Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rechnung des Bundesrechnungshofesfür das Haushaltsjahr 2013 – Einzel-plan 20 –Drucksachen 18/1560, 18/1972 . . . . . . . . 4705 CTagesordnungspunkt 1:
Einzelplan 11Bundesministerium für Arbeit und Sozia-lesAndrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4705 DDr. Gesine Lötzsch . . . . . . . . . 4708 BSabine Weiss (CDU/CSU) . . . . . . . 4709 AUlrich Kelber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4711 ASabine Weiss (CDU/CSU) . . . . . . . 4711 C
Stephan Stracke . . . . . . . . . . . . . 4713 AKatja Kipping . . . . . . . . . . . . . 4714 DStephan Stracke . . . . . . . . . . . . . 4716 AEwald Schurer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4716 BDr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
. . . . . . . . . 4718 A
Mark Helfrich . . . . . . . . . . . . . . 4719 BSabine Zimmermann (DIELINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4721 ARalf Kapschack . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4722 BGabriele Schmidt (CDU/CSU) . . 4723 C
Einzelplan 10Bundesministerium für Ernährung undLandwirtschaftChristian Schmidt, Bundesminister BMEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4726 ARoland Claus . . . . . . . . . . . . . . 4727 DDr. Wilhelm Priesmeier . . . . . . . . . . . . 4729 A
Johannes Röring . . . . . . . . . . . . 4731 DKarin Binder . . . . . . . . . . . . . . 4733 DElvira Drobinski-Weiß . . . . . . . . . . . . . 4734 D
Kees de Vries . . . . . . . . . . . . 4736 BFranz-Josef Holzenkamp . . . 4737 AMarlene Mortler . . . . . . . . . . . . 4738 AChristina Jantz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4739 DKatharina Landgraf . . . . . . . . . . 4741 A
Jeannine Pflugradt . . . . . . . . . . . . . . . . 4742 DCajus Caesar . . . . . . . . . . . . . . . 4743 DJohann Saathoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4745 AEinzelplan 17Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und JugendManuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4746 C
Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4748 DDiana Golze . . . . . . . . . . . . . . . 4749 BNadine Schön (CDU/CSU) . . . . 4750 D
Marcus Weinberg (CDU/CSU) . . 4754 C
Petra Pau . . . . . . . . . . . . . . . . . 4757 BSönke Rix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4758 A
Sylvia Pantel . . . . . . . . . . . . . . . 4760 DSusann Rüthrich . . . . . . . . . . . . . . . . . 4762 CAstrid Timmermann-Fechter . . . 4763 DUlrike Gottschalck . . . . . . . . . . . . . . . 4765 BAlois Rainer . . . . . . . . . . . . . . . . 4766 CEinzelplan 16Bundesministerium für Umwelt, Natur-schutz, Bau und ReaktorsicherheitDr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4767 DHeidrun Bluhm . . . . . . . . . . . . 4769 CIVMetadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Christian Haase . . . . . . . . . . . . . 4770 D
Steffen-Claudio Lemme . . . . . . . . . . . 4773 DRoland Claus . . . . . . . . . . . . . . 4776 ADr. Anja Weisgerber . . . . . . . . . 4777 AChristian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4778 CUlrich Hampel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4780 BFlorian Pronold . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4781 CRoland Claus . . . . . . . . . . . . . . 4782 AKai Wegner . . . . . . . . . . . . . . . . 4782 BKarsten Möring . . . . . . . . . . . . . 4784 ADr. André Berghegger . . . . . . . . 4785 BChristian Hirte . . . . . . . . . . . . . . 4787 ANächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4788 DAnlageListe der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 4789 A
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4659
(C)
(B)
51. SitzungBerlin, Donnerstag, den 11. September 2014Beginn: 9.02 Uhr
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichhabe vor Wiederaufnahme der Haushaltsberatungen Be-rufungen und zwei Wahlen durchzuführen.Zunächst sind gemäß § 93 b Absatz 8 unserer Ge-schäftsordnung auf Vorschlag der Fraktionen deutscheMitglieder des Europäischen Parlaments zu berufen, diean den Sitzungen des Ausschusses für die Angelegenhei-ten der Europäischen Union teilnehmen können und da-bei unter anderem befugt sind, Auskünfte zu erteilen undStellungnahmen abzugeben. Ihre Anzahl und Verteilungmüssen nach den Wahlen zum Europaparlament oderzum Deutschen Bundestag jeweils neu festgelegt wer-den. Da kürzlich Wahlen zum Europaparlament stattge-funden haben, haben wir dies also neu zu klären.Die Fraktionen haben sich nach der im Mai stattge-fundenen Wahl zum Europäischen Parlament auf insge-samt 15 mitwirkungsberechtigte Mitglieder verständigt.Nach dem Wahlergebnis entfallen auf die CDU/CSU sie-ben Mitglieder, auf die SPD fünf Mitglieder, auf Bünd-nis 90/Die Grünen zwei Mitglieder und auf Die Linkeein Mitglied. Sind Sie damit einverstanden? – Dasscheint der Fall. Dann ist das so beschlossen.Vor Eintritt in die Tagesordnung haben wir zwei Wah-len durchzuführen. Die Beauftragte der Bundesregierungfür Kultur und Medien schlägt vor, für den Stiftungsrat derStiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung als Vertreterdes Bundesministeriums des Innern Herrn Norbert Seitzals Nachfolger für die ausgeschiedene Frau GabrieleHauser als ordentliches Mitglied zu berufen. Darf ichauch dafür Ihr Einverständnis feststellen? – Das ist derFall. Damit ist Herr Seitz als ordentliches Mitglied inden Stiftungsrat gewählt.Schließlich schlägt die Fraktion Die Linke vor, dieKollegin Katrin Werner für die Kollegin KathrinVogler als neue Schriftführerin zu wählen. – Auch dazugibt es offensichtlich Einvernehmen. Dann ist die Kolle-gin Katrin Werner als neue Schriftführerin gewählt.Interfraktionell ist vereinbart worden, den Antrag derFraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksa-che 18/1973 mit dem Titel „Moderne Netze für ein mo-dernes Land – Schnelles Internet für alle“ an den Aus-schuss für Tourismus zur Mitberatung zu überweisen. –Auch dazu besteht offenkundig Einvernehmen.Nach der Klärung dieser aufgerufenen Sachverhaltekönnen wir nun die Haushaltsberatungen – Tagesord-nungspunkt 1 – fortsetzen:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für dasHaushaltsjahr 2015
Drucksache 18/2000Überweisungsvorschlag:Haushaltsauschussb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungFinanzplan des Bundes 2014 bis 2018Drucksache 18/2001Überweisungsvorschlag:HaushaltsauschussAm Dienstag haben wir für die heutige Ausspracheeine Redezeit von insgesamt neuneinhalb Stunden be-schlossen.Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Aus-wärtigen Amts, Einzelplan 05. Ich erteile das Wortdem Bundesminister des Auswärtigen, Frank-WalterSteinmeier.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister desAuswärtigen:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Amliebsten hätte ich Sie nach einer langen Sommerpausejetzt fröhlich wieder zurück in Berlin begrüßt. Aber ers-tens war die Sommerpause, wenn man sie so nennendarf, kürzer als vorgesehen – wir haben uns schon in dervergangenen Woche hier im Deutschen Bundestag zu ei-
Metadaten/Kopzeile:
4660 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
(C)
(B)
ner Sondersitzung einfinden müssen –, und zweitenskonnte in diesem Sommer von einer Pause in der Politikkeine Rede sein.Tägliche Zuspitzungen in den Krisen- und Konfliktre-gionen von der Ukraine über den Nahen und MittlerenOsten bis nach Afrika, Bilder von Gewalt, Vertreibungund Opfern jeden Abend, auch in den deutschen Wohn-zimmern. Die Welt ist aus den Fugen geraten. Das ist derEindruck, den die ganz normalen Leute in Deutschlandhaben, und es ist für die außenpolitischen Profis nichtganz einfach, diesen Eindruck wirklich nachhaltig zu wi-derlegen.Aus den Fugen geraten ist die Welt aber nicht nur weitdraußen in der arabischen Welt oder in Afrika. Auch inEuropa müssen wir mühsam – und ich gebe zu: mit eini-gem Erschrecken – lernen, dass der Frieden offenbarnicht mit einer Ewigkeitsgarantie ausgestattet ist. Das istnicht nur der Befund von außenpolitischen Spezialisten.Ganz im Gegenteil – ich vermute, Sie erhalten da ganzähnliche Post wie ich –; ältere Menschen fragen: Kehrtder Krieg zurück nach Europa? Jüngere Menschen fra-gen: Ist es vorbei mit der offenen und friedlichen Welt,in der wir bisher aufgewachsen sind? – Ich finde, beideFragen sind berechtigt. Ich verstehe sie. Am liebstenwürde man als deutscher Außenminister auf beide Fra-gen mit einem entschiedenen Nein antworten.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Willy Brandt hatgesagt: „Nichts kommt von selbst. Und nur wenig istvon Dauer.“ Dies sagte er in Bezug auf den Frieden undmeinte damit genau das. Wir müssen uns jetzt mehr alsvor fünf, zehn oder fünfzehn Jahren darum kümmern.Wir als Bundesregierung versprechen: Wir werden allesdafür tun, dass die europäische Friedensordnung, an derGenerationen von Politikern seit Helsinki gearbeitet ha-ben und die uns jahrzehntelang eine friedliche Entwick-lung in Europa gewährt hat, bleibt und dass sie trotz desUkraine-Konflikts nicht dauerhaft infrage gestellt wird.Den heißen Krieg – so hat es im Augenblick den An-schein – haben wir vielleicht vermieden. Aber wir wol-len eben auch nicht zurück in die Jahrzehnte des KaltenKrieges, der alles lähmt und in dem die Gefahr der tägli-chen Eskalation zum Alltag gehört. Wie das ist, weißniemand besser als die Deutschen, die diesseits und jen-seits des Eisernen Vorhangs sozusagen an den Front-linien der Militärblöcke gelebt haben. Wir wollen keinenKalten Krieg, und wir wollen erst recht keinen heißenKrieg. Wir wollen die europäische Friedensordnung er-halten.
Weil das so ist und weil vieles nicht mehr so sicherscheint wie in den letzten Jahrzehnten, schauen wir mitso großer Sorge auf den Ukraine-Konflikt. Ich glaube,keiner verurteilt den völkerrechtswidrigen Angriff Russ-lands auf die Krim und das Verhalten Russlands in derOstukraine deutlicher als wir. Es kann nicht sein, liebeKolleginnen und Kollegen, dass wir sieben Jahrzehntenach Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa wieder da-rangehen, Grenzen zu korrigieren. Das darf nicht sein.
Es darf auch nicht sein, dass wir 25 Jahre nach der deut-schen und, wie wir immer gesagt und gehofft haben,auch der europäischen Wiedervereinigung eine neueSpaltung in diesem Europa vorbereiten. Das eine ist eineklatanter Bruch des Völkerrechts, und das andere ist einRückfall in die Zeit, die wir eigentlich hinter uns hatten.Beides dürfen wir nicht dulden.Gleichzeitig und etwas leiser warne ich aber auch vorkurzsichtigen und gefährlichen Vergleichen. Ja, derUkraine-Konflikt ist die gefährlichste Krise in Europaseit Jahrzehnten. Ja, es ist zwischen Europa und Russ-land nichts mehr so, wie es in den letzten Jahren war. Ja,es ist wahr: Die territoriale Integrität eines europäischenStaates ist angetastet, und es gibt keinen Grund, daskleinzureden. Ich sehe das alles ganz genauso.Was mir nicht gefällt – in aller Offenheit – in dieserDebatte der letzten Wochen und Monate, ist die Selbst-bezichtigung mancher Europäer unserer Politik alsAppeasement und der schnelle Bezug auf München1938. Einmal ganz abgesehen davon, dass jedenfalls ichdie historischen Situationen für völlig unvergleichbarhalte, begreife ich nicht – das ist mir im Augenblick so-gar das Wichtigere –, warum sich Europäer in einer sol-chen Situation so klein machen. Die Europäer haben sichin diesem Ukraine-Konflikt gerade nicht enthalten undstill geduldet, was passiert. Die Verurteilung derAnnexion als Verstoß gegen das Völkerrecht war eindeu-tig. Europäische Union und NATO haben sofort reagiert.Niemand hat gesagt: Alles kann so weitergehen. Alle ha-ben gesagt: Wir sind jetzt in einem Zustand, in dem busi-ness as usual nicht mehr infrage kommt. – Wir waren dieErsten, die zu Reisen ins Baltikum oder zu den Visegrad-Staaten aufgebrochen sind und den Menschen dort ge-sagt haben: Wir verstehen, dass ihr euch besonders be-droht fühlt angesichts dessen, was in der Ukraine pas-siert, und wir versichern euch: Die Solidarität der NATOsteht euch zur Verfügung; Artikel 5 gilt für euch. – Wirhaben es nicht nur gesagt, sondern haben uns von vorn-herein und ohne Zögern als Erste in Europa an Reassu-rance-Maßnahmen beteiligt, was die Luft- und Seeüber-wachung insbesondere in den baltischen Staaten angeht.Wir haben dann, wenn es nötig war, den politischenDruck erhöht, und wir haben, insbesondere nach demAbschuss der MH17 mit mehr als 300 Toten, auch nichtgezögert, Maßnahmen zu ergreifen, um den ökonomi-schen Druck auf Russland zu erhöhen. Meine Damenund Herren, ich sage das und rufe uns in Erinnerung:Das ist alles andere als Appeasement. Deshalb halte ichden Selbstvorwurf von Appeasement für so gefährlich.
Wer Lehren aus der Geschichte ziehen will – das soll-ten wir gelegentlich tun –, der kann sicher sein, dass das
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4661
Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
(C)
(B)
dunkle 20. Jahrhundert leider viel Lehrstoff für unsDeutsche bereithält. Ich rate dazu, dass wir uns in Debat-ten wie diesen nicht nur auf 1938 beziehen, sondern unsauch versichern, dass das Gedenkjahr 1914 Lehren füruns bereithält, Lehren, die zu vergessen uns Deutschennicht erlaubt ist.
Insofern sage ich noch einmal: Militärische Versiche-rung, politischer Druck, ökonomischer Druck – das alleswar richtig, das war notwendig, und ich stehe zu jedemElement. Aber als deutscher Außenminister sage ich mitBlick auf den Sommer 1914 auch: Abbruch, Abschot-tung, Gesprächslosigkeit und der Ausfall von Außen-politik haben damals einen noch kleinen, regionalenKonflikt befeuert, der sich in Krieg entladen hat. Des-halb sage ich: Dieser Vorwurf, auf das Unterlassen vonMöglichkeiten verzichtet zu haben, auf letzte Möglich-keiten, die vielleicht das Schlimmere hätten verhindernkönnen, darf uns in der deutschen Geschichte nicht nocheinmal gemacht werden. Beides gehört zusammen: derpolitische und der ökonomische Druck, wo er notwendigist, aber auch das Offenhalten von Gesprächskanälenund die Rückführung in Verhandlungssituationen.
Deshalb besteht unsere Politik in diesem Ukraine-Konflikt – ein wirklich gefährlicher Konflikt; ich sage esnoch einmal – immer aus diesen drei Elementen: erstensDruck auf Russland, zweitens Schutz derer, die sich be-droht fühlen, und drittens – die Kanzlerin hat es gesternvon diesem Podium aus auch noch einmal gesagt –, weilwir doch wissen, dass die militärische Lösung am Endenicht zur Verfügung steht und von niemandem gewolltwird, immer auch die Suche nach politischen Möglich-keiten zur Entschärfung des Konflikts.Es gibt keine Garantie dafür, dass das gelingt; daswissen Sie alle. Man muss, wenn man nach solchenMöglichkeiten sucht, auch Rückschläge, Niederlagenund Enttäuschungen einkalkulieren. Aber es ging jeden-falls uns in einer Phase zerstörten Vertrauens, in der wirganz offenbar sind – und zwar nicht nur zwischen Russ-land und der Ukraine, sondern auch zwischen Russlandund Europa –, um nichts anderes als darum, die Ge-sprächsfäden nicht vollständig abreißen zu lassen undvor allen Dingen das direkte Gespräch zwischen Kiewund Moskau auf unterschiedliche Art und Weise zu be-fördern.Dazu gehörte unser Vorschlag, die OSZE ins Spiel zubringen. Dazu gehörte unser Vorschlag, das Genfer Tref-fen zustande zu bringen. Auch die Einrichtung der Kon-taktgruppe und die Gespräche, die wir mit dem ukraini-schen und dem russischen Außenminister in Berlingeführt haben, gehörten dazu – genauso wie zahllose Te-lefongespräche der Bundeskanzlerin und von mir. Unddazu gehörte letztlich auch unser Verhalten auf demNATO-Gipfel, auf dem wir gesagt haben: Ja, wir müssenreagieren, auch mit verstärkten Schutzmaßnahmen derNATO; aber wir wollen sozusagen auch nicht völlig mitdem brechen, was wir uns in der Vergangenheit einge-richtet haben. – Deshalb war es unser Votum, die NATO-Russland-Grundakte zu erhalten.
Darum sage ich: Nein, wir haben noch keine politi-sche Lösung, und es gibt auch noch keine Sicherheit fürdie Zukunft der Ostukraine. Aber ich bin auch davonüberzeugt – das ist ein bisschen die Erfahrung aus vielenJahren –: In Mündungsfeuern von Gewehren entstehenkeine politischen Lösungen. Deshalb sollten wir auchnicht kleinreden, was inzwischen nach den direkten Ge-sprächen zwischen Präsident Poroschenko und Putin inMinsk – damals holprig und nicht belastbar, aber jetztimmerhin verkörpert in einem Zwölf-Punkte-Plan – ein-getreten ist: Es ist immerhin gelungen, dass der Waffen-stillstand einigermaßen gewahrt wird. Damit besteht dieMöglichkeit – und dieser Zustand ist hoffentlich nichtnur eine Atempause –, zu politischen Verabredungen zukommen, die für die Zukunft tragen. Bei einem solchenscharfen Konflikt mit einer solchen Gefährlichkeit fürganz Europa ist das unheimlich viel, was erreicht wor-den ist. Das sollten wir nicht kleinreden.
Für uns ist das Ganze damit aber nicht zu Ende. Wirwenden uns jetzt nicht ab und sagen: Das mögen diejetzt unter sich ausmachen. – Natürlich werden wir da-rauf achten – und wir werden auch mit unseren Möglich-keiten dazu beitragen –, dass ein paar Dinge gewährleis-tet bleiben mit Blick auf die Verabredungen, die jetztgetroffen und hoffentlich umgesetzt werden. Die Einheitder Ukraine steht dabei ganz vorne. Dazu gehört auch,dass überall in dem Gebiet der Ukraine Parlamentswah-len stattfinden können. Dazu gehört, dass ein nationalerDialog stattfindet und dass wir – nicht nur Deutschland,sondern der gesamte Westen – zu den Versprechungenstehen, die wir gemacht haben. Wir müssen auch zurVerfügung stehen, um der Ukraine ökonomisch wiederauf die Beine zu helfen – und das gepaart mit einer Ver-fassungsreform in der Ukraine, in der Dezentralisierungund der Schutz von Minderheiten am Ende tatsächlichverkörpert werden.Meine Damen und Herren, das haben wir getan, unddafür treten wir weiter ein. Ich halte das für richtige, gutedeutsche Außenpolitik.
Ich will zum Thema Irak gar nicht mehr so viel sagen;Frau Göring-Eckardt ist heute auch nicht hier. Aber ichhabe mich gestern sehr über ihren Beitrag geärgert, dervermittelt hat, ich oder ein anderes Mitglied der Bundes-regierung hätten zum Ausdruck gebracht, dass ein paarWaffen für die Sicherheitskräfte der Kurden das ProblemISIS auf irgendeine Weise lösen könnten. Ich weiß gar
Metadaten/Kopzeile:
4662 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
(C)
(B)
nicht, wie viele Interviews ich noch geben soll. Ich sagedoch in jedem Interview: Natürlich hängt die Zukunftdes Mittleren Ostens nicht an den Gewehren und denMGs für die Peschmerga – natürlich nicht.Ich habe es – ich glaube, auch hier – schon gesagt: Zurechtfertigen ist doch diese schwierige Entscheidung, diewir uns abverlangt haben, überhaupt nur dann – ich sagees noch einmal auch in Richtung von Frau Göring-Eckardt –, wenn das, was wir jetzt mit der Ausrüstungder kurdischen Streitkräfte tun, in eine politische Strate-gie eingebettet ist.
Dazu gehört erstens eine Innenpolitik im Irak, dieendlich mit den Fehlern der Vergangenheit aufräumt unddie bisher ausgegrenzten Religionen und Regionen ein-bezieht. Ich glaube, al-Abadi hat mit der Aufstellung desKabinetts gezeigt, dass er genau das will.Dazu gehört zweitens, dass man den ISIS entkerntund ihm die Unterstützung von sunnitischen Clans ent-zieht, indem man diese in die irakische Innenpolitik zu-rückholt.Dazu gehört drittens – das ist die politische Strategie –,dass wir mit den arabischen Nachbarn ins Gesprächkommen und einen Zustand hinbekommen, dass sie sichnicht in ihren gegenseitigen Interessenkonflikten rundum den Arabischen Golf verlieren, sondern erkennen,dass es ein minimales eigenes Interesse aller arabischenStaaten gibt: Das ist das Vorgehen gegen radikalisierteund terroristische islamistische Gruppierungen wie ISISund andere. Dahin zu kommen, das ist Teil einer politi-schen Strategie.
Wir und ich müssen deshalb nicht überzeugt werden,dass allein eine militärische Strategie das Thema ISISoder radikalislamistische Gruppen nicht aus der Weltschafft, sondern wir brauchen natürlich eine politischeStrategie. Das ist übrigens auch Teil der Rede gewesen,die Obama vergangene Nacht gehalten hat.Wir werden bereits am Montag ein erstes Gesprächauf Einladung der Franzosen in Paris führen. Ich selbsthabe zu einem G-7-Treffen der Außenminister in der Sit-zungswoche der VN-Generalversammlung übernächsteWoche eingeladen, bei dem wir genau diese politischeStrategie mit den arabischen Staaten miteinander disku-tieren werden. Ich versichere Ihnen: Niemand ist so naiv,zu glauben, dass ein paar Gewehre für die Peschmergadas Problem ISIS aus der Welt bringen.
Wir reden aber auch über humanitäre Hilfe. HerrKauder und auch viele andere haben das gestern getan.Natürlich müssen wir – das habe ich auch Herrn Kaudereben gesagt – immer wieder nachsteuern. Angesichts derVielzahl der Flüchtlinge und der aufwachsenden Flücht-lingslager müssen wir immer wieder hinschauen, ob dieVerteilung einigermaßen ordentlich zustande kommt.Dafür werden wir Sorge tragen.Aber wir brauchen dafür auch die notwendigen Res-sourcen.
Deshalb bitte ich, Verständnis dafür zu haben, wenn wirim Laufe der Haushaltsgespräche noch einmal darauf zu-rückkommen und uns gegenseitig versichern, dass wir,wenn wir humanitäre Hilfe nicht nur versprechen, son-dern sie tatsächlich vor Ort in diesen Regionen auch leis-ten wollen, dies mit den gegenwärtigen Ansätzen imHaushalt nicht hinbekommen.
Eine letzte Bemerkung. Die Vereinten Nationen habeich schon angesprochen. Ich habe dem russischen Kolle-gen gesagt: Die Lösung des Ukraine-Konfliktes ist auchdeshalb so wichtig – damit hatte der Kollege Gysi ges-tern nicht ganz unrecht –,
weil der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen blockiertist, solange der Konflikt anhält. Wir brauchen eine De-blockierung des Sicherheitsrates, damit wir uns den grö-ßeren Konflikten dieser Welt zuwenden können.
Insofern hängen die Dinge, obwohl sie geografisch soweit voneinander entfernt sind, im Inneren zusammen.Es ist eine schwierige Aufgabe, die vor uns liegt.Aber ich glaube, die mühsamen Fortschritte, die wir imGaza-Konflikt erreicht haben und vielleicht im Momentim Ukraine-Konflikt erreichen, zeigen, dass Außenpoli-tik Folgen hat. Ich hoffe, wir können positive Folgen zei-gen.Vielen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Wolfgang Gehrcke
für die Fraktion Die Linke.
Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Außenminis-ter! Wenn es wirklich das Ziel dieser Bundesregierungist, alles dafür zu tun, dass der Friede in Europa erhaltenbleibt oder – so würde ich es formulieren – wiederherge-stellt wird und dass es in Europa nicht zu einer erneuten
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4663
Wolfgang Gehrcke
(C)
(B)
tiefgehenden Spaltung kommt, dann will ich erst einmalfesthalten: Die Fraktion Die Linke und die Bundesregie-rung haben in dieser Zielgebung einen gemeinsamenStandpunkt. Das ist nicht wenig; das möchte ich unter-streichen.
Ich habe immer gehofft, dass die Generation meinerTochter und die meines Enkelkindes ohne die Gefahr ei-nes Krieges zumindest in Europa und hoffentlich auchohne die Gefahr von Kriegen in der Welt aufwachsen.Das war meine feste Überzeugung. Ich war immer einFreund der Friedensdividende, die eingebracht werdensollte. Ich finde es entsetzlich, dass wir die Sicherheit,dass Generationen nicht mehr mit der Angst vor Kriegenaufwachsen müssen, heute nicht mehr geben können,weil wir sie nicht mehr haben. Das heißt, es muss einengrundsätzlichen Wechsel in der Politik geben.
Darüber möchte ich reden.Ist der Außenminister noch anwesend? – Ja, aber erhört nicht zu. Es könnte Ihnen nicht schaden, einmal zu-zuhören.Nun sage ich etwas, was ich eigentlich gar nicht sagenwollte, Herr Außenminister. Sie wissen, dass ich Sie alsPerson schätze und trotzdem tiefe Differenzen in Bezugauf Ihren außenpolitischen Kurs bestehen. Vielleicht istes möglich, dass Sie einmal eine Kritik der Fraktion DieLinke positiv aufnehmen und überprüfen, ob sie berech-tigt ist und ob es nicht doch der deutschen Außenpolitikzum Vorteil gereichen könnte, hin und wieder auf einesolche Kritik zu hören. Das möchte ich Ihnen quasi alsAusgangslage zumindest anbieten.Nun müssen wir über Differenzen reden. Wenn wiruns über das Ziel einig sind, heißt das noch nicht, dasswir uns über den Weg dorthin einig sein müssen. Ich willein paar Differenzen ansprechen. Vor knapp einem Jahrwaren Sie es, der auf der Münchner Sicherheitskonfe-renz gesagt hat, dass er die Weltpolitik nicht von der Au-ßenlinie betrachten wolle. Ich habe das immer für falschgehalten. Die geschichtlichen Erfahrungen, zumindestwie ich sie aufgearbeitet habe, bedeuten: Wenn Deutsch-land Anspruch als Großmacht oder als Mittelmacht erho-ben hat, war es immer schlecht für Deutschland und fürdie Welt. Ich möchte, dass wir zu einer Politik der Zu-rückhaltung, insbesondere einer Politik der militärischenund der ökonomischen Zurückhaltung, zurückkehren.
Deutschland muss nicht Großmacht spielen.
– Da Sie es zurufen: auch Blockfreiheit! Es gehörte ein-mal zum Kurs der Sozialdemokratie, für Blockfreiheitund für dieses Land zu kämpfen. Das war nicht dasSchlechteste für Ihre Partei.
Ich bin für Blockfreiheit und ein Gegner der NATO. Ichmöchte gern, dass die NATO aufgelöst und durch einkollektives Sicherheitssystem in Europa ersetzt wird. Ichglaube, das wäre eine vernünftige Politik. Ich finde esschon spannend, zu hören, dass die SPD uns vorhält,dass wir für Blockfreiheit sind. Lesen Sie einmal die Ge-schichte Ihrer Partei nach! Daraus können Sie etwas ler-nen.
Ich bin dagegen, dass Deutschland Anspruch aufGroßmachtpolitik erhebt.
Sie haben das mit Frau von der Leyen in München vo-rangetrieben. Ich habe den Artikel über Frau von derLeyen im Stern mit dem Titel „Die Kriegsministerin“sehr genau gelesen. Ich bin außerdem sehr unglücklichüber die Reden des Bundespräsidenten. Ich akzeptieresie überhaupt nicht. Ich habe eine gewisse Sehnsuchtnach einem sozialdemokratischen Bundespräsidenten,den wir einmal hatten, Gustav Heinemann, der auf dieFrage, ob er sein Vaterland liebt, geantwortet hat, dass erseine Frau liebt. Das war eine anständige Position undhatte nichts mit der aggressiven Art und Weise der Poli-tik zu tun, wie sie heute betrieben wird.Ich möchte der Bundesregierung vorhalten, dass seitder Vereinigung das Verhältnis Deutschlands und der EUzu Russland noch nie so schlecht war wie heute. Ich willhier darauf hinweisen, dass daran die EU und auch dieBundesregierung erheblichen Anteil haben. Sie müssenmir einmal Folgendes erklären: Sie halten hier eine Frie-densrede – ich unterstütze Sie darin –, und am gleichenTag soll über neue Sanktionen gegen Russland entschie-den werden.Wäre es nach den ersten Schritten in der Ukraine– der Waffenstillstand ist dünn und brüchig; ich habe ihnimmer verteidigt – jetzt nicht vernünftig, zu sagen:„Schluss mit Sanktionen, wir treten in neue Gesprächemit Russland ein“? Sie wissen ganz genau, dass die ein-seitige Unterstützung für Kiew eben noch keine europäi-sche Sicherheitspolitik ausmacht und dass hier viel zuverändern ist. Wir werden kein Problem in Europa undweltweit ohne die Zusammenarbeit mit Russland lösen.Ich möchte an die Bundesregierung appellieren: Ma-chen Sie uns Russland und die Russen nicht zu Feinden!Linke Außenpolitik will Sicherheit in Europa durch einePolitik mit und nicht gegen Russland, und das muss je-den Tag neu erarbeitet werden.Ich mache Ihnen einen konkreten Vorschlag: Im nächs-ten Jahr werden wir den 70. Jahrestag der Befreiung vomFaschismus begehen. Diese Befreiung war ein weltweitesEreignis. Es war Bundespräsident von Weizsäcker, derdie Zusammenhänge in einer historischen Rede vomKopf auf die Füße gestellt hat, indem er das Ende desZweiten Weltkrieges nicht als Niederlage, sondern alsBefreiung Deutschlands bezeichnet hat. Wäre es nicht
Metadaten/Kopzeile:
4664 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Wolfgang Gehrcke
(C)
(B)
eine Chance, wenn Deutschland und Russland 2015 zum70. Jahrestag der Befreiung gemeinsam Schlussfolge-rungen aus der gemeinsamen Geschichte zögen und wiraus der Situation eines Kalten Krieges wieder hinauskä-men? Ich denke, wir sollten diese Chance aufgreifen.Aufgreifen sollten wir auch die Chance, in derUkraine eine andere Politik zu machen. Herr Außen-minister, ich habe nie verstanden, warum Sie sich mitdem „Rechten Sektor“ an einen Tisch setzen mussten.Ein deutscher Außenminister hat nicht mit Faschisten zureden.
Ich habe das, was da passiert ist, für falsch gehalten.
Ein deutscher Außenminister sollte völlig klar und deut-lich sagen, dass die sogenannten Freiwilligenbataillone,die in der Ukraine kämpfen, eine Ansammlung vonnazistischen Banden sind, mit denen man nichts zu tunhaben will. Ein deutscher Außenminister sollte auf dieukrainische Regierung einwirken, ihrerseits den brüchi-gen Waffenstillstand nicht auch noch zu gefährden. Ichglaube, dass man vernünftige Schritte gehen kann unddass genügend Vorschläge dafür auf dem Tisch liegen,übrigens auch aus Russland.
Wäre es nicht sinnvoll – ich sage das auch an diedeutschen Medien gewandt –, mit der Verteufelung rus-sischer Politik aufzuhören und wieder eine rationalePolitik zu betreiben?
Das kann den Frieden in Europa sichern. Wir wollen denFrieden in Europa. Mein Angebot an Sie: Wenn es umFrieden geht, finden Sie in der Linken Unterstützung.Aber Sie werden auch die Kritik an der Politik der Bun-desregierung ertragen müssen. Lernen Sie daraus! Daswäre ganz vernünftig.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Andreas
Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Deutschland stellt sich seiner internationalen Ver-antwortung. … Deutschland setzt sich weltweit fürFrieden, Freiheit und Sicherheit … ein.Wir stehen bereit, wenn von unserem Land Beiträgezur Lösung von Krisen und Konflikten erwartetwerden.So steht es im Koalitionsvertrag.Meine Damen und Herren, Deutschlands Außenpoli-tik ist geleitet von einer Kultur der Verantwortung.Deutschland spielt eine zentrale Rolle bei den Bemühun-gen, einen friedlichen Ausweg aus dem von PräsidentPutin verursachten militärischen Konflikt in der Ukrainezu finden. Zudem geht es darum, die in über 40 Jahrenaufgebaute europäische Friedensordnung zu erhaltenund wieder zu stärken, die Russland durch sein völker-rechtswidriges Handeln in der Ukraine infrage stellt.Im Irak und in Syrien will sich ein Terrorstaat festi-gen, der für Europas Sicherheit eine neue Dimension derBedrohung ist. Deutschland hilft humanitär und durchWaffenlieferungen, um dem IS-Terror Einhalt zu gebie-ten. Deutschland übernimmt auch Verantwortung bei derSuche nach einer politischen Lösung für den Nahost-konflikt. Für eine dauerhafte Beilegung des Gaza-Kon-fliktes hat Deutschland eine Beteiligung an einer mögli-chen Mission an der Grenze zu Ägypten angeboten.Außerdem – angesichts dieser Krisen schon fast wiederin Vergessenheit geraten – leistet Deutschland in ver-schiedenen Ländern Afrikas Ausbildungshilfe, damitMali, die Zentralafrikanische Republik und Somalia sel-ber für ihre Sicherheit und Stabilität sorgen können.Es ist absehbar: Die Herausforderungen für unsere Si-cherheit angesichts einer unsicheren Nachbarschaft imOsten, im Südosten und im Süden werden weiter wach-sen und uns vor neue und weitere Aufgaben stellen. EineKultur des Heraushaltens können wir uns nicht leisten.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind froh, dassder jüngste Waffenstillstand in der Ukraine wenigstensbisher weitgehend hält. Aber wir sehen auch, dass derWeg zu einer Friedensvereinbarung noch sehr weit undsehr schwierig ist. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktiondankt – das hat der Fraktionsvorsitzende gestern getan;ich will es heute noch einmal tun – insbesondere derBundeskanzlerin und dem Außenminister, dass sie uner-müdlich an einer diplomatischen Lösung arbeiten undauch jetzt alles tun, damit der Friedensplan Realität wird.
Aber wir wissen aus der Vergangenheit auch, dass ge-troffene Vereinbarungen von den Separatisten und vonRussland nicht eingehalten wurden. Deswegen mussweiter Druck ausgeübt werden. Sosehr wir uns wün-schen, dass Russland seinen Beitrag zur Befriedung leis-tet, so sehr ist noch Skepsis angebracht; denn Russlandhat mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krimgrundlegende Vereinbarungen des friedlichen Zusam-menlebens in Europa verletzt: die UN-Charta, dieOSZE-Charta, die Charta des Europarates, das EU-Russ-land-Abkommen und die NATO-Russland-Akte.Mehr noch: Die offene militärische InterventionRusslands in der Ukraine ist ein kriegerischer Akt gegeneinen souveränen Staat in Europa. Russland hat Kriegnach Europa getragen. Wir wissen aus in Luhansk gefun-denen Dokumenten, dass Russland weitergehende Zielehat, dass es Pläne gibt, Mariupol und Odessa auch nochunter russische Kontrolle zu bringen. Damit es dazunicht auch noch kommt, sind der Waffenstillstand unddie Unterstützung des Friedensplanes so wichtig.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4665
Dr. Andreas Schockenhoff
(C)
(B)
Die Aufschiebung von verschärften EU-Sanktionenist deshalb keine Schwäche der EU, sondern ein klaresSignal an Russland. Die EU will die Verhandlungen überden Friedensplan nicht durch eine neue Sanktionsrundebelasten. Aber sie wird die neuen, für Russland nochschmerzhafteren Sanktionen umsetzen, wenn Russlandnicht seinen Beitrag zur Realisierung des Friedensplansleistet oder gar den Waffenstillstand dazu nutzt, seinemilitärische Position auszubauen oder gar den Krieg ge-gen die Ukraine fortzusetzen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Hänsel?
Gerne.
Danke schön, Herr Präsident. – Herr Kollege
Schockenhoff, Sie haben gerade von der „offenen militä-
rischen Intervention Russlands in der Ukraine“ gespro-
chen. Ich höre das ständig. Das hat auch die Kanzlerin
gestern gesagt. Ich frage mich: Wo sind die konkreten
Beweise für diese Behauptungen? Wo sind Ihre Quellen?
Wir haben in meinen Augen keine tatsächlichen Beweise
für diese offene militärische Intervention.
– Dann legen Sie sie mir bitte schön vor, und zwar auto-
risiert.
Es gehört leider auch zu diesem Konflikt, dass eineunglaubliche Initiative von Desinformation und Propa-ganda nicht nur in den sozialen Netzwerken und durchAktivisten in der Bundesrepublik Deutschland sowie inunseren Partnerstaaten von der russischen Seite unter-stützt wird, sondern offenkundig auch hier im DeutschenBundestag auf fruchtbaren Boden trifft.
Was ich meine, Frau Kollegin, sind russische Panzer,russische Militärfahrzeuge, die Tag für Tag die Grenzezwischen Russland und der Ukraine überqueren.
Was ich meine, sind die täglichen Beschüsse von ukrai-nischem Territorium durch Tornadosplitterbomben, umden Korridor zwischen Luhansk und Donezk unbegeh-bar und unpassierbar zu machen.
Was ich meine, sind Munition und militärisches Gerät,das von internationalen Beobachtern in sogenanntenHilfskonvois gefunden wurde. Was ich meine, sind vorallem Kämpfer, Soldaten, Mitglieder von Elitetruppen,Mitglieder des russischen Geheimdienstes,
die täglich nicht nur die russische Grenze zur Ukraineüberqueren, sondern dafür – das ist Teil dieser zynischenDesinformation – vom russischen Präsidenten inMoskau auch noch mit Ehrenmedaillen ausgezeichnetwerden.
Ich meine diese Form von Doppelzüngigkeit, Täu-schung und Desinformation, die im Gegensatz zu eineroffenen Debatte über die notwendigen Reaktionen in ei-ner demokratischen Gesellschaft steht. Dagegen wehrenwir uns. Dass Sie es nicht tun, verwundert mich nicht.Aber wir werden trotzdem die Debatte darüber in derdeutschen Öffentlichkeit zu führen haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die wichtigstenPunkte des Friedensplans, zu dessen Umsetzung Russ-land seinen Beitrag leisten muss, sind:Erstens: ein endgültiges Ende der Kämpfe und Ein-haltung des Waffenstillstandes.Zweitens: Abzug der russischen Truppen und Waffen.Drittens: eine konsequente Überwachung der rus-sisch-ukrainischen Grenze.Viertens: Einigung über den Status einer Autonomiefür Luhansk und Donezk innerhalb des Staatsverbandsder Ukraine. Was auf keinen Fall akzeptiert werdenkann, ist, dass auf dem Staatsgebiet der mit der EU asso-ziierten Ukraine ein neuer, ein vierter Frozen Conflictentsteht.
Diese vier Punkte sind essenziell. Wenn sie nicht vonRussland mit umgesetzt werden, müssen die jetzt nur an-gedrohten Sanktionen angewendet werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Einigkeit derEU gegenüber Russland wird durch die Geschlossenheitder NATO auf dem Gipfel in Wales komplementiert. DieNATO hat sich angesichts der russischen Aggression ei-nig wie selten gezeigt. Auch hier wird deutlich: Es wirdPräsident Putin nicht gelingen, uns auseinanderzudivi-dieren – das Gegenteil ist der Fall.In großer Geschlossenheit hat das Bündnis ein Kon-zept zum besseren militärischen Schutz der östlichenMitgliedstaaten verabschiedet. Unsere Bündnispartnerim Osten, insbesondere die baltischen Staaten und Polen,fühlen sich durch die russische Aggression in Osteuropaexistenziell bedroht; das können wir nachvollziehen.Deshalb steht die CDU/CSU ohne Wenn und Aber hinter
Metadaten/Kopzeile:
4666 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Dr. Andreas Schockenhoff
(C)
(B)
der Verpflichtung des Bündnisses, einander gegen einenAngriff zu verteidigen und die Freiheit und Sicherheit allseiner Mitglieder zu schützen. Deshalb ist es für unsauch eine Selbstverständlichkeit, dass wir uns an einerschnellen Eingreiftruppe der NATO als neue Speerspitzedes Bündnisses beteiligen.
Für die CDU/CSU sind die nun in Wales getroffenenVereinbarungen der richtige Weg, um Präsident Putinklar zu verstehen zu geben: Die Allianz wird kein Aus-greifen seiner hybriden Kriegsführung auf das Bündnis-gebiet zulassen. Meine Fraktion bekennt sich auch zuden Beschlüssen der Allianz zu ihrer Erweiterung. EineMitgliedschaft der Ukraine ist derzeit nicht auf der Ta-gesordnung; aber die Ukraine bleibt frei in ihrer Wahl,ob sie eine Aufnahme in das Bündnis anstreben möchte.Die militärischen Drohungen und Aktivitäten Russ-lands – gegen die Ukraine, aber auch gegen unsere östli-chen Bündnispartner – haben die Diskussionen um un-sere Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit erneut belebt.Das Bündnis muss über das gesamte Spektrum an Fä-higkeiten verfügen, die für eine Abschreckung und Ver-teidigung gegen jede Bedrohung der Sicherheit unsererBevölkerungen notwendig sind. Dafür müssen wir zu-nehmend auf transnationale Fähigkeiten setzen. Die be-schlossenen Maßnahmen des Bündnisses im Rahmenseiner Smart-Defence-Initiative sind dabei der richtigeWeg. Die Bundesregierung hat mit ihrem Konzept derRahmennationen eine Führungsrolle in diesem Prozessübernommen. Dabei hat sie unsere volle Unterstützung.In Afghanistan, liebe Kolleginnen und Kollegen, wirdder ISAF-Stabilisierungseinsatz Ende dieses Jahres be-endet sein. Die afghanischen Sicherheitskräfte werdenaber auch über 2014 hinaus Ausbildung, Beratungund Unterstützung brauchen. Deutschland unterstütztdaher die Bemühungen um eine neue internationaleBeratungs-, Ausbildungs- und Unterstützungsmission„Resolute Support“.Im Übrigen ist zu hoffen, dass Präsident Obama ange-sichts der Entwicklungen im Irak seine Entscheidungüberdenkt, die amerikanischen Truppen bereits bis Ende2016 vollständig aus Afghanistan abzuziehen. Denn imIrak sehen wir doch auch die Risiken eines zu frühenAbzugs der Amerikaner.Machen wir uns nichts vor: Die Region des Nahenund Mittleren Ostens braucht die USA als Ordnungs-macht, und es ist zu begrüßen, dass Washington denKampf gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ jetztnicht nur aufnimmt, sondern dazu auch Partner sucht.Wir begrüßen ausdrücklich die Botschaften, die Präsi-dent Obama in diesem Zusammenhang gestern in seinerRede an die Nation übermittelt hat.
Auch hier wird Deutschland seiner Verantwortung ge-recht. Es geht darum, dieser Bedrohung für den gesam-ten Nahen und Mittleren Osten, aber eben auch fürDeutschland und Europa zu begegnen.Auch angesichts der unbeschreiblichen Barbarei kön-nen wir uns nicht heraushalten. Jedes Risiko zu vermei-den und zu hoffen, dass andere sich der Gefahr stellen,ist keine Option. Deshalb unterstützen wir diejenigen,die mutig gegen den Terror des sogenannten „Islami-schen Staates“ kämpfen.Wir sind bereit, mehr Flüchtlinge aufzunehmen; da-rüber haben wir gestern schon debattiert. Wir wissenaber auch, dass wir damit das Problem nicht lösenkönnen. Nur wenn wir den Menschen in ihrem Land eineglaubhafte Perspektive geben, werden sie dort auch blei-ben. Die Voraussetzung dafür ist in erster Linie Sicher-heit. Als ich vor kurzem mit dem FraktionsvorsitzendenKauder im Irak war, haben wir Flüchtlingsfamilien ge-troffen, die zum dritten Mal vertrieben worden warenund dreimal mit angesehen haben, wie Familienangehö-rige und Nachbarn ermordet wurden. Sie gehen nichtzurück, wenn sie kein Vertrauen haben, dass es wirklichSicherheit gibt, sondern nur das Gefühl, auf den nächs-ten Überfall zu warten.Doch unsere Waffenlieferungen sind nur Nothilfe.Der amerikanische Präsident hat recht, wenn er sagt,dass diese Terrorbande zerschlagen werden muss. Diesist eine Aufgabe der gesamten internationalen Gemein-schaft. Der sogenannte „Islamische Staat“ ist eine totali-täre, islamfaschistische Bedrohung, die bereits Länderwie Libanon und Jordanien akut bedroht, aber auchSaudi-Arabien und mittelbar auch Israel.Es ist richtig, dass Präsident Obama nun auch in Sy-rien militärisch intensiver vorgehen will. Dort hat derselbsternannte „Islamische Staat“ seine Basis, dort hatAssad ein Schlachtfeld geschaffen, das ihm überhaupterst den Raum gegeben hat, um groß zu werden.Nicht zuletzt: Der UN-Sicherheitsrat hat sich auf-grund der russischen Blockade als unfähig erwiesen,rechtzeitig in Syrien das Töten zu stoppen. Das hat zurRadikalisierung der syrischen Opposition und zumErstarken der Dschihadisten geführt. Die Konsequenzdaraus kann nur sein, eine Koalition zu schmieden, diesich den selbsternannten Gründern eines „IslamischenStaats“ nun im Irak und in Syrien entgegenstellt. MeineFraktion unterstützt mit Nachdruck, dass sich die Bun-desrepublik hier verpflichtet hat. Auch hier können wirnicht länger zuschauen. Das gilt im Übrigen auch für Li-byen und für ganz Nordafrika, das von Instabilität, vontotalitärem Islamismus bedroht wird.Damit komme ich wieder auf den Ausgangspunkt zu-rück, nämlich darauf, dass weitere sicherheitspolitischeHerausforderungen auf uns zukommen werden. LassenSie mich deshalb abschließend fünf Leitgedanken zurVerantwortung Deutschlands formulieren:Erstens. Deutschland hat aufgrund seiner besonderenRolle in Europa und im NATO-Bündnis eine führendeAufgabe wahrzunehmen.
– Das ist so ein Unsinn, was Sie da reden. Herr Gehrcke,wie kann man so einen Schwachsinn reden?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4667
Dr. Andreas Schockenhoff
(C)
(B)
Wenn man ein Land, das ein Drittel seines Bruttoinlands-produkts, das sein Wirtschaftswachstum und seine so-ziale Sicherheit der internationalen Stabilität und demweltweiten freien Handel verdankt, der Großmannssuchtbezeichnet, weil es Verantwortung übernimmt,
dann ist das einfach nur dumm.
Dass die Bundesregierung bereit ist, diese Verantwor-tung zu übernehmen, auch hinsichtlich der Mitgestaltungvon entsprechenden Beschlüssen, hat sie kürzlich beimNATO-Gipfel gezeigt. Das zeigt sich auch in der Bereit-schaft der Bundesregierung, in der Kerngruppe zur Be-kämpfung des IS-Terrors maßgeblich mitzuwirken.Zweitens. So selbstverständlich humanitäre Hilfe undWirtschaftshilfe sowie Ausbildungshilfe sind: Im Ein-zelfall können auch weiterhin Auslandseinsätze derBundeswehr und erneut Waffenlieferungen erforderlichsein. Wenn andere, wie jetzt die kurdischen Peschmergaim Irak, einen konkreten Beitrag auch für die SicherheitEuropas leisten und wir deshalb nicht Bundeswehrsolda-ten in einen gefährlichen Kampfeinsatz entsenden müs-sen, müssen wir diese Kräfte zumindest ertüchtigen, imEinzelfall auch durch Waffenlieferungen. Auch dies ge-hört zur Wahrnehmung außenpolitischer Verantwortungals größter, wirtschaftlich stärkster und politisch bedeu-tender Staat in Europa.Drittens. Da wir zu unserer eigenen Sicherheit inunserer südlichen und östlichen Nachbarschaft mehrVerantwortung übernehmen müssen, brauchen wir klaresicherheitspolitische Ordnungskonzepte, denen wir mitunseren politischen, wirtschaftlichen und militärischenFähigkeiten und Möglichkeiten entsprechen müssen.Viertens. Heute ist die NATO aufgrund des russischenVorgehens für die Sicherheit Europas, insbesondere fürunsere östlichen Partner, wieder gefragt. Wir brauchenmehr Europa in der Allianz. Die Verteidigungsausgabendürfen nicht weiter sinken, und sie müssen gleichzeitigeffizienter eingesetzt werden. Das geht nur – ich habe esvorhin schon erwähnt – mit mehr transnationalen Fähig-keiten. Konzepte wie das der Rahmennationen und derSmart Defence oder die jetzt beschlossene „Speerspitze“bringen Deutschland in zusätzliche, auch militärischeVerantwortung. Sie bedeuten aber gleichzeitig auchmehr Sicherheit für uns. Das ist die Gegenseite. Demmüssen wir uns mit einer Reform des Parlamentsbeteili-gungsgesetzes stellen. Ich gehe davon aus, dass wir nochin dieser Legislaturperiode im Bundestag erneut überdiese Frage diskutieren werden.Fünftens. Unsere außenpolitischen Interessen sind mitunseren wirtschaftlichen Interessen eng verknüpft. Dassollten wir auch offen sagen.
Ein Land, das ein Drittel seines Bruttoinlandsproduktes– Herr Gehrcke, das habe ich gerade gesagt; ich sage esgern noch einmal –
über den Export erzielt, kann mit der Devise: „Wirverdienen das Geld, sorgt ihr für die Sicherheit“ nichtbestehen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregie-rung wird mit ihrem außenpolitischen Handeln Deutsch-lands Verantwortung gerecht, gerade auch, wenn es umeine schwierige sicherheitspolitische Entscheidung geht.Allerdings müssen wir uns auch darüber im Klaren sein,dass wir in unserer Bevölkerung noch mehr Verständnisfür die Wahrnehmung außen- und sicherheitspolitischerVerantwortung wecken müssen.Ich begrüße deshalb – zum Abschluss – ausdrücklich,dass sich unser Bundespräsident mit seiner Autorität alsStaatsoberhaupt in diese Debatte einbringt.
Lieber Herr Kollege.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Zudem
halte ich es für dringend geboten, dass wir einmal im
Jahr hier in diesem Haus eine sicherheitspolitische
Generaldebatte führen. Wir müssen uns öffentlich zu
unserer Verantwortung bekennen und auch öffentlich
darüber diskutieren und gegebenenfalls streiten, was
Verantwortung konkret heißt.
Vielen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nunder Kollege Frithjof Schmidt das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Herr Außenminister, Sie haben es angespro-chen: Unsere Debatte ist geprägt durch die dramatischeDichte der internationalen Krisen und Konflikte, die unsalle umtreiben. Manches gerät dann auch ganz schnellwieder aus dem Fokus: Mali, Zentralafrika, wo jetzt ge-rade eine UN-Mission ansteht, Südsudan, wo es leidernichts Vergleichbares in diese Richtung gibt, jetzt neudie Ebolakrise in Westafrika und die dramatischen Er-eignisse im ganzen Nahen Osten. Übrigens gibt es auchschlechte Nachrichten aus Afghanistan. Die meisten vonuns kommen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten, wennsie das alles noch genau verfolgen wollen. In wichtigenRegionen befindet sich die postkoloniale Ordnung weit-
Metadaten/Kopzeile:
4668 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Dr. Frithjof Schmidt
(C)
(B)
gehend in Auflösung. Das alles ist mit schrecklichenVerwerfungen und Opfern verbunden.In Europa – auch das haben Sie treffend angespro-chen – ist es nicht viel anders. Unser größter Nachbar-staat in Europa, Russland, setzt nach der völkerrechts-widrigen Annexion der Krim seine Destabilisierung derUkraine bisher aktiv fort. Wir hoffen alle, dass derWaffenstillstand in der Ostukraine hält und den Weg zueiner friedlichen Lösung öffnet. Aber dazu ist es not-wendig, dass Russland seine militärische Unterstützungder Separatisten endgültig beendet und der Zwölf-Punkte-Plan ganz umgesetzt wird.
Ich sage: Die Politik der Europäischen Union ist da ganzrichtig. Solange Russland dazu nicht bereit ist, ist esrichtig, die Verschärfung der Sanktionen gegenüberRussland aufrechtzuerhalten, um Druck zu machen, auchfür weitere Verhandlungen.
Diesen Zusammenhang sollten wir nicht aus den Augenverlieren. Das ist ein wichtiges Element der Politik. Dakann ich dem Außenminister nur zustimmen.Es ist auch wichtig, die Befürchtungen der östlichenNATO-Partner in dieser Lage sehr ernst zu nehmen. DieBeistandspflicht nach Artikel 5 des NATO-Vertrages giltfür alle Mitglieder gleichermaßen; daran darf es keinenZweifel geben.
Die Einsatzbereitschaft der NATO kann dazu dienen,solche Zweifel auszuräumen.Aber wir dürfen in diesem Zusammenhang nicht denFehler machen, in eine militärische Logik der Aufrüs-tung zu verfallen, wie sie manche ja schon fordern, unddabei dann auch den politischen Dialog ad acta zu legen.Deshalb wäre es ein ganz falsches Signal, die NATO-Russland-Grundakte zu kündigen, auch wenn Russlandmit seinem Vorgehen auf der Krim bereits massiv gegendiese Vereinbarung verstoßen hat. Da unterstützen wirausdrücklich die Haltung, die die Bundesregierung aufder NATO-Konferenz vertreten hat.Die Diskussionen auf dem NATO-Gipfel in der letz-ten Woche geben jedoch auch Anlass zur Sorge. Derscheidende Generalsekretär Rasmussen fordert massiveErhöhungen der Rüstungsausgaben, und schon gibt esauch Pläne, die geplante neue NATO-Raketenabwehrnun doch auch auf Russland als Gegner auszurichten.Das ist ein gefährliches Spiel mit der Eskalation. Daskann einen neuen Rüstungswettlauf in Europa auslösen.Das darf nicht sein.
In diesem Zusammenhang muss ganz klar sein: DieNATO kann bei der Lösung der Ukraine-Krise keinezentrale Rolle einnehmen. Das ist das falsche Feld. Hiersind die Europäische Union und die OSZE gefragt. Siemüssen gestärkt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der letztenWoche haben wir in einer Sondersitzung über die drama-tische Lage im Irak und in Syrien gesprochen. Esbestand in diesem Haus, glaube ich, große Einigkeitdarüber, dass es richtig ist, die Kurden und die irakischeZentralregierung in ihrem Kampf gegen die Radikalisla-misten des ISIS zu unterstützen. Einen Dissens hattenwir darüber, ob Waffenlieferungen dafür das richtigeMittel sind. Sie wissen, dass die Mehrheit meiner Frak-tion, wie so viele in Deutschland, dies wegen der großenProliferationsrisiken nicht glaubt. Deswegen haben wirIhrem Entschließungsantrag dazu nicht zugestimmt.Aber richtig ist doch auch, dass eine politische Strate-gie her muss, die eine politische Lösung für diese Re-gion skizziert. Was die Initiative von Präsident Obama,die er gestern Nacht vorgestellt hat, betrifft – er wirbt fürein breites Vorgehen gegen den IS im Irak und in Syrienund sagt, dies solle ein zentrales Element der Politik derUSA werden –, sagen wir ganz klar: Entscheidend undvon zentraler Bedeutung ist hierfür ein UN-Mandat,auch und gerade dann, wenn man eine regionale Einbin-dung aller Mächte dort erreichen will.
Ich hätte mir ein klares Wort von Ihnen, Herr Außen-minister, dazu gewünscht, wie wichtig es ist, dass dieUNO hier im Spiel bleiben muss, ja eigentlich erst rich-tig ins Spiel kommen muss.
Wir fordern Sie auf, sich als Bundesregierung aktiv da-für einzusetzen, dies zu benennen und es deutlicher zusagen, als Sie es hier angedeutet haben. Nur so wird esmöglich sein, regionale Mächte, die man für eine Lösungbraucht, einzubinden. Wir reden da auch über Saudi-Arabien und den Iran. Wir alle wissen, dass wir ohnediese regionalen Großmächte keine politische Lösungerreichen können.
Die UNO ist dafür der entscheidende Rahmen. Hier darfkeine unilaterale Politik und keine Politik mit kleinenGruppen an der UNO vorbei gemacht werden. DerUNO-Bezug muss ein zentrales Element der deutschenAußenpolitik bleiben. Da vermissen wir noch einiges.
Es ist gut, dass es für die humanitäre Hilfe eine breiteUnterstützung im Bundestag gibt. Ich möchte noch ein-mal an das erinnern, was der Kollege Oppermann in der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4669
Dr. Frithjof Schmidt
(C)
(B)
Sondersitzung gesagt hat – ich zitiere mit Erlaubnis desPräsidenten –:Wir werden darauf achten, dass die humanitäreHilfe für diese Region immer deutlich höher ist alsdie Waffenhilfe …Daran werden wir Sie messen.
Und da muss ich feststellen: In dem Haushalt, den Sieuns hier vorlegen, wird im Einzelplan des AuswärtigenAmtes der Titel für humanitäre Hilfe um sage undschreibe 38 Prozent gekürzt. Das ist in dieser internatio-nalen Lage absurd.
Man fragt sich, wovon Sie bei dieser Kürzung denn ei-gentlich die versprochenen humanitären Hilfen finanzie-ren wollen.Herr Außenminister, wenn Sie andeuten, Sie hättengern mehr Mittel, was ich verstehe und worin wir Sie un-terstützen, frage ich Sie einmal umgekehrt: Warum legenSie uns denn dann überhaupt so einen Haushalt vor?
Das war doch vor wenigen Wochen nicht anders, sodasswir das nicht hätten erkennen können. Wir hatten dochgenügend Zeit, das zu tun. Deswegen ist das ein schlech-ter Haushaltsentwurf, der uns hier vorgelegt wird.
Der Bedarf bei der humanitären Hilfe ist riesig. Die Ver-einten Nationen und alle Hilfsorganisationen sagen, dassdie Hilfe – übrigens nicht nur in Syrien und im Nord-irak – hoffnungslos unterfinanziert ist. Diese Kürzung,meine Damen und Herren von der Koalition, müssen Siezurücknehmen.
Herr Außenminister, ich möchte noch zu wichtigenPolitikfeldern kommen, in denen wir scharfe Kritik anIhrer Politik haben. Da sind zuerst die transatlantischenBeziehungen. Vor einem halben Jahr wollten Sie geradenoch ein No-Spy-Abkommen mit den USA für den Ver-zicht auf gegenseitige Spionage erreichen. Nichts habenSie erreicht. Jetzt tun Sie einfach so, als wäre gar nichts.Das ist peinlich. Es ist einfach nur peinlich, wie Sie da-mit umgehen.
Beim transatlantischen Handelsabkommen TTIP gehtes natürlich auch um eine zentrale Frage unserer Bezie-hungen zu den USA,
und das fällt auch in Ihr Ressort. Da frage ich Sie – damüssen Sie auch als Außenminister Stellung beziehenund können sich nicht hinter anderen Ministern verste-cken –: Wollen Sie wirklich außergerichtliche Schieds-gerichtsverfahren mit wechselseitigen Schadensersatz-klagen gegen neue Gesetze akzeptieren? Haben Sieeinmal überlegt, welche zerrüttende politische Wirkungdas für die transatlantischen Beziehungen in der Bevöl-kerung in Europa und übrigens auch in den USA auslö-sen kann? Das ist eine eminent wichtige außenpolitischeFrage. Da tauchen Sie als Außenminister einfach weg.Das ist ein schwerer außenpolitischer Fehler.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Niels Annen für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit IhrerErlaubnis möchte ich eine Vorbemerkung machen. HerrKollege Gehrcke, wenn Sie hier den Eindruck erweckenwollen, dass der deutsche Außenminister mit seinen Ver-handlungen versucht haben sollte, Faschisten hoffähigzu machen,
dann will ich Ihnen hier in aller Deutlichkeit sagen:Meine Partei kämpft seit 150 Jahren in Deutschland undinternational gegen die Faschisten. Wir werden uns dieseUnterstellung von Ihnen nicht gefallen lassen. Dasmöchte ich Ihnen hier garantieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist in denletzten Monaten ja viel über die Grundsätze deutscherAußenpolitik gesprochen worden, nicht immer sehrtrennscharf. Dabei liegt uns allen im Grundgesetz ei-gentlich eine sehr gute Definition vor. In der Präambelheißt es, dass wir als gleichberechtigtes Glied in einemvereinten Europa dem Frieden der Welt dienen sollen.Ich denke, dass dies eine gute Beschreibung ist. Deswe-gen, meine Damen und Herren, ist deutsche Außenpoli-tik auch immer Friedenspolitik.Aber dieser Frieden ist gefährdet in Syrien, im Irak,aber auch durch die Konflikte zwischen Israel und derHamas. Ich glaube, wir alle stimmen doch darin überein:Vor wenigen Monaten hätte sich noch niemand vorstel-len können, dass wir in der Ukraine eine Krise mit in-zwischen mehreren Tausend Toten haben.
ISIS, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, istnicht nur eine Bedrohung für die Menschen in der be-troffenen Region. Der umfassende Machtanspruch istauch eine Herausforderung für unsere freiheitlichen Ge-sellschaften.
Metadaten/Kopzeile:
4670 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Niels Annen
(C)
(B)
Deswegen bin ich dankbar dafür, dass auch daraufhingewiesen worden ist: Ohne dass wir uns auf die Be-endigung des täglichen Sterbens der Menschen in Syrienkonzentrieren, werden wir dieses Problem nicht angehenkönnen.Dafür brauchen wir in der Tat die Vereinten Nationen,und ich hoffe, dass bei den Plänen, die der amerikani-sche Präsident jetzt vorgestellt hat, dieser politische As-pekt in Zukunft vielleicht eine stärkere Rolle spielenwird.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, 3 MillionenSyrerinnen und Syrer sind inzwischen in die Nachbar-länder geflohen. Die Anzahl der Binnenflüchtlinge be-trägt über 6 Millionen. Im Irak hat ISIS diese humanitäreKatastrophe noch einmal zugespitzt; dort sind inzwi-schen 1,6 Millionen Menschen zu Flüchtlingen gewor-den.Ich bin überzeugt davon, dass die tiefen Gräben in derirakischen Gesellschaft – auch verstärkt durch die Politikdes ehemaligen Ministerpräsidenten al-Maliki – nurüberwunden werden können, wenn diejenigen, die jetztdafür sorgen wollen, dass alle an der politischen Machtbeteiligt werden, auch international unterstützt werden.Die Entscheidung des irakischen Präsidenten ist dort si-cherlich ein erster wichtiger Schritt; das ist auch von derdeutschen Politik deutlich gemacht worden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch Russland hatin den zurückliegenden 20 Jahren schreckliche Erfah-rungen mit islamistischem Terror gemacht. Doch stattunsere gemeinsamen Ressourcen auf die Bekämpfungdieses Problems zu konzentrieren, hat die russische Füh-rung die Souveränität der Ukraine in eklatanter Weiseverletzt und hat dazu beigetragen, in Europa eine neuepolitische Eiszeit auszulösen. Dieser Konflikt hat – ichglaube, wir alle kennen das aus den Gesprächen in unse-ren Wahlkreisen – auch bei uns Ängste vor einer Rück-kehr des Krieges in Europa ausgelöst. Deswegen ist dervor wenigen Tagen vereinbarte Waffenstillstand einwichtiger Erfolg und ein wichtiger Schritt in die richtigeRichtung. Wir müssen alle Akteure auf der einen Seitepolitisch unter Druck setzen, sie auf der anderen Seiteaber auch dabei unterstützen, jetzt alle Fragen Stück fürStück auf den Verhandlungstisch zu packen und die Inte-ressengegensätze, die es dort gibt, offen anzusprechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, dieseDebatte ist auch der Ort – ich bin Herrn Schmidt dafürdankbar, dass er darauf hingewiesen hat –, auf die Kon-flikte zu sprechen zu kommen, die es eben nicht jedenTag in die Abendnachrichten schaffen. Ich denke dabeian Libyen, ich denke an Mali, an die ZentralafrikanischeRepublik, aber auch an den Südsudan. Gerade im Südsu-dan ist die humanitäre Lage katastrophal. Seit dem De-zember 2013 hat sich die Lage erheblich verschärft. In-zwischen beklagen wir über 10 000 Todesopfer, darunterviele Zivilisten; 1,3 Millionen Menschen sind auf derFlucht; hinzu kommen noch knapp eine halbe MillionFlüchtlinge aus den Nachbarländern; knapp 4 MillionenMenschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. DieVereinten Nationen gehen von einem Bedarf von1,8 Milliarden US-Dollar aus.Meine Kolleginnen und Kollegen, ich denke des-wegen: Natürlich ist die Konsolidierung des Haushal-tes – es ist ja in dieser Debatte häufig und auch zu Rechtdarauf hingewiesen worden, wie wichtig die schwarzeNull ist – ein legitimes, ein wichtiges politisches Ziel.Wir dürfen aber auch das millionenfache Leid der Men-schen in den Konflikten, die ich benannt habe, und an-derswo nicht vergessen.
Deswegen müssen wir uns in den kommenden Tagenauch mit der Frage auseinandersetzen, wie wir die neuenErwartungen an die deutsche Außenpolitik und die He-rausforderungen auch finanziell unterlegen.
Ich denke dabei im Wesentlichen an drei Punkte:Erstens. Die Anforderungen an die deutsche Außen-politik sind in der Tat dramatisch gestiegen, und wirmüssen das durch einen angemessenen Mittelaufwuchsauch abbilden. Ich will an dieser Stelle einmal sagen: Esgeht aus meiner Sicht unter anderem auch darum, auf dieveränderten Gefährdungslagen einzugehen. Wir müssenzum Beispiel auch unsere deutschen Auslandsvertretun-gen angemessen ausstatten und schützen.Zweitens. Wir müssen und werden auch mehr huma-nitäre Hilfe leisten. Ich will einmal darauf hinweisen,dass wir im Zusammenhang mit den Auseinandersetzun-gen im Irak und in Syrien und der Debatte über ISIS jaauch darüber gesprochen haben, dass staatliche Struktu-ren infrage gestellt werden, dass sie zusammengebro-chen sind, dass wir es in vielen Bereichen der Welt mitKonflikten zu tun haben, in denen es verlässliche Struk-turen, die uns überhaupt in die Lage versetzen, Krisen zumanagen, nicht mehr gibt. Deswegen müssen wir dort,wo zum Beispiel das Flüchtlingshilfswerk der VereintenNationen quasi staatliche Aufgaben übernommen hat,unsere Hilfe auch weiter ausbauen.
Drittens. Zivile Konfliktvermeidung und Konfliktver-hütung – dazu gehören auch Instrumente wie die Aus-wärtige Kulturpolitik – müssen weiter das Zentrum derdeutschen Außenpolitik bilden, ich denke, auch damitwir den Auftrag des Grundgesetzes erfüllen können, alsgleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa demFrieden der Welt zu dienen.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4671
Niels Annen
(C)
(B)
Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Gehrcke
das Wort.
Schönen Dank, Herr Präsident. – Ich weiß, Herr Kol-
lege Annen, dass Sie aus Ihren Reihen den Auftrag mit
ans Rednerpult genommen haben, mich in dieser Frage
zurechtzuweisen.
Sie haben sich ordentlich bemüht, aber es entsprach lei-
der nicht dem, was ich gesagt habe.
Ich habe nicht gesagt, dass der Außenminister und
seine Partei oder die Koalition, die ihn trägt, die Nazis in
der Ukraine salonfähig gemacht haben; ich denke noch
nicht einmal so. Ich reagiere auf diese Frage so aller-
gisch, weil ich aus der Geschichte der Linken in
Deutschland weiß, dass dieser Vorwurf, dieser gegensei-
tige Vorwurf, verhängnisvoll zur Spaltung der Linken
beigetragen hat.
Das will ich nicht, und deswegen weise ich das zurück;
ich denke noch nicht einmal so.
Ich habe kritisiert, dass die Bundesregierung der
ukrainischen Regierung nicht deutlich genug klar ge-
macht hat, dass Deutschland nicht mit einer Regierung
kooperieren wolle, die viele Minister aus einer Partei
hat, die immerhin eine Parteischule unterhalten hat, die
sich den Namen „Goebbels“ gegeben hat. Das finde ich
entscheidend.
Ich habe kritisiert, dass dieser Außenminister nicht
genügend klar gesagt hat, dass in der Ukraine Schluss
sein muss mit den Möglichkeiten sogenannter Freiwilli-
genbataillone, die jetzt in der Ostukraine kämpfen und
sich auf den Faschisten Bandera berufen.
Ich möchte eine Trennschärfe, wie sie Verheugen vor-
geschlagen hat. Im 21. Jahrhundert kooperiert man nicht
mit Regierungen, denen Nazis angehören.
Das ist das, was ich hier sagen wollte und ausgedrückt
habe, und dabei belassen wir es dann auch.
Herr Kollege Gehrcke, zunächst darf ich Sie darauf
hinweisen, dass ich selber entscheide, was ich am Po-
dium sage.
Zweitens. Auch mit Ihrem Redebeitrag gerade eben
haben Sie wieder eine Verknüpfung hergestellt, von der
ich nur annehmen kann, dass sie bei denjenigen, die uns
hier zuhören, eine bestimmte Assoziation auslösen soll,
und das muss ich einfach zurückweisen.
Ihre Fraktion hat sich in vielen Debatten in diesem
Haus immer dafür ausgesprochen, mit allen sprachfähig
zu sein. Wir alle erinnern uns vielleicht an die dramati-
sche Situation, in der der deutsche, der polnische und der
französische Außenminister in einer diplomatischen Ini-
tiative versucht haben, das, was jetzt eskaliert ist, in letz-
ter Minute noch zu verhindern. Es ist doch nicht der
deutsche Außenminister, der darüber entscheidet, wer
welche Delegation zu Verhandlungen entsendet, mit der
man sich auf einen Waffenstillstand und auf eine politi-
sche Lösung zu verständigen versucht.
Ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie diese
Form der Aneinanderreihung von Argumenten in Zu-
kunft, wenn das, was Sie gesagt haben, wirklich Ihrer In-
tention entspricht, einfach unterlassen würden.
Niemand hat vor, diese Form der Politik und der rechts-
radikalen Äußerungen, die es in der ukrainischen Regie-
rung und in der ukrainischen Politik natürlich gibt und
die wir alle hier zurückgewiesen haben, zu legitimieren.
Insofern finde ich nach wie vor – wir können das ja im
Protokoll nachlesen –, dass Ihre Bemerkung dazu unan-
gemessen war.
Nächster Redner ist der Kollege Stefan Liebich für
die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! DieReden des Außenministers, von Herrn Schmidt, vonHerrn Annen und – gestern – von Frau Brugger habenalle sehr ähnlich begonnen: Sie beschreiben die Kon-flikte, die es überall auf der Welt gibt. Die Länder wer-den genannt – ich will sie hier nicht noch einmal wieder-holen –, und wir stellen fest, dass die Konflikte vonheute entlang anderer und nicht mehr so scharf gezoge-ner Linien verlaufen, wie das in vergangenen Zeiten ein-mal der Fall gewesen ist.Es gibt religiös verbrämte Kämpfer, marodierendeBanden, nichtstaatliche Akteure und private Sicherheits-dienste. Die Konflikte, die wir heute haben, sind fürviele Menschen in der Tat nicht mehr verständlich. Siekennen das auch aus Ihren Wahlkreisen und aus den Ge-sprächen mit Bürgerinnen und Bürgern: Viele Menschenhaben wieder Angst, wenn sie die Tagesschau sehen; siesind verunsichert.
Metadaten/Kopzeile:
4672 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Stefan Liebich
(B)
Manche Kollegen sagen: Ach, wie einfach war dochdie Welt, als sie noch in zwei Blöcke geteilt war! – Ichmöchte Ihnen sagen: Ich bin froh, dass diese Zeiten vor-bei sind.Ja, wir haben andere Zeiten. Auch unsere Außenpoli-tik muss sich ändern; wohin, das debattieren wir hier,auch kontrovers. Dass Sie, Herr Steinmeier, als Außen-minister in der EU, in der NATO und auch in der Koali-tion, wie ich eben während der Rede des KollegenSchockenhoff festgestellt habe, nicht der Scharfmachersind, will ich Ihnen gerne zugestehen.
Trotzdem müssen wir hier als Opposition am Ende nichtdie Reden bewerten, sondern die Beschlüsse. Die Be-schlüsse, die Sie fassen und die Sie mitzuverantwortenhaben, finden wir im Ergebnis falsch.Ja, Russland hat in der Krise um die Ukraine von Be-ginn an falsch und völkerrechtswidrig gehandelt.
Trotzdem finden wir die Antworten, die Sie daraufgeben, falsch. Sanktionen zu verhängen, die NATO alsSpeerspitze zu bezeichnen, die Verteidigungsetats zu er-höhen, hilft keinem Menschen in der Ukraine.
In einer immer kriegerischer und unberechenbarerwerdenden Welt müsste unsere Antwort doch sein, allesfür den Frieden zu tun. Alles, was Kriege verlängert,müsste unterlassen werden, und alles, was sie beendenhilft, müsste geleistet werden. Stattdessen genehmigtunsere Bundesregierung, auch Sie, Herr Steinmeier,Waffenverkäufe aus Deutschland in Krisengebiete undan Diktaturen. Nun brechen Sie noch ein weiteres Tabu.Sie können sich über Frau Göring-Eckardts Rede vongestern ärgern, aber es ist einfach wahr: Es ist das ersteMal, dass Tausende Waffen – Maschinengewehre, Pisto-len und Granaten – mitten in ein Kriegsgebiet geliefertwerden. Das ist der falsche Weg.Dass Sie hier die richtigen Fragen stellen, spreche ichIhnen nicht ab. Sie fragen: Was ist, wenn ISIS denKampf gewinnt? Was ist, wenn ISIS die Waffen erbeu-tet? Was ist, wenn durch ISIS irgendwann in Jordanien,Libanon oder Israel neue Bedrohungssituationen entste-hen? Was ist, wenn sich die kurdischen Fraktionen plötz-lich gegen den Irak oder gegen die Türkei wenden?Diese Fragen benennen Sie von der Koalition und sagen:Diese Risiken gibt es. – Die Antworten darauf bleibenSie allerdings schuldig.
Dann wird immer gefragt, ob man einfach weg-schauen wolle. Ich glaube, diese scheinbare Alternativ-losigkeit ist falsch. Es gibt immer Alternativen, auch indiesem Konflikt. Ich werde Ihnen eine nennen.Wenn Sie in Berlin-Neukölln beobachten würden,dass eine Gruppe von Kurden von gewalttätigen Islamis-ten angegriffen wird, dann käme niemand von Ihnen aufdie Idee, den Kurden Pistolen in die Hand zu drücken.Jeder würde sagen: An dieser Stelle muss man die Poli-zei rufen. – Die Polizei in unserer Weltordnung ist dieUNO.Sie ist übrigens extra dafür gegründet worden. Ich zi-tiere den Beginn der UN-Charta, in der folgende Zielegenannt werden:den Weltfrieden und die internationale Sicherheitzu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollek-tivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen desFriedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffs-handlungen und andere Friedensbrüche zu unter-drücken …Das ist die Aufgabe der UNO. Die UNO muss endlichhandeln. Herr Steinmeier, es ist sehr nett, dass Sie unse-rem Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi hier rechtgeben, aber Sie müssten dann auch in diese Richtungwirken.Ich komme damit auf einen Punkt zu sprechen, denschon einige Redner erwähnt haben. Die Strategie, diePräsident Obama heute Nacht verkündet hat, finde ichnicht richtig. Sie ist hilflos, sie ist falsch, und sie wirdauch nicht wirksam sein. Der Präsident hat wieder ver-kündet, dass es eine Koalition der Willigen geben soll.Er hat in einem Nebensatz der UNO eine Nebenrolle zu-gebilligt. Niels Annen, Sie haben das ganz leicht kriti-siert, aber das reicht eben nicht. Man muss dann auchKonsequenzen folgen lassen.Barack Obama hat verschwiegen, dass sein VorgängerBush das ganze Unheil zu verantworten hat. Er ignoriertdie Verantwortung seiner Verbündeten Türkei undSaudi-Arabien für den Zustrom an Kämpfern und Geldan ISIS. Wie man mit Rebellen, die gleichzeitig gegenISIS und Assad kämpfen sollen, aber teilweise selbst mitder islamistischen Al-Nusra-Front verbunden sind, ge-winnen will, bleibt sein Geheimnis. Herr Schockenhoff,statt hier Ergebenheitsadressen an Barack Obama auszu-senden,
möchte ich Sie bitten, auf die Rolle der Vereinten Natio-nen zu pochen. Das haben Sie unterlassen. Das finde ichsehr schade. Das Völkerrecht weiter zu untergraben,kann nicht im Interesse unserer Welt sein.
Was im Staat das Recht ist, das ist zwischen den Staatendas Völkerrecht. Das muss immer gelten und darf nichtnur da gelten, wo es einem gerade passt.
Herr Kollege, Sie achten bitte auf die Redezeit.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4673
(C)
(B)
Ich komme zum Schluss. – Wir hoffen, Herr
Steinmeier, dass Sie Ihre Strategie über die gewachsene
Verantwortung unseres Landes noch einmal überdenken.
Unterlassen Sie die Waffenexporte in alle Welt! Wir wol-
len keine Rüstungswettläufe mit den USA, mit Russland,
China oder Frankreich. Gehen Sie stattdessen voran,
wenn es um Ideen zur Vermeidung von gewaltsamen
Konflikten und zur friedlichen Lösung von Konflikten
geht! Stärken Sie die Menschenrechte, und achten Sie
das Völkerrecht!
Vielen Dank.
Erika Steinbach ist die nächste Rednerin für die Frak-
tion der CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Mit diesen weltfremden und realitätsfernen Vor-schlägen meines Vorredners will ich mich gar nicht aus-einandersetzen.
Die deutsche und die europäische Außenpolitik ste-hen vor und in gewaltigen Herausforderungen. Wenn wirheute rund um den Globus schauen, sehen wir die Weltin zu vielen Regionen in dramatischer Situation, undzwar nicht nur in entfernten Ländern, sondern auch soerschreckend nah, dass es uns unter die Haut geht, näm-lich im Osten unseres eigenen Kontinents, in Europa.Gleichzeitig erinnern wir uns in diesem Jahr an ganzwichtige historische Daten, darunter zwei große, die mitKrieg zu tun haben. Gestern fand hier im DeutschenBundestag die Gedenkstunde zum Beginn des ZweitenWeltkriegs vor 75 Jahren statt. Der polnische PräsidentBronislaw Komorowski hat in seiner sehr bemerkens-werten Rede nicht nur den Wert und das Wunder derVersöhnung und des Miteinanders hervorgehoben,sondern er hat uns auch sehr gemahnt, dass wir alle inEuropa die gemeinsame Aufgabe haben, die aktuelleBedrohung auf unserem Kontinent auch aus den Lehrender Vergangenheit heraus zu bewältigen.Für die deutsche Außenpolitik waren und sind auchdeshalb militärische Mittel keine Option zur Bewälti-gung der Ukraine-Krise. Ich danke der Bundesregierungfür ihren unermüdlichen diplomatischen Einsatz rundum die Uhr in zahllosen Gesprächen und Verhandlun-gen, um befriedend einzuwirken. Das kostet viel Geduld,das kostet Nerven, zumal wenn das Gegenüber übereinen langen Zeitraum mündliche Zusagen macht, dieTaten aber die geradezu entgegengesetzte Sprache spre-chen. Im Volksmund würde man schlicht von „Lüge“ re-den.Unsere Bundesregierung hat alles, aber auch alles da-rangesetzt, um die Gemeinsamkeiten insbesondere derEuropäischen Union in dieser nicht ungefährlichen Lagezu erhalten und diese Gemeinsamkeiten sogar noch zustärken. Eine unverzichtbare Stütze für diesen ganzenProblemkreis waren und sind natürlich die VereinigtenStaaten von Amerika und auch die NATO für uns gewe-sen. Heute scheint es, als trügen die diplomatischen Be-mühungen und die unverzichtbaren Sanktionen – siesind unverzichtbar, will ich zur Linken hin sagen –
gegen die russische Annexionspolitik langsam Früchte.Ich sage ganz ausdrücklich, dass es sich nicht um einePolitik gegen Russland und seine Menschen handelt,sondern es handelt sich um die unverantwortlicheMachtpolitik des Kremls, gegen die wir agieren müssen.
Es gibt in Deutschland viele Sympathien für Russlandund für seine Kultur. Ich liebe Tschaikowsky und seine6. Sinfonie. Es geht mir das Herz auf, wenn ich diesesWerk höre. Die Werke von Dostojewski und Tolstoi sindauch für uns hier in Deutschland unverzichtbare Weltli-teratur. Unsere deutsche Außenpolitik hat auch in denvergangenen Monaten durch unseren Außenminister unddie Bundeskanzlerin sehr deutlich gemacht, dass die Tü-ren für ein gutes Miteinander zu Russland offen sind unddass diese Türen offen bleiben sollen.Was uns alle antreibt, ist aber auch der Wille, deutlichzu machen, dass das Völkerrecht, dass die Menschen-rechte auf unserem Kontinent verteidigt werden müssenund dass wir bereit sind, sie zu verteidigen.
Alle in Europa müssen die Souveränität von Staaten unddie Unverletzlichkeit staatlicher Grenzen respektieren.Sonst, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wird eskein dauerhaftes friedliches Miteinander auf unseremKontinent geben können.Wenn nun unser Blick in den Nahen Osten und in denarabischen Raum oder nach Afrika geht, verstummen ei-nem fast die Worte vor dem Entsetzlichen, was dort ge-schieht. Nur wenige Beispiele: die Gewaltexzesse dermenschenverachtenden Terrormiliz „Islamischer Staatim Irak“ und sogar darüber hinaus, der Bürgerkrieg inSyrien, die Massaker im Südsudan und in der Zentral-afrikanischen Republik. Die Triebkraft der Gewalt ist indiesen Gebieten weitgehend religiöser Fanatismus. Sa-muel Huntingtons These von einem Kampf der Kulturenals neue Bruchlinie und Hauptursache für Konflikte undfür politische Instabilität scheint sich in diesen Regionenerschreckend zu bestätigen.Das macht vor unseren Türen nicht halt, wenn wirnicht wachsam sind. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“fordert von Andersgläubigen das Konvertieren zumIslam ein, ansonsten drohten Tod, Vertreibung, Enteig-nung. Deshalb muss es uns hier in Deutschland alarmie-ren, dass in Wuppertal eine sogenannte Scharia-Polizeiin der Innenstadt eine „Scharia-kontrollierte Zone“ fürMuslime propagierte und die strenge Einhaltung vonmuslimischen Verhaltensregeln einforderte. Das ist eineVorstufe dessen, was wir im Irak in ganz entsetzlicher
Metadaten/Kopzeile:
4674 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Erika Steinbach
(C)
(B)
Form erleben. Gegen diese religiöse Intoleranz muss un-ser Staat genauso konsequent vorgehen wie gegen dieBedrohung von christlichen Flüchtlingen in Asylbewer-berheimen durch muslimische Flüchtlinge.
Es kann doch nicht sein und es darf auch nicht sein, dasswir in Deutschland durch importierte Intoleranz unsereWerte aushebeln lassen.
Der Satz „Wehret den Anfängen!“ gilt auch hier.Die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge ist inDeutschland deutlich gestiegen. Wir brauchen zügigeVerfahren, und die Anträge müssen baldmöglichst ent-schieden werden. Wir können erkennen: Die Hilfsbereit-schaft hier im Lande ist wirklich groß. Das liegt auchdaran, dass viele Millionen deutsche Heimatvertriebeneund Aussiedler sowie deren Kinder wissen, was esbedeutet, heimatlos und entwurzelt zu sein. Deshalbbegrüße ich sehr – ich bedanke mich dafür bei der Bun-desregierung –, dass ein jährlicher Gedenktag für dieOpfer von Flucht und Vertreibung beschlossen wurdeund dabei insbesondere an das Schicksal der deutschenHeimatvertriebenen erinnert werden soll.
Gerade im Hinblick auf künftige Generationen ist es gut,dass dieser Gedenktag jährlich am 20. Juni, dem Welt-flüchtlingstag, begangen wird. Damit wird das wichtigeSignal gesetzt, dass Menschenrechte unteilbar sind. Diedeutschen Heimatvertriebenen stehen an der Seite derheutigen Vertriebenen weltweit und fühlen mit ihnen.Mit Erschrecken müssen wir erkennen, dass Vertrei-bung keine Vokabel von gestern ist; Vertreibung stelltvielmehr eine wachsende Herausforderung für die Zu-kunft und die ganze Weltgemeinschaft dar.
Mehr als 51 Millionen Menschen sind weltweit auf derFlucht oder werden vertrieben. Aufnahmeprogramme inDeutschland sind da ein Zeichen des guten Willens undder Hilfsbereitschaft, aber sie können nur ganz marginaldie Not für sehr wenige lindern, selbst wenn wir dieProgramme aufstocken. Wichtig und richtig ist deshalbder Weg der Bundesregierung und der deutschen Außen-politik, alles Erdenkliche zu tun, um den Bedrängten vorOrt zu helfen und dort befriedend einzuwirken.Das zentrale Ziel unserer Politik und der Völkerge-meinschaft muss die Durchsetzung des Heimatrechts derMinderheiten auch im Irak sein.
Alles andere würde den IS-Terroristen mit ihren Vertrei-bungen und ihrer perfiden Strategie in die Hände spie-len. Das können wir nicht wollen. Auch die Repräsen-tanten der irakischen Minderheiten im Lande selbst undhier bei uns in Deutschland sehen das so und fordern,dass Jesiden und Christen in ihrer angestammten Heimateine Zukunft haben müssen. Wir müssen also vor allemvor Ort helfen, um den Menschen dort eine Perspektivezu geben, damit die jahrhundertealten religiösen undkulturellen Traditionen bewahrt werden können. Demträgt die Bundesregierung mit ihrer Kombination aus hu-manitärer Hilfe und Stärkung der militärischen und poli-tischen Kapazitäten des irakischen Staates Rechnung.Diesen Weg müssen wir konsequent weitergehen.Alles in allem stelle ich fest: Die deutsche Außen-und Menschenrechtspolitik nimmt ihre Verantwortung inder Völkergemeinschaft für Deutschland wahr und zeigtsich solidarisch mit den Flüchtlingen.
Frau Kollegin!
Ich bin gleich fertig, Herr Präsident. – Die Bewah-
rung des Friedens für Deutschland und für Europa ist
eine Aufgabe, die bei dieser Bundesregierung in sehr gu-
ten Händen liegt.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Tobias Lindner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin imSommer 2011 Mitglied dieses Hohen Hauses geworden.Das war zu einem Zeitpunkt, als sich die Euro-Krise aufdem Höhepunkt befand. Damals schien es, als sei Au-ßenpolitik ein Politikfeld, das aus der Mode gekommensei und nicht mehr hoch im Kurs stünde. Man mussheute, drei Jahre später, mit Bedauern feststellen: Demist nicht so. Ich sage deswegen „mit Bedauern“, weil derAnlass – das merkt man auch an dieser Debatte – eineParallelität an internationalen Krisen ist, wie wir sie bis-her kaum erlebt haben.Außenpolitik besteht vielfach aus Diplomatie. Mitei-nander zu reden oder zu telefonieren, kostet nicht viel; eskostet nahezu gar nichts. Dennoch geht es bei der Wirk-samkeit von Außenpolitik vielfach auch um Geld undum Haushaltsmittel. Wenn wir in Deutschland über mehrVerantwortung in der Welt diskutieren, dann muss diesesMehr an Verantwortung für ein Land mit unserer Wirt-schaftskraft auch bedeuten, dass wir in der Liste der Ge-berländer für humanitäre Hilfe und bei anderen Zahlun-gen nicht immer weiter nach unten rutschen. Wir müssenunserer Verantwortung auch an dieser Stelle gerechtwerden.
Für das Haushaltsjahr 2013 haben wir 335 MillionenEuro für humanitäre Hilfe bereitgestellt. Ich denke, in ei-nem Punkt geht es uns allen ähnlich: Normalerweise hatman als Politiker immer gerne recht.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4675
Dr. Tobias Lindner
(C)
(B)
Ich muss gestehen: Als ich im Rahmen der Haushaltsbe-ratungen für das Jahr 2014 beantragt habe, die Gelder fürhumanitäre Hilfe, die im Haushalt 2014 nur noch303 Millionen Euro betragen, zu erhöhen, hätte ich michgerne geirrt. Ich hätte mich in der Annahme, dass wirmehr brauchen werden, gerne geirrt. Ich hätte gerne ei-nen Haushalt gehabt, der mehr Mittel für humanitäreHilfe bereitstellt, damit der Minister am Ende des Jahressogar noch Geld zurückgeben kann, wie das im Verteidi-gungsministerium der Fall ist. Es ist beschämend, zu se-hen, dass wir für das Jahr 2014 im Bereich der humanitä-ren Hilfe unplanmäßige Ausgaben haben werden.
Herr Steinmeier, Sie haben uns für 2015 einen Haus-halt vorgelegt, in dem nur noch 187 Millionen Euro fürdieses Feld vorgesehen sind. Frithjof Schmidt sprachschon von einer 38-prozentigen Kürzung. Ich fordere Sieauf: Wickeln Sie es nicht wieder über überplanmäßigeAusgaben ab! Beenden Sie die Achterbahnfahrt im Be-reich der humanitären Hilfe!
Hier geht es nicht um Zahlen. Hier geht es um ganz kon-krete Schicksale. Hier geht es um Menschen. Die Hilfs-organisationen, die Hilfe leisten sollen, brauchen endlichPlanbarkeit. Deswegen muss dieser Mittelansatz deut-lich erhöht werden.
Frau Kollegin Steinbach, Sie haben davon gespro-chen, dass man auch an die Ursachen von Flucht undVertreibung denken muss. Andere Kollegen sprachendavon, dass wir früher reagieren müssen. Es geht dahernicht, dass die Mittel für Krisenpräventionen in diesemHaushaltsplan ebenfalls heruntergefahren werden sollen.Wir Grüne fordern schon seit Jahren und werden das imRahmen dieser Haushaltsberatungen auch wieder bean-tragen, dass man endlich einen Ressortkreis „Zivile Kri-senprävention“ einrichtet.
Die Kompetenzen, die im Auswärtigen Amt, im In-nenministerium – ich denke da vor allen Dingen an diePolizeiausbildung –, im Verteidigungsministerium undvor allem auch im Bundesministerium für wirtschaftli-che Zusammenarbeit und Entwicklung vorhanden sind,müssen wir anhand von ressortübergreifenden Mittelnstärken. Wir müssen an dieser Stelle für vermehrte Zu-sammenarbeit und für Kooperationen sorgen.
Wir Grüne werden in den anstehenden Haushaltsbera-tungen, auch wenn ich heute auf dem Feld der Außen-politik viel Einigkeit gesehen habe, den Finger auf dieWunde legen. Wir werden ganz konkret aufzeigen, wowir weniger Geld in anderen Ressorts ausgeben würden,um die deutsche Außenpolitik, die humanitäre Hilfe unddie Krisenprävention auch finanziell zu stärken, damitDeutschland an dieser Stelle seiner Verantwortung in derWelt gerecht wird.Ich danke Ihnen.
Frank Schwabe erhält das Wort für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!In der Tat, es ist eine Haushaltsdebatte. Bei einer Haus-haltsdebatte geht es um die Generallinien der Politik. Esgeht aber eben auch darum, wie diese Generallinien derPolitik im Haushalt abgebildet werden. Ich will gleicham Anfang mit der Tür ins Haus fallen: Es ist vielfachgesagt worden, dass der Ansatz für die humanitäre Hilfezu gering ist. Hier muss innerhalb der Haushaltsberatun-gen – dafür sind es ja auch Haushaltsberatungen des Par-laments – deutlich aufgestockt werden; das ist völligklar.
Man muss Deutschland loben, weil die Ansätze in denletzten Jahren durchaus deutlich erhöht worden sind undDeutschland wirklich eine führende Rolle bei der huma-nitären Hilfe spielt. Aber die Herausforderung ist viel-fach benannt worden in dieser Haushaltsdebatte, auchgestern Abend in der Debatte zur Entwicklungszusam-menarbeit. Es gibt 51 Millionen Flüchtlinge weltweit.Das ist die höchste Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg. Esgibt noch viel mehr Hilfsbedürftige. Die Vereinten Na-tionen schätzen, dass wir allein im Jahr 2014 etwa17 Milliarden US-Dollar brauchen, um den Bedarf anhumanitärer Hilfe zu decken. Das Schlimme an dieserZahl ist eigentlich, dass dieser Bedarf zurzeit erst zu40 Prozent gedeckt ist. Das heißt umgekehrt: 60 Prozentdes Bedarfs sind nicht durch entsprechende Mittel ge-deckt. Das bedeutet letztendlich, dass wir – nicht wir al-leine, aber mit anderen in der Weltgemeinschaft – überLeben und Tod von Hunderttausenden von Menschenentscheiden. Das ist so. Deswegen geht es hier wirklichnicht um Zahlenhuberei, sondern ganz konkret um dasSchicksal von Menschen.Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich finde esrichtig, dass wir im Deutschen Bundestag über Mandateder Bundeswehr diskutieren, sehr engagiert und heftigüber Waffenlieferungen in den Irak diskutieren, über Af-ghanistan-Mandate und anderes. Ich würde mir aller-dings wünschen, dass wir, wenn man die Dimension derHerausforderungen und die Möglichkeit, Menschen zuhelfen, bedenkt, mit ähnlicher Intensität eben auch überdie Einsätze im Bereich der humanitären Hilfe interna-tional diskutieren,
Metadaten/Kopzeile:
4676 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Frank Schwabe
(C)
(B)
über das, was gut läuft, aber eben auch darüber, wo wirzukünftig noch helfen können. Denn es ist vollkommenklar: Mit Waffengewalt werden wir Not und Elend in derWelt nicht besiegen, mit humanitärer Hilfe im Übrigenauch nicht. Aber wir können verdammt viel tun, um dasLeid und das Elend der Menschen zu mindern. Insofern,glaube ich, ist beim Finanzminister auch der Ruf des ge-samten Hauses heute gehört worden.
Ich will auf das Thema Ebola eingehen. Aktuell sindHunderttausende von Menschen bedroht, nicht nur durchdie Krankheit Ebola selbst, sondern auch dadurch, dasssehr viele Menschen in den vier betroffenen westafrika-nischen Staaten zurzeit überhaupt nicht mehr behandeltwerden. Wenn sie mit einer Erkältung, mit einemSchnupfen oder mit schlimmeren Erkrankungen zumArzt gehen, werden sie zum Teil überhaupt nicht mehrbehandelt. Es erreichen uns dramatische Appelle, zumBeispiel der Ärzte ohne Grenzen, die dort engagiert sind.Ihnen möchte ich wirklich einmal stellvertretend fürviele danken. Diese Menschen setzen täglich ihr Lebenaufs Spiel. Vielen Dank für diese Arbeit!
Die Botschaft, die uns erreicht, ist, dass sie sich al-leingelassen fühlen. Mittlerweile gerät die Situation inWestafrika völlig aus den Fugen. Mich hat gestern einBrief von Dr. Amegashie erreicht – ich habe ihn auchgleich weitergeleitet an den Außenminister –, der drin-gend um Schutzkleidung, Ambulanzfahrzeuge und ande-res bittet. Er beschreibt konkret, woran es eigentlichmangelt. Mir ist vollkommen klar, dass man die Hilfeüber die WHO koordinieren muss. Trotzdem frage ichmich, ob wir eigentlich genug tun, ob es eigentlich nichtviel schneller gehen könnte, Schutzanzüge zu liefern,Fahrzeuge zu liefern, Medikamente zu liefern, Diagno-seeinrichtungen zu liefern. Ich glaube, dass Europa undauch Deutschland in den nächsten Wochen mehr tunmüssen, sehr viel mehr tun müssen.
Ich will zum Schluss – ich muss mich ja zeitlich et-was beschränken – noch auf die Situation der Flücht-linge vor Ort aufmerksam machen. Natürlich wollen wirden Menschen in den Herkunftsländern helfen – garkeine Frage. Deswegen müssen wir ja die Mittel für diehumanitäre Hilfe und die Nothilfe massiv erhöhen. AmEnde wird es aber trotzdem so sein, dass viele Menschenden beschwerlichen Weg auf sich nehmen und zu unskommen, wenn sie nicht jammervoll im Mittelmeer ertrin-ken oder in der Türkei, in Jordanien oder in anderen Län-dern landen. Mein Eindruck ist, dass – auch bei uns – mitBlick auf die Situation der Flüchtlingsunterkünfte, aberauch auf das Verständnis der Menschen vor Ort noch vielgetan werden muss.Ich habe gestern sehr intensiv mit einer Schulklasseaus meinem Wahlkreis diskutiert. Mein Eindruck ist,dass noch nicht richtig angekommen ist, welchem Elenddie Menschen ausgesetzt sind, um die es sich hier han-delt. Ich fordere uns alle auf – ich glaube, das ist unsereAufgabe –, in den Wahlkreisen mit den Menschen, mitden Kirchen, mit vielen gesellschaftlichen Organisatio-nen zu diskutieren, um mit Blick darauf, was in der Tat– ob wir es wollen oder nicht – in den nächsten Wochenund Monaten auf uns zukommt, ein entsprechendesKlima zu schaffen.Vielen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Detlef Seif für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ent-wicklung in der Ukraine und das rücksichtslose Vorge-hen Putins zeigen, dass Russland rote Linien überschrei-tet, dass Völkerrecht gebrochen wird – Entsendung vonSöldnern, Soldaten und Waffen; wir haben bereits imEinzelnen darüber diskutiert. Die Anrainerstaaten Russ-lands sind wachgerüttelt. Sie machen sich ernsthaft Sor-gen; sie sehen eine ernste Bedrohung.Auch in Deutschland – gestern gab es dazu eine On-lineumfrage – macht sich ein Großteil der BevölkerungSorgen über die weitere Entwicklung, auch um Europa.Aber geht tatsächlich eine aktuelle Bedrohung von Russ-land aus, die uns, die NATO-Staaten, die EU-Staaten, be-trifft? Steht die Besetzung von Estland, Lettland, Litauenunmittelbar bevor? Ist die Situation gar vergleichbar mitder in Ungarn 1956 oder in der Tschechoslowakei 1968?Ganz eindeutig: nein. Putin steht zwar für Machtmiss-brauch und Korruption, für Zentralismus, Verletzung derMenschenrechte, Gleichschaltung der Medien, politischmotivierte Gerichtsurteile und Bruch des Völkerrechts,es gibt aber keine Anzeichen dafür, dass Putin Staatender Europäischen Union destabilisieren oder/und sie so-gar besetzen will.Die Annexion der Krim und die russischen Aktionenauf ukrainischem Staatsgebiet dienen vielmehr einemhandfesten machtpolitischen Ziel: Russland will seinenterritorialen Einflussbereich in der Region abstecken.Russland sieht natürlich eine hohe strategische, militäri-sche Bedeutung der Krim – ein Militärstützpunkt fürSchwarzes Meer und Mittelmeer. Diesen galt es aus rus-sischer Sicht zu sichern. Russland will die Ukraine alsNachbar schwächen, um in der Region die Vormachtstel-lung zu bewahren.Wenn es Putin aber tatsächlich darum ginge, Meterfür Meter Gebiet zu erobern und zu halten, dann wäreder Friedensplan, der jetzt in der Ukraine in der Umset-zung ist, nicht nachzuvollziehen. Die russischen Kräfte– das wird beobachtet – ziehen sich zurück. Das wärenicht nachzuvollziehen, wenn tatsächlich eine unmittel-bare Bedrohung für Europa in Gänze bestünde. Niemandweiß aber, wie sich die russische Politik weiterentwi-ckeln wird. Russland rüstet auf. Russland hat seine Nu-klearfähigkeiten reaktiviert. Russland ist im Moment
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4677
Detlef Seif
(C)
(B)
dabei, Waffen einzukaufen, zu modernisieren. UndRussland kann in der Zukunft gegebenenfalls, bei eineranderen Ausrichtung, gefährlich werden.Die Bundeskanzlerin hat mit Blick auf die baltischenStaaten noch einmal deutlich die Beistandspflicht betont.Meine Damen und Herren, das ist nicht lediglich einPapiertiger, eine Wiederholung der Vertragstexte desNATO- und des EU-Vertrages, nein. Wir sind zwar ver-pflichtet, Beistand zu leisten, aber alle Juristen sind sicheinig: In den Verträgen ist keine konkrete Art der Ver-pflichtung, in welchem Umfang und wie man sich betei-ligen muss, vorgeschrieben. Deshalb war die Botschaftder Bundeskanzlerin an dieser Stelle sehr wichtig.
Die Botschaft für uns lautet: Wir lassen keinen Part-ner im Stich. Im Notfall sind wir solidarisch und stehenalle gemeinsam beieinander. Aggression, Angriff undBruch des Völkerrechtes darf es nicht geben. Wir wer-den uns alle mit allen Möglichkeiten und Fähigkeiten da-gegen zur Wehr setzen.
Meine Damen und Herren, wir haben die Bundes-wehr bekanntlich neu ausgerichtet. Wir haben aber bisheute – der Kollege Schockenhoff hat es angedeutet –keine sicherheitspolitische Generaldebatte bzw. Strate-giedebatte geführt. Gemeinsam mit dem KollegenRoderich Kiesewetter – er ist heute auch anwesend – binich der Auffassung, dass wir gerade angesichts der ak-tuellen Entwicklung dringendst im Bundestag eine Stra-tegiedebatte zu führen haben.Erstens. Wie definiert Deutschland seine außen- undsicherheitspolitischen Aufgaben? Zweitens. WelcheZielrichtung folgt aus diesen außen- und sicherheitspoli-tischen Interessen Deutschlands? Drittens. Welche Re-gionen sind im Fokus? Viertens. Welche zivilen und mi-litärischen Instrumente – die Kombination ist wichtig –wollen wir in unserer Planung einsetzen? Fünftens. Wielässt sich in der Planung eine verstärkte Zusammenar-beit, Bündelung und Teilung der Aufgaben innerhalb desNATO-Bündnisses und innerhalb der gemeinsamen Aus-richtung der Europäischen Union effektiver und besserdarstellen?Führen wir die Strategiedebatte nicht, brauchen wiruns nicht zu wundern, dass wir in Zukunft eventuell so-genannten strategischen Schocks ausgesetzt werden wiein der Vergangenheit. Man hat innerhalb der Bundes-wehr gewisse Entwicklungen für unwahrscheinlich ge-halten und deshalb die Strategie der Bundeswehr nichtdarauf ausgerichtet.Konflikt- und Krisenmanagement kann weiterhin nurfunktionieren, wenn die militärischen und zivilen Hand-lungsfelder umfassend miteinander vernetzt werden. DerBundestag geht mit der Einrichtung des Unterausschus-ses im Auswärtigen Ausschuss für zivile Krisenpräven-tion eindeutig in die richtige Richtung. Aber die best-möglichen Ergebnisse können wir als Bundestag nurdann erzielen, wenn alle Bereiche, die damit zusammen-hängen, miteinander vernetzt werden. Das sind Außen-und Innenpolitik, Verteidigung, Entwicklungszusam-menarbeit, Wirtschaft, Recht und Europa bzw. die Euro-päische Union. Das sollten wir zügig angehen.
Erst wenn wir die Strategiedebatte geführt haben,wird feststehen, welche Aufgaben die deutsche Außen-und Sicherheitspolitik definiert und ob eine bessere Zu-sammenarbeit auf europäischer Ebene oder auf derEbene des Bündnisses in Betracht kommt.Wir alle haben natürlich die schwarze Null im Blick.Sie ist wichtig. Aber für die CDU/CSU-Bundestagsfrak-tion – ich sehe Norbert Barthle, unseren haushaltspoliti-schen Sprecher – ist die innere und äußere Sicherheitnach wie vor eine Kernkompetenz. Sie ist unverzichtbar.Erst dann, wenn durch die Strategiedebatte feststeht,welche Aufgaben zu erfüllen sind, werden wir wissen,ob wir zusätzlichen finanziellen Bedarf haben. Wir dür-fen auf keinen Fall zulasten der Sicherheit sparen.Europa braucht eine Außenpolitik aus einem Guss.Die Europäische Union wird immer noch als außenpoli-tischer Zwerg wahrgenommen. Ich halte die Kritik indieser Härte für überzeichnet. Aber eines ist doch klar:Die neue Kommission muss der neuen Hohen Vertreterinfür Außen- und Sicherheitspolitik in jedem Fall viel stär-ker als bisher die Kompetenz der Außenpolitik auf derEbene der Europäischen Union einräumen und ihr diesenStellenwert auch zugestehen. Es ist nicht in Ordnung,dass bereits im Vorfeld des Amtsantritts an der neuenAußenbeauftragten Federica Mogherini Kritik geübtwurde. Geben wir ihr doch eine Chance! Wir wünschenihr wie auch dem Kommissionspräsidenten Jean-ClaudeJuncker und dem gestern vorgestellten Team alles Guteund eine möglichst gute Arbeit für Europa und die Welt.
Außenpolitik ist eines der wichtigsten Felder. LassenSie uns gemeinsam eine Außenpolitik für die Menschenbetreiben.In diesem Sinne vielen Dank. Arbeiten Sie mit an denbesten Lösungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als letzter Redner in
dieser Debatte hat der Kollege Alois Karl das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzterRedner in einer solchen Debatte habe ich es nicht ganzeinfach, den Spannungsbogen noch ein bisschen auf-rechtzuerhalten. Mir ergeht es fast wie jenem evangeli-schen Pfarrer aus meinem Wahlkreis, der kürzlich beider Einweihung eines öffentlichen Gebäudes gesagt hat:
Metadaten/Kopzeile:
4678 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Alois Karl
(C)
(B)
Es ist schon alles gesagt, bloß noch nicht auf Evange-lisch.
Er musste nach vielen Eröffnungs-, Fest- und Grußwort-rednern sprechen. Er hat es geschafft und gesagt: Ichgratuliere Ihnen, dass Sie dageblieben sind; denn Sie er-leben nun den Höhepunkt des Vormittags.
Ganz so weit ist es dann nicht gekommen. Aber er hatden Spannungsbogen aufrechterhalten. Die Haushalts-politiker sprechen bei den Beratungen über die jeweili-gen Einzelpläne immer zum Schluss, Herr Bundes-außenminister. Um in der klerikalen Sprache zu bleiben:Die Letzten werden die Ersten sein. – Das wird so sein,wenn im November bzw. Dezember der Haushalt verab-schiedet wird. Liebe Frau Barnett, dann werden wirdurchaus die Ersten sein.Der Bundestag arbeitet in einer gewissen Abfolge;das ist planbar. Nach der Sommerpause beginnt dieHerbstarbeit mit dem Einbringen des Haushalts. LieberHerr Lindner, Sie haben vorhin beklagt, dass der Bun-desaußenminister die Mittel für die humanitäre Hilfeknapp bemessen habe. Herr Steinmeier, ich muss Siehier reinwaschen. Nicht Sie, sondern Herr Schäuble istfür den entsprechenden Mittelansatz verantwortlich.Aber darüber werden wir in den anstehenden Haushalts-beratungen noch diskutieren.Wir werden im Herbst über den vorliegenden Haus-haltsentwurf intensiv beraten. Es geht um Hunderte,Tausende Haushaltsstellen. Es wird gefeilscht werdenwie bei den Bürstenbindern. „Business as usual“, könnteman sagen. Dennoch ist es heuer etwas anderes, weil wirerstmalig nach 45 Jahren einen Haushalt mit null Neu-verschuldung vorlegen können. Das erfüllt uns mit ge-wissem Stolz, zumindest aber mit großer Zufriedenheit.Als Vertreter der CSU darf ich durchaus darauf hinwei-sen, dass Franz Josef Strauß der letzte Finanzministerwar, dem das 1969 gelungen ist. Danach gab es eineganze Phalanx aus tüchtigen Finanzministern – von AxelMöller über Karl Schiller bis hin zu Peer Steinbrück –,
die allesamt es nicht geschafft haben, mit dem Geld aus-zukommen, das sie eingenommen haben. Nun schaffenwir das seit langer Zeit wieder einmal. Das ist durchausberichtens- und bemerkenswert. Es ist vernünftig, mitdem Geld, das man einnimmt, auszukommen.
So sichert man die Freiheit der nächsten Generation, diedann mit ihrem Geld auskommen kann und nicht dieSchulden und die Zinslast der vorherigen Generation tra-gen muss.In der Politik verhält es sich ganz genauso wie imprivaten Bereich. Man hat denjenigen lieber, der etwasverteilt, als denjenigen, der mit harter Hand spart.Wenn der Onkel zu uns zu Besuch gekommen ist unduns 5 D-Mark in die Hand gedrückt hat, dann war er lie-ber gesehen als die Tante, die bloß am Klavier vorge-spielt hat. So verhält es sich auch in der Politik. HerrSchäuble sorgt mit großem Einsatz, großer Energie undgroßer Härte für einen soliden Haushalt. Ich bin sehr zu-versichtlich, dass dieser Haushalt mit null Neuverschul-dung kein singuläres Ereignis bleiben wird. Wir begin-nen nun möglicherweise eine neue Ära und verhaltenuns in den nächsten 45 Jahren haushalterisch vielleichtvernünftig und machen keine neuen Schulden.Wir haben heuer noch etwas anderes erlebt, was nochgar nicht so auf das Tapet gekommen ist. Erstmals seit1950 ist die Gesamtverschuldung des Staates, die kumu-lierten Schulden von Bund, Ländern, Gemeinden undSozialversicherungsträgern, gesunken. Wir hatten imletzten Jahr 30 Milliarden Euro weniger Schulden als imJahr 2012. Das ist eigentlich eine gute Meldung – mansagt „Good news are bad news“ –, die in den Medienaber eigentlich gar nicht so zur Geltung gekommen ist.Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir freuenuns, dass wir das, was wir im Wahlkampf versprochenhaben – die Neuverschuldung auf null zu senken –, waswir in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben haben, inder Tat auch halten. In der Fußballersprache ist der Aus-druck „Die Null muss stehen“ bekannt. Wer auf diesemGebiet nicht so bewandert ist, dem darf ich sagen: Damitist gemeint, dass es schon der halbe Gewinn ist, wennman selber kein Tor hineinbekommt. Schlimmstenfallsspielt man nur unentschieden, oder man gewinnt dasSpiel, wenn man selbst ein Tor schießt. – Wir haben unsunseren haushaltspolitischen Gewinn erarbeitet, und wirwerden ihn nutzen, um eine finanziell angemessen aus-gestattete Außenpolitik betreiben zu können.Lieber Kollege Steinmeier, Sie selber und auch dieKollegen haben darauf hingewiesen, wie verworren dieweltpolitische Lage ist. Keiner hat bisher allerdings da-rauf hingewiesen, dass heute der 11. September ist. Ichwill daran erinnern: Vor 13 Jahren genau um diese Zeitwurden die Zwillingstürme des World Trade Center inNew York durch unglaubliche, nicht fassbare terroristi-sche Anschläge zerstört. Daran sieht man, wie dauerhaftlabil die Situation trotz unserer Außenpolitik ist. Wirmüssen daher alles daransetzen, um für Frieden undFreiheit in der Welt zu sorgen.Lieber Fraktionsvorsitzender Volker Kauder, Sie ha-ben hier gestern dankenswerterweise Rupert Neudeck,den Begründer der Cap Anamur – er hat viele TausendBoatpeople gerettet –, zitiert. Er hat gesagt, dass er nichtmöchte, dass Menschen für die Reinheit seines Pazifis-mus sterben. Er hat damit gemeint, dass es durchausrichtig ist, dass wir Waffen in den Irak liefern, um dendort bedrängten Menschen zu Hilfe zu eilen.Viele haben in diesem Zusammenhang von Tabu-bruch gesprochen; auch heute war das der Fall. HerrLiebich, ich glaube, Sie haben sich so geäußert. Ichmöchte das nicht so stehen lassen. Wir müssen den Men-schen dort in ihrer bedrängten Situation helfen. Bloßweiterzudiskutieren, Besprechungen durchzuführen,Konferenzen abzuhalten, katarischen Scheichs den
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4679
Alois Karl
(C)
(B)
Geldhahn zuzudrehen, das wäre doch völlig sinnlos, unddamit wäre den von ISIS bedrohten Menschen in gar kei-ner Weise geholfen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn man jevon einem Tabubruch hätte sprechen wollen, dann wäredas 1999 angemessen gewesen, als die damalige rot-grüne Bundesregierung, möglicherweise aus gutenGründen, deutsche Truppen in den Kosovo entsandt hat;erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wurden deutscheSoldaten somit in einen Krieg entsandt. Dies geschahunter Federführung von Joschka Fischer, der früher ein-mal die Gallionsfigur der deutschen Friedensbewegunggewesen war.
Das und nichts anderes war meines Erachtens ein Tabu-bruch. Darauf hätten Sie, der geschichtlichen Wahrheitentsprechend, durchaus hinweisen können.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube,es ist richtig, was Sie, Herr Steinmeier, gesagt haben:Man kann sich nicht nur durch Tun, sondern auch durchUnterlassen fehlverhalten. Wenn wir unser Handeln, daswir in der letzten Woche hier beschlossen haben, unter-lassen hätten, dann hätten wir uns an den Verbrechen anvielen Tausend Christen, Jesiden und Kurden mitschul-dig gemacht, da sie dem Tod ausgeliefert gewesen wä-ren.Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine Rede-zeit schreitet voran. Frau Präsidentin, ist das richtig? Ichbin nicht ganz sicher, ob die Uhr am Rednerpult funktio-niert.
Da können Sie ganz sicher sein.
Sei es, wie es sei. – Die humanitäre Hilfe ist ange-
sprochen worden. In der Tat – da gebe ich den Vorred-
nern recht – werden wir da korrigieren. Wir können im
Jahr 2015 nicht auf den Stand von 2013 zurückfallen.
2013 haben wir unseren Haushalt in diesem Titel dann
aber um 80 Prozent überziehen müssen. Warum? Weil
von uns humanitäre Hilfe weltweit verlangt worden ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch die
Haushaltsmittel für die Transformationsgesellschaften,
gerade was Libyen anbelangt, werden wir überdenken
müssen. Gerade in solchen Gesellschaften ist die Situa-
tion unendlich verworren. Niemand weiß, wie man
transformieren soll und mit wem man es dort als Ge-
sprächspartner zu tun hat.
Ich möchte, Frau Präsidentin, mit Ihrer Genehmigung
einen allerletzten Punkt ansprechen. Wir waren vor we-
nigen Tagen in Rumänien. Es geht um die Förderung der
deutschen Sprache. Die deutsche Minderheit dort ist seit
mehr als 700 Jahren integraler Bestandteil des Landes,
ist von allen Regierungen geschützt worden – auch vom
kommunistischen Regime –, die den Wert der deutschen
Minderheit erkannt haben. Auch hier meine ich: Es steht
uns gut an, diese hervorragende Tradition aufrechtzuer-
halten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube:
Unsere deutsche Außenpolitik ist bei Ihnen, lieber Herr
Steinmeier, in guten Händen. Ich möchte mit den Kolle-
ginnen und Kollegen alles dafür tun, dass wir auch in
Zukunft eine gute, gestaltende Außenpolitik betreiben
können. Wir wünschen uns dazu gemeinschaftlich alles
Gute.
Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit.
Herr Karl, es ist Ihnen offensichtlich genauso wiedem evangelischen Pfarrer gelungen, dass Ihnen alleKollegen bis zum Ende zugehört haben.Weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Einzel-plan nicht vor. Deshalb beende ich die Debatte über die-sen Einzelplan.Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Bildung und Forschung, Einzel-plan 30.Das Wort hat als erste Rednerin die BundesministerinProfessor Dr. Johanna Wanka. – Frau Wanka, Sie habendas Wort.Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, etwas zügigerdie Plätze zu wechseln, damit die Ministerin Ihre unge-teilte Aufmerksamkeit hat.Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kürz-lich hat der Guardian Deutschland gelobt. Er hat ge-schrieben, dass wir toll sind, dass wir bewundert werden– ja, der Guardian hat das geschrieben –, und er hat dazuaufgefordert, dass man Deutschland nicht nur bewun-dern, sondern dass man sich von Deutschland inspirierenlassen und lernen sollte.Deutschland steht im Moment als Forschungsstandortund Innovationsstandort in den Rankings ganz oben.Ganz entscheidend dafür, dass das erreicht wurde, ist dieTatsache, dass seit 2005 Jahr für Jahr die Ausgaben fürBildung und Forschung im Bund gestiegen sind. SeitAngela Merkel Bundeskanzlerin ist, hat es jedes Jahrohne Ausnahme einen höheren BMBF-Haushalt gege-ben. Den gibt es auch 2015. Wenn wir die Jahre 2014und 2015 vergleichen, dann sind es 1,2 Milliarden Euromehr.
Jetzt muss ich, weil ich schon den Zwischenruf er-warte, sagen: Das sind 1,2 Milliarden Euro Cash mehr.Hier ist die globale Minderausgabe schon abgerechnet.Es gibt also wirklich echt 1,2 Milliarden Euro mehr,8,6 Prozent. Die globale Minderausgabe – klar, es ist
Metadaten/Kopzeile:
4680 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
(C)
(B)
besser, wenn sie noch niedriger wäre – macht 3 Prozentdes Gesamthaushaltes aus. Das muss man sich vorAugen führen. Seit 2005 hatten wir, wie gesagt, jedesJahr eine Steigerung des BMBF-Haushaltes. In dieserLegislaturperiode gibt es von 2014 bis 2017 nochmalseine Steigerung um 25 Prozent.
In den Jahren 2014 und 2015 ist die Steigerungschwächer, danach sehr steil. Bei 25 Prozent mehr Geldsind das dann 17 Milliarden Euro für diesen Haushalt;gestartet sind wir 2005 bei 7 Milliarden Euro.Da sagte doch an dieser Stelle gestern Herr Gysi indiesem Haus: Die Investitionen in Bildung fallen aus. –Also, hier gibt es nur zwei Varianten: Entweder weiß eres nicht besser,
oder er weiß es, und es passt nicht in seinen Plan.
Wir denken nach vorne. Trotz Haushaltskonsolidie-rung gibt es in dieser Legislaturperiode wiederum denSchwerpunkt Forschung und Bildung. Es ist eindeutigso, dass wir das, was im Koalitionsvertrag steht, nämlich„Deutschlands Zukunft gestalten“, mit diesem Haushaltkönnen und auch machen. Das ist angesichts der Bil-dungsexpansion gerade in den Schwellenländern der ein-zig richtige Weg. Wir müssen ihn unbedingt weitergehenund entscheiden: Was ist der Platz Deutschlands in derWelt von morgen? Es geht nicht nur um das Brutto-sozialprodukt oder anderes, sondern auch ganz entschei-dend um individuelle Lebenschancen für den Einzelnen.Wir haben gerade vor zwei Tagen den OECD-Berichtvorgestellt. Frau Bulmahn, Sie erinnern sich, wie wirbeide das gemacht haben – Sie als Bundesministerin, ichals Vertreterin der KMK –
und an vielen Stellen Schelte bekommen haben; Jahr fürJahr mussten wir zum Teil wirklich berechtigte Kritikeinstecken. Der jetzt vorgestellte OECD-Bericht ist, wasdie Indikatoren anbelangt, das allerbeste Zeugnis, daswir je bekommen haben.
Ich will nur wenige Dinge herausgreifen. Zum Bei-spiel ist Deutschland das Land, in dem 96 Prozent derVierjährigen in eine Kindereinrichtung gehen – und dasfreiwillig, ohne Pflicht. Wir wissen alle, was der Bundnicht nur in materieller, sondern auch in ideeller Hinsichtdafür getan hat. Unser Haus macht etwas für dieseEinrichtungen, kümmert sich um naturwissenschaftlich-technische Bildung im Rahmen der Stiftung „Haus derkleinen Forscher“. In dieser Legislaturperiode gehen wirweiter, bis in die vierte Klasse, und beziehen die Elternmit ein. Das ist ein ganz wichtiges Thema.
Der Anteil derer, die ohne Abschluss die Schule ver-lassen, liegt bei uns jetzt unter 6 Prozent; es waren ein-mal 12 Prozent. Hier unter 6 Prozent zu liegen, ist längstnicht ausreichend. Es muss – das ist ganz klar – besserwerden, es muss weitergehen, und die zentralen Perso-nen in der Schule sind die Lehrer. Sie haben einen ganzgroßen Anteil daran, ob Bildung gelingt oder nicht.Natürlich liegt die Kompetenz für die Lehrerbildung ori-ginär bei den Ländern; aber mit unserem Programm„Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ ermöglichen wir es,dass im Rahmen der Lehrerbildung zusätzliche Ange-bote im Bereich der Inklusion, der Diversität und dermathematisch-naturwissenschaftlichen Bildung entwi-ckelt werden, dass Neues erprobt und umgesetzt wird.Das kostet uns 500 Millionen Euro. Im nächsten Jahrgeht es los – ausgeschrieben ist es –, und zwar mit Mit-teln in Höhe von 45 Millionen Euro.
Ein Thema, das uns alle – nicht nur uns hier im Saal,sondern auch die Länder und Verbände – schon seit Jah-ren beschäftigt, ist die Frage: Wie kann man Frauen fürnaturwissenschaftliche und technische Berufe gewinnen,für Berufe also, in denen man auch richtig gut verdienenkann? 2000 war es so, dass 32 Prozent der Absolventennaturwissenschaftlicher Studiengänge Frauen waren; derOECD-Durchschnitt lag bei 40 Prozent. In den darauf-folgenden zwölf Jahren ist der Anteil bei uns von32 Prozent auf 44 Prozent angestiegen, und im selbenZeitraum ist der Anteil im OECD-Durchschnitt um nur1 Prozentpunkt gewachsen. Es gibt also Dynamik, undalle aus der ehemaligen DDR wissen, dass es hieß: Über-holen, ohne einzuholen.
– DDR-Leute brauchen nicht darüber nachzudenken.Das war jahrelang der Slogan; alle kennen ihn. Sie soll-ten nicht darüber nachdenken, denn er ist nicht zu verste-hen; aber es war so. – Geht das jetzt alles von meiner Re-dezeit ab?Wir machen weiterhin mehr für Chancengerechtig-keit. Zum Beispiel ist ein weiteres Professorinnenpro-gramm schon gestartet, und es gibt vieles andere mehr.Die Tatsache, dass wir als Bund das BAföG ab 2015allein zahlen, führt dazu, dass den Ländern jährlich1,2 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stehen. DasNeue, das Besondere, das Exzellente ist: Es gibt dauer-haft Geld für Dauerstellen. Das gab es vorher überhauptnicht. Wir haben über den Hochschulpakt und ÄhnlichesMilliardenbeträge ins System gegeben, aber Stellen wur-den nicht dauerhaft finanziert. Das heißt, es gibt auchnoch 2025 oder 2030 Geld für diese Stellen. Da geht esgar nicht nur um die 6 Milliarden Euro, die wir in dieserLegislatur bereitstellen; allein in der nächsten Legislatur
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4681
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
(C)
(B)
sind es schon wieder 4,8 Milliarden Euro. Mit den freiwerdenden Mitteln kann man in den Ländern, wenn manes will, unbefristete Nachwuchswissenschaftlerstellenschaffen;
man kann auch Schulsozialarbeiterstellen und Stellen inden Ganztagsschulen schaffen. Das ist machbar. Weilwir ein föderaler Staat sind, kann in den einzelnen Län-dern entschieden werden, wofür man die Mittel einset-zen will.
Ich glaube, das ist richtig. Es wird die Attraktivität desdeutschen Hochschulsystems weiter stärken.Das deutsche Hochschulsystem ist attraktiv. Sie müs-sen sich einmal vor Augen führen: Wir sind das dritt-beliebteste Einwanderungsland für Studenten – sie kom-men zu uns, um zu studieren –, nach den USA undGroßbritannien, die englischsprachig sind. Ich weißnicht, wie nachher die Reden der Opposition sein wer-den.
Aber ich kann mir vorstellen, dass man sich, wenn manhört, was Sie über unsere Hochschulen sagen, fragt, wa-rum sie alle kommen und nicht auf dem Absatz kehrtma-chen.
Wir haben die Zahl der Studierenden gesteigert. Über50 Prozent eines Jahrgangs sind Studienanfänger. Daswar nur möglich, weil der Bund – ich sage das nocheinmal –, ohne originär zuständig zu sein, über denHochschulpakt Milliarden in das System gegeben hat.Das ist eine große solidarische Leistung – auch im Hin-blick auf die neuen Bundesländer –, und es ist die besteMöglichkeit, mit der demografischen Chance umzuge-hen; das sollte man nicht vergessen.Wir haben in diesem Haushalt – er sieht alleine 6 Mil-liarden Euro für den laufenden Hochschulpakt bis 2017vor – Vorsorge für den Fall getroffen, dass es noch mehrStudenten gibt. Wir haben das Geld für die nächstePhase des Hochschulpakts, ab 2016, gesichert. 2023wird die Zahl der Studienanfänger sinken.Im Moment haben wir, worüber wir uns freuen, sehrviele Studierende, aber – und das ist das Problem – imBereich der dualen Ausbildung fehlen uns die jungenLeute.
Dazu können wir alle Beispiele anführen. Das will ichgar nicht. Das ist klar; davon kann jeder erzählen. Wich-tig ist: Was macht man dagegen? Das kriegt man nichthin mit bunten Plakaten und Werbekampagnen, wobeidie zum Teil auch sehr wichtig sind; die der Handwerks-kammern zum Beispiel finde ich klasse. Vielmehr mussüberlegt werden: Was kann man wirklich tun, um jungeLeute zu einer dualen Ausbildung zu motivieren? Wirhaben ein großes Paket geschnürt – „Chance Beruf“ –, indas wir alles, was uns eingefallen ist, hineingepackthaben. Das machen wir jetzt.Thema Durchlässigkeit: Das Programm „OffeneHochschulen“, das exzellent ist, wird weiter fortgesetzt.Oder denken wir an diejenigen, die die Hochschuleverlassen, um eine duale Ausbildung zu beginnen. Dazuhaben wir in dieser Legislaturperiode, im Mai diesesJahres, im „JOBSTARTERplus“-Programm Projekte ini-tiiert und mit bis zu 8 Millionen Euro ausgestattet. Dassind gute Projekte, um bundesweit etwas zu erreichen.Im „JOBSTARTERplus“-Programm haben wir eben-falls im Mai dieses Jahres Maßnahmen angestoßen, beidenen es um Unternehmer mit Migrationshintergrundgeht, die junge Menschen mit Migrationshintergrundvielleicht anders ansprechen können, um bei ihnen fürdie duale Ausbildung, die in der Türkei oder woandersvielleicht nicht typisch ist, zu werben. Auch dafür gebenwir Geld.Ein anderes Beispiel. Gestern sagte Herr Oppermann,dass man denen, die es nicht schaffen, eine zweite odervielleicht auch eine dritte Chance geben muss. Das mussman, und das wird auch gemacht. Das kostet richtig vielGeld. Aber ich finde, es ist wichtig, erst einmal zu versu-chen, präventiv zu wirken, zum Beispiel in der siebtenoder achten Klasse, damit die jungen Menschen garkeine zweite oder dritte Chance brauchen. Deswegenbrauchen wir Bildungsketten.Wenn Sie in den Haushalt schauen, um zu erfahren,wie viel Geld dafür eingestellt wurde, dann müssen Sieberücksichtigen, dass die Bundesregierung aus vielenRessorts besteht, die auch miteinander arbeiten: ImHaushaltsplan des Bildungsministeriums sind Mitteldafür eingestellt; dazu kommen beträchtliche Mittel ausdem ESF, die wir auf diesen Bereich konzentrieren,Mittel aus der BA und aus dem Arbeitsministerium, umBildungsketten und präventive Maßnahmen in einemmöglichst großen Maßstab fördern zu können. Ich habealle Länder angeschrieben und betont, dass wir unserGeld einsetzen. Die Länder müssen mitfinanzieren, da-mit wir das flächendeckend hinbekommen.
Diese Stärkung der dualen Ausbildung trägt auch zurBildungsgerechtigkeit bei.Beim Thema Bildungsgerechtigkeit haben alle sofortdas BAföG im Kopf. Sie wissen, dass ich, als ich imletzten Jahr dieses Amt übernommen habe, obwohl ichdie Entwicklung und die Gespräche mit den Ländern inden letzten Jahren kannte, von Anfang an gesagt habe:Das BAföG muss novelliert werden; das ist eine zentraleAufgabe. Nachdem das nicht im Koalitionsvertrag stand,habe ich weiterhin gesagt: Die Novellierung des BAföG
Metadaten/Kopzeile:
4682 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
(C)
muss kommen. Ich habe mich dafür engagiert, und wirhaben die BAföG-Novelle im Kabinett beschlossen. Undsie ist nicht ohne. Es geht nicht nur darum, dass diejeni-gen, die BAföG bekommen, mehr Geld erhalten für dieLebenshaltung, für Kinder, wenn sie welche haben, fürWohnen und für andere Dinge. Ich habe immer wiedererlebt, dass es Studierende gibt, die knapp oberhalb derEinkommensgrenze sind, also kein BAföG bekommen,weil die Eltern ein bisschen zu viel verdienen. DieseStudierenden sind in besonderem Maße benachteiligt.Deswegen war es mir gerade mit Blick auf die Kindervon Eltern mit einem mittleren Verdienst wichtig, dieFreibetragsgrenze anzuheben. Das ist mit dieser Novellegelungen.
Diese Novelle kostet übrigens über 800 MillionenEuro. Hinzu kommen die schon erwähnten 1,2 Milliar-den Euro durch die Übernahme der BAföG-Kosten. Dasheißt, ab 2016 gibt es in jedem Jahr 2 Milliarden Eurovom Bund mehr für die junge Generation. Das ist eineInvestition in die Zukunft. Das ist ganz entscheidend.Vorhin habe ich gesagt, dass wir uns fragen müssen,wo unser Platz in der Welt von morgen sein soll. Derzeithaben wir einen exzellenten Platz: starke Wirtschafts-nation, starke Exportnation. Ich will eine Zahl nennen,die nicht so bekannt ist: Wie groß ist der Anteil allerHightech-Güter an der Handelsbilanz? Über 9 Prozent.Wissen Sie, wie groß der Anteil der Hightech-Güter ander Handelsbilanz im OECD-Durchschnitt ist? 1,3 Pro-zent. In diesem Vergleich sind eine Menge Länder ent-halten, die sehr viel mehr Akademiker haben als wir.Das heißt, wichtig ist, wie man zu Innovationenkommt. Deshalb ist die Weiterentwicklung der High-tech-Strategie, eine neue Hightech-Strategie wichtig; dasbeinhaltet neue Formate, neue Felder und eine Verbreite-rung der Innovationsbasis. Ich schaue auf die Uhr; ichmache es kürzer. – Dabei geht es aber nicht nur um neueThemen, also nicht nur um individualisierte Medizin,nachhaltige Stadtentwicklung, erneuerbare Energien undvieles andere, sondern um technologische Innovationund soziale Innovation. Diese Stränge hatten wir schonimmer. Wichtig ist, wie diese zusammengeführt werden.Wir haben am Montag im Zusammenhang mit derHightech-Strategie ein erstes großes Programm vorge-stellt, das mit einem riesigen finanziellen Aufwand inden nächsten Jahren laufen wird. Herr Bsirske und HerrGrillo waren anwesend. Beide haben betont, dass diesesProgramm ein völlig neuer Ansatz ist.Ich finde, wir können nur erfolgreich sein und denWohlstand sichern, wenn die Innovationsstrategie auchin der Mitte der Gesellschaft ankommt. Hierbei geht esnicht nur um die Arbeitsbedingungen bei der Industrie4.0 und darum, welche Chancen sie bietet – nicht, dassman nur die Risiken sieht –, sondern wichtig ist auchAkzeptanz, und zwar Akzeptanz in der Mitte der Gesell-schaft. Umfragen zeigen, dass die Menschen beteiligtwerden wollen. 30 Prozent möchten gerne mitmachen,mitreden und mit einbezogen werden. Das sind nicht nurdie Lobbyisten und nicht nur die NGOs, sondern nor-male Menschen. Deswegen ist das eine ganz zentraleAufgabe, die uns gelingen muss, damit die Hightech-Strategie wirklich die gewünschten Effekte bringt.
Letzter Satz. Ich glaube, dass der Haushalt des BMBFAusdruck einer modernen und ganzheitlichen Bildungs-und Innovationspolitik ist. Damit haben wir wirklich dieChance, Zukunft zu gewinnen.Danke schön.
Als nächster Redner hat der Kollege Roland Claus
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ge-ehrte Frau Bundesministerin, immer wenn ein Mitgliedder Bundesregierung einfach alles am eigenen Etatschön findet und eine Rundumzufriedenheit ausstrahlt,ist das natürlich auch eine Einladung an den Bundes-finanzminister, dort noch das eine oder andere zu kür-zen.
Selbstverständlich haben wir nicht übersehen, dass dieMittel hier aufgewachsen sind. Aber Sie werden dochauch nicht vergessen haben, wie der Bundesfinanzminis-ter auf der Zielgeraden beim Haushalt 2014 noch er-hebliche Einschnitte vorgenommen hat. Deshalb lautetunsere freundliche Ermahnung: Weniger Kabinettsdiszi-plin, mehr Ressortverantwortung, Frau Ministerin!
Wer an diesem Tag, dem 11. September, über Bildungredet, darf, glaube ich, über dieses historische Datum,den 11. September 2001, nicht schweigen. Genau an die-sem Pult wurde das Wort von der „uneingeschränktenSolidarität“ ausgesprochen. Damit wurde der Weg füreine deutsche Kriegsbeteiligung in Afghanistan frei ge-macht. Ich wünschte mir, dass einst in den Schulbüchernsteht: Es war falsch, diesen Weg zu gehen. Krieg ist dasfalsche Mittel im Kampf gegen den Terror.
Mehr als 15 Milliarden Euro für Bildung und For-schung, ein besseres BAföG und Kitaausbau – man kannmit Fug und Recht sagen, dass wir alle das wollen, zu-mal die Besonderheit dieses Haushaltes, eine gewisseEinzigartigkeit darin besteht, dass im Ministerium rela-tiv wenig verwaltet werden muss, dafür aber mit Pro-grammtiteln sehr viel verteilt werden kann, sehr viel aufden Weg gebracht werden kann.Dennoch gibt es zwei entscheidende Gründe für Kri-tik an Ihrer Politik, Frau Ministerin.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4683
Roland Claus
(C)
(B)
Das Erste ist: Sie verwechseln Ausgaben des Bundesmit erzielten Ergebnissen. Sie erwecken hier den Ein-druck, als ob, wenn wir Geld ins System geben, die ge-sellschaftlichen Veränderungen, die wir anstreben, schonerreicht wären.Der zweite Strickfehler besteht darin, dass die 17 Bil-dungssysteme einfach nicht zusammenpassen und vie-les, das auf den Weg gebracht wird, nicht sein Ziel er-reicht.Deshalb sagen wir Ihnen: Sie können den Erfolg IhrerArbeit nicht am Ausgabenvolumen festmachen. Es heißtja auch: Gemessen wurden die Bienen nicht an ihrenFlugkilometern, sondern an dem Honig, den sie heim-brachten.
Die Zerklüftung der Bildungssysteme führt dazu, dasserwünschte Impulse einfach nicht übertragen werden.Ich will da einen Vergleich aus der Mechanik bemühen:Ein Motor kann noch so stark sein. Wenn das Getriebedie Impulse nicht gut überträgt, entsteht zwar eineMenge Reibung, aber keine Leistung. Genau das ist hierder Fall.
Nun kann man OECD-Studien ja interpretieren, wieman möchte. Sie haben Ihre Interpretation hier abgelie-fert, Frau Ministerin. Aber wir denken schon, dass wirkritisch reflektieren müssen, was uns die OECD vorzwei Tagen in dem Bericht „Bildung auf einen Blick“ of-fenbart hat. Das Entscheidende, das wir kritisieren, ist,dass Deutschland seine soziale Spaltung über sein Bil-dungssystem regelrecht reproduziert. Von fünf Arbeiter-kindern werden vier Arbeiter.
Es gibt viel zu wenig Durchlässigkeit zwischen den Qua-lifikationsgruppen. Alles soll schön beim Alten bleiben.Da gibt es natürlich einen Zusammenhang: Unter denentwickelten Industrieländern hat Deutschland die unge-rechteste Verteilung der Einkommen. Diese ungerechteVerteilung der Einkommen setzt sich in einer ungerech-ten Verteilung des Zugangs zu Bildungschancen fort.Wir sagen Ihnen: Das ist ein Zustand, den die Linke nieund nimmer hinnehmen wird.
Zudem verweist die OECD-Studie darauf, dassDeutschland beim Anteil der Bildungsausgaben, gemes-sen am Bruttoinlandsprodukt, gerade einmal auf Platz 19in Europa liegt. Um den Anteil Dänemarks, den Spitzen-wert, zu erreichen, müssten in Deutschland 90 Milliar-den Euro bei Bund und Ländern zusätzlich aktiviert wer-den. Das ist für die Bundesregierung unvorstellbar, füruns aber nicht.
Man müsste dann natürlich über neue Einnahmen desBundes reden.Ich will ein Wort zum Deutschlandstipendium sagen,das als kombiniertes Stipendium, bei dem es Geld vomStaat und Geld von Sponsoren gibt, in Ihrem Etat ja ei-nen wichtigen Platz einnimmt. Hier hat Ihnen der Bun-desrechnungshof vorgerechnet, dass die Verwaltungs-ausgaben viel zu hoch sind und Sie Ihre eigenen Zielenicht erreichen. Deshalb sagen wir: Wir könnten auf die-ses Instrument gut verzichten und die Mittel für einenAufwuchs im BAföG-Bereich einsetzen, meine Damenund Herren.
Ich will zudem auf die großen Ost-West-Unterschiedebeim Zugang zum Deutschlandstipendium verweisen.Wo sollen denn ostdeutsche Hochschulen Sponsoren fin-den, wenn es im Osten nicht einmal Selbstanzeigen vonSteuersündern gibt? Da ist doch nichts zu holen.
– Ja, das wurde klar und deutlich veröffentlicht. – Des-halb ist das nicht wirklich erreichbar.Wir werden uns heute Nachmittag beim Bauetat auchmit der Frage beschäftigten müssen: Wie schaffen wirbesseren, bezahlbaren Wohnraum für Studierende? Dasist ein Thema, zu dem gerade die Linke in Leipzig ak-tuelle Vorschläge unterbreitet hat. Wir werden vorschla-gen, die „Wiederbelebung“, wie es bei der Bundesregie-rung heißt, des sozialen Wohnungsbaus für diesenBereich zu nutzen und Studierenden damit Chancen aufbezahlbare Wohnungen zu geben.
Herr Claus, Sie müssen zum Schluss kommen.
Studentinnen und Studenten sollen doch studieren
und nicht nur jobben gehen, meine Damen und Herren.
Wir haben hier einen Etat mit viel Geld, aber leider
wirklich wenig Zukunftsfähigkeit. Deshalb muss sich da
noch eine ganze Menge ändern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sienoch einmal bitten, sich an die Redezeit zu halten. Diebeiden letzten Redner haben sie erheblich überschritten.Wenn wir so weitermachen, kommen wir mit unsererPlanung nicht hin. Das ist, finde ich, nicht fair gegenüberden anderen Kollegen, die heute auch noch ihre Debat-ten haben.Herr Schulz, Sie haben das Wort.
Metadaten/Kopzeile:
4684 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(C)
(B)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundes-regierung hat hier einen beachtlichen Haushaltsplanent-wurf vorgelegt. Wir werden im parlamentarischen Ver-fahren sicherlich noch das eine oder andere ändern, aberdie Grundlinie stimmt. Über 15 Milliarden Euro werdenfür Bildung und Forschung bereitgestellt; die globaleMinderausgabe ist dabei herausgerechnet. Dass wir diesin Zeiten der Nullverschuldung und ohne Steuererhö-hungen schaffen, ist aller Ehren wert.
Mir sei der Vergleich mit dem Finanzplan der Vorgän-gerregierung gestattet. Da wird ein Unterschied deutlich:Schwarz-Gelb sah weniger als 14 Milliarden Euro fürdas Jahr 2015 vor. Jetzt sind es über 1 Milliarde Euromehr.Ich kann mir vorstellen, dass die Ministerin Wanka je-den Morgen ein Stoßgebet gen Himmel sendet und dafürdankt, dass er ihr die SPD als Koalitionspartner bescherthat.
Jedenfalls ist festzustellen: Die SPD tut der Bildung undForschung in Deutschland gut, meine sehr verehrten Da-men und Herren.
Das eine ist die Frage nach dem Ausgabenvolumen.Viel wichtiger ist die Frage, wofür das Geld eigentlichausgegeben wird. Als Erstes möchte ich hier das BAföGnennen. Von Willy Brandt eingeführt, ist es weiterhin diezentrale soziale Bildungsfinanzierung in diesem Land.Niemand soll aufgrund Geldmangels auf Bildungschan-cen verzichten. Das ist für uns von besonderer Bedeu-tung.
Wir werden in 2015 dafür weit über 2 MilliardenEuro ausgeben. Die Ministerin Wanka hat es gesagt: Wirhaben uns mit den Ländern darüber geeinigt, wie das mitdem BAföG weitergehen soll. Wir übernehmen als Bundjetzt voll die Kosten für das BAföG. Damit schlagen wirzwei Fliegen mit einer Klappe. Erstens entlasten wir dieLänder massiv und dauerhaft, damit sie ihren originärenAufgaben in der Bildung nachkommen können – in derHochschule, bei der beruflichen Bildung, in der Schuleund – ich sage das ausdrücklich dazu – auch bei der Kita.Wer kritisiert, dass Länder Mittel in die vorschulischeBildung investieren, zeigt ein verkürztes Bildungsver-ständnis, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Der zweite Punkt ist, dass der Bund nun die alleinigeHandlungsmöglichkeit beim BAföG hat. Dieses uner-trägliche Hickhack, dieses Schwarzer-Peter-Spielzwischen Bund und Ländern, das so häufig das BAföGblockiert hat, hört jetzt auf. Wir haben die Handlungs-möglichkeiten, und wir nutzen diese Handlungsmöglich-keiten. Das BAföG wird massiv verbessert und erhöht.Wir haben das vor der Wahl gesagt, und wir machen esjetzt. Wir stärken das BAföG. Das ist ein zentraler Punktunserer Programmatik, unserer Regierungspolitik.
Ich will dabei hinzufügen: Wenn wir das für Schülerund für Studierende machen, dann sollten wir uns auchum die Aufstiegsfortbildung und das Meister-BAföGkümmern. Auch die beruflich Qualifizierten sollten nichtaußen vor bleiben.
Wir setzen in langen Linien die Bildungs- und For-schungspolitik in Deutschland fort, und wir entwickelnsie auch weiter. Da ist zum Beispiel die Exzellenzinitia-tive aus rot-grünen Zeiten, Frau Bulmahn. Über400 Millionen Euro geben wir auch in diesem Haushaltfür Spitzenforschung an Hochschulen aus. Wir finanzie-ren den Hochschulpakt; er stammt ja aus der letzten Gro-ßen Koalition. Wir finanzieren den Hochschulpakt wei-ter. Über 2 Milliarden Euro geben wir dafür.
Das ist ein extrem erfolgreiches Förderprogramm, ohnedas Hunderttausende in den letzten Jahren nicht hättenstudieren können.Es gibt nun Verhandlungen über die Fortsetzung desHochschulpakts. Es wäre wünschenswert, wenn wir eshinbekämen, dass wir die zweite Phase des Hochschul-pakts, in der wir uns derzeit befinden, entsprechend auf-stocken, damit bedarfsgerecht weiterfinanziert werdenkann, und wenn wir gleichzeitig noch eine dritte Phaseanschließen können.Ich will dabei aber auch sagen, dass wir die Mittelver-wendung nachvollziehbar gestalten müssen. Auch soll-ten wir neue Elemente in den Hochschulpakt einführen.Da geht es zum einen um die beruflich Qualifizierten,darum, dass sie entsprechende Chancen bekommen, undzum anderen um die gute Lehre. Nicht nur der Studien-beginn – wie bisher –, sondern auch das erfolgreicheStudium, der Abschluss des Studiums sollte unterstütztund gefördert werden.
Ich glaube, dass das als neues Element dazugehört.Der nächste wichtige Bereich – auch er stammt ausrot-grünen Zeiten – ist der Pakt für Forschung und Inno-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4685
Swen Schulz
(C)
(B)
vation. Das ist vom Volumen her vielleicht sogar dergrößte Bereich. Die außeruniversitären Forschungsein-richtungen – Helmholtz, Max Planck, Leibniz,Fraunhofer, DFG – bekommen über 5 Milliarden Euro,und das wächst weiter stabil. Den Aufwuchs werden wirals Bund in Zukunft sogar allein übernehmen und dieLänder entlasten.Hier gibt es Gespräche über die Fortsetzung, über dieZukunft. Auch hier – so sage ich – muss es eine vernünf-tige Kontrolle der Mittelverwendung geben. Wenn wirso viel Geld den außeruniversitären Forschungseinrich-tungen zur Verfügung stellen, dann sollte es auch ver-bindliche Zielvereinbarungen geben,
etwa im Hinblick auf die Frauenförderung oder den wis-senschaftlichen Nachwuchs. Ich bin sicher, dass die Wis-senschaftsorganisationen das auch akzeptieren und sichdieser Verantwortung stellen.
Auch bei vom Volumen her kleineren, aber wichtigenProjekten und Förderungen setzen wir Bewährtes fort,setzen aber auch neue Akzente. Ich möchte beispielhafteinige nennen. Da ist zum Beispiel das Ganztagsschul-programm, das in letzter Zeit ein wenig ins Hintertreffengeraten ist. Ich glaube aber, wir sollten da weiter am Ballbleiben.
Wir führen eine Diskussion über die gute Schule, diegute Ganztagsschule. Ich denke, der Bund sollte sich danicht zurückziehen, sondern sich engagiert beteiligen.
Uns ist die gute Schule wichtig. Deswegen etatisierenwir das erste Mal die in der letzten Legislaturperiodeverabredete Lehrerbildungsoffensive; das ist ein wichti-ger Beitrag. Wir machen mehr im Bereich Alphabetisie-rung/Grundbildung, was mir persönlich besonderswichtig ist, und bei der Arbeitsforschung: Wie geht eszukünftig weiter mit Dienstleistungen und Produktion,wie sieht der Arbeitsplatz der Zukunft aus? Zur Frie-dens- und Konfliktforschung muss ich, glaube ich, garnicht viel sagen; wir haben eben den Etat des Auswärti-gen Amts diskutiert. Da müssen wir noch mehr machen;darüber werden wir auch in den Haushaltsberatungendiskutieren.
Auch im Bereich der Projektförderung machen wir eineganze Menge.Ich könnte die Liste, was wir alles Gutes und Wichti-ges machen, weiter fortsetzen, will aber bei all demPositiven nicht verhehlen, dass durchaus auch Wünscheoffenbleiben,
vor allem bei Kita, Schule und beruflicher Bildung. Wirkönnen den rechtlichen und auch den finanziellen Rah-men leider nicht beliebig ausweiten.Gleichwohl möchte ich zum Abschluss meiner Redeeinen Gedanken anbringen: Wir haben uns vorgenom-men, das Grundgesetz zu ändern. Es geht um eineVerbesserung der Kooperation von Bund und Ländern,leider nicht in der Schule – das wäre schön; aber so weitsind wir noch nicht –, aber immerhin für den Bereich„Wissenschaft und Hochschulen“. Wenn wir das Grund-gesetz ändern, dann sollten wir aber auch konkrete Poli-tik folgen lassen. Wenn wir nur das Grundgesetz ändern,dann aber nichts passiert, wäre das ungefähr so, als wennwir ein Flugzeug bauen, es aber nicht starten. Darumschlage ich vor, dass der Bund ein Programm zur Förde-rung von Nachwuchswissenschaftlern auflegt. Das kannin dieser Wahlperiode beginnen und dann dauerhaft aufder Basis des neuen Grundgesetzartikels wirken. Daswäre ein guter Beitrag für die Wissenschaft, für die ein-zelnen Nachwuchswissenschaftler, aber auch für dieHochschulen. Lassen Sie uns gemeinsam darüber nach-denken! In diesem Sinne freue ich mich auf die weiterenBeratungen.Ich freue mich auch, dass ich auf die Sekunde genaugeendet habe.
Da ist die Präsidentin hochentzückt. Vielen Dank! So
eine Punktlandung wünsche ich mir von allen anderen
auch. – Die Chance dazu hat jetzt Ekin Deligöz. Sie ha-
ben das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Natürlich sind wir uns einig, dass die Mittel für Bildung,Wissenschaft und Forschung wichtige Zukunftsinvesti-tionen sind, dass wir diese Mittel brauchen, damit wirauch morgen nicht nur in diesem Land, sondern auchdarüber hinaus gut leben können. Aber, Frau Wanka, esgeht ja nicht nur darum, dass Sie Geld bekommen– selbst darüber könnte man debattieren; mein KollegeRoland Claus hat das sehr gut ausgeführt –, sondernauch darum, was Sie mit diesem Geld machen. Es gehtdarum, welche Prioritäten Sie setzen. Ich sage Ihnen:Die Prioritäten, die Sie setzen, sind falsch, und dabeibleibt es.
Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele, auch wenn Ihnendas nicht gefällt: Sie kürzen im Bereich der beruflichenBildung. Man kann das duale System nicht oft genugloben. Wir finden es alle gut, wir exportieren es sogar.Gleichzeitig haben in Deutschland 14 MillionenMenschen zwischen 20 und 39 Jahren keinen formalenBerufsabschluss. Nur noch jedes fünfte Unternehmen
Metadaten/Kopzeile:
4686 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Ekin Deligöz
(C)
(B)
bildet in Deutschland aus. Der Fachkräftemangel istdeutlich wahrnehmbar. Doch Sie kürzen bei der Berufs-orientierung und bei den überbetrieblichen Ausbildungs-stätten, wo es darum geht, dass auch kleine Betriebe eineChance bekommen, auszubilden. Sie kürzen auch bei derFörderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung. Einer-seits reden Sie von Bildungsketten, andererseits kürzenSie da, wo diese real umgesetzt werden sollen, die Mit-tel. Anstatt die Weiterbildung ins Zentrum zu setzen unddas Meister-BAföG, wie wir es vorgeschlagen haben, inein Weiterbildungs-BAföG weiterzuentwickeln, kürzenSie bei der Weiterbildung. Das nennen Sie die richtigenPrioritäten? Das ist es nicht, Frau Ministerin. Wir habengute Konzepte. Mit unserer Idee „DualPlus“ haben wirgezeigt, wie es besser geht. Schauen Sie sich das genauan! Dieses Land braucht die berufliche Bildung mehrdenn je.
Auch beim BAföG setzen Sie falsche Prioritäten. Siesind das Thema angegangen; das ist toll. Unsere Länder,die rot-grün regierten Länder, stehen hier an Ihrer Seite.
Doch warum müssen die Studierenden weitere vier Se-mester auf die versprochene BAföG-Erhöhung warten?Warum müssen Generationen von Studierenden zugu-cken, wie sich die Preise entwickeln, ohne dass einerichtige Anpassung erfolgt? Wenn Sie es ernst meinen,dann handeln Sie auch ernsthaft. Verschieben Sie dasnicht noch einmal um ein paar Jahre!
Sie vertrösten und feiern sich selbst. Es kommt nichtsbei den Studierenden an. Das ist eine falsche Prioritäten-setzung.
Ich komme zum Deutschlandstipendium. Geben Siees zu: Es funktioniert nicht. Sie wollten 8 Prozent derStudierenden erreichen, danach haben Sie die Zahl auf2 Prozent korrigiert, und jetzt erreichen Sie noch nichteinmal 1 Prozent. Das geht an den Universitäten und denStudierenden komplett vorbei. Die Verwaltungskostensind viel zu hoch. Das sage nicht ich; das sagt der Bun-desrechnungshof. Es ist ganz einfach: Das Deutschland-stipendium hat sein Ziel verfehlt.
Trotzdem erhöhen Sie die Mittel dafür noch einmal um10 Millionen Euro und tun so, als ob das etwas Grandio-ses sei. Wenn Sie der Meinung sind, dass wir in diesemLand mehr Stifter aus der Privatwirtschaft brauchen,dann frage ich Sie – wir haben das Stiftungsrecht dochreformiert und modernisiert –:
Warum tun sie das nicht? Warum brauchen die Unter-nehmen auch noch staatliches Geld, damit sie hier end-lich aktiv werden? – Wenn Sie aber der Meinung sind,das sei ein Sozialbudget, dann investieren Sie die Mittelfür das Deutschlandstipendium doch gleich ins BAföG,denn dort wird für einen sozialen Ausgleich gesorgt, undverschwenden Sie das Geld nicht einfach nur für hoheVerwaltungskosten. Frau Ministerin, wir reden hier überinsgesamt 55 Millionen Euro. Das ist viel Geld für vieleStudierende.
Sie reden darüber, wie wichtig der Hochschulpakt ist.Seit Jahren ist der Hochschulpakt unterfinanziert.
Verstecken Sie sich nicht hinter den Rechenschiebern,anstatt zu gucken, was dieses Land wirklich braucht.
Frau Ministerin, Sie geben sich mit dem zufrieden,was Sie haben. Das sollten Sie nicht. Sie sind es diesemLand schuldig, dass Sie Engagement dafür zeigen, dasses mehr Geld für die Bildung gibt. Sie können die glo-bale Minderausgabe herunterrechnen, wie Sie wollen:Sie müssen eine halbe Milliarde Euro aus Ihrem Etat fürden Konsolidierungskurs dieser Regierung erbringen.Hier sind Sie Spitzenreiter dieser Regierung. Selbst derBundesrechnungshof, der weit davon entfernt ist, Geld-verschwendung in irgendeiner Form gutzuheißen, sagt:Für dieses Haus ist das zu viel Geld. – Nehmen Sie dasernst! Hier wird der Haushalt auf Kosten der Studieren-den, der Schüler, der Kleinkinder, der Bildung konsoli-diert. Das ist ein ernst zu nehmender Fakt, Frau Ministe-rin. Ich bitte an dieser Stelle um mehr Engagement.
Daneben tragen Sie die Mehrkosten für die Stillle-gung der atomaren Versuchsanlagen.Ich mache keinen Hehl daraus: Meine Fraktion ist ge-gen Kernforschung, weil wir die zukünftigen Kosten imBlick haben und die Generationengerechtigkeit ernstnehmen. Investieren Sie das Geld für Kernforschung lie-ber in die Forschung für erneuerbare Energien! Dortwäre es nicht nur gut angelegt. Dort würde es auch eineRendite erbringen und nicht morgen für die Entsorgungvon Atomschrott verwendet werden müssen.
Frau Ministerin, ich komme auf einen weiteren Punktzu sprechen, damit das nicht zu kurz kommt, nämlich aufdie Ebolaepidemie. Es geht mir hier um die Mittel fürdie Gesundheitsforschung. Ich hätte mir von Ihnen einWort dazu gewünscht und gerne gehört, dass es für Sieeine Herausforderung ist, mithilfe der Gesundheitsfor-schung ernsthaft gegen solche Krankheiten vorzugehenund sich hier sozial verantwortlich zu zeigen. Diese
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4687
Ekin Deligöz
(C)
(B)
soziale Verantwortung werden wir Grünen für IhrenHaushalt einfordern.Wir sind in der Sache konstruktiv, aber auch kritisch,weil es uns um die Zukunft dieses Landes geht.Vielen Dank.
Das war fast eine Punktlandung. – Herr Kaufmann,
Sie haben die Chance, das zu wiederholen. Sie haben das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Zahlenfür den Haushalt 2015 anschaut, dann kann man nur sa-gen: Das ist wirklich eine gute Regierungsarbeit. Es istfür Grüne und Linke schwer, hier ein Haar in der Suppezu finden. Das haben ja auch die Reden des KollegenClaus und der Kollegin Deligöz gerade gezeigt. Im Übri-gen, Herr Claus und Frau Deligöz: Es handelt sich imHaushalt nicht um Kürzungen, sondern um Umschich-tungen. Das ist ein ganz gravierender Unterschied.
Zum ersten Mal seit 1969 erreichen wir wieder – eben-falls in einer Großen Koalition – einen Haushalt ohneneue Schulden. Das ist gerade hinsichtlich der Genera-tionengerechtigkeit ein echter Meilenstein.
Gleichzeitig sparen wir nicht an der falschen Stelle. Im Ge-genteil: Die Mittel für den Bildungs- und Forschungsetatdes Bundes werden erneut massiv erhöht – wir haben esgehört –, und zwar um 8,63 Prozent. So manche Landes-regierung kann sich angesichts von Kürzungen im Bil-dungsbereich, die gerne mit dem Verweis auf die Schul-denbremse in 2020 begründet werden, hier eine Scheibeabschneiden.Diese Bundesregierung zeigt einmal mehr, dassbeides geht: Konsolidierung des Haushalts und mehrInvestitionen in Bildung. Selbstverständlich ist dies einegemeinsame Leistung der Bundesregierung und derRegierungskoalition. Aber – darauf möchte ich hinwei-sen; das ist mein erster zentraler Punkt –, Herr Schulz, esist die CDU, die für einen stetigen Aufwuchs des Bil-dungsetats in den letzten zehn Jahren steht.Seit der Übernahme der Bundesregierung 2005 unterUnionsführung mit einem CDU-geführten Bildungs-ministerium gab es kontinuierliche und stetige Steige-rungen im Bildungsetat. 2005 haben wir von Rot-Grüneinen BMBF-Etat von knapp 7,6 Milliarden Euro über-nommen; das waren 2,9 Prozent des Bundeshaushalts.Heute beträgt der Anteil des Haushalts für Bildung undForschung am Bundeshaushalt 5,1 Prozent und hat mit15,2 Milliarden Euro ein doppelt so großes Volumen.
Das ist eine Steigerung der Mittel im Bildungshaushaltunter CDU-Führung um über 100 Prozent. Ich kennekeine andere Regierung in Deutschland und auch nichtin Europa, die dies in den letzten zehn Jahren geschaffthat. Darauf können wir als CDU/CSU besonders stolzsein.
Mein zweiter wichtiger Punkt, auf den ich hinweisenmöchte – das wurde bereits angesprochen –: Der Bundübernimmt zum 1. Januar 2015 den bisherigen Finanzie-rungsanteil der Länder am BAföG. Wir entlasten dieLänder dauerhaft, da der Finanzierungsanteil von35 Prozent komplett entfällt. Dadurch werden bei denLändern 3,5 Milliarden Euro frei. Zusätzlich gibt es vonBundesseite zum Wintersemester 2016/17 eine mehr als800 Millionen Euro schwere BAföG-Reform mit einerdeutlichen Anhebung der Bedarfssätze und Freibeträge,einer deutlichen Anhebung des Wohnzuschlags und desKinderbetreuungszuschlags, einer Schließung der För-derlücke zwischen Bachelor- und Masterstudiengängen,einer Online-Antragsmöglichkeit für alle Studierendeund vielem mehr. Das bedeutet: mehr Geld, weniger Bü-rokratie. Auch diese Reform der Bundesregierung kannsich also sehen lassen.
Mit der BAföG-Einigung haben wir die jahrelangeBlockadepolitik der Länder beim BAföG durchbrochen.Das CDU-geführte Bildungsministerium hatte sich be-reits seit der letzten BAföG-Reform 2010 für eine weit-reichende Reform eingesetzt. In vielen Gesprächen aufallen Ebenen verständigte man sich zwar auf inhaltlicheÄnderungen. Eine Novelle scheiterte aber immer wiederan der fehlenden Finanzierungszusage der Länder.Durch die komplette Übernahme der BAföG-Kostenkonnten wir diese Blockade jetzt gemeinsam aus demWeg räumen.Das ist noch nicht alles, was wir vonseiten des Bun-des an Mitteln an die Länder transferieren. Der Bund be-teiligt sich weiterhin am Hochschulpakt – das haben wirgehört –, damit auch zukünftig eine ausreichende Zahlan Studienplätzen finanziert werden kann. Allein 2015sind das 2,1 Milliarden Euro. Der Bund finanziert diewichtigen Programmpauschalen. Der Bund stellt Geldfür die Verbesserung der Lehre an den Hochschulen imRahmen des Qualitätspakts Lehre zur Verfügung. Nachder geplanten Änderung des Artikels 91 b Grundgesetzkann sich der Bund noch stärker im Wissenschaftsbe-reich einbringen. Das Engagement des Bundes in derBildungspolitik ist somit ausgesprochen hoch.
Metadaten/Kopzeile:
4688 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Dr. Stefan Kaufmann
(C)
(B)
All das entlastet die Länder zusätzlich bei der Hoch-schulfinanzierung und eröffnet ihnen damit Spielräumefür die Verbesserung der Grundfinanzierung oder beimHochschulbau. Daher wäre es übrigens nur angemessenund fair, wenn sich die Länder ihrerseits an den Pro-grammpauschalen beteiligen würden.
Doch was passiert tatsächlich? Sind die Länder der-zeit ein verlässlicher Partner bei der Hochschulfinanzie-rung? Das ist mein dritter zentraler Punkt. Wenn wir denLändern schon weitere 1,17 Milliarden Euro jährlich zurVerfügung stellen, dann müssen sie sich bitte auch an dieVereinbarung mit dem Bund halten, Herr Schulz, unddas Geld wirklich für Schulen und vor allem Hochschu-len ausgeben.
Man kann das machen wie in Baden-Württemberg, wodie Aufteilung der Gelder im Verhältnis 50: 50 an Schu-len und Hochschulen erfolgt, oder wie in Hessen oderSachsen, wo 100 Prozent der Mittel an die Hochschulenfließen. Aber es so zu machen wie Niedersachsen und zusagen: „Wir geben gar nichts an die Schulen und Hoch-schulen, sondern alles an die Kitas“, das geht nicht.
Das ist im Übrigen, Herr Schulz, auch nicht vereinba-rungsgemäß.
Das starke Bekenntnis im Haushalt zur Finanzierungder akademischen Bildung darf – auch das wurdegesagt – nicht darüber hinwegtäuschen, dass die eigentli-che Herausforderung der nächsten Jahre darin liegt, dieberufliche Bildung als tragende Säule unseres Bildungs-und Wirtschaftssystems zu stärken und die Verzahnungvon beruflicher und akademischer Bildung voranzutrei-ben.
Verlassen wir die Bildung, und kommen wir nochkurz zur Forschung. Für die Förderung von Forschungund Entwicklung stellt der Bund zusätzliche 3 Milliar-den Euro in dieser Legislaturperiode bereit. In diesemRahmen werden wir die Exzellenzinitiative weiterentwi-ckeln, den Pakt für Forschung und Innovation fortsetzenund die Hightech-Strategie zu einer umfassenden, res-sortübergreifenden Innovationsstrategie ausbauen. Esgeht um Themen wie Industrie 4.0, die Mobilität derZukunft, Morgenstadt und vieles mehr. Es geht auch umdie Akzeptanz in der Bevölkerung. All diese Themenwerden wir hier noch ausführlich in den nächsten Wo-chen diskutieren.Ziel ist es, gemeinsam mit den Hochschulen, denForschungseinrichtungen und den Unternehmen eine zu-kunftsfähige Forschungsinfrastruktur aufzubauen undInvestitionen zu bündeln. Dazu gehören meines Erach-tens auch Exzellenzcluster und Spitzenzentren.
Nur so können wir die Innovationskraft unseres Landesweiter stärken und im harten internationalen Wettbewerbbestehen. Noch sind wir ganz vorn dabei. Aber auch dieAmerikaner haben jetzt die enorme Bedeutung staat-licher Innovationsförderung erkannt. Anlässlich einesneuen US-Förderprogramms für Innovation sagteBarack Obama im Februar dieses Jahres – ich zitiere –:I’m really excited about these four hubs … Theonly problem is Germany has 60 of them …Mit unserem fortgesetzten Commitment zur For-schung hatten wir das 3-Prozent-Ziel der Europa-2020-Strategie bereits 2012 erreicht. Jetzt gilt es, weiter dran-zubleiben. Mit dem Anstieg der Forschungsmittel in2015 unterstreichen wir unsere Entschlossenheithinsichtlich Forschung und Innovation einmal mehr. DieUnion steht dabei – ich betone es nochmals – auchweiterhin zur Spitzenforschung. Doch Forschung undInnovation braucht auch die richtigen Rahmenbedingun-gen. Dazu gehören insbesondere Anreize für den Einsatzvon Wagniskapital für Start-ups, Verbesserungen bei derInnovationsfinanzierung auch kleiner und mittlerer Un-ternehmen und innovationsfördernde Regelungen beimCrowdfunding. Auch hier müssen wir aktiv werden.
Freuen wir uns also heute gemeinsam über den erstenHaushalt ohne neue Schulden seit 45 Jahren, beigleichzeitig steigenden Investitionen in Bildung undForschung. Das ist erfolgreiche gemeinsame Regie-rungspolitik für die jungen Menschen und für die Zu-kunft unseres Landes.Danke sehr.
Als nächster Redner hat der Kollege Ralph Lenkert
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnenund Kollegen! Bildung und Forschung sind kein Privilegfür Eliten, sondern eine Herausforderung für alle. Vorneun Jahren zwang die Thüringer CDU-Alleinregierungmit ihrem Angriff auf Kitas die Thüringer Eltern, fürihre Kinder einzutreten. Wir starteten das Volksbegehrenfür eine bessere Familienpolitik. Eltern, Erzieherinnenund Erzieher, Gewerkschaften, die Linke, die SPD undBündnis 90/Die Grünen kämpften zusammen für einebessere frühkindliche Bildung.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4689
Ralph Lenkert
(C)
(B)
Fünf Jahre später und nach dem Verlust der absolutenLandtagsmehrheit konnte die CDU endlich einem besse-ren Kitagesetz zustimmen.
Wenn Bodo Ramelow Ministerpräsident von Thüringenwird,
dann bekommen wir auch noch die Landesfinanzierungfür Kitas sauber geregelt.
Begriffen hat die Bundes-CDU mit diesem Haushalts-entwurf nichts. Bundesweit fehlen Erzieherinnen undErzieher in Krippen und Kindergärten, die Gruppen sindzu groß, die Öffnungszeiten sind zu knapp. Speziell fürIhre Bildung, liebe Kolleginnen und Kollegen von derCDU/CSU, zitiere ich den Nobelpreisträger für Ökono-mie, James J. Heckman, von der University of Chicago:Die Gesellschaft erhält eine langfristige Rendite von50 Prozent für jeden Euro, der in frühkindliche Bildunginvestiert wird. – Das sieht auch die Linke so.
In diesem Haushalt haben Sie erneut nicht begriffen, wiewichtig frühkindliche Bildung ist. 1 Milliarde Euroverteilt auf vier Jahre – das ist alles. Laut Bertelsmann-Stiftung müssten Sie das Zehnfache in Kitas und vorallem in die Ausbildung von Kitapersonal investieren.
Handeln Sie endlich!In einer Stadt wie dem thüringischen Gera, einer Stadtohne genehmigten Haushalt, verfallen die Schulen. InHunderten Kommunen Deutschlands passiert dasGleiche. Wir alle kennen den Sanierungsstau. Ohne dasherausragende Engagement von Lehrerinnen, Lehrernund Eltern wären die Bedingungen für unsere Kinder un-zumutbar; Ihnen gilt mein Dank. Die Schulen leben vonder Substanz. Wir fordern Schulsanierungen, und zwarschnell.Im Wahlkampf hört man jetzt von Politikerinnen undPolitikern der Union: Wir brauchen mehr Lehrerinnenund Lehrer für kleinere Klassen, für Inklusion. – Ichfrage Sie von der Union: Warum haben Sie in den letzten24 Jahren in Thüringen und Sachsen oder in 9 Jahren imBund unter Ihrer Regierungsverantwortung nicht füreine ausreichende Anzahl und gut ausgebildete Lehr-kräfte gesorgt?
Blicken Sie auf die Vertretungspläne der Schulen: häufi-ger Stundenausfall, Vertretungen, Unterricht durch El-tern, und zwar flächendeckend. Lehrerinnen und Lehrer,die befristet für das Schuljahr eingestellt werden, müs-sen sich aus Sparsamkeit der Länder in den Sommer-ferien arbeitslos melden. Das alles sind Folgen IhrerRegierungspolitik. Diese Politik muss verändert werden.
In Thüringen fehlen über 2 000 Lehrerinnen undLehrer. Dieser Personalbedarf entspricht 120 Millio-nen Euro pro Jahr. Der Anteil für Thüringen von 57 Mil-lionen Euro per annum aus Ihrem Bildungspaket von6 Milliarden Euro reicht nicht einmal für die Hälfte.
Herr Lenkert, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen von den Grünen zu?
– Nein, das war eine Bitte um Zwischenfrage. Das habe
ich schon richtig interpretiert.
Bitte.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Kollege,
ich weiß nicht, ob Sie Bildungsminister in Thüringen
werden wollen. Das ist aber nicht Anlass unserer heuti-
gen Debatte. Könnten Sie jetzt bitte langsam zum Bun-
deshaushalt kommen? Bisher haben wir nur etwas über
Thüringen gehört.
Meine Frage: Was möchten Sie im Bundeshaushalt an
Investitionen für Bildung?
Sehr geehrter Herr Kollege, als Erstes fordern wir– das als Antwort auf Ihre Frage – die Aufhebung desKooperationsverbotes;
denn das Kooperationsverbot sorgt dafür, dass die Bun-desländer mit nicht so viel Geld die Bundesländer, diereicher sind, noch unterstützen müssen. Nehmen wirBayern, meine Herren von der CSU: Bayern bildet seitJahren viel zu wenige Studentinnen und Studenten fürdie eigene Wirtschaft aus.
Andere Bundesländer wie Schleswig-Holstein, wieNordrhein-Westfalen, wie Thüringen, wie Sachsen fi-nanzieren mit ihren Landesmitteln über ihre Hochschu-len die Absolventen für Bayern. Bayern spart sich dieKohle und will jetzt auch noch seine Ausgaben für denLänderfinanzausgleich reduzieren. Das ist ungerecht. DaBildung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, daEltern flexibel sein müssen, muss das Kooperationsver-bot aufgehoben werden. Wenn uns das gelingt, dann istdieses Thema auch hier wichtig. Ich erörtere in meinen
Metadaten/Kopzeile:
4690 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Ralph Lenkert
(C)
(B)
Reden diese Frage deswegen so intensiv, damit jedemklar wird, wie schwachsinnig das Kooperationsverbotfür eine gute Bildung in ganz Deutschland ist.
2016 soll das BAföG erstmals nach sechs Jahren stei-gen. Bis dahin müssen Studierende ohne betuchte Elternnoch mehr jobben, um die emporschießenden Mietenund Lebenshaltungskosten bezahlen zu können.
Der Bund übernimmt 1,17 Milliarden Euro für dasBAföG. Das ist gut; denn dann bekommen die Länderdiese Mittel frei. Aber ohne Aufhebung des Koopera-tionsverbotes werden diese Mittel in den Landeshaus-halten versickern. Das Kooperationsverbot verbietet diegemeinsame Finanzierung von Bildungseinrichtungen.Das ist falsch. Bildung geht uns alle an.
An den Hochschulen haben 84 Prozent der 160 000wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nurZeitverträge, über die Hälfte davon Zeitverträge vonunter einem Jahr. Das heißt, Menschen, die nicht wissen,wovon und ob sie in drei Monaten die Miete zahlen kön-nen, sind das Rückgrat bei der Ausbildung der Studie-renden. Diesen Zustand finden wir für Studierende undMitarbeiterinnen und Mitarbeiter unerträglich.
Bei den Forschungsgesellschaften sind Befristungenebenfalls Standard. Das Wissenschaftszeitvertrags-gesetz provoziert dies. Manche Professoren und Insti-tutsleiter nutzen das erbarmungslos aus. Reduzieren Sieendlich diesen Befristungswahnsinn! Koppeln Sie dieErhöhung der Grundfinanzierung für das Max-Planck-Institut, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Ge-meinschaft und die Leibniz-Gesellschaft an Auflagen fürgute Arbeitsplätze.Bei Forschung diskutieren wir über die Zukunft desWissenschaftsstandortes Deutschland. Aber Ihre neueHightech-Strategie, Frau Ministerin, enthält nur die altenabgedroschenen Phrasen: Erhöhung der Wettbewerbs-fähigkeit, Stärkung der Innovationsfähigkeit, Förderungvon Wachstumsimpulsen.
Das klingt tough, ist aber absolut beliebig und ändert garnichts. Über Grundlagenforschung reden Sie, FrauMinisterin, überhaupt nicht. Deswegen für Sie ein Zitatvon Albert Einstein:Hätten wir nur in produktorientierte Forschung in-vestiert, gäbe es heute die perfekte Petroleum-lampe, aber kein elektrisches Licht.Die Linke will Bildung verbessern und Forschungstärken. Dazu braucht es: erstens die Abschaffung desKooperationsverbotes, zweitens ein neues Wissen-schaftszeitvertragsgesetz und Schluss mit dem Befris-tungswahnsinn, drittens eine kommunale Investitions-pauschale von 1,5 Milliarden Euro, viertens 3 MilliardenEuro für den Kitaausbau und ein Ausbildungsprogrammfür Erzieherinnen und Erzieher, fünftens 964 MillionenEuro mehr für den Hochschulpakt und bessere Studien-bedingungen und, sechstens, mehr Lehrerinnen und Leh-rer sowie Erzieherinnen und Erzieher.Rot-Rot kann es. Das beweist Brandenburg mit einemHaushaltsüberschuss von 366 Millionen Euro seit 2010und 2 540 neu eingestellten Lehrerinnen und Lehrern.
Wir Linken schwadronieren nicht über schwarze Nullen.Wir investieren in Bildung und sanieren Haushalte.Vielen Dank.
Als nächster Redner hat der Kollege Ernst Dieter
Rossmann das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Gute Bildungs- und Forschungspolitik lebtvon Kontinuität und neuen Akzenten. Frau MinisterinWanka, Sie werden akzeptieren – auch mit Hinblickdarauf, dass die frühere Bildungs- und Forschungsminis-terin gerade die Plenarsitzung leitet –, dass wir daraufhinweisen: Ja, es hat seit 2005 kontinuierlich Verbesse-rungen gegeben. Aber es hat auch schon seit 1998 we-sentliche Verbesserungen gegeben.
So wurde das BAföG deutlich verbessert, indem dasKindergeld nicht mehr angerechnet wird. Es wurdenMaßnahmen vorbereitet betreffend die Fachhochschu-len bis hin zur stärkeren Forschungsorientierung an denHochschulen und es ist auch die Gesamtarchitektur derForschungsförderung neu aufgestellt worden.Wir werben dafür, über diese Gesamtkontinuität sozugespitzt zu diskutieren, dass wir uns jetzt fragen: Wasist gegenwärtig strukturell besonders wichtig mit Blickauf den Haushalt 2015?In Anbetracht der Großen Koalition möchte ich es soformulieren: Manches genießt man still. Es waren derKollege Schulz und der Bürgermeister Scholz, diezusammen in langer Linie und am Ende erfolgreichdurchgesetzt haben, dass das BAföG zu 100 Prozentvom Bund getragen wird.
Ich wiederhole: Es waren Schulz und Scholz. Wir wollendas still genießen, wenn wir uns vor Augen führen,welche Bedenkzeit andere benötigt haben, bis sie demgefolgt sind.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4691
Dr. Ernst Dieter Rossmann
(C)
(B)
In Sachen Kontinuität können wir auch darüber dis-kutieren, dass die Hightech- und Innovations-Strategieweiterentwickelt worden ist. Auch hier gab es substan-zielle Veränderungen. Es sind neue Kapitel hinzugekom-men, zum Beispiel im Bereich Arbeit, was wir und auchSie als sehr wichtig erachten. Außerdem wurden neueKonzeptionen entwickelt, und zwar in Bezug aufInnovationen für Produktion, Dienstleistung und Arbeit.Ein Hinweis von Ihnen war sehr wichtig: Ja, wir alleöffnen uns zivilgesellschaftlichem Sachverstand undzivilgesellschaftlicher Moral. Als stille Genießer neh-men wir zur Kenntnis, dass dieser Akzent jetzt von denVertretern aller Koalitionsfraktionen in den entsprechen-den Beiräten, vom Beirat des Hauses der Zukunft biszum Beirat bei der Hightech-Innovations-Strategie, ge-setzt wird. Frau Ministerin, Sie haben dabei unsere volleUnterstützung.
Schließlich wurden weitere neue Akzente gesetzt, diesich im engeren Sinne auch im neuen Haushalt wieder-finden. Wir müssen in unseren Diskussionen immer imAuge behalten, dass alle Menschen schichten- undherkunftsunabhängig die Chance auf Aufstieg durchBildung, Leistung und Solidarität bekommen müssen.Wir müssen die Bildungsgerechtigkeit aber auch unterdem Gesichtspunkt der Teilhabe verstehen. Dazu gehörtdas Verständnis für moderne Entwicklungen in der Welt,für technologische Veränderungen sowie für globaleökonomische und ökologische und andere Zusammen-hänge. Das bedeutet, dass wir im Schlüsselbereich, demBereich der schulischen Ausbildung und Hochschulaus-bildung, ansetzen müssen.In diesem Haushalt ist erstmals die „Qualitätsoffen-sive Lehrerbildung“ etatisiert. Diese wurde früher be-reits von der CDU/CSU eingebracht. Jetzt stellen wir siein den Haushalt ein. Mit Blick auf die Qualitätsoffensivefreuen wir uns sehr, dass auch die berufsbildenden Schu-len ganz stark in den Fokus gerückt werden; Herr Kol-lege Rainer Spiering hat darauf gedrungen.
Wir denken beim Stichwort „Lehrerbildung“ immer vielzu schnell an nur einen Teil des Schulwesens. Bei denberufsbildenden Schulen handelt es sich im Übrigen umein sehr schwieriges Bildungswesen, weil es nicht in al-len Bereichen der berufsbildenden Schulen eine kontinu-ierliche Klassenbildung gibt und eine sehr vielfältigeJugend- und Junge-Erwachsene-Struktur zu erkennen ist.Wir erwarten und hoffen, dass aus den Ländern vielEngagement und viele innovative Projekte für eine guteBerufsschullehrerausbildung kommen. Das ist unswichtig.
Diese Priorität beruflicher Bildung haben Sie, FrauMinisterin, in der Tat dadurch belegt, dass auch mit derInnovations- und Strategieinitiative für berufliche Bil-dung neue Akzente gesetzt werden sollen. Trotzdem:Selbst wenn Sie ESF-Mittel und andere Ressourcen inder Debatte anführen, fällt nicht nur der Kollegin vonden Grünen, sondern auch uns auf, dass der Titel „Maß-nahmen zur Verbesserung der Berufsorientierung“ wie-der um 10 Millionen Euro gekürzt worden ist.
Das fällt uns deshalb besonders auf, weil wir als Parla-mentsfraktion in den Beratungen zum Haushalt 2014diese 10 Millionen Euro hineinverhandelt und durchge-setzt haben. Ich glaube, wir dürfen sagen: Es leuchtetuns noch nicht ein, weshalb der Wille des Parlaments andieser Stelle mit einem Regierungsentwurf konterkariertwird. Da sind wir sehr willensstark.
Das möchte ich gerne hier für die Parlamentsfraktion derRegierung mit ansprechen.Wir sind auch in mancher Hinsicht innovativ. Das istzwar nur ein kleiner Punkt, aber uns freut es – wir freuenuns da, glaube ich, auch für die CDU/CSU mit –, dasseine so wichtige Sache wie Alphabetisierung, wieGrundbildung jetzt mit einer eigenen Ziffer im Haushaltauftaucht. Wenn wir dort noch zusätzliche Mittel dazu-gewinnen können, wird es ein größerer Punkt werden,was dann auch anderen – Ländern, Kommunen, der Öf-fentlichkeit – Mut macht, sich für eine wirkliche Alpha-betisierungsdekade mit einzusetzen.
Weil wir uns ja nicht nur still, sondern auch demon-strativ freuen dürfen, möchte ich hier auch einen Dankan die Präsidentin aussprechen – geben Sie diesen bitteweiter an das Präsidium des Parlaments –: Ja, es ist sehrgut, dass jetzt auch in der Zeitung Das Parlament immereine Beilage in Leichter Sprache enthalten ist.
Nicht, dass nun mit einem Mal ganz viele Menschen,die sich auf diesem Sprachniveau bewegen, Das Parla-ment von A bis Z lesen würden, aber es ist ein Merkerfür all jene, die hochgebildet Das Parlament lesen, dasses auch anderes gibt und auch andere Zugänge zu denalle berührenden Fragen von politischer Gestaltung undanderem geben muss. Frau Präsidentin, Verneigung vordem Präsidium!
Das werde ich gerne weitergeben.
Die Dimension von Teilhabe über Bildung, speziellauch über berufliche Bildung, will ich mit zwei Bemer-kungen noch vertiefen.
Metadaten/Kopzeile:
4692 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Dr. Ernst Dieter Rossmann
(C)
(B)
Sollten wir wirklich jetzt den Streit um die Prioritätakademischer oder dualer beruflicher Ausbildung an dieerste Stelle stellen, oder sollten wir nicht vielmehr dieDiskussion um die Frage: „Wie schaffen wir es, zu mehrerfolgreichen Abschlüssen zu kommen, sei es im akade-mischen oder im dualen Bereich?“ an die erste Stellestellen?
Das muss doch die Botschaft sein: Priorität hat nicht dieVerteilung, sondern die Entwicklung zum Erfolg hin. Andieser Stelle sollten wir zusammenarbeiten, genauso wiean mehr Sensibilität in Bezug auf die Förderung berufli-cher Aufstiegsfortbildung.Ich kann Sie beruhigen, Frau Kollegin Deligöz. Dawird nichts verschlechtert. Das Aufstiegsfortbildungs-förderungsgesetz ist ein Leistungsgesetz. Wenn jetzt3 Millionen Euro weniger im Haushalt stehen, dann viel-leicht, weil es weniger Menschen gibt, die diese Gelderabrufen. Das muss aber doch das Ziel sein. Beim BAföGhaben wir die Antwort gegeben. Erstmals werden zu-sätzlich 100 000 junge Menschen aus der MittelschichtZugang zum BAföG haben. Das ist eine beträchtlicheZahl.
Das Meister-BAföG beziehen überhaupt nur 170 000Techniker, Meister oder Fachwirte. Auch dort sollten wirWege finden, diese Gruppe von Aufstiegsfortbildungs-willigen zu erweitern. Das muss das Ziel für diese Legis-laturperiode sein.
Dazu darf ich eine Beobachtung aus den vielen Wahl-kreisgesprächen, die man als Abgeordneter führt, hinzu-fügen, die einen in Erstaunen versetzt. Wir haben eineWeiterbildungsprämie, die für Maßnahmen mit Kostenvon bis zu 1 000 Euro gewährt wird – die Förderung be-trägt bis zu 500 Euro –, und wir haben das Aufstiegsfort-bildungsförderungsgesetz. Ich war in einem Hospiz, ummich in anderen Zusammenhängen dort in der Diskus-sion sachkundig zu machen. Da wird einem gesagt: Ja,es gibt natürlich auch Fachausbildungen und -weiterbil-dungen für Hospizpflege. Diese kosten aber zum Bei-spiel 1 600 Euro und mehr. Die werden nicht gefördert,einerseits, weil sie über dem Satz von 1 000 Euro liegenund andererseits, weil sie keine Aufstiegsfortbildungsind. Sie werden dann alleine aus der Tasche von diesenfortbildungswilligen Pflegerinnen und Pflegern bezahlt.Haben wir das eigentlich im Kopf schon richtig sortiert?Oder müssten wir nicht eine andere Systematik der Wei-terbildungsförderung entwickeln, sodass am Horizonttatsächlich ein Weiterbildungsförderungsgesetz entsteht,mit dem Maßnahmen auf allen Anforderungsniveaus ge-fördert werden?Im Übrigen: Dieses wünschen wir uns als Teil derBildungsforschung, deren Förderung wir insgesamt jadeutlich erweitern. Wir sind auf einem guten Wege, wasden Etat für Bildung insgesamt angeht. Aber – da mussich Herrn Claus noch einmal recht geben – wenn mandas absolute Niveau gemessen am Bruttoinlandsproduktnimmt, dann ist Deutschland in Europa nicht an derSpitze. Da gibt es, glaube ich, 15 Länder, die vor uns lie-gen. Bei den Zuwächsen sind wir an dritter Stelle. Dasführt mich zu dem Resümee: Ja, wir dürfen zufriedensein, aber selbstzufrieden dürfen wir noch nicht sein. Soweit sind wir noch nicht.
Das ist das Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen. ImZusammenwirken von Bund, Ländern und Kommunenmüssen wir wirklich noch mehr tun. Selbst dann werdenwir bei der Bildung allerdings nie selbstzufrieden sein.Danke.
Als nächster Redner hat Kai Gehring das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Erst seit 1998 erleben wir Aufwüchse bei den Bildungs-und Forschungsmitteln – und das muss so bleiben. Dennbei Bildung und Forschung bestehen weiterhin ganz er-hebliche Investitionsbedarfe. Es ist gut, dass auch dieseBundesregierung diese Notwendigkeit sieht. Allerdingserinnert ihr 6-plus-3-Milliarden-Paket für Bildung undForschung eher an ein teures Pralinengeschenk: Man hatdas Paket aufgerissen und hält zwei oder drei Pralinen inHänden – und ganz viel Verpackung. Den Rest hat näm-lich die globale Minderausgabe schon aufgefuttert.
Das Beispiel BAföG zeigt, dass teuer nicht immer gutsein muss. 2015 wird der Bund zwar mehr Geld für dasBAföG ausgeben, aber nicht für eine Verbesserung derStudienfinanzierung – nein! –, sondern ganz allein, da-mit der Bund alleiniger Finanzier wird.Das heißt, die Pralinen gehen an die Finanzministerder Länder, und die bittere Pille schlucken Schüler undStudierende. Denn die überfällige Erhöhung der Studien-finanzierung fällt weiter aus. Sie verordnen damit denStudierenden in dieser Republik zwei Jahre Nullrunden.Damit fallen allein 2014 und 2015 60 000 junge Men-schen aus dem BAföG-Bezug heraus. Deshalb sagenwir: Das BAföG muss rauf, und zwar sofort.
Ein tieferer Blick in Ihre Pralinenschachtel ernüch-tert: Krippen und Kitas bleiben als Fundamente unseres
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4693
Kai Gehring
(C)
(B)
Bildungssystems unterfinanziert. Sie klotzen beim Be-treuungsgeld und kleckern bei Ausbau und Qualität derKitas. Das ist nicht bildungsgerecht.
Das erfolgreiche Ganztagsschulprogramm endet er-satzlos. Bei der Generationenaufgabe Inklusion tauchenSie schlichtweg ab. Und die konkrete Zukunft der Wis-senschaftspakte bleibt ungelöste Hausaufgabe und Ver-handlungsmasse.
Zentrales Manko Ihres Milliardenpakets ist: Es soll inerster Linie die Länder entlasten. Ob und zu welchenAnteilen die Länder die Mittel für Bildung und Wissen-schaft zusätzlich investieren, hängt in Zeiten der Schul-denbremse nicht allein vom Willen zur Prioritätenset-zung ab,
sondern stark von der Finanzlage jedes Landes. Das hät-ten Sie bedenken müssen. Das Kriterium der Zusätzlich-keit fehlt. Jetzt schnüren 16 Länder eigene Bildungspa-kete. Wir freuen uns mit Ihnen über erste Vorbilder wieBaden-Württemberg oder Hessen.
Weitere werden folgen.Wir setzen uns bundesweit dafür ein, dass die finan-ziellen Spielräume, die das Paket schafft, für Bildungund Hochschulen genutzt werden und nicht zum Stopfenvon Haushaltslöchern. Denn wir sind weit davon ent-fernt, Bildungsaufsteigerland zu werden. Wir brauchenmehr Meister und mehr Master und weniger Analphabe-tismus und Schulabbrüche in diesem Land.
Wir wollen den unterdimensionierten Hochschulpaktunverzüglich aufstocken – das haben wir als Grüne be-reits im Frühjahr hier beantragt –, damit Studieninteres-sierte auch tatsächlich einen Studienplatz finden. WennSie an der Stelle herumknausern, verbarrikadieren SieHochschultüren und verbaseln Bildungschancen. Daswäre verheerend.
Wir wollen auch, dass die Programmpauschale nichtnur bleibt, sondern verstetigt und erhöht wird, damit uni-versitäre Forschung nicht gegenüber außeruniversitärerForschung zurückfällt. Wir wollen auch – statt eines im-mer stärker um sich greifenden Befristungsunwesens anunseren Hochschulen – klare Karrierewege und Perspek-tiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs, nicht zu-letzt deshalb, weil die Exzellenzinitiative endet.
Wir wollen im Übrigen auch weiterhin eine Ermögli-chungsverfassung: Das Kooperationsverbot in Bildungund Wissenschaft muss weg. Ihr Grundgesetzänderungs-vorschlag löst das Problem doch nur zur Hälfte.
Wir brauchen eine strategische Finanzierungspartner-schaft von Bund und Ländern für bessere Bildung undForschung.Wir brauchen auch ehrgeizige Ziele in der Bildungsfi-nanzierung: Weiterhin fehlen 20 Milliarden Euro, umdas 7-Prozent-Ziel zu erreichen; 7 Prozent des Brutto-inlandsprodukts sollen in die Bildung fließen. Die ent-sprechende Mahnung der OECD vom vergangenenDienstag darf bei der Bundesregierung nicht auf taubeOhren stoßen.Ähnlich ambitioniert müssen die Investitionen in For-schung und Entwicklung weiter steigen. Dass aktuell3 Prozent des BIP dafür ausgegeben werden, ist ja nett.Aber das sollte bereits vor einem halben Jahrzehnt er-reicht worden sein! Also auf zu neuen Ufern!
Wir Grünen stehen mit Ihrer eigenen Expertenkom-mission Forschung und Innovation, mit Industrie undMittelstand, Arbeitgebern und Handwerk längst für das3,5-Prozent-Ziel. Die Große Koalition sollte hier nach-ziehen.
Wir wollen die Dynamik unseres Innovationsstandor-tes stärken. Deshalb fordern wir eine steuerliche For-schungsförderung für kleine und mittlere Unternehmenund mehr Möglichkeiten für Start-ups und Existenzgrün-der. Deutschland braucht einen neuen Gründergeist. Da-von sind wir noch weit entfernt. Das wäre zukunftsge-rechte Politik.
Ihre neue Hightech-Strategie dagegen ist eher einSammelsurium altbekannter Forschungsförderprogramme.Ich bin sehr gespannt, Frau Wanka, wie Sie uns dieSumme für die Hightech-Strategie, die Sie heute hiervermarktet haben, im Ausschuss darstellen und wie Sieauf diese Beträge kommen.
Es muss für die nächsten Jahre alles zusammengesam-melt worden sein. Aber wir kommen nicht auf diesenBetrag.Die Hightech-Strategie sollte erkennbar entrümpeltwerden. Sie sollten für echte Bürgerbeteiligung sorgen.Dafür haben Sie kein stimmiges Konzept. Sie müsseninsgesamt die Hightech-Strategie auf die großen gesell-schaftlichen, ökologischen, digitalen und demografi-schen Fragen ausrichten. Mit Blick auf all das kann ichnur feststellen: Innovationen gehen anders.
Metadaten/Kopzeile:
4694 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Kai Gehring
(C)
(B)
Statt heißer Luft, guter Verpackung und Brimboriumbrauchen wir klare Prioritäten für höhere Investitionen ingute Bildung und Forschung, für mehr Chancengerech-tigkeit und Bildungsaufstieg und für eine wirklich krea-tive Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft, die dengroßen Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird.Das, meine Damen und Herren, sind unsere Prioritätenfür den Haushaltsentwurf 2015. Der Haushalt sollteüberarbeitet werden. Freuen Sie sich auf unsere Ände-rungsvorschläge und -anträge.Wenn die SPD tatsächlich die Änderungsvorschlägezur Ausbildung einbringt, dann sind wir gerne dabei.Auch wir werden gerne beantragen, dass die Kürzungenbei der beruflichen Bildung zurückgenommen werden.Dieser Haushalt muss dringend verbessert werden.
Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Wolfgang
Stefinger das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Als ich angefangen habe, mich politisch zuengagieren, wurden die öffentlichen Haushalte in unse-rem Land jedes Jahr mit einer Neuverschuldung aufge-stellt.Als Edmund Stoiber 2006 erklärte: „Wir machen inBayern keine neuen Schulden mehr“, wurde er anfangsbelächelt.
Es gab hitzige Debatten darüber. Bayern hat nun seit2006 einen ausgeglichenen Haushalt.
– Wir zahlen sogar zurück.Für mich als jungen bayerischen Abgeordneten, derzum ersten Mal diesem Hohen Hause angehören darf, istes eine besondere Freude, bei diesem historischenSchritt des Bundes dabei sein zu dürfen.
Zum ersten Mal seit 1969 legt der Bund einen ausgegli-chenen Haushalt vor. Zum ersten Mal seit 45 Jahrensteht eine „schwarze Null“ im Haushaltsplan der Bun-desregierung.
Das Wichtigste dabei ist: An der Zukunft wird nichtgespart.
Im Gegenteil: In Bildung und Forschung wird seit Jahrenkräftig investiert, und so bleibt es auch mit diesem Haus-halt. Dies war und ist nur möglich, weil die Bundesregie-rung eindeutig einen Schwerpunkt auf Bildung und For-schung setzt.Gerade weil es in unserem Einzelplan, den wir heutediskutieren, so deutlich wird, möchte ich noch einmalein paar Eckpunkte umreißen: 15,3 Milliarden Euro sind8,6 Prozent mehr als im Haushalt 2014 und ein Anstiegum 1,2 Milliarden im Vergleich zum laufenden Haus-haltsjahr. Der Bund entlastet die Länder beim BAföG,bei der Finanzierung von Studienplätzen und beim Aus-bau der frühkindlichen Bildung. Die Finanzierung desBAföG wird ab 2015 vollständig vom Bund übernom-men. Das bedeutet eine Entlastung der Länder um1,17 Milliarden Euro pro Jahr.Für den Hochschulpakt stehen 2,1 Milliarden Eurozur Verfügung. Insgesamt investiert die Koalition in die-ser Legislaturperiode 3 Milliarden Euro in den For-schungs- und Entwicklungsbereich. Wir führen die Ex-zellenzinitiative fort.Für die Etats der außeruniversitären Forschungsein-richtungen Max-Planck-Gesellschaft, Helmholtz-Ge-meinschaft, Leibniz-Gemeinschaft, Fraunhofer-Gesell-schaft und DFG verzeichnet dieser Haushaltsentwurferneut eine Steigerung um 5 Prozent. Ab 2016 ist einejährliche Steigerung von 3 Prozent vereinbart. Werfinanziert es? Nicht die Länder, sondern der Bund finan-ziert es, und das alles bei einem ausgeglichenen Haus-halt, bei einer schwarzen Null.
In diesem Zusammenhang möchte ich festhalten, dassder Bund den Ländern sehr weit entgegengekommen ist,was die Finanzierung im Bildungsbereich angeht. Immernoch mehr zu fordern, ist einfach. Nun sind die Länderdran, ihre Hausaufgaben zu machen.
Die von mir aufgezählten Investitionen im Bildungs-und Forschungsbereich sowie der ausgeglichene Haus-halt sind ein deutliches und wichtiges Signal an diejunge Generation. Wir sagen damit: Wir bauen auf euch.Eure Zukunft ist uns nicht egal. – Für dieses deutlicheZeichen danke ich herzlich dieser Bundesregierung, Ih-nen, Frau Ministerin, Ihren Staatssekretären und denMitgliedern des Haushaltsausschusses.Lassen Sie mich bitte noch etwas zur OECD-Studiesagen, die diese Woche veröffentlicht und hier im Hausemehrfach angesprochen wurde. Ja, ich freue mich, dassdie OECD die gute frühkindliche Bildung in Deutsch-land lobt. Auch in diesem Bereich hat der Bund trotz Fi-nanz- und Wirtschaftskrise viel Geld investiert. Unseregeringe Jugendarbeitslosigkeit wird gelobt. Unser dualesAusbildungssystem wird ebenfalls – man höre undstaune! – lobend erwähnt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4695
Dr. Wolfgang Stefinger
(C)
(B)
Ich gebe zu, dass ich diese Passage mehrfach lesenmusste; denn in den vergangenen Jahren lauteten dieAussagen der OECD immer, dass einzig und allein derWeg an die Hochschulen der Königsweg sei, währendAusbildungsberufe eher als minderwertig dargestelltwurden.Nach meinem Verständnis hat jeder Mensch eigeneFähigkeiten, Stärken und Schwächen. Der eine ist hand-werklich geschickt, der andere hat zwei linke Hände. Dieeine kann gut mit Kindern, die andere eher mit älterenMenschen. Der eine redet gerne viel und meistens langeund geht vielleicht deshalb in die Politik; der anderezieht sich lieber zurück, zeichnet Pläne und schreibt Bü-cher oder geht einer anderen Tätigkeit nach, die ihmliegt und Freude macht. Diese Liste ließe sich beliebigfortsetzen. So frage ich: Sollten wir nicht endlich damitaufhören, Berufe zu bewerten oder gar abzuwerten?Trägt nicht jeder Beruf zum Zusammenleben unsererGesellschaft bei?
Lassen Sie mich kurz eine kleine Geschichte erzäh-len. Ich hatte vor der Sommerpause einige Schulklassenbei mir zu Gast. Es waren Schüler aus Gymnasien, Real-schulen und Mittelschulen. Wissen Sie, was ein Mäd-chen mir geantwortet hat, als ich sie gefragt habe, wassie – es war übrigens keine Schülerin einer Gymnasial-klasse – nach ihrem Abschluss machen möchte? Sie hatzu mir gesagt: Herr Stefinger, ich mache nur eine Aus-bildung. – Was sagt uns dieser Satz? Mich hat dieserSatz über die Sommerpause hinweg begleitet und be-schäftigt. Denn der Satz sagt uns, das wir inzwischen soweit sind, dass Schüler glauben, nur noch mit Abitur et-was wert zu sein und etwas werden zu können, und mei-nen, sich fast entschuldigen zu müssen, dass sie eineAusbildung machen. Genau das ist falsch.
Deshalb habe ich ihr zugerufen: Was heißt hier „nur“?Herzlichen Glückwunsch zum Ausbildungsplatz! Dirstehen danach alle Wege offen.
Ich möchte noch Folgendes in Richtung OECD sa-gen: Wenn wir weiterhin das Akademikerkind, das sichfür einen Handwerksberuf entscheidet oder eine Ausbil-dung absolvieren möchte, als Bildungsabsteiger bzw.Verlierer bezeichnen, dann brauchen wir uns über denerwähnten Satz des Mädchens nicht zu wundern.
Herr Stefinger, lassen Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Walter-Rosenheimer zu?
Bitte schön.
Sie bedauern, dass eine Ausbildung einer akademi-
schen Bildung nicht gleichgestellt ist. Da Sie aus Mün-
chen sind: Die CSU verweist immer gerne darauf, dass
wir die berufliche Bildung stärken müssen. Ich möchte
daher wissen, warum Sie um 3 Millionen Euro kürzen.
Ihr Kollege Rupprecht hat am 30. Juli in der Deutschen
Handwerks Zeitung gesagt, dass viel mehr Geld in die
berufliche Bildung fließen müsse. Vielleicht können Sie
dem Kollegen Rupprecht und mir eine Antwort geben.
– Genau.
Für die Modernisierung und Stärkung der beruflicher
Bildung stehen 6 Millionen Euro zur Verfügung, für die
Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung 3 Mil-
lionen Euro, für Maßnahmen zur Verbesserung der Be-
rufsorientierung 10 Millionen Euro, für überbetriebliche
Ausbildungsstätten 8 Millionen Euro. Vielleicht können
Sie mir dazu etwas sagen. Das wäre sehr nett.
Sie haben richtig erkannt, dass die CSU und die CDUimmer ein Augenmerk auf die berufliche Bildung legen.
Wir sind derzeit im parlamentarischen Verfahren. DasHaushaltsgesetz ist ein Gesetzentwurf dieser Bundesre-gierung; Sie wissen es. Wie ich gelernt habe – ich binerst seit einem Jahr Mitglied dieses Hauses –, ist es so,dass der Haushalt vom Bundestag, das heißt von den Ab-geordneten, verabschiedet wird.
Wir haben noch sehr viele Möglichkeiten, den Haushaltzu verbessern.
Im Übrigen möchte ich hier noch eines zum Berichtder OECD sagen; dieser Bericht berücksichtigt nämlichnicht, dass es in den Ländern Unterschiede in der Aus-bildung gibt. Während beispielsweise in Deutschlandeine angehende Krankenpflegerin ihren Beruf in der Be-rufsschule erlernt, wird in Frankreich eine angehendeKrankenpflegerin an der Hochschule ausgebildet. Hieran
Metadaten/Kopzeile:
4696 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Dr. Wolfgang Stefinger
(C)
(B)
sieht man doch, dass die vorgelegten Zahlen nicht ver-gleichbar sind.Eines möchte ich deutlich festhalten – ich würde mirwünschen, dass von dieser Stelle, vom Deutschen Bun-destag, ein Zeichen für die jungen Menschen ausgeht –:Es ist kein Abstieg, keine Schande, eine Ausbildung zumachen.
Einen Jugendlichen, der sich für eine duale Ausbildungentscheidet, oder einen Erwachsenen, der einen erlerntenBeruf ausübt, als Bildungsabsteiger zu bezeichnen, nurweil die Eltern laut OECD-Definition einen höherwerti-gen Abschluss haben, ist für mich Diskriminierung.
Ich frage mich: Wo sind die selbsternannten Empö-rungsbeauftragten in unserem Land, die sich sonst schonbei jeder Kleinigkeit echauffieren und einen Riesenauf-schrei machen?
Ich komme zum Schluss. Für mich sind Menschenmit einem Handwerksberuf oder einem Ausbildungsbe-ruf genauso viel wert wie ein Akademiker, ein Doktoroder ein Professor.Herzlichen Dank.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Simone Raatz
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Zunächst zu meiner grünen Kollegin FrauDeligöz. Da sie gesagt hat, Stifter gebe es kaum, möchteich einen Hinweis geben. Auch wenn es nicht mein be-vorzugtes Modell zur Finanzierung von Hochschulen ist:Die Technische Universität in Freiberg hat zwei Stifter,die ohne staatliche Unterstützung Geld geben, und zwarin erheblicher Höhe.
Das wollte ich nur einmal sagen.Herr Claus, Sie haben gesagt, die Regierungskoalitionfinde alles schön. Ich würde sagen: Wir finden nicht al-les schön, was im Haushaltsentwurf steht, aber vieles.Zur Realität gehört auch – ja, das muss ich sagen –, dassdas BMBF in den kommenden Jahren an einigen StellenUmverteilungen – mein Kollege nannte es Umschichtun-gen – vornehmen muss. Wenn unser Ziel nämlich ist,Haushalte ohne neue Schulden aufzustellen, dann wirdman davon nicht ganz wegkommen. Auch ich hätte miran der einen oder anderen Stelle einen deutlicheren Auf-wuchs gewünscht.Umso wichtiger ist es aber – das wurde von einigenmeiner Vorredner schon erwähnt –, dass wir im Koali-tionsvertrag zusätzlich 9 Milliarden Euro für die Finan-zierung von Bildung, Wissenschaft und Forschung ver-einbart haben. Damit sichern wir – das ist ganz wichtig –zum Beispiel die Fortsetzung des Paktes für Forschungund Innovation als wichtigen Baustein einer erfolgrei-chen Entwicklung des deutschen Wissenschaftssystems.
Es wird auch in den kommenden Jahren wieder zueinem Zuwachs kommen – das wurde schon erwähnt;zunächst um 5 Prozent, später um 3 Prozent –, der un-seren außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu-gutekommt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbeson-dere Herr Kaufmann, ich denke, das ist ein Erfolg derschwarz-roten Koalition. Darauf können wir wirklichstolz sein.
Denn damit zeigen wir, dass sich die außeruniversitärenForschungseinrichtungen auf unsere Zusage verlassenkönnen.Aber wir müssen auch sagen: Auch wenn wir festge-legt haben, um wie viel Prozent die Steigerung ausfällt,wird dieser Aufwuchs auf Dauer kein Selbstläufer sein.Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, mitden Wissenschaftsorganisationen konkrete Ziele zu ver-einbaren, zum Beispiel bei der Gleichstellung und derNachwuchsförderung. Wie ich heute gehört habe, liegtdie Nachwuchsförderung uns allen sehr am Herzen.Bei der Fortführung des Paktes für Forschung undInnovation werden wir daher insbesondere für diese bei-den Bereiche messbare Zielvereinbarungen mit den For-schungseinrichtungen treffen.
Nach dem letzten GWK-Bericht „Chancengleichheit inWissenschaft und Forschung“ lag der Frauenanteil beiFührungspositionen 2012 bei den außeruniversitärenEinrichtungen bei gerade einmal 15,8 Prozent. Ich denke,da geht wesentlich mehr. Spezifische Zielquoten zur Ge-winnung von weiblichem Nachwuchs und weiblichenFührungskräften sind daher ein wichtiges Instrument zumehr Chancengerechtigkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade auf diesen Ge-bieten müssen wir etwas tun und uns dieser Problematikannehmen.Auch bei der Nachwuchsförderung – wir haben erstkürzlich darüber debattiert – und damit unmittelbar zu-sammenhängend dem Thema „Gute Arbeit in der Wis-senschaft“ muss sich etwas tun, und wir müssen uns in
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4697
Dr. Simone Raatz
(C)
(B)
der Koalition auf verschiedene Eckpunkte einigen. Umzukünftig junge Leute für einen Job in der Wissenschaftzu begeistern, muss es endlich eine signifikante Redu-zierung der Quote der befristeten Arbeitsverhältnissegeben. Man muss an die Karriereplanung von jungenMenschen denken; denn es ist längst nicht mehr selbst-verständlich, dass wir die besten Köpfe an unseren Uni-versitäten und Forschungseinrichtungen halten, wennwir ihnen solche Verträge anbieten. Das muss sich drin-gend ändern.
Ich denke, dass die Novellierung des Wissenschafts-zeitvertragsgesetzes, an der wir derzeit arbeiten, einganz wichtiger erster Schritt dafür ist. Mit Freude habeich zur Kenntnis genommen, dass stellvertretend fürdie Unionsfraktion auch mein CDU-Kollege, HerrRupprecht – Sie werden heute mehrfach erwähnt –,
– CSU, Entschuldigung –
in der Frankfurter Allgemeinen für entsprechende Rege-lungen im Pakt für Forschung und Innovation plädierthat. Das lässt hoffen.Neben dem Pakt für Forschung und Innovation ist einweiterer Schwerpunkt des aktuellen Haushalts im Koali-tionsvertrag vereinbart, nämlich die Stärkung des Auf-und Ausbaus „einer breit aufgestellten Wissenschafts-landschaft und einer leistungsfähigen Spitzenforschungin den neuen Bundesländern“.Ich dachte, Herr Lenkert, Sie gehen darauf ein – –
– Ich meine aber Herrn Lenkert. Er hat vorhin auch ge-sprochen. – Er hat sich mehr auf die Landespolitik bezo-gen. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie sich auf die Bun-despolitik bezogen und gerade diesen Punkt erwähnthätten; denn 28 Millionen Euro der im Koalitionsvertragvereinbarten zusätzlichen Mittel finden sich im Haus-haltstitel „Innovationsförderung in den neuen Ländern“mit einem Gesamtbudget von etwa 146 Millionen Eurowieder. Auch das wäre eine Erwähnung wert gewesen.
Um das, was bisher entstanden ist – ich denke hier anden Forschungscampus in Jena, Chemnitz oder Berlin;hier sieht es ganz toll aus –,
dauerhaft zu stärken, müssen die Mittel in den nächstenJahren weiter verstetigt und zielgerichtet aufgestocktwerden. Das wird eine Aufgabe der nächsten Haushaltesein.Der Fokus liegt dabei in einer weiteren Intensivierungvon regionalen Kooperations- und Netzwerkaktivitätensowie auf einer Zusammenarbeit mit überregionalenPartnern. Die aktuelle Initiative „Zwanzig20 – Partner-schaft für Innovation“ verfolgt – Swen Schulz hat esschon erwähnt – genau diesen Ansatz und findet sichauch in unserem Haushalt wieder.
Die Bundeskanzlerin sagte gestern, wir wollen Welt-meister in der anwendungsorientierten Forschung wer-den und eine bessere Vernetzung von Wissenschaft undWirtschaft erreichen. Davon – das muss man ehrlich sa-gen – sind wir noch etwas entfernt. Denn es gibt nachwie vor in Deutschland eine erhebliche Lücke bei derÜbertragbarkeit von Forschungsergebnissen in die Wirt-schaft. Und genau diese Lücke gilt es in den nächstenJahren zu schließen.Das ist mein dritter zentraler Punkt, auf den ich zumSchluss noch kurz eingehen möchte: Es geht um dieSchaffung neuer Instrumente für einen besseren Transfervon Innovationen aus der Grundlagenforschung in nutz-bare Dienstleistungen und Produkte. Gerade hierfür wer-den wir zunächst mit einem Aufwuchs von 4,5 MillionenEuro Initiativen fördern. Eine Initiative möchte ich erwäh-nen. Es ist die Förderinitiative „Forschungscampus – öf-fentlich-private Partnerschaft für Innovationen“.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. – Ich möchte noch erwäh-
nen, dass wir zukünftig auf die stärkere Kooperation
zwischen den universitären und außeruniversitären For-
schungseinrichtungen Wert legen und auch die Fach-
hochschulen in ihrer Bedeutung stärken, indem wir mehr
Forschungsmittel für die Fachhochschulen zur Verfü-
gung stellen für eine Verbesserung des Wissenschafts-
und Technologietransfers. Damit haben wir wichtige
Schwerpunkte gesetzt, die wir im nächsten Jahr gemein-
sam angehen könnten und wofür wir finanzielle Mittel
zur Verfügung haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Schwerpunkte
im Haushalt, gerade in unserem, sind zum großen Teil
richtig gesetzt.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächster Redner hat der Kollege Tankred
Schipanski das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Noch nie stand der Haushalt des BMBF so im Mittel-punkt und im öffentlichen Fokus wie in diesem Jahr: Inder Rede unserer Bundeskanzlerin in der gestrigen Ge-neraldebatte wurde er als zweiter Punkt genannt. Siestellte ganz treffend fest, dass sich der Forschungs- und
Metadaten/Kopzeile:
4698 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Tankred Schipanski
(C)
(B)
Bildungshaushalt gegenüber 2005 faktisch verdoppelthat; er stieg von 7,6 Milliarden auf 15,3 Milliarden Euroan. Der Bundesfinanzminister hat in seiner Rede denEtat des BMBF als Erstes erwähnt und stellte den Auf-wuchs im Haushalt 2015 von 1,2 Milliarden Euro he-raus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein sehrgutes und richtiges Zeichen.
Wir Fachpolitiker diskutieren heute in der Kernzeit. Siesehen: Bei dieser Bundesregierung und in dieser Legisla-tur stehen Bildung und Forschung ganz oben.Im Jahr 2015 kommt ein ganz besonderer Erfolghinzu, nämlich keine neuen Schulden im Gesamthaus-halt – ein großer Erfolg. Dennoch gibt es eine absoluteSchwerpunktsetzung beim Thema Bildung und For-schung. Da überrascht es mich schon, dass sich dieOpposition in der gestrigen Generaldebatte über diesengroßen Erfolg so echauffiert hat. Für mich als junger Ab-geordneter ist der Haushalt ohne neue Schulden einsichtbares Zeichen für Generationengerechtigkeit, fürNachhaltigkeit und für Verantwortungsbewusstsein.
Keiner kann verstehen, dass man sich da nicht freuenkann. Ich bin dem Bundesfinanzminister für dieseschwarze Null sehr dankbar – auch wenn der Haushaltdes BMBF eine hohe globale Minderausgabe enthält.Ich bin dankbar für die Schuldenbremse und weisezugleich darauf hin, dass nicht nur die Länder, sonderneben auch der Bund davon betroffen ist; sie stellt auchfür uns eine Herausforderung dar. Ich bin dankbar, dasswir mit diesem Haushalt des BMBF die richtigen Priori-täten setzen, nämlich Innovationskraft und Zukunft.Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushalt wirdvon wichtigen Vorhaben begleitet. Wir haben gehört:Die BAföG-Reform und die Änderung des Artikels 91 bGrundgesetz stehen an, der Hochschulpakt wird disku-tiert. All das sind Maßnahmen, bei denen der Bund sagt:Wir nehmen unsere gesamtstaatliche Verantwortungernst; auch wenn wir verfassungsrechtlich nicht in derPflicht stehen, engagieren wir uns in unserem Bundes-staat, engagieren wir uns für das gesamtstaatliche Wohlder Bundesrepublik. – Das muss in gleicher Weise fürdie Bundesländer gelten.Ich darf an unsere staatliche Struktur erinnern, in derdie Länder die Finanzverantwortung für die Hochschu-len tragen.
Hier erwarte ich von den Ländern, dass auch sie ihre ge-samtstaatliche Verantwortung wahrnehmen.
Da entsetzt mich das, was gegenwärtig in Niedersachsenpassiert; Stefan Kaufmann hat das hier zu Recht mitBlick auf die BAföG-Vereinbarung angesprochen. DieZeitschrift Forschung & Lehre hat Ende August eineUmfrage gemacht: Sie hat sich erkundigt, wie die Bun-desländer die vereinbarten Mittel einsetzen. Das Ergeb-nis: Thüringen gibt seinen Anteil von 28 Millionen Eurokomplett an die Hochschulen weiter; in Sachsen sind es51 Millionen Euro, in Hessen 81 Millionen Euro usw.;Sie können das gerne nachlesen. Allerdings gibt es zweiBundesländer, die sich überhaupt nicht an diese Verein-barung halten: Mecklenburg-Vorpommern und Nieder-sachsen.
Am gestrigen Tage nahm hier im Hohen Hause der ge-genwärtige Präsident des Bundesrates Platz, der nieder-sächsische Ministerpräsident. Der Bundesrat ist der Ort,an dem die Länder ihre gesamtstaatliche Verantwortungunter Beweis stellen. Kein Land – ich habe es Ihnen ge-rade gesagt – verletzt die BAföG-Vereinbarung zwi-schen Bund und Ländern so gravierend wie Niedersach-sen.
Die über die BAföG-Entlastung den Hochschulen zurVerfügung gestellten Mittel – in Niedersachsen sind es113 Millionen Euro – will der Bundesratspräsident in dieKindergärten des Landes stecken und den Hochschulenvorenthalten.
Nun ist frühkindliche Bildung wichtig, und deswegenhat der Bund ein Sondervermögen „Kinderbetreuungs-ausbau“ aufgelegt. – Lieber Herr Gehring, weil Sie sichso echauffieren: Wir von der Union glauben noch daran,dass auch Eltern ihre Kinder betreuen können.
– So ist es. – Meine Damen und Herren, der Bund enga-giert sich im Bereich der Kinderbetreuung wahrlichgenug, und die BAföG-Mittel stehen dafür nicht zur Ver-fügung.
Es war vereinbart, dass diese an die Hochschulen gehen.Mit diesen Geldern, lieber Herr Schulz, kann man alsLand auch Programme für den wissenschaftlichenNachwuchs aufsetzen. Da machen wir überhaupt keineVorgaben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir diskutieren inwenigen Wochen die Änderung des Artikels 91 b Grund-gesetz. Wir entwickeln eine Kooperationskultur. Koope-ration setzt aber voraus, dass man sich aufeinander ver-lassen kann.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4699
Tankred Schipanski
(C)
(B)
Was Niedersachsen gerade macht, ist das genaue Gegen-teil von Verlässlichkeit.
Eine solche Politik eines Ministerpräsidenten, dazu nocheines Bundesratspräsidenten,
dem eigentlich das gute Miteinander zwischen Bund undLändern in unserem föderalen Gemeinwesen am Herzenliegen sollte, ist für mich beschämend. Ich appelliere anNiedersachsen, dieses Geld den Hochschulen zur Verfü-gung zu stellen.
Der OECD-Bericht wurde schon angesprochen. Ichglaube, der Kollege Stefinger hat das sehr richtig er-kannt: Die OECD hat unser durchlässiges System unterdem Titel „Kein Abschluss ohne Anschluss“ bis zumheutigen Tage nicht richtig verstanden.
Die OECD diskreditiert systematisch den deutschenFacharbeiter. Daher sagen wir trotz OECD: Uns ist dieberufliche Bildung wichtig. Das ist für uns ein wichtigerSchwerpunkt. Daher schichten wir Mittel in diesen Titelum.
Auf das parlamentarische Verfahren wurde ja bereitsverwiesen. Wir werden, lieber Kollege Rossmann, dies-bezüglich zu einer guten Lösung kommen.
Uns ist daran gelegen, dass wir gemeinsam mit den Län-dern flächendeckend für eine gute Berufsorientierungund eine gute Studienorientierung sorgen können.
Wir wollen damit auch deutlich machen, dass die beruf-liche und die akademische Ausbildung für uns den glei-chen Stellenwert haben; Kollege Stefinger hat daraufrichtigerweise hingewiesen.
Noch einmal zur Mär, dass der Bildungsabschlussvon der sozialen Herkunft abhängt:
Unsere Maxime lautet: Kein Abschluss ohne Anschluss.Jeder, der sich nach einer Berufsausbildung weiterquali-fizieren möchte, hat dazu die Möglichkeit. Alle habendie gleichen Bildungschancen.
Herr Schipanski, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Nein, ich freue mich auf die Kurzintervention.
Ich erinnere Sie in diesem Zusammenhang an unsere
Programme „Offene Hochschulen“ und „Aufstieg durch
Bildung“. Die TU Ilmenau, meine Heimatuni, hat aus
diesen Programmen vor kurzem umfangreiche Mittel er-
halten. Unsere Bundesforschungsministerin konnte sich
von den Erfolgen dort überzeugen.
– Ja, genau, in Thüringen. Ich komme jetzt auf Thürin-
gen zu sprechen, weil der Kollege Lenkert hier eindring-
lich an die Thüringer Landtagswahl erinnert hat, die am
Wochenende stattfinden wird. Sie wissen: Thüringen ist
eines der erfolgreichsten Länder unter den neuen Bun-
desländern. Die gegenwärtige Landesregierung unter
Führung der CDU steht für Stabilität, für Verlässlichkeit
und für Aufschwung.
Die Thüringer Hochschul- und Forschungslandschaft
droht einzustürzen, wenn die Linke dort in Regierungs-
verantwortung kommen sollte.
Wir haben das an Ihrer Rede gesehen, Herr Lenkert. Das
Wahlprogramm der Linken lässt Schreckliches erahnen:
flächendeckende Einheitsschulen, Förderschulen sollen
zerschlagen werden, Schüler sollen keine Schreibschrift
mehr lernen, Noten sollen abgeschafft werden, demokra-
tische Strukturen an den Hochschulen sollen abgebaut
werden.
Die Hochschulen sollen durch den Geist der Planwirt-
schaft entmündigt werden.
Herr Schipanski, lassen Sie diese Zwischenfrage zu?
Nein, ich erwarte in diesem Fall ebenfalls eine Kurz-intervention. – Die Regelstudienzeiten sollen ausgesetztwerden, der Qualitätspakt Lehre soll abgeschafft wer-den, die leistungsbezogene Professorenbesoldung unddie Forschungsfreiheit sollen stark eingeschränkt wer-den. Es geht weiter – Herr Lenkert, ich kann Ihnen dasnicht ersparen –: Die Landkreise sollen aufgelöst, die
Metadaten/Kopzeile:
4700 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Tankred Schipanski
(C)
(B)
Kreisfreiheit von Städten abgeschafft und somit Hoch-schul- und Wissenschaftsstandorte gefährdet werden.
Das Einzige, was die Linken gründen möchten, sindCannabisklubs an Schulen und Hochschulen.
Das ist unverantwortlich. Das gilt es zu verhindern. DieBildungsrepublik Deutschland darf nicht durch Rot-Rotin Thüringen gefährdet werden. Das ist mein Stoßgebet,Herr Schulz. Wir brauchen für die Wissenschaftsland-schaft für Deutschland und in Thüringen Stabilität, Ver-lässlichkeit und Weiterentwicklungschancen.In diesem Sinne freue ich mich auf die Diskussionüber den Bundeshaushalt mit Ihnen im Ausschuss.Vielen Dank.
Wir haben jetzt zwei Kurzinterventionen. – Der Kol-
lege Mutlu nicht? – Okay.
Aber Sie, Herr Lenkert, wollen eine Kurzintervention
machen. Bitte.
Vielen Dank, dass Sie die Kurzintervention zulassen,
Herr Schipanski.
– Entschuldigung. Frau Präsidentin, vielen Dank.
Ich möchte Herrn Schipanski an etwas erinnern: Das
Abschaffen der Schreibschrift wurde vom CDU-Kultus-
minister im Jahr 2008 beschlossen. Das haben Sie abge-
schafft.
Herr Schipanksi.
Herr Kollege Lenkert, Sie wissen, dass wir in einer
Großen Koalition in Thüringen regieren.
Sie wissen, dass der Kultusminister von der SPD kommt
und dass in der Tat in einer Verordnung steht:
Man kann an Grundschulen auch nur noch die Druck-
schrift und nicht mehr die Schreibschrift erlernen. Das
hat sich die Linke – allerdings leider Gottes auch die
SPD; das muss ich unserem Koalitionspartner hier sagen –
zu eigen gemacht. Nun wollen Sie in Thüringen die
Schreibschrift abschaffen.
Darauf muss man hier ganz einfach einmal hinweisen
können. Es ist traurig, Herr Lenkert, dass Sie das so
lustig finden. Ich finde es wirklich beängstigend, was
Rot-Rot in Thüringen in der Bildungspolitik vorhat. Da-
her hoffe ich sehr, dass weiterhin die Union in Thüringen
in Regierungsverantwortung bleibt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fahren in der
Debatte fort. Jetzt hat der Kollege René Röspel das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Bei uns in Westfalen findet der Karneval immerAnfang des Jahres statt.
Deswegen versuche ich jetzt, Ruhe in die Debatte zubringen.Ich wollte eigentlich zur Forschungspolitik sprechen,aber das schiebe ich jetzt ein bisschen nach hinten, weildie bisherige Debatte mich dazu angeregt hat, ein paarandere Sachen anzusprechen. Es ist gerade einmal einDreivierteljahr her, dass wir einen Koalitionsvertrag aufden Weg gebracht haben, der, glaube ich, richtig gut ist.Wir versprechen darin, in dieser Legislaturperiode9 Milliarden Euro für Bildung und Forschung auszuge-ben, nicht nur für den Bund, sondern für den gesamtenStaat, Bund und Länder.Ein Großteil dieser Mittel geht tatsächlich an die Län-der. Ich will ausdrücklich sagen: Ich finde das auch gutso. Wir können uns freuen, wenn ein junger Wissen-schaftler als Doktorand bei einem Max-Planck-Institutangestellt wird. Dann kommt er sozusagen in unsereBundeszuständigkeit. Kollegin Raatz hat deutlich ge-macht, dass wir eigentlich genug Rucksäcke zu tragenhaben, um diesem eine vernünftige wissenschaftlichePerspektive und ein anständiges Arbeitsverhältnis zubieten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4701
René Röspel
(C)
(B)
Aber nicht jeder Mensch wird als Bachelor oder alsDiplom-Ingenieurin geboren.
Vor dieser Zeit, in der er dann bei uns ist, durchläuft erKindergarten, Schule und Hochschule. Diese sind in derRegel in der Zuständigkeit der Länder. Das ist Teil desFöderalismus.
Es ist deswegen richtig, dass wir zum Beispiel durch dieÜbernahme des BAföG die Länder in den nächsten Jah-ren deutlich entlasten.
Interessanterweise – Herr Schipanski, ich weiß esnicht mehr genau, aber ich glaube, Sie haben es gesagt –steht in den Vereinbarungen, dass die frei werdendenBAföG-Mittel für Schule und Hochschule verwendetwerden sollen.
Das Schüler-BAföG macht 900 Millionen Euro aus, und1,2 Milliarden Euro BAföG gibt es für Studierende. DerAnteil an Schülern ist also recht groß. Wenn ein Bundes-land sagt, dass es erst einmal die Priorität auf den Beginnder Bildungszeit im Kindergarten legen will, dann findeich das nachvollziehbar.
Die großen Herausforderungen im Bildungsbereichliegen tatsächlich bei den Ländern. Ich wäre da übermanche Bundesregelung froh. Im Ruhrgebiet ist dieSchulsozialarbeit wie in vielen anderen Ballungszentrenein wirklich wichtiges Thema. Das ist anders als imSauerland, im Siegerland oder in bayerischen Landen.Es wäre wichtig gewesen – wir haben dies aber leider inden Koalitionsverhandlungen nicht hinbekommen –,dies durch den Bund zu finanzieren und die Länder da zuentlasten.Es gibt andere Themen, die wichtig sind und die voruns stehen, zum Beispiel das Thema Inklusion. LassenSie mich ein Beispiel aus dem Leben nehmen. Was istInklusion? Früher, wenn ein Kind blind war, ist es aufeine Sonderschule gekommen. Diese heißen übrigens– das habe ich von Hubert Hüppe gelernt – FörderschuleSchwerpunkt Sehen. Es war also ganz normal, dass die-ses Kind irgendwo außerhalb des Wohnortes in eine För-derschule Schwerpunkt Sehen kommt und dort zusam-men mit anderen blinden Kindern unterrichtet wird.Inklusion heißt: Wir wollen das anders versuchen.
Mein Sohn besucht die fünfte Klasse der Gesamt-schule Hagen Eilpe. Erstmals ist eine Mitschülerin einblindes Mädchen. Das ist nicht einfach. Alle müssen sichumstellen und aneinander gewöhnen. Das kostet imÜbrigen auch Geld, weil sozialpädagogische und päda-gogische Betreuung benötigt werden. Man muss richtigdafür zahlen. Ich vermute, dass wir alle das wollen, weildas eine sehr große Chance ist, nicht nur eine großeChance für das blinde Mädchen, unter anderen Kindernaufzuwachsen statt in einer Sonderschule, sondern es istauch eine große Chance für alle anderen Mitschüler undeine große Chance für unsere Gesellschaft, gemeinsamaufzuwachsen.
Jetzt kann man natürlich sagen: Der Bund hat zwardie UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert, aber dieLänder sollen sich gefälligst darum kümmern, die Inklu-sion hinzubekommen und die zusätzlichen Lehrer- undPädagogenstellen zu bezahlen.
Ich bin nicht dieser Auffassung. Ich glaube, das ist einegemeinschaftliche Aufgabe. Wir als Bund werden unse-ren Teil dazu beitragen müssen.
Von den 9 Milliarden Euro, die zur Verfügung stehen,haben wir – jetzt bin ich bei der Forschung angelangt –3 Milliarden Euro bekommen, die wir in diesem Bereichverausgaben müssen. Ich bin sehr froh, dass wir etwasfortsetzen können, worum uns die ganze Welt beneidet.2005 haben wir nämlich in der rot-grünen Koalition undunter Ministerin Frau Bulmahn – ich freue mich, Sie imNacken bzw. im Rücken zu haben –
den Paket für Forschung und Innovation auf den Weggebracht.
Wir haben gegenüber den Wissenschaftsorganisatio-nen – Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer-Gesell-schaft, Leibniz-Gemeinschaft, DFG, Helmholtz-Gemeinschaft – das Versprechen abgegeben: Ihr be-kommt – darauf könnt ihr euch verlassen – jedes Jahr3 Prozent mehr Mittel, um damit perspektivisch undkontinuierlich Forschung betreiben zu können. In binsehr froh, dass seither alle Regierungen, egal welcherFarbe, dieses Versprechen eingehalten haben.
Wir tun das auch dieses Jahr und diese Legislaturpe-riode. Ich bin, wie gesagt, sehr froh, dass uns das gelingt.Aber ich sage auch: Das ist so, als ob man einen Luft-ballon in einer Kiste aufbläst. Der Luftballon, der Paktfür Forschung, wird immer größer. Aber wir müssen auf-passen, dass das nicht zulasten anderer Bereiche, etwader universitären Forschung, geht. Wenn man hört, dasses, zum Beispiel bei universitärer Demenzforschung,
Metadaten/Kopzeile:
4702 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
René Röspel
(C)
(B)
schon Schwierigkeiten gibt, weitere Projektmittel zu be-kommen, dann muss man darauf achten, dass das nichtaus den Fugen gerät. Wir müssen eine Balance zwischenaußeruniversitärer und universitärer Forschung hinbe-kommen.Wir haben das übrigens schon im Rahmen des letztenHaushalts, des Haushalts 2014, gemacht. Da haben wirzum Beispiel gesagt: Die Fachhochschulforschung istunerhört wichtig für die Region, für den Mittelstand, fürdie wirtschaftliche Basis unseres Landes. Wir stellen da-für 2 Millionen Euro mehr zur Verfügung, weil sie nichtüber die außeruniversitären Forschungseinrichtungenläuft. – Auch das müssen wir fortsetzen. Wir haben1 Million Euro mehr für Friedens- und Konfliktfor-schung auf den Weg gebracht. Wenn man sich die De-batte heute Morgen angehört hat, muss man sagen: Es istangesichts der Konflikte in dieser Welt doch völlig nach-vollziehbar und richtig, dass wir hier mehr tun müssenund keinen Schritt zurück machen dürfen.Weil Frau Hübinger, die sich ja große Verdienste umdiesen Bereich erworben hat, hier sitzt, sei mir ein letztesBeispiel erlaubt. Wir als Bundesrepublik Deutschland,als so reiches Land, müssen auch mehr bei der For-schung im Bereich vernachlässigter und armutsassoziier-ter Krankheiten tun.
Müssen wir erst Ebola haben, um zu erkennen, welchgroße Verantwortung wir als forschungsstarkes Land indiesem Bereich haben? Nein, eigentlich nicht.Ich beende meine Rede mit einem großen Lob anFrau Wanka
– das ist überhaupt kein Problem; Kritik und Lob gehö-ren zusammen –, die am Montag ein Programm auf denWeg gebracht und sich damit eine Position zu eigen ge-macht hat, die wir als SPD seit vielen Jahren vertreten.Es wird ein Programm für Dienstleistungsforschung,Produktionsforschung und Arbeitsforschung auf denWeg gebracht. Ein hochindustrielles Land wie Deutsch-land muss eine effiziente, ressourcensparende Produk-tion haben. Da müssen wir mehr tun und mehr forschen.Wir sind jahrelang gemahnt worden, dass wir im Bereichwissensintensiver Dienstleistungen viel zu wenig tun.Dieses Programm wird einen Impuls geben.Ich komme zum Schluss. In den letzten Jahren derschwarz-gelben Koalition sind die Mittel für die Arbeits-forschung immer weiter reduziert worden, obwohl dieCDU auf diesem Gebiet eigentlich eine große Traditionhat; Herr Riesenhuber – er war vorhin hier – hat dies inden 80er-Jahren mit dem Programm „Humanisierung derArbeit“ unterlegt. Wir wollen, dass Menschen unter ver-nünftigen, guten Bedingungen arbeiten. Wir brauchenArbeitsforschung, damit diese Arbeit auch morgen, auchin Zukunft, möglich ist. Diesen Prozess werden wir wei-terhin begleiten. Wir werden sehr viel Freude daran ha-ben, in den nächsten Jahren in dieser Koalition an die-sem Thema zu arbeiten. Machen Sie mit! Ein herzlichesGlückauf!
Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Frau
Hübinger das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Als letzte Rednerin in dieser spannenden De-batte heute Vormittag – auch ich bin eine Haushälterin –bleibt mir nichts anderes übrig, als alles noch einmal einbisschen zu bündeln.Herr Schulz, Sie sagten, die Finanzplanung vonSchwarz-Gelb sei immer weiter gesenkt worden. Dasstimmt. Nur – das ist wie bei den Honigbienen –, die Fi-nanzplanung ist nicht das, was am Ende ausschlagge-bend ist. Entscheidend ist der Haushalt, der verabschie-det wird. Wir hatten uns unter Schwarz-Gelbvorgenommen, in vier Jahren 12 Milliarden Euro zu in-vestieren. Letztendlich waren es 13,8 Milliarden Euro.Das hat jeden Finanzplan gesprengt. Auf diesem Wegschreiten wir voran.
Vor der Sommerpause hatten wir in der Haushaltsdis-kussion die Thematik, wie die 9 Milliarden Euro für Bil-dung und Forschung eigentlich verwandt werden. Auchda wurden vonseiten der Opposition Zweifel angemel-det, ob diese Gelder denn auch vollumfänglich in diesenZukunftsbereich Bildung und Forschung fließen werden.Das kann man nun sagen. Jetzt sind die Gelder aufge-teilt, und sie fließen in diesen Bereich.
Allein in unseren Haushalt Bildung und Forschungfließen 7,4 Milliarden Euro. Davon sind 2,5 MilliardenEuro für den Bereich Forschung und 4,9 Milliarden Euro– inklusive des Betrags für die Länderentlastung – fürdie Bildungsausgaben veranschlagt. Ich denke, das kannsich sehen lassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bund – auchdas haben wir heute schon oft gehört – nimmt seine Auf-gabe der Länderentlastung, wie es auch im Koalitions-vertrag vereinbart wurde, sehr ernst.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4703
Anette Hübinger
(C)
(B)
Das BAföG wurde schon ausgiebig debattiert. Hiermuss ich mich noch einmal an den lieben Haushaltskol-legen Swen Schulz wenden.
Ich habe mich gerade diese Woche noch einmal beimSaarland erkundigt – wir haben dort eine Große Koali-tion –: Die eingesparten Mittel fließen in Höhe von1 Million Euro in die Schule, und da vor allem in dieGanztagsschule.
Also, man kann schon schauen, wie man das Ganztags-schulprogramm in anderer Form wieder aufleben lässt.Der Rest fließt in die Hochschule. Wir kommen alsoauch als Nehmerland unseren Aufgaben nach.
Zudem fließen zur Entlastung der Länder 2,2 Milliar-den Euro in die Hochschulen, um sie weiter ausbauen zukönnen.Die Lehreroffensive wurde auch schon genannt. Mirals ehemalige Bildungspolitikerin ist es ein Herzensan-liegen – das wurde in der CDU/CSU immer diskutiert –,dass die neuen Herausforderungen an Lehrer ein Maß-stab dafür sein sollen, was genau an Mitteln in diese Of-fensive gesteckt wird. 45 Millionen Euro sind es in die-sem Jahr.Aber eines dürfen wir bei der Länderentlastung auchnicht vergessen: Wir haben im Haushalt auch noch715 Millionen Euro an Kompensationsmitteln stehen,die nach den Ergebnissen der Föderalismusreform an dieLänder fließen.Allerdings lassen wir trotz schwieriger europäischerund internationaler Rahmenbedingungen auch nicht dasZukunftsthema Forschung außer Acht. Dieses Themahat weiterhin Priorität. Wir setzen hier – das wurde eben-falls öfter gesagt – auf Kontinuität. Die verbrieften jähr-lichen Steigerungen der Mittel für die außeruniversitärenForschungsinstitute betragen in diesem Jahr 5 Prozent.Ab dem nächsten Jahr werden es 3 Prozent sein, die derBund dann allein tragen wird. Auch damit entlasten wirdann die Länder. Das ist etwas, was unseren Forschungs-standort sehr stark nach vorne gebracht hat, sodass welt-weit der Fokus in Sachen Forschung auf Deutschland ge-richtet ist.
Diese von allen gelobte Verlässlichkeit dieser Finan-zierung muss weitergehen. Das werden wir auch so si-cherstellen.Die 7,4 Milliarden Euro an zusätzlichen Mitteln aufder Bundesebene führen dazu, dass wir auch in den kom-menden Jahren Rekordhaushalte vorlegen können. Daszeigt ein Blick in die mittelfristige Finanzplanung fürdiese Legislaturperiode. Der verabschiedete Haushalt2014 hatte schon ungefähr knapp 14 Milliarden Euro,der heute debattierte Haushaltsentwurf hat 15,3 Milliar-den Euro. 2017 werden wir in diesem Einzelplan über17 Milliarden Euro veranschlagen. Das ist ein wunder-barer Aufwuchs. Damit kann man Politik sehr gut gestal-ten.Jetzt geht es aber darum, diese Politik so zu gestalten,dass unsere Kinder und Enkelkinder in Deutschlandnicht nur eine Ausbildungschance, sondern auch eineBerufschance und eine Entwicklungschance haben. Beidiesen Beträgen – so muss ich sagen – muss doch eigent-lich auch das Herz der Opposition höher schlagen.
Wie wollen wir diese Rekordinvestitionen künftigweiter ausgestalten? Wir Haushaltspolitiker müssen al-lerdings auch darauf achten, dass der Gesamthaushalttrotz mehrerer Steigerungen ausgeglichen ist. Dieschwarze Null ist unser Ziel, wir wollen keine Neuver-schuldung. Das ist besser als eine rote Null; denn diegeht ja Richtung minus.Der Zweiklang aus steigenden Zukunftsinvestitionenund einem ausgeglichenen Gesamthaushalt – die Kolle-gin hat es schon benannt – ist wirklich kein Selbstläufer,sondern stellt an alle Beteiligten – an die Fachpolitiker, anuns Haushaltspolitiker, aber auch an das Ministerium –sehr große Herausforderungen, die wir meistern müssen.Aus fachpolitischer Sicht stellt sich die Frage: Wound wie setzen wir die neuen Schwerpunkte? Es wurdeneinige genannt: die neue Hightech-Strategie und auchdie neue BAföG-Reform. Die Koalitionäre CDU/CSUund SPD haben in den Verhandlungen über den Haushalt2014 schon einzelne Schwerpunkte benannt; diese The-men gilt es natürlich auch weiterhin fortzuschreiben.Das hat das Ministerium mit einer kleinen Ausnahmeauch so getan; dafür herzlichen Dank!
Diese Ausnahme, das war die berufliche Bildung; da istman wieder vom Finanzplan ausgegangen; das ist dasübliche Haushaltsprozedere. Ich denke, da wird man inder Nachbetrachtung noch einmal genauer hinschauen.
In den vor uns liegenden Haushaltsverhandlungen– auch für die kommenden Jahre – geht es darum, IT-Si-cherheit, Kindergesundheit, Wirkstoffinitiative, Dienst-leistungsforschung, Alphabetisierung usw. finanziell zuuntermauern. Nicht zuletzt aufgrund des Fachkräfteman-gels einerseits und der Potenziale in einer globalisiertenWelt andererseits sowie der Herausforderungen im Ge-sundheitsbereich lohnt sich ein zweiter Blick auf die ein-zelnen Posten im Haushaltsplan. Herr Röspel, vielenDank für das Lob! Die vernachlässigten Krankheitensind mir ein Herzensanliegen, nicht erst seit der neuen,gravierenden Epidemie. Wir müssen diese Herausforde-rungen als forschungsstarkes Land annehmen und auchin diesem Bereich weiter vorangehen.Meine Zeit läuft ab.
Metadaten/Kopzeile:
4704 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Anette Hübinger
(C)
(B)
– Meine Redezeit. – Ich darf sagen: Ich erwarte dieHaushaltsverhandlungen mit Spannung.
Wir haben sie im letzten Jahr sehr kollegial geführt. Dassollte auch unsere Messlatte für die kommenden Jahresein. Ich wünsche uns erfolgreiche Wochen.Herzlichen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmel-dungen liegen mir zu dem Einzelplan 30 nicht vor.Ich rufe deshalb jetzt die nächsten Tagesordnungs-punkte, die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 k auf:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demVorschlag für eine Verordnung des Rates zur
legung der historischen Archive der Organebeim Europäischen Hochschulinstitut in Flo-renzDrucksache 18/1779Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger AusschussAusschuss für Kultur und Medienb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des Straßenverkehrsgesetzes und derGewerbeordnungDrucksache 18/2134Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
InnenausschussAusschuss für Recht und Verbraucherschutzc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des UmweltstatistikgesetzesDrucksache 18/2135Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheit
Innenausschussd) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-zung der Richtlinie 2012/17/EU in Bezug aufdie Verknüpfung von Zentral-, Handels- undGesellschaftsregistern in der EuropäischenUnionDrucksache 18/2137Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Recht und Verbraucherschutze) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demÜbereinkommen der Vereinten Nationen vom31. Oktober 2003 gegen KorruptionDrucksache 18/2138Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Innenausschussf) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Teilauf-lösung des Sondervermögens „Aufbauhilfe“und zur Änderung der Aufbauhilfeverord-nungDrucksache 18/2230Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastrukturg) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzeszur Änderung des Verwaltungs-Vollstre-ckungsgesetzesDrucksache 18/2337Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzHaushaltsausschuss gemäß § 96 der GOh) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzeszur Änderung des Bundes-Immissionsschutz-gesetzesDrucksache 18/2442Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheit
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für Verkehr und digitale InfrastrukturHaushaltsauschussi) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzeszur Änderung des Gesetzes zur Errichtung ei-nes Sondervermögens „Energie- und Klima-fonds“Drucksache 18/2443Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitj) Beratung des Antrags des Bundesministeriumsder FinanzenEntlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2013– Vorlage der Vermögensrechnung des Bun-des für das Haushaltsjahr 2013 –Drucksache 18/1809Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4705
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(C)
(B)
k) Beratung des Antrags des Bundesministeriumsder FinanzenEntlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2013– Vorlage der Haushaltsrechnung des Bundesfür das Haushaltsjahr 2013 –Drucksache 18/1930Überweisungsvorschlag:HaushaltsausschussHier handelt es sich um Überweisungen im verein-fachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell istvorgeschlagen worden, die Vorlagen an die in der Tages-ordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. –Wenn die Kolleginnen und Kollegen sich jetzt bitte set-zen würden, dann kann ich über diesen Vorschlag ab-stimmen lassen. – Sind Sie damit einverstanden? Werdem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Dassind die Koalitionsfraktionen. Stimmt jemand dagegen? –Nein. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Dann kommen wir zu den Tagesordnungspunkten 3 aund 3 b; es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vor-lagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 3 a:a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Haushaltsausschusses
– zu dem Antrag des Bundesministeriums derFinanzenEntlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2012– Vorlage der Haushaltsrechnung desBundes für das Haushaltsjahr 2012 –– zu dem Antrag des Bundesministeriums derFinanzenEntlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2012– Vorlage der Vermögensrechnung desBundes für das Haushaltsjahr 2012 –– zu der Unterrichtung durch den Bundesrech-nungshofBemerkungen des Bundesrechnungshofes2013 zur Haushalts- und Wirtschaftsfüh-
– zu der Unterrichtung durch den Bundesrech-nungshofBemerkungen des Bundesrechnungshofes2013 zur Haushalts- und Wirtschaftsfüh-rung des Bundes– Weitere Prüfungsergebnisse –Drucksachen 17/14009, 17/14010, 18/111,18/305 Nr. 4, 18/1220, 18/1379 Nr. 1.7,18/1971Unter Nummer 1 seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 18/1971 schlägt der Haushaltsausschuss vor,der Bundesregierung die Entlastung für das Haushalts-jahr 2012 zu erteilen. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Werstimmt dagegen? – Das sind die Oppositionsfraktionen.Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann istdie Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koali-tionsfraktionen angenommen worden.Unter Nummer 2 seiner Beschlussempfehlung emp-fiehlt der Haushaltsausschuss, die Bundesregierung auf-zufordern, a) bei der Aufstellung und Ausführung derBundeshaushaltspläne die Feststellungen des Haushalts-ausschusses zu den Bemerkungen des Bundesrechnungs-hofes zu befolgen, b) Maßnahmen zur Steigerung derWirtschaftlichkeit unter Berücksichtigung der Entschei-dungen des Ausschusses einzuleiten oder fortzuführenund c) die Berichtpflichten fristgerecht zu erfüllen, da-mit eine zeitnahe Verwertung der Ergebnisse bei denHaushaltsberatungen gewährleistet ist. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Alle. Diese Beschluss-empfehlung ist mit den Stimmen aller Fraktionen desHauses angenommen.Tagesordnungspunkt 3 b:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Haushaltsausschusses
zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrech-nungshofesRechnung des Bundesrechnungshofes für dasHaushaltsjahr 2013– Einzelplan 20 –Drucksachen 18/1560, 18/1972Wer stimmt für Nummer 1 der Beschlussempfehlung,also für die Feststellung der Erfüllung der Vorlage-pflicht? – Ebenfalls alle Fraktionen. Damit ist diese Be-schlussempfehlung mit den Stimmen aller Fraktionenangenommen.Wer stimmt für Nummer 2 der Beschlussempfehlung,also für die Erteilung der Entlastung? – Auch wieder alleFraktionen. Damit ist auch diese Beschlussempfehlungmit den Stimmen aller Fraktionen angenommen.Wir setzen die Haushaltsberatungen fort und kommenjetzt zum Geschäftsbereich Arbeit und Soziales, Ein-zelplan 11.Als erster Rednerin erteile ich der BundesministerinAndrea Nahles das Wort.
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit undSoziales:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Erlauben Sie mir, bevor ich zum Haushalt komme, ei-nige Bemerkungen zu den aktuellen Tarifauseinanderset-zungen und den Streiks der letzten Wochen:Das Streikrecht ist ein zentrales Grundrecht, ein Eck-pfeiler unserer Demokratie. Dennoch herrscht in diesen
Metadaten/Kopzeile:
4706 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Bundesministerin Andrea Nahles
(C)
(B)
Tagen bei vielen Menschen Unverständnis über dieStreiks. Der Grund liegt klar auf der Hand, denn zumKern des Streikrechts gehört immer auch das Prinzip derSolidarität: Die Stärkeren treten für die Schwächerenein. Man kann es auch auf die Formel bringen: Allestreiken gemeinsam für alle.
Das ist aber nicht das, was wir in diesen Tagen erleben,sondern hier scheint das Prinzip vorzuherrschen: Wenigeschauen nur auf sich. Dass einige Spartengewerkschaf-ten für ihre Partikularinteressen vitale Funktionen unse-res gesamten Landes lahmlegen, ist nicht in Ordnung.
Das untergräbt den Zusammenhalt in unserem Land, undes legt die Axt an die Wurzeln der Tarifautonomie.Deswegen stehe ich hier klar für das Prinzip der Ta-rifeinheit ein. „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ hat überviele Jahre in Deutschland gegolten, und es soll auchwieder gelten. Wir werden das stärken. Deswegen werdeich hier in Kürze den Entwurf eines Gesetzes zur Ta-rifeinheit vorlegen.
Nun komme ich aber zum Haushalt. Liebe Kollegin-nen und Kollegen, mit dem Einzelplan 11 beraten wir ei-nen wichtigen Zukunftsetat. Ein gutes Leben für dieMenschen in unserem Land, eine gute Zukunft fürDeutschland: Das ruht auf drei Säulen, nämlich auf wirt-schaftlichem Erfolg, auf sozialem Miteinander und na-türlich auch auf den individuellen Chancen für jedenEinzelnen. Deswegen ist es wichtig, dass wir eines errei-chen und sichern: eine hohe Beschäftigung in unseremLand.Machen wir uns klar, was eine hohe Beschäftigung,eine hohe Erwerbstätigkeit bedeutet: Sie sichert unserenWohlstand, sie ist für unsere sozialen Sicherungssystemeessenziell, und sie ist auch die beste Zukunftsversiche-rung für den demografischen Wandel.
Deswegen ist mein Hauptziel als Arbeitsministerin, einehohe Erwerbstätigkeit in Deutschland zu sichern undweiter zu fördern.
Wir haben eine extrem gute Ausgangslage: fast43 Millionen Erwerbstätige – das gab es noch nie –, Ten-denz steigend. Besonders stark steigt die Zahl der sozial-versicherungspflichtig Beschäftigten. Sie liegt mittler-weile bei über 30 Millionen. Gerade in der letztenWoche hat uns die OECD deswegen ein wirklich gutesZeugnis ausgestellt: Unsere Beschäftigung wächst wei-ter, die Arbeitslosigkeit sinkt, und im internationalenVergleich gibt es für uns überall beste Platzierungen. Ichzitiere: Deutschland gehört zu den Toparbeitsmarktper-formern.Das ist aus meiner Sicht ein gutes Zeugnis für die ge-samte deutsche Politik. Darüber können wir uns freuen –ohne uns deswegen auf unseren Lorbeeren auszuruhen.
Uns allen muss klar sein: Mit Blick auf morgen müssenwir heute alles tun, um diese Entwicklung zu verstetigenund zu festigen.Zuerst will ich das Thema junge Menschen anspre-chen. Entscheidend ist, dass die Übergänge von derSchule in die Ausbildung oder in den Beruf keine Stol-perfalle mehr sind. In den 2000er-Jahren haben wir indiesem Land zu viele junge Menschen verloren, dienicht erfolgreich von der Schule in eine berufliche Aus-bildung oder sonstige Ausbildung gelangt sind. Deswe-gen – da bin ich sicher, dass die gute Zusammenarbeitmit der Bildungsministerin Frau Wanka weiter Früchtetragen wird – werden wir an dieser Stelle mit der Eta-blierung von flächendeckenden Jugendberufsagentureneine zentrale Veränderung bewirken: statt nachzusorgen,wo etwas schiefgegangen ist, wollen wir rechtzeitig hel-fen, damit es gelingt. Das ist das Grundprinzip, auf daswir uns verständigt haben.
Wir haben 500 Millionen Euro für die nächsten Jahreeingestellt, um die Berufseinstiegsbegleitung zu finan-zieren. Berufseinstiegsbegleitung bedeutet: Wir begin-nen mit der Begleitung der jungen Menschen schon inder Schule. Wenn es nötig ist, begleiten wir die jungenMenschen ein halbes Jahr und länger auch in der Ausbil-dung.Wir haben festgestellt, dass wir zwar viele jungeMenschen vermitteln konnten, darunter auch viele schwä-chere Schüler, aber die Abbrecherquote ist zu hoch. Da-rauf zielt eines unserer ESF-Bundesprogramme. Mithilfedieses Programms können wir 115 000 Schülerinnen undSchülern zusätzlich einen erfolgreichen Berufseinstiegermöglichen. Das werden wir in den nächsten Jahren zueinem unserer Schwerpunkte machen.
Klar ist auch: Es geht nicht nur darum, Fachkraft zuwerden, sondern auch, es zu bleiben. Das gelingt leidernicht allen. Ich denke zum Beispiel an Frauen, die nachder Erziehungszeit zurückkehren möchten: Sie sindhochqualifiziert, aber natürlich ist die Qualifizierung einbisschen in die Jahre gekommen. So geht es auch Älte-ren und vielen gut qualifizierten Migranten. Deswegenwerden wir im Herbst eine Partnerschaft für Fachkräftemit den Arbeitgebern, den Gewerkschaften, der Bundes-agentur für Arbeit und natürlich den zuständigen Res-sorts auf den Weg bringen. Fachkräftesicherung ist einwichtiges Zukunftsthema. Dafür legen wir mit diesemEtat den Grundstein.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4707
Bundesministerin Andrea Nahles
(C)
(B)
Eine hohe Beschäftigungsquote erreichen wir abernur, wenn wir wirklich allen – ich betone: allen – eineChance geben. Deswegen nehme ich die Kritik derOECD ernst, die sich auf die verfestigte Langzeitarbeits-losigkeit in Deutschland bezieht. Das, was wir hier se-hen, kann uns nicht zufriedenstellen: Wir haben dieLangzeitarbeitslosigkeit in diesem Land zwischen 2006und 2009 um 40 Prozent absenken können, aber seitherstagniert sie.
Wir kommen hier nicht voran. Die Langzeitarbeitslosig-keit betrifft nicht immer dieselben Menschen. Aber vonder Zahl von circa 1 Million Menschen kommen wirnicht herunter.Es ist für mich eine Zukunftsfrage, wie wir die vor-handenen Mittel effizient einsetzen, um Spielräume zuschaffen, damit wir von Passivleistungen wegkommenhin zu einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik, also ho-her Beschäftigung statt verfestigter Arbeitslosigkeit.
Hierfür stehen uns rund 900 Millionen Euro zur Ver-fügung. Mit diesem Geld eröffnen sich gute Möglichkei-ten und Chancen für den Einzelnen. Das Programm solldazu beitragen, gezielt Arbeitgeber anzusprechen, ein in-tensives Coaching zu ermöglichen und teilweise auchLesen, Schreiben und Grundrechenarten überhaupt wie-der so weit zu vermitteln, dass ein Einstieg in die Ar-beitswelt möglich wird.
Ich denke, dass wir es mit diesem Programm schaffenkönnen, viele Brücken für Menschen zu bauen, die diesesicher gerne beschreiten. Jeder hier weiß aber auch:Langzeitarbeitslosigkeit zermürbt und macht viele Men-schen auf die Dauer hoffnungslos. Das dürfen wir nichtakzeptieren. Jeder Mensch hat ein Recht auf Hoffnung,auf Arbeit und auf Chancen.
Grundlegend ist für mich daher eine gute und gelun-gene Integration in den Arbeitsmarkt. Aber wir wissenauch: Bei vielen geht es, jedenfalls erst einmal, nichtmehr um den direkten Zugang zum Arbeitsmarkt, son-dern wir reden hier in Wahrheit über soziale Teilhabe,über Dabeisein und Mittun in unserer Gesellschaft. Dasist eine Dimension, die wir auf der politischen Ebene al-leine überhaupt nicht bewältigen können, schon garnicht ohne die Kommunen, ohne die Bürgermeister vorOrt, ohne die Aktiven, die die Menschen ganz persönlicherreichen.Wir werden noch in diesem Jahr Vorschläge machen,die wir dann auch hier im Plenum beraten – ich habe auchangeboten, das im Ausschuss gesondert zu beraten –, umzu klären, wie wir auch für diese Menschen Brückenbauen können. Für die Zukunft ist also eine Menge zutun.
Zukunftsfähigkeit heißt aber auch, eine hohe Er-werbstätigkeit der Älteren zu sichern. Deswegen werdenwir im Dezember mit den Vorschlägen an die Öffentlich-keit gehen, die wir in der Arbeitsgruppe „Flexible Über-gänge in den Ruhestand“ erarbeitet haben. Diese Ar-beitsgruppe arbeitet darauf hin, Hürden für Menschen,die über die normale Altersgrenze hinaus arbeiten wol-len, zu beseitigen, damit sie weiter in Beschäftigungbleiben können. Sie versucht aber auch, flexiblere Mög-lichkeiten für den Eintritt in den Ruhestand zu finden.Wir sind zuversichtlich, dass wir einen wichtigen Schrittnach vorne machen und damit einen Beitrag zur hohenErwerbstätigenquote und zur Fachkräftesicherung in un-serem Land leisten können.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch daraufaufmerksam machen, dass es wichtig ist, dass die Men-schen, die in Arbeit sind, gesund und motiviert bleiben.Ich möchte zwei Zahlen nennen, die ein deutlich wach-sendes Problem beschreiben: Psychische Erkrankungensind inzwischen die Ursache Nummer eins für Frühver-rentungen. Von 15,4 Prozent im Jahr 1993 stieg die Zahlauf 42 Prozent im Jahr 2012. Noch beunruhigender ist:Diese Menschen sind im Durchschnitt 48 Jahre alt.
Die Zahl der Arbeitstage, die aufgrund von seelischenErkrankungen ausfallen, hat sich im letzten Jahrzehntnahezu verdoppelt, und zwar von 33 Millionen ausgefal-lenen Arbeitstagen auf 59,5 Millionen Arbeitstage. Dasist schlimm für die Betroffenen, und das kostet auch.Das beschäftigt deswegen viele Unternehmen, und esbeschäftigt nicht zuletzt auch die Krankenkassen und dieRentenversicherung. Deswegen bin ich meiner Vorgän-gerin, Frau von der Leyen, sehr dankbar, dass sie schonzu Beginn des Jahres 2013 einen großen Forschungsauf-trag an die BAuA, die Bundesanstalt für Arbeitsschutzund Arbeitsmedizin, vergeben hat, in dem es um dieAufbereitung von Kriterien für Stress auf einer verlässli-chen wissenschaftlichen Basis geht. Denn eines möchteich an dieser Stelle auch klar sagen: Diese Kriterien hatzurzeit niemand. Es gibt keine Blaupause, die wir nutzenkönnen, um mehr für den Gesundheitsschutz zu tun. Ichnehme diesen Forschungsauftrag ernst und werde die Er-gebnisse mit Ihnen zusammen diskutieren und, so hoffeich, gemeinsam mit den Sozialpartnern Regelungen fin-den, die helfen. Denn darum geht es im Kern: um Ar-beits- und um Gesundheitsschutz. Die damit verbunde-nen Herausforderungen müssen wir meistern.Die Digitalisierung unserer Arbeitswelt ist für vieleeine große Befreiung: Sie ermöglicht mehr selbstbe-stimmtes Arbeiten, Heimarbeit und vieles mehr, wasnoch vor 20 Jahren gar nicht denkbar war. Aber die Digi-
Metadaten/Kopzeile:
4708 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Bundesministerin Andrea Nahles
(C)
(B)
talisierung ist janusköpfig: Zum einen ist sie eine großeChance; zum anderen kann das ständige Senden undEmpfangen, die ständige digitale Kommunikation – üb-rigens auch in der Freizeit –, zu einer erheblichen Belas-tung werden. Das müssen wir uns vergegenwärtigen undhierzu die nötigen Lösungen erarbeiten. Das ist wichtig.Ich bin jedenfalls guter Dinge, dass wir in ein oder zweiJahren mehr dazu wissen und uns konkreter damitauseinandersetzen können, als das in diesen pauschalenDebatten möglich ist.
Sie merken: Es gibt im Etat des Einzelplans 11 vieles,was in die Zukunft weist; es ist ein Zukunftsetat. Wirschaffen damit die Grundlagen für eine gute Erwerbstäti-genquote auch in der Zukunft. Wir schaffen damit ausmeiner Sicht auch eine gute Grundlage zur Bekämpfungder Arbeitslosigkeit, gerade der verfestigten Arbeitslo-sigkeit. Wir werden auch die Zukunftsaufgaben, die imZusammenhang mit der Sicherung des Fachkräfte-bedarfs stehen, anpacken. Deswegen freue ich mich aufdie Debatte mit Ihnen in der nächsten Zeit.Danke.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch
für die Linke.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Frau Ministerin, in Ihrem Haus-haltsentwurf wird mehrmals auf die Fortführung einesZukunftspaketes verwiesen. „Was ist das eigentlich fürein Paket?“, werden sich so einige fragen. Es ist vor al-lem ein Kürzungspaket der alten Bundesregierung ausUnion und FDP aus dem Jahre 2010. Es wurde damalsvon der SPD scharf kritisiert, und zwar zu Recht.
Im Jahre 2014 sollte es eigentlich auslaufen.Ich will erinnern, worum es eigentlich ging bzw. geht:Es ging um die Abschaffung der Rentenbeiträge für dieBezieher von Hartz IV; es ging um die Anrechnung desElterngeldes auf Hartz-IV-Leistungen; es ging um denWegfall befristeter Zuschläge; es ging – das ist beson-ders schwerwiegend – um den Wegfall der Heizkosten-komponente beim Wohngeld. 2010 behauptete dieBundesregierung, dass dieses Kürzungspaket sozial aus-gewogen sei. Das sehen wir von der Linken völlig an-ders.
Wir erwarten von einer sozialdemokratischen Ministe-rin, dass sie ein derartiges Sackgassenprogramm beendetund es nicht über die Zeit fortführt. Das wäre der richtigeWeg, Frau Nahles.
Allerdings eröffnet Ihnen dieses Programm auchMöglichkeiten; es sollte nämlich auch neue Einnahmengeben: Die Finanztransaktionsteuer sollte ab 2012 jähr-lich 2 Milliarden Euro einbringen; diese Steuer gibt esbis heute nicht. Die Kernbrennstoffsteuer sollte ab 20112,3 Milliarden Euro einbringen; auch hier Fehlanzeige.Nun kann man immer viele Gründe nennen, warum esschwierig war, die Dinge durchzusetzen; aber es istnatürlich auch immer einfacher, den armen Menschenetwas zu nehmen, als den großen Konzernen und denMilliardären in unserem Land in die Tasche zu greifen.Damit hat sich augenscheinlich auch diese Regierungabgefunden, aber wir als Linke nicht.
Frau Nahles, wenn Sie sich noch einmal das gesamteZukunftspaket anschauen, dann werden Sie feststellen,dass zum Beispiel die Reform der Bundeswehr 4 Mil-liarden Euro einbringen sollte und die Einsparung beiden Verwaltungsaufgaben im Verteidigungsministeriumnoch einmal 4,3 Milliarden Euro. Ich schlage Ihnen vor:Holen Sie sich dieses Geld aus dem Verteidigungsminis-terium. Das können Sie im Sozialbereich sehr gut ge-brauchen.
Sie könnten damit locker die Wiedereinführung der Ren-tenbeiträge für Beziehende von Hartz-IV finanzieren.
Das wäre ein kleiner Schritt zur Bekämpfung der Alters-armut. Bei diesem Schritt hätten Sie auch die volle Un-terstützung der Fraktion Die Linke; das haben Sie bereitsam Beifall gemerkt.
Ihre bisherige Rentenpolitik war kein Beitrag zur Ver-hinderung von Altersarmut. An dieser Stelle müssen wirim Bundestag dringend nachbessern.
Viele Rentnerinnen und Rentner im Osten würden sichschon freuen, wenn die Bundesregierung wenigstenszum 25. Jahrestag des Mauerfalls oder ein Jahr späterzum 25. Jahrestag der deutschen Einheit die deutscheRentenmauer zwischen Ost und West endlich einreißenwürde.
Ich sage Ihnen: Wenn wir endlich gleiche Renten inOst und West hätten, dann könnte man die Rentnerinnenund Rentner in Ost und West auch nicht mehr gegenein-ander ausspielen. Ich finde: Wenn wir uns auf die deut-sche Einheit berufen, dann muss es ein großes Ziel sein,dass man die Menschen in Ost und West nicht gegenein-ander ausspielen kann und dass wir gemeinsam der wei-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4709
Dr. Gesine Lötzsch
(C)
(B)
teren sozialen Spaltung unseres Landes entgegenwirken.Das sollte unsere gemeinsame Aufgabe sein. HerrKauder, ich würde mich freuen, wenn Sie aktiv daranmitwirken würden.
Vielen Dank.
Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Sabine
Weiss.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Sehrverehrte Damen und Herren! Im Bereich Arbeit und So-ziales ist die Koalition in diesem Jahr mit hohem Tempogestartet. Aus den drei Themen von CDU und CSU– Mütterrente, Erwerbsunfähigkeitsrente, Verbesserun-gen bei Rehabilitationsleistungen – und dem Thema derSPD – abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Beitrags-jahren – haben wir gemeinsam das Rentenpaket ge-schnürt, debattiert und verabschiedet.Die ersten Bescheide mit der erhöhten Mütterrentesind bereits bei etlichen von immerhin fast 9,5 MillionenFrauen eingetroffen, und das, obwohl der Gesetzentwurfdas Bundeskabinett erst am 29. Januar dieses Jahres pas-siert hat.
Die Koalition hat also gezeigt, dass sie nicht nur arbeits-fähig, sondern in der Umsetzung ihrer Wahlversprechenauch schnell ist.
Mit dem Tarifautonomiestärkungsgesetz haben wirunmittelbar danach ein weiteres wichtiges Problem inAngriff genommen. Auch hier wurde nach heftigemRingen ein Weg zu einer gemeinsamen Lösung gefundenund das Gesetz noch vor der Sommerpause verabschie-det.In diesem Zusammenhang möchte ich eines deutlichsagen: Mir ist allemal ein heftiges Ringen und Streitenum eine gemeinsame Lösung lieber – das ist auch demo-kratischer – als keinerlei Auseinandersetzung und nureinfaches Abnicken.
Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen,den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in denMinisterien, in den Fraktionen, in den Abgeordneten-büros und natürlich auch den Kolleginnen und Kollegenfür die bisherige und gefühlt zukünftig gute Zusammen-arbeit zu danken.
All die vorgenannten Maßnahmen sind haushalts-wirksam für die kommenden Jahre. Wie im Jahr 2014 istder nun vorgelegte Einzelhaushalt des Bundesministe-riums für Arbeit und Soziales der größte im Bundeshaus-halt. Wieder entfällt auch dieses Jahr der weitaus größteAnteil auf die Sozialausgaben. Von insgesamt knapp125 Milliarden Euro sind dies circa 117 Milliarden Euro.Der Einzelhaushalt des BMAS für 2015 ist aber Teileines ausgeglichenen Bundeshaushalts, und zwar desersten ausgeglichenen Bundeshaushalts ohne neueSchulden seit 45 Jahren. Wir läuten damit eine Zeiten-wende ein und erfüllen unser Wahlversprechen. DieFinanzplanung zeigt, dass Bundeshaushalte ohne Neu-verschuldung zukünftig Normalität werden sollen.An dieser Stelle sei aber angemerkt: Die Schulden-bremse ist eine gesamtstaatliche Aufgabe von Bund undLändern. Sie einzuhalten, sind wir den nachfolgendenGenerationen schuldig. Es wäre schön, wenn sich zumBeispiel mein Heimatland Nordrhein-Westfalen auch da-ran hielte. Anders als vom Bund und anderen Ländernwerden hier neue Schulden in Höhe von 3,2 MilliardenEuro aufgenommen.
Deutschland ist in den vergangenen Jahren gut durch alleKrisen gekommen.
Heute trägt gerade die stabile Situation – Frau Bundes-ministerin hat es erwähnt – von Wirtschaft und Arbeits-markt in Deutschland erheblich zu wachsenden Steuer-einnahmen und damit zu einem ausgeglichenen Haushaltbei. Dies ist den fast 43 Millionen Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmern zu verdanken, die sich tagtäglich fürunser Land engagieren. Damit das so bleibt, brauchenwir Investitionen der Wirtschaft in die Zukunft derUnternehmen und in Arbeitsplätze. Wirtschaft und Mit-telstand müssen in der Politik einen verlässlichen Partnerhaben.
Die aktuellen Krisen innerhalb und außerhalb Euro-pas machen der Wirtschaft in Deutschland zunehmendzu schaffen. Daher ist es umso wichtiger, dass unsereWirtschaft auf die für sie wichtigen Rahmenbedingun-gen vertrauen kann. Dazu gehört, dass zukünftig mög-lichst keine neuen Belastungen auf die Wirtschaft undden Mittelstand zukommen. Deshalb müssen wir den ef-fizienten Umgang mit Finanzmitteln auch im Sozialbe-reich sowie die Solidität und Finanzierbarkeit unserersozialen Sicherungssysteme weiterhin aufmerksam imBlick behalten.
Metadaten/Kopzeile:
4710 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Sabine Weiss
(C)
(B)
– Hören Sie einmal zu; das kommt gleich. – Viele Auf-gaben liegen noch vor uns wie zum Beispiel Rechtsver-einfachungen im SGB II, das Bundesteilhabegesetz, dasBetriebsrentenänderungsgesetz und, und, und.In den nächsten Monaten werden wir uns inhaltlichinsbesondere mit zwei weiteren Themen beschäftigen.Gegenwärtig beobachten wir wieder einmal heftigeArbeitskämpfe bei Bahn und Lufthansa. Streikbelastun-gen werden zu einem Problem für die Allgemeinheit.Zigtausende Menschen werden gehindert, die Verkehrs-mittel zu nutzen. Es herrscht Unverständnis. Wir erlebenhier Machtkämpfe zwischen den einzelnen Gewerk-schaften. Deshalb steht das Thema Tarifeinheit ganzoben auf der Tagesordnung. Frau BundesministerinNahles hat hier erfreulicherweise gerade eben klareWorte gefunden.
Eine älter werdende Gesellschaft braucht die älterenMenschen. Daher ist schon vor der Sommerpause dasThema Flexi-Rente, angestoßen von den CDU-Mittel-standspolitikern, in den Fokus genommen worden. DieMinisterin hat auch dieses Thema bereits erwähnt. Es istaber aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion falsch, dafür zuwerben, immer früher in Rente zu gehen. Wer nicht mehrarbeiten kann, soll natürlich ohne größere finanzielleEinbußen in den Ruhestand gehen können. Dafür wurdeja auch die vorgezogene Rente mit 63 eingeführt.
Ein dauerhaftes Absenken des Renteneintrittsalters kön-nen wir uns aber schon wegen der demografischen Ent-wicklung finanziell gar nicht leisten.
Bei weniger Einzahlungen müssten mehr Auszahlungengestemmt werden. Damit würde unser solidarischesRentensystem überfordert. Renten und Beiträge wärenletztlich nicht mehr bezahlbar. Und – das ist unser An-satz – es wollen ja auch nicht alle so früh wie möglich inRente gehen. Viele wollen gerne weiter im Erwerbslebenbleiben. Deshalb ist unser Votum: Die Menschen sollenselbstbestimmt in Rente gehen können. Darum wollenwir die Flexi-Rente einführen.Innerhalb der Koalition haben wir eine Arbeitsgruppegegründet, in der die verschiedenen Wege diskutiert wer-den, um das Weiterarbeiten über die Regelaltersgrenzehinaus zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Maßstabhierbei soll sein, nicht so früh wie möglich in Rente zugehen, sondern so lange wie möglich arbeiten zu kön-nen.
Über konkrete Möglichkeiten für einen flexiblen Ren-teneintritt werden wir uns in den kommenden Wochenverständigen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestern hat derDeutsche Bundestag des Tages gedacht, an dem vor 75Jahren der Zweite Weltkrieg ausbrach, der Schrecken,Elend und Tod verbreitete. Wir begehen in diesem Jahr,2014, viele Jubiläen und Gedenktage. Heute gedenkenwir zum Beispiel des Terroranschlages auf das WorldTrade Center in New York.Gestern war ein weiterer wichtiger Tag; ich erwähneihn deshalb, weil er irgendwie an uns vorbeigegangenist. Am 10. September vor 50 Jahren, also 1964, konnteder einmillionste angeworbene Arbeitsmigrant auf demBahnhof von Köln-Deutz begrüßt werden. Es war derPortugiese Armando Rodrigues de Sá; er wurde mit ei-nem Mofa beschenkt.Dieser 10. September vor 50 Jahren war deshalb einwichtiger Tag für Deutschland, weil die Arbeitsmigran-ten, die mittlerweile in unserem Land beheimatet sind,unser Land mitgeprägt und unter anderem einen wichti-gen ökonomischen Beitrag geleistet haben. Die meistenArbeitsmigranten sind einst gekommen, um ein paarJahre zu bleiben. Sie hofften auf gut bezahlte Arbeit, umihre zu Hause gebliebenen Familien zu unterstützen.Viele sind geblieben, haben ihre Familien nachgeholtoder in Deutschland eine Familie gegründet. Sie habengearbeitet, Steuern und Sozialbeiträge gezahlt, Unter-nehmen gegründet und Häuser gebaut. Sie haben daranmitgewirkt, dass Deutschland heute eine so starke Wirt-schaft hat.
Heute leben wir wieder in einer Zeit, in der uns aufdem Arbeitsmarkt in vielen Bereichen die Arbeitskräftefehlen. Lassen Sie uns also gemeinsam – mit den Erfah-rungen der Vergangenheit – eine Willkommenskultur fürdie Menschen leben, die hier sind, die sich bereits aufden Weg gemacht haben und die noch kommen werden.
So leistet Deutschland zum Beispiel bei der Bekämp-fung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa einen wichti-gen Beitrag. Mit dem Programm MobiPro erhalten jungeMenschen aus dem europäischen Ausland eine Berufs-ausbildung in Deutschland. Mittlerweile ist MobiPro soerfolgreich, dass die Mittel deutlich aufgestockt werdenmussten. Und möglicherweise werden viele Programm-teilnehmer in Deutschland bleiben, die Fachkräftelückenfüllen und hier eine neue Heimat finden.Auch das Projekt Triple Win soll dazu beitragen, dieFachkräftelücken in Deutschland zu schließen, insbeson-dere in den Pflegeberufen. Es sollen Menschen auch ausdem außereuropäischen Ausland zu uns kommen.Mitte August habe ich persönlich in Manila auf denPhilippinen über dieses Projekt Gespräche mit den Ver-tretern der philippinischen Regierung und unserer Ge-sellschaft für Internationale Zusammenarbeit, mit Ver-tretern von Pflegeschulen und dem Goethe-Institutgeführt. Ich denke, wir sollten nochmals gemeinsam An-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4711
Sabine Weiss
(C)
(B)
strengungen unternehmen, um das Projekt Triple Winvoranzubringen. Denn der Pflegenotstand in unseremLand wird größer werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die weitere Ar-beit in dieser Wahlperiode sollten wir bei allen Entschei-dungen bedenken: Alles ist in Bewegung. Unsere Ge-sellschaft ist in Bewegung. Die Verhältnisse innerhalbund außerhalb Europas sind in Bewegung. All das bringtimmer wieder die Notwendigkeit bzw. den Bedarf mitsich, vorhandene Regeln und Gesetze, aber eben auchRessourcen anzupassen. Lassen Sie uns weiterhin ge-meinsam in konstruktivem Streit diese Herausforderun-gen annehmen.Herzlichen Dank.
Bevor gleich die Kollegin Deligöz das Wort erhält,
hat jetzt der Kollege Kelber die Möglichkeit zu einer
Kurzintervention.
Frau Kollegin Weiss, Sie haben gerade über die Haus-
haltslage in unserem gemeinsamen Heimatland Nord-
rhein-Westfalen gesprochen und dabei den Bundeshaus-
halt mit einem Landeshaushalt verglichen.
Ich komme übrigens aus einer Region in Nordrhein-
Westfalen – Bonn und die Nachbarstadt Siegburg –
mit den höchsten Pro-Kopf-Verschuldungen in Nord-
rhein-Westfalen. In beiden Städten gibt es eine CDU-
Mehrheit im Stadtrat. In Siegburg, das die höchste Pro-
Kopf-Verschuldung hat, hat die CDU sogar die absolute
Mehrheit.
Bevor Sie aber das nächste Mal Aussagen über die
Entwicklung des nordrhein-westfälischen Landeshaus-
haltes treffen, würde ich Sie bitten, folgende Fakten, die
ich Ihnen gleich vortrage, nachzulesen. Denn sie sind in
offiziellen Dokumenten leicht nachprüfbar.
Im Jahr 2010 – Herr Kollege Kauder, Sie hatten einen
Zuruf an mich gerichtet, den ich von der Regierungs-
bank aus nicht beantworten durfte – hatte die ausschei-
dende schwarz-gelbe Landesregierung unter Herrn
Rüttgers noch einmal eine Finanzplanung vorgelegt. Da-
mals war die Wirtschaftskrise schon überwunden, und
die Landesregierung rechnete mit 1,5 Prozent Wachstum
im Jahr, also mehr, als wir real hatten. Für das Jahr 2014
war eine Neuverschuldung von über 6 Milliarden Euro
vorgesehen, in einem einzigen Haushaltsjahr. Also hat
die rot-grüne Landesregierung schon jetzt gegenüber
dem Entwurf von Schwarz-Gelb die Neuverschuldung
halbiert, und im nächsten Jahr wird sie sie um zwei Drit-
tel senken.
Frau Kollegin Weiss, Sie haben die Möglichkeit, da-
rauf zu antworten, und ich sehe, dass Sie von dieser
Möglichkeit auch Gebrauch machen wollen.
Schönen Dank, Herr Präsident. – Herr Kelber, ich
habe das geradezu provoziert, aber es musste einmal ge-
sagt werden. Was zurzeit in Nordrhein-Westfalen los ist
und dass der Finanzminister mit dem Verfassungsgericht
gar nicht klarkommt – ihn holt jetzt sogar die Kölner
Vergangenheit in Bezug auf die Hotelsteuer langsam
wieder ein –, muss immer wieder einmal in Erinnerung
gerufen werden.
Eines steht fest, und das kann man bundesweit erken-
nen: Dort, wo die CDU die Landesregierung stellt, geht
es nicht nur den Ländern gut, sondern auch den Kommu-
nen.
Das können Sie nicht durch irgendwelche Dinge besser-
oder schlechterreden.
Sie haben erwähnt, dass es einmal in den letzten Jahr-
zehnten – leider Gottes nur fünf Jahre; es war zu wenig
Zeit – eine CDU-geführte Landesregierung in Nord-
rhein-Westfalen gegeben hat. Das wird sich aber in Zu-
kunft ändern. Sie trauen dieser Landesregierung eine
Menge zu, wenn Sie jetzt immer wieder darauf pochen,
dass gerade diese fünf Jahre daran schuld sind, dass es
dem Land Nordrhein-Westfalen so schlecht geht. Nein,
dass es dem Land Nordrhein-Westfalen so schlecht geht,
liegt an der schlechten Finanzpolitik der SPD-geführten
Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen in den letz-
ten Jahrzehnten.
Jetzt hat die Kollegin Ekin Deligöz für Bündnis 90/
Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichhabe jetzt das Vergnügen, die Debatte wieder zu denHaushaltsberatungen 2015 zum Einzelplan 11 zurückzu-führen.
Metadaten/Kopzeile:
4712 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Ekin Deligöz
(C)
(B)
Wir stehen jetzt zum zweiten Mal in diesem Jahr vorden Beratungen des Einzelplans 11. Als Hauptberichter-statterin beginne ich damit, Frau Ministerin, mich bei Ih-nen und Ihrem Hause zu bedanken. Wir Abgeordnetenfühlten uns immer sehr gut unterstützt. Inhaltliche Diffe-renzen haben dem Ganzen keinen Abbruch getan; es gabeine sehr gute Zusammenarbeit zwischen den Bericht-erstattern Herrn Schurer und Frau Lötzsch. HerrnFischer richten Sie bitte meine besten Genesungswün-sche und auch besten Dank für die Zusammenarbeit aus.Wir gehen in eine neue Runde. Ich kann sehr positiv aufdiese Beratungen blicken.In der Tat beraten wir den mit 125 Milliarden Eurogrößten Einzeletat. Aber, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, wenn wir ehrlich wären, müssten wir diesen Etatdeutlich höher ansetzen. Denn die Kosten des Rentenpa-kets sind in die Rentenkassen verlagert worden. Die Fol-gen werden erst in ein paar Jahren offen sichtbar. Wenndie Reserven aufgebraucht sind, das Rentenniveau abge-senkt ist und der Bundeszuschuss deutlich erhöht werdenmuss, dann werden Sie feststellen, dass das eine falscheEntscheidung für die künftigen Generationen gewesenist.
Dann wird es aber zu spät sein, weil wir die angewachse-nen Lasten dann wiederum in diesem Haushalt schulternmüssen.Tragischerweise haben Sie nichts darüber gesagt, wasin gesteigertem Maß auf uns zukommt, nämlich Alters-armut. Sie sagen: Vielleicht kommt die Lebensleistungs-rente, vielleicht aber auch nicht. – Aber genau hier müs-sen wir ansetzen. Wir Grüne schlagen eine konsequenteStrukturreform in Richtung einer Garantierente vor. Dasist ein effektiver Schritt gegen Altersarmut. In diesemHaushalt geht es nicht nur darum, Geld auszugeben.Vielmehr müssen wir auch mutig sein und Strukturrefor-men angehen und Mittel zielgenau einsetzen, damit wirauch in Zukunft von einem sozial gerechten Haushaltsprechen können.
Frau Ministerin, Sie haben recht: Langzeitarbeitslo-sigkeit ist ein wichtiges Thema. Vorbehaltlich der EU-Genehmigung werden Sie uns dazu ein neues Bundes-programm vorlegen. Wir werden das sehr kritisch be-gleiten, weil das für diese Gesellschaft eine gravierendeBelastung ist. Aber wir dürfen uns bei den einzelnen In-strumenten nicht verzetteln. Für einen Teil der abge-hängten Menschen ist die Einrichtung eines sozialen Ar-beitsmarkts möglicherweise der einzige zweckdienlicheWeg. Damit müssen wir sehr ehrlich umgehen, auchwenn es manchmal schwierig zu sein scheint.Nicht zweckdienlich dagegen ist das, was gerade imSGB II bei den Grundsicherungsleistungen passiert. Beiden Eingliederungsmitteln hatten Sie die Verwendungvon Ausgaberesten abgesichert, und zwar bis 2017. Dasist aber keine dauerhafte Aufstockung des Titels. Und:Wir verschieben seit Jahren Mittel von den Eingliede-rungsleistungen hin zur Deckung der Verwaltungskos-ten. Das setzt den gesamten Bereich der Eingliederungs-titel immer mehr unter Druck. Das ist ein Zeichen dafür,dass Sie die Verwaltungskosten schlicht und ergreifendzu niedrig ansetzen. Das geht zulasten der Erwerbslosen,insbesondere der Langzeitarbeitslosen. Da brauchen wirauch mehr Haushaltsklarheit. Dem müssen Sie sich inden Beratungen stellen.
Ich kann nicht aufhören, zu betonen – das letzte Malhaben Sie das ignoriert –: Der Rücklagenaufbau in derBundesagentur für Arbeit ist wichtig. Sie können natür-lich davon ausgehen, dass es uns immer gut geht, und sojeden Haushalt auf Sand bauen. Nichtsdestotrotz werdenwir auf dem Arbeitsmarkt mit anderen Herausforderun-gen konfrontiert sein. Zur Bewältigung zukünftiger He-rausforderungen brauchen wir schneller höhere Rückla-gen. Ich hoffe und wünsche, dass Sie das nicht weiterignorieren.
Frau Ministerin, einen Satz Ihrer Rede möchte ich be-sonders herausstreichen. Er betrifft das Asylbewerber-leistungsgesetz. Im Einzelplanentwurf haben Sie in derTat Minimalstverbesserungen eingepreist. Aber Sie ma-chen sich einen schlanken Fuß. Das, was Sie machen,entspricht nicht dem Geist des Verfassungsgerichtsur-teils. Sie haben hier gesagt: „Jeder Mensch hat ein Rechtauf Hoffnung.“ Dieses Recht gilt auch für Asylbewerbe-rinnen und Asylbewerber in diesem Land.
Dieses Recht muss sich auch in Ihrem Haushaltsentwurfniederschlagen. Wir lassen Sie nicht aus der Verantwor-tung. Wir brauchen hier eine deutliche Verbesserung.Nicht umsonst gibt es ein Verfassungsgerichtsurteildazu.Letzter Punkt. Wir werden uns in den Beratungenauch mit den ESF-Programmen befassen. Es beginnteine neue Förderperiode, in der eine Straffung und neueWeichenstellungen vorgesehen sind. Wir als Grüne wer-den das operationelle Programm der Bundesregierungkonstruktiv und kritisch begleiten. Wir befürchten, dasseiniges wegfällt. Das betrifft nicht nur Ihr Haus, sondernauch andere Einzelpläne. Es gilt, bei den Schwerpunktennicht nur mit Augenmaß, sondern auch mit Entschlos-senheit voranzugehen. Über die konkrete Ausgestaltungwerden sich die Berichterstatter noch einmal intensivauseinandersetzen müssen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4713
Ekin Deligöz
(C)
Frau Ministerin, meinem Dank zu Beginn meinerRede füge ich hinzu: Wir brauchen in vielen Punkten Ih-res Haushalts Entschlossenheit. Dabei setze ich nicht nurauf gute Kooperation, sondern auch darauf, dass Sie of-fen für unsere Kritikpunkte sind und sie nicht einfachvom Tisch wischen. Diese Punkte sind schließlich essen-ziell für die Weiterentwicklung Ihres Etats.Danke.
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Stephan
Stracke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ja, wir haben die von Ihnen geforderte Ent-schlossenheit, Frau Deligöz. Gleichzeitig gehen wir indie richtige Richtung. Die Vorschläge, die Sie unterbrei-tet haben, gehen nicht in die richtige Richtung. Deshalbwerden wir sie nicht aufgreifen.Die wirtschaftliche Situation in diesem Land ist her-vorragend. 30 Millionen sozialversicherungspflichtigBeschäftigte sind ein hervorragendes Zeichen dafür, wiees um dieses Land tatsächlich bestellt ist.Das ist natürlich nichts, was aus sich selbst heraus zu-stande kommt, sondern es muss von den Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmern und von den Arbeitgebernhart erarbeitet werden. Mit ihrer Kreativität sorgen beideSeiten dafür, dass wir hier gute Produkte erzeugen, dieweltweit einen entsprechenden Absatz genießen. An ge-nau dieser Stelle wollen wir weiterarbeiten.Das bedeutet auch, dass wir die richtigen haushalteri-schen Maßstäbe setzen. Dies hat der Bundesfinanzminis-ter zusammen mit der Regierung getan. Die schwarzeNull, die der zur Beratung anstehende Haushaltsentwurfvorsieht, ist etwas Hervorragendes. Denn damit stellenwir sicher, dass wir uns nicht weiter verschulden; viel-mehr schaffen wir gute Voraussetzungen für die nach-wachsenden Generationen. Die schwarze Null stehtdafür in einzigartiger Weise; sie ist das Kennzeichen un-serer Regierung, geführt von unserer BundeskanzlerinAngela Merkel.
Unsere Politik eröffnet die notwendigen Spielräume.Einige notwendige Spielräume haben wir bereits in die-sem Jahr eröffnet, beispielsweise was die Mütterrenteangeht: Von der Erweiterung der Anrechnung von Kin-dererziehungszeiten profitieren rund 9,5 Millionen Men-schen – Mütter, aber zum Teil auch Väter – in diesemLand. Die gute wirtschaftliche Entwicklung hat uns dieFinanzierung der Mütterrente ermöglicht.
Bei der Diskussion über die Rente mit 63 haben wirvon Anfang an darauf geachtet, keine Frühverrentungs-anreize zu setzen. Frühverrentungsanreize wären näm-lich angesichts all der Diskussionen, die die Bundes-ministerin, auch was die Fachkräftesicherung angeht,geführt hat, genau das Falsche.
Wir müssen bei all den Themen, die jetzt anstehen, na-türlich darauf achten, dass wir die richtigen Maßstäbesetzen.Wenn wir über die Fachkräftesicherung in diesemLand reden, dann geht es von Anfang an um die Jugend-lichen. Wir stehen hier, gerade was den europäischenVergleich angeht, hervorragend da. Wir wissen: Jeder hateine Chance verdient. Dafür, dass jeder eine Chancebekommt, sorgen wir. Ich sage den Arbeitgebern vondieser Stelle aus ausdrücklich Dank, da sie, gerade wasdie berufliche Ausbildung angeht, Hervorragendes leis-ten. Sie stellen viele Ausbildungsplätze zur Verfügung,mehr als vonseiten der Jugendlichen derzeit besetzt wer-den.Mit dem Ausschuss war ich erst vor kurzem beispiels-weise in Rumänien und Bulgarien; mit der CSU-Landes-gruppe war ich in Lettland. In diesen Ländern spielte im-mer wieder dieselbe Frage eine Rolle: Wie schaffen wires, die Fachkräfte gut auszubilden? Das Berufsausbil-dungssystem in unserem Land wird dort als Beispiel he-rangezogen. Wir helfen anderen europäischen Länderndurch vielfältige Initiativen dabei, die guten Ansätze, diewir in Deutschland haben, auf sich zu übertragen.Es ist nicht selbstverständlich, dass unsere Arbeitge-ber darauf achten, all denen eine Chance zu geben, diebeispielsweise noch nicht die Ausbildungsreife erhaltenhaben. Dies tun sie in der Breite. Dabei achten wir insge-samt darauf, dass neben den akademischen Fähigkeitenauch die rein praktischen Fähigkeiten nicht verloren ge-hen. Wir brauchen jeden in diesem Land. Deswegen sor-gen wir auch hier für die richtigen Rahmenbedingungen.Was dabei im Vordergrund steht, ist, die Eigenverant-wortlichkeit des Einzelnen zu stärken. Deswegen sindAusbildungsplätze so wichtig. Neben der Eigenverant-wortlichkeit bedarf es natürlich auch des Engagementsjedes Einzelnen. Es nutzt nichts, noch so viele Hilfe-systeme zu implementieren, wenn man halt ein faulerGrippl ist und einfach nicht arbeiten will. Um Jugendli-che auf den richtigen Weg zu führen, muss man vielmehrentsprechend ertüchtigen und notfalls die notwendigenSanktionen verhängen.
Wenn wir auf der einen Seite darüber reden, mög-lichst viele Jugendliche ins Arbeitsleben zu bringen,geht es auf der anderen Seite darum, eine längere Betei-ligung von Arbeitnehmern am Erwerbsleben zu gewähr-leisten. Dies ist gesellschaftlich und volkswirtschaftlichsinnvoll und geboten. Wir stehen deshalb geschlossenzur Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Das
Metadaten/Kopzeile:
4714 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Stephan Stracke
(C)
(B)
hat vor allem mit der demografischen Entwicklung indiesem Land zu tun. Während in den 60er-Jahren dieLebensdauer nach Eintritt in die Rente bei rund 10 Jah-ren lag, liegt sie jetzt bei nahezu 20 Jahren. Daher ist esrichtig, dass wir die Regelaltersgrenze auf 67 Jahre an-gehoben haben.Es ist auch notwendig, dass wir bei der abschlags-freien Rente mit 63 – ich habe es erwähnt – vor allemdarauf achten, dass Frühverrentungsanreize von vornhe-rein vermieden werden. Wir wollen einen Aufbruch ineine altersgerechte Arbeitswelt, und wir wollen aus derRente mit 67 das Arbeiten mit 67 machen. Die betriebli-che Praxis in diesem Bereich zeigt bereits viele erfreuli-che Beispiele.Das Thema Gesundheitsschutz wurde angesprochen.Ja, wir wollen mit unserer Präventionsstrategie dafür sor-gen, dass gerade in den mittelständischen und kleinen Un-ternehmen die betriebliche Gesundheitsvorsorge einenbesseren Stellenwert erlangt. Oftmals sagen zunächst ein-mal die Betriebsführungen sozusagen vom Kopf her:Wir müssen etwas tun. – Meistens ist es ein Impuls,wenn die Zahl der Krankheitsausfälle wächst. Hier gehtes darum, möglichst früh Anreize zu setzen. Deshalbwerden wir eine Präventionsstrategie auf den Weg brin-gen.Ich glaube, dass die Tarifvertragsparteien hier guteLösungen anbieten können. Das gilt auch bei den sonsti-gen Themen, Verordnungen oder Gesetzen, die anstehenund von denen der eine oder andere während der Som-merpause geredet hat. Wir sollten uns darauf zurückzie-hen, zunächst ein breites wissenschaftliches Fundamentzu haben und nicht gleich vonseiten des Gesetzgebersund des Arbeitsministeriums nach Verordnungen zu ru-fen. Sinnvoller ist es, den Unternehmen hier möglichstviel Flexibilität einzuräumen, aber auch die Verantwor-tung der Arbeitgeber klar zu benennen. Sie müssen da-rauf achten, dass ein Arbeiten bis 67 in Zukunft auchmöglich sein wird.
Daneben wollen wir aufgrund des sich abzeichnendenFachkräftemangels das Arbeiten über die Regelalters-grenze hinaus flexibilisieren. Wir haben bereits einenbestehenden Alterskorridor von 63 bis künftig 67 Jahre,insbesondere für die Inanspruchnahme einer vorgezoge-nen Altersrente. Dieser Korridor ist so breit angelegt,dass er vielfältigen Flexibilisierungsüberlegungen Raumlässt. Deswegen glaube ich, dass wir, insbesondere wasarbeits- und tarifvertragliche Vereinbarungen angeht, beiall diesen Themen bereits jetzt genügend Spielraumhaben.Das heißt konkret: Eine vorgezogene Altersrente istbereits nach derzeitiger Rechtslage ab Vollendung des63. Lebensjahres möglich. Eine Rente mit 60 Jahren beiversicherungsmathematisch korrekten Abschlägen halteich nicht für sinnvoll, auch nicht in Form einer Teilrente.Eine Rente mit 60 wäre ein Irrweg für die Akzeptanzeiner Verlängerung der Lebensarbeitszeit und darüberhinaus vor allem eine Privilegierung von Gutverdienern,die sich Abschläge beispielsweise in Höhe von 25,2 Pro-zent leisten können.Was wir natürlich auch in den Blick nehmen müssen,ist, dass die Hinzuverdienstgrenzen bei einem vorzeiti-gen Renteneintritt nach derzeitigem Rechtszustand gutbegründet sind. Meines Erachtens wäre es sozialpoli-tisch erklärungsbedürftig, dass ein Arbeitnehmer mit63 Jahren vorzeitig in Rente geht und weiterhin beimbisherigen Arbeitgeber in unverändertem Umfang be-schäftigt bleibt. Wir wollen – das haben wir uns alsKoalition gemeinsam vorgenommen – insbesondere dasAnliegen der Tarifvertragsparteien, dass bestehendeHinzuverdienstgrenzen einen Hinderungsgrund für pra-xistaugliche Vereinbarungen darstellen, entsprechendüberprüfen. Dies steht im Koalitionsvertrag, ist aberauch Inhalt unseres Entschließungsantrages, den wir alsKoalitionsfraktionen im Zuge der Debatte um das Ren-tenpaket beschlossen haben. Bei all diesen Überlegun-gen gilt meines Erachtens auch, dass wir die Erwerbs-minderungsrenten mit in den Blick nehmen wollen undmüssen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das gel-tende Recht bietet bereits jetzt vielfältige Flexibilisie-rungsmöglichkeiten für eine Weiterarbeit nach Erreichender Regelaltersgrenze. Allerdings wissen wir, dass wirdie Flexibilität noch weiter verbessern müssen. Des-wegen haben wir eine entsprechende Arbeitsgruppe ge-bildet, die sich dieser Themen in den nächsten Monatensehr intensiv annehmen wird. Ich glaube, wir werdenhier zu sehr guten Ergebnissen kommen, gerade im Inte-resse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unse-rem Land, sodass wir weiterhin gewährleisten können:Unser Rentenversicherungssystem ist stabil und bleibtstabil – gerade auch wegen der Maßnahmen dieser Bun-desregierung.Herzlichen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Kipping, Die
Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! HerrStracke, Sie haben hier in Bezug auf Erwerbslose denBegriff „fauler Krüppel“ verwendet. Ich muss das ganzklar zurückweisen. Ich finde, es ist nicht angemessen,sich in diesem Parlament so über Menschen zu äußern,die erwerbslos sind.
Ihre Analyse geht einfach am Problem vorbei. Wennman sich die offiziellen Zahlen anschaut, dann siehtman, dass auf eine gemeldete offene Stelle im Durch-schnitt sieben Erwerbsarbeitsuchende kommen. Dasheißt, egal wie sehr sich die sieben anstrengen: Im
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4715
Katja Kipping
(C)
(B)
Durchschnitt gehen sechs davon leer aus. Das Problemder Erwerbslosigkeit ist kein individuelles Problem, keinProblem, das allein beim Erwerbslosen liegt, sondern hatetwas mit der Wirtschaftsweise zu tun. Deswegen:Hören Sie auf, dem Einzelnen die Verantwortung für dieErwerbslosigkeit in die Schuhe zu schieben!
Kommen wir zum Haushalt. Wenn man sich die Zah-len im Arbeits- und Sozialbereich anschaut, so mussman sagen: Es macht kaum einen Unterschied, ob es nuneine schwarz-gelbe oder eine schwarz-rote Regierunggibt. Das sieht man auch im Bereich SGB II, besser be-kannt als Hartz IV. Eine der wenigen Initiativen, die imBereich Hartz IV gestartet wurden, ist die Arbeitsgruppe„Rechtsvereinfachung im SGB II“, deren Vorschlägenun die Grundlage der Diskussion bilden. Weil ihre Vor-schläge die Auseinandersetzung prägen werden, mussman dazu einiges sagen.Allein die Zusammensetzung dieser Arbeitsgruppe– das ist auch von Ihnen, Frau Nahles, nicht mehr geän-dert worden – ist bezeichnend: Weder Gewerkschaftennoch Erwerbsloseninitiativen durften an dieser Arbeits-gruppe teilnehmen. Deren Erfahrungen waren Ihnenoffensichtlich egal. Wir aber meinen, die direkt Betroffe-nen gehören immer mit an den Tisch.
Bei solch einer Herangehensweise darf man sich dannauch nicht wundern, wenn die Arbeitsgruppe sehr ärger-liche Vorschläge unterbreitet. Um nur einen Vorschlagzu nennen: Zukünftig sollen selbst angemessene Miet-kosten nach einem Umzug nur dann bezahlt werden,wenn der Umzug vorher genehmigt wurde. Das klingterst einmal harmlos. Was heißt das aber? Es ist schonjetzt in vielen Städten verdammt schwer, im Rahmen dersogenannten angemessenen Unterkunftskosten eineWohnung zu finden, die auch passt. Und dann findet je-mand womöglich eine Wohnung, es gibt Verzögerungenbei der Genehmigung von Amts wegen, und dann ist dieWohnung, ehe die Genehmigung erteilt worden ist, wo-möglich weg. Wir meinen, das ist auf jeden Fall ein fal-scher Vorschlag.
Ich kann an Sie nur appellieren, diesen Vorschlag nichtaufzugreifen.Ich will einräumen, Frau Nahles, dass die ersten Mel-dungen, die von dieser Arbeitsgruppe durchgesickertsind, deutlich schlimmer waren. Ich erinnere nur daran,dass zuerst diskutiert worden ist – –
– Wir diskutieren heute, was im kommenden Jahr an-steht. –
Es gab Vorschläge, die deutlich schlimmer waren. Diesehaben wir von der Linken öffentlich gemacht. Die Er-werbslosenbewegung hat dagegen demonstriert. Dassdiese Vorschläge jetzt gestrichen worden sind, ist ein Er-folg der Erwerbslosenbewegung. Das zeigt ganz klar: Eslohnt sich, sich zur Wehr zu setzen.
Schwarz-Rot – das spiegeln auch die Zahlen imHaushalt wider – geht an das Thema Hartz IV vor allenDingen mit der Haltung heran: Na ja, eigentlich müssenwir nur die bürokratischen Abläufe verbessern. – Ichaber meine, es kommt vor allen Dingen darauf an, diegrundlegenden Fehler bei Hartz IV zu korrigieren und zuüberwinden.Das wären unsere Vorschläge:Erstens: die Abschaffung des Konstrukts der Bedarfs-gemeinschaft.
Zweitens: eine aktive Arbeitsmarktpolitik; meineKollegin Sabine Zimmermann wird später dazu reden.Drittens: die Abschaffung der Sanktionen beiHartz IV.Viertens. Wir müssen wirklich sicherstellen, dassjedem in diesem Land ein soziokulturelles Existenzmini-mum garantiert wird. „Soziokulturell“ heißt: Man musssich sowohl Essen und eine Wohnung als auch eineBusfahrkarte und eine Tageszeitung leisten können.
Kurzum: Wir von der Linken sagen – fast zehn JahreErfahrung mit Hartz IV haben uns darin nur noch be-stärkt –: Es kommt darauf an, Hartz IV zu überwinden,durch gute Arbeit und durch eine sanktionsfreie Min-destsicherung.
Nur einen Satz zur Rente: Hier spiegeln die Zahlen imHaushalt wider, dass das wichtigste, das dringlichsteProblem nicht in Angriff genommen wird: Altersarmutdroht auch Menschen mit mittleren Einkommen. Wiralle kennen doch die Zahlen: Wer im Jahr 2030 in Rentegeht, muss mindestens 35 Jahre lang vollzeitversichertzum Durchschnittslohn gearbeitet haben, um eine Renteauf Hartz-IV-Niveau zu erhalten. Wir als Linke schlagenvor – wir wissen, dass man das nicht mit einem Haushalterledigen kann; das braucht etwas Zeit, aber man mussdas jetzt in Angriff nehmen –: Wir brauchen eine Ren-tenversicherung, in die alle einzahlen, auch Abgeord-nete, auch Apotheker und auch Anwälte. Im Rahmen ei-ner solchen Rentenversicherung für alle kann man aucheine Mindestrente organisieren. Wir meinen: Kein Rent-ner und keine Rentnerin soll im Alter unter die Armuts-risikogrenze fallen.Vielen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
4716 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
(C)
(B)
Bevor jetzt gleich der Kollege Schurer das Wort er-
hält, bekommt für eine Kurzintervention das Wort der
Kollege Stracke.
Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. – Frau Kolle-
gin, Sie haben mich direkt angesprochen. Ich möchte
das, was Sie zu hören gemeint haben, richtigstellen. Mir
liegt es selbstverständlich vollkommen fern, hier pau-
schale Verunglimpfungen zum Ausdruck zu bringen. Ich
habe einen vielleicht allgäuerisch-bayerischen Slang be-
nutzt, als ich von einem „faulen Grippl“ gesprochen
habe. Ich habe nicht von einem „Krüppel“, sondern ei-
nem „Grippl“ gesprochen. Das ist jemand, der beispiels-
weise etwas zurückhaltend seiner Arbeit nachgeht.
Das war gemeint. Das war in keiner Art und Weise eine
Verunglimpfung, wie Sie es verstanden haben. Ich bitte,
das entsprechend zur Kenntnis zu nehmen.
Ich sehe nicht den Wunsch, darauf zu erwidern. Des-
halb hat jetzt der Kollege Ewald Schurer für die Sozial-
demokraten das Wort.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattie-ren über den Einzelplan 11, über den Haushalt desMinisteriums für Arbeit und Soziales. Dieser zentraleHaushalt umfasst, wie schon dargestellt, immerhin fast125 Milliarden Euro, also eine stolze Summe. Das ent-spricht fast 42 Prozent der Summe des aktuell vorliegen-den Haushaltsentwurfs des Bundes für das Jahr 2015.Von der Frau Ministerin und der Kollegin Weisswurde schon dargestellt, dass dieser Haushalt die großenLebensbereiche der Menschen verkörpert. Ein Haushaltist nie Selbstzweck. Die einzelnen Haushaltstitel stehenfür Inhalte, zum Beispiel für den Bereich Rente und denBereich Arbeit. Es geht um das Leben der Menschen, umdie berufliche Bildung, die nach der hoffentlich gutenschulischen Bildung beginnt. Dann geht es um das Ar-beitsleben, das für die Menschen, wenn es gut läuft, spä-ter einmal bei guter Gesundheit im Rentenbezug mün-det. Ich kann das Postulat unterschreiben: Es ist einErfolg, wenn Menschen möglichst lange am Berufslebenpartizipieren können, wenn sie möglichst lange mitwir-ken können und zum geeigneten Zeitpunkt in Rente ge-hen können. Das ist das Ziel der sozialdemokratischen,aber auch, glaube ich, der christdemokratischen Renten-und Arbeitspolitik. In diesem Sinne legen wir diesenHaushalt vor.
Auch ich will – nicht nur aus Routine – dem Ministe-rium für Arbeit und Soziales Dank sagen. Ich danke derLeitung des Hauses, den Mitarbeiterinnen und Mitarbei-tern, dem BMF und allen Mitarbeitern in den Bundes-tagsbüros. Es ist keine Selbstverständlichkeit, sich durchso große Haushalte durchzuarbeiten und alle Details sau-ber, ordentlich und beratungsfähig vorzulegen.Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, beialler Kritik, die ich vernommen habe, aber zurückweisenmuss, weil etwas isoliert dargestellt wurde, nicht stimmtoder aus dem Kontext gerissen wurde – das gilt zum Teilauch für die Kritik von Frau Kipping –, muss man fest-stellen: Im Jahr 2014 werden laut aktuellem Haushalt fürdie Rentenversicherung, für die Grundsicherung im Al-ter und bei Erwerbsminderung 88,4 Milliarden Euro aus-gegeben.
Diese Summe wird sich peu à peu auf 101,3 MilliardenEuro in 2018 steigern.
Das ist angesichts des gesellschaftlichen Hintergrunds,angesichts der demografischen Entwicklung und derMaßgabe eines stabilen Rentenbeitrags eine gewaltigeErhöhung in der mittelfristigen Finanzplanung.Ich glaube, dass die Entlastung der Kommunen, überdie immer wieder diskutiert wird und die von den über12 000 Kommunen in Deutschland zu Recht eingefor-dert wird, ein entscheidender Punkt ist. Die Entlastungder Kommunen führen wir mit diesem Haushalt fort:Erstens übernimmt der Bund 2015 100 Prozent derKosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbs-minderung. Dafür waren 2013 3,7 Milliarden Euro an-gesetzt, für 2015 sind es bereits 5,9 Milliarden Euro, undder Ansatz steigt bis zum Jahr 2018 auf immerhin verita-ble 7,2 Milliarden Euro. Das ist eine effektive Entlas-tung der Kommunen in diesem Bereich. Das muss manhier hervorheben.
Zweitens. Auch 2015, 2016 und noch 2017 wird esdiese Milliarde mehr an die Kommunen zur Verbesse-rung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ge-ben. Das ist ein ganz wichtiger Faktor. Ich denke, spätes-tens 2018 wird es weitere Entlastungen durch dasBundesteilhabegesetz geben. Das ist die Zielsetzung der,ich sage mal, christlich-sozialdemokratischen Koalition;früher wurde immer so gern von „christlich-liberal“ ge-sprochen. Wenn die Linken keinen Unterschied zwi-schen einer Koalition mit Liberalen und einer mit Sozial-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4717
Ewald Schurer
(C)
(B)
demokraten sehen, ist es allein das große Problem derLinken. Die Wahrheit ist jedoch eine ganz andere, ver-ehrte Kollegin Kipping.Wir sind also dabei, ein Bundesteilhabegesetz vorzu-bereiten. Das wird eine Herkulesarbeit sein. Die Sozial-gesetzbücher müssen modifiziert werden. Neue Impulsemüssen gesetzt werden. Die große Zielsetzung ist, dassdie Kommunen dann, wenn das Bundesteilhabegesetz inKraft ist, erneut um 5 Milliarden Euro entlastet werden.Auch das ist ein riesiges Projekt, das sich von Projektender Vorgängerregierung gewaltig unterscheidet. Wer dasnicht sieht, ist betriebsblind.
Thema Jugendarbeitslosigkeit. Wir haben einen sehrguten Arbeitsmarkt; das ist klar. 43 Millionen Menschensind beschäftigt, davon rund 30 Millionen sozialversi-cherungspflichtig. Man kann sagen: Wir stehen euro-päisch und weltweit sehr gut da. Das ist richtig. Wir ha-ben einen robusten Arbeitsmarkt. Wir hoffen auch, dassder Arbeitsmarkt trotz der kleinen wirtschaftlichen Ein-trübungen, die wir derzeit erleben – vielleicht stehendiese im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise und miteiner binnenwirtschaftlichen Schwäche des großen undwichtigen Partners Frankreich –, in den nächsten Mona-ten und Jahren robust sein wird. Das ist die Vorausset-zung.Man muss sagen: Es gibt auch Programme, die vongroßer Bedeutung sind. Hier sehen wir einen Übergangvon der bundesdeutschen in die europäische Dimension.Das Sonderprogramm „MobiPro-EU“ ist schon erwähntworden. Ich will noch einmal seine Bedeutung heraus-arbeiten: „MobiPro-EU“ bietet eine Win-win-Situation.Derzeit bekommen dadurch 6 000 junge Menschen eineBerufsausbildung, und 2 500 Fachkräfte werden ausge-bildet und geschult. Das kostet Geld. Wir haben die Aus-gaben im letzten Jahr verdoppelt und setzen im Jahr2015 102 Millionen Euro dafür an. Ich halte das Pro-gramm deswegen für wichtig, weil ich es in der Dualitätmit der Europäischen Union sehe. Wir tun hier etwas fürdie deutsche Wirtschaft, und wir tun etwas für jungeMenschen aus europäischen Nachbarländern.Liebe Ministerin Nahles, werte Kolleginnen und Kol-legen, ich muss an dieser Stelle eines zum Ausdruckbringen: So solidarisch, wie wir uns hier als schwarz-rote Koalition verhalten, so enttäuscht bin ich über dieUmsetzung der Programme zur Bekämpfung der Ju-gendarbeitslosigkeit in den Ländern, die es dringend nö-tig haben.
Ich bin sehr enttäuscht darüber, auch als Europahaushäl-ter, dass seit zwei Jahren 6 Milliarden Euro sozusagendisponiert sind und dass, wie Minister Schäuble bestätigthat, nur wenige Millionen davon umgesetzt werden. Dashalte ich für einen großen europäischen Skandal, derwährend der Ratspräsidentschaft der Italiener dringendangegangen werden muss.
Ich bin mir sicher, dass die Ministerin in Rom eine deut-sche Initiative einbringen wird, um diesen Skandal unddiese Herausforderung schnell anzugehen und Lösungenzu finden. Denn in manchen Ländern in Europa sindMillionen von jungen Menschen ohne Hoffnung, stehentrotz einer guten Berufsausbildung abseits und verlassenihre Länder zum Teil fluchtartig. Das kann so nicht blei-ben.
Das ist die große Herausforderung für die EuropäischeKommission. Der deutsche Beitrag wird in diese Rich-tung gehen.Auch wenn wir diesen guten Arbeitsmarkt loben, binich trotzdem in großer Sorge, dass wir bei der Bekämp-fung der Langzeitarbeitslosigkeit nicht die Erfolge ha-ben, die wir uns alle in der Vergangenheit gewünscht ha-ben. Wir haben über Instrumente debattiert, wir habensie ausprobiert und evaluiert. Wir brauchen dringendAnsätze, um bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslo-sigkeit mehr Erfolge zu erzielen. Ich lobe hier – das darfman; das gehört dazu – das sehr gute Papier der ostdeut-schen SPD-Bundestagsabgeordneten, die hier einenwichtigen Impuls gesetzt haben, und das, was es von denGewerkschaften und den Sozialverbänden dazu gibt.Ganz zum Schluss sage ich: Ich würde mir wünschen– auch wenn der Kollege Fraktionsvorsitzende das vor-hin ein bisschen lustig kommentiert hat –, dass SPD undUnion über den Koalitionsvertrag hinaus auch über Pro-gramme für öffentlich geförderte Jobs reden würden,
und zwar im Benehmen mit Arbeitgebern und Arbeit-nehmern. Eine solche Initiative ist dringend notwendig.Als Haushälter bin ich der Meinung, dass eine solcheInitiative eine Stufe auf dem Weg zum ersten Arbeits-markt sein könnte. Menschen, die arbeitsmarktfern sind,müssen gezielt gefördert werden, vielleicht auch durchöffentliche Impulse. Wenn wir sie richtig setzen, könnenwir von den fast 1,1 Millionen Menschen, die in dieserZone der Hoffnungslosigkeit sind, einige Zehntausend,vielleicht sogar 100 000 Menschen oder mehr, wieder inden ersten Arbeitsmarkt bringen.
Eine solche Zwischenstufe wie öffentlich geförderte Im-pulse am Arbeitsmarkt halte ich für dringend notwendig.Das würde ich mir, wie gesagt, wünschen.Herzlichen Dank.
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der KollegeDr. Wolfgang Strengmann-Kuhn.
Metadaten/Kopzeile:
4718 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
(C)
(B)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Gute Sozialpolitik bemisst sich nicht einfach daran, wieviel Geld ausgegeben wird. In diesem Bundeshaushaltwird in der Tat viel Geld ausgegeben. Aber entscheidendist, was hinten rauskommt.
– „Da hatte Helmut Kohl völlig Recht“, sagt der KollegeBirkwald von den Linken. – Gute Sozialpolitik ist vor al-lem danach zu bewerten, wie wir mit denen umgehen,die am Rand der Gesellschaft stehen oder ausgegrenztwerden.
Diesbezüglich ist die Bundesregierung eine einzigeschwarz-rote Null.Heute ist Tag der Wohnungslosen. Wir haben dieBundesregierung aus diesem Anlass befragt. Das Ergeb-nis war: Erstens. Die Bundesregierung hat keine eigenenZahlen, sondern verweist auf die Zahlen der BAG Woh-nungslosenhilfe, die zwangsläufig a) nicht aktuell genugsind und b) nur grobe Schätzungen sind. Wir brauchenendlich eine offizielle Wohnungslosen- und Obdachlo-senstatistik, um zielgenau helfen zu können.
Zweitens wurde an Ihrer Antwort deutlich: Sie habenüberhaupt kein Interesse am Thema Obdachlosigkeit.Sie haben auch kein Interesse daran, etwas dagegen zuunternehmen. Überhaupt ist Armut für Sie kein Thema.Auch diesmal haben wir nichts zu diesem Thema gehört.Die armen Menschen sind Ihnen schlicht egal.Wir haben eben gehört, Sie seien – angeblich – einechristlich-sozialdemokratische oder christlich-sozialeKoalition. Wenn man sich nicht einmal ein kleines biss-chen um die Bekämpfung der Armut bemüht, ist das we-der sozial noch christlich.
Ein paar Beispiele dazu. Die Bund-Länder-Arbeitsge-meinschaft zur Rechtsvereinfachung der passiven Leis-tungen im SGB II – ein fürchterlicher Name – ist von derKollegin Katja Kipping schon angesprochen worden. Sowie sich der Titel anhört, war auch ihre Arbeit. Es gingum Rechtsvereinfachung und Verwaltungsvereinfa-chung, allerdings nur aus Sicht der Verwaltung bzw. derBehörde und überhaupt nicht aus Sicht der betroffenenMenschen. Das wäre aber das, was unbedingt nötig ist.Wir brauchen tatsächlich Vereinfachungen, wenigerHürden, einfachere Regeln, aber aus Sicht der Betroffe-nen, damit sie leichter an die Leistungen kommen.Wir brauchen auch ein konsistentes, transparentesGrundsicherungssystem. Sechs verschiedene Grundsi-cherungsleistungen sind in vier verschiedenen Gesetzengeregelt. Zählt man das BAföG dazu, haben wir sogarfünf Gesetze und sieben Leistungen. Das alles ist nichtwirklich konsistent. Das führt dazu, dass MenschenLeistungen gar nicht in Anspruch nehmen, teilweise voneinem System in das andere geschoben werden, durchdas Netz fallen. Hier müsste man ansetzen, um tatsäch-lich ein stabiles Grundsicherungsnetz hinzubekommen.
Was wir natürlich auch brauchen, ist ein höherer Re-gelsatz. Es kann nicht sein, dass der Regelsatz immerweiter unter das Niveau der Armutsrisikogrenze sinkt.
Zu diesem Thema gab es in dieser Woche zwei Nach-richten.Erstens gab es ein Urteil des Bundesverfassungsge-richts zum Regelsatz. Wenn man es genau liest, stelltman fest: Es ist eine Ohrfeige für die vorige Bundesre-gierung. Das gilt aber auch im Hinblick auf die Berech-nungen, die zuvor angestellt worden sind. Alle Rechen-tricks, die angewendet worden sind, um den Regelsatzniedrig zu halten, sind in diesem Urteil aufgeführt. DasBundesverfassungsgericht hat gesagt: Der Regelsatz isttrotzdem verfassungsgemäß, aber nur noch so geradeeben. – Es hat die Bundesregierung aufgefordert, nach-zuweisen, dass die einzelnen Bestandteile des Regelsat-zes tatsächlich existenzsichernd sind. Diesen Nachweismüssen Sie jetzt erbringen. Sie müssen belegen, ob seineBestandteile existenzsichernd sind oder nicht, und ent-sprechende Studien in Auftrag geben.
Die zweite Nachricht dieser Woche lautet: Der Regel-satz wird um 8 Euro erhöht – um sage und schreibe8 Euro. Die Bild-Zeitung hat daraus gleich einen Skan-dal gemacht, weil dadurch der Regelsatz stärker steigtals die Rente.Der Peter Weiß, den ich ja sonst sehr schätze, sagtedann:Es war nicht die Politik, sondern das Bundesverfas-sungsgericht, das entschieden hat, die Leistungs-sätze für die Grundsicherung von Arbeitslosen vonder Entwicklung der Renten abzukoppeln.Das sei „bedauerlich“, sagte er weiter.
Dabei geht es, wie gesagt, um 8 Euro. Ich fordere Sieauf: Hören Sie endlich auf mit diesen Neiddebatten, undhören Sie auf mit dem Bashing des Bundesverfassungs-gerichts!
Apropos Bundesverfassungsgericht. Vor über zweiJahren hat das Bundesverfassungsgericht das Asyl-bewerberleistungsgesetz für verfassungswidrig erklärt.Jetzt gibt es nach über zwei Jahren immerhin einen Ge-setzentwurf.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4719
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
(C)
(B)
Das ist ja schon einmal etwas. Aber die eigentlich konse-quente Lösung, nämlich die einfachste und sozialste, dieAbschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes, findetwieder nicht statt. Das Gesetz gehört abgeschafft.
Das wäre auch ein Beitrag zum Abbau von Bürokratieund zur Rechtsvereinfachung, und das würde der Diskri-minierung von Asylbewerbern als Menschen zweiterKlasse ein Ende setzen.
Wer Asyl beantragt hat, sollte auch arbeiten dürfen,und wenn sie oder er keine Arbeit findet oder zu wenigverdient, dann gibt es Hartz IV. Punkt! Es gibt keinenGrund für eine Grundsicherung zweiter Klasse und kei-nen Grund dafür, Asylbewerber anders zu behandeln alsandere Menschen, die hier leben.
Das gilt auch für Unionsbürgerinnen und -bürger, dievor Armut und Diskriminierung fliehen. Wir müssenMenschen, die zu uns kommen, die vor Armut und Dis-kriminierung geflohen sind, helfen und unterstützen,dürfen sie nicht diskriminieren und wieder in Armutstürzen.
Weiter müssen wir an den Ursachen der Armutsfluchtansetzen. Dafür bräuchte es einen stärkeren Einsatzdieser Bundesregierung für Armutsbekämpfung auf eu-ropäischer Ebene. Aber auch an dieser Stelle ist dieseRegierung eine schwarz-rote Null. Auch ein sozialesEuropa, bessere Armutsbekämpfung insgesamt, ist keinThema. Ein „soziales Europa“ werden wir sicherlich ananderer Stelle noch ausführlicher diskutieren.Klar ist: Die Politik der Bundesregierung geht tat-sächlich an den Schwächsten in diesem Land vorbei,und, wie gesagt, das ist eine einzige schwarz-rote Nullan dieser Stelle.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Mark Helfrich, CDU/
CSU.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!Wenn das Land glücklich sein soll, muss es Ord-nung in seinen Finanzen halten. Gute Verwaltungder Einnahmen und gute Regelung der Ausgaben:Das ist die ganze Finanzkunst. Noch nie hat einearme Regierung sich Ansehen verschafft.Dieser finanzpolitische Grundsatz stammt aus der Federdes vielleicht berühmtesten preußischen Königs, Friedrichdes Zweiten, der schon zu Lebzeiten den Beinamen „derGroße“ erhalten hat. Er hat auch heute, knapp 230 Jahrenach Friedrichs Tod, seine Gültigkeit nicht verloren.Ordnung in unsere Finanzen zu bringen, das war undist auch einer der wichtigsten Leitsätze der Regierungunter Angela Merkel. In diesem Jahr würde der AlteFritz wohl seinen Dreispitz vor uns ziehen. Denn dervorliegende Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt2015 ist seit fast einem halben Jahrhundert der erste, derohne neue Schulden auskommt. Diesen haushaltspoliti-schen Erfolg haben wir uns durch einen konsequentenKonsolidierungskurs der unionsgeführten Koalitions-regierung hart erarbeitet. Darauf können wir und dieMenschen in unserem Land zu Recht stolz sein. Das isteine historische Leistung. Mit der Abkehr von derjahrzehntelangen Politik der Schuldenfinanzierung, vomsüßen Gift der immer weiter steigenden Staatsverschul-dung, zeigen wir, dass wir es mit der Verantwortung fürkünftige Generationen ernst meinen – im Sinne vonLudwig Erhard: Wir haben die Pflicht, in Generationenzu denken.
Nun soll es auch genug sein mit historischen Zitaten.Kommen wir in die Gegenwart! Wir haben heute fast43 Millionen erwerbstätige Männer und Frauen, und derJobmotor läuft weiterhin rund. In Deutschland sindknapp über 30 Millionen Menschen sozialversicherungs-pflichtig beschäftigt – so viele wie noch nie zuvor. Dankdes robusten Arbeitsmarktes füllen sich die öffentlichenKassen in Deutschland wie lange nicht mehr. Allein dieSozialversicherungen erwirtschafteten im ersten Halb-jahr dieses Jahres ein Plus von 7,1 Milliarden Euro. Dasalles ist Resultat einer erfolgreichen Wirtschafts-, Fi-nanz- und Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahreund ist – ich kann mich nur wiederholen – Grund, sichzu freuen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere guteWirtschafts- und Haushaltslage darf uns aber nicht denBlick auf die vor uns liegenden Herausforderungen ver-stellen. Noch haben die aktuellen geopolitischen Krisenkeine Spuren in unserem robusten Arbeitsmarkt hinter-lassen; doch niemand von uns kann vorhersagen, wiesehr zum Beispiel der bewaffnete Konflikt in der Ost-ukraine und die darin begründeten Sanktionen gegenRussland das deutsche Wirtschaftswachstum und auchden deutschen Arbeitsmarkt beeinflussen werden. Des-halb warne ich ausdrücklich und eindringlich alle davor,dem Irrglauben anzuhängen, die Wachstumslokomotivesei durch nichts zu stoppen.
Metadaten/Kopzeile:
4720 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Mark Helfrich
(C)
(B)
Wir haben in diesem Hause im ersten Halbjahr 2014eine ambitionierte sozialpolitische Agenda gemeinsamauf den Weg gebracht. Ich persönlich sehe keinen Spiel-raum dafür, auf bestimmte Schultern weitere Gewichtezu packen, sei es im Bereich Antistressgesetz oder sei es,dass wir darüber diskutieren, eine ganze Branche wie dieRüstungsgüterindustrie in ihrer Tätigkeit mehr oderminder zu beschränken. Die Nichtgenehmigung vonRüstungsexporten ist im Einzelfall richtig, wird aber mitSicherheit keine Welt ohne Waffen schaffen. Ich machemir ernsthafte Sorgen, nicht nur um den Arbeitsmarkt– das ist natürlich auch ein Thema, das dann im zweitenSchritt folgt an der Stelle –, sondern auch darum, dasswir in Deutschland damit in einem Bereich, der – dashaben uns die aktuellen Entwicklungen gezeigt – anBedeutung gewonnen hat, wichtiges Know-how verlie-ren würden. Ich halte das auch im Hinblick auf die Men-schen, die dort arbeiten, nicht für akzeptabel, auch wennwir durch gute Sozialversicherungssysteme Menschengegen Risiken wie zum Beispiel die Arbeitslosigkeit ab-sichern.Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit undSoziales würde wie kein anderer von einer sich abküh-lenden Konjunktur beeinflusst. Der Einzelplan 11 desvorliegenden Regierungsentwurfes ist mit einem Volu-men von knapp 125 Milliarden Euro – wie sollte esanders sein? – wiederum der größte Einzeletat im Bun-deshaushalt. Das sind noch einmal 3 Milliarden Euromehr als im letzten Jahr. Auch das zeigt, dass hier nichtetwa gekürzt wird oder in irgendeiner Weise Dinge vonder Gewichtung her verschoben werden, sondern dasswir die Verantwortung für unseren Sozialstaat in einerKontinuität wahrnehmen und leisten wollen.Wir machen Politik für eine hohe Beschäftigungs-quote. Ich sagte das bereits: Die Arbeitslosenquote istmittlerweile auf einem Rekordtief, bei 6,7 Prozent. Essind unter 3 Millionen Menschen arbeitslos, und ichwage die Prognose, dass wir irgendwann an den Punktkommen, wo wir uns mehr darüber unterhalten, wieviele offene Stellen wir in Deutschland haben, alsdarüber, wie viele Menschen noch arbeitslos sind. Dasist aber auch keine Situation, die uns dann besondersglücklich machen kann, weil es eben zeigt, dass wir imBereich der Fachkräfte einen Mangel haben.Wir senken die Mittel für die Betreuung und Vermitt-lung von arbeitsuchenden Menschen nicht, auch nichtbei sinkender Arbeitslosenzahl. Wir wollen, dass Men-schen, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind bzw. betrof-fen sind, durch ausreichend Personal betreut und ent-sprechend vermittelt werden und eine Zukunft in einemErwerbsleben für sich und ihre Familien haben; das istklar.Ich möchte in diesem Zusammenhang auf ein neuesProgramm hinweisen – es ist schon angesprochen wor-den –, das ESF-Bundesprogramm für arbeitsmarktfernelangzeitarbeitslose Leistungsberechtigte – ein furchtbarlanger Name –, das aber 30 000 Leistungsbeziehern imSGB II neue Perspektiven bringen soll.Insgesamt sind im Regierungsentwurf 467 MillionenEuro für zwei Sonderprogramme des Bundes vorgese-hen, zum einen für das ESF-Bundesprogramm, das ichgerade angesprochen habe, und zum anderen für dasBundesprogramm „Perspektive 50plus – Beschäfti-gungspakte für Ältere in den Regionen“. Auch das istganz wichtig vor dem Hintergrund einer Gesellschaft,die immer älter wird und in der zukünftig Fachkräftefehlen werden.Es ist auch ganz wichtig, im Bereich der Grundsiche-rung für Arbeitsuchende nachhaltige Vermittlungs-erfolge zu erzielen, weil diese sich dann natürlich auchim Haushalt wiederfinden: Diese Menschen beziehenkeine Leistungen mehr, sondern erbringen Beiträge fürunsere Sozialkassen. All das ist dann im doppelten Sinneeine Gewinnersituation: sowohl für die Menschen alsauch für unser Gemeinwesen, für unseren Haushalt.
Zu den eingangs von mir erwähnten politischenHerausforderungen, denen wir uns stellen müssen, zäh-len ohne Frage auch der demografische Wandel und derdamit einhergehende Fachkräftemangel. Der DeutscheIndustrie- und Handelskammertag rechnet damit, dass inDeutschland bis 2020 rund 1,4 Millionen Facharbeiter intechnischen und naturwissenschaftlichen Berufen fehlenwerden.Vor diesem Hintergrund bietet der auf Drängen mei-ner Fraktion in das Rentenpaket aufgenommene Einstiegin die Flexi-Rente mittel- und langfristig die Chance,den wachsenden Fachkräftemangel zu lindern. Ziel ist esnicht – das sage ich mit Nachdruck –, die Menschen sofrüh wie möglich in den Ruhestand zu schicken, sondernist es, denjenigen, die Freude an der Arbeit haben, zu er-möglichen, dass sie dieser Arbeit möglichst lange nach-kommen können.
Eine weitere Verkleinerung der Arbeitskräftebasis istkeine bzw. eine falsche Antwort auf den zunehmendenFachkräftemangel. Allein im vergangenen Jahr konntenin Handwerk, Handel und Industrie 100 000 Lehrstellen– das ist die Dimension einer Großstadt – nicht besetztwerden. Das ist ein Vorgeschmack auf das, was auf unsund unser Land zukommt.Ein weiterer Grund hierfür – neben der Demografie –ist, dass in Deutschland ein gewisser Akademisierungs-wahn herrscht. Immer mehr junge Menschen drängen indie Hochschulen. Wir haben das duale Ausbildungssys-tem in Sonntagsreden zwar immer wieder gelobt, defacto erfährt es aber nicht die Wertschätzung, die es ver-dient. Deshalb müssen wir die Attraktivität unserer dua-len Ausbildung steigern und ihre Vorzüge auch konkretdenjenigen vermitteln, die sich in der Situation befinden,entscheiden zu müssen, ob sie ein Studium aufnehmen,das sie im Zweifelsfall beruflich auf den Irrweg führt,oder eine solide Ausbildung anstreben.Im Gegensatz zum innerdeutschen Trend ist dieNachfrage junger Menschen aus dem EU-Ausland nachAusbildungsplätzen in Deutschland ungebrochen. DasThema MobiPro-EU ist angesprochen worden. Wir sto-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4721
Mark Helfrich
(C)
(B)
cken die Mittel gegenüber 2014 nochmals auf. Trotzdemgibt es hier einen Wermutstropfen, nämlich den, dass diejungen Fachkräfte zukünftig nicht mehr in das Pro-gramm aufgenommen werden, sondern ausschließlichdiejenigen, die noch keine Ausbildung haben. Das ist si-cherlich auch richtig so. Trotzdem ist das vor dem Hin-tergrund des Fachkräftemangels bedauerlich.All das, was ich erwähnt habe, zeigt: Wir setzen aufVollbeschäftigung, auf gute Arbeit und auf stabile so-ziale Sicherungssysteme in unserem Land. Um das zuerreichen, werden wir auch weiterhin die Einnahmen gutverwalten und die Ausgaben gut regeln; denn das ist dieganze Finanzkunst.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die Linke spricht jetzt die Kollegin Sabine
Zimmermann.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Eine erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik eröffnetMenschen Perspektiven und Chancen für ihr weiteresLeben, und zwar den Menschen, denen man oft durchlange Arbeitslosigkeit die Hoffnung genommen hat, dieverzweifelt sind und die von der Politik überhaupt nichtsmehr erwarten.Frau Ministerin Nahles – hier muss ich Sie ganz per-sönlich ansprechen –, genau die mit den wenigstenChancen haben Sie aus den Augen verloren. Sie wollennicht wahrhaben, dass ein neuer Job für viele unerreich-bar ist. Vor dieser Realität verschließen Sie die Augen,
weil diese hässlichen Bilder einfach nicht zu Ihrer Er-folgsbilanz passen.
– Natürlich, Sie lobhudeln hier – und wie! –, Sie verges-sen hier die 1,1 Millionen langzeitarbeitslosen Men-schen, Sie vergessen diejenigen, die in Armut leben.
Davon wird bei Ihnen überhaupt nicht gesprochen. Dassind die eigentlichen Probleme in diesem Land.
Die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderun-gen, Alleinerziehenden, Älteren und Menschen mit Mi-grationshintergrund ist in den letzten Jahren deutlich an-gestiegen, und das können Sie auch nicht verschweigen.Es ist so!
Ich frage Sie, Frau Nahles: Was haben Sie diesen Men-schen zu sagen? Findet euch damit ab, dass ihr in dieserGesellschaft nicht gebraucht werdet! Oder: Tut uns leid,aber es gibt ja noch Hartz IV in diesem Land. – Dass Siesich darum bemühen, diesen Menschen Perspektiven zueröffnen,
kann ich in diesem Haushalt überhaupt nicht erkennen.Im Gegenteil: Die Kürzungen für aktive Arbeitsmarkt-politik in den letzten Jahren sprechen eine deutlicheSprache.Frau Ministerin Nahles, ich kann einfach nicht erken-nen, dass Sie uns heute eine Strategie vorstellen wollten.
– Lassen Sie mich doch einmal ausreden, und hören Siezu. Dann werden Sie vielleicht auch verstehen, was wirmeinen. – Die Leistungen zur Eingliederung in Arbeitlagen im Jahr 2010 bei 6,6 Milliarden Euro, im nächstenJahr sollen es nur noch 3,9 Milliarden Euro sein, einRückgang um über 40 Prozent. Das ist Ihre verantwor-tungslose Politik in diesem Land für Menschen ohne Ar-beit.
Kommen Sie mir nicht wieder mit Ihren billigen Aus-reden, die Arbeitslosigkeit sei schließlich gesunken. Sieist seit dem Jahre 2010 um lediglich 9 Prozent zurück-gegangen. Angesichts des Rückgangs der Mittel um40 Prozent passt das einfach nicht zusammen.
Die Hälfte der Erwerbslosen im Bereich des SGB IIverfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung.Das Risiko, arbeitslos zu sein, ist für Menschen ohne Be-rufsabschluss dreimal so hoch wie für Menschen mit ei-nem Berufsabschluss. Qualifizierung ist das A und O ei-ner erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik. Aber diese gibt eseben nicht zum Nulltarif.Statt erwerbslose Menschen zu verwalten, sollten wirdafür sorgen, dass sie wieder Vertrauen in ihre Fähigkei-ten gewinnen. Das würde ihnen auch neue Motivationgeben. Erwerbslose brauchen keine Alibiqualifizierun-gen. Sie brauchen einen individuellen Rechtsanspruchauf Weiterbildung. Das fordert die Linke.
Metadaten/Kopzeile:
4722 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Sabine Zimmermann
(C)
(B)
Die meisten Erwerbslosen wollen arbeiten und wün-schen sich nichts sehnlicher, als gebraucht zu werden. Inihrer Not greifen sie zu jedem Strohhalm. Nehmen wirzum Beispiel die Bürgerarbeiter. Diese Menschen über-nehmen gesellschaftlich wichtige Aufgaben: Sie arbeitenals Busbegleiter, in Sozialkaufhäusern oder in einerKreativwerkstatt mit Kindern und Jugendlichen. In die-sen Maßnahmen werden sie schlecht bezahlt, erhaltenfaktisch keine Aussicht auf eine reguläre Beschäftigungund kämpfen dennoch für ihr Programm. Warum? Weilihnen diese Arbeit Anerkennung gibt, weil sie so einStück ihrer Würde wiederfinden.Wir als Linke fordern seit Jahren einen öffentlichenBeschäftigungssektor mit einer ordentlichen tariflichenEntlohnung.
Durch diesen ÖBS würden einerseits zusätzliche Ar-beitsplätze entstehen, die Erwerbslosen eine Perspektivebieten, andererseits könnten im Rahmen des ÖBS gesell-schaftlich wichtige Aufgaben erledigt werden.Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herrender Regierung, beenden Sie diese arbeitsmarktpolitischeGeisterfahrt, und tun Sie endlich etwas für die vielenvom Arbeitsmarkt abgehängten Menschen. Es darf nichtsein, dass in diesem Land Millionen von Erwerbsloseneinfach abgeschrieben werden.Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Ralf Kapschack für
die Sozialdemokraten.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Zuhörer auf der Tribüne! Ich finde es schade,wenn Haushaltsberatungen zu Ritualen verkommen,wenn man überhaupt nicht mehr auf das eingeht, was an-dere gesagt haben.Wir wollen uns nicht katholisch machen; das ist klar.
– Gut, das ist ein anderes Thema. – Wir haben unter-schiedliche Positionen. Aber ich finde, man sollte schonbereit sein, auf die Argumente einzugehen, zumindestdie Informationen der anderen aufzunehmen.
Zum Thema Langzeitarbeitslosigkeit ist aus unsererSicht alles gesagt, was dazu zu sagen ist. Aber ichmöchte gerne einen Punkt ansprechen, damit sich nichtsFalsches festsetzt. Es geht um das Asylbewerberleis-tungsgesetz. Man kann immer sagen: Das ist nicht ge-nug. – Da bin ich gar nicht weit weg von Ihnen. Aber wirsetzen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts eins zueins um,
und das kostet den Bund allein in diesem Jahr 30 Millio-nen Euro. Punkt!
Jetzt möchte ich gerne zu etwas anderem kommen. ImBereich Arbeit und Soziales ist seit der Bundestagswahleiniges passiert. Die Kolleginnen und Kollegen von derOpposition werden sicherlich sagen: Das ist nicht genug.Das ist das Falsche. – Aus unserer Sicht aber haben wirgenau das Richtige gemacht.
Denn wir haben gesagt, was wir tun, und wir haben ge-tan, was wir versprochen haben.
Der flächendeckende Mindestlohn kommt, und auchdas erste Rentenpaket ist verabschiedet. Aber vor allemin der Debatte über die abschlagsfreie Rente mit 63 istklar geworden, wie viel Arbeit noch vor uns liegt. Ichmuss Ihnen ehrlich sagen: Ich habe mich ziemlich da-rüber geärgert, wie die eine oder andere Diskussion ge-laufen ist; denn einige haben versucht, den Eindruck zuerwecken, als sei das eigentliche Problem, dass Men-schen nicht länger arbeiten können als bis 65. Das ist na-türlich dummes Zeug. Jeder, der kann, und jeder, derwill, darf auch heute schon über das gesetzliche Ren-tenalter hinaus arbeiten.
Das ist gar nicht das Problem. Das eigentliche Pro-blem liegt ganz woanders. Das eigentliche Problem liegtdarin, dass zu viele Männer und Frauen in diesem Landaus gesundheitlichen Gründen nicht bis zum gesetzli-chen Renteneintrittsalter arbeiten können.
Wir brauchen eine Erhöhung der Erwerbsquote ältererArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und wir brauchenmehr Flexibilität beim Übergang vom Beruf in dieRente. Das ist überhaupt kein neues Thema. Die SPD hatbereits vor sieben Jahren ein Konzept vorgelegt, in demes heißt – ich zitiere den Kernsatz –:Die Erhöhung der Beschäftigungsquote Älterer unddie Ermöglichung flexibler Rentenzugänge sind …kein Widerspruch, sondern bedingen einander …
Das durchschnittliche Renteneintrittsalter liegt bei 61,also weit weg von 65 und noch weiter weg von 67. Un-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4723
Ralf Kapschack
(C)
(B)
ser Ziel muss es sein, dass möglichst viele Menschen ge-sund bis zur Regelaltersgrenze arbeiten und, wenn siewollen, auch gerne darüber hinaus.
Das heißt, wir müssen flexible Übergänge vom Berufin die Rente schaffen und absichern, Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmern ein langes Erwerbsleben bei guterGesundheit ermöglichen, und wir müssen bedarfsorien-tierte Lösungen für gesundheitlich eingeschränkte Be-schäftigte finden. Deshalb finde ich auch die Idee, dasssich der Gesetzgeber des Themas „Stress in der Arbeits-welt“ annimmt, absolut richtig. Sie trifft den Nerv, weildie Themen Arbeit und Gesundheit endlich stärker mit-einander gekoppelt werden.Den Reflex aus Teilen der Wirtschaft, die allein schondie Diskussion darüber schädlich finden, kann ich über-haupt nicht verstehen. Andrea Nahles hat es angespro-chen: Arbeitgeber zahlen auch für die Arbeitsausfälle,für die vielen Millionen Fehltage wegen Arbeitsunfähig-keit. Also, es ist höchste Zeit, hier etwas zu tun.
Es geht um Gesundheit, aber es geht auch um die Fle-xibilisierung, die es ermöglicht, in bestimmten Lebens-phasen kürzer zu treten, ohne große finanzielle Einbußenbei der Rente zu haben. Natürlich sind auch die Arbeit-geber gefragt. Genauso wie man Ausbildungsplätzenicht abbauen und dann den Fachkräftemangel beklagenkann, kann man auch nicht tatenlos zusehen, wie qualifi-zierte ältere Männer und Frauen aus gesundheitlichenGründen früher als nötig in Rente gehen.
Es ist gut – das wurde schon angesprochen –, dass wiruns in der Koalition einig sind und dieses Thema in einergemeinsamen Arbeitsgruppe angehen. Wir werden dortganz konkrete Vorschläge entwickeln, wie der Übergangvom Beruf in die Rente flexibler und damit auch gerech-ter gestaltet werden kann, gerechter, weil auf die Bedürf-nisse der Männer und Frauen stärker Rücksicht genom-men wird und nicht mehr alle über einen Kammgeschoren werden.Da geht es zum Beispiel – das ist schon angesprochenworden – um eine attraktivere Teilrente, zum Beispielum die Frage, wie man erwerbsgeminderten Männernund Frauen hilft –
– vielleicht kommen wir darauf zurück –, die zu gesundsind für die Erwerbsminderungsrente, aber zu krank, umes bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter zu schaffen.Was hat das Ganze mit dem Haushalt zu tun? Erst ein-mal ist der Haushalt die materielle Grundlage des politi-schen Handelns. Insofern hat alles miteinander zu tun.Aber auch aus rein ökonomischen Gründen ist es sinn-voll, dass wir daran arbeiten, dass ältere Arbeitnehmerso lange wie möglich und so lange, wie sie wollen, er-werbstätig sind. Ältere Beschäftigte, die ein Erwerbsein-kommen erzielen, zahlen Sozialversicherungsbeiträgeund Steuern. Ihre Rente im Alter steigt, das Armutsrisikosinkt und die Fachkräftebasis im Betrieb wird gesichert.
Außerdem müssen wir weg von einer ständig reparieren-den Politik hin zu präventiven Ansätzen; auch die rech-nen sich auf die Dauer.
Ein Satz zum Schluss; ich bin schon etwas über dieZeit. Ich sage Ihnen ganz offen: Wer jetzt über die Rentemit 70 schwadroniert, der hat entweder nichts verstan-den oder er setzt bewusst auf eine massive Kürzung derRente, der Altersversorgung von vielen Millionen Män-nern und Frauen. Mit uns nicht!Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Abschließende Rednerin ist die Kollegin Gabriele
Schmidt für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Gäste im Bundestag! LiebeKolleginnen und Kollegen! Mein Vater war ein einfacherArbeiter. Er hat immer gesagt: Zum Schuldenmachenhabe ich kein Geld. – Als Kind habe ich das nicht ver-standen, aber heute, als Mutter, Kauffrau und Politikerin,verstehe ich ihn sehr gut. Mein Vater würde sich heutefreuen, wie auch ich mich freue, dass wir zum ersten Malseit 1969 einen Haushalt vorlegen, in dem auf neueSchulden verzichtet wird, und das ohne Steuererhöhun-gen, so wie wir das versprochen haben.
Diese Leistung verdient Anerkennung und ist das Er-gebnis einer klugen und soliden Haushaltspolitik. Bun-desfinanzminister Wolfgang Schäuble, ein Badener wieich, beendet mit dem vorliegenden Haushaltsplan dasAnwachsen des leider schon hohen Schuldenberges.Deutschland schafft es damit erneut, seiner Rolle alsVorreiter und Vorbild in der Europäischen Union und inder ganzen Welt gerecht zu werden. Die richtigen Wei-chen sind gestellt. Jetzt wird der Kurs der Haushaltskon-solidierung weiter fortgeführt. Mit dem vorliegendenHaushaltsplan schaffen wir eine solide Grundlage undleisten eine wichtige Investition in unsere Zukunft und indie Zukunft der künftigen Generationen.Der Sozialstaat steht vor großen Aufgaben. Demogra-fischer Wandel und die strukturelle Arbeitslosigkeit ge-hören derzeit zu den größten sozialpolitischen Heraus-forderungen. Damit der Sozialstaat auch weiterhinGarant für die Sicherheit jedes Einzelnen und den sozia-len Frieden in Deutschland bleibt, müssen wir richtige
Metadaten/Kopzeile:
4724 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Gabriele Schmidt
(C)
(B)
Antworten auf die richtigen Fragen geben. Das Bundes-arbeitsministerium betreibt gezielt Arbeitsmarkt- undSozialpolitik, damit unser Sozialstaat leistungsfähig undverlässlich bleibt.Auch im Haushaltsjahr 2015 ist der Etat für Arbeitund Soziales gewachsen und damit die Verantwortung,das Geld da einzusetzen, wo es zielführend und richtigist. Knapp 125 Milliarden Euro liegen dem Einzel-plan 11, Arbeit und Soziales, zugrunde. Diese beeindru-ckende Zahl ist nun schon öfter erwähnt worden, aberganz ohne Zahlen kann man eine Haushaltsdebatte nichtführen.
Fast 32 Milliarden Euro daraus stellt der Bund für Ar-beitsförderung, für arbeitsmarktpolitische Leistungenund Programme zur Verfügung. Wir wollen, dass mög-lichst viele Menschen einer Erwerbstätigkeit nachgehenkönnen, und das in einer Arbeitswelt, in der faire Bedin-gungen gelten.
Die Eingliederung in Arbeit kann nicht allein durchdie bekannten Instrumente zur Eingliederung, die denJobcentern grundsätzlich zur Verfügung stehen, erfol-gen. Wir brauchen vielmehr Modelle und Sonderpro-gramme, die sich zum Teil bereits bewährt haben. DasModellprojekt „Bürgerarbeit“ zum Beispiel dient der In-tegration arbeitsloser erwerbsfähiger Leistungsberech-tigter mit multiplen Vermittlungshemmnissen. Diesesläuft jedoch Ende Dezember 2014 aus. Für die Ausfinan-zierung stellt der Bund nochmals 8 Millionen Euro imJahr 2015 zur Verfügung. Der Geschäftsführer des Dia-konischen Werkes Hochrhein mit fünf Bürgerarbeitsplät-zen und einige Bürgermeister in meinem Wahlkreis ha-ben mir in persönlichen Gesprächen versichert, wiewichtig das Projekt ist: Die Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter hätten sich in den letzten drei Jahren hervorragendentwickelt. Das Ziel, eine feste Anstellung auf dem ers-ten Arbeitsmarkt zu bekommen, wurde zwar nicht im-mer erreicht, aber trotzdem halte ich das Projekt für ei-nen vollen Erfolg; denn wir Sozialpolitiker sollten dochstets die Menschen in den Mittelpunkt stellen.Mit dem Projekt „Bürgerarbeit“ wurden Menschen,die weit vom Arbeitsmarkt entfernt waren, ein gutesStück weit in das Arbeitsleben integriert. Ich war imSommer in einem Ferienlager der Diakonie. Es handeltesich dabei um ein Abenteuercamp für Kinder. Da warenBürgerarbeiter als Chauffeur, Spaghettikoch bis hin zumFußballschiedsrichter eingesetzt. Diese Menschen habenWertschätzung und Anerkennung erfahren und sind inden Betrieben mittlerweile eine kaum zu ersetzende Ar-beitskraft und ein fester Bestandteil der Gemeinschaft.Mit meinen Erfahrungen aus der Praxis möchte ichhier bewusst zur positiven Evaluierung beitragen. FrauMinisterin, die Erwartungen an das neue Bundespro-gramm zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit – ichspreche hier nicht nur für meinen eigenen Wahlkreis –sind hoch. Ich freue mich, dass für diese Menschen Per-spektiven geschaffen werden.
Frau Kollegin Schmidt, gestatten Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Pothmer?
Ja, selbstverständlich. Gerne.
Frau Schmidt, ich sehe, Sie haben in sich reinge-
horcht und überlegt, ob Sie meine Frage wirklich zulas-
sen wollen. Ich freue mich, dass das Ergebnis positiv für
mich ausgefallen ist.
Das haben Sie richtig erkannt.
Frau Schmidt, ich habe Ihnen sehr aufmerksam zuge-
hört. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Sie be-
schrieben haben, wie positiv das Projekt „Bürgerarbeit“
letztlich bei den Arbeitslosen gewirkt hat und welche
Fortschritte die Menschen gemacht haben. Würden Sie
anhand der Erfahrungen, die Ihnen geschildert wurden
und die Sie zum Teil selbst machen konnten, die Konse-
quenz ziehen, dass solche Arbeitsplätze dauerhaft einge-
richtet werden müssen, damit es für diese Menschen
weitergehen kann? Sind Sie nicht wie ich auch der Auf-
fassung, dass es ein Fehler ist, von dem Projekt „Bürger-
arbeit“ zu einem völlig anderen Projekt für zum Teil völ-
lig andere Menschen rüberzuhoppen?
Sollten wir gerade vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrung
dieses Programmhopping nicht endlich beenden und ei-
nen langfristig angelegten sozialen Arbeitsmarkt schaf-
fen?
Ich würde das nicht „Programmhopping“ nennen.Später in meiner Rede werde ich übrigens auf genau IhreFrage zu sprechen kommen.
– Ich bin die letzte Rednerin in dieser Debatte und werdesie mitnichten weiter ausdehnen.
Sie haben aber natürlich recht: Es gibt Menschen, dieauch mit guten Programmen nicht zu erreichen sind. De-nen müssen wir weiterhin zur Seite stehen. Warum solldies nicht im Rahmen eines neuen Programmes gesche-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4725
Gabriele Schmidt
(C)
(B)
hen? Ich habe Frau Nahles eben unmissverständlich auf-gefordert, ein gutes Programm zu liefern. Sie ist dabei.Wir haben diesbezüglich bereits nachgeforscht.
Die Bürgerarbeiter, die aus dem Programm, welchesjetzt ausläuft, übrig bleiben – im zahlenmäßigen, nichtim inhaltlichen Sinne –,
können an einem anderen Programm teilnehmen. Das istkein Hopping. „Bürgerarbeit“ war von Anfang an alsModellprojekt ausgelegt, und es ist ausgelaufen. Es musseinen zweiten Arbeitsmarkt geben; das haben wir nie be-stritten.
Man kann Modellprojekte aber nicht ewig ausdehnen.Ich hoffe, Sie lassen mich nun weitersprechen.
Ich freue mich, dass für Langzeitarbeitslose, die nichtso schnell auf dem ersten Arbeitsmarkt untergebrachtwerden können, ein neues Programm geschaffen wird,damit sie neue Perspektiven bekommen. Immerhin120 Millionen Euro werden dafür im Haushaltsjahr 2015bereitgestellt; darauf haben verschiedene Vorredner wieHerr Helfrich und Frau Weiss bereits hingewiesen. Ausmeiner Sicht ist das Programm ein wichtiger und not-wendiger Schritt.Viele ehemalige Bürgerarbeiter – jetzt komme ich da-rauf zu sprechen, Frau Pothmer – können von diesemneuen Programm profitieren, wenn sie in einem sozial-versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ihreArbeitsfähigkeit weiter verbessern.
Den Arbeitgebern wird die anfängliche Minderleistungdurch degressive Lohnkostenzuschüsse ausgeglichen. Eskönnte eine Win-win-Situation entstehen. Wir dürfen– da bin ich mir mit allen Fraktionen einig – die Men-schen, die von SGB-II-Leistungen leben, nicht aufgeben,sondern wir müssen möglichst viel dafür tun, sie in denallgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren.
Deshalb ist es richtig, dass wir für alle Leistungen zurEingliederung in Arbeit fast 8 Milliarden Euro zur Ver-fügung stellen – einschließlich der Sonderprogrammedes Bundes, wozu auch die schon erwähnten Programme„Perspektive 50plus“ und „MobiPro“ und die Verwal-tungskosten für die Durchführung der Grundsicherungfür Arbeitsuchende gehören.Auch in diesem Haushalt umfassen die Leistungen andie Rentenversicherung den weitaus größten Teil. Daswurde schon erwähnt, aber so richtige und wichtigeDinge darf man auch einmal wiederholen. Die Zu-schüsse des Bundes an die allgemeine Rentenversiche-rung sowie die Beitragszahlungen für Kindererziehungs-zeiten an die allgemeine Rentenversicherung sind mitsagenhaften 75 Milliarden Euro die größten Ausgaben-posten. Über die Mütterrente ist hier schon ausgiebig ge-redet worden. Ich halte sie nach wie vor für eine enormwichtige Leistung, für die wir natürlich auch Geld in dieHand nehmen müssen.
Durch die Beteiligung des Bundes an den Kosten derGrundsicherung im Alter und bei der Erwerbsminderungmit 5,9 Milliarden Euro entlasten wir auch wie verspro-chen die Kommunen. Die für die Ausführung der Grund-sicherung im Alter und bei der Erwerbsminderung zu-ständigen Träger werden in diesem Jahr zu 100 Prozent,im Jahr 2015 noch zu 75 Prozent entlastet. Darüber hi-naus leistet der Bund Zuschüsse in Höhe von 1,2 Milliar-den Euro zu den Beiträgen zur Rentenversicherung derin Werkstätten und Integrationsprojekten beschäftigtenMenschen mit Behinderung.Damit komme ich zu einem weiteren Kapitel, das mirpersönlich sehr am Herzen liegt: die Förderung der In-klusion von Menschen mit Behinderungen. Allein rund7 Millionen Menschen in Deutschland leben mit einerSchwerbehinderung. Die Zahl der über 18-Jährigen miteiner gesundheitlichen Beeinträchtigung oder einer chro-nischen Erkrankung beläuft sich sogar auf 17 Millionen,und diese Zahl steigt leider weiter an. Deswegen ist esrichtig und wichtig, dass das Geld in die Stärkung derGleichbehandlung und in die Förderung von Chancen-gleichheit und Inklusion fließt; denn die Umsetzung die-ser Ziele ist Voraussetzung für ein selbstbestimmtes undzufriedenes Leben behinderter Menschen. Menschen mitBehinderungen sollten ein möglichst selbstbestimmtesLeben führen können und am gesellschaftlichen, kultu-rellen und öffentlichen Leben teilhaben können. Auchdas kostet uns Geld. Außerdem sind wir ja gehalten, mitdem Nationalen Aktionsplan weiter die Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen.Ich habe schon gesagt, dass ich die Ehre habe, dieseDebatte zu beschließen. Da ich keine Redezeit mehrhabe, komme ich zum Schluss. Liebe Kolleginnen undKollegen, ich fasse zusammen: Der Bundeshaushalt2015 steht auf soliden Füßen. Mit diesem Haushalt sor-gen wir dafür, dass auch Deutschland weiterhin auf soli-den Füßen steht.Vielen Dank.
Mit diesem zeitlich präzisen Abschluss der KolleginSchmidt schließe ich die Aussprache zu diesem Einzel-plan, weil mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen.
Metadaten/Kopzeile:
4726 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Vizepräsident Johannes Singhammer
(C)
(B)
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Ernährung und Landwirtschaft,Einzelplan 10. Bevor wir mit der Aussprache beginnen,möchte ich die Kolleginnen und Kollegen bitten, dieSitzplätze zu wechseln oder neu einzunehmen und sichinnerlich auf die neue Aussprache vorzubereiten.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort zu Beginn hatfür die Bundesregierung der Bundesminister ChristianSchmidt.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor-neweg: Vielen Dank an diejenigen in der Bundesregie-rung, die den Haushaltsentwurf – bereits den zweiten indiesem Jahr – vorgelegt haben. Vorwegnehmen möchteich auch einen Dank an diejenigen, die im DeutschenBundestag diesen Haushaltsentwurf beraten und be-schließen und nach dem Struck’schen Gesetz – das weißich – möglicherweise da und dort auch ein klein wenigverändern werden.
Wir stehen in dieser Legislaturperiode vor großen He-rausforderungen, über die wir schon gesprochen habenund die Sie kennen. Vor dem Hintergrund dieser Heraus-forderungen habe ich auch in meinem Ressort Akzentezu setzen, die sich in einer Umorganisation meines Hau-ses abbilden. Darüber habe ich nach einer gewissen Zeitder Betrachtung entschieden.Wir werden in unserem Haus nach wie vor Schwer-punkte im ländlichen Raum, in der Lebensmittelsicher-heit und in der Vermarktung setzen. Wir werden insbe-sondere die Bereiche Wald und Forstwirtschaft stärkermit hinzunehmen; diese Bereiche rangierten in meinerWahrnehmung auch bei den Haushaltsberichterstattun-gen, lieber Kollege Caesar, nicht ganz hinten. Ich be-danke mich auch für die Hinweise dazu, was wir tunsollten, Kollege Freese.Ich habe umorganisiert, um die Initiativen für denländlichen Raum, zu denen ich noch komme, koordinie-ren zu können.Ich habe umorganisiert, damit wir die Fragen undProbleme im Veterinärwesen schneller klären bzw. lösenkönnen. Ich darf mich bei dieser Gelegenheit für die Un-terstützung des Bundestages hinsichtlich des Stellen-plans im letzten Jahr bedanken. Ich kann melden: Wirsind bei der Umsetzung überwiegend sehr weit vorange-kommen. Von den sechs Veterinärstellen sind schon dreioder vier vollständig besetzt, und wir sind dabei, die an-deren zu besetzen. So kann der eine oder andere Fla-schenhals in diesem Bereich überwunden werden. Dasgilt auch für die nachgeordneten Behörden.Ich habe umorganisiert, damit wir dem wirtschaftli-chen Gewicht der Ernährungsindustrie in unserem Hausestärker Rechnung tragen können. Ich habe eine Stabs-stelle „Export“ gegründet, die die Koordination und dieAufgabenverteilung besser wahrnimmt. Die Arbeit die-ser Stabsstelle ist leider im Augenblick von der Arbeiteiner anderen Stabsstelle betroffen, nämlich der Stabs-stelle „Export Russische Föderation“.Die aktuellen Ereignisse bewegen mein Haus und dieBranchen in unserem Bereich ebenso wie viele Men-schen im Land. Mit großer Sorge sehen viele die Ent-wicklungen der Konflikte mit Russland. Mir hat geradejemand, der aus den baltischen Staaten zurückgekom-men ist, über Gespräche mit seinen Wirtschaftskollegendort berichtet. Er ist selbst aus dem Wirtschaftsbereich.Er war erstaunt, dass zur Frage der Sanktionen nicht einWort gefallen ist, sondern vor allem die Sorge darübergeäußert wurde, wohin die politische Entwicklung dieeigentlich fest geglaubte Stabilität 25 Jahre nach demFall der Mauer bringen wird.Ich glaube, das ist nicht nur nachvollziehbar, sondernfür uns auch ein Hinweis darauf, dass es hierbei nichtnur um schiere Umsatzzahlen geht. Ich sage das auch zueinem Zeitpunkt, zu dem die Sanktionen in der drittenStufe von der Europäischen Union verhängt worden sindmit der klaren Ansage, dass man noch einmal darüber re-den wird und muss, wenn der Zwölf-Punkte-Plan derZusammenarbeit zwischen der Ukraine und Russland– ich bin sehr vorsichtig – realisiert worden ist.Ich habe auch die Hoffnung, dass wir mit erheblichenBeiträgen von allen Seiten doch über diese schwierigeSituation hinwegkommen. Wir haben ausgezeichneteProdukte, die auch in Russland geschätzt werden, dieaber jetzt nicht mehr in den Supermärkten dort zu findensind. Die ersten Betroffenen sind die russischen Verbrau-cher, die höhere Preise für Lebensmittel bezahlen müs-sen.Ich will über die Frage des Verstoßes gegen WTO-Re-geln im Detail gar nicht sprechen, aber das rundet dasBild von den Schwierigkeiten, die wir haben, ab.Ich bin dafür, dass wir den Kontakt mit Russland auf-rechterhalten. Auf Arbeitsebene wird das auch stattfin-den. Ich hoffe, dass ich die Reise, die ich in Kürze in dieUkraine und in das kleine Land Moldawien bzw. Moldaumache, mit Kontakten in die Russische Föderation ver-binden kann. Das wird allerdings nur dann der Fall sein,wenn die zugrundeliegenden politischen Fragen zufrie-denstellend gelöst sind.
Meine Damen, meine Herren, ich habe über Europagesprochen. Wie Sie wissen, haben wir in der Europäi-schen Union auch Unterstützungen für Sektoren imMarkt mitbeschlossen. Ich muss heute zuallererst DacianCiolos danken, der nicht mehr antritt. Die rumänischeRegierung hat jetzt eine Kollegin in die Kommissionentsandt. Ich habe ihm in verbindlicher Form gedankt.Bei aller Unterschiedlichkeit der Positionen: Er ist je-mand, mit dem man die Idee des Greening verbindet, daswir jetzt als Grundlage für die Post-2020-Periode in derGemeinsamen Agrarpolitik sehen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4727
Bundesminister Christian Schmidt
(C)
(B)
Ich will aber gleichzeitig den nominierten neuenKommissar Phil Hogan begrüßen, den irischen Minister-kollegen, der für Umwelt zuständig war. Es ist gut, wennman die Leute schon kennt. Ich kann nur sagen: Er ist je-mand, mit dem man gut zusammenarbeiten kann.Wen ich nicht kenne, das ist der neue Umwelt- undFischereikommissar, Herr Vella, mit dem wir auch sehrviel zu tun haben werden, die tschechische Kollegin,Frau Jourová, die für den Verbraucherschutz zuständigist, und der litauische Kollege Andriukaitis, der für Le-bensmittelsicherheit verantwortlich ist. Sie sehen: Damitwerde ich die einmalige Chance haben, in Brüssel mitvier EU-Kommissaren verhandeln zu dürfen. Das zeigtdie Bandbreite.Hinzu kommt die wichtige Aufgabe der digitalen Zu-kunft der Europäischen Union, die Günther Oettingerwahrnimmt und die in mancher öffentlichen Kommen-tierung völlig unterbewertet wird. Insofern muss ich ihneigentlich als fünften EU-Kommissar nennen, mit demich es zu tun haben werde. Denn auch im ländlichen Be-reich werden wir uns nicht an der Digitalisierung vorbei-drücken können. Nein, wir müssen sie gestalten, und da-bei erhoffe ich einiges.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin seit einemhalben Jahr im Amt. Es ist der zweite Etat seitdem. Da-für sind 5,3 Milliarden Euro veranschlagt. Er ist ein Do-kument der Stabilität. Innerhalb dieses Budgetrahmenswerde ich neue und notwendige Schwerpunkte setzen.Ich werde Schwerpunkte auf eine nachhaltige Landwirt-schaft setzen, die das Wohl des Tiers stärker berücksich-tigt, ohne an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Ichwerde Schwerpunkte auf lebendige ländliche Räume undauf eine gesunde Ernährung insbesondere unserer Kin-der setzen, damit die Weichen dafür frühzeitig richtig ge-stellt werden.
Landwirte müssen als Unternehmer erfolgreich amMarkt wirtschaften können. Zugleich ist festzustellen,dass der Markt sich verändert. An die Nutztierhaltungwerden nicht nur von Verbraucherseite hohe Ansprüchegestellt. Hohe Tierschutzstandards sind ein Qualitäts-merkmal deutscher landwirtschaftlicher Erzeugnisse.Doch wir wollen und müssen noch besser werden. Esgibt Initiativen, die ich außerordentlich begrüße, insbe-sondere die, die der Bauernverband zusammen mit demHandel auf den Weg bringt. Ich wünsche ihnen viel Er-folg.Ich will im Sinne der Koalitionsvereinbarung neueWege zur Stärkung des Tierwohls beschreiten. Es ist fürmich eine Frage der Haltung, und zwar nicht nur in denStällen, sondern auch in den Köpfen. Der Haushalt 2015soll uns Möglichkeiten dafür geben. Ich habe 33 Millio-nen Euro für Investitionen in mehr Tierschutz vorgese-hen. Sie liegen mir sehr am Herzen. Ich werde in Kürzedie Konzeption, die wir gemeinsam entwickelt haben,vorstellen. Sie geht zuallererst an das Parlament, weildas Parlament der natürliche Bündnispartner und Unter-stützer ist, auch wenn ich nicht die Gesetzgebung in denVordergrund stelle, sondern das Zusammenwirken allerim Sinne der Zivilgesellschaft.Lebendige Räume bzw. Leben und Arbeiten auf demLand sind weitere Schwerpunkte meiner Arbeit. Dafürwerde ich bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserungder Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, GAK – wirwollen sie in Gemeinschaftsaufgabe „Nachhaltige Ent-wicklung im ländlichen Raum“ umbenennen –, 600 Mil-lionen Euro für den Umbau vorsehen, zusätzlich 10 Mil-lionen Euro für ein Bundesprogramm. Ich möchte beidieser Gelegenheit festhalten, dass wir diese Initiativegemeinsam mit den Ländern durchführen. Ich will dieseInitiative aber nicht so verstanden wissen, dass ich dieGemeinschaftsaufgabe in irgendeiner Weise infragestelle. Nein, ich will sie verbessern und ergänzen, wie esin der Koalitionsvereinbarung steht.Gesunde Ernährung für Kinder: „IN FORM – Deutsch-lands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewe-gung“ ist ganz wichtig. Ich weiß, dass es schon früherDiskussionen über adipöse Kinder und entsprechendeInitiativen gegeben hat. Leider ist nun jedes sechsteKind übergewichtig bzw. adipös. Deswegen sage ich:Die diesbezüglichen Anstrengungen müssen fortgesetztund intensiviert werden. Wir werden deswegen mit ver-schiedenen Modellen – bis hin zu neuen Initiativen desNudging, die ich erst jetzt beginne zu verstehen, also desAnstoßens zu sinnvollem Verhalten – unterstützend tätigwerden.Es gibt eine Reihe von Themen im Haushalt, die nochzu nennen sind. Nicht zuletzt sind beim Berichterstatter-gespräch einige Diskussionspunkte angemeldet. Ich darfmich für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken.Der Haushalt 2015 weist eine leichte Tendenz nachoben auf und rahmt sich in die schwarze Null ein. Abermit diesem Haushalt werden wir mehr als nur dieschwarze Null erreichen; wir werden ziemlich viel errei-chen.Ich bedanke mich.
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Roland
Claus das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrBundesminister, ich dachte schon, dass Sie der erste Ko-alitionsredner wären, der es schaffte, ohne die Beschwö-rung der schwarzen Null auszukommen. Aber zumSchluss haben Sie es dann doch noch geschafft, sie zuerwähnen.Auf den ersten Blick scheint es nur wenige Kontro-versen über diesen Haushalt zu geben. 70 Prozent des
Metadaten/Kopzeile:
4728 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Roland Claus
(C)
(B)
Etats gehen in die landwirtschaftliche Sozialkasse. Da-gegen haben wir nichts. Wenn es um eine bessere Förde-rung unserer Forschungsinstitute geht, sind wir selbst-verständlich dabei. Das verführt Sie, Herr Minister,zuweilen zu der Aufforderung an die Opposition, diesenPolitikbereich einmal ideologiefrei zu betrachten.
Das allerdings ist ein frommer Wunsch, der erst dann er-füllt werden könnte, wenn die einen Ideologen den ande-ren Ideologen nicht mehr vorwerfen würden, Ideologenzu sein, Herr Minister.Ein Blick über den Tellerrand des Haushalts hinauslohnt sich. Dann zeigen sich die Konflikte. Der wich-tigste ist, dass heute Agrarpolitik nicht zuerst in den Par-lamenten gemacht wird, sondern an der Börse. Es ist denGrünen und den Linken im Bündnis mit vielen Bürger-initiativen gelungen, im Europäischen Parlament dieSpekulationen mit Nahrungsgütern einzugrenzen. Aberangesichts der Vielfalt der Freihandelsabkommen drohterneut eine Entwicklung, die globalen AgrarkonzernenTür und Tor öffnet. Nach wie vor leiden 1 MilliardeMenschen täglich unter Hunger. Das Schlimme ist, dassdiese Zahl nicht abnimmt, sondern zunimmt. Deshalbbrauchen wir eine EU-Agrarpolitik, die für eine gerechteglobale Entwicklung steht. Aber in dieser Hinsichtherrscht bei allem, was uns bisher vorgelegt wurde, lei-der, leider Fehlanzeige.
Wie wollen Sie Menschen in Afrika beispielsweise fürdie Idee der Demokratie, wie sie in Europa besteht, be-geistern, wenn die meisten wissen, dass die reichstenLänder an ihrem Hunger auch noch verdienen? Deshalberneuern wir unsere Forderung, dass Spekulationen mitNahrungsgütern verboten gehören.
In Ihrem Etat stellt naturgemäß die GAK das größteFörderprogramm dar. Ich will das erklären. Es handeltsich hier um die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserungder Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, die in be-sonderem Maße im Osten der Republik von Bedeutungist.Ich will hier, wie an anderer Stelle auch, auf ein Pro-blem hinweisen, das wir im Jahre 2014 haben, weil wirfür den Vollzug des Etats, den wir ja erst im Sommer be-schlossen haben, quasi nur drei Monate zur Verfügunghaben. Wir erwarten schon, dass die vom Parlament be-schlossenen Mittel vom Bundesfinanzminister zumSchluss nicht wieder für die berühmte „schwarze Null“einkassiert werden, sondern dass diese Mittel auch tat-sächlich ausgegeben und für das verwendet werden, wo-für sie gedacht sind.
Man muss auch darauf verweisen – darüber werdenwir heute am späten Nachmittag noch reden –, dass dieGemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstrukturund des Küstenschutzes“ bisher der einzig relevanteHaushaltsposten für die Bewältigung der Aufgaben imHochwasserschutz ist. Wir werden darüber zu diskutie-ren haben, dass wir noch immer kein umfassendes natio-nales Konzept für den Hochwasserschutz haben. Aberdie Flüsse halten sich nicht an Verwaltungsgrenzen. Des-halb müssen wir auch über den Etat hinweg und nichtnur im Rahmen des Einzelplans 10 Vorsorge treffen, umdieser Aufgabe künftig gerecht zu werden. Wir werdenmit Ministerin Hendricks darüber reden. Aber solangesie als Umweltministerin sich ausschließlich auf die Mit-tel aus dem Agrarressort zurückziehen kann, ist es natür-lich ein bisschen wie in dem derben spanischen Sprich-wort: „Auf fremdem Arsch ist gut durchs Feuer reiten“.Wir finden es in Ordnung, dass die Forschungsinsti-tute unterstützt werden. Aber auch hier gilt natürlich:Nicht die Ausgabenmasse zählt, sondern das Ergebnis.Aber da sind wir, das sage ich ausdrücklich, zuversicht-lich.Die Linke wird sich, wie Sie es schon kennen, dafüreinsetzen, Chancengleichheit für Agrarbetriebe im Ostender Republik einzufordern. Diese Chancengleichheitwird natürlich im Zuge der Gemeinsamen Agrarpolitikder EU auf eine, so will ich einmal sagen, ernste Belas-tungsprobe gestellt. Dazu kommen eine nicht hinzuneh-mende Explosion bei den Bodenpreisen und die Rolleder bundeseigenen Bodenverwertungs- und -verwal-tungsgesellschaft, die auch wir skandalös finden. LassenSie sich das so gesagt sein.Sie haben jetzt angekündigt, ein Bundesprogramm fürden ländlichen Raum aufzulegen. Das mag in Ordnunggehen. Denn es geht schließlich darum, dem ländlichenRaum mehr politisches Gewicht zu geben. Das wird aberauch bedeuten, neue Entwicklungspfade zu denken. Werimmer nur die Forderung aufstellt, dass alles so bleibenmuss, wie es gegenwärtig ist, wird nicht zukunftsfähigsein. Wir wollen so etwas wie ein regionales Gemeinwe-sen organisieren. Dafür gibt es gerade in ausgedünntenostdeutschen Regionen zwar noch sehr wenige, aber her-vorragende Beispiele. Ich denke etwa daran, dass einSparkassenbus über die Dörfer fährt, dass in diesem Buseine Gemeindeschwester anwesend ist, dass dort einBürgerservice aus der Verwaltung angeboten wird unddass die Menschen diese Angebote natürlich nutzen kön-nen. Bisher sind wir da aber nur bei wenigen, noch nichtvernetzten und gar nicht komplexen Ansätzen angelangt.Herr Minister, ich muss Sie zum Schluss noch fragen:Wie war Ihr Morgenapfel heute? Ich frage das deshalb,weil in der Zeitung stand, Sie hätten einen Aufruf unterdem Motto „Sie sollten essen, ich sollte essen, wir soll-ten essen“ gestartet. Gemeint war, Äpfel gegen PutinsEmbargo zu essen, also ein Schritt vom Ich zum Wir,Herr Minister; das haben wir wahrgenommen. Wenn Siedas konsequent fortsetzen würden, dann müssten Siehier auch die Frage beantworten, die wir Ihnen stellen:
Wann wird beim Oktoberfest in München auf Apfel-schorle umgestellt? Das müssen auch Sie als Franke aus-halten können.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4729
Roland Claus
(C)
(B)
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege
Dr. Wilhelm Priesmeier das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Claus,zunächst einmal: Es könnte sein, dass die Bayern aufApfelschorle umstellen, wenn irgendwann die Linke inBayern regiert.
Aber das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich.
Insofern ist die Prognose, was die Verwertung von Äp-feln angeht, nur von eingeschränkter Aussagekraft.Ich darf mich beim Haus für den vorliegenden Ge-setzentwurf bedanken. Der Minister hat es eben schongesagt: Es gilt das Struck’sche Gesetz. – Insofern seheich: Es ist an den Abgeordneten, diesen Bundeshaushaltin verschiedenen Bereichen ganz entscheidend mitzuprä-gen.Wir leisten mit dem Haushalt zum Einzelplan 10 na-türlich einen Beitrag zu einem ausgeglichenen Bundes-haushalt. Das ist jedem klar. Die Ansprüche werdennicht ins Uferlose wachsen. So wie ich diesen Haushalteinschätze, ist er, wie alle Haushalte in der Vergangen-heit, geprägt durch die Ausgaben für die agrarsozialeSicherung. Fast 70 Prozent dieses Haushaltes, 3,7 Mil-liarden Euro von 5,3 Milliarden Euro, sind für die agrar-soziale Sicherung zu veranschlagen. Insofern ist es defacto fast ein Sozialhaushalt, den wir hier haben. Aberwir müssen uns natürlich auch Gedanken machen überdas damit finanzierte System, darüber, wie wir diesesSystem zukunftsfest erhalten können oder welche Alter-native es dazu gibt. Bei einer Defizitabdeckung von70 Prozent für die landwirtschaftlichen Altersrentensehe ich in Zukunft Probleme auf uns zukommen, diewir zu lösen haben. Mit der Schaffung eines einheitli-chen Bundesträgers alleine wird es nicht getan sein. Wir müssen auf der Basis des Berichts von 2013 er-kennen, dass von den an sich Versicherungspflichtigen238 000 befreit sind und 236 000 Beiträge bezahlen. Dasmacht deutlich, dass ein gewisser Entsolidarisierungsef-fekt bei der landwirtschaftlichen Sozialversicherunggegeben ist. Wir müssen versuchen, dem entgegenzuwir-ken, und uns über adäquate Maßnahmen oder Alternati-ven Gedanken machen.Das, was wir mit diesem System erreicht haben, sindwettbewerbsfähige Strukturen. Über die vergangenenJahrzehnte sind diese wettbewerbsfähigen Strukturen ge-wachsen. Wir Sozialdemokraten bekennen uns zu demStrukturwandel in der Landwirtschaft und dazu, dass Be-triebe wettbewerbsfähig sein sollen und Perspektiven inder Zukunft haben müssen.
Daher finden wir es nicht mehr zeitgemäß, jeden zuzwingen, seinen Betrieb abzugeben, um in den Genussder Rente zu kommen. Das ist eine Sonderregelung, diein keinem anderen Bereich der Rentenversicherung gilt.Ich glaube, diese Regelung ist auch wenig zukunftsfähig.Gerade wenn wir von älteren Menschen erwarten, dasssie weiterhin aktiv bleiben, sollten wir das auch Land-wirten nicht verwehren. Das ist in der Regel ein Problemder kleineren Betriebe. Zwei Drittel der Betriebe habenkeinen Hofnachfolger; im Regelfall sind das, wie gesagt,kleinere Betriebe. Auch diesen Betrieben sollte man dieMöglichkeit geben, in dem Maße, wie sie es für richtighalten, weiter Einkommen aus landwirtschaftlicher Tä-tigkeit zu erwirtschaften.
Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verstän-digt, die Reform der agrarsozialen Sicherung intensiv zubegleiten und die Hofabgabeklausel neu zu gestalten.Dazu werden wir jetzt einen Beitrag leisten und für dieNovellierung des § 11 ALG einen konkreten Vorschlagvorlegen und diesen parallel zum Haushalt mit den Kol-legen von der CDU/CSU beraten, wenn es sich von derzeitlichen Abfolge so ergeben sollte.Letzte Woche war ich in einem Betrieb in der Nähevon Bielefeld. Dort habe ich jemanden getroffen, der ausÜberzeugung Landwirt ist. Er ist 77 Jahre alt und bewirt-schaftet zusammen mit seiner Frau 30 Hektar. Er melktnoch 12 Kühe. Warum sollen wir diesem Mann verweh-ren, der keine Nachkommen hat, die für die Übernahmedes Betriebes infrage kommen, seinen Betrieb weiter zubewirtschaften? Jeder Handwerksmeister darf seinen Be-trieb weiterführen und gleichzeitig Rente beziehen. Je-der, der in anderen Versicherungssystemen versichertwar, darf seinen Betrieb weiterführen. Dort ist nicht dasErfordernis der Agrarstruktur Grundlage für den Bezugder Rente, die man aus einem anderen System erhält. Ichglaube, wir müssen uns in diesem Zusammenhang einbisschen bewegen. Ich erkenne auch beim Koalitions-partner den Willen dazu. Deshalb setze ich darauf, dasswir in den nächsten Wochen und Monaten zu einer ver-nünftigen und einvernehmlichen Regelung kommen.
– Ich sehe, dass der Kollege Holzenkamp klatscht. Dassteigert meine Zuversicht ungemein.Ein weiterer wichtiger Punkt in dem Haushaltsent-wurf sind die Eiweißpflanzenstrategie und der ökologi-
Metadaten/Kopzeile:
4730 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Dr. Wilhelm Priesmeier
(C)
(B)
sche Landbau. Die Eiweißpflanzenstrategie war uns So-zialdemokraten vor allem im Haushaltsentwurf 2014wichtig. Aus diesem Grunde sehen wir mit besondererSympathie, dass dieser Betrag im jetzigen Entwurf auf4 Millionen Euro aufwächst. Wir müssen schauen, ob esfür die Zukunft ausreichend ist oder ob wir in den weite-ren Haushaltsjahren etwas drauflegen müssen; denn ge-rade dieser Bereich ist wichtig.Wenn wir importiertes Ei-weiß durch heimisches Eiweiß ersetzen können, dannsteigert das die Wertschöpfung der Betriebe im ländli-chen Raum. Diese Chance sollten wir nutzen.Deutschland ist der größte Markt Europas für Biole-bensmittel. Auch darüber sollten wir uns Gedanken ma-chen, vor allen Dingen, was den Ökolandbau und das„Bundesprogramm Ökologischer Landbau“ betrifft. Ichsehe noch Möglichkeiten, den entsprechenden Ansatzvielleicht zu verstärken. Darüber werden wir uns unter-halten müssen. Es geht auch um ein klares Signal an dieBetriebe, die sich dem ökologischen Landbau widmenund dort ihr Erwerbseinkommen erzielen. Ich glaube,dass diese Betriebe Unterstützung brauchen; denn die Si-tuation in vielen Betrieben ist zum gegenwärtigen Zeit-punkt nicht besonders günstig.Das waren Initiativen, die wir in besonderer Weiseaufgreifen – neben dem, was Kollege Claus in Bezug aufdie Finanzierung des Hochwasserschutzes eingeforderthat. Ich verweise auf den Maßgabebeschluss des Haus-haltsausschusses vom 5. Juni dieses Jahres, der vorsieht,dass die Maßnahmen, die eventuell im Oktober von derBund-Länder-Kommission vorgeschlagen werden, zeit-nah im Bundeshaushalt abgebildet werden sollen, mit ei-niger Wahrscheinlichkeit in der GAK; ich setze darauf.
Kollege Priesmeier, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ich wünsche mir auch dazu großes Einvernehmen
hier im Hause, damit wir das umsetzen können.
Vielen Dank, meine Kolleginnen und Kollegen, liebe
Damen und Herren.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-
legin Nicole Maisch das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister Schmidt, ich habe mich sehr über die lo-benden Worte gewundert, die Sie für den scheidendenAgrarkommissar Dacian Ciolos gefunden haben.
Immerhin war es doch Ihre Vorgängerin, Frau Aigner,die das Greening, die Begrünung der Agrarpolitik, inBrüssel zerschossen hat.
Da hat mich dieses Lob doch schon sehr gewundert.Aber das passt ganz gut zu den Worten von HerrnPriesmeier, der eben gesagt hat: Wir als Sozialdemokra-ten stehen für Wachsen und Weichen, wir stehen zumStrukturwandel. – Da hat sich in der Großen Koalitionoffensichtlich gefunden, was zusammengehört.
Meine Damen und Herren, der Kollege Claus hat unsschon über die Nebenaußenpolitik mit Obst informiert,die der Minister im Zuge der Ukraine-Krise betreibt. Ichfand es ganz interessant, dass uns dieser Minister jetzt,nachdem er sieben Monate weitestgehend im politischenUntergrund verbracht hat, zum Obstessen als erste Bür-gerpflicht aufgerufen hat. „An apple a day keeps thePutin away“ – damit, Herr Minister, haben Sie es zuRecht in die Satiremagazine der Republik geschafft.
Ich denke, dass wir alle mehr davon hätten, wenn Siesich als Ernährungs- und nicht nur als Exportministerverstehen würden,
wenn Sie mehr dafür tun würden, dass unsere Kinder inSchulen und Kitas gesundes und leckeres Essen bekom-men, und wenn Sie Obst nicht als Instrument einer frag-würdigen Nebenaußenpolitik, sondern als Mittel der Ge-sundheitsförderung für die Jungs und Mädchen inunseren Kindertagesstätten betrachten würden.Ihr Kollege Herr Müller spricht schon seit Jahren da-von, dass Deutschland in Sachen Schulverpflegung ein„Dritte-Welt-Land“ ist, und der Mann hat leider recht.
Nur jedes dritte Kindergartenkind und auch ungefähr je-des dritte Schulkind bekommt ein Essen, das den Stan-dards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung genügt.Zu süß, zu fett, zu wenig Obst, zu wenig Gemüse – dasist ein Armutszeugnis, ein Armutszeugnis für die Ess-kultur in diesem Land und auch für Sie als Ernährungs-minister.
Ich bin gespannt auf die Studie, die Sie uns im No-vember präsentieren werden; aber ich glaube, dass wirdann nur noch einmal aufgetischt bekommen, was wirlängst wissen: Die Situation ist schlecht, der Handlungs-bedarf ist groß. Angesichts dieser Lage frage ich mich,warum Sie das Portemonnaie für die VernetzungsstellenSchulverpflegung in absehbarer Zeit schließen wollen.Diese Koalition will die Finanzierung der Schulvernet-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4731
Nicole Maisch
(C)
(B)
zungsstellen auslaufen lassen, obwohl sie erfolgreich fürbesseres Essen in unseren Schulen arbeiten. „An apple aday“? – „No milk today“, das wäre die passendere Be-schreibung für die CSU-Ernährungspolitik der letztenJahre, wenn es um Kinder in Schulen und Kindertages-stätten geht.Was in Ihrem Haushalt weiter steigt, sind natürlichdie Mittel für die Exportförderung. Billigfleisch ausdeutscher Massentierhaltung für die ganze Welt, insbe-sondere für Russland, egal, was die ökologischen undsozialen Folgen sind – das ist Ihre Agrarpolitik. Ichglaube, damit können sich die meisten Menschen in die-sem Land heute nicht mehr identifizieren.
Ich möchte einen Agrarminister, der sich nicht als ersterHandelsvertreter für deutsches Fleisch sieht, sondern derhinsichtlich des Handels eher darauf setzt, dass im Rah-men von CETA und TTIP, der Freihandelsabkommen,der Freihandel nicht zum Freifahrtschein wird für giftigeKosmetik, für Fleisch von geklonten Tieren und für Gen-technik in unserem Essen. Hier habe ich von dem Agrar-minister bisher nur Beschwichtigungen gehört, und dasreicht mir nicht.
Ein Blick auf die Homepage des Ministeriums ist im-mer lehrreich und unterhaltsam. Dort kann man nämlichsehen, was der Minister den ganzen Tag lang in seinemMinisterium und im Land so macht: Er streichelt Bienen,er bringt brasilianischen Grassamen auf deutschen Fuß-ballplätzen aus, und er hat letztes Wochenende zum ers-ten Mal einen Tierschutzpreis für einen tierfreundliche-ren Umgang mit Sportpferden verliehen. Er hat nämlichFolgendes festgestellt – Zitat –:Bisweilen sind auf dem Vorbereitungsplatz nichtpferdefreundliche Praktiken zu beobachten.Aha. Dafür wird jetzt ein Preis verliehen. Das ist Tier-schutz à la CSU. Anstatt sich wirklich mit den Lobbysanzulegen, gibt es Schleifchen für die, die es ein biss-chen besser machen. Ich sage Ihnen: Wenn Ihnen Pferdewirklich am Herzen liegen, dann verbieten Sie doch end-lich, dass man Pferden ein glühendes Eisen auf den Hin-tern drückt, dass man Verbrennungen dritten Grades anFohlen vornimmt.
Das – und nicht dieses komische Lobespreiszeichen –wäre wirkliche Tierschutzpolitik.
Ich finde, wir können uns kurz einmal zurückerinnern– zumal hier offensichtlich Emotionen aufkommen –:Sie waren sich nicht zu schade dafür, einen Schönheits-arzt und Humanmediziner zu dieser Frage, zum Verkoh-len von Pferdehintern, bei der Anhörung hier im Deut-schen Bundestag auflaufen zu lassen. Ich finde, die SPD,die sich den Tierschutz ja auch auf die Fahnen geschrie-ben hat, müsste es in dieser Legislaturperiode wenigs-tens zustande bringen, dass der Schenkelbrand, dieseFolter von Pferden, aufhört.
Da bei Ihnen offensichtlich Nachholbedarf bestehthinsichtlich der Frage, was man im Tierschutzbereich al-les machen kann, empfehle ich Ihnen einen Blick in dieBundesländer. Bei den Landesregierungen gibt es dieunterschiedlichsten Farbkombinationen, unter anderemSchwarz-Grün: In Hessen fängt man an, mit der Häckse-lung, der Massentötung von männlichen Küken, Schlusszu machen. Ich finde, daran könnten Sie sich ein Bei-spiel nehmen: Machen Sie Schluss mit Schnabelver-stümmelungen bei Puten, machen Sie Schluss mit Am-putationen bei Mastschweinen, machen Sie Schluss mitden Massentötungen von männlichen Küken! Das wäreeine Tierschutzpolitik, die einer Partei, die sich selbstimmer wieder als wertkonservativ bezeichnet, gut zuGesicht stünde.
Ich muss Ihnen sagen: Mich stört es sehr, dass die Bi-lanz dieser Regierung beim Thema Tierschutz so dürr istwie der Wikipedia-Eintrag des Ministers. Dort steht un-ter der Überschrift „Minister“ Folgendes:Am 17. Februar 2014 trat Schmidt die Nachfolgevon Hans-Peter Friedrich als Bundesminister fürErnährung und Landwirtschaft an.Zitat Ende, Eintrag Ende. Das scheint mir ziemlich we-nig. Sie haben in Ihrer Rede über Nudges gesprochen,über Schubse. Ich finde, Sie brauchen einen Schubs, hinzu einer besseren Agrarpolitik und zu mehr Tierschutz.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Johannes
Röring das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr BundesministerSchmidt! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen!Landwirtschaft in Deutschland ist eine Erfolgsge-schichte. 270 000 Betriebe, rund 90 Prozent davon fami-liengeführt, ackern und arbeiten für uns. Nie waren Le-bensmittel so wertvoll und hochwertig und so bezahlbarwie heute.
Metadaten/Kopzeile:
4732 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Johannes Röring
(C)
(B)
Wir haben die Getreideernte 2014 gerade abgeschlos-sen. Die deutschen Bauern haben eine Rekordernte ein-gefahren, in einigen Regionen unter schwierigsten Be-dingungen. Hätten wir nicht diese tolle Landtechnik,hätten wir vieles nicht ernten können. Ich sage Ihnensehr deutlich, wenn wir über Nahrungsmittelspekulatio-nen sprechen: Die beste Antwort auf Spekulationen sindgute Ernten. Sie sichern die Versorgung der Menschen.
Deswegen sollten wir alle froh sein, dass wir so einegute Ernte hatten.In diesem Zusammenhang erinnere ich wieder daran,wie wichtig es ist, dass wir über ausreichend Lebensmit-telerzeugungsflächen verfügen. Wenn davon pro Tag74 Hektar verloren gehen, dann ist das eindeutig zu viel.Dieses Thema haben wir im Koalitionsvertrag aufgegrif-fen. Wir packen das an, und wir werden Lösungen fin-den. Ich persönlich bin – das sage ich Ihnen sehr deutlich –nicht eher zufrieden, bis wir unsere Acker- und Grün-landflächen genauso wie den deutschen Wald unterSchutz stellen.
Die deutsche Landwirtschaft ist natürlich von denSanktionen gegen Russland betroffen. Russland hat alsReaktion auf die Sanktionen die Einfuhr von vielen Le-bensmitteln ausgeschlossen. Es ist schon bemerkens-wert, dass Lebensmittel hier als Mittel der Auseinander-setzung gewählt werden. Ich kann Ihnen sagen: Es istgut, dass Deutschland von Lebensmitteln nicht so abhän-gig ist wie von Gas. Es ist wichtig, dass wir in demSinne eine starke Landwirtschaft haben. Wir sind zwarder zweitgrößte Importeur von Lebensmitteln auf derErde, aber auch der drittgrößte Exporteur. Insofern findetan der Stelle Handel statt.Ich glaube, es ist gut, dass der Bundeslandwirtschafts-minister deutlich gesagt hat, dass die russischen Ver-braucher am Ende die Hauptleidtragenden sind. Sie zah-len sehr hohe Preise für Nahrungsmittel, wobei sie überwesentlich weniger Einkommen verfügen als unsereVerbraucher. Umso wichtiger im Hinblick auch auf dieseSanktionen sind natürlich die anderen Märkte. UnserHauptmarkt ist der Markt vor Ort, sind unsere Verbrau-cher in Deutschland, die 80 Millionen Menschen, die wirtäglich gern und sicher versorgen wollen. Auch der euro-päische Markt ist für uns wichtig. Ich bin MinisterSchmidt für sein Bekenntnis zu den Exportmärkten au-ßerordentlich dankbar.
Peter Bleser ist im Moment in Peking unterwegs undtreibt die Errichtung des deutsch-chinesischen Agrarzen-trums voran.
Ich möchte noch einmal deutlich machen, dass wir beider Exportförderung nicht über Exporterstattungsprechen, sondern über Handelserleichterungen, zumBeispiel Veterinärabkommen. Auch da bin ich den Haus-hältern dankbar, dass wir zusätzliche Stellen bekommen,um das alles zu schaffen.Um die gleichen Dinge geht es auch bei CETA undTTIP, den Handelsabkommen mit Kanada und den Ver-einigten Staaten. Absatzmärkte für unsere hochwertigenErzeugnisse, Autos, Maschinen, Anlagen und auch Nah-rungsmittel, sind wichtig für unsere Wirtschaft. Ich er-warte von der Europäischen Union robuste Verhandlun-gen im Sinne unserer Verbraucher, aber auch unsererWirtschaft. Eine Exportnation wie Deutschland ist aufgute Rahmenbedingungen im Handel angewiesen.Diese Abkommen beinhalten aus meiner Sicht vieleVorteile, vor allen Dingen auch für unseren Mittelstand.Ich sage Ihnen sehr deutlich: An der deutschen Land-wirtschaft werden diese Abkommen nicht scheitern. Wirwollen Chancen nutzen und Standards schützen. DieseAbkommen bieten auch die Chance einer allgemeinenStandarderhöhung. Deswegen brauchen wir gerade auchbei TTIP und CETA eine sachliche Debatte, die sich mitden Chancen, aber auch den Risiken beschäftigt.
Ich glaube – dies muss man deutlich sagen –, dass diesauch für andere Themenfelder gilt. Organisationen, dieihr Geschäft mit den Ängsten der Bevölkerung machen,sind bei solchen Diskussionen fehl am Platz.
Landwirte genießen in Deutschland ein hohes Anse-hen. Das belegen Umfragen immer wieder. Aber esherrscht allgemeine Skepsis gegenüber moderner Le-bensmittelerzeugung auf dem Acker und im Stall.
Wir von der CDU/CSU wollen eine sachliche Debatteüber die Tierhaltung. Dabei sage ich ganz deutlich: Es istvornehmlich Aufgabe der Wirtschaft, Dinge selbstkri-tisch zu hinterfragen, Verbesserungen umzusetzen undam Ende natürlich auch darüber aufzuklären.Als gutes Beispiel nenne ich hier die Initiative Tier-wohl. Hier haben sich zum ersten Mal – das müssen Siesich genau anschauen – Bauern, Verarbeiter und Handelan einen Tisch gesetzt mit dem Ziel, noch mehr für denTierschutz in deutschen Ställen zu tun. Mit dem Ziel istes nicht getan. In diesem Fall ist auch ein Ergebnis dabeiherausgekommen, das dafür sorgt, dass die deutschenLandwirte von dieser Entwicklung profitieren. Auchdies ist zum ersten Mal so. Deswegen ist es eine völligneue Qualität der Zusammenarbeit. Mit dieser Initiative– das sage ich sehr deutlich – wollen wir mit der Tierhal-tung aus der Nische herauskommen und für alle Tiere et-was tun. Es ist kein Label, kein Sonderprogramm undauch nicht das 46. Markenfleischprogramm, sonderneine Initiative, die allen Tieren in Deutschland zugute-kommt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4733
Johannes Röring
(C)
(B)
Ich bin sehr froh, dass Minister Schmidt seine Tier-wohloffensive, die er, wie im Koalitionsvertrag verein-bart, gerade angekündigt hat, für einen ganzheitlichenAnsatz nutzt; das ist auch im Haushalt erkennbar. Ich binder Überzeugung, dass wir nicht nur über Nutztiere,sondern auch über Zoo-, Zirkus- und Heimtiere redensollten, also über die gesamte Palette der Themen inklu-sive dem Welpenhandel und anderen Dingen, die ganzwichtig sind. Diese Maßnahmen knüpfen nahtlos anviele Regelungen an, die in der deutschen Tierhaltungwichtig sind. Viele tun ja so, als würde das im rechts-freien Raum geschehen. Wir haben aber einschlägigeGesetze und Verordnungen en masse.
Ich erinnere an das Tierschutzgesetz und das Arzneimit-telgesetz, das sich in der Umsetzung befindet. Hierhaben wir ganz klare Signale gesetzt, nicht nur den Ein-satz von Antibiotika, sondern vor allen Dingen auch dieResistenzbildung stark zu reduzieren. Ich bin froh, dassin diesen Haushalt für die nächsten drei Jahre 21 Millio-nen Euro allein für die Förderung von Modell- und De-monstrationsvorhaben eingestellt worden sind.Ich glaube, wir müssen fernab von den Elfenbeintür-men der Theorie praxisgerechte Maßnahmen weiterent-wickeln, die den Bauern helfen. Am Ende lautet dasMotto nämlich: Diese Entwicklung geht nur mit denBauern, mit den Tierhaltern. Deswegen finde ich es rich-tig, auf diese Art und Weise vorzugehen. Verbote undAnfeindungen helfen da überhaupt nicht weiter. Ichspreche an dieser Stelle ganz deutlich für die deutschenBauern, die sich zum Ziel gesetzt haben, in ihren Ställengesunde Tiere zu haben, um gesunde Lebensmittel ver-kaufen zu können.
Bauernfamilien, meine Damen und Herren, könnenihre Höfe nicht ins Ausland verlagern, sondern sindstandortgebunden, müssen sich aber trotzdem dem Wett-bewerb stellen. Deshalb sage ich ganz deutlich: Bei allenVerbesserungen muss immer auch der Gesichtspunkt derWettbewerbsfähigkeit im Auge behalten werden. Aneinigen Stellen müssen wir die Kirche im Dorf lassen.Was nützen uns die besten Innovationen, wenn die Flei-scherzeugung ins Ausland verlagert wird, wo die Stan-dards, wie wir alle wissen, mit Sicherheit nicht genausohoch sind wie bei uns?Wir von der CDU/CSU – das gilt aber auch für dieKoalition insgesamt; das haben wir gerade vom Kolle-gen Priesmeier gehört – bekennen uns zur Vielfalt unse-rer Landwirtschaft mit all ihren Bewirtschaftungsformenund Betriebsgrößen. Wir wollen eine wettbewerbsfähigeLandwirtschaftsstruktur in Deutschland. Eine verbotsge-steuerte Agrarpolitik lehnen wir gerade in Anbetrachtunserer mittelständischen Strukturen entschieden ab.
Überzogene Auflagen und Verbote schrecken nämlichzunehmend junge Menschen ab, den elterlichen Betriebzu übernehmen. Unser Leitbild ist die bäuerlich-unter-nehmerische Landwirtschaft. Die große Mehrheit derBauern in Deutschland wirtschaftet so. Das soll auch sobleiben.Bauernfamilien sind zur Selbstkritik bereit und stehenauch Änderungen offen gegenüber. Jedoch sind wir alleentsetzt über illegale Stalleinbrüche militanter Aktivsten.
Mit teils gefälschten Bildern wird ein Zerrbild der Land-wirtschaft in öffentlich-rechtlichen Sendern verbreitet.Das ist der Nährboden – das ist meine Sorge – fürRechtsbrüche wie Brandstiftung in Ställen – das alles hates schon gegeben – und Mobbing von Bauernkindern inSchulen. Ich möchte an die Kritiker der Landwirtschaftappellieren, fair und gewaltfrei über dieses Thema zudiskutieren.
Die Landwirtschaft zukunftsfähig erhalten und sie aufdie Zukunft ausrichten, das ist unser Ziel. Der Bundes-haushalt 2014 bietet dafür eine gute Grundlage. Ichmöchte abschließend Bundesminister Christian Schmidtund all seinen Mitarbeitern für diesen Einzelplanentwurfdanken.Vielen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Karin
Binder das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister, Ihr Haushaltsentwurf 2015 zementiert imBundesministerium für Ernährung und Landwirtschafteinen Stillstand. Ich sehe, dass drängende Themen nichtangegangen werden. Schlimmer noch: Wichtige For-schungsaufgaben stehen auf der Kippe, weil das Finanz-ministerium die Mittel sogar rückwirkend für 2014kürzt. Pflichtaufgaben wie Prävention werden dadurchsogar gefährdet. An drei Punkten will ich das verdeutli-chen.Die Lebensmittelsicherheit ist mein erster Punkt. Wiralle wissen: Bundesweit fehlen rund 3 000 amtliche Le-bensmittelkontrolleure. Die Kontrollbehörden sind aufLänder und Kommunen verteilt, sind zersplittert unddeshalb nicht schlagkräftig. Demgegenüber stehen glo-balisierte Lebensmittelkonzerne, die unzulänglich kon-trolliert ihre Zutaten weltweit zusammenkaufen. Zuneh-mend werden Lebensmittel auch von Endverbrauchernüber das Internet bestellt.In dieser Situation ist Deutschland nicht in der Lage,geltendes EU-Recht zur Lebensmittelsicherheit wirksamumzusetzen. Das hatte bereits ein Gutachten des Bun-desrechnungshofs noch in der Amtszeit von MinisterinAigner festgestellt. Deshalb fordert die Linke seit Jah-
Metadaten/Kopzeile:
4734 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Karin Binder
(C)
(B)
ren, dass die Lebensmittelüberwachung großer Unter-nehmen endlich auf den Bund übertragen wird. Außer-dem ist unverzüglich eine Taskforce einzurichten. Umden gesundheitlichen Verbraucherschutz sicherzustel-len, muss Geld in die Hand genommen werden.
Der nächste Lebensmittelskandal kommt bestimmt. HerrMinister, das müssen Sie Ihrem Kollegen Schäuble klar-machen.Mein zweites Thema ist die Ernährungsforschung.Die Bundesregierung hat die gesunde Ernährung auf ihrSchild gehoben – ich höre Ihre Worte wohl, Herr Minis-ter, und freue mich, dass Ihnen dieses Thema wichtig zusein scheint – vor dem Hintergrund, dass in vielen Berei-chen unserer Gesellschaft Fehl- und Mangelernährungfestzustellen ist, was auch wesentliche Auswirkungenauf die Gesundheits- und Sozialversicherungssystemehat. Was sind die Ursachen falscher Ernährung? Wel-chen Einfluss haben Medien auf die Ernährungsgewohn-heiten gerade von Kindern? Wie wirkt sich die massiveFast-Food- und Süßwarenwerbung aus? Auch das Euro-päische Parlament und der Rat betonen, dass ausgewo-gene Ernährung auf dem Rückzug ist. Grund seien – ichzitiere – „moderne Ernährungstrends hin zu stark verar-beiteten Nahrungsmitteln mit oftmals hohen Beimi-schungen von Zucker, Salz und Fett“. Besonders betrof-fen sind junge Menschen.Ich frage Sie, Herr Minister: Wie sehen Ihre Maßnah-men aus? Die Bundesregierung streicht die Mittel für dasKompetenznetz Adipositas, das sich intensiv um Aufklä-rung über die Ursachen und Folgen von Übergewichtkümmert. Das Forschungsinstitut für Kinderernährungbraucht dringend eine Basisfinanzierung. Aber Sielassen die Einrichtung am ausgestreckten Arm verhun-gern. 350 000 Euro wären nach Auskunft von ProfessorKersting, der Leiterin der Einrichtung, notwendig,um dies zu sichern. Betroffen vom Kürzungsdiktat istauch die grundlegende Ernährungsforschung des Max-Rubner-Instituts.Wir möchten hier und jetzt von Ihnen die Garantiehaben, dass die Nationale Verzehrsstudie, wie geplant,uneingeschränkt fortgeführt werden kann. Wir fordernparallel dazu die Finanzierung einer weiteren, fast nochwichtigeren Studie, die das Ernährungsverhalten vonKindern und Jugendlichen eingehend beleuchtet. Wiralle wissen: In der Kindheit erlerntes Essverhalten prägtuns ein Leben lang. Da müssen wir ansetzen.Ich komme zu meinem dritten Thema, zur Schul- undKitaverpflegung. Die Schul- und Kitaverpflegung inDeutschland ist eine Katastrophe. Wenn überhaupt einewarme Mittagsmahlzeit zur Verfügung steht, ist dasEssen einseitig, zu fett, zu süß oder zu salzig. Meistwerden die Kinder nicht einmal gefragt, was sie essenmögen. Dabei besucht heute jedes dritte Kind ganztagsdie Schule oder die Kita. Der Tenor in der CDU/CSUdazu war bisher, der Bund sei nicht zuständig, das kostezu viel, das Geld reiche nicht, die Verantwortung für eineabwechslungsreiche, hochwertige Kita- und Schul-verpflegung liege bei den Ländern, bei den Kommunenoder letztlich bei den Eltern. Das ist zynisch, meine lie-ben Kolleginnen und Kollegen. Arme Familien könnensich das Schulessen nicht leisten. Arme Familien gibt esim reichen Deutschland aber immer mehr. Ernährungund Ernährungsbildung ist ein Auftrag staatlicher Vor-sorge.Immerhin lässt die Bundesregierung inzwischen aufnachdrückliche Aktivitäten der Linken hin die Situationder Schulverpflegung in Deutschland untersuchen. DieStudie soll im November vorgestellt werden. Sie wirdzeigen, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Siewerden sich künftig nicht mehr vor der Verantwortungdrücken können, Mittel für Gegenmaßnahmen einzustel-len.Die Linke fordert eine unentgeltliche und hochwer-tige Kita- und Schulverpflegung für alle Kinder und Ju-gendlichen.
Die Finanzierung ist vom Bund sicherzustellen. ImHaushalt 2015 würden dafür zunächst einmal 3 Milliar-den Euro reichen. Das ist der Betrag, den der Bund statt-dessen für die unsinnige Steuerentlastung von Dienst-wagen zur Verfügung stellt. Es ist eine ganz einfacheEntscheidung: Schulessen statt S-Klasse!Noch ein Wort zum Schulobstprogramm. Herr Minis-ter Schmidt, Sie haben zugesagt, die Mittel aus der Eil-verordnung zur Stützung der Obst- und Gemüsebauernins Schulobstprogramm zu leiten. Das ist schon einmalein guter Anfang. Ich hoffe, dass wir in dem Haushaltnoch ein paar weitere Schritte miteinander gehen kön-nen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Elvira
Drobinski-Weiß.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr verehrte Damen und Herren auf den Zuschauerrän-gen! „Genießt uns!“, diese Initiative wird Ihnen, liebeKolleginnen und Kollegen, morgen früh am Südausgangdes Reichstages einen Frühstückssnack überreichen mitLebensmitteln, die normalerweise weggeworfen würden.Aber keine Sorge: Sie können sie ohne Bedenken ver-zehren. Die Lebensmittel gehören zu den Lebensmitteln,von denen bei uns leider so viele im Müll landen. DieseAktion soll darauf aufmerksam machen, dass allein inDeutschland jedes Jahr 11 Millionen Tonnen Lebens-mittel weggeworfen werden.Was das mit dem Haushalt zu tun hat, fragen Sie sich?Viel! Denn diese Aktion soll auch daran erinnern, dasswir, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,schon 2012 fraktionsübergreifend beschlossen haben
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4735
Elvira Drobinski-Weiß
(C)
(B)
– vielleicht erinnern Sie sich daran; ich glaube, HerrRöring war auch mit dabei –, etwas gegen diese Ver-schwendung zu tun. Sie frisst so viele Ressourcen, kostetMilliarden und trägt global zum Klimawandel wie zumHunger in der Welt bei.Die von der ehemaligen Bundeslandwirtschaftsminis-terin Aigner aufgesetzte Kampagne „Zu gut für dieTonne“ war ein guter Start. Auch in diesem Jahr sind imBudget des Ministeriums dafür 1 Million Euro vorgese-hen. Die Mittel fließen bisher vor allem in die Verbrau-cheraufklärung. Das ist sicherlich richtig und notwendig.Ich finde aber, wenn wir diesem Problem – ich erinnerenoch einmal daran: bei uns werden pro Jahr 11 MillionenTonnen Lebensmittel weggeworfen – beikommen wol-len, müssen wir verstärkt auch die anderen Teilnehmerder Lebensmittelkette in die Verantwortung nehmen.Wir, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Bundestagsfraktion, wollen uns daher in den Haushalts-verhandlungen dafür einsetzen, dass ausreichend Mittelfür Studien zur Lebensmittelverschwendung in derLandwirtschaft und in den anderen Teilen der Wert-schöpfungskette zur Verfügung gestellt werden.
Wir müssen wissen, wie viel wo warum weggeworfenwird, um entsprechende Gegenmaßnahmen entwickelnzu können. Die bisherigen Untersuchungen zu Handel,Gastronomie und Industrie – alle, die schon etwas längerdabei sind, kennen sie – sind nicht sehr hilfreich; daswill ich sagen, auch wenn der Kollege Holzenkamp daetwas skeptisch guckt. Ihnen liegen nämlich keinekonkreten Messungen oder verlässliche Zahlen dieserverschiedenen Branchen zugrunde. Die einzelnen Wirt-schaftszweige verschweigen bisher, wie viel sie wirklichwegwerfen. Daraus müssen wir selbstverständlich dieKonsequenzen ziehen. Wir brauchen Zielvorgaben fürdie Wirtschaft. Wir müssen ein konkretes Abfallvermei-dungsprogramm für alle Branchen entwickeln. Wir müs-sen vorbildliche Projekte ganz konkret fördern und un-terstützen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen – icherinnere Sie noch einmal daran –, haben wir schon 2012in einem fraktionsübergreifenden Antrag geschrieben.Sie wissen: Kurz vor Weihnachten macht sich so etwasimmer ganz besonders gut. Ich denke, liebe Kolleginnenund Kollegen von der CDU/CSU, sehr geehrter HerrMinister Schmidt, wir müssen jetzt endlich an dieUmsetzung dieser Forderung, die wir damals bereits for-muliert haben, gehen.
„Zu gut für die Tonne“ darf sich nicht allein mit Ver-brauchertipps begnügen. Für die Forschung und für einProgramm gegen Lebensmittelverschwendung, das alleWirtschaftsbeteiligten einbindet, müssen wir entspre-chende Mittel bereitstellen. Dafür wollen wir als SPDuns in den Haushaltsverhandlungen starkmachen. Dembeschämenden Ausmaß der Lebensmittelverschwendung– ich sage es noch einmal: 11 Millionen Tonnen Lebens-mittel pro Jahr – werden wir entschieden und konsequententgegentreten.Ich möchte noch auf einen anderen Punkt eingehen:16 Millionen Euro sind im Budget des Ernährungsminis-teriums für die Information der Verbraucherinnen undVerbraucher vorgesehen. Wir werden uns dafür einset-zen, dass aus diesem Topf endlich eine Informations-kampagne für das „Ohne Gentechnik“-Siegel finanziertwird. Wie Sie wissen, lehnt die Mehrzahl der Verbrau-cherinnen und Verbraucher Gentechnik im Essen ab. Dasfreiwillige Siegel ist bisher leider die einzige Möglich-keit, verlässlich Produkte zu erkennen, die ohne den Ein-satz von GVO-verändertem Futter hergestellt wordensind. Leider ist dies viel zu wenig bekannt. Natürlich istdies kein Ersatz für die verpflichtende Kennzeichnungvon Eiern, Milch oder Fleisch, bei denen gentechnischveränderte Futtermittel eingesetzt wurden. Wir kämpfenweiterhin vehement für diese Kennzeichnung.Das „Ohne Gentechnik“-Siegel haben wir bereits; dashabe ich schon erwähnt. Zahlreiche Produkte tragen es.Allerdings ist das vorhandene Potenzial noch längstnicht ausgeschöpft. Ich freue mich schon auf das verein-barte Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen vonder CDU/CSU zu diesem Thema. Wir wollen das end-lich ändern. Dafür brauchen wir eine gute und einschla-gende Informationskampagne.Sie hören es: Wir haben noch ein paar Baustellen. Aufdie anstehenden Diskussionen freue ich mich sehr.Vielen Dank.
Ich bedanke mich für die Rededisziplin; das muss
man ja einmal sagen. Am heutigen Tag ist das nicht ganz
selbstverständlich.
Das Wort hat der Kollege Harald Ebner für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnenund Kollegen! Herr Minister Schmidt, in der letzten Wo-che war ich mit Kolleginnen und Kollegen des Agraraus-schusses wegen der TTIP-Verhandlungen in den USA.Dort habe ich eine Art Hochleistungsagrarindustrieerlebt, die mit Gentechnik, mit Hormonen und mit Pestizi-den durchrationalisiert Nahrungsmittel produziert. Mit un-serer Agrarkultur hat das nur noch wenig zu tun. Bäuerli-che Familienbetriebe, die Sie, Herr Minister, und ich ausunserer Heimat kennen, haben in diesem Agrarmodellkeine Zukunft. Ihre Aufgabe wäre es, der bäuerlichenökologischen Landwirtschaft mit Ihrem Haushalt einePerspektive zu geben. Doch leider ist das Gegenteil derFall.
Wenn wir bäuerliche Betriebe unterstützen wollen,dann müssen wir in Innovationen investieren, die diesenBetrieben Perspektiven eröffnen. Wenn Sie aber mitTierwohlprogrammen die Akzeptanz der Massentier-haltung verbessern wollen, helfen Sie damit eben gerade
Metadaten/Kopzeile:
4736 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Harald Ebner
(C)
(B)
nicht den bäuerlichen Betrieben bei der Bewältigung derHerausforderungen des Tierschutzes – diese brauchennämlich statt Imagewerbung konkrete Umbauhilfen –,sondern deren Konkurrenz in großem Stil.
„Gleiche Unterstützung für alle“ bedeutet im Klartext:Freie Fahrt für den Strukturwandel. Damit fördern Sieweiterhin die aktive Selbstabschaffung der bäuerlichenLandwirtschaft. Wir haben vom Kollegen Priesmeier ge-hört, dass die SPD das beschleunigen möchte. – EinWort zur Hofabgabeklausel in diesem Zusammenhang:Die gehört nicht modifiziert, sondern abgeschafft.
Herr Minister, eine echte Stärkung der bäuerlichenökologischen Landwirtschaft fördert auch und vor allemdie ländlichen Räume, von denen Sie gesprochen haben.Ja, Sie haben hier etwas aufgelegt – immerhin! Die Bun-deskanzlerin hat aber im Frühjahr 2013 die EU-Förder-mittel für die zweite Säule um 350 Millionen Euro proJahr rasiert. Und jetzt präsentieren Sie uns ein Mini-Bundesprogramm von 10 Millionen Euro als die Lö-sung? Ihr Finanzminister holt sich das Geld wirklichnicht bei der Bank. Er macht den ländlichen Raum „zurSau“, indem er ihn zum Sparschwein degradiert.
Allein unseren grünen Landesagrarministerinnen und -mi-nistern ist es zu verdanken, dass die Förderung der länd-lichen Räume eben nicht völlig eingebrochen ist, unddas gegen heftigste Widerstände – ich muss es leidersagen – aus der Union.
Wo bleibt, Herr Minister, die von Ihrem Chef in Mün-chen noch im letzten November mit großem Brimboriumversprochene Aufstockung der Mittel für die GAK um200 Millionen Euro, um die Merkel’schen Kürzungenaufzufangen? Inzwischen treibt Seehofer lieber eineneue Sau durchs Dorf. Ich rufe Sie dazu auf, an derAufstockung von 200 Millionen Euro festzuhalten. Wirjedenfalls werden sie beantragen; denn der ländlicheRaum und die nachhaltige Landwirtschaft haben das bit-ter nötig.
Kollege Ebner, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
kung aus der Unionsfraktion?
Aber gerne doch. – Herr Kollege de Vries.
Lieber Herr Ebner, Sie haben gerade wieder den wun-
derbaren Begriff „Massentierhaltung“ in den Mund ge-
nommen. Ich möchte endlich von Ihnen wissen, was
Massentierhaltung eigentlich ist.
Ich könnte auch „großmaßstäbliche Intensivtierhal-tung“ sagen, dauert aber länger. Das ist es.
– Nein. Schauen Sie nach Niedersachsen, schauen Sienach Brandenburg. Dort sind erhebliche Teile der Tier-haltung nicht mehr an die Fläche gebunden. ErheblicheTeile unserer Tierproduktion finden ohne eine Flächen-bindung statt mit importiertem Futtermittel, das in gro-ßen Teilen aus Südamerika stammt, beispielsweise Soja,und zwar auf engem Raum und in großen Mengen.
Die genaue Grenze zur Massentierhaltung kann mannicht ziehen. Aber da fängt sie meiner Meinung nach an.
Natürlich spielt bei der ökologisch-nachhaltigenLandwirtschaft und den Maßnahmen für den ländlichenRaum auch der Ökolandbau eine zentrale Rolle. Trotzder riesigen Nachfrage nach heimischen Bioprodukten
gibt es von Ihnen keinen einzigen Cent mehr im Bundes-programm „Ökolandbau und Sonstiges“. Noch schlim-mer: Sie reservieren dieses Geld nicht einmal für denÖkolandbau.
Das größte Hindernis für den Ökolandbau ist Ihre Agrar-politik. Wer „Öko“ nach vorne bringen will, darf ebennicht dieser Art von Agrarmodellen und dem Anbau vonGenmais den Weg freimachen, Herr Minister,
und er darf schon gar nicht zusehen – das ist mir beson-ders wichtig –, wie mit dem neuen Kommissionsvor-schlag für die EU-Öko-Verordnung das Grundprinzipder Prozessqualität geschleift werden soll und Öko-betriebe in ihrer Existenz gefährdet werden. Dieser Vor-schlag gehört nicht in Ratsarbeitsgruppen, sondern inden Papierkorb, Herr Minister. Dafür müssen Sie sorgen.Was aber der Ökolandbau braucht, sind die Zweck-bindung von 20 Prozent der Agrarforschungsmittel fürden Ökosektor und die Konzentration der Mittel imBundesprogramm auf den Ökolandbau. Beides werdenwir beantragen. Es ist gut, dass die SPD unseren Antragunterstützt, wie ich gehört habe.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4737
Harald Ebner
(C)
(B)
Der Raiffeisenverband redet gerade den Untergangdes Agrarstandortes Deutschland herbei, weil den Be-trieben angeblich die Pestizide ausgingen. Die großenAgrarverbände fordern, bei der Zulassung von Pestizi-den nicht mehr so genau auf ökologische und gesund-heitliche Risiken zu achten. Genau das wollen mancheüber das TTIP-Abkommen erreichen. Es darf aber, werteKolleginnen und Kollegen, keinen Nachlass beimUmwelt- und Verbraucherschutz geben. Das BeispielNeonikotinoide beweist, welch massive Risiken auch inmodernen Pflanzenschutzmitteln verborgen sind. DieEU fordert seit fünf Jahren, die Abhängigkeit von derVerwendung von Pestiziden zu verringern. Aber dafürhaben Sie keinen Plan und erst recht kein Programm imHaushalt.
Kollege Ebner, ich weiß etwas, was Sie noch nicht
wissen: Ihre Uhr ist angehalten. Ich frage Sie, ob Ihnen
der Kollege Holzenkamp eine Frage stellen darf oder
eine Bemerkung machen kann.
Ja.
Verehrter Herr Kollege Ebner, ich will Ihnen nicht nur
die Chance geben, Ihre Redezeit zu verlängern. Mich in-
teressiert vielmehr Ihre Antwort auf eine Frage. Sie spre-
chen ausschließlich von der ökologischen Landwirt-
schaft. Was meinen Sie damit konkret? Sie reden
nämlich ausschließlich von Förderprogrammen für die-
sen Bereich.
Sind Sie der Meinung, dass wir die 80 Millionen Men-
schen in Deutschland ausschließlich mit der ökologi-
schen Landwirtschaft ernähren können? Sind Sie der
Meinung, dass sich die Menschen aus allen gesellschaft-
lichen Ebenen Produkte aus der ökologischen Landwirt-
schaft leisten können? Wie stellen Sie sich eine solche
Umsetzung ganz konkret vor?
Lieber Kollege Holzenkamp, Sie selbst haben immer
noch in einigen Papieren stehen – das ist auch eine alte
Forderung des Rats für Nachhaltigkeit der Bundesregie-
rung –, dass der Ökolandbau in den nächsten Jahren auf
eine Zielgröße von 20 Prozent zu bringen sei. Wir kön-
nen uns darüber unterhalten, ob es mehr oder weniger
sein soll. Darüber spreche ich. Was müssen wir tun, da-
mit wir überhaupt auf diese Zielgröße kommen und in
der Lage sind, hier in diesem Land mit unseren bäuerli-
chen Betrieben die Nachfrage nach Biolebensmitteln zu
befriedigen? Das wäre schon einmal ein erster Schritt.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass wir den Men-
schen hier im Land und weltweit natürlich die Wahlfrei-
heit lassen sollten, was sie essen wollen.
Darin sind wir uns ganz bestimmt einig. Es gibt immer
mehr Menschen, die Ökolebensmittel essen wollen. Das
sollten wir ihnen auch ermöglichen.
Vielleicht haben Sie es schon vergessen, Herr Minis-
ter, die Kollegin Drobinski-Weiß hat es zum Glück nicht
vergessen: Das BMEL ist auch für den gesundheitlichen
Verbraucherschutz verantwortlich. Gerade erst ist der
Minister auf der AMK mit seinem Plan krachend ge-
scheitert, die geplanten Gentechnikanbauverbote auf die
einzelnen Bundesländer herunterzubrechen und damit
das Chaos perfekt zu machen. Es ist gut so, dass er damit
gescheitert ist; denn statt den Türöffner für den Genmais
zu spielen, könnten Sie die Wahlfreiheit – Herr Kollege
Holzenkamp, da sind wir wieder beim Thema – stärken
und endlich das von Ihrem Haus entwickelte Qualitäts-
zeichen „Ohne Gentechnik“ einer breiteren Öffentlich-
keit bekannt machen.
Stattdessen sehen Sie weiter zu, wie den Verbrauche-
rinnen und Verbrauchern Fleisch- und Milchprodukte,
die auf Basis von Gentechnikfutter produziert worden
sind, ohne Kennzeichnung untergejubelt werden. Damit
muss Schluss sein. Statt in die genannte Exportförderung
sollten Sie die 2 Millionen Euro in das „Ohne Gentech-
nik“-Siegel investieren.
Es ist sehr bedauerlich, dass Ihr Agrarhaushalt den
bäuerlichen Betrieben, der Umwelt und den Verbrau-
chern keine Zukunftsperspektive bietet. Das soll er auch
nicht, wenn ich den Kollegen Priesmeier richtig verstan-
den habe. Vermutlich dürfen Sie auch nicht anders ange-
sichts des TTIP-Abkommens mit den USA. Wir alle im
Saal wissen spätestens seit der Ifo-Studie, dass dieses
Abkommen auf Kosten unserer bäuerlichen Landwirt-
schaft geht. Der Kollege Röring hat gesagt: An der deut-
schen Landwirtschaft wird TTIP nicht scheitern.
Aber ich bin überzeugt: Wie es jetzt aussieht, wird die
deutsche bäuerliche Landwirtschaft an TTIP scheitern.
Ich rufe Sie auf, mit uns gemeinsam genau dieses zu ver-
hindern.
Danke schön.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun die KolleginMarlene Mortler.
Metadaten/Kopzeile:
4738 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Heute geht es nicht um Details der Agrarpolitik, umGreening, um Gentechnik, um Düngeverordnung, heutegeht es ums Ganze. Wo kommen wir her, wo stehen wir,und vor allem wo wollen wir hin? Es geht um die grund-sätzliche Ausrichtung unserer Landwirtschaftspolitik,und die spiegelt sich – herzlichen Dank, lieber HerrMinister – in unserem Agrarhaushalt wider.Sie alle wissen, dass der CSU die Landwirtschaftbesonders wichtig ist, dass sie uns am Herzen liegt. Vielemeiner Kolleginnen und Kollegen aus der Landesgruppekommen aus der Landwirtschaft, und auch ich habeLandwirtschaft von der Pike auf erlernt und lebe und ar-beite mit meiner Familie auf unserem Hof.Gerade weil wir dicht an unseren Betrieben dran sind,nehmen wir wahr und spüren wir, wie viele Bauern unterimmer neuen Anforderungen ächzen. Das beginnt beiden Umweltstandards und setzt sich beim Mindestlohnfort. Um es ganz klar zu sagen: Mit einem normalenlandwirtschaftlichen Familienbetrieb ist es heute vielschwieriger, eine Familie zu ernähren, als eine Genera-tion früher.
Ich stelle hier keine der bestehenden Regelungen undStandards infrage, ich möchte nur festhalten, dass sich inder Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten unglaub-lich viel getan hat und dass der Aufwand, mit dem un-sere Betriebe, also unsere Ernährer, gesellschaftlichenAnforderungen nachkommen, enorm ist. Zugleich zei-gen Umfragen, dass viele Verbraucherinnen undVerbraucher nach wie vor der Meinung sind – auch dieVorredner vonseiten der Opposition –, es gehe mit derQualität und der Sicherheit von Lebensmitteln eherbergab – gegen jede Erfahrung, trotz weltweit höchsterLebensmittelstandards und trotz dieses riesigen Aufwan-des.Es ist ja eine gute Nachricht, dass das Thema Ernäh-rung heute so ernst genommen wird. Es sind auch guteNachrichten, dass für viele längst nicht nur der Preis vonObst und Gemüse zählt, dass es den Konsumenten nichtegal ist, wie es im Stall aussieht, dass es ihnen nicht egalist, was auf Tiertransporten geschieht, und es ihnen auchnicht gleich ist, was ein Bauer auf seinem Acker macht,was genau er anbaut, wie und womit er düngt, womit erseine Pflanzen behandelt. Doch diese Besorgnis trägtmitunter merkwürdige Früchte, weil das Gros derVerbraucherinnen und Verbraucher heute nur noch einediffuse Vorstellung von dem hat, was auf einem Bauern-hof wirklich geschieht. Wer weiß denn in einer hoch-technisierten Welt noch, welche Kunst es ist, eine or-dentliche Ernte einzufahren, und wo die eigentlichenHerausforderungen in der Tierhaltung liegen? Jeder vonuns kennt die romantische Vorstellung, nur in einemKleinstbetrieb mit zehn Kühen und fünf Schweinen gehees den Tieren richtig gut, oder aber die Meinung, dassdas Gemüse im Bioladen um die Ecke am frischestensei. Ich habe wahrlich nichts gegen Bioläden – auch wirverarbeiten in unserem Betrieb Produkte aus biologi-schem Anbau –, aber verkürzen darf man diese Debattenicht.Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe dasGefühl, dass sich Landwirtschaft und Verbraucher inDeutschland in den letzten Jahren voneinander entfernthaben, und es ist eine der zentralen Aufgaben unsererAgrarpolitik, aber auch der Landwirte selber, hieran et-was zu ändern bzw. im positiven Sinne zu verbessern.
Wir sollten auch einen Moment darüber nachdenken,wie wir selbst dazu beigetragen haben, auch hier imHaus. Natürlich weiß jeder, dass er viel Applaus be-kommt, wenn er etwa pauschal gegen Pflanzenschutz-mittel wettert – Sie, Frau Maisch, haben genug Beispielegebracht –,
obwohl doch ein verantwortungsvoller Einsatz nicht nurdie Existenz vieler Betriebe sichert,
sondern auch dazu beiträgt, Flächen effizient und spar-sam zu nutzen, um am Ende unsere eigene Versorgungzu sichern.
Das Gleiche ist der Fall, wenn man in der Tierwohl-debatte einfach pauschal die Tierhaltung geißelt.
Glauben Sie mir: Ich halte wenig von Megaställen, vonriesigen Mastbetrieben, aber ich erkenne auch, dass eszwischen Betriebsgröße und Tierwohl erst einmal keinenZusammenhang gibt.
Meine Damen und Herren, wir sind es unseren Bäue-rinnen und Bauern und genauso uns allen als Verbrau-cherinnen und Verbrauchern schuldig, sachlicher, fun-dierter und vorurteilsfreier über unsere Erwartungen andie Landwirtschaft zu sprechen.
Lassen Sie mich konkret werden. Ich sehe drei The-men, über die wir dringend reden sollten.Erstens. Wie kann es unseren Tieren besser gehen? Iminternationalen Vergleich sind die Tierwohlstandards inDeutschland hoch. Das ist unbestritten, und da ist schonsehr viel geschehen. Dennoch will ein bestimmter Teilder Menschen in unserem Land einen Schritt weiterge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4739
Marlene Mortler
(C)
(B)
hen. Lassen Sie uns deswegen konzentriert und mit derPraxis, so wie es Johannes Röring geschildert hat, überMaßnahmen reden, die in der Breite ein höheres Tier-wohlniveau schaffen, die am Markt aber auch refinan-zierbar sind – ohne Hysterie, aber mit dem Willen, wirk-lich etwas zu verändern. Immer mehr Auflagen undimmer billiger geht nicht.
Wir investieren gerne in noch mehr Tierwohl, wenn derVerbraucher es will und dafür bezahlt. Oder reden wiram Ende über ein Beruhigungsmittel für eine elitäreMinderheit in unserem Land? Es wird sich zeigen.Danke, lieber Johannes, zum zweiten Mal und ganzpersönlich. Du machst hier einen Riesenjob. Du redestmit Vertretern der gesamten Produktionskette, mit derganzen Branche: Bauern, Verarbeiter, Handel. Ich weiß,dass jetzt endlich dieser Aha-Effekt eingetreten ist, dassder Handel nämlich nicht immer und automatisch aufunsere Kosten, auf Kosten der Bauern und Bäuerinnen,profitieren und sich profilieren kann, sondern dass aucher Farbe bekennen muss im Sinne der Verbraucherinnenund Verbraucher, aber auch im Sinne unserer Bauern undBäuerinnen.
Zweitens. Weniger mit Tier- als mit Menschenwohlund Umweltschutz hat ein anderes Thema zu tun: dieÜberkonzentration in der Tiermast. Wollen wir inDeutschland wirklich Mastbetriebe mit 20 000, 30 000oder 60 000 Schweinen? Ist es wirklich sinnvoll, dieTierhaltung immer weiter in einigen wenigen Regionenzu konzentrieren?
– Wir diskutieren darüber. – Wir sehen in der Diskussionum die Düngeverordnung, wie schwierig es ist, einNährstoffgleichgewicht hinzubekommen.
Wir sehen auch, dass solche Anlagen von vielen Men-schen, die Landwirtschaft in der Gesamtheit kritisieren– ob zu Recht oder nicht, sei dahingestellt –, abgelehntwerden. Offensichtlich überfordern sie ihre Umgebung.
Kollegin Mortler, achten Sie bitte auf die Zeit.
Tierhaltung mit Augenmaß, Tierwohl mit Verstand,
das sind die Überschriften. Wir haben gezeigt, meine
lieben Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin, dass
wir es schaffen können, wenn wir nur wollen, die
Debatte zu versachlichen.
Letztes Beispiel: Glyphosat.
Unsere Anhörung hat eindrucksvoll bestätigt, dass, wenn
in den USA Schindluder mit diesem Produkt getrieben
wird, das nicht automatisch auf Deutschland übertragbar
ist und dass der Umgang mit diesem Mittel bis zum heu-
tigen Tag verantwortungsbewusst ist.
Frau Kollegin, Sie sprechen auf Kosten Ihrer Frak-
tionskollegen; ich sage das jetzt ganz deutlich.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich plädiere
am Ende für eine Rückbesinnung auf den solide wirt-
schaftenden, verantwortlich handelnden bäuerlichen Fa-
milienbetrieb, und ich plädiere dafür, dass wir in diesem
Sinne unseren Agrarhaushalt für eine zukunftsfähige
Landwirtschaft in Deutschland unterstützen, weil wir da-
mit die richtigen Weichen stellen.
Ich danke Ihnen.
Ich schaue jetzt zur Fraktion der Grünen. War das die
Anmeldung einer Kurzintervention oder nicht?
– Dann ist das erledigt.
Das Wort hat die Kollegin Christina Jantz für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchtenoch einmal den Fokus auf den Tierschutz legen. Geradeals Tierschutzbeauftragte meiner Fraktion freue ichmich, dass trotz umfassender Sparbemühungen im Haus-halt dem Tierschutz doch ein großer Raum zugestandenwird.
Dafür haben wir, meine Kollegen von der SPD, gemein-sam gekämpft.
Bei der Umsetzung dieser Projekte, die uns mit denim Haushalt stehenden Mitteln möglich sind, insbeson-dere zum Beispiel in der Tierhaltung, müssen wirallerdings – auch das ist angesprochen worden – zweiGruppen ganz besonders mitnehmen. Das sind zum ei-nen natürlich die Landwirte, die uns aufgrund ihrer Er-fahrung viel zu guter Tierhaltung sagen können. Wirmüssen aber auf der anderen Seite hierbei die Verbrau-
Metadaten/Kopzeile:
4740 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Christina Jantz
(B)
cherinnen und Verbraucher mitnehmen. Nur ein Umden-ken an der Fleischtheke wird nämlich dazu beitragen,dass das Leben der Tiere in den Ställen tatsächlich ver-bessert wird.
Angesprochen sei hier natürlich die Initiative Tier-wohl. Und, Kollege Röring, wir hatten gestern ein Ge-spräch mit den Kollegen beim Deutschen Bauernver-band, allen voran mit Ihrem Präsidenten. Und selbst derhat sich ein bisschen zurückhaltender geäußert, als Siedas gerade getan haben.Von daher möchte ich das Augenmerk ganz klar aufeine verbindliche Kennzeichnung, wie zum Beispiel dasTierschutzlabel, richten. Denn ich denke, dass geradedas einen sinnvollen Beitrag leisten kann.
Auch zu der von unserem LandwirtschaftsministerHerrn Schmidt zu Recht geforderten Stärkung des ländli-chen Raumes kommen wir nur bei einem Umdenken inder Tierhaltung – hin zu einer Landwirtschaft in derForm der Familienbetriebe, die auch auf die UmweltRücksicht nimmt. Denn die negativen Folgen von riesigenAgrarbetrieben sind uns bekannt. Sie ziehen Belastungenfür Umwelt und Anwohner nach sich. Die Umweltaus-wirkungen, wie die Belastungen des Grundwassers, sindvielerorts – auch bei uns zu Hause – bereits spürbar undnicht mehr wegzudiskutieren.Ein wichtiges und entscheidendes Element sind hierdie Tierhaltungssysteme. Allerdings muss sich die Tier-haltung dabei an das Tier anpassen und nicht umgekehrt,wie wir das teilweise noch erleben.
Meine Damen und Herren, wir greifen genau diesesThema ganz aktiv auf. Wir suchen Kontakt zu den Län-dern und auch zu den Institutionen, die hier bereits bei-spielhaft agiert haben, führen Expertengespräche vor Ortund auch hier in Berlin.Damit wir unser Ziel einer bäuerlichen Landwirt-schaft in der Form der Familienbetriebe, die das Wohlder Tiere und Wettbewerbsfähigkeit miteinander verbin-det, erreichen können, brauchen wir natürlich auch wei-terhin eine gut ausgestattete Forschung. Auch hier sindwir mit dem Haushalt auf dem richtigen Weg.Ich möchte einmal die Zahlen nennen, die bisher fürdas kommende Jahr 2015 im Haushalt eingeplant sind.Für Tierschutz stehen 33,6 Millionen Euro zur Verfü-gung. Das ist eine enorme Steigerung gegenüber demJahr 2014; da waren es nämlich 20 Millionen Euro.
Diese zusätzlichen Mittel kommen insbesondere denTieren zugute. Selbstverständlich profitieren aber lang-fristig auch die Landwirte und die Verbraucher von die-ser Erhöhung.Für 2015 möchte ich dabei besonders auf zwei Punkteeingehen: zum einen auf das Bundesinstitut für Risiko-bewertung mit seiner Zentralstelle zur Erfassung undBewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zumTierversuch – kurz: ZEBET. Hier werden für den Tier-schutz nun über 9 Millionen Euro ausgegeben. Gerademit Blick auf die 1,5 Millionen Euro aus dem Jahr 2014stärken wir hiermit die Bemühungen in Deutschlandenorm.Zum anderen möchte ich auf die Modell- und Demon-strationsvorhaben eingehen. Im Jahr 2013 wurde bereitsein Vorhaben mit dem Titel „Tierschutz“ initiiert. In die-sem Entwurf sind nun für Tierschutzvorhaben in dementsprechenden Haushaltstitel 5 Millionen Euro vorgese-hen. Auch für die kommenden Jahre sieht die Finanzpla-nung weitere Mittel vor. So stehen in den nächsten Jah-ren 21 Millionen Euro bereit, um zum Beispiel die heftigdiskutierten Bereiche des Tierschutzes zu bearbeiten.Beispielhaft sei hier das Kupieren zum Beispiel vonSchnäbeln bei Geflügel und Schwänzen bei Schweinengenannt. Das gilt es zu vermeiden und zu verhindern.
Zudem soll durch die Verfahren gezeigt werden, wie dieHygiene in den Ställen gesteigert und der Einsatz vonAntibiotika reduziert werden kann.Jedoch müssen wir in der Forschung ganz allgemeindarauf achtgeben, welche Projekte wir unterstützen. Ei-nen wichtigeren Stellenwert als heute muss aus meinerSicht die In-vitro-Forschung spielen. „In vitro“ heißt,dass Bedingungen von Lebewesen nachgestellt werden,Lebewesen – Tiere – aber nicht selbst als Forschungsob-jekte eingesetzt werden. Hier muss sich meiner Meinungnach auch ein Wandel in der Wissenschaft vollziehen.
Publikationen über Tierversuche sind häufig in Fachzeit-schriften zu finden; die In-vitro-Forschung hingegen ge-nießt nur ein Schattendasein.Meine Damen und Herren, abschließend: Das ThemaTierschutz wird im Haushalt ernsthaft aufgegriffen. Dasist nicht bloß ein Feigenblatt. Doch der vor uns liegendeWeg – das hat die Diskussion hier schon gezeigt – for-dert unsere fortwährende und gemeinsame Anstrengung.Ich lade Sie ein, diesen Weg mit uns gemeinsam zu ge-hen.Vielen Dank.
Ich weise trotzdem darauf hin, dass die Ankündigungdes Endes der Rede ebendieses Ende nicht ersetzt.
Ich bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen, darauf zu ach-ten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4741
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Das Wort hat die Kollegin Katharina Landgraf für dieUnionsfraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle zunächst
einmal fest, dass mein Thema in der Debatte des Land-
wirtschaftshaushaltes angenehm und interessant ist. Es
geht nämlich um die Ernährung, besser gesagt, die ge-
sunde Ernährung.
Das Thema interessiert doch wohl jeden Menschen.
Kochen und Speisen begeistern immer mehr Fernsehzu-
schauer. Heute Nachmittag zum Beispiel laufen im ZDF
sogar zwei Kochshows, nur unterbrochen durch die
Nachrichten. Bei diesen sogenannten Küchenschlachten
in öffentlich-rechtlichen Programmen, aber auch bei den
Privaten und in den geruhsamen Heimatmagazinen kann
man neugierig und völlig legitim in fremde und manch-
mal sogar auch in adlige Küchen und Kochtöpfe gucken.
Es gibt kaum eine Unterhaltungssendung, in der nicht
gekocht und gespeist wird. Hin und wieder wird nicht
nur das jeweilige Rezept vorgestellt, sondern es werden
auch die Zutaten und deren Herkunft erläutert. Zur Per-
fektion dieser Mediensparte fehlt nur noch das Geruchs-
fernsehen. Das wäre der Hit auf der nächsten Funkaus-
stellung in Berlin.
Die mediale Publicity für Kochen und Genießen ist
fast nicht mehr steigerungsfähig. Das Ganze erscheint
wie ein Selbstläufer. Angesichts dieser Fülle von Ange-
boten rund um die Uhr könnte man meinen, dass weitere
Aufklärungskampagnen oder vom Bund geförderte Pro-
jekte zum Thema Ernährung eingespart werden könnten.
Aber so einfach ist das nicht.
Meine Damen und Herren, das Sprichwort dürfte all-
bekannt sein: „Weil Speis und Trank in dieser Welt doch
Leib und Seel’ zusammenhält“. Der Spruch stammt vom
Librettisten Hinsch. Er schrieb ihn für das Singspiel
„Der irrende Ritter Don Quixote“. Wie empfinden wir
heute einen solchen Spruch aus einer Zeit, wo Überfluss
anders interpretiert wurde oder gar nicht so bekannt war?
Immer wieder ist diese Weisheit auch heute noch zu
hören, wenn es darum geht, Speis und Trank zu genie-
ßen. Was machen wir aber, wenn sich zu allem Über-
druss Leib und Seele immer weiter voneinander entfer-
nen, sprich: der Leib immer umfänglicher wird, und das
bei einem unveränderten Geist?
Das ist doch die heutige Misere: Deutschland wie auch
ganz Europa – wie es jüngst auch Brüssel entdeckte –
wird immer schwerer.
Der Handlungsbedarf ist uns bekannt. Die Adipositas-
erkrankung und ihre Vorstufen sind längst ein gesamtge-
sellschaftliches Problem. Der Handlungsdruck ist enorm:
Wir haben seit rund sechs Jahren den nationalen Ak-
tionsplan IN FORM. Das ist die erste Gesamtstrategie,
mit der alle Aktivitäten im Bereich Ernährung und Be-
wegung gebündelt werden sollen. So weit, so gut.
Fünf Handlungsfelder stehen dabei im Mittelpunkt:
Vorbildwirkung der öffentlichen Hand, Bedeutung von
Bildung und Aufklärung – –
Frau Maisch will eine Frage stellen. Ich hoffe, es
passt dazu.
Sie haben das Wort zu einer Frage oder Bemerkung.
Die Uhr wird natürlich angehalten.
Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie das Präsidium
auf meine Wortmeldung aufmerksam gemacht haben. –
Ich habe eine Frage zu Adipositas, die Sie sehr beklagt
haben. Deshalb frage ich Sie: Wie passt Ihre Klage dazu,
dass in Zukunft das Kompetenznetz Adipositas, ein
Netzwerk, zu dem sich viele Akteure zusammenge-
schlossen haben, nicht weiter aus öffentlichen Mitteln fi-
nanziert werden soll?
Davon habe ich nichts gehört. Danach müsste ichmich selber erst einmal erkundigen. Darauf kann ich Ih-nen keine Antwort geben. Wenn es so wäre, dann würdeauch ich das bedauern. Ich hoffe aber, dass wir mit ande-ren Programmen, die ich jetzt noch erläutern werde, zurAdipositasbekämpfung beitragen werden. So weit dazu.Alles andere machen wir später. Das liefere ich nach.Ich fahre fort. Ich war bei der Bedeutung von Bildungund Aufklärung als einem der Handlungsfelder stehengeblieben. Weitere Handlungsfelder sind Bewegung imAlltag, Qualitätsverbesserung bei der Verpflegung außerHaus und Impulse für die Forschung. In Deutschland istein Umfeld zu schaffen, in dem ausgewogene Ernährungund ausreichende Bewegung in allen Lebensbereichenverankert werden. Das ist ein sehr hoher Anspruch. Wi-kipedia verrät außerdem:IN FORM richtet sich an die gesamte Bevölkerung.Die Menschen sollen dort erreicht werden, wo sieleben, arbeiten, lernen und spielen. Der Schwer-punkt der Initiative liegt dabei auf den „Lebenswel-ten“. Dabei geht der Aktionsplan verstärkt zielgrup-penorientiert vor.So gibt es eigene Schwerpunkte für die Bedürfnisse älte-rer Menschen und gezielte Initiativen für Kinder. – Dasfinde ich toll.Wie ist es aber um die öffentliche und mediale Wahr-nehmung bestellt? Meine Antwort würde hier den Rah-men sprengen. Nur so viel sei erst einmal festgestellt:Ein hoher Bekanntheitsgrad in Fachkreisen reicht nicht.Das muss weiter bekannt gemacht werden. Schon imJahr 2008 wurde angekündigt, dass bis zum Jahre 2020das Ernährungs- und Bewegungsverhalten in Deutsch-land nachhaltig zu verbessern sei. Ansätze für eine Halb-zeitbilanz findet man unter anderem im Geschäftsbericht
Metadaten/Kopzeile:
4742 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Katharina Landgraf
(C)
(B)
der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung ausdem Jahr 2013.Gesunde Ernährung und ausreichende Bewegung sindauch im internationalen Kontext besondere Themen. Wiralle sind gespannt, welche neuen Impulse die internatio-nale Konferenz zur Ernährung im November in Rom ge-ben wird. Eingebettet in den Aktionsplan ist übrigensauch PEB, die Plattform „Ernährung und Bewegung“.Sie konnte bereits Anfang dieser Woche ihr zehnjährigesBestehen feiern. Ich möchte betonen, dass es sich beidieser Plattform um einen Zusammenschluss von Vertre-tern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Sport so-wie Eltern und Ärzten handelt. Anlässlich des Jubiläumswurde nun festgestellt, dass unbedingt mehr getan wer-den muss, um schlechte Ernährungsgewohnheiten zu än-dern und Bewegungsarmut zu bekämpfen.Ernährung ist im doppelten Sinn eine Kopfsache undweniger eine Angelegenheit von Zeit und Geld. Es han-delt sich um eine Kopfsache – das ist ganz banal –, weileben jede Nahrung durch den Kopf aufgenommen wird.Die entscheidende andere „Kopfsache“ sind das Wissenund das Wollen jedes einzelnen Menschen. Jeder Menschentscheidet mit seinem Wissen und Unwissen darüber,was er mit den Mahlzeiten aufnimmt. EntscheidendeFaktoren sind das eigene Wissen, regionale Traditionenund Bräuche sowie Gepflogenheiten in der Familie.Aber auch mediale Beeinflussung und Gruppenverhaltenaußerhalb der Familie dürfen nicht unterschätzt werden.Abgesehen davon, dass die Geschmacksnerven imfrühesten Kindesalter entwickelt oder nicht entwickeltwerden, ist die Ernährung ein lebenslanges Thema. Da-her wäre es richtig, wenn wir das alles mit dem lebens-langen Lernen verknüpften. Vor diesem Hintergrundrege ich an, eine Kooperation mit den Volkshochschuleneinzugehen, die sich als Hauptträger lebenslangen Ler-nens bewährt haben. Hier sollte die weitere Umsetzungdes IN-FORM-Aktionsplans eine zentrale Rolle spielen.Somit könnte die Transformation der umfangreichen Er-kenntnisse aus Wissenschaft und Forschung in die All-gemeinbildung der Menschen besser funktionieren.Wenn wir aber dauerhafte Strukturen für die Bil-dungs- und Beratungsarbeit vor Ort schaffen wollen,sollten wir die allgemeine „Förderkrankheit Projektivi-tis“ in diesem Bereich ein für alle Mal heilen. Die Bil-dung betreffend gesunde Ernährung und mehr Bewe-gung ist ein permanenter Prozess, den wir nicht mitzeitlich stark begrenzten Förderprojekten bewältigenkönnen. Wir brauchen daher Konstanz. So lautet auchein vielfacher Wunsch aller Akteure, mit denen ich imVorfeld gesprochen habe.Insgesamt ist positiv zu bewerten, dass wir für Infor-mationsmaßnahmen im Ernährungsbereich 9,3 Millio-nen Euro aus dem Haushalt bekommen. Für die Förde-rung von Projekten der Verbraucherzentralen sollen3 Millionen Euro und für Maßnahmen der allgemeinenVerbraucherinformation noch einmal 3,7 Millionen Eurofließen. Das ist gut. Es könnte sicherlich noch mehr sein.Aber das ist zuerst einmal positiv zu bewerten. Mit dau-erhafter Bildung können wir in Zukunft bei der gesund-heitlichen und medizinischen Betreuung der Menschensteigende Kosten möglicherweise vermeiden. Ich wün-sche mir in diesem Zusammenhang, dass die bewährtenInformationsmittel erhalten bleiben, so auch die Platt-form der Verbraucherzentralen „Lebensmittelklarheit“.Das Projekt läuft Ende dieses Jahres aus. Der Bundes-verband der Verbraucherzentralen erarbeitet derzeit einneues Konzept. Ich wünsche mir sehr, dass das fortge-führt wird.Gesunde Ernährung braucht auch Transparenz undWissen über das, was angeboten wird. Dafür brauchenwir alle Klarheit im besten Sinne. Hier wünsche ich mireine ebenbürtige mediale Präsentation wie mit den ein-gangs erwähnten Kochsendungen. Schlussendlich kön-nen wir so die Leistungen der gesamten Landwirtschaftund deren Bedeutung für eine gesunde Ernährung trans-parent machen und auch würdigen.Wir sind auf einem guten Weg, an dessen Ende einemündige Gesellschaft und aufgeklärte Menschen stehen,die selbst und bewusst darüber entscheiden, ob Speisund Trank den Leib und die Seele zusammenhalten oder,wie eingangs beschrieben, diese auseinanderdriften las-sen. Dafür trägt aber jeder selbst die Verantwortung.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Jeannine Pflugradt für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Gäste! Genauso wie bei der Kol-legin Binder und bei der Kollegin Landgraf bezieht sichauch der Schwerpunkt meiner Rede auf die gesunde Er-nährung. Von daher habe ich sehr wohlwollend zurKenntnis genommen, Herr Minister Schmidt, dass auchIhnen die gesunde Ernährung sehr am Herzen liegt; dasfreut mich.Nur 2 Prozent des Gesamtetats von rund 5,3 Milliar-den Euro des Bundesministeriums für Ernährung undLandwirtschaft für das Haushaltsjahr 2015 entfallen aufden Einzelbereich „Gesundheitlicher Verbraucherschutzund Ernährung“. Allein davon gehen 83,9 MillionenEuro an das Bundesinstitut für Risikobewertung. Geradeeinmal 16 Millionen Euro stehen dem Bereich „Ernäh-rung und Verbraucherinformation“ zur Verfügung. Dassind wiederum 800 000 Euro weniger als noch in diesemHaushaltsjahr, obwohl uns allen in diesem Hause die Be-deutung einer ausgewogenen und gesunden Ernährungbewusst sein sollte.Besorgniserregend erscheint das Ernährungsverhaltender Kinder. Vor allem nach der Einschulung geht bei vie-len Kindern die Gewichtskurve zu steil nach oben. DieStudie des Robert-Koch-Instituts KiGGS zeigt, dass abder ersten Klasse immer mehr Kinder übergewichtig
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4743
Jeannine Pflugradt
(C)
(B)
werden. Besonders in den Jahren nach Schulbeginnsteigt der Anteil von 9 auf 15 Prozent. Der Anteil adipö-ser Kinder verdoppelt sich sogar auf 6,4 Prozent. DieBetroffenen leiden nicht nur an körperlichen Folgen wieerhöhtem Risiko für Diabetes, Bluthochdruck oder Rü-cken- und Gelenkproblemen, sondern oft auch unter see-lischen Schwierigkeiten wie einem geringen Selbstwert-gefühl oder Mobbing.
Nur in jeder dritten Kita gibt es laut einer Studie derBertelsmann Stiftung von diesem Jahr gesundes sowieausgewogenes Essen. Die Kitaverpflegung muss derSchulverpflegung deswegen in allen Belangen gleichge-stellt werden. Der Bund sollte darüber nachdenken, überdas Jahr 2016/2017 hinaus die Mittel für die Vernet-zungsstellen Schulverpflegung zu verstetigen sowie auf-zustocken, um den Mehraufwand für die Unterstützungvon Kitaverpflegung auszugleichen,
da diese einen Part der gesamtgesellschaftlichen Auf-gabe hinsichtlich Prävention und Ernährungsbildungübernehmen. Ausreichend freie Mittel stehen hierfür zurVerfügung.Gesunde Essgewohnheiten von klein auf sind enormwichtig, vor allem als Grundlage für einen gesunden Le-bensstil. Obst und Gemüse sind dabei unentbehrlich füreine vollwertige und ausgeglichene Ernährung.
Ein hoher Verzehr von Obst und Gemüse hat eine posi-tive Wirkung in der Vorbeugung zahlreicher Erkrankun-gen; das darf man nicht vergessen. Nach Erfahrungen inanderen Ländern haben gesunde Snacks und Getränke inSchulen den gewünschten Einfluss auf das Ernährungs-verhalten der Schüler. Je öfter den Schülern und Schüle-rinnen frisches Obst, Gemüse und Salat angeboten wer-den, desto häufiger greifen sie natürlich auch zu.Dementsprechend unterstütze ich weiterhin die Bemü-hungen des Bundes, das EU-Schulfruchtprogramm in al-len Bundesländern zu etablieren sowie kozufinanzieren.
Ich appelliere an dieser Stelle erneut an alle Bundes-länder, die sich noch nicht beteiligen, die von der EU-Kommission bereitgestellten Mittel völlig auszuschöp-fen. Natürlich begrüße ich auch, dass der Nationale Ak-tionsplan „IN FORM“ mit einer gleichbleibenden Summevon 9,3 Millionen Euro im Jahr 2015 gefördert wird. Mitdem Nationalen Aktionsplan soll erreicht werden, dassErwachsene gesünder leben, Kinder dementsprechendgesünder aufwachsen und von einer höheren Lebensqua-lität und einer gesteigerten Leistungsfähigkeit in Bil-dung, Beruf sowie Privatleben profitieren. Dieser Ak-tionsplan ist erst einmal bis zum Jahr 2020 angelegt.Am Ende möchte ich mich ebenfalls noch für eineFörderung des Forschungsinstituts für Kinderernährungin Dortmund vor allem durch den Bund einsetzen.In Kapitel 1005 Titel 554 31 des Haushaltsentwurfes2015 heißt es, es stünden für die laufende Legislaturpe-riode rund 1 Million Euro mehr für Forschung und Ent-wicklung zur Verfügung. Diese zusätzlichen Mittel sol-len insbesondere zur Finanzierung von bereits initiiertenStudien zum Ernährungsverhalten von Kindern und Ju-gendlichen eingesetzt werden. Das macht dieses Institut.Ich denke, das Bundesministerium für Ernährung undLandwirtschaft sollte noch einmal überprüfen, ob mandavon nicht die gewünschten 350 000 Euro für dasForschungsinstitut für Kinderernährung bereitstellenkönnte.
Eine langfristige Konzeption von Prävention und Er-nährungsbildung bei Kindern, Jugendlichen und Er-wachsenen erfordert die Konzentration aller föderalerEbenen. Die finanzielle Mitwirkung des Bundes halteich dabei für unverzichtbar.Vielen Dank.
Der Kollege Cajus Caesar hat für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kollegen undKolleginnen! Ein Motto von uns ist: „Nicht mehr ausge-ben, als wir einnehmen.“ Das ist die Devise der Union.Das ist die Devise dieser Koalition. Damit fahren wirgut. Wir schaffen einen Haushalt, der Zukunftsperspek-tive zeigt.
Wir setzen auf Infrastruktur und setzen dort zusätzli-che Gelder ein. Wir setzen auf die Entlastung der Kom-munen und entlasten sie durch die Grundsicherung,durch die Eingliederungshilfe und durch die Entflech-tungsmittel deutlich. Aber wir setzen auch wesentlichauf Bildung und Forschung. Diese Mittel kommen auchim Landwirtschaftshaushalt an. Deshalb ist dies einHaushalt, der auf Zukunft ausgerichtet ist.
Herr Minister Schmidt hat für den ländlichen Raumwesentliche Akzente gesetzt. Der ländliche Raum istdem Minister wichtig. Er hat ihn zur Chefsache erklärt.Deshalb möchte ich mich bei unserem Minister ChristianSchmidt an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich be-danken.
10 Millionen Euro – von null auf zehn – für diesenBereich einzusetzen, ist Perspektive. Das zeigt: Wir las-
Metadaten/Kopzeile:
4744 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Cajus Caesar
(C)
(B)
sen die Menschen im ländlichen Raum nicht allein. Siesind uns wichtig. Wir wollen ihnen die Chancen und dieRahmenbedingungen geben, die sie verdient haben. Des-halb werden die Union und diese Koalition im ländli-chen Raum die Perspektiven weiter auf den Weg brin-gen, die für den ländlichen Raum wichtig sind. Dazugehört beispielsweise auch die digitale Infrastruktur.Bei den landwirtschaftlichen Sozialsystemen wollenwir die Rahmenbedingungen für unsere Bauern so schaf-fen und weiter auf den Weg bringen, dass wir sie in so-zialer Hinsicht nicht alleinelassen. Wir wollen weiterhindie Rahmenbedingungen bei den Strukturveränderun-gen und der Zusammenführung von Strukturen setzen,gleichzeitig wollen wir Effektivität schaffen. Und wirwollen einen entsprechenden Rahmen bilden, der unse-ren Bauern Verlässlichkeit und Hilfe gibt, er soll so ge-setzt werden, dass wir sozial an ihrer Seite sind.Beim Verbraucherschutz wollen wir insbesondereProjekte wie „IN FORM – Initiative für gesunde Ernäh-rung und mehr Bewegung“ weiterhin fördern. Dafürwerden 9,3 Millionen Euro im Haushalt veranschlagt.Das sind wichtige Mittel; denn ich glaube, dass geradegesunde Ernährung und Bewegung für unsere junge Ge-neration von besonderer Bedeutung sind. Deshalb istdies der richtige Weg, den wir hier beschreiten.
Wir – das wurde eben schon angesprochen – haben inder Kampagne „Zu gut für die Tonne“ und mit dem Er-nährungsführerschein Entsprechendes auf den Weg ge-bracht. Hier gibt es sicherlich noch viel zu tun. Es gibtaber auch entsprechende Perspektiven, um hier etwas zubewegen. Deshalb noch einmal der Dank an das Ministe-rium, aber auch einen Dank an die Kollegen im Fachaus-schuss. Ich nenne hier den Sprecher Franz-JosefHolzenkamp. Danke schön, dass Sie hier in dieser Weiseso aktiv sind.
Wir haben bei der Gemeinschaftsaufgabe, für die600 Millionen Euro veranschlagt sind, die wichtigen Be-reiche der Infrastrukturmaßnahmen, der Schaffung vonzusätzlichen Arbeitsplätzen, den Breitbandausbau, denHochwasser- und Küstenschutz im Auge. Wir wollen sieweiterentwickeln. Wir lassen es nicht zu, dass beispiels-weise an der Küste Häuser abrutschen, sondern werdenden Menschen nicht nur in der Not, sondern auch vor-beugend helfen. Deshalb haben wir schon im Zusam-menhang mit dem Haushalt 2014 den Maßgabebeschlusszum Hochwasserschutz auf den Weg gebracht. Wir wol-len zukünftig vorbeugend Hochwasserschutz betreiben.Das ist uns wichtig; die Menschen sind uns wichtig, aberdie Natur ist uns ebenso wichtig.
Im Bereich Innovation und Forschung sind uns dienachwachsenden Rohstoffe wichtig. Hier darf ich insbe-sondere die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe nen-nen, deren Selbstständigkeit uns wichtig ist. Sie führtpraxisorientierte, auf die Zukunft ausgerichtete Projektedurch, die unkompliziert auf den Weg gebracht werden.Das dort investierte Geld ist gut investiertes Geld.
Wenn wir beispielsweise Projekte zur Gewinnung vonKraftstoff aus Algen, zur Energieeffizienz, aber auch zurstofflichen sowie zur energetischen Verwertung von Bio-masse nach vorne bringen, dann ist das Ausdruck einerPolitik der Koalition, die auf Zukunft ausgerichtet ist.Diese Politik, die auf Zukunft ausgerichtet ist, wollenwir fortsetzen.
Der Herr Minister hat es angesprochen: Wir stehenzur nationalen genauso wie zur internationalen nachhal-tigen Waldwirtschaft. Dieser Bereich bietet zusammenmit der Holzindustrie mehr Arbeitsplätze als die Auto-mobilindustrie, und er erzielt einen Umsatz von über180 Milliarden Euro. Deshalb gilt es auch hier, durch dieSchaffung entsprechender Rahmenbedingungen undProjekte, wie zum Beispiel Forschungsprojekte, denRahmen so zu stecken, dass wir hier erfolgreich sind.Wenn jemand den Rohstoff Holz erfinden würde, würdeer sicherlich zum Nobelpreisträger ernannt; da bin ichganz sicher.
Wir haben im Bereich der Eiweißpflanzenstrategie ei-niges gemeinsam auf den Weg gebracht. Ich sage auch,dass hier unser Koalitionspartner sehr aktiv war. Ge-meinsam sehen wir das als einen wichtigen Bereich an,den wir weiterentwickeln wollen. Denn ich glaube, dassuns Eiweiße aus einheimischen Produkten gut zu Ge-sicht stehen. Deshalb ist die Anhebung des entsprechen-den Ansatzes von 3 Millionen auf jetzt 4 Millionen Europro Jahr eine gute Maßnahme.
Wir haben heute schon einiges zum Tierwohl gehört.Ich finde es gut, dass Johannes Röring hier im Rahmenseiner Tätigkeit im Landwirtschaftsverband, aber auchals Abgeordneter in besonderer Weise tätig geworden ist.Wenn im ehrenamtlichen Bereich, in den Verbänden, et-was reift, wenn Eigentümer, Landwirte, mit dem Handeletwas auf den Weg bringen, dann ist es der richtige Weg.Diesen Weg unterstützen wir ausdrücklich.Ich will auch sagen, dass wir die entsprechenden ge-setzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen schaf-fen. Wir glauben, dass wir richtig liegen, wenn wir dieAnsätze im Bereich des Tierwohls und im Bereich desTierschutzes in den vergangenen drei Jahren verdoppelthaben, auf über 33 Millionen Euro – eine Verdopplung!Das sollte man an dieser Stelle deutlich sagen, weil oftvon der Opposition gesagt wird: „Die tun da nichts“, wo-durch ein falscher Eindruck entsteht. Wir tun sehr viel,und wir setzen hier gemeinsam mit den Eigentümern undden entsprechenden Produzenten auf Innovationen fürunsere Verbraucher, für unsere Bürger. Das ist der rich-tige Weg.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4745
Cajus Caesar
(C)
(B)
Wir haben hier einen Haushalt mit Perspektive vorge-legt. Wir setzen auf Investitionen und auf die richtigenRahmenbedingungen für eine moderne Landwirtschaftund beziehen gleichzeitig unsere Bauern ein. Das ist derWeg der Union, das ist der Weg dieser Koalition, und da-mit werden wir erfolgreich sein.Ich danke Ihnen.
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Johann
Saathoff nun das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter Herr Minister Schmidt! Wieschon einige meiner Vorredner gesagt haben, werden wirerstmals seit 1969 – ich kann mich gut an 1969 erinnern;da habe ich meinen 2. Geburtstag opulent gefeiert –
einen ausgeglichenen Bundeshaushalt beschließen kön-nen. Das bedeutet, dass sich Einnahmen und Ausgabenin der Waage halten und keine neuen Schulden gemachtwerden müssen. Allerdings bedeutet das nicht, dass vor-handene Schulden getilgt werden. Es gibt also nach wievor Herausforderungen für uns, auch vor dem Hinter-grund, dass das Zinsniveau, die Steuereinnahmen unddas Beschäftigungsniveau nicht immer auf diesem Standbleiben werden. Diesen Herausforderungen werden wiruns stellen müssen – im Sinne unserer Kinder und En-kelkinder, denen wir irgendwann einmal einen funk-tionsfähigen Staat übergeben wollen.Eben um unseren nachfolgenden Generationen einenGestaltungsrahmen zu überlassen, haben wir zum Bei-spiel den Mindestlohn eingeführt. Positiver Nebeneffektist, dass wir dadurch auch die Sozialkassen in Deutsch-land in Zukunft deutlich entlasten. Das gilt natürlichauch für die Fleisch-, Land- und Forstwirtschaft.Der Arbeitslohn ist allerdings nicht der einzige Faktorfür verantwortungsvolle Lebens- und Arbeitsbedingun-gen im Staate. Hinzu kommt das Verständnis der Unter-nehmen für die Mitbestimmung.
In Deutschland gibt es unzählige Beispiele dafür, dassUnternehmen mit, durch und wegen betrieblicher Mitbe-stimmung erfolgreich sein können. Es gibt aber leidernoch immer Unternehmen, die meinen, betriebliche Mit-bestimmung sei ein Hindernis. Die Frage ist nicht, ob einUnternehmen sich einen Betriebsrat leisten kann, son-dern, ob es sich ein Unternehmen leisten kann, keinenBetriebsrat zu haben.
Neben dem Thema der betrieblichen Mitbestimmunggibt es ein weiteres wichtiges Thema: Es gibt immernoch Menschen, die in prekären Beschäftigungsverhält-nissen arbeiten müssen. Diese Menschen haben nicht nurunsichere Rahmenbedingungen, also Befristungen usw.,sondern leben zum Teil sogar in völlig unangemessenenUnterkünften. Ich wähle hier bewusst das Wort „Unter-kunft“, denn „wohnen“ kann man das nicht nennen.
In der niedersächsischen Fleischwirtschaft gab es dies-bezüglich in nicht allzu ferner Vergangenheit schlimmeBeispiele. Der Grund dafür war der Trend zur Massen-produktion von Fleisch mit einem dreifachen Qualitäts-kriterium: billig, billig, billig. Diesen Trend zur Massen-produktion werden wir brechen.
Meine Kollegin Christina Jantz hat eben in ihrer Rededeutlich gemacht, dass wir in diesem Bereich klare Ak-zente setzen wollen und deshalb unter anderem die Mit-tel für den Tierschutz deutlich erhöhen.Als Ziel dieser Legislaturperiode haben wir uns aberauch vorgenommen und uns in der Koalition darauf ver-ständigt, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung derAgrarstruktur und des Küstenschutzes“, kurz GAK, um-zubauen zu einer Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Ent-wicklung“.Im Sommer habe ich mir im Süden der Republik zumThema „regionale Wertschöpfung“ praktische Beispieleangesehen. Auf dieser Reise wurde deutlich, dass querdurch die Bundesrepublik die Notwendigkeit besteht, re-gionale Wertschöpfungsketten aufzubauen und zu stär-ken,
auch damit die Menschen vor Ort Arbeit haben und dieLebensqualität im ländlichen Raum wieder gesteigertwerden kann.Zur Lebensqualität im ländlichen Raum gehören auchdie Instrumente der Daseinsvorsorge, insbesondere Ein-richtungen für ältere und pflegebedürftige Menschen so-wie Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für Kinder.In Ostfriesland ist diese Problematik besonders deutlichvorhersehbar. Die Geburtenrate ist stark gesunken. Diejungen Leute verlassen Ostfriesland wegen der an ande-ren Orten besseren Berufschancen. Was bleibt, sind vor-wiegend ältere Menschen. Dieser Herausforderungenwerden wir uns annehmen. Erkenntnis ist dabei der ersteSchritt.
Diese Erkenntnis liegt nun vor. Daher werden wir zurVorbereitung der Weiterentwicklung der Gemeinschafts-aufgabe zunächst für 2015 und 2016 jeweils 10 Millio-nen Euro für das Bundesprogramm für ländliche Ent-wicklung bereitstellen. Mir liegt es am Herzen, zubetonen, dass aus diesen Mitteln für die ländliche Ent-wicklung kein neues Agrarförderungsprogramm wird,sondern dass diese Mittel der Verbesserung der Lebens-bedingungen aller Menschen im ländlichen Raum dienensollen.
Metadaten/Kopzeile:
4746 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Johann Saathoff
(C)
(B)
Ich möchte an dieser Stelle auch einmal etwas zu ei-nem sonst weniger beachteten Zweig der Ernährungs-wirtschaft sagen, zur deutschen Fischerei. In der sit-zungsfreien Zeit habe ich die Gelegenheit genutzt, miteinem Krabbenfischer vor Borkum auf Krabbenfang zugehen. Bei den Krabbenfischern gibt es eine ganze Reiheüber 30 Jahre alter Fahrzeuge, die noch einen Holzrumpfhaben. Es ist kein Geheimnis, dass die deutsche Fische-reiflotte stellenweise stark überaltert ist. Ersatzbautensind im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik nichtzulässig. Aber wir stellen mit diesem Haushalt nach wievor Mittel für die Modernisierung von Fischereifahrzeu-gen zur Verfügung, wenn auch nicht in allzu großemUmfang.Die deutschen Fischer machen auf See eine ganz her-vorragende Arbeit.
Sie haben einen großen Anteil daran, dass sich dieFischerei in den letzten Jahrzehnten hin zu mehr Nach-haltigkeit entwickelt hat. Die Fischer in Deutschland ha-ben sich konsequent an die Quoten gehalten. Sie dürfenaber auch den Anspruch haben, dass diese Quoten auf ei-ner korrekten wissenschaftlichen Basis ermittelt werden.Damit der Forschung die notwendigen Instrumente zurErmittlung dieser Quoten zur Verfügung gestellt werdenkönnen, haben wir auch Mittel für einen Ersatzbau für dasFischereiforschungsschiff „Walther Herwig III“ einge-stellt. Wat mutt, dat mutt.
Diesen Neubau hat die deutsche Fischereiforschungwirklich nötig, denn die „Walther Herwig III“ wurde be-reits 1992 in Dienst gestellt. Sie befindet sich momentanin der Nordsee auf ihrer 377. Forschungsreise und unter-sucht dort die Plattfischvorkommen in der Schollenboxund die Häufigkeit und Verteilung von Heringslarven inden Laichgebieten der Nordseeheringsbestände.Die beiden Fischereiforschungsinstitute in Hamburgund Rostock machen eine hervorragende Arbeit. So trägtDeutschland im Rahmen der Gemeinsamen Fischerei-politik zu einer Bewertung der Fischbestände und da-durch zu mehr Nachhaltigkeit bei der Fischerei bei.Ich wünsche uns bei den anstehenden Beratungenzum Haushalt 2015, dass uns gemeinsam der Paradig-menwechsel hin zur Verbesserung der Lebensbedingun-gen aller Menschen im ländlichen Raum gelingt. Ichfreue mich auf konstruktive Diskussionen in diesemSinne.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegennicht vor.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Ju-gend, Einzelplan 17.Das Wort hat die Bundesministerin ManuelaSchwesig.
– Ich bitte erstens, die notwendigen Umgruppierungen inden Fraktionen zügig vorzunehmen, und zweitens bitteich diejenigen, die ihren Platz gefunden haben, um Auf-merksamkeit für die Ministerin. – Diejenigen, die nichtan dieser Debatte teilhaben können, sollten die notwen-digen Diskussionen nicht hier in den Gängen des Plenar-saals führen, sondern diese bitte nach draußen verlagern. –Ich bedanke mich für die Übermittlung der Nachricht. –Frau Ministerin, Sie haben das Wort.Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren Abgeordnete! Was wird immer weniger, ob-wohl wir immer mehr davon sparen? Ich meine jetztnicht das Geld des Bundeshaushalts, sondern ich meinedie Zeit. Es ist die Zeit, heißt es in der Titelgeschichte imSpiegel der letzten Woche, die den modernen Menschenauf diese Weise verloren geht. Für den Autor ist das einparadoxes Phänomen, für viele Familien in Deutschlandder ganz normale Wahnsinn im Alltag. Job, Kita, Schule,Hausaufgaben, Arzttermine, Fußballspiele am Wochen-ende, pflegebedürftige Eltern – all das und noch vielesmehr drückt auf die Familien.Familie braucht Zeit. Kinder brauchen Zeit. Ehrenamtbraucht Zeit. Pflege braucht Zeit. Zeit ist ein Thema füralle, und damit ist Zeit ein politisches Thema. Zeit fürFamilien, das ist ein Thema, das alle umtreibt. Ich freuemich, dass dieses Thema, das ich zu Beginn dieser Le-gislaturperiode angeschoben habe, jetzt sozusagen Flug-höhe erreicht, dass der Spiegel in einer Titelgeschichtedarüber berichtet, dass die Zeit darüber berichtet, undzwar nicht auf der Seite „Schöner leben“, sondern aufder Wirtschaftsseite, und dass sich mittlerweile immermehr mit diesem Thema beschäftigen.
Wir haben das auch schon gestern in der Generalde-batte gehört. Wenn wir von Belastung und Entlastungsprechen, dann höre ich immer, wer alles belastet wird,aber mir fehlt völlig, dass über die gesprochen wird, dietatsächlich belastet sind, und das sind die Familien in un-serem Land. Die Working Families, die Familien, in de-nen die Eltern arbeiten gehen, die Kitagebühren oderHortgebühren bezahlen, die gleichzeitig unser Sozialver-sicherungssystem und die Rentenverbesserungen tra-gen, sind die Familien, die Belastungen haben. Wir müs-sen als Allererstes etwas für die Familien tun. Dann istdas auch für alle anderen, auch für die Wirtschaft, dienach Fachkräften ruft, gut.
Auch ich habe die Zeit der letzten neun Monate ge-nutzt, um viele Punkte voranzubringen. Im Bundeshaus-halt findet sich die Absicherung der Arbeit für Demokra-tie und Vielfalt, es findet sich die Absicherung des
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4747
Bundesministerin Manuela Schwesig
(C)
(B)
Heimkinderfonds, es findet sich die Absicherung derMehrgenerationenhäuser und vieles andere mehr. Ichmöchte den Schwerpunkt in den Minuten meiner Rede-zeit – denn auch hier ist ja die Zeit begrenzt – auf dasThema „Zeit für Familie“ legen.Ich habe die Debatte um die Familienarbeitszeit ganzbewusst angestoßen, weil es wichtig ist, dass wir die Fa-milien aus dieser Rushhour, die ich eben beschriebenhabe, herausholen, aus der Rushhour, die bedeutet: LiebeFrauen, bekommt fünf Kinder, um den demografischenWandel aufzuhalten! Liebe Frauen, seid als Fachkräfteda! Liebe Frauen, seid möglichst auch für die pflegebe-dürftigen Angehörigen da! – Und dann loben wir alleauch noch das Ehrenamt, das möglichst alle ausübensollten, vor allem und meistens Frauen.Immer mehr Männer wünschen sich, Zeit für ihre Fa-milie zu haben. Die Männer, die alle Vollzeit arbeiten,wünschen sich, ein Stück herunterzukommen. Dabeigeht es um eine Reduzierung von 40 auf 35 Wochenstun-den; sie reden nicht von der Hängematte. Sie sehen, dassihre Frauen, die bei 19 Stunden Arbeitszeit hängen, nurlänger arbeiten können, wenn sie sie unterstützen, wennsie sie entlasten.Die Idee, dass sich die Arbeitszeit angleicht, dass mansich die Zeit für Job und für Familie partnerschaftlichteilt, tragen über 60 Prozent der Paare mit Kindern unterdrei in ihrem Herzen. Aber nur 14 Prozent realisierensie. Warum? Weil es Nachteile gibt, weil Teilzeit immernoch schlecht bezahlt wird und in unserer Arbeitsweltwenig anerkannt ist. Das ist ein Fehler. Ich möchte, dassTeilzeit aufgewertet wird. Wenn junge Mütter und Väterin ihrem Beruf arbeiten, aber eben nicht voll, weil sieZeit für ihre Kinder oder Zeit für pflegebedürftige Elternbrauchen, dann dürfen sie dafür nicht bestraft werden,sondern müssen unterstützt werden.
Es geht nicht darum, den Familien eine Stundenzahlvorzuschreiben. Die Paare können das ganz alleine aus-handeln und müssen das selbst tun; jeder von uns weiß,wie das läuft – oder eben nicht läuft. Aber es geht da-rum, diesen partnerschaftlichen Gedanken zu unterstüt-zen. Der erste ganz konkrete Schritt hin zu einer Famili-enarbeitszeit ist das ElterngeldPlus. Wir werden mit demElterngeldPlus dafür sorgen, dass Teilzeitarbeit währendder Elterngeldphase nicht mehr bestraft wird, sonderndass diejenigen, die während des Elterngeldbezugs Teil-zeit arbeiten, doppelt so lange ElterngeldPlus bekom-men. Wenn sie sich partnerschaftlich verhalten, so wie esmoderne Familien machen – moderne Familienpolitikmuss das unterstützen –, dann bekommen sie einen Bo-nus. Das ist moderne Familienpolitik im Haushalt 2015.
Zeit für Kinder, das ist ein Anliegen der Eltern.Ebenso wichtig ist es, darauf zu achten, dass auch Kin-der Zeit haben: Zeit in der Kita, im Kindergarten oder inder Kindertagespflege. Das ist gute Zeit; denn es ist Bil-dungszeit. Es wird Zeit, dass die Bildungspolitik inDeutschland umdenkt und aufwacht. FrühkindlicheBildung ist die erste wichtige Bildung für Kinder. Wirhaben es gestern gerade wieder von der OECD insStammbuch geschrieben bekommen: Nirgendwo geht esso ungerecht zu wie in unserem starken, reichen Indus-trieland. Die Bildung ist immer noch abhängig vom so-zialen Status. Damit muss Schluss sein. Gute frühkindli-che Bildung ist ein wichtiger Beitrag, diese Spirale zudurchbrechen.
Wir brauchen gute Kitaplätze und genügend Kita-plätze. Deshalb ist es gut, dass die Bundesregierung dieMittel, die sie für mehr Plätze bereitstellt, auf 1 Mil-liarde Euro aufstockt. Denn wir haben noch nicht genugPlätze, und die Ganztagsplätze sind noch nicht gut ge-nug. Ich freue mich, dass die Kollegen aus dem Bereichder Landwirtschaft hier gerade über gesunde Ernährunggeredet haben. Denn das machen wir mit dem neuen Ki-tagesetz: Wir fördern insbesondere die Ausstattung wieKüchen in Ganztagskitas, damit wir zu einer modernen,gesunden Vollverpflegung kommen. Das ist Qualität, diewir in Kitas brauchen.
Frau Dörner – ich weiß gar nicht, wo sie ist; vorhinhabe ich sie noch gesehen –, Sie reden gelegentlich da-von, dass das ein 1-Milliarde-Euro-Betrug ist. Ich willIhnen die Zahlen nennen. 450 Millionen Euro haben wirschon während der Koalitionsverhandlungen bereitge-stellt. Ja, wir hätten so eitel sein und warten können, bisalles steht und die neue Ministerin es präsentieren kann.Aber wir haben an die Kinder gedacht. Wir haben schonwährend der Koalitionsverhandlungen 450 Millionen Eurobereitgestellt und stocken jetzt um 550 Millionen Euroauf. Das ergibt 1 Milliarde Euro. Dazu kommen zweimal100 Millionen Euro. Das macht 1,2 Milliarden Euro. Da-von fließen 200 Millionen Euro in 2017 und 2018; eherkann dieses Geld nicht abfließen. Sie sehen also: Wennman rechnen kann, kommt die 1 Milliarde Euro zusam-men.
100 Millionen Euro haben wir für Sprachförderungveranschlagt. Sprachförderung ist das A und O für Chan-cengleichheit von Kindern. Und wir machen weiter. Wirwerden mit den Ländern im November über Qualität re-den. Ich habe mich mit Unterstützung der SPD-Fraktiondafür starkgemacht, dass auch die BAföG-Spielräumefür frühkindliche Bildung genutzt werden können. Nie-dersachsen geht hier mit gutem Beispiel voran. Die ma-chen den Betreuungsschlüssel kleiner, damit mehr Zeitfür Kinder bleibt. Liebe Abgeordnete der Grünen, ichwerde dort, wo Sie regieren, genau hinschauen. In denLändern können Sie ja mit dem Geld die Ansprüche, dieSie hier immer formulieren, endlich umsetzen.
Metadaten/Kopzeile:
4748 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Bundesministerin Manuela Schwesig
(C)
(B)
Zeit für Familie bedeutet aber nicht nur Zeit für Kin-der, sondern immer mehr drückt der Schuh bei derFrage: Wie geht es weiter, wenn mein Vater oder meineMutter pflegebedürftig wird? Während meiner Sommer-reise habe ich viele Unternehmen besucht, die genau da-von berichten. Wir brauchen auch Entlastungsmodellefür Familien, in denen Erwerbstätige die Eltern pflegenmüssen.Hier, meine Damen und Herren, geht es nicht um Be-lastung der Wirtschaft, sondern es geht um Entlastung.Denn die Wirtschaft muss ja ein Interesse daran haben,die Fachkräfte zu behalten. Deswegen ist das auch garkein Widerspruch, sondern gehört zusammen, und des-halb ist es gut, dass wir ein Gesetz zur besseren Verein-barkeit von Beruf und Pflege auf den Weg bringen. Wirwerden dafür sorgen, dass die zehntägige Auszeit fürpflegende Angehörige zukünftig unter Lohnfortzahlunggestellt wird – wie es auch für den Fall vorgesehen ist,dass ein Kind krank ist. Wir werden dafür sorgen, dassPflegezeit und Familienpflegezeit zusammengeführtwerden, dass man seine Arbeitszeit reduzieren kann undfür diese Zeit ein Darlehen bekommt, um den Lohnaus-fall abzufedern.All das ist wichtig, um Zeit für Familien zu organisie-ren, die in dieser „Rushhour“ sind, mit Kindern, mitpflegebedürftigen Angehörigen. Damit entlasten wir dieFamilien, und damit tun wir auch für die deutsche Wirt-schaft viel. Denn man kann nicht beklagen, dass Fach-kräfte wegbrechen, wenn es Pflegebedarf in der Familiegibt, und dann nichts tun. Mit unserem Gesetz sorgenwir für eine Balance zwischen der Notwendigkeit, imJob zu bleiben, und der Zeit für Familie. Wir haben denEntwurf gerade zur Vorbereitung auf die Anhörung andie Verbände übersandt. Ich freue mich auf die gemein-same Anhörung. Denn es geht darum, etwas für die Fa-milien in Deutschland zu tun.
Es geht auch um Zeit für das Ehrenamt. Ich bin froh,dass wir endlich eine Perspektive für die Mehrgeneratio-nenhäuser geschaffen haben. 16 Millionen Euro stehenim Haushaltsentwurf für 2015. Ich sage aber ganz klar:Das kann nur ein Zwischenschritt sein. Wir haben imKoalitionsvertrag versprochen, die Mehrgenerationen-häuser auf Dauer abzusichern. Deswegen müssen wirgemeinsam eine Lösung finden, wie es über 2015 hinausweitergeht.Ein letzter Punkt; dabei geht es um Zeit in einer ganzanderen Hinsicht. Man kann die Zeit nicht zurückdrehen,die Zeit von Menschen, die als Kinder misshandelt wur-den, die Unrecht erlitten haben, zum Beispiel in DDR-Kinderheimen. Diese Zeit geht nie vorbei. Wir könnendiesen heute Erwachsenen ihre Kindheit nicht zurückge-ben, aber wir können etwas für sie tun: die Folgen diesesUnrechts lindern. Weil die bisher dafür vorgesehenen Mit-tel nicht reichten, haben wir den Fonds für die Opfer derHeimerziehung in der ehemaligen DDR auf 42,7 Millio-nen Euro aufgestockt. Das ist unsere Haltung, Verant-wortung zu übernehmen.
Da die Zeit nirgends so genau gestoppt wird wie beiden Reden im Deutschen Bundestag, sage ich jetzt nurnoch: Ich freue mich auf die Beratung des Einzel-plans 17.
Vielen Dank. – Sie müssen aber zugeben: Wir waren
großzügig.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt die Kol-
legin Katja Dörner, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Da die Ministerin
mich direkt angesprochen hat, fühle ich mich bemüßigt,
kurz darauf zu reagieren.
Frau Ministerin, Sie haben von den 450 Millionen Euro
gesprochen. Ich habe in mehreren Äußerungen darauf
hingewiesen, dass ich es nicht okay finde, zu suggerie-
ren, das sei frisches Geld. Das ist Geld gewesen, das in
vorangegangenen Haushaltsberatungen zur Verfügung
gestellt worden ist, in vorangegangenen Jahren, nicht
durch diese Koalition, auch nicht im Rahmen der Koali-
tionsverhandlungen. Es ist ja auch überhaupt nicht mög-
lich, im Rahmen von Koalitionsverhandlungen zusätzli-
ches Geld zur Verfügung zu stellen; das macht immer
noch der Haushaltsgesetzgeber.
Man muss auch darauf hinweisen, dass zu dem Zeit-
punkt, als von den 450 Millionen Euro die Rede war,
dieses Geld schon zu fast 100 Prozent bewilligt war; in-
sofern war das kein zusätzliches Geld, das noch ausge-
geben werden konnte.
Das ist das gewesen, was ich immer gesagt habe: dass es
nicht in Ordnung ist und nicht fair ist, zu suggerieren,
dass in dem 6-Milliarden-Euro-Paket der Bundesregie-
rung 1 Milliarde Euro zusätzlich für Kitainvestitionen
enthalten sei.
Vielen Dank.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, Sie haben jetzt dieGelegenheit, zu antworten. Sie sehen, der Deutsche Bun-destag ist sehr großzügig.Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Ja, vielen Dank. – Ich glaube, wenn man über denHaushalt redet, ist es schon wichtig, dass man sich mitZahlen auskennt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4749
Bundesministerin Manuela Schwesig
(C)
(B)
Fakt ist, Frau Dörner, dass die 1 Milliarde Euro in dieserLegislatur für den Kitaausbau zur Verfügung stehen. Dashaben wir versprochen, und das halten wir. Sie wissen,dass die 450 Millionen Euro Ende 2013 in den Haushaltdes Finanzministers abgeflossen wären. Während derKoalitionsverhandlungen haben wir uns darauf geeinigt– die Mehrheit hier im Deutschen Bundestag, aber aucheine Mehrheit im Bundesrat –, dafür zu sorgen, dass die-ses Geld neu zur Verfügung gestellt wird.
Natürlich hätten wir sehr eitel sein können und sagenkönnen: Wir lassen das Geld abfließen – damit wird vorOrt alles gestoppt – und machen dann in der neuen Le-gislatur mit dem gleichen Geld ein neues Gesetz.
Das hätten vielleicht Sie so gemacht; aber uns ging esum die Sache, uns ging es darum, dass es vor Ort zügigvorangeht.
Zum Zeitpunkt der Verhandlungen, im Mai 2014, stan-den – anders als Sie es eben gesagt haben – noch genau450 Millionen Euro zur Verfügung; die haben wir um550 Millionen Euro aufgestockt.Ich würde einfach bitten: Machen Sie inhaltliche Vor-schläge, und sorgen Sie nicht mit Zahlendrehereien fürVerwirrung!
Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist
Diana Golze, Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnenund Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Erst kurzvor der parlamentarischen Sommerpause haben wir hierden Haushalt für das Jahr 2014 beschlossen. Er basierteauf dem Entwurf, den noch Schwarz-Gelb vorgelegthatte. Der jetzt vorliegende Entwurf soll nun die Hand-schrift von Union und SPD tragen. Hält man sich vorAugen, welche großen Ziele die SPD hatte, um gerade inder Familienpolitik solidarischer, gerechter und wir-kungsvoller Politik zu machen, dann kann man sich auchbeim zweiten Haushaltsentwurf des Familienministe-riums leider nur die Augen reiben. Die Ministerin hat dieOpposition gerade aufgefordert, Vorschläge zu machen.Ich frage Sie: Wo sind denn Ihre Vorschläge? Wo, FrauMinisterin, sind die Impulse, die zu einer modernen undgerechten Gesellschaft führen? Wo sind die Konzepte, umes wirklich allen Familien – der ganzen Gesellschaft – zuermöglichen, sich frei zu entfalten und teilzuhaben? Ichkann sie auch in diesem Haushaltsentwurf nicht finden,und ich werde das belegen.Die Probleme sind seit langem bekannt. Bereits derSiebte Familienbericht und der 14. Kinder- und Jugend-bericht haben die zentralen Fragen deutlich gemacht.Mit der sogenannten Gesamtevaluation der ehe- und fa-milienbezogenen Leistungen haben Sie eine weitere Stu-die an die Hand bekommen, die klare Handlungsemp-fehlungen gibt. Zu diesem Bericht haben Sie sich wiefolgt geäußert, Frau Schwesig – ich zitiere Sie aus-nahmsweise einmal –:Ich freue mich, dass der Abschlussbericht vorliegt.Hieraus können wir eine Menge lernen: Mit demElterngeldPlus und den Investitionen in die Kinder-betreuung sind wir auf dem richtigen Weg. Es bleibtaber noch viel zu tun.
„Hieraus können wir eine Menge lernen“, „Wir sindauf dem richtigen Weg“ – ich bitte Sie! Der Bericht sagtzum Beispiel mit Blick auf das Kindergeld, den Unter-haltsvorschuss, auch das Elterngeld – ich zitiere –:Diese Leistungen können … gleichzeitig mit demArbeitslosengeld II bezogen werden, sie werden je-doch vollständig auf das Arbeitslosengeld II ange-rechnet.Soweit ich informiert bin, ändert sich daran auch mitdem Konzept für das ElterngeldPlus nichts. Weiterhinbleibt es so, dass arme Eltern vom Elterngeld nicht profi-tieren werden; Sie ändern auch mit diesem Haushaltsent-wurf nichts daran.Und wo ist der wirkliche Fortschritt beim Ausbau derKindertagesbetreuung? Wie lösen wir die Probleme, aufdie zum Beispiel auch der aktuelle Prognos-Bericht hin-weist? In diesem Bericht ist die Rede davon, dass nichtnur die Linke und andere, sondern auch die Eltern da-rüber reden und vor allem in Bezug auf die Qualität derKindertagesbetreuung sagen: Da stimmt etwas nicht, damuss nachgebessert werden. Wo bitte bleibt denn dieQualitätsoffensive, die die SPD im Wahlkampf angekün-digt hat? Was ist für Sie Kitaqualität? Sind Sie bereit,Mindeststandards zu definieren – zum Beispiel für Grup-pengrößen oder auch für die Gehälter der Erzieherinnenund Erzieher – und diese dann auch tatsächlich zu finan-zieren? Ich finde das im Haushalt nicht.Der Gesetzentwurf zur Aufstockung des Sonderver-mögens für den Kitaausbau steht in der nächsten Sit-zungswoche auf der Tagesordnung. Den Abgeordnetenliegt er noch nicht vor, aber netterweise steht er auf derHomepage des Finanzministeriums. Wenn ich dort hi-neinschaue, dann lese ich, wie die Gelder auf die Bun-
Metadaten/Kopzeile:
4750 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Diana Golze
(C)
(B)
desländer aufgeteilt werden sollen und wie die technokra-tische Abwicklung funktionieren soll. Von Kitaqualität istdarin außer in der Überschrift aber keine Rede.
Wo bleibt also die Qualität?Nun streiten wir uns über die zusätzliche Milliarde fürdie Kitas. Es wurde eine zusätzliche Milliarde angekün-digt; da gebe ich meiner Kollegin Dörner völlig recht.Aber selbst wenn es eine zusätzliche Milliarde wäre,würde dieses Geld – das weiß jeder, der Kitaqualitäternst nimmt – nicht ausreichen, um die Länder undKommunen in die Lage zu versetzen, das qualitative De-fizit auszugleichen.
Stattdessen finden wir im Haushalt für 2015 die statt-liche Summe von 1 Milliarde Euro für das Betreuungs-geld. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, ich kannIhnen das leider nicht ersparen; aber es ist auch nichtmeine Aufgabe als Opposition, Sie jetzt vier Jahre langdafür zu bedauern, dass Sie in der Großen Koalition ge-fangen sind und dieses Opfer bringen müssen. Ich werdedas auch weiterhin ansprechen. Dieses Betreuungsgeldist nach wie vor bildungspolitisch, arbeitsmarktpolitischund auch haushaltspolitisch völlig unsinnig.
Und es geht hier wohlgemerkt um 1 Milliarde Euro fürein Jahr und nicht um einmalig 1 Milliarde Euro zusätz-lich für Bildung für die ganze Legislaturperiode! Wo isthier der gerechte Ansatz?Die Menschen, die davon betroffen sind, wissen, dassdas auch auf das ALG II angerechnet wird. Hier ist nachwie vor eine Ungleichbehandlung der Familien vorgese-hen. Die familienpolitischen Leistungen werden überden Etat des Familienministeriums finanziert. Dadurchsoll nicht der Etat des Arbeitsministeriums entlastet wer-den, sondern diese Leistungen sollen die Familien in dieLage versetzen, über die Runden zu kommen, und siesollen ihnen materielle Sicherheit bieten.
Ich möchte noch ein weiteres Beispiel dafür nennen,dass die Gleichstellung der Familien eben nicht funktio-niert. Schauen Sie sich das Kindergeld an. Solange ichals Bundestagsabgeordnete und Mutter von zwei Kin-dern über die steuerliche Entlastung aufgrund des Kin-derfreibetrags mehr durch den Staat entlastet und geför-dert werde als meine Nachbarin, die im Supermarktarbeitet und nur das Kindergeld bekommt, stimmt hieretwas nicht. Jedes Kind muss dem Staat gleich viel wertsein, und ich erwarte, dass ein SPD-geführtes Familien-ministerium hierzu Vorschläge unterbreitet.
Sie werden aber wohl nicht kommen; denn auch weitereFörderinstrumente setzen weiterhin auf Unterschiedezwischen den Familien.In diesem Zusammenhang möchte ich noch das Ehe-gattensplitting ansprechen; auch das ist ein wunderbaresThema, das uns hier schon seit langem begleitet. DiesesEhegattensplitting täuscht vor, dass die Familien gleich-behandelt werden, was aber überhaupt nicht der Fall ist.Schauen Sie sich zum Beispiel an, dass die steuerlicheEntlastung von Alleinerziehenden ins Verhältnis gesetztnicht einmal annähernd so hoch ist wie die von Ehepaa-ren. Warum ignoriert man darüber hinaus, dass auchPaare ohne Trauschein Verantwortung füreinander über-nehmen? An anderer Stelle wird dies übrigens vorausge-setzt.Ich habe ja eben schon das Arbeitslosengeld II ange-sprochen. Hier heißt es: Eheähnliche Gemeinschaftenliegen vor,wenn die Bindung der Partner so eng ist, dass vonihnen ein gegenseitiges Einstehen in Not- undWechselfällen des Lebens erwartet werden kann.Hier setzt man keinen Trauschein voraus, um Bedarfsge-meinschaften zu definieren, die füreinander einstehenmüssen. Hier ist es übrigens auch egal, ob es sich umgleichgeschlechtliche nichteingetragene Lebenspartner-schaften handelt. Es geht nur darum, dass sie Verantwor-tung füreinander übernehmen. Vom Ehegattensplittingprofitieren aber eben nur Paare mit Trauschein.Ich sage: Steuerliche Vorteile aufgrund einer be-stimmten Lebens- und Beziehungskonstellation verstär-ken die Probleme eines ungerechten Leistungssystems.Familien brauchen eine transparente, verlässliche undarmutsverhindernde Unterstützung, und ich erwarte voneiner Familienministerin, dass sie sich für ein Familien-leistungssystem starkmacht, das die Bedürfnisse allerFamilienformen gleichermaßen im Blick hat.
Das sehe ich bei diesem Entwurf nicht gegeben. Siekönnen nur noch zwei Entwürfe vorlegen. Ich glaube, dahaben Sie noch einiges aus den Berichten, die Ihnen vor-liegen, zu lernen.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion erhältjetzt Nadine Schön das Wort.
Nadine Schön (CDU/CSU):Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir als Familienpolitikerinnen und Familien-politiker sehen uns als Anwältinnen und Anwälte derjungen Generation und auch der nachfolgenden Genera-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4751
Nadine Schön
(C)
(B)
tionen. Deshalb sind wir besonders stolz, dass wir mitdiesem Haushalt einen historischen Haushalt vorlegen,nämlich den ersten Haushalt ohne neue Schulden.
– Wenn jetzt der Einwurf von den Linken kommt, dashabe „so einen Bart“, dann wäre es schön, wenn Sie sichmit uns über diesen Bart freuen würden;
denn auch Sie müssten sich doch über den ersten Haus-halt ohne Neuverschuldung freuen.Angesichts der Reaktionen der Linken oder auch derGrünen in den letzten Tagen dachte ich ganz oft: Ich binkomplett im falschen Film.
Da wurde doch tatsächlich gesagt, dass man besser nochein paar mehr Schulden machen müsse, um zu investie-ren, und dass das besser als ein ausgeglichener Haushaltsei; das Falscheste, was wir hier machen könnten, sei einausgeglichener Haushalt. – Liebe Kolleginnen und Kol-legen, ich kann Ihnen nur sagen: Auf Schuldenbergenkann man keine Zukunft bauen.
Schulden sind Treibsand. Schulden sind kein festes Fun-dament. Deshalb ist es gut, dass in diesen Tagen deutlichwurde, wer hier für was steht. Sie stehen dafür, Schuldenzu machen,
und zwar nicht zu knapp.Denken Sie doch einmal an Ihre Familie, an Ihren pri-vaten Haushalt. Es ist okay, Schulden zu machen, etwaum ein Haus zu bauen, um in die Zukunft zu investieren.
Aber es ist nicht mehr okay, so viele Schulden anzuhäu-fen, dass weder Sie für den Rest Ihres Lebens noch dienächste Generation oder die übernächste Generation fi-nanzielle Spielräume haben werden oder investierenkönnen, weil alle nur noch damit beschäftigt sind, dieSchulden und die Zinsen für Ihre Schulden abzutragen.Das ist keine generationengerechte Politik.
Wir haben gesagt: Wir machen uns auf den Weg, denSchuldenberg abzutragen. Wir machen im Sinne derneuen Generation keine neuen Schulden.
Wir haushalten klug. Klug haushalten heißt zum ei-nen, keine neuen Schulden zu machen. Zum anderenheißt es aber auch, in die Zukunft zu investieren. Dasswir in die Zukunft investieren, sehen Sie zum einen amBildungshaushalt. Das Volumen des Haushalts desMinisteriums für Bildung und Forschung von FrauWanka – das ist jetzt ein anderes Haus – hat sich von2005 bis 2015 verdoppelt. Wir investieren allein in die-ser Legislaturperiode 6 Milliarden Euro mehr in Bildungund Forschung, 6 Milliarden Euro mehr in die Köpfe un-serer Menschen, in Zukunft. Wir investieren klug in Zu-kunft, parallel zum ausgeglichenen Haushalt.
Auch unser Haushalt ist ein klares Signal an die Men-schen in unserem Land, dass wir in Zukunft investieren.Auch das Volumen unseres Haushalts, des Familien-haushalts, steigt, nämlich um 497 Millionen Euro aufjetzt 8,45 Milliarden Euro. Das ist ein deutlicher Zu-wachs für die Familien in unserer Gesellschaft, für dieKinder, die Familien, die Senioren, für den gesellschaft-lichen Zusammenhalt.
Diese Investitionen sind gut angelegtes Geld. Was unsleitet – dass Sie, Frau Golze, das kritisieren, finde ichschon etwas merkwürdig –, ist der Dreiklang – dieMinisterin hat das schon dargestellt – von Zeit, Geld undInfrastruktur. Diesen Dreiklang haben wir in den letztenJahren mühsam erarbeitet. Ich weiß nicht, was es daranzu kritisieren gibt, dass wir die gute Familienpolitik derCDU-geführten Regierung der letzten Jahre fortsetzen.Das war eine gute Politik mit dem Dreiklang von Zeit,Geld und Infrastruktur. Diese Politik führen wir fort. Wirhaben die richtigen Weichen gestellt. Schade, dass Siedas kritisieren. Ich glaube, für die Menschen im Landwar es eine gute Politik.
Wir fangen mit den ganz Kleinen in unserem Land an,nämlich mit dem Thema Frühe Hilfen. Wir unterstützenmit über 51 Millionen Euro Netzwerke von Eltern, Ju-gendhilfe und Ärzten, die dafür sorgen, dass kein Kinddurchs Netz fällt, dass die Kinder unterstützt werden, diees schwer haben, dass wir die Familien unterstützen, diebei der Erziehung Begleitung und Unterstützung brau-chen.Wir sorgen dafür, dass die etwas größeren Kinder inKitas Bildung und Betreuung bekommen. Ich finde esschon merkwürdig und auch schade, dass Sie immer dieKitabetreuung und die familiäre Betreuung gegeneinan-der ausspielen.
Metadaten/Kopzeile:
4752 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Nadine Schön
(C)
(B)
Beides ist doch wichtig. Wir brauchen ein gutes Eltern-haus, wir brauchen Eltern, die Zeit und Liebe für ihreKinder haben. Wir brauchen aber auch die flexible Kin-derbetreuung.
Deshalb haben wir den Rechtsanspruch auf einen Kita-platz formuliert. Wir sorgen dafür, dass der Kitaausbauin den Kommunen vorangeht.
Wir sorgen auch dafür, dass er weiter vorangehenkann, obwohl eigentlich die Länder und Kommunen ori-ginär für den Kitaausbau zuständig sind. Auch beimThema Qualität sind Länder und Kommunen die zustän-digen Ebenen. Wir unterstützen sie, und deshalb habenwir ein Qualitätsprogramm von 126 Millionen Euro auf-gelegt. Sie müssen sich schon an die richtigen Ansprech-partner wenden und vielleicht in den Ländern, in denenSie mitregieren, dafür sorgen, dass in die Qualität undden Ausbau der Kitabetreuung ordentlich investiertwird.
Wir investieren in die jungen Menschen in unseremLand. Das zeigt sich deutlich etwa im Kinder- und Ju-gendplan, der auf 147 Millionen Euro aufgestocktwurde. Wir haben die Mittel dafür im letzten Haushaltum 1 Million Euro erhöht, und das behalten wir auchbei. Man sieht in diesen Tagen, wie anfällig manchejunge Menschen für extremistisches Gedankengut sind.Es gibt mehrere Hundert junge Leute in Deutschland, diefreiwillig nach Syrien gehen, um dort in den HeiligenKrieg zu ziehen. Das ist hier angesprochen worden. Essind Jugendliche, die zu schwach waren, der Bedrohungund den Versprechungen dieser Gruppen zu widerstehen.Deshalb ist es richtig, dass wir in die jungen Men-schen investieren und dafür sorgen, dass es zum einen anSchulen ein enges Netzwerk gibt, dass es zum anderenaber auch entsprechende Projekte für Toleranz und De-mokratie gibt. Diese dürfen sich nicht nur gegen Rechts-und Linksextremismus in unserem Land richten, wassehr wichtig ist; wir müssen vielmehr auch verstärkt aufden religiösen Fundamentalismus schauen und prüfen,ob wir an der Stelle nicht noch Nachholbedarf in unse-rem Land haben. Das wird in diesen Tagen ganz beson-ders deutlich. Es ist ein Anliegen von uns allen, die Pro-jekte dahin gehend zu überprüfen, damit wir die Projektein diesem, auch für die jungen Menschen, extrem gefähr-lichen Bereich ordentlich ausstatten können.
Wir investieren in junge Familien – das ist, glaubeich, deutlich geworden – mit einem ganzen Paket von fa-milienpolitischen Leistungen. Das Teuerste, aber auchdas, was die Familien am meisten schätzen, ist das El-terngeld, das wir in der vorletzten Legislaturperiode ein-geführt und das wir flexibilisiert haben und in den nächs-ten Wochen weiter flexibilisieren und attraktiver fürjunge Familien machen, damit die Familien selbst ent-scheiden können, wie sie leben wollen. Der Anspruchunserer Politik ist, dass sie Beruf und Familie ganz indi-viduell nach ihren Möglichkeiten kombinieren können.Wir wollen keinem vorschreiben, wie er zu leben hat,sondern wir wollen ermöglichen, dass junge Paare selbstBeruf und Familie, Familienarbeit und Erwerbstätigkeitkombinieren und so leben können, wie es ihrer Situationam besten gerecht wird. Das ElterngeldPlus ist ein deut-licher Schritt dahin, dass sie das auch machen können.Deshalb sind 5,4 Milliarden Euro auch sehr gut angeleg-tes Geld.
Wir setzen in diesem Jahr einen Schwerpunkt beimThema Pflege. Deshalb sind 100 Millionen Euro aus derPflegeversicherung für Lohnersatzleistungen für die Fa-milien eingestellt, die plötzlich – das passiert oft ganzplötzlich – vor einer Pflegesituation stehen und organi-sieren müssen, dass die Mutter oder der Vater versorgtwird, sei es in einem Heim oder in der häuslichen Umge-bung. Zehn Tage sind ein überschaubarer Zeitraum, aberman braucht diese Zeit für die Organisation. Außerdemwollen wir dafür sorgen, dass die Vereinbarkeit von Fa-milie und Beruf auch die Vereinbarkeit von Pflege undBeruf umfasst. Deshalb werden wir die Familienpflege-zeit weiterentwickeln. Auch hier gibt es einen neuen fi-nanziellen Ansatz im Haushalt. Das elementare Themader Vereinbarkeit von Pflege und Beruf ist die Heraus-forderung dieser Legislaturperiode, vor der wir alle ste-hen, die Herausforderung der nächsten Jahre. Das be-trifft so ziemlich jede Familie in unserem Land. Deshalbmüssen wir darauf ein ganz besonderes Augenmerk rich-ten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir in-vestieren generationsübergreifend viel in Familien, undwir investieren partnerschaftlich in alle Generationen.Gleichzeitig sorgen wir aber auch dafür, dass auch dienächste Generation noch die finanziellen Spielräumehat, um das umzusetzen, was dann wichtig sein wird undwas wir heute noch gar nicht erahnen können. Das ist inmeinen Augen kluge Politik, die die richtige Balancezwischen Sparen und Investieren wahrt.Es ist schade, dass Sie nur darauf setzen, mehr Geldauszugeben.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4753
Nadine Schön
(C)
(B)
Das würde dazu führen, dass die nächste Generation vonZinszahlungen erdrückt würde. Dass es dazu kommt,wollen wir nicht. Das können wir nicht verantworten.Deshalb wollen wir einen Gleichklang zwischen Sparenund Investieren.
Ich freue mich, dass wir das in diesem Haushalt erneutunter Beweis stellen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Ekin Deligöz,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Viel verändert sich am Einzelplan 17 nicht. An sich istBeständigkeit gut; sie hat viele Vorzüge, aber im Zusam-menhang mit Ihrem Etat, Frau Ministerin, ist das eindeu-tig zu wenig.Und Sie, Frau Schön, tun ja gerade so, als ob Konsoli-dieren und Investieren gegeneinanderstünden.
Dabei lautet die Botschaft der Opposition, die Sie nichtverstanden haben, genau umgekehrt: Konsolidieren undInvestieren gehören zusammen.
Es gibt dabei auch einen dritten Weg, den zu gehen Sienicht den Mut haben, einen dritten Weg, der zukunftsge-richtet und nicht vergangenheitsbezogen ist.Wir legen Ihnen eine lange Liste mit Kürzungen vor,die rückwärtsgewandte Maßnahmen betreffen, die über-holt sind und in die Steinzeit zurückführen. Zum Bei-spiel im Bereich der Kernforschung könnten wir kürzen,zum Beispiel bei klimaschädlichen Subventionen könn-ten wir kürzen, zum Beispiel beim Dienstleistungsprivi-leg oder beim Deutschlandstipendium, das nicht funktio-niert, könnten wir kürzen,
zum Beispiel beim Betreuungsgeld – warum nicht in dieKinder investieren, warum in Ideologie investieren? –könnten wir kürzen.
Das so eingesparte Geld könnten wir in zukunftsge-richtete Maßnahmen investieren; denn Investitionen sindauch eine Anlage in die Zukunft unserer Kinder. Wirhinterlassen unseren Kindern nicht nur Lasten aus Haus-haltsdefiziten, sondern wir hinterlassen unseren Kindernauch all das, was ihnen Chancen eröffnet – oder ebenauch nicht, wenn es etwa in Schulen hereinregnet. Eineverpasste Chance ist auch, dass Alleinerziehende keineKinderbetreuungsplätze finden, weil uns Ganztagsbe-treuungsplätze fehlen, und deshalb nur wenige erwerbs-tätig sein können. Dass der ursächliche Zusammenhangmit nach wie vor unzureichenden Betreuungsangebotenbesteht, sagte mir jüngst auch die RegionaldirektionBayern der Agentur für Arbeit. Wir wollen auch, dass inQualität investiert wird. Wir müssen ernst nehmen, dassauch das zukunftsgewandt ist. Sie ignorieren das. Kon-solidieren und Investieren gehören aber ehrlicherweisezusammen, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen.
Frau Schwesig, ich habe genau zugehört. Als Mit-glied des Haushaltsausschusses habe ich nämlich ge-lernt, auch auf Details zu hören. Sie wollen uns dochnicht wirklich hier als Ihr Verdienst verkaufen, dass Siebereits zugesagte, bewilligte Mittel in diese Wahlperiodeherübergerettet haben, und sich damit rühmen! Das istnicht Ihr Ernst! Das kann gar nicht Ihr Ernst sein, so zuargumentieren. Sie haben wenigstens zugegeben – dafürbedanken wir uns sehr herzlich –, dass lediglich550 Millionen Euro neu dazukommen, dass der Restlängst bewilligt und längst bereitgestellt worden war. Ichhätte gerne einmal mitbekommen, wie Sie es hinbekom-men haben, das bereitgestellte Geld wieder einzustrei-chen. Also, Frau Schwesig, das, was Sie nicht hinbe-kommen, das müssen Sie hier auch nicht behaupten. Wasfalsch ist, bleibt falsch.
Ich komme noch einmal auf das, was Sie eigentlichvorhaben. Sie sagten, dass es unerlässlich sei, für Quali-tät in der Versorgung zu sorgen. Sie wollen dazu jetztauch einen Gipfel veranstalten. Sie wollen sich mit IhrenKollegen aus den Ländern treffen. Ihre Länderkollegen– Sie waren ja immerhin lange genug Ministerin – sindmindestens genauso enttäuscht wie Sie, weil ja eigent-lich erwartet worden war, dass mindestens 2 von den6 Milliarden Euro in den Anfang der Bildungskette in-vestiert würden. Herausgekommen sind 550 Millionen.Ich würde einmal sagen: Sie haben angesichts derSumme, die Sie jetzt ausgeben, ein bisschen zu viel ver-sprochen. Das müssen Sie jetzt verkaufen.So ganz erwartungsvoll bin ich, ehrlich gesagt, auchnicht mit Blick auf diesen Gipfel. Denn was wollen Siemit den Ländern voranbringen, was die Länder nicht oh-nehin schon ohne Sie tun oder tun könnten? Was wollenSie ihnen versprechen? Sie reisen mit leerem Gepäck an.Sie haben überhaupt keine Finanzmittel. Sie wollen sichzwar austauschen – fachlicher Austausch ist immergut –, aber seien Sie einmal ehrlich: Wir haben keine Er-kenntnisdefizite, wir haben Vollzugsdefizite. Dafür brau-chen wir die Finanzmittel. Die wiederum nehmen Sienicht mit. Machen Sie hier also keine leeren Verspre-
Metadaten/Kopzeile:
4754 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Ekin Deligöz
(C)
(B)
chungen! Wir brauchen Qualität in diesem Land, und dasmit Entschlossenheit und nicht nur mit leeren Worten.
Die einzige wirklich gravierende Steigerung in IhremHaushaltsentwurf wird durch das Betreuungsgeld be-wirkt. Ehrlich gesagt, ich sage nichts mehr dazu;
denn das spricht für sich.
Bei Ihnen fehlt, dass Sie das Problem unserer Zeitangehen. Kinderarmut, Familienarmut kommt in IhrenDebatten überhaupt nicht mehr vor. Über die Situationder Alleinerziehenden verlieren Sie kein Wort. Sie könn-ten jetzt entschlossen die Familienförderung angehen.Sie könnten endlich an den Regelsätzen etwas ändernund die Rechte der Kinder verteidigen. Sie könnten end-lich einmal den Mut haben, dieses unsägliche Bildungs-und Teilhabepaket zu überarbeiten; denn Sie wissendoch selber am besten, was für eine überbordende Büro-kratie dahintersteckt und dass das Geld nicht bei denKindern ankommt. Das könnten Sie, machen Sie abernicht. Sie reden von Zeit. Die Zeit haben Sie jetzt alsMinisterin. Handeln Sie, und schauen Sie nicht zu!
Zuletzt noch ein paar Punkte, die mir wichtig sind:Einsatz gegen Rechtsextremismus. Sie kommen ausMecklenburg-Vorpommern und müssten deshalb wissen,wie wichtig Mittel hierfür sind. Ich hätte mir da einbisschen mehr Geld gewünscht. Wir werden den Antragwieder einbringen, die Mittel deutlich zu steigern. Wirwerden genau überprüfen, ob es Ihnen wenigstens ge-lingt – das ist das Mindeste –, die Mittel zu verstetigenund aus dieser Projektitis, die Sie hier vollziehen, he-rauszukommen. Auch die Neukonzeption der Bildungs-zentren ist, so wie der Freiwilligendienst jetzt angelegtist, finanziell gar nicht mehr zu halten. Eigentlich hatteich ja gehofft, dass Sie uns dazu etwas vorlegen. Das istbisher nicht geschehen. Aber was nicht geschehen ist,kann ja noch kommen. Da bin ich mal gespannt.Evaluierung der Frühen Hilfen. Wir beide haben daseinmal gemeinsam verhandelt. Ich glaube, die positivenBefunde werden uns darin bestätigen. Aber es reichtnicht, das einmal verhandelt zu haben. Wir haben unsdoch gemeinsam als Rot-Grün erhofft, dass es endlicheinmal dazu kommt, dass das Gesundheitsressort mitdem Familienressort zusammenarbeitet. Warum machenSie das nicht? Die Argumente waren doch auf unsererSeite. Warum bleiben Sie da so passiv? Wir brauchen ge-stärkte Beratungsstrukturen in diesem Bereich.Nicht zuletzt, Frau Ministerin, erwähne ich den FondsSexueller Missbrauch. Ich finde es gut, dass wir alsBund da das Geld in die Hand nehmen. Frau Präsidentin,erlauben Sie mir, dass ich einen gemeinsamen Appellstarte, nämlich vom Bundestag an die Länder. Es reichtnicht, wenn sich nur der Bund engagiert.
Wir brauchen die Länder. Wir sind nämlich in dergemeinsamen Verantwortung. Das war ein staatlichesVersagen, und da müssen wir handeln.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Beratungenüber den Haushalt werden spannend. Noch spannenderwäre es, wenn Sie sich dafür auch engagieren würden.
Danke schön. – Der Kollege Marcus Weinberg hat
jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kollegen!Konsolidieren, investieren, hin und her – als Ergebnisbleibt die schwarze Null; die steht. Darauf können wirstolz sein, weil dies, glaube ich, eine familienpolitischeErrungenschaft für die nächsten Jahre ist; denn es wärenunsere Kinder, die dann möglicherweise neue Schuldenzurückzahlen müssten. Das sollte man in einer solchenDebatte auch immer erwähnen
und unterstreichen. Lieber Kollege Hahn, wenn manmich 1967, als ich geboren wurde, einmal gefragt hätte:„Was sind drei grundsätzliche Ziele der nächstenJahre?“, dann hätte ich gesagt: der Weltfrieden, dassSt. Pauli vielleicht einmal Deutscher Meister wird
und bitte keine Schulden machen. 45 Jahre lang habenwir in diesem Land Schulden gemacht. Diejenigen, diedie Schulden abtragen, sind unsere Kinder. Deswegen istes eine Errungenschaft, gerade auch vor dem Hinter-grund dessen, was wir für Familien und für die kommen-den Generationen tun.
– St. Pauli wird auch nie Deutscher Meister; davon kannman sich verabschieden. Aber zumindest auf den zuvorvon mir genannten Punkt können wir, glaube ich, dannauch sehr positiv zurückblicken.Eine Haushaltsdebatte ist immer eine gute Gelegen-heit, Grundsätze der Familienpolitik zu diskutieren, auchmöglicherweise verschiedene Ansätze. Man hat ja beider Kollegin der Grünen gemerkt, wie schwierig es ist,sozusagen kritische Punkte irgendwo herauszuziehen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4755
Marcus Weinberg
(C)
(B)
Denn gerade angesichts der familienpolitischen Maß-nahmen der letzten Jahre wird immer deutlicher, dasswir den richtigen Weg gegangen sind, und zwar imSinne der Familien, der Eltern und der Kinder. Vor die-sem Hintergrund führen wir die Diskussion. Ich bin derMinisterin sehr dankbar, dass man, wenn man über fami-lienpolitische Veränderungen diskutiert, vor allem einsmacht: sich ohne den berühmten Blubberschaum vordem Mund ruhig und sachlich zu fragen: Wo stehen wirheute? Welche Zielfunktionen haben wir? Wie kommenwir dahin?
Es geht darum, die Vielfalt der Familien anzuerken-nen, die einzelnen gesellschaftspolitischen Maßnahmeneinmal zu überprüfen und – in einem dritten Schritt –endlich dazu zu kommen, dass wir in diesem Hause undin der politischen Diskussion alles entideologisieren. Ichhabe es bereits in meiner letzten Rede zu diesem Themagesagt: Ihre Rhetorik gegen das Betreuungsgeld, die ichimmer wieder höre, Frau Golze – Entschuldigung –, hilftden Familien nicht.
Denn sie entscheiden Dinge für sich; sie sind frei in ihrerEntscheidung. Im Übrigen nehmen sie das Betreuungs-geld in weiten Teilen sehr positiv an. Für uns sind dieFragen wichtig: Was wollen die Familien? Wie gehendie Familien damit um? Ich glaube, „Rabenmutter“ und„Herdprämie“ sind wirklich Begriffe der Vergangenheit.Das will man in Deutschland nicht mehr hören.
Die Vielfalt der Familien und die Veränderungen indiesem Zusammenhang anzuerkennen und vor allenDingen Vertrauen in die Familien zu haben, das sindunsere Leitmotive familienpolitischen Handelns. Wirwollen den Familien nicht vorschreiben, wie sie zu lebenhaben, und ihnen nicht bestimmte Familienmodelleüberstülpen.Im Übrigen sei bei dem Thema „Vielfalt der Fami-lien“ auch einmal Folgendes angesprochen: Wir sagenselbst, gerade auch im Rahmen der Bewertung der fami-lienbezogenen Leistungen, dass wir viele verschiedeneModelle haben – traditionell, verheiratet, mit Kindern,bis hin zur gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. Dannführen wir natürlich auch Diskussionen darüber, wie wirdie Leistungen anpassen können. Aber eins ärgert mich– und da blicke ich auch auf die Grünen mit ihrem sozu-sagen sehr ideologiebehafteten Ansatz; Stichwort „Ehe-gattensplitting“ –:
Auch wir wollen Kinder stärker fördern, indem wir dasEhegattensplitting zu einem Familiensplitting erweitern.Was ich allerdings nicht akzeptiere, ist, dass Sie – unddas ist Ihr Ansatz – sagen: Da, wo Menschen auch ohneKinder füreinander Verantwortung übernehmen, soll esüberhaupt keine Unterstützung des Staates geben.
Nein, auch Ehepaare ohne Kinder sind eine Familie, undder Staat hat diese zu unterstützen. Ich glaube, das sollteman im Rahmen dieser Diskussion noch einmal deutlichmachen.
Ein weiterer Punkt. Der Bericht zu familienbezoge-nen Leistungen bestätigt unsere Auffassung in vielenPunkten. Er zeigt aber auch Dinge, die man für dienächsten Jahre noch durchdenken muss. Eins ist uns aberwichtig: Familienpolitik kann sich nicht nach Gesichts-punkten ökonomischer Effizienz ausrichten. Es gibt keinBetriebsoptimum oder -minimum in der Familie; Fami-lienpolitik muss immer auch die besondere Situation derFamilien würdigen. Mit Blick auf die Wirksamkeit kannman deshalb nicht nur schauen, wohin welche Finanz-ströme fließen.Dabei ist für uns in diesem Zusammenhang wichtig:Wir werden auch Familienmodelle, in denen ein Eltern-teil nicht erwerbstätig ist, weiter unterstützen. Wenn sicheine Mutter oder ein Vater – zum Glück – bereit erklärt,sich in den ersten Jahren nach der Geburt um das Kindzu kümmern, dann müssen wir das aus unserer Sichtauch unterstützen.Bei der Frage nach dem Erfolg von Familienpolitikmuss man auch überlegen, welche Kategorien oderParameter man sich eigentlich anschaut. Wir machenFamilienpolitik für die heute lebenden Familien; wirmachen keine Bevölkerungspolitik. Und wir werden unsbei den Themen „Geburtenrate“ und „Beteiligung beiderElternteile am Arbeitsmarkt“ sicherlich nicht ausschließ-lich davon leiten lassen, sondern es sind auch noch an-dere Punkte wichtig.
Nun kommen wir zu dem Punkt, den Frau Schön undauch die Ministerin bereits angesprochen haben: das be-rühmte Dreieck. Zunächst einmal stellt sich die Frage,was Familien eigentlich wollen. Von den Familien habenwir dazu in den letzten Jahren erfahren, dass sie erstensden Ausbau der Vereinbarkeit von Familie und Berufwollen. Im Übrigen wird das Thema „Vereinbarkeit vonFamilie und Beruf“ demnächst durch das Thema „Ver-einbarkeit von Pflege und Beruf“ abgelöst werden. Aberich glaube, für uns als Familienpolitiker ist der Grundan-satz, die Voraussetzungen für diese Vereinbarkeit zuschaffen, wichtig. Neben dem Ausbau der Infrastrukturgeht es ihnen zweitens um ein besseres Zeitmanagement.Sie wollen mehr Zeit für die Familie haben. Der drittePunkt sind bessere Bildungschancen für Kinder geradeberufstätiger Familien.
Metadaten/Kopzeile:
4756 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Marcus Weinberg
(C)
(B)
Dieses Dreieck – erstens Zeitsouveränität für Fami-lien zu generieren, zweitens Infrastruktur auszubauenund drittens die Familien finanziell abzusichern – istunser Leitmotiv in der Familienpolitik.Ich will nur drei Zahlen zum Bereich der Finanzennennen: Die Erhöhung des Kindergeldes zu Beginn derletzten Legislaturperiode hat bewirkt, dass 1,26 Millio-nen Familien nicht von SGB-II-Leistungen leben müs-sen. Der Kinderzuschlag bewahrt 110 000 Familien da-vor, Grundsicherung beantragen zu müssen. Und mitdem Elterngeld ermöglichen wir es jungen Familien,mehr Zeit miteinander zu verbringen. Darüber hinausreduziert es das Armutsrisiko junger Familien um rund10 Prozentpunkte im ersten Lebensjahr des Kindes undverhindert bei fast 100 000 Familien das „Abrutschen“in den SGB-II-Bezug.Wir geben über 5 Milliarden Euro für diese Leistun-gen, insbesondere auch für das Elterngeld, aus. Deswe-gen ist es richtig und konsequent, nach dem erstenSchritt – Einführung des Elterngeldes – jetzt den zweitenSchritt zu gehen: mehr Flexibilität, mehr Zeitsouveräni-tät mit dem ElterngeldPlus. Wir sind froh, dass wir imHerbst dieses Jahres gemeinsam den entsprechendenGesetzentwurf dazu verabschieden können. Damit ver-bunden ist auch das Thema Partnerschaftsbonus und dieFlexibilisierung der Elternzeit. Das heißt, dass jetzt vonden insgesamt 36 Monaten Elternzeit 24 Monate bis zumachten Lebensjahr des Kindes in Anspruch genommenwerden können.Das sind die Wünsche der Eltern, und die Politik hatsich dann auch tatsächlich werteorientiert daran ausge-richtet, ohne beliebig zu sein und dem Zeitgeist hinter-herzulaufen. Das sind Veränderungsprozesse, die lang-fristig wirken und auf die wir richtigerweise schon vorJahren reagiert haben, indem wir die Weichen gelegthaben, die jetzt noch einmal neu gestellt werden.Ein weiterer Punkt ist die Erfolgsgeschichte beimAusbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige. Eswurde lange über die einzelnen Zahlen diskutiert. Wasist denn entscheidend? Entscheidend ist, dass wir einenRechtsanspruch auf Krippenbetreuung eingeführt habenund dass wir den Ländern jetzt 550 Millionen Euro mehrfür den Ausbau der Kinderbetreuung zur Verfügung stel-len können. Noch viel entscheidender ist – stimmt dieSteigerung von „entscheidend“ so? –, dass wir den Län-dern 100 Millionen Euro extra für die Betriebskostenbeim Betreuungsausbau zur Verfügung stellen. Insge-samt sind es 945 Millionen Euro jährlich.Jetzt komme ich zu einem Thema, das die Ministerinauch angesprochen hatte. Wir übernehmen, glaube ich,sehr viel. Was machen eigentlich die Länder? Es gibtBundesländer wie das kleine und sicherlich nicht so rei-che Bundesland Bremen, die einen Betreuungsschlüsselvon 1,1 zu 3,2 hinbekommen. – Frau Präsidentin?
Die Kollegin Brantner möchte Ihnen eine Zwischen-
frage stellen. Ich wollte Sie nur den Gedanken zu Ende
führen lassen. Gestatten Sie die Zwischenfrage?
Ja, gerne.
Kollegin Brantner.
Sie haben gerade noch einmal die zusätzlichen Gelder
für die Kitas angesprochen. Wir wollen zu der Frage,
was zusätzlich ist und was man noch hätte ausgeben
können, darauf hinweisen, dass schon am 11. Oktober
2013 84 Prozent der Mittel bewilligt waren. Hätten Sie
den Kommunen gesagt: „Die Gelder nehmen wir Ihnen
übrigens wieder weg. Sie haben zwar schon angefangen.
Aber die Gelder bleiben nicht bei Ihnen; sie kommen
den Straßen zugute“?
Von daher finde ich es ziemlich frech, zu sagen, dass
Sie in den Koalitionsverhandlungen vereinbart haben,
diese Gelder jetzt doch den Kommunen zu geben. Zu
diesem Zeitpunkt waren sie zu 84 Prozent bewilligt. Sie
hätten allen Kommunen sagen müssen: Das Geld gibt es
jetzt doch nicht.
Jetzt ist die Frage an Sie, ob Sie wirklich immer noch
darauf beharren, dass es 1 Milliarde Euro zusätzlich
sind?
Das habe ich gar nicht gesagt. Ich komme noch ein-mal auf die Ausgangssituation zurück: Wir beschließenden Haushalt. Bei allem Respekt, das macht nicht dieMinisterin. Wir sind der Gesetzgeber. Am Ende derLegislaturperiode wären die Mittel wieder zurückgeflos-sen. Dann haben wir gesagt: Es gibt aber weitereBedarfe. Jetzt ergibt sich in der Gesamtsumme dessen,was bereitgestellt wird – nämlich 450 Millionen Europlus 550 Millionen Euro –, 1 Milliarde Euro. Wir könn-ten jetzt Hauptseminare über Lyrik und darüber machen,wie sich die Summe genau zusammensetzt.
Entscheidend ist doch, dass wir es schaffen, die Bedarfeder Kommunen in den nächsten Jahren zu decken. Mitder Schichtung 220 Millionen, 230 Millionen und100 Millionen bekommen wir es hin, bis 2017/2018 diehöheren Bedarfe zu decken.Insoweit ist für mich wichtig, dass das Kind, das vondieser ganzen Diskussion nichts mitbekommt, in derKrippe einen Platz hat. Das ist unser Ziel, und das erfül-len wir auch.
Zum Schluss will ich auf das Thema Qualität zu spre-chen kommen, weil das für uns ein entscheidender Punktist. Ich bitte, zu überlegen, wo wir Qualitätsansätze
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4757
Marcus Weinberg
(C)
(B)
haben. Dafür sind auch die Länder mitverantwortlich.Ich finde es gut und wichtig, dass man mit den Länderndarüber verhandelt. Das Beispiel Bremen habe ich schonangesprochen. Ich kann auch mein Heimatbundeslandnennen. Dort gibt es zurzeit keine Kitagebühren mehr;sie wurden abgeschafft. Man hätte auch 2 000 Erziehe-rinnen einstellen und den schlechtesten Betreuungs-schlüssel in ganz Westdeutschland etwas verbessernkönnen. Aber die Regierung in Hamburg hat gesagt:Nein, wir wollen, dass sich auch nicht so gut Verdie-nende einen Kitaplatz erlauben können. – Das müssendie Länder entscheiden.Unsere Vorgabe ist: Qualität ist eine klare Zielfunk-tion. Dabei sind die Länder in der Verantwortung.Abschließend ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dasswir in weiten Teilen dieser familienpolitischen Maßnah-men schon sehr gute Wege gehen, aber die Frage vonBildungsimplikationen gerade im frühkindlichenBereich weiterverfolgen werden. Die Mittel für FrüheHilfen – dazu könnte man viel sagen – werden verstetigt.Zu nennen ist auch der gesamte Bereich des Ehrenamts.Aber wir haben zum Glück noch viele gute Redner, diedas auch noch darstellen werden.Insoweit ist dieser Haushalt mit der großen rundenNull tatsächlich ein guter Haushalt. Ich verzichte gernedarauf, dass St. Pauli Deutscher Meister wird,
wenn wir diese Null auch die nächsten 20 Jahre haltenkönnen.Insoweit vielen Dank und gute Beratung.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin für die Fraktion Die
Linke ist die Kollegin Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Am kommenden Sonntag wird es in Berlin eine Kund-gebung geben – eine beeindruckende, so hoffe ich. IhrMotto ist: „Steh auf! Nie wieder Judenhass!“ Anlässedafür gibt es viele, leider viel zu viele. Ich gehe davonaus, dass sich viele von uns dort treffen, über alle Frak-tionsgrenzen hinweg.
Denn der gemeinsame Kampf aller Demokratinnen undDemokraten gegen Rechtsextremismus, Rassismus undAntisemitismus hat nur eine Chance, wenn er nicht par-teipolitisch geführt wird.Das war übrigens auch das Grundverständnis im Un-tersuchungsausschuss des Bundestages zur NSU/Nazi-mord- und -raubserie sowie zum Staatsversagen. Ent-sprechend einhellig wurde der Abschlussbericht mitrund 50 konkreten Schlussfolgerungen getragen. EineSchlussfolgerung lautete: Die Förderung von Initiativengegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitis-mus ist unzureichend. – Also stellt sich die Frage, ob deraktuelle Haushaltsansatz Besserung in Aussicht stellt.Da sage ich für die Linke: Leider nein.Grob gesagt, gab es im Untersuchungsausschuss dreiKritiken:Erstens. Die Fördermittel für Initiativen gegenRechtsextremismus und für Opferberatung sind zu ge-ring, allemal in den westlichen Bundesländern. Das istkurzsichtig.Zweitens. Rechtsextremismus und Rassismus sindDauerprobleme. Initiativen dagegen werden aber nurkurzatmig und kurzfristig unterstützt. Das ist unange-messen.Drittens. Die sogenannte Extremismusklausel stelltDemokratieinitiativen unter den Generalverdacht, ver-fassungsfeindlich zu sein. Das ist kontraproduktiv.So weit die gemeinsamen Schlussfolgerungen des Be-richts.Welche Antworten bietet nun der aktuelle Haushalts-plan?Erstens. Im Wahlkampf 2013 hatte die SPD 70 Mil-lionen Euro pro Jahr gefordert. Geblieben sind im ak-tuellen Finanzplan 30 Millionen Euro. Da diese 30 Mil-lionen Euro zudem mehr Initiativen, allemal in denwestlichen Bundesländern, zugutekommen sollen – waswir natürlich begrüßen –, bedeutet das aber unter demStrich minus statt plus. Die Linke bleibt dabei: Vonnötensind mindestens 50 Millionen Euro.
Zweitens. Die gesellschaftlichen Initiativen gegenRechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismuswerden weiter zum Hecheln genötigt. Wieder und wie-der müssen sie bürokratisch ihre Berechtigung nachwei-sen. Ich sage: Das klaut Zeit und verplempert Kompe-tenz. Übrigens: Vor Jahren hatte Wolfgang Thiersealternativ für ein Stiftungsmodell plädiert. Diese guteIdee ist wieder weg. Ich finde, wir sollten ihr treu blei-ben. Die Linke ist es jedenfalls.
Drittens. Es gibt einen künstlichen Dauerstreit, wel-che Extremisten gefährlicher seien. Die SPD sagt: dievon rechts. Die Union kontert: die von links. – Nun ha-ben Medien berichtet, dass die Innenministerkonferenzeine Studie über Linksextremismus in Auftrag gegebenhat. Ergo hat die Linksfraktion gefragt: Was soll dort un-tersucht werden? Welche Anhaltspunkte gibt es? WelcheFragen werden gestellt? Welchen Anteil und welche Er-wartungen hat an alledem die Bundesregierung? – Dieschriftliche Antwort des Bundesinnenministeriums lau-tet, das alles sei streng geheim und nichts für Abgeord-nete. Ich finde das weder geheimnisvoll noch erklärend,sondern weltfremd und arrogant.
Metadaten/Kopzeile:
4758 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Petra Pau
(C)
(B)
Abschließend zur Erinnerung: Exakt heute vor14 Jahren wurde Enver Simsek hingerichtet. Er war daserste NSU-Opfer.Überhaupt erleben wir seit längerem einen gesell-schaftlichen Rechtsruck. Wissenschaftler warnen seitlangem davor. Es ist höchste Zeit, dass wir gemeinsamdagegen vorgehen und dass sich das auch im Haushaltwiderspiegelt.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Sönke Rix, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Frau Vizepräsidentin und Kollegin, die Sie geradevor mir gesprochen haben, ich bin der MinisterinManuela Schwesig dafür dankbar, dass sie die aus demNSU-Bericht zu ziehenden Schlussfolgerungen wirklichtatkräftig angeht. Dafür herzlichen Dank, ManuelaSchwesig!
Sie haben gerade mehrere Forderungen aufgezählt,Stichwort „Extremismusklausel“, Stichwort „Kontinuitätder Programme“. Wenn man heute mit Vertretern der Zi-vilgesellschaft redet, dann stellt man erst einmal fest,dass sie schon allein dafür dankbar sind, dass sie in eineranderen Art und Weise empfangen und gehört werdenund an der Erarbeitung der Programme intensiv beteiligtwerden. Das ist wirklich eine Stärkung der Zivilgesell-schaft, und dafür herzlichen Dank!
Ich gebe Ihnen recht: Sämtliche Forderungen desNSU-Untersuchungsausschusses sind mit diesem Haus-halt und in diesem Jahr noch nicht umgesetzt worden.Aber damit, aus der Hüfte zu schießen, insbesondere wasdie Kontinuität der Finanzierung der Arbeit gegenRechtsextremismus angeht, wäre der Zivilgesellschaftund dem Kampf gegen Rechtsextremismus auch nichtgeholfen.
Ich bitte, eher eine gute als eine schnelle Lösung auf denMarkt zu bringen.
Über mehr Mittel dafür müssen wir im parlamentari-schen Verfahren noch diskutieren. Es ist immer noch so– ich stehe als ehemaliges Mitglied dieses Untersu-chungsausschusses dazu –: Wir brauchen mehr Mittel imKampf für Demokratie und Toleranz. Auch wenn dieRegierung uns aktuell noch keine große Steigerung vor-gelegt hat, gilt: Wir als Parlament sind der Haushaltsge-setzgeber, und es lohnt sich, in den Verhandlungen füreine solche Steigerung zu streiten.
Ich will nun auf einen Streit eingehen, der in den bis-herigen Reden des Öfteren und auch zu Recht angespro-chen worden ist. Wir haben das erste Mal seit Jahrenwieder einen ausgeglichenen Haushalt. Nun können dieGrünen und die Linksfraktion natürlich wieder sagen:Oje, jetzt fängt der auch damit an.
Es ist aber nicht so, dass die Grünen und auch die Links-fraktion dort, wo sie in Landesparlamenten und kommu-nalen Parlamenten Verantwortung tragen, nicht genausostolz darauf sind, wenn so etwas passiert. Frau Golze hates vorhin übrigens angedeutet: In Brandenburg, wo dieLinke an der Regierung beteiligt ist, gibt es ebenfalls ei-nen ausgeglichenen Haushalt. Darauf können Sie auchstolz sein, und auch wir sind stolz darauf, dass wir dies-mal hier das Gleiche geschafft haben.
Gönnen Sie uns das!Ähnliches kenne ich aus Schleswig-Holstein: Diedortige grüne Finanzministerin ist die Erste, die daraufachtet, dass die Entwicklung in Richtung eines ausgegli-chenen Haushalts verläuft. Es ist doch vernünftig, dassdie Grünen dazu stehen. Ich finde, das können sie ruhig;darauf kann man auch stolz sein. Lasst uns doch dieFreude darüber, dass uns das erstmals gelungen ist; denndas ist ein gutes Zeichen, ein Ausdruck guter Politik.
Das gilt insbesondere mit Blick auf die junge Genera-tion. Deren Interessen zu berücksichtigen, ist ein Argu-ment all derjenigen, die froh sind, wenn sie einen ausge-glichenen Haushalt vorlegen können. Dass uns alsFamilien-, Kinder- und Jugendpolitiker ein ausgegliche-ner Haushalt besonders freut, ist nichts Verkehrtes. ImGegenteil: Wir wissen, dass wir wieder Spielraum fürneue Zukunftsinvestitionen schaffen werden.Wir vollbringen eine Doppelleistung. Schuldenabbauund Zukunftsinvestitionen sind ja kein Gegensatz. Die-ser Haushalt leistet beides. Das ist schon etwas, was manan dieser Stelle erwähnen muss. Gerade wir, die wir indiesem Bereich aktiv sind, müssen darauf achten, dasswir alle Generationen und damit die Generationenge-rechtigkeit im Blick haben. Dabei geht es nicht nur da-rum, dass wir den jüngeren Generationen weniger Schul-den hinterlassen, sondern auch um das, was wir für dasaktuelle Zusammenleben der Generationen tun: Wir in-vestieren. Wir haben zusätzliches Geld in die Hand ge-nommen, um die Mehrgenerationenhäuser – einen Ort,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4759
Sönke Rix
(C)
(B)
wo sich Generationen treffen – bis 2015 auszufinanzie-ren.
Ein weiterer Streit hat hier eine Rolle gespielt: ob1 Milliarde Euro nun 1 Milliarde Euro sind oder nicht.Natürlich sind 1 Milliarde Euro 1 Milliarde Euro. Auchdie Kollegen der Grünen und der Linkspartei sollten zu-geben: Würden Sie eine größere Summe in Ihrem Zu-ständigkeitsbereich in die Hand nehmen und tatsächlichin Bildung und Betreuung investieren, dann wären auchSie froh darüber; denn jeder Cent, jede Million Euro unddamit auch die 1 Milliarde Euro sind gut. Wir freuen unsdarüber, dass wir dieses Geld investieren. Ich bin ge-spannt darauf, wie die einzelnen Landesregierungen mitdiesem Geld umgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Denn auch da tragen Sie Verantwortung, zum Beispiel inBrandenburg; rot-grüne Regierungen gibt es glücklicher-weise auch noch genügend. Abgesehen davon bin ichfroh, zu sehen, dass es sich um so viel Geld handelt.Wir haben weitere Aktivitäten vor uns. Zeitmanage-ment ist ein Schwerpunkt in unserer Arbeit. Hierbei gehtes um zwei größere Projekte – wir haben darauf hinge-wiesen –: zum einen um das ElterngeldPlus, um dieFlexibilisierung der Zeit für Familien im Zusammen-hang mit Berufstätigkeit, sowie zum anderen um die Fa-milienpflegezeit. Wir werden diejenigen sein, die es end-lich schaffen, Berufstätigkeit und Familienpflegezeitunter ein Dach zu bekommen, indem wir ein gutes An-gebot für Angehörige von zu Pflegenden schaffen, damitsie Zeit haben, sie zu betreuen oder zu pflegen. DiesesProjekt ist ein zusätzlicher Schritt, eine flexiblere Ar-beitszeit für Angehörige von zu Pflegenden zu schaffen.Darüber sind wir auch froh, liebe Kolleginnen und Kol-legen.
Natürlich werden wir uns als Große Koalition mitdem Thema „familienpolitische Leistungen“ auseinan-dersetzen. Es ist nicht so, dass das Forschungsprojektdazu in der Schublade landet und dann nichts damit pas-siert. Es ist aber auch so – da müssen wir ehrlich sein –,dass wir zwei Koalitionspartner haben, die nicht in allenPunkten, die in dem dazu vorliegenden Bericht empfoh-len werden, die gleiche Meinung haben. Aber wir sindbereits gemeinsame Schritte gegangen. Ich bin mir si-cher, dass wir weitere gemeinsame Schritte gehen wer-den.Allein das, was in diesem Bericht über die Betreuungund die Elternzeit gesagt wurde, zeigt uns, dass wir aufdem richtigen Weg sind. Der Bericht enthält ja keinePauschalkritik an der aktuellen Regierungspolitik, son-dern viele unterstützende Worte für unsere Politik. DiesePolitik werden wir auch nach dem Vorliegen des Be-richts zu den familienpolitischen Leistungen fortsetzen.Ich hoffe, dass wir bei den Haushaltsberatungen wiedergemeinsam darüber streiten und am Ende zu guten Er-gebnissen kommen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Ulle Schauws,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Ich werde jetzt nichts mehr zurschwarzen Null sagen. Das Einzige, was ich dazu sage,ist: Es fällt schon sehr auf, wie lange und ausführlich Siediese schwarze Null immer noch rechtfertigen.
Frau Ministerin Schwesig, Sie haben Ihr Amt alsBundesfrauenministerin mit dem Anspruch angetreten,nach jahrelangem Stillstand endlich Politik für dieFrauen in diesem Land zu machen,
die Situation für sie wirklich zu verbessern, sei es bei derGleichstellung, beim Schutz vor Gewalt oder bei einergerechten Verteilung der Einkommen. Das haben wir alsOpposition auch sehr begrüßt. Aber ich bin jetzt eherenttäuscht; denn passiert ist bisher leider sehr wenig.Das bildet sich auch in Ihrem Haushalt ab: nicht vielNeues, sondern im Wesentlichen eine Fortschreibungdes Haushalts von Schwarz-Gelb.Mit großer Verve hatten Sie die Einführung einerFrauenquote angekündigt: Man müsse nur richtig dafürkämpfen, dann würde die Quote auch kommen. Das wa-ren Ihre Worte. Richtig ist, die Frauenquote wird kom-men – endlich.Frau Ministerin, ich will Ihnen ganz klar sagen: Wenndieses Quotengesetz die Frauen nach vorne bringenwürde, wenn es mit einer gerechten Partizipation der Ge-schlechter in den Aufsichtsräten der Unternehmen undden Bundesgremien Ernst machen würde, dann hättenSie unsere volle Unterstützung. Sie wollten eine Quote,die die Arbeitswelt verändert. Aber Ihre Quote warschon in Ihrem letzten Entwurf nur ein Quötchen. Siekündigen eine Quote für Aufsichtsräte von börsennotier-ten und mitbestimmten Unternehmen für Neubesetzun-gen ab 2016 an. Wir reden damit über Aufsichtsräte vonrund 100 Unternehmen. Noch weniger Quote wäre dochernsthaft gar nicht möglich gewesen.
Wir wollen dagegen eine Quote für 3 500 Unternehmen,und zwar für börsennotierte oder mitbestimmte. Wirwollen, dass sich in diesem Land wirklich zügig etwasändert.Nun haben Sie den neuen Entwurf nochmals abge-speckt: Es wird nicht nur in den Aufsichtsräten – da war
Metadaten/Kopzeile:
4760 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Ulle Schauws
(C)
(B)
ja auch kein Fett mehr dran –, sondern nun auch in je-dem Unternehmen doch kein weibliches Vorstandsmit-glied geben. Gleichstellungsbeauftragte, die es ursprüng-lich bereits ab 50 Beschäftigte geben sollte, soll es jetztnur noch in Dienststellen ab 100 Beschäftigte geben.Auch die für das Bundesgremienbesetzungsgesetzvorgesehene Quote haben Sie deutlich abgeschwächt:Erst sollte eine Quote von 50 Prozent für alle Gremiengelten; jetzt kommt eine Quote von 30 Prozent ab 2016,die Quote von 50 Prozent erst ab 2018. So, Frau Ministe-rin, werden die öffentlichen Unternehmen keine Vorbild-funktion gegenüber der Privatwirtschaft übernehmen.
Stattdessen, Frau Schwesig, sind Sie vor der Wirtschaftund der Union eingeknickt.Ich muss ganz ehrlich sagen: Da verstehe ich auchSie, meine Kolleginnen von der Union, nicht. Ichmöchte dabei direkt Frau von der Leyen ansprechen – sieist gerade nicht da. Noch in der letzten Legislaturperiodehatten wir doch eine Mehrheit; wir hatten sie im Bundes-rat, und wir hätten sie auch im Bundestag gehabt. Vielevon Ihnen haben damals die von den Grünen initiierteBerliner Erklärung unterzeichnet. Aber offenbar habenSie, liebe Kolleginnen, nun Angst vor Ihrer eigenenCourage. Schade, dass Sie Ihre Mehrheiten in der Gro-ßen Koalition nicht nutzen! Jetzt hätten Sie die Chance,bei der Gleichstellung und bei der Quote gemeinsam zugestalten.
Meine Damen und Herren von der Koalition, dringen-der Handlungsbedarf besteht auch bei den Einkommens-unterschieden bei Männern und Frauen. Die aktuelleDIW-Studie hat es gerade drastisch aufgezeigt: Frauenverdienen in unserem Land seit Jahren durchschnittlich22 Prozent weniger als Männer. Das allein ist schon einSkandal. Aber neu und erschreckend ist, dass Frauen tat-sächlich nur über ein halb so hohes Bruttoeinkommenverfügen wie Männer – und das über alle Einkommens-arten hinweg gerechnet. Darum brauchen wir, liebe Kol-leginnen und Kollegen von der Großen Koalition, end-lich ein Entgeltgleichheitsgesetz. Gleicher Lohn fürgleiche oder gleichwertige Arbeit – darum muss es ge-hen.
Nur mit verbindlichen Regelungen können Sie die Ent-geltdiskriminierung überprüfen oder beseitigen. Alleinmehr Transparenz herzustellen, reicht beileibe nicht aus.Das Ehegattensplitting ist für die Einkommensunter-schiede ein wichtiger und besonders negativer Faktor, sodas DIW. Selbst die Evaluation, die Ihr eigenes Haus inAuftrag gegeben hat, kommt zu dem eindeutigen Ergeb-nis: Das Ehegattensplitting hält Frauen vom Arbeits-markt fern. Es führt zu starken negativen Erwerbsanrei-zen für die Zweitverdiener, in der Regel die Frauen oderMütter. Und Sie, Frau Ministerin, wollen nun daran fest-halten? Damit ignorieren Sie völlig, dass das Splittingnicht nur negative Erwerbsanreize für Frauen schafft,sondern auch an Millionen von Familien mit Kindern,bei denen die Eltern nicht miteinander verheiratet sind,und an Alleinerziehenden vorbeigeht. Wir Grüne wollenund werden das Leben mit Kindern fördern und ebennicht den Trauschein, Herr Kollege Weinberg – er istauch nicht mehr da. Deshalb muss das Ehegattensplittingabgeschmolzen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte amSchluss noch etwas zum Schutz von Frauen vor Gewaltsagen. Wir alle wissen, dass die Reform des Sexualstraf-rechts ansteht. Hierzu gehört auch eine Überarbeitungdes § 177 Strafgesetzbuch, des sogenannten Vergewalti-gungsparagrafen. Bisher gilt, dass die Opfer einer Verge-waltigung nachweisen müssen, dass sie sich aktiv zurWehr gesetzt haben. Ich meine, dass ein Nein ein Neinist. Nach Artikel 36 der Istanbul-Konvention, dieDeutschland unterzeichnet hat, sind alle nicht einver-ständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe zu stel-len. Ich fordere Sie von der Bundesregierung daher ein-dringlich auf: Setzen Sie die Istanbul-Konvention jetztauch um, schließen Sie diese Strafrechtslücke! Denn füreine Frau, die Opfer einer Vergewaltigung geworden ist,ist es wichtig, dass sie das Recht auf ihrer Seite weiß.Vielen Dank.
Danke schön. – Sylvia Pantel ist jetzt die nächste
Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Wir rechtfertigen nichtdie „schwarze Null“, die wir endlich erreicht haben, son-dern wir feiern sie, weil wir 46 Jahre dafür gebraucht ha-ben, dass wir sie endlich erreichen, dass wir mit demGeld auskommen, das wir einnehmen. Wir setzen dannauch die richtigen Akzente.Der Schuldenabbau hat in den vergangenen Jahrengroße Anstrengungen erfordert. Diese Anstrengungensind wir unseren zukünftigen Generationen schuldig. Ichkomme aus Düsseldorf. Als die CDU 1999 die politischeVerantwortung übernahm, war Düsseldorf mit 1,6 Mil-liarden Euro verschuldet. Durch kluge Finanzpolitik undnachhaltige Investitionen sind wir seit 2007 schulden-frei. Der Schuldenabbau in Düsseldorf trägt unsereHandschrift; denn wir wollen zukünftige Generationenvor Schulden und Steuererhöhungen bewahren. Wir ha-ben in meiner Heimatstadt schwarze Zahlen geschriebenund sehr wohl in Kindergärten und Schulen investiert.Die Haushaltspolitik in NRW trägt nicht die Handschriftder CDU.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4761
Sylvia Pantel
(C)
(B)
Die Steuereinnahmen wachsen, die Schulden aber leiderauch.Wir dürfen und wollen keine Schuldenberge hinter-lassen. Die Gesamtverschuldung des Bundes wurdeschon in diesem Jahr um 0,8 Prozent abgebaut. Gleich-zeitig investieren wir in Deutschlands Zukunft, in unsereFamilien. Familien brauchen eine verlässliche Absiche-rung, eine für ihre Lebensentwürfe passende Infrastruk-tur und ein flexibles Zeitmanagement, um partnerschaft-liche Vereinbarungen treffen zu können.Der Etat des Familienministeriums zeigt wieder sehrdeutlich: Wir setzen politische Schwerpunkte, um einselbstbestimmtes Familienleben zu ermöglichen. Dafürherzlichen Dank!
Wir investieren in bessere Rahmenbedingungen für Fa-milien. Dabei ist die Vereinbarkeit von Familie, Pflegeund Beruf ein zentraler Punkt. Wir wollen den Familienselbst die Wahl überlassen und sie dabei nicht überfor-dern. Dies ist ein klares Bekenntnis für eine kluge, nach-haltige Familienpolitik für Deutschland.Ich möchte Ihnen die drei politischen Schwerpunktenennen, die ich in meiner Rede besonders hervorhebenmöchte: die Wahlfreiheit der Familien bei der Kinderbe-treuung, das Zusammenleben von Jung und Alt und dieStärkung demokratischer Strukturen.Die Pflege und Erziehung der Kinder sind nach Arti-kel 6 des Grundgesetzes das natürliche Recht und diePflicht der Eltern. Ein Staat hat die Eltern nicht zu be-vormunden. Die meisten Eltern können und wollen ei-genständig entscheiden, wie ihr Leben mit Kindern aus-sehen soll, wie sie es gestalten. Sie brauchen dafürunterschiedliche Angebote und unterschiedliche Struktu-ren, so, wie die Lebensmodelle eben auch unterschied-lich sind. Damit die Familie eine freie Entscheidungüber die Betreuungsform für ihre Kinder treffen kann,gibt es das von Ihnen nicht geliebte Betreuungsgeld inHöhe von 150 Euro monatlich.
– Ja, aber ohne Unterstützung.
Dies ist ein wichtiges Signal und eine Anerkennung derErziehungsleistung der Eltern, die ihre Kinder selbst be-treuen.
– Auch.
– Hören Sie sich doch erst den Rest an, bevor Sie sichaufregen! Eins nach dem anderen!
– Das ist doch nicht wahr, was Sie erzählen. Da, wo wirVerantwortung haben, zeigen wir das auch.
Das Statistische Bundesamt hat die Zahlen genannt:Ende Juni wurde für fast 225 000 Kinder Betreuungs-geld ausgezahlt.
– Klar! – Das sind schon 79 000 Anträge mehr als in denersten drei Monaten. Paare sollen sich nicht deshalb zwi-schen Beruf und Kinderwunsch entscheiden müssen,weil es keine Betreuungsangebote gibt. Wir fördern diestaatliche und die private Kinderbetreuung. Es mussendlich aufhören, dass die eine Betreuungsleistung ge-gen die andere ausgespielt wird.
– Das machen Sie doch gerade wieder.
Die Kosten für die staatliche Betreuung in der Kita, dieweit höher ausfallen, werden auch von allen Steuerzah-lern getragen.
– In Düsseldorf ist die Betreuung von Kindern ab dreiJahren im Kindergarten beitragsfrei.
Dort, wo wir Verantwortung tragen, machen wir dasschon. Machen Sie es dort, wo Sie Verantwortung tra-gen, auch.Wir haben das bestehende Sondervermögen „Kinder-betreuungsausbau“ um 550 Millionen Euro aufgestockt.Im Haushalt steht 1 Milliarde Euro zur Verfügung, umdie Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige weiterauszubauen. Seit 2013 sind die Leistungen vom Bundfür Eltern und Familien stetig gestiegen. Eltern hattennoch nie so viele Wahlmöglichkeiten bei der Gestaltungihres Lebens mit Kindern wie heute.Mit dem Elterngeld, dem Betreuungsgeld und demzukünftigen ElterngeldPlus unterstützen wir die ver-schiedenen Lebensmodelle von Familien – ohne Wer-tung des Staates. Wir sorgen dafür, dass Familie und Be-ruf besser vereinbart werden können. Im Rahmen des
Metadaten/Kopzeile:
4762 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Sylvia Pantel
(C)
(B)
Elterngeldes stehen 5,4 Milliarden Euro zur Verfügung.Mit dem ElterngeldPlus wollen wir die Möglichkeitschaffen, sich mehr Zeit für die Kinder zu nehmen, umdie Bindung zwischen Eltern und Kindern zu festigen.Damit schaffen wir eine gute Grundlage für ein genera-tionenübergreifendes Zusammenleben.Nelson Mandela sagte einmal: „Wie human eine Ge-sellschaft ist, das zeigt sich an ihrem Umgang mit Kin-dern und Alten.“ – Wir wollen eine humane Gesell-schaft. Das Modell Mehrgenerationenhaus feiert indiesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum. Ich bin Ihnen,Frau Ministerin, dankbar, dass Sie, genau wie wir auch,die Finanzierung langfristig sichern möchten.
Derzeit werden circa 450 Mehrgenerationenhäuser mitihren Angeboten gefördert, und wir sorgen dafür, dassdie Förderung auch im nächsten Jahr steht.
Jung und Alt können sich bei unterschiedlichen Angebo-ten austauschen, einen Zugang zueinander finden undvoneinander lernen. Wir brauchen in Zukunft Planungs-sicherheit. Diese ist hoffentlich, wenn wir alle zusam-menstehen, für die nächsten Jahre gesichert.Damit alle Menschen in Deutschland friedlich undgemeinschaftlich zusammenleben können, müssen wirToleranz und Demokratie stärken. Wir fördern demokra-tische Strukturen und treten entschlossen gegen extre-mistische Positionen auf. Die Freiheit hört da auf, wo dieFreiheit des anderen eingeschränkt wird.
Mit 30 Millionen Euro – wir meinen, dass dies aus-reicht – werden ab Januar 2015 Maßnahmen gegenExtremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit unter-stützt. Extremismus hat aber viele Gesichter. Die Gefah-ren, die von Antisemitismus, Rassismus und militantemIslamismus ausgehen, sehen wir gerade in diesen Tagenauch in unserem Land, und man sollte diese ernst neh-men.
Wir wollen keine extremistischen Strömungen, sondernmehr Toleranz und ein gestärktes Demokratieverständ-nis.
Eine nachhaltige Förderung der Demokratie muss Maß-nahmen gegen den Linksextremismus und den Rechts-extremismus einschließen.
Dieser Haushaltsentwurf stärkt Familien bei der Be-wältigung der unterschiedlichen Herausforderungen. Erfördert den Austausch zwischen Jung und Alt und bietetden Vätern und Müttern eine Wahl zur Vereinbarkeit vonFamilie und Beruf. Wir schaffen es, zu sparen undSchulden abzubauen, und wir investieren in unsere Fa-milien – und all das ohne Neuverschuldung. Wir setzendie richtigen Akzente, ohne zukünftige Generationen zuüberlasten.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Susann Rüthrich ist die nächste Red-
nerin für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Was kannes eigentlich Schöneres geben, als in einer Haushaltsde-batte den Haushalt des Familienministeriums zu bespre-chen, den Haushalt, der den gesamten Lebenszyklus vonuns allen mitgestaltet? Was sich darin findet, begleitetunsere ganze Gesellschaft in ihrer Breite und Vielfalt:Das geht von Schwangerenberatung und Kindergeldüber Jugendarbeit und Elterngeld bis hin zu Pflegezeitund Mehrgenerationenhäusern.
Diese Feststellung zaubert uns vielleicht ein Lächelnins Gesicht. Sie meint aber eines nicht: dass es hier umNettigkeiten geht, die wir uns irgendwie leisten. Nein, esgeht um die soziale Infrastruktur in unserem Land. Ichmache an zwei Bereichen deutlich: Hier geht es um denKern unseres Zusammenlebens und um die Sicherheit al-ler hier lebenden Menschen.Der erste Bereich ist die Kinder- und Jugendpolitik.Als Kinderbeauftragte meiner Fraktion sage ich: Kinder-rechte sind ein Anspruch, den jedes Kind hat, egal inwelcher Situation.
Kinder haben ein Recht auf Schutz, auf gewaltfreie Er-ziehung, auf gute Ernährung und auf Mitbestimmung.Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist nichts,was wir den Kindern gönnen, nein, ohne das ist dieWürde aller Menschen nicht gewahrt, nämlich die derKinder nicht. Nicht nur das: Wir würden uns den Ast ab-sägen, auf dem wir sitzen, wenn wir nicht bestmöglicheBedingungen für die nachwachsenden Generationenschaffen würden.Deswegen braucht es etwa das Netzwerk Frühe Hil-fen. Damit garantieren wir die Unterstützung jungerFamilien von Anfang an. Es braucht starke Jugendver-bände, in denen sich Kinder und Jugendliche ausprobie-ren können, in denen sie lernen, in denen sie Interessenbündeln. Deswegen ist es richtig, dass wir der Jugend-verbandsarbeit – wie schon in diesem Jahr – 1 MillionEuro mehr geben und dass wir Mittel für eine eigenstän-dige Jugendpolitik im Haushalt haben. Denn so pflegen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4763
Susann Rüthrich
(C)
(B)
wir eine vielfältige Landschaft an Kinder- und Jugendar-beit, und Kinder finden einen Platz bei uns.Mit dem Stichwort „vielfältig“ komme ich zu meinemzweiten Schwerpunkt. Alle Menschen, die bei uns leben,haben das Recht auf ein sicheres und angstfreies Leben,
egal wie sie aussehen, egal wen sie lieben, egal welcheReligion sie haben, egal ob sie viel oder wenig Geld ha-ben. Dass das noch nicht so ist, sehen wir gerade daran,dass mehrere Moscheen angegriffen wurden. Wir muss-ten Angriffe auf Synagogen und antisemitische Ausfällein aller Öffentlichkeit, etwa bei Demonstrationen, erle-ben. Deswegen freue auch ich mich über die Demonstra-tion gegen Antisemitismus, die am Sonntag hier nebenanam Brandenburger Tor stattfinden wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Ergebniseiner aktuellen Befragung zeigt, dass die Feindschaft ge-genüber Sinti und Roma erschreckende Ausmaße hat.Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Sie werden es merken:Ich komme aus Sachsen.
Es ist schön, da zu leben. Aber in meiner Heimat wählenfast 5 Prozent der Leute eine neonazistische Partei. Nochdazu wählen fast 10 Prozent eine Partei, die sich offenschwulen- und behindertenfeindlich gibt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeden Tag erlebenMenschen bei uns Alltagsrassismus. Menschen werdenangegriffen, nur weil sie vielleicht grün gefärbte Haarehaben. Deswegen hat es mich sehr gefreut, dass wir imKoalitionsvertrag vereinbart haben, mehr Geld für De-mokratieinitiativen, für Prävention, für Bildung und fürmobile Opferberatung zur Verfügung zu stellen. Ein-stimmig haben wir alle hier im Frühjahr dieses Jahresbestätigt, dass wir infolge des NSU-Terrorismus die Mit-tel für diese Arbeit erhöhen müssen, angepasst an dentatsächlichen Bedarf.
Es ist geplant, eine gesetzliche Grundlage dafür zuschaffen. Denn im Bereich der Kinder- und Jugendförde-rung ist die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Demo-kratiearbeit nicht richtig aufgehoben. Wir müssen dieseDaueraufgabe auch dauerhaft sichern. Diese gesetzlicheÄnderung ließ sich allerdings nicht in diesem Jahr schaf-fen. Nichts wäre schlimmer, als wenn die Projekte, dieauf Geld warten, nicht am 1. Januar 2015 mit ihrer Ar-beit anfangen können. Deswegen liegt nun das Pro-gramm „Demokratie leben!“ des Familienministeriumsvor. Immerhin werden diese Initiativen damit fünf Jahrelang gefördert, was ein großer Fortschritt für die Umset-zenden ist.Das Programm „Demokratie leben!“ greift inhaltlichall das auf, was wir im Land brauchen. Wir unterstützendamit noch mehr Kommunen als zuvor. Wir unterstützendie Länder. Wir unterstützen bundesweit tätige Demo-kratie- und Strukturprojekte und innovative Modellpro-jekte. Diese sollen zum Beispiel Maßnahmen entwi-ckeln, die gerade in den ländlichen Regionen, imländlichen Raum wirken. Ein Bereich kommt ganz neuhinzu, nämlich der der Radikalisierungsprävention: Wieerreichen wir Jugendliche, die dem Salafismus oder ähn-lichen Einstellungen und Vorstellungen zu nahe kom-men? Das ganze Programm bezieht sich auf Ost undWest.Sehr geehrte Damen und Herren, Sie sehen: Es sindmehr Inhalte, mehr Projekte, mehr Regionen im Pro-gramm enthalten. Doch eines ist geblieben: die 30,5 Mil-lionen Euro jährlich, die dafür im Haushalt vorgesehensind. Wenn man sich aber einen größeren Tisch zulegt,dann reicht die alte Tischdecke nicht mehr aus. Da hilftalles Ziehen und Drehen nichts; es braucht eine größereTischdecke. Kurz gesagt: Liebe Kolleginnen und Kolle-gen Haushälter, wir brauchen hier mehr Mittel, umtatsächlich vor Ort wirken zu können, was wir ja allegemeinsam wollen – sehr gern die 50 Millionen Euro,die Summe, der in den Koalitionsverhandlungen nichtwidersprochen wurde.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Die Kollegin Rüthrich ist nicht nur
vor einigen Wochen junge Mutter geworden, sondern
das war auch ihre erste Rede hier im Bundestag. Zu bei-
dem möchte ich Ihnen, Frau Rüthrich, sicher im Namen
des gesamten Hauses, ganz herzlich gratulieren.
Nächste Rednerin ist Astrid Timmermann-Fechter für
die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Fast 8,5 Milliarden Euro für mehr gesell-schaftlichen Zusammenhalt! Fast 8,5 Milliarden Eurofür mehr Miteinander zwischen den Generationen! Fast8,5 Milliarden Euro vor allem auch für mehr Wahlfrei-heit als Entlastung von Familien!Meine sehr geehrten Damen und Herren, Solidaritätund Zusammenhalt lassen sich nicht verordnen, schongar nicht vom Staat. Was wir aber tun können, ist, dieGesellschaft darin zu stärken und zu unterstützen. Dafürsteht diese Koalition, indem wir die Wünsche der Men-schen ernst nehmen, auf diese reagieren.
Metadaten/Kopzeile:
4764 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Astrid Timmermann-Fechter
(C)
(B)
Dafür steht auch der Einzelplan 17, der gegenüberdem Vorjahr um fast eine halbe Milliarde Euro aufge-wachsen ist.
Wir alle wissen, dass der Haushalt des Familienministe-riums einen hohen Anteil gesetzlich gebundener Leis-tungen enthält. Rund 88 Prozent des Haushalts sind nichtdisponibel.Aber es zeigt sich, dass diese Leistungen erfolgreichvon den Familien angenommen werden. So erweist sichdas Elterngeld immer mehr als ein Erfolgsmodell. DieInanspruchnahme durch junge Väter steigt von Jahr zuJahr an und zeigt, dass immer mehr berufstätige Männerihre Rolle als Vater wahrnehmen.
Dieser Entwicklung trägt der Einzelplan 17 mit einerAufstockung um weitere rund 30 Millionen Euro aufnunmehr rund 5,4 Milliarden Euro Rechnung. Das El-terngeld ist somit ein Erfolgsmodell, das wir in der Gro-ßen Koalition bewusst weiterentwickeln, weil uns Kin-der wichtig sind, weil wir nur in ihnen eine Zukunfthaben.Doch die Entlastung von Familien ist nicht allein aufden Einzelplan 17 beschränkt. Mehr Entlastung bringenwir auch mit der ersten Stufe der Pflegereform für Fami-lien, die Angehörige zu versorgen, zu pflegen haben.Hier stellt die Bundesregierung noch einmal zusätzlich2,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Das ist ein Meilen-stein in der Geschichte der sozialen Pflegeversicherung.An dieser Stelle wird noch einmal deutlich, dass esdieser Koalition gelungen ist, Familien- und Gesund-heitspolitik ressortübergreifend besser zu verzahnen.Deshalb werden wir die Familien auch noch stärker da-rin unterstützen, Beruf und Pflege künftig noch bessermiteinander vereinbaren zu können.
Hierfür wollen wir als Große Koalition in diesem Jahrdie Familienpflegezeit noch attraktiver machen. Arbeit-nehmer sollen künftig einen Rechtsanspruch haben, fürdie Pflege von Angehörigen ihre Arbeitszeit über einenZeitraum von bis zu 24 Monaten reduzieren zu können.Diese Leistungsverbesserung soll bereits im nächstenJahr in Kraft treten. Dafür haben wir 1,3 Millionen Euroin den Einzelplan 17 eingestellt. Denn nach wie vor istund bleibt Deutschlands Pflegestation Nummer eins dieFamilie, und für dieses Gesellschaftsbild steht auch dieCDU/CSU.
Auch an anderen Stellen haben wir mit weiterenLeistungen Akzente gesetzt, die das Prinzip der Wahl-freiheit stärken. So sichern wir auch im nächsten Jahr dieerfolgreichen Mehrgenerationenhäuser als ein niedrig-schwelliges Angebot. Dafür stellen wir zusätzlich rund10,5 Millionen Euro zur Verfügung und kommen damitinsgesamt auf 16,5 Millionen Euro.
Besonders stolz können wir alle gemeinsam auf dieEntwicklung der Freiwilligendienste sein. Auch in die-sem Jahr gibt es wieder rund 35 000 Bundesfreiwillige,die sich in sozialen, ökologischen und kulturellen Berei-chen, im Sport, im Zivil- und Katastrophenschutz enga-gieren.Seit Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 habenüber 100 000 Menschen aller Altersgruppen einen Frei-willigendienst absolviert. Für den Bundesfreiwilligen-dienst stellen wir 2015 167,2 Millionen Euro zur Verfü-gung, für das Freiwillige Soziale Jahr, das FreiwilligeÖkologische Jahr und den Internationalen Jugendfrei-willigendienst zusammen rund 93 Millionen Euro. Fürdie Stärkung der Zivilgesellschaft sind es zusammen264,8 Millionen Euro. Das alles sind sehr beeindru-ckende Zahlen.Da mir insbesondere die Seniorenpolitik am Herzenliegt, freue ich mich besonders, dass sich auch vieleSenioren als Bundesfreiwillige in den Dienst der gutenSache stellen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, michbei allen, die einen Freiwilligendienst leisten, herzlich zubedanken; sie leisten einen wichtigen Dienst für die Ge-meinschaft und machen für ihren weiteren Lebenswegeine ganz großartige Erfahrung.
Ich finde, die Medien sollten auch einmal solche Bei-spiele sozialen Zusammenhalts herausstellen.Mit fast 2 Millionen Euro bleiben die Mittel fürüberregionale Maßnahmen und Modelleinrichtungenkonstant. Hier fördert der Bund modellhafte Bauprojekteder Altenhilfe, die überregional beispielgebend und ge-eignet sind, Initiativen anzuregen. Daran wollen wirauch künftig festhalten.In den Bereich der Seniorenpolitik gehört auch dasProgramm „Anlaufstellen für ältere Menschen“. Hierfördert das Familienministerium über 300 Projekte, diedas selbstständige Wohnen und Leben im Alter unter-stützen, Mobilität fördern und Unterstützungsangebotefür betreuende und pflegende Angehörige machen. Bis2017 stellt der Bund dafür rund 7 Millionen Euro bereit.Ich lege Ihnen dieses Programm ans Herz, liebe Kolle-ginnen und Kollegen; sicher gibt es auch in Ihrem Wahl-kreis ein entsprechendes Projekt, das Sie sich ansehenkönnen.Dieser Haushalt – ressortübergreifend verbunden mitdem Bundesgesundheits- und dem Bundesarbeitsminis-terium – zeigt, dass die seniorenpolitischen, gesundheits-politischen und pflegepolitischen Themen in dieser Ko-alition einen hohen Stellenwert genießen.Eine Gesellschaft des langen Lebens birgt nicht nurHerausforderungen, sondern auch immens viele Chan-cen und Potenziale. Die Lebenserfahrungen der älterenMenschen sind wertvolle Schätze, die in der Arbeitswelt,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4765
Astrid Timmermann-Fechter
(C)
(B)
im Ehrenamt, in Schulen, in der Familie und auch in derPflege eine höhere Wertschätzung erfahren müssen. Da-ran müssen wir zukünftig noch besser arbeiten.
Der jetzt vorliegende Haushalt ist solide durchgerech-net, obwohl er deutliche Leistungsverbesserungen be-inhaltet. Was jedoch nicht geht, meine Damen und Her-ren, sind milliardenschwere zusätzliche Forderungen;denn letztlich muss das alles auch bezahlbar bleiben –das sind wir der nächsten Generation, unseren Kindern,schuldig, und das sind wir auch dieser Generation schul-dig. Vor diesem Hintergrund finde ich, dass wir hier ei-nen strukturell seriös finanzierten Haushalt vorlegen.Mit einer Vielzahl von Leistungsverbesserungen undnoch flexibleren Angeboten schaffen wir eine Band-breite an Rahmenbedingungen und Wahlmöglichkeiten.Ich freue mich auf die nun beginnenden Beratungen inden Ausschüssen und hoffe auf eine konstruktive Zu-sammenarbeit.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Auch für Sie, Frau Kollegin
Timmermann-Fechter, war das heute die erste Rede.
Deshalb von uns allen einen herzlichen Glückwunsch
dazu!
Das Wort hat jetzt Uli Gottschalck, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Wir haben es eben von meiner Vorrednerin ge-hört: Unser Haushalt hat einen Umfang von rund8,5 Milliarden Euro. Er ist somit ein eher kleiner Etat.Ich will es aber einmal so sagen: Er ist klein, aber fein,weil darin sehr viele familienpolitische Leistungen ste-hen, die für unsere Familien im Land unendlich wichtigsind.
Auch wenn die Opposition vorhin gejammert hat: DerEtat steigt um 500 Millionen Euro.
Das liegt im Wesentlichen im Elterngeld begründet, ei-ner wichtigen familienpolitischen Leistung. Immer mehrVäter nehmen es in Anspruch, weil immer mehr junge,gut ausgebildete Frauen endlich ordentlich verdienen,und ich finde, das ist wichtig. Deshalb ist uns das Eltern-geld lieb, aber auch teuer, wenn ich das als Haushälterineinmal so sagen darf.
Frau Golze, ja, es gibt auch das Betreuungsgeld. AuchSie müssen es ertragen, dass wir in jeder Haushaltsde-batte sagen: Ja, die SPD hat dazu auch eine andere Mei-nung, aber wir sind vertragstreu. Dafür haben wir unteranderem den Mindestlohn und die Rente mit 63 durchge-setzt. Beim Mindestlohn, mit dem man wirklich dafürsorgen kann, dass Kinder nicht in Armut leben müssen,waren Sie nicht einmal dabei. Ich finde, das ist ziemlichpeinlich.
Wir haben im Haushalt 2014 einiges auf den Weg ge-bracht, was nun kontinuierlich fortgeführt wird:Ich beginne mit der zusätzlichen Million zur Versteti-gung der Jugendverbandsarbeit. Gemeinsam mit mei-nem Kollegen habe ich im letzten Jahr dafür gekämpft.Wir haben es geschafft. Die Jugendverbandsarbeit wirdnun dauerhaft gestärkt.Daneben werden 16,5 Millionen Euro zur Finanzie-rung der Mehrgenerationenhäuser zur Verfügung ge-stellt. Das war ein harter Kampf – ich schaue hier denKollegen Alois Rainer und auch alle anderen an, die da-für gekämpft haben. Dieser Betrag, durch den die weg-fallenden ESF-Mittel aufgefangen werden sollen, stehtbis jetzt leider nur einmalig im Etat. Deshalb fordere ichhier an dieser Stelle gleich alle auf, in den Beratungenaufzupassen. Wir brauchen eine Verstetigung dieser Mit-tel für die Mehrgenerationenhäuser, weil hier eine ganzwichtige Aufgabe geleistet wird.
Die Frau Ministerin hat es angesprochen: Wir habeneine Zuweisung an den Fonds für die Opfer der Heim-erziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990 inHöhe von 42,7 Millionen Euro erreicht. Auch das warein Kraftakt, aber auch das steht jetzt im Haushalt.An der Hoch- und Herunterrechnerei in Bezug auf dasSondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ will ichmich jetzt nicht beteiligen. Ich finde es auf jeden Fallsehr gut, dass wir 1 Milliarde Euro zur Verfügung haben,um den Ausbau der U3-Kinderbetreuungsplätze zu er-möglichen, wodurch vor allen Dingen der entsprechendeRechtsanspruch erfüllt wird.Wir müssen natürlich für die Qualität sorgen; das giltaber auch für die Länder. Hier gebe ich dem KollegenWeinberg sehr recht, der das vorhin auch schon ange-sprochen hat. Ich denke, wir alle sind uns einig: Wirbrauchen neben der Quantität auch Qualität. Dafür müs-sen wir Bundesgeld in die Hand nehmen, aber dafürmüssen auch die Länder etwas tun. Wir müssen aufpas-sen, dass die Länderminister hier keine klebrigen Fingerhaben, sondern dieses Geld wirklich für Bildung ausge-ben.
Metadaten/Kopzeile:
4766 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Ulrike Gottschalck
(C)
(B)
Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen: DieseGelder sollten durchaus sehr flexibel für Bildung ausge-geben werden. Mir ist die frühkindliche Bildung mindes-tens genauso wichtig wie gute Ganztagsschulen oderHochschulen. Deswegen sollen die Länder das Geld ent-sprechend ihrer Bedarfe ausgeben. Wir stellen in dieserLegislaturperiode 6 Milliarden Euro für die Bildung zurVerfügung, und ich denke, das ist ein ordentlicher Be-trag.
Zur Steigerung der Qualität in den Kitas geben wirden Kommunen in den Jahren 2016 und 2017 einen grö-ßeren Anteil an der Umsatzsteuer.Das alles gehört zu unseren Aufgaben, und wir müs-sen hier mit aufpassen, dass das Geld auch wirklich dortankommt, wo es gebraucht wird, nämlich in den Kom-munen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will hierauch noch das Bundesamt für Familie und zivilgesell-schaftliche Aufgaben ansprechen. Auch hier werdenunglaublich viele gute Dinge geleistet. Das ist eine wich-tige Dienstleistungsbehörde für den Dienst am Menschen,auf die wir sehr stolz sind. Wenn man abfragt, welcheErfolge dort erzielt werden, dann wird zum Beispiel dasNotruftelefon für Frauen bzw. das Konflikttelefon ge-nannt. Gestern habe ich mit der Präsidentin der Behördeund Alois Rainer über die vertrauliche Geburt gespro-chen. Das Gesetz ist noch nicht lange in Kraft. Aber mitder Unterstützung dieser Behörde wurden schon 32 Ge-burten im Rahmen dieser neuen Regelung durchgeführt.Es ist schwierig, sich vorzustellen, unter welchen Um-ständen diese Geburten abgelaufen sind.Die Behörde leistet tolle Arbeit. Deshalb bin ich sehrdankbar, dass wir diese gute Dienstleistungsbehörde ha-ben. Wir müssen diese Behörde in den Haushaltsbera-tungen im Auge behalten, um ihre Arbeit stärken zu kön-nen.
Zum Schluss sage ich einer sehr guten und taffenMinisterin, fachlich und sachlich hervorragend agieren-den Staatssekretärinnen und Staatssekretären Danke-schön. Ihre Arbeit wiederum führt dazu, dass wir totalmotivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministe-rium haben. Auch an sie ein herzliches Dankeschön. Einallerletztes Dankeschön geht an den geschätzten Unions-haushälter Alois Rainer, mit dem ich immer sehr gut zu-sammenarbeite und mit dem wir auch den zukünftigenHaushalt gut wuppen werden.Danke schön.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Alois Rainer für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Frau Minister! Liebe KolleginGottschalck, gleich zu Anfang vielen Dank für denWeihrauch. Aber bei zu viel Weihrauch wird selbst einHeiliger rußig.
Trotzdem vielen herzlichen Dank.Viele meiner Vorredner sprachen es bereits an, aber indieser Debatte noch kein Haushälter. Ich denke, ich darfes sagen: Ich freue mich darüber, dass ich in meiner ers-ten Periode im Deutschen Bundestag dabei sein darf,wenn nach 46 Jahren ein ausgeglichener Haushalt aufge-stellt wird. Ich sage das mit großem Stolz. Wir alle dür-fen stolz darauf sein, dass das geschafft wurde. Das warnämlich alles andere als einfach. Es ist auch richtig, dasswir unsere solide, verlässliche und stabilitätsorientiertePolitik dahin gehend weiter fortsetzen werden.Die „schwarze Null“ im Haushalt für 2015 markiertzugleich den Beginn eines nachhaltig ausgeglichenenBundeshaushalts für den gesamten Finanzplanungszeit-raum. Mit dem nun vorliegenden Entwurf zum Finanz-haushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren,Frauen und Jugend zeigen wir, dass wir halten, was wirversprechen. Auf der einen Seite sparen wir, auf der an-deren Seite investieren wir. Wir investieren in diejeni-gen, die uns am wichtigsten sind: in die einzelnen Men-schen und in die Familien in Deutschland. Daher istunsere Politik eine Politik, die das Miteinander allerMenschen in unserem Land fördert.Wir wollen eine familienfreundliche Gesellschaft,eine Gesellschaft, in der Kinder willkommen sind, in derKinder, auch wenn sie einmal quengeln oder unruhigund laut sind, immer noch willkommen sind.
– Danke. – Ehe und Familie sind in ganz Deutschlanddas Fundament unserer Gesellschaft. Familien und Kin-der gehören für die große Mehrheit der Frauen und Män-ner in unserem Land zu einem glücklichen Leben. Auchin Ehen und Partnerschaften, die ohne Kinder bleiben,übernehmen Männer und Frauen dauerhaft füreinanderVerantwortung. Deshalb ist es uns ein besonderes Anlie-gen, Ehe und Familie dementsprechend zu stärken undmit guten Rahmenbedingungen dazu beizutragen, dassdie Menschen ihren Wunsch nach Kindern, Familie undPartnerschaft verwirklichen können. In diesem Zusam-menhang gehört es auch zu den wesentlichen Zielen un-serer Familienpolitik, Kinder und Familie wirksam zuunterstützen und zu fördern sowie die Vereinbarkeit vonFamilie und Beruf zu verbessern.
Wenn wir über Familie sprechen, dann sprechen wirauch über die Unterstützung älterer Menschen; denn ge-rade mit Blick auf den demografischen Wandel inDeutschland ist es ein wichtiges Ziel, auch die Rolle der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4767
Alois Rainer
(C)
(B)
älteren Generation zu stärken und deren wertvolles Er-fahrungswissen in die Gesellschaft einzubringen.
Genau diesen Herausforderungen stellen wir uns inder Regierungskoalition. In dem nun vorliegenden Haus-haltsentwurf zum Einzelplan 17 beträgt der Gesamtan-satz rund 8,5 Milliarden Euro. Zum Vorjahr ist dies einAufwuchs von circa 500 Millionen Euro. Den wesentli-chen und größten Anteil im Einzelplan 17 bildet das2007 eingeführte Elterngeld. Es soll das Einkommenvon Familien im ersten Lebensjahr des Kindes stabilisie-ren. Mit der Einführung des ElterngeldPlus wird dieTeilzeittätigkeit von Eltern erleichtert. Gegenüber derbisherigen Finanzplanung werden die gesetzlichen Leis-tungen beim Elterngeld für das Haushaltsjahr 2015 auf5,4 Milliarden Euro angehoben. Damit gehen wir auf diedynamische Entwicklung der Lohnsteigerung beim El-terngeld entsprechend ein.Auf dem Krippengipfel im Jahr 2007 wurde vonBund, Ländern und Kommunen vereinbart, dass schritt-weise ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot für unterDreijährige realisiert wird; denn Eltern haben ein Rechtauf die bestmögliche Betreuung und Bildung für ihreKinder. Daher ist es unsere gemeinsame Aufgabe, einbreites, familiennahes Angebot mit guter Qualität zuschaffen. Mit gemeinsamer Aufgabe meine ich nicht nurden Bund, sondern auch die Länder und die Kommunen,die dafür zuständig sind. In diesem Zusammenhang sindauch die Sprachförderung und die Qualifizierungsoffen-sive im frühkindlichen Bereich zu nennen, deren Finan-zierung wir bereits im Haushalt 2014 verstetigt haben.Wenn wir von Angebot und Qualität sprechen, dannmöchte ich auch gerne das Bundesamt für Familie undzivilgesellschaftliche Aufgaben nennen. Das Bundes-amt leistet mit seiner Vielzahl von Aufgaben, wie zumBeispiel beim Bundesfreiwilligendienst, dem Hilfetele-fon, der Contergan-Stiftung, bei den Mehrgenerationen-häusern oder auch bei der Regiestelle „Toleranz fördern –Kompetenz stärken“, mehr, als in einer sogenannten Ab-baubehörde überhaupt möglich ist.Wie heute schon vielfach angesprochen, liegt mir einThema ganz besonders am Herzen, und zwar das Themader Mehrgenerationenhäuser. Ich möchte betonen, dasswir im Koalitionsvertrag festgehalten haben, dass wirein Konzept entwickeln wollen, um die Finanzierung derMehrgenerationenhäuser im Haushalt zu verstetigen. Fürdas kommende Jahr 2015 ist es uns noch gelungen – zu-sammen mit meiner Kollegin Ulrike Gottschalck –, dieFinanzierung der Mehrgenerationenhäuser nach demWegfall der ESF-Mittel im Haushalt mit 16,5 MillionenEuro zu berücksichtigen.
Hier müssen weitere Gespräche geführt werden, unddas werden sie auch, um gerade die sozialen Anker-punkte, die das generationenübergreifende Miteinanderfördern, weiter zu stützen. Wir können die 450 Mehrge-nerationenhäuser in Deutschland nicht im Regen stehenlassen.
Ein weiterer sehr wichtiger Punkt ist die Kinder- undJugendpolitik. Hier haben wir den Mittelansatz für denKinder- und Jugendplan, wie die Kollegin schon gesagthat, im vergangenen Jahr um 1 Million Euro erhöhen kön-nen. Auch das bleibt zumindest im Haushaltsjahr 2015so.Zum Abschluss meiner Ausführungen spreche ichmich insbesondere als Haushaltspolitiker für die Genera-tionengerechtigkeit aus. Diese bemisst sich auch daran,dass wir unseren nachfolgenden Generationen, unserenKindern und Enkeln, nicht immer größere Schulden-berge hinterlassen. Darum sollten wir alle dafür einste-hen, den richtigen Weg zu gehen, um schon heute dieWeichen für unsere nachfolgenden Generationen zu stel-len. Lassen Sie mich mit einem Zitat von Ludwig Erhardenden:Unser Tun dient nicht der Stunde, dem Tag oderdiesem Jahr. Wir haben die Pflicht, in Generationenzu denken …Ich hätte gerne noch auf die eine oder andere Aussageder Opposition geantwortet, aber da ich jetzt wieder wiein meinen vier vorhergehenden Reden eine Punktlan-dung geschafft habe, bedanke ich mich ganz herzlich fürIhre Aufmerksamkeit.Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank. Das mit der Punktlandung wollen wirjetzt nicht so wörtlich nehmen.Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegennicht vor.Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheit, Einzelplan 16.Wenn jetzt die Familienpolitikerinnen und -politikerden Umweltpolitikern und -politikerinnen ganz zügigPlatz machen, könnte ich die nächste Rednerin aufrufen.Ich bitte, die Gespräche, die hier jetzt noch zwischenden Reihen geführt werden, draußen zu führen.Das Wort hat nun die Bundesministerin Dr. BarbaraHendricks.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Ich freue mich, dass ich Ihnen heute den erstenHaushaltsentwurf vorlegen kann, der die geänderteRessortzuständigkeit von Anfang an mitbedacht hat.
Metadaten/Kopzeile:
4768 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
(C)
(B)
Jetzt zeigt sich, dass sich die Bereiche Bauen und Stadt-entwicklung hervorragend mit den klassischen Aufgabendes alten Umweltministeriums zusammenfügen und er-gänzen – eine Erfahrung, die wir seit der vollzogenenZusammenführung im Juni tagtäglich machen können.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will hier deut-lich machen, dass es mir ein ganz persönliches Anliegenist, dass wir bei den vielfältigen Themen meines Hausesimmer auch die soziale Dimension mitbedenken. Wirmachen Umwelt-, Natur- und Klimaschutzpolitik undBau- und Stadtentwicklungspolitik für die Menschenund mit den Menschen in Deutschland. Das ist dringendnotwendig, und es ist uns mit diesem Haushaltsentwurfgelungen. Was wir hier erleben, ist ein echter Fortschritt.Ich werde auf die einzelnen Maßnahmen noch eingehen.Umwelt- und Klimaschutz gehören ja zu den zentra-len Herausforderungen, denen sich die Bundesregierungstellt. Als bedeutendes Industrieland steht Deutschlandunter besonderer Beobachtung, ob Klimaschutz undWirtschaftswachstum zusammenpassen. Ich bin davonüberzeugt, dass Deutschland unter Beweis stellen kann,dass aktiver Klimaschutz eben keine Einschränkung desWachstums und der Lebensqualität bedeutet – im Ge-genteil: Innovationen in diesen Bereichen bieten vieleWachstumschancen, die wir in Deutschland schon nut-zen und weiter nutzen wollen.
Das Gleiche gilt für den Umweltschutz. Wenn wir derNatur wieder mehr Raum geben, dann gibt es auch füruns Menschen mehr Raum, nämlich Raum zur Erholung,zur Entspannung und auch zur Entfaltung. Wenn wir dieQualität der Natur erhöhen, verbessern wir unsere eigeneLebensqualität. Ein guter Naturschutz ist also immerauch Menschenschutz.
Deshalb werden wir auch 2015 die Ausgaben zumBeispiel für die Umweltforschung, für das ProgrammBiologische Vielfalt und für Naturschutzgroßprojekteauf hohem Niveau fortführen. Ich bin froh, dass uns dasgelingt. Ich möchte die Akzeptanz einer aktiven und pro-gressiven Umwelt- und Klimaschutzpolitik erhöhen, undich möchte das Wachstum in Deutschland stärken, umdas uns auch jetzt schon viele andere beneiden. Der Ein-zelplan 16 im Bundeshaushalt für das Jahr 2015 spiegeltdetailliert wider, was sich die Koalition vorgenommenhat.Wir wollen Umweltschutz, Naturschutz und Klima-schutz und damit den Schutz unserer natürlichen Le-bensgrundlagen voranbringen – und das wird uns auchgelingen.Wir wollen mit einer ökologischen Industriepolitikmehr nachhaltige Investitionen in umweltschonendeTechnologien ermöglichen. Gerade die öffentliche Handsollte sich ihrer Einkaufsmacht noch stärker bewusstwerden, um umweltfreundliche Produktinnovationen zustärken.
Wir wollen gutes und bezahlbares Wohnen und Bauenfördern, da guter Wohnraum zu den elementaren Bedin-gungen für eine gute Lebensqualität in Stadt und Landgehört.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, insgesamtsteigt das Volumen des BMUB-Haushaltes gegenüber2014 um rund 238 Millionen Euro auf rund 3,9 Milliar-den Euro an. Das ist vor allem auf höhere Ansätze fürWohngeld, Wohnungsbauprämien und die Städtebauför-derung zurückzuführen. Die deutliche Steigerung desProgrammhaushaltes ist daher ein großer Erfolg.
Die Programmbereiche Umweltschutz, NationaleKlimaschutzinitiative, Naturschutz, Reaktorsicherheitund Strahlenschutz werden auf dem bisherigen Niveaufortgeschrieben. Ich werde mich auch mit aller Kraft fürein neues internationales Klimaschutzabkommen inknapp eineinhalb Jahren in Paris einsetzen. Wir könnennicht zufrieden sein, solange es kein neues Abkommengibt. Deshalb werde ich alle Anstrengungen unterneh-men, damit Paris als Erfolg in die Klimaschutzge-schichte eingehen kann.
Deutschland kann, soll und wird im Klimaschutz eineVorreiterrolle einnehmen. Dazu müssen wir aber auch si-cherstellen, dass das Klimaschutzziel, das wir uns selbergegeben haben, bis 2020 erreicht werden kann. Deshalbhabe ich das Aktionsprogramm „Klimaschutz 2020“ ini-tiiert;
denn ohne zusätzliche Anstrengungen werden wir unserZiel nicht erreichen.
Jetzt werden alle Vorschläge gesammelt, berechnet, be-wertet und im Kreis der Bundesministerien abgestimmt.Das daraus resultierende Aktionsprogramm wollen wirim November 2014, also schon recht bald, im Kabinettverabschieden. Darauf aufbauend werden wir bis 2016einen Klimaschutzplan 2050 vorlegen, der die langfristi-gen Klimaschutzziele und die Gestaltung des gesell-schaftlichen Wandels noch stärker in den Blick nehmenwird.Neu aufgenommen wurde übrigens der Titel „Maß-nahmen zur Klimaneutralisierung von Dienstreisen derBundesregierung“ mit einem Ansatz von 2 MillionenEuro. Sie werden sich erinnern, dass die letzte GroßeKoalition bereits eine Klimaneutralisierung von Dienst-reisen der Bundesregierung eingeführt hatte. Ich möchte,dass wir mit dieser Maßnahme wieder ein gutes Beispielgeben und auf diese Weise ein wichtiges, auch interna-tional wahrnehmbares Zeichen setzen: Ja, wir nehmenden Klimaschutz ernst.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4769
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
(C)
(B)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit rund 63 Pro-zent, das sind 2,47 Milliarden Euro, bilden die Kapitel„Wohnungswesen und Städtebau“ sowie „Hochbau- undFördermaßnahmen“ einen deutlichen Schwerpunkt imEinzelplan 16. Die Wohnungsmärkte – das wissen wir –und die Wohnungsbausituation sind in Deutschlandregional sehr unterschiedlich. Gerade in den Ballungs-räumen gibt es wachsende Probleme mit Wohnungsman-gel und steigenden Mieten. Daher habe ich im Juli diesesJahres das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauenins Leben gerufen, in dem alle relevanten Akteure zu-sammenarbeiten. Ich bitte um Verständnis dafür, dassdiese Zusammenarbeit auch noch etwas Zeit in An-spruch nehmen wird. Ich lese in den Zeitungen: Dakommt ja nichts raus. – Na klar! Wenn man sich im Julizusammensetzt und dann erst einmal Sommer ist, dannkann man im September noch keine Ergebnisse erwar-ten. Deswegen bitte ich um ein wenig Geduld. Das, waswir auch jetzt schon machen können, das machen wir. ImHaushaltsentwurf ist besonders der deutlich erhöhte An-satz für Wohngeld von 500 Millionen Euro auf jetzt630 Millionen Euro hervorzuheben.
Damit schaffen wir eine wichtige Voraussetzung für dieWohngeldreform, die wir uns vorgenommen haben unddie Menschen mit geringen Einkommen helfen wird, mitden steigenden Wohnkosten zurechtzukommen. Aucheine Heizkostenpauschale wollen wir wieder einführen.
Ebenfalls erhöht haben wir die Ansätze für die Woh-nungsbauprämie auf jetzt rund 365 Millionen Euro. DerAnsatz für das 2014 neu aufgelegte Programm „Alters-gerecht Umbauen“ wird mit rund 12 Millionen Euro fürInvestitionszuschüsse fortgeschrieben. An all diesenBeispielen kann man sehen, dass der Bund seiner Ver-antwortung gerecht wird. Wir kümmern uns darum, dassWohnen und Bauen in Deutschland für die Menschenbezahlbar bleiben kann. Wir sorgen für die soziale Ba-lance und dafür, dass Investitionen in den Neubau vonWohnraum angeregt und getätigt werden.Im Bereich Hochbau ist insbesondere die Erhöhungdes Ansatzes für Investitionszuschüsse zur Errichtungdes Humboldt-Forums in Berlin von 53 auf 109 Millio-nen Euro zu nennen, die sich entsprechend dem Bau-fortschritt plafondserhöhend auswirken. Es ist ja beruhi-gend, dass das im Zeitplan und im Kostenplan liegt.Dafür will ich ausdrücklich meine Anerkennung aus-sprechen. Ich bin zuversichtlich, dass das auch so bleibt.
Damit erfüllen wir in allen Punkten den Koalitions-vertrag. Wie beim Mindestlohn oder der Mietpreis-bremse und der Entlastung der Kommunen gilt auchhier: versprochen und gehalten. Die Menschen inDeutschland können sich auf uns verlassen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die BereicheUmwelt-, Natur- und Klimaschutz sowie Bauen undStadtentwicklung sind in meinem Haus in guten Händen,und sie verfügen über eine solide finanzielle Grundlage.Das ist die Botschaft, die wir mit dem Entwurf des Ein-zelplans 16 aussenden, für den ich deshalb um Ihre Un-terstützung bitte.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Ministerin.
Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Heidrun
Bluhm von der Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Frau Ministerin Hendricks! Der Maßstab,an dem der Einzelplan für das Politikfeld Bauen undWohnen gemessen werden muss, ist nicht die Frage, wiewenig die Vorgängerregierung geleistet hat, sondern dieFrage, ob dieser Haushaltsansatz tatsächlich den drin-gendsten Entwicklungserfordernissen der Gesellschaftgerecht wird oder nicht.Sind die Haushaltsansätze also ausreichend, um denAnforderungen der sozialdemografischen Gegebenhei-ten heute und in Zukunft zu entsprechen? Genügen sieden Erfordernissen des Klimaschutzes durch energeti-sche Gebäudesanierung? Werden sie den zunehmendenHerausforderungen einer sozial integrativen Stadt- undRegionalentwicklung gerecht? – Ich sage dreimal: nein.
Dieser Haushaltsentwurf erfüllt nicht einmal den vonIhnen selbst im Koalitionsvertrag formulierten Ansprucheines wohnungspolitischen Dreiklangs „aus einer Stär-kung der Investitionstätigkeit, einer Wiederbelebung desSozialen Wohnungsbaus und einer ausgewogenen miet-rechtlichen und sozialpolitischen Flankierung“.Das sind alles hehre Ziele, aber bisher alle nur imAnkündigungsmodus. Aber, Frau Ministerin, 25 Pro-zent Ihrer Regierungszeit sind schon vorbei. Ich erinnerean diese Ankündigungsrhetorik nur, um zu verdeutli-chen, dass nicht nur bei mir, bei der Opposition, derErwartungsvorschuss, den es Ihnen gegenüber tatsäch-lich einmal gab, aufgebraucht ist, sondern dass sich,nachdem bisher wirklich nichts passiert ist, auch in derÖffentlichkeit Ernüchterung breitmacht – gegenüber derHoffnung, dass sich durch die Zusammenlegung vonUmwelt- und Bauressort und die Besetzung der Ministe-riumsspitze mit einer Sozialdemokratin etwas Grund-legendes auf diesem Gebiet ändern würde. Bisher Fehl-anzeige – zwar nicht bei den Ankündigungen, aber sehrwohl bei den Taten.
Metadaten/Kopzeile:
4770 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Heidrun Bluhm
(C)
(B)
Selbst an den Stellen, an denen es der Bund allein inder Hand hat, mit eigenen Immobilien eigene Wohn- undKlimaschutzkonzepte umzusetzen, werden die Chanceneinfach vertan. Ich spreche beispielhaft von dem Poten-zial zum Beispiel der 11 500 TLG-Wohnungen – gut, daswar nicht unter Ihrer Verantwortung –, die 2012 ver-scherbelt wurden, und vor allem von der Bundesanstaltfür Immobilienaufgaben. Aber vielleicht heißt ja „Im-mobilienaufgaben“ nach Ihrer Lesart „Immobilien auf-geben“.Wir verstehen das jedoch anders. Die Aufgabe derBundesanstalt könnte doch darin bestehen, mit demnicht unerheblichen Bestand von noch rund 42 000 Woh-nungen beispielgebende Wohn- und Stadtentwicklungs-konzepte anzustoßen,
Modellprojekte für sozial stabile, klimagerechte Wohn-quartiere zu schaffen und damit etwas für den sozialenWohnungsbau zu tun. Also könnten Sie Vorbild sein. Istdas zu visionär, oder ist das Denkmal einer kurzfristigen„schwarzen Null“ der absolute Primat gegenüber grund-legenden Lebens- und Existenzbedürfnissen von Menschund Umwelt? – Scheinbar ist das so.Das zeigt zum Beispiel auch der Verkauf der TLG-Wohnungen an die TAG im Jahre 2012. Aus unsererSicht war das damals ein schwerer Fehler.
Da hat der Bund zwar seinen Schnitt gemacht. Die mitdem Verkauf verbundenen Nachteile tragen dagegen die30 000 Mieterinnen und Mieter in Ostdeutschland allein.Zuerst hat die Erwerberin der Wohnungsbestände, dieTAG – Sozialcharta hin, Ombudsstelle her –, die Mietenflächendeckend merklich erhöht. Und jetzt bereitetdieser von der Bundesregierung als „seriöser Bestands-halter“ geadelte Finanzkonzern den Weiterverkauf dergerade vom Bund erworbenen Wohnungen vor.Somit stehen die Mieterinnen und Mieter und ebensodie ehemaligen Mitarbeiter und Beschäftigten der TLGsozusagen zum zweiten Mal in kurzer Zeit zum Verkauf.Hat denen das überhaupt schon jemand gesagt, oder sindwir, die Linke, wieder die Ersten, die die Katze aus demSack lassen?Dasselbe wird garantiert mit den jetzt in Berlin zumVerkauf stehenden Wohnungen der Bundesanstalt fürImmobilienaufgaben passieren. Bei dem hier aufgerufe-nen Preis steht von vornherein fest, dass als Bieter wie-der nur Immobiliendreher infrage kommen.Die Verdrängung der bisherigen Mieterschaft und dieZerstörung gewachsener Sozialstrukturen sind so sicherwie das Amen in der Kirche. Aber selbst das ist der Re-gierung offensichtlich schnuppe. Damit beteiligt sich derBund aktiv an Mietpreistreiberei, Segregation und Gen-trifizierung, auch wenn Sie, Frau Ministerin, immer ei-nen anderen Eindruck erwecken wollen.Wir, die Linke, wollen, dass in Berlin und anderswo,wo der „angespannte Wohnungsmarkt“ als Kosewort fürdie tatsächliche Situation verwendet wird, Beispiele da-für geschaffen werden, dass diese Bundesregierung esmit ihrer wohnungspolitischen Offensive und ihrer miet-rechtlichen und sozialen Flankierung ernst meint.
Deshalb haben wir im Juli den Antrag eingebracht, derein Moratorium der BImA-Wohnungsverkäufe zum Zielhat. Wir wollen damit den Wohnungsverkauf aussetzen,bis die Bundeshaushaltsordnung und das BImA-Gesetzgeändert sind.
Damals hätten alle Abgeordneten, die vor dem Parla-ment Hilfssignale an die Betroffenen gesendet hatten,bei Sofortabstimmung helfen können. Stattdessen habenSie den Antrag in die Ausschüsse verwiesen, und dieBImA verkauft inzwischen fleißig weiter.In der Großgörschenstraße/Katzlerstraße in Berlinwerden 45 Wohnungen zum Preis von 7 Millionen Euroverkauft. Jeder Immobilienlaie kann sich ausrechnen,dass die Refinanzierung nur durch Luxussanierung undEigentumsumwandlung funktionieren kann. Die jetzigenMieter können schon mal die Koffer packen.Frau Hendricks, nicht nur die betroffenen Mieterin-nen und Mieter werden Ihren Worten keinen Glaubenmehr schenken. Denn Gesetze kann man ändern. Das istunser Auftrag und unser Tagesgeschäft. Wir werden dasfür Sie tun und Ihnen damit aus der selbstgebasteltenKlemme helfen – im Interesse ganz normaler Menschen.So toll kann Opposition sein.Danke schön.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Christian Haase.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte FrauMinisterin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meinesehr geehrten Damen und Herren! In dieser Woche wer-den wir mit dem Bundeshaushalt 2015 einen Meilensteinin der Haushaltspolitik Deutschlands setzen: Der Bundwird seinen Haushalt ohne Neuverschuldung ausglei-chen, und das ohne Steuererhöhungen.
Wir kommen mit dem aus, was wir haben. Das mussjede Familie zu Hause in unserem Land, und das müssenauch wir. Das heißt, keine neuen Schulden, keine neuenLasten als Wackersteine im Rucksack unserer Kinderund trotzdem Investitionen in Bildung, Arbeitsplätze, In-frastruktur und Umwelt- und Klimaschutz.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4771
Christian Haase
(C)
(B)
Nach dem Gebot der Vorsicht eines ehrbaren Kauf-manns und mit Maß und Mitte hat unser FinanzministerDr. Schäuble, dem wir dafür ausdrücklich danken, dieletzten Jahre erfolgreich genutzt. Auf diesem solidenFundament kann der Haushalt des Bundesministeriumsfür Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit imnächsten Jahr auf 3,9 Milliarden Euro steigen.Frau Ministerin Hendricks, Sie finden mit dem vorge-legten Haushalt die Balance zwischen den notwendigenInvestitionen und Programmen. Vielen Dank dafür!
Meine Damen und Herren, ich möchte, dass wir unse-ren Kindern eine saubere und sichere Zukunft überge-ben.
Mit der Energiewende geht daher auch die Aufgabe ein-her, bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle eine Lö-sung zu finden. In der letzten Woche habe ich dazu dasBundesamt für Strahlenschutz besucht und mich davonüberzeugt, dass an allen übertragenen Projekten mitHochdruck gearbeitet wird. Ich begrüße vor allem, dass wir für den Asse-Fonds2 Millionen Euro zusätzlich und damit insgesamt 3 Mil-lionen Euro in die Hand nehmen. Wir tragen damit deut-lich zur Abfederung der besonderen Belastungen in derRegion bei.Wissenschaft und Politik sind in dieser Woche erst-mals in der Standortauswahlkommission zusammenge-kommen. Ein wissensbasiertes transparentes Verfahrenist genauso notwendig wie eine effiziente Arbeit. Wirmüssen es endlich schaffen, auch auf der Zeitachse vo-ranzukommen.Wir brauchen Lösungen, damit Zwischenlager nichtlänger betrieben werden müssen als notwendig. Daskönnen wir den Menschen an den Standorten nicht zu-muten. Jahrzehntelange Verfahren wie beim SchachtKonrad können wir uns nicht leisten.
Wir stellen deshalb 2,5 Millionen Euro mehr für das Stand-ortauswahlverfahren, 2,5 Millionen Euro mehr beim Bun-desamt für kerntechnische Entsorgung und 5,75 MillionenEuro für die Kommission im Haushalt zur Verfügung.Es ist mir auch im Hinblick auf internationale Ent-wicklungen wichtig, dass wir nicht ungeprüft auf jedenneuen Trend aufspringen. International wie nationalmüssen wir uns auf eine effizientere Energieverwendungund auf Energieeinsparung konzentrieren. Gasförderungaus Tiefengestein, insbesondere wenn die Risiken nochungeprüft sind, kommt für mich erst danach. Solange wirkeine umweltschonenden Verfahren zum unkonventio-nellen Fracking haben, bleibe ich Skeptiker bei dieserTechnologie.
Nicht alles, was möglich ist, sollten wir sofort nutzen.
Mit 22 der 43 Kurorte – davon fünf Heilbäder – liegtknapp die Hälfte der Kurorte Nordrhein-Westfalens im„Heilgarten Deutschland“, meiner Heimat Ostwestfalen-Lippe. Während meiner Sommerreise habe ich unter an-derem in Gesprächen mit Mineralwasserherstellern wieauch Brauereien zu diesem Thema ein klares Nein mitge-nommen. In diesem Zusammenhang sehe ich Forschungs-vorhaben hier als besonders wichtig an, um wissensbasiertTechniken zu bewerten. Genau dieser Meinung sind auchzwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland. Wir müs-sen also weiter forschen.
Mit der Forschung müssen wir uns auch um einenverstärkten Klimaschutz in den Städten kümmern. Deranhaltende Trend zur Urbanisierung ist eine besondereHerausforderung für die Menschen, aber auch die Um-welt. „Glücklich leben und naturgemäß leben ist eins.“So lauteten die Worte des römischen PhilosophenSeneca schon vor 2000 Jahren. Wie gestaltet sich das Le-ben in den grünen Städten der Zukunft? Wie lassen sichRessourcen schonen und Energien effizient nutzen? Wel-che Konzepte für Biodiversität und Mobilität – Stich-wort Rußpartikelfilter – gibt es? Diese Fragen könnenwir hervorragend mit dem neuen Ressortzuschnitt in un-serem Ministerium angehen.Vernetzt müssen wir aber auch in Fragen der Umset-zung der Energiewende und der Auswirkungen auf Um-welt und Natur denken. Ich begrüße das sich in der Aus-schreibung befindliche Gutachten des Bundesamtes fürNaturschutz zu den Auswirkungen verschiedener Erdka-belsysteme auf Natur und Landschaft. Wir müssen dieseForschung aber auch mit den Fragen zu den gesundheit-lichen Auswirkungen von Übertragungsnetzen verknüp-fen, um die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger in denbetroffenen Regionen aufzugreifen. Aber: Wenn wirSteuergelder in Höhe von über 9,5 Milliarden Euro fürden Umwelt-, Klima- und Naturschutz verwenden, müs-sen wir dies den Bürgern auch nahebringen. Ich habe be-reits im Frühjahr darauf hingewiesen, dass wir mit denBetroffenen, den Kommunen und den Ländern dafürsorgen müssen, dass die Schäden bei zukünftigen Hoch-wasserereignissen geringer werden. Die Ministerin hatdankenswerterweise erklärt, dass sich der Bund in dennächsten Jahren an der Finanzierung mit einem Betragvon 1 Milliarde bis 1,2 Milliarden Euro beteiligt. Ichwerde mich ebenfalls dafür einsetzen.
Mit Sorge sehe ich den hohen Stand an befristet Be-schäftigten, insbesondere in den Bundesämtern. Wer ent-
Metadaten/Kopzeile:
4772 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Christian Haase
(C)
(B)
scheidet sich schon dauerhaft für einen Arbeitgeber,wenn dieser ihm keine Zukunftsperspektive bieten kann?Wer ist bereit, eine Familie zu gründen und Kinder zubekommen, wenn die zukünftigen Verdienstmöglichkei-ten unklar sind? Und das alles bei einem Arbeitsmarkt,der immer arbeitnehmerorientierter wird! Wir sollten dasJahr 2015 nutzen, hier konkrete Lösungen vorzubereiten.Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern die natio-nale Bedeutung von großen Projekten wieder stärkerverdeutlichen. So ist das Stadtschloss Berlin mit seinemHumboldt-Forum viel mehr als nur ein weiteres Mu-seum, wie man als Passant oder Tourist denken könnte.
Bürgerinnen und Bürger aus aller Welt, aber auch Wis-senschaftler erfahren und erforschen dort die kulturellenund gesellschaftlichen Entwicklungen der Völker.
Dieses europaweit einmalige Konzept hat daher Strahl-kraft und Tragweite weit über Berlin hinaus. Deshalbkann ich nur an das Land Berlin appellieren, sich nichtaus der Finanzierung zurückzuziehen.
Das Humboldt-Forum hat eine nationale Dimension, fürdie wir im Bundeshaushalt mit 56 Millionen Euro zu-sätzlich Vorsorge treffen müssen. Bei meinem Besuchder Großbaustelle konnte ich mir ein eigenes Bild ma-chen. Es freut mich, dass die Baumaßnahmen im Zeit-plan liegen und wir erfolgreich vorankommen.
Zum Schluss noch ein sehr ernstes Thema. Sorge be-reitet mir die Situation der Flüchtlinge in unseren Kom-munen. Zelte können in unseren Städten keine Alterna-tive zu einer vernünftigen Unterbringung sein. Ich kannaber mangels baulicher Alternativen die Not der Städtenachvollziehen. Zur Unterstützung bietet sich hier inhervorragender Weise das in diesem Jahr von 40 Millio-nen auf 150 Millionen aufgestockte Programm „SozialeStadt“ an. Hier sollten wir gemeinsam überlegen, wiewir durch einen eigenen Titel oder auf andere Weise denKommunen, aber vor allen Dingen den Menschen, dieihre Heimat verloren haben, helfen können.
Meine Damen und Herren, ich freue mich auf die Be-ratungen.
Nächster Redner ist der Kollege Sven-ChristianKindler, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Ministerin Hendricks, die Bun-destagswahl ist jetzt ein knappes Jahr her. Neun Monatesind Sie als Ministerin im Amt. Es ist an der Zeit, einmalBilanz zu ziehen. Sie haben auch heute wieder schöneWorte wie „Ökologie“ und „Klimaschutz“ benutzt. Umes mit Goethes Faust zu sagen: „Die Botschaft hör ichwohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Bei den zentralenThemen – energetische Stadtsanierung, Hochwasser-schutz, Naturschutz, Klimaschutz – ist bisher eigentlichnichts passiert. In diesem wichtigen Ministerium brau-chen wir keine reine Ankündigungsministerin, sondernendlich einmal jemanden, der sich bewegen kann, dersich durchsetzen kann. Das fehlt bisher komplett.
Die Herausforderung ist nämlich riesig. Das hat zu-letzt der jüngste UN-Bericht der WMO gezeigt: Wir ha-ben Höchststände bei den Treibhausgasen. Der Klima-wandel schreitet massiv voran. Gleichzeitig ist es so – dashaben Sie, Frau Ministerin, gesagt –: Deutschland wirdsein Klimaziel, bis 2020 40 Prozent seiner Emissioneneinzusparen, krachend verfehlen, wenn wir jetzt nichtschnell umsteuern. Einer der wenigen Lichtblicke beiden Treibhausgassenkungen in den letzten Jahren waren– das hat das Öko-Institut neulich erst wieder herausge-stellt – die erneuerbaren Energien; Wind und Sonne, dasist der große Lichtblick.Aber was haben Sie vor der Sommerpause gemacht?Diese Bundesregierung hat die Energiewende mit vollerAbsicht gegen die Wand gefahren; sie hat gerade die kli-mafreundlichen Energien abgewürgt. Das ist total para-dox. Ihre Energiepolitik ist klimafeindlich.
Ich frage mich: Wo waren Sie eigentlich während die-ser Debatte, Frau Ministerin? Sie saßen auf der Regie-rungsbank, Sie haben still zugeschaut, wie Kohle-Siggidie klimafreundlichen Energien abwürgt und die Kohle-kraftwerke fördert.
Ich weiß, Frau Ministerin, dass Sie für die erneuerba-ren Energien leider nicht mehr zuständig sind. Das ist fürdas Umweltministerium peinlich und schlimm. Aber esist trotzdem so, dass Sie die für den Klimaschutz zustän-dige Ministerin sind. Bei der Energiewende geht es zen-tral um den Klimaschutz. Das heißt, Sie müssen sich daauch einbringen. Sie müssen da auch einmal Verantwor-tung zeigen. Sie müssen Leidenschaft und Kampfgeistbeweisen. Sie dürfen da nicht nur zuhören. Sie dürfen danicht einknicken. Ihr Verhalten ist ein Armutszeugnis füreine Umwelt- und Klimaschutzministerin.
Bleiben wir beim Klimaschutz und der Energiepoli-tik. Eines der Hauptprobleme dieser Bundesregierung ist
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4773
Sven-Christian Kindler
(C)
(B)
ihr Einsatz für die dreckige Kohlekraft in Deutschland.Das hat gleich mehrere negative Auswirkungen. Bei derEnergieversorgung sind die Steinkohle und noch vielmehr die Braunkohle die Haupt-CO2-Treiber. Durch denKohletagebau in Deutschland werden viele Menschenaus ihrer Heimat vertrieben. Dörfer werden plattge-macht, zum Beispiel in Sachsen und in Brandenburg.Viele Grüße an dieser Stelle an die Kohlekoalition vonSPD und Linkspartei! Ich hoffe, Sie kriegen für IhrePolitik am Sonntag in Brandenburg eine große Klatsche.
Durch die Tagebaue werden nicht nur die Landschaf-ten verschandelt, sondern es wird viel Natur vergiftet.Die Spree in Brandenburg ist mittlerweile braun undnicht blau. Das ist eine negative Folge der Kohlekraft.Aber es geht auch um Gesundheitsschutz, und da sindSie als Umweltministerin wieder gefragt. Es geht zumBeispiel um das Quecksilber. Wir wissen: Mehrere Hun-dert Kilogramm extrem gesundheitsgefährliches Queck-silber wird pro Jahr von dreckigen Kohlekraftwerken indie Luft ausgestoßen. In den USA gibt es deutlich gerin-gere Grenzwerte. Wir müssten den Standard für Kohle-kraftwerke in Deutschland endlich angleichen. Das istauch Ihr Thema. Es geht da um das Umweltrecht; es gehtum das Bundes-Immissionsschutzgesetz. Frau Ministe-rin, da ist Handlungsbedarf. Packen Sie endlich das Pro-blem an, dass deutsche Kohlekraftwerke zu viel Queck-silber in die Luft blasen!
Wir Grüne sagen ganz klar: Mit dieser Kohlepolitikmuss endlich Schluss sein. Wir müssen raus aus derKohle. Es darf keine neuen Tagebaue und keine neuenKohlekraftwerke geben, im Gegenteil: Wir wollen einenkonkreten Ausstiegsplan für die Kohle.
Frau Ministerin, Sie haben hier im Bundestag wiederIhr nationales Sofortprogramm angekündigt. Das habenSie hier im Januar dieses Jahres schon einmal angekün-digt. Wir haben davon im Haushalt 2014 nichts gefun-den. Wir werden im Haushalt 2015 davon nichts finden.Das heißt, dieses Programm kommt frühestens mit demHaushalt 2016. Wenn Sie von „Sofortprogramm“ redenund zwei Jahre vergehen, dann halte ich das für ein inte-ressantes Zeitverständnis; denn dieses Programm kämenach der Hälfte der Legislaturperiode. Da frage ichmich, ob dieses Programm überhaupt greifen wird. Ichfinde, dieses Schneckentempo, diese Langsamkeit zei-gen: Ihnen und dieser Regierung ist der Klimaschutz ein-fach nichts wert.
Auch bei der Erdgasförderung geht es um Klima, umGesundheitsschutz und Naturschutz. Sie haben zusam-men mit Herrn Gabriel ein Eckpunktepapier vorgelegt.Sie wollen das Fracking nicht verbieten, im Gegenteil:Sie wollen es damit ermöglichen. Bei den Gesetzesbera-tungen werden wir es erörtern.
– Das steht in dem Eckpunktepapier. Gucken Sie es sicheinmal genau an!
Erlaubnis für Fracking bei Tight Gas, Erlaubnis für Pi-lotprojekte bei Schiefergas, Erlaubnis bei Schiefergas inTiefen unter 3 000 Metern. Für uns Grüne ist klar: Wirbrauchen das nicht. Wir wollen Energieeffizienz. Wirwollen die schnelle Energiewende. Wir fordern Sie auf:Sorgen Sie beim Wasserrecht und beim Bergrecht dafür,dass Fracking bei Öl- und Gasförderung verboten wird.
Man kann sehen, wie wichtig dieser Bundesregierung– nicht nur Ihnen, Frau Ministerin – der Klimaschutzinsgesamt ist, wenn man sich anguckt, wer alles zumUN-Gipfel nach New York, den Ban Ki-moon ausrich-tet, reist. François Hollande reist an, Barack Obama istda. Wer ist nicht da? Angela Merkel. Angela Merkel istlieber bei der Festveranstaltung des LobbyverbandesBDI. Ich finde, das sagt schon alles. Beim Klimaschutzkann man es auch feststellen. In Norddeutschland, woherich komme, gibt es ein Sprichwort dafür: Der Fischstinkt immer vom Kopf.
So ist es leider auch beim Klimaschutz und bei dieserBundesregierung. Angela Merkel hat ihn abgewrackt,Herr Gabriel will ihn nicht mehr. Frau Ministerin, ichverstehe, dass es für Sie nicht leicht ist, sich gegen FrauMerkel und Herrn Gabriel durchzusetzen. Unser Pro-blem ist nur, Sie versuchen es erst gar nicht. Sie raffensich nicht auf. Sie mucken nicht auf. Sie machen einfachnur die brave Verwaltungschefin. Das ist einfach nichtgenug.
Wir machen Ihnen in den Haushaltsberatungen kon-krete Vorschläge. Wir wollen Sie unterstützen. Aber wirrufen Sie dazu auf: Bitte, raffen Sie sich auf! KämpfenSie! Haben Sie ein bisschen Mut beim Klimaschutz!Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Steffen-Claudio
Lemme von den Sozialdemokraten.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wie gerne würde ich im Rahmen dieser Debatte Opposi-tionspolitiker sein.
Metadaten/Kopzeile:
4774 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Steffen-Claudio Lemme
(C)
(B)
Ständig an den bau- und klimapolitischen Vorhaben zukritisieren, die im Ministerium von Frau Hendricks bear-beitet werden, ist eine einfache Angelegenheit.
Aber wir sind hier, um etwas zu gestalten.
Dazu zählt auch der Entwurf des Bundeshaushaltes für2015, der viele Gestaltungselemente beinhaltet. Es ent-spricht natürlich auch meiner persönlichen Meinung,dass im Bereich des Bauwesens und des Klimaschutzesgar nicht genug investiert werden kann, und das geradeangesichts der großen klimapolitischen Herausforderun-gen, vor denen wir stehen.Frau Ministerin, Sie haben, wie ich meine, kein dank-bares Amt übernommen, aber Sie füllen es gut aus.
Es ist also viel Wahres dran, wenn Sie sagen, Sie müss-ten, wie es im Liedtext von Tim Bendzko heißt, „nurnoch kurz die Welt retten“. Daher lassen Sie uns an die-ser Stelle den parteipolitischen Streit beiseiteschieben;denn wir befinden uns an einem Punkt, an dem uns be-wusst ist, dass dringender Handlungsbedarf besteht – ambesten schon vorgestern.
Ich möchte Barbara Hendricks bei ihren Bemühungenunterstützen und hoffe, Sie von der Opposition tun dasauch.
Anstatt einzig und allein kritisieren zu können, stehenwir Sozialdemokraten in der Regierungsverantwortung.Wir machen das nicht so wie Sie, Frau Bluhm, die unsfür Positionen, die im Bundestag im Jahr 2012 beschlos-sen wurden, kritisiert. Da befanden auch wir uns in derOpposition und nicht in der Regierungsverantwortung.Aber in Verantwortung stehen, heißt auch, etwas zu ver-ändern, und das heißt, Verbesserungen herbeizuführen,zum Beispiel für mehr bezahlbaren Wohnraum und füreine Senkung der CO2-Emissionen sowohl innerhalbDeutschlands als auch weltweit.
– Doch.
Wie sehen unsere Verbesserungen aus? Was bedeutetsozialdemokratische Umwelt- und Baupolitik, und wiezeigt sich das im Haushalt?Lassen Sie mich im Baubereich beginnen. Wir benöti-gen Investitionen in lebenswerte Nachbarschaften, umdas Zusammenleben von Menschen verschiedenen Al-ters, verschiedener Herkunft und aus unterschiedlichensozialen Schichten zu verbessern. Es geht darum, dasAuseinanderdriften in reiche Viertel und arme Viertel zuverhindern. Daher haben wir die „Soziale Stadt“ mit150 Millionen Euro zum Herzstück der Städtebauförde-rung gemacht.
Ich möchte gern die Anregung des Kollegen Haaseaufgreifen und sagen, dass es auch mich stört, dassFlüchtlinge in Zelten untergebracht werden sollen. Aberich kann mir schlecht vorstellen, die benötigten Mittelüber das Programm „Soziale Stadt“ zu generieren. Wirbrauchen Mittel on top,
um für die Flüchtlinge humane Lebens- und Wohnbedin-gungen zu gewährleisten.Wir haben Förderprogramme im Bereich der Städte-bauförderung mit einem Gesamtvolumen von 700 Mil-lionen Euro auf den Weg gebracht. Dies wird natürlichim Haushalt 2015 fortgesetzt.Als Thüringer möchte ich außerdem das Programm„Stadtumbau Ost“ besonders hervorheben, das mit ei-nem Volumen von 105 Millionen Euro zu einer wichti-gen Säule der Städtebauförderung ausgebaut wurde. Be-reits bei den letzten Beratungen konnten wir die Mittelum 22 Millionen Euro erhöhen. Im Osten haben wirnoch immer mit einem massiven Wohnungsleerstand zukämpfen, und deshalb ist es gut, dass die Kosten, die bei-spielsweise beim Abriss von leeren Plattenbauten in denländlichen Gebieten entstehen, darüber getragen werdenkönnen.Gleichzeitig geht es darum, sich den demografischenAnforderungen an den Wohnraum zu stellen. In den letz-ten Haushaltsberatungen war mir die Bereitstellung vonBundesmitteln für den altersgerechten Umbau von Woh-nungen ein Herzensanliegen. Und unsere parlamentari-schen Bemühungen führten zum Erfolg: Wir konntendas Programm „Altersgerecht Umbauen“, das Investi-tionsanreize setzt, bereits mit dem Haushalt 2014 starten.Die Umsetzung dieses Verhandlungsergebnisses wirdnun mit dem neuen Haushaltsentwurf fortgeführt. Sosind 2015 weitere 11,9 Millionen Euro für das Pro-gramm „Altersgerecht Umbauen“ vorgesehen. Diese Zu-kunftsinvestition ist dringend notwendig; denn barriere-freie oder -arme Wohnungen sind eine wesentlicheVoraussetzung dafür, möglichst lange selbstbestimmtund selbstständig im vertrauten Umfeld leben und woh-nen zu können.
Soziale Wohnungspolitik bedeutet auch, endlich eineAnpassung des Wohngeldes an die Entwicklung derMieten und Einkommen durchzuführen.
Denn steigende Mieten, gerade in Ballungszentren, füh-ren bei immer mehr Menschen zu einer finanziellenÜberlastung. Zusätzlich steigen die Strom- und Heizkos-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4775
Steffen-Claudio Lemme
(C)
(B)
ten; sie sind für manche Haushalte kaum noch tragbar.Deshalb muss der Heizkostenzuschuss dringend wiedereingeführt werden.
Bezahlbares Wohnen ist ein Kernanliegen sozialde-mokratischer Politik. Das war bei der Vorgängerregie-rung anders. Sie hat im Jahr 2011 gegen den Widerstandvon SPD, Mieter- und Sozialverbänden und Kommunenden Heizkostenzuschuss ersatzlos gestrichen. Dies trafinsbesondere die Einkommensschwachen.
Die SPD wird die dringend notwendige Wohngeldre-form nun angehen. Ziel ist, dass viele Haushalte mit ei-genem Einkommen, vor allem Familien, künftig nichtmehr auf die Hartz-IV-Grundsicherung angewiesen seinwerden. Ich bin zuversichtlich, dass die Wohngeldre-form Mitte 2015 in Kraft treten wird. Im Haushalt stehendeshalb bereits zusätzliche Mittel in Höhe von 130 Mil-lionen Euro bereit.
Zum Thema Bundesbauten möchte ich etwas Kriti-sches sagen. Im Haushaltsausschuss werden wir die Ent-wicklung der zunehmenden Kostensteigerungen kritischbegleiten. Hier ist von der Bundesregierung zukünftigein Höchstmaß an Transparenz gefordert. Beispiele untervielen sind die Staatsbibliothek Unter den Linden oderder Neubau der Zentrale des Bundesnachrichtendienstesin Berlin. Um künftig zu verhindern, dass bereits bei derBauvorbereitung zu ambitionierte Kosten- und Termin-ziele gesetzt werden, die sich später als nicht realisierbarerweisen, müssen wir gemeinsam nachhaltige Lösungenfinden.Kommen wir zum Klimaschutz. Der Klimaschutzmuss in dieser Regierung eine herausgehobene Rollespielen,
denn es ist allerhöchste Zeit, aufzuwachen.Auch ich habe den „Energiewende-Index“ der Unter-nehmensberatung McKinsey gesehen, der viel medialeAufmerksamkeit hervorgerufen hat. Demnach kann un-ser eigenes nationales Ziel, bis zum Jahr 2020 die Treib-hausgasemissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 zusenken, nur noch erreicht werden, wenn wir den Ausstoßab jetzt jährlich um 3,5 Prozent reduzieren. Das ent-spricht dem fünffachen Wert des momentanen jährlichenRückgangs.
Läuft alles weiter wie bisher, fehlen 7 Prozent oder, an-ders gerechnet, 85 Millionen Tonnen CO2.
Deshalb müssen wir dringend alle Ministerien, Behör-den und Ämter einbeziehen. Es heißt, mehr einzusparen,zum Beispiel in der Landwirtschaft, bei Gebäuden oderauch im Verkehr. Die Erhöhung der Mittel, beispiels-weise für die energetische Stadtsanierung im Rahmendes Energie- und Klimafonds um 12 Millionen Euro
oder für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm um200 Millionen Euro, weist in die richtige Richtung; aberdas ist längst noch nicht genug. Als Haushälter werdeich den Aktionsplan Klimaschutz 2020, den die Ministe-rin vorlegen wird, deshalb nach Kräften unterstützen.
Was den internationalen Klimaschutz betrifft, so be-steht im Jahr 2015 in Paris wohl die letzte Chance, einNachfolgeabkommen zum Kioto-Protokoll zu verab-schieden. Der Ban-Ki-moon-Gipfel in New York, derhierfür die Voraussetzungen schaffen soll, findet zu mei-ner großen Verwunderung ohne die Kanzlerin statt.
Ich bin mir aber sicher, dass unsere Umweltministerinsie gut vertreten wird.
Jetzt kommt das Aber: Betrachte ich nüchtern dieZahlen im Haushalt, so erkenne ich zu wenig Engage-ment beim Klimaschutz.
Ja, um die Welt zu retten, bleibt noch sehr viel zu tun.Ich hoffe, wir ziehen hierbei alle an einem Strang.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Herzlichen Dank. – Ich darf mich bei dieser Gelegen-heit bei den bisherigen Rednern in dieser Aussprache fürdie disziplinierte Einhaltung der Redezeiten bedanken,die vorbildlich ist.Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Roland Claus,Die Linke.
Metadaten/Kopzeile:
4776 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
(B)
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen undHerren! Frau Bundesministerin, auf Ihr neues Amt alsSchlossherrin komme ich später noch zu sprechen.
Es geht bei diesem Etat mehr noch als bei den ande-ren Etats, die wir in diesen Tagen besprechen, um dieZukunftsfähigkeit von Politik. Man kann das auch mit„Enkeltauglichkeit“ übersetzen. Gerade ein Umwelt-haushalt muss sich der Aufgabe stellen, schon heute einePolitik zu formulieren, die für künftige Generationen et-was Gutes und nicht etwas Schädigendes bedeutet.
An guter Absicht fehlt es der Ministerin, wie wir ge-hört haben, ganz sicher nicht. Aber schauen wir uns dieFakten an – schließlich reden wir nicht über Ihre gutenAbsichten; das könnten wir auch anderswo tun; hier gehtes um den Etat –: Sie kürzen 46 Millionen Euro bei derInternationalen Klimaschutzinitiative. Stellen Sie allesich einmal die folgende Aufgabe: Denken Sie an dastechnische Gerät, das Sie alle in den Plenarsaal getragenhaben, und überlegen Sie, wie viel von der umweltbelas-tenden Produktion dieser Geräte in die ärmsten LänderAsiens ausgelagert wurde. In dieser Situation die Mittelfür die Internationale Klimaschutzinitiative so erheblichzu kürzen, das ist ein Skandal.
Hinzu kommt, dass der Energie- und Klimafonds nichtannähernd die Lenkungswirkung entfaltet hat, die Siebei seiner Konstituierung versprochen haben. Außerdemist er dem Zugriff des Umweltministeriums entzogen.Wir stellen also fest, Frau Bundesministerin: Anspruchund Realität passen hier nicht zusammen.Die Linke will eine sozialökologische Gerechtigkeits-wende, ein Gestaltungskonzept, in dem nicht das Sozialegegen das Ökologische ausgespielt wird oder umgekehrtdas Ökologische gegen das Soziale. Frau Ministerin, Siehaben das vorhin so ähnlich erklärt und gesagt, dass Siedas auch wollen. In diesem Zusammenhang muss ich Sieaber daran erinnern, dass Sie gegenwärtig mit einem Ko-alitionspartner unterwegs sind, der mit beiden Füßen aufder Bremse steht, auf der sozialen Bremse und auf derökologischen Bremse. Das genau ist Ihr Problem.
Wir wollen Sie auch auffordern, die zahlreichen An-kündigungen, ein nationales Programm zum Hochwas-serschutz aufzulegen, endlich umzusetzen. Die Bund-Länder-Kooperation in dieser Frage ist längst überfällig.Wir müssen uns auch über die Etatisierung dieser Auf-gabe verständigen, und zwar über die Gemeinschaftsauf-gabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten-schutzes“ hinaus. Dort findet sich bisher nämlich dereinzige Ansatz dafür. Ich denke, dass die Initiative derBrandenburger Landesregierung, die ganz sicher ihrenFortbestand erleben wird und feiern kann, eine hilfreicheAnregung dabei ist. Wir müssen aber natürlich auch dieBelange der Nachbarstaaten Polen und Tschechien mit-denken und sollten uns jetzt dieser Aufgabe stellen.Ich komme nun zur Enkeltauglichkeit in SachenStadtentwicklung und Wohnungsbau. Sie selbst habendas Wort geprägt: Wir wollen den sozialen Wohnungs-bau wiederbeleben. Wiederbeleben kann man nur, wasschon fast tot war. Wir wollen diese Aufgabe unterstrei-chen. Sie wurde hier schon mehrfach als Absicht be-nannt. Es geht in der Tat darum, etwas gegen Gentrifizie-rung zu tun, was zu Deutsch nichts anderes bedeutet, alsüber erhebliche Mietsteigerungen Mieterinnen und Mie-ter mit durchschnittlichen und niedrigen Einkommen re-gelrecht aus ihren angestammten Wohnsituationen zuvertreiben. Wir wollen an dieser Stelle auch auf dieschwierige Situation für Studierende aufmerksam ma-chen, bezahlbaren Wohnraum in der Nähe ihrer Hoch-schulen und Universitäten zu bekommen. Diese beidenHerausforderungen könnten ein Grund für die Wiederbe-lebung des sozialen Wohnungsbaus ein. Wenn Sie aufdieser Schiene mit uns denken, unterstützen wir Siegerne dabei, diesen Weg zu beschreiten.
Wir unterstützen auch, nachdem die FDP dieses Pro-gramm auf Abwicklung gestellt hatte, die Förderung vonUNESCO-Welterbestätten. Wir wollen an dieser Stelleaber auf Folgendes hinweisen: Wir haben im Jahr 2014ein Problem. Wir haben durch die späte Verabschiedungdes Haushalts im Grunde nur drei Monate lang Zugriffauf die Förderinstrumente des Bundes. Wir haben natür-lich ein Interesse daran, dass die Mittel für diese Förder-programme nicht am Ende des Jahres von WolfgangSchäuble für die schwarze Null einkassiert werden, son-dern dass sie dort ankommen, wo sie erwartet werden.Wir werden natürlich auch der Erhöhung des Wohn-geldes zustimmen. Aber wenn man sich einmal genauanschaut, was hier vorgeht, dann sieht man, dass dies einVorgang der sozialen Nachsorge ist. Wohngeld ist eineArt Aufstockergeld. Die Problemlagen, die durch zu ge-ringe Einkommen und überhöhte Mieten entstandensind, werden durch Steuerzahlerinnen- und Steuerzahler-geld quasi wieder ausgeglichen. Das ist kein Vorgang,über den man sich von Herzen freuen kann. Man mussihn jetzt im Interesse der Betroffenen so hinnehmen;aber es ist ein Vorgang der sozialen Nachsorge.Nun komme ich zu der tatsächlichen Frechheit in Ih-rem Etat: 56 Millionen Euro mehr für das Berliner Stadt-schloss.
Die Linke wollte das ganze Schloss nicht; aber das istjetzt nicht mein Problem. Mein Problem ist, dass es meh-rere Beschlüsse des Haushaltsausschusses gibt – wenn ichmich richtig erinnere, einstimmige Beschlüsse –, die be-sagen, dass es eine finanzielle Obergrenze gibt. Der Vor-gang ist gedeckelt. Jetzt frage ich einmal Kollegen wieSören Bartol oder Barthl Kalb: Gelten denn diese Be-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4777
Roland Claus
(C)
(B)
schlüsse auf einmal nicht mehr? Das lassen wir Ihnennicht durchgehen. Das ist eine Missachtung von Parla-mentsbeschlüssen.Frau Ministerin, ich weiß, dass Sie sich das politischeErbe nicht aussuchen konnten. Aber diese 56 MillionenEuro, die uns früher einmal von einem Förderverein ver-sprochen worden waren, jetzt zu übernehmen, das gehtnicht. Hier müssen Sie mit unserem erheblichen Wider-stand rechnen. Sie können nicht die Mehrheiten einerGroßen Koalition dazu benutzen, bisher getroffene Par-lamentsbeschlüsse einfach abzuräumen.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin
Dr. Anja Weisgerber.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen undKollegen! In meiner Haushaltsrede konzentriere ichmich heute auf die Klimapolitik. Der Klimawandel istnach wie vor eine der größten globalen Herausforderun-gen des 21. Jahrhunderts. Die nächsten 15 Monate wer-den entscheidend dafür sein, wie es mit unserer Klima-politik weitergeht. Bei der Klimakonferenz im nächstenJahr in Paris muss es uns gelingen, eine ambitionierte in-ternationale Klimapolitik zu beschließen. Nur so habenwir eine realistische Chance, das 2-Grad-Ziel zu errei-chen; vielleicht ist es die letzte Chance.
Mit entscheidend für einen Erfolg kann sein, dassKanzlerin Merkel die Klimapolitik bei der G-7-Präsi-dentschaft in 2015 zum Thema machen will. Damit hältsie den Druck auf internationaler Ebene aufrecht undkämpft dafür, dass auch die anderen Staaten ihren Bei-trag leisten. Das ist gut so; denn nach wie vor gilt: Alleinwir Deutsche können das Klima nicht retten. Wir brau-chen die anderen Staaten dieser Welt.
Die Staaten, die es selbst nicht schaffen, unterstützen wirmit deutschen Mitteln für internationale Klimaschutzini-tiativen, die sich auch in diesem Haushalt wiederfinden.In diesem Zusammenhang gibt es zum Beispiel Projektein Peru, Kolumbien oder Ghana. Das alles sind wichtigeSignale für unser gemeinsames Ziel einer ambitionierteninternationalen Klimapolitik, für die Deutschland kämpft.Ein politisches Zeichen setzen wir auch in Brüssel,wo sich die Mitgliedstaaten im Oktober dieses Jahres aufdie europäischen Klimaziele bis 2030 einigen werden.Wir treten in Brüssel für eine ambitionierte Klimapolitikmit ambitionierten und ehrgeizigen Klimazielen ein undgehen mit unseren Forderungen weiter als andere Mit-gliedstaaten; auch das muss man ganz klar sagen. Per-sönlich habe ich mich sehr darüber gefreut, dass sich derneue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Junckerbei seiner Vorstellungsrede im Europäischen Parlamentfür ein Energieeffizienzziel von mindestens 30 Prozentausgesprochen hat. Denn da gibt es nach wie vor wirk-lich sehr große Potenziale, die wir in ganz Europa hebenmüssen, meine Damen und Herren.
Nun zu der Frage: Was machen wir national? Zu einerglaubhaften Klimapolitik gehört neben dem Hauptpro-jekt, dem Klimaaktionsplan, zu dem ich gleich noch kom-men werde, dass wir, die Bundestagsabgeordneten, unddie Mitglieder der Bundesregierung etwas für unser Klimatun. Deshalb freue ich mich besonders, dass die fraktions-übergreifende Initiative der Klimapolitiker, Dienstreisenklimaneutral zu kompensieren, in diesem Haushalt ersteFrüchte getragen hat. Der aktuelle Haushaltsentwurfsieht 2 Millionen Euro für klimaneutrale Dienstreisender Bundesregierung vor. Das ist ein guter Anfang, einerster Erfolg. Nun müssen auch wir hier im Bundestageine Vorbildfunktion übernehmen. Daher wünsche ichmir ebenso eine Kompensation der Flugreisen der Mit-glieder des Deutschen Bundestages.
Ich appelliere hier an die Kollegen aus dem Haushalts-ausschuss: Lassen Sie uns gemeinsam ausschuss- undfraktionsübergreifend Möglichkeiten ausloten, wie wirunsere Mandatsflugreisen klimaneutral kompensierenkönnen! Das wäre eine kleine Geste mit großer Wirkung.Auf diese Weise können wir als Politiker ein klimapoliti-sches Zeichen setzen und gleichzeitig vielleicht auchUnternehmen ermutigen, über eine Kompensation vonGeschäftsreisen nachzudenken.Aktuell arbeitet das Umweltministerium an einemKlimaaktionsprogramm. Alle betroffenen Ministeriensind aufgefordert, Minderungspotenziale aufzuzeigenund konkrete Maßnahmen vorzuschlagen. Ziel ist, dasAktionsprogramm noch in diesem Jahr zu verabschie-den. Es ist richtig, dass alle Ressorts mit einbezogenwerden und ihren Beitrag leisten. Damit stellen wir dierichtigen Weichen, um unsere Klimaschutzziele errei-chen zu können – trotz schwieriger Rahmenbedingun-gen.Warum sind es schwierige Rahmenbedingungen? Wirhaben immer gesagt, dass es nicht funktionieren wird,aus der Kernenergie auszusteigen und diese dann kom-plett durch CO2-neutrale Technologien zu ersetzen. Da-mit keine Missverständnisse entstehen: Wir alle wolltenden Ausstieg aus der Kernenergie, und wir wollen ihnnach wie vor; keine Frage. Damit wir unsere Klimazieletrotz des Ausstiegs aus der CO2-neutralen und grundlast-fähigen Kernenergie erreichen, müssen wir den Anteilder erneuerbaren Energien stark ausbauen. Herr KollegeKindler, das tun wir auch nach der EEG-Reform. Wir
Metadaten/Kopzeile:
4778 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Dr. Anja Weisgerber
(C)
(B)
bauen den Anteil der erneuerbaren Energien weiter aus.Wir steuern ihn.
Aber man muss dazusagen: Nicht alle erneuerbarenEnergien – außer der Biomasse – sind grundlastfähig.Deshalb brauchen wir auch weiterhin fossile Energien.
Um zu gewährleisten, dass möglichst wenig CO2 ausge-stoßen wird, bevorzugen wir Klimapolitiker von derUnion Gaskraftwerke. Dafür müssen wir die richtigenAnreize setzen.Damit bin ich schon beim nächsten und letztenThema meiner Rede: Kernstück der EU-Klimapolitik istund bleibt der Emissionshandel. Er ist das wirkungs-vollste, kosteneffizienteste und, wenn Sie so wollen, ge-rechteste Instrument in der Klimapolitik,
weil er gleiche Wettbewerbsbedingungen in ganz Europaschafft.Eines möchte ich an dieser Stelle einmal ganz klar sa-gen: Wenn es um die Maßnahmen geht, die wir ergrei-fen, um die Klimaziele zu erreichen, dann ist eine natio-nale CO2-Steuer, wie sie Herr Krischer von den Grünenerst wieder kürzlich bei einer Veranstaltung hier in Ber-lin gefordert hat – Sie erinnern sich vielleicht –,
sicherlich nicht die richtige Antwort auf den internatio-nalen Klimawandel.
Ein rein nationales Vorgehen bringt uns nicht weiter. Esbenachteiligt nur unsere Industrie, gefährdet Arbeits-plätze und hilft uns nicht, auf europäischer Ebene mitunseren Klimazielen weiterzukommen.
Deshalb setzen wir uns – ich sage das, um auf Ihre Be-merkung einzugehen – in Europa für eine rasche undnachhaltige Stärkung des Emissionshandelssystems ein.
Ganz aktuell haben wir den Vorschlag der EU-Kom-mission für eine Marktstabilitätsreserve auf dem Tisch.Wir Deutschen fordern, im Unterschied zum EU-Vor-schlag, dass diese vorher greift. Der Vorschlag der EU-Kommission ist meiner Meinung nach eine gute Grund-lage; aber wir müssen noch viel darüber diskutieren.Unser Ziel muss es sein, dass der Emissionshandelmarktbasiert bleibt, weiterhin CO2-Emissionen redu-ziert und – das sage ich als Klimapolitikerin ganz ehrlichund klar dazu – gleichzeitig Investitionen in die richtigeRichtung lenkt.Ich freue mich auf die Diskussionen dazu mit derMinisterin und den Kolleginnen und Kollegen des Bun-destages.Vielen Dank.
Der Kollege Christian Kühn spricht jetzt für Bünd-nis 90/Die Grünen.Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Leidenschaft ist das, was uns zur Politik gebrachthat und uns antreibt bei unserer täglichen Arbeit in denAusschüssen, in unseren Wahlkreisen, aber auch hier imPlenum, Leidenschaft für Arten- und Naturschutz – man-che würden sagen: für die Bewahrung der Schöpfung –,Leidenschaft für eine Vision und eine Welt ohne Atom-kraft und Leidenschaft für eine sozial gerechte und kli-mafreundliche Wohnungs- und Baupolitik.Mit Leidenschaft hätte dieser Haushalt, FrauHendricks, ein großer Wurf werden können. Doch leiderkann ich in diesem Haushalt die Leidenschaft für dieThemen Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung, für dieThemen Klimaschutz und Umweltpolitik bei Ihnen nichterkennen.
Sie feiern diese Woche eine Nullnummer, und dieserHaushalt ist eine Nullnummer für die Umwelt-, Bau-und Naturschutzpolitik in Deutschland. Sie wird zukünf-tige Generationen sehr, sehr teuer zu stehen kommen;denn Sie gehen die Herausforderungen unserer Zeit völ-lig unzureichend an.
Ich frage Sie: Wo sind die zusätzlichen Investitionen indie energetische Sanierung? Wo sind die zusätzlichenMittel für den altersgerechten Umbau unserer Wohnun-gen und unserer Städte? Wo sind die denn? Ich finde siein diesem Haushalt nicht, und ich weiß, Sie finden sieauch nicht. Sie können ja vielleicht in den nächsten Re-den darauf eingehen, wie Sie diese Herausforderungenbewältigen wollen.Ich sage Ihnen etwas, Frau Hendricks: Mehr Leiden-schaft würde Ihrer Politik guttun, mehr Leidenschaft fürKlima-, Umwelt- und Baupolitik. Bisher sind Sie ein
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4779
Christian Kühn
(C)
(B)
Dreivierteljahr durchs Land gezogen und haben mit sehrschönen und guten Analysen die Probleme beschrieben.Aber Sie haben keine vernünftigen Maßnahmen ge-nannt, wie Sie die Herausforderungen bewältigen wol-len. Von Ihnen als Schatzmeisterin und ehemaliger Fi-nanzstaatssekretärin hätte ich erwartet, dass Sie mitVerhandlungsgeschick mehr für Ihr eigenes Ressort her-ausholen. Aber das ist Ihnen leider nicht gelungen.
Wenn ich mir die Themen anschaue – ich habe einDreivierteljahr Umweltausschusssitzungen erlebt und er-lebe auch die Beratungen zum Haushalt –, dann erkenneich einen roten Faden, der auch hier unterschwelligdurchkommt: Sie sind sich eigentlich nicht einig in derWohnungs- und Baupolitik. Sie sind sich auch nicht ei-nig in der Klima-, Umwelt- und Energiepolitik. Eigent-lich passen Sie bei diesen Themenfeldern als Koalitionnicht zusammen. Das merkt man immer wieder.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, ich sageIhnen etwas: Sie sind doch auf der Suche nach einemKonzept, wie Sie in den Großstädten wieder näher an dieMenschen kommen – wir reden hier ja über Stadtpoli-tik –, wie Sie in den Großstädten die Menschen wiederfür die Union begeistern können. Ich sage Ihnen: GebenSie einfach die Blockade gegen eine funktionsfähigeMietpreisbremse auf! Sorgen Sie dafür, dass die Miet-preisbremse kommt, damit Angela Merkel ihr Wahlver-sprechen erfüllen kann! Dann wählen die Menschen inden Großstädten Sie vielleicht auch wieder; denn inStuttgart, Berlin und auch in München finden die Leutedie Mietpreisbremse richtig klasse.
– In Frankfurt auch. – An die Kollegen der SPD gewandtwill ich nur sagen: Sorgen Sie dafür, dass die Mietpreis-bremse nicht durchlöchert wird! Denn wenn sie durch-löchert ist, funktioniert sie nicht, und dann ist sie wedersozial noch gerecht, sondern höchstens Wählertäu-schung.Frau Hendricks, Sie haben angekündigt, dass Sie dasWohngeld erhöhen wollen, Ihre Kollegen in der Fraktionebenfalls. Wenn ich mir aber anschaue, was Sie mit die-sem Haushalt vorgelegt haben, dann muss ich feststel-len: Das Wohngeld bleibt auf dem Niveau von 2013. Sokönnen wir das Wohngeld in Deutschland nicht stärkenwollen. Im Juni dieses Jahres haben Sie das Wohngeldum 130 Millionen Euro gekürzt, um es im Septemberwieder um 130 Millionen Euro zu erhöhen. Was Sie hierveranstalten, ist ein absurdes Nullsummenspiel. Ich kannwirklich nicht erkennen, warum Sie hier sagen: Wir tunetwas beim Wohngeld. – Sie tun nichts beim Wohngeld.Sie belassen es auf dem alten Niveau. Wenn Sie Bau-und Klimaschutzpolitik wirklich miteinander verzahnenwollten, dann würden Sie einen Klimabonus einführen,wie wir ihn beantragen werden.
Das Gute an Haushaltsberatungen ist für Oppositions-politiker, dass die Bundesregierung etwas vorlegenmuss. Sie haben jetzt einen Haushalt vorgelegt und in al-len Reden heute eine große Herausforderung benannt,den Klimaschutz. Aber der Klimaschutz im Gebäudebe-reich kommt mit dieser Großen Koalition nicht voran.Wo sind denn die Anreize? Wo sind die Programme? Woist das Quartiersanierungsprogramm, das wir dringendbrauchen, um in den Quartieren Klimaschutz zu betrei-ben? Wo ist der Steuerbonus für die energetische Sanie-rung? Da liefern Sie nichts. Sie bleiben beim Klima-schutz blank. So, Frau Hendricks, werden Sie dieSanierungsquote
von 2,5 Prozent pro Jahr, die Sie selber genannt haben,nicht erreichen, jedenfalls nicht in Baden-Württemberg,dem Bundesland, aus dem ich komme. Ich sage Ihnenauch: Dass Sie die Sanierungsquote nicht erreichen wer-den, ist der eigentliche Skandal dieses Haushalts; dennSie gehen diese große Herausforderung nicht an.
Wir Grünen begrüßen, dass Sie die Mittel für dieStädtebauförderung erhöht haben. Wir begrüßen auchdie Mittel, die Sie für das Programm „Soziale Stadt“ ein-gestellt haben. Jetzt müssen Sie dafür sorgen, dass nichtnur Beton finanziert wird, sondern auch die Menschen,dass die nichtinvestiven Maßnahmen auch förderungs-fähig werden. Nach der faktischen Abschaffung des Pro-gramms unter Schwarz-Gelb hat die SPD-Fraktion ge-sagt: Das ist die Politik der sozialen Kälte. – Ich hoffe,dass Sie diese Politik der sozialen Kälte nicht fortsetzenwerden.
– Das glaube ich erst, wenn wir die Texte dazu sehen.
Ich will Ihnen noch etwas sagen: Die Welt hat sich inden letzten Monaten dramatisch verändert; Europa hatsich in den letzten Monaten dramatisch verändert. Wirhaben eine Krise in der Ukraine. In unserem Ausschuss,im Umwelt- und Bauausschuss, haben wir einen Schlüs-sel in der Hand, um Deutschland unabhängiger zu ma-chen von Gaslieferungen aus Russland. Dazu müssenSie jedoch an den Gebäudebestand gehen, dazu müssenSie ins Quartier gehen und dort Klimaschutz und energe-tische Sanierung voranbringen. Das tun Sie bisher nicht.Das wäre aber der Schlüssel. Setzen Sie hier an, nichtnur aus Klimaschutzgründen, sondern auch im Interessevon Zielen, die weit darüber hinausgehen und die wirauch hier wieder benannt haben.
Das Humboldt-Forum ist mehrfach angesprochenworden. Frau Hendricks, Sie haben gesagt: BeimHumboldt-Forum, beim Stadtschloss ist alles gut. –
Metadaten/Kopzeile:
4780 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Christian Kühn
(C)
(B)
Beim Stadtschloss ist nicht alles gut. Das haben Sie aucherkannt; denn es fehlt, wie Sie gesagt haben, ziemlichviel Geld für die Finanzierung der Fassade; es fehlenSpenden. Nun übernimmt der Bund das Ausfallrisiko.Wer gibt denn überhaupt noch eine Spende, wenn derTräger des Ausfallrisikos benannt ist?
Von daher glaube ich, dass Sie beim Stadtschloss einHaushaltsrisiko übernommen haben.
Herr Kollege Kühn, ich hatte mit meinem Lob bei den
Vorrednern gehofft, dass es als Ermunterung gilt, die Re-
dezeit einzuhalten, und darf Sie bitten, jetzt doch zum
Schluss zu kommen.
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Ich komme zum Schluss. – Frau Hendricks, zeigen
Sie Zähne! Bleiben Sie nicht länger unsichtbar, sondern
gehen Sie in die Konfrontation für Umwelt-, Klima- und
Baupolitik! Wir Grünen wissen, dass man für Umwelt-
politik kämpfen muss. Ich glaube, Sie haben im letzten
Dreivierteljahr erkannt, dass Schweigen auch nicht hilft.
Deswegen: Gehen Sie in die Offensive! Kämpfen Sie
mit Leidenschaft für eine bessere Umwelt- und Baupoli-
tik in Deutschland!
Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist für die Sozialdemokraten der
Kollege Ulrich Hampel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich freue mich, dass ich heute meine ersteRede hier im Hohen Hause halten darf,
und bin meinen Kolleginnen und Kollegen der SPD-Arbeitsgruppe Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheit dankbar, dass sie mir die Möglichkeit gegebenhaben, heute zur Einbringung des Einzelplans 16 zusprechen.Wie Bundesministerin Hendricks und mein KollegeLemme bereits ausgeführt haben, steigt das Gesamtvolu-men des Einzelplans 16, was seine Ursache insbesondereim Mittelaufwuchs des Baubereiches hat. Innerhalb desBaubereiches weisen neben dem Posten „Prämien nachdem Wohnungsbau-Prämiengesetz“ die Ansätze für dasWohngeld und die Förderung des Städtebaus wesentli-che Erhöhungen auf. Diese Mittelerhöhungen sindnotwendig und richtig und werden von meiner Fraktionausdrücklich begrüßt.
Zum Wohngeld, lieber Kollege Kühn. Die Koalitionwird die angekündigte Reform des Wohngeldgesetzes inden nächsten Wochen und Monaten auf den Weg bringenund damit sicherstellen, dass die im Haushaltsentwurfeingestellten Mittel den Leistungsempfängern, wie ange-kündigt, 2015 zur Verfügung stehen.
Wie dringend notwendig die Reform ist, haben die ver-gangenen Jahre gezeigt: Die Anzahl der Haushalte, dieWohngeld beziehen, ging kontinuierlich zurück. Außer-dem wurde die im Rahmen der Wohngeldnovelle 2009eingeführte Heizkostenkomponente 2011 von derschwarz-gelben Bundesregierung wieder gestrichen. Mitder Wohngeldreform werden wir dafür sorgen, dass wie-der deutlich mehr Haushalte vom Wohngeld profitieren.
Das werden wir im Einzelnen durch die Erhöhung derTabellenwerte, die regional gestaffelte Erhöhung derMiethöchstbeträge und dadurch erreichen, dass wir wie-der eine Heizkostenkomponente einführen.
Das ist doch eine gute Nachricht für die Menschen in un-serem Land.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Förderungdes Städtebaus wird es ebenfalls einen deutlichen Mittel-aufwuchs geben. Damit stellen wir sicher, dass derInvestitionsbedarf für die vordringlichen städtebaulichenInvestitionsprojekte in den Städten und Gemeindengedeckt wird. Die Mittelausstattung der einzelnenProgramme der Städtebauförderung bleibt auf dem ho-hen Niveau des vergangenen Haushaltes.Das erfolgreiche Städtebauförderprogramm „SozialeStadt“ erhält mit 150 Millionen Euro wiederum diehöchste Mittelausstattung. Das ist unserer Meinung nachauch dringend notwendig.
Nachdem dieses Programm unter Schwarz-Gelb auf nurnoch 40 Millionen Euro reduziert wurde, kam es zudeutlichen Einbrüchen bei den Projektzahlen, und drin-gende Investitionen konnten nicht mehr getätigt werden.Mit dem Haushalt 2014 haben wir das Programm
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4781
Ulrich Hampel
(C)
(B)
deshalb mit deutlich mehr Geld ausgestattet. Diesen Wegführen wir mit dem aktuellen Haushaltsansatz fort.Damit unterstreichen wir, dass das Programm „SozialeStadt“ das Leitprogramm der Städtebauförderung ist.
Auch die anderen Programme der Städtebauförderungerfahren eine deutliche Belebung. In meiner sehr länd-lich geprägten Münsterländer Region spielt zum Beispieldas Programm „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“ eineimmer wichtigere Rolle. Mit diesem Programm werdenviele Kommunen dabei unterstützt, die Infrastruktur inihren Ortszentren den veränderten Anforderungen auf-grund des demografischen Wandels anzupassen.
Das ist ein Problem, das sicher auch in Ihren Wahlkrei-sen einen immer größeren Stellenwert einnimmt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Blick auf denangesprochenen demografischen Wandel ist es zu begrü-ßen, dass für die Zuschüsse für Investitionen in alters-gerechten Umbau im Haushalt 2015 ebenfalls mehr Geldeingeplant ist.
Für den Zeitraum 2014 bis 2018 sind hierfür insgesamt54 Millionen Euro vorgesehen, ein Volumen, das meinerMeinung nach dringend erforderlich ist.
Nach einer Studie des Kuratoriums Deutsche Alters-hilfe werden bis 2020, also in sechs Jahren, 3 Millionenaltersgerechte Wohnungen benötigt. Dem Bedarf stehenaktuell weit weniger als 1 Million altersgerechte Woh-nungen gegenüber – und der Bedarf wird über das Jahr2020 hinaus weiter steigen. Wir sind natürlich froh, dassimmer mehr Menschen ein immer höheres Alter errei-chen. Das bedeutet aber auch, dass sich die Anforderun-gen an viele Bereiche unserer Infrastruktur und natürlichauch an die Ausstattung und Beschaffenheit vonWohnungen verändert. Hier müssen wir gemeinsamLösungen entwickeln, wie wir in deutlichem Umfang al-tersgerechten Wohnraum schaffen. Aktuelle Angebote,wie sie zum Beispiel die KfW vorhält, werden meinerMeinung nach nicht ausreichen. Viele ältere Menschenkönnen und wollen keine Kredite mehr aufnehmen, umihr Heim altersgerecht umzubauen. Deshalb brauchenwir eine direkte Fördermaßnahme für altersgerechtenUmbau.
Sehr geehrte Frau Bundesministerin Hendricks,meine Fraktion und ich wissen natürlich, dass diesesProblem hohe Priorität in Ihrem Hause genießt. Wirfreuen uns darauf, gemeinsam mit Ihnen an der Bewälti-gung nicht nur dieser, sondern auch darüber hinaus an-stehender Aufgaben zu arbeiten.Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit. Einherzliches Glückauf!
Herr Kollege Hampel, Sie hatten schon angekündigt,
dass das Ihre erste Rede sein wird. Ich möchte Ihnen
dazu im Namen der Kolleginnen und Kollegen herzlich
gratulieren und wünsche Ihnen, dass Sie bald weitere
Reden halten werden.
Bevor der Kollege Wegner das Wort erhält, hat der
Kollege Pronold um das Wort zu einer Kurzintervention
gebeten.
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich melde mich als
Stiftungsratsvorsitzender des Humboldt-Forums und des
Berliner Schlosses zu Wort, weil hier von zwei Rednern
der Opposition falsche Behauptungen aufgestellt worden
sind.
Es ist so, dass wir uns beim Berliner Schloss im Kos-
tenrahmen bewegen. Dieser ist nicht verändert worden.
Aufgrund des Baufortschritts, weil die Arbeiten Gott sei
Dank schnell vorangehen, weil es keine Bauverzögerun-
gen gibt, müssen die Mittel zur Verfügung gestellt wer-
den. Wir befinden uns aber im Plan. Es gibt an dieser
Stelle keine Kostenexplosion. Das hat auch überhaupt
nichts mit der Fassade zu tun.
In Bezug auf die Fassade ist es so, dass die Einnah-
men durch Spenden deutlich zunehmen. Weil das
Schloss jetzt sichtbar wird, steigt die Akzeptanz und
nehmen die Spenden zu. Wir werden wie auch bei ande-
ren Projekten alles dafür tun müssen – das darf man
nicht schlechtreden –, dass die noch fehlenden Spenden
für die Fassade eingehen.
Wir werden die Mitglieder des Ausschusses – die Ein-
ladung liegt schon vor – in den nächsten Wochen auf die
Baustelle einladen. Dann gibt es die Gelegenheit, sich
vor Ort ein Bild zu machen, statt hier gefährliche Falsch-
behauptungen in die Welt zu setzen.
Der Kollege Claus möchte darauf erwidern. Dazu er-teile ich ihm das Wort.
Metadaten/Kopzeile:
4782 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
(C)
(B)
Wenn der geschätzte Kollege Pronold den Vorwurf
der gefährlichen Falschbehauptung am Schluss seiner
Rede nicht unzutreffenderweise eingefügt hätte, hätte ich
geschwiegen.
Zweifelsohne haben Ihre Worte ein Stück zur Aufklä-
rung beigetragen. Aber meine Einwände und meine
Kritik sind damit noch nicht vom Tisch. Sie können von
uns nicht erwarten, dass wir Ihnen, wenn Sie uns einen
Etat vorlegen, in dem für dieses Bauvorhaben 56 Millio-
nen Euro mehr etatisiert sind, sofort abnehmen, dass
dieses Geld dem Baufortschritt geschuldet ist, aber der
Deckel so bleibt. Wir werden uns das kritisch anschauen
und darauf drängen, dass die gemeinsamen Beschlüsse
des Haushaltsausschusses eingehalten werden.
Ihre Aussage, dass die Spendeneinnahmen zunehmen,
will ich gerne glauben. Dieser Satz sagt aber nichts aus,
wenn man das berücksichtigt, was einmal zugesagt wor-
den ist. Deshalb lassen Sie uns die Dinge weiter kritisch
begleiten. Vermeiden Sie doch in Zukunft möglichst sol-
che Charakterisierungen einer kritischen, aber durchaus
konstruktiven Opposition.
Jetzt geht es mit der Rednerliste weiter.
Ich erteile dem Kollegen Kai Wegner für die CDU/
CSU das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Claus,Ihre letzte Äußerung kann man zumindest in Zweifelziehen. Ich bin dem Kollegen Abgeordneten Pronoldsehr dankbar für die Klarstellung, die er hier vorgenom-men hat. Ich bin mir sicher, dass alle Kritiker, die heutedas Humboldt-Forum immer noch kritisch betrachten,stolz und froh sein werden, wenn Berlins Mitte durchdieses Humboldt-Forum bereichert wird und weitereStrahlkraft für die ganze Republik erzeugt.
Meine Damen und Herren, liebe Frau MinisterinHendricks, ich bin sehr froh, dass es beim Haushaltsent-wurf 2015 gerade im Umwelt- und Baubereich gelungenist, noch mehr Mittel zur Verfügung zu stellen als in die-sem Haushalt. Die Koalition setzt mit diesem Haushaltihren Kurs fort. Wir setzen auf Investitionen, um einenachhaltige Entwicklung in Deutschland zu fördern.Aber ich werde mich heute in meiner Rede schwer-punktmäßig mit der Städtebauförderung auseinanderset-zen. Die Große Koalition hat gerade diesen Bereichstärker in den Fokus der Politik gerückt. Das Gesamtvo-lumen der Mittel für die Städtebauförderung beträgt imJahr 2014 700 Millionen Euro. Mit dem Haushalt 2015setzen wir diesen Kurs entschlossen fort. Wir wollenStädte und Gemeinden auf vielfältige Weise bei der Be-wältigung des demografischen, des sozialen, aber auchdes ökonomischen Wandels unterstützen. Bei allen Maß-nahmen, die wir hier beraten und beschließen, muss stetsdas Wohlbefinden der Menschen im Zentrum der Be-trachtung stehen.
Ich begrüße es außerordentlich, dass die Programme„Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ zusammen-genommen wieder den größten Programmteil der Städte-bauförderung bilden.
Auch das Programm „Aktive Stadt- und Ortsteilzen-tren“ wird auf hohem Niveau fortgeschrieben. Geradehier werden besonders viele Projekte im investiven Be-reich ermöglicht. Das ist wichtig, weil hier besondersnachhaltige Lösungen zur Schaffung lebenswerter Städteund Gemeinden geschaffen werden. Hinzu kommt dieHebelwirkung des Mitteleinsatzes: Jeder Euro, den wirim investiven Bereich einsetzen, zieht Folgeinvestitio-nen im Baubereich in Höhe von 8,50 Euro nach sich.Das ist insbesondere für unsere Bauwirtschaft und fürunser Handwerk von ganz großer Bedeutung.
Das stärkt strukturschwache Regionen und bietet Be-schäftigung im Bau und im Handwerk. Beschäftigunggibt den Menschen vor Ort Lebensperspektiven, undauch das brauchen wir in vielen Städten und Gemeinden.Zur Stabilisierung und Aufwertung benachteiligterStadt- und Ortsteile ist das Programm „Soziale Stadt“eine gute Wahl. Ich würde es sehr begrüßen, Frau Minis-terin, Herr Staatssekretär, wenn wir über das Programm„Soziale Stadt“ Sportvereine mit ihrem großen Potenzialin Zukunft noch stärker unterstützen könnten. Sportver-eine sind jetzt schon wichtig für benachteiligte Quar-tiere, wichtig für den Zusammenhalt von Menschen.Sportvereine sind Garanten der Stabilität in benachteilig-ten Stadt- und Ortsteilen. Der Sport kennt weder Reli-gionen noch Nationalitäten, er kennt kein Alter, keinesoziale Herkunft. Hier lernen sich Menschen unter-schiedlicher Herkunft besser kennen. Das ist Aufgabeder sozialen Stadt. Wenn wir Sportvereine und Sport-anlagen zukünftig noch stärker berücksichtigen, tun wirunmittelbar etwas für die Quartiere und die Menschenvor Ort. Deswegen meine Bitte: Lassen Sie uns das ge-meinsam unterstützen.
Die Erhöhung der Mittel für die Städtebauförderungermöglicht es uns auch, neue Schwerpunkte zu setzen.Ich freue mich, dass es uns in den ersten beiden Haus-haltsjahren dieser Großen Koalition gelingt, vor allenDingen zwei Punkte stark zu fördern:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4783
Kai Wegner
(C)
(B)
Zum einen sorgen wir dafür, dass mehr urbanes Grünin die Städte geholt wird. Grün steigert die Lebensquali-tät in bestimmten Bereichen, und da haben wir ganz vielPotenzial nach oben. Es steigert die Lebensqualität undist wichtig im Hinblick auf Klimaschutz und Nachhaltig-keit. Meine Damen und Herren, die Menschen fühlensich in grünen Städten nicht nur wohler,
sondern sie fühlen sich auch sicherer. Gepflegte Grünan-lagen steigern das Sicherheitsgefühl der Menschen. Des-halb ist es gut, dass wir mehr für Grün in den Städtentun.
– Ja, damit habe ich jetzt gerechnet. Das heißt aber nicht,dass wir mehr Grüne in den Städten brauchen, liebe Kol-leginnen und Kollegen von den Grünen, sondern wirbrauchen Natur, Umwelt und Grün in den Städten,
und dafür sorgt diese Koalition, aber leider viel zu wenigdie Opposition, meine Damen und Herren.
Zum anderen tun wir auch etwas – Herr Kühn, Sie ha-ben das ja angesprochen – für die älter werdende Gesell-schaft. Wir tun etwas zur Bewältigung des demografi-schen Wandels.
Wir haben das Programm „Altersgerecht Umbauen“ auf-gelegt.
Wir sorgen damit dafür, dass gerade ältere Menschen inihrem gewohnten Wohnumfeld, in ihrer vertrauten Um-gebung wohnen bleiben können. Dafür sorgen wir mitunserem Programm.Lieber Herr Kühn, ich würde mir wünschen, dass Siemit der Leidenschaft, die Sie von der Regierung einge-fordert haben, in Ihrer Partei dafür kämpfen, dass derBundesrat endlich seine Blockade aufhebt, was die steu-erliche Förderung der energetischen Sanierung und vie-ler anderer Sachen angeht. Kämpfen Sie dafür mit Lei-denschaft! Uns haben Sie da an Ihrer Seite.
Meine Damen und Herren, wir haben noch das ThemaMieten. Dass wir uns auch darum kümmern müssen, istgar keine Frage. Ich sage Ihnen: Die beste Antwort aufsteigende Mieten, die beste Antwort auf Verdrängung,die droht und teilweise aus den zentralen Lagen an dieRänder auch stattfindet, die beste Antwort darauf istNeubau. Bauen, bauen, bauen!Diese Bundesregierung hat viele Maßnahmen auf denWeg gebracht; einige sind angesprochen worden. Ichwill noch einmal daran erinnern, wie diese Regierungden sozialen Wohnungsbau fördert. Der Bund unterstütztdie Länder mit 580 Millionen Euro. Das ist gut und rich-tig, aber ich wünschte mir, dass die Länder diese Mittel,die der Bund zur Verfügung stellt, dann auch für den so-zialen Wohnungsbau einsetzten. Es darf nicht sein, dassdie Mittel des Bundes in den Haushaltslöchern versi-ckern. Nein, wir brauchen sozialen Wohnungsbau, undich fordere die Länder auf, die Mittel des Bundes nichtnur einzusetzen, sondern auch noch zu verstärken. Sokönnen wir gemeinsam für preiswerte, für bezahlbareMieten in unserem Land sorgen.
Ich komme zum Schluss. Der Zustrom von Flüchtlin-gen – der eine oder andere Redner hat es schon ange-sprochen – treibt uns alle, wie ich glaube, mit Sorge um.Das muss auch so sein. Ich glaube, hier stehen zualler-erst die Länder, dann aber auch der Bund in der Verant-wortung. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Menschenwürdig untergebracht werden, meine Damen und Her-ren. Ansonsten erzeugt das sozialen Sprengstoff. Daskönnen wir nicht gebrauchen. Liebe Frau Ministerin, ichglaube, der Bund darf weder die Länder und erst rechtnicht die Städte bei der Bewältigung dieser Herausforde-rung alleinlassen. Wir müssen darüber nachdenken, wiewir hier noch stärker unterstützend wirken können. Ichwünsche mir tolle Beratungen. Ich freue mich auf die Er-gebnisse am Ende.Eines wird aber deutlich, meine Damen und Herren:Nicht nur der Haushalt –
Herr Kollege Wegner, darf ich Sie an die Redezeit er-
innern!
– ist bei dieser Koalition in guten Händen, sondern
insbesondere auch die Städtebauförderung ist bei der
Großen Koalition in guten Händen.
Herzlichen Dank.
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege KarstenMöring.
Metadaten/Kopzeile:
4784 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
(C)
(B)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Frau Ministerin Hendricks, als Unionsfraktion ste-hen wir auch im Umwelt- und Bauhaushalt für gute undverlässliche Rahmenbedingungen, für die Umsetzungdes Koalitionsvertrages und für haushaltspolitische Soli-dität in bewegten Zeiten. Es kann nicht oft genug betontwerden, dass wir mit diesem Haushalt die Wende vonder Zeit der roten Zahlen in die Zeit der schwarzen Zah-len begehen werden.
Viele Schwerpunkte sind bereits angesprochen wor-den. Ich möchte einige Aspekte hinzufügen, die mirwichtig sind und die, wie ich aus vielen Gesprächenweiß, auch andere Menschen bewegen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema „alters-gerechter Umbau“ ist jetzt drei- oder viermal angespro-chen worden. Deswegen spare ich mir dasselbe. Ichmöchte aber in diesem Zusammenhang darauf hinwei-sen, dass wir an diesem Beispiel sehr gut sehen können,wie wichtig Zuschussprogramme sein können und wel-che Nebenwirkungen sie für unsere Haushalte haben.Wenn wir durch den Umbau in alters- oder behinderten-gerechte Wohnungen nur 15 Prozent unserer pflegebe-dürftig werdenden Personen einen Umzug ins Heim er-sparen oder diesen verzögern, bringt das pro Jahr imSozialsystem eine Einsparung von ungefähr 3 MilliardenEuro. Das ist nicht unser primäres Ziel, aber das ist einArgument dafür, dass wir bei der Auflegung von Zu-schussprogrammen auch einmal darauf schauen können,welche weiteren positiven Effekte so etwas hat. Das soll-ten wir immer dann, wenn es um Finanzen geht, durch-aus im Blick haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die beste Nachrichtdes Tages ist die Feststellung der Vereinten Nationen,dass sich die Ozonschicht der Erde weiter regeneriertund eigenständig Ozon bildet, von dem wir wissen, dasses die krebserregende UV-Strahlung der Sonne abhält.Das ist Grund zur Freude und ein Ansporn für unsere Ar-beit. Es zeigt vor allen Dingen eins: dass unsere in die-sem Fall vor über zwei Jahrzehnten getroffenen Rege-lungen auch wirksam sind – eine sehr ermunternde undbeflügelnde Feststellung.
Obwohl die Luftreinhaltung in Deutschland erfreuli-cherweise bereits ein hohes Niveau erreicht hat, haltenwir die Verringerung der Belastung weiter für notwendig.Im Sinne des Klimaschutzes und des Gesundheitsschut-zes halte ich deswegen vor allen Dingen die Wiederauf-nahme des Förderprogramms für Partikelminderungs-systeme, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, fürwichtig und möchte dafür auch nachdrücklich werben.
Mein Wunsch ist hier, dass wir im weiteren Haus-haltsverfahren noch eine Lösung finden. Wir müssenFeinstaub- und Stickoxidemissionen weiter zurückdrän-gen. Wir können aber nicht nur Maßnahmen allein zulas-ten der Autofahrer ergreifen. Viele Städte haben wiemeine Heimatstadt Köln inzwischen Umweltzonen mitdeutlichen Einschränkungen für den Straßenverkehr ein-gerichtet. Trotzdem reichen diese Maßnahmen oft nichtaus, vor allen Dingen vor dem Hintergrund zukünftigschärferer Grenzwerte. Wir wissen inzwischen, dassBaumaschinen einen nicht unerheblichen Anteil an denEmissionen haben – im städtischen Bereich rund dieHälfte der Emissionen aus dem Straßenverkehr. Dabeistellen insbesondere die sehr kleinen Partikel, die Ruß-partikel, erhebliche Gesundheitsrisiken dar, weil sie auf-grund ihrer Größe geeignet sind, direkt über die Lungein die Blutbahn zu geraten und dann dort bis ins Gehirnhinein Schäden anzurichten. Ich denke, dass wir hier miteiner Mischung aus Einsatzbeschränkungen, zum Bei-spiel in Umweltzonen, und einer Förderung der Filter-nachrüstung am schnellsten zu spürbaren Verbesserun-gen kommen können.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein besserer Lärm-schutz für die Menschen liegt uns am Herzen, einThema, das wir in enger Abstimmung mit unseren Kol-leginnen und Kollegen aus dem Verkehrsausschuss an-gehen, wo natürlich zuständigkeitshalber auch der we-sentlich größere Etatposten angesiedelt ist. Gerade inunserem dicht besiedelten, hochindustrialisierten undverkehrsreichen Land stellt der Lärm nach wie vor einbedeutendes Umweltproblem dar. Da Lärm nicht nur be-lästigend ist, sondern auch gravierende gesundheitlicheSchäden hervorrufen kann, ist eine nachhaltige Vermin-derung der Lärmbelastung, vor allem im Verkehrssektor,unser vorrangiges Ziel und wird sicher in der morgigenDebatte zum Verkehrshaushalt breiter dargestellt.
In meinem Wahlkreis sind es vor allem Fluglärm undEisenbahnlärm, die für viele Menschen eine erheblicheBeeinträchtigung darstellen. Straßenlärm spielt dabeidank umfangreicher Lärmschutzmaßnahmen am KölnerAutobahnring eine nicht mehr so große Rolle.Bei der Frage der Lärmbekämpfung wird oft beklagt,dass Lärm, je nach Quelle, unterschiedlich behandeltwird. Bei den erheblichen Mitteln, die wir insgesamt anden verschiedenen Stellen zur Lärmbekämpfung einset-zen, ist es, denke ich, an der Zeit, einmal genauer nach-zuschauen, welcher Lärm in welcher Intensität welcheWirkungen erzeugt, damit wir die Mittel möglichst ef-fektiv einsetzen können.Ich schlage deshalb vor, dass wir uns über die Ein-richtung eines Lärmkompetenzzentrums – so will ich eseinmal nennen – des Bundes Gedanken machen, in demdie vorhandenen Informationen über die Lärmwirkungund die Lärmbekämpfung gebündelt und gewertet undAntworten auf offene Fragen, beispielweise bei derLärmwirkungsforschung, gegeben werden können. Da-für braucht es nicht viele Haushaltsmittel, weil hier unterRückgriff auf bereits bestehenden Sachverstand großeWirkungen und großer Nutzen für die Bürger erzieltwerden können.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4785
Karsten Möring
(C)
(B)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Trinkwasserist ein Grundnahrungsmittel höchster Qualität – und dassoll auch so bleiben.
Wir wollen den Schutz der Gewässer vor Nährstoffein-trägen – Stichwort „Düngeverordnung“ – verstärken undFehlentwicklungen korrigieren. Wir stehen in der Ver-antwortung, diesen Schutz vorsorgend und nachhaltig zugewährleisten. Und weil wir beim Stichwort „Schadstoff-eintrag“ sind, zum heiß diskutierten Thema Fracking nureine kurze Bemerkung, Herr Kindler und andere: Wirwerden bei den anstehenden Beratungen eine sachorien-tierte, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhendeLösung finden.
Wir sind der Auffassung, dass wir bei diesem Themavom Glauben zum Wissen kommen müssen, um einevernünftige Entscheidung für die Zukunft treffen zu kön-nen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben als Ko-alition klare Ziele: mehr Lebensqualität in Stadt undLand, in einer intakten Umgebung gut leben und bezahl-bar wohnen können. Dafür wollen wir auch im Sinnekommender Generationen arbeiten. Es ist schön, dasswir heutzutage alle älter werden können. Wir wollen al-les dafür tun, dass wir auch gesund älter werden können.
Sehr geehrter Kollege Möring, das war Ihre erste
Rede hier im Deutschen Bundestag. Im Namen der Kol-
leginnen und Kollegen gratuliere ich Ihnen dazu und
wünsche auch Ihnen viele weitere Beiträge hier im Ho-
hen Hause.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. André
Berghegger für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! LassenSie mich mit etwas beginnen, von dem ich nicht weiß– das sage ich mit einem Augenzwinkern –, ob es heuteschon erwähnt worden ist. Als Haushälter möchte undwerde ich dieses Thema natürlich ansprechen: Wir ha-ben eine besondere Situation – das erste Mal seit 1969legen wir einen ausgeglichenen Haushalt vor, ohne Auf-nahme neuer Schulden. Ich denke, das kann nicht oft ge-nug erwähnt werden.
Das hat für uns natürlich einen hohen Wert und oberstePriorität, und wir werden das in Zukunft verstetigen.Frau Bluhm – Sie haben das im Vorfeld in der Presseund vorhin auch in Ihrer Rede erwähnt –, Sie fordernsinngemäß für diesen Etat mehr Taten statt Ankündigun-gen. So weit, so gut – aber dann hört die Zustimmungauch auf. Ich denke, dieser Haushalt liefert viele Be-weise dafür, dass auch gehandelt wird, dass aktiv gestal-tet wird. Ich denke, das ist gut so. Ich bin der Bundes-regierung und der Ministerin dankbar dafür, dass erstnachgedacht, dann angekündigt und dann gehandeltwird.
Ich möchte mich in meinem Beitrag auf den Woh-nungs- und Baubereich beziehen, mit knapp 60 Prozentdes Ausgabevolumens der größte Bereich dieses Etats.Aber der Haushalt an sich ist kein Selbstzweck, sonderner soll – das haben wir auch schon gehört – ein Stückweit Antworten auf gesellschaftspolitische Fragen lie-fern.Eine wesentliche Beobachtung machen wir zurzeit imBau- und Wohnungsbereich: Es gibt eine erheblicheBinnenwirkung in Deutschland. Einerseits gibt es einengroßen Zuzug in den Ballungsgebieten und Universitäts-städten; der Wohnraum wird knapp und damit teurer.Andererseits gibt es Gebiete, in denen Leerstände entste-hen, insbesondere im ländlichen Bereich. Aber summasummarum kann man, glaube ich, sagen: Es fehlen min-destens 250 000 Wohnungen pro Jahr.Allein an dieser Beschreibung sieht man ja: Es wirdin dieser Situation keine einheitliche, einseitige odereinfache Lösung geben, sondern es sind verschiedeneAkteure und Maßnahmen für die verschiedensten Kon-stellationen gefragt.Die Kommunen beispielsweise müssen sich anstren-gen und weiter Bauland ausweisen. Die privaten Inves-toren aus der Bau- und Wohnungswirtschaft müssen sichim Neubau von Wohnungen engagieren.Auch der Bund engagiert sich an verschiedenstenStellen. Als Erstes möchte ich das mehrfach genannteWohngeld erwähnen. Es dient der Unterstützung ein-kommensschwacher Haushalte und ist ein Zuschuss zuden Wohnkosten. 130 Millionen Euro zusätzlich werdenals Zuschuss zur Miete oder für selbst genutzten Wohn-raum zur Seite gestellt. Bund und Länder teilen sichdiese Ausgaben je zur Hälfte.Mit der angekündigten Wohngeldreform werden dieregional gestaffelten Miethöchstbeträge, die Anpassungan aktuelle Mieten und an die Einkommensentwicklungund die erwähnte Heizkostenkomponente umgesetzt.Dadurch wird die Zahl der Empfängerhaushalte für dieseLeistungen nach der sinkenden Zahl in den letzten Jah-ren wieder auf über 900 000 steigen. Insgesamt werdenrund 1,8 Millionen Menschen von dieser Leistung profi-tieren. Ich denke, das ist eine starke Leistung, auf dieman auch immer wieder hinweisen kann.
Metadaten/Kopzeile:
4786 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Dr. André Berghegger
(C)
(B)
An Sie gerichtet, Herr Kühn, möchte ich noch dieFinanzierung erklären. Sie haben das vorhin etwasverdreht bzw. nicht ganz verstanden. Wenn wir dieWohngeldreform nicht durchführen würden, dann würdedie Zahlungsleistung des Bundes auf ungefähr 400 Mil-lionen Euro im Jahr sinken. Durch das Aufstocken von500 Millionen auf 630 Millionen Euro haben wir also230 Millionen Euro für die Wohngeldreform zur Verfü-gung. Ich würde das als solide Finanzierung beschrei-ben. Über das Gesetz werden wir noch in Ruhe diskutie-ren.
Der zweite Bereich sind die Wohnungsbauprämien.Der Bund fördert damit das Bausparen bis zu bestimm-ten Einkommenshöhen. Es soll ein Anreiz gesetztwerden, um Eigentum zu schaffen, zu erwerben und zuerhalten. Das hat auch etwas mit Altersvorsorge zu tun.Die Erhöhung um 43 Millionen Euro wurde bereitsangesprochen. Diese Leistung wird ausschließlich vomBund getragen. Sie wird nicht in dem Sinne beschlossenoder prognostiziert; sie kann vielmehr anhand der ge-schlossenen Altverträge konkret berechnet werden, undzwar jeweils sieben Jahre nach Vertragsabschluss.Der dritte Bereich ist die Finanzierung der sozialenWohnraumförderung. Auch das haben wir schon mehr-fach gehört. Sie dient der Bereitstellung von Wohnraumfür Menschen mit geringeren Einkommen. Hierzu gibtes jedoch eine Vereinbarung zwischen Bund und Län-dern. Bis 2006 hat der Bund jährlich Finanzhilfen zumZweck der sozialen Wohnraumförderung bereitgestellt.Mit der Föderalismusreform wurde die Zuständigkeitkomplett auf die Länder übertragen, und als Kompen-sation für den Wegfall dieser ständigen Zahlungenwurden 518 Millionen Euro vereinbart, die vom Bundjährlich bis 2019 an die Länder überwiesen werden.Angesichts dieser beschriebenen Entwicklung im ho-hen Bereich schließe ich mich dem Gedanken an, denKai Wegner vorhin geäußert hat. Ich wünsche, dass dieLänder die zugesagten Zahlungen im Sinne der sozialenWohnraumförderung einsetzen, auch wenn es die ur-sprünglich beschriebene Zweckbindung nicht mehr gibt.Aber wenn wir alle gemeinsam an einem Strang ziehenund nicht immer nur nach fremder Hilfe rufen, dannkönnen wir, glaube ich, diese Aufgabe gemeinsam lösen.
Der vierte Bereich ist die Städtebauförderung. Sie istdie zentrale Säule der Stadtentwicklungspolitik des Bun-des. Es ist eine bewährte Leistung im Zusammenspielvon Bund, Ländern und Gemeinden. Man kann sagen:Es ist ein Konjunkturprogramm par excellence. Wirhaben gerade gehört, dass die Hebelwirkung das Sieben-bis Achtfache beträgt. Wir steigern die Attraktivität vorOrt oder lösen Probleme, wenn die betroffenen Kommu-nen oder Beteiligten diese Probleme in den einzelnenLagen bzw. in bestimmten Quartieren nicht selbst stem-men können.Gerade aus meiner Heimatregion kann ich berichten:Vor wenigen Tagen wurden zwei Städte und Gemeindenin das Städtebauprogramm 2014 aufgenommen, unter an-derem meine Heimatstadt Melle im Landkreis Osnabrückin das Programm „Stadtumbau West“. 500 000 Euro wur-den für ein Projekt bewilligt, zu dem ich alle nur be-glückwünschen kann. Ich freue mich darüber, weil dasQuartier, eine Industriebrache, ein Projekt ist, das nie-mand alleine hätte anpacken können. Die Akteure wir-ken jetzt zusammen. Jetzt erfolgt ein Rückbau, und esentstehen eine verdichtete Bebauung und ein Zusam-menspiel zwischen Wohnen, Handel, Handwerk undDienstleistungen. Es ist ein tolles Projekt, und sicherlichauch dank dieser Unterstützung und Leistungen desBundes.
– Genau. Das Quartier wird aufgewertet.Die Bedeutung dieser Maßnahme erkennen wir aucham Koalitionsvertrag. Dort ist dieser Bereich als priori-täre Maßnahme ausgewiesen.Die Städtebauförderungsmittel sind erhöht wordenauf die angesprochenen 700 Millionen Euro im Jahr,650 Millionen Euro für die bekannten und bewährtenProgramme sowie 50 Millionen Euro für das bundes-unmittelbare Programm „Nationale Projekte des Städte-baus“. Ziel dieses Programms soll es sein – das sagtschon der Name –, nationale Wahrnehmbarkeit undQualität zu fördern. Erstmalig werden Schwerpunkte indiesem Bereich bei Denkmalensembles mit nationalemRang und baulichen Kulturgütern von besonderem Wertgesetzt. Hierfür hat die Bundesministerin einenProjektaufruf gestartet. Bis zum 22. September könnenKommunen Vorschläge unterbreiten. An dieser Stelle– wo bietet es sich besser an? – schließe ich mich diesemAufruf an die Kommunen an: Liebe Kommunen, ma-chen Sie Vorschläge! – Es geht um 50 Millionen Euround eine relativ geringe Kofinanzierung. Ich denke, dasHaus wird jeden Antrag zur Bearbeitung gerne entge-gennehmen.
Schließen möchte ich wieder mit Frau Bluhm. Wieangekündigt, gibt dieser Haushalt viele Beispiele dafür,dass gehandelt und nicht nur angekündigt wird. Er bieteteine tolle Grundlage für den Bereich Bau- und Woh-nungswirtschaft. Wir bringen diesen Bereich ein gutesStück voran. Lieber Steffen Kampeter, vielen Dank fürdie tolle Vorarbeit an das Bundesfinanzministerium. Ichfreue mich auf die anstehenden Beratungen.Vielen Dank für das freundliche Zuhören.
Abschließender Redner in dieser Aussprache ist derKollege Christian Hirte, dem ich für die CDU/CSU jetztdas Wort erteile.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014 4787
Vizepräsident Johannes Singhammer
(C)
(B)
Was lange währt, wird manchmal gut. Sehr geehrterHerr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Damit meine ich nichtnur unsere heutige Debatte, sondern auch den Haushaltfür das kommende Jahr.
Nach 46 Jahren gelingt es endlich wieder, einen Haus-halt aufzustellen, der ohne neue Schulden auskommt.
– Ja, Sie mögen das jetzt wissen. Aber in Anbetracht derhistorischen Dimension müssen wir es ständig wiederho-len.
Unsere Kanzlerin Angela Merkel hat dabei deutlichgemacht: Sparen ist kein Selbstzweck. Wir haben diePflicht zum Haushaltsausgleich, weil wir unser Gemein-wesen dauerhaft nicht anders finanzieren und unsereAufgaben nicht wahrnehmen können. Dies war im Übri-gen schon der letzten Großen Koalition bewusst, als wirgemeinsam 2009 die Schuldenbremse verabschiedethaben. Heute können wir in konsequenter Fortentwick-lung die Früchte ernten. Insbesondere an die Adresse derBaupolitiker darf ich ganz klar sagen: Eine Konsequenzdieser guten Haushaltspolitik ist natürlich auch unserherausragendes Zinsniveau, das wohl mit Abstand daserfolgreichste Baukonjunkturprogramm in den letztenJahrzehnten darstellt.
Die eigentliche Herausforderung ist daher, in denkommenden Jahren die „schwarze Null“ aufrechtzuer-halten und den ausgeglichenen Haushalt zu verstetigen.Dazu haben wir uns im Koalitionsvertrag einhelligverständigt. Dass nachhaltig ausgeglichene Haushaltelängerfristig erreichbar sind, haben uns schon einigeBundesländer vorgemacht, zum Beispiel mein Heimat-land, der Freistaat Thüringen.
Dort hat schon die Regierung Althaus ausgeglicheneHaushalte vorgelegt. Obwohl die Regierung Lieberknechtund unsere neuen Freunde von der SPD in der Anfangs-phase mehrere Aufgaben zu bewältigen hatten und Schul-den machen mussten, ist es im Laufe der fünf Jahre gelun-gen, nicht nur die Schuldenaufnahme zurückzuführen,sondern die zunächst aufgenommenen Schulden komplettzurückzuzahlen.
Daran sieht man, dass wir für gutes Haushalten stehenund dass die von Christine Lieberknecht geführte Regie-rung ohne großes Tamtam und mit Augenmaß ihre Haus-aufgaben gemacht hat.
Die Anmerkung sei mir mit Blick auf den kommendenWahlsonntag noch gestattet: Ich denke, wir in Thüringensollten lieber den eingeschlagenen Weg beibehalten, stattpostsozialistische Experimente mit ungewissem Aus-gang zu starten.
Nun zur Umweltpolitik im Einzelplan 16. Auch imUmweltbereich gehen wir einer unserer Prioritäten-setzungen in besonderer Weise nach. Im Umweltbereichsteigern wir die Ausgaben für die Forschung. Ein Sor-genkind im Umweltbereich bleibt die Endlagerung. Bis-her sieht die Ausgabenplanung für die Endlagerung ra-dioaktiver Abfälle Kosten in Höhe von 436 MillionenEuro für das Jahr 2015 vor. Wir müssen uns dabei abervor Augen halten, dass es sich hierbei um eine grobeSchätzung handelt. Möglicherweise werden die Kosten,jedenfalls in den kommenden Jahren, immer wieder ei-nen unsicheren Faktor darstellen. Dieses Thema wirduns daher in den nächsten Jahren erhalten bleiben.Über den internationalen Klimaschutz ist heuteAbend schon reichlich diskutiert worden. Ich finde, zuUnrecht sind unsere Ministerin und das Haus kritisiertworden. Nachdem der Kollege Lemme von der SPDseine Ministerin nicht ganz so sehr verteidigt hat, willich das gerne nachholen; denn ich denke, dass uns einguter Haushalt vorgelegt worden ist. Ja, es stimmt: ImEinzelplan 16 wurde beim Titel „Internationaler Klima-schutz“ um 46 Millionen Euro gekürzt.Aber internationaler Klimaschutz geht nicht nur vondieser einen Stelle des Bundeshaushaltes aus. Es gibtauch den Energie- und Klimafonds. Der Bundesanteildaran wird im nächsten Jahr erheblich aufgestockt. Wirrechnen damit, dass endlich wieder höhere Erlöse ausdem Handel mit CO2-Zertifikaten erzielt werden unddass für den Energie- und Klimafonds insgesamt gut90 Millionen Euro mehr zur Verfügung stehen. DieseMittel werden später natürlich auch für klimarelevanteInvestitionen bereitstehen.Auch in anderen Haushalten spielt das Thema Klima-schutz eine Rolle. Allein im Haushalt des BMZ werdendafür im Jahr 2015 weitere 175 Millionen Euro zur Ver-fügung gestellt. Von nachlassendem Engagement beimKlimaschutz kann überhaupt keine Rede sein. Ich habefestes Vertrauen darauf, dass die BundesministerinHendricks dieses Thema mit Verve verfolgt und zu gutenErgebnissen kommt.
Metadaten/Kopzeile:
4788 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. September 2014
Christian Hirte
(C)
(B)
Die chronische Unterfinanzierung des EKF zwingtuns gleichwohl, über die Ausgestaltung dieses Fondsnoch einmal ernsthaft nachzudenken. Wir alle, die wiruns mit diesem Thema intensiver beschäftigen, sehen,dass wir erhebliche Probleme, insbesondere mit der Fi-nanzierung, haben. Dies ist ein Thema, dessen wirHaushälter uns – auch aufgrund von Anregungen desBundesrechnungshofes – noch einmal intensiv anneh-men sollten.Lassen Sie mich zu einem weiteren Punkt kommen.Neu im Haushalt ist ein Programm zur Klimaneutralisie-rung von Dienstreisen der Bundesregierung. Dafür sind2 Millionen Euro vorgesehen. Damit sollen die durchDienstfahrten und Flüge anfallenden Treibhausgasemis-sionen ausgeglichen werden. Dazu soll quasi mit einerSpende zugunsten eines internationalen Klimaschutzpro-jektes in Höhe vergleichbarer CO2-Zertifikate das ge-plagte Gewissen unserer Minister und unserer Staatsse-kretärsriege erleichtert werden.Ich will ehrlich zugeben, dass ich mit diesem Pro-gramm noch etwas Probleme habe. Das liegt zum einendaran, dass dieses Programm anders als andere Themenim Koalitionsvertrag nicht als Maßnahme vorgesehenist. Wir haben vorhin schon das Thema Rußpartikelfilterangesprochen. Die Klimaneutralisierung von Dienstrei-sen gehörte nicht dazu. Ich gebe auch ehrlich zu, dass ichnoch etwas überzeugt werden muss,
wie wir mit diesem Thema insgesamt umgehen. Als Ab-geordneter, in dessen Wahlkreis der Luther-StammortMöhra und die Wartburg bei Eisenach liegen, beschäftigtman sich gelegentlich natürlich mit Martin Luther undmit dem, was um ihn herum damals geschah. Deswegenkommt mir eine sogenannte Klimaneutralisierung einkleines bisschen wie ein spätmittelalterlicher Ablasshan-del vor,
mit dem kleinen Unterschied, dass
der klimapolitische Sünder Bundesregierung seine Bußeeinem Dritten, nämlich dem Steuerzahler, überwälzt unddass damit möglicherweise nicht ganz der Punkt getrof-fen wird, um am Ende Vergebung zu erlangen.Ich würde also eher dafür plädieren, die Mittel für dennationalen Klimaschutz unangetastet zu lassen und zuschauen, wie wir mit dem Geld weiter vernünftig umge-hen. Das ist vernünftig, weil Sie, Frau MinisterinHendricks, dann nicht Malaysia zur Kontrolle einer dortfinanzierten Biogasanlage besuchen müssten; stattdessenkönnten Sie in meinen Wahlkreis kommen.
Das wäre viel klimafreundlicher. Sie könnten sich dortzum Beispiel darüber informieren, wie sich ein Rotmi-lanprojekt entwickelt. Ich glaube, das wäre für alle Be-teiligten angenehmer. Für mich wäre es das auf jedenFall.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Mit diesen theologischen Bemerkungen sind wir zum
Schluss unserer heutigen Tagesordnung gelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 12. September 2014,
9 Uhr, ein.
Ich schließe hiermit die Sitzung.