Diese direkte Privatisierung derAutobahn müssen wir im Deutschen Bundestag verhin-dern .
Das will anscheinend auch die SPD; das habe ichjedenfalls gelesen . Aber es ist ein schönes Schauspiel,was Sie da aufführen . Sie wissen doch selbst: Der Teufelsteckt im Detail . Der eigentliche Plan ist doch, dass dieseGesellschaft nachher für weite Teile des Autobahnnetzesgroße Netz-ÖPPs bereitstellt, obwohl wir wissen, dassöffentlich-private Partnerschaften im Straßenbau lautBundesrechnungshof im Schnitt 20 Prozent teurer sind .Sven-Christian Kindler
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 201 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 22 . November 2016 20057
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Deswegen, liebe SPD: Wenn Sie es im Kampf gegendie Privatisierung wirklich ernst meinen, dann dürfen Sienicht nur gegen die direkte Beteiligung der Investorensein, sondern dann müssen Sie auch gegen öffentlich-pri-vate Partnerschaften bei dieser Gesellschaft eintreten .Das erwarte ich von Ihnen .
Ich hoffe nicht, dass die Deutsche Bank, Ergo oderdie Allianz schon Treffen mit SPD-Politikern über dieSPD-Agentur gebucht haben, wie gerade in Frontal 21berichtet wurde . Offenbar kann man inzwischen Treffenmit der SPD-Spitze buchen . Das können Sie alle nachle-sen . Ich hoffe nicht, dass diese Unternehmen schon Tref-fen gebucht haben, um das einzutüten .
Herr Kahrs ist der nächste Redner . Vielleicht könnenSie sagen, wie viel ein Treffen mit Ihnen kostet, wennman Sie buchen will .
Ich komme zum Schluss . Was bleibt eigentlich vonvier Jahren schwarz-roter Haushaltspolitik? Was bleibtmehr übrig als eine Zahl? Sie wissen selber: Es bleibtnicht viel übrig . Man kann Haushaltspolitik nicht aufeine Zahl beschränken . Es kann nicht das Ziel einer gu-ten Finanzpolitik sein, nur auf eine Zahl zu schauen . Manmuss mehr machen . Man muss diese Zahl mit Leben fül-len, und man muss den Haushalt mit Leben füllen . WeilSie das nicht gemacht haben, gibt es – das wissen Sieselber – viele Verliererinnen und Verlierer: arme Kinder,arme Rentner, Klima und Umwelt .
Herr Kollege Kindler .
Herr Präsident, ich könnte noch ganz viele andere Bei-
spiele aufführen, –
Ich habe keinen Zweifel daran .
– aber ich komme zum Schluss . – Es ist und bleibt ein
Haushalt der verpassten Chancen, und es ist gut, dass es
der letzte Haushalt der Großen Koalition ist .
Vielen Dank .
Nun hat der Kollege Johannes Kahrs genauso wenig
Zeit, eine etwas andere Perspektive des Haushaltes vor-
zustellen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich habe dem Kollegen Rehberg gelauscht .Wir hatten eigentlich vereinbart, dass wir uns mit Wahl-kampf etwas zurückhalten; denn keiner braucht ein JahrWahlkampf .
Aber ich bin gerne bereit, die zwei, drei Spitzen, die ichabbekommen habe, zurückzugeben . Ich denke noch da-rüber nach, wie ich das vernünftig hinbekomme .
Ich werde meine normale, mir selbst auferlegte Zurück-haltung in den Griff bekommen .
Im Kern sprechen wir Sozialdemokraten nicht von derschwarzen Null . Davon sitzen zu viele im Parlament; dasist meine erste Spitze .
– Ich bemühe mich, das Niveau hier zu halten .
Ansonsten reden wir davon, dass wir keine neuen Schul-den machen .In der Sache sind wir uns aber einig . Wir werden kei-ne neuen Schulden machen, und wir haben auch keineneuen Schulden gemacht . Zum Vergleich muss mansich einmal die letzte Legislaturperiode anschauen . HerrSchäuble hat in vier Jahren noch 106 Milliarden Euroneue Schulden gemacht . Das heißt, es braucht die SPD,damit es keine neuen Schulden gibt;
auch da sind wir uns sicherlich einig . Das heißt, Schwarz-Gelb kostet .
– Sie wissen doch, wie sich Getretene verhalten .Sven-Christian Kindler
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 201 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 22 . November 201620058
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Wir Sozialdemokraten sagen aber, dass schuldenfreieHaushalte kein Selbstzweck sind . Vielmehr ist es wich-tig, dass man auch investiert in Bildung, Infrastruktur undzugunsten der Kommunen . Wir haben das hier getan . Wirhaben ein zusätzliches Zukunftsinvestitionsprogrammmit einem Volumen von 10 Milliarden Euro beschlossen .Wir haben finanzschwache Kommunen mit 3,5 Milliar-den Euro unterstützt, und wir werden sie mit weiteren3,5 Milliarden Euro unterstützen . Das führt zum Beispieldazu, dass selbst der Bundesverkehrsminister kein Geldmehr für die Infrastruktur ausgeben kann, weil es keineplanfestgestellten Projekte mehr gibt, selbst in Bayernnicht . Ich bin mir sicher, dass er intensiv nach solchenProjekten gesucht hat . Das heißt, viel mehr Geld für dieInfrastruktur können wir vonseiten des Bundes nicht aus-geben, weil es gar nicht abfließt. Wir bekommen inzwi-schen sogar Geld zurück, das für die Wasserstraße, dieStraße und die Schiene vorgesehen war . Wir haben alsoein Problem in der Umsetzung und nicht bei der Summe,die wir investieren . Auch das gehört zur Wahrheit .
Wir haben zu Beginn der Wahlperiode nicht damitrechnen können, dass so viele Flüchtlinge nach Deutsch-land kommen. Wir haben dies finanziert; wir haben dasgemeinsam gemacht . Die Menschen in diesem Landhaben zusammengestanden . Ohne die vielen Ehrenamt-lichen wäre das gar nicht möglich gewesen . Wir habenals Bund die Kommunen und die Länder unterstützt; dashalte ich für richtig . Wir haben mehr Personal zur Ver-fügung gestellt . Wir haben mehr Geld ausgegeben . Wirhaben die Länder und die Kommunen mit Milliarden un-terstützt . Wir haben zum Beispiel 1 200 Immobilien desBundes kostenlos zur Verfügung gestellt . Ich glaube, dasist richtig, das ist vernünftig und das ist gut .Wir haben gleichzeitig das von Sigmar Gabriel initi-ierte Solidarprojekt durchgesetzt . Wir werden bis 2020über 20 Milliarden Euro in dieses Projekt investieren .Das bedeutet mehr für den sozialen Wohnungsbau, mehrfür soziale Integration, mehr für Familien und Langzeit-arbeitslose . Das heißt konkret: Für Integration in Arbeitund Ausbildung gibt es 2,2 Milliarden Euro mehr . Auchfür die Sprachförderung gibt es mehr . Für Wohnungsbauund Stadtentwicklung werden 1,3 Milliarden Euro zu-sätzlich zur Verfügung gestellt . 2 Milliarden Euro sindfür den sozialen Wohnungsbau beschlossen . Wir gebenviel Geld für die Bundespolizei aus . Wir haben nicht nur3 000 neue Stellen geschaffen, sondern in diesem Haus-halt auch weitere 3 000 Stellen beschlossen . Wir habenStellen für das Bundeskriminalamt, die Dienste und dasTHW geschaffen . Wir haben überall investiert . Das sinddie Erfolge, die diese Koalition erzielt hat; das ist wich-tig .Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann ist man be-eindruckt, insbesondere wenn man weiß, dass das allesohne neue Schulden funktioniert hat .
Gleichzeitig stellen wir von der Koalition in diesemHaushalt 1,1 Milliarden Euro zusätzlich für das Auswär-tige Amt und die Entwicklungshilfe zur Verfügung . Ichglaube, das ist auch eine gute Maßnahme, um Fluchtur-sachen zu bekämpfen . Das heißt, beides muss möglichsein .Ich habe mich zudem mit dem Kollegen Rehberg fürSchuldentilgung eingesetzt . Im Haushalt sind Bundes-bankgewinne in Höhe von 2,5 Milliarden Euro vorgese-hen . Fällt der Gewinn höher aus, sollte der Betrag in dieFlüchtlingskostenrücklage fließen. Wir haben durchge-setzt, dass er in die Schuldentilgung fließt. Ich glaube,das war auch früher so; das ist ein wichtiges Signal, unddas soll auch so bleiben .In den nächsten Tagen werden die Kollegen vortra-gen, was wir in den Einzeletats inhaltlich alles umge-setzt haben . Ich glaube, dass das sehr viel ist und dasswir stolz darauf sein können, das alles umgesetzt zu ha-ben . Ich möchte mir aber noch eine Anmerkung zu denBund-Länder-Finanzbeziehungen erlauben . Darüber istviel diskutiert worden, und die Länder haben sich mitdem Bund geeinigt . Als Bund waren wir sicher nicht dieersten Sieger, aber das ist so, wenn sich 16 Länder einigsind .Wir haben uns aber auch darauf geeinigt – der KollegeKindler hat es angesprochen –, dass wir eine Bundesfern-straßengesellschaft gründen . Wir als SPD sind der Auf-fassung: Wenn man das denn macht, dann muss klar sein,dass das hundertprozentige Eigentum des Staates an denStraßen und an der Gesellschaft im Grundgesetz festge-schrieben wird;
denn die Bundesautobahnen sind alle schon vom Steu-erzahler bezahlt worden . Man muss sie dann auch nichtprivatisieren; dazu gibt es keine Notwendigkeit .Herr Kindler, man muss nicht immer nur böswilligsein, es reicht, ab und zu einmal zu lesen . Die gemeinsa-me Erklärung der SPD-Fraktionsvorsitzenden der Länderund des Bundes besagt ganz klar: „Keine Privatisierungvon Bundesfernstraßen – Eigentum und Betrieb der Bun-desfernstraßen muss in Staatshand bleiben!“Wenn man diese Erklärung liest, stellt man fest, dassim Grundgesetz nicht nur festgeschrieben werden soll,dass das Eigentum an den Straßen beim Bund verbleibt,sondern auch, dass das Eigentum an der Betreibergesell-schaft beim Bund bleiben muss . Wenn man diese Erklä-rung liest, stellt man auch fest, dass wir uns vorstellenkönnen, eine Anstalt des öffentlichen Rechts oder eineBehörde zu gründen . Wir wollen – das kann man einfacheinmal zitieren –:Die Infrastrukturgesellschaft Verkehr muss deswe-gen vollständig im Eigentum des Bundes bleiben .Sie soll für die Planung, den Bau, Betrieb und Er-halt der Bundesfernstraßen verantwortlich sein undist damit Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge . DieInfrastrukturgesellschaft Verkehr soll die künftigenVergabeverfahren vor allem im Hinblick auf Los-größen so gestalten, dass die Chancen der mittel-ständisch geprägten Bauwirtschaft im Wettbewerbgewahrt bleiben . Wir bestehen darauf, dass die In-Johannes Kahrs
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teressen der Arbeitnehmerschaft vollumfänglich be-rücksichtigt werden .
Kein Beschäftigter darf hinsichtlich seines Sta-tus, seines Arbeitsplatzes und seines Arbeitsortesschlechter gestellt werden . Wir erwarten, dass diePersonalvertretungen mit eingebunden werden .Wenn man das alles liest, Herr Kindler, dann kannman eigentlich nicht zu dem Schluss kommen, den Siehier vorgetragen haben .
Zusammenfassend sei dargestellt: Ich glaube, dass wiruns hier alle einigen werden, dass wir keine Privatisie-rung der Bundesautobahnen wollen .
Ich glaube, das ist nicht im Interesse der deutschen Be-völkerung . Die Autobahnen sind alle schon einmal be-zahlt worden . Deswegen ist die Gründung der Infrastruk-turgesellschaft richtig und gut . Wenn man das in dieserLegislaturperiode noch macht, dann muss man das auchin dieser Legislaturperiode im Grundgesetz festschrei-ben .Vielen Dank .
Das Wort erhält nun der BundesfinanzministerWolfgang Schäuble .
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-zen:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichhabe bei der Einbringung des Bundeshaushalts im Sep-tember hier über die finanzpolitische Entwicklung derletzten Jahre gesprochen . Wir haben wahrgemacht, waswir versprochen haben, nämlich dass wir bei einer nor-malen wirtschaftlichen Entwicklung ohne neue Schuldenauskommen und dass wir die Folgen der großen Krise,die wir im letzten Jahrzehnt hatten, schrittweise überwin-den werden . Das hat dazu geführt, dass wir im Gegensatzzu vielen anderen Ländern, auch in Europa, die es schwe-rer haben, in Deutschland ein solides Wachstum haben .Das hat dazu beigetragen, dass die Löhne, die Gehälterund die Renten real stärker gestiegen sind als in zurück-liegenden Jahrzehnten . Die Arbeitslosigkeit in Deutsch-land ist so niedrig wie nie seit der Wiedervereinigung .Der Beschäftigungsstand ist, gemessen an regulären so-zialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis-sen, so hoch wie niemals in der deutschen Geschichte .Das ist nicht schlecht als Ergebnis einer kontinuierlichenFinanzpolitik, und es dient den Menschen und unseremLande .
Die Sprecherinnen und Sprecher der Opposition habenin ihren Reden leider beides kritisiert, und es tut mir leid,Herr Kindler, sagen zu müssen: Das hebt sich gegenseitigauf . Sie haben auf der einen Seite gesagt, wir hätten zuviel gespart, und Sie haben auf der anderen Seite gesagt,wir hätten überhaupt nicht gespart .
Irgendwann müssen Sie sich für die nächsten Redenüberlegen, was wir nun eigentlich gemacht haben undwas Sie uns vorwerfen wollen .Wir haben eine glückliche Entwicklung gehabt; dasist wahr . Dass die Zinsen so stark zurückgegangen sind,hat uns bei dieser Entwicklung natürlich sehr geholfen .Wer wollte das denn bestreiten? Es gibt auch gar keinenGrund, darüber zu streiten . Aber damit haben wir ebendie Möglichkeiten gewonnen, neue Aufgaben, die wir sonicht erwartet hatten – die Migrationsherausforderungseit dem vergangenen Jahr ist ja schon erwähnt wor-den –, zu bewältigen, und zwar ohne dass wir bei irgend-welchen Leistungen kürzen mussten . Wir haben in einerGrößenordnung von gut 20 Milliarden Euro im Haushaltdes Bundes pro Jahr – bei Ländern und Kommunen sinddie Größenordnungen übrigens ähnlich – zusätzlicheLeistungen aufbringen können, ohne dass wir an anderenStellen zu Einschränkungen kommen mussten . Das zeigt,dass wir die Möglichkeiten genutzt haben .Der Kollege Kahrs hat eben beschrieben, wie wir mitden Investitionen verfahren sind . Wir haben die Mittelganz massiv erhöht. Die Mittel fließen nicht ab, und dasist unser Problem . An dessen Lösung müssen wir ge-meinsam, Bund, Länder und Kommunen in Deutschland,besser arbeiten . Dazu haben wir Vereinbarungen mit denLändern getroffen . Diese Vereinbarungen wollen wirschrittweise und vernünftig umsetzen . Auf diesem Weggehen wir weiter .Ich will im Rahmen der Debatte, die in Europa einStück weit geführt wird, noch auf einige Zahlen hinwei-sen, die ich mir einmal habe aufschreiben lassen: DieStaatseinnahmen in Deutschland sind in den Jahren von2005 bis einschließlich 2015 – das ist, Frau Bundeskanz-lerin, die Zeit, seit Sie Bundeskanzlerin der Bundesre-publik Deutschland sind – pro Jahr um 3,3 Prozent ge-stiegen; in der Euro-Zone sind sie im selben Zeitraumum 2,7 Prozent gestiegen . Die Staatsausgaben sind inDeutschland um 2,3 Prozent pro Jahr gestiegen, in derEuro-Zone im Durchschnitt um 2,5 Prozent . Die Inves-titionen sind in Deutschland um 3,9 Prozent pro Jahr ge-stiegen, in der Euro-Zone um 0,7 Prozent. Ich finde, dieEmpfehlungen der EU-Kommission gehen irgendwie anden Falschen in der europäischen Politik .
Das Problem bei diesen Empfehlungen ist ja nicht, dasswir Empfehlungen bekommen, die uns vielleicht nichtgefallen . Solche Empfehlungen sind ja völlig in Ord-nung . Das ist der Alltag, und es gibt ja auch unterschied-liche Meinungen dazu . Das Problem dabei ist vielmehr,dass die Empfehlungen der Kommission von dem ablen-ken, was die Aufgabe der Kommission ist, nämlich dieJohannes Kahrs
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Haushalte und die Budgetplanungen der einzelnen euro-päischen Länder danach zu beurteilen, ob sie den europä-ischen Regeln und Vereinbarungen entsprechen . Das istdie Aufgabe der Kommission . Das ist die Voraussetzungdafür, dass die Euro-Zone stabil zusammenbleiben kann,dass die europäische Währung stark bleibt . Diese Aufga-be erfüllt die Kommission mit dieser Empfehlung nicht,sondern sie macht das Gegenteil, und deswegen müssenwir dagegen antreten .
Dann will ich noch eine zweite Bemerkung machen,auch für die nächsten Jahre . Liebe Kolleginnen und Kol-legen, ich finde, wir sollten in aller Ernsthaftigkeit darü-ber reden . Ich glaube, dass es für die vielen Debatten, diewir ansonsten aufgrund von Entwicklungen so führen,viel besser ist, wenn wir uns bemühen, streitig, mit un-terschiedlichen Meinungen, aber doch sachlich und viel-leicht ein Stück weit auf der Grundlage von Realitätenvorzugehen, damit wir nicht nur postfaktische, sondernauch ein bisschen realitätsbezogene Debatten führen . DieLage wird in den kommenden Jahren nicht einfacher,sondern sie wird eher herausfordernder werden . Auf dereinen Seite werden die Spielräume auf der Einnahmesei-te nicht größer werden können .
Die Zinsen können nicht weiter sinken
– Moment; langsam –, weil sie so niedrig sind, und wirgewinnen durch niedrige Zinsen in der Zukunft keineneuen Spielräume mehr; die haben wir schon . Deswegenwerden wir das, was in den letzten Jahren gewesen ist,für die kommenden Jahre nicht haben . Die Steuereinnah-men werden in den kommenden Jahren nicht steigen, essei denn, wir – oder eine andere Mehrheit – treffen ande-re steuerpolitische Entscheidungen .
– Dafür können Sie selbstverständlich kämpfen .Ich weise allerdings darauf hin: Ich werde mit großerEntschiedenheit, soweit ich kann, dafür argumentieren,darauf zu achten, dass wir im Wettbewerb um Investitio-nen und Arbeitsplätze sind und dass wir unsere steuerpo-litischen Entscheidungen in der Zukunft nicht so treffenkönnen, dass wir zwar 100 Prozent Steuern, aber 0 Pro-zent Einnahmen haben . Das ist sozialistische Politik . Sieführt leider ins Elend .
– Gucken Sie sich das an! Es geht nämlich internatio-nal schon wieder los mit dem Steuerwettbewerb und denVersuchen von Steuerdumping . Dagegen müssen wirvorgehen .Ich wollte noch eine andere Bemerkung machen . DieSteuereinnahmen werden in der Zukunft nicht weitersteigen . Schauen Sie sich das Ergebnis der letzten Steu-erschätzung vom November an! Schon im Zeitraum derSteuerschätzung hat sich das Wachstum eher verlang-samt als verstärkt. Mittelfristig wird die demografischeEntwicklung nicht nur unsere sozialen Sicherungssyste-me belasten, sondern sie wird auch unsere Spielräumebei den Steuereinnahmen nicht größer machen, sonderneher verringern . Also werden die Spielräume auf der Ein-nahmeseite nicht größer, die Aufgaben aber werden mitSicherheit größer .Die Aufgaben werden durch die Herausforderungengrößer . Die Migrationsherausforderung ist nur ein The-ma . Deswegen ist es gut, dass wir die Ausgaben für dieBekämpfung der Ursachen der Flüchtlingsbewegung imAuswärtigen Amt wie in der Entwicklungszusammenar-beit deutlich aufgestockt haben . Wir werden das in denkommenden Jahren fortsetzen müssen . Ich habe übrigensschon bei der Einbringung des Bundeshaushalts 2015 ge-sagt, dass unsere Priorität dort liegen muss . Wir werdenin dieser globalisierten Welt keine gute Zukunft haben,wenn es uns nicht gelingt, unsere Nachbarschaft, unsereUmwelt, vor allen Dingen auch Afrika, stärker zu stabili-sieren . Dies wird größere Anforderungen an uns stellen .Wir werden auch für die Sicherheit, die äußere unddie innere Sicherheit, mehr Aufwendungen vorsehenmüssen . Auch das spiegelt der Haushalt richtig wider .Die Kollegen Kahrs und Rehberg haben das beschrieben .Das ist gut so, und die Entwicklung wird in den kom-menden Jahren im Interesse unserer Zukunft fortgesetztwerden müssen .
Wir werden durch die absehbare demografische Ent-wicklung, wie immer wir die Probleme durch gesteuerteoder sonst gelingende Zuwanderung auch ein Stück weitmildern können, größere Herausforderungen in den sozi-alen Sicherungssystemen haben . Ich will darauf hinwei-sen – ich habe das schon öfter getan –: Rund 55 Prozentdes Bundeshaushalts sind bereits durch den Bereich dersozialpolitischen Maßnahmen im weiteren Sinn belegt .Spätestens bei 100 Prozent haben wir eine Obergrenzeerreicht, sodass wir nicht mehr handeln können .
Wir müssen also darauf achten, dass wir unsere Zu-kunftsfähigkeit bewahren .Deswegen haben wir die Mittel für Infrastruktur sowiefür Forschung und Entwicklung erhöht . Deswegen helfenwir den Ländern, ihre Aufgaben in der Bildungspolitikbesser als in der Vergangenheit zu erfüllen . Das sind dieentscheidenden Punkte, in denen wir die Zukunftsfähig-keit unseres Landes stärken können .Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine letzte Bemer-kung ist, auch weil dies in der Tat der letzte Haushaltdieser Legislaturperiode ist – wir werden im nächstenJahr noch einen Haushaltsentwurf vorlegen, aber derwird in dieser Legislaturperiode nicht mehr beschlossenwerden –: Es ist immer die Gefahr groß – das habe ich inden letzten Monaten natürlich gespürt; darüber könnenwir offen reden –, dass man, weil die Lage gut ist und dieEntwicklung günstig ist, der Versuchung erliegt, zu mei-Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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nen, wir könnten in den Anstrengungen nachlassen . Wirdürfen uns auf den erreichten Erfolgen aber nicht ausru-hen . Wir haben viel erreicht . Die Lage für das Land istbesser geworden . Die Aufgaben für unser Land sind grö-ßer geworden . Die Lage für die Menschen ist gut . Aberes gibt viele Probleme . Wir dürfen uns auf den Erfolgennicht ausruhen .Deswegen ist mein Rat: Lassen Sie uns auch in denkommenden Wahlkampfmonaten so ehrlich wie möglichund so realistisch wie möglich über die Zukunftsheraus-forderungen und die Alternativen reden . Je besser wirdies tun, umso kleiner werden wir den Raum für dieje-nigen machen, die mit demagogischen, populistischenParolen unsere Demokratie schwächen wollen . Realisti-sche Ehrlichkeit ist die beste Voraussetzung, um Freiheit,Rechtsstaatlichkeit, Demokratie auch für die Zukunft zusichern . Das können wir auch in der Finanz- und Haus-haltspolitik ganz konkret umsetzen . Dafür bitte ich Sieum Ihre Zustimmung und um Ihre Unterstützung .
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Karawanskij das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Gäste! Herr Rehberg, als ich Ihnen vor-hin bei Ihrer Rede zugehört habe, da ist bei mir vor allenDingen hängen geblieben, dass Sie Sicherheit einfachnur mit mehr Polizei verbinden . Der zentrale Aspekt, derunsere Politik von Ihrer unterscheidet, ist, dass wir vorallen Dingen soziale Sicherheit meinen .
Schauen Sie sich die Realität da draußen doch einmal an:
Die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander;die soziale Spaltung im Land nimmt zu . Und die Bundes-regierung? Sie lobt sich selber . Auch Sie kommen da garnicht mehr aus dem Lob heraus .
Sie betonen die finanziellen Überschüsse, aber Sie ver-gessen, zu erwähnen, wer denn eigentlich die finanziellenÜberschüsse erwirtschaftet . Das sind nämlich genau dieMenschen da draußen . Für die muss das Geld bereitge-stellt werden, und für die müssen die Überschüsse ein-gesetzt werden – und nicht für die Wahrung einer abs-trakten Zahl, nämlich der schwarzen Null, die Sie hierpräsentieren .
Meine Damen und Herren, wir brauchen Gerechtig-keit in diesem Land, allem voran Steuergerechtigkeit .Wir Linke schlagen ein Steuerkonzept vor, durch das wirwirklich die unteren und mittleren Einkommen entlastenund Großverdiener und Superreiche mit Augenmaß be-lasten . Schauen wir uns doch einmal die Beispiele auf derEinnahmenseite des Bundes und der Länder an:Bei der Erbschaftsteuer liefern Sie von der GroßenKoalition wirklich ein Trauerspiel . Wir reden hier nichtüber das kleine Blumengeschäft oder den Friseursalonum die Ecke, wir reden an dieser Stelle über schwerrei-che Unternehmen, die anzutasten Sie nicht gewillt sind .Es werden nach wie vor große Vermögen vererbt . Un-ternehmenserben werden rechtswidrig im großen Stil be-vorzugt und können nur allzu leicht die Steuer umgehen .Um die soziale Spaltung in diesem Land zu kitten, isteine angemessene Besteuerung großer Erbschaften bitternötig .
Meine Damen und Herren, soziale Gerechtigkeitwürde auch die Wiederbelebung der Vermögensteuerschaffen, für die die Linke eintritt . Es kann doch nichtangehen, dass 10 Prozent der Deutschen 60 Prozent desGesamtvermögens besitzen . Hier braucht es eine Umver-teilung . Wir brauchen eine Umverteilung von oben nachunten, sonst bleiben die Armen in Ost und West weiterhinabgehängt, während Superreiche große Teile ihres Gel-des wieder ungeniert nutzen, um auf den Finanzmärktendieser Welt das Geld gewinnbringend anzulegen .Damit komme ich zum zweiten Punkt meiner Rede:Finanzmarktregulierung . Da bleibt viel zu tun . Natür-lich gab es einige Gesetze, vor allen Dingen angestoßendurch die europäische Ebene, die die Finanzmärkte si-cherer und vor allen Dingen zukunftsfest machen solltenfür zukünftige Krisen . Aber man muss an dieser Stellesagen, dass Quantität nicht gleich Qualität bedeutet . Im-mer wieder kommen hier Stimmen, die sagen: Ja, wirbrauchen jetzt ein Ende der Regulierung . – Sie sprechengar von Überregulierung .Herr Schäuble, Sie haben sich ja gerade auf europäi-scher Ebene vehement für eine Finanztransaktionsteuereingesetzt . Aber wo bleibt die? Fakt ist: Wir haben im-mer noch keine . Wir haben genauso wenig ein funktio-nierendes Trennbankensystem, in dem die Einlagen derSparerinnen und Sparer von den hochriskanten Speku-lationsgeschäften getrennt sind . Aber das Problem, dasses weiterhin Kapitalstöcke gibt, die nach renditeträchti-gen Anlagen suchen, besteht doch weiter . Hier muss manüberlegen, welche Geschäfte tatsächlich mit wie vielEigenkapital hinterlegt sind . Außerdem müssen wir übereine sozial gerechte Besteuerung sprechen,
damit hier für Augenhöhe gesorgt wird .Denn trotz einer Vielzahl von Gesetzen seit Ausbruchder Finanzkrise geht das Zocken an den Finanzmärktenfast uneingeschränkt weiter . Täglich kommt eine Vielzahlvon Finanzmarktprodukten auf den Markt – meistens un-durchsichtig, meistens hochriskant . Und diese sind häu-fig volkswirtschaftlich überhaupt nicht notwendig.Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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Deswegen sagen wir: Wir brauchen einen Fi-nanz-TÜV . Wir schlagen vor, dass Finanzgeschäfte undFinanzinstrumente in Zukunft einer verbindlichen Zulas-sungsprüfung zu unterwerfen sind, damit intransparenteund gefährliche Finanzmarktinstrumente überhaupt nichtin Umlauf kommen . Die BaFin macht ja auch deutlich,dass das eine Ultima Ratio und ein richtiger Schritt ist,indem sie zum Beispiel vorschlägt, Bonitätsanleihen zuverbieten, damit entsprechende Produkte hier nicht aufden Markt gelangen und vor allen Dingen nicht in diefalschen Hände kommen . Aus unserer Sicht sollen dieFinanzdienstleister die Unbedenklichkeit ihrer Produkteerst einmal nachweisen .Ein solcher Finanz-TÜV, der auf europäischer Ebeneeingeführt und verankert wird, würde vor allen Dingenfür übersichtliche Finanzmärkte mit ökonomisch sinn-vollen und transparenten Finanzmarktinstrumenten sor-gen und damit tatsächlich eine gute, effektive Grundlagefür finanziellen Verbraucherschutz schaffen.
Mein abschließender Blick gilt den Kommunalfinan-zen . Ja, es ist mehr Geld in die Länder und Kommunengeflossen –
aber vor allen Dingen häppchenweise . Beim Vorschlagzur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen fehlt es aneinem Konzept zur Stärkung der Finanzkraft von Län-dern und Kommunen . Die Kommunen müssen dauerhaftbei den Sozialausgaben entlastet werden und vor allenDingen auf der Einnahmeseite auf stabile Füße gesetztwerden .
Entsprechende Anträge haben wir als Linke vorgelegt .Um es an dieser Stelle noch einmal zu sagen: Es istder völlig falsche Weg, durch die Privatisierung von Au-tobahnen und Fernstraßen Banken und Versicherungeneinzubeziehen . Solche Projekte können die Gebietskör-perschaften auch selber umsetzen . Herr Kahrs, Sie ha-ben vorhin gesagt, wenn die Mittel gar nicht abflössen,bräuchten wir das auch nicht durch private Investorenmachen zu lassen . Dann können wir es aber direkt alsBund machen .
Meine Damen und Herren, die schwarze Null auf demPapier ist nichts wert, wenn das Geld nicht bei den Men-schen ankommt . Wir brauchen Investitionen in Infra-struktur, in Bildung und in Forschung . Wir brauchen dieStärkung der Binnennachfrage . Wir brauchen vor allenDingen gute, stabile Sicherungssysteme, damit niemandAngst vor Kinderarmut, vor Altersarmut und insbesonde-re auch vor Erwerbslosigkeit haben muss .Auf verschiedenen Ebenen, auch hier im Bundestag,haben wir entsprechende Konzepte vorgelegt . Wir setzenauf Steuergerechtigkeit, Finanzmarktregulierung undnicht zuletzt auf stabile Haushalte in Bund, Ländern undKommunen .Vielen Dank .
Das Wort erhält nun der Kollege Carsten Schneider
für die SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Karawanskij, Sie haben eben einen Widerspruchzwischen öffentlicher Sicherheit und sozialer Sicher-heit aufgemacht . Diesen Widerspruch sehe ich nicht .Ich sehe ihn auch nicht in diesem Haushalt abgebildet,der ja die Grundlage für die Arbeit der Bundesrepublikbildet . Denn wir haben sowohl die öffentliche Sicherheitgestärkt – ich weiß nicht, ob das bei Ihnen unstrittig ist;wenn ich mir die eine oder andere Äußerung aus IhrenReihen anhöre, habe ich den Eindruck, dass zumindestTeile von Ihnen Probleme haben mit öffentlicher Sicher-heit, Polizei und Staat – als auch die soziale Sicherheit .Deswegen kann ich frohgemut sagen: Die SPD-Frak-tion wird diesem Haushalt 2017 zustimmen . Das ist inder Tat ein sehr guter Haushalt, der Deutschland voran-bringen wird, sowohl im Zusammenleben der Menschenuntereinander – das ist die soziale Frage – als auch inter-national .Ich will auf einzelne Aspekte eingehen – auch aufden europäischen Aspekt, den Herr Minister Schäubleangesprochen hat . Ehrlicherweise muss ich sagen: Einesolche Haushaltsrede hätte ich mir vor zehn Jahren nichtvorstellen können . Entgegen dem, was Herr Kindler ge-sagt hat, haben wir eine Situation, die nicht allein durchSparen geprägt ist . Im Vollzug des Haushalts werden wirwahrscheinlich Überschüsse haben, obwohl wir die Be-darfe, die für die Zukunft Deutschlands notwendig sind,auskömmlich finanzieren.Der erste Punkt: Die Mittel für den sozialen Woh-nungsbau, auf den schon hingewiesen worden ist, werdenverdreifacht . Es wird schwer, diese Mittel noch sinnvollund effizient einzusetzen. Unser Ziel ist ja nicht, dasssich nur die Gewinne der Unternehmen erhöhen, diediese Aufträge dann ausführen . Vielmehr brauchen wirPreise, die noch angemessen sind . Schließlich wollen wirauch effizient und sinnvoll mit dem Geld der Steuerzah-ler umgehen .Es erfolgt also eine Verdreifachung der Mittel für densozialen Wohnungsbau . Das ist ein großer Erfolg vonSigmar Gabriel mit dem Solidarprojekt für Deutschland .
Die Investitionsmittel für die Kommunen – in denKommunen ist die größte Substanz, weil sie die meistenSchulen und Gebäude besitzen; der Bund hat ja überhauptnicht so viel Eigentum, sodass er konjunkturpolitisch garnicht so stark steuern kann – erhöhen wir noch einmal umSusanna Karawanskij
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3,5 Milliarden Euro. Damit stellen wir den finanzschwa-chen Kommunen 7 Milliarden Euro für Investitionen zurVerfügung, um die gleichen Chancen und insbesondereauch gleiche Lebensverhältnisse in Deutschland herzu-stellen .Wir haben die Investitionen insgesamt auf 11 Prozenterhöht . 11 Prozent, das ist gewaltig . Das sind Zukunfts-investitionen; denn nur wenn ich heute investiere, habeich in Zukunft einen Ertrag davon, wenn der Kapitalstocknicht nur bei Unternehmen, sondern auch parallel beimStaat steigt . Von Austerität, Herr Kindler, kann zumin-dest in Deutschland keine Rede sein . Es ist eher das glat-te Gegenteil der Fall .
Wir steigern die Ausgaben des Jahres 2013 in Höhe von308 Milliarden Euro auf jetzt 329 Milliarden Euro, beisinkenden Zinsausgaben . Das heißt, real sind die Ausga-ben sogar noch mehr gestiegen . Irgendwann ist die Situ-ation erreicht, wo ich sage: Die Ausgaben müssen auchnoch sinnvoll sein .Der zweite Punkt ist der soziale Zusammenhalt . Füruns als Sozialdemokraten ist das besonders wichtig . Esstehen in dieser Woche in der Koalition noch einige Ent-scheidungen an . Ich nenne hier die Rente . Wir haben eineSteigerung der Rente im Osten von über 6 Prozent – undzwar aufgrund der Einführung des Mindestlohns, den wirSozialdemokraten durchgesetzt haben; dadurch gibt eshöhere Löhne und dementsprechend höhere Renten –,im Westen von über 4 Prozent . Was wir jetzt aber nochmachen müssen und die SPD auch durchsetzen wird, istdie Ost-West-Angleichung bis 2020 . Es ist ganz entschei-dend, dass wir in Deutschland nach 30 Jahren ein einheit-liches Rentenrecht erhalten .
Dritter Punkt: Es gibt im Sozialstaat immer noch Lü-cken, die man füllen muss . Ein ganz offensichtlicherMangel besteht bei der Situation von Alleinerziehenden .Dabei handelt es sich zum großen Teil um erwerbstäti-ge Frauen . Trotzdem verfügen sie nicht über genügendGeld . Hier liegt die Armutsquote bei 30 Prozent . Das istnicht hinnehmbar . Aus diesem Grund haben wir Sozial-demokraten – ich bin froh, dass die Union zugestimmthat – uns dafür ausgesprochen, dass der Unterhaltsvor-schuss nicht mehr auf Kinder bis zum 12 . Lebensjahrbegrenzt ist – danach werden die Kinder erst richtig teu-er –, sondern dass er ohne zeitliche Begrenzung der Be-zugsdauer bis zum 18 . Lebensjahr gezahlt wird . Das hilftinsbesondere denjenigen Kindern, die finanziell in einerschwierigen Situation sind .
Ich finde, das ist nicht nur vertretbar, sondern es ist not-wendig, um den sozialen Zusammenhalt in Deutschlandzu stärken .
Wir sind die größte Volkswirtschaft in der EU . OhneDeutschland geht in der Europäischen Union relativ we-nig . Wir haben in den letzten Jahren heftige Auseinan-dersetzungen über die Frage von Hilfspaketen für andereLänder gehabt . Der Minister hat vorhin die verschiedenenZahlen erwähnt und die Kommission für die Empfehlun-gen kritisiert, die sie uns im Rahmen der Begutachtungdes Haushalts gemacht hat . Sie hat uns empfohlen, mehrin Forschung, in Infrastruktur und auch in die Integrationvon Asylbewerbern zu investieren, weil wir den fiskali-schen Spielraum dafür hätten . Wenn man sich das sehrgenau ansieht, dann erkennt man, dass wir das alles tun –ob im ausreichenden Maße, sei bezüglich der Länder undKommunen dahingestellt . Aber wir engagieren uns hierso, wie wir es können .Es gibt aber noch eine zweite Komponente, und dasist die Privatwirtschaft . Wenn ich mir das in Deutschlandansehe, dann stelle ich fest, dass wir eine sehr gute wirt-schaftliche Situation haben . Wir haben uns im Zuge derFinanzreformen in der EU ein neues Regularium gege-ben, sowohl bei Defiziten als auch bei Überschüssen. Wirsind in der Situation, dass wir einen Leistungsbilanzüber-schuss haben . Er liegt jetzt bei 9 Prozent . Das heißt, inDeutschland produzieren wir Waren, exportieren sie undbekommen dafür Schuldscheine zurück . Das läuft meis-tens über die Banken . Es ist die Frage, ob diese Schuld-scheine tatsächlich etwas wert sind .Die Kommission soll einschreiten – wir haben unsselbst diese Regel gegeben –, wenn der Leistungsbilanz-überschuss über 6 Prozent liegt . Wir verletzen also dieseRegel . Deswegen ist es klug, darüber nachzudenken, wiewir zu mehr privaten Investitionen in Deutschland kom-men können . Das ist aller Schweiß der Edlen wert . Esgeht auch um die Frage: Wie viel Geld haben die Men-schen tatsächlich zur Verfügung? Ich meine, dass wir ins-besondere untere und mittlere Einkommen sowie Fami-lien mit Kindern finanziell stärker entlasten können. Esmacht ja keinen Sinn, ihnen das Geld erst wegzunehmenund es dann über Sozialleistungen, Transfers oder Steu-ersubventionen zurückzugeben .Unser Schritt wäre, dass das Steuerdumping, das ei-nige Länder – Großbritannien vorneweg – ankündigenund wodurch die internationale Zusammenarbeit mehroder weniger aufgekündigt wird, ein klares Stoppsignalerfährt . Nur wenn wir Großunternehmen gerecht besteu-ern, wird es uns gelingen, insgesamt zu einer gerechtenBesteuerung zu kommen .
Der Buchhändler bei mir vor Ort soll die gleiche Wett-bewerbssituation vorfinden wie ein Versandhändler wieAmazon, der fast gar keine Steuern zahlt . Das ist vonzentraler Bedeutung . Wenn die Kommission die Proble-matik des zu hohen Leistungsbilanzüberschusses auf-greift, würde ich nicht so harsch reagieren; denn im Kernhaben wir sie damit beauftragt, dies zu tun . Wir verletzendiese Regeln .Ich will Ihnen einen letzten kurzen Ausblick geben .Die Amerikaner werden in den nächsten Jahren sehr vielinvestieren. Sie werden dies über Schulden finanzieren.Dort werden die Zinsen steigen . Was werden die deut-schen Lebensversicherungen und Banken mit dem Geldder Deutschen machen? Sie werden es dort anlegen . DasCarsten Schneider
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heißt, wir werden einen Kapitalausfluss aus Deutschland,aus Europa in die USA beobachten . Ich weiß nicht, ob esPotemkinsche Dörfer sind . Aber die Frage, ob das Geldtatsächlich gut angelegt ist oder besser angelegt werdenkann, ist eine Frage, die für die Finanzstabilität von zen-traler Bedeutung ist . Deswegen sollten wir alles unter-nehmen, damit die Zinsen auch in Deutschland wiedersteigen . Sie steigen nur dann, wenn auch hier genügendAnlageformen zur Verfügung stehen .Deswegen sind Investitionen der Realwirtschaft, derUnternehmen selbst – sie sollen nicht nur Dividendenausschütten, sondern auch investieren – von zentralerBedeutung . Alles, was wir dafür tun können – Binnen-nachfrage stärken, Kaufkraft stärken, Investitionen inForschung und Entwicklung stärken –, ist aus meinerSicht die richtige Antwort . Einen großen Teil der Ant-worten geben wir schon mit diesem Haushalt, aber esbleibt auch noch einiges zu tun .Vielen Dank .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ekin Deligöz für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirhören heute in den Debatten sehr viel Selbstlob für die-sen Haushalt . Aber ich will Ihnen ein bisschen Wasser inden Wein schütten . Denn die sogenannte schwarze Null,über die wir reden, hat Kratzer, und darüber kann manauch nicht hinwegsehen .Ich fange mit dem an, was hier die größte Rolle ge-spielt hat: die Investitionen . Ja, Sie können natürlichsagen, Herr Schneider: „Eigentlich geben wir doch jetztviel mehr Geld aus und betreiben keine Austeritätspoli-tik .“ Aber es ist doch in einem Land, dem es wirtschaft-lich so gut geht, selbstverständlich, dass wir nicht vonAusterität reden müssen . Die Frage ist doch, wie es mitdem prozentualen Anteil der Investitionen aussieht . Ob-wohl Sie 50 Milliarden Euro mehr Einnahmen als 2012haben, bleibt der Anteil der Investitionen bei 10 Prozent .Darum geht es doch, wenn wir sagen, die Investitionenstagnieren: Es wäre mehr möglich, und es sind mehr Ge-staltungsspielräume im Haushalt vorhanden .
Herr Kollege Rehberg, wenn Sie sagen, es liege anden Kommunen und den Ländern sowie an der großenBürokratie, dass Investitionen ausbleiben, dann machenSie es sich ein bisschen zu einfach . Das liegt schon auchdaran, dass die Hausaufgaben nicht erledigt werden . Wirhaben einen ganzen Dschungel von Bundesförderpro-grammen für Investitionen, in dem keiner mehr richtigdurchblickt . Sie fordern von den Kommunen, dass sieeinen Eigenanteil von 10 Prozent übernehmen, und über-sehen dabei, dass gerade Kommunen, die im Haushalts-sicherungsverfahren sind und mit hohen Kassenkreditenbelastet sind, oftmals einfach nicht das Geld haben, umdie Kofinanzierung zu erbringen. Oder wie sieht es mitder zeitlichen Begrenzung aus, die Sie immer vorsehen?Natürlich müssen Sie die Fristen einiger Förderprogram-me des Bundes verlängern; denn die Planungszeiträumefür Kommunen betragen oft rund fünf Jahre . Wenn IhreMittel aber nach zwei Jahren auslaufen, funktioniert dasso nicht .
Oder warum haben wir bei der Bahn keinen Planungs-vorrat, damit wir sofort loslegen können, wenn das Geldda ist? – Das sind doch die Hausaufgaben des Verkehrs-ministers . Er macht sie nicht, und er verpasst damit dieChance, dass dieses Land wirklich in die Infrastrukturinvestiert .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn die Schulenverfallen, wenn die Brücken nicht mehr befahrbar sind,wenn Sie es sich nach wie vor leisten, klimaschädlicheInvestitionen stark zu fördern, dann können wir nichtmehr von einem zukunftsfähigen Haushalt und von In-vestitionen für die Zukunft reden, und das ist Fakt .
Dieser Substanzverzehr, über den wir da reden, ist dieeigentliche Verschuldung, für die unsere Kinder und En-kelkinder irgendwann einmal zahlen müssen, und dieKosten werden sehr hoch sein .In diesem Land fahren immer noch Dienstwagen aufSteuerzahlerkosten durch die Straßen, immer noch wirdDiesel subventioniert, und auch Flugbenzin ist immernoch steuerfrei .
Das sind die klimaschädlichen Subventionen, die wir ab-schaffen wollen .
Wir wollen sie auch deshalb abschaffen, weil das im Sin-ne des Klimaschutzes ist, und Sie bleiben da weit hinterdem Möglichen und Notwendigen zurück . Da wünsch-te ich mir etwas mehr Entschlossenheit, damit Sie dieChancen, die sich bieten, auch ergreifen .
Es geht uns in der Opposition übrigens nicht nur da-rum, dass wir mehr Geld ausgeben, sondern dass wirdie richtigen Prioritäten im Bundeshaushalt setzen . Je-den Tag zeigt sich von neuem, dass Armut und sozialeSpaltung in unserem Land zunehmen . Warum investie-ren Sie nicht in den sozialen Arbeitsmarkt? Warum hal-ten Sie immer noch an Beschlüssen aus dem Jahr 2009fest, zum Beispiel an dem, die Eingliederungsmittel fürdie Jobcenter zu deckeln? Hier könnten Sie etwas gegenLangzeitarbeitslosigkeit tun . Außerdem ist es nötig, ei-nen sozialen Arbeitsmarkt zu schaffen . – Diese Chancehabe Sie verpasst .Zum Unterhaltsvorschuss . Super – endlich kommenSie auf die Idee, hier etwas zu tun . Alleinerziehende inunserem Land sind viel zu lange alleine gelassen worden .Carsten Schneider
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Jetzt kündigen Sie die Umsetzung im Schnellverfahrenzum 1 . Januar an, die Kosten sollen aber zum größtenTeil die Länder und die Kommunen tragen, sowohl diefür die Verwaltung als auch die für die Leistung an sich .Da müssen Sie sich auch auf Bundesebene bewegen; an-ders funktioniert das nicht . Die Kommunen gehen baden,die Alleinerziehenden werden wieder alleine gelassen,und Sie kommen zu keinem Ergebnis . Das ist keine red-liche Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Nicht zuletzt: Was tun Sie für einen transparentenHaushalt? – Ich komme zu meinem letzten Argument,Herr Präsident . – Wir haben eine ganze Reihe von Vor-lagen im Sinne von Good Governance eingebracht, zumBeispiel zum Thema „geschlechtergerechte Haushalts-politik“ . Dann wüssten wir, wer wie von den Ausgabenprofitiert. Sie haben noch nicht einmal den Mut, für mehrTransparenz im Haushaltsverfahren zu sorgen . Das wür-de auch zu mehr Akzeptanz bei den Bürgern führen, aberSie machen es trotzdem nicht . – Verpasste Chancen .
Auf all diese Herausforderungen haben wir als grüneFraktion während der Haushaltsberatungen Antwortengegeben . Nichts davon haben Sie übernommen, Sie sindnoch nicht einmal darauf eingegangen . Das wird sichhoffentlich in der nächsten Wahlperiode ändern .
Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der
Kollege Ralph Brinkhaus .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hat-ten im Januar 2015 eine Aktuelle Stunde durchgeführt,als das Jahr 2014 abgerechnet worden ist . Im Jahr 2014wurde erstmals seit sehr langer Zeit ein ausgeglichenerHaushalt realisiert . Es saß damals niemand im DeutschenBundestag, der sich daran erinnern konnte, dass so etwaswährend seiner aktiven Zeit schon einmal vorgekommenist . Das war etwas ganz Spezielles, und wir haben unsdementsprechend gefreut .Wir haben es geschafft, die Entwicklung in den Jah-ren 2015, 2016 und jetzt für das Jahr 2017 fortzusetzen .Und wir haben das geschafft, obwohl wir – mehrere Vor-redner haben darauf hingewiesen – viele Herausforde-rungen zu bewältigen hatten, zum Beispiel im BereichMigration, obwohl wir mehr Geld für innere Sicherheitausgegeben haben, obwohl wir mehr Geld in die äu-ßere Sicherheit investiert haben, obwohl mehr Geld indie Bildung geflossen ist, obwohl wir mehr Geld an dieKommunen – Klammer auf: gerne; Klammer zu – undan die Länder – Klammer auf: weniger gerne; Klammerzu – gegeben haben
und obwohl wir viele Dinge gemacht haben, die der Kol-lege Kahrs im besseren Teil seiner Rede so eindrucksvollerläutert hat .
Insofern können wir sehr stolz auf das sein, was wir ge-schafft haben .Wenn man sich die Situation in anderen Ländern die-ser Erde anschaut, dann stellt man fest: Das ist schonetwas ganz besonderes, was wir hier und heute beschlie-ßen – wieder einmal beschließen –, und das sollten wirauch durchaus würdigen .
Ein guter Haushalt, ein nachhaltig guter Haushalt istimmer auch ein Spiegel dessen, was in der Gesellschaft,was im Land abläuft . Im Gegensatz zur Opposition binich der Meinung, dass vieles sehr gut in unserem Landläuft . Wir haben Beschäftigungszahlen, von denen wirvor zehn Jahren noch geträumt hätten; übrigens verbun-den mit realen Lohnerhöhungen . Wir haben reale Ren-tensteigerungen . Wir haben in sehr vielen Bereichen,insbesondere im Bereich der sozialen Gerechtigkeit, Ver-besserungen erzielt . Wir haben sehr viel Geld investiert .Wir haben Verbesserungen im Gesundheitssystem undim Pflegebereich erzielt.Vieles – natürlich nicht alles – ist gut geworden in un-serem Land . Das ist eine großartige Gemeinschaftsleis-tung der Politik, ja, auch der etablierten Parteien, die dasGanze hier seit 70 Jahren am Laufen halten . Das ist aberauch eine Leistung der Menschen in der Verwaltung undin den Unternehmen, der Arbeitgeber, aber auch ganzbesonders der Arbeitnehmer . Das ist eine Leistung desEhrenamtes, aber das ist auch eine Leistung – und darü-ber reden wir zu wenig –, die sehr viel in den Familienerbracht wird, meine Damen und Herren .
Aber es ist nicht nur unsere eigene Leistung; dennwenn die gleichen Politiker, die gleichen Beamten, diegleichen Unternehmer, die gleichen Arbeitnehmer unddie gleichen Ehrenamtler das gleiche Engagement, diegleiche Mühe und den gleichen Schweiß nicht in der Mit-te Europas in die Sache gesteckt hätten, sondern in Afri-ka oder in anderen Teilen der Erde, dann wäre weitausweniger dabei herausgekommen . Deswegen sollten wiruns immer vor Augen halten, dass wir nicht nur aufgrundunserer eigenen Leistung so gut dastehen, sondern dassdas auch ein ganz großes Glück ist . Vielleicht sollten wirgerade in einer Haushaltswoche einmal innehalten undein bisschen über dieses große Glück nachdenken . Viel-leicht sollten wir uns vor Augen führen, dass wir sehr vielAnlass haben, fröhlich und dankbar zu sein für das, waswir hier heute beschließen .Meine Damen und Herren von der Opposition, wenneine Schulklasse zu mir kommt, dann erkläre ich denenimmer, dass es Ihr Job ist und dass Sie dafür bezahlt wer-den, die Regierung zu kritisieren, egal wie gut es läuftin diesem Land, dass das zu einer Demokratie dazuge-hört . Aber vielleicht wäre es gut, wenn Sie in Ihrer Ar-Ekin Deligöz
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gumentation an der einen oder anderen Stelle ein wenigmehr Maß und Mitte zeigen würden, wenn Sie nicht allesschlechtreden würden,
sondern einmal auch die Dinge darstellen würden, die gutlaufen .
Ich denke, ein bisschen mehr Dankbarkeit würde uns ander Stelle guttun, meine Damen und Herren .
Wir sollten aufgrund unserer guten Leistungen, auf-grund des Glücks, das wir gehabt haben, nicht übermütigwerden, sondern wir müssen mit viel Respekt – der Bun-desfinanzminister hat darauf hingewiesen – die Heraus-forderungen, die vor uns liegen, angehen . Dabei geht esnicht nur um die innere Sicherheit, für die wir viel Geldausgeben müssen, und um die äußere Sicherheit, sonderninsbesondere auch um das Thema Migration . Wenn wiretwas gegen ungezügelte Migration tun wollen, dannmüssen wir vor Ort anfangen, Fluchtursachen zu be-kämpfen, ja, auch Deals abschließen – der Deal mit derTürkei wird nicht der letzte Deal sein, sondern wir wer-den auch mit anderen Ländern Deals machen müssen –,und wir müssen etwas von unserem Reichtum abgeben .Das bedeutet, dass wir haushalterische Belastungen ha-ben . Deswegen besteht kein Anlass, jetzt das Geld mitdem Füllhorn auszuschütten .Ich weise auf noch eine Sache hin: Momentan läuftdie Wirtschaft gut . Das ist nicht selbstverständlich . Wenndie Wirtschaft nicht mehr gut läuft, ist der Bund drei-mal dabei: durch geringere Steuereinnahmen, durch dieNotwendigkeit, die Sozialversicherungssysteme zu sta-bilisieren, und durch die Notwendigkeit, konjunkturelleAnreize zu setzen .Die Wirtschaft steht vor dem wahrscheinlich größ-ten Umbruch in der Nachkriegsgeschichte . Dabei gehtes nicht nur um die Digitalisierung und die E-Mobili-tät im Bereich der Autoindustrie, sondern auch um den3D-Druck und ganz viele andere Sachen . Dementspre-chend tun wir gut daran, unsere Haushalte heute nichtauf Kante zu nähen, sondern Reserven zu bilden, die wirnutzen können, wenn das Land diese Reserven braucht .Das sollte uns bei allen Haushaltsberatungen mit Blickauf die Ausgabenwünsche mehr leiten als die gute Ein-nahmesituation, die wir momentan haben .Respekt vor der Aufgabe, aber auch Respekt vor denkommenden Generationen – das ist heute noch gar nichtangesprochen worden .
Wir machen momentan Geschäfte zulasten Dritter, näm-lich Geschäfte zulasten der kommenden Generation . Dasgilt insbesondere für das Thema Rente . Diese Diskussionwerden wir auch in dieser Woche an der einen oder an-deren Stelle aufnehmen . Zu der Rentendiskussion mussman Folgendes sagen: Wir haben viel im Bereich derRente gemacht . Ob das nun gut oder schlecht war, es warauf alle Fälle teuer:
der zusätzliche Mütterrentenpunkt, die Rente mit 63, not-wendige Verbesserungen im Bereich der Erwerbsminde-rungsrente und im Bereich der Reha sowie die Flexirente,die ich ausdrücklich gutheiße .Jetzt diskutieren wir aber über weitere Punkte, diezu Belastungen führen: über Rentenuntergrenzen, überdie Lebensleistungsrente, über weitere Verbesserungenim Bereich der Erwerbsminderung, über die Ost-West-Angleichung und über viele andere Sachen . Das könnenwir alles machen, wenn diese Generation das bezahlt .Das können wir aber nicht machen, wenn wir sagen:„Das muss die nächste Generation bezahlen“; denn, egalob wir Zuwanderung haben oder nicht, in Zukunft wer-den weniger Menschen im Berufsleben stehen . Das heißtfür die kommende Generation: Die Lasten, die getragenwerden müssen, werden auf weniger Schultern verteilt .Ich habe es von dieser Stelle aus schon einmal ge-sagt: Ich halte es für nahezu unverantwortlich, dass wirdie Spielräume für diejenigen, die in 20, 30 Jahren hiersitzen werden, durch unsere heutigen Beschlüsse, insbe-sondere im Bereich der Sozialversicherungssysteme, ein-schränken; denn die Generation, die in 20 oder 30 Jahrenhier sitzen wird, wird auch vor Herausforderungen ste-hen . Sie wird ebenso wie wir Herausforderungen in denBereichen Migration und Klima meistern müssen – dasist zu Recht angesprochen worden –, aber sie wird auchvor neuen Herausforderungen stehen, von denen wir heu-te noch überhaupt nichts wissen .Dementsprechend lautet mein dringender Appell, dasswir in den anstehenden Beratungen und bei der Formu-lierung der Wahlkampfprogramme immer im Hinterkopfhaben, insbesondere bei den Themen Rente und Sozial-versicherung, dass die kommende Generation das Ganzebezahlen muss und wir eine größere Verantwortung fürdie kommende Generation haben als für diese Generati-on . Das sollte uns an der Stelle leiten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe von Dank-barkeit und Respekt gesprochen . Aber ich möchte auchvon Optimismus sprechen . Die Herausforderungen, dievor uns liegen, sind von meinen Vorrednern bereits skiz-ziert worden; sie betreffen das Klima, die Migration, dieinnere und äußere Sicherheit und viele andere Aspekte .Aber ich glaube, wir in Deutschland sind stark genug,um diesen Herausforderungen etwas entgegenzusetzen .Wir haben seit nunmehr fast 70 Jahren – die erstenBundesländer feiern gerade entsprechende Jubiläen – einpolitisches System, das es immer geschafft hat, auf dieRalph Brinkhaus
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jeweiligen Herausforderungen am Ende eine gute Ant-wort zu finden. Unser politisches System ist – im Gegen-satz zum System vieler anderer Länder, beispielsweise zudem der Vereinigten Staaten – zwar langsam und müh-sam . Es hat es aber immer geschafft, einen breiten gesell-schaftlichen Konsens herzustellen, zumindest zwischenden großen und – ich sage es noch einmal – momentanso verpönten etablierten Parteien . Es ist ein unglaublichgroßer Wert, dass es in diesem Land Parteien gibt, diezwar miteinander streiten, die es aber in irgendeiner Artund Weise trotz unterschiedlicher Meinungen schaffen,einen Konsens zu erzielen . Es wäre in vielen Ländern derWelt nicht möglich, eine Große Koalition zu bilden . InDeutschland ist das möglich . Das ist für die Politik einganz großer Wert .
Das ist eigentlich ein schöner Schlusssatz, Herr
Brinkhaus .
Jetzt kommt der Schlusssatz . – Von Bedeutung ist aber
nicht nur das politische System . Wichtig sind auch die
Menschen in diesem Land, die unglaublich leistungsstark
sind . Auch die Wirtschaft in diesem Land ist leistungs-
stark: mit ihren Familienunternehmen, mit ihrer Innova-
tionskraft, mit den gut ausgebildeten Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern . Wenn man all das zusammennimmt –
unser gesellschaftliches System, unseren Zusammenhalt,
die leistungsbereiten und motivierten Menschen, die im
Ehrenamt oder sonst wo engagiert sind, und unsere gute
Wirtschaft –, dann muss man sagen: Wir sollten nicht
nur dankbar sein und Respekt vor den vor uns liegenden
Aufgaben haben, sondern wir sollten auch zuversichtlich
und optimistisch sein, dass wir auch im nächsten Jahr –
hoffentlich in einer gut arbeitenden Koalition; sicher in
einer Koalition mit uns – einen guten Haushalt vorlegen
werden .
Danke schön .
Der Kollege Krüger ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Nach diesen vielen vortrefflichen Schlusssätzen des Kol-legen Brinkhaus weiß ich gar nicht, wie ich den Schrittzurück auf die Sachebene hinbekommen soll; aber ichversuche es .
Wir haben es, liebe Kolleginnen und Kollegen, wiedereinmal geschafft: 329,1 Milliarden Euro – das sind genau400 Millionen Euro mehr als im Regierungsentwurf vor-gesehen –, das ist der Betrag, den sich der Haushaltsaus-schuss aktuell auf die Fahne schreibt . Zu den Investitio-nen in Höhe von 36,07 Milliarden Euro ist schon einigesgesagt worden . Ohne die einzelnen Etats anzusprechen,muss man sagen: Es ist eine echte Herausforderung, soviel PS – 36,07 Milliarden Euro – auf die Straße zu brin-gen und dabei nicht nur Gummiabrieb zu erzeugen . Daswird die große Aufgabe der einzelnen Ressorts sein . Esist ein Signal an die deutsche Wirtschaft und die Beschäf-tigten, dass Bundesregierung und Bundestag ihre Aufga-be wahrnehmen .Es wird vor allen Dingen – das ist auch den Notwen-digkeiten geschuldet – deutlich mehr Geld in ein zweitesSicherheitspaket gesteckt . Es sollen bis zum Jahre 2020 4 300 neue Stellen bei den Sicherheitsbehörden geschaf-fen und 876 Millionen Euro für Personal- und Sachmittelzur Verfügung gestellt werden . Das sind Maßnahmen,mit denen wir den Herausforderungen der Zeit im Sinneunserer Bürgerinnen und Bürger effizient begegnen.Zur Bekämpfung der Fluchtursachen erhalten dasAuswärtige Amt circa 628 Millionen Euro und das Ent-wicklungshilfeministerium 554 Millionen Euro mehr alsim Regierungsentwurf vorgesehen . Das sind klare Si-gnale, dass sich Deutschland zu seiner Verantwortung inder Welt bekennt .Im Rahmen unseres Solidarpakts – er wurde schonmehrfach angesprochen – stellen wir 5 Milliarden Eurofür sozialen Wohnungsbau, Integration und Langzeitar-beitslose bereit . Durch diese Schwerpunkte im sozialenBereich machen wir deutlich, dass wir die Menschen inunserem Lande nicht im Stich lassen .Trotz dieser Schwerpunktsetzungen und trotz unvor-hersehbarer zusätzlicher Kosten, gerade bei der Unter-bringung der zu uns gekommenen Menschen, haben wireinen ausgeglichenen Haushalt . Natürlich: Das hängtauch mit den niedrigen Zinsen und der guten Konjunk-tur – beides ist angesprochen worden – zusammen .Gleichwohl tun wir gut daran, unsere Erfolge beim Na-men zu nennen. Wir dürfen die fiskalischen und wirt-schaftlichen Erfolge der Großen Koalition nicht kleinre-den .
Nun zu zwei Punkten, die den Etat des Bundesfinanz-ministeriums betreffen. Im Etat des Bundesfinanzminis-ters, welcher sehr stark durch Verwaltungskosten, Perso-nalkosten etc . geprägt ist, ist für 2017 ein Ausgabensollvon knapp 6 Milliarden Euro vorgesehen . In den Bera-tungen haben wir noch 111 Millionen Euro drauflegenkönnen . Warum haben wir das gemacht? Wir haben unsdie Personalausgaben beim Zoll, aber auch die Ausgabenfür Investitionen in die Informationstechnik zur Gewähr-leistung der Sicherheit und Integrität finanzrelevanterDaten einmal angeschaut und sind dann zu dem Schlussgekommen: Hier müssen wir etwas tun . Bei der Zollver-waltung gibt es einen Aufwuchs von 505 Stellen . Auf dieRalph Brinkhaus
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Finanzkontrolle Schwarzarbeit entfallen dabei 346 Stel-len .Wir alle wissen – das ist jedenfalls die Meinung mei-ner Fraktion –, dass der Mindestlohn ein sozialer Meilen-stein war und ist .
Die düsteren Szenarien – vor zwei Jahren von einzelnenArbeitgebern an die Wand gemalt – sind allesamt wider-legt worden . Wir sehen allerdings heute, dass es immernoch Arbeitgeber gibt, die mit allen Mitteln und Tricksversuchen, die Arbeitnehmer um ihren verdienten Lohnzu bringen . Das ist schäbig und muss vonseiten des Staatssanktioniert und effektiv bekämpft werden .
Es ist ein wichtiger Punkt gewesen – zusätzlich zu denbereits ausgebrachten 200 Stellen –, dafür zu sorgen,dass die Finanzkontrolle Schwarzarbeit kein zahnloserTiger ist oder wird .Lassen Sie mich daher zum Abschluss noch einigeBemerkungen – auch das ist im Einzelplan 08 etatisiert –zu Fragen des sozialen Wohnungsbaus der BImA, die sohäufig angesprochen wird, machen. Wir hatten im Ko-alitionsvertrag vereinbart, 100 Millionen Euro für dieUnterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern imRahmen des sozialen Wohnungsbaus – auf Konversions-flächen etc. – aufzubringen. Dann ergab sich plötzlich dieNotwendigkeit, mehrere Hunderttausend Menschen bin-nen kürzester Zeit hier in menschenwürdigen Unterkünf-ten unterzubringen und zu versorgen . Dabei hat uns dieBImA – das sollte an dieser Stelle auch einmal deutlichgesagt werden – geholfen . Es wurden 165 000 Unterbrin-gungsplätze in 1 155 BImA-Liegenschaften zur Verfü-gung gestellt . Das ging einher mit der Zurverfügungstel-lung von Mitteln in Höhe von mehr als 150 MillionenEuro aus dem Etat . Das ist die Leistung, die wir erbrachthaben, um den Kommunen bei den ihnen obliegendenAufgaben – wie ich denke, auch effizient – zu helfen.Da ist natürlich – das war die logische Konsequenz –Folgendes passiert . Die 100 Millionen Euro, welche dieGroße Koalition im Koalitionsvertrag festgeschriebenhatte, sind nur zu einem Bruchteil abgeflossen, weil dieKommunen in ihrer Not schlicht und ergreifend die miet-zinsfreie Überlassung von Liegenschaften und die Über-nahme von Herrichtungskosten zur Unterbringung vonFlüchtlingen und Asylbegehrenden der Eigenentwick-lung, die zudem noch Zeit kostete, vorzogen . Von daherhaben wir im Haushalt ein kleines, aber, wie ich denke,wichtiges Detail verankert: Wir haben nämlich die ur-sprüngliche Befristung auf vier Jahre für die Verwendungder 100 Millionen Euro um zwei weitere Jahre erweitert,sodass es also möglich sein wird, auch in der nächstenWahlperiode auf diesen Topf zurückzugreifen, um dannden Kommunen, die sich mithilfe entbehrlicher Grund-stücke der BImA fortentwickeln wollen, die Möglichkeitzu geben, die entsprechenden Flächen preisgünstig zuerwerben . Sie könnten diese dann, sofern sie sozialenWohnungsbau betreiben, sogar mit einem nennenswertenNachlass von 25 000 Euro pro geschaffener Wohneinheitzugunsten ihrer Bürgerinnen und Bürger am Markt an-bieten .Ich denke also – das sage ich als kleine Überschrift –,dass dieser Haushalt Maß und Mitte wahrt . Er setzt sozi-ale Akzente, vernachlässigt nicht die Herausforderungender Zukunft und ist ein Haushalt für die Bürgerinnen undBürger . Daher kann er sich sehen lassen .Ich danke Ihnen .
Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Barthalomäus
Kalb für die CDU/CSU .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Dieser Bundeshaushalt macht Freude . Wirkönnen wiederum einen ausgeglichenen Haushalt vorle-gen . Seit 45 Jahren hat es Derartiges nicht gegeben . Ichglaube, darauf können wir stolz sein . Das ist eine histo-rische Leistung . Diese Leistung ist aber auch nur deswe-gen möglich, weil es viele fleißige, tüchtige und kreativeMenschen in diesem Land gibt, die unser Volkseinkom-men bzw . unser Bruttoinlandsprodukt erwirtschaften undsich jeden Tag anstrengen .Dieser Haushalt ist aber auch das Ergebnis der rich-tigen Rahmensetzung durch die Politik . Wir haben inder Vergangenheit wichtige Weichenstellungen vor-nehmen müssen . Ich erinnere an die Situation in denJahren 2007/2008 . Da haben wir in der Finanz-, Wirt-schafts-, Banken- und Euroverschuldungskrise – bei alldiesen Ereignissen – die richtigen Maßnahmen ergriffen .Vielleicht sollten wir heute auch darauf hinweisen,dass sich diese Maßnahmen, über die wir seinerzeit ernst-haft gerungen haben – es gab viele Diskussionen darüber,ob sie richtig sind –, letztlich als richtig und stabilisie-rend herausgestellt haben . Ich darf nur erwähnen, dassdie Garantien für die Bankenrettung samt und sondersohne einen Cent Verlust wieder zurückgegeben werdenkonnten . Ähnlich war es bei den Maßnahmen, die zurStabilisierung des Euros beigetragen haben . Auch sie –wir haben hier sehr streitig darüber diskutiert und darumgerungen, ob sie richtig sind oder nicht – haben sich alsrichtig erwiesen .
Das Wohlergehen der Menschen bei uns hängt auchvom Wohlergehen Europas – von der Stabilität des Eurossowie von der Einheit und der Zukunftsfähigkeit Euro-pas – ab . Das wird in Zukunft vermutlich sogar noch stär-ker der Fall sein, weil sich die Dinge auch internationalsehr rasant verändern und die Bedrohungen eher zuneh-men . Diese Vorgänge führen natürlich zu einer wachsen-den Verunsicherung in der Bevölkerung – auch bei uns .Objektiv gesehen geht es uns so gut wie selten zuvor:Die Wirtschaft wächst, wir haben den höchsten StandDr. Hans-Ulrich Krüger
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an Erwerbstätigen und sozialversicherungspflichtig Be-schäftigten, die Lage der Sozialversicherungssysteme istgut, und insbesondere in Bezug auf die Jugendarbeits-losigkeit würden sich viele Länder Europas unsere Si-tuation wünschen . Die jungen Menschen haben derzeitChancen wie in kaum einer Zeit vorher .
Trotzdem gibt es auch in diesen guten Zeiten Men-schen, die nicht auf der Sonnenseite stehen . Auch für sietreffen wir in diesem Bundeshaushalt Vorsorge: Ich darfeinmal darauf hinweisen, dass weit mehr als 50 Prozentdes Bundeshaushaltes für Soziales verwendet wird . Daszeigt, dass wir auch für diejenigen da sind, die es im Le-ben nicht so leicht haben .
Wir unterstützen – auch das ist bereits mehrfach ange-sprochen worden – die Länder und die Gemeinden, damitsie ihre Aufgaben erfüllen können . Das gilt vor allen Din-gen hinsichtlich der Bewältigung der Probleme, die sichaus den Flüchtlingswellen ergeben . Daneben darf mansagen, dass auch die Neuregelung des Länderfinanzaus-gleichs, der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern,nicht zum Nachteil der Länder ausgefallen ist .Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir ge-ben die richtigen Antworten auf die Herausforderungenin der kommenden Zeit . Wir stärken die Investitionen .Wie oft hätte ich mir in der Vergangenheit gewünscht,im Bundeshaushalt eine Investitionsquote von 11 Pro-zent feststellen zu können! Diese Mittel fließen in denSubstanzerhalt, in die Erneuerung und Ergänzung derVerkehrsinfrastruktur und auch, Herr Kollege Rehberg,in die Stärkung der ländlichen Räume sowie den Ausbauder digitalen Infrastruktur . Das alles gehört zusammen .Ein ganz wichtiges Anliegen ist uns die Sicherheit .Auf dieses berechtigte Anliegen der Bevölkerung gehenwir mit großen Anstrengungen für die Bundespolizei undunsere Sicherheitsorgane ein . Wir geben auch die richti-gen Antworten auf die Fragen – auch das ist angespro-chen worden –, die sich aus der Bekämpfung der Flucht-ursachen und der daraus entstehenden Risiken ergeben .„Entwicklungszusammenarbeit“ ist hier ein Stichwort .Natürlich müssen wir auch für die äußere Sicherheitsorgen . Deswegen unternehmen wir verstärkte Anstren-gungen im Verteidigungsbereich . Auch wenn man daskritisieren mag: Die allermeisten Menschen im Landewissen, dass auch die Belange der äußeren Sicherheit zu-nehmend an Bedeutung für uns gewinnen .Die Steuerschätzung vom November hat gezeigt, dasszwar die Einnahmen steigen, dass aber die Bäume auchhier nicht in den Himmel wachsen . Deswegen müssenwir jetzt, in guten Zeiten, Vorsorge treffen, damit wiruns in schlechten Zeiten nicht wieder überfordert fühlenmüssen .Meine Damen und Herren, natürlich müssen wir unsauch Gedanken über die Entwicklung der Steuerquotemachen . Wir wissen, sollte die Steuerquote einmal über23 Prozent steigen, so wird sich das eher konjunktur-dämpfend bis konjunkturschädlich auswirken . Deswegenwerden wir in der nächsten Legislaturperiode eine Steu-erreform angehen müssen . Ich denke an die Überprüfungder kalten Progression, wie wir sie uns vorgenommenhaben, und insbesondere an den Abbau des sogenanntenMittelstandsbauches . Das hat nichts mit dem klassischenMittelstand zu tun, sondern mit den Beziehern kleinererund mittlerer Einkommen .Natürlich stellt sich auch die Frage: Wann greift derSpitzensteuersatz? Ich glaube, niemand im Lande fühltsich mit einem Einkommen von gut 53 000 Euro bereitsals Besserverdiener oder gar als Spitzenverdiener . Auchdarauf müssen wir eine Antwort geben . Später müssenwir uns mit dem Solidaritätszuschlag befassen . Bund undLänder haben sich bereits darauf verständigt, dass wir alldies angehen wollen .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube,auch hier gilt, dass wir immer abwägen müssen: Wie vielEinnahmen brauchen der Staat und die öffentliche Hand,um die Aufgaben zu erfüllen, die sie erfüllen müssen?Auf der anderen Seite gilt: Wie viel muss man dem Bür-ger belassen? In Abwandlung eines Bibelwortes möchteich sagen: Gebt dem Staat, was des Staates ist, und lasstdem Bürger, was des Bürgers ist .Lassen Sie uns also mit Leidenschaft, Hingabe undBegeisterung für die Menschen und deren Zukunft in un-serem Lande arbeiten . Dies gilt auch eingedenk dessen,was Helmut Schmidt gesagt hat – ich darf ihn zitieren –:Keine Begeisterung sollte größer sein als die nüch-terne Leidenschaft zur praktischen Vernunft .Herzlichen Dank .
Der Kollege Lothar Binding hat nun das Wort für die
SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte erst einmalallen Bürgerinnen und Bürgern sowie allen Unternehmendanken, die ihre Steuern fair und korrekt zahlen .
Ich bin in der Haushaltsdebatte für die Einnahmen zu-ständig . Aber die Einnahmen kommen von anderen,nämlich von denen, die hier oder woanders sind .Immerhin haben wir Gesamteinnahmen von etwa700 Milliarden Euro . Das ist für unseren Staat schon eineerkleckliche Summe . Allein für den Bund belaufen sichdie Einnahmen auf 300 Milliarden Euro, und zwar trotz,Bartholomäus Kalb
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vielleicht auch wegen unseres Systems, das zwar ein biss-chen kompliziert ist, aber doch zu solchen Einnahmenführt . Dies geschieht sogar dann noch, wenn sich vielebemühen, die Steuern zu umgehen, zu sparen, auch einbisschen zu betrügen; all diese Dinge gibt es . Aber insge-samt ist die Leistung aller Bürgerinnen und Bürger sehrgroß . Deshalb haben wir ein tolles Land . Ein tolles Landbraucht Politiker, die das alles organisieren; das stimmt .Es braucht aber auch die Bürger, die sich beteiligen .Immerhin: Wir können in Sicherheit auf die Stra-ße gehen, jedenfalls fast überall . Wir haben seit langerZeit Frieden . Ich kann ins Krankenhaus gehen und michdort behandeln lassen . Wir können sicher Zug fahren .Wir haben gute Wohnungen . Meine Mutter genießt einegute Pflege. Und doch geht es vielen Leuten in unseremLand richtig schlecht . Um diese Menschen müssen wiruns kümmern . Das ist sicherlich eine Zukunftsaufgabefür das kommende Jahr und die folgenden Jahre . Wenndie Situation aber so bleibt, wird die Spannung in der Be-völkerung steigen, und dann wird es zu Problemen kom-men . Die Hauptaufgabe in der Politik ist es, für sozialeGerechtigkeit zu sorgen .
Gesine Lötzsch hat vorhin gesagt: Die AfD ist ein Kindder Großen Koalition . – Ich muss sagen, das hat mich et-was irritiert . Die PVV in Holland, der Front National inFrankreich, die Nationale Allianz in Italien, die WahrenFinnen in Finnland und auch die Wahl von Trump warennicht alles Folgen der Großen Koalition .
Ich möchte sogar sagen: Die Tatsache, dass die Hälftedeines Wahlkreises an die AfD gegangen ist, ist nicht al-lein deine Schuld .
Ich glaube, wir müssen schauen, dass wir hier nichtdie Politik als Ganzes beschädigen . Unsere Aufgabe istes nämlich, Vertrauen in die Politik und Glaubwürdig-keit in uns, die Politiker, herzustellen . Da ist eine billigeSchuldzuweisung ein Schaden für alle, auch gegenüberdenen, die sich ernsthaft anstrengen, etwas für das Volkzu machen . Solche Worte sind kontraproduktiv und zer-stören Vertrauen .
Ich will eine Bemerkung in Sachen Ökonomie zuEkin Deligöz machen, die gesagt hat: Die Investitionenin diesem Haushalt sind sehr gering . – Ich bin froh, dasssie in diesem Haushalt genau so sind, wie sie sind . Dennwas würde passieren, wenn alle Brückenbauer beschäf-tigt wären, wenn alle Schulsanierer am Bau wären undalle Bauarbeiter mit sozialem Wohnungsbau beschäftigtwären und wir jetzt – in diesem Jahr bzw . kurzfristig –noch mehr investierten? Es würden lediglich die Preisesteigen, aber es würde keine einzige Schule mehr saniertund keine einzige Straße mehr gebaut .
Deshalb ist es kluge Politik, dass wir die Investitionenjetzt planen und das Baurecht für den Zeitpunkt schaffen,wenn die Konjunktur nachlässt und eine Zunahme derArbeitslosigkeit eventuell durch Investitionen zu vermei-den wäre . Genau in den Moment investieren wir und ma-chen dann eine antizyklische Globalsteuerung, die auchfunktioniert . Das ist sehr gut .
Jetzt muss ich leider etwas zu dem Kollegen Rehbergsagen; denn er hat – nicht ganz zufällig – vorhin nichtMecklenburg-Vorpommern, sondern ein anderes Landangeprangert . Aber es gibt – darauf hat mich der KollegeBernhard Daldrup hingewiesen – ein Protokoll der Ver-handlungen zwischen der Bundesregierung und den Län-dern vom 7 . Juli . Darin heißt es, die dreimal 2 MilliardenEuro für die Integrationspauschale dienen der Entlastungder Länder . Da hat jemand, ehrlich gesagt, schlecht ver-handelt, sonst wären nämlich die Kommunen explizit ge-nannt worden . Das ist leider nicht der Fall .
Die Ländermilliarden werden von Schleswig-Hol-stein, vom Saarland, von Brandenburg und von Meck-lenburg-Vorpommern – dort kennen Sie sich ja genaueraus – leider nicht weitergegeben . Auch die Integrations-pauschale wird oft nicht weitergegeben, und zwar vonNRW – das wurde als Einzelland erwähnt –, Branden-burg, Niedersachsen und – man höre – Bayern . Manmerkt: Einzelne Länder zu nennen, eignet sich oft nicht,um sich selber reinzuwaschen . Denn wenn das plötzlichjemand merkt, ist das unangenehm .
Man fragt sich, wer eigentlich überhaupt Steuernzahlt . Es gibt gar nicht so viele Leute, die Steuern zahlen .Das sind vor allem die Lohnempfänger . Bei ihnen wirdnämlich die Lohnsteuer gleich vom Lohn abgezogen .Auch die Unternehmen zahlen Steuern, etwa die Kör-perschaftsteuer . Komischerweise nehmen wir damit rela-tiv wenig ein, obwohl die Körperschaften hohe Gewinnemachen . Aber irgendetwas bewirkt, dass die extrem star-ken Unternehmen extrem wenig Steuern bezahlen . Dasmüsste einmal genauer untersucht werden . Wir habendas als Parlament gemeinsam mit dem Bundesfinanzmi-nisterium untersucht, wobei wir uns sehr gut gegenseitigunterstützt haben . Wir machen ein Programm gegen in-ternationale Steuergestaltung und gegen Steuerhinterzie-hung .Last, but not least gibt es – darin sind wir uns nichtganz einig – an ganz anderer Stelle Betrug, zum Beispielüberall dort, wo es keine Kassen gibt . Man kann zwarsagen: „Lasst den Leuten doch diese kleinen Einkommenaus der Eisdiele oder vielleicht aus dem FriseurladenLothar Binding
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oder einer Gaststätte“; das wäre aber leider ein Wettbe-werbsnachteil für die Ehrlichen .
Wir sind dafür, einen fairen Markt zu schaffen . Des-halb sagen wir: Wir brauchen die Kassenpflicht, die Re-gistrierung der Kassen und die Bonausgabepflicht, umBetrug zu verhindern, und wir brauchen BEPS: BaseErosion and Profit Shifting. Das ist das gemeinsameProgramm für die Konzerne . Aus diesen beiden Kom-ponenten werden wir auch künftig die Steuereinnahmensichern und für eine gute Zukunft sorgen .Schönen Dank .
Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Rehberg
das Wort .
Herr Kollege Binding, man sollte sich immer zu
100 Prozent informieren .
Die Wahrheit ist, dass drei Bundesländer von Beginn an
100 Prozent der Flüchtlingskosten übernommen haben,
und zwar das Saarland, Bayern und Mecklenburg-Vor-
pommern, dass sich aber Nordrhein-Westfalen von Be-
ginn an dadurch ausgezeichnet hat, nicht einmal ein Drit-
tel der Kosten zu übernehmen .
Ich zitiere als Kronzeugen den Duisburger Oberbür-
germeister Sören Link . Er kritisiert, das Land verwen-
de die Integrationspauschale zur Entlastung des eigenen
Haushaltes . Und der Städte- und Gemeindebund macht
deutlich, dass das Land Nordrhein-Westfalen eben
nicht – im Gegensatz zu Baden-Württemberg und Rhein-
land-Pfalz, wo zumindest die Bundesmittel aufgeteilt
worden sind – vorher die Kosten übernommen hat .
Wenn man also hier etwas vorträgt, dann sollte man
sich zuvor zu 100 Prozent informieren . Mecklenburg-Vor-
pommern stehen – weil es von Beginn an 100 Prozent der
Kosten selber getragen hat – die Mittel der Integrations-
pauschale für den Landeshaushalt zur Verfügung .
– Nein, das, was NRW gemacht hat, hat es nicht besser
gemacht .
Letzter Redner zu diesem Einzelplan ist der Kollege
Carsten Körber für die CDU/CSU .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!2 974 Seiten, Drucksache 18/9200, das ist der Entwurfdes Bundeshaushaltsgesetzes 2017 . Wir haben über ihnim Haushaltsausschuss in der letzten Sitzungswocheberaten . Er umfasst insgesamt 23 verschiedene Einzel-pläne, vom Haushalt des Bundespräsidenten bis hin zumHaushalt der Allgemeinen Finanzverwaltung . Nach denBeratungen hier im Plenum werden wir diesen letztenHaushalt dieser Legislaturperiode am Freitag beschlie-ßen .Neulich wurde ich gefragt, was denn für mich die be-deutendste Zahl in diesem Haushalt ist . Einige werdensicherlich erahnen, wie meine Antwort gelautet hat: Na-türlich die schwarze Null!
Denn keine andere Zahl beschreibt die verantwortungs-volle und weitsichtige Haushalts- und Finanzpolitik bes-ser, die im Bund seit Jahren unter Führung der Unionbetrieben wird . Es war sicher nicht immer ganz leicht,innerhalb der Koalition eine gemeinsame Linie zu fin-den . Doch am Ende zählt das Ergebnis, und das kann sichsehen lassen . Auch eine verlässliche Haushaltspolitikschafft Vertrauen . Vertrauen ist in diesen Tagen leider einsehr knappes Gut .Die Welt ist in den letzten Jahren eine andere gewor-den . Jahrelang als selbstverständlich hingenommeneBedingungen existieren nicht mehr . Schauen wir in dieUkraine, nach Syrien oder in die Türkei . Oder schauenwir nach Deutschland mit den Herausforderungen derFlüchtlingskrise, denen wir im vergangenen Jahr gegen-überstanden und zum Teil noch gegenüberstehen . Wirmüssen dabei erkennen, dass die klassische Trennungzwischen Außen- und Innenpolitik immer mehr ver-schwimmt und dass Dinge, die in Syrien passieren, aucheine unmittelbare Wirkung hier in Deutschland habenkönnen . Vieles ist in Bewegung geraten . Gerade in sol-chen Zeiten muss Politik Handlungsfähigkeit beweisen .Ich bin froh, sagen zu können, dass wir das mit diesemHaushalt tun .Wir haben deutliche Schwerpunkte in den Bereicheninnere und äußere Sicherheit gesetzt . Wir stärken dieBundeswehr genauso wie die Bundespolizei . Aber auchbei der humanitären Hilfe und der Bekämpfung vonFluchtursachen haben wir deutlich aufgestockt . Insge-samt sind die Investitionen mit rund 11 Prozent des Etatsso hoch wie schon lange nicht mehr . In unseren Beratun-gen haben wir zudem die Mittel für wichtige Zukunfts-investitionen um beinahe 3 Milliarden auf insgesamt36 Milliarden Euro erhöht .Wir haben im vergangenen Jahr viel erreicht . Natür-lich ist dabei nicht alles immer perfekt gelaufen . Aber dieAsylpakete I und II haben gewirkt und maßgeblich dazubeigetragen, die Situation in den Griff zu bekommen .Natürlich ist es genauso richtig, dass wir noch viel zutun haben . So ist es zum Beispiel dringend geboten, dassdie Grünen endlich ihre Blockade im Bundesrat bei derLothar Binding
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Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten auf Tunesien,Marokko und Algerien aufgeben .
Der Vorschlag unseres Innenministers, Asylanträge di-rekt vor Ort in Nordafrika zu prüfen, ist sinnvoll und auchunter humanitären Gesichtspunkten dringend geboten .
Denn dann würden weniger Menschen die lebensgefähr-liche Überfahrt über das Mittelmeer antreten . Dass sichin Berlin eine linke Landesregierung just darauf verstän-digt hat, auf Abschiebungen künftig weitgehend zu ver-zichten, ist sicher kein Signal, das die Menschen im Landverstehen werden .
Dabei ist es doch gerade in unruhigen Zeiten wichtig,Handlungsfähigkeit zu beweisen; denn es steht viel aufdem Spiel . Vielerorts haben die Menschen das Gefühl,dass Sicherheit verloren geht . Es wächst die Sehnsuchtnach vermeintlich einfachen Antworten, nicht nur inDeutschland . Um diesem Vertrauensverlust entgegenzu-wirken, muss Politik nachvollziehbare Antworten liefernund Verlässlichkeit bieten . Das ist uns mit dem vorlie-genden Haushaltsentwurf 2017 gelungen .Erlauben Sie mir zum Abschluss dazu ein kleines Bei-spiel . Wir haben im Haushaltsausschuss 200 000 EuroStartkapital für das Forum RECHT bewilligt . Mit demBonner Haus der Geschichte vergleichbar, soll diesesDokumentationszentrum die Entwicklung, die Bedeu-tung, aber vor allem auch den Wert des Rechtsstaateseiner breiten Öffentlichkeit vor Augen führen . Dabeisoll auch erlebbar gemacht werden, dass der Rechtsstaatkeine Selbstverständlichkeit ist . Das Forum RECHT sollunter Federführung des Bundesverfassungsgerichts unddes Bundesgerichtshofs in Karlsruhe entstehen – einegute Sache, für die wir uns gerne eingesetzt haben .Zum Abschluss erlauben Sie mir bitte noch, dass ichmeinem Kollegen Bartholomäus Kalb ganz herzlich fürsein Wirken über eine Politikergeneration hinweg imDeutschen Bundestag und im Haushaltsausschuss danke .Er hat eben seine wohl letzte Haushaltsrede gehalten .
Vielen Dank .
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen nun zu den Abstimmungen . Zunächst
kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 08 –
Bundesministerium der Finanzen – in der Ausschussfas-
sung . Wer stimmt dieser Ausschussfassung zu? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Einzelplan 08 mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen .
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-
plan 20 – Bundesrechnungshof – ebenfalls in der Aus-
schussfassung . Wer stimmt dem zu? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Einzelplan
einstimmig angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I .5 auf:
a) Einzelplan 07
Bundesministerium der Justiz und für Ver-
braucherschutz
Drucksachen 18/9807, 18/9824
b) Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
Drucksachen 18/9824, 18/9825
Berichterstatter sind die Abgeordneten Tobias Lindner,
Klaus-Dieter Gröhler, Dennis Rohde und Roland Claus
und mit Blick auf das Bundesverfassungsgericht, Ein-
zelplan 19, die Kollegen Carsten Körber, Dennis Rohde,
Roland Claus und Manuel Sarrazin .
Für die Aussprache sind wiederum 96 Minuten vor-
gesehen . – Das ist offensichtlich einvernehmlich . Also
verfahren wir so .
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Roland Claus für die Fraktion Die Linke das Wort .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bun-desminister Maas! Wir sprechen jetzt über das Fachmi-nisterium mit dem kleinsten Etat und mit der höchstenEinnahmequote . Die Steuerzahlerinnen und Steuerzah-ler müssen wissen, dass 1 Euro für das Ministerium vonHeiko Maas sie nur 25 Cent kosten . Das hängt mit denhohen Einnahmen, die beim Patentamt und bei den Ge-richten erzielt werden, zusammen . Diese Fakten besche-ren dem Justizminister zunächst einmal ein fraktions-übergreifendes Wohlwollen im Haushaltsausschuss .
Ihr Problem, Herr Minister, ist nur, dass die Öffent-lichkeit von Ihnen nicht nur Haushaltssicherheit, sondernauch mehr Rechtssicherheit erwartet .
Bei den Ankündigungen haben Sie mit vielen Äußerun-gen durchaus geliefert, bei den Resultaten leider nicht .Zuweilen muss man Sie daran erinnern; Sie sind schließ-lich nicht der Pressesprecher des Ressorts, sondern derMinister, und daher wollen wir sehen, dass Sie mehr lie-fern .
Ich will zuerst auf das – aus meiner Sicht – Hauptpro-blem des diesjährigen Haushalts in Sachen Innen- undJustizpolitik zu sprechen kommen . Das Entscheidendeist nämlich in diesem Falle das, was nicht im Etat desBundesjustizministers steht . Wir werden beim nächstenTagesordnungspunkt den Etat des Bundesinnenminis-Carsten Körber
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teriums besprechen . Dort wird es zusätzliches Geld fürPolizei und Geheimdienste nahezu ohne Ende geben . Ichmeine ein riesiges Sicherheitspaket, über das wir späterreden und das wir bewerten werden . Hier geht es um dieFrage, warum nicht auch im Justizbereich mehr Geld indie Hand genommen wurde . Ich habe die Bundesministerde Maizière und Maas in den Haushaltsberatungen im-mer wieder vergeblich gefragt: Leute, wie passt das dennzusammen? Ein riesiges Sicherheitspaket auf der einenSeite müsste doch schlüssigerweise auf der anderen Seitewenigstens ein – meinethalben auch etwas kleineres –Rechtssicherheitspaket nach sich ziehen .
Hier gilt aber leider Fehlanzeige .Resultat ist, dass das Bundeskriminalamt zwar mehrErmittlungserfolge erzielt, dass aber der Generalbundes-anwalt und der Bundesgerichtshof wegen fehlender Aus-stattung nicht nachkommen . Wenn es so ist, dann ist esdoch nicht wirklich besser geworden .
Wenn die Verdächtigen bei den Bundesrichtern Schlangestehen, bis sie aus Fristgründen freigelassen werden müs-sen, dann stimmt doch etwas nicht in der Abstimmungvon Justiz- und Innenpolitik . Ich sage mir immer: Dasmüssen doch auch Sie sehen . Das ist doch nicht einfachhinzunehmen .
Ich sage noch einmal: Logisch und vernünftig wäredie Regierungspolitik in der Tat nur, wenn ein so giganti-sches Sicherheitspaket auch durch ein Rechtssicherheits-paket ergänzt würde . Mit gescheitem Regieren hat dasnichts zu tun .
Wenn Sie vom Rechtsstaat enttäuschte Wählerinnenund Wähler zurückgewinnen wollen, dann doch be-stimmt nicht so, im sicherheitspolitischen Vorwahlkampfvon CDU und SPD . Machen Sie Ihren Job . Wahlkampfkriegen wir später .
Nun zum Verbraucherschutzminister . Auch hier gilt:Ankündigungen gut, Resultate mangelhaft . Ein aktuellesBeispiel: Es gab und gibt den Nationalen IT-Gipfel inSaarbrücken . Da ist viel geredet worden . Es ging auchum Verbraucherpolitik in der digitalen Welt . Mehr Da-tenschutz durch bessere Technik heißt das große Verspre-chen . Das Ministerium sieht hier gar den Schlüssel zurDatensouveränität . Wir bewerten die Ergebnisse wirklichals ein Armutszeugnis .
Das Problem ist doch im Moment, dass sich die An-bieter digitaler Dienstleistungen und die Nutzer digitalerDienstleistungen höchst ungleich gegenüberstehen . Hierwäre staatlich gestützter Verbraucherschutz in ganz ande-rer Dimension nötig, um Verbraucherinnen und Verbrau-cher besser vor Abzockern und digitalen Fehlleitungenzu schützen . Das ist doch der Punkt .
In einem Punkt sind wir uns alle, glaube ich, in SachenInternet mit einer Forderung einig: Wir alle wollen keinedigitale Hasswelt . – Aber leider ist die digitale Realitäteine andere . Mit diesem Bundeshaushalt bekommen wirmehr staatlich organisierte Freiheitsbeschränkungen undweniger zivilen Rechtsstaat . Dazu sagen die Koalition Jaund die Linke Nein .
Vielen Dank, Herr Kollege Claus . – Einen schönen
Tag Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, von mir . Den
hatten Sie wahrscheinlich auch schon ohne mich .
Nächster Redner: Dr . Johannes Fechner für die SPD .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen!Wenn wir heute über den Haushalt beraten, dann will ichzunächst einmal festhalten, dass wir in diesen drei Jah-ren rechtspolitisch enorm viel geleistet haben: Wir habenüber 50 Gesetze auf den verschiedensten Rechtsgebietenverabschiedet, und an dieser Stelle deshalb ein herzlichesDankeschön an unseren Justizminister, der aktiv und en-gagiert diese vielen Gesetzesinitiativen auf den Weg ge-bracht hat . Insbesondere will ich Ihnen, Herr Maas, dafürdanken, dass Sie klare Kante gegen Rechtspopulismusgezeigt haben und dass Sie sich immer konsequent füreine offene Gesellschaft, für einen starken demokrati-schen Rechtsstaat einsetzen .
Genau diese Haltung brauchen wir in dieser Zeit . VielenDank, Herr Minister .Es ist nicht zu leugnen, dass sich viele Bürgerinnenund Bürger verunsichert fühlen . Deshalb ist es auch Auf-gabe der Rechtspolitik, für die Sicherheit der Bürgerin-nen und Bürger zu sorgen .Wir haben in diesem Bereich eine Menge gemacht .Wir haben die Ausreise in terroristischer Absicht unterStrafe gestellt. Wir haben die Regelung zur Terrorfinan-zierung verschärft . Wir haben das Sexualstrafrecht refor-miert und das Anti-Doping-Gesetz geschaffen . Vor allemhaben wir aber eines getan, auch jetzt in diesem Haus-halt: Wir haben den Sicherheitsbehörden mehr Personal,und zwar deutlich mehr Personal, zur Verfügung gestellt .Wir haben für 2016 auf unsere Initiative 1 500 neue Stel-len bei der Bundespolizei geschaffen und jetzt weitere2 000 neue Stellen für die Bundespolizei vorgesehen . DerGeneralbundesanwalt und das Bundeskriminalamt be-kommen mehr Stellen . In Nordrhein-Westfalen werden300 zusätzliche Richter und Staatsanwälte eingestellt .Roland Claus
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Im Berliner Koalitionsvertrag sind 1 600 neue Polizistenvorgesehen .Meine Damen und Herren, so bekämpfen wir den Ter-ror und die Kriminalität effektiv:
erstens Gesetze dort verschärfen, wo es erforderlich ist,wo tatsächlich Lücken bestehen, zweitens mehr Personalbei Sicherheitsbehörden, damit die Gesetze auch umge-setzt und vollzogen werden können . Damit schaffen wirSicherheit .
Immer wieder wird der erweiterte Einsatz der Bun-deswehr gefordert . Die Bundeswehr kann in Sondersitu-ationen, etwa beim Elbehochwasser, durchaus wichtigeHilfe leisten . Aber was nicht geht, ist, dass wir Personal-engpässe bei der Polizei dadurch beheben wollen, dasswir Bundeswehreinsätze im Innern weiter und umfang-reicher zulassen. Ich finde, der Ruf nach Ausweitung desEinsatzes der Bundeswehr im Innern wirkt immer wieein Misstrauensvotum gegenüber der Polizei –
so nach dem Motto: Die Polizei schafft es nicht, für inne-re Sicherheit zu sorgen; wir brauchen die Bundeswehr . –Das kann es nicht sein . Wir müssen den Einsatzbereichder Bundeswehr nicht ausweiten, sondern mehr Polizis-tinnen und Polizisten einstellen .
Ein zunehmendes Problem in Deutschland ist dieGewalt gegen Polizisten . Wir können nicht zuschauen,wenn Polizisten, die sich in gefährlichen Situationen fürdie Allgemeinheit einsetzen, derart massiv und zuneh-mend attackiert werden, wie wir es leider erleben . Wirwollen deshalb Polizisten mit Bodycams ausrüsten . Wirhaben jetzt im Haushalt 5 Millionen Euro für eine Kam-pagne gegen Gewalt gegen Polizisten vorgesehen .
Wir sollten den strafrechtlichen Schutz der Polizistinnenund Polizisten verbessern . Wenn staatliche Organe – Po-lizisten, Gerichtsvollzieher oder auch Feuerwehrleute –angegriffen werden, dann muss das hart bestraft werden,liebe Kolleginnen und Kollegen .
Leider ist die Zahl der Wohnungseinbrüche gestiegen .Das sind Eingriffe in die Intimsphäre, unter denen dieOpfer noch jahrelang leiden. Ich finde, auch hier müssenwir tätig werden . Wir sollten einen Gesetzgebungsunfallder Vorgängerregierung korrigieren . Damals ist der Tat-bestand des minder schweren Falls von Wohnungsein-bruchsdiebstahl eingeführt worden . Wenn in eine Woh-nung eingebrochen wird, ist der intimste Bereich verletzt .Ich finde, dann kann ein Einbrecher nicht das Privilegeines minder schweren Falls genießen, das eigentlich fürganz andere Konstellationen vorgesehen ist . Den minderschweren Fall des Wohnungseinbruchs sollten wir des-halb streichen, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Effizienter als jede Gesetzesverschärfung bei der Be-kämpfung von Wohnungseinbruch ist, dass wir dafürsorgen, dass sich Bürgerinnen und Bürger ausreichendund vor allem mit qualitativ hochwertiger Technik gegenEinbrüche sichern können . Deswegen war es wichtig,dass die SPD-Forderung durchgegangen ist, die Förde-rung von Einbruchssicherungstechnik von 10 Prozent auf20 Prozent zu verdoppeln . Wenn jemand beispielsweise1 000 Euro in Sicherungstechnik, in gute Schlösser, in-vestiert, bekommt er zukünftig 200 Euro vom Staat ge-schenkt . Das ist richtig und wichtig; denn für uns gilt:Sicherheit darf keine Sache des Geldbeutels sein .
Wir alle haben mit einem gewissen Entsetzen denUS-Wahlkampf beobachtet, der phasenweise zu einerSchlammschlacht ausartete, wobei insbesondere über diesozialen Netzwerke Lügen und Manipulationen verbrei-tet wurden . Auch bei uns in Deutschland gibt es schonheute in erschreckendem Umfang Hassmails . Was Face-book hiergegen tut, das ist mir viel zu wenig . Wenn Face-book nicht zeitnah dafür sorgt, dass Hassmails und straf-bare Inhalte schnell gelöscht werden, dann sind wir hierals Gesetzgeber gefordert .
Auch in der digitalen Welt darf es keinen rechtsfreienRaum geben . Mordaufrufe, Volksverhetzung oder Mob-bing, das alles darf nicht folgenlos über das Netz verbrei-tet werden können . Da müssen wir notfalls tätig werden,liebe Kolleginnen und Kollegen .
Rechtspolitisch war und ist uns der Schutz von Kin-dern besonders wichtig . Deswegen war es wichtig, dasswir gleich zu Beginn der Legislaturperiode die Straf-vorschriften zum sexuellen Missbrauch von Kindernverschärft haben . Ich hoffe, dass wir in der Koalitionmöglichst rasch zu einer Einigung darüber kommen, dassMinderjährige nicht mehr heiraten können . Damit schüt-zen wir die Mädchen vor Zwangsehen, und wir verhin-dern, dass minderjährige Mädchen mit älteren Männernverheiratet werden . Für uns, für die SPD-Fraktion, istklar: Mädchen gehören in die Schule, nicht in die Ehe .Deshalb wollen wir noch in dieser Legislaturperiode einVerbot der Minderjährigenehe .
Sie sehen: Wir haben in den letzten drei Jahren enormviel erreicht . Herzlichen Dank dafür an alle, die dabeikonstruktiv mitgearbeitet haben . Lassen Sie uns den Restder Legislaturperiode noch nutzen, um weitere wichtigeGesetze umzusetzen . Wir brauchen ein besseres Miet-recht . Wir müssen es den Handwerkern ermöglichen, Er-stattungen für Ein- und Ausbaukosten zu verlangen, undDr. Johannes Fechner
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wir sollten für die Angehörigen von Unfallopfern endlicheine Grundlage für Schmerzensgeldansprüche schaffen .
In diesem Sinne lassen Sie uns den Rest der Legislatur-periode angehen .Vielen Dank .
Vielen Dank, Dr . Fechner . – Nächster Redner:
Dr . Tobias Lindner für Bündnis 90/Die Grünen .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Es ist ja bezeichnend, dass bei dieser Etatdebatte bishernur über den Justizbereich gesprochen wurde bzw . Siesich für vieles, Herr Fechner, wofür Sie sich bedanken,bei Herrn de Maizière bedanken müssten; denn es be-rührt den Innenetat .
– Streitigkeiten in der Koalition müssen Sie unter sichausmachen; da kann Ihnen jetzt die Opposition nichtauch noch helfen .
Ich will sehr gerne ein paar Dinge zum Verbraucher-schutz sagen . Es fällt ja oft hinten herunter, dass diesesMinisterium noch eine zweite Aufgabe hat: Es ist dasMinisterium der Justiz und für Verbraucherschutz . Dashaben Sie selbst in den Koalitionsverhandlungen soentschieden . 2014 haben Sie einen Etat hingelegt: rund650 Millionen Euro – Kollege Claus hat es erwähnt –,der kleinste Etat der Ressorts im Bundeshaushalt . Inzwi-schen – es ist ja ein guter Zeitpunkt, Bilanz zu ziehen –ist dieser Etat auf 825 Millionen Euro angewachsen; dasheißt um 27 Prozent gestiegen .Wenn wir jetzt den Einmaleffekt herausrechnen, näm-lich eine Kapitalerhöhung für die Stiftung Warentest inHöhe von 90 Millionen Euro, dann bleiben noch rund90 Millionen Euro als Etatsteigerung in dieser Legis-laturperiode übrig . Nur, was ist davon, liebe Kollegin-nen und Kollegen, in den Verbraucherschutz gegangen?Ganze 9 Millionen Euro, ein Zehntel davon . Sie, HerrMinister Maas, führen kein Ministerium der Justiz undfür Verbraucherschutz; das ist eher ein Justizministeriummit einem Hauch von Verbraucherschutz . Sie haben hierdie Chance verpasst, die Ressortumorganisation auchim Haushalt wirklich vernünftig nachzuvollziehen, HerrMaas .
Jetzt schauen wir einmal auf das, was Sie inhaltlich ge-macht haben . Schauen wir einmal auf die Marktwächter .Sie wissen: Wir als Grüne haben diese Instrumente un-terstützt und gutgeheißen . Aber auch hier haben Sie eineChance verpasst . Sie sagen ja selbst, Marktwächter stel-len eine Daueraufgabe dar; das ist ein neues Instrument,das Sie in die Hand nehmen wollen . Aber dann frage ichSie zunächst: Warum lassen Sie dann dieses Instrumentnach wie vor in der Projektförderung? Warum sorgen Sienicht, wenn Sie selbst der Auffassung sind, dass das eindauerhaftes Instrument ist, auch für eine dauerhafte Fi-nanzierung? Und warum gehen Sie dann noch her undlegen in der Bereinigungsnacht noch 1,5 Millionen Eurodrauf für einen dritten Marktwächter, anstatt die erstenbeiden vernünftig zu konsolidieren? Das bleibt Ihr Ge-heimnis, Herr Minister .
Das zweite Problem ist: Sie werden nicht alles, wasim Bereich Verbraucherschutz passiert, von Marktwäch-tern bewachen lassen können . Wichtig sind die Themen,die es sonst noch gibt . Wichtig sind Forschungsthemen,wichtig sind andere Bereiche wie Gesundheits-Apps, wieder Schutz von Kindern und Jugendlichen, wie neue Ge-schäftsmodelle, die sich im Internet auftun . Wenn mansich da die restlichen Mittel, die Sie haben, anschaut,dann muss man sich leider eingestehen: Die Mittel sindin Ihrer Zeit eher gesunken als gestiegen . Sie haben sichso sehr auf die Marktwächter konzentriert, dass bei-spielsweise für Forschung nicht mehr Geld zur Verfü-gung steht, Herr Minister .Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen: dieStiftung Warentest . Auch wir Grüne befürworten, dassdie Stiftung unabhängiger wird . Es ist prinzipiell richtig,das Stiftungskapital zu erhöhen . Sie haben allerdings denjährlichen Zuschuss erst um 1,5 Millionen Euro gekürzt,nehmen jetzt 90 Millionen Euro in die Hand, die Sie nochin der Bereinigungsnacht gefunden haben, und pumpendie in die Stiftung hinein . Dazu sagt Ihnen der Bundes-rechnungshof: Na ja, die Rendite, die Sie erwarten kön-nen, liegt etwa bei 0,5 Prozent . – Rein faktisch heißt dasnicht nur, dass Sie vielleicht zum falschen Zeitpunkt,also in einer Niedrigzinsphase, das Stiftungskapital auf-blähen, nein, es heißt auch, dass die Stiftung de facto imkommenden Jahr mit 1 Million Euro weniger auskom-men müssen wird, schlichtweg, weil sie aus dieser enor-men Summe von 90 Millionen Euro vermutlich gar nichtdie Summe erwirtschaften kann, die notwendig ist, umdie bei ihr vorgenommenen Kürzungen auszugleichen .
Herr Minister, ich muss Ihnen eines gestehen: Nachvier Jahren ist nur ein Ansatz in Ihrem Etat deutlich ge-stiegen: Das ist der für die Öffentlichkeitsarbeit; der hatsich mehr als verdoppelt . Damit vollziehen Sie nach, wieSie auch wahrgenommen werden: als Minister, der gerneAnkündigungen macht, aber wenig liefert .
Dr. Johannes Fechner
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Das ist schade, vor allem, weil wir Grüne in den Haus-haltsberatungen eine Menge an Vorschlägen gemacht ha-ben, wie man auch im Etat wirklich ein Ministerium fürJustiz und Verbraucherschutz hätte abbilden können .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Tobias Lindner . – Nächster Redner:
Klaus-Dieter Gröhler für die CDU/CSU-Fraktion .
Danke schön . – Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Etat desBundesministeriums der Justiz und für Verbraucher-schutz ist mit einem Ansatz von 735 Millionen Euro indie Haushaltsberatungen eingebracht worden und hatdiese Haushaltsberatungen mit einer Steigerung um103 Millionen Euro auf jetzt 838 Millionen Euro verlas-sen .Diese Steigerung ist beim kleinsten Etat aller Bun-desministerien außergewöhnlich . Deshalb will ich andrei unterschiedlichen Beispielen skizzieren, wie es dazugekommen ist . Denn wir Haushälter sind nun wahrlichnicht dafür bekannt, dass wir in den Haushaltsberatungennoch viele Millionen Euro draufsatteln würden . An die-ser Stelle hat das aber seinen guten Grund .Lassen Sie mich mit der größten Etatveränderungbeginnen, auf die Tobias Lindner eben auch schon hin-gewiesen hat . Ich freue mich ja darüber, dass wir unsinsgesamt in dieser Frage im Kern sogar einig sind . Esgibt ein Plus von 90 Millionen Euro als Zustiftung in dasVermögen der Stiftung Warentest im Haushaltsjahr 2017 .Diese sehr wichtige Unterstützung des Verbraucher-schutzes geht auf eine Initiative unseres Fraktionsvorsit-zenden Volker Kauder zurück . Nachdem wir bereits mitdem Etat 2016 das Stiftungsvermögen um 10 MillionenEuro erhöht haben, ist der jetzige Schritt die konsequen-te Umsetzung unserer Absicht, die Stiftung Warentest zustärken . Wir wollen sie aber nicht nur stärken, sondernsie auch dauerhaft von laufenden Zuschüssen aus demBundeshaushalt unabhängig machen . Wir wollen verhin-dern, dass die Stiftung Warentest auf Dauer jedes Jahrschauen muss: Was kommt denn nun bei den Haushalts-beratungen für uns heraus?Denn wir von der Union sind davon überzeugt, dassdie Stiftung in den über 50 Jahren ihres Bestehens guteArbeit für die Verbraucherinnen und Verbraucher in un-serem Land geleistet hat . Zu dieser guten Arbeit soll sieauch weiterhin in der Lage sein . Sie soll frei und unab-hängig testen können und die Ergebnisse ihrer Untersu-chungen veröffentlichen können . Sie soll auch zukünftigeine objektive Informationsquelle für Kundeninnen undKunden sein .Die Stiftung Warentest entstammt einer Regierungs-erklärung von Konrad Adenauer aus dem Jahr 1962 undhat seit ihrer Schaffung 1964 knapp 6 000 Tests durchge-führt . Dabei hat sie über 95 000 Produkte und mehr als2 500 Dienstleistungen bewertet . Sie ist für das Konsum-verhalten in Deutschland ein unverzichtbarer Wegweisergeworden und hilft auch, bei Händlern und Produzentendie Spreu vom Weizen zu trennen . Sie hat in den Fragender Warendeklaration, des Bekämpfens der Mogelpa-ckungen und der Entsorgung von Produkten bereits früh-zeitig Maßstäbe gesetzt und genießt in der Öffentlichkeitein hohes Maß an Vertrauen .Damit das so bleiben kann, wollen wir die StiftungWarentest mit dieser Zustiftung frei von den jeweiligenHaushaltsberatungen machen und sie auf eigene Beinestellen .Die Stiftung Warentest hat bisher im Jahr etwa 40 Mil-lionen Euro selbst erwirtschaftet . Rund 5 Millionen Eurohat sie jährlich vom Bund als ihrem Stifter erhalten . InZukunft wird die Stiftung deutlich weniger auf diesejährlichen Zuweisungen des Bundes angewiesen sein;denn die Zinsen werden ja auch wieder ein Normalmaßerreichen, lieber Tobias Lindner . Davon gehen wir alleaus .
Irgendwann wird die Stiftung dann gar keinen Bundeszu-schuss mehr benötigen, sondern kann komplett auf eige-nen Beinen stehen und damit nach außen noch objektiverauftreten, als das bisher schon der Fall war .Wir glauben, dass wir damit den Verbraucherschutz inDeutschland klar stärken – so wie mit dem ersten Grund-stein, den wir schon vor über 50 Jahren gelegt haben .
Herr Minister Maas, an dieser Stelle darf ich aber auchdie Erwartung zum Ausdruck bringen, dass die 10 Mil-lionen Euro Zustiftung, die wir in den Haushalt 2016eingestellt haben, nun auch tatsächlich in den nächstenTagen vor dem Kassenschluss zur Auszahlung kommen .Sollte das nicht der Fall sein, müsste ich mich einmal beiIhnen um einen Gesprächstermin bemühen, müsste alsosozusagen einen solchen Termin buchen . Ich hoffe, dassich da nichts zahlen muss,
sondern dass wir das dann so klären können .Ich will dem Ministerium natürlich nicht das Rechtabsprechen, vor der Auszahlung eines derartigen Betra-ges zu prüfen, ob alle Voraussetzungen vorliegen – gerneauch im Benehmen mit dem Bundesrechnungshof . Abereines will ich auch deutlich machen: Wenn der Haus-haltsgesetzgeber und damit wir nach sorgfältiger Prüfungim letzten Herbst entschieden haben, dass wir dem Stif-tungsvermögen 10 Millionen Euro zugeben wollen, dannliegt es nicht im Belieben eines Ministeriums, erstmaligim August dieses Jahres zu prüfen, ob das als sinnvollerachtet wird . Gerne möchte ich an dieser Stelle den Ge-dankengang unseres Bundestagspräsidenten bemühen,dass das Parlament nicht Vollzugsorgan der Bundesregie-rung, sondern umgekehrt ihr Auftraggeber ist . Das giltauch beim Haushaltsvollzug .Dr. Tobias Lindner
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Diese Betrachtung unseres Verfassungsgefüges, mei-ne Damen und Herren, bietet mir eine gute Überleitungzu einer weiteren Ausgabe, die wir im Zuge der Etatbe-ratungen in den Haushalt eingefügt haben . Auch wennder Betrag deutlich kleiner ausfällt als der, den ich ebengenannt habe, halte ich die dahinterstehende Überlegungfür sehr wichtig . Wir bringen einen neuen Bundesschü-lerwettbewerb auf den Weg, nämlich den Bundesschüler-wettbewerb „Rechtsstaat“ . Ich habe schon in der Debattezur Einbringung des Etats darauf hingewiesen, dass einderartiger Schülerwettbewerb sinnvoll sein könnte . Ichhabe mich damals darauf berufen, dass nach einer Umfra-ge von Infratest aus dem Jahre 2016 nicht einmal 60 Pro-zent der Befragten der deutschen Justiz vertrauen . DieserWert betrübt und alarmiert zugleich: Wir müssen etwasdagegen tun, zum einen durch konsequentes Handeln derJustiz zur Durchsetzung von Sicherheit und Recht,
zum anderen müssen wir aber auch für unseren Rechts-staat werben, gerade bei der jüngeren Generation .Für vieles gibt es in Deutschland Schülerwettbewerbe:„Jugend forscht“, „Jugend komponiert“, „Jugend grün-det“, Bundesumweltwettbewerb, einen bundesweiten In-formatikwettbewerb und einen Mathematikwettbewerb .Aber für das Thema „Recht“ gab es bisher eine derartigeVeranstaltung nicht . Das wollen wir ändern . Wir wollenjunge Menschen in Deutschland motivieren, sich abseitsdes schulischen Alltags mit unserem Rechtssystem zubeschäftigen . Sie sollen der Frage nachgehen können,was ein faires Gerichtsverfahren auszeichnet, warum beiuns der Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“gilt, warum bei uns Folter und Todesstrafe verboten sindund wie auch der Bürger seinen Staat verklagen kann .Der Rechtsstaat soll für Jugendliche bemerkbar, erlebbarund erfassbar gemacht werden . Im Jahre 2017 soll mitder Finanzierung die Konzeption eines solchen Wettbe-werbs ermöglicht werden, und ich wünsche mir, dass er2018 erstmalig ausgelobt wird . Ich halte einen derarti-gen Wettbewerb für einen sehr kleinen, aber elementarenBaustein, der wichtig ist, um zu zeigen, dass der Rechts-staat nicht nur eine leere Worthülse ist, sondern dass je-der, der in diesem Land lebt, ein ganz eigenes Interessehaben muss, diesen Rechtsstaat tatsächlich weiterzuent-wickeln und zu stärken; in diesen Zeiten mehr denn je .
Und mein drittes Beispiel soll eine Einrichtung an-schieben, die den Rechtsstaat erlebbar machen soll . Wirhaben 200 000 Euro in den Haushalt eingestellt, um zuklären, ob und zu welchen Bedingungen in Karlsruhe das„Forum RECHT“ etabliert werden kann . Mein KollegeCarsten Körber hat beim vorherigen Tagesordnungs-punkt schon darauf hingewiesen . Das „Forum RECHT“soll, ähnlich dem Haus der Geschichte in Bonn, eineInformations-, Dokumentations- und Kommunikations-plattform zum Thema „Rechtsstaat“ – deutscher und eu-ropäischer – werden . Dafür ist die Stadt Karlsruhe mitihrem Sitz von Bundesverfassungsgericht und BGH so-wie ihrer Nähe zu Straßburg geradezu prädestiniert . Ichbin an dieser Stelle unter anderem dem Präsidenten unddem Vizepräsidenten unseres Verfassungsgerichtes sehrdankbar, dass sie vor den Haushaltsberatungen nochmalsden Anstoß für diese erste Förderung durch den Bund ge-geben haben . Jetzt wird es darum gehen, dass der Bund,das Land Baden-Württemberg und die Stadt Karlsruhegemeinsam eine Konzeption auf den Weg bringen undsich dann um die Verwirklichung dieses Forums küm-mern .
Im Kern geht es hier aber um mehr als nur ein muse-umsähnliches Vorhaben . Es geht bei dieser Maßnahmegenau wie bei dem neuen Bundesschülerwettbewerb umdie Frage, wie wir die Werte, die uns ganz maßgeblichgeholfen haben, dieses Land zu dem zu machen, was esheute ist, dauerhaft bei dem ganz überwiegenden Teil derMenschen in unserem Land verankern können: Wertewie Gleichheit und Würde der Menschen, Gewalt- undJustizmonopol des Staates, Meinungs- und Versamm-lungsfreiheit, Werte, die offensichtlich neuerdings – nichtnur in unserem Lande – wieder infrage gestellt werden,in einer Form, die wir vor vielen Jahren für undenkbargehalten haben . Ich glaube, dass eine unserer wichtigs-ten Aufgaben in den kommenden Jahren darin bestehenwird, deutlich zu machen, dass nicht Demokratie allein,also die Umsetzung des Volkswillens bzw . des mehrheit-lichen Volkswillens, der schützenswerte Kern unseresStaates ist, sondern sie erst im Zusammenwirken mit derHerrschaft des Rechts unser Leben lebenswert machtund vor Willkür schützt . In diesem Sinne lassen Sie unsgemeinsam den Rechtsstaat weiterentwickeln, nicht nurmithilfe des Haushaltsrechts .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Klaus-Dieter Gröhler . – Jetzt hat der Mi-nister Heiko Maas das Wort .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! In den vergangenen Monaten undWochen ist auf beiden Seiten des Atlantiks viel über dassogenannte postfaktische Zeitalter gesprochen worden .Es ist ein Zeitalter der falschen Propheten und der po-litischen Wunderheiler, und für die Demokratie sind dasoftmals gefährliche Zeiten .
Wenn Gefühle wichtiger werden als Fakten, dann wirddie Realität irgendwann etwas sehr Subjektives . Und wiekönnen wir eigentlich um die besten Lösungen streiten,wenn wir uns nicht einmal mehr über die Probleme einigsind? In einer solchen Zeit braucht demokratische Politikvor allem Mut zum eigenen Urteil . Die Populisten ha-Klaus-Dieter Gröhler
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ben nämlich nicht recht; Deutschland schafft sich nichtab, Deutschland ist kein sicherer Hafen für Terroristen,und uns droht auch keine Islamisierung des Abendlandes .Politik wird auch nicht dadurch besonders demokratisch,dass man gerade einer lautstarken Minderheit ganz be-sonders aufs Maul schaut .Was sind denn zurzeit die wirklichen, die häufigstenFragen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger? Istmein Arbeitsplatz sicher, und kann ich von dem Lohn,den ich dort erhalte, meine Familie finanzieren? Bin ichvor Kriminalität und Terrorismus gut geschützt? Bleibtmeine Wohnung bezahlbar? Auf diese Fragen Antwortenzu geben, ist die beste Agenda gegen jegliche Form vonPopulismus, und auch die Rechts- und Verbraucherpoli-tik ist hier gefordert .Das haben wir auch getan, zum Beispiel im sozialenMietrecht . In einem ersten Schritt haben wir Menschengeholfen, die sich eine neue Wohnung suchen . Wir habensie mit Einführung des Bestellerprinzips von Maklerkos-ten entlastet und mit der Mietpreisbremse den Anstiegder Mieten begrenzt; Niedersachsen ist gerade das zwölf-te Land, das die Mietpreisbremse eingeführt hat . Dass siein einigen Ländern oder Städten nicht die Wirkung hat,die wir uns davon versprochen haben – in anderen aller-dings sehr wohl –, ist kein Grund, das Instrument insge-samt infrage zu stellen .Wir wollen in einem zweiten Schritt Menschen, dieschon eine Wohnung haben, besser vor Mieterhöhungenschützen, vor allen Dingen im Zusammenhang mit Mo-dernisierungen . Auch die Mieter haben etwas von ener-getischer Sanierung und altersgerechtem Umbau; aberwenn nur modernisiert wird, um die Miete exorbitant zuerhöhen, die Mieter zu vertreiben und anschließend dieMietwohnung als teure Eigentumswohnung zu verkau-fen, dann muss das soziale Mietrecht Instrumente dage-gen vorhalten .
Insofern wird das, in welcher Form auch immer, ein The-ma sein, mit dem wir uns weiter beschäftigen müssen,weil es eine der großen Fragen vieler Bürgerinnen undBürger ist .Meine Damen und Herren, wir haben uns in der Koali-tion auch darauf verständigt – Herr Fechner hat es bereitsangesprochen –, Menschen besser vor Wohnungseinbrü-chen zu schützen . Dazu muss die Aufklärungsquote ver-bessert werden .
Dafür brauchen wir vor allen Dingen auch eine Polizei,die personell und organisatorisch so ausgestattet ist, dasssie entsprechende Straftaten verfolgen und auch verhin-dern kann . Wir werden außerdem die Zuschüsse für denEinbruchsschutz ausweiten, und das vor allen Dingenauch für Mietwohnungen . Und wir wollen, wie bereitsangesprochen, im Strafgesetzbuch den minder schwerenFall bei Wohnungseinbrüchen streichen, auch um zu zei-gen, dass ein Einbruch in die Intimsphäre – mit vielentraumatischen Folgen für die Opfer – eben kein minderschweres Unrecht darstellt .
Meine Damen und Herren, nach dem Zusammen-bruch des Kommunismus hat ein amerikanischer Histo-riker bekanntlich das „Ende der Geschichte“ ausgerufen,also den ultimativen Sieg von Demokratie, Rechtsstaatund Markwirtschaft. Ich finde, nicht erst die Wahl vonDonald Trump hat deutlich gemacht, dass dies vielleichtdoch etwas voreilig gewesen ist . In den USA, aber vorallen Dingen auch in der Türkei, in Polen, in Ungarn, beiPegida und der AfD – überall attackieren Populisten vorallen Dingen eines, nämlich den Rechtsstaat: die Rechtevon Minderheiten, die Freiheit der Presse, die Unabhän-gigkeit der Justiz und auch eine starke Verfassungsge-richtsbarkeit .Vielleicht haben wir diese Werte und Institutionen zulange für selbstverständlich gehalten . Und vielleicht ha-ben wir auch in Deutschland Wertschätzung und Achtungfür unseren Rechtsstaat manchmal vermissen lassen,wenn etwa beim Personal oder auch bei der Besoldungund Ausstattung der Justiz über Gebühr gespart wurdeoder wenn die Justiz nur noch als ein lästiger Bremserund Bedenkenträger dargestellt worden ist .Mit dem Rechtsstaat ist es so ähnlich wie mit der Luftzum Atmen: Erst wenn sie fehlen, fällt es manchem auf,wie wichtig sie sind . Deshalb ist das ein Thema, mit demwir uns auseinandersetzen müssen . Daher passen solcheProjekte, wie Sie sie angesprochen haben, Herr Gröhler,durchaus gut in die Zeit: Auch junge Menschen müssensich mit dem Wert des Rechtsstaats vielleicht etwas in-tensiver auseinandersetzen .Es ist deshalb gut, dass wir bei der Ausstattung derJustiz in vielen Ländern – das können wir überall wahr-nehmen – längst eine Trendwende haben . Mit diesemHaushalt, Herr Claus, schaffen wir neue Stellen beimBundesgerichtshof und beim Generalbundesanwalt, weilwir das, was die Sicherheitsbehörden aufdecken und er-mitteln, in rechtsstaatlichen Verfahren zu einem Ergebnisführen wollen .Wir wollen künftig diejenigen besser schützen – undauch das ist ein wichtiger Punkt –, die unseren Rechts-staat repräsentieren und ihn täglich durchsetzen . In dervergangenen Woche hat wieder ein sogenannter „Reichs-bürger“ sechs Polizisten angegriffen und diese zum Teilschwer verletzt . Hier wollen wir das Strafrecht so ändern,dass Straftaten, die unter Verwendung von gefährlichenWerkzeugen begangen werden, oder Gruppenstraftatenbesser erfasst werden können; denn es sind nicht nur„Reichsbürger“, die unseren Rechtsstaat herausfordern,sondern es sind auch gewalttätige Hooligans und Frem-denfeinde . Wir wollen diejenigen, die den Rechtsstaat,unsere Sicherheit und Freiheit verteidigen, besser schüt-zen, und das sollen in Zukunft auch die Täter zu spürenbekommen .Meine Damen und Herren, die Stärke eines Rechts-staats zeigt sich auch daran, dass er die Kraft hat, eige-ne Fehler zu korrigieren . Die Strafurteile nach § 175 desBundesminister Heiko Maas
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Strafgesetzbuches waren ein solcher Fehler . Deshalbwerden wir diese Urteile aufheben und die Betroffenenendlich von ihrem Strafmakel befreien .
Mit dem vorliegenden Haushalt schaffen wir – dafür binich besonders dankbar – die Voraussetzung für eine indi-viduelle Entschädigung der Opfer, und wir sorgen – sozu-sagen als kollektive Entschädigung – auch für eine wei-tere Förderung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld,die sich gerade mit diesem Projekt intensiv beschäftigt .Meine Damen und Herren, danken möchte ich auchdem Haushaltsausschuss und seinen Berichterstattern fürdie finanziellen Mittel, mit denen wir den Verbraucher-schutz weiter stärken können . Wir werden mit diesemund dem laufenden Haushalt das Kapital der StiftungWarentest um 100 Millionen Euro erhöhen . Sehr geehr-ter Herr Gröhler, darüber zu entscheiden, ob der StiftungWarentest 10 Millionen Euro zugegeben werden, stehtnicht im Belieben eines Ministers, wohl aber ist der Bun-desrechnungshof beteiligt; aber ich bin zuversichtlich,dass wir auch das zeitnah hinbekommen .
Wir schaffen eine Anschubfinanzierung für den neuenMarktwächter Energie, und wir verstetigen die Arbeitbeim Bundesverband der Verbraucherzentralen durch32 neue Stellen, die es dort geben wird .Ein anderes Projekt, an dem man ablesen kann, dassdas Geld, das wir zur Verfügung gestellt bekommen, gutinvestiert wird, ist das Rosenburg-Projekt in unseremHaus . Die Untersuchung, wie das Bundesjustizministe-rium in den 50er- und 60er-Jahren mit der NS-Vergan-genheit umgegangen ist, ist abgeschlossen . Die Akte Ro-senburg liegt auf dem Tisch . Das Ergebnis ist wahrlichkein Ruhmesblatt für unser Ressort, aber deshalb war esnotwendig und überfällig, die Geschichte des Ministeri-ums, gerade auch in dieser Zeit, zu erforschen . Das habenSie als Haushaltsgesetzgeber möglich gemacht, und da-für danke ich Ihnen sehr .
Angesichts des gegenwärtigen Populismus, der uns al-len Sorgen bereitet, täte ein Blick in die Geschichte viel-leicht auch jenen ganz gut, die heute überall Verfall undNiedergang ausmachen, die fest davon überzeugt sind,dass alles immer schlimmer wird . Wenn wir frei wählenkönnten, zu welchem Zeitpunkt der deutschen Geschich-te wir geboren sein möchten – und wir wüssten vorhernicht, ob wir als Mann oder Frau, in einer armen oderin einer reichen Familie, in Ost oder West auf die Weltkommen würden –: Die meisten von uns würden die Ge-genwart wählen; denn nie zuvor – zumindest aufs Gan-ze besehen – waren Freiheit und Frieden höher, warenWohlstand und Chancen fairer verteilt, als das heute derFall ist . Auch das gilt es zu verteidigen, und das wollenwir mit den Mitteln, die uns zur Verfügung gestellt wer-den, gerne tun .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Heiko Maas . – Der Nächste auf der Re-
deliste ist Harald Petzold für die Linke .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Am6 . Mai 1933 plünderten die Nazis die Bestände des Se-xualwissenschaftlichen Instituts von Magnus Hirschfeldhier in Berlin, wenige Meter von uns entfernt, in der Vil-la Joachim im Tiergarten, ehemalige Beethovenstraße 3,dort, wo heute das Haus der Kulturen der Welt steht . Sieverbrannten seine Bücher und vernichteten sein For-schungsinstitut .Am 1 . September 1935 verschärften sie dann denberüchtigten § 175 des Reichsstrafgesetzbuches, dersexuelle Handlungen zwischen Personen männlichenGeschlechts unter Strafe stellte . Diesen Paragrafen gabes seit dem 1 . Januar 1872, und er galt bis zum 11 . Juni1994 . Die Nazis verschärften diesen Paragrafen, indemsie die Höchststrafe von sechs Monaten auf fünf JahreGefängnis anhoben . Darüber hinaus weiteten sie den Tat-bestand der sogenannten beischlafähnlichen Handlungenauf sämtliche „unzüchtige“ Handlungen aus . Es reichtedann schon ein flirtender Blick aus, um verhaftet und ver-urteilt werden zu können . Sie führten darüber hinaus ei-nen neuen § 175a ein, der für erschwerte Fälle zwischeneinem Jahr und zehn Jahren Zuchthaus bestimmte .Dieser § 175 des Strafgesetzbuchs wurde am 11 . Juni1994 gestrichen . Er galt in der alten Bundesrepublik inder Nazifassung fort und hat zwischen 1945 und 1969noch über 50 000 schwule Männer ins Gefängnis ge-bracht . Leider galt er in der Fassung der Weimarer Repu-blik auch in der DDR fort . Es gab auch dort den § 175afür erschwerte Fälle, allerdings ab 1957 faktisch ausge-setzt .Ich bin froh, dass die Große Koalition sich dazu ent-schlossen hat, mit den Nachwirkungen dieses UnrechtsSchluss zu machen und die nach § 175 Verurteilten, alsodiejenigen, die nach 1945 verurteilt worden sind, endlichzu rehabilitieren und zu entschädigen . Auch wenn nochkein konkreter Gesetzentwurf hier im Bundestag vorliegtoder beschlossen worden ist, haben die Mitglieder desHaushaltsausschusses für das Jahr 2017 Mittel für eineindividuelle Entschädigung der Verurteilten in Höhe von4,5 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt . Das istgut so, und das verdient Dank .
Ich halte es trotzdem darüber hinaus für richtig undwichtig – und ich werbe dafür –, unbedingt auch einenHärtefallfonds für all diejenigen einzurichten, die zwarnicht verurteilt worden sind, aber aufgrund von Ermitt-Bundesminister Heiko Maas
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lungen nach § 175, als deren Ergebnis im Regelfall dieHomosexualität dieser Personen offenkundig gewordenist, ihre bürgerliche Existenz, ihre Wohnung, ihren Ar-beitsplatz verloren haben und die ebenfalls in ihrer Men-schenwürde erheblich verletzt worden sind .Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, am6 . Juli 1994, also wenige Wochen nach der Streichungdes Unrechtsparagrafen 175 aus dem Strafgesetzbuch,wurde zur Erinnerung an das Institut Magnus Hirschfeldseine Gedenktafel im Tiergarten aufgestellt . Es brauchtedann noch einmal 17 Jahre, bis zum Jahr 2011, bis dieBundesstiftung Magnus Hirschfeld durch die Bundesre-gierung eingerichtet wurde, namentlich durch das Bun-desministerium der Justiz, dessen Einzelhaushalt wir indieser Woche abschließend beraten . Es ist, wie bei keineranderen Stiftung, Aufgabe dieser Stiftung, die Geschich-te der Diskriminierung und Verfolgung von Homosexu-ellen in Deutschland und in Europa zu erforschen undzu dokumentieren . Wie keine andere wirkt sie mit ihrenMaßnahmen und Projekten darauf hin, dass diese Dis-kriminierung abgebaut wird, dass Menschen über un-terschiedliche sexuelle und geschlechtliche Identitätenaufgeklärt werden und dass Verfolgung nie wieder statt-findet.Ich möchte in dem Zusammenhang auf die erfolgrei-chen Hirschfeld-Tage hinweisen, die im Moment in denBundesländern Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhaltstattfinden, mit denen die Bundesstiftung gemeinsam mitzahlreichen Nichtregierungsorganisationen nachweist,wie ernst sie diesen Auftrag nimmt . Sehr dankbar binich sowohl dem Linken-Ministerpräsidenten Thürin-gens, Bodo Ramelow, als auch dem Bundesjustizminis-ter Heiko Maas von der SPD als auch der sächsischenMinisterin Petra Köpping von der SPD als auch dersachsen-anhaltinischen CDU-Ministerin Anne-MarieKeding, dass sie gemeinsam die Schirmherrschaft überdie Hirschfeld-Tage übernommen haben . Damit zeigensie, was möglich ist, wenn ein Anliegen, das man fürwichtig und richtig erachtet, über Parteigrenzen hinweggemeinsam umgesetzt wird, nämlich: Respekt vor unter-schiedlichen sexuellen Orientierungen und Identitäten,Aufklärung über geschlechtliche und sexuelle Vielfaltsowie Abbau von Diskriminierung und Ausgrenzung .
Es zeigt auch, was möglich ist, wenn politische Ak-teure bereit sind, über ihren Schatten zu springen . Daswar 2011 genauso, als die Bundesstiftung eingerichtetund ein Kompromiss eingegangen worden ist, der dieseBundesstiftung sowohl in der Sache als auch in der Fi-nanzierung ermöglicht hat .Wenn ich mir heute ansehe, wie dramatisch die Fi-nanzsituation der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld ist,muss ich sagen: Möglicherweise braucht es noch einmalden Mut, über den eigenen Schatten zu springen, um si-cherzustellen, dass die Bundesstiftung auch weiterhinerfolgreich arbeiten kann . Da nützt uns Ihre Ankündi-gung nichts, Herr Bundesminister, sondern wir müssenes tatsächlich schaffen, eine institutionelle Förderungder Bundesstiftung, die ihre Arbeit künftig weiter mög-lich macht, hinzubekommen . Dafür wirbt meine Frakti-on nach wie vor . Deswegen fordern wir im fünften Jahrdes Bestehens der Bundesstiftung – ausgerechnet in demJahr, in dem wir diejenigen rehabilitieren und entschädi-gen wollen, die nach § 175 zu Unrecht verurteilt wordensind –, dass es endlich eine solche institutionelle Förde-rung gibt .
Zum Abschluss meiner Rede möchte ich auf eine For-derung meiner Fraktion hinweisen, die wir ebenfalls seitvielen Jahren erheben, nämlich einen Justizopferentschä-digungsfonds einzurichten . Menschen, die aus meinerSicht einen berechtigten Anspruch auf Leistungen auseinem solchen Fonds hätten, verfolgen jede unserer De-batten sehr aufmerksam. Ich finde, sie haben – ebensowie all diejenigen, die zu Unrecht nach § 175 verurteiltworden sind – einen Anspruch darauf, dass Politikerin-nen und Politiker über ihren Schatten springen und end-lich für Gerechtigkeit sorgen .Vielen Dank .
Vielen Dank, Harald Petzold . – Nächste Rednerin:
Elisabeth Winkelmeier-Becker für die CDU/CSU-Frak-
tion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! An den Anfang meiner heutigen Haushaltsrededarf ich einen herzlichen Dank an unseren Finanzminis-ter stellen . Die vierte schwarze Null in Folge zeigt vorallem, dass die finanz- und haushaltspolitische Ausrich-tung der Politik dieser Bundesregierung sehr erfolgreichund sehr gut ist . Dafür unser herzlicher Dank!
Das ist nicht nur „nice to have“, sondern hat auch sub-stanzielle Bedeutung . Mir als Mutter von drei erwachse-nen Kindern ist ganz wichtig, dass dies ein Beitrag zurGenerationengerechtigkeit ist . Wir wollen nicht heute da-rüber entscheiden, wofür die kommenden Generationendas Geld, das sie erwirtschaften, ausgeben, sondern dassollen sie selber entscheiden . Deshalb ist es wichtig, dasswir keine neuen Schulden machen .Mir ist auch wichtig, zu unterstreichen, dass dieseschwarze Null dem Bund politischen Handlungsspiel-raum eröffnet, einen Handlungsspielraum, den man ebennicht hat, wenn man immer an der Grenze zur Verschul-dung arbeiten muss . Das war in den vergangenen Jahren,als wir in der Finanzmarktkrise und in der Euro-Krisewaren, ganz wichtig . Da hat uns diese wirtschaftlicheStärke die Option gegeben, zu agieren und Verantwor-tung zu übernehmen . Mir wird immer ganz mulmig beidem Gedanken, was passiert wäre, wenn diese KrisenHarald Petzold
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Anfang dieses Jahrtausends, unter ganz anderen Vorzei-chen, über uns hereingebrochen wären .
Ich bin froh, dass die gute Haushaltslage dem Bunddie Möglichkeit gibt, den Ländern unter die Arme zugreifen, zum Beispiel im Rahmen des künftig neu gere-gelten Bund-Länder-Finanzausgleichs . Wenn man weiß,dass ich aus Nordrhein-Westfalen komme, ist das, glaubeich, selbsterklärend .
Der Justiz- und Verbraucherschutzhaushalt ist derkleinste Haushalt; das steht natürlich in umgekehrt pro-portionalem Verhältnis zur seiner Bedeutung . Vielleichtwird die Bedeutung dieses Haushalts dadurch unterstri-chen, dass wir ihn heute schon sehr früh, nämlich direktnach dem Einzelplan des Bundesfinanzministeriums, de-battieren .Wir haben unseren Haushalt gegenüber dem Regie-rungsentwurf immerhin noch um 103 Millionen Euroaufgestockt . Damit können wir auch ganz klar Akzentesetzen . Den wesentlichen Aufwuchs gibt es im Bereichder Stärkung der Verbraucherrechte und des Verbrau-cherschutzes . Die Stiftung Warentest wird ganz massivdurch neues, frisches Geld – 90 Millionen Euro – ge-stärkt . Damit unterstreichen wir, wie wichtig uns ihreArbeit für die Verbraucher ist, die hier ganz konkret inihrer Verbraucherkompetenz unterstützt werden . Das istgelebter Verbraucherschutz . Deshalb geben wir diese90 Millionen Euro gerne an die Stiftung Warentest .Von unserem Ansatz her sind wir gegen eine Bevor-mundung der Verbraucher .
Wir halten es auch für in Ordnung, wenn ein Verbrauchereinmal sagt: Ich möchte nicht immer nur ganz vernünftigsein, nicht immer nur an die Gesundheit und dergleichendenken . – Deshalb wollen wir Verbraucher nicht über-bevormunden . Aber wir sehen, dass es Bereiche, Märktegibt, in denen ein strukturelles Ungleichgewicht vor-handen ist und wo es wichtig ist, dass die Verbrauchergestärkt werden . Der Energiemarkt ist so ein Bereich .Deshalb ist es in Ordnung, dass wir auch an der Stelle inBezug auf das Konzept der Marktwächter weitergehenund einen ersten Schritt tun, um auch auf diesem Markteinen Marktwächter zu etablieren .Ich komme zu einem weiteren Akzent in der Rechts-politik . Mir ist der Bundesschülerwettbewerb „Rechts-staat“ wichtig . Ich sage das nicht nur als rechtspolitischeSprecherin, sondern auch als Richterin außer Dienst ist esmir wichtig, noch einmal zu betonen, welche Bedeutungder Rechtsstaat hat . Er sorgt im Prinzip für die Stärkungdes Schwachen, dem materielles Recht bzw . Verfahrens-recht an die Seite gestellt wird, damit er auch bei einemübermächtigen oder übermächtig scheinenden Gegnernicht rechtlos gestellt ist . Das geht bis hin zu Klagen ge-gen den Staat, die durch unseren Rechtsstaat ermöglichtwerden . Das ist essenziell, wie es auch nicht unbedingtselbstverständlich ist . Es ist gut, dass sich die Schüler da-mit auseinandersetzen und das auch zu schätzen wissen .
Meine Damen und Herren, wichtiges Leitmotiv fürdie Union in der Rechtspolitik – in der es ansonsten we-niger um das Ausgeben von Geld, sondern eher um dasSchaffen von guten Regeln geht – ist der Opferschutz .Da sehen wir in einigen Punkten durchaus noch Verbes-serungsmöglichkeiten . Vom Kollegen Fechner wurdenschon die Verbesserungen angesprochen, die wir im Be-reich des Schutzes vor Einbruchdiebstahl vornehmenwollen . Wir wollen den minderschweren Fall abschaffen .Auch wollen wir – aber nicht aus unserem Haushalt –Geld zur Verfügung stellen, um dabei zu helfen, einenbesseren Einbruchschutz auch finanzieren zu können.Im Übrigen wollen wir die Polizei – personell undauch sachlich – besser ausstatten und dafür eine Kam-pagne durchführen . Nun hat der Kollege Dr . Lindnerschon darauf hingewiesen, dass das Geld dafür gar nichtaus unserem Justizhaushalt, sondern aus dem Haushaltdes Innenministeriums, also von Minister de Maizière,kommt . Ich kann hinzufügen, dass auch die Ideen vonder Union kommen . Deshalb sind das gute Ideen, die wirgerne zusammen umsetzen können .
Es gibt viele Beispiele dafür, dass uns der Opferschutzwichtig ist . Aktuell reden wir über den Schutz vor Stal-king . Mittlerweile haben wir die entsprechende Sachver-ständigenanhörung durchgeführt . Ich glaube, da hat sichgezeigt, dass wir im Sinne des Opferschutzes noch einigeStrafbarkeitslücken eliminieren müssen . Vor allen Din-gen müssen wir an der Generalklausel festhalten . Geradeda, wo es um neue Kommunikationsmittel geht, ist derFantasie der Täter keine Grenze gesetzt, doch noch über-griffig zu werden, ohne dass der Wortlaut des Gesetzeserfüllt ist . Da müssen wir vorbeugen .Wenn wir über neue Kommunikationsmittel reden,sind wir aber auch ganz schnell bei einem anderen wich-tigen Thema unserer heutigen Diskussion, nämlich beider Frage: Wie können wir gegen Hasskommentare,Drohungen, erfundene Lügengeschichten und Verleum-dungen in den sozialen Netzwerken effektiv vorgehen?Ich denke, wir müssen da – nachdem lange versuchtworden ist, zu freiwilligen Lösungen zu kommen – jetztauch gesetzliche Vorgaben machen . Menschen, die vonso etwas betroffen sind, sollten ganz schnell den richti-gen Ansprechpartner bzw. einen einfachen Weg finden,um Verleumderisches bzw. Übergriffiges aus dem Netzzu löschen . Hier müssen wir auch die Plattformbetreiberin die Verantwortung nehmen . Es geht nicht an, dass sieein Geschäftsmodell aus dem Ganzen machen, sich abereinen schlanken Fuß machen und keine Verantwortungübernehmen wollen .Für uns ist es allerdings auch noch einmal wichtig,klar zu sagen: Es geht dabei nicht um die Einschränkungvon Meinungsfreiheit . Demokratie muss Diskussionenund Kritik aushalten – auch harsche Kritik . Wenn aberdie Grenze überschritten wird, dann darf nichts anderesals auch in der analogen Welt gelten . Das Internet darfElisabeth Winkelmeier-Becker
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kein rechtsfreier Raum sein . Hier müssen wir unbedingteine gesetzliche Regelung angehen, die auch umfasst,dass die Beweissicherung durch die Betreiber mit unter-stützt werden muss .Ein weiteres wichtiges Anliegen betrifft den Schutzvon jungen Frauen, die sich nicht selbst helfen können:Ich meine das Vorgehen gegen aufgezwungene Kin-derehen . Wenn man den Zahlen glauben darf, dann gibtes bei uns etwa 1 500 Betroffene, die als Zuwanderer zuuns gekommen sind . Aber auch hier in Deutschland gibtes teilweise Rituale religiöser und traditioneller Art, diesolche Verbindungen mit einem Anspruch auf Verbind-lichkeit schließen .Uns ist es hier ganz wichtig, zu sagen, dass das mitunseren Werten und Vorstellungen nicht vereinbar ist .Deshalb sind wir entschlossen, hier sehr schnell zu einergesetzlichen Regelung zu kommen, die diese Ehen auf-hebt . Wir fordern den Justizminister, der dazu ja schonVorschläge entwickelt hat, auf, seine Vorschläge jetztsehr schnell ins parlamentarische Verfahren einzubrin-gen, damit wir rasch zu einer Rechtsgrundlage kommen,um den jungen Mädchen zu helfen .
Ich sehe, dass meine Redezeit begrenzt ist . – Deshalbdarf ich nur noch einmal kurz an das anknüpfen, wasKollege Petzold gerade ausgeführt hat . Sie haben sichja auch sehr ausführlich mit der Entschädigung der nach§ 175 verurteilten Männer beschäftigt . Daher möchte ichhier noch einmal betonen, dass auch wir das sehr begrü-ßen und dass wir das Geld dafür sehr gerne in den Haus-halt eingestellt haben . Um eine gute Regelung werdenwir uns auch in den nächsten Wochen und Monaten nochgemeinsam kümmern .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Elisabeth Winkelmeier-Becker . – Nächs-
te Rednerin: Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Maas, ichwill die allgemeine Aussprache heute für einen Appellan Sie nutzen, einen Appell an den Justizminister, in derverbleibenden Zeit dieser Legislatur den gröbsten Un-sinn zu verhindern und gegen die immer populistischeranmutenden Debatten standzuhalten; denn auch bei unsscheint das Zeitalter des Postfaktischen schon Einzug zuhalten . Kenntnisse von der geltenden Rechtslage sind daoffenbar oft nur noch ein Störfaktor in der allgemeinenErregung .Bestes Beispiel dafür ist die Debatte um die soge-nannten Kinderehen . Der Ruf nach einem Verbot vonKinderehen suggeriert zunächst einmal, so etwas sei inDeutschland erlaubt . Fakt ist aber: Eheschließungen sindbei uns grundsätzlich nur ab 18 Jahren und auch nur vordem Standesbeamten möglich . Fakt ist auch: Irgendwel-che religiösen Zeremonien, wie Imam-Ehen oder Ähnli-ches, haben bei uns keinerlei Rechtswirkungen und sindschlicht nichtig .Einige wollen jetzt, dass solche Zeremonien mit einemBußgeld verfolgt werden . Ich sehe quasi schon vor mei-nem inneren Auge, wie Beamte der Ordnungsbehördenin den Moscheen beim Gottesdienst Protokoll führen .Das kann man nur noch als groben Unfug bezeichnen .
Bei einer sachlichen Befassung damit stellen wir fest:Es gibt an einem Punkt tatsächlich Handlungsbedarf .
Wenn Minderjährige zu uns kommen, die im Auslandwirksam geheiratet haben, dann brauchen wir ein Ver-fahren, mit dem die Aufhebung der Ehe aus Kindeswohl-gründen auch von Amts wegen erfolgen kann .
Dabei geht es aber weder um Anerkennung oder Nich-tigkeit, sondern um eine Aufhebung mit Wirkung für dieZukunft. Ich finde, so viel juristische Differenziertheitmuss schon sein .
Stattdessen verzetteln sich jetzt einige in der völligunerheblichen Frage, ob die Möglichkeit, in Deutsch-land mit familiengerichtlicher Genehmigung schon mit16 Jahren zu heiraten, abgeschafft werden muss . Als obwir keine anderen Probleme hätten!
Diese Ausnahmegenehmigung wird in Deutschland un-gefähr 100 Mal im Jahr erteilt, meist aus guten Gründenund nach Prüfung des Kindeswohls . Zu dieser völlig ir-relevanten Frage erhalte ich als Bundestagsabgeordneteseitenlange Schreiben aus Landesjustizministerien, vondenen ich in den letzten drei Jahren bei all den gravieren-den Einschnitten in die freiheitliche Rechtsordnung
durch immer neue Strafverschärfungen noch nie ein Wortdes Widerstands gehört habe .
Herr Maas, ich bitte Sie: Legen Sie eine konkrete,sachbezogene Lösung vor, und bieten Sie dem populisti-schen Geschrei Einhalt! Dann können Sie auch auf unse-re Unterstützung zählen .
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Ich wundere mich allerdings auch, wie schnell Sie indieser Sache plötzlich aktiv werden, während wir dieHoffnung längst aufgegeben haben, in dieser Legisla-turperiode lang angekündigte Gesetzentwürfe, wie bei-spielsweise zum kollektiven Rechtsschutz oder zumSchmerzensgeld für Angehörige, zu Gesicht zu bekom-men . Aber vielleicht geschehen ja noch Wunder .Ich wünsche mir von einem Justizminister aber auch,dass er dem ständigen Verlangen der Konservativen nachneuen Sicherheitspaketen standhält . Es wird doch keineinziger Anschlag dadurch verhindert, dass Sie sich jetztmit dem Innenminister auf Fußfesseln für Extremistenund Videoüberwachungen im öffentlichen Raum geei-nigt haben .
Im Gegenteil: Es ist eine gefährliche Illusion, zu glauben,wir könnten ein Gefühl von Sicherheit vermitteln, indemwir ständig die Gesetze ändern . Das ist wie eine Droge,bei der wir ständig die Dosis erhöhen müssen, um dieWirkung zu erhalten .
Was die Menschen in diesem Land brauchen, ist we-der Fußfessel noch Burkaverbot, sondern eine politischeFührung, die mit Bedacht handelt, statt Ängste zu schü-ren;
eine politische Führung, die zugesteht, nicht jeden An-schlag verhindern zu können, die aber deutlich macht,dass unser Rechtsstaat über die Instrumente verfügt,mit den Herausforderungen umzugehen; eine politischeFührung, die gerade jetzt den freiheitlichen Rechtsstaatverteidigt und sich dem Ansturm der Populisten entge-genstellt .Herr Justizminister, je stärker dieser Wind bläst, destomehr sind gerade Sie gefordert . Seien Sie also bitte keinFähnchen im Wind, sondern ein Fels in der Brandung!Denn das ist es, was unser Land und unser Rechtsstaatjetzt braucht .Vielen Dank .
Vielen Dank, Katja Keul . – Nächste Rednerin: Elvira
Drobinski-Weiß für die SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Verehrte Zuschauerinnen und Zuschau-er auf den Tribünen! 2013 sind wir mit dem Ziel in denWahlkampf gezogen, Verbraucherinnen und Verbraucherbesser vor Risiken zu schützen und ihnen zu helfen, ihreRechte wirksamer durchzusetzen . Das Ziel war und ist,transparente Märkte zu schaffen, auf denen sichere undnachhaltige Produkte angeboten werden .Ich kann heute nur stichpunktartig Bilanz ziehen – dasist der letzte Haushalt in dieser Legislaturperiode, den wirhier miteinander beschließen; ich konzentriere mich aufdie für eine gute Verbraucherpolitik notwendigen Struk-turen –: Wir haben zum Beispiel bei der Bundesanstaltfür Finanzdienstleistungsaufsicht, abgekürzt BaFin, denkollektiven Verbraucherschutz als weiteres Aufsichtszielmit dem Kleinanlegerschutzgesetz im Finanzdienstleis-tungsaufsichtsgesetz, abgekürzt FinDAG, verankert .Außerdem haben wir 2014 den Sachverständigenratfür Verbraucherfragen eingerichtet . Es ist uns wichtig,dass Erkenntnisse aus verbraucherbezogenen Wissen-schaften in unsere Strategien für eine gute Verbraucher-politik einfließen. Tatsächlich sind die Mittel für die Ver-braucherforschung in den vergangenen Jahren nahezuverdoppelt und nicht gekürzt worden .
Die alternative Streitbeilegung ist mein nächstesStichwort. Es muss ein flächendeckendes Angebot außer-gerichtlicher Streitbeilegungsstellen vorhanden sein . DasMinisterium der Justiz und für Verbraucherschutz fördertim Rahmen eines Pilotprojektes bis 2019 eine privat or-ganisierte, sogenannte Allgemeine Verbraucherschlich-tungsstelle .Neu geschaffen und einem sehr großen Teil der Bevöl-kerung schon bekannt sind die Marktwächter für Finan-zen und für die Digitale Welt . Im Gegensatz zu dem, washier vorhin gesagt worden ist, finde ich, das ist genau derrichtige Weg . Auf Basis eigener Untersuchungen und aufdie Beschwerden von vielen Tausenden von Menschenhin haben die Marktwächter bereits die Öffentlichkeit,die Behörden und die Politik auf Probleme und Missstän-de im Markt aufmerksam machen und Verbraucherwar-nungen aussprechen können . Das ist gut, und wir habenimmer betont, dass wir die beiden Marktwächter verste-tigen
und den Ausbau weiterer Marktwächter anstoßen wollen,Herr Lindner . Ich bin besonders stolz darauf, dass es jetzt1,5 Millionen Euro für einen Marktwächter Energie gibt .
Das betrachte ich sehr wohl als Anschubfinanzierung indem vorliegenden Haushalt . Wir werden uns auch dafürKatja Keul
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einsetzen, dass genau diese Politik engagiert fortgesetztund dauerhaft etabliert wird .
Spätestens seit den Verhandlungen zu CETA und TTIPwissen wir, dass auch international der Verbraucher-schutz einen hohen Stellenwert hat . Allen ist auch klar,wie wichtig es ist, sich frühzeitig gemeinsam über dieVerbraucherstandards auszutauschen . Ich begrüße des-halb, dass es im Rahmen der G-20-Ratspräsidentschaftim nächsten Jahr am Weltverbrauchertag, am 15 . März,eine große Veranstaltung zum Thema „Digitaler Ver-braucherschutz“ geben wird, die auch mit einer entspre-chenden Summe aus dem Ministerium der Justiz und fürVerbraucherschutz finanziert wird, ebenso wie die Ver-anstaltung beim Deutschen Verbrauchertag im nächstenJahr, der unter dem Thema „Verbraucherschutz schafftSicherheit“ steht; denn Sicherheit schafft Vertrauen . Ichbin dem Minister der Justiz und für Verbraucherschutzdankbar dafür, dass dies finanziert wird.Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Elvira Drobinski-Weiß . – Nächste Red-
nerin: Nicole Maisch für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister, im Fußball sagt man: Geld schießt kei-ne Tore . – Im übertragenen Sinne gilt das auch für dieschwarz-rote Verbraucherpolitik . Über die Bereiche„Ernährung“ und „gesundheitlicher Verbraucherschutz“sage ich an dieser Stelle nichts; dafür kann Herr Maaswirklich nichts . Aber auch in Ihrem Geschäftsbereichklaffen Lücken in der Verbraucherpolitik .Nehmen wir das Zukunftsthema „nachhaltiger Kon-sum“. Im Haushalt findet sich kein Cent für die Um-setzung des Nationalen Programms für nachhaltigenKonsum. Es findet sich auch nichts zu einer verbraucher-gerechten Umsetzung der CSR-Richtlinie . Dabei brau-chen wir das doch so dringend, damit die Konsumentendie seitenlangen Berichte, die die Unternehmen in Zu-kunft verfassen sollen, verstehen und vergleichen kön-nen. Wir finden auch nichts zur Förderung nachhaltigerGeldanlagen . Dabei brauchen wir endlich ein verlässli-ches Label, damit nicht zum Beispiel der Ökostrombezie-her über seinen Fondssparplan in Kohle und Atom inves-tiert oder die Eine-Welt-Aktivistin nicht feststellen muss,dass sie mit ihrer privaten Altersvorsorge ausbeuterischeKinderarbeit oder Rüstungsgüter finanziert. Hier, findenwir, hätte ein Verbraucherminister wirklich etwas zu tun .Im Bereich „nachhaltiger Konsum“ sehen wir aber leidernichts . Das sollte sich dringend ändern .
Herr Minister, wir werfen Ihnen auch vor, wichti-ge Verbrauchergruppen nicht im Blick zu haben . Wennman sich damit beschäftigt, wofür im Bereich Verbrau-cherinformation Geld ausgegeben wird, findet man einestarke Fokussierung auf den Bereich „Seniorinnen undSenioren“ . Das ist sicher nicht falsch; auch alte Kon-sumentinnen und Konsumenten müssen berücksichtigtwerden . Aber wo tun Sie etwas für die schutzbedürftigsteKonsumentengruppe von allen, nämlich die Kinder? Wirfordern Sie auf: Sichern Sie die Finanzierung des Mate-rialkompasses dauerhaft, damit Lehrmaterialien Kinderschlau machen, statt Schleichwerbung für Konzerne zubetreiben! Sie haben das für den digitalen Bereich zu-gesagt; aber wir finden, dass auch in den Bereichen Fi-nanzen und Ernährung Kinder im Unterricht qualitativhochwertige Unterrichtsmaterialien statt Schleichwer-bung brauchen .
Und wir fordern Sie auf: Starten Sie ein Projekt „digi-taler Verbraucherschutz für Kinder“! Im Netz sind Kindernoch schlechter als im Fernsehen oder Radio vor direktenKaufaufforderungen und illegaler Werbung geschützt .Zum Beispiel bei den In-App-Käufen gibt es Praktiken,die nicht fortgeführt werden dürfen . In einem solchenProjekt bestünde die Möglichkeit, die Verbandsklage imDatenschutz, die Sie neu eingeführt haben, zu nutzen undden Anbietern zu zeigen, dass das Netz kein rechtsfreierRaum ist, besonders wenn es um den Schutz von Kinderngeht .Klar ist: Geld allein macht keine gute Politik . Dasmerkt man an den Marktwächtern . Wir fordern Sie auf,dieses wichtige Instrument endlich institutionell zu för-dern und besser mit den Aufsichtsbehörden zu verzah-nen . Geben Sie Ihren Marktwächtern endlich richtigeZähne!
Dazu hätte es eines etwas kämpferischen Verbraucher-schutzministers bedurft . Wenn man sich anschaut, wiediese Regierung im Konflikt mit großen Unternehmenagiert, dann ist es nicht verwunderlich, dass VW-ChefMüller glaubt, in Deutschland als Reaktion auf Diesel-skandal und Versagen bei E-Mobilität die Kundinnen undKunden beschimpfen zu können, statt darüber nachzu-denken, was man für mehr Verbraucherschutz tun könnte .Schauen wir uns an, was Sie im Finanzbereich ge-macht haben, Stichwort „Wohnimmobilienkreditrichtli-nie“ . Es ist erstaunlich, dass diese Bundesregierung zu-sammen mit der schwarz-roten Koalition rückwirkend indie Widerrufsrechte von Kundinnen und Kunden einge-griffen hat, nur weil die Sparkassen sie auf die Bäume ge-trieben haben . Das ist unglaublich und bleibt noch immerein schwarzer Fleck auf Ihrer Verbraucherschutzweste .
Wir wünschen uns für den Rest der Legislaturperio-de, dass den Ankündigungen des Ministers endlich Tatenfolgen . Wir wünschen uns mehr Verbraucherschutz undElvira Drobinski-Weiß
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weniger Ankündigung . Damit ist klar, dass wir diesemHaushalt nicht zustimmen können .
Vielen Dank, Nicole Maisch . – Nächster Redner:
Dr . Patrick Sensburg für die Unionsfraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Der vorliegendeBundeshaushaltsentwurf für das Jahr 2017 weist mit ei-nem Gesamtvolumen von rund 320 Milliarden Euro ei-nen guten Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben aus .Ich danke in erster Linie den Haushältern für die guteZusammenarbeit mit den Fachpolitikern aus dem Jus-tiz- und Verbraucherschutzressort . Das hat in den letztenWochen der Beratungen gut geklappt . Ganz herzlichenDank, dass die Zusammenarbeit von Fachpolitikern undHaushaltspolitikern immer so exzellent klappt!Lassen Sie mich eines vorweg sagen: Der Ausgleichvon Einnahmen und Ausgaben ist wirklich ein Marken-kern der Union . Wir achten darauf, dass die Wünsche,die in einem Einzelplan ihren Ausdruck finden, denAusgaben, die man sich leisten kann, entsprechen unddas Ganze nicht aus dem Ruder läuft, sondern zu einemAusgleich gebracht wird . Es ist ein Markenzeichen derUnion, zu einem Ausgleich zu kommen . Es ist gut, dasswir das so machen .Verfolgen wir einmal, wie es in den Bundesländernläuft . Schauen wir nach Nordrhein-Westfalen, wo eineanders geführte Landesregierung den Haushalt aufstellt .
Man sieht, dass dort die Ausgaben aus dem Ruder laufen;das ist festzustellen . Ich wünsche mir, dass auch die Lan-desregierungen eine so gute Haushaltspolitik betreiben,wie sie unter Führung von Angela Merkel und Finanzmi-nister Schäuble betrieben wird .
Fast alle Redner der einzelnen Fraktionen, die zuvorzum Haushalt für Justiz und Verbraucherschutz geredethaben, haben sich Zeit genommen, um das Ressort desInnenministeriums zu loben .
An dieser Stelle muss man Innenminister de Maizièreund Staatssekretär Krings danken . Wenn in den Bera-tungen über den Einzelplan für Justiz und Verbraucher-schutz das Innenministerium so breit gelobt wird,
dann scheinen wir doch viel richtig gemacht zu haben .
– Lieber Kollege Hahn, die einzige Fraktion, die nichtgelobt hat, ist die Linke; diese hat sich beim Lob sehrzurückgehalten . Sie haben offenkundig noch immer einetwas gestörtes Verhältnis zu staatlichen Institutionenund der Rechtsstaatspolitik . Daher kann ich verstehen,dass Sie die einzige Fraktion waren, die das Innenressortnicht gelobt hat .
Lassen Sie mich nun auf den zur Diskussion stehendenEinzelplan eingehen – Kollege Gröhler hat das bereitsgesagt –, der „lediglich“ rund 800 Millionen Euro auf-weist . Das sind knapp 2,5 Prozent des Gesamthaushalts .Man kann sagen, dass sich gute Rechtspolitik und guteVerbraucherpolitik nicht ausschließlich nach dem Volu-men bemessen lassen, sondern nach den Inhalten . DiesesPolitikfeld hat für die Verbraucherinnen und Verbraucherbzw . die Bürgerinnen und Bürger eine große Bedeutung .Dennoch lässt sich feststellen, dass es ein gewisses Un-gleichgewicht zwischen den Bereichen Recht und Ver-braucherschutz gibt . Für den Verbraucherschutz ist mehrGeld eingestellt . Ich wünsche mir, dass wir im Rechtsbe-reich noch das eine oder andere akzentuiert vorantreiben .
Um es deutlich zu sagen: Es ist wichtig, für gutenVerbraucherschutz ausreichend Mittel einzustellen . AberVerbraucherschutz darf den mündigen Bürger nichtvöllig an die Hand nehmen und seine Eigenverantwor-tung außer Acht lassen . Ich wünsche mir, dass wir dasGleichgewicht, wie es in den letzten Jahren existiert hat,fortschreiben . Es darf keinen überschießenden Verbrau-cherschutz geben, sondern es muss ein Gleichgewichtzwischen den Interessen des mündigen Bürgers auf dereinen und der Schutzfunktion und der Fürsorgepflicht desStaates auf der anderen Seite geben .Insbesondere bei der Digitalisierung gibt es im Be-reich der Rechts- und Verbraucherschutzpolitik noch ei-niges zu machen . Herr Minister Maas, Sie hatten den run-den Tisch zum Thema „Hate Speech“ einberufen . Dabeiist leider bisher effektiv noch nichts herausgekommen .Ich bin sehr dankbar, dass der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder, mit seinen eindringlichenWorten Bewegung in die Diskussion über eine möglicheNovelle zum Teledienstegesetz gebracht hat . Sonst wer-den wir in diesem Bereich möglicherweise keinen Erfolghaben . Hate Speech können wir nicht akzeptieren; vieleRedner haben das schon gesagt . Dieses Thema müssenwir jetzt entschlossen anpacken .Zunehmend sind Verbraucher mit dem Phänomendes Individual Pricing konfrontiert . Dabei erzeugen Al-gorithmen auf der Basis generierter Daten individuellePreise, wobei nicht transparent ist, wie die Preise zu-stande kommen . Ich glaube aber, dass uns der Grundsatzder sozialen Marktwirtschaft sagt, dass die Preisbildungtransparent sein muss und es nicht Algorithmen überlas-sen sein darf, wer wie viel für ein bestimmtes ProduktNicole Maisch
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bezahlt . Hier müssen wir nachbessern . Ich glaube, es istauch eine Aufgabe effektiven Verbraucherschutzes, et-was gegen das Individual Pricing zu machen .
Der andere Bereich, wo wir schon angesetzt haben,aber wo wir noch mehr machen müssen – es ist noch keinErgebnis da –, ist die Praxis des Geoblockings . Dabeibestimmt der Standort des Verbrauchers und nicht dasGleichgewicht von Angebot und Nachfrage den Preis .Auch hier sind wir nicht weitergekommen . Auch hiermüssen wir im Rahmen der Verbraucherpolitik mehr tun .Nicht weniger als einen New Deal forderten Sie, HerrMinister, im vergangenen Jahr im Bereich des Urheber-rechts . Man muss sagen: Etwas Neues hat es nicht gege-ben . Wir sind immer noch weit von Lösungen entfernt .Ich wünsche mir, dass wir hier einen weiteren Schritt ge-hen . Herr Minister, Sie haben die Unterstützung der Uni-o
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Staatssekretär Billen und Staats-
sekretär Kelber . Ich glaube, mit den Fachleuten und mit
Unterstützung der Union müsste es uns gelingen, eine
gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit bei diesen
Themen zu erreichen .
Im Rechtsbereich ist es uns auf vielen Feldern leider
nicht gelungen, die angestoßenen und ins Visier gefass-
ten Gesetzesvorhaben zum Abschluss zu bringen . Ich
möchte aber Staatssekretär Lange danken . Nach einigen
Jahren Verspätung ist es uns gelungen, die Verordnung
zum Mediationsgesetz auf den Weg zu bringen . Das ist
gut; die Verbände freuen sich, sie sind zufrieden, dass
wir weitermachen können . Meine Vorrednerin hat es an-
gesprochen: Was die außergerichtliche Streitbeilegung
betrifft, wünsche auch ich mir, dass wir im Grunde bei
allen Verfahren, die es im Bereich der außergerichtli-
chen Streitbeilegung gibt, schauen, dass wir eine gewisse
Konsistenz zwischen Schlichtung, Obmännern bzw . Ob-
frauen, der Mediation und anderen Verfahren erreichen .
Wir müssen in die Verfahren im deutschen Rechtssystem
mehr Konsistenz bringen .
Weitere Projekte sind leider immer noch auf der lan-
gen Bank . Ich erinnere an das wichtige Projekt der Insol-
venzanfechtung .
Hier finden noch Gespräche statt; aber das Projekt ist
nicht umgesetzt . Herr Kollege Fechner, ich erinnere mich
an das Ende der letzten Legislaturperiode . Da haben wir
mit dem Wirtschaftsministerium und dem damaligen
BMJ intensive Gespräche geführt und wollten die Insol-
venzanfechtung anpacken . Das BMJ blockierte damals,
und jetzt blockiert das BMJV in den Gesprächen . So
empfindet es die Wirtschaft.
Das Wirtschaftsministerium würde sich deutlich mehr
wünschen . Das hat sich in dieser Legislaturperiode lei-
der nicht geändert . Ich wünsche mir, dass wir das Thema
Insolvenzanfechtung intensiv aufnehmen . Es ist Aufgabe
des Justizministeriums, die Wirtschaft an dieser Stelle
nicht alleine zu lassen .
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung von Herrn Kollegen Flisek?
Na klar, logisch .
Herr Kollege Sensburg, Sie haben gerade auf die durch-
aus nicht ganz einfachen Verhandlungen zum wichtigen
Urhebervertragsrecht verwiesen und haben, wenn ich
Sie richtig verstanden habe, bedauert, dass in der Sache
nichts weitergehe . Da möchte ich Sie schon fragen – weil
wir an einem Punkt sind, wo wir ein wenig Farbe beken-
nen müssen –, ob die Unionsfraktion, wenn sie das hier
zum Gegenstand der Debatte macht, denn bereit wäre,
sich bei der Frage eines angemessenen Auskunftsanspru-
ches zugunsten der Kreativen in diesem Land – wohlge-
merkt: der Auskunftsanspruch ist ein Hilfsanspruch, um
eine angemessene Vergütung durchzusetzen – endlich ein
Stück weit zu bewegen, damit wir das Paket zuschnüren
können . Sie fordern ein Leistungsschutzrecht für Presse-
verleger, das Sie den Kreativen nicht zubilligen wollen;
die Probleme, die Sie skizzieren, sind dieselben . Von den
Onlineplattformen aber wird das eingefordert . Wie kön-
nen Sie sich positionieren, damit daraus eine konsisten-
te Lösung wird? Ich würde Sie schon gerne bitten, sich
dazu mehr und deutlicher zu äußern; denn der Moment
wäre geeignet, die Sache wirklich nach vorne zu bringen .
Herr Kollege Flisek, als Berichterstatter der SPD-Frak-tion für dieses Themengebiet verhandeln Sie jetzt seitdrei Jahren . Schon in der letzten Legislaturperiode hattenwir das Thema Urheberschutz auf der Agenda .
– Ja, das war am Ende der Legislaturperiode . Wir habenkein Ergebnis erreichen können, auch weil die Zeit fehl-te .
In dieser Legislaturperiode haben wir das Thema wie-der aufgegriffen . Seit drei Jahren wird verhandelt . Sie ha-ben jetzt zwei von mehreren Punkten der Verhandlungengenannt, bei denen wir noch nicht im Konsens sind . Esliegt erst einmal an den Verhandlern, über die Vielzahlder Punkte einen Konsens zu erreichen . Ihn haben wirnicht, weil Sie auch bei Ihren Punkten nicht nachgeben .
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Insofern würde ich mir wünschen, dass diese Verhand-lungen zu Ende gebracht werden und dass als Ergebnisder Zusammenarbeit mit dem Justizministerium ein-mal eine Lösung auf den Tisch kommt und nicht endlosverhandelt wird . Dasselbe erleben wir – ich habe es er-wähnt – bei den anderen Projekten, zum Beispiel bei derInsolvenzanfechtung . Auch da haben wir Lösungen aufdem Tisch liegen .
Auch hier wird das Vorliegende mit anderen Bereichenvermengt . Das gesamte Insolvenzrecht wird plötzlich inAngriff genommen, und eine Lösung wird nicht erreicht .Von daher: Specken Sie das Ganze ab auf die wesentli-chen Punkte!
Dann kommen wir zu einem Konsens . Aber so wird esnicht gehen .
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der dasStraf- und Prozessrecht betrifft . Auch hier haben wir mitvielen Forderungen stark begonnen . Es sollte der Mord-paragraf geändert werden . Es sollte eine große StPO-Re-form geben . Beim Mordparagrafen sehen wir jetzt, dasseine kluge Ausgestaltung dieser Norm gar nicht so ein-fach ist, dass § 211 StGB eine gute Norm ist, mit einerdezidierten Rechtsprechung .
Ich weiß zurzeit nichts von weiteren Initiativen aus demBMJV für eine Überarbeitung . Es ist still geworden . Ichwürde mir auch hier wünschen, dass Klarheit herrscht,wie es weitergeht .Besonders bedauerlich ist der Verlauf der großenStPO-Reform . Es war am Anfang der Legislaturperiodeals wesentliches rechtspolitisches Projekt angedacht, diegesamte StPO zu überarbeiten und vom Ermittlungs-verfahren über das Zwischenverfahren über das Haupt-verfahren bis zu den Rechtsmitteln und dem Strafvoll-zug, also dem Vollstreckungsverfahren, ein konsistentesGesetzeswerk einer StPO zu schaffen, die im Grundebeschleunigende Verfahren ermöglicht . All das ist imGrunde schon in der eingesetzten Kommission geschei-tert . Nur wesentliche Einzelpunkte sind übrig geblieben;sie stehen derzeit in der Verhandlung . Regelungen füreinen effektiveren, beschleunigten Strafprozess findenwir im derzeitigen Gesetzentwurf nicht mehr vor . DieNeuregelung der Anbahnungsgespräche, die Sachver-ständigenauswahl oder beispielsweise die gerichtlicheÜberprüfung der Bestellung eines Pflichtverteidigers imErmittlungsverfahren, all das kostet mehr Zeit und be-schleunigt das Verfahren nicht .Nicht im Gesetz beinhaltet ist die sogenannte Quel-len-TKÜ . Das ist aber eine Forderung der Justizminis-terkonferenz, des Generalbundesanwalts und der Ge-neralanwälte der Länder; sie wurde erst vor 14 Tagenwieder aufgestellt . Herr Justizminister, Sie haben imZusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung einenklugen Gesetzentwurf unterstützt und vorangebracht .Jetzt müssen Sie sich auch bei der Quellen-TKÜ, wenndie StPO-Reform kommen soll, bewegen . Dann bringenwir gemeinsam ein gutes Gesetzeswerk zustande .Viele Punkte müssen wir noch anpacken . Ich habeeinige im Bereich Verbraucherschutz genannt . Hinzukommen einige rechtspolitische Punkte . Ich hoffe, HerrMinister, dass Sie sich im kommenden Jahr, das uns nochverbleibt, mit der Unterstützung der Haushälter und die-sem Haushaltsansatz zur Behandlung dieser Themen ent-schließen können . Wir haben ja gerade gehört: Sogar fürdie Magnus-Hirschfeld-Stiftung haben wir noch einmalGeld in den Haushalt eingestellt . – Packen Sie die Pro-jekte beherzt an! Sonst habe ich die Sorge, dass wir indieser Legislaturperiode, anders als in den letzten Jahren,nicht viele rechtspolitische Vorhaben umsetzen werden,und das wäre sehr schade .Danke schön .
Vielen Dank, Dr . Sensburg . – Das Wort zu einer Kurz-
intervention hat Dr . Harbarth von der CDU/CSU-Frak-
tion .
Herr Kollege Flisek, Sie haben die Frage aufgewor-
fen, wann die Unionsfraktion endlich bereit sei, im Be-
reich des Urhebervertragsrechts, im Bereich des Aus-
kunftsrechts zu einer angemessenen Lösung zu kommen .
Es liegt ja ein Vorschlag Ihres Bundesjustizministers auf
dem Tisch . Mit diesem Vorschlag sind wir einverstanden .
Wenn Sie den Eindruck erwecken, dass dieser Vorschlag
unangemessen sei, dass wir endlich zu einer angemes-
senen Regelung kommen sollten, dann möchte ich diese
Kritik am Bundesjustizminister zurückweisen .
Weil ich heute gut aufgelegt bin, habe ich Sie nicht un-terbrochen . Eine Kurzintervention muss sich eigentlichauf den unmittelbaren Vorredner beziehen; das wissenSie ganz genau .
Dr. Patrick Sensburg
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Weil ich heute besonders nett bin – das ist aber eigentlichimmer so –, habe ich das zugelassen .Die nächste Rednerin ist Christina Jantz-Herrmann fürdie SPD-Fraktion . – Bitte schön .
Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine lieben Kol-
leginnen und Kollegen! Sehr verehrte Zuhörerinnen
und Zuhörer! Es bedarf keiner großen mathematischen
Expertise, um festzustellen, dass auch im Jahr 2017 der
Haushalt des Bundesministeriums der Justiz und für
Verbraucherschutz im Vergleich zu den Haushalten der
anderen Ministerien eher schmal ist . Nun lässt sich aber
zum Glück nicht nur am Haushaltsvolumen beurteilen,
wie gut ein Ministerium arbeitet, sondern es sind die kon-
kreten Projekte, die maßgeblich sind . Hier braucht sich
gerade unser Bundesjustizminister Heiko Maas nicht zu
verstecken .
Wir haben großen Wert darauf gelegt, dass der Ver-
braucherschutz erneut viel Platz im Haushalt einnimmt .
Insbesondere die schrittweise Erhöhung des Stiftungska-
pitals der Stiftung Warentest auf 175 Millionen Euro und
auch die Anschubfinanzierung für die Marktwächter im
Bereich der Energie mit 1,5 Millionen Euro sind hier zu
nennen . Viele weitere Punkte hat meine Kollegin Elvira
Drobinski-Weiß schon angesprochen .
Für mich zeigt sich, dass es eine richtige Entschei-
dung der Großen Koalition war, den Verbraucherschutz
beim Justizministerium anzusiedeln; denn der rechtliche
Verbraucherschutz ist heutzutage wichtiger denn je . Ein
gutes Beispiel für einen praxisnahen Verbraucherschutz
ist das sehr informative Onlineverbraucherportal „Wis-
sen wappnet .“ . Es bietet Hilfestellung bei Finanzfragen
oder bei Problemen im Reiserecht . Es berät zudem auch
über Kostenfallen im Internet und vieles mehr . Es wer-
den komplexe Rechtsfragen verständlich erläutert, mitt-
lerweile sogar per App .
Loben möchte ich an dieser Stelle aber auch Heiko
Maas’ Engagement gegen Hasskriminalität im Internet;
denn wenngleich eigentlich klar sein sollte, dass auch im
Internet deutsches Recht zu gelten hat, sieht die Reali-
tät leider anders aus . Im Internet, auf den sozialen Platt-
formen, wird beleidigt und gepöbelt; falsche Tatsachen
werden willkürlich verbreitet, Mobbing steht ganz oben
auf der Tagesordnung . Hier ist es wichtig einzugreifen .
Genau das ist eine Form des Verbraucherschutzes, und
zwar des Schutzes der Kinder .
Durch die Einrichtung der Taskforce gegen Hassbot-
schaften im Internet im Jahr 2015 wurde ein Grundstein
dafür gelegt . Unsere Minister, allen voran Heiko Maas
und Manuela Schwesig, suchen die kritische Auseinan-
dersetzung mit Facebook & Co .; und das ist auch gut so .
Wir brauchen eine viel schnellere und konsequentere
Entfernung rechtswidriger Hassposts . Hier müssen wir
den Druck aufrechterhalten und auch noch verstärken .
Das BMJV bildet zudem einen verlässlichen Partner,
wenn es darum geht, Gleichstellung voranzubringen so-
wie Familien und Frauen zu stärken . Neben der bereits
erfolgreich erkämpften Frauenquote gibt es weitere
Punkte; zwei möchte ich hier ganz besonders anspre-
chen: erstens die Unterstützung des dringend benötigten
Entgeltgleichheitsgesetzes und zweitens die Ausweitung
des Unterhaltsvorschusses . Bei der Ehe für alle, liebe
Kolleginnen und Kollegen der Union, knirscht es bei Ih-
nen leider immer noch etwas im Getriebe . Hier erhoffen
wir uns mehr Wind unter den Flügeln .
Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld wird in die
institutionelle Förderung aufgenommen und erhält gute
500 000 Euro pro Jahr; Herr Petzold, Sie hatten das vor-
hin angesprochen . Dies zeigt, wie wichtig das BMJV die
Gleichstellungspolitik, die Antidiskriminierung nimmt .
Dass zudem im Rahmen des Gesetzes zur Entschädigung
der wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen
Verurteilten zunächst 4,5 Millionen Euro zur Verfügung
gestellt werden, ist aus meiner Sicht ein längst überfälli-
ger Schritt – umso wichtiger, dass dieser mit dem Bun-
deshaushalt 2017 gegangen wird .
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren .
Vielen Dank, Frau Kollegin Jantz-Herrmann .
Ich begrüße recht herzlich in unserem Haus – wir ha-
ben sie gerade entdeckt – Andrea Voßhoff, die Bundesbe-
auftragte für Informationsfreiheit .
Nächster Redner: Helmut Brandt für die CDU/
CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Verehrte Zuschauer und Zuschauerinnen!Heute ist gesagt worden, dass es wichtig ist – ich haltedas auch für wichtig –, junge Leute an den Rechtsstaatheranzuführen . Ich habe im Jahresdurchschnitt etwa800 Schülerinnen und Schüler aus dem Wahlkreis, mitdenen ich die übliche Diskussionsstunde durchführe, undmuss leider feststellen, dass der Kenntnisstand minimalist .
Ich kann es eigentlich gar nicht nachvollziehen, dass dieCurricula offensichtlich zu selten vorsehen, dass diesesThema mit den Schülerinnen und Schülern angegangenwird . Insofern halte ich das für eine wichtige Maßnahme .Vizepräsidentin Claudia Roth
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Meine Damen und Herren, ich möchte mich heutevor allen Dingen mit dem ebenfalls jetzt vorgesehenenTagesordnungspunkt, nämlich dem Einzelplan zum Bun-desverfassungsgericht, beschäftigen und dabei auch aufdie obersten Bundesgerichte eingehen . Ich möchte dabeieinem Eindruck widersprechen, der nach meiner Auf-fassung hier eben erweckt wurde: Die deutsche Justizist im Wesentlichen von unseren Bürgerinnen und Bür-gern anerkannt . Ich glaube – das muss ich ganz ehrlichsagen –, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger sehrauf unsere Justiz bauen und auch bauen können . Aller-dings müssen auch die Bundesländer bei den unterins-tanzlichen Gerichten verstärkt dafür Sorge tragen, dassdie Verfahrensdauern abgekürzt werden . Das gilt nachmeiner Einschätzung insbesondere für Strafverfahren imJugendstrafrecht; aber auch bei den Verwaltungsgerich-ten ist eine überlange Verfahrensdauer festzustellen .Der deutsche Rechtsstaat wird gerade auch im Ver-gleich zu anderen Systemen und zu aktuellen Entwick-lungen der heutigen Zeit insgesamt hoch eingeschätzt .Das gilt insbesondere für das Ausland . Die vielen Rechts-staatsdialoge zeigen ja, dass wir hierzu im Ausland bei-tragen . Sowohl die Politik, die obersten Bundesgerichte,die Gerichte insgesamt, aber auch die Anwaltschaft leis-ten hier einen wichtigen Beitrag .Unsere Gerichte und die Rechtsprechung genießenhohe Akzeptanz und den Respekt der Bevölkerung . Dasgilt, wie ich eingangs sagte, nach meiner Auffassungganz überwiegend . Das gilt aber insbesondere auch fürdie Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte und desBundesverfassungsgerichtes . Ich denke, dass zu dieserhohen Qualität unserer Gerichtsbarkeit auch das Aus-wahlverfahren für die obersten Bundesgerichte und fürdas Bundesverfassungsgericht beitragen .Wir sind in dieser Frage richtigerweise den Reform-vorschlägen, die insbesondere zum Wahlverfahren vonBundesrichtern von den Grünen kürzlich unterbreitetworden sind, nicht gefolgt . Wir haben eine Sachverstän-digenanhörung durchgeführt . Diese hat nach meiner Auf-fassung schon eindeutig gezeigt, dass das keine sinnvol-len Vorschläge sind . Insbesondere aber die Entscheidungdes Bundesverfassungsgerichts vom 20 . September 2016hat doch sehr eindrucksvoll dargelegt, dass das Verfah-ren in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung voll und ganzden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt . Mankann sagen, dass sich auch in diesem Zusammenhangdie Worte des berühmten französischen StaatsrechtlersCharles-Louis de Montesquieu bewahrheiten; denn ersagte:Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen,dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen .Das sollten wir hier, Frau Keul, wirklich beachten .
Mit dieser Entscheidung des Bundesverfassungsge-richts wurde zum Glück auch die Blockade eines gewähl-ten Richters aufgehoben . Ich hoffe, dass er in den nächs-ten Tagen – wenn es nicht schon geschehen ist – seineUrkunde erhält .Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsge-richt ist in seiner Entscheidung den Argumenten, die wirvorgetragen haben, ohne Einschränkungen gefolgt . Wirhaben ja die Problematik, dass auf der einen Seite Arti-kel 33 des Grundgesetzes die sogenannte Bestenauslesevorgibt, auf der anderen Seite Artikel 95 des Grundge-setzes für die Berufung von Richterinnen und Richternzu den obersten Bundesgerichten eine Wahl vorsieht .In diesem Spannungsverhältnis gibt es natürlich immerwieder rechtliche Probleme, was ausschlaggebend ist .Das Gericht hat aber klargestellt, dass die Mitglieder desRichterwahlausschusses die Bindung des zuständigenMinisters, also in der Regel des Justizministers oder derArbeitsministerin, an den Grundsatz der Bestenauslesezu beachten haben, der eigentliche Wahlakt aber keinergerichtlichen Kontrolle unterliegt . Damit hat das Gerichtauch der Unmöglichkeit, eine Wahlentscheidung zu be-gründen, Rechnung getragen . Es hat dazu wörtlich aus-geführt – ich zitiere, Frau Präsidentin –:Dem Wahlelement trüge eine strikte Bindung derEntscheidung des Richterwahlausschusses anArt . 33 Abs . 2 GG nicht ausreichend Rechnung .Während Art . 33 Abs . 2 GG auf die eine „‚richtige‘Antwort“ … beziehungsweise darauf gerichtet ist,„von oben her“ den Besten auszuwählen, zeichnensich Wahlen gerade durch Wahlfreiheit aus, wenn-gleich die Wählbarkeit zumeist von der Erfüllungbestimmter Voraussetzungen abhängt …Die Voraussetzungen sind natürlich klar: Man muss fürdas Richteramt geeignet sein . Aber ansonsten ist dieserWahlakt frei .Weiter heißt es:Da der eigentliche Wahlakt keiner gerichtlichenKontrolle unterliegt, bedarf sein Ergebnis auch kei-ner Begründung …Das ist genau das Gegenteil dessen, was Sie geforderthaben .Deshalb wird vom Gericht auch konsequent gesagt,dass der Minister, der diese Entscheidung dann ausführenmuss, wenn dem nicht besondere Gründe entgegenste-hen, dies auch umzusetzen hat . In der Vergangenheit istdas ja auch immer geschehen .Nach dieser Entscheidung, meine Damen und Her-ren, kann dieses bewährte Verfahren beibehalten werden .Auch wir als Abgeordnete, die Mitglieder im Richter-wahlausschuss sind, können mit dieser Entscheidungnicht nur gut leben, wie ich meine, sondern haben jetztauch ganz klar vor Augen, dass wir dort eine Wahl durch-führen .Diese Wahlfreiheit ist im Übrigen kein Selbstzweck,sondern auch in den Erfahrungen aus der Zeit des Na-tionalsozialismus begründet . Mit der Betrauung einesWahlausschusses mit der Aufgabe der Auswahl vonBundesrichtern wollte der Verfassungsgeber wieder eineVertrauensbasis für diese Richter herstellen und insbe-sondere eine Selbstkooptation, also eine Erneuerung derBundesrichterschaft aus sich selbst heraus, verhindern .Helmut Brandt
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Der Minister hat eben zu Recht auf das Projekt Rosen-burg und die Erkenntnisse daraus, die das Ministeriumbetreffen, hingewiesen . Aber auch hier war nach demZweiten Weltkrieg sicherlich eine wirksame Novellie-rung notwendig, um sicherzustellen – davon hängt jaimmer auch ab, welches Vertrauen die Bevölkerung ineine Entscheidung der Gerichte hat –, dass die Richterunabhängig arbeiten und auch unabhängig als solche be-stellt worden sind .Auf die einzelnen Argumente derjenigen, die eineÄnderung gefordert haben, will ich jetzt nicht näher ein-gehen . Man muss sich nur das Verfassungsgerichtsurteildurchlesen, um zu wissen, dass eine Änderung nicht er-forderlich ist und insbesondere auch nicht geboten ist .Nach unserer Auffassung wäre sie sogar kontraproduktiv .Insofern möchte ich meinen heutigen Vortrag hierauch etwas versöhnlich abschließen, indem ich einfachsage: Wir haben in Deutschland eine funktionierende,eine gute Justiz . Diese sollten wir auch nicht infrage stel-len . Deshalb ist es auch gut, dass es bei dem in 60 Jahrenbewährten Verfahren der Bundesrichterwahl verbleibt .Wir können auf dieses System stolz sein und sollten esallenfalls behutsam weiterentwickeln .Allerdings sollten wir auch nicht zögern, die notwen-digen Stellenvoraussetzungen bei den obersten Bundes-gerichten zu schaffen und die Durchlässigkeit der Instan-zenzüge zu gewährleisten .Besten Dank .
Vielen Dank, Helmut Brandt, für Ihre Rede . – Nächs-
ter Redner: Dennis Rohde für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Das ist die letzte Lesung des Einzelplans 07 indieser Legislaturperiode . Ich möchte die Chance nutzen,zu Beginn meinen Mitberichterstatterkollegen zu dan-ken, nämlich Tobias Lindner, Roland Claus und natürlichmeinem Koalitionskollegen Klaus-Dieter Gröhler . Wirwaren vielleicht nicht bei jedem Thema immer von An-fang an einer Meinung .
Aber ich finde, es zählt das, was am Ende dabei heraus-kommt, und ich glaube, dass sich das sehen lassen kann .Wir haben in dieser Legislaturperiode die Marktwäch-ter auf den Weg gebracht – begonnen haben wir mit demMarktwächter Digitale Welt und dem Finanzmarktwäch-ter –, weil wir von einer reagierenden Verbraucherpolitik,die erst dann aktiv werden konnte, wenn ein Skandal auf-ploppte, wegkommen wollten – hin zu einer agierendenVerbraucherpolitik, die der Verbraucherzentrale, aberauch uns als Parlamentariern frühzeitig die Möglichkeitgibt, einzugreifen .Diese zwei Marktwächter erweitern wir heute umeinen dritten, den Marktwächter Energie . Eigentlich ister gar nicht neu; denn die rot-grüne Landesregierung inNiedersachsen hat ihn parallel zu unseren beiden Markt-wächtern schon damals auf den Weg gebracht . Ich binfroh darüber und stolz darauf, dass wir uns als Bund jetztan dieser sehr guten Maßnahme beteiligen .
Wir geben in 2017 allein für die Marktwächter11,5 Millionen Euro aus . Das ist mehr Geld, als derschwarz-gelbe Regierungsentwurf für 2014 für die ge-samte Information der Verbraucherinnen und Verbrau-cher vorgesehen hat . Allein in diesem Haushaltstitel ge-ben wir für Verbraucherschutz mehr als das Doppelte imVergleich zur letzten Legislaturperiode aus. Ich finde, daskann sich sehen lassen . Das zeigt, welchen Stellenwertdas Thema für uns hat, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Wir satteln im Vergleich zur Vorgängerregierung auchbei anderen Posten auf . Die Verbraucherforschung wurdegerade von Tobias Lindner kritisiert . Das Gegenteil vondem, was er gesagt hat, ist der Fall .
Wir geben fast doppelt so viel aus, als noch in der letztenLegislaturperiode für 2014 vorgesehen war . Wir gebendeutlich mehr Geld für die Verbraucherzentrale Bundes-verband aus . Wir schaffen allein dieses Mal 32 neue Stel-len . Wir ermöglichen eine gigantische Aufstockung desStiftungskapitals bei der Stiftung Warentest – 100 Mil-lionen Euro; die Summe ist genannt worden –, um sievollkommen unabhängig von staatlicher Förderung zumachen . Wir senken – auch das muss ich richtigstellen –natürlich nicht das Budget im Gegensatz zu 2015 bei derStiftung Warentest . Sie bekommt das gleiche Geld wieim letzten Haushalt und zusätzlich die Aufstockung desStiftungskapitals, sodass wir auch die Stiftung Warentestnachhaltig stärken werden .Wir machen all das nicht nur im Verbraucherbereich,sondern wir haben uns in den letzten drei Jahren auchdie anderen Positionen des Haushalts angesehen . Icherinnere daran, dass es diese Regierung war, die für ei-nen enormen Stellenaufwuchs im Deutschen Patent- undMarkenamt gesorgt hat . Wir haben den exorbitanten Per-sonalmangel abgebaut. Ich finde, das sollte man an dieserStelle noch einmal betonen .
Wir sind die Herausforderungen im Justizbereich an-gegangen . Viele Redner haben deutlich gemacht, wo wirstehen . Wir müssen uns mit organisiertem Terrorismusauseinandersetzen . Wir müssen uns mit Cyberattackenauseinandersetzen und natürlich auch mit der Rückkehrvon Kriegsverbrechern . Wir haben darauf reagiert . Wirhaben allein in dieser Legislaturperiode beim General-bundesanwalt 33 neue Stellen geschaffen . Wir habenbeim Bundesgerichtshof 18 neue Stellen geschaffen . Ichglaube, beide Institutionen wissen nicht, in welcher Le-Helmut Brandt
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gislaturperiode sie eine solche Stärkung erfahren haben .Ich finde, auch das kann sich sehen lassen, liebe Kolle-ginnen und Kollegen .
Wir gehen auch mit diesem Haushalt aktuelle He-rausforderungen an . Eine – sie wurde schon mehrfachgenannt – ist sicherlich die Rehabilitierung der wegeneinvernehmlich homosexueller Handlungen Verurteil-ter, derjenigen, die nach dem damaligen § 175 StGBverurteilt wurden . Wir geben als Haushälter bereitsjetzt, obwohl es die Rechtsgrundlage noch nicht gibt,4,5 Millionen Euro für die Individualentschädigung aus .Wir stärken auch die Magnus-Hirschfeld-Stiftung, undzwar genau so, wie es Kollege Petzold gerade gefor-dert hat . Das, was er fordert, setzen wir um . Wir bringendie Magnus-Hirschfeld-Stiftung in eine institutionelleFörderung . Wir wissen: Wir können Unrecht nicht un-geschehen machen, aber wir können alle daran arbei-ten, dass sich Unrecht nicht wiederholt . Ich glaube, die Magnus-Hirschfeld-Stiftung leistet dazu einen wichtigenBeitrag, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Wir machen andere Dinge . Wir wissen – auch daswurde mehrfach betont – um die Herausforderungen, vordenen unsere Demokratie steht, vor denen unser Rechts-staat steht . Deshalb ist es richtig und wichtig, das „ForumRECHT“ zu implementieren und dafür zu sorgen, dassin Karlsruhe das, was wir an Rechtsgeschichte haben,auch lebendig wird . Es ist aber zum Beispiel auch wich-tig, den Verein „Weimarer Republik“ zu fördern . Er be-kommt von uns ebenfalls eine stattliche Summe, um dieFehler in der ersten deutschen Demokratie aufzuarbeitenund um das in die Schulen zu tragen. Ich finde, das ist einwichtiges Merkmal, damit wir unsere eigene Geschichtenicht vergessen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben im Haus-halt des Bundesministeriums der Justiz und für Verbrau-cherschutz das gemacht, was man erwarten konnte unddurfte. Ich finde, wir haben den Verbraucherschutz nach-haltig gestärkt und sind die Herausforderungen im Justiz-bereich angegangen . Man kann zusammenfassend sagen:Es waren vier gute Haushalte . Das sind vier gute Jahrefür Recht und Verbraucherschutz in Deutschland .Vielen Dank .
Vielen Dank, Dennis Rohde . – Der letzte Red-
ner zu diesem Einzelplan ist Dr . Volker Ullrich, CDU/
CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Debatte um den Justizhaushalt ist auchimmer eine Standortbestimmung der Rechtspolitik undguter Rechtsetzung . Wir müssen in jüngster Zeit mit gro-ßem Unbehagen eine besorgniserregende Entwicklungbeobachten: die deutliche Zunahme von Gewalt gegenPolizeibeamte, Rettungskräfte und Feuerwehrleute .
Diejenigen, die helfen, retten und schützen, werden selbstzur Zielscheibe von Angriffen . Es beginnt mit groben Be-leidigungen und reicht bis hin zu schweren Körperverlet-zungen . Allein im Jahr 2015 sind über 60 000 Angriffeauf Polizeibeamte zu verzeichnen . Diesen Umstand kannund wird der Rechtsstaat nicht hinnehmen . Wir braucheneinen stärkeren gesetzlichen Schutz von Polizeibeamtenund Rettungskräften im Einsatz . Dafür machen wir unsstark .
Das ersetzt natürlich nicht die gesamtgesellschaftlicheUrsachenforschung, weshalb und aus welchen Motivendie Hemmschwelle für Gewalt gegen Polizeibeamte undRettungskräfte sowie ganz allgemein in dieser Gesell-schaft abgenommen hat . Eine solche Strafrechtsänderungist aber zur Selbstbehauptung des Rechtsstaats und seinerOrgane notwendig . Wir schützen die, die uns schützen .Insofern ist ein solcher Gesetzentwurf in den nächstenWochen dringend notwendig .
Im Zusammenhang mit der Arbeit unserer Polizeimöchte ich auch darauf hinweisen, dass mich die jüngs-ten Äußerungen der Integrationsbeauftragten etwas be-fremdet haben . Es wäre schön gewesen, wenn sich FrauÖzoğuz als Integrationsbeauftragte und Staatsministerineinfach einmal beim Verfassungsschutz und bei der Po-lizei für besonnenes und konsequentes Vorgehen gegenVerfassungsfeinde bedankt hätte .
Meine Damen und Herren, in den letzten Wochen istdie Frage des Umgangs mit sogenannten Kinderehen inden Mittelpunkt der rechtspolitischen Debatte gerückt .Ich möchte eines deutlich ansprechen: Der Begriff derKinderehe ist eigentlich drastisch beschönigend . Wirmüssen diesen Umstand deutlich beim Namen nen-nen: Sogenannte Kinderehen sind Formen fortgesetztenschweren Kindesmissbrauchs .
194 Staaten dieser Erde haben die UN-Kinderrechts-konvention unterzeichnet . Diese gewährt allen Kinderndas Recht, unversehrt aufzuwachsen und vor Missbrauchgeschützt zu werden . Daher kann und darf es nirgendwoauf der Welt und in keinem Kulturkreis und aus keinemweltlichen oder religiösen Gebot heraus eine Rechtferti-gung für sogenannte Kinderehen geben . Der Schutz derDennis Rohde
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Kleinsten und Schwächsten muss absolut gelten, meineDamen und Herren .
Kinderehen verstoßen gegen unsere Rechts- undWerteordnung . Sie dürfen daher nicht nur irgendwieaufhebbar sein, nicht auch noch zu einer Belastung wer-den, einen Anwalt aufzusuchen oder das Jugendamt ein-zuschalten, sondern sie sind, wenn es um Kinder unter14 Jahren geht, von vornherein als nichtig zu betrach-ten . Auch diese Regelung müssen wir zügig auf den Wegbringen .
Wir brauchen, meine Damen und Herren, im Bereichdes Verbraucherschutzes eine gesetzliche Klarstellungfür all die Menschen, die für sich oder ihre FamilieWohneigentum schaffen und einen Kredit benötigen .Nach der Umsetzung der Wohnimmobilienkreditricht-linie in deutsches Recht mehren sich ernstzunehmendeBerichte, dass nach der Kreditwürdigkeitsprüfung vorallem Familien mit Kindern oder ältere Menschen deut-lich größere Schwierigkeiten haben, ihren Traum vomEigenheim zu finanzieren. Der Schutz vor finanziellerÜberforderung ist sicherlich ein wichtiges Anliegen,gerade in Zeiten niedriger Zinsen . Auch darf die Gefahrmöglicher Blasenbildungen auf den Immobilienmärktennicht unterschätzt werden . Wir glauben dennoch, dasseine selbstgenutzte Immobilie die beste Altersvorsorgedarstellt und eine hohe Eigentumsquote daher insgesamtzur wirtschaftlichen Stabilität einer Gesellschaft beiträgt .Daher sollten wir die Regelungen der Kreditvergabe soüberarbeiten, dass junge Familien mit Kindern oder älte-re Menschen, die ihre Immobilie sanieren wollen, mehrChancen auf einen Kredit bekommen . Das sind wir demImmobilienmarkt schuldig .
Meine Damen und Herren, ein wichtiges Thema bleibtder Umgang mit Hass und Hetze im Internet, insbesonde-re in den sozialen Medien . Festzuhalten ist zunächst, dassdie freie Rede und die Meinungsfreiheit für das Funk-tionieren eines liberalen und demokratischen Gemein-wesens unverzichtbar sind . Die Gesellschaft hat dabeiauch solche Meinungen zu dulden, die wenig opportunerscheinen, als politisch unkorrekt gelten oder gar offenzum Widerspruch herausfordern . Die Grenze der Mei-nungsfreiheit ist jedoch dort überschritten, wo unmittel-bar zu Gewalt aufgerufen wird oder Menschen bedrohtund beleidigt werden .Die Meinungsfreiheit findet ihre Grenzen im Rechtund in der Würde des Anderen . Das richtige Vorgehengegen Hass in den sozialen Medien kann nicht mehr al-lein an runden Tischen oder in wohlfeilen Appellen er-schöpfend behandelt werden . Es kann auch nicht darinbestehen, dass private Organisationen eine Art Wäch-terfunktion erhalten und in staatlichem Auftrag bestim-men, welche Meinung akzeptabel ist oder nicht . Es sindvielmehr Staatsanwaltschaften und Gerichte sowie dieBetreiber der Netzwerke selbst, die jetzt deutlich in derPflicht stehen.Vonseiten der Staatsanwaltschaften und Gerichte gibtes erfreuliche Nachrichten . Sie kümmern sich deutlichstärker um Verurteilungen wegen Aufrufs zu Straftaten,Volksverhetzung, Holocaustleugnung oder Beleidigung .Das entlässt die Betreiber sozialer Medien aber nicht ausihrer Pflicht. Im Gegenteil: Wenn die Betreiber der Seitenihrer Pflicht zur Löschung nicht unmittelbar nachkom-men, dann dulden sie irgendwie mittelbar die auf ihrenSeiten begangenen Rechtsverletzungen . Sie sind daherin der Pflicht – das werden wir auch gesetzlich regeln –,schneller zu löschen . Sie sollen keine Chance mehr ha-ben, sich hinter Gerichtsständen im Ausland zu verste-cken . Die Demokratie braucht im Interesse eines funktio-nierenden Gemeinwesens auch hier eine klare rechtlicheRegelung . Dafür werden wir uns einsetzen .
Meine Damen und Herren, die wichtigste Aufgabe derRechtspolitik ist es, das Vertrauen in den Rechtsstaat undseine Organe zu festigen und auszubauen, auf den Wertvon Gewaltenteilung und einer unabhängigen Justiz hin-zuweisen und damit unser liberales und demokratischesGemeinwesen zu stärken . Dafür stehen wir mit unserenÜberzeugungen, und dafür steht auch dieser Haushalt .Vielen Dank .
Vielen Dank, Volker Ullrich . – Ich schließe die Aus-sprache .Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Ein-zelplan 07 – Bundesministerium der Justiz und für Ver-braucherschutz – in der Ausschussfassung . Wer stimmtdafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Es gibtkeine . Der Einzelplan 07 ist angenommen . Zugestimmthaben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-plan 19 – Bundesverfassungsgericht – in der Ausschuss-fassung . Wer stimmt dafür? – Stimmt irgendjemanddagegen? – Dann enthält sich auch niemand? – Der Ein-zelplan 19 ist bei Zustimmung aller Fraktionen einstim-mig angenommen .Ich rufe Tagesordnungspunkt I .6 auf:a) Einzelplan 06 Bundesministerium des InnernDrucksachen 18/9806, 18/9824b) Einzelplan 21 Bundesbeauftragte für den Datenschutz undInformationsfreiheitDrucksachen 18/9824, 18/9825Berichterstatter zum Einzelplan 06 sind die Abgeord-neten Dr . Reinhard Brandl, Martin Gerster, Roland Clausund Kollegin Anja Hajduk .Dr. Volker Ullrich
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Berichterstatter zum Einzelplan 21 sind die Abgeord-neten Martin Gerster, Carsten Körber, Roland Claus undAnja Hajduk .Zum Einzelplan 06 liegt ein Entschließungsantrag undzu Einzelplan 21 liegen zwei Entschließungsanträge derFraktion Die Linke vor, über die wir am Freitag nach derSchlussabstimmung abstimmen werden .Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die Aus-sprache 96 Minuten vorgesehen . – Ich höre keinen Wi-derspruch . Dann ist das so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache . Das Wort als erster Red-ner hat Roland Claus für die Linke .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die höchsten Zugewinne im Verlauf der Haus-haltsberatungen dieses Jahres teilen sich Frau von derLeyen und Herr de Maizière; das sind wirklich „adelige“Zugewinne .
Ich bin mir sicher, dass nach mir der Kollege ReinhardBrandl das in aller Ausführlichkeit darstellen wird .
Wir nehmen wahr: Die Union setzt im Bundestags-wahlkampf offenbar voll auf Sicherheitspolitik .
Das ist zunächst ja auch Ihr gutes Recht . Wir müssen Sienur darauf hinweisen: Der Bundeshaushalt ist nicht dieWahlkampfkasse der Union . Das muss man hier einmaldeutlich sagen .
Um auch das klarzustellen: Auch für die Linke ist öf-fentliche Sicherheit in Zeiten wachsender Bedrohungenein hohes und schützenswertes Gut . Deshalb haben wirim Haushaltsausschuss einer riesengroßen Zahl einzelnerAnträge zugestimmt . Der Unterschied ist: Wir setzen aufdie Stärkung der staatlichen und der zivilgesellschaftli-chen Strukturen, und Sie setzen auf die Einschränkungvon Freiheitsrechten und auf staatlichen Druck .
Insofern sind wir der Auffassung, dass Sie wirklich nichtsgelernt haben nach 9/11, aus dem 11 . September 2001und der Zeit danach . Krieg als Mittel der Außenpolitikund Freiheitsbeschränkungen als Mittel der Innenpoli-tik sind ein Weiter-so in einer geopolitischen Sackgasse .Lassen Sie sich das gesagt sein .
Viel Geld und viel mehr Stellen für neues Personalsind im Einzelplan des Bundesinnenministeriums vorge-sehen . Aber auch sehr viel mehr Geld für eine falscheSicherheitspolitik ist keine Lösung . Wir hätten uns ge-wünscht – ich habe das bereits im Zusammenhang mitdem Etat des Justizministeriums angesprochen –, dassdieses gigantische Sicherheitspaket, das in den Haus-haltsberatungen ja noch einmal aufgestockt wurde, eineEntsprechung gefunden hätte in einem Rechtssicherheits-paket, das wir im Etat des Justizministeriums hätten ver-ankern können . Leider Fehlanzeige!Inmitten der Haushaltsberatungen gab es ein bedeu-tendes Ereignis, über das wir auch gesprochen haben .Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wurdein Magdeburg eine Einrichtung der Bundespolizei vonNeonazis überfallen, um einen inhaftierten Kumpanen ir-gendwie herauszuholen . Darüber haben wir diskutiert . Esgab entsprechende Meldungen . Bis heute kenne ich aberweder Ermittlungsergebnisse noch Urteile. Hier sind, fin-de ich, Polizei und Justiz wirklich erheblich gefordert .Ich wünschte mir, hierzu bald Erkenntnisse und Ergeb-nisse zu sehen .
Natürlich entstehen durch den enorm aufgewachsenenSicherheitsapparat auf der Bundesebene auch Probleme,da er nur schwer mit den Konzepten bei den Ländern zu-sammenpasst . In der Innenministerkonferenz hat es of-fenbar wenig bis keine Abstimmung dazu gegeben . Wirfreuen uns natürlich über jede Höherbewertung von Stel-len in der Bundespolizei; aber wir wissen auch, dass da-durch eine Konkurrenz um Bewerber entsteht, bei der dieLänder nicht werden mithalten können . Auch das müssenwir hier ansprechen .Beim Bundeskriminalamt erleben wir gar einen Auf-wuchs um 25 Prozent . Da ist einiges Sinnvolles dabei,was unsere Zustimmung gefunden hat . Sie setzen aberstark auf die sogenannte TKÜ, die Telekommunikations-überwachung, zu Deutsch: auf Abhören. Das findet unse-re Zustimmung natürlich nicht .Wenig Fürsorge wurde gezeigt für die zivilen Sicher-heitsbehörden, für das Technische Hilfswerk und dasBundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophen-hilfe . Hier musste der Haushaltsausschuss korrigierendeingreifen; das hat er dann auch getan .Viel mehr Geld wird für den Verfassungsschutz undandere Geheimdienste vorgesehen . Als hätten Sie dieRolle des Verfassungsschutzes beim Agieren des Nati-onalsozialistischen Untergrundes schon vergessen undals hätten Sie vergessen, welches Maß an Versagen beimVerfassungsschutz, auch bei der Aufklärung der Untatendes NSU, zu verzeichnen war – es sei denn, das Versagenwar Ihr Plan .
Herr Bundesminister, Sie sollen ja auch Integrations-minister sein . Als ich die Schlagzeile las, dass auf demMittelmeer aufgegriffene Flüchtlinge nach Afrika zu-rückgebracht werden sollen, und nicht gleich die Quel-le entdeckt habe, dachte ich zunächst: „Was hat sich derVizepräsidentin Claudia Roth
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Trump in Amerika da wieder ausgedacht?“, um dannfeststellen zu müssen: Es war der Bundesinnenminister .Ich finde das wirklich zynisch und beschämend.
Meine Damen und Herren, wir behandeln zum erstenMal den Haushalt der Bundesbeauftragten für den Daten-schutz und die Informationsfreiheit . Die Linke wird die-sem Etat zustimmen . Wir wollen der Bundesbeauftragtenauch dadurch hilfreich zur Seite stehen, dass wir einenAntrag einbringen, den Dienstsitz doch nicht in Bonn,sondern hier in Berlin, wo in der Bundespolitik die Mu-sik spielt, einzurichten . Wir wissen, dass es gesetzlich sogeregelt ist . Aber es ist ja unser Job, unser ureigener Job,schlechte Gesetze dort, wo sie schlecht sind, nachzubes-sern .
Die Linke steht für mehr und bessere öffentliche Si-cherheit . Mit diesem Haushalt bekommt das Bundesin-nenministerium viel mehr Geld und Deutschland we-niger zukunftsfähige öffentliche Sicherheit . Das ist einHaushalt von gestern . Ein Haushalt im Sinne modernerSicherheitspolitik sieht anders aus .
Vielen Dank, Roland Claus . – Der nächste Redner:
Dr . Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Den ersten Innenhaushalt, den wir in dieserLegislaturperiode hier beraten haben – das war 2014 –,hatte ein Volumen von 5,9 Milliarden Euro . Wir beratenheute den letzten Haushalt für diese Legislaturperiode .Er hat ein Volumen von 8,9 Milliarden Euro . Das ist eineSteigerung um über 50 Prozent in vier Jahren .
Diese Steigerung war aufgrund der veränderten Si-cherheits- und Migrationslage notwendig . Diese Stei-gerung war aber nur möglich, weil diese Koalition ent-schlossen war, auf die Herausforderungen zu reagierenund massiv in den Ausbau der inneren Sicherheit undin Integrationsmaßnahmen zu investieren . Aber dieseSteigerung war auch nur möglich, weil an zwei entschei-denden Stellen zwei Männer der Union sitzen, denendie innere Sicherheit ein Herzensanliegen ist: erstens imInnenministerium Thomas de Maizière und zweitens imFinanzministerium Wolfgang Schäuble .
Insbesondere die Bundespolizei wird sich noch Jahr-zehnte an die de-Maizière/Schäuble-Pakete zurückerin-nern . Sie wird sich an die fünf Jahre zurückerinnern, indenen sie um 20 Prozent aufgewachsen ist .
Die Schaffung eines Teils dieser insgesamt 7 500 Stellen,nämlich von genau 1 970 Stellen, beschließen wir heutemit diesem Haushalt . Auf diesen Stellen werden in denkommenden Monaten junge Polizistinnen und Polizisteneingestellt . Sie werden drei Jahre ausgebildet und sinddann 35 Jahre, 40 Jahre oder vielleicht sogar noch längerim Dienst . An diesem Punkt sieht man, um was es unsgeht . Es geht uns nämlich nicht um einen kurzfristigenEffekt mit Blick auf nächstes Jahr, sondern wir als CDU/CSU sind davon überzeugt, dass wir in dieser unsichererwerdenden Welt langfristig mehr in die Sicherheit unse-rer Bürgerinnen und Bürger investieren müssen . Das tunwir heute mit den Beschlüssen zu diesem Haushalt .Dass es einen Unterschied macht, wer in Deutschlandregiert, sieht man vor allem an dem, was wir nicht be-schlossen haben, was aber auch zur Abstimmung vorlag .Ich habe deswegen zwei Anträge der Opposition zumBundesamt für Verfassungsschutz dabei . Der Antrag derAG Haushalt der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom20 . September 2016 sieht vor: minus 64 Millionen Euro;das bedeutet die Rücknahme des Mittelaufwuchses . DerAntrag der AG Haushalt der Fraktion Die Linke, eben-falls vom 20 . September 2016, sieht vor: minus 119 Mil-lionen Euro .
Damit soll der Rückbau des Bundesamtes eingeleitetwerden .Meine Damen und Herren, weil wir regieren, steht andieser Stelle kein Minus, sondern ein Plus: ein Plus von88 Millionen Euro . Ich kann Ihnen auch sagen, warum:weil wir in dieser Zeit – wir haben ja in der Vergangen-heit die Entwicklung des islamistischen Terrorismus ge-sehen; sie wird aber auch, das ist absehbar, in der Zukunftweitergehen – mehr in die Kapazitäten des Verfassungs-schutzes investieren müssen . Wir dürfen also diese Ka-pazitäten nicht zurückbauen. Denn ohne die fleißigeArbeit und das Gespür der Mitarbeiter des Bundesam-tes für Verfassungsschutz wäre es zum Beispiel AnfangOktober nicht gelungen, den Chemnitzer BombenbauerJaber Albakr zu identifizieren. Wenn er nicht identifiziertworden wäre und der Anschlag hier in Berlin tatsächlichstattgefunden hätte, dann hätten wir heute eine ganz an-dere Diskussion . Eine politische Diskussion danach hätteaber den Anschlag nicht verhindert . Deswegen investie-ren wir schon vorher – das machen wir nicht nur heute,sondern schon die ganze Legislaturperiode über – strate-gisch in die Aufrüstung, in die Stärkung unserer Sicher-heitsbehörden .
Roland Claus
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Das ist Politik der CDU/CSU mit ihren beiden Ministern .
Wir nehmen mit diesem Haushalt aber auch die He-rausforderungen an, die uns im Zusammenhang mit dergroßen Anzahl an Flüchtlingen gestellt worden sind . Al-lein für den Bereich der Integrationskurse stehen in die-sem Haushalt 610 Millionen Euro bereit . Wir erhöhen dieMittel für die Migrationsberatung, und wir stellen jetztneu 40 Millionen Euro für Erstorientierungsangebote fürAsylbewerber mit unklarer Bleibeperspektive bereit .Meine Damen und Herren, wir stellen aber auch40 Millionen Euro für ein Anreizprogramm zur freiwil-ligen Ausreise bereit . Wenn ein Asylbewerber erkennt,dass er hier in Deutschland keine langfristige Bleibe-perspektive hat, wollen wir ihm mit diesen Mitteln denNeustart in seiner Heimat erleichtern . UnterschätzenSie den dadurch bewirkten Effekt nicht . Wir haben inDeutschland in den ersten neun Monaten dieses Jahresetwa 20 000 Abschiebungen gesehen . Es gab aber auch50 000 freiwillige Ausreisen . An diesem Punkt setzen wiran und erhöhen den Anreiz .Meine Damen und Herren, wir haben im vergangenenJahr aber auch gesehen, wie stark das Ehrenamt in un-serer Gesellschaft zum Tragen kommt, wenn der Staatan seine Grenzen kommt . Davor können wir nur denHut ziehen . Es gibt im Bund eine große Ehrenamtsorga-nisation, die dabei – aber auch bei vielen anderen Ein-sätzen – eine hervorragende Rolle gespielt hat, nämlichdas Technische Hilfswerk . Wir haben uns deshalb be-wusst entschlossen – nicht nur, aber auch in Bezug aufdie Erfahrungen des letzten Jahres –, in unseren Haus-haltsberatungen einen Schwerpunkt beim TechnischenHilfswerk zu setzen . Wir investieren, lieber PräsidentStephan Mayer, in ein Fahrzeugprogramm des Techni-schen Hilfswerks . Wir stellen 100 Millionen Euro fürdie Erneuerung des überalterten Fahrzeugbestandes desTHWs zur Verfügung . Und wir starten eine Werbekam-pagne zur Gewinnung von ehrenamtlichem Nachwuchsfür das THW . Des Weiteren gibt es einen Aufwuchs von150 hauptamtlichen Stellen, um die Ehrenamtlichen ge-zielt von Verwaltungsaufgaben zu entlasten .
Von diesem Haushalt soll ein Signal ausgehen, dass wirdas THW nicht nur mit warmen Worten und bei Weih-nachtsfeiern preisen, sondern dass wir dessen Arbeit ganzkonkret auch im Rahmen des Haushalts mit unterstützen .Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in den letztenJahren haben wir, was diesen Haushalt angeht, sehr vielerreicht . Ich könnte jetzt, ehrlich gesagt, noch eine ganzeStunde darüber sprechen .
Aber ich verstehe, dass es zu den Regeln dieses Hausesgehört, auch andere zu Wort kommen zu lassen . Deswe-gen möchte ich am Ende nur noch einen einzigen Punktansprechen . Dieser Haushalt ist ein Gemeinschaftswerk .Die Rolle der beiden Minister habe ich bereits erwähnt .Hinter diesem Haushalt steht auch hier im Bundestag einTeam . Ganz wichtig in ihm ist Martin Gerstner, meinKoalitionspartner von der SPD . Vielen Dank für deineUnterstützung .
Ich möchte mich aber auch ganz herzlich bei der Opposi-tion – namentlich bei Anja Hajduk von den Grünen undRoland Claus von der Linken – bedanken . Wir habenzwar nicht allem zugestimmt, was ihr uns vorgelegt habt,aber wir hatten in den vergangenen vier Jahren eine sehrvertrauensvolle und an der Sache orientierte Zusammen-arbeit . Dafür möchte ich mich ganz persönlich bei euchbedanken .Noch habt ihr die Chance, dem Haushalt zuzustimmen .Überlegt es euch!Herzlichen Dank für eure Aufmerksamkeit .
Das Wort hat die Kollegin Luise Amtsberg für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Seit drei Legislaturperioden verantwortetdie Union nun die Innenpolitik im Bund .
– Das ist nicht super . – Für uns ist das kein Grund zurFreude; denn das Ergebnis ist alles andere als gut – vorallen Dingen für die Bürgerrechte in unserem Land .
– Ich wollte das noch mit Beispielen unterfüttern . – Mas-senüberwachung, Benachteiligung von Geflüchteten undMinderheiten, Versagen des Verfassungsschutzes und be-ständig neue Planspiele für den Einsatz der Bundeswehrim Inneren sind hier zu nennen .Wir Grüne habe das auch in dieser Legislaturperiodein zahlreichen Debatten herausgearbeitet . Die meistenVorschläge der Großen Koalition sind wenig bis gar nichtdafür geeignet, tatsächlich mehr Sicherheit im Land her-zustellen .
Das überrascht auch gar nicht so doll; denn wenn mansich Ihre Innenpolitik ansieht, wird schnell klar, was dasKalkül dahinter ist: Man möchte sich abgrenzen undnicht viel Spielraum nach rechts lassen . Das verstehe ichDr. Reinhard Brandl
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auch, aber ich bin eher eine Freundin davon, dem mitpolitischer Haltung zu entgegnen und nicht mehr Mei-nungen aus diesem Bereich hier im Parlament Gehörzu verschaffen . Deshalb glaube ich, dass dieses Kalkül,diese Rechnung, nicht aufgehen wird, sondern dass mandamit eher Vorurteile bestärkt . Am Ende schafft man imPrinzip einen neuen Weg dafür, Sicherheitslücken in un-serem Land entstehen zu lassen . Deshalb glaube ich, dasswir hier einen ganz anderen Kurs steuern müssen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn eine ohnehinfragwürdige Symbolpolitik in einen konkreten Abbauvon Bürgerrechten und Grundrechten mündet, dann istfür uns Grüne die Grenze des Zumutbaren erreicht; dennden Preis für eine solche Politik zahlen wir alle mit demVerlust mühsam erstrittener Bürgerrechte: die Bürgerin-nen und Bürger in diesem Land, wir als Abgeordnete,aber auch unser politisches System . Das wollen und kön-nen wir hier so nicht stehen lassen .
Wir sind mit dieser Meinung auch nicht alleine . AuchKarlsruhe hat Ihnen das mehrfach ins Stammbuch schrei-ben müssen – zuletzt in Bezug auf das BKA-Gesetz .Der Abbau der Grund- und Bürgerrechte wird aberam deutlichsten, wenn man sich den Bundesnachrichten-dienst anschaut . Schon seit über einem Jahrzehnt arbei-tet er eigentlich fast schon spektakulär am Grundgesetzvorbei . Für die absolut gängige Massenüberwachung,die der BND betreibt, hat er von Ihnen, liebe Kollegin-nen und Kollegen der Großen Koalition, keinen Tadelbekommen, sondern sie wurde anschließend legitimiertund legalisiert . Belohnung statt Tadel: Ich glaube, damithaben Sie sehr deutlich die Chance verpasst, unsere Ge-heimdienste auf einer klaren und an den Bürgerrechtenorientierten Grundlage arbeiten zu lassen .
Ähnlich bedrückend ist die Lage beim Verfas-sungsschutz . Auch hier haben Sie trotz kritischer Aus-schussberichte über das Versagen der Behörde bei derNSU-Mordserie an vielen Stellen mit einem Ausbau derGeheimdienstbehörde geantwortet, obwohl uns noch im-mer täglich Hiobsbotschaften, wie verschwundene Aktenund Telefone sowie Zeugen, die nicht erscheinen, errei-chen . Das ist nicht nur im Interesse der Aufklärung undvor allen Dingen für die Opfer bedauerlich, sondern dasist auch eine ausgemachte Respektlosigkeit gegenüberdem Parlament, und die sollte uns alle hier besorgen .
Vielleicht ganz grundlegend, weil das auch immer wie-der debattiert wird: Wir finden es wirklich einen Jammer,dass wir so viele sachbezogene Debatten, die wir hierim Bundestag führen, nach Karlsruhe verlagern müssen,weil dieser Weg nach Karlsruhe von Ihnen anscheinendschon mit eingerechnet und nicht von Anfang an der Ver-such unternommen wird, eine wirklich verfassungsfesteRechtsgrundlage, ein verfassungsfestes Gesetz, zu schaf-fen, sodass dieser Schritt nicht notwendig ist . Das sollteaber eigentlich unser Anspruch hier im Parlament sein .
Wir reden hier über die Innenpolitik . Dabei muss mannatürlich auch – es wundert mich, dass das außer vonmeinen Kollegen der Linken noch nicht angesprochenwurde – die weiterhin wirklich erschreckend hohe Zahlan Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte nennen . DasBKA zählt bis jetzt rund 850 Angriffe . Eine wirksameStrategie gegen die Angriffe durch Neonazis und andereextrem rechte Gruppen hat die Bundesregierung bishernicht .Man muss es wirklich noch einmal ausdrücklich sa-gen: Wer will, dass sich die Menschen, die vor Krieg undTerror nach Deutschland fliehen, in unserem Land gut in-tegrieren können, der darf nicht zulassen, dass sie auchhier einer erneuten Bedrohung ausgesetzt sind und erneutAngst um ihre Gesundheit und ihr Leben haben müssen .
Im vergangenen Jahr sind viele Menschen zu uns ge-kommen, die bei uns Schutz vor Krieg und Terror ge-sucht haben . Sie willkommen zu heißen und ihnen dieMöglichkeit zu geben, hier eine Existenz aufzubauen,muss unser oberster Anspruch und unser Interesse sein .In Zeiten allgemeiner Verunsicherung geht es auch da-rum, wieder Hoffnung und Mut zu machen . Mit einemBlick zurück auf das vergangene Jahr ist erst einmaldenjenigen Anerkennung zu zollen, die sich mit großemEngagement für geflüchtete Menschen in unserem Landeingesetzt haben und die Erstversorgung da gewährleistethaben, wo der Staat dazu nicht in der Lage war . Das giltim Übrigen auch für viele Geflüchtete selbst.Die Rahmenbedingungen für dieses Engagement sindanhaltend schwierig, wodurch die Integrationsbemühun-gen an vielen Stellen konterkariert werden . Das beste,aber auch traurigste Beispiel ist die Beschränkung desFamiliennachzugs . Wir glauben, dass ein Mensch erstdann richtig ankommen kann, wenn er eben nicht in stän-diger Sorge um seine Familie sein muss . Aber auch hierhaben Sie, wie wir finden, die völlig falschen Antworten.
Wenn es um Flüchtlinge geht, stolpert die Große Ko-alition zerstritten hin und her und verbaut ganz bewusstdie Chancen vieler Menschen in diesem Land . Indem sieFlüchtlinge in zwei Klassen einteilt, die mit guter und diemit schlechter Bleibeperspektive, wird ein ganzer Teilvon Menschen von Integrationsmaßnahmen von Tag einsan ausgeschlossen; denn eine schlechte Bleibeperspekti-ve heißt für diese Bundesregierung, dass diejenigen, dieaus einem Land kommen, in dem die Schutzquote unter50 Prozent liegt, keinen Zugang zu Integrationsleistun-gen haben . Das bedeutet zum Beispiel für afghanischeFlüchtlinge, dass die alleinige Zugehörigkeit zu einerGruppe, losgelöst vom eigenen Fluchtschicksal, dazuführt, dass man keinen Sprachkurs machen kann, obwohlsie absehbar viele Jahre in Deutschland leben werden .Luise Amtsberg
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So macht man keine Integrationspolitik . So verbaut manChancen . Auch das wollen wir ausdrücklich ändern .
Der Bund hat die Mittel für die Integrationskurse zwarerhöht, aber sie reichen nach wie vor nicht aus . Das istabsehbar . Wir als Fraktion fordern daher eine Aufsto-ckung auf insgesamt 750 Millionen Euro, weil es dochunser Anspruch sein muss, die Nachfrage zu decken . Dasist bisher nicht gelungen .Auch die Beratungsstellen, die exzellente Arbeit leis-ten, sind seit Jahren chronisch unterfinanziert. Hier mussman deutlich betonen, dass selbst die Bundesregierungdavon ausgeht, dass es im nächsten Jahr eine Erhöhungdes Beratungsbedarfs geben wird . Trotzdem verweigertsie sich der Forderung, die Beratungsstellen mit Haus-haltsmitteln von 62 Millionen Euro – diese bräuchte esnämlich – zu flankieren.Es reicht nicht, finde ich, über Probleme der Integra-tion zu philosophieren, wenn zum Beispiel die Finanzie-rung von Integrationskursen für Frauen, die aus anderenKulturkreisen kommen und die von den konventionellenIntegrationsangeboten gar nicht erreicht werden, in ih-rem Haushalt überhaupt nicht mitgedacht wird . Genau dasind die Stellen, wo wir künftige Integration und Zusam-menleben in Deutschland gestalten können . Da sind Sievöllig ideenlos . Dasselbe gilt auch für die Psychosozia-len Zentren . Hier braucht es deutlich mehr als Lippenbe-kenntnisse . Vor allem braucht es die Finanzierung der bisjetzt schon bestehenden Angebote, sodass sie ausgebautwerden und die Menschen dort vernünftig arbeiten kön-nen .
Auch hier gilt: Natürlich könnten wir Ihrem Haushaltzustimmen . Sie könnten aber auch unseren Änderungs-anträgen zustimmen . Dann würde uns die Zustimmungzu Ihrem Haushalt leichter fallen . Ich glaube, wir stel-len hier keine absurden Forderungen, sondern mit Blickauf die Integration und die immensen Herausforderun-gen, die wir in den nächsten Jahren zu leisten haben, sindsie genau der richtige Weg . Also öffnen Sie sich in dieseRichtung .Herzlichen Dank .
Das Wort hat der Kollege Martin Gerster für die
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Es soll noch immer Leute geben, die Haushaltspolitikund Haushaltsverhandlungen als reine Zahlenhubereiabtun . Ja, Geld ist nicht alles . Aber ohne Geld ist vieleseben nichts . Das gilt vor allem, wenn es um die Fragegeht, wie wir Probleme und Krisen beheben können unddie Dinge, die in unserer Gesellschaft gut sind, ausbauenkönnen .Deswegen ist es zunächst einmal eine sehr gute Nach-richt, dass wir es wieder einmal und erneut geschaffthaben, die Mittel im Einzelplan 06, dem Haushalt desBundesinnenministeriums, anzuheben, von knapp 8 Mil-liarden Euro auf jetzt knapp 9 Milliarden Euro . Das wirdin diesem Land einiges verändern und verbessern . Ichmöchte gerne meine Redezeit dafür verwenden, um da-rüber zu diskutieren .Ich will mit der Situation der vielen Ehrenamtlichenbeginnen, die sich tagein, tagaus engagieren, ohne zu fra-gen, welche Vorteile es für sie selbst bringt . Letztendlichgeht es hier um die Antiegoistinnen und Antiegoisten inunserer Gesellschaft, vor allem bei unseren Rettungs-kräften und bei unseren Hilfsorganisationen . Ich will hierbeispielhaft das THW herausstellen. Ich finde es unglaub-lich, wie sich die Menschen einbringen . Sie sind immerda, wenn jemand Hilfe braucht: selbstlos, kompetent undzuverlässig . Dafür will ich Danke sagen . Ich glaube, dassind wahre Vorbilder in unserer Gesellschaft und sozialerKitt, den wir gerade in diesen Zeiten brauchen .
Aber ich meine – ich denke, darin sind wir uns in die-sem Haus einig –: Engagement braucht gute Rahmenbe-dingungen . Hier lag einiges im Argen . Der Fuhrpark desTechnischen Hilfswerks gleicht hier und da einer Old-timersammlung . Wir haben jetzt als SPD und als Gro-ße Koalition in der Bereinigungssitzung des Haushalts-ausschusses ein XXL-Fahrzeugprogramm beschlossen .100 Millionen Euro stehen in den nächsten Jahren zu-sätzlich bereit, um neue Einsatzfahrzeuge für das THWzu beschaffen . Das bedeutet eine Verdopplung der Zahlneuer Fahrzeuge in den kommenden Jahren .Weiter haben wir 150 zusätzliche Stellen beim THWzur Unterstützung der Arbeit der Ortsverbände auf denWeg gebracht, nachdem wir im vergangenen Jahr bereits208 zusätzliche Stellen geschaffen haben . 3 MillionenEuro setzen wir für eine Kampagne zur Gewinnung wei-terer Helferinnen und Helfer und von Nachwuchs ein . Ichfinde, wir dürfen an dieser Stelle das Ehrenamt nicht hän-gen lassen, sondern wir müssen es durch mehr Kräfte imHauptamt unterstützen, damit es auch in einigen Jahrennoch genügend Leute gibt, die bereit sind, sich ehrenamt-lich in unserer Gesellschaft einzubringen .
Wir bringen auch denjenigen Wertschätzung entge-gen, die sich hauptamtlich einbringen . Wir haben über160 zusätzliche Stellenhebungen durchgesetzt . Ich erin-nere noch einmal an die Beschlüsse in den letzten Jahren,die wir – darauf lege ich Wert – im parlamentarischenVerfahren als Koalition bzw . als Abgeordnete gefasst ha-ben .
Luise Amtsberg
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Wir haben die Anhebung der Selbstbewirtschaftungs-mittel um jährlich 8 Millionen Euro auf den Weg ge-bracht . Wir haben ein Liegenschaftsprogramm aufgelegt,damit marode Unterkünfte durch Neubauten ersetzt odersaniert werden . All das ist, glaube ich, ein gutes Signalin unser Ehrenamt hinein . Ich freue mich, dass wir dasTHW so aufstocken konnten, wie es das verdient .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Bundespoli-zei und bei den Sicherheitskräften insgesamt gilt dassel-be: viel zu wenig Personal, viel zu wenig Material . Daswar die Klage und die Bestandsaufnahme, als die letzteLegislaturperiode zu Ende ging und wir in die Koaliti-onsverhandlungen gingen . Ich glaube, dass wir als SPDund als Große Koalition insgesamt ganz Wichtiges aufden Weg gebracht haben .Allein bei der Bundespolizei haben wir über 7 000 zu-sätzliche Stellen auf den Weg gebracht: knapp 3 500 Stel-len in dieser Legislaturperiode und über 3 500 zusätzlicheStellen bis 2020 . Das ist die größte Personalaufstockungaller Zeiten bei der Bundespolizei . Ich denke, das mussman den Leuten auch einmal sagen; denn es ist aller Eh-ren wert, was wir hier tun . Deswegen ist es gut, dass dieSPD mitregiert . Denn in der letzten Legislaturperiodegab es noch einen Abbau von 1 000 Stellen . Ich glaube,wir arbeiten gut zusammen, auch zum Wohle derer beiunserer Bundespolizei und bei den Sicherheitskräften,die sich so engagieren und reinhängen, damit wir in Si-cherheit und Freiheit leben können .
Wir haben 2015 1 500 Hebungen im mittleren Dienstund 2016 – auch im parlamentarischen Verfahren – wei-tere 1 000 Hebungen im einfachen Dienst im Tarifbereichbereits durchgesetzt . Hier mangelt es – so hört man hierund da – noch an der Umsetzung . Deswegen, sehr geehr-ter Herr Minister de Maizière, möchte ich neben meinemDank an Sie und Ihr Haus für die gute Zusammenarbeitauch eine Bitte äußern: Dort, wo Höhergruppierungennoch an mangelnden Voraussetzungen scheitern, müssenQualifizierungen angeboten werden, damit die Beschäf-tigten der Bundespolizei auch die Chance haben, von un-seren Stellenhebungen zu profitieren. Ich denke, das isteine wichtige Bitte; hier muss man noch verstärkt etwastun .In der Bereinigungssitzung der vorletzten Wochehaben wir als SPD bzw . als Große Koalition weitere1 000 Hebungen durchgesetzt: 200 im mittleren Dienstund 800 vom mittleren in den gehobenen Dienst . Dasschafft durch den sogenannten Kamineffekt Beförde-rungsmöglichkeiten für 2 400 Bundespolizistinnen und-polizisten . Das kommt vor allem denjenigen Polizeibe-amtinnen und -beamten zugute, die unter schwierigs-ten Bedingungen die operative Polizeiarbeit bewältigenmüssen. Das ist, wie ich finde, eine große Leistung, diewir Abgeordnete im Haushaltsausschuss für unsere Bun-despolizei erbracht haben . Angesichts dessen und desLiegenschaftsprogramms, mit dem wir erreichen, dasszahlreiche Standorte der Bundespolizei saniert bzw .dass neue Liegenschaften begründet werden, ist das dieerfolgreichste Legislaturperiode für die Bundespolizei .Das muss an dieser Stelle auch einmal gesagt werden .
Auch bei der Ausstattung haben wir auf parlamentari-scher Ebene nachgelegt, und zwar mit neuen Hubschrau-bern und Schiffen sowie vielem anderen mehr, was letzt-lich unsere Bundespolizei in die Lage versetzt, besser zuagieren .Beim Bundeskriminalamt haben wir ebenfalls nach-gelegt . Zusätzlich zu den im Regierungsentwurf vorgese-henen 290 Stellen kommen 530 Stellen . Auch das Bun-desamt für Verfassungsschutz haben wir – wie ich finde:zu Recht – mit mehr als ursprünglich im Regierungsent-wurf vorgesehenen Stellen gestärkt; denn wir meinen,dass Anhänger eines sogenannten Islamischen Staats, ei-ner Scharia-Polizei oder der Salafistenvereinigung „Diewahre Religion“ in unserer Gesellschaft genauso wenigPlatz haben wie „Reichsbürger“, der sogenannte Natio-nalsozialistische Untergrund oder vermeintlich besorgteBürger, die Flüchtlingsunterkünfte anzünden . Wir setzenein klares Signal dagegen; und das ist auch gut so undnotwendig .
Im Bereich der Asyl- und Flüchtlingspolitik haben wirin dieser Legislaturperiode viel getan und werden dasauch im Rahmen des nun zu beschließenden Haushaltsweiterhin tun . Wir haben in den letzten Jahren das Bun-desamt für Migration und Flüchtlinge personell deutlichgestärkt . Viele Anträge auf Asyl können nun zügiger ab-gearbeitet werden . Der Antragsstau wird geringer . UnsereMaßnahmen haben Erfolg . Das bedeutet aber auch, dasssich nun der Schwerpunkt verlagert . Wir haben die Mit-tel für die Integrationskurse von ursprünglich knapp über200 Millionen auf nun über 600 Millionen Euro verdrei-facht . Wir stellen zudem viel Geld für Orientierungskursefür Asylsuchende mit weniger guten Bleibeperspektivenzur Verfügung . Das sind gute Entscheidungen . Ich willausdrücklich darauf hinweisen, dass wir die Situation derLehrkräfte und der Träger der Integrationskurse verbes-sert haben . Auch das gehört zum Gesamtpaket dazu undsollte nicht verschwiegen werden .
Ich freue mich, dass es wieder gelungen ist, die Mittelfür die Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer,MBE, noch einmal um 5 Millionen Euro aufzustocken,nachdem wir im Jahr zuvor bereits 10,5 Millionen Eurodrauflegen konnten. Das ist sehr gut investiertes Geld,weil es die Lebensperspektive Einzelner verbessern kann,
weil es gut für unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaftist und weil es die beste Prävention gegen die falsche An-sprache demokratiefeindlicher Organisationen mit ihrenMartin Gerster
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staatsfeindlichen Ideologien darstellt . Es ist gut, dass wirals Abgeordnete im Haushaltsausschuss hier noch etwasdrauflegen konnten.
Ich will noch einen Satz zur Bundeszentrale für po-litische Bildung sagen . Das ist eine ganz wichtige undwertvolle Einrichtung, deren Arbeit eine enorme Bedeu-tung in Zeiten hat, in denen gefährlicher Islamismus undSalafismus zunehmend Raum greifen, Rechtsextremis-mus leider wieder Konjunktur hat und es zunehmendeAttacken auf Demokratie, Rechtsstaat und unsere Insti-tutionen gibt . Wir konnten in der Bereinigungssitzungdes Haushaltsausschusses weitere Stellen organisierenund die Stellen bzw . die Mittel für eine Aktivierungs-kampagne zur Mobilisierung vor allem junger Leute fürdie Bundestagswahl um 5 bzw . 3 Millionen Euro auf-stocken . Diese Legislaturperiode ist die erfolgreichstefür die Bundeszentrale für politische Bildung . Ich freuemich, dass wir nicht nur die Kürzungen der letzten Wahl-periode unter Schwarz-Gelb wettmachen konnten, son-dern deutlich etwas drauflegen konnten. Ich glaube, dasist notwendig in diesen Zeiten und eine absolut richtigeSchwerpunktsetzung .
Zum Sport will ich sagen: Wir haben in dieser Wahl-periode strukturell bereits 15 Millionen Euro draufgesat-telt, um Nöte im Bereich des Sports zu lindern . Ich denkean die Dopingbekämpfung, und ich denke an unsere In-stitute IAT/FES und viele andere . Wir legen jetzt nocheinmal beim Behindertensport und den neuen olympi-schen Sportarten drauf, aber schaffen auch die Voraus-setzungen für die Leistungssportreform, die wichtig ist .In diesem Sinne will ich sagen: Haushaltspolitik istmehr als in Zahlen gegossene Politik; sie ist vielmehreine Frage des politischen Kompasses, der in dieser Le-gislaturperiode mithilfe der SPD in die richtige Richtungzeigt .Herzlichen Dank .
Das Wort hat der Bundesminister des Innern,Dr . Thomas de Maizière .
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Haushalt des Bundesministeriums des Innern, denwir heute abschließend beraten, ist wirklich ein Haushaltder neuen Dimension . Man sollte mit Superlativen in derPolitik sparsam sein – und ich bin das ohnehin –,
aber hier und heute passt ein Superlativ . Dieser Haus-halt und die damit verbundenen Inhalte, über die HerrGerster, Herr Brandl und andere gesprochen haben, set-zen für die kommenden Jahre Maßstäbe . Im Vergleichzum laufenden Haushalt wächst der Einzelplan um rund1,18 Milliarden Euro . Der Stellenhaushalt umfasst nun-mehr 66 000 Stellen und Planstellen . Das ist außeror-dentlich, das ist wichtig, und das ist richtig .
Bei all diesen Maßnahmen sollten wir nicht vergessen,wofür der Einzelplan inhaltlich steht . Er steht für eineklare, er steht für eine seriöse und er steht für eine ver-antwortungsvolle Innen- und Sicherheitspolitik, und erbildet ab, was wichtig ist: Wie viel investiert der Staat indie Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger? Wie vielinvestiert er in einen sicheren Cyberraum? Davon warheute noch wenig die Rede . Wie viel investiert er in dieZukunftsfragen Migration und Integration? Wie viel in-vestiert er in die innere Verfasstheit Deutschlands? Dassind fünf Grundsatzthemen, die die Menschen in unse-rem Land umtreiben .Wir alle wissen: Der Zustrom von Flüchtlingen imvergangenen Jahr hat die Bürgerinnen und Bürger auf-gewühlt . Die angespannte Sicherheitslage macht vielenMenschen Sorge . Politische Ränder erhalten Zulauf . Ag-gressive Bildwahl, gefährliche Rhetorik und Polarisie-rung der Menschen bleiben nicht folgenlos, nirgendwoauf der Welt . Hierauf muss verantwortungsvolle Politikantworten . Diese Antwort liegt nicht in einfachen, son-dern in richtigen Lösungen, sie liegt nicht in hektischemund lautstarkem, sondern in überlegtem Handeln, und sieliegt nicht in Abgrenzung von anderen, sondern in ge-meinsamer Gestaltung . Der Haushalt 2017 ist eine solcheAntwort, an den richtigen Stellen, mit Vorausschau undmit Augenmaß .Meine Damen und Herren, bereits im letzten Jahrhatten wir erhebliche Aufwüchse im Sicherheitsbereichbeschlossen . Diese werden in den kommenden Jahrennoch einmal übertroffen . Schon mit dem Regierungs-entwurf hatten wir ein eindrucksvolles Sicherheitspaketvorgelegt . Nach dem Sommer haben dann der Bundes-finanzminister und ich noch einmal mit der sogenanntenBereinigungsvorlage eine substanzielle Stärkung vorge-schlagen . Dieses Parlament hat dann an verschiedenenStellen noch einmal für Sicherheit etliches draufgepackt .Sie haben dem allen zugestimmt, Sie haben das so ent-schieden, und deswegen steht es mir, glaube ich, als Ver-treter der Regierung gut an, mich bei Ihnen für diese Ar-beit herzlich zu bedanken .
Deutschland ist uns wichtig, die Bürgerinnen und Bür-ger sind uns wichtig . Deshalb investieren wir in eine gutegemeinsame Zukunft . Wir investieren in neue Fahrzeuge,Hubschrauber, Einsatzschiffe bei der Bundespolizei, indie Sanierung und den Neubau von Diensträumen, in denAufbau von Kapazitäten für Aus- und Fortbildung . Dennfür diese vielen neuen Stellen müssen auch erst einmalMenschen ausgesucht, eingestellt und dann ausgebildetwerden, was große Anforderungen an die bestehende Or-Martin Gerster
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ganisation der Bundespolizei und des Bundeskriminal-amtes darstellt . Wir investieren in mehr Sicherheit mitder neuen Zentralstelle für Informationstechnik im Si-cherheitsbereich, um BKA, Bundespolizei und das Bun-desamt für Verfassungsschutz zu unterstützen .Wir verstärken abermals unser Personal, und das mas-siv: Die Bundespolizei erhält von 2015 bis 2020 mehr als7 000 zusätzliche Stellen . Auch das Bundeskriminalamtwird in diesem Zeitraum um über 1 300 Stellen anwach-sen . Umgerechnet sind es etwas über 20 Prozent bei derBundespolizei und – Herr Gerster hat es schon gesagt –etwa 25 Prozent beim Bundeskriminalamt . Herr Claus,ehrlich gesagt, wir haben eine Fürsorgepflicht für unsereBediensteten beim Bund, und die Länder sind aufgefor-dert, mehr zu zahlen . Wenn wir die Besten bekommen, istmir das gerade recht . Das muss ich Ihnen einmal sagen .
Die Grünen haben normalerweise einen anderen Text-baustein, als Frau Amtsberg ihn hatte .
– Warten Sie doch einmal ab, was ich sagen will . Ganzruhig .
Herr von Notz, Frau Mihalic und andere haben früher imGrunde andere Textbausteine benutzt . Sie haben gesagt:Macht doch nicht so viele neue Gesetze, sondern schafftlieber neues Personal heran . – Textbausteine wie diesenkönnen Sie jetzt einpacken .
Jetzt müssen Sie inhaltlich klarstellen, was Sie gegenneue Gesetze haben . Darauf komme ich gleich .
– Ganz ruhig .
Ich möchte eine Bitte an Sie äußern: dass Sie IhrenTextbaustein „Mehr Personal statt neue Gesetze“ jetztnicht mehr von diesem Pult an die Bundesregierung rich-ten, sondern dass Sie ihn jetzt einmal an die Finanzminis-ter in den Bundesländern richten, wo Sie selber mitregie-ren . Das wäre eine gute Leistung .
– Nun seien Sie doch einmal ganz ruhig . Ich habe gehört:Die Polizei in Nordrhein-Westfalen stellt etwa 150 Be-werber neu ein, so in der Größenordnung . Da ist nochLuft nach oben .
Frau Amtsberg, ich wollte Ihnen aber gerne etwas an-deres sagen . Sie haben gesagt: Diese Legislaturperiodewar eine Legislaturperiode der Einschränkung von Bür-gerrechten .
Ich muss Ihnen sagen: Das Land, über das Sie reden,kann nicht Deutschland sein . Diese Legislaturperiode isteine Legislaturperiode, in der wir maßvoll und verant-wortungsvoll die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürgerauch mit neuen Gesetzen erhöht haben . Unsere Sicher-heitspolitik schützt die Freiheit und schränkt sie nicht ein .
– Darüber kann man ja diskutieren .Dann haben Sie gesagt: Jetzt braucht man aber Hal-tung . – Da stimme ich zu . Jetzt kommt es nur darauf an,wozu und wie .
– Genau . – Da will ich Ihnen sagen: Zu guten Gesetzenund zu viel und gutem Personal und zu, ehrlich gesagt,guter Technik, worüber ich häufiger mit Herrn von Notzstreite, gehört auch exekutives Handeln . Zum exekutivenHandeln gehört, dass wir in einer beispiellosen Weise inden letzten Wochen und Monaten durch internationaleZusammenarbeit und durch die tüchtige Arbeit der Si-cherheitsbehörden von Bund und Ländern einige schwe-re Anschläge in Deutschland verhindert haben . Ich hättemir gewünscht, dass Sie etwas häufiger sagen: Bravo!Gut gemacht! – Das wäre Ausdruck einer Haltung ge-wesen .
Wir haben rechtsextremistische Vereine verboten . Ichhabe sogar eine rechtsterroristische Vereinigung verbo-ten . Ich habe das Bundesamt für Verfassungsschutz unddie Länder gebeten, zu prüfen, ob die „Reichsbürger“ zubeobachten sind . Wir haben in dieser Woche Einigkeiterzielt, dass ab sofort auch die „Reichsbürger“ in ganzDeutschland Sammelbeobachtungsobjekt des Bundes-amtes für Verfassungsschutz und der Länder werden .
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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Ich sage hier noch einmal ganz klar: Wer diesen Staatablehnt, der kann keinen Cent vom Staat erhalten undglauben, er könne Polizist oder etwas anderes im öffent-lichen Dienst sein . Dergleichen ist vollständig unverein-bar .
Ich habe in der letzten Woche die hinter der„Lies!“-Kampagne stehende Vereinigung, „Die wahreReligion“, verboten . Wir haben nichts dagegen, wenn anöffentlichen Plätzen, in Einkaufszentren, überall Bibeln,Korane und sonst etwas verteilt werden . Wenn das aberder Ausgangspunkt für eine Radikalisierung ist, die hinzum Terror führt, dann ist Schluss, und dann wird einesolche Einrichtung verboten; das gilt auch für ähnlicheEinrichtungen in der Zukunft . Das hätten Sie einmal be-grüßen können . Das war im Übrigen alles mit Augenmaß .
Nun ein Wort zur Integration . Dazu haben Sie auchetwas Erstaunliches gesagt, nämlich wir würden dieFlüchtlinge teilen in diejenigen mit Bleibeperspekti-ve und diejenigen ohne Bleibeperspektive, und das seifalsch . Soll ich Ihnen mal was sagen? Das ist deutscheRechtslage, das ist europäische Rechtslage, das ist in-ternationale Rechtslage . Es gibt kein einziges Land inder Welt, das nicht zwischen Flüchtlingen mit und ohneBleibeperspektive unterscheidet . Wenn Sie das vollstän-dig verändern wollen, dann müssen Sie das von diesemPult aus mal sagen, und dann bin ich gespannt, wie IhreWählerinnen und Wähler das finden.
Der Grundsatz kann nicht streitig sein . Streitig kannsein – das ist auch streitig, zwischen uns, manchmal auchin der Koalition –, wie man damit umgeht . Aber dassder Grundsatz unstreitig ist, nämlich dass es Menschengibt, die nach Prüfung eine Bleibeperspektive haben odernicht, müssten Sie vielleicht mal anerkennen .
Es wäre nicht schlecht, Sie würden das mal tun .
Deswegen gilt, dass wir für diejenigen mit Bleibeper-spektive so viel tun wie nie zuvor in diesem Land . DieZahlen sind schon genannt worden: über 600 MillionenEuro für Integrationskurse, erstmalig Orientierungskursesogar für Menschen ohne Bleibeperspektive . Nicht nurdie Mittel für die Migrationserstberatung sind erhöhtworden, sondern auch die für die sonstigen Programme,die wir zur Unterstützung des Ehrenamts haben . AuchMoscheevereine, wenn sie bei der Integration mithelfen,werden gestützt und gefördert . Das kann sich wirklichsehen lassen .Gleichzeitig erhöhen wir die Mittel für die freiwilli-ge Rückkehr . Freiwillige Rückkehr ist allemal besser alsAbschiebung, aber freiwillige Rückkehr und Abschie-bung stehen in einem engen Zusammenhang . Ohne Ab-schiebung haben Maßnahmen zur freiwilligen Rückkehrrelativ wenig Erfolg . Sie können das sehen . Das ist unge-fähr im Verhältnis 1 : 2 . Das heißt, wenn man abschiebt,kommen manche auf die Idee, dass sie vielleicht frei-willig zurückgehen sollten . Deswegen ist beides richtig:Mittel für freiwillige Rückkehr und Abschiebung .
Wir werden sicher auch noch über Gesetzesänderun-gen reden . Hier ist nicht der Ort, das heute streitig zu tun;das werden wir sicher noch an anderer Stelle ausdisku-tieren .Viel steckt in diesem Haushalt: Mittel für das Tech-nische Hilfswerk – darüber ist gesprochen worden –,Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, Netze desBundes, IT-Konsolidierung . Auch hier noch einmal ei-nen Dank an den Haushaltsausschuss! Ohne den Druckdes Haushaltsausschusses wären wir bei der IT-Konso-lidierung der Bundesministerien nicht so weit vorange-kommen . Zur Reform der Spitzensportförderung werdensicher noch Herr Mutlu und Frau Engelmeier reden .
– Herr Hahn auch .
Natürlich ist das Thema Aussiedler zu nennen und vielesandere mehr . Ich habe nicht die Zeit, das heute auszu-führen .Ich will nur noch sagen, dass die Steigerungen in derSache und die damit zusammenhängenden inhaltlichenSchwerpunkte in dieser Legislaturperiode beispiellos inder Geschichte des Bundesinnenministeriums sind . Dasgilt sogar für den Stil, in dem das zustande gekommenist . Es gab sehr viele Anträge, denen auch die Oppositionzugestimmt hat . Zum Schluss fanden Sie von der Oppo-sition es aber irgendwie peinlich, dem ganzen Haushaltzuzustimmen . An sich wäre es in der Logik gewesen, daszu tun . Nun gut; Sie brauchen es für Ihre Klientel, dassSie ihn ablehnen . Auch recht!
Trotzdem: Die Art und Weise, wie das zustande ge-kommen ist, auch im Haushaltsausschuss, bei einemHaushalt, der normalerweise zu den umstrittensten ge-hört, ist beispielgebend in diesem Jahr, in dem wir kurzvor Bundestagswahlen stehen . Das ist auch, glaube ich,gut für die Sicherheit unseres Landes .Wir werden verantwortungsvoll, seriös und klug mitdiesen Mitteln umgehen . Auch dabei hoffe und setze ichauf Ihre Unterstützung .
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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Das Wort hat der Kollege Dr . André Hahn für die
Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich fan-ge heute einmal mit dem einzigen Lichtblick im Etat desInnenministeriums an .
– Nein, der Minister ist es wirklich nicht, Herr Schuster . Estut mir leid . – Die Bundespolizei wird deutlich gestärkt;es gibt einen Aufwuchs um insgesamt fast 2 000 Stellen .Wir als Linke haben seit langem den Personalmangelbei der Polizei auf Bundes- und Länderebene kritisiert .Deshalb begrüßen wir, dass hier endlich gehandelt wird;denn in diesem Bereich ist das Geld deutlich besser ein-gesetzt als bei den zum Teil wirklich abenteuerlichenAufstockungen für die Geheimdienste .
Aber wenn ich vom einzigen Lichtblick im Haushaltdes BMI spreche, dann ist klar, dass es aus unserer Sichtdort vor allem sehr viel Schatten gibt . Was hier an Steu-ergeld verpulvert wird, ist schier unglaublich . Schon derursprüngliche Regierungsentwurf, Herr de Maizière,sah für das Innenministerium eine satte Erhöhung um537 Millionen Euro vor . In den Ausschussberatungenwurden dann zum Teil völlig konzeptionslos noch ein-mal 640 Millionen Euro obendrauf gepackt . Eine derarti-ge Aufstockung hat es vermutlich seit Jahrzehnten nichtmehr gegeben . Und neben dem Verteidigungsetat ist nurnoch der Innenhaushalt von jedweden Sparauflagen frei-gestellt . Dadurch wird deutlich, wo die Große Koaliti-on ihre politischen Schwerpunkte setzt: Repression undÜberwachung im Innern, immer neue und sinnlosereKriegsbeteiligungen im Ausland
statt Deeskalation und Unterstützung friedlicher Kon-fliktlösungen. Das, meine Damen und Herren, kann undwird nie die Politik der Linken sein .
Dass wir grundsätzlich begrüßen, dass es zusätzlicheStellen bei der Bundespolizei gibt, habe ich eingangsschon festgestellt . Es kann aber doch nicht ernsthaft derWeg sein, bei der Polizei und vor allem bei den Geheim-diensten quasi auf Zuruf einfach mal so im Ausschuss einpaar Hundert Planstellen mehr in den Haushalt zu schrei-ben, ohne dass klar ist, wofür diese künftig vorgesehensind . Statt immer mehr neue Stellen zu schaffen, solltenvielleicht erst einmal die bestehenden Stellen richtig be-setzt werden .
Was fehlt, ist eine grundlegende Aufgabenkritik . Ist eswirklich nötig, dass Polizistinnen und Polizisten an derGrenze gegen Flüchtlinge wegen sogenannter illegalerEinreisen Tausende offizielle und bürokratisch aufwen-dige Verfahren eröffnen,
die später in aller Regel ohnehin wieder eingestellt wer-den?
Brauchen wir 300 neue Beamte, die allein für die Ab-schottungsoperationen von Frontex eingestellt werdensollen? Wir als Linke wollen das nicht .
Überaus bescheiden sind dagegen die Stellenzuwäch-se beim Technischen Hilfswerk und beim Bundesamt fürBevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe .
Sie erhalten gerade so viel, dass sie ihre Aufgaben halb-wegs erfüllen können . Vor allem hinken die Ausgaben imBereich der technischen Ausstattung trotz der erfolgtenAufstockung, die wir auch sehen, dem tatsächlichen Be-darf weiter hinterher . Anstatt hier im wahrsten Sinne desWortes einmal aufzurüsten, schaffen die Großkoalitionä-re lieber neue Stellen für Vorratsdatenspeicherung undBig-Data-Projekte .Nach dem Willen von Union und SPD sollen die dreideutschen Geheimdienste für 2017 zusammen sage undschreibe 1 250 Millionen Euro erhalten . 1 250 MillionenEuro – eine utopische und, wie wir meinen, durch nichtszu rechtfertigende Summe .
Allein der Haushalt des Bundesamtes für Verfassungs-schutz soll um 88 Millionen Euro steigen, der Etat desBundesnachrichtendienstes gar um 108 Millionen Euro .Wir als Linke halten ein derartiges Konjunkturprogrammfür die Geheimdienste für unverantwortlich und werdenihm auch nicht zustimmen .Der BND will demnächst – so hört man – sogar eige-ne Spionagesatelliten in den Orbit schicken . Glaubt manzeit .de, sollen dafür bis 2022 mindestens 400 MillionenEuro an Steuergeldern bereitgestellt werden . Wir als Lin-ke lehnen ein solches Weiterdrehen der Überwachungs-spirale ganz entschieden ab . Und im Übrigen zeigen alleErfahrungen mit derartigen Projekten, zum Beispiel inden USA, dass die veranschlagten 400 Millionen Euroniemals ausreichen werden . Man wird wohl eher in denMilliardenbereich kommen . Deshalb unser klarer Appellals Linke: Beerdigen Sie dieses Vorhaben, ehe wiedereinmal Steuergelder sinnlos verbrannt werden .
Abschließend noch einige Bemerkungen zum Sport-bereich . Hier ist gegenüber 2016 eine Reduzierung um11 Millionen Euro vorgesehen . Auch wenn im kommen-den Jahr keine Entsendungskosten für Olympische undhttp://www.zeit.de
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Paralympische Spiele anfallen, halten wir diese Kürzungfür nicht akzeptabel .
Es gibt einen positiven Punkt, nämlich die Erhöhung derZuweisung für den Deutschen Behindertensportverband .Im Sportausschuss hatte die Koalition den diesbezügli-chen Antrag der Linken noch abgelehnt, im Haushalts-ausschuss hat man die Mittel dann doch klammheimlicherhöht . Opposition wirkt also, auch wenn Union undSPD das niemals zugeben werden .
Für uns ist klar: Die Stärkung des Behindertensportswar längst überfällig . Der gesamte Sportetat ist unter demStrich aber unzureichend und auch nicht geeignet, das inGeheimverhandlungen zwischen DOSB und Innenmi-nisterium ausgehandelte und hochumstrittene Konzeptzur künftigen Spitzensportförderung finanziell auch nurhalbwegs zu untersetzen .Wir halten dieses Konzept ohnehin für sehr problema-tisch . So fehlt darin jeder Bezug zum Breitensport, derletztlich die Basis aller späteren Erfolge im Leistungs-sportbereich ist .Bei aller Akzeptanz für einen Leistungsbezug als Kri-terium für die Förderung des Spitzensports haben wir er-hebliche Zweifel, ob die in der Konzeption aufgeführtenZiele und Methoden wirklich richtig definiert sind. Wasreitet eigentlich einen Bundesinnenminister, wenn er vonden deutschen Spitzensportlern bei gleicher Förderhöheein Drittel mehr Medaillen fordert? Ist denn die Doping-debatte an Ihnen, Herr de Maizière, komplett vorbeige-gangen? Haben Sie nicht verstanden, dass immer mehrNationen aussichtsreich um eine gleichbleibende Anzahlvon Podestplätzen wetteifern?Wer ernsthaft glaubt – das ist die letzte Bemerkung –,mit irgendwelchen Computerprogrammen, für die 2017erstmals 700 000 Euro bereitstehen, auch nur halbwegsverlässlich künftige Olympiasieger herausfiltern zu kön-nen, wird gnadenlos scheitern .Das haben unsere Spitzensportlerinnen und -sportlerund auch die Trainer nicht verdient . Die Reform darfnicht über ihre Köpfe hinweg, sondern kann nur mit ih-nen gemeinsam umgesetzt werden .Aus diesen Gründen werden wir den Etat des Innen-ministeriums ablehnen .
Gestatten Sie mir, bevor ich dem nächsten Redner das
Wort gebe, einen Hinweis, der fraktionsübergreifend gilt:
Die Ankündigung des Schlusses des Redebeitrages er-
setzt nicht den Schlusspunkt .
Ich bitte, das zukünftig möglichst zu beachten .
Das Wort hat der Kollege Sebastian Hartmann für die
SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Wenn mich jemand nach der politischenLeitlinie der Sozialdemokraten fragt, dann antworte ichihm oder ihr: Wir Sozialdemokraten organisieren dengesellschaftlichen Zusammenhalt aller Menschen inDeutschland . Wir haben eine klare Idee von unseremLand . Deutschland ist ein weltoffenes, ein spannendes,ein modernes Land .
Dass es so bleiben soll, ist ein Ansatz . Und da, wo wirnoch besser werden können, wollen wir mutig für unsereIdeen werben .Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten kön-nen daher mit Stolz auf den Haushalt, der jetzt zur Verab-schiedung kommt, und den Einzelplan 06 schauen, liebeKolleginnen und Kollegen .
Hieraus folgt aber auch untrennbar, dass die Integra-tion eine doppelte Aufgabe ist, die darin besteht, die In-tegration der Einwanderer und Flüchtlinge auf der einenSeite und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft aufder anderen Seite zu stärken . Wir müssen zwei zentra-le Aufgaben im Innenbereich erkennen und diese auchbeherzt anpacken: Wir müssen für innere und äußere Si-cherheit sorgen, und wir müssen ein modernes Einwan-derungsrecht schaffen,
um zu differenzieren: zwischen den Flüchtlingen unddem Asyl auf der einen Seite – international haben wireine nicht aufgebbare rechtliche Verpflichtung, humanesAsyl- und Flüchtlingsrecht zur Anwendung zu bringen –und einer Einwanderung auf der anderen Seite, die zwarwirtschaftlich motiviert ist, die uns als Gesellschaft aberauch nutzt und uns voranbringt . Denken Sie alleine da-ran, dass wir in den nächsten zehn Jahren vermutlich6 Millionen Erwerbstätige in diesem Land verlieren wer-den . Daraus können wir etwas machen . Das ist eine gro-ße Verantwortung für unsere Gesellschaft .Ich bin unseren Haushältern sehr dankbar dafür, dasssie für die innere und äußere Sicherheit die entsprechen-den Mittel zur Verfügung gestellt haben . Die Zahlen kön-nen sich sehen lassen .Zur Kritik der Opposition muss ich Folgendes sagen:Man mag einerseits kritisieren, dass es einen Aufwuchsan Mitteln gibt . Mit diesem Aufwuchs an Mitteln un-Dr. André Hahn
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trennbar verbunden ist aber auch 1 Milliarde Euro mehrfür Sprach- und Integrationskurse .
Das ist 1 Milliarde Euro mehr für Chancen, für neueMöglichkeiten, für den Zusammenhalt unserer Gesell-schaft . Darauf sind wir stolz .
Da müssen wir uns nicht verstecken . Diese Zahlen kön-nen sich sehen lassen . Es gibt 1 Milliarde Euro mehr fürSprach- und Integrationskurse . Jeder, der den Innenhaus-halt kritisiert, muss sich auch gefallen lassen,
dass wir ihm diese Zahl mutig entgegenhalten .Darum tragen wir Sozialdemokratinnen und Sozialde-mokraten in diesem Land Verantwortung, liebe Kollegin-nen und Kollegen . Darauf sind wir stolz .
Einwanderung muss im Interesse unserer Gesellschaftauch politisch gesteuert werden . Wir haben als SPD ei-nen eigenen Vorschlag für ein modernes Einwanderungs-gesetz gemacht . Dieser Vorschlag kann sich sehen lassen .Wir wollen aber klar trennen zwischen den Menschen,die vor Krieg, vor Not und aus anderen Verfolgungsgrün-den zu uns fliehen und damit humanitäre Gründe haben,und denjenigen, die aus anderen Gründen eine Einwan-derung nach Deutschland anstreben . Je deutlicher wir dasmachen, desto eher kommen wir dem Prinzip nach, dasswir Verfahren ordnen müssen . Das ist die Linie in derInnenpolitik .Als wir 2015 vor großen Herausforderungen stan-den, weil viele Menschen zu uns geflohen sind, habenwir Ordnung in die Verfahren gebracht . Wir haben aberkeine der staatlichen Ebenen alleingelassen . Wir habenGeld für die Kommunen zur Verfügung gestellt, damitdie Kommunen Geld für die Unterbringung haben . Wirhaben die ehrenamtlich Tätigen in diesem Land, die sichum die Aufnahme gekümmert haben, nicht alleingelas-sen . Wir haben die Länder nicht alleingelassen . Wir ha-ben als Bund insgesamt 24 Milliarden Euro für diese sozentrale Aufgabe zur Verfügung gestellt . Es hat uns Sozi-aldemokratinnen und Sozialdemokraten nie gereicht, nurzu sagen: „Wir schaffen das .“ Wir haben daraus gemacht:„Wir machen das“, indem wir die Verfahren geordnet unddas Asylrecht so gestaltet haben, dass die Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter des BAMF in der Lage waren, dieVerfahren ordnungsgemäß durchzuführen und schnelleund rechtssichere Entscheidungen herbeizuführen . Dasist unsere Linie in der Innenpolitik, liebe Kolleginnenund Kollegen .
Dafür brauchen wir einen starken und handlungsfä-higen Staat . Wir sind stolz darauf, dass das Spardiktatzurückgedreht worden ist, dass es beendet worden ist unddass es jetzt nicht weniger Personal gibt, sondern mehrPersonal an den richtigen Stellen im Bereich Inneres . Dashaben wir beim BAMF gemacht . Das haben wir bei denSicherheitsbehörden gemacht . Das haben wir aber auchbei denjenigen gemacht, die Integration in unserem Landorganisieren: in den Integrations- und Sprachkursen, beiden Lehrenden, bei denen, die die Aufnahme der neuenMitbürgerinnen und Mitbürger organisieren . Darauf sindwir stolz . Da müssen wir uns nicht verstecken .
Wir haben das aber nie isoliert betrachtet . Wir habenauch Fluchtursachen bekämpft . Wir haben dafür gesorgt,dass die Haushalte entsprechend ausgestaltet werden .Auch im Jahr 2016 – unser Haushälter Martin Gersterhat das noch einmal auf den Punkt gebracht – haben wirdiesen Punkt noch einmal gesetzt .Ich habe auf die Sprach- und Integrationskurse hinge-wiesen . Das ist die Fortsetzung einer langen Reihe . Wirhaben mit den Asylpaketen I und II begonnen, und wirhaben noch im Juli dieses Jahres ein Integrationsgesetzbeschlossen, das im August in Kraft getreten ist .Natürlich Dank an diejenigen, die uns das Geld zurVerfügung stellen, und auch an den Innenminister für dieKlarstellung . Ja, es wird auch Menschen geben, die die-ses Land wieder verlassen müssen . Aber Sie haben denFokus richtig gelegt: Es geht um die freiwillige Rück-kehr, da diese für uns viel kostengünstiger ist als die sehraufwendigen Abschiebungen . Hier muss man Klarheitschaffen, indem man die Verfahren entsprechend sortiert .Die Integration aller Menschen in Deutschland ist derzweite Teil der doppelten Integrationsaufgabe . Ich möch-te abschließend – Frau Präsidentin, ich habe Ihren Hin-weis bezüglich der Zeit sehr ernst genommen –, wennwir über die gleichberechtigte Teilhabe sprechen, einenPunkt noch einmal sehr deutlich machen: Wenn wir überdie doppelte Aufgabe der Integration sprechen, dannsprechen wir auch über Menschen, die auf der Suche nachOrientierung sind, die Sorgen haben, die auch Ängste ha-ben . Wir sollten keine dieser Sorgen oder Ängste wegwi-schen, aber wir sollten sie ehrlichen, wirksamen und vorallen Dingen politisch vertretbaren Lösungen zuführen .Das ist die Stunde von Politik . Das ist Politik . Olof Palmehat 1965 gesagt:Politik heißt: etwas wollen . SozialdemokratischePolitik heißt Veränderung wollen . Weil Verände-rungen Verbesserungen verheißen, weil sie Fantasieund Visionen anregen .Eine Veränderung kann eine Verbesserung sein . Dafürsetzen wir uns ein: es zum Besseren zu wenden .Vielen Dank .
Das Wort hat der Kollege Özcan Mutlu für die Frakti-on Bündnis 90/Die Grünen .Sebastian Hartmann
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Zunächst einmal zwei Sätze zum Sportminister deMaizière . Ich spreche heute als Sportpolitiker, und ichmuss Sie heute ebenfalls enttäuschen: Auch ich habe keinLob für Sie übrig, wie meine Kollegin Amtsberg . DennSie haben in Ihrer zwölfminütigen Rede als zuständigerMinister nur ein einziges Mal das Stichwort „Spitzen-steuerreform“ verwendet. Das finde ich ein bisschen zuwenig .
– Spitzensportreform, Entschuldigung .
– Ja, ja, jetzt ergötzt euch mal daran .Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wermorgens den Sportteil der Zeitung aufschlägt, liest dortüber Fußball, über Doping, über Manipulation, Korrupti-on, Vetternwirtschaft
und Gigantomanie . Der Sport steckt in einer weltweitenGlaubwürdigkeitskrise . IOC, FIFA, UEFA und sogar un-ser DFB sind Teil des Problems . Den Funktionären gehtes nur um die eigenen Interessen und oft um die Ver-tuschung ihrer eigenen Skandale . Zuschauerinnen undZuschauer werden veräppelt, Sportlerinnen und Sportlerwerden alleingelassen, Trainerinnen und Trainer werdenfür ihre Arbeit nicht wertgeschätzt .Daran ändert sich auch mit Ihrem vorliegenden Haus-halt für 2017 nichts . Wieder einmal hat die Bundesregie-rung die Chance verpasst, Weichen zu stellen und Ver-besserungen auf den Weg zu bringen . So eine verpassteChance ist zum Beispiel ein klares Zeichen im Kampfgegen Doping . Ja, Sie haben ein Anti-Doping-Gesetzverabschiedet – schön und gut –, aber geändert hat sichkaum etwas . Wichtiger ist eine nachhaltige Antidoping-arbeit, die auf Kontrollen und Prävention setzt, nationalwie international .
In Russland gibt es staatlich verordnetes Doping, unddas ist wahrscheinlich auch kein Einzelfall . In manchenLändern gibt es gar keine Dopingkontrollen . Unser DFBhat letzte Woche seine Antidopingregeln gelockert . Des-halb sagen wir: Eine Reform des Antidopingsystems, daschronisch unterfinanziert ist, ist weiterhin bitter nötig.
Eine Erhöhung der deutschen Beiträge für die Welt-An-ti-Doping-Agentur, mit der Deutschland als gutes Bei-spiel hätte vorangehen können, ist als erster Schritt leidernicht erfolgt, weil Sie unseren Antrag dazu abgelehnthaben .Ein anderes Beispiel: Anbieter illegaler Sportwettenwerden von der Bundesregierung anscheinend mit einemlaschen Gesetzentwurf gegen Sportwettbetrug und Spiel-manipulation beglückt. Dieses überflüssige Gesetz ver-hindert Sportwettbetrug und Spielmanipulationen nicht .Letztlich wird es zur Beschäftigungstherapie für die oh-nehin überlasteten Justizbehörden .Das ist ein klassisches Eigentor, und das kennen wirvon Sportminister de Maizière . Fast täglich – meine Kol-legin Amtsberg hat es gesagt – überschlägt er sich mitneuen Forderungen: diverse Antiterrorpakete, Auswei-tung der Vorratsdatenspeicherung, Ausweitung der Vi-deoüberwachung etc . Als würde das nicht reichen, wer-den dann auch noch Scheindebatten geführt, die völlig anden gesellschaftlichen Realitäten vorbeigehen oder mitdenen bewusst Ängste geschürt werden . Ich nenne da nurein Stichwort: Burkaverbot . Für die meisten Ihrer Vor-schläge gilt: Sie sind wenig bis überhaupt nicht geeignet,ein tatsächliches Mehr an Sicherheit zu gewährleisten . Inden letzten Monaten haben wir sogar einen beispiellosenAbbau von Grund- und Bürgerrechten erlebt, durchge-fochten in einer Augen-zu-und-durch-Mentalität .„Augen zu und durch“ erleben wir auch bei der soge-nannten Spitzensportreform . Gleich mehrere Chancen hatdie Bundesregierung hier verpasst: erstens eine öffentli-che und transparente Debatte darüber zu führen, welcheArt von Sport wir in Deutschland wollen und fördernsollten, anstatt Geheimniskrämerei hinter verschlossenenTüren zu betreiben, zweitens eine Debatte, die eine breiteGruppe aus Athletinnen und Trainerinnen, Sportvereinenund -verbänden, also die Menschen in Deutschland miteinschließt und nicht nur den zuständigen Minister unddie Spitze des DOSB, drittens eine Debatte über die Wer-te des Sports, den fairen Wettstreit, Respekt, die Motiva-tion zur Leistung und die Förderung dessen, anstatt wieMinister de Maizière Erbsenzählerei – pardon: schlichtMedaillenzählerei – zu betreiben . Herr Minister, damithaben Sie sogar Vertreter der eigenen Koalition im Sport-ausschuss verärgert . Dabei halten diese viel aus und las-sen Ihnen sehr viel durchgehen .Jetzt legen Sie uns ein Bürokratiemonster vor, beidem man mit der Lupe nach einer Beteiligung von Ath-letinnen und Athleten, Trainerinnen und Trainern suchenmuss . Ich sage hier klar und deutlich: Ihr Konzept zurReform der Spitzensportförderung wird dem deutschenSport mehr schaden, als es Nutzen bringen wird, und dasist schäbig .
Dies ist im Übrigen auch das Ergebnis der öffentlichenAnhörung, in der alle anwesenden Expertinnen das Kon-zept unisono scharf kritisiert haben .
Dazu noch einen letzten Satz: Breitensport – KollegeHahn hat es gesagt – scheint für Sie ein Fremdwort zusein . Auch das können wir nicht akzeptieren .
Meine Damen und Herren, eine weitere verpassteChance, die ich hier ansprechen möchte, ist die besse-re Unterstützung der Ehrenamtlichen im Sport; denn derSport war es und ist es, der in Krisenzeiten angepackt hatund weiterhin anpackt, während die Politik gezögert oder
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Arbeitskreise gebildet hat . Tausende Sportlerinnen undSportler, Trainerinnen und Trainer sowie Helferinnenund Helfer haben sich – im Verein oder einfach auf derWiese nebenan – um die Menschen gekümmert, die Zu-flucht in Deutschland gesucht haben, damit sie sich hierwillkommen fühlen . Sport verbindet und hat eine großeintegrative Kraft . Allen diesen Initiativen und den vielenengagierten Menschen gebühren unser Dank und unserRespekt .
Aber das reicht nicht .
Kollege .
Ich komme zum Schluss . – Die Vereine und die Initia-
tiven benötigen eine ausreichende Finanzierung vor Ort,
personell wie materiell. Davon profitieren wir alle. Hier
hätte die Bundesregierung mit gutem Beispiel vorange-
hen und mehr investieren können . Aber diese Chance
haben Sie verpasst .
Summa summarum: Ihr Haushalt 2017 produziert eine
Menge Verliererinnen und Verlierer . Er ist eine verpasste
Chance für unser Land .
Danke sehr .
Das Wort hat der Kollege Dr . Stephan Harbarth für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Meine sehr ge-ehrten Damen und Herren! Die Bedrohung durch den is-lamistischen Terror ist seit langer Zeit hoch, und sie wirdnoch lange Zeit hoch bleiben . Union und SPD haben aufdiese Bedrohung gemeinsam mit einem Dreiklang geant-wortet . Wir haben für mehr Polizistinnen und Polizistengesorgt, wir haben für bessere Ausstattung und Ausrüs-tung gesorgt, und wir haben dort für bessere Gesetze ge-sorgt, wo dies geboten und notwendig war .Es gibt vor allem eine Zahl, die die Anstrengung undauch Leistung der Koalition mehr verdeutlicht als alleanderen . Es ist die Zahl von knapp 9 000 zusätzlichenPolizistinnen und Polizisten, für deren Einstellung wirin dieser Legislaturperiode die Weichen gestellt haben .Das kann man ohne Übertreibung als eine ganz großarti-ge Leistung bezeichnen . Es ist das Werk vieler; doch inganz besonderer Weise das Werk unseres InnenministersThomas de Maizière . Ohne Ihre unermüdliche Arbeit,ohne Ihren beharrlichen Einsatz wäre ein solcher Auf-wuchs nicht möglich gewesen, und dafür sage ich Ihnenheute sehr herzlich Danke .
Danken möchte ich auch unserem KoalitionspartnerSPD für die guten Beratungen zum Haushalt des Bundes-innenministeriums und für die konstruktiven Gespräche,die wir zeitgleich hinsichtlich derjenigen Maßnahmengeführt haben, die Thomas de Maizière im August unter-breitet hat und mit denen wir den Druck auf Islamistenin Deutschland weiter erhöhen wollen . Diese Gesprächezeigen: Diese Koalition arbeitet konstruktiv zusammen,sie arbeitet bis in die letzten Monate der Legislaturperio-de hinein gut zusammen, und das ist ein gutes Signal fürDeutschland .Sie von den Grünen haben die Frage aufgeworfen –wie Sie das gebetsmühlenartig immer wieder tun –, wiewir es mit den Bürgerrechten halten .
Wir haben all diese Maßnahmen nicht beschlossen, umBürgerrechte zu beschädigen, sondern um etwas für dieRechte der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zutun . Wir haben alle Bürgerrechte im Blick . Dazu gehörtdas Recht, nicht Opfer von Kriminalität zu werden . Dazugehört auch das Recht, nicht Opfer von Einbrüchen zuwerden, nicht niedergeschlagen zu werden, nicht nie-dergestochen zu werden und nicht in die Luft gesprengtzu werden . Wer wie Sie jedes einzelne Gesetz, das wirim Deutschen Bundestag für ein Mehr an Sicherheit be-schließen,
kategorisch bekämpft,
der befördert nicht die Bürgerrechte in unserem Land,sondern er beschädigt sie . Deshalb werden Sie Ihrer poli-tischen Verantwortung nicht gerecht .
Ich möchte an dieser Stelle – bei allen Gemeinsamkei-ten, die wir mit unserem Koalitionspartner haben – aberauch den Blick auf trennende Punkte richten . Das zeigtsich etwa in der Frage des Zuzugs nach Deutschland . Füruns ist klar: Die Situation des Herbstes letzten Jahres darfsich nicht wiederholen, sie kann sich nicht wiederholen,und sie wird sich nicht wiederholen . Wir haben in derGroßen Koalition sehr viel gemeinsam getan . Wir habendie größte Asylrechtsreform seit den 1990er-Jahren insWerk gesetzt . Kamen vor genau einem Jahr noch über100 000 Menschen pro Monat, so sind es heute nur nochwenige 1 000, und wir als Union werden alles dafür tun,dass dies auch so bleibt .In der letzten Sitzungswoche haben wir über den Fa-miliennachzug bei subsidiär Schutzberechtigten disku-tiert . Wir haben den Familiennachzug für diese Gruppeausgesetzt . Richtig ist aber auch, dass das damals nichtdurch eine Korrektur der Bestimmungen, sondern alleinÖzcan Mutlu
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durch ihre Suspension möglich war . Mit anderen Worten:Nach geltender Rechtslage werden wir im März 2018zu einer Regelung zurückkehren, die auch für subsidiärSchutzberechtigte den voraussetzungsfreien Familien-nachzug garantiert .
Mit dieser Regelung ginge Deutschland weit über dieRechtslage in vielen Nachbarstaaten hinaus und würdeeinen Anreiz für einen Asylantrag in Deutschland schaf-fen . Deshalb wird die entscheidende politische Frage,die wir zu beantworten haben, nicht sein, ob man einenvorzeitigen Familiennachzug ins Werk setzen kann, son-dern: Ist es möglich, eine Regelung zu vereinbaren, dieden Familiennachzug an Bedingungen knüpft, die dieVernunft diktiert, an ein ausreichendes Einkommen undan ausreichenden Wohnraum? Für uns ist klar: Wir soll-ten unseren Kommunen keine Lasten aufbürden, die sienicht tragen können .Ich würde mir wünschen, dass Sie in der gleichenArt und Weise und mit der gleichen Ernsthaftigkeit, mitder Sie über den Familiennachzug diskutieren, auf diegrün-roten Regierungen in den Bundesländern zugingen,wenn es um das Thema der sicheren Herkunftsstaatengeht . Es ist leider noch immer so, dass von den Grünenmitregierte Länder diese Einstufung blockieren, obwohlsie genau wissen, dass nicht Verfolgung, sondern öko-nomische Gründe Migranten aus Marokko, Algerien undTunesien zur Stellung eines Asylantrags in Deutschlandveranlassen, und obwohl sie genau wissen, dass Asylbe-werber aus diesen drei Staaten – leider – weit überpro-portional an Straftaten beteiligt sind . Deshalb haben wirein großes Interesse daran, dass diese Leute in ein ver-kürztes Asylverfahren überführt und anschließend kon-sequent zurückgeführt werden .
Das traurige Ergebnis dieser Blockade ist, dass wir lei-der noch nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen, um raschund wirksam zwischen Schutzbedürftigen und Migran-ten zu trennen . Das ist genau das falsche Signal, wennwir dafür sorgen wollen, dass sich eine Situation wie imHerbst letzten Jahres nicht wiederholt .Ein weiteres Thema, das ich ansprechen will, ist diegroße Herausforderung der Rückführungen . Wir in derUnion sind der Überzeugung: Wer kein Asyl in Deutsch-land erhält, muss in seinen Heimatstaat zurückkehren .
Reist er nicht freiwillig aus – unsere Präferenz ist immerdie freiwillige Ausreise –, muss der Betroffene zurückge-führt werden, und zwar rasch . Erst mit der konsequentenDurchsetzung negativer Bescheide senden wir das klareSignal aus: Wer keines Schutzes bedarf und gleichwohlin Deutschland einen Asylantrag stellt, der hat keineBleibeperspektive und sollte sich am besten gar nicht erstauf den Weg nach Deutschland machen .Ich weiß, dass es beim Thema Abschiebungen keinegordische Lösung gibt . Es gibt nicht den einfachen Hieb,um den Knoten zu durchschlagen, sondern man mussdiesen Knoten an vielen Stellen mühsam lockern, um ihndann zu lösen . Aber wir sollten doch wenigstens darinübereinkommen können, dass wir den Druck auf dieje-nigen erhöhen, die sich ihrer Ausreisepflicht mit allenMitteln und Tricks widersetzen, indem wir ihnen keineDuldung mehr erteilen .Ich bin überzeugt, dass der Handlungsdruck in dieserFrage erheblich zunehmen wird, weil sich die Zahl derAsylbescheide und damit natürlich auch die Zahl dernegativen Bescheide in den nächsten Monaten beträcht-lich erhöhen werden . Mit einer gemeinsamen Lösung inSachen Abschiebung würden wir unser Ziel noch einmaldeutlich unterstreichen: Eine Situation wie im vergange-nen Jahr darf und kann sich nicht wiederholen . Wir in derUnion sind fest entschlossen, dafür zu sorgen .Herzlichen Dank .
Das Wort hat der Kollege Uli Grötsch für die
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Festnahme der Terrorverdächtigen in Leipzig und inBerlin-Schöneberg oder jüngst die bundesweite Razziagegen das Dschihadistennetzwerk „Die wahre Religion“zeigen: Deutschland war vielleicht noch niemals zuvorso sehr bedroht, aber gleichzeitig auch so sicher wie heu-te . Ich sage Ihnen, warum: Wir haben die vielleicht bes-ten Gesetze und ganz bestimmt die besten Beamten inallen Bereichen der Sicherheitsbehörden .Dieses hohe Niveau an Sicherheit und Qualität schrei-ben wir mit dem vorliegenden Haushalt für den Bereich„öffentliche Sicherheit“ im Jahr 2017 fort . Beispiel Bun-despolizei: Es ist aus unserer Sicht ein großer Erfolg fürdas Parlament, dass zusätzlich zu den bereits im Regie-rungsentwurf vorgesehenen 270 Stellen noch einmal700 Stellen bei der Bundespolizei geschaffen werden .Das sind dann – mit den bereits vorher auf Initiative derSPD beschlossenen Stellen – insgesamt fast 2 000 neueStellen nur in 2017 plus fast 200 Millionen Euro für spe-zielle Fahrzeuge, Schutzausstattungen und Ähnliches so-wie drei Einsatzschiffe .Aber zusätzliche Stellen allein reichen uns nicht . Esist schon seit den Tagen von Otto Schily gute Traditi-on in der Sozialdemokratie, einen Schwerpunkt bei denStellenhebungen zu setzen . Aktuell haben wir 1 000 Stel-lenhebungen durchgesetzt und gleichzeitig neue Beför-derungsmöglichkeiten geschaffen, sowohl innerhalb desmittleren Dienstes als auch vom mittleren in den gehobe-nen Dienst . Das kommt insbesondere den normalen Po-Dr. Stephan Harbarth
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lizisten im operativen Bereich zugute, die dies für ihrentagtäglichen Einsatz ohne Frage mehr als verdient haben .
Die 7 000 Polizeibeamten bis 2020 kommen aber nichtüber Nacht . Sie müssen natürlich ausgebildet werden .Das ist angesichts der erwähnten Zahlen eine riesengroßeHerausforderung . Damit das gut gelingt, wurde das nun-mehr sechste und größte Ausbildungszentrum in Bam-berg eröffnet, das ebenfalls fast 20 Millionen Euro erhält .Wir als SPD-Bundestagsfraktion werden im nächstenJahr den engen Austausch mit den Ausbildungszentrensuchen, weil wir sichergehen müssen, dass das hoheQualitätsniveau in der Ausbildung auch angesichts derungewöhnlich hohen Einstellungszahlen gewährleistetbleibt . Wichtig ist aber auch, dass die dann ausgebildetenPolizeibeamtinnen und Polizeibeamten dort verwendetwerden, wo sie am dringendsten gebraucht werden, zumBeispiel an der deutsch-tschechischen Grenze, um demgroßen Problembereich der Tageswohnungseinbrüche zubegegnen .
Ich bin froh, dass 450 der neuen Stellen für 2017 zurVerstärkung des grenzpolizeilichen Dienstes vorgesehensind . Denn bei aller Terrorgefahr und allen neuen Krimi-nalitätsphänomenen dürfen wir die ureigenen Aufgabender Polizei nicht vergessen,
nämlich die, für die ganz alltägliche Sicherheit der Men-schen in diesem Land zu sorgen . Das geht nun einmalnur mit einer vernünftigen Personalpolitik, etwa – um esnoch einmal zu sagen – im Bereich der Schleierfahndungan der deutschen Ostgrenze .Sehr geehrte Damen und Herren, bestmöglich be-kämpfen wollen wir sowohl den islamistischen Terroris-mus als auch den Terror von rechts, der erst vor einigenWochen einen Polizeibeamten in Deutschland das Lebengekostet hat . Völlig zu Recht wird in den Medien aktuellheftig darüber diskutiert, wie es sein kann, dass Extremis-ten in Deutschland legal Waffen besitzen können . Leider,Herr Minister de Maizière, sehen Sie bislang offenbarkeine Veranlassung, einer sogenannten Regelabfrage beiden zuständigen Waffenbehörden und den Verfassungs-schutzbehörden zuzustimmen, um die Zuverlässigkeit ei-nes Antragstellers zu prüfen . Das wäre uns sehr wichtig .Uns Sozialdemokraten hätten Sie dabei auf Ihrer Seite .
Meine Redezeit reicht nicht mehr aus, um auf denAufwuchs und die Verbesserungen beim Bundeskrimi-nalamt einzugehen . Dieses Thema hätte eine eigene Redeverdient . Insgesamt sind in den beiden Sicherheitspake-ten 820 Stellen vorgesehen, und beim Bundeskriminal-amt kommt es zu einem Aufwuchs um 1 100 auf dann6 100 Stellen . Innerhalb von zwei Jahren wird es beimBKA also etwa 20 Prozent mehr Leute geben . Aber, wiegesagt, die größte Geißel des Abgeordneten ist und bleibtdie Redezeit .
Frau Präsidentin, abschließend will ich den Haushäl-tern der Großen Koalition danken . Lieber Martin Gerster,lieber Reinhard Brandl, es war richtig gut mit euch . Das,was ihr in den letzten Jahren als Haushälter bewirkt habt,war wirklich nachhaltig . Wir Innenpolitiker wussten denEinzelplan 06, den Haushalt des Bundesinnenministeri-ums, bei euch in den besten Händen und danken euchfür die auch in diesem Jahr wie immer sehr gute Zusam-menarbeit .Vielen Dank .
Der Kollege Stephan Mayer hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich möchte mit Fug undRecht behaupten: Dieser Etat des Bundesinnenministeri-ums, den wir heute abschließend behandeln, ist ein gro-ßer Erfolg .
Er ist ein großer Erfolg der Bundesregierung, und er istein großer Erfolg der Großen Koalition .
Der Erfolg hat natürlich immer viele Väter . Ich möchteaber schon betonen: Er ist insbesondere ein Erfolg unse-res Bundesinnenministers Thomas de Maizière .
Ich möchte Ihnen, sehr geehrter Herr Bundesinnenmi-nister, ganz herzlich dafür danken . Dieser Etat, den wirheute abschließend beraten, ist einzigartig in der bundes-republikanischen Geschichte .Wenn man sich diese Legislaturperiode einmal vorAugen führt, sieht man, dass wir allein im Einzelplan 06,im Einzelplan des Bundesinnenministers, einen Auf-wuchs von sage und schreibe 53 Prozent haben . Es gabeine Steigerung von knapp 6 Milliarden Euro im Jah-re 2014 auf jetzt knapp 9 Milliarden Euro im Jahr 2017 .Allein in diesen vier Jahren sind 13 000 zusätzliche Stel-len im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriumsgeschaffen worden . Weiter werden zwischen 2015 und2020 7 500 zusätzliche Stellen bei der Bundespolizeigeschaffen . Beim Bundeskriminalamt wird es 1 300 zu-sätzliche Stellen geben . Für 2018 bis 2020 gibt es bereitsheute klare Zusagen, dass 4 000 zusätzliche Stellen imGeschäftsbereich des Bundesinnenministeriums etabliertwerden . Das kann sich wirklich sehen lassen .Uli Grötsch
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Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ichmöchte aber auch nicht verhehlen, dass dieser deutlichefinanzielle Aufwuchs – und auch Stellenaufwuchs – inden Sicherheitsbehörden insbesondere aufgrund einesnachdrücklichen, nachhaltigen und langfristigen Wirkensund Drängens der CDU/CSU-Fraktion zustande kommt .Wir waren es, die sich nicht erst seit kurzem, meine lie-ben Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und denLinken, für eine bessere personelle und finanzielle Aus-stattung der Sicherheitsbehörden eingesetzt haben . ÜberJahre hinweg haben wir dies nachdrücklich gefordert .Und jetzt kann sich, glaube ich, dieser Erfolg auch wirk-lich sehen lassen .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen vonden Linken und von den Grünen, Sie haben noch vorzwei oder drei Jahren, wenn es um die Sicherheitsbehör-den ging, von einem „Repressionsapparat“ gesprochen .Sie haben zu der Zeit noch davon gesprochen, dass hierein Überwachungsstaat geschaffen wird . Mittlerweilesind Sie kleinlaut geworden und geben zu, dass wir einebessere personelle Ausstattung unserer Sicherheitsbehör-den dringend benötigen .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die-se deutlich bessere finanzielle und materielle Ausstattungder Sicherheitsbehörden ist aber natürlich auch den ge-stiegenen Herausforderungen geschuldet . Ich möchteausdrücklich betonen, dass wir in den letzten zwei Jah-ren eine weitgehende gesetzgeberische Tätigkeit insbe-sondere im Hinblick auf die Bekämpfung des islamisti-schen Terrorismus an den Tag gelegt haben . Wir habendie Auslandsreisen zu terroristischen Zwecken stärkerunter Strafe gestellt, und wir haben die Regelungen zurTerrorismusfinanzierung verschärft. Des Weiteren habenwir die Möglichkeit geschaffen, dass ausreisewilligenDschihadisten der Personalausweis sowie der Reisepassentzogen werden kann . Außerdem haben wir die Verfas-sungsschutzbehörden in Bund und Ländern in die Lageversetzt, besser zu kooperieren .Endlich haben wir zumindest wieder den Fuß in derTür, was die Wiedereinführung der Mindestspeicherfris-ten anbelangt . Wir haben die Gültigkeitsdauer des Ter-rorismusbekämpfungsgesetzes verlängert, und wir habenkurz vor der Sommerpause in diesem Jahr ein Antiter-rorpaket verabschiedet, das insbesondere auch zum Ge-genstand hat, dass sich in Zukunft auch die Bezieher vonPrepaidhandykarten registrieren lassen müssen . All daswaren richtige und sachgerechte Maßnahmen, die ins-besondere auf Drängen der CDU/CSU ins Werk gesetztwurden .Ich möchte aber betonen, dass insbesondere auch kon-sequentes und entschiedenes Handeln auf der Ebene derExekutive wichtig ist und auch stattgefunden hat . Ichmöchte Ihnen, sehr geehrter Herr Bundesinnenminister,ausdrücklich dafür danken, dass Sie heute vor einer Wo-che eine islamistische Organisation namens „Die wahreReligion“ verboten haben, welche über Jahre hinweg ihrUnwesen in Deutschland getrieben hat . Es gab durchausmanche, die etwas naseweis gefragt haben: Warum wirddiese Organisation erst jetzt verboten? Denen möchteich einmal deutlich ins Stammbuch schreiben: Es ist –auch in verschiedenen Bundesländern – nicht so einfach,die substanzielle Grundlage dafür zu schaffen, in knapp200 Liegenschaften Hausdurchsuchungen durchzuführenund ein Verbot auszusprechen, das dann auch gerichtsfestist . Ich möchte insbesondere Ihnen, Herr Bundesinnen-minister, aber auch den beteiligten Mitarbeitern in IhremHaus und darüber hinaus ganz herzlich dafür danken,dass es jetzt gelungen ist, diese Organisation zu verbie-ten .Ich möchte noch einmal in Erinnerung rufen: Allein140 Dschihadisten von den knapp 880, die bislang in denDschihad nach Syrien oder in den Nordirak ausgereistsind, hatten Kontakt zu der Organisation „Die wahre Re-ligion“ . Diese Organisation hat über die letzten Jahre hin-weg knapp 2 000 Hassbotschaften im Internet verbreitet .Diese sind über 15 Millionen Mal aufgerufen worden .Und 35 000 Personen haben diese Hassbotschaften auchabonniert . Ich sage dies hier auch deshalb ausdrücklich,weil ich der festen Überzeugung bin, dass allein dieseZahlen eindeutig belegen, dass es sinnvoll wäre, dieSympathiewerbung für terroristische Organisationenwieder unter Strafe zu stellen . Das, was schon bis 2002im deutschen Strafgesetzbuch geregelt war, unter Rot-Grün aber abgeschafft wurde, gehört wieder eingeführt .Ich möchte auch ausdrücklich betonen, dass ich keinVerständnis für die Äußerungen der StaatsministerinÖzoğuz habe, die am Tag nach den Hausdurchsuchun-gen etwas relativierend ausgeführt hat, dass man bei demUmgang mit Islamisten doch mehr Augenmaß an denTag legen müsse . Dafür habe ich kein Verständnis . Dasist hanebüchen, und davon muss man sich auch wesent-lich deutlicher und wesentlich eindeutiger distanzieren .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, diedeutlichen Stellenmehrungen und auch die finanziellenVerbesserungen beim THW sind schon ausdrücklich er-wähnt worden . Ich möchte hier betonen: Das THW istdankbar dafür und zufrieden mit dem, was jetzt durchden Haushalt 2017 geschaffen wird .Um es noch einmal in Erinnerung zu rufen: Allein imJahr 2015 haben knapp 80 000 ehrenamtliche THW-Hel-ferinnen und -Helfer mit Verzicht auf Anwesenheit beiihren Familien und auf Freizeit 1,3 Millionen Einsatz-stunden in der Flüchtlingshilfe geleistet .
Allein in diesem Jahr waren es über 600 000 Stunden .Während der sehr schwerwiegenden Hochwasserkata-strophe im Frühjahr dieses Jahres haben über 11 000 Ein-satzkräfte des THW circa 139 000 Einsatzstunden an355 Einsatzorten geleistet . 310 Ortsverbände, also knappdie Hälfte aller Ortsverbände des THW, waren im Früh-jahr dieses Jahres im Hochwassereinsatz . Dabei wur-Stephan Mayer
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den beispielsweise 5,5 Millionen Liter Frischwasser,Trinkwasser, produziert . Wer also glaubt, die Trinkwas-seraufbereitung ist nur etwas für Schwellenländer oderEntwicklungsländer, der irrt kolossal . Die Trinkwasser-aufbereitung und die dafür erforderlichen technischenAnlagen sind auch im Inland dringend notwendig . Inder Stadt Simbach sind die Menschen zum Beispiel überzwei Wochen hinweg ausschließlich mithilfe der Trink-wasseraufbereitungsanlage des THW versorgt worden .Ich sage dies deshalb hier so ausdrücklich und auchausführlich, weil dies aus meiner Sicht in besondererWeise zeigt, dass es richtig ist, dass wir ein Fahrzeugbe-schaffungsprogramm für das THW mit einem Volumenvon 100 Millionen Euro auf die Beine stellen, dass eszu 170 zusätzlichen Stellen und zu 150 Stellenhebungenbeim THW kommt und dass in Zukunft weitere 3,2 Mil-lionen Euro für die Helfergewinnung und die Helferbin-dung zur Verfügung stehen werden . Das kann sich ausmeiner Sicht wirklich sehen lassen, und dafür sagt dasTHW Danke . Das ist aber auch das klare Signal, dasses der Deutsche Bundestag, insbesondere die Regie-rungskoalition, ausdrücklich zu schätzen weiß, was hierTausende von Ehrenamtlichen tagtäglich in Deutschlandleisten .
Zum Abschluss ein kurzes Wort zur Sportförderung:Das Sportförderkonzept des Bundesinnenministeriumsist richtig und sachgerecht,
und ich bin der festen Überzeugung, dass man mit denvorhandenen Mitteln durchaus noch mehr Leistungenbewirken kann .Abschließend sage ich aber auch noch deutlich dazu:Wenn der DOSB in seiner Mitgliederversammlung An-fang Dezember dieses Jahres in Magdeburg dieses Sport-förderkonzept billigt und unterstützt, dann bedarf esaus meiner Sicht spätestens im Haushalt 2018 weitererMittel, um dieses Sportförderkonzept tatsächlich auchumzusetzen und die entsprechenden Umstellungen undTransferleistungen vor Ort zu bewirken .Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Ich muss noch einmal darauf aufmerksam machen:
Wenn Sie die Zeit in dieser Weise überziehen, dann geht
das nach unserer Verabredung auf Kosten der Ihnen
nachfolgenden Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion .
Ich bin hier nicht frei, wenn es um die Durchsetzung die-
ser Verabredung geht . Ich bitte also alle Fraktionen noch
einmal, sich an die angegebene Redezeit zu halten .
Das Wort hat die Kollegin Michaela Engelmeier für
die SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Ich werde wahrscheinlich offene Türen bei Ihneneinrennen, wenn ich Ihnen erzähle, dass der Sport in sei-ner Vielseitigkeit ein wichtiger Bestandteil unserer Ge-sellschaft ist . Neben der körperlichen Betätigung ist ernicht nur Freizeit- und Unterhaltungsfaktor, sondern ins-besondere auch Quelle für ehrenamtliches Engagementin den Vereinen, die häufig mit vielfältigen Aktivitäten zueiner lebendigen Stadt- und Dorfgemeinschaft beitragen .Sport bringt die Menschen zusammen, ganz unabhän-gig von ihrer Herkunft, ihrem Alter, ihrem Geschlecht,ihrer Sexualität oder Religion, und vermittelt dabei ele-mentare Werte unserer Gesellschaft; denn Sport lebt vonToleranz, Fairness, Teamgeist, Leistungsbereitschaft undgegenseitigem Respekt . Der Sport wirkt völkerverbin-dend, überwindet politische Grenzen und hilft, Vorurteileabzubauen . Sie sehen: Sport ist also mehr als bloße Be-geisterung auf dem Spielfeld, am Spielfeldrand und – Sieerlauben einen kleinen Exkurs in meine Sportart – aufder Judomatte .Daher hat die Große Koalition in den letzten drei Jah-ren für den organisierten Sport mit seinen über 27 Mil-lionen Mitgliedern in über 90 000 Sportvereinen, übri-gens die größte gesellschaftliche Gruppe in diesem Land,wirklich Großes und Gutes geleistet . In der laufendenLegislaturperiode haben wir es geschafft, die Mittel fürden Spitzensport im zuständigen Bundesinnenministe-rium von 140 Millionen Euro auf über 165 MillionenEuro anzuheben . Das ist übrigens ein Plus von mehr als25 Millionen Euro .
Lieber André Hahn, du weißt, dass ich dich wirklichschätze, aber du hast gerade erzählt, es gäbe in diesemBereich 11 Millionen Euro weniger . Wir müssen bei derWahrheit bleiben und sagen: Die 10 Millionen Euro, diefür die Bewerbung von Hamburg als Austragungsort fürdie Olympischen Spiele im letzten Haushalt standen, sindnicht mehr enthalten, weil wir alle wissen, dass Hamburgmit seiner Bewerbung – leider – gescheitert ist .Allein für das kommende Jahr stellt der Bund für dieFörderung des deutschen Spitzensports 5,2 MillionenEuro mehr zur Verfügung . Der darin enthaltene Auf-wuchs von 1,5 Millionen Euro für die Förderung desBehindertenleistungssports – übrigens, André, nicht erstnach eurem Antrag, sondern die Sozialdemokraten sindschon immer ein großer Förderer und begeisterter Fandes deutschen Behindertensports und seines Personalsgewesen –
Stephan Mayer
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freut uns .
Wir alle haben die Bilder der Paralympischen Spielein Rio vor Augen . Ich bin bei den Olympischen Spielengewesen; auch das ist schon eine tolle Geschichte . Aberich sage Ihnen: Als ich die Bilder von den Paralympi-schen Spielen im Fernsehen gesehen habe, ist mir wirk-lich ein Schauer über den Rücken gelaufen . Das, was dapassierte, ist gelebte Inklusion . Deswegen freuen wir unsüber diesen Mittelaufwuchs .Unsere paralympischen Athletinnen und Athletenhaben in Rio gezeigt, was in ihnen steckt . Mit 57 Me-daillen kehrten sie stolz nach Deutschland zurück . Mitdiesem Aufwuchs an Mitteln möchten wir einen Beitragzur gelebten Inklusion leisten und vor allen Dingen fürPlanungssicherheit bei den Verbänden sorgen .Über die Bereitstellung von finanziellen Ressourcenkönnen sich auch die fünf neuen olympischen SportartenBaseball/Softball, Karate, Skateboard, Sportklettern undSurfen freuen . Um diesen Verbänden mit ihren Athletin-nen und Athleten eine optimale Vorbereitungsphase fürdie Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio zu ermög-lichen, stellt der Bund ab sofort Fördermittel in Höhe von3 Millionen Euro zur Verfügung .
An dieser Stelle möchte ich aber jemandem besondersdanken, der eigentlich nicht im Fokus des Sports steht:Das ist unser Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann .
Er hat sich in den Haushaltsverhandlungen dafür einge-setzt, dass im Bundesumweltministerium für die ener-getische Gebäudesanierung weitere 100 Millionen Eurobereitgestellt werden können . Hiervon sollen die Berei-che Jugend, Kultur und Sport besonders profitieren. Zuhäufig sind in Deutschland Vereine in ihrer Existenzbedroht, weil in der Turn- oder Schwimmhalle die Be-leuchtung nicht funktioniert, die Heizung defekt ist, dieDuschen kaputt sind oder die Nebenkosten zu hoch sind .Wir können in Deutschland die Gesundheit, die Lebens-freude, die Integration und die Inklusion nur mit intaktenSportstätten sichern . Umso wichtiger ist es, dass wir denInvestitionsstau besonders bei maroden Sportanlagenendlich abbauen .
Zum Ende meiner Rede möchte ich gerne auf die Re-form der Spitzensportförderung zu sprechen kommen .Der Deutsche Olympische Sportbund benötigt nach eige-nen Aussagen mehr finanzielle Mittel zur Durchführungder Reform, die den internationalen sportlichen Erfolgvon deutschen Athletinnen und Athleten sichern sollen .
Der Deutsche Bundestag unterstützt die Reformbemü-hungen des organisierten Sports in Deutschland aus-drücklich . Doch können wir heute noch keine Reformfinanzieren, die der Sport erst einmal intern anstoßen undausdiskutieren sollte .Das Ziel der Reform ist klar, doch der Weg dahin istweiter mit vielen Fragezeichen behaftet . Übrigens hätteich mir dazu auch eine breite gesellschaftliche Diskussi-on mit allen Playern gewünscht .
Das hätte uns, glaube ich, auch ganz gut zu Gesicht ge-standen .
Um mit den Worten von Willy Brandt zu schließen:Der Förderung des Sports werden wir unsere be-sondere Aufmerksamkeit widmen, ohne von demGrundsatz abzulassen, dass der Sport von staatlicherBevormundung frei bleiben muss .Ich danke Ihnen .
Das Wort hat der Kollege Dr . André Berghegger für
die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Als letzterRedner der Debatte werde auch ich versuchen, den Ein-zelplan aus meiner Sicht zu beschreiben und zu bewerten .
Die eine oder andere Wiederholung wird sich nicht ver-meiden lassen .Natürlich trägt der Einzelplan 06 die Handschrift derUnion und unseres Innenministers Thomas de Maizière .In der laufenden Legislaturperiode ist der Etat um gut50 Prozent auf beinahe 9 Milliarden Euro gestiegen . Dasist eine beeindruckende Leistung, wie wir schon mehr-fach gehört haben .Aber hier schließt sich vielleicht der Kreis zum Be-ginn der Debatte . Der Kollege Claus hatte zu Beginn derDebatte für die Linke gesagt, dass im Rahmen der Haus-haltsberatungen die größten Zugewinne bei Frau von derLeyen und bei Herrn de Maizière zu verzeichnen gewe-sen seien . Herr Claus, dem muss ich widersprechen: Diegrößten Zugewinne im Rahmen der Haushaltsberatungensind bei der inneren und äußeren Sicherheit zu verzeich-nen, und das ist gut so und auch angebracht .
Denn es gibt Gründe dafür . Wir bewegen uns in einerschnelllebigen und teilweise auch unruhigen Zeit, undMichaela Engelmeier
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der Etat ist natürlich auch eine Reaktion darauf . Die inne-re Sicherheit braucht ein festes Wertefundament, und dashaben wir auch . Die freiheitlich-demokratische Grund-ordnung in unserem Grundgesetz und die europäischenGrundwerte bilden unsere Basis .Wir müssen uns nicht für unsere staatliche und gesell-schaftliche Ordnung entschuldigen . Wir müssen für siewerben und darauf bestehen, dass sie gilt . Denn dieseOrdnung hat erstens ein hohes Maß an demokratischerLegitimation . Zweitens bildet sie die Voraussetzung da-für, dass wir auch in Zukunft in Freiheit, Frieden und To-leranz miteinander leben können . Drittens ist diese Ord-nung dazu geeignet, Ungerechtigkeiten und Spannungen,die es auch in unserer Gesellschaft gibt, abzubauen, undviertens erlaubt sie es, aus konkreten Erfahrungen zu ler-nen, manchmal auch im Wege des Trial and Error .Wir dürfen nur nicht in Hektik verfallen, sondern müs-sen entschieden und mutig handeln . Auch unbequemeWahrheiten sind umzusetzen . Wir sollten in langen Lini-en denken, und wir sollten Vertrauen und Überzeugungzurückgewinnen oder bilden .Auch wenn es, wie der Innenminister immer wiederbetont, keine hundertprozentige Sicherheit bzw . keineGarantie dafür gibt, werden wir alles Erdenkliche tun,um die Sicherheit und eine entsprechende Prävention fürunsere Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten . DerEtat des Einzelplans 06 setzt ein klares Zeichen in dieseRichtung .Der Etat im Einzelnen: Der Bereich „Innere Sicher-heit“ wird von vielen Behörden und Einrichtungen wahr-genommen . Im kommenden Haushaltsjahr werden dieseBereiche deutlich gestärkt . Bereits im Regierungsent-wurf konnten wir ein erstes Sicherheitspaket mit mehr als900 zusätzlichen Stellen für 2017 sowie Personal- undSachmitteln in Höhe von über 730 Millionen Euro biszum Jahr 2020 beschließen .Im parlamentarischen Verfahren haben wir ein zwei-tes Sicherheitspaket mit nochmals 4 300 neuen Stellenfür 2017 und den entsprechenden Personal- und Sach-mitteln in Höhe von gut 870 Millionen Euro beraten undbeschlossen .Das ist die dringend notwendige finanzielle Unterstüt-zung für unsere Sicherheitsbehörden, insbesondere fürihre wichtige Arbeit zur Bekämpfung des Terrorismus .Wir müssen jedoch darauf achten, dass die Behörden undEinrichtungen organisch mitwachsen können . Es reichtnicht, nur Stellen auszuweisen und Mittel zur Verfügungzu stellen; sie müssen auch effektiv eingesetzt werdenkönnen . Das ist bis jetzt aber wohl austariert .Wenige Schwerpunkte des Etats: Die Bundespolizeiverzeichnet zusätzliche Stellen, um eine Entlastung dervorhandenen Beamtinnen und Beamten zu gewährleis-ten, die derzeit viele Überstunden ansammeln . Es wirdetliche Stellenanhebungen für verdiente Beförderungenin diesen Bereichen geben . Das fördert die Motivationder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den großartigenEinsatz und eröffnet Perspektiven .Wir werden die Ansätze für Materialbeschaffungenzugunsten einer effektiven Arbeit dieser Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter erhöhen . Insbesondere möchte ichdie drei neuen Einsatzschiffe und den neuen Transport-hubschrauber für die Einheiten der BFE+ bei der Bundes-polizei hervorheben . Abgerundet wird die Wertschätzungfür die Bundespolizei durch unser langfristiges Liegen-schaftsprogramm, das sowohl die Dienstliegenschaftenals auch die Bahnhöfe sowie die Flug- und Seehäfenumfasst . Eine Konkretisierung durch die Bundespolizeierfolgt noch im Laufe der Zeit .Das THW bildet den zweiten Schwerpunkt . Die Per-sonalstruktur wird verbessert durch 170 neue Stellen und150 Stellenanhebungen . Das Fahrzeugbeschaffungspro-gramm sorgt bis 2023 Schritt für Schritt für die Erneu-erung der in die Jahre gekommenen Fahrzeugbestände .Das schafft langfristige Planbarkeit und stellt ein aus-drückliches Bekenntnis zu unseren ehrenamtlichen Hel-ferinnen und Helfern in diesem Bereich dar .
Um dem THW eine Perspektive zu geben, haben wir unsfür eine Nachwuchskampagne mit einem Volumen von3 Millionen Euro eingesetzt .Jeder von uns spürt es in den Gesprächen – ob hieroder im Wahlkreis –: Der Zusammenhalt in der Gesell-schaft ist ein wichtiger Aspekt . Ein Schwerpunkt unseresHandelns wird weiterhin die Verbesserung der Flücht-lingssituation sein . Die Zahl derjenigen, die auf derSuche nach Schutz und Sicherheit zu uns kommen, istzuletzt deutlich gesunken . Die Herausforderungen habensich verschoben, bzw . es sind neue hinzugekommen .Erstens . Wir werden uns weiterhin intensiv derjenigenannehmen, die eine langfristige Perspektive bei uns ha-ben . Die Mittel für das Programm „Migrationsberatungfür erwachsene Zuwanderer“ werden auf 50 MillionenEuro angehoben . Damit werden zusätzliche Beraterstel-len ermöglicht und wird die Qualität trotz hoher Fallzah-len aufrechterhalten .Zweitens . Wir werden uns auch um die Asylbewerbermit unklarer Bleibeperspektive kümmern . Die Erstorien-tierungsangebote – bislang befristete Pilotprojekte – wer-den durch zusätzliche Mittel bundesweit ausgeweitet .Drittens . Wir wollen – das ist ein wichtiger Aspekt –die Zahl der freiwilligen Ausreisen derjenigen steigern,die zur Ausreise verpflichtet sind. Deshalb gibt es imkommenden Jahr ein Anreizprogramm des Bundes miteinem Volumen von 40 Millionen Euro, ergänzend zuden entsprechenden Programmen der Länder . Zusammenmit den verbindlichen Rückführungen im Rahmen desAsylverfahrens soll die Anzahl derer, die unser Land ver-lassen, deutlich erhöht werden . Ich bin der festen Über-zeugung, dass die Durchsetzung des Rechts die Akzep-tanz in der Bevölkerung erhöhen wird .
Gegen Ende meiner Rede – ich darf den Schluss janicht ankündigen – noch ein Gedanke: Unser Wertefun-dament beinhaltet natürlich auch die föderale Ordnungdes Grundgesetzes . Nicht der Bund alleine ist für alleKriminalitätsfacetten und Probleme zuständig . Die vor-Dr. André Berghegger
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rangige Zuständigkeit liegt naturgemäß bei den Ländern .Um Werte zu vermitteln und durchzusetzen, sind Näheund Vertrautheit von Vorteil . Hier haben kleinere Ein-heiten ihre Vorzüge . Aber ich würde mich freuen, wenndie Länder – an diese appelliere ich – im Durchschnittdie Stellen der Polizeivollzugsbeamten so sehr aufwach-sen lassen würden, wie wir das in den letzten Jahren beider Bundespolizei getan haben . Dann könnten wir in dergemeinsamen Arbeit eine ganze Menge erreichen . Wirkönnten Tendenzen entgegenwirken, die mir Sorge be-reiten . Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung könnteverbessert werden . Das Verständnis für die Polizeiarbeitkönnte wieder wachsen . Die Polizei bekäme endlich wie-der den Respekt, den sie verdient . Sie setzt sich schließ-lich jeden Tag für uns und unsere Sicherheit ein . Dadurchkönnten das Wertefundament und damit auch der Zusam-menhalt in unserer Gesellschaft gestärkt werden .Vielen Dank für das freundliche Zuhören .
Vielen Dank, auch für das Unterschreiten der Rede-
zeit . – Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Ein-
zelplan 06 – Bundesministerium des Innern – in der Aus-
schussfassung . Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 06 ist mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-
plan 21 – Bundesbeauftragte für den Datenschutz und
die Informationsfreiheit – in der Ausschussfassung . Wer
stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Einzelplan 21 ist einstimmig angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I .7 auf:
Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit
Drucksachen 18/9814, 18/9824
Die Berichterstattung haben die Abgeordneten
Burkhard Blienert, Helmut Heiderich, Dr . Gesine Lötzsch
und Ekin Deligöz inne .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Dr . Gesine Lötzsch für die Fraktion Die Linke .
Herzlichen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr ge-ehrten Damen und Herren! Für die Linke ist es ein wich-tiges Ziel, endlich wieder die paritätische Finanzierungder Krankenversicherung herzustellen . Das erkennen im-mer mehr Menschen in unserem Land . Beispiel: Schles-wig-Holsteinischer Landtag in Kiel . Der Landtag in Kielhat beschlossen, dass die Arbeitgeber wieder einen eben-so hohen Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherungleisten sollen wie die Arbeitnehmer . Das wurde am ver-gangenen Freitag mit den Stimmen der SPD, der Grünen,des SSW und der Piraten beschlossen . Wir brauchen sol-che Beschlüsse nicht nur in den Landtagen, sondern vorallem hier im Bundestag .
In Berlin bereitet sich die künftige Koalition vonSPD, Linken und Grünen auf die Regierung vor . Auchhier wurde beschlossen, die Wiedereinführung der pari-tätischen Finanzierung zu fordern . Auch das ist eine guteEntwicklung .
– Es ist gut, wenn wir uns so einig sind. – Darum, findeich, sollten wir hier im Bundestag endlich dafür sorgen,dass Kostensteigerungen im Gesundheitssystem nicht al-lein den Versicherten aufgebürdet werden . Die beste Lö-sung wäre, wenn wir endlich die schon lange diskutierteund versprochene Bürgerversicherung einführen würden .
Sie, Herr Gröhe – das verstehe ich in gewisser Wei-se –, möchten vor der Bundestagswahl am liebsten garnicht über Kostensteigerungen und Zusatzbeiträge spre-chen .
– Ja, genau . Deshalb sollten Sie genau zuhören und eini-ge Lehren aus unseren Vorschlägen ableiten .
Das Problem ist, dass die Kostensteigerungen, dieZusatzbeiträge garantiert nach der Bundestagswahl kom-men werden, aber wir haben alle gemeinsam die Mög-lichkeit, das zu verhindern, wenn wir endlich wieder dieParität herstellen .
Wir können auch direkt einen Beitrag zur Beitrags-stabilität leisten . Sie alle wissen, dass es einen Bundes-zuschuss gibt, der die versicherungsfremden Leistungenbei den Kassen abdecken soll . Der betrug im Jahr 2012 14 Milliarden Euro . Zur Konsolidierung des Bundes-haushaltes wurde er in den darauffolgenden Jahren abge-senkt. Der Finanzminister ist also seinen Verpflichtungengegenüber den Beitragszahlern nicht nachgekommenund hat einfach den Bundeszuschuss um Milliarden ge-senkt, um seine schwarze Null aufs Papier schreiben zukönnen . Ich könnte Ihnen noch andere Beispiele nennen,Dr. André Berghegger
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die zeigen, dass die schwarze Null mindestens genausomanipuliert ist wie die Abgaswerte von Volkswagen .
Uns geht es aber nicht nur um die Versicherten, son-dern auch und vor allem um die Beschäftigten im Ge-sundheitswesen . Ein großes Thema ist der Personalman-gel, insbesondere im Pflegebereich. Das Verhältnis vonBeschäftigten zu Patienten liegt in unserem Land bei1 : 21 . In Dänemark kommen auf einen Beschäftigenzehn Patienten, in Norwegen sogar nur neun . Ich versi-chere Ihnen: Wenn wir eine Umfrage in den Krankenhäu-sern machen würden, ob die Patienten und die Beschäf-tigten die schwarze Null oder mehr Personal wichtigerfinden würden, dann wäre das Ergebnis – ich glaube, wirkennen die Antwort – nicht die schwarze Null .
Wir hören immer wieder Klagen aus Krankenhäusern,dass die Länder zu wenig in die Krankenhäuser inves-tieren .
Wir als Linke haben einen Antrag gestellt, mit 2,5 Mil-liarden Euro Bundesmitteln die Sanierung der Kranken-häuser voranzutreiben .
Leider wurde dieser Antrag von der Koalition abgelehnt .Dabei ist doch schon geplant – wir werden nächste Wo-che etwas über den Nachtragshaushalt erfahren –, dieSchulen mit Bundesmitteln zu sanieren . Warum machenwir das nicht genauso bei den Krankenhäusern? Das istdoch eine gute Idee. Ich finde, der sollten Sie sich an-schließen .
– Wir bekommen nächste Woche Nachricht über denNachtragshaushalt . Da werden Sie das lesen .Es gibt allerdings auch eine gute Nachricht: Der Haus-haltsausschuss hat die Bundesregierung einstimmig auf-gefordert, noch in dieser Wahlperiode Prüfungsrechte fürden Bundesrechnungshof gegenüber den Kassenärztli-chen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen und derenBundesvereinigung sowie gegenüber dem GemeinsamenBundesausschuss und der Deutschen Krankenhausge-sellschaft in das laufende Gesetzgebungsverfahren ein-zubringen . Das ist wirklich ein gemeinsamer Erfolg, denwir hier erarbeitet haben . Er muss jetzt umgesetzt wer-den; das ist bitter nötig .
Nach all den Skandalen bei Deutschlands obersten Kas-senärzten müssen die Geschäfte dieser Spitzenorganisa-tionen im Gesundheitswesen in Zukunft deutlich strengerüberprüft werden .
– Sie können eigentlich alle klatschen, weil ja alle Frak-tionen zugestimmt haben . Aber das nur als kleiner Hin-weis von mir .Die oberste Verwaltung der Kassenärzte steht wegenüberhöhter Zuzahlungen an Ruheständler und wegen du-bioser Immobilienfinanzierungen in der Kritik. Die Auf-gabe dieser Vereinigung ist aber eine ganz andere . Siesoll nämlich die medizinische Versorgung in unseremLand sicherstellen und eben nicht in die eigene Taschewirtschaften . Das muss ein Ende haben .
Der Kuchen im Gesundheitswesen ist groß, und vielewollen davon etwas haben. Immer häufiger werden wirt-schaftliche Interessen höher bewertet als medizinischeNotwendigkeiten . Eine Umfrage, die der Lehrstuhl fürMedizinmanagement der Universität Duisburg-Essendurchgeführt hat, hat ergeben, dass Chefärzte der Auffas-sung sind, dass 39 Prozent der Eingriffe allein aus ökono-mischen und nicht aus medizinischen Gründen erfolgen .Das darf nicht passieren . Herr Gröhe, jeder muss sichvon dem Gedanken verabschieden, dass ein Krankenhauswie eine Schraubenfabrik zu führen ist . An erster Stellemuss wieder die Gesundheit stehen .Vielen Dank .
Das Wort hat der Kollege Helmut Heiderich für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Man hat eben gemerkt, dass es Frau Dr . Lötzsch schonziemlich schwergefallen ist, große Pirouetten zu drehen,um irgendwelche Kritikpunkte am Gesundheitssystem zufinden.
Tatsache ist: Der Gesundheitsetat, den wir heute vor-legen, ist der beste Gesundheitsetat, der jemals in diesemHause bearbeitet und beraten worden ist .
Tatsache ist auch: Das deutsche Gesundheitssystem istnach wie vor in Europa und weltweit ein Spitzensystemmit Spitzenleistungen .
Das hat im letzten Jahr wieder eine OECD-Studie erge-ben, und das haben auch andere Studien vorher ergeben .Dr. Gesine Lötzsch
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Wenn man bei den Pirouetten, die Sie eben punktuellgedreht haben, einmal das Gesamtsystem im Auge be-hält, dann erkennt man: Es ist doch keineswegs selbstver-ständlich, dass jeder Bürger in Deutschland den Schutzeiner Krankenversicherung genießt . Denken Sie einmaldarüber vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionin den USA nach . Es ist auch keineswegs selbstverständ-lich, dass jeder Bürger den direkten Zugang zur Medizinund zur Spitzenmedizin hat, wenn er diese braucht . Dasshier jeder diesen Zugang hat, ist ebenfalls eine Leistungdes deutschen Gesundheitssystems .
Dass jeder in seinem Leben präventive Unterstützunghat, vom Impfschutz des Kleinkindes bis zur Versorgungdes Senioren im Vorfeld therapeutischer Behandlungen,ist ebenfalls eine Leistung, die wir hier herausstellenkönnen und die deutlich macht: Dieses Gesundheitssys-tem ist eines der besten .
Natürlich ist es – Sie haben eben schon davon gespro-chen – ein riesiges System . Es sind laut Destatis mehrals 5 Millionen Menschen, die jeden Tag arbeiten undsich Mühe geben, um anderen ihre Gesundheit zu erhal-ten oder wiederzugeben . Es sind mehr als 350 MilliardenEuro, die Jahr für Jahr eingesetzt werden – mehr als derBundeshaushalt . Natürlich muss man ein solches Systemständig fortentwickeln, im Auge behalten . Man mussMissstände abstellen und die Herausforderungen der Zu-kunft annehmen .Ich glaube – das muss an dieser Stelle auch einmal ge-sagt werden –, Bundesminister Hermann Gröhe hat dasin den drei Jahren dieser Wahlperiode ganz hervorragendgeleistet .
Er hat bis dato diesem Haus insgesamt 16 Gesetzentwür-fe vorgelegt und sie zur Beschlussfassung gebracht, mitdenen deutliche Fortschritte erzielt werden .Ich will, Frau Präsidentin, wenn Sie genehmigen, kurzaus der Debatte von vor zwei Jahren zitieren . Aus denReihen der Grünen hieß es:Es bleibt dabei, dass wichtige Vorhaben auf denSankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden,
wie die Einführung des neuen Pflegebegriffs,– wir dürfen den Minister und auch Karl-Josef Laumanndafür loben, dass das nicht so ist –eine Krankenhausreform– die Qualitätsreform ist in Gang gesetzt –oder das Präventionsgesetz .Das ist auch in Kraft getreten . – Ich glaube auch Sie kön-nen zustimmen: Da ist in zwei Jahren viel geschehen,und da dürfte man auch mal ein Lob an den Minister undseine Mannschaft aussprechen .
Meine Damen und Herren, wir haben auch auf der fi-nanziellen Seite – das wird sicherlich heute noch mehr-fach angesprochen werden – erheblich zugelegt . Wirhaben jetzt wieder einen Zuschuss von 14,5 MilliardenEuro aus dem Bundeshaushalt an den Gesundheits-fonds . Wir haben im Gesundheitsfonds eine Reserve von10 Milliarden Euro . Wir haben bei den Krankenkassen –so meine letzte Zahl – eine Reserve von 15 MilliardenEuro . Es gibt auch nicht, was Anfang des Jahres immerwieder und überall geschrieben wurde, auch in der Pres-se – man wollte das sozusagen schon herbeireden –, einedeutliche Beitragserhöhung für die Mitglieder der Kran-kenkassen, sondern auch da haben wir eine stabile Wei-terentwicklung .
Ich glaube, dass sich vor diesem Hintergrund dieserHaushalt sehr sehen lassen kann .Wir haben in den Beratungen der Berichterstatter undmit dem Haus eine ganze Reihe von Themen erörtert . Ichdarf mich beim Kollegen Burkhard Blienert herzlich be-danken, dass wir sehr vertrauensvoll zusammenarbeitenkonnten . Wir haben eine Reihe von neuen Schwerpunk-ten gesetzt; er wird sicherlich auch noch einige Punktenennen .Einer von diesen Punkten ist, dass wir internationalmehr Verantwortung übernehmen als bisher . Die Bun-desrepublik war bei der WHO schon bisher der dritt-größte Beitragszahler, was die Pflichtbeiträge angeht.Das erhalten wir aufrecht . Aber wir geben jetzt weitereMittel an diese Organisation . Wir werden in diesem Jahrerstmals freiwillige Beiträge in Höhe von 35 MillionenEuro an die WHO leisten . Wir erwarten, dass mit die-sen freiwilligen Beiträgen die Strukturentwicklung in derWHO verbessert wird . Wir alle haben beim Ausbruch derEbola krise erlebt, dass es dort strukturelle Schwierigkei-ten gab, auf dieses Problem zu reagieren . Die Situationwollen wir mit unserem Einsatz verbessern helfen . Dafürstehen diese 35 Millionen Euro zur Verfügung .Wir geben weiterhin Mittel, weil wir im nächsten Jahrauch die G-20-Präsidentschaft innehaben . Es sind zusätz-liche Mittel, insgesamt 5 Millionen Euro, um im Rahmendes G-20-Vorsitzes international Beiträge zu leisten undZeichen zu setzen . Wir geben noch einmal 5 MillionenEuro für die Krisenreaktion und für verschiedene Aufga-ben im G-7-Bereich . Hier geht es insbesondere darum –darüber haben wir hier auch schon mehrfach diskutiert –,etwas gegen die Entwicklung von Antibiotikaresisten-zen zu tun . Auch das ist ein Thema, mit dem wir uns imHaushaltsverfahren beschäftigt haben und für das wir zu-sätzliche Mittel einsetzen wollen .Wir geben auch zusätzliche Mittel – ich habe es ebenschon gesagt – in den Bereich der Prävention . Das istein neues Thema . Dafür haben wir im vergangenen Jahrdie Strukturen neu geschaffen . Jetzt werden aus demHelmut Heiderich
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Haushalt heraus die Mittel noch einmal erhöht, damit wirüberall dort, wo Prävention stattfinden soll – es wird jaso schön gesagt: direkt im täglichen Leben –, also vomKleinkindbereich bis hin zum Seniorenbereich, neue An-gebote machen können, die Menschen mit einbeziehenkönnen und natürlich am Schluss Krankheiten verhin-dern und das Krankheitsausmaß reduzieren können; dasist der Sinn von Prävention . Hier stehen – auch für denImpfschutz bei Kindern, der mit einbezogen ist – insge-samt 45,5 Millionen Euro zur Verfügung . Auch das istein Ergebnis unserer Beratungen .Ich will noch auf einen Punkt eingehen, den ich hierschon mehrfach angesprochen habe und der mir sehrwichtig ist . Das ist das Thema einer gleichgewichtetenmedizinischen Versorgung in Stadt und Land . Wir habenja auf der einen Seite jedes Jahr steigende Arztzahlen, wirhaben aber auf der anderen Seite zur Kenntnis zu nehmen,dass die Zahl der Hausärzte und Fachärzte im ländlichenRaum ständig abnimmt . Ich habe einmal herausgesucht:Bei mir im Hessenland liegt der Altersdurchschnitt derHaus- und Fachärzte im Moment bei 55 Jahren . Da sinddie Ballungszentren schon einbezogen . Sie können sichvorstellen, dass das in den ländlichen Regionen deutlichproblematischer aussieht . Bei mir im Landkreis zum Bei-spiel, so sagte mir mein Landrat, sieht es im Moment soaus, dass 45 Prozent der Hausärzte 2020 die Altersgrenzeüberschritten haben werden . Von daher entsteht dort einriesiges Problem .Wir haben in der Vergangenheit ja schon gesetzlichvorgesorgt – 2012 Versorgungsstrukturgesetz und 2015Versorgungsstärkungsgesetz – und haben neue Möglich-keiten eröffnet . Deswegen habe ich das Haus einmal ge-beten, dem nachzugehen und zu prüfen, was denn darausgeworden ist . Ich muss sagen: Da bin ich doch einiger-maßen enttäuscht . 2012 haben auf die Vorgaben, die wirgemacht haben, ganze vier Bundesländer reagiert . 2015haben weitere sieben Bundesländer nachgezogen . Siehaben relativ breit gefächerte Angebote entwickelt; aberwenn wir auf die Zahlen schauen, die mir genannt wur-den, dann sehen wir, dass die Beträge irgendwo so umdie 2 oder 3 Millionen Euro liegen . Das ist, mit Verlaub,nicht ausreichend, um diesem Problem entsprechend zubegegnen oder es gar zu beheben .
Ich glaube deshalb, dass wir – das ist auch meine Bittean die Fachkollegen – nicht nur die gesetzlichen Voraus-setzungen schaffen und den kassenärztlichen Vereinigun-gen Möglichkeiten an die Hand geben dürfen, sonderndass wir auch ein Stück weit nachschauen müssen, wasdort tatsächlich passiert . Werden die Möglichkeiten, diewir geschaffen haben, auch ausgenutzt? Findet eine ent-sprechende Umsetzung statt? Wird daraus Positives ent-wickelt? Das sollten wir in der nächsten Zeit vielleichtnoch verstärkt tun, damit mithilfe der Möglichkeiten desStrukturfonds eine bessere medizinische Versorgung imländlichen Raum möglich wird .Meine sehr verehrten Damen und Herren, meine Re-dezeit nähert sich schon wieder dem Ende . Ich möchtesagen: Wir legen hier mit diesem Haushalt eine hervor-ragende Grundlage für eine gute Gesundheitsversorgungin Deutschland . Wir wissen, es kommen immer neueAufgaben auf uns zu . Wir wollen nicht jedem alles ver-sprechen, aber wir wollen stets daran arbeiten, dass un-ser Gesundheitssystem besser wird, dass es in Stadt undLand gleich gut bleibt und dass es bezahlbar bleibt fürdie Bürger und den Bundeshaushalt . Da bin ich mir beiHermann Gröhe ganz sicher, dass wir das schaffen .Herzlichen Dank .
Die Kollegin Ekin Deligöz hat für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrter Herr Kollege Heiderich, ja, Sie habenschon recht: Das Gesundheitssystem in Deutschland istschon eines der besten der Welt . Es sind alleine in denGKVs 71 Millionen Menschen versichert, 85 Prozent da-von in den 20 größten Einrichtungen . Damit haben wireine gewisse Verlässlichkeit . Aber die Frage ist ja nicht,ob es gut ist, sondern die Frage ist: Wie können wir sovorausschauend handeln, dass es auch morgen noch sogut ist . Dafür müssen wir doch arbeiten .
Wenn uns das gelingen soll, dürfen auch wir Haus-hälter unseren Blick nicht nur auf den Etat des Ministersrichten, sondern müssen ihn auch auf die Sozialkassenrichten . Auch da schaut es im Moment noch sehr gutaus: Die Krankenkassen schreiben schwarze Zahlen, dieRücklagen betragen – Sie haben es erwähnt – 15 Milli-arden Euro . Aber, tut mir leid, das ist nicht Ihr Verdienst .Das liegt auch daran, dass wir eine hohe Beschäftigungs-quote haben, dass wir eine gute Konjunktur haben, dasswir eine geringe Arbeitslosigkeit haben . Und all daswirkt sich dann auf die Sozialversicherungen entspre-chend aus .
Das ist doch das, was dahinter liegt .
Aber was Sie machen, ist, dass Sie die Kosten für diegesetzlichen Krankenkassen steigern . Im Moment liegensie noch bei 220 Milliarden Euro . Sie werden aber unab-dingbar steigen . Das hat drei Gründe: erstens die tech-nischen Entwicklungen und der medizinisch-technischeFortschritt, zweitens der demografische Wandel – wirwerden älter; damit werden entsprechende Kosten aufuns zukommen – und drittens die Gesetze und sogenann-ten Reformen, die Sie in diesem Land beschlossen haben .Diese Kosten müssen ausschließlich von den Kran-kenkassen geschultert werden – und dann auch noch al-Helmut Heiderich
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lein von den Beitragszahlern . Das sind die Konsequen-zen . Diese Kosten spiegeln sich auch nicht in diesemHaushalt wider, sondern da lassen Sie die Versichertenalleine und im Stich .
Das ist besonders bedauerlich; denn weil es uns gera-de gut geht, hätten wir jetzt auch die Chance, die Kran-kenversicherung fit für die Zukunft zu machen, sie zuerneuern, sie besser aufzubauen und sie stabil zu machen .
Aber das machen Sie nicht . Eine verpasste Chance fürdie Versicherung!
Herr Minister, Ihre Gesetze sind teuer . Die Kaufmän-nische Krankenkasse hat erklärt – es gibt auch andereKrankenkassen, die das genauso vorrechnen –, dass denKrankenkassen schon im nächsten Jahr Mehrausgabenvon 3 Milliarden Euro drohen . Diese Mehrausgaben wer-den sukzessive zunehmen . Bis zum Jahre 2020 belaufensich die Mehrkosten aufgrund der Gesetze, die in dieserWahlperiode verabschiedet werden, wahrscheinlich auf14 Milliarden Euro .Wer zahlt diese Mehrkosten? Alleine die Versicherten .Und warum? Weil Sie nicht den Mumm haben, zu einemechten paritätischen System zurückzukehren und die Ar-beitgeber mit daran zu beteiligen .
Wenn Ihnen wirklich an Solidarität gelegen wäre,dann würden Sie hier etwas verändern und nicht an über-holten Strukturen festhalten; denn zu echter Solidaritätgehört nun einmal, dass sich auch die Arbeitgeber daranbeteiligen .Sie haben zwar zehn Gesetze verabschiedet, dennochbleibe ich bei meiner Aussage: Kernbereiche müssen wirimmer noch angehen . Und vor allem: Verwechseln Sienicht Quantität mit Qualität .Hier nenne ich zum Beispiel das Pflegestärkungsge-setz II . Sie haben da zwar sehr vieles verändert . Wennich vor Ort Gespräche führe, höre ich aber, dass das Pro-blem des Personalmangels in der Pflege immer noch be-steht . Daran wird – es tut mir leid – mehr Werbung fürPflege allein nichts ändern. Vielmehr müssen wir an dieStrukturen herangehen und für bessere Bezahlung dieserDienstleistung eintreten . Wenn wir diesem Personalman-gel abhelfen wollen, müssen wir im Grundsatz viel mehrfür Pflege und auch für diesen Berufsstand tun, als nurHochglanzbroschüren herauszugeben .
Deshalb fordern wir als Grüne auch, etwas gegen denPersonalmangel in medizinischen Berufen zu tun . Übri-gens fordern wir auch deshalb eine Pflegebürgerversi-cherung, weil wir mit der Ausweitung der Solidarität aufmehr Schultern auch eine Stabilität im System bekom-men würden .Den Pflegevorsorgefonds könnten Sie übrigens, wennSie ehrlich sind, genauso gut streichen . Er ist schon totalzaghaft angelaufen . Jetzt haben wir ein Zwischenhoch,weil die Zinsen niedrig sind und die Leute diese Mög-lichkeit gerne mitnehmen . Aber obwohl die Bedingun-gen dafür bestens sind, erreichen Sie bei weitem nichtdas, was angedacht war und was Sie eigentlich von vorn-herein hätten erreichen müssen . Das heißt, dass die Men-schen diese Form von Pflegevorsorge nicht annehmen.Wenn etwas nicht funktioniert, muss man auch einmalden Mumm haben, zu sagen: Wir streichen das und den-ken neu nach . – Das haben Sie aber nicht getan . Verpass-te Chance!
Wir haben zuletzt auch noch einmal den Antrag ein-gebracht, 50 Millionen Euro zusätzlich für die Psycho-sozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer bereit-zustellen . Warum wollen wir das? Flüchtlinge kommennach einer langen schwierigen Reise mit vielen Torturenhierher . Sie haben etwas Schreckliches erlebt und sindtraumatisiert . Wir verlangen von ihnen, dass sie Deutschlernen, dass sie erwerbstätig werden und dass sie für ihreeigene Existenz sorgen . Solange es uns aber nicht ge-lingt, diese durch die Traumata entstandenen Blockadenaufzulösen, wird uns oftmals auch die Integration nichtgelingen .Deshalb müssen wir diese Strukturen, bei denen esnicht nur um Behandlung, sondern auch um Präventiv-maßnahmen geht, stärken . Dazu gehört übrigens auchder Einsatz von Dolmetscherinnen und Dolmetschern imRahmen einer Behandlung .Die von uns hierfür beantragten 50 Millionen Euro be-reitzustellen, hätten wir bei diesem Haushaltsplan wahr-haftig auch noch hinkriegen können . Verglichen mit demgroßen Haushalt ist das eine relativ kleine Summe . Eshätte aber große Auswirkungen auf die Zukunft der Men-schen, die neu in diesem Land ankommen .
Ich möchte mich an dieser Stelle aber noch für dreiDinge bedanken:Erstens . Herr Minister, vielen Dank dafür, dass Sie dieWHO-Mittel gestärkt haben . Das ist gut für ein interna-tionales Gesundheitssystem, für unabhängige Strukturenund vor allem für verlässliche Strukturen .Zweitens . Danke, dass Sie unseren Antrag zur Suizid-prävention übernommen haben . 11 000 bis 12 000 Men-schen begehen Suizid in diesem Land . In diesem Bereichsensibler zu sein, steht uns gut zu Gesicht .Drittens . An dieser Stelle bedanke ich mich ganzherzlich bei meinen Mitberichterstatterinnen und Mitbe-richterstattern, insbesondere aber bei Herrn Blienert . AmEnde ist uns gemeinsam ein Maßgabenbeschluss gelun-gen, in dem wir sagen, zu Verlässlichkeit und Vertrauengehört eine gute Kontrolle und damit eine Stärkung desEkin Deligöz
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Bundesrechnungshofes . Es ist unser Hauptauftrag alsHaushälter, Missbrauch zu verhindern und dafür zu sor-gen, dass sich die Menschen auf uns verlassen können .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner für die SPD ist der
Kollege Burkhard Blienert .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Haushalt des BMG ist ein guter Haushalt,
jedoch gemessen am Bundeshaushalt immer noch einkleiner Haushalt . Aber er erfährt eine große öffentlicheWahrnehmung . Das Gesundheitswesen und seine Finan-zierung – das haben wir schon ausgiebig gehört – betrifftjede und jeden direkt, sodass auch in der Bevölkerungalle Maßnahmen hier genauestens verfolgt werden .Natürlich gab es im Laufe dieses Jahres vielerorts Ver-unsicherung, wie es mit den Finanzen im Gesundheitsbe-reich aussieht . Noch Anfang des Jahres wurde orakelt, inwelch astronomische Höhen der Krankenkassenbeitrag2017 schnellen und welche Mehrbelastung jeder Einzel-ne zu schultern haben werde . Heute können wir zumin-dest vorerst Entwarnung geben: Im ersten halben Jahrwurde bei den Kassen ein Überschuss von 600 MillionenEuro erwirtschaftet, und die Finanzreserven sind deshalbauch auf 15 Milliarden Euro gestiegen . Die Folge: Nun –einige Monate später – teilt der Schätzerkreis mit, dassdie Beiträge zur GKV im kommenden Jahr wohl stabilbleiben . Das ist doch erst einmal ein gutes Signal an dieVersicherten in der GKV .
Wir wissen: Nichts ist von Dauer . Wir müssen aufpas-sen,
dass die Krankenkassenbeiträge die Versicherten auchmittel- und langfristig nicht stärker belasten . Deswegensage ich gleich vorweg: Die paritätische Finanzierungder GKV ist kein Traumschloss, sondern eine zwingendeNotwendigkeit .
Deshalb werden wir in der nächsten Zeit bei dieser Frageweiterhin aktiv sein . Es ist ein wichtiger Schritt, insbe-sondere auch Leistungsträger, die Mitte der Gesellschaft,zu entlasten .Wenn ich von einem ersten Schritt an dieser Stellespreche, so liegt es auf der Hand, dass ein weiterer not-wendig ist und uns sicherlich in den nächsten Monatenauch verstärkt beschäftigen wird, nämlich die Antwortauf die Frage: Wie stelle ich die Finanzierung der gesetz-lichen Krankenversicherung langfristig auf ein sicheresFundament? Und da ist unsere Antwort eindeutig:
Wir werden als SPD weiterhin das Konzept der Bürger-versicherung verfolgen .
Nur sie gewährleistet aus unserer Sicht eine sozial ge-rechte und ausgewogene Lastenverteilung aller Bevölke-rungsteile .Da wir mit den heutigen Beratungen den letzten Ge-sundheitsetat für diese Wahlperiode beraten, ist es durch-aus lohnend, die Zahlen für 2017 mit den Zahlen von2013 zu vergleichen . Wir haben uns 2013 auf den Weggemacht, die Gesundheitsversorgung zu verbessern, An-gebote zu optimieren, Gelder zweckoptimiert und nichtideologisch zu verwenden . Wir haben daher in einem ers-ten Schritt die Aufwendungen für den sogenannten Pfle-ge-Bahr der realen Nachfrage angepasst, andere Haus-haltstitel im Gegenzug gestärkt .Über 15 Milliarden Euro stehen dem Gesundheitsmi-nister auf der Ausgabenseite zur Verfügung . Und wie inden letzten Jahren macht der Gesundheitsfonds den über-großen Anteil hiervon aus: 14,5 Milliarden Euro . Schonan dieser Zahl lässt sich festmachen, dass die jetzige Ko-alition Wort gehalten hat . Sie hat daran festgehalten, die-sen Gesundheitsfonds über den Verlauf der Wahlperiodeauf nunmehr 14,5 Milliarden Euro ansteigen zu lassen .Dann bleiben dem Ministerium noch circa 500 MillionenEuro zur Gestaltung im Gesundheitsbereich übrig . Unsals Sozialdemokratie war dabei besonders wichtig: mehrGeld für Beratung und Hilfe sowie Prävention .Erinnern wir uns: Der Entwurf für den Gesundheitse-tat 2014, der noch von Schwarz-Gelb erarbeitet wordenwar, sah zum Beispiel keine Finanzierung der so wichti-gen HIV-Stiftung mehr vor . Viele Betroffene hätten da-runter gelitten . Es war diese Koalition, die das abgeän-dert und dafür gesorgt hat, dass die Institution weiterhinauskömmlich finanziert wird: Erhöhung des Plafonds für2017 auf 2 Millionen Euro, perspektivisch auf 4,5 Milli-onen Euro . Das ist verlässliche Politik über den Wahltaghinaus .Genauso wichtig in den nächsten Monaten: die ge-sundheitlichen Aspekte im Bereich der Migration . Ichbin sehr zufrieden damit, dass wir gerade in diesem Be-reich die Mittel im Vergleich zum Regierungsentwurfnun maßgeblich, auf 3 Millionen Euro, aufstocken konn-ten . Somit ist es möglich, Projekte zum Umgang mittraumatisierten Flüchtlingskindern zu realisieren oderMediatorenprogramme zum Umgang mit drogenabhän-gigen Migranten an mehreren Orten durchzuführen . Dassind konkrete Herausforderungen in diesen Wochen undMonaten, und wir ermöglichen mit diesem Haushalt kon-krete Hilfsangebote .Auch immer wieder ein Thema sind die Gefahren derInfluenzaimpfung. Mittels einer Titelaufstockung im Be-Ekin Deligöz
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reich der Arzneimittelsicherheit werden wir nun eine Pi-lotstudie über die Wirkungen dieser Impfung durchfüh-ren können .Ein weiteres Thema: das große Thema Kindergesund-heit . Auch hier hat diese Koalition in den vergangenenJahren ordentlich investiert . 2014 haben wir diesenTitel mit 500 000 Euro erstmals wieder gefüllt, 2015wurden 2 Millionen Euro etatisiert, 2016 schließlich2,5 Millionen Euro, und nun, 2017, packen wir noch-mals 200 000 Euro obendrauf . Insgesamt 2,7 MillionenEuro stehen mittlerweile zur Verfügung . Das ist ein gutesZeichen und zeigt, dass uns dieses Thema wichtig war,wir Wort gehalten und dementsprechend auch gelieferthaben .
Ein Punkt ist uns sehr wichtig gewesen: der Punktder Beratung . 1 Million Euro mehr als ursprünglich vomMinister vorgesehen haben wir für entsprechende Auf-klärungsmaßnahmen nunmehr im Haushalt verankert .In diesem konkreten Fall handelt es sich um Beratungs-angebote der BZgA, die ausgebaut werden, da konkrettatsächlich die Telefone bei der Raucherhotline stark fre-quentiert sind . Viele Menschen suchen rund um das The-ma Rauchen und Rauchentwöhnung Hilfe und nutzen dieHotline, deren Rufnummer mittlerweile verpflichtendauf jede Zigarettenschachtel aufgedruckt werden muss .
Das veranlasst mich, noch einmal einen Appell an dieKolleginnen und Kollegen von der Union zu richten:Geben Sie die Blockadehaltung bei der Umsetzung desTabakwerbeverbotes endlich auf!
Wenn Sie vielleicht nicht mir oder der SPD-Fraktion ver-trauen, dann folgen Sie dort endlich den AusführungenIhrer Minister und der Drogenbeauftragten .
Je schneller wir nun endlich das Tabakwerbeverbotumsetzen, desto größer ist die Chance, dass wenigerMenschen zum Rauchen verleitet werden . Auf jährlich80 Milliarden Euro werden die Kosten der Folgen desRauchens von Experten beziffert . Selbst wenn man dieMindereinnahmen bei der Tabaksteuer gegenrechnenwürde, bliebe trotzdem eine beachtliche Summe übrig .Je weniger Menschen zum Glimmstängel greifen, des-to besser! Deshalb: Geben Sie dort Ihre Zurückhaltungauf, und lassen Sie das Tabakwerbeverbot in Deutschlandendlich Wirklichkeit werden .
Mit diesem Haushalt kommen wir auch unseren in-ternationalen Verpflichtungen nach. 35 Millionen Eurostellt Deutschland der WHO als freiwillige Beiträge zurVerfügung – neben dem Regulärbeitrag . Auch im Hin-blick auf den G-20-Vorsitz werden insgesamt 3 Millio-nen Euro mehr in Haushaltstitel mit internationaler Inten-sion gesteckt – ein wichtiges und richtiges Signal, das inZeiten weltweiter gesundheitlicher Herausforderungenangebracht ist .Ich möchte auf einen weiteren Punkt eingehen – FrauKollegin Lötzsch ist schon darauf eingegangen; richtigund wichtig war es, dort ein deutliches Zeichen zu set-zen –: Anfang des Jahres waren wir über die Skandale beider Kassenärztlichen Vereinigung verärgert .
Es herrschte daher Einvernehmen unter den Fraktionen,dass hier etwas getan werden muss . Mit dem Maßgabe-beschluss zu den Prüfrechten des Bundesrechnungshofshat das Parlament nunmehr gezeigt, dass wir nicht taten-los zusehen werden . Das konnte nur gemeinsam gesche-hen, und es ist eine gute Grundlage dafür, dass der Bun-desrechnungshof jetzt arbeiten kann .
Ich möchte mich an dieser Stelle ganz ausdrücklich beimeinen Mitberichterstattern, den Kolleginnen und Kol-legen Herrn Heiderich, Frau Lötzsch und Frau Deligöz,bedanken . Es war ja für uns jetzt am Ende der Legisla-turperiode tatsächlich die erste Zusammenarbeit; aber ichfinde, wir haben das vertrauensvoll, gut und konstruktivhinbekommen . Ganz herzlichen Dank dafür! Ich würdees gern in den kommenden Jahren mit Ihnen fortsetzen .
Nicht versäumen will ich auch einen Dank ans Hausund möchte da auch gern Minister Gröhe
und Staatssekretär Stroppe, aber auch die Abteilungslei-ter, deren jeweiligen Mitarbeiterstab sowie alle anderenKolleginnen und Kollegen im Gesundheitsbereich nen-nen . Das war eine gute Zusammenarbeit; auch meiner-seits ganz herzlichen Dank dafür .
Ich denke, wir können mit diesem Etat selbstbewusstagieren und mit Fug und Recht behaupten, dass wir inden Verhandlungen der letzten Wochen und Monate auseiner guten Grundlage einen noch besseren Etat gemachthaben .Vielen Dank .
Burkhard Blienert
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Vielen Dank . – Für die Bundesregierung erhält jetzt
Bundesminister Hermann Gröhe das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Auch ich möchte mit einem Dank beginnen, mit demDank an Sie, Kollege Blienert, aber auch an die Bericht-erstatterinnen, den Berichterstatter, an den Haushalts-wie den Gesundheitsausschuss für eine gute Beratung zueinem Haushalt, von dem ich überzeugt bin, dass er einegute Grundlage für die Arbeit des nächsten Jahres legtund wir mit ihm wichtige Weichen in der Gesetzgebungstellen, die weit darüber hinausreichen . Dank also demParlament!Aber ich danke auch den Parlamentarischen Staats-sekretärinnen Annette Widmann-Mauz und IngridFischbach, den Beauftragten Karl-Josef Laumann undMarlene Mortler, dem ganzen Team, das in wichtigenDingen – die Pflege, das Aufgabengebiet der Drogenbe-auftragten und die Prävention wurden genannt – mit da-für gesorgt hat, dass wir Themen, die zum Teil dringendeiner weiteren Verbesserung harrten, angepackt haben .Und da wir so gut und konstruktiv zusammengearbeitethaben, hätte ich mich gefreut, wenn sogar Sprecherinnenund Sprecher der Opposition etwas zum Haushalt gesagthätten . Das kam weniger vor und unterstreicht wahr-scheinlich auch, was Kollege Heiderich gesagt hat: dasses dazu nicht so viel Kritisches anzumerken gibt .
Zu den anderen Bemerkungen will ich natürlich etwassagen . Wenn Sie etwa, Frau Kollegin Lötzsch, auf dashinweisen, was jetzt in Landesparlamenten unter kräfti-ger Mitwirkung der Linken gesagt wird, was die Kran-kenkassen finanzieren sollen, was aus dem Bundesetatfinanziert werden soll – und das, nachdem Sie beklagthaben, dass die Länderhaushalte zu wenig Investitions-mittel für Krankenhäuser vorsehen –, wie wäre es denndann, wenn Sie sich in den Ländern, in denen Sie Mit-verantwortung tragen, darauf konzentrierten, dass es dorteinen richtig kräftigen Ruck nach vorn, in Richtung mehrInvestitionen in Krankenhäuser gibt? Nicht auf anderezeigen, sondern – wenn Sie schon Mitverantwortung tra-gen – selbst etwas tun! Da sind wir schon sehr gespannt .
Wir stehen bei klarer Aufgabenverteilung in der Mit-verantwortung . Wer die Krankenhausplanung macht,trägt im Grundsatz die Investitionsmittel . Das können Siedaran sehen, dass wir im Rahmen der Krankenhausre-form einen Strukturfonds auflegen, der den Ländern hilft,die Krankenhauslandschaft zukunftsfähig umzubauen .Ich hoffe sehr, dass die Länder den Mut haben, die damitverbundenen nicht ganz leichten Entscheidungen auchanzupacken . Das dient der Schaffung einer zukunftsfes-ten Versorgungslandschaft . Wir nennen beispielsweiseim Investitionsprogramm für finanziell schwache Kom-munen als ersten Investitionszweck ausdrücklich Kran-kenhausinvestitionen . Beim Strukturfonds muss alsonicht nur der Bereich der Beitragsfinanzierung bedachtwerden, sondern auch der Bereich der kommunalen Fi-nanzierungsunterstützung bezüglich der Krankenhausin-vestitionen .Des Weiteren ist das Thema Bundeszuschuss, schwar-ze Null angesprochen worden . Wer kritisiert, dass einevorübergehende Absenkung einen Beitrag zur Haushalts-konsolidierung geleistet hat, muss auch erwähnen, dassdiese Absenkung – nach einer deutlichen Erhöhung desBundeszuschusses in den Jahren 2009 und 2010 – dazubeigetragen hat, dass neben den Auswirkungen der Fi-nanzmarktkrise nicht zusätzlich noch die Beiträge an-gestiegen sind . Damals wurde – übrigens unter Inkauf-nahme erhöhter Staatsverschuldung – mit SteuergeldBeitragsstabilisierung betrieben, und danach wurde sinn-vollerweise ein Konsolidierungsbeitrag geleistet . Heutestehen wir da, wo wir es Ihnen zugesagt haben – vonIhnen immer wieder hier vom Pult aus angezweifelt –,erhöhen nämlich den Bundeszuschuss auf 14,5 Milliar-den Euro . Insofern warne ich davor, immer nur die halbeWahrheit zu sagen . Die Panikmache im Sommer in Sa-chen Beiträge hat sich auch als solch ein Versuch heraus-gestellt . Der Schätzerkreis hat eindeutig klargestellt, dassmit stabilen Beiträgen zu rechnen ist .Es zeigt sich auch, dass wir bei den Leistungsverbes-serungen mit Augenmaß vorgegangen sind . Wir gestaltendie Leistungsverbesserungen stets so, dass wir dort, wowir es für geboten halten, Leistungsverbesserungen vor-nehmen, aber wir setzen beispielsweise auch mehr aufPrävention, auf eine bessere Vernetzung der Leistungser-bringer und auf den Umbau der Krankenhauslandschaft .Damit setzen wir ein Zeichen dafür, dass wir die nach-haltige Finanzierbarkeit unseres Gesundheitswesens imBlick behalten . Wir nutzen also gerade jetzt die Zeit – dieKollegin Deligöz hat das ja bezweifelt –, um Weichen füreine langfristige Finanzierbarkeit zu stellen .
Sie haben mehr Solidarität in unserer Gesellschaft an-gemahnt . Lassen Sie mich mit einigem Stolz sagen: ZehnJahre haben wir darüber geredet, aber jetzt kommt dieumfassende Reform der Pflegeversicherung. Von diesemPult aus war zu hören: Sie kommt in dieser Legislatur-periode nicht, sie wird auf den Sankt-Nimmerleins-Tagverschoben . Ich sage Ihnen: Sie kommt . Am 1 . Januardes nächsten Jahres tritt die umfassendste Erneuerungder Pflegeversicherung seit ihrer Einführung in Kraft.
– Ich höre: Das ist auch gut so . Das unterstreiche ich ger-ne . – Sie wird solidarisch und paritätisch von Arbeitge-bern und Arbeitnehmern finanziert. Das Eindrucksvolleist: Niemand in diesem Land bestreitet, dass es richtig ist,dass wir diese moderate Beitragserhöhung durchführen .Denn alle wissen: Es geht um eine Aufgabe, die uns ge-meinsam am Herzen liegen muss, nämlich eine würdige,
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eine gute Versorgung der Pflegebedürftigen in unseremLand zu gewährleisten. Damit nehmen wir die Pflegebe-dürftigen und deren Angehörige in den Blick, denen wirmit diesen erheblich verbesserten Leistungen den Rü-cken stärken. Damit nehmen wir auch – die Pflegeberufesind zu Recht angesprochen worden – die Situation derPflegekräfte in unserem Land in den Blick.Ich weise darauf hin, dass wir die Absicherung durchdie Refinanzierung von Tariflöhnen rechtlich klar regelnund dass wir für andere Hilfstätigkeiten einen erhöhtenMindestlohn in dieser Legislaturperiode vereinbart ha-ben . Ich weise auf die Erleichterung durch die Einstel-lung von 20 000 zusätzlichen Betreuungskräften hin, aufden Abbau der Bürokratie und schließlich darauf, dassin allen Bundesländern bis Ende dieses Jahres neue Per-sonalschlüssel verhandelt wurden und dass dies in denallermeisten Fällen zu einer deutlichen Verbesserung derPersonalschlüssel geführt hat . Wir bleiben an diesemThema dran, so wie wir im Rahmen der Krankenhaus-reform einen wesentlichen Akzent auf die Stärkung derStationspflege gesetzt haben. Dass diese Arbeit wei-tergeht, das sehen Sie auch daran, dass inzwischen mitPflegeverbänden, mit Kostenträgern, mit Krankenhaus-gesellschaften und mit Gewerkschaften weiter über dieStärkung der Pflege in unseren Krankenhäusern beratenwird .Ich habe das Thema Vernetzung angesprochen . DerInnovationsausschuss hat in diesen Wochen erste Ent-scheidungen hinsichtlich der Stärkung der sektorüber-greifenden Versorgung getroffen . Das dient einer bes-seren, einer den Leitlinien gerechter werdenden, besserineinandergreifenden Behandlung und macht unser Ge-sundheitssystem insgesamt effizienter. Wir haben mitgroßer Einmütigkeit – dafür will ich mich bedanken – dasGesetz zur Stärkung der Hospiz- und Palliativmedizinbeschlossen, das auch ganz wesentliche Elemente einerbestmöglichen Vernetzung der Pflege mit der örtlichenPalliativmedizin enthält . Und dass die Krankenhausre-form wesentlich auf Arbeitsteilung und kluge Vernetzungin der Krankenhauslandschaft zielt, das wissen Sie . Dasunterstreiche ich gerne noch einmal .
Ein wesentliches Instrument für die Vernetzung ist,dass wir die Instrumente der Telemedizin deutlich of-fensiver nutzen . Hier war es nötig, Tempo zu machen;wie bei so manch anderem Thema . Das haben wir getan .Ich freue mich, dass gestern eine Vernetzung von Pra-xen mit einer Universitätsklinik in Echtzeit gestartet ist .Jetzt geht es darum – zunächst mit einem umfassendenStammdatenmanagement und dann mit Notfalldaten, mitMedikationsplan –, auch die Telematikinfrastruktur end-lich mit Nutzen für die Patientinnen und Patienten, füralle Versicherten zu füllen .
Wenn wir über Gesundheit diskutieren – und wir er-leben es alle in unseren Wahlkreisen –, dann merkt man:Es ist ein lokales Thema . Es geht um die Frage: Wie siehtes mit unserer Krankenhausversorgung aus, mit unsererniedergelassenen Ärzteschaft, mit unserem Pflegedienst?Wir werden sicher noch darüber diskutieren, was wir tunmüssen, damit wir uns auch weiterhin auf eine flächen-deckende Rund-um-die-Uhr-Versorgung mit Apotheken-dienstleistungen verlassen können . Das hat alles lokaleDimensionen, aber in der Tat: Spätestens mit der Ebolak-rise – man könnte weitere nennen, zum Beispiel auch dieweltweite Zunahme von Antibiotikaresistenzen – wirddeutlich, dass lokale Qualität und globale Verantwortungin der Gesundheit zusammenhängen .Ich bin Bundeskanzlerin Angela Merkel dank-bar dafür – ich sage das ausdrücklich –, dass wir dieG-7-Präsidentschaft Deutschlands genutzt haben unddie G-20-Präsidentschaft Deutschlands im nächsten Jahrnutzen werden, um globale Gesundheitspolitik als einMarkenzeichen der internationalen Verantwortung unse-res Landes zu profilieren. Dies steht unserem Land wahr-lich gut an .
Wir haben immer wieder eine Reform der WHO, derWeltgesundheitsorganisation, angemahnt, damit sie ihrenwichtigen Aufgaben gerecht werden kann . Wir haben üb-rigens auch schon immer die Bereitschaft bekundet, diePflichtbeiträge zur WHO zu erhöhen. In diesem Haus-haltsentwurf sehen wir vor, dem Pflichtbeitrag von knapp30 Millionen Euro einen freiwilligen Beitrag von über30 Millionen Euro an die Seite zu stellen;
das ist gut fünfmal so viel wie in den letzten Jahren . Die-se Mittel, die bisher beim BMZ angesiedelt waren, etati-sieren wir nunmehr in unserem Haus und machen damitdeutlich, dass die operative Verantwortung, die Deutsch-land in der WHO übernimmt, mit einer großzügigerenBereitschaft verbunden ist, die Dinge zu unterstützen,die uns gemeinsam am Herzen liegen . Das ist eine guteNachricht .
Ich bin davon überzeugt – das sage ich, weil esja manchmal die Sorge gibt, dass man selbst zu kurzkommt –, dass beim Thema Gesundheit ebenso wie beiwenigen anderen Themen gilt, dass die Verantwortung,die wir weltweit übernehmen, unmittelbar auch denMenschen in unserem Land zugutekommt . Ich bin da-von überzeugt, dass wir die Menschen in unserem Landauf Dauer nicht gut versorgen können ohne die Bereit-schaft zu globaler Verantwortungsübernahme . Dies un-terstreicht einmal mehr unser Haushalt .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner für die Fraktion DieLinke ist der Kollege Harald Weinberg .
Bundesminister Hermann Gröhe
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Kollege Heiderich, vielleicht haben wir ja unter-schiedliche OECD-Studien gelesen;
denn nach der OECD-Studie, die ich gelesen habe, liegtDeutschland hinsichtlich der Kosten in der Tat auf demdritten Platz, also relativ weit oben, bei den Outcomes,also sozusagen bei dem, was herauskommt – Säuglings-sterblichkeit, Lebenserwartung, kardiologische Krank-heiten und Ähnliches –, allerdings bestenfalls im Mit-telfeld . Das heißt, man muss die Zusammenhänge etwasgenauer betrachten . In diesem Bereich sind wir keines-wegs top, sondern wir haben noch einiges zu leisten indiesem Lande .
Sehr geehrter Herr Minister, worüber diskutieren wirhier? Wir diskutieren hier über einen verhältnismäßigkleinen Haushalt – 15 Milliarden Euro –, weil der größteAnteil der Einnahmen im Bereich der Gesundheitsver-sorgung logischerweise in den Beitragsmitteln steckt . Ichglaube, darauf müssen wir ein Stück weit den Schwer-punkt legen . Auch Sie haben ja von der Beitragsstabilitätgesprochen . In diesem Zusammenhang fällt mir Folgen-des ein: Man hat in die Rücklagen des Gesundheitsfondsgegriffen . 1,5 Milliarden Euro wurden entnommen . ImWesentlichen ist das der Grund dafür, dass die Beiträgeim nächsten Jahr stabil bleiben . Man könnte auch sagen:Das ist ein Wahlkampfgeschenk .
Wenn Sie als Begründung für diesen Griff in die Rück-lagen die Stabilisierung des Beitragssatzes als Wahl-kampfgeschenk genannt hätten, hätten Sie von uns Kritikgeerntet . Das ist klar; das erleben Sie ja jetzt auch . We-sentlich problematischer finde ich allerdings die Begrün-dung, die dann tatsächlich angeführt wurde: Das sei fürdie gestiegenen Kosten im Bereich der Gesundheitsver-sorgung von Flüchtlingen in diesem Land . Das halte ichnach wie vor für einen völlig falschen Zungenschlag .
Die Krankenkassen haben natürlich Danke gesagt, als ih-nen das Geld in Aussicht gestellt wurde . Bemerkenswertfinde ich aber, dass sie gleichzeitig gesagt haben: Für dieGesundheitsversorgung der Flüchtlinge brauchen wir dasGeld eigentlich nicht .
Sie nutzen das Geld also im Wesentlichen zur Stabilisie-rung der Beiträge .Es gibt aber natürlich ein Problem – das ist allerdingsallgemeinerer Art –: Einnahmen und Kosten bei denALG-II-Empfängern klaffen auseinander . Das ist seitJahren bekannt und führt immer zu Defiziten. In dieseGruppe können auch Flüchtlinge fallen, die geduldetsind, subsidiären Schutz oder Asyl bekommen . Ord-nungspolitisch ist das allerdings aus unserer Sicht ausSteuermitteln zu finanzieren und nicht aus Beitragsmit-teln .
An dieser Stelle möchte ich etwas zu dem Bundeszu-schuss sagen: Das große Problem ist, dass der Bundeszu-schuss im Moment im Wesentlichen eine Manövriermas-se des Finanzministers ist . Das kann meines Erachtensnicht so weitergehen . Wir brauchen so etwas wie eineRegelgebundenheit des Bundeszuschusses, weil es vonden Aufgaben, die aus Steuermitteln zu finanzieren sind,nicht in dem einen Jahr ganz wenige und in dem anderenJahr ganz viele gibt . Sie bleiben relativ gleich groß . Inso-fern müssen wir schauen, dass wir da zu einer Regelge-bundenheit kommen .
Ich möchte noch ganz kurz auf unsere Änderungsan-träge zu sprechen kommen . All unsere Änderungsanträgesind ja im Haushaltsausschuss abgelehnt worden .
Ich will nur einige herausgreifen und fürs Protokoll deut-lich machen, worum es da eigentlich geht; denn das hatschon ein bisschen mit dem Thema, über das wir reden,zu tun .Wir haben beispielsweise einen Änderungsantrag ein-gebracht, Herr Heiderich, in dem es um die Nichtversi-cherten in diesem Lande geht – es gibt sie nämlich inder Tat –, also um die Menschen, die keinen Zugang zurGesundheitsversorgung haben . Ihre Zahl ist gar nicht sogering .
Es sind in diesem Land – geschätzt – ungefähr300 000 Personen . Wir haben beantragt, dass sie Zugangzur Gesundheitsversorgung bekommen sollen . DieserAntrag ist abgelehnt worden .Wir haben auch den Antrag eingebracht, die Pflege inambulant betreuten Wohngemeinschaften zu fördern . Istabgelehnt worden .Wir haben einen Antrag zur Stiftung „Humanitäre Hil-fe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ ein-gebracht. Diese Stiftung ist unterfinanziert; davon war jaschon die Rede . Wir haben beantragt, die Mittel aufzu-stocken . Ist abgelehnt worden .Wir wollten die Möglichkeit, medizinische Versor-gungszentren in kommunaler Trägerschaft zu haben,stärken und fördern;
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das hat übrigens auch mit der Frage der Ärztedichte aufdem Land zu tun . Auch diese Fördermöglichkeit ist ab-gelehnt worden .
Wir wollten die nichtkommerzielle Pharmaforschungstärken und eigenständig fördern . Ist abgelehnt worden .Wir wollten Mittel für die Erforschung der medizi-nischen Verwendung von Cannabis bereitstellen, wirwollten eine Evaluation des Betäubungsmittelrechts, undwir wollten Drug-Checking-Projekte durchführen . Allesabgelehnt worden . Ich sage das nur, weil dies meines Er-achtens wichtige Projekte sind, die die Gesundheitsver-sorgung gestärkt hätten .
Ich vermute sogar: Wenn ich Sie fragen würde, ob Sieunsere Anträge überhaupt gelesen haben,
dann würde herauskommen, dass die meisten von Ihnennicht einmal hineingeschaut haben . Aber abgelehnt ha-ben Sie sie .
Und zuletzt: Wir haben auch einen Antrag einge-bracht, in dem es um den seit Jahren bestehenden Inves-titionsstau in den deutschen Krankenhäusern geht . Esist in der Tat so, dass die Förderung der Bundesländerunzureichend ist. Dies hat die Folge, dass sich der Pfle-genotstand, der in den Krankenhäusern ohnehin schonvorhanden ist, weiter verstärkt – Stichwort „gefährlichePflege“ –, weil die Betriebsmittel, also Fallpauschalen,zur Finanzierung notwendiger Investitionen herangezo-gen werden . Diese Mittel fehlen dann beim Personal, vorallen Dingen natürlich beim nichtärztlichen Personal;denn da wird im Wesentlichen an der Schraube gedreht .Deswegen haben wir den Vorschlag gemacht, für diesenBereich 2,5 Milliarden Euro in den Haushalt einzustel-len und die Finanzierung so zu regeln wie beispielsweisebeim Strukturfonds im Rahmen des Krankenhausstär-kungsgesetzes, dass das Land also für jeden Euro, dervom Bund bezogen wird, einen Euro dazutun muss .
Ich sage Ihnen eines – das ist dann auch mein letzterSatz –: Ich besuche relativ viele Einrichtungen . Wenn ichdort erzähle, dass wir diesen Antrag seit sieben, acht Jah-ren immer wieder einbringen, ernte ich Unglauben . Ichsage den Menschen dann immer: Na ja, vielleicht liegtdas auch daran, dass Sie falsch gewählt haben . WählenSie das nächste Mal die richtige Partei; dann haben wireine Chance .Danke .
Vielen Dank . – Nächste Rednerin für die SPD-Frakti-
on ist die Kollegin Bärbel Bas .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Kollege Weinberg, auch ichwill gerne auf die Finanzierung eingehen . Ich kann michnoch sehr gut an die Debatten erinnern, die wir 2013 ge-führt haben, als wir die Mittel im Gesundheitsfonds vo-rübergehend abgesenkt haben; Kollege Blienert hat dasangesprochen . Wir als SPD-Fraktion haben damals ge-sagt: Ja, wenn es vorübergehend ist, tragen wir das mit;aber wir werden dafür sorgen, dass die Mittel wiederaufwachsen . – Heute wissen wir: Im Haushalt werden14,5 Milliarden Euro bereitgestellt, und 2012 waren es14 Milliarden Euro . Insofern kann man sagen – ich kannmich, wie gesagt, noch sehr gut an die Debatten erin-nern –: An dieser Stelle haben wir Wort gehalten .
– Ja, ich komme noch zu diesem Punkt .Es geht beim Gesundheitsfonds – ich will das einmalnennen – um die pauschale Abgeltung der Aufwendun-gen der Krankenkassen für gesamtgesellschaftliche Auf-gaben; das ist das, was Sie gerade angesprochen haben .Da geht es um die Mitversicherung von Ehegatten undKindern, um Leistungen bei Schwangerschaft und Mut-terschaft und vieles mehr .
Uns ist vollkommen klar, dass das Geld nicht ausreicht;es gibt dazu unterschiedliche Schätzungen, auch von denKrankenkassen . Trotzdem will ich hier festhalten, dasswir Wort gehalten und diesen Aufwuchs ermöglicht ha-ben .
Sie haben die Liquiditätsreserve angesprochen . Dazumuss man noch einmal erklären: Das sind geparkte Rück-lagen im Gesundheitsfonds . Im Moment haben wir indieser Liquiditätsreserve, die zurzeit so nicht gebrauchtwird, 10 Milliarden Euro . Deshalb ist es richtig, dass manden Kassen diese 1,5 Milliarden Euro jetzt auch wiederzurückgibt . Ich erinnere daran, was in den letzten Tagenin der Presselandschaft zu erfahren war, dass Strafzin-sen anfallen, weil da so viel Geld liegt . Deswegen halteich persönlich es für richtig, dass wir das zurückgeben .Über die Begründung können wir uns gerne streiten . Wirals SPD haben dazu gesagt: Die Begründung halten wirfür falsch, weil das Geld – die 1,5 Milliarden Euro – imHarald Weinberg
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Rahmen des Risikostrukturausgleichs zurückgegebenwird und deshalb auch Kassen davon profitieren werden,die vielleicht gar keine Flüchtlinge zu versorgen haben,etwa geschlossene Betriebskrankenkassen . Die würdendas Geld ebenfalls bekommen . Deswegen ist die Begrün-dung genauso falsch, wie Sie das geschildert haben . Aberdass wir dafür sorgen, dass die Kassen das Geld zurück-bekommen, ist richtig, weil eben 10 Milliarden Euro inder Rücklage sind, die nicht benötigt werden . Die guteNachricht für die Versicherten ist, dass damit der Bei-tragssatz im nächsten Jahr stabil gehalten wird .
Dennoch dürfen uns diese gute Situation und die vie-len positiven Beschlüsse, die wir zur Verbesserung derVersorgung gefasst haben, nicht darüber hinwegtäu-schen, dass wir strukturelle Probleme haben . Ich willdas hier noch einmal ansprechen, weil wir das als SPDklar benannt haben: Der Risikostrukturausgleich ist – ichweiß das – etwas für Feinschmecker . Wir haben da, wiegesagt, strukturelle Probleme . Denn wenn wir feststellenmüssen, dass Kassen auf perfide Art und Weise auf dieIdee kommen, Kodierungen mit Ärzten abzusprechen,um damit den Anteil, den sie aus dem Risikostrukturaus-gleich bekommen, zu erhöhen, dann ist das – das mussman hier einmal festhalten – ein Skandal .
Insofern kann ich die Fachaufsicht und die Versiche-rungsämter nur bitten, das ganz kritisch zu prüfen .
Dennoch scheint auch eine Ursache zu sein, dass derRisikostrukturausgleich Verteilungsprobleme mit sichbringt. Deshalb finde ich es richtig, dass wir in der Gro-ßen Koalition gemeinsam beschlossen haben, ein wei-teres großes Gutachten zum Risikostrukturausgleich inAuftrag zu geben . Denn die alte Datenbasis ist aus 2009 .Der letzte große Bericht zu diesem Risikostrukturaus-gleich stammt aus dem Jahr 2012 . Deshalb ist es nurrichtig, dass wir jetzt einen Punkt setzen und sagen: Wirbrauchen ein Folgegutachten, um uns möglicherweisevorhandene Fehlentwicklungen in der Verteilung genauangucken zu können . Dann können wir auch vernünftigeRückschlüsse ziehen . Das sollten wir auf jeden Fall tun .
Und wir sollten noch einmal darüber nachdenken, ob wirnicht auch – das will ich noch einmal in die Debatte wer-fen – Kodierrichtlinien brauchen, um genau dieser Mani-pulation entgegenwirken zu können . Ich weiß, dass dasein schwieriges Thema ist . Es würde uns aber vielleichtvor diesen Manipulationen mithilfe falscher Kodierun-gen schützen .Vorhin ist angesprochen worden, dass wir mit Blickauf die finanziellen Folgen der Gesetze, die wir gemachthaben, die Beitragssätze stabil halten . Aber wir wissennicht, ob das so bleibt . Deswegen ist der Zusatzbeitragvon einigen meiner Vorredner angesprochen worden . Ichglaube, es ist auch im Sinne der Arbeitgeber, dass wiederParität hergestellt wird . Denn es kann nicht sein, dass zu-künftige Leistungsverbesserungen – die wir alle wollenund hier beschlossen haben – allein durch die Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer bezahlt werden . Deshalb istdie Rückkehr zur Parität wichtig, richtig und auch imSinne von Arbeitgebern .
Zum Schluss will ich auf das Thema HIV-Stiftungeingehen, weil der Kollege Weinberg das im Zusammen-hang mit einem Antrag der Linken angesprochen hat .In der ersten Lesung habe ich das Thema schon einmalangesprochen . Hier geht es um die Personen, die in den80er-Jahren über Blutprodukte mit HIV infiziert wurden.Ich bin den Haushältern – ich habe bei der ersten Le-sung angekündigt, dass wir uns dafür einsetzen werden –sehr dankbar dafür, dass wir bis ins Jahr 2018 – so istdie Botschaft bei mir angekommen – die Finanzierungder Stiftung gesichert haben . Das ist für mich eine guteBotschaft in Richtung der Betroffenen .
Aber – jetzt kommt mein großes Aber – wir sind damitnoch nicht am Ende. Wir müssen, wie ich finde, darü-ber diskutieren und beschließen – ob in dieser Legislaturoder in der nächsten; mir wäre es lieber, in dieser –, dassder Finanzierungsvorbehalt aus dem HIV-Hilfegesetz he-rauskommt . Wenn wir immer wieder von Jahr zu Jahr gu-cken müssen, dass wir die Haushaltsmittel sicherstellen,bedeutet das keine sichere Situation für die Betroffenenund ihre Familien .
Als SPD werden wir auch die Dynamisierung derLeistungen fordern . Ich sage das hier auch, weil es seit1995 keine Veränderung der Leistungen für die Betroffe-nen gegeben hat, nicht einmal einen Inflationsausgleich.Deshalb und weil wir das auch gemeinsam beraten müs-sen, wollte ich dieses Thema hier noch einmal anspre-chen .Ich will aber deshalb abwarten, weil im Moment – dasist für uns wichtig; deshalb haben wir Ihren Antrag auchabgelehnt, Herr Weinberg – immer noch Verhandlungenauch mit den Organisationen stattfinden, die damals beidem Bluterskandal mit involviert waren, nämlich mit derPharmaindustrie und mit dem Deutschen Roten Kreuz .Wir wollen nach wie vor, dass sich diese Institutionen ander Finanzierung beteiligen .
Das ist ein wichtiger Punkt, und das wollen wir erst ab-warten .Spätestens im nächsten Jahr werden wir aber wissen,welche Beteiligung dieser Institutionen es geben wird .Dann werden wir auch über die Dynamisierung der Leis-tungen für die Betroffenen reden müssen . Das tun wir beianderen Stiftungen auch, und ich finde, bei dieser Stif-tung sollten wir das ebenfalls tun .Bärbel Bas
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Vielen Dank .
Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist ElisabethScharfenberg, Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter HerrMinister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehrgeehrte Damen und Herren! Zum letzten Mal in dieserLegislaturperiode lesen wir den Einzelplan des Gesund-heitsministeriums . Das Gesundheitsministerium hat einebeeindruckende Zahl an Gesetzentwürfen vorgelegt .
– Ich wollte Ihnen während meiner Rede einmal die Ge-legenheit geben, von Herzen klatschen zu können . Dashaben Sie getan .
Jetzt geht es weiter .„Viel hilft viel“, könnte man hier ja sagen, aber mei-ne Kollegin Ekin Deligöz hat es vorhin schon bemerkt:Quantität ist eben nicht immer Qualität .
Sieht man sich die Gesetze im Einzelnen an, dann fällteinem vor allem eines auf: Es wurde eine ganze MengeGeld in die Hand genommen . Auch hier galt wohl wiederdie Devise: Viel hilft viel . Die Mittel wurden aber nichtwirklich klug eingesetzt, sondern sie wurden verteilt, umKonflikte zu vermeiden und Probleme zuzukleistern. Daskann man machen, wenn man auf kurzfristige Erfolgesetzt . Eigentlich herrscht hier aber das Prinzip: Nach mirdie Sintflut!
Die Sintflut deutet sich schon beim Zusatzbeitrag an.Im Wahljahr wird er stabil bleiben, weil die Koalitionden Bundeszuschuss anhebt und in die Notreserven desGesundheitsfonds greift . Umso mehr wird er nach derWahl steigen . Damit werden der Beitragszahler und dieBeitragszahlerin eingelullt, während ihnen zugleich stillund heimlich immer mehr Lasten aufgebürdet werden,Lasten, die eigentlich gesamtgesellschaftliche Aufgabensind, zum Beispiel bei der Prävention .Unsere Gesellschaft altert, die Finanzkrise ist nochnicht lange her, und mit den Auswirkungen kämpft dieWelt noch immer: In dieser Situation sollte sich die Poli-tik um eine stabile, um eine verlässliche, um eine gerech-te Finanzierung der Gesundheitsversorgung kümmern,
damit weiterhin auch jeder und jede die Versorgung er-hält, die er oder sie auch braucht . Wir fordern dafür dieBürgerversicherung in Gesundheit und Pflege.
Offenbar sind Patientinnen und Patienten, Pflegebe-dürftige und Versicherte aber nicht die Hauptzielgruppender derzeitigen Gesundheitspolitik .
In letzter Zeit gab es auffällig viele Entscheidungen zu-gunsten starker Interessengruppen .
Ich nenne die Apotheker, die Ärzte und die Pharmain-dustrie .
Ein Beispiel: Das Versandhandelsverbot für verschrei-bungspflichtige Arzneimittel hilft scheinbar den Apothe-kern . Verkauft wird es als Sicherstellung der Versorgungvor Ort . Aber um die Versorgung gerade im ländlichenRaum sicherzustellen, sind ganz andere Konzepte not-wendig . Das Versandhandelsverbot bringt keinen ein-zigen Arzt und keine einzige Ärztin dazu, sich in einerstrukturschwachen Region niederzulassen .
Patientinnen und Patienten sowie Versicherte sind beidiesen Reformen niemals die Profiteure.Besonders unrühmlich war die Rolle des Ministers beiden fremdnützigen Studien an Demenzkranken .
Diese sollten um jeden Preis durchgedrückt werden .
Doch ich frage Sie: Zu wessen Nutzen?
Ein weiteres Debakel zulasten der Patientinnen undPatienten war die Zerschlagung der Unabhängigen Pa-tientenberatung .
Bärbel Bas
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Von Unabhängigkeit kann keine Rede mehr sein . Nichtnur das: Eine Kleine Anfrage unserer Fraktion hat erge-ben, dass sich die Beratung massiv verschlechtert hat .Besonders der Anteil der Beratung vor Ort ist massiv zu-rückgegangen .
Die UPD hat sich zu einem Callcenter entwickelt: ano-nym und unverbindlich .
Last, but not least – ich bin schließlich die pflegepoli-tische Sprecherin –: die Pflege. Ich glaube, so viele Pfle-gereformen in einer Legislaturperiode gab es noch nie .
Ich gebe Ihnen noch einmal die Gelegenheit zum Klat-schen . Sie sprachen gerade von dem größten Reformpa-ket seit Beginn der Pflegeversicherung. Was ist passiert?Die Beitragssätze wurden massiv erhöht .
Der neue Pflegebegriff soll demnächst eingeführt wer-den, und die Kommunen sollen gestärkt werden . Aberwas bedeutet das alles am Ende des Tages? Heißt mehrGeld auch mehr Qualität? Wird mit dem neuen Pflegebe-griff die Minutenpflege abgeschafft?
Landet denn das Geld in Form von besseren Leistungenwirklich bei den Betroffenen?
– Ich bin da nicht so hoffnungsvoll wie Sie . Ich bin daeher skeptisch .
Für einen neuen Pflegebegriff, für eine andere Art derPflege, die die noch vorhandenen Fähigkeiten stärkensoll, brauchen wir ausreichend und qualifiziertes Pflege-personal . Daran fehlt es doch schon jetzt .
Mit einer halben Million mehr Anspruchsberechtig-ter und einer personalintensiveren Pflege wird die Per-sonallücke einfach noch größer werden . Das werden dieBetroffenen noch schmerzlicher spüren . In Sachen Per-sonal hat die Koalition am Ende des Tages nichts Kon-kretes unternommen .
Um die Pflegeausbildung ist es still geworden. Dazukann ich nur sagen: Gut so! Eine komplette Vereinheitli-chung der drei Pflegeberufe wertet den Pflegeberuf nichtauf, und sie sorgt auch nicht für mehr Personal .
Leider ist bei der Finanzierung der Pflege nichts pas-siert . Immer noch gibt es keine regelmäßige Dynamisie-rung in der Pflegeversicherung. Das Geld fließt nach Lustund Laune, oder es fließt eben auch nicht.
Wir fordern auch in der Pflege die Bürgerversicherung:für mehr Gerechtigkeit, für mehr Berechenbarkeit undfür eine nachhaltige Finanzierung der dynamisiertenLeistungen,
damit die Pflege eben nicht an Wert verliert.Natürlich muss der unsägliche Pflegevorsorgefondsweg . Er bringt nichts . Er verschlingt jedes Jahr 1,2 Mil-liarden Euro, 1,2 Milliarden Euro, die bei den Pflege-bedürftigen und beim Pflegepersonal besser aufgehobenwären und derzeit ganz dringend gebraucht würden .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Erich Irlstorfer,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-nen und Kollegen! Wie bereits Bundesminister HermannGröhe sowie Kollege Heiderich hier ausgeführt haben,beschließen wir heute den Bundeshaushalt für Gesund-heit für 2017, der die Erhöhung des Bundeszuschusses andie GKV auf 14,5 Milliarden Euro beinhaltet . Insgesamtsieht die Bundesregierung 15,1 Milliarden Euro für dieFinanzierung des Gesundheitswesens in unserem Landvor . Das ist richtig, und das ist gut .
Das, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,was wir hier von der Opposition erleben, ist ein mangel-hafter Versuch, Dinge schlechtzureden, die sehr ordent-lich und gut gemacht wurden .
Die Regierungskoalition aus CDU, CSU und SPD hatwichtige und elementare Maßnahmen für unser Gesund-heitssystem in Deutschland auf den Weg gebracht, die imkommenden Jahr in Kraft treten werden . Insbesonderemöchte ich hier die Pflegestärkungsgesetze II und III er-Elisabeth Scharfenberg
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wähnen, welche die Pflege und die damit verbundenenVerantwortlichkeiten auf ein neues Niveau heben .Mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, den wirim PSG II neu definiert haben, werden ab dem kommen-den Jahr nicht nur Menschen mit körperlichen, sondernauch Menschen mit psychischen Einschränkungen er-fasst, denen wir nun die dringend notwendige Unterstüt-zung geben können . Das, meine Damen und Herren, istein Erfolg und der richtige Weg .Mit dem Dritten Pflegestärkungsgesetz werden dieKommunen mit ins Boot, aber auch mit in die Pflicht ge-nommen, die Pflege entscheidend mitzutragen und pfle-gebedürftige Menschen über Möglichkeiten und Ansprü-che in der Pflege aufzuklären. Auch das ist richtig, meinesehr geehrten Damen und Herren .Natürlich sind solche grundlegenden Reformen mitkomplexen Sachverhalten verbunden, die einer genaue-ren Beratung bedürfen, um den Ansprüchen der Betroffe-nen optimal Rechnung zu tragen . An dieser Stelle möch-te ich dem Hohen Hause noch einmal vergegenwärtigen,dass wir mit diesen Maßnahmen in der Pflege eine Vor-reiterrolle in der Europäischen Union einnehmen .
Und bei aller Wertschätzung für Ihre Wortmeldungen:Sie können auch ein Stück weit stolz sein, dass es so weitgekommen ist, meine sehr geehrten Damen und Herren .
Ich freue mich auch, dass auch die Förderung der frei-willigen privaten Pflegevorsorge gegenüber dem Jahr2016 um rund 6,75 Millionen Euro auf rund 45,75 Milli-onen Euro erhöht wird .Das soll nicht heißen, dass wir uns ausruhen könnenund die Arbeit getan ist . Natürlich sind wir auch in an-deren Bereichen dabei, die Gesundheitsversorgung derMenschen in Deutschland weiter zu verbessern . Hiermöchte ich das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzerwähnen, das die Versorgung und Prävention von chro-nisch Erkrankten sowie die selbstbestimmte Bewältigungim Alltag der Betroffenen fördern soll . Dabei sind wirebenfalls auf einem guten Weg .Mit dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz set-zen wir die Ergebnisse eines konstruktiven Austauschesim Pharmadialog um .Es ist uns als Regierungskoalition ein großes Anlie-gen, auf der einen Seite die Kosten für neue Therapienim Blick zu behalten, welche die Beitragszahler und dieKassen nicht übermäßig belasten sollen . Auf der anderenSeite wollen wir auch den Forschungsstandort Deutsch-land stärken und gerade auch Menschen mit seltene-ren Krankheiten den Zugang zu innovativen Therapienermöglichen . Hier ist es wichtig, den Mehrwert neuerMedikamente wissenschaftlich klar nachzuweisen, aberauch bürokratischen Hürden für Innovationen entgegen-zuwirken .In diesem Zusammenhang ist uns freilich bewusst,dass die Arzneimittelausgaben in den vergangenen Jah-ren stetig angestiegen sind und dass dies auch Auswir-kungen auf die Krankenkassenbeiträge hat . Allerdingskönnen wir einen sehr moderaten Anstieg der Zusatz-beiträge feststellen . CDU, CSU und SPD haben sich imKoalitionsvertrag ganz bewusst auf einen festen Arbeit-nehmeranteil von 7,3 Prozent geeinigt, damit wir denKrankenkassen einen wirtschaftlichen Anreiz für einenWettbewerb untereinander geben . Laut Bundesversiche-rungsamt ist für das kommende Jahr auch keine großarti-ge Steigerung des durchschnittlichen Zusatzbeitrages zuerwarten .Wir können nicht auf der einen Seite für eine immerälter werdende Gesellschaft Spitzenmedizin fordern, aberauf der anderen Seite keine Kosten dafür tragen wollen .Wir haben in Deutschland eines der besten Gesundheits-systeme weltweit, und das gibt es nicht zum Nulltarif .
Wenn man die Debatte über Gerechtigkeit im Gesund-heitswesen mitverfolgt, bekommt man den Eindruck, dieEinführung einer Bürgerversicherung löse alle Probleme .
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, derLinken und vor allem auch der SPD, ist mitnichten derFall . Die FAZ und das Handelsblatt veröffentlichten erstvergangene Woche eine neue Studie im Auftrag der ge-werkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, die genau dieIdeen der Linken und der Grünen untersuchte .
Sie kam zu dem Ergebnis, dass die Einführung einergesetzlichen Bürgerversicherung Zehntausende von Ar-beitsplätzen in der privaten Krankenversicherung kostenkönnte .Dieser Stellenabbau entspricht einer Größenordnungvon etwa dem Drei- bis Sechsfachen der aktuell bei Kai-serʼs Tengelmann bedrohten Belegschaft. An dieser Stel-le würde mich die Antwort der Oppositionsfraktionen aufdie Frage der Gerechtigkeit sehr interessieren . Sie kön-nen nicht formulieren, was der wirkliche Mehrwert einerBürgerversicherung ist, meine sehr geehrten Damen undHerren . Das ist doch die Wahrheit .
Mit verantwortungsvoller Gesundheits- oder Arbeits-marktpolitik hat das meiner Ansicht nach wenig zu tun,auch wenn Sie das noch so oft in Ihren Reden behaupten .Abschließend möchte ich noch auf ein Thema zusprechen kommen, das mir sehr am Herzen liegt . DerHaushaltsplan für das Jahr 2017 sieht auch eine Erhö-hung der Mittel für Prävention und Aufklärung vor, wasich außerordentlich begrüße . Wir müssen aber noch inverschiedensten Bereichen Geld in die Hand nehmen . ImBereich der Zahnmedizin haben wir aktuell 12 MillionenMenschen zu verzeichnen, die von Parodontitis betrof-fen sind . Über 80 Prozent der über 35-Jährigen leidenErich Irlstorfer
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an einer Form der Zahnbetterkrankung . Gerade im Al-ter nimmt diese Volkskrankheit immer mehr zu . Davordürfen wir nicht die Augen verschließen . Hier haben wirerste Schritte im Präventionsgesetz unternommen, diesenEntwicklungen frühzeitig entgegenzuwirken . Allerdingssind weitere Maßnahmen erforderlich, um dieser grund-sätzlich hohen Erkrankungslast in der Bevölkerung zubegegnen . Ähnliches gilt für die Hauterkrankung Psoria-sis – im Volksmund auch Schuppenflechte genannt –, vonder in Deutschland rund 2 Millionen Menschen betroffensind . Hier sollten wir als Politik versuchen, eine Sensibi-lisierung der Bürgerinnen und Bürger zu erreichen . Un-ser Ansatz ist die Prävention .Mit diesem Haushalt intensivieren wir die Bemühun-gen, die Versorgung und die Lebensqualität der Men-schen in unserem Land zu verbessern . Ich bitte Sie daherum Ihre Zustimmung .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Dr . Edgar Franke,
SPD-Fraktion, das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Meine Vorredner haben bereits einiges zum Ein-zelplan 15, zum Plan des Gesundheitsministers, ausge-führt . Wir haben rund 15 Milliarden Euro in den Haushalteingestellt . Bärbel Bas hat zu Recht gesagt: Wir als SPDbegrüßen ausdrücklich, dass wir den Bundeszuschuss fürden Gesundheitsfonds wieder auf 14,5 Milliarden Euroerhöht haben . Wir begrüßen es deshalb, weil wir damitgesamtgesellschaftliche Aufgaben wie Familienmitver-sicherung und Leistungen im Rahmen der Mutterschaftfinanzieren. Diese können wir dauerhaft nur mit einemordentlichen Bundeszuschuss finanzieren. Das ist derrichtige Weg .
Mich freut auch, dass wir über 45 Millionen Euro fürgesundheitliche Aufklärung und Prävention ausgebenwerden . Durch Primärprävention und Vorbeugemedizinsoll die Entstehung von Krankheiten vermieden wer-den . Wir haben das Präventionsgesetz relativ gemein-schaftlich beschlossen und geben in vielen Lebenswel-ten – in Kita, Schule, am Arbeitsplatz, für Jugendlicheund Pflegeheime – Geld aus. Ich arbeite im Beirat desVereins „Jugend gegen AIDS“ . Dieser Verein leistet tol-le ehrenamtliche Arbeit bei der sexuellen Aufklärung inden Lebenswelten der Jugendlichen . Er führt Aktions-wochen durch, ist auf Festivals vertreten und sorgt fürVerteilaktionen in der Disco- und Kneipenszene, also inden Lebenswelten der jungen Menschen . Ich freue mich,dass wir mehr Geld für Aufklärung gerade über sexuellübertragbare Krankheiten ausgeben . Wir sollten darübernachdenken, ob wir in Zukunft nicht noch mehr Geld fürehrenamtliches Engagement wie das des Vereins „Jugendgegen AIDS“ ausgeben sollten; denn solche Vereine er-reichen die Zielgruppen mit kreativen Ideen viel direkter,als das teure Werbekampagnen tun können .
Gut ist auch, dass wir mehr Geld für Prävention undFrüherkennung von Diabetes, der Volkskrankheit in denIndustrieländern schlechthin, ausgeben . Wir sollten aberauch hier Aufklärung und Information im Hinblick aufbestehende Versorgungsangebote intensivieren .Herr Minister, es ist ein guter und ausgewogener Etat,wobei wir wissen, dass das meiste Geld über den Ge-sundheitsfonds und die Krankenkassen läuft . Ich darfmich als Ausschussvorsitzender persönlich und im Na-men der SPD für die gute Zusammenarbeit beim Haus-halt bedanken, Herr Minister .
Wir haben vieles aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt .Helmut Heiderich hat von 16 Gesetzen gesprochen . Ichhabe das nicht nachgezählt, wenn das aber ein Nordhessesagt, wird das schon stimmen .
Wir haben mit Herrn Gröhe zwar einen schwarzenGesundheitsminister . Aber wir haben in der Gesundheits-politik – das Bild habe ich schon oft verwendet – einenroten Faden im doppelten Sinn des Wortes . Herr Stritzl,wir haben auch ein paar schwarze Nullen – das haben wirauch gehört –,
nämlich im Gesundheitsfonds und bei den Kranken-kassen . Alles in allem: Ein guter Haushalt . Einen rotenFaden haben wir, weil wir Sozis dabei sind und für unsimmer wichtig ist, dass wir Gesundheitspolitik aus Sichtder Versicherten sehen und zur Verbesserung der Versor-gung beitragen . Für die SPD ist wichtig, dass die Men-schen Zugang zu guter Gesundheitsversorgung haben,und zwar unabhängig vom Einkommen, unabhängig vomWohnort und unabhängig vom Alter .
Jetzt muss ich noch etwas zur Pflege sagen, hochge-schätzte Kollegin Scharfenberg; ich glaube, das sageich auch im Namen meiner Kollegen zur Rechten, derschwarzen Kollegen . Wir haben eine Strukturreform ge-macht und den Reformstau in der Pflege aufgelöst. Wirgeben ab 2017 5 Milliarden Euro mehr für die Pflegeaus . Ich glaube, das haben alle Menschen in diesem Lan-de gesehen . Das war eine Strukturreform .
Wir haben 2015 die häusliche Pflege mit 1,4 MilliardenEuro gestärkt, und wir haben dem Wunsch der MenschenRechnung getragen, dass sie zu Hause, in ihren eigenenvier Wänden bleiben können, auch wenn sie pflegebe-dürftig sind . Wenn das nichts ist, dann weiß ich es nicht .Erich Irlstorfer
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Wir haben die Kurzzeitpflege, wir haben die Verhin-derungspflege von sechs Wochen, und wir haben einezehntägige Auszeit für die pflegenden Angehörigen. Dasist eine erhebliche Entlastung . Es merkt jeder bei uns inDeutschland, was das bewirkt hat .
Es mag auf den ersten Blick banal klingen; aber ichbekomme 4 000 Euro, wenn ich mein Bad behinderten-gerecht ausbaue oder wenn ich einen Treppenlift einbaue .Das alles sind Sachen, mit denen wir menschenwürdigePflege, wenn man so will, konkretisiert haben. Nicht nurdas: Der erweiterte Pflegebedürftigkeitsbegriff, mit demwir Menschen ganzheitlich betrachten und individuelleBedürfnisse zum Maßstab unserer Politik machen, ist einweiterer Punkt . Ich habe eine demente Schwiegermuttermit eingeschränkter Alltagskompetenz . Da weiß man,was das im täglichen Leben bedeutet .Nehmen wir einmal die Zahlen. Bei der Pflegestu-fe V gibt es über 2 000 Euro . Das ist eine erheblicheLeistungssteigerung . Es wird im Übrigen keiner bei derUmstellung von Pflegestufen auf Pflegegrade schlechter-gestellt. Nicht nur das: Wenn ich in einen höheren Pflege-grad komme, steigt auch der Eigenanteil nicht an . – Dasbedeutet: Niemand muss mehr Angst haben, wenn er ineinen höheren Pflegegrad kommt. Auch das war etwas,was wir Sozialdemokraten, aber auch die Kollegen vonder Union immer wieder gefordert haben .
Wir wissen natürlich: Die Pflegeversicherung ist eineTeilkaskoversicherung . Deshalb verbleibt ein nicht un-wesentlicher Anteil der Kosten bei den Versicherten undoftmals auch bei den Kindern . Wir alle wissen, dass wirdiese oft in den Sprechstunden haben . So stellt sich schondie Frage, wie man zumindest schrittweise in Richtungeiner Pflegevollversicherung kommen kann und was manpolitisch dafür machen kann . Zwar sind im Etat über45 Millionen Euro zur Förderung der privaten Pflegever-sicherung, der Pflege-Bahr, enthalten. Diese Versiche-rung schließen aber Gering- und Normalverdiener seltenab, obwohl die sie am dringendsten brauchten . Aus Sichtder SPD ist es deswegen sinnvoll, gerade die Pflegeversi-cherung – die eignet sich besonders dafür – in eine Bür-gerversicherung umzuwandeln .
Dann können die Ausgaben einer älter werdenden Ge-sellschaft von allen Menschen solidarisch finanziert wer-den, indem alle in ein System einzahlen, auch und vorallem die gut Verdienenden .
Die private und die gesetzliche Pflegeversicherung habeneinen einheitlichen Leistungskatalog . Wenn es sich lohnt,über eine Bürgerversicherung nachzudenken, dann bietetsich die Pflegeversicherung an.
– Lieber Harald Weinberg, da sind wir einer Meinung .Die zweite tiefgreifende Reform, die 2016 in Kraft ge-treten ist, war das Krankenhausstrukturgesetz, das in Zu-kunft noch viele Mehrausgaben, Herr Minister, bedingenwird . Es ist uns wichtig gewesen, dass gerade die Quali-tät der Behandlung in den Krankenhäusern ein Maßstabfür finanzielle Anreize sein sollte. Wir alle wissen, dasssich die Krankenhauslandschaft in den letzten 20, 30 Jah-ren vollkommen geändert hat . Wir haben Spezialisten füralle Bereiche, für Onkologie, Kardiologie, für Bauch, fürRücken, für Orthopädie, für Gynäkologie und viele ande-re Bereiche mehr . Deshalb war es richtig, zu beschließen,dass wir in Zukunft Geld nicht mit der Gießkanne vertei-len, sondern zielgerichtet den Prozess der Qualitätsver-besserung in den Krankenhäusern steuern . Ich glaube, dagibt es keine andere Meinung hier im Haus .Künftig sollen nur die Krankenhäuser bestimmteLeistungen abrechnen, die die Leistungsvoraussetzungenhaben und die notwendige Erfahrung mitbringen . Wirkonnten jetzt lesen – auch Herr Henke wird es gelesenhaben –, dass 330 Krankenhäuser reichen sollten, dasswir die Anzahl unserer Krankenhäuser von 2 000 auf 330verringern sollten . Ich glaube aber, dass das nicht derrichtige Weg ist – das sage ich als Abgeordneter, der ausNordhessen kommt –; auch Herr Heiderich hat das ebenangedeutet . Wir brauchen nicht nur in den Städten, son-dern auch auf dem Land Krankenhäuser, die eine Grund-und Regelversorgung anbieten, vor allen Dingen deshalb,weil dort viele ambulant tätige Ärzte verschwinden . Esist, glaube ich, wichtig, dass wir da etwas tun . Wichtig istauch, dass die Krankenhäuser auf dem Land Sicherstel-lungszuschläge bekommen – der Gemeinsame Bundes-ausschuss soll ja bis zum Jahresende „bundeseinheitlicheVorgaben zur Vereinbarung von Sicherstellungszuschlä-gen“, wie es im Beamtendeutsch so schön heißt, be-schließen –; denn diese sind für die Versorgung absolutnotwendig . Ich glaube, das ist ein wichtiger Schritt, auchim Krankenhausstrukturgesetz .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt einenroten Faden in der Gesundheitspolitik . Es gibt schwarzeNullen . Es ist eine Verbesserung der gesundheitlichenVersorgung zu verzeichnen . Mich freut besonders, dassdieser Gesundheitshaushalt und die Gesundheitspolitiknicht nur einen roten, sondern vor allen Dingen einen so-zialdemokratischen Faden enthalten, mit dem gesponnenwurde .
In dem Sinne ist es ein wunderbares Ergebnis und einguter Haushalt, Herr Minister .
Vielen Dank . – Jetzt hat Dr . Katja Leikert, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
Dr. Edgar Franke
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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben seitBeginn der Legislatur und damit auch im zurückliegen-den Haushaltsjahr sehr viel für die Gesundheit aller Men-schen in unserem Land getan, und wir haben noch vielvor uns . Ich sage es gern noch einmal – wir haben esjetzt schon öfter gehört –: Wir haben ein Gesundheits-system, das weltweit eine Spitzenposition einnimmt, dasleistungsstark und sozial ist . Wenn wir uns den gesam-ten Bundeshaushalt anschauen, dann erkennen wir, dassdort mit 52 Prozent Ausgaben für Soziales veranschlagtsind . Da kann man nicht davon sprechen, dass er nichtausgewogen sei, liebe Kolleginnen und Kollegen von derLinksfraktion .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfrak-tion, wir verschwenden unsere Zeit auch nicht mit per-manenten Systemdebatten . Das schürt natürlich Emoti-onen . Da kann man sich auch wunderbar aufregen . AberIhre Fundamentaldebatten bringen den Menschen in derWirklichkeit nichts .
Für uns gilt besonders in einer Haushaltsdebatte, dass wirein nachhaltig finanzierbares Gesundheitssystem wollenund das tun wollen, was für die Menschen wirklich wich-tig ist .Liebe Frau Deligöz, hier sollten Sie ein bisschen zu-hören, nachdem Sie gesagt haben, unsere Gesetze seienzu teuer . Ich gehe jetzt ein bisschen auf das ein, was wirin der Legislatur getan haben, und Sie können dann gernselbst entscheiden, worauf Sie verzichten möchten .Was wirklich wichtig ist, ist zum Beispiel, dass wir,wenn wir in ein Krankenhaus hineingehen, gesünder he-rauskommen .
Das ist aber nicht immer der Fall; das hat uns das Ro-bert-Koch-Institut vorgerechnet . Mit einer Wahrschein-lichkeit von 3,5 Prozent erleiden wir eine Krankenhau-sinfektion, und das möchte keiner von uns . Bereits imletzten Jahr hat Bundesminister Hermann Gröhe einenZehnpunkteplan zur Vermeidung von Krankenhausinfek-tionen und Antibiotikaresistenzen vorgelegt . Sie alle wis-sen, dass wir von der CDU Zehnpunktepläne lieben undsie auch gerne in die Tat umsetzen . Deshalb investierenwir in unsere Krankenhäuser zielgerichtet mehr Geld fürdie Pflege und für die Hygiene. Dazu haben wir das Hy-giene-Förderprogramm aufgestockt, und wir fördern dieWeiterbildung im Bereich der Infektologie . Gleichzeitigschaffen wir mit dem Arzneimittelversorgungsstärkungs-gesetz Anreize dafür, dass an neuen Antibiotika geforschtwird . Dieser Zehnpunkteplan, lieber Hermann Gröhe, isteine runde Sache und macht unser Gesundheitssystembesser und sicherer .
Es gibt einen anderen Bereich, der für uns alle wich-tig ist – liebe Frau Deligöz, auch darauf können Sie gernverzichten –: Das ist der Hospiz- und Palliativbereich .
– Alles zahlen sie nicht .
– Hören Sie doch erst einmal zu .
Wir alle wollen, besonders in der letzten Lebenspha-se, die Sicherheit haben, dass jemand zu uns kommt unduns über vielleicht schmerzhafte Situationen hinweghilft .Hier sind die Strukturen in Deutschland ziemlich unter-schiedlich . Ich kann Ihnen aus meinem Wahlkreis, Ha-nau – das grenzt an Frankfurt –, berichten, dass dort dieStrukturen sehr gut sind, weil es dort schon lange ehren-amtliches Engagement im Hospizbereich gibt und weilwir dort Ärzte haben, die sich für die Palliativmedizinfrühzeitig eingesetzt haben . Das kann aber ein paar Kilo-meter weiter schon ganz anders aussehen . Dort wird zumBeispiel erst ein Hospiz gebaut . Wir müssen dafür sor-gen, dass wir in Gesamtdeutschland ein gutes Angebotim Hospiz- und Palliativbereich haben . Auf diesem Wegeinen ganz herzlichen Dank an unseren Gesundheitsmi-nister Hermann Gröhe für seine überzeugende Arbeit –aber nicht nur dafür, sondern auch für deinen persönli-chen Einsatz in diesem Bereich!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, als ich mirden Einzelplan angeschaut habe, habe ich mich persön-lich sehr darüber gefreut, dass die wichtige Arbeit derBundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung weiterunterstützt wird . Insbesondere die Information der Be-völkerung über das Thema Organspende ist für mich ganzzentral . Sie alle wissen, dass immer noch 10 000 Men-schen auf der Warteliste stehen; es sind wahrscheinlichsogar noch viel mehr, weil wir die Dialysepatienten garnicht mit einrechnen . Kern unserer Politik ist, dass wirnicht alle Menschen dazu verdonnern wollen, Organ-spender zu sein . Wir wählen einen sensibleren Ansatzund setzen auf Aufklärung und Information . Das heißt,die Menschen brauchen eine gute Information, damit sieentscheiden können, ob sie Spender sein möchten . Genaudas liefert die Bundeszentrale für gesundheitliche Auf-klärung . Es ist kein einfaches Konzept, kein ethisch un-anspruchsvolles Konzept, den Menschen beispielsweiseden Hirntod zu erklären und näherzubringen . Genau die-se Aufgaben leistet die Bundeszentrale für gesundheitli-che Aufklärung .Ich möchte noch kurz bei dem Thema Organspendebleiben, weil das ein Thema ist, in das wir alle, denke
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ich, noch sehr viel investieren könnten . Gut ist, dass wirim Sommer das Transplantationsregistergesetz auf denWeg gebracht haben . Dieses Gesetz sieht vor, dass wirerstmalig alle Daten sammeln, von der Organentnahmebis zur Nachsorge . Das heißt, die Daten werden wirklichlangfristig gesammelt . Wir sorgen in diesem System, indem es auch Skandale gegeben hat, für mehr Transpa-renz, und wir sorgen für bessere Kriterien, wie wir zu-künftig Organe vergeben wollen . So ein Register kostetnicht viel, bringt aber viel . Auch hier können Sie gernentscheiden, Frau Deligöz: Möchten Sie darauf verzich-ten oder nicht? – Ich jedenfalls möchte es nicht .Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend möch-te ich noch auf eines meiner Lieblingsprojekte eingehen;Hermann Gröhe hat das Thema schon angesprochen . Je-der von uns hat so seine Lieblingsprojekte; für mich ist esdas Thema „digitale Vernetzung im Gesundheitswesen“ .Dieses Thema klingt sperrig, ist in der Praxis aber ganzkonkret . Da geht es beispielsweise um die fehlende Pa-pierakte im Krankenhaus – wenn der Patient gerade ope-riert wurde, befindet sie sich irgendwo im Keller, suchtdann stundenlang den Weg nach oben auf die Abteilung;manchmal fehlt sie dort auch tagelang – oder darum, dassder niedergelassene Arzt auf den Arztbrief seines Kolle-gen wartet .Diese Situationen können richtig dramatisch sein . Ichhabe mir das in der letzten Woche in meinem Wahlkreisbei einer Tour mit den Notfallsanitätern angeschaut . DieNotfallsanitäter kommen in eine häusliche Situation, woeine Patientin auf dem Boden liegt und grundsätzlicheInformationen fehlen: Welche Medikamente nimmt diePatientin? Wo ist der letzte Arztbrief? – Oft können dieAngehörigen das gar nicht sagen . Das sind aber Informa-tionen, die schnell zur Hand sein müssen . Deshalb sorgenwir jetzt dafür – ich möchte unseren Koalitionspartnerund Dirk Heidenblut für die Zusammenarbeit in diesemBereich der Digitalisierung ausdrücklich loben –, dassdie Notfalldaten auf die elektronische Gesundheitskartekommen . – Ihr dürft gern klatschen .
Was auch zentral wichtig ist, ist, dass wir über Arz-neimittelwechselwirkungen mehr Informationen haben .Deswegen haben alle Menschen, die mehr als drei Me-dikamente nehmen, ab dem 1 . Oktober dieses Jahres einAnrecht auf einen Medikationsplan . Es sterben immernoch mehr Menschen an Arzneimittelwechselwirkungenals im Straßenverkehr . Das sind grundlegende Informa-tionen, die oft fehlen . Wir sorgen jetzt dafür, dass sieschnell zur Verfügung sind .Das Thema Telemedizin wurde schon angesprochen .Auch hier geht es voran . Das alles sind Beschlüsse, dieSie im Dezember 2015 gefasst haben . Hierzu gibt es neueAbrechnungsziffern . Das Thema ist wichtig für die Stadtund auch für den ländlichen Bereich .Herr Gröhe hat schon gesagt, dass wir – das freut uns,glaube ich, besonders – einigermaßen fristgerecht mitdem Versichertenstammdatenmanagement anfangen .Das ist jetzt mehr was für Feinschmecker; aber das ist dieGrundlage für unsere Telematikinfrastruktur und all das,was da noch folgen soll . Auch die Grünen sind, glaubeich, mit dabei, wenn ich sage, dass die elektronische Pa-tientenakte dieses Projekt am Ende krönen wird . Das soll2018 sein . Auch das haben wir gemeinsam beschlossen .Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Präsi-dentin ist sehr großzügig mit mir . Vielen Dank dafür . Ichkomme jetzt auch zum Schluss . Das Fazit ist: Die Bun-desregierung hat auf breiter Front geliefert – das kannman festhalten –, um unser Gesundheitswesen kostenbe-wusst, leistungsstark und zukunftsorientiert aufzustellen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Thomas Stritzl,
CDU/CSU-Fraktion,
die Gelegenheit, die Debatte zu diesem Einzelplan abzu-
schließen . Bitte schön, Herr Kollege .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist zwarschon alles gesagt, bloß noch nicht von mir . Das ist natür-lich verlockend . Lassen Sie mich deshalb einfach nochein paar Punkte highlighten .Das Erste ist etwas Grundsätzliches: Wir haben in die-sem Haushalt als Koalition zum dritten Mal in Folge eineschwarze Null . Wir werden sogar im Gesamtbundeshaus-halt 700 Millionen Euro an Altschulden tilgen . Ich haltedas für eine große Leistung .
Wenn man im Lande herumschaut – elf Länder werden janicht von der Union regiert –,
können Sie da einen Unterschied feststellen . In dem Sin-ne, lieber Herr Professor: Lieber eine schwarze Null alsein roter Zocker .
So, das war Punkt eins .Punkt zwei: Versprochen und gehalten – das stimmtauch für den Einzelplan des Bundesgesundheitsminis-ters . Die im letzten Jahr weggenommenen 500 MillionenEuro werden jetzt wieder draufgelegt . Das hat der Minis-ter damals angekündigt – übrigens auch Herr Lauterbach,wie ehrlicherweise zu sagen ist –; gemeinsam haben wirdafür gesorgt, dass sie jetzt wieder draufgelegt werden .Versprochen und gehalten ist ein weiteres Markenzei-chen auch für diesen Bereich .Lassen Sie es mich kurz machen . Man könnte eineMenge aufzählen angesichts der guten Leistungen diesesMinisteriums, seiner Führung, der Staatssekretärin, desDr. Katja Leikert
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Staatssekretärs . Ich sage: Hut ab, Herr Minister, für das,was Sie geleistet haben – für Ihr Ressort, für die Pati-enten und Versicherten und damit für die Menschen inunserem Land! Respekt!
Statt sich von dieser Welle des Erfolges, die es ja gibt,Herr Kollege, und an der Sie als Koalitionspartner natür-lich einen Anteil haben – das ist ja unstrittig –, ein Stückmittragen zu lassen, versuchen Sie die Axt an dieses er-folgreiche Gesundheitssystem zu legen und beginnenimmer wieder die Diskussion über die sogenannte Bür-gerversicherung .
Ich will ja nicht bestreiten, dass es Ihnen damit gelun-gen ist, einen relativ sympathisch klingenden Begriff zukreieren . Aber er suggeriert natürlich Falsches . Erstenssind alle Leute versichert; das haben Sie ja vorhin selbstdargestellt . Und zweitens ist es so, dass die Bürgerver-sicherung wie auch immer geartete Probleme, die Sie jagar nicht erst beschreiben, nicht löst . Was, bitte schön,löst sie nachhaltig wie? Bis heute haben Sie das nichtdargelegt .
– Ja, fangen Sie damit an; aber dann machen Sie es bitteauch nachhaltig, und setzen Sie sich bitte auch mit denPunkten auseinander, um die es bei der Bürgerversiche-rung geht . Dann müssen Sie bitte schön auch sagen, dassdas Prinzip „allen Wohl, keinem Wehe“, was Sie sugge-rieren, nicht stimmt . Richtig ist – das sagt Ihnen Verdi;das sagt Ihnen die Hans-Böckler-Stiftung mittlerweile inder zweiten Studie –, dass Sie so Zehntausende von Ar-beitsplätzen vernichten würden . Und da sagen Sie: Daswollen wir ja gar nicht .
– Nein, das ist nicht Quatsch .
Das steht doch sogar in den Studien . Ich habe sie gar nichtin Auftrag gegeben . Dass wir die Hans-Böckler-Stiftungbeauftragt haben, stimmt nicht .
Es gibt vier Szenarien, gnädige Frau, in denen es heißt:im Zweifel ein Verlust zwischen 22 000 und 56 000 Ar-beitsplätzen, die nicht kompensierbar sind . Ihr Ansatz – ineiner Zeitung habe ich ihn vom stellvertretenden Frakti-onsvorsitzenden der SPD dargestellt gesehen –, das kön-ne man kompensieren, daraus könne man ja Pflegestellenmachen, geht nach dem, was die Hans-Böckler-Stiftungsagt, nicht auf . Sie müssen das dann hier und heute oderauch woanders erklären und sagen, warum Ihr Bundes-wirtschaftsminister bei Tengelmann sagt: „Wenn es um15 000 Arbeitsplätze geht, beuge ich das Wirtschafts-recht“,
Sie aber zugleich, wenn es um 50 000 Arbeitsplätze geht,es zum zentralen Ziel Ihres Wahlprogrammes erklären,diese Arbeitsplätze zu riskieren . Das kann nicht angehen .
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Herr Gabriel muss sichan dieser Stelle zu seiner Verantwortung bekennen underklären, ob er hier die gleiche Messlatte anlegt wie beiKaiser’s Tengelmann oder ob ihm 15 000 Arbeitsplätzeim Einzelhandel wichtiger sind als 50 000 Arbeitsplät-ze in der Versicherungsbranche . Beides darf man nichtunterschiedlich handhaben; man muss hier die gleicheMesslatte anlegen . Die Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter der Versichertenbranche haben den gleichen Schut-zanspruch wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter imEinzelhandel . Deswegen sage ich: Wenn er die Handreicht zu diesem Projekt, das nach allen uns vorliegendenGutachten im Wesentlichen dazu führt, Arbeitsplätze zuvernichten
– ich will mich gar nicht darüber streiten, ob es 50 000oder 100 000 sind; das RWI sagt jedenfalls: volkswirt-schaftlich nur negative Folgen –, und vor dem Hinter-grund dessen, was er bei Kaiser’s Tengelmann gemachthat, zur Bürgerversicherung Ja sagt, dann kann er auchgleich seinen Hut nehmen, finde ich.
Wir haben in der Diskussion zu diesem Haushalt heu-te auch eine Menge dazu gehört, was verabsäumt wor-den sein soll . Ich glaube, dass man bei dieser Regierungund bei diesem Minister mit Recht sagen kann: Die Ge-setze, die wir auf den Weg gebracht haben, haben denMenschen genützt . Die Qualität in den Krankenhäusernwurde erhöht . Die Ausschreibung zur Unabhängigen Pa-tientenberatung wurde vom Parlament in den Strukturenfestgelegt .
– Sie ist vom Parlament festgelegt worden . – Es war dieAufgabe des Ministeriums, des zuständigen Staatssekre-tärs, aufgrund dieser Ausschreibung zu entscheiden . Dashat er gemacht . Dazu ist die Vergabekammer angerufenworden; sie hat keinen Verfahrensverstoß festgestellt .Damit muss man dann auch leben . Dass eine Ausschrei-bung ein aus Sicht von Dritten nicht gewünschtes Ergeb-nis haben kann, mag sein . Dieses Verfahren ist aber nachbestem Wissen und Gewissen durchgeführt worden . DasErgebnis ist, dass die telefonische Befragung deutlichmehr in Anspruch genommen wird .Eine höhere Durchdringung war doch unser Ziel . Wirwollten, dass mehr Menschen die Möglichkeit haben,dieses Instrument in Anspruch zu nehmen. Nun findet dasstatt . Dann sollte man das nicht als irgendetwas Schlech-Thomas Stritzl
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tes oder irgendetwas Vorgeformtes kritisieren . Hier istin der Tat im Wettbewerb ein anderer Bewerber, als Siees sich vielleicht vorgestellt haben, ausgewählt worden .Aber die Arbeit, die er leistet, erreicht offensichtlichmehr bedürftige Menschen, Patienten und Versicherte,als es vorher der Fall gewesen ist .
Haben wir doch die Kraft, in Ruhe abzuwarten! Wenn esin Zukunft Probleme geben sollte, dann wird man daraufsachgerecht reagieren .
Ein Letztes zum Thema Pflege. Vorhin ist gesagt wor-den, wir hätten alles nur teurer gemacht und uns nichtum die Probleme gekümmert . Ich verstehe das gar nicht,weil auf der anderen Seite gefordert wird, die Pflegerin-nen und Pfleger besser zu bezahlen. Ich bin schon derMeinung, dass wir sehr aufpassen müssen, wie wir denDienst am Menschen – genauso wie den Dienst an derMaschine – auf Dauer finanzieren. Da sind wir nicht soweit auseinander, wie Sie vielleicht glauben . Aber die-ser Minister erhebt dafür einen höheren Beitrag und gibtauf diesem Weg jährlich 5 Milliarden Euro mehr insSystem . Damit schafft er doch die Voraussetzung, umdem, was Sie sich wünschen, gerecht zu werden . Dafürhat er, wie ich finde, Dank verdient; denn das war einmutiger Schritt, den die Große Koalition gemacht hat .Wir haben gesagt: Wenn wir mehr Geld für die Pflegebrauchen, dann müssen wir auch bereit sein, mehr Geldeinzusammeln . – Das ist nicht populär . Aber gerade mitBlick auf die älter werdende Generation, die Sie auchangesprochen haben, kann man meines Erachtens sagen:Das war der richtige Weg . Es war ein schwieriger Weg .Aber gemessen an dem, was dort auf uns zukommt, warder Mut zur Entscheidung bei diesem Minister und beider Großen Koalition zum richtigen Zeitpunkt gegeben .Insofern bleibe ich dabei: Das, was der Minister zu-sammen mit seinem Haus geleistet hat und was die Gro-ße Koalition politisch unterlegt hat, indem sie diesenWeg mitgetragen hat, war gut für die GesundheitspolitikDeutschlands . Hier ist mehr passiert als in vielen Legis-laturperioden vor uns . Darauf sollten wir gemeinsam alsKoalition stolz sein .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Wir kommen damit zur Abstimmung
über den Einzelplan 15 – Bundesministerium für Gesund-
heit – in der Ausschussfassung . Wer stimmt dafür? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 15
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Opposition angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I .8 auf:
Einzelplan 16
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit
Drucksachen 18/9815, 18/9824
Die Berichterstattung liegt bei den Abgeordneten
Steffen-Claudio Lemme, Christian Hirte, Josef Rief,
Heidrun Bluhm und Sven-Christian Kindler .
Zu dem Einzelplan 16 liegen zwei Entschließungsan-
träge der Fraktion Die Linke und ein Entschließungsan-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die
wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen . – Ich sehe kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich darf Sie bitten, zügig die Plätze zu wechseln . – Ich
eröffne die Aussprache . Das Wort hat Heidrun Bluhm,
Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Nicht, dass ich zu Beginn der 18 . Legislaturperiode über-schäumende Erwartungen gehabt hätte; aber wenigstensgab es im Einzelplan 16 die leise Hoffnung, dass „Schlim-mer geht nimmer“ nicht wieder eintreten wird . Und tat-sächlich: Im Koalitionsvertrag fanden sich einige Passagenzum Wohnungsbau und zur Stadtentwicklung, zu denenman sagen konnte: Wenn nur die Hälfte davon umgesetztwird, wäre das schon ein beachtenswerter Fortschritt, vorallem im Vergleich zu dem Nichts von vorher . Aber jetzt,mit Vorliegen des letzten Haushalts dieser Regierung,bleibt das ernüchternde Fazit: Nichts von dem, was dieBundesregierung an Verbesserungen im Wohnungswesenund im Städtebau angekündigt hat, ist wirklich umgesetztworden . Das wenige, das sie auf den Weg gebracht hat,funktioniert nicht, zum Beispiel die Mietpreisbremse oderdie Wohngeldanpassung aus dem Jahr 2015 .Der Haushalt 2017 sieht leider auch nicht nach einemfuriosen Endspurt dieser Legislatur aus, wie man es ei-gentlich hätte erwarten können, vor allem, wenn manWahlgeschenke verteilen will . Ich erinnere: Der Koali-tionsvertrag trägt den ambitionierten Titel „DeutschlandsZukunft gestalten“ . Zum Einzelplan 16 für das Haus-haltsjahr 2017 muss man aber sagen, dass es nicht einmaldafür reicht, die Gegenwart zu verwalten .
Die Haushaltsansätze für sozialökologisch relevante Zie-le bleiben wieder einmal weit hinter den realen Heraus-forderungen der Gegenwart zurück, besonders im Woh-nungsbau .Erstes Beispiel: altersgerechtes Umbauen . Hier hat dieKoalition versprochen – ich zitiere –:Thomas Stritzl
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Zur Förderung des generationengerechten Umbauswerden wir ein neues Programm „AltersgerechtUmbauen“ auflegen, mit Investitionszuschüssenausstatten und damit das bestehende KfW-Darle-hensprogramm ergänzen .In den ergänzenden Erläuterungen, im sogenanntenGrünbuch, steht dazu: Bis 2030 werden nach einer Stu-die der Prognos AG 2,9 Millionen altersgerechte Woh-nungen benötigt; aber nur 1 oder maximal 2 Prozent desgesamten Wohnungsbestandes von rund 41 MillionenWohnungen in Deutschland sind aktuell altersgerechtumgebaut . – Insgesamt sollen im Haushalt 2017 36 Mil-lionen Euro dafür ausgegeben werden . Das heißt – wennman die 2,9 Millionen Wohnungen auf die Jahre um-rechnet –, dass man jährlich 220 000 Wohnungen alters-gerecht umbauen müsste, um dieses Ziel zu erreichen .Wenn man die 36 Millionen Euro darauf verteilt, gäbees für jede Wohnung einen Zuschuss von 163 Euro . Ichfinde, das ist ein schlechter Witz.
Zweites Beispiel: sozialer Wohnungsbau . Ich höreschon meine Kolleginnen und Kollegen aus der Koali-tion sagen: Hierfür haben wir doch die Mittel verdrei-facht . – Ja, das stimmt . Aber Sie verdreifachen damitnicht den Bau von Sozialwohnungen . Selbst wenn demso wäre, hieße das: Statt der bisher 10 000 Sozialwoh-nungen pro Jahr würden dann 30 000 Sozialwohnungengebaut . Immer noch viel zu wenig, weil wir wissen, dasswir jedes Jahr mindestens 80 000 Wohnungen brauchten,um die Zahl der jährlich aus der Sozialbindung herausfal-lenden Sozialwohnungen zu kompensieren . Stattdessenhaben Sie sich, Frau Ministerin, von den Ländern den ur-sprünglich vorgesehenen Titel „Wohnungsbauprogrammzur Vermeidung von sozialen Brennpunkten in Städtenmit besonderem Wohnungsbedarf“ einfach einkassierenlassen . Unter dieser Titelbezeichnung wären die Mittelnämlich klar für den sozialen Wohnungsbau zweckge-bunden gewesen .
Dann sind diese 500 Millionen Euro aber auf wundersa-me Weise den allgemeinen Kompensationsmitteln zuge-schlagen worden, und damit war auch deren Zweckbin-dung weg . Die Erklärung, dass die Länder allein über dieVerwendung der Mittel bestimmen, lasse ich nicht gelten;
denn wer das Geld gibt, der sagt auch, was damit passie-ren soll .Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind nur zweiBeispiele, die belegen, dass die Bundesregierung nichtnur zu wenig in eine soziale und ökologische Wohnungs-und Stadtentwicklungspolitik investiert, sondern es auchnoch blind tut, ohne eigenen Gestaltungsanspruch . Das,finde ich, ist kein Zufall.
Mit der willkürlichen Abschaffung der Wohnungsge-meinnützigkeit 1990 und der Föderalismusreform 2006hat sich der Staat weitestgehend aus der Verantwortungfür das Wohnungswesen herausgewunden – das war Ab-sicht, in der abwegigen Hoffnung, der Markt werde fort-an alles regeln und auch die soziale Daseinsvorsorge fürden Staat übernehmen . Das war ein Irrglaube . Aber eswäre heilbar, wenn man denn wollte .Im öffentlichen Fachgespräch zur Einführung einerneuen Wohnungsgemeinnützigkeit jetzt im Novemberhaben wir viel Zustimmung zu diesem von uns, den Lin-ken und den Grünen, formulierten Ziel erfahren, aberauch einen bemerkenswerten Disput zwischen der Woh-nungswirtschaft und der Regierung erlebt . Beide warfensich gegenseitig Versagen vor: die Wohnungswirtschaftdem Staat das Staatsversagen, und die Regierung konter-te in Richtung Wohnungswirtschaft mit dem Vorwurf desMarktversagens . Hier ist heute für mich nicht die Zeit,lange über Staats- oder Marktversagen zu philosophie-ren . Wichtig ist aber das Offensichtliche: dass im Ver-hältnis von Staat und Markt Grundlegendes verändertwerden muss .
Der Staat muss sofort viel stärker als bisher selbststän-dig eine am Gemeinwohl orientierte Gestaltungsfunktionübernehmen .
Öffentliches Geld muss so eingesetzt werden, dass damitder größte gemeinschaftliche Nutzen, und zwar dauer-haft, erreicht wird . Das ist die einfache Grundidee einerneuen Gemeinnützigkeit in der Wohnungswirtschaft .Diese fordern wir in unserem Antrag „Bundesweiten Ak-tionsplan für eine gemeinnützige Wohnungswirtschaftauflegen“.
Ein letztes Wort, bevor meine Redezeit vorüber ist .Wir haben vor, jedes Jahr 5 Milliarden Euro für die För-derung des sozialen Wohnungsbaus einzusetzen . Wennwir die Mittel nehmen, die dem Bund entgehen, weil eran anderer Stelle auf Steuern vonseiten der Wohnungs-wirtschaft verzichtet, die Mittel in Höhe von 1,5 Milli-arden Euro draufrechnen, die der Bund bis 2019 in dasSystem pumpt, und berücksichtigen, dass der Bund durchentsprechende Maßnahmen die Ausgaben beim Wohn-geld senken könnte, kommen wir auf einen Betrag von9,5 Milliarden Euro, der allein für die soziale Wohnraum-versorgung zur Verfügung stünde . Das wäre haushalte-risch vernünftig; das ist, was die Linke will .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt derKollege Steffen-Claudio Lemme .
Heidrun Bluhm
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die kommen-
den Jahre und Jahrzehnte werden tiefgreifende Verän-
derungen gesellschaftlicher Natur mit sich bringen . Das
spüren wir, denke ich, alle gemeinsam sehr deutlich . Die
globalisierte Welt stellt uns vor große Herausforderun-
gen . Im Kern lässt es sich auf drei Merkmale reduzieren:
Weltweit werden die Menschen immer mobiler, die Le-
benserwartung steigt, und in der Folge teilen wir die Erde
mit immer mehr Menschen . Vor allem von diesen Fakto-
ren hängt das Gelingen einer friedlichen Entwicklung –
der Erfolg oder eben der Misserfolg – in den kommenden
Jahrzehnten ab: eine gesunde, nachhaltig genutzte Um-
welt und ein gutes Klima .
Wir müssen es immerhin schaffen, bis zum Jahre 2050
10 Milliarden Menschen mit sauberer Luft, mit sauberem
Trinkwasser und mit Nahrung zu versorgen . Gleichzeitig
muss eine bedürfnisgerechte Infrastruktur zur Verfügung
gestellt werden . Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis
setzen wir, wie ich meine, mit dem Haushalt des BMUB
in den Bereichen der Umwelt, des Naturschutzes und des
Baus richtige Impulse .
Einige Beispiele . Allein für die Internationale Klima-
schutzinitiative stehen im Jahr 2017 rund 387 Millionen
Euro zur Verfügung . Ab 2018 werden die Mittel auch
in diesem Bereich noch aufwachsen . Mit rund 30 Mil-
lionen Euro wollen wir eine neue europäische Klima-
schutzinitiative unterstützen . Mit diesem Geld wird auch
eine engere Kooperation mit Osteuropa angestrebt . Mit
20 Millionen Euro stärken wir ein Programm „Biologi-
sche Vielfalt“ .
Besonders wichtig ist es – auch mit Blick auf die
Herausforderungen der Globalisierung –, dass wir den
Menschen in ihrer Heimat wieder eine Perspektive ge-
ben . Oft mangelt es an den Grundvoraussetzungen für
wirtschaftliches Wachstum wie guten Straßen, sauberem
Wasser und Möglichkeiten der Energiegewinnung . Mit
der Exportinitiative grüner und nachhaltiger Umwelt-
infrastruktur leisten wir einen Beitrag dazu, dass diese
Grundvoraussetzungen geschaffen werden .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die beiden
Trends einer älter werdenden Bevölkerung und der glo-
balen Migrationsbewegung spürt Deutschland derzeit
wie kaum ein anderes Land . Vor wenigen Jahren haben
Demografen einstimmig die Annahme geäußert, die Be-
völkerungsentwicklung Deutschlands sei stark rückläu-
fig. Dies hat sich zumindest in den Ballungsgebieten als
Fehleinschätzung erwiesen . Deutschland ist ein attrakti-
ves Land, anders, als man angesichts der aktuellen Dis-
kussion denken könnte. Es kommen nicht nur geflüchtete
Menschen zu uns, sondern wir sind inzwischen auch für
junge und gebildete Eliten interessant geworden . Das
liegt sicherlich auch an Faktoren wie einer funktionieren-
den Infrastruktur, einer guten Gesundheitsvorsorge und
einem allgemein hohen Lebensstandard, der uns immer
gesünder alt werden lässt .
Mit dem Haushalt für das kommende Jahr antworten
wir auf den Zuzug und die demografischen Veränderun-
gen . Die dringendste Aufgabe ist hierbei die Schaffung
von bezahlbarem Wohnraum .
Der Bund lässt 1,5 Milliarden Euro in die soziale Wohn-
raumförderung fließen; der Bausektor nimmt deshalb ge-
rade Fahrt auf . Ja, aber es ist richtig – ein Wermutstrop-
fen ist dabei –, dass nach wie vor zu wenig preisgünstiger
Wohnraum geschaffen wird .
Meine Damen und Herren, solche Entwicklungen
können sozialer Sprengstoff werden . Es muss uns allen
ein Anliegen sein, für kleine Einkommen, junge Familien
und Senioren Wohnraum zu schaffen, sonst werden wir
in einen Verteilungskampf geraten, der den Populisten in
die Hände spielt .
Ein weiteres Stichwort heißt Sicherheit – auch und ge-
rade vor dem Hintergrund einer älter werdenden Bevöl-
kerung . Die Sicherheit hat im Baubereich zwei Dimensi-
onen, die wir mit dem neuen Haushalt beide aufgreifen .
Zum einen ist es die Stärkung des Sicherheitsgefühls .
Das Zuschussprogramm „Kriminalprävention durch Ein-
bruchschutz“ haben wir noch einmal aufgestockt . 2017
geht es mit 50 Millionen Euro an den Start . Die zweite
Dimension ist das sichere Gefühl, möglichst lange in den
eigenen vier Wänden leben zu können . Die SPD hat für
das Programm „Altersgerecht Umbauen“ gekämpft . Ins-
gesamt stehen uns nun 75 Millionen Euro zur Verfügung .
Über dieses Programm können Gelder zum Beispiel für
einen rollstuhlgerechten Umbau der Wohnung oder ein
seniorengerechtes Bad bei der KfW beantragt werden .
Das Geld ist in jedem Fall gut investiert . Wir ermögli-
chen es damit, länger selbstbestimmt und sicher im ver-
trauten Umfeld zu bleiben, und das, liebe Kolleginnen
und Kollegen, muss uns eine Herzensangelegenheit sein .
Fazit: Wir haben mit dem Haushalt des BMUB für das
Jahr 2017 einen guten Ansatz geschaffen . Lassen Sie uns
an die Umsetzung gehen! Wir als Sozialdemokratie ste-
hen für gutes Wohnen in einem guten Umfeld und einem
sicheren Klima .
Herzlichen Dank .
Danke schön . – Jetzt hat Sven-Christian Kindler,Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Das ist der letzte Bau- und Umwelthaushalt,
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den wir hier im Plenum diskutieren werden. Ich finde,es ist an der Zeit, Bilanz zu ziehen . Frau Hendricks, Siesind jetzt drei Jahre Umweltministerin, und in einer Zeit,in der offensichtlich wird, wie wichtig Klima- und Um-weltschutz sind, muss man die Frage stellen: Was ist inden letzten drei Jahren eigentlich passiert?
Ich erinnere mich an sehr viel schöne Interviews, wo ichgedacht habe: Wow, tolle Forderung, genau richtig, somuss man es machen! Frau Hendricks, ich habe immerinnerlich genickt und gedacht: Endlich geht es voran .Sie haben zum Beispiel gesagt: Sie wollen ein gen-technikfreies Deutschland, und Sie haben sich für einBundesverbot von Gentechnik ausgesprochen . Wer hatsich am Ende durchgesetzt? LandwirtschaftsministerSchmidt . Es gibt jetzt einen Flickenteppich in den Län-dern .Sie haben im Februar 2016 die Angleichung von Die-selsteuer an die Benzinsteuer gefordert . Wer hat sichnachher durchgesetzt? Wolfgang Schäuble . Es gibt keineAngleichung bei Diesel und Benzin .Sie haben sich im Oktober 2015 für eine verpflichten-de Quote von Elektrofahrzeugen eingesetzt . Wer hat sicham Ende durchgesetzt? Verkehrsminister Dobrindt . EineQuote gibt es also auch nicht .Und Sie haben sich vor der UN-Klimakonferenz inParis für einen Ausstiegspfad bei der Kohle eingesetzt .Sie haben gesagt, es solle einen Ausstiegspfad in 20 bis25 Jahren ohne Strukturbrüche geben, und das könneman hinbekommen . Dafür haben Sie sich eingesetzt . Werhat sich durchgesetzt? Sigmar Gabriel . Es gibt keinenFahrplan für den Kohleausstieg .Frau Hendricks, all das zeigt leider: Sie geben schö-ne Interviews, aber am Ende bleiben Sie eine Ankündi-gungsministerin . Am Ende setzen sich immer die ande-ren Minister im Kabinett durch . Das ist eine Katastrophefür das Klima und den Umweltschutz in Deutschland .
Das sieht man auch am sogenannten Klimaschutzplan .Ich fand, das war ein sehr engagierter Entwurf, den Sieim April 2016 vorgelegt haben . Aber dann haben diebesagten Minister Herr Dobrindt, Herr Schäuble, HerrSchmidt und Ihr SPD-Kollege Gabriel nachher alles ge-strichen, was Biss hatte, alles gestrichen, was verbindlichwar, was konkret war – das alles wurde rausgestrichen .Wenn man die Entwürfe nebeneinanderlegt und kon-kret vergleicht, sieht man genau, was herausgestrichenwurde . Zum Beispiel: Der Klimaschutzplan als zentralesHandlungsinstrument in allen Bereichen – wurde gestri-chen; Zwischenziele – wurde gestrichen; der jährlicheNettozubau von Wind-Onshore von mindestens 2,5 Gi-gawatt – wurde gestrichen; bis 2050 sollte mindestenseine Halbierung des derzeitigen Fleischkonsums erfol-gen – gestrichen; ökologische Steuerreform weiterent-wickeln – gestrichen . Im Klimaschutzplan wurde gestri-chen, gestrichen, gestrichen . Die Konsequenz sieht manjetzt sehr deutlich – Sie haben es öffentlich auch schonzugegeben –: Wir werden das Klimaschutzziel, denCO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent zu senken, reißen .Ich finde, einen deutlicheren Offenbarungseid kann manals Klima- und Umweltschutzministerin gar nicht leisten .Das ist wirklich peinlich und eine Blamage für die Kli-maschutzpolitik .
Zum Thema internationaler Klimaschutz . Hier warDeutschland lange der Vorreiter, Frau Hendricks . Rot-Grün hat die Energiewende auf den Weg gebracht, undwir haben den Atomausstieg beschlossen . Jetzt haben48 Staaten in Marrakesch gesagt, dass sie komplett ausden fossilen Energien aussteigen wollen . Die Bundesre-gierung hält aber weiter an der Kohle fest . Sie hat keinenkonkreten Ausstiegsplan . Was ist die Konsequenz? Aufdem Klimaschutz-Index von Germanwatch ist Deutsch-land mittlerweile auf Platz 29 abgerutscht. Ich finde,gerade jetzt, wo die USA mit Donald Trump, einem ex-pliziten Klimaskeptiker, ausfallen, kann man doch nichtweiter bremsen, weiter blockieren . Gerade jetzt müssteDeutschland doch international vorangehen und endlichVerantwortung für den Klimaschutz übernehmen .
Das muss sich auch bei den Geldern für den internatio-nalen Klimaschutz widerspiegeln . Die Kanzlerin hat eineVerdoppelung der Gelder auf 4 Milliarden Euro bis 2020versprochen . Davon sehen wir nichts im Finanzplan . Esgibt keinen Aufholplan . 2017 sind wir auf demselben Ni-veau wie 2016 . Sie erhöhen im Haushalt die Mittel fürdie IKI – es geht um 48 Millionen Euro –, aber gleichzei-tig wird der Entwicklungsetat um 42 Millionen Euro ge-senkt . Am Ende ist das doch nur das Spiel „linke Tasche,rechte Tasche“ . Das ist ein Nullsummenspiel . Diese Au-genwischerei hilft nachher niemandem, vor allen Dingennicht den Menschen in den Entwicklungsländern, die dasGeld dringend für die Anpassungsleistungen brauchen .
Zur Bau- und Wohnungspolitik will ich auch noch et-was sagen . Wir sehen, dass Wohnen in unseren Innenstäd-ten immer mehr zu einer sozialen Frage wird und dass diegroße Aufgabe vor allen Dingen ist, jetzt für bezahlbareMieten zu sorgen und sozialen Wohnraum zu schaffen .Da hat sich der Bund viel zu lange aus der Verantwortunggestohlen . Wir sagen: Wir brauchen neue Ideen, geradewenn die soziale Wohnraumförderung 2019 ausläuft .Auch wir als Grüne setzen uns für eine neue Wohnungs-gemeinnützigkeit ein – Heidrun Bluhm hat das Themaschon angesprochen –, weil wir private Vermieter, kom-munale Unternehmen und Genossenschaften fördernwollen, wenn sie bezahlbaren Wohnraum anbieten .
Viel zu lange wurde die Wohnungspolitik dem freienMarkt überlassen . Wir sagen: Das muss sich ändern . WirSven-Christian Kindler
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wollen endlich bezahlbare Mieten statt maximaler Ren-diten in unseren Innenstädten .
Auf der einen Seite geht es um mehr bezahlbare Woh-nungen, auf der anderen Seite natürlich auch um dieUnterstützung von Menschen mit kleinen und mittle-ren Einkommen durch das Wohngeld . Wir wollen – dashaben wir in den Haushaltsberatungen beantragt – dasWohngeld verdoppeln, damit Menschen nicht mehr we-gen zu hoher Mieten in die Armut, in die Grundsicherungrutschen . Außerdem wollen wir einen Klimabonus beimWohngeld, damit energetische Sanierung stattfindenkann, sie aber nicht zu einer Verdrängung von Mieterin-nen und Mietern führt .Wir sagen: Wohnungs- und Baupolitik muss beidessein, ökologisch und sozial . Wenn ich mir diesen Haus-haltsentwurf anschaue, stelle ich fest, dass dieser Weit-blick leider fehlt . Deswegen ist dies ein Haushalt der ver-passten Chancen, den wir ablehnen werden .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Jetzt spricht für die CDU/CSU-Frakti-
on Dr . Georg Nüßlein .
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Nach
zwei Reden von Vertretern der Opposition muss ich
sagen, dass ich mich ernsthaft schwer damit tue, mich
überhaupt in die Gedankenwelt zu versetzen, die Sie hier
offenbaren .
Frau Bluhm sagte, dass sie Wahlgeschenke erwartet
hätte, dass der Haushalt nicht so aussähe, wie sie ihn in
dieser Phase – letzte Haushaltsdebatte vor den Wahlen –
erwartet hätte . Für Sie kann es wohl nicht genug sein . Ich
sage Ihnen: Ich bin zufrieden mit der schwarzen Null,
mache mir aber, was unseren Haushalt insgesamt an-
geht, ernsthafte Sorgen . Überall gibt es Aufwüchse, und
zwischen den Häusern gibt es einen regelrechten Wett-
bewerb, immer noch mehr Geld auszugeben . Es werden
Zeiten kommen, in denen wir über andere Themen wer-
den diskutieren müssen, nämlich darüber, wie wir wieder
Geld sparen können . Wir tun uns da momentan schwer .
Wenn ich von Vertretern der Opposition höre, wir müss-
ten noch sehr viel mehr ausgeben, dann, denke ich, sind
Sie auf einem komplett falschen Pfad .
Das Primat der Grünen lautet: Wir stellen den Klima-
schutz über alles, koste es, was es wolle . Ich sage Ihnen,
Herr Kindler: Gerade in der Klimaschutzpolitik gibt es
nichts Wichtigeres, als Augenmaß zu bewahren und An-
spruch und Wirklichkeit in ein sinnvolles Verhältnis zu
setzen .
– Ich erkläre es Ihnen . – Schauen Sie: Wenn ich vor
Schülern spreche, erlaube ich mir ab und zu den Spaß,
sie zu fragen: Was glaubt ihr, wenn Deutschland von heu-
te auf morgen keine CO2-Emissionen mehr produzieren
würde, wie lange würde es dauern, bis der Zuwachs in
China diese Einsparung ausgleicht? – Auf diese Frage
erhalte ich ganz unterschiedliche Zahlen als Antwort . Im
Regelfall wird ein Zeitraum zwischen 10 und 100 Jahren
genannt . Die realistische Zahl – zwischen einem und ein-
einhalb Jahren – kommt ganz selten .
– Ich sage Ihnen gleich, was das heißt . – Das liegt da-
ran, dass wir so tun, als wäre der Klimaschutz national
zu bewältigen . Das Problem liegt aber ganz woanders:
Wir müssen bei diesen ganzen Überlegungen davon aus-
gehen, dass der deutsche Klimaschutz nur dann einen
Sinn macht, wenn uns andere folgen, wenn andere uns
das nachmachen .
Eine Deindustrialisierungsstrategie, die insbesondere die
Grünen vorschlagen, wird uns niemand auf dieser Welt
nachmachen .
Zu meiner großen Freude haben Sie die ausgeprägte
Schnapsidee angesprochen – ich sage das so drastisch –,
dass wir als Politik den Menschen vorgeben sollen, dass
sie nur noch halb so viel Fleisch essen sollen . Meine
Damen und Herren, das ist ein deutsches Thema . Das
mag unter gesundheitspolitischen Erwägungen durchaus
ein richtiger Ansatz sein, aber umweltpolitisch ist das
Schwachsinn; denn die Welt hat ein anderes Problem:
Die Schwellen- und Entwicklungsländer, die mit ihrem
Bevölkerungswachstum momentan einen Beitrag dazu
leisten, dass wir ein noch sehr viel größeres Klimapro-
blem bekommen werden, haben eine ganz andere Prob-
lemlage .
Herr Kollege Nüßlein, ehe Sie sich weiter in Fahrt re-
den: Gestatten Sie Zwischenfragen?
Ja .Sven-Christian Kindler
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 201 . Sitzung . Berlin, Dienstag, den 22 . November 201620138
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Bulling-Schröter von der Linken?
Ja .
Kollege Nüßlein, ich habe Ihnen gerade genau zuge-
hört, –
Das ist gut .
– auch bei Ihren Schimpfkanonaden . Ich möchte Sie
fragen: Wie beurteilen Sie denn das Ergebnis von Mar-
rakesch? Sie waren ja nicht dabei . Wir waren dort und
haben auch mit Klimazeugen gesprochen . Denen steht
das Wasser bis zum Hals . Wir wissen, dass mittlerweile
37 der am meisten betroffenen Staaten überlegen, aus der
Kohle auszusteigen . Natürlich brauchen sie Unterstüt-
zung . Würden wir dem, was Sie hier erzählen, folgen,
würden wir die Klimaschutzziele bis 2020 nicht errei-
chen . Wenn wir davon ausgehen, dass wir den CO2-Aus-
stoß bis 2050 um 95 Prozent reduzieren müssen, dann
frage ich Sie: Wie sollen wir das schaffen, wenn wir dem,
was Sie sagen, folgen?
Eine weitere Frage: Haben Sie vielleicht verfolgt, dass
gerade China in Marrakesch gesagt hat, sie würden jetzt
Klimaschutzziele definieren, sie würden in Richtung
Kohleausstieg und CO2-Einsparung gehen, und sie woll-
ten mit Vorreiter sein?
Danke, Frau Bulling-Schröter . – Bitte schön, Herr
Kollege .
Frau Bulling-Schröter, ich habe, auch wenn Sie michan der falschen Stelle unterbrochen haben, in keinerWeise gesagt, dass wir unsere Klimaziele nicht weiterverfolgen sollten . Ich bin, was die Einschätzung desGipfels von Marrakesch angeht, eng bei der Bundesum-weltministerin, die deutlich gemacht hat, dass die Weltsehr wohl sieht, wie ambitioniert Deutschland diese Zieleverfolgen wird . Nur, ich sage Ihnen: Es kann und wirdnicht helfen, wenn wir in Deutschland das für uns alleinemachen,
sondern wir müssen einen Beitrag dazu leisten, dass unsandere Länder folgen . Wenn Sie abgewartet hätten, hät-ten Sie gehört, dass ich Ihnen noch präzise beschriebenhätte, unter welchen Umständen das Sinn macht . EineDeindustrialisierung Deutschlands macht überhaupt kei-nen Sinn . Das ist aus meiner Sicht der falsche Ansatz .Ich verstehe natürlich Ihre Ambitionen: Sie wollenuns anhängen, wir hätten uns von diesen Themen undZielen verabschiedet . Das ist aber nicht der Fall . Ich willeine Klimaschutzpolitik, die am Ende wirkt . Das wirdnur gehen, meine Damen und Herren, wenn andere demVorreiter etwas nachmachen bzw . bereit sind, dies zu tun .Das ist ganz entscheidend .
Jetzt will ich auf das Thema, das Herr Kindler ange-sprochen hat, zurückkommen . Ich hätte dieses Thema garnicht angesprochen, weil ich es, ehrlich gesagt, kindischfinde. Wenn es heißt, wir in Deutschland sollten nur halbso viel Fleisch essen und die Politik solle das verordnen,muss ich sagen: Ich halte das für eine kindische Nummer;denn die Welt hat ein anderes Problem . In den Schwel-lenländern, etwa in China, oder in den Entwicklungslän-dern hat man doch eher die Sorge, überhaupt ein bisschenFleisch in die Schüssel Reis zu bekommen . Es geht dochdarum, meine Damen und Herren, wie wir die Menschenin diesen Ländern in Zukunft ernähren und trotzdem dasKlima schützen können . Das ist das Thema, auf das wirunser Gehirnschmalz verwenden sollten,
statt die Bürgerinnen und Bürger hier in Deutschland mitirgendwelchen Schnapsideen zu gängeln .
Von Ihnen ist sofort ein Diffamierungsversuch gestar-tet worden, als unsere Fraktion zum Klimaschutzplangesagt hat: Da gibt es viele Dinge, die man überdenkenund überarbeiten muss . – Wir haben doch nicht gesagt:„Wir wollen ihn nicht“, sondern wir haben uns die Mühegemacht, auf 57 Seiten Punkt für Punkt zu beschreiben,was wir anders und besser machen wollen .
Es ist beispielsweise unglaublich, beim Thema Mobilitäteinseitig zu sagen – so geben Sie es ja auch hier wiedervor –: Nur die Elektromobilität ist die Zukunft . – Als obwir, die Politik, das entscheiden könnten! Es gibt nocheine ganze Menge anderer Themen – dazu gehören dieLeichtbauweise und die Biokraftstoffe der nächsten Ge-neration – und eine ganze Menge Ansätze, wie man daetwas bewegen kann .
Sie aber wollen einseitig vorgeben, wo die Reise hinge-hen soll, weil es die Grünen natürlich, wie immer, schonim Voraus wissen . Das glaube ich Ihnen ganz einfachnicht .
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Wir haben gesagt: Lasst uns innovationsorientiert undtechnologiebasiert vorgehen . Wir wollen lieber Marktund Anreiz statt Zwang und Gängelung . – Ich weiß, dassIhnen das nicht in den Kram passt, weil sich das nicht mitIhrer Politik deckt; das ist der Punkt .
Ich glaube, am Ende werden wir einen Klimaschutzplanvorliegen haben – unsere Fraktion wird ihn sich natürlichnicht Punkt für Punkt und Komma für Komma zu eigenmachen –,
Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dasteht doch gar nichts mehr drin!)der sehr deutlich zeigen wird, dass man Klimaschutzauch mit mehr Offenheit und mehr Bürgerbeteiligungerreichen kann .
Beim Thema Kohle – Sie haben es angesprochen –geht es doch nicht nur darum, einen Ausstiegszeitpunktfestzulegen, sondern es geht auch um einen Struktur-wandel . Wir haben genau formuliert, wie dieser Struk-turwandel stattzufinden hat und wie das am Ende laufensoll . Wir wollen nicht eben nur einfach wieder eine neueWende nach der x-ten Wende . Vielmehr sollte man sichganz intelligent überlegen, wie man diesen Strukturwan-del tatsächlich voranbringen kann . Ich glaube, dass daswichtig ist; denn, meine Damen und Herren, die Zechefür die Strukturbrüche, die Sie gerne hätten, würden dieBürgerinnen und Bürger im Land zahlen . Ich kann mirnicht vorstellen, dass es dann am Ende tatsächlich gutgehen würde .Ich will Ihnen auch noch einmal deutlich ins Stamm-buch schreiben, dass jeder Renationalisierungsansatz imZusammenhang mit dem Klimawandel in die Irre führt .Ich halte das für falsch .
Sie haben auch die Veränderungen in den USA angespro-chen .
Gerade deshalb muss uns, meine Damen und Her-ren, doch klar sein, dass beim Thema Klimaschutz amSchluss nur ein gemeinsamer europäischer Anspruch undein gemeinsames europäisches Vorgehen zum Ziel füh-ren werden .
Ich könnte das durchdeklinieren . Es wird natürlichschwierig sein, die EnEV und das EEWärmeG zusam-menzulegen und gleichzeitig eine Baukostenbegrenzungzu haben . Ich sage nicht, dass das nicht machbar ist . IhrWeg aber ist, Folgendes zu sagen: Klimaschutz geht überalles, koste es, was es wolle . Wirtschaftlichkeit spieltkeine Rolle . Und immer dann, wenn es unwirtschaftlichwird, soll der Staat durch Zuschüsse ausgleichen . – Da-mit wird doch am Schluss jedes Wirtschaftlichkeitsgebotad absurdum geführt . Es hat mit Wirtschaftlichkeit nichtsmehr zu tun, wenn der Staat das alles ausgleicht . DiesenAnsatz halte ich für falsch .
Ich habe zum Thema sozialer Wohnungsbau einigesgehört . Die Linken – das kann man von ihnen nicht an-ders erwarten – sind der Meinung: Der Staat wird es amSchluss schon richten . Hier haben wir doch ein typischesBeispiel dafür, dass es der Staat am Ende nicht richtenwird . Wir haben die entsprechenden Gelder jetzt auf im-merhin stattliche 1,5 Milliarden Euro aufgestockt . Ich binja gespannt, ob es der Staat am Schluss machen wird .Bisher gab es die Erfahrung, dass die Länder das nichtgetan haben, dass das also nicht die Lösung aller Pro-bleme bringt . Deswegen sagen wir als Union natürlich:Wir müssen daneben selbstverständlich auch auf privateInitiativen setzen .Ich sage Ihnen auch ganze offen, dass ich mir die steu-erliche Wohnraumförderung sehr gewünscht hätte . Ichhätte mir sehr gewünscht, dass sie wenigstens im Kleineneingeführt worden wäre, dass man nämlich von 2 ProzentAbschreibung auf 3 Prozent gegangen wäre . Denn dasist immerhin das, meine Damen und Herren, was demtatsächlichen Wertverschleiß von Immobilien – bei de-nen es halt mehr Technik als früher gibt – entspricht . Esspricht doch nichts dagegen, dass man denen, die inves-tieren sollen, sagt: Ihr dürft wenigstens die Kosten, dieihr tatsächlich habt, am Schluss steuerlich geltend ma-chen . – Aus meiner Sicht hätte nichts dagegen gespro-chen .Ich sage Ihnen auch ganz offen, dass ich von den gro-ßen Steuerprogrammen nicht immer nur begeistert war .Denn durch sie gibt es eine enge Beschränkung auf einebestimmte Gebietskulisse, nämlich die Metropolen . Dasbedeutet, dass man dort, wo es eh schon lichterloh brennt,noch ein bisschen Öl hineingießt und sagt: Da nehmenwir noch eine Sonderabschreibung vor . – Das führt dazu,dass es dort noch stärker brennt . – Davon bin ich nichtüberzeugt .Ich freue mich darüber, dass die Bundesbauministerindas Thema Baukindergeld der Union faktisch aufgegrif-fen hat und dazu einen Vorschlag gemacht hat . Das, wasda vorgeschlagen wird, halte ich für absolut richtig undwegweisend . Aber auch da gilt wieder, meine Damenund Herren: Das sollte nicht nur im Rahmen einer en-gen Gebietskulisse bzw . in den Metropolen geschehen,zum Beispiel im Speckgürtel um München herum, wodie jungen Familien am Schluss sowieso keine Chancehaben, Eigentum zu erwerben . Es gibt eine ganze Mengeprosperierender ländlicher Räume . Auch mittlere Städtegehören dazu . Dort haben junge Familien immer nocheine Chance, tatsächlich zu bauen, wenn man ihnen,meine Damen und Herren, einen Teil des Eigenkapitalsdazugäbe . Das wäre ein guter Ansatz . Aus meiner Sichtmacht es Sinn, dem noch einmal in ganz starkem MaßeDr. Georg Nüßlein
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nachzugehen . Es wäre sinnvoller, darüber zu diskutieren,als, Frau Bluhm, mit falschen Zahlen bei der Förderungvon altersgerechten Wohnungen zu operieren . Es handeltsich um 75 Millionen Euro – und nicht, wie Sie gesagthaben, um 29 Millionen Euro .Lassen Sie uns darüber diskutieren, wie wir diesesThema voranbringen können . Das bekommen wir nurhin, wenn Staat und Private das gemeinsam machen . Wirwollen das . Im Übrigen ist es so: Jedes neu errichtete Ei-genheim sorgt dafür, dass eine Mietwohnung frei wird .Das sollten diejenigen, die da auf einer anderen Fährtesind, noch einmal bedenken .Vielen herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für die Bundesregierung hat jetzt Bun-desministerin Barbara Hendricks das Wort .
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf für dasJahr 2017 werden alle Bereiche meines Hauses gestärkt –das hat sich vonseiten der Opposition anders angehört –,und zwar sowohl finanziell als auch organisatorisch. Dasist drei Jahre nach der Zusammenführung der BereicheBauen und Stadtentwicklung mit den Bereichen Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit und 30 Jahre nach derGründung des Bundesumweltministeriums ein großerErfolg, und darauf können wir stolz sein .
Ich will an dieser Stelle allen danken, die diesen Haus-halt möglich gemacht haben – insbesondere auch mit denletzten Änderungen im Rahmen der Bereinigungssitzung .Herzlichen Dank an die Berichterstatter, an die Obleuteund an die Mitglieder im Ausschuss, ohne die wir diesenHaushalt so nicht zustande gebracht hätten .
Mein Dank geht aber auch an die Verbände und die vielenBürgerinnen und Bürger, die uns mit ihrem Engagement,ihrer Kritik und ihren Vorschlägen unterstützt haben .Sie alle haben dazu beigetragen, dass es gelungen ist,den Haushalt des Bundesministeriums für Umwelt undBauen, wie ich einmal verkürzt sagen will, gegenüberdem Vorjahr um rund 24 Prozent auf über 5,5 MilliardenEuro zu steigern . 24 Prozent mehr als vergangenes Jahr:Das kann ja wohl keine Armut sein, wie Frau Bluhm dashier zum Ausdruck gebracht hat .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie sich denEinzelplan 16 anschauen, dann werden Sie sehen, dasswir Wort halten – das sage ich auch in Richtung der Grü-nen, lieber Kollege Kindler – und alle unsere Vorhabenmit den notwendigen Finanzen unterlegt haben, sodasswir sie natürlich auch umsetzen können .Das gilt für den nationalen und den internationalenKlimaschutz genauso wie für den klassischen Umwelt-schutz und für den Schutz der biologischen Vielfalt .Das gilt auch für den sozialen Wohnungsbau, den wiraus dem Dornröschenschlaf vergangener Legislaturpe-rioden geweckt haben und für den wir im kommendenJahr insgesamt mehr als 1,5 Milliarden Euro bereitstellenkönnen . Das ist, wie wir wissen, nicht weniger als eineVerdreifachung innerhalb weniger Jahre . Im Jahre 2015stand nur ein Drittel dessen zur Verfügung, was im Jah-re 2017 zur Verfügung stehen wird .
Das gilt genauso für die Städtebauförderung, die wirvon der Vorgängerregierung mit 455 Millionen Euroübernommen und sofort auf 700 Millionen Euro aufge-stockt haben. Inzwischen – auch im Jahre 2017 – fließenmit der Städtebauförderung 790 Millionen Euro in dieInnenstädte und Ortskerne sowie natürlich auch in dieländlichen Kommunen . Mit dem neuen Integrationspakt„Soziale Integration im Quartier“ stellen wir darüber hi-naus zusätzlich 200 Millionen Euro zur Verfügung . Da-mit können die Kommunen den dringend notwendigenAusbau von sozialen Infrastrukturen, wie zum BeispielBildungseinrichtungen und Stadteilzentren, als Orte derIntegration im Quartier anpacken .
Mit dem Städtebau und der Stadtteilentwicklung för-dern und stärken wir den gesellschaftlichen Zusammen-halt . Das ist unser ganz konkreter Beitrag, um gemeinsammit den Ländern und Kommunen den wirtschaftlichen,sozialen, demografischen und ökologischen Wandel zugestalten .Auch in Bezug auf die Endlagerung der nuklearenLasten in Deutschland, für die wir die notwendigenAnpassungen an die neue Organisationsstruktur in denHaushalt 2017 eingebracht haben, halten wir Wort .Das alles ist ein großer Erfolg, mit dem wir auch andie gute Arbeit der vergangenen Jahre anknüpfen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Marrakesch ha-ben wir von allen Seiten – alle, die in der Delegation da-bei waren, können das bestätigen – viel Lob für unserEngagement im Klimaschutz bekommen .
Die Kolleginnen Höhn und Baerbock waren ja anwe-send, und es ist ganz gut, dass sie heute hier nicht reden .Sonst hätten sie ja völlig wider besseres Wissen dieselbeLitanei singen müssen wie Sie, Herr Kindler .
Dr. Georg Nüßlein
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– Das können Sie ja gleich machen .Die anderen Staaten hat nicht so sehr interessiert, obdie Diskussionen innerhalb der deutschen Regierung einpaar Tage mehr oder weniger gedauert haben . Die ent-scheidenden Fragen waren: Wie geht Deutschland alsgroßes Industrieland seinen Weg in Richtung Treibhaus-gasneutralität? Und: Wie genau erbringt Deutschlandseinen nationalen Beitrag zur Umsetzung des Paris-Ab-kommens?Herr Kollege Nüßlein, ein nationaler Beitrag zur Um-setzung des Paris-Abkommens ist allerdings nötig . Da-von werden wir uns nicht verabschieden können;
denn daran, was wir tun, orientieren sich viele Länder .Bezüglich des Klimaschutzplanes kann ich es mir auchnicht verkneifen, Herr Kollege Nüßlein, zu sagen: Dasswir die 57 Seiten Monita aus Ihrer Feder nicht übernom-men haben, hat dem Klimaschutzplan gutgetan .
Man kann erkennen, wenn man es nur will, dass dieVorbild- und Vorreiterrolle Deutschlands nach wie vorBestand hat . Ich kann Ihnen hier versichern: Die Bundes-regierung hat sich der damit verbundenen Verantwortungin vollem Umfang gestellt, ist sich dieser Verantwortungbewusst und wird dieser auch in Zukunft gerecht werden .Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregie-rung hat den Klimaschutzplan 2050 als deutschen Bei-trag zur Umsetzung des Paris-Abkommens beschlossen,und ich konnte ihn mit nach Marrakesch nehmen . Es gabbeim Ringen um die richtige Klimaschutzpolitik in denvergangenen Wochen und Monaten natürlich immer Kri-tiker, die gesagt haben: Das schafft ihr nie! Es gab immerauch die Bedenken, das alles ginge viel zu weit .Ja, wir haben teilweise miteinander gerungen – daransehe ich nichts Schlechtes –; denn es geht um weitrei-chende Veränderungen in unserem Land . Wer dabei dieSorgen, die diese Veränderungen mit sich bringen kön-nen, mit leichter Hand abtut, macht einen schweren Feh-ler, gerade weil es darum geht, Vertrauen dafür zu gewin-nen, dass Veränderungen eben nicht Verschlechterungender Lebenssituation bedeuten müssen . Das bedeutetauch: Es geht nicht um Deindustrialisierung, sondern esgeht um einen Strukturwandel, den wir mit Augenmaßvorantreiben wollen .In diesem Zusammenhang ganz kurz ein Wort an Sie,liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen . Aufdem Bundesparteitag in Münster letzte Woche wurde derKohleausstieg bis 2025 beschlossen . Das ist gequirlterUnsinn; das wissen Sie selber .
Am Ende haben wir uns also auf eine langfristige Kli-maschutzstrategie geeinigt, die genau die Orientierunggibt, für die ich immer gestritten habe . Dafür möchteich mich hier bei all meinen Kabinettskolleginnen und-kollegen ausdrücklich bedanken . Ich möchte mich beiallen bedanken, die mit uns Überzeugungsarbeit geleis-tet haben . Aber ich will mich auch bei denen bedanken,die sich haben überzeugen lassen . Auch das ist ein Fort-schritt, für den ich dankbar bin .Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Entscheidendean unserem Klimaschutzplan ist, dass er erstmals die Kli-maziele auf die einzelnen Sektoren herunterbricht . Da-mit gibt er allen Sektoren eine klare Orientierung und zu-gleich auch eine Perspektive . Mir geht es darum, dass wirdurch rechtzeitiges Handeln Strukturbrüche vermeiden .Ich bin im Übrigen überzeugt, dass alle Sektoren ausge-wogen berücksichtigt worden sind . Unser gemeinsamesInteresse muss es sein, den Klimaschutz als Innovations-und Wachstumsmotor unserer Volkswirtschaft weiter zustärken: langfristig, planbar, verlässlich, aber eben nichtals Deindustrialisierungsstrategie, sondern als Innovati-onsstrategie .
Der Haushalt gibt Auskunft über alle Vorhaben, egalob sie große Millionenbeträge oder nur kleinere Beiträ-ge umfassen . Leider reicht hier die Zeit nicht aus, umalle Programme und Einzelmaßnahmen aufzuzählen unddamit angemessen zu würdigen . Der Haushalt zeigt zu-gleich, dass wir uns auch um schwierige Themen nichtgedrückt haben, sondern sie voranbringen . Das gilt vorallem für die schon erwähnte Endlagerfrage .Ich habe mich als Beauftragte der Bundesregierung fürden Berlin-Umzug und den Bonn-Ausgleich nicht um dieSituation bei der Arbeitsteilung zwischen Bonn und Ber-lin gedrückt, sondern mit dem Statusbericht Transparenzund Klarheit geschaffen . In diesem Zusammenhang habeich immer betont, dass es mir ein persönliches Anliegenist, Bonn als UN-Standort zu stärken und zu profilieren.Dazu gehört, dass im kommenden Jahr die Weltklima-konferenz unter der Präsidentschaft der Fidschi-Inselnam Sitz des Sekretariats der Klimarahmenkonvention inBonn stattfinden wird.
Das ist letzten Freitag in Marrakesch so entschieden wor-den .
Das ist im Übrigen – um das deutlich zu machen –gar nicht in unsere Entscheidungsgewalt gegeben; dennwenn ein Präsidentschaftsland faktisch nicht in der Lageist, eine Klimakonferenz auszurichten, dann muss sie na-türlich am Sitz des Sekretariates stattfinden, das ist Bonn.Dass Fidschi dazu objektiv nicht in der Lage ist, liegt aufder Hand . Wir könnten nicht alle hinreisen, geschweigedenn übernachten . Deshalb wird die Konferenz in Bonnstattfinden. Es steht zu erwarten, dass wir für die Aus-richtung der Konferenz überplanmäßige HaushaltsmittelBundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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brauchen werden . Sobald wir in den Vorplanungen vor-angekommen sind, werde ich die dazu notwendigen An-träge konkretisieren .Auch unsere erfolgreichen Bemühungen um die An-siedlung des „Global Landscape Forums“ mit seinenKonferenzen am UN-Standort Bonn sollten nicht uner-wähnt bleiben . Ich jedenfalls bin sehr davon überzeugt,dass der UN-Standort Bonn mit Unterstützung vonseitender Bundesregierung weiter eine gute Entwicklung neh-men wird .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich ab-schließend bei den Mitgliedern des Haushaltsausschus-ses für zwei Beschlüsse besonders bedanken .Erstens kann mit Schinkels Bauakademie – in direk-ter Nachbarschaft des Humboldt-Forums – ein StückIdentität in Berlins Mitte wiederhergestellt werden . DerBeschluss des Haushaltsausschusses eröffnet jetzt dieChance, einen zentralen Ort für Architektur zu schaffen,vielleicht auch eine Lehr- und Ausbildungsstätte für Ar-chitekten und Ingenieure, vielleicht auch andere kulturel-le Angebote . Dafür wollen wir alle an einen Tisch holen .
Zweitens bin ich sehr dankbar, dass unsere Export-initiative Umwelttechnologien kein einmaliges Projektbleiben muss, sondern fortgeführt werden kann . Das istzwar nur ein kleines Programm, aber zugleich ein gro-ßer Erfolg, weil es deutsche Technologien und ihre An-wendung in aller Welt fördert . Das nützt dem Klima- undUmweltschutz und stärkt Forschung und Innovation inDeutschland, und es trägt zu besseren Beziehungen mitden Partnerländern bei . Auch diesen Aspekt sollten wirimmer im Blick haben .
Die Exportinitiative ist ein schönes Beispiel dafür,dass wir mit dem Einzelplan 16 einhalten, was wir ver-sprochen haben, und es beweist, dass wir den Interessender Menschen heute und den Interessen künftiger Gene-rationen in Deutschland gerecht werden und unsere Ver-antwortung in der Welt nicht missachten .Herzlichen Dank .
Das Wort für eine Kurzintervention hat die Kollegin
Baerbock .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Frau Ministerin
Hendricks, wir hatten ja eine sehr „fruchtvolle“ Reise zur
Klimakonferenz . Deshalb verwundert es mich sehr, was
Sie für ein Verständnis vom Parlament haben, wenn Sie
sagen, es wäre besser, wenn die Vorsitzende des Umwelt-
ausschusses ebenso wie die klimapolitische Sprecherin
unserer Fraktion nicht zum Thema Klimaschutz reden .
Ich hoffe, dass es nur im Wall der Gefühle war, so ein
Parlamentsverständnis an den Tag zu legen .
Nichtsdestotrotz würde ich gerne inhaltlich darauf
eingehen . Denn international wurde Deutschland gerade
für seine Beiträge zur Klimafinanzierung in Paris gefei-
ert . Aber es waren nicht die Grünen, die im Übrigen nicht
Ihnen, sondern der deutschen Bundesregierung den „Fos-
sil of the Day“, also den Preis des Fossils des Tages, ver-
liehen haben, weil der Kohleausstieg nicht im deutschen
Klimaschutzplan enthalten war .
Es wundert mich sehr – auch angesichts dessen, was
Sie im Vorfeld der Klimakonferenz eingefordert haben,
nämlich dass die Bundeskanzlerin ihre Richtlinienkom-
petenz wahrnimmt und dafür sorgt, dass die Union den
Klimaschutz anerkennt –, dass sie jetzt nicht auf die ab-
surden Äußerungen des Kollegen Nüßlein eingegangen
sind, sondern ausgerechnet diejenigen angreifen, die Sie
in Ihrem Kampf gegen den Klimawandel unterstützen .
Wie nötig diese Unterstützung ist, wurde eben gerade
daran deutlich, dass Sie sich hier auch noch dafür recht-
fertigen müssen, dass die Klimakonferenz nach Bonn
kommt . Das ist doch ein Zeichen der Freude; da könn-
te man doch sagen: Gerade wir Deutschen können diese
Klimakonferenz nutzen . – Nein, stattdessen entschuldi-
gen Sie sich auch noch, und das Finanzministerium hatte
auch schon ganz besorgt angerufen und gefragt, wie das
denn sein könne .
Ich kann Ihnen garantieren: Wir werden Sie weiterhin
darin unterstützen, dass Deutschland hier voranschreitet
und diese Klimakonferenz einen Beitrag zum globalen
Klimaschutz leistet . Ich glaube, das ganze Parlament –
insbesondere die Klimaparlamentarier in diesem Hohen
Hause – ist hier gefordert .
Herzlichen Dank .
Frau Hendricks .
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Liebe Kollegin Baerbock, wenn Sie mir richtig zuge-
hört hätten, dann hätten Sie verstanden, dass meine Äu-
ßerung, dass es wohl ganz gut ist, wenn – –
– Ich darf doch antworten .
Ich würde bitten, dass wir die Kolleginnen und Kol-legen jeweils ausreden lassen, egal ob sie zur Regierunggehören oder nicht . Das gilt generell .
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Liebe Kollegin Baerbock, ich habe etwas scherzhaftgesagt, es sei ganz gut, wenn Sie und Frau Höhn hiernicht reden, weil Sie sonst wider besseres Wissen diesel-be Litanei hätten wiederholen müssen, die Herr Kindlerschon vorgetragen hat . Denn dass wir – das haben Sierichtig gesehen – in Marrakesch sehr positiv aufgenom-men worden sind, liegt auf der Hand .Wenn wir den sogenannten Fossil of the Day bekom-men haben, dann liegt das natürlich auch an einer fal-schen Wahrnehmung .
Denn selbstverständlich steigen wir genauso wie die45 Länder, die sich am letzten Tag der Konferenz inMarrakesch darauf verpflichtet haben, bis zur Mitte desJahrhunderts aus der Kohle auszusteigen, auch bis zurMitte des Jahrhunderts aus der Kohle aus . Es ist einesder festgelegten Ziele des Klimaschutzplans, dass wir biszur Mitte des Jahrhunderts weitgehend klimagasneutralwirtschaften und arbeiten wollen . Allerdings ist ein Aus-stieg bis 2025 zu früh . Ich wiederhole: Es ist gequirlterUnsinn, was Sie vorige Woche auf Ihrem Parteitag be-schlossen haben .
Sie sagen, Sie seien die Einzigen, die mich unterstütz-ten . Ich freue mich über Ihre Unterstützung, aber Gott seiDank sind Sie nicht die Einzigen; denn sonst käme ichbei meinen Themen nicht voran .
Schließlich sind Sie die Opposition . Ich bin froh, dasswir den Klimaschutzplan verabschieden konnten . Erbenennt erstmalig Sektorziele und bezieht den Verkehrund die Landwirtschaft in die Verantwortung ein . Erstellt zudem völlig klar, dass wir bis zum Jahr 2030 dieCO2-Emissionen insgesamt um 55 Prozent zurückführenmüssen, und fasst langfristige Ziele ins Auge, ohne aller-dings Einzelmaßnahmen für den Zeitraum von 2030 bis2050 zu benennen . Auch das halte ich unter dem Aspektder Technologieoffenheit für richtig; denn ich erwarte,dass wir in den vor uns liegenden Jahrzehnten Techno-logien, die wir jetzt noch gar nicht kennen, zum Schutzedes Klimas einsetzen können . Deswegen bin ich absoluttechnologieoffen .Ich fände es gut, wenn Sie wahrnehmen würden, dassman nicht alles mit Verboten und Geboten regeln kann .Der Bezug auf den Fleischkonsum war selbst in meinemersten Entwurf eines Klimaschutzplans sehr vorsichtigformuliert . Dieser Entwurf bezog sich auf die schon lan-ge bestehende Empfehlung der Deutschen Gesellschaftfür Ernährung . Es wäre gut, wenn wir diese Empfeh-lung bis zum Jahr 2050 umsetzen würden . Der KollegeSchmidt fördert die Deutsche Gesellschaft für Ernährunginstitutionell . Deswegen sehe ich auch für die Zukunftgutes Einvernehmen .
Als nächste Rednerin in der Debatte hat Caren Lay für
die Fraktion Die Linke das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Frau Hendricks, auch ich kann Ihre positive Bi-lanz leider nicht unterschreiben . Beginnen wir doch nocheinmal mit dem Klimaschutzplan . Das war doch ein ein-ziges Trauerspiel .
In letzter Sekunde hat das Kabinett doch noch irgendet-was beschlossen, damit Sie nicht mit völlig leeren Hän-den nach Marrakesch fliegen mussten. Aber das ändertnichts daran, dass Sie dort, wie erwähnt, von NGOs einenNegativpreis für schlechte Klimaschutzpolitik bekom-men haben . Das deutsche Saubermannimage im Klima-schutz ist völlig dahin .
Wie ist es denn gelaufen? Welche Querelen gab es imVorfeld? Herr Gabriel, Ihr Parteifreund, hat 10 MillionenTonnen CO2 zugunsten der Großindustrie herausgeholt .Einsparen mussten Sie selber es dann in Ihrem eigenenRessort, nämlich im Gebäudebereich . Das Ergebnis istnun, dass Haus & Grund und weitere Vermieterverbän-de das Bündnis für bezahlbares Bauen und Wohnen ver-lassen haben . Das Spitzengespräch, das nächste Wochestattfinden sollte, haben Sie heute höchstpersönlich ab-gesagt . Das können Sie uns allen Ernstes doch nicht alsErfolg verkaufen .Wirklich begeistert bin ich von dieser Verschiebungauch nicht; denn bisher müssen die Maßnahmen im Ge-bäudebereich, die der Erreichung der Klimaschutzzieledienen, weitgehend von den Mieterinnen und Mietern ge-tragen werden . Ehrlich gesagt, hat die Regierung daraufkeine Antwort . Weder stellen Sie mehr Haushaltsmittelein, um Mieterinnen und Mieter vor Verdrängung durchModernisierung zu schützen, noch schafft es Herr Maas,gegen die CDU/CSU einen besseren Mieterschutz –Stichwort „Modernisierungsumlage“ – durchzusetzen .Dann kommt noch Herr Schäuble auf den letzten Meternund streicht Ihnen das heraus, was die Energiewende so-zial abgefedert hätte, aber auch Geld gekostet hätte . Un-ter dem Strich ist das ein starkes Stück . Sie entlasten dieGroßindustrie und belasten Mieter und Häuslebauer . Miteiner sozial gerechten Klimaschutzpolitik hat das wirk-lich nichts zu tun .
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Wir sagen: Energetische Gebäudesanierung musssozial abgefedert werden . Deswegen fordern wir Linkenicht nur die Abschaffung der Modernisierungsumlage,sondern auch deutlich mehr finanzielle Mittel zum Schutzder Mieterinnen und Mieter . Wir wollen im nächstenHaushaltsjahr mit 1,2 Milliarden Euro einsteigen . DasVolumen des Programms soll auf insgesamt 5 MilliardenEuro anwachsen . Ansonsten wird es uns nicht gelingen,Mieterinnen und Mieter vor Vertreibung durch energeti-sche Gebäudesanierung zu schützen .
Lassen Sie mich auf das Thema sozialer Wohnungs-bau eingehen . Auch hier kann ich Ihre positive Bilanznicht teilen . Ja, es sind im letzten Jahr 15 000 Sozial-wohnungen neu gebaut worden, aber wir wissen doch,dass mindestens 60 000 Jahr für Jahr wegfallen . Das istkonservativ gerechnet . Das heißt, wir haben immer nochein Minus von 45 000 Wohnungen . Das ist doch wirklichkeine gute Bilanz . Das kann niemanden zufriedenstellen .
Auch wir finden, die Länder sollten das Geld, das sievom Bund bekommen, zweckgerichtet einsetzen . Aberich wundere mich, dass immer die CDU mit diesem Ar-gument kommt . Welche Länder haben denn keine einzigeSozialwohnung in den letzten Jahren gebaut? Das warendas Saarland, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen .Das sind alles Länder, in denen die CDU regiert, im Üb-rigen mit der SPD zusammen . Vielleicht sollten Sie daseinmal auf einem Parteitag klären und nicht hier im Ple-num .Wir Linke fordern 5 Milliarden Euro jährlich für densozialen, gemeinnützigen Wohnungsbau . Nein, meineDamen und Herren, das ist nicht zu viel . Sehen wir unsan, was die Bundesrepublik Deutschland für den sozialenWohnungsbau zum Beispiel 1980 im Vergleich zum Ge-samthaushalt ausgegeben hat . Wenn wir heute denselbenAnteil ausgeben würden, dann müssten es 8 MilliardenEuro sein . Oder schauen wir uns an, was die Stadt Wienfür einen wirklich dauerhaften sozialen Wohnungsbauausgibt . Das sind zwischen 450 und 730 Millionen Eurojährlich, für eine Stadt mit knapp 2 Millionen Einwoh-nern . Die Bundesregierung will gerade einmal doppelt soviel für die gesamte Republik ausgeben .Was ist das Ergebnis? In deutschen Städten sind dieMieten um 30, 40 oder 50 Prozent im Jahr gestiegen,in Wien gerade einmal um 4 Prozent in den letzten vierJahren . Da sieht man, dass man für eine gute Wohnungs-politik auch mehr Geld in die Hand nehmen muss . Ichkann der Großen Koalition nur empfehlen, mehr Wien zuwagen . Das wäre wirklich ein Segen für die Mieterinnenund Mieter .Vielen Dank .
Als nächster Redner spricht Josef Rief von der CDU/
CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe wenige Gäste auf der Tribüne! LassenSie mich, bevor ich zum Einzelplan des Bundesumwelt-und -bauministeriums komme, etwas zum Gesamthaus-halt sagen . Wir werden auch im kommenden Jahr zumvierten Mal in Folge ohne neue Schulden auskommen . Invielen Medien und auch aus den Reihen der Oppositionwird dies gern allein der guten Konjunktur und den nied-rigen Zinsen zugeschrieben . Aber das ist eben nicht dieganze Wahrheit . Dies ist gerade auch das Ergebnis einerverantwortungsvollen Politik, die wir gemacht haben .
Wir haben in den vergangenen Jahren den Haushaltkonsequent konsolidiert und die Rahmenbedingungenfür eine gute Entwicklung hergestellt . Dazu gehört esauch, ohne Steuererhöhungen auszukommen und den-noch wichtige Projekte umzusetzen . Genau das habenwir gemacht .
So haben wir etwa die Kommunen, wie schon gesagtworden ist, in den letzten Jahren stark entlastet, so stark,dass uns der Bundesrechnungshof ermahnt hat – nichtweil wir die Kommunen zu wenig, sondern weil wir siezu viel entlasten . Um es klar zu sagen: Die Entlastungder Kommunen, sei es die Stadt oder der ländliche Raum,ist wichtig. Hier findet das Leben statt, hier erleben dieBürgerinnen und Bürger, dass das, was wir in Berlin be-schließen, auch ankommt .Doch nun zum Einzelplan des Bundesministeriumsfür Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit .Dieser wächst – die Frau Ministerin hat es schon gesagt –gegenüber dem Vorjahr auf über 5,6 Milliarden Euro an .Damit ist es der Einzelplan mit dem größten Aufwuchs .Die Koalition und auch die Opposition – ich weiß, Siekönnen das aus vielerlei Gründen nicht zugeben –, wiralle können mit dem Erreichten sehr zufrieden sein .
Wir haben einen Haushalt, der zukunftsweisend undnachhaltig die Aufgaben anpackt, die sich uns heute undin den kommenden Jahren stellen .Ich möchte mich auch bedanken beim Ministerium,bei Frau Ministerin Hendricks, ihrem zuständigen Staats-sekretär Pronold sowie den Mitarbeitern des Hauses fürdie hervorragende Zuarbeit . Auch das muss hier einmalgesagt werden . Ebenfalls bedanken möchte ich mich beimeinen Mitberichterstattern für die gute Zusammenar-beit .Die Mehrausgaben in diesem Einzelplan finden sichvor allem im Baubereich, auf den ich mich hier konzen-Caren Lay
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trieren möchte . Dabei ist der größte Brocken die Sum-me, die wir an die Länder für den sozialen Wohnungsbauüberweisen . Auch schon gesagt worden ist – aber daskann man nicht oft genug betonen –: Die bisher vorge-sehenen 518 Millionen Euro Kompensationsleistungenhaben wir bereits im laufenden Jahr verdoppelt, und in2017 werden wir sie mit über 1,5 Milliarden Euro ver-dreifachen . Wir reagieren damit auf den gestiegenen Be-darf an Wohnungen . Die Gründe dafür sind vielschich-tig . Der Wohnungsmarkt ist gerade in Ballungszentren,aber auch in prosperierenden ländlichen Regionen, wiezum Beispiel meinem Wahlkreis Biberach, immer stär-ker unter Druck . Dazu tragen natürlich bei verschiedeneWohnformen in einer alternden Gesellschaft, Zuzug ausanderen Regionen Deutschlands und der EU und natür-lich auch der Flüchtlingszuzug . Auch das gehört einfachzur Wahrheit .Wenn wir wollen, dass in Deutschland mehr Woh-nungen gebaut werden, müssen wir aber auch einen Wegfinden, die Länder stärker beim Wort zu nehmen. DieBundesmittel müssen wirklich in der Wohnraumförde-rung ankommen, und sie dürfen nicht in klammen Län-derhaushalten versickern .
– Dann sind wir uns ja einig .Leider ist dies in der Vergangenheit des Öfteren nichtgeschehen . Auch da bedanke ich mich ausdrücklich beiFrau Ministerin Hendricks dafür, dass sie dieses Problemimmer wieder thematisiert . Auch sollten wir im Augebehalten, dass die Kompensationen mit Bundesmittelnmit den damit verbundenen Möglichkeiten im Jahr 2019auslaufen . Dies kann und darf nicht das Ende der Wohn-raumförderung durch den Bund sein . Davon bin ich über-zeugt .Ich plädiere seit langem auch dafür, noch stärker aufdie Unterstützung des privaten Wohnungsbaus zu setzen .Eigentum an selbstgenutztem Wohnraum kann nicht nurein sinnvoller Beitrag zur späteren Alterssicherung sein –gerade wenn sich andere Möglichkeiten verschlech-tern –; vielmehr macht eine neugebaute Eigentumswoh-nung oder ein neugebautes Eigenheim immer auch eineMietwohnung frei, und das entspannt, lokal auf jedenFall, die Situation .
Gerade für Mehrkindfamilien könnte hier etwas getanwerden . Mit Interesse habe ich die Diskussion um dasBaukindergeld verfolgt . Wir dürfen dabei allerdings kei-nen Schnellschuss produzieren . Ein neues Baukindergeldmuss auch Wirksamkeit entfalten können . Es darf auchnicht nur für die Ballungsräume gelten oder erst einmaldie Kreditfähigkeit des Bauherrn infrage stellen . Das istallein Sache der Banken . Was man damit für Problemeschaffen kann, sehen wir beispielsweise bei der Kre-ditrichtlinie .
Skeptiker in der Koalition und vor allem in der Oppo-sition müssen wir überzeugen . Ja, wir alle müssen uns fürdie Häuslebauer einsetzen . Junge Familien dürfen nichtdurch Bürokratie daran gehindert werden, Wohneigen-tum zu schaffen . Wir sollten Anreize geben, dass mehrEigentum und nicht weniger geschaffen werden kann .
Sehr geehrte Damen und Herren, der Bauhaushalt hatseinen Fokus auf Investitionen . Uns, der Union, war eswichtig, beim Thema „Grün in der Stadt“ voranzukom-men . Wir legen nun ein neues Bundesprogramm für neueParks, Straßenbäume und ähnliche Dinge auf und inves-tieren in den kommenden Jahren immerhin 50 MillionenEuro .
Bewährte Programme wie das für national bedeuten-de Städtebauprojekte führen wir mit 75 Millionen Euroebenso weiter wie das Sanierungsprogramm für kommu-nale Einrichtungen in den Bereichen Sport, Jugend undKultur . Entgegen dem Regierungsentwurf stellen wirjetzt noch einmal 100 Millionen Euro zur Verfügung, umder Nachfrage aus den Kommunen nachzukommen . Hierwerden wir maßgeblich darauf achten, dass der ländlicheRaum bei der Mittelvergabe nicht benachteiligt wird .Bereits 2015 hat die CDU/CSU reagiert und das För-derprogramm für Einbruchschutz durchgesetzt . Damitermöglichen wir Eigentümern wie Mietern, ihre Woh-nungen und Häuser besser vor Einbrüchen zu schüt-zen . Diese Mittel versechsfachen wir nun auf insgesamt60 Millionen Euro .Das KfW-Programm für altersgerechtes Umbauenstatten wir mit neuen Mitteln in Höhe von 75 MillionenEuro aus, auch um der großen Nachfrage Rechnung zutragen .
Meine Damen und Herren, der Bauhaushalt erreicht imbesonderen Maße unser Ziel, einen deutlichen Schwer-punkt auf Zukunftsinvestitionen zu setzen und die Mittelnachhaltig auszugeben . Bestehende Spielräume werdensinnvoll genutzt, um unser Land weiterzuentwickeln undauf drängende Probleme zu reagieren . Der Opposition istdas alles nicht genug, wie wir aus den Ausschussberatun-gen und auch aus der Beratung heute wissen . Wir könnenund wollen aber nur das Geld ausgeben, das wir haben .Das sind wir der nächsten Generation schuldig . Das istPolitik für die Zukunft, meine Damen und Herren .Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Als nächster Redner hat Peter Meiwald von der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Werte Kolleginnenund Kollegen! Geschätzte Bürgerinnen und Bürger! Nachdem, was Kollege Kindler und Frau Baerbock schon anGutem und Richtigem und Wichtigem zum Klimaschutz,zum Kohleausstieg und zu dem gescheiterten Plan gesagtJosef Rief
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haben, wollte ich dazu jetzt nichts mehr sagen . Aber nachdem, was wir eben gehört haben, komme ich nicht um-hin, doch noch etwas dazu zu sagen .Zunächst einmal zur Deindustrialisierung . KollegeNüßlein, fragen Sie doch mal die Menschen in Sachsen,die ihre Jobs in der Solarindustrie verloren haben, fragenSie die vielen Menschen im Osten, wer eigentlich für dieDeindustrialisierung verantwortlich ist! Das droht jetztauch in der Windbranche .
– In der Tat, Herr Nüßlein ist gar nicht mehr da; schade . –Aber vielleicht erzählen Sie es ihm . Er soll doch bitte malnach Sachsen gehen und sich da erkundigen, wer eigent-lich für die Deindustrialisierung verantwortlich ist .
– Das war die Koalition von CDU, CSU und FDP .
– Wollen wir das als Zwischenfrage machen, Frau Prä-sidentin?
Das machen wir als Zwischenfrage . Das entscheide
ich jetzt so .
Es ist als Zwischenfrage gewertet worden . Ich will
Ihnen das gern beantworten, wenn Sie mich schon so
freundlich fragen .
Ich gehe einmal davon aus, Herr Grund, dass Sie eine
Antwort wollen . Deshalb sollten wir es als Zwischenfra-
ge werten . Dann kann man korrekt antworten . Sie kön-
nen die Frage noch ergänzen, wenn Sie möchten .
Dann will ich das gern tun . – Sie haben „Deindustri-
alisierung“ gesagt und auf uns gezeigt . Ich habe Sie ge-
fragt, wer die billigen Solarmodule nach Deutschland
geliefert hat, die nach wie vor eingebaut werden . Es ist
kein Mangel an Flächen, an Freiflächen, an Hausflächen,
sondern es besteht offensichtlich ein anderes Problem,
das nach meinem Dafürhalten mit der Regierung herzlich
wenig zu tun hat .
Es war sehr eindeutig, vor allen Dingen noch zu derZeit, als die CDU, die CSU und die FDP die Koalitionhier gebildet haben, dass man einfach gesagt hat: Wirwollen die Solarbranche hier nicht . Wir wollen das nichtübersubventionieren .
Wir wollen nicht, dass ein Markt sich hier entwickelt, denwir hinterher nicht mehr regulieren können . Wir wollenalles dem freien Wettbewerb überlassen .
Wenn man Innovations- und Technologieoffenheitausschaltet und alles nur dem Preis überlässt, dannbraucht man sich nicht zu wundern, wenn die Arbeits-plätze abwandern, nämlich in Billiglohnländer wandern .Die Technologieführerschaft haben wir schon lange ver-loren . Wir verlieren Innovation . Wir verlieren wertvolleArbeitsplätze . Das ist das Ergebnis der Politik, die dievon Ihnen geführte Regierung betrieben hat .
Ich möchte noch etwas sagen, weil uns das ThemaDeindustrialisierung immer wieder beschäftigt . Wir alsGrüne haben ein Interesse daran, dass es hier auch 2030noch eine Automobilindustrie gibt . Wenn Sie sich wei-gern, dafür zu sorgen, dass die Automobilindustrie end-lich den Schalter umlegt, nämlich auf Elektromobilität,dann werden 2030 nur noch Google, Tesla, Apple undvielleicht ein paar innovative chinesische UnternehmenAutos produzieren . Wir als Grüne wollen das nicht . Wirwollen nicht für eine solche Deindustrialisierung verant-wortlich sein . Das müssen Sie sich als Große Koalitionanziehen, wenn Sie nicht bereit sind, in einem Klima-schutzplan endlich verlässliche Vorgaben zu machen, mitdenen die Unternehmen dann auch planen können .
Das kann ich auch Ihnen, Frau Ministerin, nicht durch-gehen lassen .Zum Kohleausstieg . Ich bin ziemlich eng an Energie-unternehmen dran . Ich weiß schon, dass die vor allenDingen eines fürchten, nämlich Planungsunsicherheit .Wenn die Regierung nicht einen klaren Zeitplan aufstellt,in dem sie sagt, wann und in welcher Form aus der Kohleausgestiegen werden soll, dann schafft das Planungsunsi-cherheit . Investitionen werden verhindert, und wir haben2030 einen Strukturwandel, der als Bruch stattfindet undnicht als planbarer Prozess . Das kann nicht der Sinn sein,und so geht auch keine vernünftige Wirtschafts- und Um-weltpolitik vor .
Sie haben ja gesagt, Sie lassen die schwierigen The-men nicht aus . Es gibt ein paar schwierige Themen, zudenen finde ich nicht sehr viel. Dazu steht im Haushaltein bisschen was geschrieben, aber es passiert nichts . DasPeter Meiwald
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lässt sich auch – Sven-Christian Kindler hat es angespro-chen – an der Bilanz der letzten Jahre erkennen .Ein Thema ist das Artensterben . Es gibt nach wie voreine ungebremste Abnahme der biologischen Vielfalt beiuns in Deutschland . Wir wissen, dass die Lage bei In-sekten, aber auch bei vielen anderen Tieren und Pflanzenbedrohlich ist . Das ökologische Gleichgewicht haben wirlängst nicht mehr im Griff . Und das wird auch richtigteuer . Wir haben einmal durch Umweltverbrechen Schä-den . Laut UNEP haben allein die Schäden durch Um-weltverbrechen die Weltwirtschaft im vergangenen Jahr258 Milliarden Euro gekostet . Schäden durch von Men-schen in Kauf genommene Artenverluste und zusätzlicheSchäden, die wir durch Nichtstun verursachen, betragenein Vielfaches von dem . Das heißt, eine Naturschutzof-fensive 2020, die im Haushalt eigentlich keine Rollespielt, die sich nicht kongruent in der Landwirtschafts-politik abbildet, die keine Maßnahmen vorsieht, wie mandie Pestizidverseuchung unserer Ländereien beseitigenkann, die reicht nicht aus, um die Biodiversität in unse-rem Lande zu erhalten .
Zweites Thema – das tut auch weh, weil wir da nichtvorankommen – ist das Thema Flächenverbrauch, Ver-siegelung der Natur . Wir haben ein deutsches Nachhal-tigkeitsziel, das eine Reduzierung des täglichen Flächen-verbrauchs auf 30 Hektar im Jahr 2020 vorsieht . Ich habein den vergangenen drei Jahren keine Aktivität wahrge-nommen, die uns dabei geholfen hätte, uns diesem Zielzu nähern . Im Gegenteil: Wir haben bei den SDGs ei-gentlich vereinbart, 2030 bei 0 Hektar zu sein . Wir ma-chen aber einen Bundesverkehrswegeplan – der in dernächsten Woche im Ausschuss weiterberaten werdensoll –, der das absolute Gegenteil davon macht: Durchdiesen werden weitere Flächen verbraucht und durch Be-tonbänder versiegelt . Das kann nicht im Sinne der Um-welt sein .
Drittes Thema: die Verseuchung unserer Gewässer mitMedikamentenrückständen, mit Pestizidrückständen, mitHormongiften, mit Mikroplastik . All diese Dinge sindadressiert, sie werden diskutiert . Bezüglich Mikroplas-tik heißt es jetzt: Wir machen einen Kosmetikdialog bis2020 . So sieht doch keine Politik aus, die zielgerichtetist und die die Umwelt, die Menschen und die Gesund-heit der Menschen schützen will . Wir wissen, dass dieKosmetikindustrie 2014 gesagt hat, sie könne bis 2016aus Mikroplastik in Kosmetika und Reinigungsmittelnaussteigen . Wir haben jetzt Ende 2016, und Sie reden da-von, dass wir einen Dialog bis Ende 2020 machen . Dasist nicht angemessen, und das hat mit Gesundheitsschutznichts zu tun .
Auch in Brüssel fällt immer mehr auf, dass diese Re-gierung der ehemaligen Umweltministerin Merkel in derUmweltpolitik zum Seriensünder wird . Ich lese das nureinfach mal vor: Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, Flug-routen, Luftreinhaltung/Feinstaub, Luftqualität/Stick-stoffdioxid, Umgebungslärm, Naturschutz/Moorburg,Naturschutz/Besondere Schutzgebiete, Naturschutz/Sylter Außenriff, Wasserwirtschaft, Weser/Werra, Nitrat,Abfall . – Es geht dann weiter: Benzindampfrückge-winnung, Seveso III, Gewässerschutz/prioritäre Stoffe,Gewässerschutz/Anhangsänderung . – 16 Verfahren derEU-Kommission allein im Umweltbereich laufen gegenunser Land . Das hat auch mit Strafzahlungen zu tun; daswird auch teuer für den Bürger, wenn diese Regierungihre umweltpolitische Arbeit nicht macht .
Wir haben das Thema Feinstaub . Wir wissen selbst:Nach mehr als einem Jahr ist der Abgasskandal in keinerWeise auch nur ansatzweise im Griff . Aber wen wundertdas bei diesem Verkehrsminister? Man fragt sich bei ihmja, ob er noch an der Tankstelle steht, weil der Sprit wie-der teurer geworden ist, weil wir zu viel verbrauchen,viel mehr, als die Autos eigentlich, wie wir hörten, ver-brauchen sollten, oder ob er noch im Stau der Verkehrs-politik der 60er-Jahre steckt .Aber Sie, Frau Ministerin Hendricks, haben ein Um-weltbundesamt, das das erkannt hat . Und? Die Kraftreicht nicht aus . Es gibt keine Kohärenz, keine Zusam-menarbeit in der Regierung, um das im Bundesverkehrs-wegeplan abzubilden, was Sie und wir längst wissen: EinBundesverkehrswegeplan, der weiterhin auf Individual-verkehr setzt, ist nicht zukunftsfähig .
Ich könnte jetzt noch etwas zur europäischen Wocheder Abfallvermeidung sagen, die gerade aktuell ist . Ichkönnte noch etwas zur Umweltproblematik in CETA sa-gen . Aber ich glaube, meine Zeit geht jetzt doch langsamdem Ende entgegen; deswegen will ich mich da kurz fas-sen .
– Ja, das ist in der Tat schade, dass wir als Opposition sowenig Redezeit haben; aber es nützt ja nichts .
Aus Umweltsicht muss man eindeutig sagen, dass dieLähmung des notwendigen Regierungshandelns durchdie Eitelkeiten insbesondere der CSU-geführten Ministe-rien Agrar und Verkehr, aber auch des Wirtschaftsminis-teriums – das kann man der SPD nicht ersparen – in denletzten drei Jahren zu einem Rollback im Umwelt- undNaturschutz geführt haben . Dabei ließe der Haushalt jagestaltendes Regierungshandeln zu .
Herr Kollege, ich muss Sie jetzt aber wirklich auffor-
dern, zum Schluss zu kommen . Ihre Redezeit war näm-
lich vorhin schon abgelaufen .
Ja . – Diese Regierung hat die Chance vertan . Ob maneine Null, die man am Ende als Ergebnis im Haushalt hat,Peter Meiwald
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als rote oder als schwarze Null bezeichnet, ist egal; derNatur nützt es nichts .Vielen Dank .
Als nächster Redner hat Carsten Träger für die
SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Nach demRundumschlag, der wohl noch eine Nachwirkung vomParteitag der Grünen ist – diese schöne Rede hat manda wahrscheinlich auch gehört –, möchte ich jetzt gernewieder über den Haushalt des Ministeriums für Umweltund Naturschutz sprechen . In meinem Fall kann ich sa-gen: ein guter Haushaltsentwurf mit vielen guten Ansät-zen und einem erheblichen Aufwuchs; ein umweltpoliti-scher Erfolg in schwierigen Zeiten .
Fracking, Clean Coal, CCS, Atomstrom – in gera-de einmal zweieinhalb Minuten hat uns der designierteUS-Präsident via Social Media mitgeteilt, wie er sichseine ganz eigene amerikanische Energiewende vorstellt .
Wir haben es kommen sehen . Trotzdem gab es ja nocheinen kleinen Rest Hoffnung, dass er sich nach der Wahlvielleicht eines Besseren besinnen würde . Das hat ernicht getan . Wenn diesen Ankündigungen Taten folgen,dann wird der Klimaleugner Trump die Bemühungen derinternationalen Staatengemeinschaft um Jahre zurück-werfen .Wie stolz kann und muss man angesichts dieses Hin-tergrunds auf den Kurs unserer Regierung sein!
Ich bin stolz auf unsere Umweltministerin,
sei es bei der Naturschutz-Offensive, sei es beim Integ-rierten Umweltprogramm, sei es beim Klimaschutzplan .Barbara Hendricks weiß, dass nur nachhaltige Politiklangfristig funktioniert .
Nur die gleichberechtigte Zusammenarbeit von öko-logischen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen stelltsicher, dass es in der Bevölkerung Akzeptanz für dasWirtschaftswachstum in einer intakten Umwelt gibt . DieMinisterin weiß das nicht nur; sie streitet auch dafür .
Mit dem Integrierten Umweltprogramm hat sie jüngst ei-nen weitsichtigen Fahrplan vorgelegt .Wir müssen raus aus dem Ressortdenken, bei demjeder kluge Pläne für seinen eigenen Bereich aufstellt,ohne die Auswirkungen auf die anderen Bereiche mit-zudenken . So geht es nicht . Klimaschutz und Erhalt derArtenvielfalt werden nicht gelingen, wenn das Umwelt-ministerium allein vor sich hinwurschtelt . Hier müssenUmwelt, Landwirtschaft, Verkehr und natürlich auch dieWirtschaft zusammenarbeiten .Es geht ja gar nicht um griesgrämigen Verzicht oderum Verbote; es geht um intelligente Rahmenbedingun-gen, die den Wandel unserer Gesellschaft anreizen – fürtechnologische Innovationen, für eine aktive Zivilgesell-schaft, für Umweltbildung .Die Ministerin kämpft in dem Wissen, dass ohne in-takte Umwelt alles andere nicht möglich ist . Schon heutesind vier von neun planetaren Grenzen überschritten . Daslässt Sie – nach dem Motto: Hauptsache, die Wirtschaftbrummt; der Fortschritt wird es schon richten; es ist nochimmer gutgegangen – kalt? Mich lässt das nicht kalt –und sehr viele Menschen in unserem Land auch nicht .Ich danke den Menschen, die sich für den Umwelt-schutz engagieren . Damit steht man nicht im Rampen-licht, damit macht man nicht das große Geld; aber allehelfen ein kleines Stück mit .
Deshalb freue ich mich darüber, dass wir eine Erhö-hung der Mittel für das Bundesprogramm BiologischeVielfalt erreichen konnten . Dafür hat die SPD hart undlang gekämpft . Jetzt stehen 20 Millionen Euro in 2017für Projekte zum Erhalt der Artenvielfalt, zum Gewäs-serschutz und zu Maßnahmen zur Umweltbildung bereit .Ein großer Erfolg ist für die SPD auch der Aufwuchsbei den Zuschüssen für die Umweltschutzverbände . Sowichtig das Engagement jedes Einzelnen ist, so ist esdoch unverzichtbar, dass die Verbände die Kompetenzenund das Engagement bündeln und immer wieder den Fin-ger in die Wunde legen .
Sie sind die Lobbyisten der Natur . Wir brauchen dieseunermüdlichen Mahner .Darüber hinaus haben wir das Exportprogramm fürgrüne und nachhaltige Umwelttechnologien um 5 Milli-onen Euro verstärkt . Diese Initiative soll das Auslandsge-schäft der deutschen Umweltwirtschaft unterstützen undso den Aufbau von Umweltinfrastruktur fördern .Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mir ganz wich-tig ist: Wir setzen unsere Unterstützung von Maßnahmenzur Bekämpfung von Wilderei fort . Wir unterstützen wei-terhin mit 3 Millionen Euro Projekte, die sich gegen denPeter Meiwald
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illegalen Handel mit Elefanten- und Nashornproduktenin Ursprungsländern, in Transitländern und auch in Ab-nehmerländern richten . Hier ist Deutschland ein weiteresMal in einer Vorreiterrolle .
Das ist gut so, und das muss auch unsere Antwort aufLeute wie Trump sein . Wir dürfen uns nicht beirren las-sen . Das Zeitalter der fossilen Energieerzeugung geht un-weigerlich zu Ende . Wir wissen das,
wir bereiten uns vor, und wir bauen eine Brücke in dieZukunft .Herzlichen Dank .
Als nächster Redner hat Hubertus Zdebel von der
Fraktion Die Linke das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin Hendricks!
Ich möchte ein paar Takte zu einem Thema sagen, das
meines Erachtens heute noch viel zu kurz gekommen
ist, nämlich zum Thema Atompolitik . Sie haben in Ihrer
zwölfminütigen Rede gerade einmal drei bis vier Sätze
dazu gesagt, Frau Ministerin . Ich fand das ein bisschen
mager bei diesem sehr wichtigen Thema . Von den Ab-
geordneten der anderen Fraktionen ist das Thema bisher
überhaupt noch nicht angesprochen worden .
Derzeit werden die Verantwortlichkeiten bei der Atom-
müllendlagerung nämlich neu geregelt . Dazu gehört auch
die Frage: Wer zahlt eigentlich letztlich die Kosten für
die Endlagerung des Atommülls? Jahrzehntelang galt:
Die Atomunternehmen als Verursacher übernehmen die
Kosten . Dieses Versprechen soll nun gebrochen werden .
Gegen eine geringe Einmalzahlung sollen die Konzerne
nach dem Willen der Bundesregierung von der Kosten-
verantwortung befreit werden .
Die Regierung stützt sich dabei auf Empfehlungen der
von ihr eingesetzten Trittin-Kommission mit Vertreterin-
nen und Vertretern aus dem Umfeld von CDU/CSU, SPD
und Grünen . Die Linke war nicht vertreten . Das Motto
lautet: Der Staat übernimmt den Atommüll . Die Konzer-
ne hatten die Gewinne, die Steuerzahlerinnen und Steu-
erzahler sollen die Kosten tragen .
Das ist skandalös, was da geplant wird,
und eine schwere Belastung, wenn es darum geht, einen
gesellschaftlichen Konsens mit Blick auf die sichere La-
gerung der radioaktiven Abfälle zu erreichen .
Die Linke plädiert dafür, den Umgang mit der La-
gerung aller Arten radioaktiver Abfälle wirklich neu zu
starten, und zwar in einem umfassenden gesellschaftli-
chen Prozess und mit umfassenden Rechten der Bürge-
rinnen und Bürger dieses Staates .
Deshalb fordert die Linke die Umschichtung von Finanz-
mitteln aus den verbrannten und ungeeigneten Standor-
ten Gorleben und Schacht Konrad und setzt stattdessen
auf die deutliche Aufstockung der Mittel für den Endla-
gersuchprozess .
Die bisher vorgesehenen 4,6 Millionen Euro sind dafür
viel zu wenig .
Einst nutzte die Atomindustrie die Asse im Südosten
Niedersachsens als billige Müllkippe . Die dort vor Jahr-
zehnten eingelagerten 126 000 Fässer mit schwach- und
mittelradioaktivem Müll rosten in der einsturzgefährde-
ten Anlage vor sich hin . Weil der Salzstock Asse zudem
mit Wasser vollzulaufen droht, wird seit einigen Jahren
versucht, den Atommüll zu bergen . Ob das gelingt, weiß
im Moment niemand . Nun soll auf der 750-Meter-Soh-
le der marode Salzstock verfüllt werden . Bürgerinnen
und Bürger sowie Fachleute befürchten, dass damit die
Rückholung mindestens deutlich erschwert würde, und
fordern ein Moratorium . Diese Fragen müssen unserer
Meinung nach mit den Beteiligten in der Asse-Begleit-
gruppe geklärt werden . Die Verfüllung darf nicht wie ge-
plant durchgeführt werden .
Wir fordern in unserem Entschließungsantrag, die dafür
im Haushalt eingestellten 1,4 Millionen Euro zu strei-
chen und stattdessen anderweitig zu verwenden .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Als nächster Redner hat Christian Hirte für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorzwei Wochen hat der MDR bei den Kollegen des Haus-haltsausschusses eine Umfrage gemacht, welches dieLieblingszahl im Haushalt des nächsten Jahres sei . EsCarsten Träger
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wird Sie nicht überraschen, dass ich einer derjenigen bin,denen die Null besonders gut gefällt .
Man kann gar nicht oft genug betonen, welch großehistorische Leistung es ist, dass wir nicht nur im nächstenJahr wieder ohne Nettoneuverschuldung auskommen,sondern es auch die gesamte bisherige Legislaturperio-de geschafft haben, und das, obwohl wir erheblich mehrGeld in die Hand genommen haben für Zukunftsinvesti-tionen, für Infrastruktur, für Familien, für Bildung undForschung, für Sicherheit – sowohl innen als auch au-ßen – oder auch für Kultur .Ich glaube, das ist ein Grund, auch mal froh sein zukönnen . Das sage ich insbesondere mit Blick auf die Op-position, verbunden mit der Frage, ob es nicht manchmalauch eine Nummer kleiner ginge, was die Vorwürfe an-belangt, die Sie gegenüber uns von der Koalition gerademit Blick auf den diesjährigen Haushaltsplan erheben .Ein Wort der Anerkennung für den grundsätzlich erfolg-reichen Weg, den wir gemeinsam beschreiten, und einWort des Respektes dafür, dass unser Land in einer Lageist wie kein anderes in Europa, wären zumindest ange-messen .Ich denke – das will ich gleich vorab sagen –, dasswir einen hervorragenden Haushalt für das nächste Jahr,2017, vorlegen und ein bisschen stolz auf die Arbeit seinkönnen, die wir gemeinsam geleistet haben, auch mitBlick auf die Fortschritte, die nach der Einbringung inden Haushaltsberatungen erzielt werden konnten .
Weil uns das Thema Umweltschutz wichtig ist, gibt esauch im Etat für Bau und Umwelt erhebliche Aufwüch-se – die Ministerin hat darauf hingewiesen –: über 1 Mil-liarde Euro mehr im Umwelt- und Bauetat, nicht nur fürMaßnahmen im Inland, etwa im Bereich des Wohnungs-baus, sondern auch für Aufgaben im Rahmen unsererVerantwortung für die globalen Aufgaben im Bereich derUmwelt- und Klimaschutzpolitik . Wir stellen für die In-ternationale Klimaschutzinitiative deutlich mehr Mittelzur Verfügung, und ab 2018 werden wir diese jährlichum 75 Millionen Euro aufstocken .Meine sehr geehrten Damen und Herren, insbesonde-re von den Grünen, natürlich ist es so, dass Deutschlandweltweit immer noch für seine Vorreiterrolle beim Kli-maschutz geschätzt wird .
Jetzt mögen Sie hingehen und behaupten, dass wir unse-re Aufgaben nicht gut wahrnehmen, aber die weltweiteWahrnehmung ist eine andere . Knapp 50 Länder haben inder letzten Woche beim Gipfel in Marrakesch angekün-digt, ihren Energiebedarf möglichst bald zu 100 Prozentaus erneuerbaren Energien zu decken .
Die Staaten des Climate Vulnerable Forum sind nichtweit von dem entfernt, was wir in Deutschland mit demKlimaschutzplan auf den Weg gebracht haben .
Es ist so, dass viele dieser Länder gar nicht darüber dis-kutieren können, wie man aus der Kohle aussteigt, weilsie schlicht keine haben .
Natürlich ist es gut und richtig, dass sie gar nicht erst ineine solche Technologie einsteigen; aber wir haben sie,und wir müssen auch dafür Sorge tragen, dass bei uns,
in einem industrialisierten Land, Strom dauerhaft sicherverfügbar und auch bezahlbar bleibt .
Ich glaube, da haben wir Gutes auf den Weg gebracht .Das gilt im Übrigen auch für den Klimaschutzplan,der von der Bundesregierung vorgelegt wurde . Ich den-ke, wenn man ihn genau lesen würde – das rege ich an –,würde man feststellen, dass es dem Plan angesichts derihm innewohnenden Konsequenz auch bei den Sektor-zielen, die die Ministerin angesprochen hat, immanentist, dass natürlich auch wir in Deutschland aus der Koh-leverstromung aussteigen werden .
Wir wollen anderen Ländern, insbesondere den ar-men, Hilfestellung bei der Umstellung auf emissions-freie Stromerzeugungstechnologien und bei vielen an-deren Umwelttechnologien geben . Insofern ist es gut,dass wir in Deutschland insoweit einen Beitrag leisten,als wir erneut eine Exportinitiative für Umwelttechno-logien auflegen. Ich bin den Kollegen Berichterstatternausdrücklich dankbar, dass wir das gemeinsam gemachthaben . Ich glaube, wenigstens das könnten Sie von denGrünen doch ausnahmsweise einmal wertschätzen; dennich glaube, diese Initiative ist gut, um die Situation inDeutschland im Hinblick auf Arbeitsplätze, für den Be-reich Forschung und Entwicklung, zu verbessern undgleichzeitig dort zu helfen, wo Bedarf besteht, um soauf internationaler, globaler Ebene etwas für den Klima-schutz zu tun .
Christian Hirte
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Vorhin gab es ganz kurz schon eine Diskussion zumThema Solarenergie . Da könnte man sagen, das war qua-si ein großangelegtes, aber leider extrem teures Projektzum Export von Umwelttechnologien . Die Solarindustriein Deutschland ist deswegen kaputtgegangen, weil wirsie schlicht überfordert haben .
Die deutschen Produzenten waren angesichts der hohenFördersätze nicht in der Lage, mit der Produktion hinter-herzukommen . Das hat dazu geführt, dass wir andern-orts, insbesondere in Südostasien, die Produzenten erstgroß gemacht haben .
Andere Themen wurden schon angesprochen; ichmuss es nicht wiederholen . Die Mittel für die inter-nationale Zusammenarbeit, etwa für die europäischeKlimaschutz initiative, haben wir mehr als verdoppelt,auf 17 Millionen Euro . Auch da zeigt sich, dass sichDeutschland nicht nur auf nationaler, sondern auch aufeuropäischer und internationaler Ebene engagiert .Die Biodiversität ist angesprochen worden . Auf natio-naler Ebene ist insbesondere die Nationale Strategie zurbiologischen Vielfalt von Bedeutung . Mit einem Mittel-aufwuchs um 5 Millionen Euro auf 20 Millionen Euro für2017 leisten wir, denke ich, einen wichtigen Beitrag zurStärkung der Biodiversität .
Besonders freue ich mich über den neuen Werra-Uls-ter-Weser-Fonds, mit dem dafür Sorge getragen werdensoll, dass die von der Kaliproduktion betroffenen Anrai-ner beim Umgang mit den negativen Folgen unterstütztwerden .
Zur Wahrheit gehört, dass wir Kaliproduktion benöti-gen, und ich hoffe, dass wir uns einig sind, dass die welt-weite Ernährungssituation nur mit Kalidünger bewältigtwerden kann . Wir wollen und müssen auch in Deutsch-land unseren Beitrag dazu leisten . Dazu ist es erforder-lich, dass wir die Produktion beibehalten, aber eben auchdenjenigen helfen, die durch die Folgen der über 100 Jah-re währenden Produktion und der jahrzehntelangen Ver-pressung, zum Beispiel in der Region Gerstungen, belas-tet sind . Das wollen wir mit Nachteilsausgleichen in denBereichen Wohnen, Infrastruktur, Siedlungsentwicklung,Arbeit und Wirtschaft, Bildung, Kinder- und Jugendar-beit, Soziales und Gesundheit, Mobilität, Freizeit undTourismus, Kultur, Sport und Engagementförderung so-wie Wissenschaft und Forschung tun .
Als Thüringer erlauben Sie mir zuletzt noch eine An-merkung zu einem Thema, das 2019 auch in meinemHeimatland eine besondere Rolle spielen wird: 100 JahreBauhaus .
Wir stellen im Etat des BMUB 500 000 Euro zur Verfü-gung, um die Arbeit der gemeinsamen Geschäftsstelle inWeimar zu unterstützen . Das ist richtig und angebracht,weil das Bauhaus die Welt im besten Wortsinn veränderthat . Das kann man städtebaulich an sehr vielen Orten,nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, nachvollzie-hen . Aber das Thema Bauhaus entfaltet auch im Bereichvon Kunst und Kultur bis heute seine Wirkungen . Des-wegen haben wir nicht nur im Einzelplan 16, sondern –das sage ich schon einmal in Vorausschau auf die morgenzu debattierenden Etats – auch im Bereich der Kultur-staatsministerin weitere 3 Millionen Euro und im Bereichdes Auswärtigen Amtes weitere 2 Millionen Euro auf denWeg gebracht, um dafür Sorge zu tragen, dass wir diesesJubiläum im Jahr 2019 angemessen begehen können .
Wir haben – auch da bin ich froh, dass wir im Kultur-bereich so viel auf den Weg bringen konnten – zum Bei-spiel für das Reformationsjubiläum erneut Mittel in dieHand genommen . Das betrifft nicht nur den Bereich desBaus, wo wir zum Beispiel wieder Möglichkeiten haben,in Sakralbauten zu investieren, sondern auch die Tatsa-che, dass wir, nachdem wir im Jahr 2011 mit 5 MillionenEuro begonnen haben, im nächsten Jahr bei 11,65 Milli-onen Euro landen, die wir in den Haushalt einstellen, umdas Reformationsjubiläum angemessen begehen zu kön-nen . 280 Projekte konnten bislang gefördert werden . Dasist eine hervorragende Maßnahme, die wir jetzt – im klei-nen Maßstab – auch beim Bauhaus fortsetzen werden .Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke,haushalterisch hat es selten – ich würde sogar sagen:nie – bessere Zeiten für unser Land gegeben . Wir habenkeinerlei Anlass, uns von Sorgen und Missmut umtreibenzu lassen . Im Gegenteil: Wir sollten deutlich machen,wie gut es unserem Land geht . Kein anderes Land – soeine Studie aus Großbritannien – bietet so hervorragen-de Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten für jungeMenschen . Wenn das nicht das Beste ist, was Politik ineinem Land für die Zukunft leisten kann, weiß ich esauch nicht . Dazu haben wir, auch wir Haushälter, unse-ren Beitrag geleistet . Vielen Dank allen, die sich da miteingebracht haben .Vielen Dank auch für Ihre Aufmerksamkeit .
Als nächster Redner hat Michael Groß für die
SPD-Fraktion das Wort .
Herzlichen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauer! Das LandChristian Hirte
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bietet Chancen, das ist richtig, für viele – für viele abereben auch nicht . Ich schaue nicht mit besonderer Liebeauf die Null – sie ist wichtig –, sondern lieber auf das, waswir gemeinsam, aber insbesondere Barbara Hendricks er-reicht hat: nämlich dass wir in die Zukunft investieren,dass wir einen Haushalt auf den Weg gebracht haben, derum 24 Prozent aufgewachsen ist und eben auch zeigt,dass wir für Menschen investieren wollen, damit sie aucheine Zukunft in unserem Land haben .
Kollege Meiwald, ich hoffe, wir sind über den Standhinaus, dass wir hier gute und schlechte Arbeitsplätzegegeneinander ausspielen . Es geht um Arbeit für alle,gute Arbeit mit guten Löhnen . Es gibt sicherlich nochMenschen, die Arbeitsplätze haben, die Sie nicht mehrsehen wollen . Sie haben einen entsprechenden Beschlussgefasst . Nur: Diese Menschen müssen die Mieten bezah-len, sie müssen die Energiewende bezahlen, sie müssenden Umweltschutz bezahlen, und wir müssen dafür sor-gen, dass sie all das auch bezahlen können . Deswegen istes wichtig, dass wir die Pfade beschreiten, die BarbaraHendricks beschrieben hat .
Sie hat einen Ausstiegsplan vorgelegt,
der eine Dekarbonisierung bis 2050 vorsieht . Ich kannIhren Vorwurf nicht verstehen, dieser Plan sei nicht ge-nügend konkret .
Wir haben auf unserem Weg viel erreicht . Aber ins-besondere den Unionskollegen möchte ich sagen: DerMarkt wird nicht alles richten, aber wir brauchen alleAkteure . Ich glaube, wir brauchen vor allen Dingen – dashabe ich hier schon einmal gesagt – stärkere kommunaleUnternehmen als Korrektive auf dem Wohnungsmarkt .Zurzeit besitzen diese bundesweit 3 Millionen von22 Millionen Mietwohnungen . Dieser Anteil ist viel zugering . Deshalb gelingt es uns auch nicht, die Mieten aufdem Wohnungsmarkt in der Form zu korrigieren, dassdie Menschen sie bezahlen können .Wir haben aber Folgendes gemacht: Wir haben dieMittel für die soziale Wohnraumförderung verdreifacht .Wenn Ihre Arithmetik stimmt, dass wir mit 500 Millio-nen Euro in 2015 circa 15 000 Wohnungen mit Sozial-bindung bauen konnten, dann werden wir diese Zahl jetztverdreifachen . Ich sage aber deutlich: Wir von der SPDerwarten von den Ländern, dass sie aktiv werden und dieSummen heben .
Für Nordrhein-Westfalen kann ich sagen – es wirdschon den ganzen Tag mit Blick auf Nordrhein-WestfalenWahlkampf gemacht –: Wir sind deutscher Meister imBau von Sozialwohnungen . 40 Prozent der Wohnungenmit Sozialbindung, die in Deutschland im letzten Jahr ge-baut worden sind, sind in Nordrhein-Westfalen geschaf-fen worden .
Ich glaube, damit sind wir ein gutes Vorbild . Wenn alleLänder so handeln würden, dann hätten wir ein gutesWohnungsangebot . Das ist doch wohl eine klasse Sache .
Die Ministerin hat schon darauf hingewiesen, dass wirfür den Investitionspakt „Soziale Integration“ 200 Mil-lionen Euro jährlich zur Verfügung stellen . Ich halte dasfür ein außerordentlich wichtiges Programm, weil es hier,neben dem Städtebauförderprogramm „Soziale Stadt“,insbesondere um das Zusammenleben in den Städten undum Zusammenhalt in der Nachbarschaft geht .Wir wollen auch die Städte unterstützen, die nicht Teilder Programmgebiete der sozialen Wohnraumförderungsind, vor allen Dingen im Städtebauförderprogramm„Soziale Stadt“ . Neu ist auch, dass wir vorhaben, Men-schen als Quartiersmanager zu bezahlen, die den Zusam-menhalt gewährleisten und moderieren sollen . Ich glau-be, das ist ein guter Weg, um die Städtebauprogrammezu ergänzen .Ich möchte mich bedanken . Insbesondere richtet sichmein Dank an Frau Dött . Die Grüne Hauptstadt Essen er-hält mehr Geld, und zwar 3 Millionen Euro . Das ist einegute Sache, um auch das Thema Klimaschutz im Ruhrge-biet voranzubringen . Die Stadt Essen kann das Geld sehrgut gebrauchen .Zum Thema: Was haben wir erreicht? Frau Bluhm, Siesagen: Wir haben verwaltet . – Ich glaube, wir haben so-zialdemokratisch gestaltet . Frau Hendricks hat deutlichgemacht: Das BBSR hat Anfang 2015 geschätzt, dass wiraufgrund des Zuzugs der vielen Menschen in unser Landcirca 270 000 Wohnungen benötigen . In diesem Jahrwerden wir etwa 300 000 Baugenehmigungen erreichen .Aus meiner Sicht werden wir also die geschätzten Zah-len des BBSR in Bezug auf den Bau neuer Wohnungenannähernd erreichen .Ich glaube, wir befinden uns auf einem guten Weg.Aber die Maßnahmen reichen bei weitem nicht aus . Esist sicherlich wichtig, dass wir eine Diskussion über dasThema „Gemeinwohlorientierung“ führen . Wir müs-sen die Unternehmen unterstützen und fördern, die sichneben dem Thema „bezahlbares Wohnen“ auch um dasThema „Stadtteilquartiere“ kümmern . Sie sollen dafürsorgen, dass es Anlaufstellen und Nachbarschaftszentrengibt . Es muss Akteure geben, die sie bei ihrer Beteiligungan politischen Prozessen unterstützen . Deswegen werdenwir uns als Sozialdemokraten auf den Weg machen undprüfen, wie wir die Gemeinwohlorientierung unterstüt-zen können .
Ich bin fast am Ende meiner Rede . Ich möchte, wennSie mir das erlauben, noch zwei Sätze zur BImA sagen .Es ist aus meiner Sicht nicht akzeptabel, dass die BImAbisher von den 100 Millionen Euro, die wir zur Verbilli-Michael Groß
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gung der Konversionsflächen zur Verfügung gestellt ha-ben, nur 3,5 Millionen Euro ausgegeben hat .
Es sollte auch eine Subventionierung zum Bau von So-zialwohnungen geben . Es ist nicht akzeptabel, dass dieBImA hier noch nichts umgesetzt hat .
Es gibt keinen einzigen Vertrag . Ich glaube, es ist an derZeit, das BImA-Gesetz zu novellieren .Herzlichen Dank .
Als nächster Redner hat Volkmar Vogel für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Wohnen wird nichteine soziale Frage, Wohnen ist eine soziale Frage, und –ich denke, da stimmen Sie mir alle zu – Wohnen war auchschon immer eine soziale Frage . Nach meiner Überzeu-gung ist die beste, die sozialste Antwort auf diese Frage,so viele Menschen wie möglich dazu zu bringen, in ihreneigenen vier Wänden zu wohnen, ihnen die Möglichkeitzu geben, sich Wohnraum zu schaffen .
Jeder Vogel baut sein eigenes Nest .
Der Spruch ist nicht von mir, er ist von meinem Vater .Diesen Spruch hat er uns mit auf den Weg gegeben, alser als ehrbarer Kraftfahrer in Eineborn in Thüringen seinHaus gebaut hat . Ich glaube, er ist ein kluger Mann, unddas, was er sagt, ist richtig .Auf die Art und Weise machen wir nicht nur eineMietwohnung frei für andere Menschen, nein, all die-jenigen, die sich diesen Traum verwirklichen können,sorgen auch für ihr Alter vor, bilden Vermögen, auf dassie zurückgreifen können, und sorgen dafür, dass unsereWohnquartiere stabil sind, dass dort in Eintracht gelebtwird und soziale Spannungen vermieden werden . Des-wegen ist es wichtig, dass wir die Wohneigentumsförde-rung voranbringen .
Das ist auch aktive Familienpolitik . Deswegen werbeich sehr dafür, dass wir, so gut unser Haushalt auch aus-gestattet ist, auch einfache Dinge tun und zum Beispieldie Höchstgrenze für die Wohnungsbauprämie, die seit20 Jahren unverändert ist, anheben . Das hilft vor allemvielen jungen Familien . Wenn wir auch noch die Famili-enkomponente ausbauen, dann hilft das vor allen DingenFamilien mit Kindern .
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Kinderkompo-nente weiter ausgebaut werden muss, weil – ich kommedarauf zurück –: Jeder Vogel baut sein eigenes Nest .Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssenuns mit den Ländern in Fragen der Baulandbereitstellungund der Grunderwerbsteuer verständigen . Die aktuelleSituation läuft dem zuwider, was wir immer fordern: DieLeute sollen mobil sein . Aber wenn sie in eine andereStadt gehen und dort ein Haus erwerben wollen, werdensie immer wieder aufs Neue mit der Zahlung einer zuhohen Grunderwerbsteuer bestraft .Meine Bitte an unseren Bundesjustizminister Maaslautet: Die Wohnimmobilienkreditrichtlinie muss praxis-tauglich gemacht werden .
Sie ist entstanden in der ersten Angst nach der Finanzkri-se – das ist richtig –, jetzt kommt es aber darauf an, siepraxistauglich zu machen . Zurzeit sind vor allen Dingendie U 30, also die jungen Familien, gekniffen, aber auchdie Ü 50, also diejenigen, die sich noch einmal daranma-chen, ein Haus zu sanieren oder neu zu gestalten; auchfür die wird es schwierig . Hier müssen Anpassungen er-folgen . Das müssen wir auf den Weg bringen .Aber nicht jeder kann ein eigenes Haus bauen odereine eigene Wohnung kaufen, und das will auch nicht je-der . An diese Menschen müssen wir natürlich auch den-ken . Deswegen kommt es darauf an, den Mietwohnungs-bau im Auge zu behalten . Wir brauchen unbedingt einenausgeglichenen Mietwohnungsbau in allen Segmenten:im preiswerten Segment, im mittleren Segment, aberauch im hochpreisigen Segment . Das gehört alles zusam-men . Deswegen müssen wir vor allem die Bauaktivitätenunterstützen . Wenn gebaut wird, wenn genug Wohnraumzur Verfügung steht, dann gelingt es am besten, für einenAusgleich zu sorgen .
Vor allen Dingen müssen wir natürlich den bezahlba-ren Wohnraum für diejenigen im Auge behalten, die nurüber einen geringen Lohn verfügen oder zu einer mittle-ren Einkommensgruppe gehören . Das gilt insbesonderedann, wenn es sich um Familien handelt . Dabei hilft dasOrdnungsrecht über die größte Not hinweg, bei kurzfris-tigen Schwierigkeiten . Die Mietpreisbremse wird uns aufDauer aber nicht helfen .
Wir können sie immer nur zeitlich begrenzt einsetzen .Auf Dauer wird sie das Problem nicht lösen .Ich möchte hier eine Lanze für unsere Wohnungsun-ternehmen brechen, insbesondere für die kommunalenund für die genossenschaftlichen . Das, was sie für dasMichael Groß
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Gemeinwohl in den Kommunen leisten, das, was sie anAufgaben der Kommunen übernehmen, weil diese sie –aus welchen Gründen auch immer – nicht bewältigenkönnen, ist enorm und aller Anerkennung wert . Ich bittedarum, dass wir genau überlegen, ob wir dieses Engage-ment durch zusätzliche Reglementierungen, zum Bei-spiel durch die Grenzen, die uns die Gemeinnützigkeitvorgibt, weiter einengen oder ob wir es gestalten undfördern, zum Beispiel durch unsere Städtebauförderpro-gramme .
Mein Dank geht auch an unsere Haushälter, und zwardafür, dass wir die Mittel für die Städtebauförderung von650 Millionen Euro auf 740 Millionen Euro erhöht ha-ben und zusätzlich die Kompensationsmittel, die an dieLänder fließen, von ursprünglich 580 Millionen Euro aufjetzt 1,5 Milliarden Euro angewachsen sind . Ich bitteFrau Ministerin Hendricks, genau darauf zu achten – das,was mein Kollege Michael Groß für die SPD gesagt hat,gilt für uns, die Union, genauso –, dass die Länder dieseMittel zweckentsprechend einsetzen: für sozialen Woh-nungsbau und für preiswerte, bezahlbare Wohnungen aufallen Ebenen . Ich bitte die Linken, darauf zu achten, dassdies auch in deren Verantwortungsbereich geschieht .Ich weiß aus Thüringen, dass die Mittel für den sozialenWohnungsbau dort leider nicht zu 100 Prozent abgerufenworden sind .
Besonders wichtig an diesem Haushalt sind mir diebeiden Stadtumbauprogramme Ost und West . Sie sindmit einem Volumen von 260 Millionen Euro der größ-te Investitionsteil im Rahmen der Städtebauförderung .Unsere gemeinsame Selbstbefassung im Ausschuss hatmir Mut gemacht, weil sich auch die Länder auf ihrerLänderbauministerkonferenz sehr positiv über die der-zeitigen Evaluierungsergebnisse geäußert haben . DieProgramme laufen eigentlich 2016 aus . Mein Wunschist – das sage ich auch in Richtung unseres Koalitions-partners, der SPD –, dass wir uns schnellstmöglich überdie Evaluierungsergebnisse informieren . Ich bin optimis-tisch, dass es vielleicht gelingt, noch in dieser Legislatur-periode die Fortsetzung dieses Programms auf den Wegzu bringen . Das hieße Planungssicherheit für alle Betei-ligten und Planungssicherheit für die Kommunen und dieUnternehmen, die in diesem Bereich tätig sind .
Es wurde bereits angesprochen: Das Programm „Sozi-ale Stadt“ ist von großer Bedeutung, wenn es darum geht,Spannungen einzudämmen und das Zusammenleben zuverbessern . Ich möchte an dieser Stelle aber auch sagen:Es kann nicht das Ziel sein, Konflikte ständig auf dieseArt und Weise zu lösen . Besser ist es, zum Beispiel mitden Stadtumbauprogrammen und anderen Maßnahmendafür zu sorgen, dass solche Konflikte im baulichen Be-reich gar nicht erst aufkommen . Dazu gehört die Durch-mischung der Quartiere . Es ist gut, dass es uns gelungenist, die Baunutzungsverordnung dahin gehend zu ändern,dass auch urbane Gebiete berücksichtigt werden, dassalso auch in diesen Gebieten weitere Nutzungen, zumBeispiel gewerbliche, möglich sind .
Das geht natürlich mit weiterer Verdichtung und Nach-verdichtung einher . Deswegen ist es ein großer Erfolg –danke an die Haushälter –, dass wir jetzt das Programm„Grün in der Stadt“ haben . Dafür werden 50 MillionenEuro bereitgestellt; in der Vergangenheit dümpelte es miteinem Volumen von 200 000 Euro irgendwo im Haus-halt herum . Das ist, glaube ich, ein sehr, sehr wichtigerAnsatz, um unsere Städte lebenswert zu machen und sieattraktiv zu halten,
anstatt davon ausgehen zu müssen, dass sich die sozialenSpannungen aufgrund von in Beton gegossener Lange-weile erhöhen .Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kommezum Schluss . Eines möchte ich nicht unerwähnt lassen:Bei alledem, was wir tun, sollten wir darauf achten, dasswir nicht nur auf die Metropolen schauen, sondern auchauf die kleinen und mittelgroßen Städte, die es genausoschwer haben . Kleine und mittelgroße Städte nehmen fürdas beteiligte Umland eine wichtige Funktion wahr . Esmuss uns gelingen, diesen Ausgleich in unserem Landaufrechtzuerhalten; denn er ist ein wichtiger stabilisie-render Faktor .Wenn sich Menschen abgehängt fühlen und der Mei-nung sind: „Keiner kümmert sich mehr um uns“, danndürfen wir uns nicht wundern, wenn solche Differenzenimmer mehr nach oben gespült werden . Das ist nicht inunserem gemeinsamen Sinn . Ich denke, das gilt für alle,die hier im Saal sitzen . Deswegen ist meine Bitte, daraufzu achten, dass wir den ländlichen Raum und auch diekleinen und mittelgroßen Städte, die es ebenfalls nichtleicht haben, nicht vergessen .Danke schön .
Als letzter Redner in dieser Debatte hat Dr . Klaus-
Peter Schulze für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Lieber Kollege Vogel, ich muss am Anfang eine kleineKorrektur vornehmen: Nicht jeder Vogel baut sein eige-nes Nest . Es gibt auch einige, die nutzen nach . Sie leis-Volkmar Vogel
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ten damit einen kleinen Beitrag zum Recycling und zumRessourcenschutz .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist ja ein-gangs von vielen Kolleginnen und Kollegen schon ange-sprochen worden, dass wir eine Erhöhung des Haushalts-ansatzes für das Umweltministerium um fast 24 Prozenthaben . Ich möchte mich, sehr geehrte Frau Ministerin,bei Ihnen und Ihren Mitarbeitern für die gute Vorlage mitden Erläuterungen bedanken . Damit war die Bearbeitungdes Haushaltsplans 2017 aus meiner Sicht sehr gut mög-lich .Ich möchte mich mit den nächsten Sätzen haupt-sächlich auf den Bereich des Naturschutzes konzentrie-ren . Der Haushaltsumfang ist seit 2014 um 16 Prozentauf 71,5 Prozent angestiegen . Ich denke, das kann sichinsgesamt sehen lassen, wenn man berücksichtigt, dass2005 für Naturschutz lediglich 29,2 Millionen Euro imHaushaltsplan standen, während es jetzt 71,5 MillionenEuro sind . Insofern können wir doch mit dem Zuwachsganz zufrieden sein .
Insgesamt sind in diesem Jahr 31 Naturschutzgroßpro-jekte im Haushaltsplan vorgesehen . Sie sind wieder mit14 Millionen Euro dotiert . Ich habe im vergangenen Jahrdie Sommerpause genutzt, um mir einmal ein solchesGroßprojekt an der Unteren Havel – etwa 80 Kilometervon Berlin entfernt – anzuschauen . Was hier gemeinsammit Mitteln der Wirtschaft und des NABUs, aber auchmit unseren Mitteln und mit Landesmitteln entsteht, istvorbildlich . Ich war besonders davon beeindruckt, mitwelch hoher Akzeptanz die Bevölkerung in diesem länd-lichen Bereich mit diesem Projekt umgeht . Sie würdegerne noch viel mehr machen, wenn mehr Mittel zur Ver-fügung stünden .Das ist ein gutes Beispiel, wie man mit dem Bereichdes Naturschutzes – es gibt ja oftmals ein Spannungs-feld zwischen Naturschutz und Wirtschaft – gut umgehenkann . Hier werden sowohl die Landwirtschaft als auchdie Wirtschaft und die Fischerei sehr gut integriert .
Das Thema Stadtgrün ist schon angesprochen worden .Ich konnte als Bürgermeister meiner kleinen Heimatstadtmit 22 000 Einwohnern etwa 40 Millionen Euro aus derStädtebauförderung einsetzen . Wir haben uns immer ge-wünscht, dass es ein solches Programm gibt, mit demman nicht nur in Beton und Ähnliches investiert, son-dern mit dem man auch Freiflächen gestalten und einenBeitrag zur urbanen Biodiversität leisten kann . Deshalbmein herzlicher Dank an die Haushälter der Koalitions-fraktionen, die das wesentlich mit vorangetrieben haben .
Wir werden, wie schon angesprochen, im Rahmendes Klimaschutzprogrammes die Biodiversität im Aus-land unterstützen . Im nächsten Jahr werden dafür etwa387 Millionen Euro zur Verfügung gestellt . Ich möchtehier zwei Projekte benennen . Einmal handelt es sich umdas Projekt „Schutz und angepasste Nutzung winterkal-ter Wüsten in Zentralasien“, zum anderen um das Projekt„Biodiversität und Klimaschutz in der Mata Atlantica“in Brasilien . Das sind wichtige Projekte . Man muss aberauch wissen, dass nicht nur das Umweltministerium Geldfür derartige Entwicklungsprojekte zur Verfügung stellt,sondern auch das BMZ .Ich hätte mir ganz einfach gewünscht, dass es uns ge-lungen wäre, gemeinsam mit der Vorsitzenden unseresUmweltausschusses, Frau Höhn, sowie mit den Kolle-gen, die mit in Südamerika waren, das Yasuní-Projekt inEcuador anzuschauen, das schließlich von Deutschlandfinanziert wird. Ich finde, es ist schon ein Eklat, dass zumzweiten Mal eine Delegation des Deutschen Bundestagesdort nicht einreisen durfte . Das erinnert mich so ein we-nig an die Zeit vor 1989, wo man auch bestimmte Leutenicht hat einreisen lassen .
Die Mittel für das Bundesprogramm „BiologischeVielfalt“ wurden – für mich überraschend – auf 20 Mil-lionen Euro erhöht . Ich wäre ja schon mit den 18 Millio-nen Euro zufrieden gewesen . Das ist natürlich eine ganztolle Sache . Die Mittel sollen ja noch weiter – auf 30 Mil-lionen Euro im Jahr 2020 – erhöht werden . Damit könnenwir wieder eine ganze Reihe von Projekten finanzieren.Insgesamt sind 100 Projekte in allen Bundesländern – au-ßer in Sachsen-Anhalt, Hamburg und Bremen – vorge-sehen .Ein Projekt im benachbarten Freistaat Sachsen – ichspreche jetzt als Brandenburger – ist das Projekt „Le-bendige Luppe“ im Bereich der Stadt Leipzig; bei einemanderen Projekt geht es um den Sympathieträger Kiebitzals Botschafter der Agrarlandschaft, den wir sicherlichalle kennen . Schließlich möchte ich noch das „ProjektRotmilan – Land zum Leben!“ erwähnen; denn für denRotmilan trägt Deutschland eine ganz besondere Ver-antwortung, weil Mitteleuropa nun einmal das Zentrumseines Vorkommens ist . – Das sind nur 3 von mehr als100 Projekten, die in Deutschland umgesetzt werden .Diese Projekte könnten wir nicht umsetzen, wenn wirnicht viele ehrenamtliche Naturschutzhelfer, viele Bür-gerinnen und Bürger hätten, die sich dafür engagieren .Diesen möchte ich an dieser Stelle ganz herzlich dafürdanken, dass sie ihre Freizeit aufbringen, um das eineoder andere vor Ort umzusetzen .
Kollege Meiwald, Sie haben richtigerweise angespro-chen, dass die Qualität und die Quantität der Biodiver-sität nach wie vor abnehmen . Das ist sowohl im Berichtdes Umweltministeriums als auch im Bericht der Euro-päischen Union deutlich geworden . Die Ursache dafürDr. Klaus-Peter Schulze
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nur auf die Pflanzenschutzmittel und die Landwirtschafteinzugrenzen, halte ich aber für zu kurz gesprungen .
Die Landnutzung hat sich in den letzten 15 Jahren ver-ändert, und es gibt die schon oft von mir angesprocheneVermaisung der Landschaft, einen Grünlandumbruch imUmfang von fast 800 000 Hektar und einen anderen Prä-datorendruck; ich will hier nur einmal den Waschbärennennen, auf den ich gleich vielleicht noch einmal zu spre-chen komme, wenn es die Zeit hergibt . Das sind einigevon weiteren Faktoren, die man ganz einfach berücksich-tigen muss . Man sollte nicht immer nur die Landwirt-schaft als den Buhmann hinstellen . Hier spielen auchandere Punkte eine Rolle .
Ich habe es geahnt, dass ich mit meiner Redezeit nichtganz hinkomme . Deshalb werde ich mich jetzt kurzfas-sen und nur noch auf eine Sache zu sprechen kommen .Wir haben in einem Entschließungsantrag eine ge-meinsame Forderung erhoben . Dabei geht es um eineentsprechende Stellenausstattung des Bundesamtes fürNaturschutz für die Umsetzung des Nagoya-Protokolls .Dazu gibt es einen Antrag von Oktober 2015, der hierauch behandelt wurde . Ich kann hier Folgendes feststel-len: Durch die neuen Stellen, die das Bundesamt für Na-turschutz bekommt – damit meine ich nicht nur die Stel-len, die vom Ministerium ohnehin beschlossen wordenwaren, sondern auch die, die durch die Haushaltsberei-nigungssitzung zur Verfügung gestellt wurden –, könnensich fünf Mitarbeiter mit dem Thema „Nagoya-Proto-koll“, drei Mitarbeiter mit dem Thema „Invasive Ar-ten“ – dieses Thema werden wir hier demnächst auchim Gesetzgebungsverfahren behandeln – und ein Mitar-beiter mit dem Thema „Erneuerbare Energien auf See“befassen .Sie wissen ja, dass wir künftig die Flächen entspre-chend vorbereiten und dann über AusschreibungenOffshorewindparks errichten wollen . Dazu werden dieentsprechenden fachlichen Voraussetzungen zu schaffensein, und ich bin mir nicht sicher, ob die eine dafür imBfN vorgesehene Stelle ausreicht .
Sicherlich müssen wir hier im nächsten Haushaltsplannachsteuern .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Ich wün-sche allen einen angenehmen Feierabend .
Ich schließe die Debatte .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor es in den Fei-
erabend geht, gibt es noch etwas zu tun . Wir stimmen
über den Einzelplan 16 – Bundesministerium für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – in der
Ausschussfassung ab . Wer stimmt dafür? – Wer stimmt
dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der Einzel-
plan 16 in der Ausschussfassung mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Opposition beschlos-
sen worden .
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Mittwoch, den 23 . November 2016,
9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen, und jetzt dürfen Sie auch
Ihren Feierabend genießen .