Protokoll:
17004

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 4

  • date_rangeDatum: 11. November 2009

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:10 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/4 Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Folgen der Krise für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ab- mildern – ALG I befristet auf 24 Monate verlängern (Drucksache 17/22) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Diana Golze, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abge- Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marie-Luise Dött (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . 179 C 147 A 150 B 151 B 152 D 153 D 155 C 157 A 157 D 158 D 160 A Deutscher B Stenografisc 4. Sitz Berlin, Mittwoch, den I n h a Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der Aussprache zur Regierungs- erklärung der Bundeskanzlerin . . . . . . . . . Arbeit und Soziales in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Förderung der Altersteilzeit durch die Bundesagentur für Arbeit fortführen (Drucksache 17/21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit 127 A 179 B ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Anhe- bung und bedarfsgerechte Ermittlung der Kinderregelsätze (Drucksache 17/23) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 C undestag her Bericht ung 11. November 2009 l t : Rainer Brüderle, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hermann Otto Solms (FDP) . . . . . . . . . . . Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 B 129 A 133 B 136 A 137 B 139 D 141 A 142 A 144 B 145 D Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 A 161 D II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. November 2009 Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . . Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Götz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . . Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Olaf Scholz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Olaf Scholz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD) . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . 163 B 165 D 167 A 169 C 170 D 172 C 174 A 175 C 176 C 178 A 179 C 181 C 183 D 186 B 187 C 189 B 189 D 190 D 192 C 194 D 196 A 197 A 198 A 198 D 199 B 200 A 202 C 204 C 206 A 206 C 207 D 209 A 209 D Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD) . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . Olaf Scholz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Raju Sharma (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Ahrendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) . . . . . . Jens Petermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Daniela Raab (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kretschmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . . Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Singhammer (CDU/CSU) . . . . . . . 210 D 212 B 213 B 214 B 215 A 216 C 217 D 219 C 221 D 225 B 226 A 227 D 228 C 230 D 232 B 233 B 234 D 235 D 238 A 240 B 241 D 243 D 245 C 247 B 249 A 250 B 251 B 253 B 254 D 256 C 258 D 260 C 262 C 263 D 265 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. November 2009 III Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michaela Noll (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 266 C 267 A 268 B 269 D 271 A/C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. November 2009 127 (A) (C) (B) (D) 4. Sitz Berlin, Mittwoch, den Beginn: 9
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. November 2009 271 (A) (C)Anlage zum Stenografischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Glos, Michael CDU/CSU 11.11.2009 Lafontaine, Oskar DIE LINKE 11.11.2009 Mattheis, Hilde SPD 11.11.2009 Özoğuz, Aydan SPD 11.11.2009 Dr. Westerwelle, Guido FDP 11.11.2009 Zapf, Uta SPD 11.11.2009 (D) (B) 4. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 11. November 2009 Inhalt: Redetext Anlage zum Stenografischen Bericht Anlage
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1700400000

Die Sitzung ist eröffnet.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich zur Fortsetzung der Aussprache zur
Regierungserklärung der Bundeskanzlerin und rufe
Tagesordnungspunkt 1 auf:

Regierungserklärung der Bundeskanzlerin
mit anschließender Aussprache

Ich darf Sie daran erinnern, dass wir gestern für die
heutige Aussprache zehneinviertel Stunden beschlossen
haben – mit einer Vereinbarung über die Reihenfolge der
Fachbereiche, die ich als bekannt voraussetze. Wir be-
ginnen mit dem Bereich Wirtschaft und Technologie.

Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Wirt-
schaft und Technologie, dem Kollegen Brüderle.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wahl-
kampf und Regierungsbildung liegen hinter uns.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rede Ihr streitet doch immer noch!)


Schauen wir nach vorn, machen wir uns an die Arbeit.
Ein Weiter-so darf es nicht geben.

An die neuen Aufgaben können wir mit Optimismus
und Zuversicht gehen; dazu gibt es allen Grund. Die
Auftragsbücher der Industrieunternehmen füllen sich
wieder. Auch die Exporte legen zu. Die Weltwirtschaft
wird nach Aussagen des IWF im nächsten Jahr um mehr
als 3 Prozent wachsen. Davon wird Deutschland profi-
tieren. Zugleich hat sich der Arbeitsmarkt als wider-
standsfähiger erwiesen, als es zu befürchten war.

Aber ich kann keine Entwarnung geben. Die schwerste
Finanz- und Wirtschaftskrise seit der Nach
noch nicht überwunden. Deshalb geht es jetz
die Weichen von der Politik neu gestellt w
von der Krisenbewältigung der letzten Zeit m
wendigen Feuerwehreinsätzen hin zu einer Politik, die
ung

11. November 2009

.00 Uhr

das Wachstum nachhaltig stärkt. Wir müssen die Wachs-
tumskräfte fördern.

Schlüssel dafür ist die Steuerpolitik. Mit ihr können
wir die Motivation und Leistungsbereitschaft der Bürge-
rinnen und Bürger stärken und zusätzliche Nachfrageim-
pulse auf den Weg bringen. Das ist unerlässlich, um
Wohlstand und Arbeitsplätze zu erhalten und neu zu
schaffen. Deshalb ist das Wachstumsbeschleunigungsge-
setz so wichtig. Es heißt nicht nur so, es wirkt auch so.
Es beschleunigt das Wachstum.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Für mich ist der zentrale Punkt: Das Gesetz entlastet
die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo denn?)


Es hilft Familien mit Kindern, und es trägt zur Stärkung
der Konjunktur bei. Es ist sozial sensibel und konjunk-
turpolitisch absolut richtig.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Klientelpolitik!)


Wir beseitigen die gröbsten Schnitzer der letzten Unter-
nehmensteuerreform; ich nenne die Stichworte: Zins-
schranke bzw. Hinzurechnungen bei der Gewerbesteuer.

text
Das ist eine Kehrtwende. Die Besteuerung der Unterneh-
menssubstanz wird deutlich entschärft. Eine Besteuerung
von Gewinnen versteht man. Aber eine Besteuerung der
Unternehmenssubstanz ohne Gewinn kann keiner nach-
vollziehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die Erbschaftsteuer wird mittelstandsfreundlich ver-
ändert. Außerdem werden Geschwister steuerrechtlich
nicht mehr wie Fremde behandelt. Das ist notwendig zur
Erhaltung der Betriebe, insbesondere bei Personenge-
sellschaften, und eine Frage nicht nur des mittelstands-
freundlichen Klimas, sondern auch der Achtung des Ver-

igentums.

lem entlasten wir die Bürger und Unterneh-
21 Milliarden Euro.
kriegszeit ist
t darum, dass
erden – weg
it ihren not-

mögens und E

Alles in al
men um rund

(Elke Ferner [SPD]: Auf Pump!)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Rainer Brüderle
Das sind 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts; das ist
eine konjunkturwirksame Größe.


(Thomas Oppermann [SPD]: Das hat überwiegend die alte Regierung gemacht!)


Die Deutsche Bank hat gestern eine Berechnung vorge-
legt, dass dies einen zusätzlichen Wachstumsimpuls von
einem halben Prozent bringen kann.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für so viel Schulden?)


Wir rücken den Mittelstand in den Mittelpunkt unse-
rer Wirtschaftspolitik. Wir stärken ihn, wir entlasten ihn.
Vordringlich ist die Verbesserung der Finanzierungsbe-
dingungen für die Unternehmen. Sie brauchen Kredite
für Investitionen und Innovationen sowie zur Sicherung
von Arbeitsplätzen. Dabei sind zunächst die Banken ge-
fragt. Etliche Banken haben nach dem Staat gerufen, um
Konsolidierungshilfen einzufordern. Für mich ist völlig
klar: Wer Steuergelder zur Bilanzbereinigung entgegen-
nimmt, muss auch seiner Verantwortung bei der Kredit-
vergabe nachkommen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie stellen Sie das sicher?)


Die Bundeskanzlerin hat gestern zu Recht von der
Gefahr einer Kreditklemme gesprochen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso Gefahr? Die gibt es!)


Wir haben im Koalitionsvertrag Maßnahmen gegen eine
solche gefährliche Entwicklung vereinbart, damit die
Konjunkturpflänzchen sich entwickeln und entfalten
können. Wir werden einen Kreditmediator einrichten.
Frankreich hat mit einer solchen Institution die gute Er-
fahrung gemacht, dass konkrete Probleme im Dialog mit
den Banken bereinigt werden.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist der Deutschlandplan der SPD! Gute Idee!)


Der Deutschlandfonds muss noch stärker auf den Mit-
telstand zugeschnitten werden. Ein Weg kann sein, sich
das Zusageverhalten der beteiligten Banken genauer an-
zuschauen. Unternehmen mit vertretbaren Risiken müs-
sen auch Zugang zu den Finanzierungen durch den
Fonds bekommen. Wir werden die Kreditanstalt für Wie-
deraufbau in ihrer Funktion als Mittelstandsbank stär-
ken. Aber eines muss auch klar sein, meine Damen und
Herren: Die Krise bewältigen können nur die Unterneh-
men selbst.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Sie können auch etwas dazu beitragen!)


Wir treten für eine Wiederbelebung, eine Renaissance
der sozialen Marktwirtschaft ein.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Elke Ferner [SPD]: Ach! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Liegt sie im Koma?)

Nur die Wirtschaftskrise hat die massiven Beteiligungen
und Unterstützungen des Staates bei Banken und Unter-
nehmen gerechtfertigt. Nun muss die Wirtschaft wieder
in die geordneten Bahnen der sozialen Marktwirtschaft
zurückgeführt werden. Freiheit und Verantwortung müs-
sen wieder stärker gelten. Wer die Gewinne macht, muss
auch die Verluste tragen. Der Staat muss sich Zug um
Zug aus der fiskalpolitischen Konjunkturstützung zu-
rückziehen, und die verstärkte Haushaltskonsolidierung
muss dann wieder greifen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Lächerlich!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1700400100

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie:

Nein, ich möchte meine Gedanken im Zusammen-
hang ausdrücken.

Die Hängepartie bei Opel ist dabei eine Warnung.
Viel zu lange wurden nötige Entscheidungen hinausge-
zögert.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, von Guttenberg!)


Viel zu lange ist bereits Geld verbrannt worden. Der Ball
liegt jetzt bei General Motors und nicht in Berlin.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber sprechen Sie mal mit Herrn Hahn!)


Als Bundeswirtschaftsminister geht es mir um eine
volkswirtschaftliche Gesamtschau. Die Automobilindus-
trie, diese Kernbranche Deutschlands, zeigt ihr Poten-
zial an vielen Standorten, zum Beispiel in Ingolstadt,
Wolfsburg, Leipzig und Sindelfingen und nicht nur an
den aktuell diskutierten Standorten in Deutschland.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was heißt das denn? – Thomas Oppermann [SPD]: Aber dort doch auch, oder?)


Die Automobilindustrie in Deutschland braucht Per-
spektiven für eine gute Zukunft. Das geht nur mit Inno-
vationen. Ich nenne den Bereich neue Antriebe: Elektro-
mobilität kann das Megathema des nächsten Jahrzehnts
werden.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guten Morgen, Herr Brüderle!)


Elektromobilität ist die Chance für Klimaschutz und
Fahrkomfort. Hier liegt ein weites Feld für Innovationen,
Investitionen und neue Arbeitsplätze.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Nachholaktion!)


Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, mit den
aufgezeigten Instrumenten und entschlossenem Handeln
werden wir es schaffen, Deutschland erfolgreich in das
neue Jahrzehnt zu führen. Dazu brauchen wir Energie-
politik aus einem Guss. Es geht um eine sichere Versor-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Rainer Brüderle
gung für unser Industrieland. Zudem brauchen wir wett-
bewerbsfähige Energiepreise. Vor uns steht – last, but
not least – die große Menschheitsaufgabe des Klima-
schutzes. An diesen wichtigen Herausforderungen wer-
den wir arbeiten, und dafür bitte ich Sie um Ihre Unter-
stützung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sehnt man sich nach dem Weinfest von Rüdesheim zurück! – Elke Ferner [SPD]: Ist dem Brüderle die Luft ausgegangen?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1700400200

Das Wort hat nun der Kollege Hubertus Heil für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür brauchst du keine 21 Minuten!)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1700400300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge-

ehrter Herr Brüderle!


(Zurufe von der FDP)


– Ganz locker bleiben.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein bisschen überrascht, oder?)


– Ich bin wirklich etwas überrascht davon, dass das die
Rede des Bundeswirtschaftsministers gewesen sein soll.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Brüderle, es ist wohl nicht ganz leicht, von Dampf-
plauderei in der Opposition auf eine staatstragende Rede
umzuschalten.


(Zurufe von der FDP: Oh! – Otto Fricke [FDP]: Das könnte umgekehrt noch schwerer werden!)


Es war eine Aneinanderreihung von Allgemeinplätzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Gleichwohl möchte ich Ihnen, Herr Brüderle, auch im
Namen meiner Fraktion zur Ernennung herzlich gratulie-
ren. Ich wünsche Ihnen im Interesse unseres Landes,
dass Sie eine glückliche Hand haben. Ich sage es ganz
offen: Die wirtschaftliche Lage in diesem Land ist viel
zu ernst, als dass man Ihnen das nicht wünschen sollte.
Gleichwohl sind Zweifel berechtigt. Ich komme gleich
darauf zu sprechen.

Vorweg muss man sich vergegenwärtigen, wo wir in
Deutschland volkswirtschaftlich stehen. Deutschland
steht in der derzeit größten Wirtschaftskrise seit Beste-
hen der Bundesrepublik Deutschland besser da als an-
dere europäische Länder. Das ist auch ein Verdienst der
Großen Koalition, die dieses Land erfolgreich durch tur-
bulente Zeiten geführt hat. Es ist auch der Verdienst ei-
ner Vorgängerregierung, nämlich der rot-grünen Koali-
tion. Man stelle sich einmal vor, wir wären ohne die
Reformpolitik der rot-grünen Koalition in die Weltwirt-
schaftskrise geschlittert. Deutschland stünde schlechter
da.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/ CSU]: Sie wollen sie zurückführen!)


Meine Damen und Herren von der Union, Sie glauben
doch nicht ernsthaft, dass die Erfolge der Jahre 2005 bis
2008 irgendetwas mit dem segensreichen Wirken von
Michael Glos zu tun haben und nichts mit der Arbeit von
Gerhard Schröder und Franz Müntefering.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es war die Politik der Großen Koalition, die durch
richtiges Handeln in der Krise dafür gesorgt hat, dass die
Kreditversorgung der deutschen Wirtschaft nicht zusam-
mengebrochen ist. Es war die Politik, die mitgeholfen
hat, die Konjunktur zu stabilisieren, Anreize für Investi-
tionen zu geben und Arbeitsplätze zu sichern. Für meine
Fraktion stelle ich voller Stolz fest: Es waren Sozialde-
mokraten, die die Konjunkturpakete maßgeblich entwi-
ckelt und durchgesetzt haben.


(Beifall bei der SPD)


Unsere erfolgreichen Konjunkturmaßnahmen wer-
den weltweit kopiert: von der Abwrackprämie beispiels-
weise in den USA bis hin zu den Regelungen zur Kurz-
arbeit. Ich sage, es ist gut – wir haben es gefordert –,
dass der neue Arbeitsminister die Regelung zur Kurzar-
beit verlängert. Erfunden hat sie Olaf Scholz. Sie hilft
Hunderttausenden von Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern in Deutschland, in Beschäftigung zu bleiben.
Es hilft den Unternehmen, durch die Krise zu kommen.
Das ist unsere Politik. Wenn Sie die fortsetzen, dann ha-
ben Sie unsere Unterstützung.


(Beifall bei der SPD)


Unsere Politik hat dazu geführt, dass die Binnennach-
frage trotz der Weltwirtschaftskrise außerordentlich stabil
geblieben ist und dass die Auswirkungen auf den Arbeits-
markt trotz der Einbrüche, die wir als Exportweltmeister
zu erleben hatten, weniger massiv sind als bei anderen.
Wir können mit Fug und Recht behaupten, dass das die
Handschrift von Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück
und Olaf Scholz ist.

Aber ich sage auch, Herr Brüderle: Die Aufgabe der
neuen Bundesregierung ist es, das einzulösen, was ges-
tern von Frau Bundeskanzlerin Merkel und heute auch
von Ihnen in pathetischen Sätzen formuliert wurde:
Deutschland gestärkt aus dieser Krise zu führen.

Meine guten Wünsche haben Sie bekommen. Aber
ich stelle fest: Es gibt berechtigten Zweifel. Übrigens
glaubt auch die Mehrheit Ihrer Anhänger nicht, dass Sie
als Bundeswirtschaftsminister in der Lage sind, dazu ei-
nen vernünftigen Beitrag zu leisten. Wenn ich mir die
Koalitionsvereinbarung durchlese oder Ihre Rede heute






(A) (C)



(B) (D)


Hubertus Heil (Peine)

höre, dann kann ich nur sagen: Der Zweifel an dieser
Stelle ist berechtigt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir uns den Koalitionsvertrag genauer anschauen,
wird eines klar – übrigens auch durch Ihre Rede, Herr
Brüderle –: Schwarz-Gelb fehlt ein klares Konzept für
die Wirtschaftspolitik in Deutschland. Sie sind nicht in
der Lage, die zentralen Fragen unserer Volkswirtschaft
konzeptionell hinreichend zu beantworten.


(Beifall der Abg. Christel Humme [SPD])


Die erste Frage ist: Wie schaffen wir nachhaltiges
Wachstum und gute Arbeit? Dazu kann ich nur sagen:
Fehlanzeige. Die zweite Frage lautet: Wie erneuern wir
unsere industrielle Basis und erschließen neue Poten-
ziale für Dienstleistungen in Deutschland? Auch dazu
nur Allgemeinplätzchen. Wie nutzen wir die Chancen
neuer Technologien? Auch dazu Fehlanzeige. Wie sieht
ein Energiekonzept der Zukunft aus? Dazu haben Sie
keinen Satz gesagt. Vor ein paar Tagen haben Sie noch
gesagt, Sie seien Energieminister. Das habe ich in der
FAZ gelesen. Sie haben hier keinen Satz zur Energiepoli-
tik gesagt. Die entscheidende Frage aber ist: Wie gestal-
ten wir die Wirtschaftspolitik in der Konsequenz der
Wirtschaftskrise? Investitionen müssen Vorrang vor
kurzfristigen Spekulationen haben, um Deutschland
langfristig erfolgreich zu halten. Kein Satz dazu.


(Beifall bei der SPD)


Herr Brüderle, die Süddeutsche Zeitung hat über Ihren
Koalitionsvertrag geschrieben, das Werk sei eine Art
Roman mit Fehldruck. Immer wenn es spannend wird,
fehlt eine Seite. An diesen Stellen befinden sich Leersei-
ten. So liest sich auch der Teil über die Wirtschaftspoli-
tik im Koalitionsvertrag. Statt einer klaren Konzeption
finden sich auch da Prüfaufträge. Ich habe einmal ge-
zählt: 23 Prüfaufträge allein im Bereich Wirtschaft. Herr
Brüderle, heute bekommen Sie einen 24. dazu: Wir wer-
den prüfen, ob der Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie seinem Amt gewachsen ist. Das ist unser
Prüfauftrag, den Sie heute hören.


(Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Das ist aber eine kurze Prüfung, die mit Ja beantwortet wird!)


Herr Brüderle, Sie haben Ihr sogenanntes Wachs-
tumsbeschleunigungsgesetz angesprochen. Ich will
einmal die Aussage des DIW-Präsidenten, Klaus
Zimmermann, zum Koalitionsvertrag zitieren. Er hat ge-
sagt:

Insgesamt wirkt der Vertrag

– und damit auch diese Maßnahmen –

so, als sei es gegen alle ökonomische Realität vor
allem darum gegangen, Wahlversprechen zu halten.

Das ist keine Strategie für Wachstum. Das ist keine Kon-
junkturpolitik. Was soll das denn sein? Ein drittes Kon-
junkturpaket? Das ist es nicht. Das ist Klientelpolitik
ohne nachhaltige Wachstumsimpulse für dieses Land,
die jetzt notwendig wären.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Familien sind unsere Klientel und Ihre nicht! Das stimmt!)


Wir können uns das gerne einmal anschauen: Ihr ein-
faches Credo „Steuern runter macht Deutschland mun-
ter“ ist eine Form von Voodoo-Ökonomie, die mit den
volkswirtschaftlichen Bedürfnissen dieses Landes nichts
zu tun hat und mit den Notwendigkeiten auch nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir können uns die Maßnahmen ja einmal im Einzel-
nen anschauen: Ich räume ein, dass Steuersenkungen,
wenn sie richtig gemacht werden, per se die Binnen-
nachfrage stärken können. Aber die Frage ist, ob die
Steuersenkungen, die Sie vorschlagen, tatsächlich diesen
Effekt haben. Die Erhöhung des Kindergeldes kann
möglicherweise einen schwachen Wachstumsimpuls mit
sich bringen. Das Geld wird dann allerdings für andere
gesellschaftliche Aufgaben fehlen, beispielsweise für
den Ausbau der Kinderbetreuung. Die Erhöhung der
Kinderfreibeträge allerdings wird aufgrund der Progres-
sionsabhängigkeit nicht die Nachfrage stärken, sondern
die Sparquote in Deutschland erhöhen. Das ist kein Bei-
trag zu nachhaltigem Wachstum.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, das schönste Beispiel für Klientelpolitik in
diesem Wachstumsbeschleunigungsgesetzentwurf ist die
Reduzierung des Umsatzsteuersatzes für Hotelübernach-
tungen. Eine niedrige Mehrwertsteuer führt nicht zu ge-
ringeren Preisen und damit zu mehr Nachfrage. Der Ver-
such, mithilfe der Mehrwertsteuer die wirtschaftlichen
Probleme einzelner Branchen zu lösen, muss scheitern;
denn die Mehrwertsteuer ist nicht die Ursache strukturel-
ler Probleme der Branchen. Ich sage es einmal anders:
Herr Brüderle, glauben Sie ernsthaft, dass wir aufgrund
dieser Maßnahme einen Boom bei den Übernachtungen
in Deutschland haben werden, dass die Tourismusbran-
che aufgrund dieser Maßnahme boomen wird?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Rheinland-Pfalz!)


Das ist Klientelpolitik. Mit konzeptioneller Wirtschafts-
politik, mit Ordnungspolitik in der Tradition von Ludwig
Erhard und Karl Schiller hat das nichts zu tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben die Maßnahmen im Bereich der Unterneh-
mensbesteuerung angesprochen. Diese bedeuten vor al-
len Dingen für den Mittelstand keinen Wachstumseffekt.
Das sind eher Steuerschlupflöcher für Großkonzerne.
Man kann sagen: Sie machen bei den Steuerschlupf-
löchern die Scheunentore wieder auf, die die Große Ko-
alition gerade mit großer Mühe geschlossen hat. Das
sollte die Finanzpolitiker in der Union umtreiben. Der
arme Herr Kampeter, der neue Staatssekretär im Finanz-






(A) (C)



(B) (D)


Hubertus Heil (Peine)

ministerium, der so sehr gegen Steuerschlupflöcher ge-
kämpft hat, tut mir schon jetzt leid. Diese Steuerge-
schenke für Klientelgruppen sind nicht zielgerichtet, sie
leisten keinen Beitrag zur Stabilisierung des Konsums,
aber sie haben einen Effekt, der uns wirtschaftspolitisch
in die Knie zwingen wird: Sie schwächen die Nachfrage
der öffentlichen Hand von Bund, Ländern und Kommu-
nen; sie wird nachlassen. Es konterkariert die Effekte
des von der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD
gemeinsam beschlossenen kommunalen Investitionspro-
gramms. Was ist denn das für eine Politik, dass wir de-
nen in der Krise zu Recht Investitionsmittel an die Hand
geben und dann im Jahr danach und für Jahre danach
durch Ihre Steuerpolitik die Mittel für Investitionen in
die Infrastruktur seitens der öffentlichen Hand wieder
gekürzt werden? Das ist widersinnig und unsinnig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Brüderle, Ihr Lieblingswort in der letzten Legis-
laturperiode – oder sollte ich sagen: in gefühlten Tau-
send Jahren Opposition? – war „Mittelstand“. Nachdem
ich den Koalitionsvertrag gelesen habe und mir Ihre
Rede angehört habe, kann ich nur sagen: Allgemein-
plätzchen. Die kleinen und mittleren Unternehmen, die
für unsere Volkswirtschaft so wichtig und das Rückgrat
unserer Wirtschaft sind, haben von Ihren Sprüchen kon-
kret nichts.


(Otto Fricke [FDP]: Das war jetzt ein Allgemeinplatz!)


Ich will Ihnen drei praktische Beispiele nennen, wo
Sie an das anknüpfen können, was die Große Koalition
getan hat. Das betrifft zum Beispiel den Bürokratieab-
bau, den wir in vielen Bereichen vorangebracht haben.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Gebremst habt ihr!)


– Hören Sie einmal zu.

Bei einem werden wir gut aufpassen: Wenn Sie unter
der Chiffre des Bürokratieabbaus den Abbau von Arbeit-
nehmerrechten, Umweltstandards und Verbraucherstan-
dards verstehen, dann werden Sie zu Recht auf harte Op-
position in diesem Hause treffen; denn das ist kein
Bürokratieabbau.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das betrifft auch das Vergaberecht, um es deutlich zu sa-
gen.

Bei einem bin ich wirklich enttäuscht, Herr Brüderle;
da hatte ich – sogar auf die FDP – eine gewisse Hoffnung.
Sie haben im Bereich der Kreditklemme einiges aus dem
Deutschlandplan von Frank-Walter Steinmeier abgekup-
fert. Stichwort Kreditmediator: Die Formulierungen, die
Sie gebracht haben, sind dort wörtlich abgeschrieben. Dies
betrifft auch den Verweis auf Frankreich. An einer Stelle
hätte ich mir gewünscht, dass Sie auch da abschreiben:
beim Mittelstand und dem Thema der Tax Credits, der
steuerlichen Forschungsförderung. Wenn Sie für den
Erfolg von Investitionen und Innovationen bei kleinen und
mittleren Unternehmen etwas tun wollen, dann wäre ne-
ben der Projektförderung bei Forschung und Entwicklung
ein konkretes Konzept für steuerliche Förderung bei klei-
nen und mittleren Unternehmen ein konkreter Schritt ge-
wesen. Aber was steht dazu in Ihrem Programm? Prüfauf-
trag. Hier ist wieder einmal im Ergebnis Fehlanzeige. Das
ist keine Politik für den Mittelstand in Deutschland.


(Beifall bei der SPD)


Vor allen Dingen – auch das finde ich an Ihrer Rede
bemerkenswert – wenn es um die industrielle Basis un-
seres Landes geht, findet sich im Koalitionsvertrag außer
einem allgemeine Bekenntnis zum Industriestandort
Deutschland nicht einmal ansatzweise so etwas wie ein
industriepolitisches Konzept. Wir haben darauf gewar-
tet. Herr zu Guttenberg – er ist gerade nicht da – hat ja
vor der Wahl munter ein großes industriepolitisches
Konzept angekündigt, auf das man bis heute wartet.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Er ist da!)


In Ihrem Koalitionsvertrag steht nichts zu diesem Be-
reich. Damit verspielen Sie die Chancen Deutschlands,
auf den Leitmärkten der Zukunft erfolgreich zu sein.

Wenn man industriepolitisch keine Ahnung hat und
die Weichen nicht richtig stellt, dass Wirtschaft, Wissen-
schaft und Politik an einem Strang ziehen, damit die
deutsche Volkswirtschaft mit modernen Produkten, Ver-
fahren und Dienstleistungen auf den Märkten der Welt
erfolgreich sein kann, dann verspielt man die Chancen
unserer Volkswirtschaft. Ihr Fehler ist folgender: Sie se-
hen die Zukunft der Arbeit in Deutschland vor allen Din-
gen bei Billigjobs und nicht bei den besten Produkten,
Verfahren und Dienstleistungen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wer dies so sieht, hat weder von Wirtschaft noch von
den Bedürfnissen der Menschen in Deutschland Ah-
nung.


(Beifall bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Wer so etwas sagt, verkennt die Realitäten!)


Wo sind denn Ihre Konzepte für die Leitmärkte der
Zukunft, für den Bereich der erneuerbaren Energien, für
effiziente Energieproduktion, für neue Werkstoffe, für
den Bereich der Elektromobilität, für den Gesundheits-
markt oder die Kreativwirtschaft? Nur warme Worte.
Die Kreativwirtschaft kam in Ihrer Rede nicht einmal
vor, obwohl sie wichtig ist. Im Bereich der Digitalisie-
rung ergeben sich neue Chancen. In Ihrer Rede gab es
keinen Ansatz dazu. Zum Ausbau der Breitbandinfra-
struktur sagten Sie eben in Ihrer Rede keinen Satz; ges-
tern sagte Herr Kauder zwei, drei Sätze dazu. Sie haben
kein Konzept, wie man es wirklich schaffen kann, in die-
ser Branche Arbeitsplätze zu schaffen und einen Beitrag
zur Modernisierung unserer Volkswirtschaft insgesamt
zu leisten.

Dass eine moderne Industriepolitik Chancen bietet,
bestätigen Institute – das können Sie nicht bestreiten –,
die Vorschläge gemacht haben, wie wir im Bereich der






(A) (C)



(B) (D)


Hubertus Heil (Peine)

erneuerbaren Energien – das, was Rot-Grün damals ein-
geleitet hat – und im Bereich der Effizienztechnologien
tatsächlich vorankommen können.

Es geht darum, auf der Angebotsseite das zu tun, was
notwendig ist, damit Unternehmen und Wissenschaft zu
den entsprechenden Technologiesprüngen kommen, und
es geht darum, auf der Nachfrageseite mitzuhelfen, dass
innovative und junge Technologien flächendeckend
markteingeführt werden können. Sie haben in diesem
Bereich keinen Ansatz. Im Gegensatz zu anderen Län-
dern, die im Moment anfangen, deutsche Konzepte aus
rot-grüner Zeit zu kopieren,


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


haben Sie in diesem Bereich keinen vernünftigen An-
satz. Meine Damen und Herren, Sie werden nicht be-
streiten, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz, gegen
das Sie früher waren, weltweit zu einem Schlager ge-
worden ist und Arbeitsplätze in Deutschland schafft.


(Beifall bei der SPD)


Zur Energiepolitik, zu der Sie so beredt geschwiegen
haben, erlaube ich mir schon jetzt den Hinweis: Das, was
Credo Ihrer Koalition ist, nämlich die Verlängerung von
Restlaufzeiten alter, finanziell abgeschriebener Atom-
meiler, wird genau das verhindern, was wir in Deutsch-
land in Sachen Energiestandort am dringendsten brau-
chen: Investitionen in moderne Kraftwerkstechnik und
auch in erneuerbare Energien. Das, was Sie machen, ist
eine Politik, die gegen die Zukunft gerichtet ist. Sie ist
ökologisch unsinnig, aber auch wirtschaftspolitisch fatal,
weil wir in Deutschland dringend Investitionen in mo-
derne Kraftwerkstechnik und nicht längere Restlaufzei-
ten alter Atommeiler brauchen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, es ist, wie gesagt, schwie-
rig, sich mit den Leerstellen in Ihrem Koalitionsvertrag
auseinanderzusetzen, weil er so viele Prüfaufträge ent-
hält. Wir sind gespannt. Ich sage es ganz offen: Wir bie-
ten auch unsere Unterstützung an. Ich werde Ihnen gerne
unseren Deutschland-Plan zuschicken. Er enthält näm-
lich eine Fülle von guten Ideen für die Wirtschaftspolitik
in diesem Lande.


(Otto Fricke [FDP]: Oh ja! Könnte ich bitte auch das Schröder/Blair-Papier bekommen?)


Ich sage Ihnen: Die Zeiten sind ernst. Die Wirt-
schaftskrise ist noch nicht vorbei. Wir sind bisher besser
durch die Krise gekommen als andere Volkswirtschaften.
Aber weiterhin gilt: Wir müssen handeln und dürfen
nicht nur zugucken.

Herr Brüderle, in einem Bereich bieten wir Ihnen
konkrete Unterstützung an. Wenn das, was Sie, auch in
Interviews, zum Thema KfW angedeutet haben, notwen-
dig ist, werden wir Sie unterstützen, wenn es darum
geht, die Kreditversorgung der deutschen Wirtschaft
zu stärken, im Zweifelsfall auch mit harten Maßnahmen
gegenüber den Banken. Reine Appelle, wie wir sie heute
wieder von Ihnen gehört haben, reichen auf diesem Weg
möglicherweise nicht aus. Hier bieten wir Ihnen unsere
Mitarbeit an.

Was aber nicht geht, Herr Brüderle, ist, dass Sie,
wenn wirtschaftspolitische Probleme in Deutschland
auftauchen, immer nur mit dem Finger auf andere zei-
gen. Jetzt sind Sie in der Verantwortung. An dieser Stelle
muss ich sagen: Ich finde das, was Sie eben zum Thema
Opel vom Stapel gelassen haben, eines Bundeswirt-
schaftsministers unwürdig.


(Beifall bei der SPD)


Sie haben von den guten, hervorragenden Automobil-
standorten in Deutschland gesprochen. Als jemand, der
aus der Nähe von Wolfsburg kommt, kann ich davon ein
Lied singen. Die deutschen Automobilstandorte sind
sehr erfolgreich. Sie dürfen aber nicht nur die anderen
Standorte nennen und so tun, als seien die Opel-Stand-
orte Schrott.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: So ein Quatsch! Das hat er doch überhaupt nicht gesagt! – Arnold Vaatz [CDU/CSU]: So ein Unsinn! Bleiben Sie bei der Wahrheit!)


Das, was zum Beispiel in Eisenach, Rüsselsheim, Kai-
serslautern und Bochum geleistet wird, haben Sie ver-
schwiegen. Sie haben nur gesagt: Wir haben hervorra-
gende andere Standorte. – Was heißt das denn am Ende
des Tages? Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren,
dass viele in der FDP, auch einige in CDU und CSU,
klammheimliche Freude darüber verspüren, dass die
Übernahme durch Magna geplatzt ist.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg van Essen [FDP]: Unverschämtheit!)


Den Beschäftigten und dem Industriestandort Deutsch-
land hilft das aber nicht. Herr Brüderle, jetzt sind Sie ge-
fragt. Sie müssen aktiv handeln und dürfen sich nicht nur
beklagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Übernahme durch Magna war ein tragfähiger
Weg, der durch aktives Handeln der Politik ermöglicht
wurde. Es wäre kein einfacher Weg gewesen. Aber es
gab einen Weg. Ich frage mich: Wo ist jetzt Ihr Weg in
dieser ganzen Geschichte? Einfach nur zu sagen: „Das
ist nicht unser Problem, das ist ein amerikanisches Pro-
blem“, hilft bei der Sicherung der Arbeitsplätze in
Deutschland nicht. Ich fordere Sie auf: Sie müssen un-
verzüglich, und zwar persönlich, in Verhandlungen mit
GM eintreten, um im Interesse der Arbeitsplätze in
Deutschland eine Lösung zu finden.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulla Lötzer [DIE LINKE])


Herr Brüderle, ich kann mich noch erinnern, dass Sie
vor einigen Jahren von diesem Pult aus den damaligen
Bundeswirtschaftsminister Michael Glos gewarnt haben,
dass er der „Problembär“ der Regierung werden könnte.






(A) (C)



(B) (D)


Hubertus Heil (Peine)

Ich kann nur sagen: Jetzt müssen Sie in dieser Hinsicht
aufpassen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe den Eindruck – das kann ich Ihnen nicht erspa-
ren –, dass Sie in sehr große Fußstapfen treten und nicht
etwa die Nachfolge von Ludwig Erhard, Karl Schiller
oder Helmut Schmidt antreten, sondern dass das, was Sie
hier geboten haben, eher nach der legitimen Nachfolge
von Michael Glos klingt.


(Heiterkeit bei der SPD – Zuruf von der FDP: Da spricht wieder der Generalsekretär aus ihm!)


Ich sage Ihnen: Von einem Bundeswirtschaftsminister
wird mehr erwartet als launige Reden und Grußworte.
Wir erwarten von Ihnen Konzepte für den Wirtschafts-
standort Deutschland. Wenn sie gut sind, werden wir sie
unterstützen; darauf können Sie sich verlassen. Bisher
haben Sie, jedenfalls was Ihre heutige Rede angeht,
nichts geboten. Ich sage Ihnen: Die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in Deutschland, die tüchtigen Unter-
nehmerinnen und Unternehmer in Deutschland, die deut-
sche Wirtschaft, sprich: Deutschland insgesamt, eine
führende Wirtschaftsnation der Welt, der Exportwelt-
meister, hat eine bessere Wirtschaftspolitik verdient, als
Sie sie heute geboten haben. Wir werden Sie treiben, da-
mit Sie zu einer guten Wirtschaftspolitik kommen. Das
ist unsere Aufgabe als Opposition.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden Ihnen das nicht durchgehen lassen. Das,
was Sie heute geboten haben, war nicht dünne Suppe,
das war ganz dünne Suppe. Das ist kein guter Anfang.
Ich kann nur sagen: Das ist keine Form von moderner
Wirtschaftspolitik, das ist Grußwortepolitik. Aber
Deutschland verdient mehr.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: Und das vom erfolglosesten Generalsekretär der SPD!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1700400400

Dr. Michael Fuchs ist der nächste Redner für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1700400500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Lieber Herr Heil, ich weiß nicht, ob jemand, der als
Generalsekretär der SPD das zweitschlechteste Ergebnis
der Partei bei einer Wahl zu verantworten hat und damit
der zweitschlechteste Generalsekretär der Sozialdemo-
kratie im vereinten Deutschland ist – nur Egon Krenz
war schlechter –,


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


das Recht hat, so mit dem Bundeswirtschaftsminister
umzugehen.
Ihre Rede stand unter dem Motto „Vorwärts, Genos-
sen, zurück in die Vergangenheit!“. Damit können wir
nichts anfangen. Wir werden dieses Land in die richtige
Richtung führen. Was Sie hier aufgeführt haben, war
Theater.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann war das, was Herr Brüderle gemacht hat, Laientheater!)


Ich will mich aus eigener Kraft bewähren, ich will
das Risiko des Lebens selbst tragen, will für mein
Schicksal selbst verantwortlich sein. Sorge du,
Staat, dafür, daß ich dazu in der Lage bin.

Diese Worte stammen von Ludwig Erhard, und sie
werden in den kommenden vier Jahren die Richtschnur
für die Union sein. Kein Politiker vor oder nach Ludwig
Erhard hat treffender beschrieben, was den Kern einer
freiheitlichen und dennoch sozialen Politik ausmacht.
Ich spreche von einer Politik, die auf die Kraft jedes Ein-
zelnen vertraut, auf die Leistungsbereitschaft, auf den
Mut, auf die Kreativität von 81 Millionen Bundesbür-
gern. Ich spreche von einer Politik, die dort unterstützt,
wo dem Einzelnen die Kraft fehlt. Markt, Wirtschaft und
soziale Verantwortung sind für die CDU/CSU immer et-
was Zusammengehöriges gewesen, und das muss auch
so bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir waren es, die erkannt haben, dass eine Nation beides
braucht: Freiheit und Verantwortung. Die Bundeskanzle-
rin hat das gestern sehr deutlich gemacht.

Wie wurden wir wegen der Diffamierungskampa-
gnen, die Sie im Wahlkampf gemacht haben, von den
Menschen teilweise wahrgenommen: als „Koalition der
Kälte“ etc. Lesen Sie bitte unseren Koalitionsvertrag! Da
ist von Kälte nichts zu spüren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Lassen Sie mich heute an einigen Punkten erläutern,
wie wir Deutschland aus der Krise herausführen wollen:
Freiheit in Verantwortung und Wachstum durch Leis-
tungsbereitschaft. Wir werden Deutschland in Bildung,
Wissenschaft und Forschung zurück an die Weltspitze
führen, um gerade den kommenden Generationen ein
Leben in Wohlstand, Gerechtigkeit und Sicherheit zu er-
möglichen.

Das heißt insbesondere, einen freiheitlichen Ansatz
zu verfolgen, statt mit ideologischen Scheuklappen
Chancen zu verhindern. Das gilt insbesondere für die
Zukunftsthemen, nämlich für Forschung, für Bildung,
für Energie- und für Technologiepolitik. Hier ideologi-
sche Scheuklappen zu haben, das verhindert Zukunft
und verhindert Wachstum in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir werden die Arbeitnehmer, insbesondere Familien
und Geringverdiener, steuerlich entlasten durch ein ein-
facheres, niedrigeres und gerechtes Steuersystem. Die
kalte Progression ist ein Mühlstein am Hals der Leis-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Fuchs
tungsträger unserer Gesellschaft. Ich meine damit dieje-
nigen, die jeden Morgen aufstehen, früh zur Arbeit
gehen, spät zurückkommen, die Krankenschwester, den
Polizisten, den Handwerker, den Facharbeiter; das sind
die Leistungsträger. Sie werden durch unser Steuerrecht
für ihren Einsatz bestraft. Das muss aufhören, und dafür
werden wir gemeinsam sorgen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich bin der Bundeskanzlerin dafür dankbar, dass sie dies
in ihrer Regierungserklärung ganz deutlich zum Aus-
druck gebracht hat.

Zwar erforderte die globale Wirtschaftskrise eine vo-
rübergehende stärkere Rolle des Staates, doch für uns ist
klar, dass der Staat weder der bessere Banker noch der
bessere Unternehmer ist. Liebe Kollegen von der SPD,
er ist auch nicht der bessere Autobauer.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Daher haben wir im Koalitionsvertrag klargemacht,
dass wir eine klare Exit-Strategie brauchen, dass wir aus
staatlichen Hilfen möglichst schnell aussteigen wollen
und aus Staatsbeteiligungen herauswollen. Das gilt be-
sonders für den Bankenbereich. Ich empfehle nebenbei
auch den Ländern, hinsichtlich ihrer Hausbanken da-
rüber einmal nachzudenken.


(Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)


Wir werden es auch sein, die aus Deutschland ein
Gründerland machen werden. Wir werden deshalb eine
Gründerkampagne starten und dafür sorgen, dass
Jungunternehmer bessere Finanzierungsbedingungen er-
halten. Dazu werden wir die Angebote im Bereich der
Mikrokredite, der Business Angels und des Wagniskapi-
tals verbessern. Hier müssen noch Strukturverbesserun-
gen vorgenommen werden, die wir mit Ihnen in der letz-
ten Legislaturperiode leider nicht erreichen konnten,
weil Sie sich da verweigert haben.

Wir wollen mehr Freiräume für unternehmerische Be-
tätigung und für Selbstständigkeit schaffen; denn das
schafft Arbeitsplätze in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Getreu Erhards Motto „Je freier die Wirtschaft, umso
sozialer ist sie auch“ werden wir den Abbau bürokrati-
scher Hemmnisse vorantreiben. Auch wenn wir hier in
den letzten Jahren ein Stück vorangekommen sind – das
will ich nicht verleugnen –, dürfen wir uns mit dem bis
jetzt Erreichten nicht zufriedengeben. Nach wie vor ent-
stehen der Wirtschaft durch Statistik- und Informations-
pflichten jährliche Bürokratiekosten in Höhe von
40 Milliarden Euro. Deshalb werden wir die Kosten aus
Statistik- und Informationspflichten bis 2011 um 25 Pro-
zent reduzieren. Und zwar netto! Dem haben Sie sich in
der letzten Legislaturperiode immer verweigert. Ich
kenne ein oder zwei Ausnahmen, die sich da nicht ver-
weigert haben, aber Sie als ganze Fraktion haben sich
dem verweigert. Jetzt können wir das machen; mit der
FDP werden wir das machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir werden uns auch um die materiellen Kosten der
Bürokratiebelastung kümmern. Wir werden den Nor-
menkontrollrat bitten, uns jeweils auch die materiellen
Kosten aufzuzeigen; denn auch hier ist Kontrolle not-
wendig.

Freiheit heißt für mich auch, dass sich der Staat aus
der Lohnfindung herauszuhalten hat. Sie ist zuallererst
Aufgabe von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbän-
den. Die Tarifautonomie gehört für uns zum Ordnungs-
rahmen der sozialen Marktwirtschaft und hat Vorrang
vor staatlicher Lohnfestsetzung. Das hat sich in 60 Jah-
ren Bundesrepublik Deutschland bewährt, und das wol-
len wir auch nicht verändern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Caren Marks [SPD]: Das können Sie gerne den Menschen erzählen, die mit einem sehr niedrigen Lohn nach Hause gehen!)


Freiheit heißt auch, dass Unternehmen nicht nur um-
satzsteuerrechtlich gleich behandelt werden müssen.
Dies gilt sowohl für die Post als auch für die kommuna-
len Versorgungsunternehmen. Wettbewerbsgleichheit ist
unsere Maxime. Regeln dafür zu setzen, ist die Aufgabe
des Staates, und mehr nicht.

Freiheit ist aber nicht grenzenlos. Daher werden wir
sittenwidrige Löhne eindeutig verbieten, um Lohndum-
ping zu unterbinden. Wir setzen uns in unserer Koali-
tionsvereinbarung für eine faire Verantwortungskultur in
Unternehmen ein. Unternehmer, Vorstände und Auf-
sichtsräte stehen selbstverständlich in Verantwortung zu
ihren Unternehmen und zur Gesellschaft.

Freiheit bedeutet auch, sich dieser Verantwortung be-
wusst zu sein. Wer dieses Bewusstsein nicht hat, dem
muss man helfen, es zu entwickeln.


(Elke Ferner [SPD]: Ja! Wie machen Sie das?)


Gerade der Mittelstand macht dies aber vor, und die Bür-
gerinnen und Bürger nehmen das auch wahr. Freiheit
und Verantwortung schaffen Vertrauen, gerade im Mit-
telstand.

Laut einer aktuellen Stern-Umfrage haben über
70 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
Vertrauen zu ihrem direkten, eigenen Arbeitgeber, zu
den Gewerkschaften haben 30 Prozent Vertrauen, und
die Manager liegen dabei an letzter Stelle, was mich
nicht wundert.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Mich auch nicht!)


Freies Unternehmertum beinhaltet Gewinnchancen,
aber selbstverständlich ebenso Risikohaftung für Fehl-
entscheidungen. Deshalb werden wir die jüngsten Geset-
zesanpassungen zur Haftung und Vergütung weiterent-
wickeln. Die Vergütungssysteme müssen sich stärker als
bisher am langfristigen Erfolg eines Unternehmens
orientieren. Wo es Bonuszahlungen gibt, muss es auch
Malusregelungen geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Fuchs
Es sollte überall freiwillige Selbstverpflichtungen von
Entscheidern geben, um Fehlverhalten zulasten Dritter
vorzubeugen. Deshalb fordern wir auch für Betriebsräte
einen Ehrenkodex. Damit hätte man manche Eskapade
zwischen Wolfsburg und München verhindern können.


(Jörg van Essen [FDP]: Ja!)


Die Verantwortung der Politik ist es nicht, Marktteil-
nehmer zu sein, sondern Spielregeln für den Markt zu
setzen. Deswegen werden wir in Anlehnung an die
Ministererlaubnis beim Fusionsrecht auch eine umge-
kehrte Regelung durchsetzen. Wenn Konzerne so groß
werden, dass sie Schaden für die Volkswirtschaft anrich-
ten können, so kann ich mir als Ultima Ratio oder, wie es
der frühere Wirtschaftsminister einmal genannt hat, als
„Ultissima Ratio“ vorstellen, dass beispielsweise in
netzgebundenen Branchen ein Entflechtungsinstru-
ment zur Anwendung kommt. Dieses werden wir entwi-
ckeln.

Politik ist aber nicht nur dafür da, faire Spielregeln
aufzustellen, sondern auch richtige Anreize zu setzen
und einen guten Nährboden für Wachstum zu bereiten.

Die Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzmarkt-
krise hat tiefe Spuren hinterlassen. Der Koalitionsvertrag
stellt die Weichen für nachhaltiges Wachstum. Er setzt
auf nachhaltiges Wirtschaften für Wohlstand, neue Zu-
kunftschancen durch Bildung, Innovation und sozialen
Zusammenhalt. Deswegen werden wir bereits morgen
als erste Maßnahme ein Wachstumsbeschleunigungs-
gesetz auf den Weg bringen.

Neben den steuerlichen Entlastungen für Familien
und Kinder werden wir vor allen Dingen die krisenver-
schärfenden Elemente der Unternehmensteuerreform
und der Erbschaftsteuerreform korrigieren, Dinge, auf
die wir Sie während der letzten Legislaturperiode auf-
merksam gemacht haben, die Sie aber mit uns nicht ma-
chen wollten. Wir machen das jetzt. Wir reagieren sofort
und schnell; denn wir dürfen Unternehmen in dieser Kri-
sensituation nicht in eine Existenzkrise bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Zusammen mit dem Sofortprogramm und den bereits be-
schlossenen Maßnahmen werden wir Familien, Beschäf-
tigte und Unternehmen zum 1. Januar 2010 um rund
22 Milliarden Euro entlasten. Das wird einen Schub ge-
ben. Das wird dazu führen, dass es in Deutschland vo-
rangeht. Das ist unser Ziel.

Auch wenn die jüngsten Arbeitsmarktzahlen belegen,
dass Deutschland im internationalen Vergleich in der
Krise besser als andere dasteht, so sind wir dennoch in
diesem Winter von den Folgen des Konjunktureinbruchs
ganz sicher betroffen. Umso wichtiger ist es, zusätzliche
Brücken zu bauen und zusätzliche Belastungen zu ver-
meiden. Union und FDP werden dafür eine Stabilisie-
rung der Lohnzusatzkosten bewirken. Wir wollen sie
langfristig unter 40 Prozent halten. Wir werden auch das
Instrument der Kurzarbeit länger nutzbar machen. Wir
kommen nur mit den Unternehmern und den Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmern durch diese Krise und
nicht ohne sie.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Unser wichtigstes Ziel bleibt: Deutschland muss so
schnell wie möglich auf einen stabilen und nachhaltigen
Wachstumspfad zurückgebracht werden. Ohne Wachs-
tum ist ein Schuldenabbau nicht möglich.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das stimmt!)


Neben einer Politik für Wachstum müssen wir uns aber
auch mit dem Thema Sparen beschäftigen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Später!)


Was heißt denn eigentlich Sparen? Sparen heißt, Geld,
das man hat, nicht auszugeben. Sparen in der Politik
heißt leider, allenfalls weniger Schulden zu machen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen aber mehr Schulden!)


Deswegen müssen wir uns mit allen Ausgaben und mit
allen Förder- und Subventionsprogrammen beschäftigen
und sie vorbehaltlos auf den Prüfstand stellen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie machen neue Subventionen auf!)


Das sind wir kommenden und zukünftigen Generationen
schuldig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Eine Kürzung von Ausgaben ist möglich. Das sollten
wir hinbekommen. Wir müssen gemeinsam daran arbei-
ten.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo denn?)


Das gilt nebenbei nicht nur für den Bund. Das gilt auch
für die Länder. Das kann man am Beispiel meines Hei-
matlandes, Stichwort Nürburgring, ganz wunderbar be-
trachten.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, das ist ein tolles Beispiel dafür!)


– Sie wissen genau, dass es dort zu erheblichen Ver-
schwendungen gekommen ist, Herr Heil. Darüber sollten
Sie sich informieren. Ansonsten schicke ich Ihnen ent-
sprechende Presseartikel aus Rheinland-Pfalz zu.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Haben Sie auch ein Beispiel aus dem Bundeshaushalt?)


Meine Damen und Herren, es ist möglich, diese Krise
zu bewältigen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So, wie Sie das machen, ist es nicht möglich!)


Es ist möglich, aus ihr herauszukommen. Das müssen
wir gemeinsam tun. Es zeigt sich, dass es Licht am Ende
des Tunnels gibt. Ich weiß zwar, dass die Opposition den
Tunnel am liebsten verlängern würde. Aber wir werden
das nicht mitmachen. Wir sind die soziale und die wirt-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Fuchs
schaftliche Kraft in diesem Lande. Wir werden das ge-
meinsam schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie haben aber einen ganz schönen Tunnelblick!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1700400600

Das Wort erhält nun die Kollegin Sahra Wagenknecht,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700400700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die briti-

sche BBC hat dieser Tage eine sehr interessante Studie
veröffentlicht. Im Rahmen dieser Studie wurden Men-
schen aus 27 Ländern befragt. Ich denke, die Ergebnisse
dieser Studie sind außerordentlich bemerkenswert. Sie
besagen nämlich, dass noch ganze 11 Prozent der Bevöl-
kerung in diesen Ländern den Kapitalismus in der
Form, wie wir ihn heute haben, für eine funktionierende
Wirtschaftsordnung halten. 51 Prozent der Befragten
fordern eine stärkere Regulierung der Märkte.


(Beifall bei der LINKEN)


Immerhin 23 Prozent meinen sogar, dass eine vollkom-
men neue Wirtschaftsordnung geschaffen werden muss.

Wenn man sich im Gegensatz dazu anhört, was Herr
Brüderle hier vorgetragen hat, dann muss man sich
schon fragen: Wo leben Sie denn eigentlich?


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Rheinland-Pfalz!)


Irren mag ja menschlich sein. Aber wer an einer Politik
festhält, die ihre Unfähigkeit zur Lösung der ökonomi-
schen Probleme in den letzten Jahren eindeutig unter Be-
weis gestellt hat, der ist meines Erachtens kein Irrender.


(Jörg van Essen [FDP]: Ganz im Gegenteil!)


Er ist entweder komplett lernunfähig oder von bestimm-
ten Interessen gekauft.


(Beifall bei der LINKEN)


Was wir seit 2008 erleben, ist die schwerste Welt-
wirtschaftskrise seit den 30er-Jahren des letzten Jahr-
hunderts. Wer glaubt, es ginge irgendwann einfach so
weiter wie vor 2008, der hat, denke ich, die Dimension
dieser Krise überhaupt nicht begriffen. Deutschland hat
in den Jahren 2002 bis 2008 insgesamt Exportüber-
schüsse in einer Größenordnung von 900 Milliarden
Euro aufgehäuft. Dieser Exportirrsinn und die Hyperver-
schuldung der amerikanischen Konsumenten sind zwei
Seiten einer Medaille gewesen. Die vielzitierten Schrott-
papiere in den Bankbilanzen, über die wir seit zwei Jah-
ren reden, sind ein Ergebnis dieses Zusammenspiels.
Das muss man doch begreifen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wer im Ernst glaubt, er könne einfach so weiterma-
chen wie bisher, der möge uns doch schon einmal vor-
sorglich erklären, wer die Verluste des nächsten Millio-
nencrashs übernehmen soll: wieder der Steuerzahler auf
Kosten der Staatsverschuldung oder wer sonst?

Was der deutschen Wirtschaft fehlt, sind, denke ich,
nicht neue Exporterfolge, sondern das ist Nachfrage
hier im Land, in der Bundesrepublik Deutschland. Diese
Nachfrage fehlt nicht, weil die Menschen etwa keine
Lust zum Konsumieren hätten, sondern diese Nachfrage
fehlt, weil immer mehr Menschen nicht genug Geld im
Portemonnaie haben, um sich die Dinge leisten zu kön-
nen, die sie brauchen und die sie sich leisten können
möchten.

Das ist das Ergebnis einer jahrelangen Politik des
Lohndumpings, einer jahrelangen Politik der Deregulie-
rung, einer jahrelangen Politik der Privatisierung und
des Sozialraubs. Das ist das Ergebnis dieser Politik, die
schon unter Rot-Grün gemacht und unter der Großen
Koalition fortgesetzt wurde. Genau diese wahnwitzige
Politik wollen Sie jetzt weitermachen. Das ist eine Poli-
tik, die Mehrheiten in diesem Lande ärmer gemacht hat,
und es ist eine Politik, die die oberen Zehntausend in
beispielloser Weise bereichert hat.


(Beifall bei der LINKEN)


Deutschland ist dank der Reformen der letzten Jahre
schon längst ein Steuer-Eldorado für große Konzerne
und Multimillionäre. Das Aufkommen aus der Erb-
schaftsteuer ist lächerlich im internationalen Vergleich,
und da erzählen Sie uns, weitere Steuergeschenke für
Unternehmer und Reiche würden die Konjunktur ankur-
beln. Wenn das so stimmen würde, dann hätten wir in
der Bundesrepublik seit der Jahrtausendwende den gran-
diosesten Wirtschaftsboom der deutschen Nachkriegsge-
schichte erleben müssen. Denn genau das, was Sie jetzt
vertreten, ist doch schon die ganze Zeit gemacht worden.


(Beifall bei der LINKEN)


Also hören Sie bitte auf, solche Phrasen zu dreschen!
Sie wollen die Regierung der Mitte sein, und Sie setzen
nahtlos eine Politik fort, in deren Folge die Mittel-
schichten in der Bundesrepublik Jahr für Jahr ge-
schrumpft sind. Sie wollen eine Koalition des Mittel-
stands sein. Sie schauen aber zu, wie die Banken kleinen
und mittleren Unternehmen den Kredithahn zudrehen.
Alles, was Ihnen dazu einfällt, sind moralische Appelle –
moralische Appelle wohlgemerkt genau an die Banken,
bei denen Sie schon Milliarden an Steuergeld versenkt
haben. Warum haben Sie sich für das verdammt viele
Geld nicht wenigstens ein Mindestmaß an Mitsprache
und Einfluss gesichert?


(Beifall bei der LINKEN)


Das betrifft durchaus nicht nur die Banken, die direkt
vom SoFFin gestützt werden. Auch die Deutsche Bank
wäre doch längst bankrott, wenn der Steuerzahler in die-
sem Land nicht mit Milliarden und Abermilliarden für
die Rettung der IKB und vor allem für die Rettung der
Hypo Real Estate bluten würde und noch bluten wird. Es
ist doch unser aller Geld, mit dem diese Banker längst
wieder auf internationalem Parkett zocken gehen. Es ist
unser aller Geld, mit dem Herr Ackermann schon wieder






(A) (C)



(B) (D)


Sahra Wagenknecht
Dividenden verteilt, statt sich um die Kreditversorgung
der Wirtschaft zu kümmern.

Repräsentanten eines Staates, die sich von Bankvor-
ständen oder vom Management gewisser Automobilkon-
zerne wie dumme Tanzbären am Nasenring durch die
Manege ziehen lassen, entwürdigen die Demokratie.
Dann dürfen Sie sich auch nicht wundern, wenn sich im-
mer mehr Menschen von dieser Art von Politik angewi-
dert abwenden.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen kein Weiter-so! Wir brauchen einen po-
litischen Neuanfang und perspektivisch eine andere
Wirtschaftsordnung. Wir brauchen eine andere Wirt-
schaftsordnung, weil dieser entfesselte Kapitalismus, der
mit den Ideen der sozialen Marktwirtschaft längst nicht
mehr das Geringste zu tun hat, eine kleine Schicht von
Leuten, nämlich die Besitzer großer Kapitalvermögen, in
beispielloser Weise gegenüber allen anderen Gruppen
der Gesellschaft privilegiert und zu einer Einkommens-
verteilung führt, die die Einkommen genau bei denjeni-
gen konzentriert, die sowieso schon viel zu viel haben.
Das ist doch die eigentliche Ursache der bestehenden
Ungleichgewichte, die eigentliche Ursache der Krisen
und die eigentliche Ursache des wirtschaftlichen Nieder-
gangs.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1700400800

Frau Kollegin!


Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700400900

Deswegen brauchen wir andere Formen wirtschaftli-

chen Eigentums. Wir brauchen eine radikale Umvertei-
lung der Einkommen und Vermögen von oben nach un-
ten. Nur wenn wir eine solche Einkommensverteilung
hinbekommen, werden wir perspektivisch aus dieser
Krise herauskommen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1700401000

Frau Kollegin Wagenknecht, das war Ihre erste Rede

im Deutschen Bundestag, zu der Ihnen das Präsidium
gleich einen Zuschlag auf die von der Fraktion gewährte
Redezeit eingeräumt hat. Ich wünsche Ihnen eine gute
Zeit und Zusammenarbeit hier im Deutschen Bundestag.
Wir wollen schauen, ob es bei künftigen eng bewirt-
schafteten Redezeiten ähnlich großzügig weitergeht.


(Beifall)


Nun hat das Wort die Kollegin Kerstin Andreae für
die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.


Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700401100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Herr Wirtschaftsminister Brüderle, als ich Ihre
Rede gehört habe, fiel mir ein: So viel gestern war noch
nie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir erwarten von einem Wirtschaftsminister Schwung,
Ideen, ein Leitbild und eine Vision. Wir brauchen Mut
und Modernität. Nichts von alledem habe ich in Ihrer
Redezeit von knapp 9 Minuten gehört.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn ich mir den Koalitionsvertrag und Ihre Rede
vor Augen führe, dann bleibt mir nur zu sagen: Sie ha-
ben aus der Krise nichts gelernt. Sie vergeben die
Chance zum Umsteuern. Es gibt keinen Aufbruch. Es
gibt keine strukturelle Modernisierung. Wo stehen wir
denn heute? Es gibt eine Wirtschafts- und eine Klima-
krise. Das alles spielt sich vor dem Hintergrund der
Krise der öffentlichen Haushalte ab. Das heißt, kluge
Wirtschaftspolitik muss diese drei Krisen im Zusam-
menhang sehen und sich Gedanken machen, wie man
aus der Wirtschaftskrise herauskommt. Wirtschafts- und
Klimakrise lassen sich nur gemeinsam lösen, Herr Wirt-
schaftsminister.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das heißt, ich muss mir Gedanken machen: Wo liegen
die Märkte der Zukunft? Wohin geht es? Was braucht die
Wirtschaft, um neue Produkte und neue Produktionspro-
zesse zu entwickeln? Das sind die Energietechnologie,
die Speichertechnik, die erneuerbaren Energien, die
Netze, die Mobilität, neue Mobilitätskonzepte. All dies
muss doch einmal in einem wirtschaftspolitischen Kon-
zept von Ihnen entwickelt werden im Sinne von „Da
geht es lang, da ist die Zukunft für unsere Wirtschaft und
für den Wirtschaftsstandort Deutschland“.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will, dass Sie in der Lage sind, zu sagen: Wir nut-
zen diese Umweltwirtschaft, wir rufen ein neues Grün-
derzeitalter aus, wir rufen ein solares Zeitalter aus, wir
erkennen, dass die Chance für unsere Wirtschaft im Be-
reich der Umwelt- und der Effizienztechnologien liegt,
wir rufen eine CO2-arme Wirtschaftsweise aus, wir legen
Förderprogramme zur Wärmedämmung bei Altbauten
auf, entwickeln neue Mobilitätskonzepte, stellen Wag-
niskapital für innovative Unternehmen zur Verfügung.
All dies muss ein Wirtschaftsminister bei seinem ersten
Auftritt zu der Frage, wohin es die nächsten vier Jahre
geht, skizzieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie sagen, Klimaschutz sei Ihnen wichtig. Auch in
den Überschriften des Koalitionsvertrags taucht das auf.
Wenn ich mir die Maßnahmen aber anschaue, dann muss
ich sagen: Das sind reine Lippenbekenntnisse. Das Erste,
was Sie machen, ist, dass Sie das EEG stutzen.
70 000 Arbeitsplätze hängen von der Solarwirtschaft ab.
Das ist der Mittelstand, und es ist mittelstandsfeindliche
Politik, wenn Sie hier anfangen, zu stutzen, und diesem
Wirtschaftsbereich derartig das Wasser abgraben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Kerstin Andreae
Stattdessen fordern Sie längere Laufzeiten für Atom-
kraftwerke. Die Monopolkommission selber hat Ihnen
gesagt: Wenn Sie die Laufzeiten für die AKWs verlän-
gern, behindern Sie den Wettbewerb auf dem Energie-
markt. – Das sagte die Monopolkommission, die Sie,
Herr Brüderle, in den letzten Jahren immer wieder zitiert
haben. Das müssen Sie sich anhören, das müssen Sie le-
sen, das müssen Sie verstehen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Lesen und Verstehen ist ein Problem!)


– Lesen und Verstehen scheint ein Problem zu sein.

Es gibt noch ein anderes Problem beim Lesen und
Verstehen. Sie haben hier sehr vehement für Ihr neues
Wachstumsbeschleunigungsgesetz geworben und ha-
ben ernsthaft die Deutsche Bank zitiert, die Ihnen sagt
– Sie loben auch noch Ihre eigene Politik –,


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Die ist auch gut!)


dieses Gesetz bringt 0,5 Prozent Wachstum. Was heißt
das? Sie nehmen 23 Milliarden Euro in die Hand, um
0,5 Prozent Wachstum zu erzielen, wobei wir wissen,
dass das ungefähr 3 Milliarden Euro Einnahmen gene-
riert. Wo bleiben die restlichen 20 Milliarden Euro? Das
ist unseriöse Politik, ungerechte Politik, es ist unver-
schämt, uns hier so etwas zu verkaufen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Brüderle hat gesagt, die durch die Wirtschafts-
krise sinkenden Steuereinnahmen dürften kein Argu-
ment gegen Steuererleichterungen sein. Das sei haus-
haltspolitisch zu verantworten. Ich bin sehr gespannt auf
die Diskussion zwischen Ihnen und Ihren Haushaltspoli-
tikern und darauf, wie Sie dies haushaltspolitisch verant-
worten wollen, ohne neue Schulden zu machen. Es wird
Ihnen nichts anderes übrig bleiben, als neue Schulden zu
machen. Das ist eine hochgradig generationenunge-
rechte Politik. Sie denken überhaupt nicht mehr an zu-
künftige Generationen. Das sind Lippenbekenntnisse
von gestern. Wenn es um Steuersenkungen und Klientel-
politik geht, ist der FDP jedes Argument recht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Was ist die Folge von diesen Steuersenkungen? Die
Folge wird vor allem die Kommunen treffen, die Städte
und Gemeinden. Die schlagen schon jetzt Alarm. Die
Städte und Gemeinden müssen nämlich Folgendes ma-
chen: Sie müssen die Gebühren für ihre Einrichtungen
erhöhen. Es wird ihnen gar nichts anderes übrig bleiben.
Sie müssen Gebühren für die Kindergärten erhöhen, sie
werden Schwimmbäder und Kultureinrichtungen teil-
weise schließen müssen. Da bleibt nichts mehr von
„mehr Netto vom Brutto“. Das ist „rechte Tasche, linke
Tasche“, das ist schlicht ein Verschiebebahnhof zulasten
von denen, die auf diese Infrastruktur angewiesen sind.
Das ist wirklich unseriöse Politik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie sprechen von Wettbewerb, und Sie sprechen da-
von, dass man wieder Ordnungspolitik im Land betrei-
ben müsse. Im Wachstumsbeschleunigungsgesetz ist die
Umverteilung bei den Kindern vorgesehen: Erhöhung
des Kindergelds um 20 Euro, den Kinderfreibetrag set-
zen Sie ebenfalls hoch, Hartz-IV-Empfänger erhalten gar
nichts. Warum sollen wir hier in diesem Hohen Haus, die
wir Kinder haben und kindergeldberechtigt sind, in den
Genuss von mehr Geld für unsere Kinder kommen, nicht
aber die Hartz-IV-Empfänger? Ich bin gespannt, wie Sie
das in Ihrer nächsten Bürgersprechstunde erklären wol-
len. Das ist ungerecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese Politik müssen Sie ändern. Sie müssen das Geld
denen geben, die es wirklich brauchen, und nicht denen,
die es nicht brauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein besonderes Schmankerl ist die Sache mit den
Hotelübernachtungen. Herr Thiele – er steht jetzt ge-
rade auf – und Herr Wissing, Sie beide saßen mit uns
zusammen in den Beratungen über die Mehrwertsteuer-
regelungen im Rahmen des Steuervergünstigungsabbau-
gesetzes. Sie haben immer gesagt: Das muss jetzt einfa-
cher, gerechter und nachvollziehbarer werden. Jetzt
wollen Sie allen Ernstes, dass auf Hotelübernachtungen
ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz gezahlt wird. Soll
man sich das Frühstück mitbringen, oder zahlt man für
das Frühstück dann den vollen Mehrwertsteuersatz?
Dies ist ein ordnungspolitischer Sündenfall. Das ist reine
Klientelpolitik, nichts anderes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn wir schon bei Klientelpolitik sind: Der Ver-
sandhandel bei Apotheken wird eingeschränkt; das
Mehrbesitzverbot wird aufrechterhalten; Steuerberater-
kosten sind wieder absetzbar. Bei den Dienstwagen le-
gen Sie noch eins drauf. Das ist reine Klientelpolitik.
Lobbyinteressen haben hier Vorrang. Teilweise wurden
Forderungen der jeweiligen Verbände eins zu eins in den
Koalitionsvertrag hineingeschrieben. Das ist peinlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Antwort auf die Parteispenden!)


Was ich von einem Wirtschaftsminister fordere und
was dieses Land braucht, sind eine Vision, sind Mut und
Ideen. Wir brauchen Innovationen. Der Gründergeist
muss geweckt werden; Potenziale müssen ausgeschöpft
werden. Die Forschungsförderung – sie ist angesprochen
worden – wird nur vage benannt. Jetzt hätte doch die
Möglichkeit bestanden, in die Vollen zu gehen. Hier
müssen Sie ansetzen, hier müssen Sie Geld ausgeben;






(A) (C)



(B) (D)


Kerstin Andreae
denn das – nicht Steuergeschenke für alle – wirft Zu-
kunftsrendite ab.

Da wir gerade bei Innovationen sind, Stichwort
„Frauen in Führungspositionen“: In Ihrem Koalitions-
vertrag steht Folgendes:

Die Ziele des Bundesgleichstellungsgesetzes und
des Bundesgremienbesetzungsgesetzes werden mit
Nachdruck verfolgt. Wir werden prüfen,


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Prüfen!)


– der wievielte Prüfauftrag? –

ob und inwieweit die Gesetze geändert und effekti-
ver gestaltet werden müssen. Der Anteil von Frauen
in Führungspositionen in der Wirtschaft und im öf-
fentlichen Dienst soll maßgeblich erhöht werden.


(Caren Marks [SPD]: Das sieht man ja auch im Kabinett!)


Wenn ich mir die Ministerriege – die Ministerinnen-
riege – und wenn ich mir vor allem die Bereiche Wirt-
schaft, Finanzen und Haushalt anschaue, dann scheint es
so zu sein, dass die Kompetenz von Frauen überhaupt
keine Rolle mehr spielt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Otto Fricke [FDP]: Ui! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die arme Dagmar Wöhrl!)


Es gibt in der ersten und in der zweiten Führungsebene
dieser Bereiche keine einzige Frau. Für Sie ist Gleich-
stellung hier ein reines Lippenbekenntnis.


(Otto Fricke [FDP]: Das klären Sie mal mit der Kollegin Leutheusser!)


Das müssen Sie anerkennen. Wäre es nicht so, hätten Sie
es anders gemacht.

Der Wirtschaftsminister stellt sich in der Glos’schen
Tradition hierhin und sagt: Das ist alles gar nicht so
schlimm; es wird gerade wieder besser; die Anzeichen
dafür mehren sich. Ich möchte Ihnen wirklich mit auf
den Weg geben, sich sehr genau anzuschauen, welche
Anzeichen sich gerade mehren. Die Anzeichen, dass die
Krise vorbei ist, mehren sich nämlich nicht. Hingegen
mehren sich die Anzeichen, dass die Erholungssignale
überschätzt werden. Wir wissen, dass vieles von dem,
was wir jetzt spüren, teuer erkauft ist und uns am Ende
noch teurer zu stehen kommen wird.

Wir legen demnächst einen Vorschlag vor; ihn können
Sie sofort umsetzen. Wir haben ein großes Problem bei
den kleinen und mittleren Unternehmen. Ihnen droht
teilweise die Insolvenz, weil sie in eine Liquiditäts-
klemme geraten sind. Wir sagen Ihnen: Helfen Sie den
kleinen und mittleren Unternehmen. Wir schlagen vor,
dass der Staat die Sozialversicherungsbeiträge für drei
Monate vorfinanziert, günstig, unbürokratisch, um über
diese Lücke hinwegzuspringen. Dann kommen Sie aus
der augenblicklichen Konzernlastigkeit des Staatsfonds
heraus. Angela Merkel hat in ihrer Regierungserklärung
gestern gesagt, sie wolle das einmal prüfen. Ich wieder-
hole: Wir müssen von der Konzernlastigkeit des Staats-
fonds wegkommen. Wir müssen verstärkt kleine und
mittlere Unternehmen unterstützen. Dadurch kann
1,5 Millionen Unternehmen tatsächlich etwas Gutes ge-
tan werden. Diesen Vorschlag sollten Sie auf jeden Fall
aufnehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich komme zum Schluss. Ich muss wirklich sagen:
Ich hätte mir von Ihnen viel mehr erwartet. Ich bin wirk-
lich davon ausgegangen, dass hier heute Morgen ein
Szenario für die nächsten vier Jahre entwickelt wird.


(Thomas Oppermann [SPD]: Auf so was war ich auch eingestellt!)


Wir werden ein Konzept für einen wirtschaftspolitischen
Aufbruch entwickeln. Nichts von alldem, was wir erwar-
tet haben, haben wir erfahren: keinen Mut, keine Moder-
nität, keine Visionen, keine Ideen. Ich befürchte: Uns
stehen vier verlorene Jahre bevor.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1700401200

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Hermann Otto

Solms für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700401300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stecken
noch in der Krise, und die Bundeskanzlerin hat gestern
in ihrer Regierungserklärung darauf hingewiesen: Jetzt
kommt es darauf an, alle Anstrengungen zu unterneh-
men, um aus dieser Krise herauszukommen. Das ist ge-
genwärtig die zentrale Aufgabe.

Die Frage ist: Mit welcher Politik, mit welchen In-
strumenten können wir die Krisenbewältigung be-
schleunigen? Da gibt es im Prinzip nur drei Alternativen:

Entweder sparen Sie sich aus der Krise. Das war noch
nie ein erfolgreiches Konzept. Das ist ja seinerzeit unter
Brüning versucht worden und hat die Weltwirtschafts-
krise erst richtig beschleunigt.

Oder Sie versuchen, die Staatshaushalte über Abga-
ben- und Steuererhöhungen zu sanieren. Dann belasten
Sie genau die Menschen, auf die es ankommt, um aus
der Krise herauszukommen.

Dann gibt es die dritte Strategie, die wir verfolgen,
nämlich die Leistungsträger in der Gesellschaft, die Ar-
beitnehmer, die kleinen und mittleren Unternehmen, zu
entlasten, um ihre Leistungskraft anzuspornen, und da-
durch Wachstumsimpulse auszulösen und aufgrund die-
ses Wachstums mehr Beschäftigung zu erzielen. Mehr
Beschäftigung führt auch nachhaltig wieder zu einer






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hermann Otto Solms
Stabilisierung der Staatseinnahmen. Nur so kann eine er-
folgreiche Strategie aussehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die neue Koalition
hat in absoluter Rekordzeit, nämlich sechs Wochen nach
der Bundestagswahl – so kurze Zeit ist das ja erst her –,
ein Gesetz vorgelegt, das morgen in diesem Hause bera-
ten wird, nämlich ein Wachstumsbeschleunigungs-
gesetz, das


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht bezahlbar ist!)


genau diese Strategie umsetzt. Es wird noch in diesem
Jahr realisiert und zum 1. Januar des nächsten Jahres in
Kraft gesetzt. Schneller geht es ja überhaupt nicht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber ihr beschleunigt damit die Staatsschulden!)


Damit werden Steuerentlastungen in Höhe von weit über
20 Milliarden Euro freigegeben, damit die Bürger mehr
konsumieren, mehr investieren, mehr forschen und ent-
wickeln und mehr auf neue Technologien setzen. Wir ge-
ben ihnen also mehr finanzielle Freiheiten, um Wachs-
tum zu finanzieren.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch gar nicht, was Sie da erzählen, Herr Solms! Nicht mit dem Geld!)


Das geht nur mit den Bürgern, nicht gegen die Bürger.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Michael Luther [CDU/CSU])


Sie müssen immer den Menschen in den Mittelpunkt der
Politik stellen, nicht den Staat, nicht den Haushalt. Auf
die Menschen kommt es an. Das vergessen Sie immer.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber auf den Haushalt kommt es an!)


Dann wird von Ihnen ja immer bestritten, dass diese
Politik funktionieren könnte. Die Laffer-Kurve funktio-
niert.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie es schon anderen nicht glauben und der Wis-
senschaft nicht glauben, möchte ich Sie doch fragen:
Warum haben Sie so wenig Vertrauen in Ihre eigene
Politik? Erinnern Sie sich: In der ersten Hälfte des Jahr-
zehnts haben Sie von Rot-Grün eine Steuerreform durch-
geführt,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt nicht ablenken, junger Mann!)


der auch der jetzige Bundeswirtschaftsminister Rainer
Brüderle als Vertreter von Rheinland-Pfalz im Bundesrat
zugestimmt hat und die damit eine Mehrheit bekommen
hat.

(Otto Fricke [FDP]: Jawohl!)


Diese Steuerreform – Hans Eichel war damals Finanz-
minister – hat zwei Jahre später zu einer enormen
Wachstumsbeschleunigung und zu einer deutlichen Stei-
gerung der Staatseinnahmen geführt.


(Otto Fricke [FDP]: Das haben sie schon wieder alles vergessen!)


Hier in Deutschland hat vor wenigen Jahren genau die-
ses Konzept funktioniert. Warum soll es heute nicht
funktionieren? Erinnern Sie sich an Ihre eigene Politik,
anstatt uns Vorwürfe zu machen!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es eine globale Krise ist!)


Meine Damen und Herren, ich habe leider so wenig
Zeit, dass ich jetzt keine Grundsatzrede halten kann.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen Sie sich bei Westerwelle beschweren!)


Ich will nur sagen: Bei der Wirtschaftspolitik der neuen
Koalition und der neuen Regierung wird es darauf an-
kommen, dass wir das Verhältnis von Staat zu Markt und
von Markt zu Staat, also zwischen Privat und Staat, wie-
der ordentlich regeln. Der Staat hat zwar die Aufgabe,
Regeln zu setzen, die Einhaltung der Regeln zu überwa-
chen, für fairen Wettbewerb zu sorgen und Machtmiss-
brauch auf den Märkten zu verhindern, darf aber nicht
selbst in den Markt eingreifen. Der Staat ist nicht Mit-
spieler, er ist Schiedsrichter. Er hat die Aufgabe der Re-
gelsetzung. Der freie Wettbewerb muss dafür sorgen,
dass bessere Leistungen entstehen.

Dafür, dass sich die Wirtschaftssubjekte entfalten
können und ihre Kreativität einsetzen können, um mehr
Leistung und bessere Ergebnisse zu erzielen, ist es aber
notwendig, dass sie auf dem Markt die entsprechende
Freiheit haben. Dies müssen wir beherzigen und bei-
spielsweise die Fehlregulierung der Finanzmärkte korri-
gieren. Wenn wir schon früher die Finanzmärkte besser
kontrolliert, die Finanzaufsicht bei der Bundesbank kon-
zentriert und für höhere Professionalisierung bei der
Finanz- und Bankenaufsicht gesorgt hätten – ich erinnere
daran: Das haben wir, der verstorbene Kollege Günter
Rexrodt und ich, schon im Jahr 2000 angemahnt –,


(Zuruf von der SPD: Was?)


dann wäre es jedenfalls nicht in dem Ausmaß, in dem
wir es nun erleben, zu diesem Schlamassel gekommen.

Aufgabe ist jetzt, diese Regulierung nachzuholen und
dafür zu sorgen, dass sich die Moral beim Management
ändert. Wir haben immer gesagt: Wer an Erfolgen teilha-
ben will, muss auch für die Misserfolge mithaften. Wenn
wir nach diesem Prinzip handeln würden, indem wir
zum Beispiel Malusregelungen in den Verträgen des Ma-
nagements einführen würden, dann würden solche Pro-
bleme nicht entstehen; dann würden die Manager ein
solches Risiko nicht eingehen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hermann Otto Solms

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vor liegt uns liegt eine große Aufgabe. Wir wollen
schnell aus der Krise herauskommen. Wir sind ent-
schlossen, das kompetent und vernünftig anzugehen. Ich
bin zuversichtlich, dass es in vier Jahren in Deutschland
sehr viel besser aussehen wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1700401400

Die Kollegin Ulla Lötzer ist die nächste Rednerin für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ursula Lötzer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700401500

Herr Präsident! Herr Brüderle! Kolleginnen und Kol-

legen! Auch Ihre Vereinbarung zur Außenwirtschafts-
politik macht nur eines deutlich: Sie haben nichts, aber
auch gar nichts aus dieser Krise gelernt. Erklärtes Ziel
sind lediglich die Sicherung des Zugangs deutscher Un-
ternehmen zu ausländischen Märkten, die Verdrängung
ausländischer Unternehmen und die Sicherung der Roh-
stoffe. Wie im Hamsterrad treiben Sie die Konkurrenz
der Regierungen um den Abbau sozialer und ökologi-
scher Standards sowie um Steuererleichterungen für In-
vestoren und große Konzerne voran.

Skandalös sind die Exportförderung für Atomkraft-
werke durch Hermesbürgschaften und die Erleichterung
von Rüstungsexporten.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch Ihre Außenwirtschaftspolitik ist Marktradikalis-
mus statt sozialer Marktwirtschaft. Sie bedeutet Militari-
sierung von Außenwirtschaftspolitik statt friedlicher
Außenwirtschaftspolitik. Wir brauchen ein Verbot von
Rüstungsexporten.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen fairen Handel statt marktradikalen Frei-
handel. Wir müssen verbindliche soziale und ökologi-
sche Standards für weltweit agierende Konzerne schaf-
fen, statt ihnen die Welt zu Füßen zu legen.

Herr Brüderle, Sie haben bei Ihrem Amtsantritt ge-
scherzt, Sie wünschten sich, Ihr Vorgänger hätte Opel
schon abgewickelt. Die Beschäftigten und ihre Familien
konnten über diesen Scherz nicht lachen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihre Rede zeigt: Sie machen ernst damit. Die Abwick-
lung ist die Maxime Ihrer Regierungspolitik, nicht die
Sicherung der Standorte und der Arbeitsplätze. Das ha-
ben die Opel-Beschäftigten und ihre Familien sowie die
Zulieferer von Opel nicht verdient.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie setzen den Fehler fort, sich nicht mit den europäi-
schen Partnern abzustimmen. Wir haben früh eine euro-
päische Lösung gefordert. Die Bundesregierung hielt es
für besser, in Wildwestmanier vorzupreschen. Jetzt fällt
die Standortkonkurrenz auf Deutschland zurück. GM
spielt die europäischen Regierungen gegeneinander aus.
Verlierer sind alle außer GM. Deshalb wird es Zeit, end-
lich ein europäisch abgestimmtes Vorgehen zu realisie-
ren.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihr zentraler Fehler ist, dass Sie sich als Gegenleis-
tung für die Staatshilfen keine Beteiligung und Mitspra-
cherechte sichern. Wer freiwillig auf Mitspracherechte
verzichtet, darf sich nicht beschweren, wenn er am Ende
nicht gefragt wird. Jetzt zu klagen, der böse Kapitalist
GM habe die Regierung an der Nase herumgeführt, ist
albern. Damit kaschieren Sie nur Ihr eigenes Versagen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Frau Merkel hat gestern signalisiert, es könne weitere
Staatshilfen für GM geben. Aber auch in diesem Punkt
haben Sie nicht gelernt. Nach wie vor wollen Sie auf Ge-
genleistungen völlig verzichten. Wir fordern Sie auf,
endlich Konsequenzen zu ziehen und sich für eine Betei-
ligung des Bundes und der Länder sowie für Mitsprache-
rechte einzusetzen.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei GM?)


Das würde übrigens auch Frau Kroes, der EU-Wettbe-
werbskommissarin, den Wind aus den Segeln nehmen.
Als Eigentümerin kann die öffentliche Hand die Unter-
nehmensstrategie mitbestimmen. Die Beteiligung muss
dazu genutzt werden, den Erhalt aller Standorte und den
Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen durchzuset-
zen. Die Zukunft der Arbeitsplätze hängt an zukunftsfä-
higen Konzepten für Technologie und Mobilität. Sie ha-
ben zwar davon geredet, aber nur in Form einer
Luftblase. Sie müssen industriepolitisch handeln – nicht
nur GM. Aber das wollen Sie nicht; das verweigern Sie
nach wie vor wie Ihr Vorgänger Baron zu Guttenberg.
Legen Sie doch endlich die ideologischen Scheuklappen
ab, und machen Sie Wirtschaftspolitik statt Ideologiepo-
litik!

Das Mutterland des Turbokapitalismus, die USA, ist
Mehrheitseigner an GM. Warum lernen Sie nicht endlich
daraus? Dann können Sie auch mit der amerikanischen
Regierung endlich auf Augenhöhe Verhandlungen über
die Zukunft der Arbeitsplätze beginnen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich fordere Sie hier noch einmal eindringlich auf: Re-
den Sie mit den europäischen Regierungen! Holen Sie
die Betriebsräte und die Gewerkschaften der europäi-
schen Standorte mit den betreffenden Regierungen an ei-
nen Tisch, und beginnen Sie selber unverzüglich Ver-
handlungen mit GM über den Erhalt der Arbeitsplätze
für die Standorte in ganz Europa und auch in Deutsch-
land! Sichern Sie Arbeitsplätze, statt Lohnverzicht und
Massenentlassungen in diesem Bereich zu betreiben!

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1700401600

Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1700401700

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen
heute darüber, wie man Wachstum erreichen und be-
schleunigen kann und wie wir Deutschland schnell und
gestärkt aus der Krise herausbringen können.

Die Union, die neue Bundesregierung und die Koali-
tion der Mitte haben hier einen klaren ordnungspoliti-
schen Kompass und ein Koordinatensystem, in dem wir
agieren und in dem wir klare Prioritäten setzen. Es gilt,
die Kraft der Freiheit zu aktivieren und zu nutzen. Leis-
tung muss sich wieder lohnen. Es geht nicht darum, um-
zuverteilen


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)


und Neiddiskussionen auf das Tapet zu bringen. Wir ha-
ben schon heute die Situation, dass 10 Prozent der Ein-
kommensteuerzahler mehr als 50 Prozent der Einnah-
men aus dieser Steuer aufbringen. Wohin eine reine
Umverteilung führt, können wir an 40 Jahren DDR se-
hen. Dahin wollen wir mit Sicherheit nicht zurück. Wir
wollen das Gegenteil.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir wollen die Weichen auf Wachstum stellen und die
richtigen Anreize setzen, damit der Motivationsmotor
bei Arbeitnehmern und bei Unternehmen gleichermaßen
angekurbelt wird. Dafür brauchen wir das Rad nicht neu
zu erfinden. Wir brauchen dafür auch keine Revolution.
Wir müssen an vielen kleinen Stellschrauben drehen, da-
mit sie sich in ihrer Wirkung addieren und die Wachs-
tumsbremsen dadurch gelöst werden. Dann geht es in die
richtige Richtung voran.

Wir werden zum 1. Januar nächsten Jahres Entlas-
tungen in einem Volumen von 22 Milliarden Euro auf
den Weg bringen. Schon die Große Koalition hatte mit
dem Bürgerentlastungsprogramm und den Konjunktur-
paketen Entlastungen in Höhe von 14 Milliarden Euro
beschlossen. Das war richtig, und das ist auch heute
noch richtig. Wir legen zum 1. Januar aber noch zusätz-
lich 8,5 Milliarden Euro drauf, wodurch das Wachstum
weiter beschleunigt wird.

Neben dem Lösen der Wachstumsbremsen gilt es aber
auch, die Lehren aus der Krise zu ziehen. Was da pas-
siert ist, darf sich weder weltweit noch hier in Deutsch-
land wiederholen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir werden – das hat die Bundeskanzlerin gestern ange-
sprochen – hart dafür arbeiten, dass international die Re-
gelungen getroffen werden, die dafür sorgen, dass Fi-
nanzmärkte und Finanzprodukte so reguliert werden,
dass sich diese Krise nicht wiederholen kann.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es wiederholt sich doch schon wieder!)


Es wird ein schwerer Weg. Aber wir werden diesen Weg
konsequent gehen. Wir sind sicher, dass wir im End-
ergebnis Erfolg haben werden.

Aber nicht nur international, sondern auch national
müssen wir die entsprechenden Weichenstellungen vor-
nehmen. Hier gibt es ein Auseinanderklaffen von Mög-
lichkeiten und Verantwortung, von Gewinnchancen und
Risiko. Persönliche Haftung und Gewinn müssen zu-
sammenpassen. Für mittelständische Unternehmen, ei-
gentümergeführte Unternehmen und Handwerker war
und ist dies nie ein Thema. Die Balance ist dort gegeben.
Diese Balance ist der Kern der sozialen Marktwirtschaft,
wie sie Ludwig Erhard beschrieben hat und die das Er-
folgsmodell der Bundesrepublik Deutschland war und
ist.

Dort, wo es Schwierigkeiten und Fehlsteuerungen
gibt, wo diese Dinge auseinanderklaffen, wo Vergü-
tungssysteme bzw. Boni ins Uferlose wachsen und
keine persönliche Haftung mehr vorhanden ist, nämlich
bei Kapitalgesellschaften, erwarten wir Änderungen. Zu-
nächst erwarten wir, dass die Wirtschaft selbst handelt
und ihre Lehren aus den Ereignissen zieht. Der Vor-
schlag, den beispielsweise BMW in den letzten Wochen
gemacht hat – es soll eine neue Gehaltsregelung einge-
führt werden; Gehälter des Topmanagements sollen
nicht stärker steigen als die von Bandmitarbeitern –, geht
in die richtige Richtung und ist ein richtiges Signal.

Wir von der Union setzen darauf, dass die Wirtschaft
ihre Hausaufgaben erledigt. Wir sagen klar: Mit Aussit-
zen wird man nicht durchkommen. Wenn diese Hausauf-
gaben nicht erledigt werden, dann wird die Politik han-
deln müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die neue Regierung wird die Wachstumsbremsen lö-
sen, damit die Konjunktur wieder Fahrt aufnimmt und
wir gestärkt aus der Krise hervorgehen. Herr Heil, Sie
haben vorhin viele Dinge angesprochen, die in diesem
Zusammenhang notwendig sind. Wir waren in den letz-
ten vier Jahren leider nicht in der Lage, die Dinge, die
notwendig waren, gemeinsam mit Ihnen anzugehen.
Dies betrifft den Mittelstandsbereich, den Bürokratieab-
bau, den Steuerbereich – ich nenne einmal die GWG-So-
fortabschreibung – und das Potenzial, Haushalte als Ar-
beitgeber zu erschließen. Hier gäbe es viele neue
Möglichkeiten. Dem haben Sie sich verweigert. Auch im
Bereich der Gründungsfinanzierungen war eine Total-
verweigerung festzustellen.

Deshalb werden und müssen wir jetzt all die Dinge,
die mit Ihnen nicht möglich waren, zusammen mit der
FDP in den nächsten vier Jahren – wir beginnen mit dem
Wachstumsbeschleunigungsgesetz – umsetzen. Ich muss
sagen: Sie vergießen heute reichlich Krokodilstränen,
wenn Sie Dinge anmahnen, die Sie vor drei Monaten
noch selber abgelehnt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Joachim Pfeiffer
Wir werden den Mittelstand stärken. Wir werden den
Innovationsmotor durch zusätzliche Impulse für kleine
und mittelständische Unternehmen anwerfen, indem wir
beispielsweise die steuerliche Förderung von Forschung
und Entwicklung einführen werden. Wir werden den
Wettbewerb weiter stärken. Es gilt, das Kartellamt im
Gesetzgebungsverfahren weiter zu stärken. Wir werden
das GWB erneut überprüfen. Wir werden bestehende
Ungleichbehandlungen – ich nenne den Postbereich –
schleunigst beseitigen, damit auch hier Wachstumsbrem-
sen gelöst werden und neue Arbeitsplätze entstehen kön-
nen.

Wir werden Wettbewerbsgleichheit auch dort herstel-
len, wo sie heute noch nicht besteht, beispielsweise im
Wettstreit zwischen Kommunen und privaten Anbietern,
was die Umsatzsteuer anbelangt. Nur dadurch, dass wir
den Wettbewerb fördern, werden wir Wachstumsbrem-
sen lösen und die Dinge nach vorne bringen.

Wir werden Genehmigungsverfahren weiter beschleu-
nigen und Bürokratie abbauen. Wir werden – auch dies
war mit der SPD nicht möglich – Planungs- und Inves-
titionssicherheit herstellen. Es ist das höchste Gut in der
Republik, dass die Menschen und die Unternehmen da-
rauf vertrauen können, dass Investitionen, die sie nach
geltender Gesetzeslage tätigen, auch sicher sind. Dies
haben Sie verhindert, indem wir den Anlagenbegriff bei
Biogasanlagen nachträglich geändert haben.


(Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


– Genau Sie waren es, Herr Kelber, der das verhindert
hat. Wir werden dies jetzt korrigieren und Planungs- und
Investitionssicherheit wiederherstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Leute sollen sich, wenn sie Investitionen tätigen,
wieder darauf verlassen können, dass das, was heute gilt,
auch noch in vier Jahren gilt.

Wir werden – das ist auch angesprochen worden –
jetzt eine Energiepolitik aus einem Guss machen, wie
es Herr Brüderle angekündigt hat, eine technologieof-
fene, markorientierte und ideologiefreie Energiepolitik.


(Caren Marks [SPD]: Ideologiefrei?)


Eine solche Politik habe ich vermisst, Frau Andreae. In
sieben Jahren Rot-Grün gab es kein Energieprogramm;
auch in den letzten vier Jahren ist es nicht gelungen, ein
Energieprogramm auf den Weg zu bringen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren doch dabei! Warum haben Sie es nicht gemacht?)


Wir haben dies mit dem Energiegipfelprozess eingelei-
tet.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, Sie haben es fertig!)


– In der Tat. Aber da war es dann so: Als die Fakten auf
dem Tisch lagen, verweigerte man sich und war nicht be-
reit, die notwendigen Schlüsse zu ziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir werden jetzt ein Energieprogramm vorlegen, das
deutlich macht, wie wir die internationalen Herausforde-
rungen angehen werden. Wir sind viele Verpflichtungen
im europäischen und weltweiten Kontext eingegangen;
dies zeigen jetzt auch die Verhandlungen über das Kioto-
Nachfolgeabkommen in Kopenhagen. Die internationa-
len Verpflichtungen, die wir eingehen, und die nationa-
len Ziele, die wir uns gesetzt haben, um das Abkommen
umzusetzen, das Integrierte Klima- und Energiepaket,
der Ausbau der erneuerbaren Energien, die Verdoppe-
lung der Energieeffizienz und andere Dinge mehr, müs-
sen in unser Programm einfließen.

Daraus werden wir rational, an den Zahlen und Fak-
ten orientiert, ableiten, wie sich der Energiemix entwi-
ckeln wird, und dann werden wir langfristig erreichen,
dass die erneuerbaren Energien in einem dynamischen
Energiemix den Hauptanteil übernehmen. Wir haben das
Ziel, im Strombereich 30 Prozent bis 2020 zu erreichen;
daran halten wir fest. Vielleicht werden wir sogar mehr
erreichen. Aber 30 Prozent sind eben 30 Prozent;
70 Prozent müssen auch noch irgendwo anders herkom-
men.

Da diese 70 Prozent nicht vom Himmel fallen, sagen
wir ganz klar: Dieses Energiekonzept wird dann den
Weg weisen, wie lange wir die Kernkraft als Brücken-
technologie brauchen. Dieses Energiekonzept wird den
Weg weisen, wie lange wir moderne, effiziente Kohle-
kraftwerke in Deutschland brauchen. Dies wird uns dann
auch den Weg bei der Laufzeitverlängerung weisen. Die
Laufzeitverlängerung ist kein Wert an sich, sondern
muss in das energiepolitische Gesamtkonzept eingebet-
tet sein. Wir werden dafür sorgen, dass die höchsten Si-
cherheitsstandards, die es in Deutschland und weltweit
gibt, zur Anwendung kommen. Anhand dieser Sicher-
heitsstandards werden die Laufzeiten der Anlagen dann
verlängert werden.

Wir werden dafür sorgen, dass der volkswirtschaftli-
che Nutzen, den diese Laufzeitverlängerung bringt, nicht
nur als ein betriebswirtschaftlicher Nutzen bei den vier
großen Energieunternehmen bleiben wird. Wir werden
die damit volkswirtschaftlich frei werdenden Mittel für
die Verbesserung der Energieeffizienz, für Forschung
und Entwicklung im Energiebereich, für die Speicher-
technologie, für die Netzintegration und andere Dinge
einsetzen, wodurch wir die Dynamik des Energiemixes
stärker entfalten werden, als es heute möglich ist. So
wird ein Schuh daraus: Erneuerbare Energien und Kern-
energie sind kein Widerspruch; sie sind zwei Seiten der-
selben Medaille.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben überhaupt nichts kapiert!)


Wir werden auch dafür sorgen, dass diese Laufzeit-
verlängerung oder die Rücknahme der willkürlich ver-
kürzten Laufzeiten


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Willkürlich verkürzte Laufzeiten?)


die Wettbewerbsverhältnisse nicht weiter zementiert
oder gar den Wettbewerb weiter stört. Wir werden dafür






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Joachim Pfeiffer
sorgen, dass dies mindestens wettbewerbsneutral statt-
finden oder der Wettbewerb dadurch verstärkt werden
wird. Dafür gibt es Mittel und Instrumente.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie denn bei sich zu Hause ein Endlager angeboten? Oder ist Ihnen das zu unangenehm?)


Außerdem werden wir dafür sorgen, dass diese Lauf-
zeitverlängerung dazu führt, dass der Verbraucher, der
Industriestandort Deutschland, die energieintensiven
Unternehmen und auch der Haushalt etwas davon haben.
Es geht also nicht nur um einen zukunftsfähigen Ener-
giemix, sondern auch um Entlastung und Erleichterung,
wodurch Wettbewerbsfähigkeit zurückgewonnen wer-
den wird.

Wenn wir die Wachstumsbremsen in allen Berei-
chen lösen, dann wird ein Schuh daraus. Dann haben wir
die Möglichkeit, dass diese Maßnahmen wirken. Wir
lassen sie uns auch nicht zerreden. Wir werden hier an
einem Strang ziehen, und dann wird sich das Wachstum
in Deutschland


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um 0,5 Prozent! Ein Wachstum von 0,5 Prozent für 21 Milliarden Euro!)


mit ordnungspolitisch klaren Linien beschleunigen. Wir
werden dann so gut unterwegs sein, dass wir die Chance
haben, nicht nur aus der Krise gestärkt hervorzugehen,
sondern in vier Jahren, am Ende dieser Wahlperiode,
auch wieder vor dieses Haus treten und sagen zu können,
dass unsere Maßnahmen gewirkt haben und dass es
Deutschland nach vier Jahren einer Koalition der Mitte
aus Union und FDP besser geht, als es 2009 der Fall war.
In diesem Sinne werden wir arbeiten, und dann werden
die Fakten für uns sprechen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1700401800

Letzter Redner zu diesem Themenkomplex ist der

Kollege Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1700401900

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Als

letzter Redner in einer solchen Debatte hat man die Ge-
legenheit, ein Resümee zu ziehen. Ich finde es bemer-
kenswert, dass der einzige Redner der SPD alle Instru-
mente zur Krisenbewältigung für seine Partei reklamiert
und gesagt hat: Wir sind die Einzigen, die es können.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, so ist es!)


– Herr Heil, abgesehen davon, dass ich das für ausge-
sprochen gefährlich halte – ganz so lapidar ist diese
Krise und ihre Bewältigung nicht –: Die Wählerinnen
und Wähler haben das in einer klaren Mehrheit ganz an-
ders gesehen und gesagt: Diejenigen, die uns aus dieser
Krise führen können, sitzen auf der rechten Seite des
Hauses. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zu Ihrem Beitrag zu diesem Wahlergebnis wurde das
Notwendige vom Vorredner bereits gesagt.

Ich will nichts zu dem sagen, was uns hier von der
Linken wieder einmal präsentiert wurde. Ich glaube, das,
was wir im Wahlkampf gesehen haben, war selbstre-
dend. Vorne am Baum hing ein Plakat mit der Aufschrift
„Reichtum für alle“, hinten am Baum ein Plakat mit der
Aufschrift „Reichtum besteuern“. Ja, was denn nun, wie
hätten Sie es denn gerne?


(Zuruf von der LINKEN: Sie verstehen es nicht!)


Ich glaube, dass ein Teil Deutschlands 40 Jahre Ihres
sogenannten Reichtums, nämlich den in der DDR, erlebt
hat und dass er jetzt genug davon hat.

Frau Andreae, die Grünen sprechen von Visionen. Ich
gebe Ihnen Recht: Visionen sind wichtig. Aber wenn
man nur Visionen hat, dann wird es grenzwertig.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das jetzt für eine Aussage? Eine absolute Nullaussage!)


Ich sage Ihnen auch: Sie sind in der Umsetzung unglaub-
lich schwach. Ich werde diese Aussage gleich unterle-
gen. Sie hätten uns gerne erzählen können, wie es mit
den Mitteln für das CO2-Gebäudesanierungspro-
gramm zu Ihrer Regierungszeit bestellt war, wie das
Marktanreizprogramm zu Ihrer Regierungszeit finanziell
ausgestattet war.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können wir Ihnen gern erzählen! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie etwas zu der Ökosteuer sagen, die Sie immer abgelehnt haben, Herr Nüßlein?)


Wenn Sie das mit dem vergleichen, was wir in der letz-
ten Legislaturperiode gemeinsam mit der SPD gemacht
haben und was wir in dieser Legislaturperiode im Hin-
blick auf die Finanzkrise in diesem Bereich tun werden,
dann werden Sie feststellen, dass Sie nur einen ganz
kleinen Beitrag geleistet haben.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen Sie jetzt selber lachen!)


Bei dem, was wir zum Thema Energiepolitik im Rah-
men dieser Debatte gehört haben, fand ich eine Einlas-
sung bemerkenswert, die zwar ehrlich, aber auch be-
denklich ist. Vonseiten der Kernenergiegegner heißt es:
Wir müssen konventionelle Energieformen – sprich
Kohle und Kernenergie – verhindern, sie müssen weg,
damit Platz für die erneuerbaren Energien geschaffen
werden kann.

Wir sehen das anders. Wir haben sehr viel Vertrauen
in das, was sich im Bereich der erneuerbaren Energien
entwickelt.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Georg Nüßlein

(Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben Vertrauen zu Biblis, zu Brunsbüttel und Neckarwestheim!)


Wir wissen, dass sie sich am Markt entwickeln können.
Wir sind – wie es der Kollege Pfeiffer vorhin formuliert
hat – aber überzeugt, dass Kernenergie und erneuerbare
Energie zwei Seiten einer Medaille sind.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und ein Endlager in Bayern!)


Ich weiß, dass es Sie ärgert, dass es Ihnen nicht gelin-
gen wird, uns in die Richtung der Kernenergielobby zu
drängen.


(Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind Sie doch schon! Das müssen wir gar nicht! Keine Sorge! – Zuruf von der SPD: Guten Morgen!)


Sie tun so, als ob wir diejenigen wären, die glauben, al-
lein mit Kernenergie könnte man das Energieproblem lö-
sen.


(Peter Friedrich [SPD]: Sie machen, was Sie wollen!)


Das wird Ihnen nicht gelingen, weil wir im Koalitions-
vertrag klar definiert haben, dass wir einen dynamischen
Energiemix wollen,


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie doch mal was über Windenergie in Bayern, Herr Nüßlein! Das ist unglaubwürdig, was Sie hier machen!)


bei dem die erneuerbaren Energien aufwachsen und die
konventionellen Energien auch im Hinblick auf das
Thema Klimaschutz sukzessive ersetzen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit wann das denn? Sie haben doch immer dagegen gestimmt!)


Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich klar unterstrei-
chen, weil hier fälschlicherweise behauptet wurde, wir
würden an der Förderung der erneuerbaren Energien
Gravierendes ändern: Wir stehen zum Erneuerbare-
Energien-Gesetz, das übrigens nicht Rot-Grün erfunden
hat, sondern das auf dem Stromeinspeisegesetz von
Helmut Kohl basiert. Das muss man doch einmal deut-
lich sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie dagegen gestimmt?)


– Wir haben nicht dagegen gestimmt. Wir haben gegen
Ihre Ausgestaltungsmaßnahmen gestimmt, weil sie Un-
schärfen und Unklarheiten enthalten haben.

Wir stehen ganz klar dafür, die erneuerbaren Energien
auszubauen. Wir werden im Bereich der Energiefor-
schung dafür sorgen, dass alternative Energien und in
diesem Zusammenhang auch die Speichermöglichkeiten
im Zentrum stehen. Wenn Sie sich den Entwurf des
Wachstumsbeschleunigungsgesetzes angeschaut haben,
wissen Sie, dass die erneuerbaren Energien in diesem
ersten Gesetz der neuen Koalition eine Rolle spielen.

Wir werden uns damit beschäftigen, was man im Be-
reich der Kraftstoffe tun kann. Man muss sicher darüber
diskutieren, ob das, was wir uns in steuerlicher Hinsicht
vorstellen, letztendlich wirklich zum Ziel führt. Darüber
werden wir im Rahmen der Beratungen dieses Gesetz-
entwurfs sicher sprechen.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CSU ist dagegen!)


Außerdem beseitigen wir einen klaren Verstoß gegen
das Rückwirkungsverbot im Bereich modular aufgebau-
ter Biogasanlagen. Warum tun wir das? Weil wir wis-
sen, dass wir im Bereich der erneuerbaren Energien In-
vestoren brauchen. Darum muss man seitens des Staates
Verlässlichkeit bieten. Das ist ganz entscheidend.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann dürfen Sie aber keine Laufzeiten verlängern! Das ist gegen die Verlässlichkeit!)


Wir werden das, was damals ein Herzensanliegen der
SPD war, beseitigen, damit deutlich wird: Wir, die neue
Koalition, stehen für Verlässlichkeit auch im Bereich der
Förderung erneuerbarer Energien.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Diese Koalition strahlt!)


Nun habe ich wieder die üblichen Ressentiments ge-
genüber der Kohle vernommen. Ich bin der Auffassung,
dass die Kohlevorkommen dieser Welt energetisch ver-
wertet werden sollten. Die Frage wird sein, mit welcher
Technologie und in welchem Zeitraum. Entscheidend ist,
dass wir einen Beitrag dazu leisten, dass dies mit hoher
Effizienz geschieht. Deshalb werden wir uns vorrangig
mit dem Thema CCS beschäftigen müssen, aber auch
mit der Frage, was im Bereich des internationalen Emis-
sionshandels geschieht.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1700402000

Herr Kollege Nüßlein, ich möchte Sie fragen, ob Sie

eine Zwischenfrage des Kollegen Kelber gestatten.


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1700402100

Gerne.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ulrich, du bist doch gleich erst dran!)



Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1700402200

Das ist eine andere Debatte.

Vielen Dank für die Möglichkeit, Herr Kollege
Nüßlein. – Sie und der Kollege Pfeiffer haben gerade die
gleiche Behauptung aufgestellt. Dazu habe ich eine
Frage: Können Sie mir, dem Plenum und der Öffentlich-
keit, natürlich in umgekehrter Reihenfolge, bestätigen,
dass das Thema Biogasanlagen, das Sie beide herausge-






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kelber
stellt haben, auf einen Wunsch des Bundesrates zurück-
geht – genauer gesagt: der CSU-geführten Landesregie-
rung Bayern und der CDU-geführten Landesregierung
Baden-Württemberg – und mit den Stimmen von Herrn
Dr. Pfeiffer und Ihnen beschlossen wurde, dass Sie in
der Debatte über das Erneuerbare-Energien-Gesetz kei-
nen Wunsch zur Änderung dieser Regelung formuliert
haben, dass es danach ein Urteil des Bundesverfassungs-
gerichts gegeben hat, nach dem es keine rückwirkende
Änderung ist, und dass das, was Sie machen, kein Schutz
von Investoren ist, sondern der Schutz von zwei großen
Finanzfonds, an die Bürgerinnen und Bürger ansonsten
Rückforderungsansprüche stellen könnten?


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat einer richtig Ahnung! Fachwissen!)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1700402300

Lieber Herr Kollege Kelber, ich weiß nicht, in wel-

cher Reihenfolge ich Ihnen das nun bestätigen soll: erst
Ihnen und dann der Öffentlichkeit?


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie einfach Ja!)


Wie auch immer, ich kann Ihnen an dieser Stelle eines
sagen: Sie wissen genau, wie die Verhandlungen damals
gelaufen sind, wo unsere Interessen beim Thema „För-
derung der erneuerbaren Energien“ lagen und dass wir in
der Koalition letztendlich gesagt haben: Wir hätten es
gerne, dass das Thema Fotovoltaik mit etwas mehr Vor-
sicht und Marktbezug geregelt wird.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt aber nicht die Frage!)


– Lassen Sie mich die Frage so beantworten, wie ich sie
beantworten möchte, Herr Trittin.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Antwort auf die eigentliche Frage negativ wäre!)


Dann wären wir im Bereich der Fotovoltaik jetzt nicht in
einer so schwierigen Situation, wie es im Moment der
Fall ist. Ich weiß, dass das an Dingen wie der Finanz-
krise liegt, die man vielleicht nicht hat vorhersehen kön-
nen. Jeder hat seine Anliegen in diese Diskussion einge-
bracht. Ich erinnere mich daran, dass die SPD ein
Interesse daran hatte, bezüglich Penkun so zu entschei-
den.

Letztendlich kann man lange über die juristische
Frage, ob das eine echte oder unechte Rückwirkung ist,
diskutieren. Ich habe schon damals gesagt: Das, was wir
da gemacht haben, erscheint im Nachhinein ausgespro-
chen fragwürdig.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das, was Herr Kelber zu Bayern und Baden-Württemberg behauptet hat, stimmt!)


Ich gebe zu, dass wir das gemeinsam gemacht haben.
Sonst hätten Sie wieder gesagt, wir stimmten dem EEG,
das richtungsweisend sei, nicht zu. Ich habe nur einen
kleinen Teil herausgegriffen, um deutlich zu machen:
Wir stehen für Verlässlichkeit im Bereich der erneuerba-
ren Energien und auch für Investorenschutz.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt Herumgeeiere und nicht verlässlich!)


Da ist eine, wenn auch kleine, Maßnahme; aber wir wer-
den das entsprechend fortsetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte an dieser Stelle unsere Position zum
Thema Kernenergie noch einmal ganz klar herausarbei-
ten.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch einmal? Ich denke, Sie sind kein Kernenergiefan!)


– Ich bin kein Kernenergiefan, aber ich sage Ihnen deut-
lich: Wir brauchen die Kernenergie als Brücke in einen
Energiemix, den wir heute noch nicht kennen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Den kennen auch Sie noch nicht. Wer weiß denn, ob das,
was wir uns im Bereich der alternativen Energien vor-
stellen, der Weisheit letzter Schluss ist? Frau Andreae
spricht von Visionen; aber offenkundig haben Sie dann
doch keine.


(Lachen der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das scheint doch so zu sein. Denn ich kann mir durchaus
vorstellen, dass wir irgendwann einmal ganz andere
Energiegewinnungsformen haben


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Solange machen wir Kernenergie? Eine Brücke ohne Ende, eine Brücke ins Nirwana!)


und sagen: Damals hat man über Biomasse und Wind-
kraft diskutiert, heute gibt es ganz andere Ansatzpunkte.

Lassen Sie uns in diesem Bereich doch zumindest for-
schen. Wir werden in Verhandlungen mit den Betreibern
von Kernkraftwerken dafür sorgen, dass insbesondere
der Vorteilsausgleich auch den erneuerbaren Energien
zugutekommt, sodass uns auch da niemand vorhalten
kann, das eine spiele man gegen das andere aus. Die Ein-
zigen, die das tun, die das eine gegen das andere ausspie-
len, sind immer Sie.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein!)


Ich weiß, dass das der emotionalste Bereich der Ener-
giepolitik ist. Wenn ich mir dann immer von Kollegin-
nen und Kollegen insbesondere von der grünen Seite an-
hören muss, wie unverantwortlich und nicht tragbar das
ist, dann muss ich Sie, Herr Trittin – Sie sitzen ganz
vorne –, fragen: Wie konnten Sie eine Laufzeitverlän-
gerung von 20 Jahren einfach so hinnehmen? Denn die
Kernenergie war aus Ihrer Sicht auch schon vor 20 Jah-
ren unverantwortlich und nicht tragbar, und angeblich
sind damals schon mehr Kinder an Krebs erkrankt etc.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Georg Nüßlein
Diese Frage sollte einmal jemand von Ihnen beantwor-
ten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das ist eine spannende energiepolitische Frage. Eine
Laufzeitverlängerung von 20 Jahren war unter Rot-Grün
machbar, und jetzt ist eine Laufzeitverlängerung untrag-
bar und ein Unding. Das ist eine Doppelzüngigkeit, die
ich so nicht unterstützen kann.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also doch ein Kernenergiefan!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1700402400

Wir kommen nun zum Themenbereich Umwelt.

Ich erteile das Wort zunächst dem Bundesminister
Dr. Norbert Röttgen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Finanzmarktkrise war das Thema, das uns in diesem
Haus im vergangenen Jahr am meisten beschäftigt hat.
Der damalige Bundesfinanzminister hat in den ersten
Wochen davon gesprochen: „Wir haben in den Abgrund
geschaut.“ Wir haben hier im Haus innerhalb von einer
Woche ein Schutzpaket in Höhe von 500 Milliarden
Euro beraten und verabschiedet. Gestern in der Regie-
rungserklärung der Bundeskanzlerin war der erste Punkt
die Notwendigkeit, konsequent, grundlegend und zügig
umzusteuern.

Ich betone diese Debatte und die Auseinandersetzung,
die wir geführt haben, weil ich glaube, dass die Erfah-
rung der Krise – es war ja nicht Theorie, sondern war
und ist Erfahrung – für die Einordnung, den Anspruch
und den Ernst der Umweltpolitik im Allgemeinen und
der Klimaschutzpolitik im Besonderen fruchtbar ge-
macht werden kann. Ich glaube, dass wir beide Krisen
miteinander vergleichen können und sollten: die Finanz-
marktkrise und die Ökokrise, die kommt, wenn wir auf
diesem Gebiet nicht ebenso grundlegend, zügig, syste-
matisch und entschlossen umsteuern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Was sind die Vergleiche, was sind die Bezüge? Ich
will vier herstellen.

Erstens. Die Finanzmarktkrise war und ist mehr als
eine Bankenkrise. Sie hat sich zur Wirtschaftskrise
weitergefressen und barg und birgt weiterhin die Gefahr,
zum gesellschaftlichen Kollaps zu führen. Die Klima-
krise, die Ökokrise, die kommt, wenn wir uns nicht än-
dern,


(Zuruf von der SPD: Das stimmt!)

hat existenzielle Dimension. Ein Gesellschaftskollaps
wäre schon fundamental. Die Ökokrise aber ist eine
Überlebensfrage für Hunderte von Millionen Menschen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Bei der Finanzmarktkrise konnten die Ret-
ter noch sagen: Wir haben in den Abgrund geschaut, sind
einen Schritt zurückgegangen und konnten uns retten. –
Wenn wir es bei der Klimakrise, bei der Ökokrise so
weit kommen lassen, dann können wir nicht mehr einen
Schritt zurückgehen; denn die Ökosysteme sind zu träge,
als dass man sie per Kommando stoppen könnte. Dann
sind wir verloren. Wir müssen vorher umschalten und
umsteuern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Drittens. Ich habe an dieser Stelle in Anlehnung an
den Jesuitenpater Professor Friedhelm Hengsbach vor
ungefähr einem Jahr davon gesprochen, dass die Funk-
tionsfähigkeit der Finanzmärkte ein öffentliches Gut dar-
stellt. Die Bundeskanzlerin hat gestern völlig zu Recht
gesagt: Das öffentliche Gut liegt in dem dienenden Cha-
rakter der Finanzmärkte für Wirtschaft und Gesellschaft. –
Ich stehe dazu und halte das nach wie vor für richtig.
Das war die Legitimation dafür, dass wir sozusagen in
einem Akt kollektiver Selbstverteidigung zu diesen
Maßnahmen gegriffen haben.

Das Gut, das wir mit Klimapolitik, mit Umweltpolitik
verteidigen, unsere natürlichen Lebensgrundlagen, ist
ein Menschheitsgut. Es hat für die Menschen nicht nur
dienenden Charakter, sondern es ist Selbstwert. Für
Christen ist es Schöpfung, und der Schöpfungscharakter
ist in unsere Traditionen und unsere Kultur eingegangen.
Wir verteidigen den Eigenwert, den Selbstwert, das
Menschheitsgut Schöpfung, wenn wir Klimapolitik ma-
chen. Das geht über das, was wir in der Finanzmarkt-
krise verteidigt haben und verteidigen, noch weit hinaus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Viertens. Die Finanzmarktkrise ist nicht – das hat
Hans-Peter Friedrich gestern richtig ausgeführt – durch
die Marktwirtschaft entstanden, sondern wir haben uns
diese Krise durch die Verletzung marktwirtschaftlicher
Prinzipien eingehandelt. Diese Krise ist geradezu markt-
wirtschaftswidrig entstanden,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


durch Verletzung der Grundsätze marktwirtschaftlichen
Ordnungsdenkens.

Unsere Auffassung ist, dass wir Klimaschutz und
Umweltschutz nicht gegen die Marktwirtschaft betreiben
dürfen, sondern dass wir dies innerhalb des marktwirt-
schaftlichen Ordnungsrahmens versuchen müssen. In
der Vergangenheit hat sich jede Planwirtschaft wie keine
andere Ordnung an der Umwelt versündigt, an den






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
Menschen, aber auch an der Umwelt. Wir halten das
marktwirtschaftliche System für überlegen.

Daraus ziehen wir allerdings die Lehre: Markt
braucht Ordnung. Auch der Markt, der Umweltziele er-
reichen will, braucht Ordnung. Es gibt ein überragendes,
übergreifendes Ordnungsprinzip des Marktes, und das
heißt Nachhaltigkeit. Wir brauchen eine nachhaltige
Wirtschaftsordnung. Die Schäden von Kurzfristigkeit
konnten wir auf den Finanzmärkten beobachten. Wir
werden sie auch in der Umwelt sehen, wenn wir kurz-
fristig denken. Darum müssen wir das Leitprinzip der
Nachhaltigkeit durchsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gehört zur inneren Logik marktwirtschaftlichen
Denkens, dass wir die Grundlagen unserer wirtschaftli-
chen Tätigkeit, dass wir die Grundlagen unseres Lebens
erhalten und nicht an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen.
Wir machen ökologische Politik, weil sie die Grundlage
unseres Lebens und auch unseres Wirtschaftens ist. Wir
wollen dabei marktwirtschaftliche Instrumente anwen-
den, weil wir die Effizienz, die Überlegenheit, das Ent-
deckungsverfahren, die wettbewerblichen Potenziale
nutzen wollen, um ökologische Ziele zu erreichen. Ge-
nauso richtig ist aber auch, dass die ökologische Zielset-
zung Klimaschutz nicht nur instrumentellen Charakter
haben darf, sondern dass Ökologie und Umweltschutz
Märkte produzieren. Umweltschutzpolitik zu machen, ist
auch eine Innovations- und Wirtschaftsstrategie.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heute ist in der FAZ unter der Schlagzeile „Ökoge-
schäft stabilisiert Siemens“ zu lesen:

Der Siemens-Konzern hat im Geschäftsjahr 2009
schon 23 Milliarden Euro Umsatz mit Umweltpro-
dukten generiert. Das ist gegenüber dem … Vorjah-
reswert … ein Plus von 11 Prozent. Dadurch wur-
den die Einbußen im übrigen Geschäft als Folge der
Wirtschaftskrise von rund 4 Prozent aufgefangen.

Wir hatten einmal eine Phase, in der galt: Ökonomie
und Ökologie sind Gegner. Dann kam eine Phase, in der
es hieß: Wir müssen beides miteinander versöhnen. Ich
glaube, inzwischen haben wir die Phase erreicht, dass
wir erkennen: Das eine ist ohne das andere nicht mach-
bar und nicht denkbar. Ökonomie und Ökologie sind
zwei Seiten einer Medaille.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Aufgabe ist, aus dieser grundlegenden ethischen
und ordnungspolitischen Einschätzung von Umwelt- und
Klimaschutz eine politische Strategie und konkrete Poli-
tik abzuleiten. Das muss die Konsequenz aus dieser Ein-
ordnung sein. Das ist nicht Lyrik, sondern das sind die
Fundamente, auf denen wir Politik machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Ich glaube, die drei wichtigsten Felder der Umweltpo-
litik sind erstens der Klimaschutz – ich denke auch an
Kopenhagen –, zweitens die Energiepolitik und drittens
der Schutz der biologischen Vielfalt. Ich will zu diesen
drei Feldern jeweils einige Anmerkungen machen.

Zum ersten Punkt – Klimaschutz – will ich ganz
knapp sagen: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es zu
einem Erfolg der Klimakonferenz von Kopenhagen
keine Alternative gibt. Es gibt keine zweite Option, es
gibt keinen Plan B. Bei der Rettung, bei der Verteidi-
gung des Menschheitsgutes natürliche Lebensgrundla-
gen haben wir keine Wahl. Aus der Sache heraus ist klar:
Die Konferenz von Kopenhagen muss ein Erfolg wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Wir haben in diesem Prozess eine Vorreiterrolle. Die
Stimme unseres Landes – das zählt zu den Erfahrungen,
die man innerhalb von Tagen machen kann – hat Ge-
wicht. Dass wir diese Vorreiterrolle haben, dass die
Stimme unseres Landes mehr Gewicht hat, als es sozusa-
gen proportional wäre, ist nicht die Leistung dieser Re-
gierung, es ist die Leistung der Vorgängerregierungen:
meines Amtsvorgängers, seines Amtsvorgängers, dessen
Amtsvorgängerin. Dank des Beitrages von vielen in die-
sem Parlament, in dieser Gesellschaft ist der Klima-
schutz vom Rand ins Zentrum der Aufmerksamkeit ge-
rückt, ist Klimaschutz kein Nebenthema mehr. Unser
Land ist international glaubwürdig, weil wir national ge-
handelt haben und nicht nur anderen Vorschläge ge-
macht haben. Ich möchte meine erste Rede als Bun-
desumweltminister nutzen, die Leistungen der früheren
Regierungen, der Minister anderer Fraktionen und Par-
teien ausdrücklich anzuerkennen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will definieren, was Erfolg bedeutet. Ein takti-
scher Ratschlag könnte sein: Definier das nicht zu kon-
kret, sonst wird die Opposition dir deine Definition vor-
halten, wenn es nicht so herauskommt! – Ich bekenne
mich zur Notwendigkeit des Erfolges. Darum will ich
definieren, was Erfolg heißt: Erfolg heißt erstens klare
Ziele zur Reduzierung der CO2-Emissionen, Ziele, die
sich ableiten aus der Erkenntnis, dass die globale Erwär-
mung auf höchstens 2 Grad Celsius zu begrenzen ist.
2 Grad Celsius sind das Äußerste, was tolerierbar ist.
Wenn wir dieses Ziel erreichen, dann können wir eini-
germaßen sicher sein, dass für über 1 Milliarde Men-
schen in Asien die Wasserversorgung nicht gefährdet ist;
dann können wir einigermaßen sicher sein, dass nicht
weitere zig Millionen Menschen in Afrika auf der Suche
nach Wasser und Weideland vertrocknen, verdursten,
sterben. Diese existenzielle Dimension – die Gesichter
von Menschen, die kein Wasser mehr finden und sterben –
müssen wir uns vor Augen halten. Darum brauchen wir
den Erfolg.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
Wir müssen das Ziel erreichen, die Emissionen bis
2050 weltweit um 50 Prozent zu reduzieren. Die Indus-
trieländer haben hierbei eine Vorreiterrolle: historisch
begründet, wegen ihres Anteils an den Emissionen, aber
auch aufgrund ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit.
Darum war es ein Erfolg, dass sich die Staats- und Re-
gierungschefs beim letzten Europäischen Rat dafür aus-
gesprochen haben, dass die Industrieländer ihre Emissio-
nen um 80 bis 95 Prozent reduzieren, und sich dem Ziel
verpflichtet haben, den Beitrag zu leisten, der nötig ist,
um weitgehend treibhausgasneutrale Gesellschaften zu
werden.

Bis 2020 gilt es, die Emissionen in der Größenord-
nung von 30 Prozent zu reduzieren. Wir brauchen diesen
schrittweisen Prozess. Wir können nicht 30 Jahre weiter-
machen wie bisher und darauf verweisen, wir müssten
das Reduzierungsziel ja erst 2050 erreichen. Wir müssen
jetzt anfangen; sonst haben wir keine Chance, das Ziel
bis 2050 zu erreichen. Diese Koalition hat sich vorge-
nommen und im Koalitionsvertrag begründet, dass
Deutschland die CO2-Emissionen bis 2020 sogar um
40 Prozent reduziert. Viele andere Industrieländer sagen
– ein bisschen konditioniert – 30 Prozent. Wir sagen:
Unter dieser Regierung wird Deutschland seine Emissio-
nen unkonditioniert um 40 Prozent reduzieren. Wir sind
auf diesem Gebiet ambitionierter als die Vorgängerregie-
rung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben das unkonditioniert abgelehnt!)


Sie sollten uns auf dem guten Weg folgen.

Ich bin noch bei der Zieldefinition. Kennzeichen die-
ser Ziele ist, dass wir sie im Rahmen eines verbindlichen
rechtlichen Abkommens, das alle umfasst – „alle“ heißt:
China, USA, Europa, Schwellenländer und Entwick-
lungsländer –, festlegen wollen.

Zweites Ziel: Wir brauchen rechtlich und finanziell
wirkungsvolle Instrumente. Das Instrument internatio-
nale Überprüfung und auch die finanziellen Beiträge lie-
gen vor. In Entwicklungsländern wird es – bei bis 2020
wachsenden Finanzierungsbedarfen und aufbauend auf
einen Schnelleinstieg – ab 2020 100 Milliarden Euro pro
Jahr bedürfen, die aus unterschiedlichen Strängen finan-
ziert werden. Manche sagen jetzt: Klimaschutz ist teuer. –
Klimaschutz ist teuer, Handeln ist teuer. Nichthandeln
wäre sehr viel teurer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Darum brauchen wir auch die Innovationen und die Mo-
dernisierung der Wirtschaft, die damit anstehen.

Es ist ein Prozess der ökologischen Veränderung, der
Veränderung der Lebensweise und der Art, zu wirtschaf-
ten. Am allermeisten ist es aber auch ein Prozess der
wirtschaftlichen Modernisierung unseres Landes. Das
muss uns klar sein. Wenn man es wirtschaftlich betrach-
tet, dann wird klar, dass es um die Alternative geht, ob
wir Rückständigkeit verteidigen und mangelnde Wettbe-
werbsfähigkeit subventionieren oder ob wir die Ambi-
tion, die Entschlossenheit haben, auch hier wieder eine
weltweite wirtschaftliche, innovative Führerschaft zu er-
ringen. Wir wollen das. Gerade durch ökologische Mo-
dernisierung wollen wir die modernste Volkswirtschaft
werden. Damit werden wir führend sein, damit sichern
wir Arbeitsplätze, damit generieren wir Innovationen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zweiter Punkt. Die Energiepolitik. Nirgendwo ist es
so deutlich wie hier, dass wir die Energiepolitik grundle-
gend neu denken und gestalten müssen. Wir werden ein
in sich schlüssiges energiepolitisches Konzept vorlegen
– es fehlt seit knapp 20 Jahren –, mit dem wir Antworten
darauf geben, wie Energiepolitik grundlegend neu ge-
macht wird. Wir werden die Angebotsseite betrachten
– Klimaverträglichkeit, Versorgungssicherheit, Wirt-
schaftlichkeit für Verbraucher und Industrie –, und wir
werden die Nachfrageseite betrachten. In der Diskussion
fehlen bislang eigentlich die Nachfrageorientierung, die
Verbraucherorientierung und die Intelligenz und Bereit-
schaft – gerade auch aus Sicht der industriellen Nachfra-
ger –, sich auf eine neue Energiepolitik um- und einzu-
stellen. Die Energieeffizienz beinhaltet das größte
Kosteneinsparpotenzial, das wir anbieten können. Ich
weiß nicht, ob eine Unternehmensteuerreform eine so
große Kostenentlastung bringt wie die Nutzung von
Energieeffizienzpotenzialen in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich komme zum Schluss und will noch einen dritten
Punkt ansprechen. Neben dem Klimawandel ist das
Stoppen des Verlustes der biologischen Vielfalt die
zweite globale Herausforderung. Es geht darum, zu er-
kennen, dass die Ökosysteme die Grundlage allen Le-
bens und die Leistungen der Ökosysteme für die Men-
schen unverzichtbar sind. Saubere Luft, Ernährung,
sauberes Wasser, gesunde Böden: Das ist unsere Lebens-
grundlage. Darum ist der Schutz der Ökosysteme eine
Aufgabe, um die Schöpfung in unserer Zeit zu bewah-
ren.

Wir wollen das nicht mit einem Verkündungston ma-
chen, sondern Naturschutz kann man nur mit den Men-
schen und für die Menschen in Kooperation machen.
Wir werden ein Bundesprogramm zur Umsetzung der
Strategie zur biologischen Vielfalt auflegen, und wir
werden unsere internationale Führungsrolle auch hier
aufrechterhalten. Alle Zusagen – auch finanzielle Zusa-
gen –, insbesondere im Bereich des internationalen
Waldschutzes, werden wir einhalten und weiter aus-
bauen.

Eine allerletzte Bemerkung. Ich bin – heute ist Mitt-
woch – seit zwei Wochen Bundesumweltminister und
seit 15 Jahren Parlamentarier.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wir haben uns sehr gewundert!)


Darum möchte ich Ihnen ausdrücklich sagen, dass es
meinem Verständnis als Parlamentarier, der ich ja immer
noch bin, entspricht, dass wir gut zusammenarbeiten,
dass es eine vertrauensvolle Kooperation gibt und dass






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
wir dort, wo wir wirklich einen Konsens haben – es ist
eine unserer gesellschaftspolitischen Leistungen, auch
einen Konsens erarbeitet zu haben –, an einem Strang
ziehen. Im Übrigen freue ich mich auf eine sachorien-
tierte, kontroverse Auseinandersetzung, über gelegentli-
che Unterstützung natürlich auch, vor allem aber auf
eine erfolgreiche Zeit in der Umweltpolitik in den nächs-
ten vier Jahren.

Besten Dank.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1700402500

Bevor ich dem Kollegen Kelber das Wort erteile, er-

laube ich mir eine knappe Bemerkung. Es ist im wörtli-
chen wie im übertragenen Sinne gut, zu sehen, und viel-
leicht auch ein internationales Signal, dass es wenige
Wochen vor der Konferenz in Kopenhagen mit Blick auf
die Erwartungen und Zielsetzungen im Deutschen Bun-
destag ganz offenkundig eine große fraktionsübergrei-
fende Mehrheit gibt. Das sollte vielleicht in dieser De-
batte mit Blick auf die internationalen Implikationen der
Vorbereitungen dieser Konferenz noch einmal deutlich
werden.


(Beifall)


Herr Kollege Kelber, Sie haben das Wort.


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1700402600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Sehr geehrter Herr Minister Röttgen! Lieber Wahl-
kreisnachbar! Erst einmal auch vonseiten der SPD alles
Gute für Ihr neues Amt! Ich habe mit Freude gelesen, dass
es Ihr Wunschressort war, man Sie also nicht gezwungen
hat. Die strategischen Aspekte waren bei diesem Wunsch
sicherlich nicht zu unterschätzen. Aus allen Vorgängern
ist etwas geworden: Ministerpräsident, UN-Beauftragter,
Bundeskanzlerin, Fraktionsvorsitzender und, wie ich
hoffe, ab diesem Wochenende auch Parteivorsitzender.
Ich hoffe natürlich auch, dass das inhaltliche Engagement
hinzukommt und dann das, was heute relativ abstrakt war
und wahrscheinlich sein musste, noch mit Inhalt gefüllt
wird.

In der Tat ist dies keine Nebendebatte. Gut gemachte
Umweltpolitik schützt die Lebensgrundlagen, sichert
Lebensqualität und schafft Jobs mit Zukunftsgarantie.
Diesem Anspruch wird zumindest der schwarz-schwarz-
gelbe Koalitionsvertrag nicht gerecht. Wir warten natür-
lich in den vier Jahren auf die konkrete Politik. Ich
nenne dafür ein paar Beispiele.

Das erste Beispiel ist: Bei aller Übereinstimmung in
Sachen Klimaschutz als Ziel gibt es eine gewisse Zu-
rückhaltung gegenüber einigen Instrumenten. Der Wahr-
heit zuliebe: Dass wir jetzt ohne Vorbehalt eine Senkung
der CO2-Emissionen um 40 Prozent zwischen 1990 und
2020 zugesagt haben, freut uns. Diesen Vorschlag hatte
die SPD in der Großen Koalition mehrfach gemacht. Auf
Arbeitsebene waren wir uns einig. Leider hat dieser Vor-
schlag den Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder nie
erreicht, weil er vom Ersten Parlamentarischen Ge-
schäftsführer der CDU/CSU-Fraktion zurückgehalten
wurde. Dieser hieß in der letzten Legislaturperiode nicht
Altmaier, sondern Norbert Röttgen. An dieser Stelle
danke ich Ihnen, dass Sie Ihren eigenen Widerstand jetzt
gebrochen haben, Herr Röttgen. Das war wahrscheinlich
ein hartes inneres Ringen.


(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Koalitionsvertrag steht auch, dass Sie einen Ablass-
handel einführen wollen, um unser Land weiter zu versie-
geln. Sie wollen den Schutz vor Umweltbelastungen auf
die Geschwindigkeit des langsamsten europäischen Lan-
des reduzieren. Nichts anderes heißt die sogenannte Eins-
zu-eins-Umsetzung von europäischen Kompromissen.
Sie gefährden die Jobs und die Technologieführerschaft
Deutschlands durch Ihren geschraubten Rückwärtssalto
in der Energiepolitik.

Noch etwas fällt auf: Neben jeden Absatz in der schwarz-
schwarz-gelben Koalitionsvereinbarung kann man den Na-
men des Unternehmens oder des Verbandes schreiben,
das oder der mit diesem Absatz bedient werden soll. So et-
was habe ich in Deutschland noch nicht erlebt. Vor allem
habe ich noch nicht erlebt, dass sogar noch das Produkt ei-
nes Unternehmens in einem Koalitionsvertrag genannt
wird. Dort steht, dass der Anbau der Amflora-Kartoffel in
Deutschland unterstützt werden soll, obwohl es für diese
Gentechnikkartoffel von BASF noch nicht einmal in Eu-
ropa eine Zulassung gibt. Auch das hat es in einem Ko-
alitionsvertrag in Deutschland noch nicht gegeben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Besonders gefährlich ist diese Bedienung in der
Energiepolitik. Wenn Sie schon nicht auf die Opposi-
tion hören wollen, dann hören Sie doch auf Ihren eige-
nen neuen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium,
Herrn Heitzer, der zuvor Präsident des Bundeskartell-
amts war. Er hat noch vor wenigen Wochen gesagt: Wer
die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert, verlän-
gert vor allem das Monopol auf den Energiemärkten, mit
dem den Menschen und auch den Firmen in Deutschland
seit Jahren Milliarden Euro unnütz aus den Taschen ge-
zogen werden. Hören Sie auf Ihre eigenen Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter, die Sie in führenden Positionen in-
stallieren!

Die vier Energiekonzerne, die Atomkraftwerke be-
treiben, sollen zu diesen Milliardengewinnen von Ihnen
jetzt weitere Milliarden geschenkt bekommen, und das,
obwohl RWE und Eon im ersten Halbjahr 2009 mehr
Gewinn gemacht haben als alle anderen börsennotierten
Unternehmen Deutschlands zusammen. Diese Unterneh-
men wollen Sie weiter entlasten.

Es ist ein Fehler, zu sagen, das sei dieselbe Seite einer
Medaille; die längere Laufzeit betreffe eine Brücken-
technologie. In technischer Hinsicht kann man schnell
erkennen: Das Gegenteil ist der Fall. Die Atomkraft-
werke verstopfen die Energienetze. Immer häufiger müs-
sen erneuerbare Energieträger abgeschaltet werden, weil
die Atomkraftwerke zu Zeiten geringen Stromver-






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kelber
brauchs bereits das gesamte Netz auslasten. Wir werden
Ihnen die Zahlen liefern, Herr Kauch. Sie kennen sie
selbstverständlich, die anderen vielleicht nicht.

Damit gefährden Sie die 280 000 Jobs, die schon jetzt
im Bereich der erneuerbaren Energien entstanden
sind, und Sie setzen die deutsche Technologieführer-
schaft aufs Spiel. Andere Länder – die USA und China,
aber auch andere europäische Länder – investieren zu-
sätzlich, schaffen mehr Anreize für erneuerbare Ener-
gien und bauen rechtliche Blockaden ab. In Deutschland
dagegen gibt es die Ankündigung, sie im Zusammen-
spiel der Energiearten schlechter zu stellen. Sie gefähr-
den damit den Vorsprung, den wir auch gemeinsam als
Parlament in den letzten Jahren erarbeitet haben.

Diese Liebedienerei an einer Lobby wird schon durch
ihre Ankündigung Deutschland schaden. Wir haben be-
reits jetzt durch die Ankündigung, 2012 die Bedingun-
gen völlig neu zu formulieren, eine Zurückhaltung in
den Investitionen in erneuerbare Energien zu verzeich-
nen. Diejenigen, die die Monopole ins Wackeln gebracht
haben – die Stadtwerke und die Erneuerbaren –, müssen
bei ihren Investitionen neu rechnen, weil ihre Konkur-
renten Milliarden geschenkt bekommen sollen. Sprechen
Sie doch mit den Aufsichtsräten der neuen Wettbewerber
und der Stadtwerke! Jede Investition muss jetzt mit
schlechteren Renditen neu gerechnet werden, weil der
große Konkurrent bessere Bedingungen bekommt.

Diese Steuereinnahmen und diese Jobs fehlen schon
jetzt, unmittelbar nach Ihrer Koalitionsvereinbarung.
Das ist klar: Noch nie hat ein Koalitionsvertrag so unge-
hemmt und schamlos Klientelinteressen bedient.


(Michael Kauch [FDP]: Das sagt der Richtige!)


Noch nie wurde eine Technologieführerschaft so leicht-
fertig aufgegeben. Noch nie hat sich ein wohlhabendes
Land beim Schutz seiner Menschen und seiner Umwelt
mit der Geschwindigkeit des ärmsten Landes zufrieden-
gegeben. Diese Politik werden wir bekämpfen. Wir ste-
hen für die Investitionen in Energieeffizienz und erneu-
erbare Energien, in Lebensqualität und internationale
Verantwortung im Klimaschutz. Das ist ein klares Kon-
trastprogramm zu dem, was Schwarz-Schwarz-Gelb ab-
geliefert hat.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1700402700

Nun erteile ich Kollegen Michael Kauch für die FDP-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1700402800

Meine Damen und Herren! Ich glaube, Herr Kelber

hat gezeigt, wie ratlos die Opposition angesichts dieses
Koalitionsvertrages ist.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Denn wenn Sie diesen Vertrag lesen und dem deutschen
Volk nicht irgendwelchen Unsinn erzählen würden,
würde Ihnen nicht mehr viel dazu einfallen, warum bei-
spielsweise weiter die These vertreten wird, die Atom-
kraftwerke würden die erneuerbaren Energien in ihrer
Entwicklung hemmen. Wir haben das Gegenteil in den
Koalitionsvertrag hineingeschrieben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann dürfen Sie die Laufzeiten nicht verlängern!)


Es ist eine bewusste Entscheidung dieser Koalition ge-
wesen, dass der Einspeisevorrang für erneuerbare
Energien unbegrenzt und ungedeckelt fortgeführt wird.

Mit dem Einspeisevorrang für erneuerbare Energien
kann jeder Anbieter erneuerbarer Energien auch künftig
seinen Angebotsmöglichkeiten entsprechend den Strom
ins Netz einspeisen. Dann konkurrieren die Erneuerba-
ren eben nicht mit den Kernkraftwerken, sondern die
Kernkraftwerke konkurrieren mit den Kohle- und Gas-
kraftwerken. Das kann man ja möglicherweise ökolo-
gisch richtig finden, Herr Kelber.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Das ist technisch nicht korrekt, Herr Kauch!)


Diese Koalition hat sich dazu bekannt, dass wir das
Zeitalter der erneuerbaren Energien erreichen wollen.
Das bedeutet auf lange Sicht eine 100-prozentige Versor-
gung mit erneuerbaren Energien. Das ist eine Innova-
tionsstrategie für dieses Land, die ein Wettbewerbsmo-
tor für unsere Wirtschaft sein wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wissen aber auch, dass das nicht von heute auf
morgen geht; denn wir müssen auch die Realitäten aner-
kennen. Energie aus Wind und Sonne ist heute noch
nicht so in das Netz integriert und speicherbar, wie wir
uns das wünschen. Es geht nicht nur um die Strommen-
gen, sondern auch um die Stetigkeit der Einspeisung.
Deshalb brauchen wir Brückentechnologien. Wir sind
der Auffassung, dass wir auf der einen Seite die erneuer-
baren Energien ausbauen und auf der anderen Seite die
Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängern müssen,
damit es grundlastfähigen, die Versorgung sichernden
Strom gibt. Das liegt im Interesse unserer Industrie;
denn bei einem Aluminiumwerk beispielsweise kann,
wenn einmal der Wind nicht weht, der Strom nicht eine
Stunde abgeschaltet werden. Dann wäre das Werk ka-
putt.


(Zuruf von der SPD: Ein ganz schlechtes Beispiel! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ein schlechtes Beispiel! Das gibt’s nämlich nicht!)







(A) (C)



(B) (D)


Michael Kauch
Deshalb brauchen wir günstigen, aber auch sicheren und
klimafreundlichen Strom.


(Beifall bei der FDP)


Diese Koalition hat im Übrigen auch klargemacht,
dass die Laufzeitverlängerung nicht pauschal für alle
Anlagen gilt. Das sage ich auch mit Blick auf die EVUs.
Sie werfen uns vor, wir bedienten deren Interessen. Das
tun wir hier ganz klar nicht. Im Koalitionsvertrag steht:
Wir sind zu einer Laufzeitverlängerung bereit, garantie-
ren aber keine Laufzeitverlängerung. Dazu müssen näm-
lich bestimmte Voraussetzungen geschaffen werden. Wir
werden also keine pauschale Laufzeitverlängerung für
alle Kraftwerke vornehmen. Es war gerade die FDP, die
dafür gesorgt hat, dass im Koalitionsvertrag steht, dass
die Laufzeiten deutscher Kraftwerke, aber nicht aller
deutschen Kraftwerke verlängert werden.


(Beifall bei der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nur der ältesten!)


Diese Koalition nimmt ihre Verantwortung gegenüber
kommenden Generationen wahr, auch beim Endlager.
Sie, Herr Trittin, und Ihr Nachfolger haben zehn Jahre
lang die Hände in den Schoß gelegt. Es wurde verboten,
ein Endlager zu erkunden. Sie haben sich an den Interes-
sen kommender Generationen versündigt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn die Endlagersuche blockiert? Das war doch wohl die CDU/CSU!)


Diese Koalition wird dagegen die bestehenden Probleme
angehen. Wir alle haben gemeinsam 50 Jahre lang
Atommüll produziert.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir nicht! Sie haben den Müll produziert!)


Unabhängig von einer Laufzeitverlängerung sind wir
alle gefordert, die Probleme zu lösen, die mit diesem
Müll verbunden sind.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden eine Lösung finden. Die Kollegin Brunkhorst
wird für unsere Fraktion diese Politik auf den Weg brin-
gen.

Beim Erneuerbare-Energien-Gesetz wollen wir Inves-
titionssicherheit für die Anlagenbetreiber. Herr Kelber,
es war unredlich, als Sie vorhin zu den Biogasanlagen ge-
sagt haben, hier gehe es nur um zwei Finanzfonds. Ihre
Änderungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, mit de-
nen Sie rückwirkend in die Investitionsbedingungen ein-
gegriffen haben, haben die Glaubwürdigkeit des EEG be-
schädigt. Jeder, der in erneuerbare Energien investiert,
erlebt heutzutage, dass manche Banken nicht mehr glau-
ben, dass das EEG in seiner jetzigen Form bestehen
bleibt. Diese Ihre Änderungen nehmen wir zurück. Wir
schaffen Investionssicherheit für erneuerbare Energien.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Das Verfassungsgericht hat Ihre Aussage widerlegt! Darauf sollten Sie mal Rücksicht nehmen!)


Wir werden darüber hinaus beim Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetz die Interessen der Verbraucherinnen und
Verbraucher, die schließlich alles bezahlen, berücksichti-
gen. Deshalb haben wir durchgesetzt, dass das Erneuer-
bare-Energien-Gesetz regelmäßig, nämlich alle drei
Jahre, auf Überförderung überprüft wird. Das ist ein fai-
rer Schritt. Wir werden das auch im Bereich der Fotovol-
taik im Dialog mit der Solarbranche und den Verbrau-
cherorganisationen machen. Wir werden nicht mit der
Axt kommen, sondern darauf achten, dass die Interessen
der Branche und die Interessen der Verbraucher unter ei-
nen Hut gebracht werden.

Zum Schluss möchte ich die biologische Vielfalt an-
sprechen. Dieses Thema wird immer gerne in Sonntags-
reden angesprochen. Wir müssen aber konstatieren: Das
Ergebnis der letzten Jahrzehnte in diesem Bereich ist
trotz Bemühungen aller Regierungen nicht überzeugend.
Wir haben es nicht geschafft, die Zielsetzung zu errei-
chen und den Verlust an Artenvielfalt zu stoppen. Wir
setzen aber im Koalitionsvertrag beispielsweise ein we-
sentliches Zeichen zugunsten der tropischen Regenwäl-
der. Wir haben verabredet, dass nicht nur für die Kraft-
stoff- oder die Stromproduktion die Nachhaltigkeit von
Palmöl nachgewiesen werden muss, sondern für alle
Agrarrohstoffe. Das ist ein Meilenstein, den wir hier er-
reicht haben, damit nicht das gute Palmöl in den Tank
kommt und das schlechte in die Margarine. Nein, wir
wollen, dass die Regenwälder nirgendwo und für nichts
abgeholzt werden, auch nicht für Palmöl, und dieser Ko-
alitionsvertrag macht den ersten Schritt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1700402900

Das Wort hat nun Kollegin Eva Bulling-Schröter für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700403000

Herr Minister! Herr Parlamentspräsident! Liebe Kol-

leginnen und Kollegen! Das Kioto-Protokoll läuft 2012
aus. In vier Wochen sollte die UN-Klimakonferenz in
Kopenhagen eigentlich das Nachfolgeabkommen be-
schließen. Vor kurzem hat eine Gruppe von Nobelpreis-
trägern diesen Gipfel als wichtigste Konferenz der
Menschheit bezeichnet, und ich sage: Die Männer und
Frauen haben recht. Wir haben Angst, dass dieser Gipfel
scheitert, und nicht nur wir, sondern viele Menschen auf
dieser Welt; denn auch die letzte UN-Vorbereitungskon-
ferenz letzte Woche in Barcelona ging aus wie das Horn-
berger Schießen. Weder zu Minderungszielen wurden
Einigungen erzielt noch zur Frage der Finanzierung von
Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen im globalen
Süden. Dem Chef des UN-Klimasekretariats, Yvo de
Boer, wird die Aussage zugeschrieben, er wundere sich






(A) (C)



(B) (D)


Eva Bulling-Schröter
bei solchen Ergebnissen, dass die Zivilgesellschaft nicht
die Scheiben des Verhandlungsortes einwirft. Ich denke,
das spricht Bände bei diesem Herrn.


(Beifall bei der LINKEN)


In Kopenhagen wird nun ein Verhandlungstext auf
den Tisch gelegt, der mit seinen vielen Klammern und
Optionen so gut wie nicht verhandlungsfähig ist, und
das, obwohl uns allen die Zeit davonläuft. Das wissen
wir. Schließlich ist der weltweite Ausstoß von Klimakil-
lern trotz des Kioto-Abkommens seit der Jahrtausend-
wende dreimal so schnell angestiegen wie in den 90er-
Jahren.

Frau Merkel hat sich hier gestern einmal mehr als
Vorkämpferin für den Klimaschutz präsentiert. Das ist
irgendwie merkwürdig; denn schließlich war sie haupt-
verantwortlich dafür, dass beim Europäischen Rat
vorvorletzte Woche keine Beschlüsse zu konkreten Kli-
maschutzfinanzhilfen für die Entwicklungsländer ge-
fasst wurden.


(Zuruf von der LINKEN: Sauerei!)


Damit hat die Bundeskanzlerin die Blockade verfestigt,
die ohnehin zwischen den Industriestaaten auf der einen
Seite und den Schwellen- und Entwicklungsländern auf
der anderen Seite besteht.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Unsinn!)


Frau Merkel hat sich also in Brüssel an die Spitze derje-
nigen in der EU gesetzt, die meinen, mit den Entwick-
lungs- und Schwellenländern pokern zu können.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


So sollen die Preise gedrückt werden, die der Norden an
den globalen Süden, den großen Verlierer des Klima-
wandels, für Technologietransfer und Anpassungsmaß-
nahmen zu zahlen hat. Diese arrogante Haltung droht
nun den Kopenhagen-Prozess zum Scheitern zu bringen.
Ich meine, die Bundeskanzlerin wird dies wesentlich
mitzuverantworten haben.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber auch zu Hause in Deutschland liegt einiges im
Argen. Ich behaupte, mit den längeren Laufzeiten für
Atomkraftwerke wird der Ausbau der erneuerbaren
Energien blockiert und nicht die Verstromung von kli-
maschädlicher Kohle. Atomkraft und Kohle eint näm-
lich, dass sie einen steigenden Anteil erneuerbarer Ener-
gien im Netz überhaupt nicht gebrauchen können. Dazu
gibt es Aussagen, auch wenn Sie immer wieder Nein
dazu sagen. Bei Atomkraftwerken ist es sicherheits-
technisch kaum möglich – das wissen Sie –, die Anlagen
bei schwankenden Windkrafteinspeisungen herauf- und
herunterzuregeln. Das ist einfach so. Kohlekraftwerke
rechnen sich eben nicht, wenn sie nicht permanent in der
Nähe der Volllast gefahren werden. Dies ist der Grund
dafür, warum weder Kohle noch Atomkraft Brücken-
technologien ins solare Zeitalter sind. Im Gegenteil: Ihr
Schutz ist ein Schritt ins Gestern.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wissen Sie eigentlich, dass die CO2-Emissionen in der
Energiewirtschaft von 1990 bis 2007 nur um lächerliche
7 Prozent zurückgegangen sind? Und diese 7 Prozent hat
uns auch noch größtenteils der Osten geschenkt. Wir ha-
ben zwar mittlerweile 14 Prozent erneuerbare Energien
im Netz, dafür wurde aber offensichtlich Kohlestrom ex-
portiert. Ich frage Sie: Ist das nun Klimaschutz?

Laut Koalitionsvertrag möchte Schwarz-Gelb für
RWE und Co die Hintertüren im Klimaschutz noch wei-
ter öffnen, beispielsweise indem die Anrechnung von
vermeintlichen Klimaschutzinvestitionen im Ausland,
Stichwort CDM, ausgeweitet werden soll, obwohl wir
heute schon wissen, dass hier in großem Maßstab betro-
gen wird, um an preiswerte Zertifikate zu kommen.

Was den Emissionshandel betrifft, haben Sie bereits
in der Vergangenheit in Brüssel ganze Arbeit geleistet:
Nicht nur, dass wir bis 2012 damit leben müssen, dass
die wertvollen Zertifikate vom Staat verschenkt werden,
was den Versorgern Extraprofite in Milliardenhöhe ein-
bringt und dem Klimaschutz schadet, nein, auch nach
2012 erhält ausgerechnet die energieintensive Industrie
kostenlose Emissionsrechte.

Zusammenfassend möchte ich der neuen Koalition
ins Stammbuch schreiben: Die Klima- und Energiepoli-
tik, die Sie anstreben, ist nicht nur widersprüchlich; sie
nutzt vor allem den großen Konzernen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist angesichts der Herausforderungen, vor denen wir
stehen, nichts anderes als Klientelpolitik auf Kosten der
Umwelt und der Menschen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Marco Bülow [SPD])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1700403100

Das Wort hat nun Kollegin Bärbel Höhn für die Frak-

tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700403200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Minister Röttgen, ich habe mir ganz in Ruhe Ihre
Rede angehört. Ich muss sagen: Sie war sehr nachdenk-
lich. Von den Zielen her hat sie mir gut gefallen. 2-Grad-
Ziel, Nachhaltigkeit, Erhalt der Artenvielfalt, das sind
Ziele, die wir unterstützen werden. Ich mache jetzt et-
was, was vielleicht ungewöhnlich ist: Ich wünsche Ihnen
für die Erreichung dieser Ziele viel Erfolg. Wenn Sie das
anstreben, werden wir Sie dabei unterstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)


In der Tat geht es um ganz viel. Es geht um die
Lebensgrundlagen von uns, von unseren Kindern und






(A) (C)



(B) (D)


Bärbel Höhn
von unseren Enkelkindern. Wir wissen, dass diese Zeit
ganz wichtig ist: Uns bleiben wenige Jahre, um zum Bei-
spiel den Klimawandel noch aufhalten zu können. Das
heißt, Sie sind in einer sehr entscheidenden Phase Minis-
ter geworden. Aber der entscheidende Punkt ist: Was
machen wir jetzt? Widersprechen die vorgesehenen Pro-
jekte vielleicht dem, was Sie hier sehr nachdenklich for-
muliert haben?

Sie haben eben die Kanzlerin angesprochen. Sie hat
gestern fünf Punkte genannt. Der erste Punkt war die
Überwindung der Wirtschafts- und Finanzkrise. Sie ha-
ben zu Recht gesagt: 500 Milliarden Euro sind auf den
Tisch gelegt worden, um diese Krise in den Griff zu be-
kommen. Was die Prävention der Klimakrise angeht:
Auf dem Finanzgipfel der EU ging es um die Verteilung
von 5 bis 7 Milliarden Euro, und die EU-Staaten waren
nicht in der Lage, diese Verteilung zustande zu bringen.
Deutschland hat dabei eine unrühmliche Rolle gespielt.
Ich muss sagen: Das steht im Widerspruch zu den Zie-
len, die Sie hier benannt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Die Wissenschaftler sagen: Uns bleiben wenige Jahre,
um das 2-Grad-Ziel zu erreichen – wenn wir es denn
überhaupt schaffen. Aber selbst wenn das 2-Grad-Ziel
erreicht wird, kommt es zu dramatischen Überflutungen,
zu Dürren, zu Toten, zu Hungernden und zu Flüchtlings-
strömen. Wir müssen die mit dem Klimawandel, dem
Artensterben, der Ressourcenkrise, dem Wassermangel,
dem Hunger verbundenen Fragen zusammen beantwor-
ten. Das alles ist miteinander verknüpft und darf nicht
isoliert betrachtet werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Jeden Tag verschwinden 120 Arten; jeden Tag ver-
schwindet ein Stück Natur. Sie haben zu Recht auf die
Bewahrung der Schöpfung verwiesen. Folgen Sie aber
dem, was in Ihrem Koalitionsvertrag steht, wird Ihnen
die Bewahrung der Schöpfung schwergemacht. Der Na-
tur wird in diesem Koalitionsvertrag kein hoher Wert
beigemessen. Es ist neu, dass in Zukunft ein Eingriff in
die Natur ohne einen Ausgleich an anderer Stelle vollzo-
gen werden kann. Wenn das umgesetzt wird, was in Ih-
rem Koalitionsvertrag steht, kann man sich mit Ersatz-
geld von der Bestrafung für einen Eingriff in die Natur
freikaufen. Das ist schlecht. Das ist gegen die Natur.
Deshalb sagen wir: Das werden wir nicht mitmachen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Ulrich Kelber [SPD]: Ablasshandel!)


– Das ist ein Ablasshandel zur Naturzerstörung.

Wie wollen Sie eigentlich Ländern wie Brasilien und
Indonesien erklären, dass sie ihren Regenwald schützen
sollen, wenn wir in Deutschland das bisschen Natur, das
noch übrig geblieben ist, für alle möglichen Projekte
wieder infrage stellen? Dazu muss ich sagen: Wir müs-
sen Vorbild sein. Wir müssen zeigen, dass wir die Natur,
die wir noch haben, erhalten wollen, und wir dürfen
nicht zulassen, dass sie zerstört wird, wenn nur entspre-
chendes Geld gezahlt wird. Anders werden wir andere
Länder nicht überzeugen, ihren Regenwald zu erhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Die Kanzlerin hat gestern über die vielen Schulden
gesprochen, die gemacht werden. Sie hat hierfür eine
Lösung präsentiert. Diese Lösung lautete: Wachstum,
Wachstum, Wachstum, also Wachstum gleichsam als
Zauberformel. Ich finde, auch das muss man ein Stück
weit hinterfragen. Ist Wachstum eigentlich per se gut?
Um welches Wachstum handelt es sich überhaupt? Was
soll da überhaupt finanziert werden? In der letzten Re-
gierung war das Konjunkturprogramm die Abwrackprä-
mie. Jetzt sagt der neue Verkehrsminister: Es soll der
Autobahnbau finanziert werden, und zwar vor allen Din-
gen im Westen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Bayern!)


– Ja, vor allen Dingen in Bayern. – Hierzu sage ich ganz
ehrlich: Wir müssen mit dieser Klientelpolitik aufhören.
Wir müssen das Ganze im Auge haben und dürfen nicht
immer nur für einzelne Bereiche Politik machen. Damit
muss endlich Schluss sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen auch dafür sorgen, dass Folgendes nicht
mehr möglich ist: Mit dem von der letzten Bundesregie-
rung aufgelegten Konjunkturprogramm wurde in meiner
hochverschuldeten Heimatstadt ein Kreisverkehr gebaut.
So ist es jetzt noch komplizierter, über die entsprechende
Kreuzung zu fahren. Warum wurde der Kreisverkehr ge-
baut? Weil man für seine Finanzierung zusätzlich Schul-
den aufnehmen konnte. Für Investitionen in Beton kann
man Schulden aufnehmen, für Investitionen in Jugend-
arbeit, in Kinderbetreuung, das sind konsumtive Aufga-
ben, darf man keine Schulden aufnehmen. Das muss sich
endlich ändern. Wir müssen in die Köpfe unserer Kinder
investieren, nicht in Beton. Hier liegt unsere Zukunft.
Das wäre nachhaltig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


Sie, Herr Röttgen, sprachen ja auch von Nachhaltig-
keit. Ja, das ist richtig. Aber von Nachhaltigkeit kann
mit Blick auf den Koalitionsvertrag nicht die Rede sein.
Darin nimmt man nämlich noch mehr Atommüll und
neue Schulden in Kauf. Das ist aber das Gegenteil von
Nachhaltigkeit. Sie müssen, wenn Sie davon sprechen,
bei den Fakten bleiben. Noch besser wäre es allerdings,
wenn Sie das umsetzen würden, wovon Sie sprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Bärbel Höhn
Eben wurden schon die erneuerbaren Energien an-
gesprochen. Es ist in der Tat so, dass Atomkraftwerke
und Kohlekraftwerke den Ausbau erneuerbarer Energien
verhindern. Warum sollten die großen Energiekonzerne,
wenn sie in neue Kohlekraftwerke investieren oder ihre
Atomkraftwerke länger in Betrieb lassen können, eigent-
lich große Windparks in der Nordsee bauen? Das heißt,
indem Sie denen jetzt Spielräume geben, verhindern Sie
den Bau von Windkraftanlagen in der Nordsee, und ge-
nau auf diese Weise verhindern Sie den Ausbau erneuer-
barer Energien.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie sprechen von Atomkraft als Brückentechnologie, de
facto wirkt diese aber wie eine Mauer. Sie errichten eine
Mauer gegen die erneuerbaren Energien, die sozusagen
mit Vollgas gegen diese Mauer fahren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Anstatt neue Kohlekraftwerke zuzulassen, sollten Sie
lieber in Energie- und Ressourceneffizienz investieren.
Damit würde man auch sehr viele Arbeitsplätze schaf-
fen. Das Weltmarktvolumen von energieeffizienten
Technologien und nachhaltiger Wasserwirtschaft beträgt
nämlich 640 Milliarden Euro. Der Marktanteil deutscher
Unternehmen beträgt dabei gerade einmal 5 bis 10 Pro-
zent. Doch gerade auf diesem Markt sind kleine und mit-
telständische Unternehmen und nicht die großen Ener-
giekonzerne aktiv. Wir müssen endlich aufhören, immer
nur Lobbyarbeit für die großen Energiekonzerne zu ma-
chen. Wir müssen wirklich einmal den Mittelstand unter-
stützen; das geht über den Ausbau von erneuerbaren
Energien und von Energieeffizienz. Damit schaffen wir
Arbeitsplätze.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Was macht denn Herr Schröder?)


– Mit Schröder habe ich nichts zu tun.

In dreieinhalb Wochen wird die Klimakonferenz in
Kopenhagen stattfinden. Sie haben zu Recht gesagt, es
wäre fatal, wenn diese scheitert. Wir verfolgen bei dieser
Klimakonferenz ehrgeizige Emissionsminderungsziele:
Eine Reduktion um 40 Prozent ist ehrgeizig. Aber im
Koalitionsvertrag zu schreiben, man werde für diese
CO2-Reduktion sorgen, indem man vermehrt CDM-Pro-
jekte in China oder Indien unterstützt, ist fatal. Denn In-
dien und China werden kommen und sagen: Macht doch
selber eure Hausaufgaben. Hier in Deutschland muss
eine Reduktion der CO2-Emissionen um 40 Prozent er-
reicht werden; nur so werden wir die anderen Länder mit
ins Boot bekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Für die oben genannten Ziele – ich komme zum
Schluss – wünschen wir Ihnen viel Erfolg in Kopenha-
gen. Ich fand es bisher immer toll, Mitglied der deut-
schen Delegation zu sein. Aber in Poznan habe ich zum
ersten Mal erlebt, dass Deutschland und Europa ge-
bremst haben. Das möchte ich in Kopenhagen nicht noch
einmal erleben. Deutschland muss Vorreiter in der EU
sein. Deshalb wünsche ich Ihnen viel Erfolg in Kopen-
hagen. Ich hoffe, dass Sie Ihrer Verantwortung gerecht
werden. Aber halten Sie dort Pohl und fallen Sie nicht
um! Seien Sie nicht am Ende der Bremser; sonst haben
wir hier danach eine ganz andere Debatte.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1700403300

Das Wort hat nun Marie-Luise Dött für die Fraktion

der CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Marie-Luise Dött (CDU):
Rede ID: ID1700403400

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Auch in der vor uns liegenden Le-
gislaturperiode werden Umwelt- und Klimaschutz im
Zentrum der politischen Arbeit stehen; Sie haben das ge-
rade von allen Rednern gehört. Der Koalitionsvertrag
zeigt das mehr als deutlich. Das umwelt- und klimapoli-
tische Programm dieser Regierung ist Garant dafür, dass
Deutschland beim Klima- und Umweltschutz auch in
Zukunft internationaler Schrittmacher bleibt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Union und FDP werden dafür sorgen, dass das hohe Um-
weltschutzniveau in Deutschland ausgebaut wird, dass
wir in Europa der umweltpolitische Treiber bleiben und
dass von Deutschland auch künftig wichtige Impulse für
den internationalen Umwelt- und Klimaschutz ausgehen.

Wir alle beobachten die Vorbereitungen zum Welt-
klimagipfel in Kopenhagen sehr genau. Die Vorzeichen
für den von uns gewünschten Durchbruch bei den Ver-
handlungen stimmen nicht gerade hoffnungsvoll. Umso
wichtiger ist es, dass wir die verbleibende Zeit nutzen
und weiter Überzeugungsarbeit leisten. Globaler Klima-
schutz darf nicht zum Feld für politische Profilierung
oder vermeintlich wirtschaftliche Vorteilsschöpfung im
globalen Wettbewerb werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Augenscheinlich haben noch nicht alle verstanden,
dass derjenige, der Klimaschutz als Weg aus der kohlen-
stoffbasierten Energieerzeugung begreift, sich auch wirt-
schaftlich fit für die Zukunft macht. Der Wettbewerbs-
vorteil von morgen entsteht nicht, wenn man möglichst
wenig Klimaschutz betreibt. Nicht derjenige verliert, der
sich zuerst bewegt; verlieren wird derjenige, der sich zu
spät bewegt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Marie-Luise Dött
Die Übernahme globaler Verantwortung für das
Klima und die Verbesserung der internationalen Wettbe-
werbsfähigkeit widersprechen sich nicht. Wer heute den
politischen Rahmen schafft, um erneuerbare Energien
voranzubringen und die Entwicklung von Effizienztech-
nologien voranzutreiben, der macht die Wirtschaft fit für
den globalen Wettbewerb von morgen. Derjenige, der
heute handelt, sorgt für eine auch in Zukunft bezahlbare
und damit sozial gerechte Energieerzeugung.

Deutschland steht zu seinen anspruchsvollen Klima-
zielen. Wir sind auf einem guten Weg, unsere Verpflich-
tungen zu erfüllen. Es ist aber an der Zeit, dass andere
Staaten sich ihrer Verantwortung stellen und mit konkre-
ten Zusagen und nachprüfbaren nationalen Zielen mit-
ziehen. Kopenhagen braucht keine Schaufensterreden.
Es ist höchste Zeit für konkrete nationale Treibhausgas-
minderungszusagen aller Industrienationen sowie Zusa-
gen für finanzielle und technologische Unterstützung für
die Entwicklungsländer.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, der Koalitionsvertrag ist
ein klares Bekenntnis zu einer anspruchsvollen, moder-
nen Umweltpolitik. Er ist Ausdruck umwelt- und klima-
politischer Kontinuität. Beim Klimaschutz, bei den
erneuerbaren Energien, bei Abfall, Wasser und Natur-
schutz werden wir den für Bürger und Unternehmen ver-
lässlichen rechtlichen Rahmen weiterentwickeln. Dabei
gibt es aus meiner Sicht vor allem einen zentralen An-
satz, ein zentrales Kriterium, das wir stärker beachten
werden: Wir brauchen im Umwelt- und Klimaschutz
mehr Effizienz. Wir müssen stärker als bisher das Kos-
ten-Nutzen-Verhältnis der Maßnahmen im Auge behal-
ten. Das ist in wirtschaftlich normalen Zeiten schon ein
Gebot; in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise muss
die Effizienz des Mitteleinsatzes ein ganz entscheiden-
des Beurteilungskriterium sein. Der Einsatz eines jeden
Euros, den wir für Umwelt- und Ressourcenschutz aus-
geben – ob aus Haushaltsmitteln, von Unternehmen oder
von Bürgern –, muss unter Effizienzgesichtspunkten ge-
rechtfertigt sein.

Hier gibt es auch im Bereich der Umweltpolitik Prü-
fungsbedarf. Nehmen Sie das Beispiel der Förderung der
erneuerbaren Energien. Wir werden bei der Förderung
der erneuerbaren Energien am bewährten Erneuer-
bare-Energien-Gesetz festhalten, weil wir wissen, dass
nur mit einer verlässlichen Förderung unsere anspruchs-
vollen Ziele in diesem Bereich erreichbar sind. Wir wer-
den daran festhalten, weil wir wissen, dass inzwischen
Hunderttausende Arbeitsplätze an der erneuerbaren
Energie hängen, und weil wir wissen, dass Öl und Gas
mittelfristig weiter im Preis steigen werden.

Richtig ist aber auch, dass wir die erneuerbaren Ener-
gien mit erheblichen finanziellen Mitteln über die Ein-
speisevergütung fördern. Es ist für die Politik nicht nur
legitim, sondern es ist die Pflicht, die Effizienz solcher
Förderung im Auge zu behalten. Ich sage das sehr deut-
lich. Hier geht es um Über-, aber genauso auch um Un-
terförderung. Es geht um die Effizienz des Umgangs mit
dem Geld der Bürger.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nicht bei maximaler, sondern bei optimaler Mittel-
allokation erhalten wir die erforderliche Innovations-
dynamik, die am Ende der Umwelt am meisten nutzt.
Umweltpolitik muss deshalb immer auch als wirtschaft-
liche Optimierungsaufgabe verstanden werden. Das er-
höht nicht nur die Wirkung von Umweltpolitik, sondern
auch ihre Akzeptanz beim Bürger.

Wenn es um Effizienz geht, dann gehören dazu auch
faire Wettbewerbsbedingungen für alle Anbieter von
Umweltdienstleistungen. Es reicht nicht, den Mittelstand
regelmäßig für seine Leistungsfähigkeit zu loben. Ge-
rade der Mittelstand braucht fairen Wettbewerb.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ein fairer Wettbewerb ist das sicherste Instrument, um
Effizienzreserven zu heben.

Eine effiziente Umweltpolitik ist von neuen, zu-
kunftsweisenden Technologien abhängig. Sie schaffen
Arbeitsplätze in Deutschland sowie Technologien,
Werkstoffe und Produkte für die Märkte von morgen.
Wenn wir die globalen „grünen Zukunftsmärkte“ beset-
zen wollen, müssen wir heute dafür sorgen, dass For-
schung und Entwicklung im hohen Maße technologie-
offen erfolgen kann.

Natürlich müssen die Bedenken bei modernen Tech-
nologien ernst genommen werden. Natürlich brauchen
wir begleitende Sicherheitsforschung. Es ist aber der fal-
sche Weg, stetig Ängste zu schüren und jede neue Tech-
nologie zunächst einmal zu stigmatisieren. Forschung
und technologischer Fortschritt sind auch im Umwelt-
und Klimaschutz der Schlüssel zur Zukunft.


(Beifall des Abg. Dr. Lutz Knopek [FDP])


Diesen Schlüssel dürfen wir nicht aus der Hand geben,
weder bei der Elektromobilität noch bei den Nanotech-
nologien oder den Biotechnologien. Moderne Technolo-
gien sind keine Bedrohung, sondern eine Chance – auch
für den Umwelt- und Klimaschutz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Derzeit steht völlig zu Recht die Klimakonferenz in
Kopenhagen im Mittelpunkt des politischen Interesses.
Es ist mir wichtig, hier auch daran zu erinnern, dass im
Oktober nächsten Jahres in Japan die 10. Vertragsstaa-
tenkonferenz zum Übereinkommen über die biologische
Vielfalt stattfindet. Wir haben im Koalitionsvertrag eine
ganze Reihe von wichtigen Maßnahmen verankert, die
auch mit Blick auf diese Konferenz von Bedeutung sind.
Dazu gehören: die Entwicklung eines Bundesprogramms
zur Umsetzung der Biodiversitätsstrategie, die Erarbei-
tung eines „Bundesprogramms Wiedervernetzung“, die
endgültige Sicherung des Nationalen Naturerbes und
– das freut mich angesichts des 20-jährigen Jubiläums
des Mauerfalls besonders – die Sicherung des Grünen
Bandes Deutschland entlang der ehemaligen innerdeut-
schen Grenze als Naturmonument.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Marie-Luise Dött
Dabei werden wir die Maßnahmen in Zusammenarbeit
mit allen Verantwortlichen und den Betroffenen planen
und umsetzen. Kooperation statt Konfrontation – auch
das ist ein Prinzip einer innovativen und effizienten Um-
weltpolitik.

Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre
Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1700403500

Das Wort hat nun Marco Bülow für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Marco Bülow (SPD):
Rede ID: ID1700403600

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Herr Minister, die Energiepolitik von Union und FDP
sollte der große Wurf werden. Doch schauen wir uns ein-
mal an, was im Koalitionsvertrag zur Energiepolitik
festgelegt wurde. Da wurde vorher ein umfangreiches
Energiekonzept versprochen. Herausgekommen sind
vage Andeutungen. Nichts Genaues weiß man nicht. Es
ist eher ein Flickwerk, über das wir heute sprechen.

Die FDP hat in Oppositionszeiten immer wieder kriti-
siert – teilweise zu Recht –, dass die Energieeffizienz in
der Regierung eine zu kleine Rolle spielt. In der Tat hat
sich die SPD, was die Energieeffizienz angeht, häufig
die Zähne an den jeweiligen Ministern für Wirtschaft
und Technologie ausgebissen. Doch schauen wir uns an,
was heute im Koalitionsvertrag zur Energieeffizienz
steht. Es sind nur elf Zeilen, in denen eigentlich nichts
steht – außer dass die EU-Vorlagen eins zu eins umge-
setzt werden müssen. Die EU-Vorlagen eins zu eins um-
zusetzen heißt – das hat Herr Kelber schon gesagt –, sich
an dem Land zu orientieren, das in Europa alles blo-
ckiert. Das bedeutet höchstens Mittelmaß bei der Ener-
gieeffizienz.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kommen wir zu den erneuerbaren Energien. Ich bin
wie wahrscheinlich viele in diesem Haus froh darüber,
dass sich endlich auch die FDP und die Union insgesamt
für die erneuerbaren Energien einsetzen. Sie werden
auch weiterhin gefördert – Gott sei Dank. Trotzdem, so
ganz sicher sind Sie sich anscheinend nicht. Noch im
Wahlkampf sagte zum Beispiel der stellvertretende Frak-
tionsvorsitzende Meister, dass die Vorrangregelung nicht
weiter gelten soll. Gott sei Dank haben sich die Fort-
schrittlichen in beiden Parteien durchgesetzt; die Vor-
rangregelung wird bestehen bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Eine erste Maßnahme ist jedoch die Kürzung der För-
dersätze. Darüber hinaus ist die Diskussion über die Er-
neuerbaren nicht zielgerichtet. Wenn man diese wirklich
fördern will, dann muss man schauen, wohin die Reise
geht. Hierbei geht es um die Netzintegration und vor al-
len Dingen um die Förderung von Kombikraftwerken.
Ich glaube, dass wir zielgerichtet darüber diskutieren
müssen – da werden Sie uns an Ihrer Seite haben –, wie
man die Erneuerbaren fördert.

Ich fordere Sie auf – das ist wichtig; Sie haben ja nicht
nur hier, sondern auch in den Ländern die Mehrheit –, mit
Ihren Kolleginnen und Kollegen in den Ländern zu spre-
chen. Eine Behinderung der Erneuerbaren stellt zum
Beispiel die Höhenbegrenzung von Windkraftanlagen
dar. Wenn man die Erneuerbaren ausbauen will, dann
muss man die Hemmnisse, die es gerade auf Länder-
ebene gibt, endlich beseitigen. Die Mehrheiten dazu ha-
ben Sie. Gehen Sie dort also voran!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schauen wir uns einen weiteren Punkt an. Auch da
gibt es eine große Ankündigung, aus der nichts gewor-
den ist. Zur Entflechtung der Oligopole der großen Ener-
gieunternehmen ist nichts mehr in der Koalitionsverein-
barung zu lesen. Aber es gibt ja die Wunderwaffe von
Schwarz-Gelb, die in der Energiepolitik alles rettet: Das
ist die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraft-
werke. Dies ist eine antiquierte und nicht zukunftsfähige
Energie, die man jetzt doch noch einmal aus der Motten-
kiste herausholen will. Bei den großen Energieunterneh-
men haben die Sektkorken geknallt, als das Wahlergeb-
nis bekannt geworden ist; denn sie wussten, sie werden
zusätzliche hohe Milliardengewinne einfahren.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1700403700

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Kauch?


Marco Bülow (SPD):
Rede ID: ID1700403800

Ja, natürlich.


Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1700403900

Lieber Kollege Bülow, Sie haben im Zusammenhang

mit dem Koalitionsvertrag zwei Behauptungen aufge-
stellt, zu denen ich Sie bitte, noch einmal im Vertrag
nachzuschauen: Erstens bitte ich Sie, zur Kenntnis zu
nehmen, dass wir bezüglich der Kombikraftwerke die
Vereinbarung getroffen haben, dass es in der nächsten
EEG-Novelle einen Stetigkeitsbonus geben wird. Zwei-
tens bitte ich Sie, zur Kenntnis zu nehmen – dies ist Be-
standteil des Koalitionsvertrages –, dass wir genau das,
was Sie gefordert haben, nämlich für diesen Bereich ein
Entflechtungsinstrument in das Kartellrecht, in das Ge-
setz gegen Wettbewerbsbeschränkungen aufzunehmen,
auf Initiative der FDP vereinbart haben.


Marco Bülow (SPD):
Rede ID: ID1700404000

Dass für Kombikraftwerke ein Stetigkeitsbonus ein-

geführt werden soll, ist zwar ein Ansatz, geht mir aber
nicht weit genug. Ich habe nicht gesagt, dass im Koali-
tionsvertrag nichts steht. Ich habe gesagt, dass wir eine
zielgerichtete Diskussion führen müssen. Insgesamt
glaube ich aber, dass im Koalitionsvertrag im Hinblick
auf die Erneuerbaren nicht viel Neues enthalten ist.

Was die Entflechtung angeht, kann ich Ihnen nur sa-
gen: Mit dem, was Sie dort festgeschrieben haben, wird






(A) (C)



(B) (D)


Marco Bülow
es keine Entflechtung geben. Das wissen Sie genauso
gut wie ich. Mit der Verlängerung der Laufzeiten der
Atomkraftwerke wird eigentlich erst recht alles verste-
tigt, wie es ist. Ich glaube also, dass es am Ende dieser
vier Jahre eher eine Verstetigung der Monopolstrukturen
geben wird und wir keinen Schritt vorwärts gekommen
sein werden.


(Beifall bei der SPD)


Als Nächstes komme ich darauf zu sprechen, was der
Bürger davon hat. Vielleicht haben ja auch die Bürgerin-
nen und Bürger etwas davon, dass die Laufzeiten der
Kernkraftwerke verlängert werden. Es wird immer viel
davon geredet, dass dann zum Beispiel die Energiepreise
sinken werden. Alle wissen aber mittlerweile, dass der
Energiepreis an der Börse festgelegt wird und dass Län-
der, die einen sehr hohen Anteil an Atomenergie haben,
keine niedrigen Energiepreise haben. Der Bürger wird
davon also nichts haben. Aber ich sage Ihnen, was der
Bürger von der Verlängerung der Restlaufzeiten haben
wird:

Erstens wird er – das habe ich gerade schon angedeutet –
davon haben, dass sich die Monopolstrukturen verstetigen
und die vier großen Energieversorger weiterhin die Preise
diktieren.

Zweitens wird er davon haben, dass bei einer Verlän-
gerung der Laufzeiten in zehn Jahren 4 500 Tonnen
hochradioaktiver Atommüll zusätzlich gelagert werden
müssen.

Drittens wird er davon haben, dass er in der Unsicher-
heit leben muss, dass einer der Pannenreaktoren, die
weiterhin am Netz bleiben, vielleicht doch einmal explo-
diert, oder zumindest mit Zwischenfällen leben muss.

Viertens wird er davon haben, dass die Versorgungssi-
cherheit zurückgeht. Es kann sich ja bei diesen Reakto-
ren nicht nur ein großer Unfall ereignen; vielmehr sind
fast immer ein, zwei oder drei dieser Reaktoren gar nicht
am Netz und bringen also nicht die Energie ins Netz, die
eingeplant ist. Dadurch wird auch die Versorgungssi-
cherheit geschwächt. Hier haben wir ein großes Trauer-
spiel zu beklagen.

Fünftens wird er davon haben – das ist der wichtigste
Punkt, der schon ein paar Mal angesprochen wurde –,
dass die Investitionen in die Erneuerbaren, der Ausbau
der erneuerbaren Energien, gebremst werden. Eines ist
doch klar: Die Gewissheit, dass solche Großkraftwerke
noch zehn oder wie viele Jahre auch immer länger laufen
werden, wird dazu führen, dass der Druck, weiterhin in
die Erneuerbaren zu investieren, aus dem Kessel ent-
weicht. Diese Investitionen werden zurückgehen.

Deswegen nenne ich dieses Gesetz oder dieses Pro-
gramm das größte Mittelstandshemmnisprogramm der
letzten 20 Jahre. Eines ist klar: Gerade im Bereich der
erneuerbaren Energien wurden sehr viele Arbeitsplätze
beim Mittelstand und beim Handwerk geschaffen, was
bei der Atomwirtschaft eben nicht der Fall ist. Diese
Maßnahme wird also eindeutig den Mittelstand schädi-
gen; auch dies werden die Bürgerinnen und Bürger in
Kauf nehmen müssen.
Richtig ist, dass Ihnen selber bei der ganzen Ge-
schichte nicht wohl ist. Deswegen wird von Ihnen immer
häufiger von der Brückentechnologie Atomenergie ge-
sprochen. Brückentechnologie ist aber nur ein anderes
Wort dafür, dass es sich um eine alte Technologie han-
delt, die Sie eigentlich selber nicht mehr wollen, aber
jetzt noch ein bisschen in Kauf nehmen. Am besten wäre
es daher, beim alten Beschluss zu bleiben und die Atom-
energie auslaufen zu lassen. Das wäre der ehrlichste
Umgang.

Herr Minister, ich wünsche Ihnen bei Ihrer Arbeit al-
les Gute, vor allen Dingen bei der Klimakonferenz, aber
auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien und vielen
anderen Projekten, die Sie vor sich haben. Vor allem
aber wünsche ich Ihnen ein besseres Händchen – ich
weiß, dass Sie teilweise gar nicht dabei waren – als bei
dem Ergebnis, das im Koalitionsvertrag steht. Dann wer-
den Sie uns konstruktiv an Ihrer Seite haben. Ansonsten
werden Sie natürlich mit Kritik zu rechnen haben. In die-
sem Sinne alles Gute!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1700404100

Ich erteile das Wort dem Kollegen Horst Meierhofer

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Horst Meierhofer (FDP):
Rede ID: ID1700404200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Man hat das Gefühl, die Kollegen aus der Opposition ha-
ben ihre Reden vorher geschrieben und können es ei-
gentlich gar nicht fassen, dass die FDP und die Union
sich im Hinblick auf die erneuerbaren Energien we-
sentlich positiver aussprechen, als sie es jemals erwartet
hätten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Deswegen sind sie jetzt nicht in der Lage, auf das zu rea-
gieren, worum es wirklich geht, und stellen hier irgend-
welche schrecklichen Märchen und Albträume in den
Raum, von denen sie glauben, dass sie wahr würden, ob-
wohl nichts, aber auch gar nichts davon wahr ist. Die ge-
samte Branche der erneuerbaren Energien hat dies ka-
piert. Ich bitte daher auch Sie, es endlich zur Kenntnis zu
nehmen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Bestes Fußballteam von Grönland, kann ich da nur sagen!)


Es ist köstlich, wenn ich hier höre, wir seien die größ-
ten Lobbyisten der Großkonzerne. Die beiden bekann-
testen, die mir in diesem Zusammenhang einfallen, sind
die beiden Gasleute Gerhard Schröder und Joschka
Fischer.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Insofern scheinen die großen Lobbyisten bei Ihnen und
nicht bei uns zu sitzen. Auch hier sollten wir einmal da-






(A) (C)



(B) (D)


Horst Meierhofer
rauf achten, wie weit Wirklichkeit und Anspruch ausei-
nander liegen.

Sie haben hier so getan, als garantierten wir den
Großkonzernen irgendwelche Gewinne, indem wir sag-
ten, ein großes Unternehmen müsse weiterhin die ganze
Zeit am Netz sein, weil es sich ansonsten nicht lohne. Es
ist doch nicht die Entscheidung der Politik, ob sich ein
Atomkraftwerk oder ein Kohlekraftwerk lohnt. Es ist die
Entscheidung eines jeden Unternehmers, ob es sich lohnt
oder nicht. Solange es den Einspeisevorgang gibt – dafür
haben wir uns verpflichtet –, sind all Ihre ganzen Be-
fürchtungen obsolet, Sie können sie vergessen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich würde gerne zu zwei oder drei anderen Themen
noch etwas sagen. Zum einen geht es um den Bereich
der Rohstoffpolitik. Wir hatten früher – gerade in den
90er-Jahren – Probleme mit Müllbergen, mit der Entsor-
gungspolitik im Allgemeinen. Das ist Gott sei Dank vor-
bei. Wir sind mittlerweile auf einem Weg – den haben
wir hier auch eingeschlagen –, Rohstoffe und Ressour-
cen als Wertstoffe anzusehen. Dieser Bereich ist mir
ganz wichtig. Wir können es uns ökologisch und ökono-
misch einfach nicht mehr leisten, alles nur noch als Ab-
fall zu betrachten. Meist sind es Wertstoffe.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD)


Dafür müssen wir den Weg freimachen. Wir müssen uns
von alten Denkweisen verabschieden und Verpackung
definieren. Wir müssen uns überlegen, welches Material
welche Eigenschaften hat. Danach müssen wir entschei-
den. Ich hoffe – in der letzten Legislaturperiode hatte ich
den Eindruck –, dass wir mit der Opposition einen brei-
ten Konsens erreichen können.

Wir müssen die Verpackungsverordnung neu kon-
struieren. Das ist wichtig. Wir brauchen einen echten
Neuanfang und dürfen nicht weiter im alten System blei-
ben. Wir brauchen effizientere und verbraucherfreundli-
chere Abfall- und Ressourcenpolitik. Wir müssen weg
von der alten Symbolpolitik, in der wir die Menschen als
dressierte Äffchen betrachteten. Vielmehr müssen wir
darauf achten, dass wir beste Ergebnisse erzielen und
den Menschen möglichst wenig Umstände zumuten,
wenn sie ökologisch nicht sinnvoll sind.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Ich möchte einen kritischen Punkt ansprechen: die
steuerliche Gleichstellung im Abfallbereich. Es gab
einen großen Aufschrei in der Bevölkerung und in der
Opposition. Uns wurde vorgeworfen, dass wir die Men-
schen abkassieren wollen. Das Gegenteil ist der Fall. Ich
will Ihnen das erklären.

Es geht darum, dass wir die Privilegien abschaffen,
die vor allem die öffentlich-rechtlichen Unternehmen
haben. Es ist natürlich schwer, die Abschaffung von Pri-
vilegien zu akzeptieren, wenn man sie über Jahrzehnte
gehabt hat. Aber eins möchte ich Ihnen sagen: Wenn je-
mand bereit ist, privat Geld zu investieren, und das Ri-
siko des Unternehmertums eingeht und dabei in einem
Wettbewerb mit der öffentlichen Hand steht, in dem die
öffentliche Hand 0 Prozent Mehrwertsteuer zahlt und der
private Unternehmer 19 Prozent, dann halte ich das, ehr-
lich gesagt, für einen Skandal.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen zu fairen Wettbewerbsbedingungen kom-
men. Das bedeutet nicht, dass es teurer wird bzw. dass
die Daseinsfürsorge geschmälert wird. Ganz im Gegen-
teil. Beim Trinkwasser – ein sehr sensibler Bereich – war
es sicher genauso. Wir haben es geschafft, einen fairen
Wettbewerb durch einen ermäßigten Steuersatz zwischen
öffentlich-rechtlichen und privaten Unternehmen zu ge-
währleisten. Da es uns dort gelungen ist, wird es uns
auch im Bereich Abfall gelingen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Alle den ermäßigten, den hohen, oder alle nichts?)


Es geht darum, dass wir keine Abzocke wollen. Wir
wollen genau das Gegenteil. Wir haben festgestellt, dass
auch schon jetzt Unternehmen, die den vollen Mehrwert-
steuersatz zahlen, mit den öffentlich-rechtlichen, die
keine Mehrwertsteuer zahlen, zum Teil mithalten kön-
nen. Man sieht, dass es bei der Einsparung große Poten-
ziale gibt. Wir müssen es schaffen, die Unternehmen in
einen fairen Wettbewerb zu bringen. Wenn uns das ge-
lingt, dann haben wir eine große Chance auf Erfolg.


(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Welchen Mehrwertsteuersatz?)


Lassen Sie mich etwas zum Thema Durchgängigkeit
von Fließgewässern sagen. Mir persönlich war es ein
Anliegen, dass wir uns darauf geeinigt haben, den hohen
Wert der frei fließenden Gewässer anzuerkennen. Wir
wollen die Durchgängigkeit nicht nur halten, sondern so-
gar noch ausbauen. Das ist wichtig, weil es auch die Eu-
ropäische Wasserrahmenrichtlinie vorschreibt. Wir er-
kennen fließende Gewässer als echten Wert und nicht
nur als Wasserstraße an. Wir müssen die Menschen,
Tiere und Pflanzen in den Fokus stellen, statt nur die zu
transportierenden Frachten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch das haben wir in diesem Koalitionsvertrag verein-
bart.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir uns an ei-
ner Stelle nicht geeinigt haben, nämlich in der Frage, wie
es mit der Donau zwischen Straubing und Vilshofen wei-
tergeht. Das finde ich schade, aber auch das muss man
offen diskutieren.

Mein letzter Punkt, über den ich gerne sprechen
würde, ist der Lärmschutz. Wir haben uns für mehr In-
frastruktur ausgesprochen. Wir wollen uns dafür einset-
zen, dass die Menschen frei in ihren Entscheidungen
sind, weil sie sich auch frei entfalten wollen. Es ist aber
auch wichtig, dass wir den Menschen den Schutz geben,
den sie benötigen. Einen Schutz geben wir ihnen da-
durch, dass wir Lärmschutz ermöglichen, dass wir die
Lärmschutzwerte verschärfen, dass wir den Schienenbo-






(A) (C)



(B) (D)


Horst Meierhofer
nus abschaffen, dass wir lärmabhängige Trassenpreise
bei der Bahn einführen. Sie sehen, es gibt viele konkrete
Punkte, die zu einer Verbesserung dessen führen, was die
Menschen erwarten können, zu einem echten Natur- und
Umweltschutz für die Menschen und mit den Menschen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist keine Frage von links oder rechts, wie man mit
Ökologie umgeht. Es geht auch nicht darum, was aus Ih-
rer Sicht ideologisch richtig oder falsch ist. Es geht um
die Frage, ob etwas grundsätzlich richtig oder falsch ist.
Es geht um den Unterschied zwischen gut gemeint und
gut gemacht. Wir entscheiden uns für gut gemacht.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1700404300

Das Wort hat nun Kollegin Dorothée Menzner für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dorothee Menzner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700404400

Herr Präsident! Herr Minister! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Das zentrale Projekt der Koalition im Be-
reich Energie und Klimapolitik ist die Aufkündigung
des Atomausstiegs. Das ist ein Rollback und eine Ver-
höhnung der Menschen, die sich seit Jahren und Jahr-
zehnten für ihre Sicherheit, für die Sicherheit ihrer Kin-
der und für die Sicherheit der Umwelt engagieren, der
Menschen, die sagen: Ein sofortiger Atomausstieg ist
nötig.

Die Kapitalanleger haben das sehr schnell realisiert.
Die Entwicklung des Aktienkurses der großen Strom-
konzerne in den letzten Wochen macht das deutlich. Die
Anleger wissen: Längere Laufzeiten längst abgeschrie-
bener AKWs sind eine Lizenz zum Gelddrucken.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genau so ist es!)


Laufzeitverlängerungen – das ist hier schon mehrfach
gesagt worden – sind keine Brücke für erneuerbare Ener-
gien, sondern eher eine Weichenstellung dagegen. Der
Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregie-
rung bringt es auf den Punkt, wenn er sagt, es gebe einen
grundlegenden Systemkonflikt zwischen Atom- und
Kohlekraftwerken auf der einen und erneuerbaren Ener-
gien auf der anderen Seite. Ich halte es für sehr sinnvoll,
wenn sich die Politik von Sachverständigen beraten
lässt. Man sollte sie aber nicht nur reden lassen, und man
sollte nicht beratungsresistent sein. Das, was ich in die-
sem Koalitionsvertrag lese, lässt allerdings einen ande-
ren Schluss zu.

Zum Hauptpunkt meiner heutigen Rede, zur atoma-
ren Endlagerung: Dabei haben wir einen grundlegen-
den Dissens, der sich nicht einfach auflösen lässt. Der
dürre Satz im Koalitionsvertrag „Die Endlager Asse II
und Morsleben sind in einem zügigen und transparenten
Verfahren zu schließen“ macht deutlich, was die Koali-
tion plant: Deckel drauf, Augen zu.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Super!)


Es mag Sie ja wenig beeindrucken, wenn wir als
Linke sagen, dass das mit uns nicht zu machen ist. Aber
ich versichere Ihnen: Auch die Menschen in der Region,
die Menschen in Niedersachsen werden das nicht mit
sich machen lassen. Das machen sie seit 30 Jahren im-
mer wieder deutlich. Ich erinnere alle, die das vielleicht
nicht mehr im Kopf haben, an die Lichterkette im Fe-
bruar, die von Braunschweig über Schacht Konrad zur
Asse führte, oder an den Treck aus dem Wendland nach
Berlin im September.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Widerstand lebt seit 30 Jahren. Er ist vital und wird
auch weiterhin vielfach sichtbar werden. Die Menschen
in Niedersachsen und anderswo lassen sich nicht ver-
schaukeln, und sie lassen sich auch nicht belügen. Davor
haben Sie Angst.

Dass eine Gefahr besteht, haben Sie gestern – ich ver-
mute, unfreiwillig – dokumentiert. Gestern erhielten wir
die Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Kollegen
Petra Pau zu den Kosten für Asse II. Sie fragte, was die
Konzerne, die eingelagert haben, für die Einlagerung in
der Asse II bezahlt haben. Aus der Antwort der Parla-
mentarischen Staatssekretärin Heinen-Esser geht her-
vor, dass die Konzerne genau 16 548 553,68 DM gezahlt
haben, also rund 16,5 Millionen DM. Weiterhin teilt das
Ministerium mit – ich zitiere –:

Eine rechtlich verpflichtende Beteiligung der Ener-
gieversorgungsunternehmen an den Stilllegungs-
kosten der Asse hätte vor der Ablieferung der Ab-
fälle mit den Erzeugern vereinbart werden müssen.
Dies ist jedoch nicht geschehen.

Und dann schreiben Sie im Koalitionsvertrag, dass
Sie es anstreben, die Unternehmen, die Erzeuger an den
Kosten der Erschließung zu beteiligen. Das klingt in den
Ohren der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler wie
Hohn. Sie müssen für die Milliarden einstehen, die bei
der Schließung der Asse – das ist absehbar – auf uns alle
zukommen werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Ulrich Kelber [SPD] und der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Beides werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
Wir werden es Ihnen nicht durchgehen lassen, dass da-
nach gehandelt wird, was opportun und politisch gewollt
ist. Es wird darum gehen müssen, ein transparentes und
optimal sicheres Verfahren zu finden. Man muss sicher-
stellen, dass die Gefahren für die Menschen heute und in
der Zukunft möglichst gering sind. Dafür stehen wir.
Diese Auseinandersetzung werden wir in den nächsten
Jahren auch von dieser Stelle aus führen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])







(A) (C)



(B) (D)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1700404500

Das Wort hat nun Kollege Josef Göppel für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Josef Göppel (CSU):
Rede ID: ID1700404600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Ver-

halten der Deutschen in der Umweltpolitik richten sich
viele andere aus. Wenn sich die Deutschen in einer Sa-
che zurückhalten, dann bleiben auch viele andere in der
Deckung. Das merken die Teilnehmer an internationalen
Umweltkonferenzen immer wieder. Deshalb brauchen
wir in der jetzigen Phase einer gewissen Stagnation in
der internationalen Klimapolitik einen neuen Anschub.

Herr Bundesminister Röttgen, wir wünschen Ihnen
Glück im neuen Amt. Ich darf Ihnen die volle Unterstüt-
zung der Umweltpolitiker und Umweltpolitikerinnen der
Union zusagen. Wir erwarten allerdings viel von Ihnen.
Die erste große Herausforderung liegt jetzt in Kopenha-
gen. Dort muss der gordische Knoten der gegenseitigen
Zurückhaltung durchschlagen und es müssen konkrete
Angebote für den internationalen Waldschutz und für die
Entwicklung klimaverträglicher Technologien in den
Entwicklungsländern auf den Tisch gelegt werden.

Ich möchte Ihnen sehr danken, dass Sie sich, was die
Ziele für Kopenhagen angeht, so klar positioniert haben.

Wir haben es auf innereuropäischer Ebene mit dem-
selben Sachverhalt zu tun. Ich nenne das Gezerre um die
sogenannten Nullenergiehäuser bei Neubauten ab 2019,
die das Europäische Parlament vorschreiben will, oder
auch um die verpflichtenden Anreize in der europäi-
schen Gebäudeeffizienzrichtlinie für die energetische
Sanierung von Altbauten. Der Europäische Rat ist nach
wie vor dagegen. Wir in Deutschland haben solche An-
reize mit den KfW-Programmen, mit dem Marktanreiz-
programm des Umweltministeriums, und ich hoffe, es
wird eines Tages auch steuerliche Anreize geben, weil
da viel Geld sinnvoll lockergemacht werden kann für
den Klimaschutz, für Energieeinsparung und für Arbeits-
plätze in Handwerk und Mittelstand.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


Der Wandel von einer zentralen zu einer dezentralen
Stromerzeugung, die Abwärme vermeidet, wo Ab-
wärme also nicht ungenutzt bleibt, sondern zusammen
mit der Stromerzeugung sinnvoll genutzt werden kann,
ist ein Schlüssel für unsere technologische Wettbewerbs-
fähigkeit auf den Weltmärkten der Zukunft und natürlich
auch für den Klimaschutz.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen möchte ich an dieser Stelle auf die Verlän-
gerung von Laufzeiten eingehen. Herr Kollege Kauch
hat völlig recht. Im Vertrag steht: Wir sind bereit, Lauf-
zeiten zu verlängern. – Aber ich sage hier auch ganz
deutlich: Wenn die Begrenzung der Laufzeiten fällt,
dann müssen auch die Gegenleistungen im Ausstiegsver-
trag der damaligen rot-grünen Koalition vom Juni 2000
fallen, nämlich die steuerliche Begünstigung der Rückla-
gen, die Begrenzung der Versicherungspflicht für Reak-
toren, die bis zu zehn Jahre langen Prüfungsintervalle
und die Begünstigung – es ist da von „ungestörtem Be-
trieb“ die Rede – im Wettbewerb mit anderen Formen
der Stromerzeugung. Das zusammen schafft ein Klima,
das man entweder für Innovationen nutzen kann oder für
die Zementierung von Zuständen. Unser Nachbarland
Belgien macht übrigens im Moment vor, wie ein solcher
Energievertrag für ein ganzes Land aussehen kann.

Die Internationale Energieagentur hat gestern be-
kanntgegeben, dass die Investitionen im Energiesektor
wegen der Finanzkrise um 20 Prozent eingebrochen
sind. Die Umweltpolitik hat ein elementares Interesse an
einer wirkungsvollen Regulierung des Finanzsektors.
Das Geld, das zur Rettung von Banken ausgegeben wer-
den muss, steht nicht mehr für technische Innovationen
und für den Klimaschutz zur Verfügung.

Ich denke, dass an der Stelle eine neue kulturell-geis-
tige Diskussion angebracht ist, die das Überstülpen von
ökonomischen Kategorien auf alle Lebensvorgänge
überwindet. Da möchte ich Sie, Herr Minister Röttgen,
zitieren und unterstützen. Sie haben die ethische Veran-
kerung der Umweltpolitik angemahnt. Die aktuelle Situ-
ation hat niemand besser beschrieben als Roger de Weck
in der FAZ vom vergangenen Sonntag. In einem Artikel
hat er geschrieben:

Die derzeitige Krise … ist eine Folge … jener
Denkweise, die alles nach wirtschaftlichen Ge-
sichtspunkten beurteilt und nur wirtschaftliche Ka-
tegorien anerkennt …


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht neu!)


Heute beherrscht der Markt die Gesellschaft, statt
ihr zu dienen.

Die Umweltpolitik der nächsten vier Jahre steht deshalb,
so denke ich, auch unter einem starken Werteanspruch.
Gehen wir an unsere Aufgaben heran im Bewusstsein
der Fülle des Lebens!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1700404700

Das Wort hat nun Kollege Frank Schwabe für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1700404800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist nicht ganz leicht, seiner Oppositionsrolle gerecht zu
werden, wenn gerade vorher der Kollege Göppel geredet
hat.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Frank Schwabe
Ich finde, dass auch der Herr Bundesminister viele rich-
tige Worte gefunden hat. In einigen Tagen findet die Kli-
makonferenz in Kopenhagen statt. Einige von uns wer-
den in Kopenhagen vor Ort sein. Wir brauchen in der Tat
ein substanzielles Abkommen; ich fand die Worte dazu
durchaus richtig. Das ist eine historische Aufgabe. Jedes
weitere Jahr ohne ein solches Abkommen wird ein in
mehrfacher Hinsicht verlorenes Jahr sein. Ich finde auch
richtig – das will ich an dieser Stelle ausdrücklich
sagen –, dass die Kanzlerin gestern gesagt hat, dass auch
sie in Kopenhagen vor Ort sein wird und, so hoffe ich,
zum Gelingen dieses Abkommens beitragen kann. Herr
Röttgen, hier haben Sie unsere Unterstützung.

Das waren dann aber auch schon die Gemeinsamkei-
ten. Es geht nämlich um Grundsatzfragen der deutschen
Klima- und Energiepolitik in den nächsten Jahren. Die
zentrale Frage ist, ob man jenseits von Rhetorik und Ly-
rik – auch das ist natürlich notwendig – versteht, welche
Auseinandersetzungen es eigentlich gibt und welche
zentrale Herausforderung der Klimawandel an die Ver-
änderungsbereitschaft von Volkswirtschaften und im
Hinblick auf die Veränderungsnotwendigkeiten in der
Energieversorgung stellt.

All das, was Sie dazu gesagt haben, hat sich gut ange-
hört. Ich bin gespannt, wie Sie sich in den nächsten Jah-
ren mit Ihrer Fraktion und mit der FDP-Fraktion verstän-
digen werden. Ich kann Ihnen sagen: Das ist, zumindest
was die Unionsfraktion angeht, nicht ganz leicht. Diese
Erfahrung haben wir in den letzten Jahren gemacht.

Es geht um die Frage: Will man eine neue, zukunfts-
fähige Energiepolitik betreiben, oder will man das, was
ist, konservieren, den Umbau verhindern und – es tut mir
leid, das sagen zu müssen – das Werk von Lobbyisten
betreiben? Im Koalitionsvertrag steht das eine oder an-
dere Gute – das will ich Ihnen durchaus zugestehen; es
gab in den letzten Jahren manche Lerneffekte –, aber an
vielen Stellen habe ich den Eindruck: Das ist eins zu eins
von Lobbyisten übernommen worden. Ich bin mir im
Übrigen sicher: Die Wahrheit werden wir erst nach der
NRW-Wahl zu hören bekommen.

Wir führen in der SPD gerade eine interne Diskussion
darüber, was in den letzten elf Jahren unserer Regie-
rungsbeteiligung gut war und was nicht so gut war. Das
ist notwendig, und wir machen das sehr selbstbewusst
und sehr eigenständig.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Das stünde der FDP auch gut an!)


– Ja, das ist vernünftig.

Was die Klima- und Energiepolitik angeht, will ich
Ihnen sagen: Wir sind alle gemeinsam sehr stolz auf das,
was in den letzten Jahren erreicht wurde. Wir haben uns
eine internationale Führungsrolle erkämpft – sie ist unter
anderem mit den Namen Hermann Scheer, Michael
Müller und sicherlich auch Sigmar Gabriel verbunden –,
und wir haben es geschafft, eine nationale Strategie zum
Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben. Ich sage
Ihnen: Das geht nicht ohne Weiteres, sondern das ist ge-
gen massive Widerstände erkämpft worden, gegen mas-
sive Widerstände der FDP, der CDU, der CSU und von
Teilen der Gesellschaft. Jetzt wollen Sie, Herr Röttgen,
für eine neue Politik stehen. Ich wünsche Ihnen dabei
viel Erfolg. Aber ich sage Ihnen: Das wird nicht ganz
leicht werden.

Zum Atomausstieg und zu den erneuerbaren Energien.
Sie versuchen, die Kernenergie als Brückentechnologie
darzustellen und den Menschen möglichst viel Sand in
die Augen zu streuen. Die Börsen haben es verstanden.
Einen Tag nach der Wahl konnte man beobachten, wie
sich die Aktienkurse der entsprechenden Unternehmen
entwickeln. Atomkraft und der Ausbau erneuerbarer
Energien passen nicht zusammen. Das hört sich immer
schön an. Wenn man sich das aber unter technischen Ge-
sichtspunkten ansieht, stellt man fest: Auf Dauer wird das
nicht funktionieren. Die Lobbygruppen werden in den
nächsten Jahren entsprechend wirken.

Meine Sorgen sind, dass die Fliehkräfte in Ihrer Ko-
alition größer werden und dass auch der Druck, der aus-
geübt wird, um die Rücknahme von Maßnahmen beim
Klimaschutz zu erreichen, zunehmen wird. Bereits in
den letzten Jahren haben wir eine Politik erlebt, in deren
Rahmen Europa seiner Führungsrolle nur noch bedingt
gerecht geworden ist; das will ich an dieser Stelle deut-
lich sagen.

Frau Dött hat vorhin gesagt: Kopenhagen braucht
keine Schaufensterreden. Herr Röttgen, Sie haben ge-
sagt: Es gibt keinen Plan B. Wenn das so ist, muss man
die Ziele, die man vor Ort erreichen will, zum Beispiel
die 40-prozentige Reduzierung des CO2-Ausstoßes, mit
entsprechenden Maßnahmen unterlegen. Wir können
einmal beim Kaffee darüber reden, wie das Ziel, die
Emissionen um 40 Prozent zu reduzieren, zustande ge-
kommen ist bzw. an wem es, jedenfalls eine Zeit lang,
gescheitert ist. Ich jedenfalls weiß das ziemlich genau.

Man muss das Ziel, das man hat, wie gesagt, durch
Maßnahmen glaubwürdig unterlegen. In dieser Hinsicht
fehlt mir im Koalitionsvertrag einiges. Wie will man
diese 40 Prozent erreichen? Wir haben in Meseberg Pro-
gramme auf den Tisch gelegt; allerdings reicht das nicht
aus. Da muss nachgelegt werden, und man muss zu
neuen Maßnahmen kommen.

Ich glaube in der Tat, man beschädigt die Glaubwür-
digkeit der deutschen Klimaschutzpolitik, wenn man den
Eindruck erweckt, dass man das Allermeiste über fle-
xible Mechanismen, über CDM, erreichen will.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


CDM ist wichtig; aber CDM kann nur ein zusätzliches
Instrument sein. Der Hauptbeitrag zum Klimaschutz
muss vor Ort, in Deutschland, in Europa, geleistet wer-
den.

Wenn der Minister die historische Aufgabe der Kon-
ferenz in Kopenhagen beschreibt, ist darauf hinzuwei-
sen, dass es notwendig ist, zu schauen, was noch getan
werden muss. Die Entwicklungsländer brauchen Fi-
nanzzusagen. Sie werden ein internationales Abkommen
nicht mittragen, wenn man ihnen keine Finanzzusagen
macht, wie man die Schäden, die durch den Klimawan-






(A) (C)



(B) (D)


Frank Schwabe
del entstehen und die es schon heute gibt, eingrenzen,
wie man sie ausgleichen, wie man für Technologietrans-
fer sorgen, wie man den Wald schützen will. Solange
man diese Fragen nicht beantwortet, wird ein solches
Abkommen nicht funktionieren. Da hat die Bundesregie-
rung beim Europäischen Rat und beim Finanzminister-
treffen der G 20 gefehlt.

Es gibt einen Vorschlag der Europäischen Kommis-
sion, für die Entwicklungsländer jedes Jahr 15 Mil-
liarden Euro zur Verfügung zu stellen. Es gibt einen Vor-
schlag des Umweltausschusses des Europäischen Parla-
ments, jedes Jahr Transferleistungen in Höhe von
30 Milliarden Euro bereitzustellen. Irgendwo in diesem
Bereich muss sich das Angebot bewegen. Wenn man
will, dass die Konferenz von Kopenhagen Erfolg hat,
muss die Bundesregierung massiv dazu beitragen, dass
die Europäische Union ein solches Angebot macht.

Ich will zum Ende noch einmal sagen: Von dem, was
Sie gesagt haben, war vieles richtig. An Vorschlägen zur
Umsetzung und an Visionen mangelt es im Koalitions-
vertrag jedoch. Insofern freue ich mich auf die Ausei-
nandersetzung in den nächsten Jahren; sie wird span-
nend.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1700404900

Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich

liegen nicht vor.

Wir kommen nun zum Themenbereich Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung.

Das Wort dazu hat Bundesminister Peter Ramsauer.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Nach vielen parlamentarischen Funktionen in den
19 Jahren meiner Mitgliedschaft in diesem Hohen Hause
stehe ich heute das erste Mal im Amt des Bundesminis-
ters für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung am Redner-
pult.

Ich möchte gleich zu Beginn meiner Rede zusammen-
fassend klarmachen, worum es mir geht. In meinem Res-
sort befassen wir uns mit elementaren Grundbedürfnis-
sen aller Menschen. Alle Menschen in Deutschland
wohnen, fahren, sind mobil. Oder es wird für sie gebaut,
bzw. sie bauen selbst. Mein Ziel ist es, mit meinem Mi-
nisterium diesen Grundbedürfnissen der Menschen auf
das Bestmögliche gerecht zu werden. So klar und ein-
deutig und einfach ist die Zielsetzung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich habe meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
bei der Vorstellung an den beiden Dienstorten – hier in
Berlin ebenso wie an dem großartigen Dienstort Bonn –
erklärt:


(Lachen der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE] – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Der Umzug kommt trotzdem!)


Die Menschen in Deutschland müssen spüren, dass wir
in diesem Ministerium täglich für sie da sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dazu sind wir gut ausgestattet: Wir haben den größten
Investitionshaushalt aller Bundesministerien.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Hoffentlich noch lange!)


Mein Ministerium ist in den letzten elf Jahren mehr-
mals umbenannt worden. Ich war knapp davor, dies noch
einmal zu tun; aber nicht immer sind aller guten Dinge
drei. So habe ich es bei der Bezeichnung belassen.

Eines muss aber natürlich klar sein: Obwohl es in der
Amtsbezeichnung „und Stadtentwicklung“ heißt und es
natürlich um die Stadtentwicklung und die Entwicklung
städtischer Monopolregionen geht, muss es uns – das
sage ich ebenso klar und deutlich – genauso darum ge-
hen, die ländlichen Räume gut und bestmöglich zu ent-
wickeln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich kündige hier an, dass ich als zuständiger Minister in
diesem Bereich neue Akzente setzen werde.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Haben Sie das abgestimmt?)


Wir können uns in Deutschland darüber freuen, dass
wir großartige Kulturlandschaften und große, tolle länd-
liche Räume vom Wattenmeer bis zu den Alpen, von der
Sächsischen Schweiz bis in die Eifel haben. Das sind
auch hervorragende Wirtschaftsstandorte.

Ich bringe es einmal auf den Punkt: Metropolregionen
können ohne funktionierende ländliche Räume nicht
sein, und gute, funktionierende ländliche Räume können
ohne gut entwickelte, urbane Zentren nicht sein. Beides
gehört zusammen, und deswegen geht es mir in meinem
Haus nicht nur um Stadtentwicklung, sondern ebenso
auch um die ländlichen Räume.


(Beifall bei der SPD und der FDP – Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Aber auch im Osten!)


– Darauf komme ich gleich noch. Wenn Sie meine Inter-
views aufmerksam lesen würden, dann kämen Sie auf
solche Zwischenrufe gar nicht.

Damit sind wir aber auch schon bei der Infrastruktur-
politik. Hier mache ich gleich eines klar: Ich werde mit
der ideologisch motivierten Bevorzugung einzelner
Verkehrsträger Schluss machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sören Bartol [SPD]: Das ist doch Steinzeit!)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Peter Ramsauer
Ich werde keinen einzelnen Verkehrsträger gegenüber
anderen Verkehrsträgern irgendwie benachteiligen.


(Florian Pronold [SPD]: Das heißt?)


– Das heißt, dass wir selbstverständlich versuchen wer-
den, den Frachtverkehr und natürlich auch den Perso-
nenverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern.

Zur Politik gehört aber auch Realismus.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Aha!)


Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Nach der Delle, die wir zur-
zeit durch die Wirtschaftskrise erleben, wird es wieder
zu den entsprechenden Wachstumsraten im Frachtbe-
reich kommen. Wir können schon froh sein, wenn wir
die gesamte zusätzliche Fracht auf die Schiene verlagern
können, sodass sie nicht auch noch auf der Straße trans-
portiert wird; denn eines ist auch klar – das lehrt die jah-
relange politische Erfahrung –: Wenn Sie Schienen
bauen oder ausbauen wollen – und seien die Immissio-
nen noch so günstig –, dann stoßen Sie überall auf den
gleichen erbitterten Widerstand der anliegenden Bevöl-
kerung wie dann, wenn Sie Straßen neu oder ausbauen
wollen.


(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Aber es lohnt sich!)


– Aber es lohnt sich, und deswegen werden wir uns die-
sen Herausforderungen stellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich stehen wir
bei den Infrastrukturmaßnahmen in einer gesamtstaatli-
chen Verantwortung. Mein Ziel ist es, dass die Infra-
struktur im Norden so gut ist wie im Süden und im Osten
so gut ist wie im Westen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


In den neuen Bundesländern haben wir inzwischen ei-
nen hervorragenden Ausbauzustand erreicht. Wir sind
stolz darauf, dass alle 17 Verkehrsprojekte „Deutsche
Einheit“ im Bau oder bereits fertiggestellt sind, dass wir
bis Ende 2008 28,5 Milliarden Euro in die Verkehrs-
projekte „Deutsche Einheit“ investiert haben, dass wir
1 800 Kilometer Straßen neu oder ausgebaut haben und
dass 95 Prozent der Straßenprojekte realisiert sind oder
umgesetzt werden.

Wir werden dem weiter bestehenden Bedarf in den
neuen Ländern ohne Abstriche nachkommen und die
noch offenen Projekte mit allem Nachdruck verwirkli-
chen. Ich nenne dazu auch einige Beispiele: die A 72
von Leipzig nach Chemnitz, die A-14-Nordverlängerung
Magdeburg–Schwerin,


(Zuruf von der SPD: Sie ist doch fertig!)


das wichtige Schienenprojekt Nürnberg–Berlin und die
Schienenausbaustrecke Berlin–Dresden–Prag. An all dem
werden wir hart arbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich müssen wir auch die Balance wahren, wenn
wir eine gleiche Entwicklung in den alten und neuen
Bundesländern wollen und wenn wir es hier nicht zu
neuen Brüchen kommen lassen wollen. Alle, die sich in
der Debatte der letzten Tage zu Wort gemeldet haben,
nicht nur aus den Reihen meiner Partei, sondern auch
aus denen der Oppositionsparteien, haben klipp und klar
gesagt: Es war richtig, dass wir für die Investitionen in
den neuen Ländern vieles zurückgestellt haben, was an-
sonsten in den alten Bundesländern investiert und gebaut
worden wäre. – Aber alle geben auch zu, dass jetzt ein
Nachholbedarf entstanden ist. Ich sage Ihnen klipp und
klar: Ich bekenne mich ausdrücklich zu diesem Nachhol-
bedarf, denn wir können es uns in Deutschland nicht
leisten, auf Dauer in der Fläche Substanz auf Verschleiß
zu fahren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich bedanke mich deshalb ausdrücklich bei meinem
Kollegen Arnold Vaatz, der gesagt hat: Ich bin voll da-
von überzeugt, dass Peter Ramsauer damit mit keinem
Wort gesagt hat, dass auch nur ein Projekt infrage steht,
das uns in Ostdeutschland zugesichert wurde. – Lieber
Arnold Vaatz, genau so ist es. So viel dazu.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Da braucht man aber mehr Geld!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will in diesem
Amt echte operative Energie- und Umweltpolitik be-
treiben. Dies passt sehr gut zu den Debatten, die wir am
heutigen Vormittag in den letzten Stunden geführt haben.
Wir wissen, dass wir rund ein Drittel der Energie in
Deutschland für Heizen und Warmwasser verwenden.
Ich setze große Hoffnungen darauf, dass wir im Bereich
Bauen und energetische Gebäudesanierung zu gewalti-
gen Energieeinsparungen kommen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir hätten es uns vor 20 Jahren nicht träumen lassen,
dass wir eines Tages mit einer Entwicklung, die inzwi-
schen Standard ist – ich meine das sogenannte Passiv-
haus –, den Energieverbrauch beim Heizen auf rund
15 Kilowattstunden pro Quadratmeter Wohnraum im
Jahr herunterschrauben könnten. Das sind großartige
Perspektiven, die ich aus meinem Haus heraus mit allen
Kräften fördern werde.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ein weiterer Bereich: Ich werde alles dafür tun, dass
wir alle Potenziale der Elektromobilität ausschöpfen;
auch darüber ist heute gesprochen worden. Wir bauen
heute in Deutschland die besten Autos der Welt. Mein
Ziel ist es, dass wir in Zukunft auch die besten Elektro-
autos der Welt bauen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich möchte in diesem Ministerium auch in der
Außenwirtschaftspolitik neue Akzente setzen. Wir wis-
sen, dass Deutschland ein besonders exportorientiertes
Land ist. Dem werde ich aus meinem Haus heraus we-
sentlich stärker Rechnung tragen, als dies in der Vergan-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Peter Ramsauer
genheit der Fall war. Ich nenne einige Beispiele: Innova-
tive Verkehrstechnologie, Elektromobilität, unser Know-
how in der Logistik und Energieeffizienz, all das bietet
hervorragende Chancen, neue Märkte in aller Welt zu er-
schließen. Ich jedenfalls werde die deutschen Export-
interessen in diesem Bereich mit allem Nachdruck in der
Welt vertreten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Uwe Beckmeyer [SPD]: Sagen Sie doch mal etwas Neues!)


Im Übrigen gilt es auch, deutschen Unternehmen auf
den europäischen Märkten durch wirklichen Wettbewerb
Chancengleichheit zu ermöglichen. Ich habe in der letz-
ten Woche das Thema aufgegriffen – da gilt es, nachzu-
arbeiten –, dass der Wettbewerb, beispielsweise auf der
Schiene, keine Einbahnstraße sein darf, sondern dass
deutsche Unternehmen in der gleichen Weise wie andere
europäische Anbieter bei uns die Netze in anderen Län-
dern nutzen können. Dies muss auch etwa für die Deut-
sche Bahn AG auf den Netzen der französischen Bahn
im Bereich der Personenbeförderung möglich sein. Wett-
bewerb findet immer zweiseitig statt. Die Reziprozität
muss gewahrt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Florian Pronold [SPD]: Was muss gewahrt werden?)


Weil wir bei der Bahn sind: Eines muss auch klar
sein: Netz und Infrastruktur der Bahn müssen dauerhaft
in der Hand des Bundes bleiben. Ich sage klipp und klar:
Privatisierung ist für mich kein Allheilmittel. Ich sage
ebenfalls klipp und klar: Die Bahn ist in Deutschland
kein x-beliebiges Wirtschaftsgut des Bundes, mit dem
man wie mit einer x-beliebigen Bundesbeteiligung ver-
fahren kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Ich bedanke mich, dass auch Sie das so sehen. – Die
Bahn hat im Bewusstsein von uns Deutschen eine ganz
besondere, herausragende Bedeutung, der ich auch ge-
recht werde. Einen Börsengang der Transport- und Lo-
gistiksparte werden wir unter strengster Berücksichti-
gung der Lage auf den Kapitalmärkten prüfen.


(Widerspruch bei der SPD – Uwe Beckmeyer [SPD]: Herr Döring guckt schon ganz zweifelnd!)


Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen, der
mir als jemandem, der ein neues Ministeramt übernom-
men hat, auch sehr wichtig ist. Ich habe in meinem
beruflichen Leben weiß Gott schon sehr viel mit öffentli-
chen Verwaltungen, öffentlichen Betrieben und öffentli-
cher Wirtschaft zu tun gehabt. Daher weiß ich, dass kein
öffentlicher Betrieb und keine öffentliche Verwaltung
so gut organisiert ist, als dass man sie nicht noch effekti-
ver und effizienter machen könnte.

Ich greife einen Gedanken des Kollegen Finanzminis-
ter Schäuble auf: Bei allem wirtschaftlichen und sparsa-
men Handeln des Bundes müssen wir uns an vielen Stel-
len die Bundesverwaltung mit all ihren Gliederungen
sehr genau ansehen. Ich werde mit meinem Haus ein
Beispiel dafür geben, wie man die Strukturen sowohl im
Verwaltungsbereich als auch in den öffentlichen Betrie-
ben effektiver und effizienter gestalten kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Florian Pronold [SPD]: Das heißt?)


Mein Doktorvater, Professor Karl Oettle – er ist letzte
Woche verstorben; Gott hab’ ihn selig –, hat immer
schon mit aller Klarheit auf all diese Dinge hingewiesen.
Ich freue mich, dass ich das anpacken kann. Bei über
60 Unterbehörden gibt es zwar feste Strukturen. Ich bin
aber der Meinung, die Strukturen haben den Menschen
zu dienen statt die Menschen den Strukturen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Jeden Euro, den wir nicht in die Verwaltungskosten
hineinpumpen, können wir investieren. Ich sehe mich in
meinem Amt weniger als Verwalter denn als Investierer
in eine gute Zukunft unseres Landes.

Vielen herzlichen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1700405000

Das Wort hat nun Kollege Florian Pronold für die

SPD-Fraktion.


Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1700405100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesminister, ich gratu-
liere Ihnen, dass Sie nach 19 Jahren Tätigkeit im Deut-
schen Bundestag jetzt dieses neue Amt innehaben. Ich
habe mich gerade an ein Buch mit dem Titel Das Peter-
Prinzip erinnert. Die These dieses Buches ist: Jeder
kommt in seiner beruflichen Entwicklung bis zu der
Stelle, für die er ungeeignet ist, und dort bleibt er dann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist ja bei Ihnen auch der Fall! Ein Musterbeispiel!)


Ich hoffe, dass das, was in Ihrer Rede angelegt war,
nicht der Beleg dafür ist, was in dem Buch steht. Denn
Sie haben sich hier nur mit Taten gebrüstet, die sozial-
demokratische Verkehrsminister zum Beispiel im Auf-
bau Ost vollbracht haben.


(Beifall bei der SPD)


Sie haben über Zukunftstechnologien gesprochen, die
Sozialdemokraten oder die wir unter Rot-Grün auf den
Weg gebracht haben. Sie haben auch etwas geschafft,
das Sie von allen neu gewählten Bundesministern unter-
scheidet: Sie haben es geschafft, in den ersten zwei Wo-
chen kein einziges Fettnäpfchen auszulassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Florian Pronold
Sie haben zum Tag der Deutschen Einheit eine Neidde-
batte gegenüber Ostdeutschland vom Zaun gebrochen.
Sie haben die Autobahnmaut für Pkws, deren Einfüh-
rung angeblich nicht im Koalitionsvertrag steht, wieder
zum Thema gemacht und sind gleich wieder zurückgeru-
dert. Sie haben den Prozess, der – auch unter der Großen
Koalition – beim Donau-Ausbau eingeleitet wurde,
durch Ihre Aussagen konterkariert. Der kürzeste Ab-
stand von einem Fettnäpfchen zum nächsten wird in Zu-
kunft wohl ein Ramsauer sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: Das hat so einen Bart!)


Wenn Sie in dieser Geschwindigkeit weitermachen und
Ihre Fähigkeit des Zuhörens weiterhin unterentwickelt
bleibt, dann entsprechen Sie genau dem, was in dem
Buch Das Peter-Prinzip beschrieben wird.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sind Sie der Stiegler-Nachfolger?)


Wir müssen uns das Ost-West-Verhältnis genau an-
schauen. Ich finde, hier darf man die Solidarität auf bei-
den Seiten nicht durch eine vom Zaun gebrochene Neid-
debatte gegeneinander ausspielen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist richtig – das hat schon Wolfgang Tiefensee gesagt –,
dass sich die Infrastrukturpolitik danach richten muss,
wo der größte Bedarf besteht. Das ist nichts Neues.
Wenn Sie sich anschauen, wie die Mittel in den beiden
Konjunkturpaketen verteilt werden, dann werden Sie
feststellen, dass der Süden im Verhältnis zum Osten über
die Maße profitiert.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist ja eine antibayrische Rede, die Sie halten!)


Sie müssen die Fakten zur Kenntnis nehmen und sollten
nicht versuchen, anhand von Geglaubtem und Gefühl-
tem Zwiespalt in der Gesellschaft zu säen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die entscheidende Frage wird sein: Was machen Sie
denn, wenn nicht genügend Geld im Investitionshaushalt
zur Verfügung steht? Wenn die Decke zu kurz ist, ist es
egal, in welche Richtung man sie zieht. Es wird immer
jemand frieren. Wenn man Steuersenkungen zugunsten
der Besserverdienenden vornimmt, dann wird weniger
Geld für den Straßen- und Schienenausbau und andere
Verkehrsträger sowie den wichtigen Bereich Bau und
Stadtentwicklung zur Verfügung stehen.


(Beifall bei der SPD – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?)


– Das ist so.

Es gibt noch eine weitere spannende Frage. Jedes
Jahr, zumindest in jedem Sommerloch, wurde die Pkw-
Maut vonseiten der CDU/CSU zum Thema gemacht.
Herr Scheuer, der nun auf der Regierungsbank sitzt, hat
in den letzten Jahren verdienstvollerweise fast jede Aus-
gabe der Passauer Neuen Presse mit dem Thema Auto-
bahnmaut gefüllt. Nun stellt sich die spannende Frage:
Was machen Sie? Die Kanzlerin sagt Nein. Aus Ba-
den-Württemberg hört man Ja. Im Koalitionsvertrag
steht sicherheitshalber nichts dazu, auch nicht, dass man
eine Arbeitsgruppe einsetzen will. Aber nun soll es doch
eine Arbeitsgruppe geben. Was wollen Sie denn? Sie von
der CSU, die Sie die Ersten waren, die die Pendlerpau-
schale kürzen wollten, haben doch erlebt, welche Ergeb-
nisse es zeitigt, wenn man als Raubritter Ramsauer un-
terwegs ist und denen, die lange Wege zur Arbeit haben,
in die Tasche langen will. Nichts anderes stellt die Auto-
bahnmaut für Pkws dar, über deren Einführung Sie dis-
kutieren.


(Beifall bei der SPD)


Es wäre schön, wenn Sie nun klar sagten, ob Sie eine
Pkw-Maut einführen wollen oder nicht. Das ist eine
wirklich spannende Frage. Hier wird deutlich, dass Geld,
das man durch Steuersenkungen woanders hingibt, für
einen vernünftigen Ausbau der Infrastruktur – auch im
Straßenbereich – fehlt.

Schauen Sie sich an, wie unter sozialdemokratischer
Regierungsbeteiligung die Investitionen im Bereich
Straße gerade im Süden und insbesondere in Bayern im
Vergleich zu dem, was vorher war, angewachsen sind.
Sie sagen: Obwohl der Süden wesentlich mehr be-
kommt, wird dem Osten nichts weggenommen. Daran
werden wir Sie messen. Ich bin gespannt, wie Sie das
machen. Ich würde mich freuen, wenn Sie Ihre eigene
Messlatte erreichten. Wenn tatsächlich überall mehr ge-
macht würde, wäre das schön. Aber ich glaube, hier ver-
hält es sich wie mit Ihrer Rede: nur heiße Luft.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist spannend, wenn man ab und zu einmal Lokal-
zeitungen liest. Das Trostberger Tagblatt schrieb am
26. Oktober dieses Jahres: „Voller Einsatz für Region“.
Dazu gibt es ein hübsches Bild von dem neuen Bundes-
verkehrsminister. Ich habe durchaus Verständnis für die
Probleme – ich habe schon viele bildungspolitische De-
batten verfolgt –, die es in der frühkindlichen Erziehung
gibt. Ich habe gesehen, dass Stoiber und Huber als Kin-
der offensichtlich nie eine Eisenbahn hatten. Deswegen
kamen sie auf den Gedanken mit dem Transrapid. Jetzt
haben wir festgestellt, dass es dafür in Deutschland
keine vernünftige Strecke gibt und dass der Transrapid
nicht finanzierbar ist, obwohl die Technologie gut ist.
Nun lese ich am 26. Oktober 2009 von Peter Ramsauer:

Ich habe vor zwei Jahren bei der Beerdigung der
Transrapid-Pläne schon gesagt, dass hier das letzte
Wort noch nicht gesprochen ist …


(Heiterkeit bei der SPD)


Ich frage mich, wie man aus diesem Haushalt auch
noch Mittel für den Transrapid bekommen soll. Herr
Ramsauer, ich bin wirklich überrascht, auf welche Ge-
danken Sie insgesamt kommen.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin fehlt es im Koalitionsvertrag!)







(A) (C)



(B) (D)


Florian Pronold
– Aber das heißt noch nichts. Das ist ein guter Zwischen-
ruf, aber ich befürchte, wenn ich mir den Koalitionsver-
trag anschaue, ist darin nichts aufgeschrieben, was wirk-
lich gemacht werden soll. Das ist ein Beispiel von
Ideenlosigkeit und hat nichts mit dem Mut zu tun, den
man braucht und den Sie hier angesprochen haben, um
wirklich etwas nach vorne zu bringen.

In dem Kanzlerduell wurde die schwarz-gelbe Koali-
tion als Tigerentenkoalition bezeichnet. Mir ist jetzt,
auch wieder nach dieser Rede heute, klar geworden: Da
sind welche als Tiger gestartet und als lahme Ente gelan-
det.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1700405200

Das Wort hat nun Kollege Patrick Döring für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Patrick Döring (FDP):
Rede ID: ID1700405300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ge-

schätzter Herr Bundesminister Ramsauer, zunächst ein-
mal neben den Gratulationen zu dem neuen Amt nicht
nur allerbeste Wünsche, sondern auch die Unterstützung
der FDP-Fraktion, des Koalitionspartners. Ich persönlich
und wir alle freuen uns auf die Zusammenarbeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sehr geehrter, geschätzter Kollege Pronold, vielleicht
war es in Ihren Koalitionen so, dass man das, was man
tun wollte, nicht in Koalitionsverträge geschrieben hat.
Für uns als FDP gilt: Wir tun, was wir sagen, und wir sa-
gen, was wir tun. Das gilt für den Koalitionsvertrag, und
das gilt auch für die nächsten vier Jahre.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Sie haben sich bemüht, das Prinzip von Laurence Peter
und Raymond Hull hier richtig darzustellen. Wenn Sie
das Buch zu Ende gelesen hätten,


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das hat er nicht!)


dann wüssten Sie, dass es eine Fortentwicklung des
Peter-Prinzips gibt, nämlich das Dilbert-Prinzip. Das be-
deutet, dass der ineffizienteste Facharbeiter einer Orga-
nisationseinheit immer ins Management versetzt werden
muss, weil er da am wenigsten Schaden für die Produk-
tion anrichtet. Das ist übrigens in der DDR vorzüglich
praktiziert worden. Ganz offenbar werden so auch die
stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD ausge-
wählt.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Deshalb gehe ich ganz gelassen, ganz ruhig und ent-
spannt zurück zu dem, was uns bei der Infrastruktur-, In-
vestitions- und Verkehrspolitik der nächsten vier Jahre
bewegt.

Wir wollen – das hat Herr Ramsauer angesprochen,
und das ist der ausdrückliche Wunsch auch der Freien
Demokraten – ordnungspolitisch klare, saubere und ein-
deutige Strukturen neu in die Verkehrspolitik einziehen.
Deshalb ist es aus unserer Sicht notwendig, dass wir,
nachdem wir seinerzeit mit einer rot-grünen Regierung
und auch mit Unterstützung von Christdemokraten und
Freien Demokraten im Bundesrat eine Maut für den
schweren Lkw eingeführt haben, nun endlich dazu kom-
men, dass die Mittel, die von diesem Gewerbe aufge-
bracht werden, auch eins zu eins für die Straßeninfra-
struktur zur Verfügung stehen. Das ist eine Frage der
Fairness, eine Frage der Klarheit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ist ja Steinzeit!)


Wir haben dieses Prinzip, geschätzter Herr
Beckmeyer, genauso auf das System Schiene übertragen
und wollen, dass auch hier die Trassenentgelte und
Bundesmittel eindeutig und ausschließlich für die Finan-
zierung der Infrastruktur zur Verfügung stehen und es
nicht mehr dazu kommt, dass staatliche Mittel zum Er-
werb von Transportunternehmen in Rotchina zweckent-
fremdet werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb, glaube ich, kann man, wenn man sich dem
Thema sachlich und unemotional zuwendet, überhaupt
nichts dagegen haben, dass wir als Haushaltsgesetzgeber
und die Bundesrepublik Deutschland als Eigentümer des
Unternehmens Wert darauf legen, dass transparent nach-
gewiesen wird, dass die Mittel, die der Haushaltsgesetz-
geber zur Verfügung stellt, dafür ausgegeben werden,
wofür wir als deutsche Verkehrspolitiker und als Eigen-
tümer diese Mittel bewilligt haben. Wer etwas dagegen
hat, der geht doch davon aus, dass die Mittel anders ver-
wendet werden, als wir es wollen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ist ein Denkfehler!)


Diese Strukturfragen stehen im Mittelpunkt der Ver-
kehrspolitik, die wir machen wollen. Am Ende bekom-
men wir damit Strukturen, die klar und transparent sind,
übrigens für diejenigen, für die wir das alles machen,
nämlich die Nutzerinnen und Nutzer unserer Verkehrs-
mittel.

Lassen Sie mich sagen, dass wir natürlich nicht nur
den Infrastrukturteil intensiv beraten haben. Darüber hi-
naus haben wir mit diesem Koalitionsvertrag – das
werde ich hier bei anderer Gelegenheit ausführlicher
darstellen können – für den Lärmschutz an der Schiene
und an der Straße mehr erreicht als Sie seit 1998 in Re-
gierungsverantwortung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Patrick Döring
Wir wollen den Schienenbonus reduzieren. Wir wollen
andere Lärmschutzgrenzen an der Straße. Das ist
schwarz-gelbe Politik. Dergleichen hat weder Rot-Grün
noch die Große Koalition je vertreten.


(Florian Pronold [SPD]: Was steht denn im Koalitionsvertrag zum Lärmschutz an der Schiene?)


Das muss man anerkennen. Ich sage Ihnen: Damit be-
kommen wir auch Akzeptanz für mehr Verkehr auf den
Verkehrswegen.

Wir haben an diesem Punkt bewiesen, dass es uns ge-
meinsam möglich ist, mehr Investitionen in die Infra-
struktur zu realisieren und gleichzeitig den Bedürfnissen
der Bürgerinnen und Bürger, die den Belastungen an die-
sen Verkehrswegen ausgesetzt sind, gerecht zu werden.
Das ist uns gelungen. Gemeinsam mit dem Ministerium
werden wir in diesem Bereich hart arbeiten.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie denn die konkreten Grenzwerte gestrichen?)


– Sehr geschätzter Kollege Hermann, ich bedanke mich
sehr für den Zwischenruf. Sie selbst haben Koalitions-
verhandlungen schon einmal mitmachen dürfen. Koali-
tionsverhandlungen mit den Grünen werden nicht mehr
so oft stattfinden, aber gut. Es macht doch Sinn, dazu ein
parlamentarisches Verfahren, etwa Anhörungen, durch-
zuführen, um zu erfahren, wie wir Entlastungen bei den
Bürgerinnen und Bürgern realisieren können.


(Florian Pronold [SPD]: Aber ich dachte, Sie tun, was Sie sagen! Das steht doch nicht im Koalitionsvertrag! Sie widerlegen sich doch selber! Sie eiern jetzt ganz schön rum!)


Wir haben uns dazu bekannt, dass wir das machen wol-
len. Sie werden sehen: Die entsprechenden Initiativen
werden kommen.

Lassen Sie mich ausdrücklich die anderen Verkehrs-
träger ansprechen, die ebenfalls wichtig sind: der Luft-
verkehr und der gesamte Bereich Wasserstraße. Wir ha-
ben beim Luftverkehr endlich deutlich gemacht – das
war uns als Freien Demokraten in dieser Koalition wich-
tig –, dass die Belange des Lärmschutzes gleichgewich-
tig sind mit den Belangen der wirtschaftlichen Interessen
der Unternehmen. Wir brauchen ein Bekenntnis zu Be-
triebszeiten in der Nacht an deutschen Flughäfen. Wir
sind eine exportorientierte Volkswirtschaft, und wir wer-
den es nicht schaffen, die vor uns liegenden Herausfor-
derungen zu meistern, wenn die deutschen Flughäfen ab
22 Uhr schließen. Deshalb halte ich es für richtig, dass
wir im Koalitionsvertrag klar zum Ausdruck gebracht
haben, dass wir das Gesetz an dieser Stelle ändern wol-
len. So geht der von Ihnen eben erhobene Vorwurf ins
Leere, wir versuchten, die Leute hinters Licht zu führen.
Wir haben gesagt: Wir wollen das, und wir werden das
tun. Dafür kann man uns an einigen Punkten seriöser-
weise kritisieren. Ich halte es aber volkswirtschaftlich
und verkehrspolitisch für sinnvoll, dass wir diesen
Schritt gehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zum Thema Wasserstraße – da sind wir wieder bei
der Exportorientierung – sage ich Ihnen eindeutig: Wir
wollen auf dem Gebiet Hafenhinterlandverkehre die Ef-
fizienzen im Güterverkehr steigern. Die Container, die in
Hamburg, Bremen, Bremerhaven und alsbald auch in
Wilhelmshaven ankommen, sollen verstärkt über die
Verkehrsträger Schiene und Wasserstraße weiterbeför-
dert werden. Wir haben mittlerweile ein Konzept ent-
wickelt, auch die nichtbundeseigene Schieneninfra-
struktur so zu stärken, dass wir dort zusätzliche
Güterverkehre abwickeln können. Auch das ist etwas,
was wir und nicht Sie, geschätzte Kolleginnen und Kol-
legen von Rot und Grün, auf den Weg bringen.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU])


Geschätzter Herr Bundesminister, ich will für die
Freien Demokraten ganz ausdrücklich festhalten: Wir
halten es nach wie vor für lohnenswert, darüber zu dis-
kutieren, ob es ordnungspolitisch und volkswirtschaft-
lich vernünftig ist, dass das bundeseigene Unternehmen
DB AG der größte Spediteur auf der Straße und das
größte Busunternehmen in Deutschland ist.


(Zurufe von der LINKEN: Ja!)


Diese Diskussion werden wir weiter führen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Ich sage Ihnen voraus: Für den Fall, dass Eigenkapi-
talbedarf im Unternehmen ist, wird wahrscheinlich nicht
die Schatulle des Bundesfinanzministers aufgehen, son-
dern dann wird man darüber diskutieren müssen, wie
man Unternehmensteile ertragsoptimiert im Markt plat-
ziert, um die Eigenkapitalbasis des Unternehmens zu
stärken. Wir wollen eine starke Eisenbahn in Deutsch-
land. Aber dafür brauchen wir keine Busverkehre und
keine Güterverkehre in anderen Ländern der Welt.


(Beifall bei der FDP – Florian Pronold [SPD]: Was gilt denn nun: das, was der Minister sagt, oder das, was Sie sagen? – Weitere Zurufe von der SPD)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, bevor Sie
sich ereifern und vor Ihrem geistigen Auge schon die ro-
ten Fahnen am Potsdamer Platz sehen, lassen Sie mich
sagen: Wir haben uns zum Konzernverbund und zum
konzerninternen Arbeitsmarkt bekannt. Wir als Freie
Demokraten haben an der Stelle einen großen Schritt auf
die Union zu gemacht; denn wir bleiben dabei, dass Netz
und Betrieb eigentlich getrennt sein müssten. Das Ver-
tragsverletzungsverfahren, das die Europäische Union in
dieser Frage zurzeit gegen die Bundesrepublik Deutsch-
land anstrengt, stellt für uns eine Herausforderung dar.
Wir werden im Zuge dessen zu Entherrschungen kom-
men müssen. Ich sage Ihnen voraus: All das wird so pas-
sieren, dass den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern da-
durch keine Nachteile entstehen werden. So einfach ist
das.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Florian Pronold [SPD]: Wer ist jetzt der Minister: Sie oder er?)







(A) (C)



(B) (D)


Patrick Döring
Lassen Sie mich zu den Bereichen Immobilienwirt-
schaft, Wohnen und Stadtentwicklung kommen. Auch
hier werden wir einige Akzentverschiebungen vorneh-
men müssen. Ich glaube, es ist sehr vernünftig, dass wir
beim Thema energetische Sanierung – das war ja auch
in der Debatte zuvor Thema – gemeinsam mit unseren
Kollegen aus dem Rechtsausschuss die Investitions-
hemmnisse, die es in diesem Bereich insbesondere auf-
grund der Regelungen im Mietrecht gibt, beseitigen, da-
mit die Bürgerinnen und Bürger, die Immobilien haben,
es leichter haben, im Sinne ihrer Mieter die Investitionen
zu tätigen, die nötig sind, um gute bis exzellente Emis-
sionswerte der Wohnungen herzustellen. Das ist etwas,
was auch keine Haushaltsmittel verschlingt. Hier müs-
sen wir zunächst einmal unser Recht so anpassen, dass
auch die Immobilienwirtschaft ihren Herausforderungen
im Klimaschutz gerecht werden kann. Das wollen wir
tun. Da muss auch kein Mieter in Deutschland Sorge ha-
ben, dass er benachteiligt wird. Im Gegenteil; denn am
Ende kommen die geringeren Heizkosten ausschließlich
den Mietern zugute. Deshalb müssen entsprechende In-
vestitionen schnell und zügig auf den Weg gebracht wer-
den. Dazu brauchen wir Änderungen im Mietrecht. Auch
das werden wir schnellstmöglich anpacken.


(Beifall bei der FDP)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich will ver-
stärken, was der Bundesverkehrsminister angesprochen
hat: Wir haben sehr wohl den Plan, bei der Luftverkehrs-
verwaltung, aber zum Beispiel auch bei der Liegen-
schaftsverwaltung des Bundes stärkere marktwirt-
schaftliche Strukturen einzuziehen. Es gibt überhaupt
keinen Grund, dass der Bund sein großes Immobilien-
vermögen immer noch in althergebrachten Verwaltungs-
strukturen verwaltet. Kein Eigentümer geht so schlecht
mit seinem Eigentum um wie die Bundesrepublik
Deutschland mit ihrem Immobilienvermögen. Deshalb
halte ich es für richtig, hier marktwirtschaftliche Struk-
turen einzuziehen.


(Florian Pronold [SPD]: Die Wohnungen auf die Finanzmärkte als Spekulationsobjekte!)


So können wir einerseits Immobilien schnell sanieren,
andererseits aber Immobilien, die wir nicht mehr benöti-
gen, zugunsten des Bundeshaushaltes, am besten zu-
gunsten des Einzelplans 12, verwerten. Auch das ist ein
wichtiges Vorhaben, das wir auf den Weg bringen wol-
len.


(Beifall bei der FDP)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue
mich auf die gemeinsame Arbeit im Ausschuss. Ich
freue mich auf die spannenden Diskussionen mit den
Kolleginnen und Kollegen auch der Opposition. Die
Verkehrspolitik ist – das ist ja das Schöne – überwiegend
unideologisch, wie wir gerade an der Debatte gemerkt
haben.


(Beifall bei der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich glaube, dass die wenigen Abgeordneten der Opposi-
tion, die noch ein Direktmandat gewonnen haben, großes
Interesse daran haben, dass auch in ihren Wahlkreisen
weiterhin investiert wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1700405400

Das Wort hat nun Kollegin Heidrun Bluhm für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700405500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Gäste! Vorbei sind also die Zeiten, als mehr
als zwei Drittel aller Abgeordneten den Worten der
Kanzlerin reglos bis halbschlafend folgten – so sagte es
zumindest gestern Abend der Kommentator der Tages-
themen, Rainald Becker. Und in der Tat, es ist heute, wie
wir merken, anders. Die Regierung muss sich warm an-
ziehen;


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Es ist ja auch Winterzeit!)


denn sie hat es jetzt nicht nur mit einer stärkeren Opposi-
tion zu tun, die ihr auf die Finger schaut, sondern wir
– und damit meine ich nicht weniger als die Fraktion Die
Linke – werden ihre schwarz-gelbe Politik mit Argus-
augen verfolgen. Wir werden vor allem immer dann laut
werden, wenn es um den Schutz der Interessen der
Mehrheit der Menschen in diesem Lande geht,


(Beifall bei der LINKEN)


zum Beispiel wenn es um den Schutz der Interessen von
Mieterinnen und Mietern geht – das ist eine Kampf-
ansage an Herrn Döring und seinen Vortrag von eben –,
wenn es um den Einsatz von Investitionen in Straße und
Schiene geht


(Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das hält er aus!)


– ich weiß, das hält er aus; das muss er auch aushalten –,
wenn es um den Stadtumbau geht, und vor allen Dingen
dann – zu diesem Thema ist bisher noch gar nichts
gesagt worden –, wenn es um das Thema Altschulden-
problematik geht.

Zum Bundesverkehrswegeplan. Ja, auch die Linke
will schon seit langem die Überarbeitung dieses Planes.
Im Ausschuss haben wir in der vergangenen Legislatur
immer wieder vorgeschlagen, Änderungen vorzuneh-
men, aber nicht der Art, wie sie der Herr Minister heute
hier vorschlägt. Natürlich sind die Investitionen falsch
verteilt, aber nicht falsch verteilt zwischen den neuen
und den alten Bundesländern, sondern falsch verteilt
zwischen Neubau und Instandhaltung.

Um es ganz klar und deutlich zu sagen: Das Ungleich-
gewicht liegt darin begründet, dass viel zu viele Straßen-
bauprojekte Natur, Umwelt und die an den Straßen
wohnenden Menschen belasten. Die Wegebeziehungen
müssen sinnvoll genutzt werden, und vor allem müssen
wir ausreichende Lärmschutzmaßnahmen realisieren.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Heidrun Bluhm
Der richtige Weg in die Zukunft wäre es, endlich den
Personen- und Güterverkehr auf der Schiene zu bevorzu-
gen als den Straßenneubau. Die Schiene muss Vorrang
vor der Straße haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Thema „Wohnen und Miete“. Der Koalitions-
vertrag ist nicht einfach eine politische Absichtserklä-
rung, sondern in Wahrheit eine Kampfansage an die
Mieterinnen und Mieter. Einseitig sollen die Rechte der
Vermieter gegenüber den Rechten der Mieter ausgebaut
werden. Daraus resultiert eine zunehmende Konfronta-
tion auf dem Wohnungsmarkt, und zwar nicht nur zwi-
schen Mietern und Vermietern, sondern auch innerhalb
der Gruppe der Vermieter, nämlich zwischen den kleine-
ren Vermietern und denjenigen, die als Investitions- und
Immobiliengesellschaften auf dem Markt agieren. Diese
Gesellschaften stehen ihren Mietern nur sehr entfernt
und unpersönlich gegenüber und freuen sich über jede
verbesserte Möglichkeit, Mieter schneller loszuwerden
als bisher. Das wollen Sie unterstützen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Völliger Quatsch!)


Beweis der sich verschärfenden Auseinandersetzungen
ist zum Beispiel die zunehmende Zahl der Petitionen von
betroffenen Mieterinnen und Mietern an den Deutschen
Bundestag, die dezidiert das Verhalten unpersönlicher
Vermieter erläutern.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie unterstützen wohl Mietnomaden! Das finden Sie super!)


– Genau! Herzlichen Dank, Herr Kauder, für dieses
Stichwort. Sie wollen mit Mietnomaden den gesamten
Mietmarkt bereinigen und ihn auf Ihre Weise entspre-
chend reduzieren.


(Beifall bei der LINKEN – Patrick Döring [FDP]: Sie als Betroffene kennen doch die Situation am Markt viel besser, Frau Bluhm!)


38 Millionen Mietwohnungen stehen 0,02 Prozent Miet-
nomaden gegenüber. Das ist doch keine Verhältnis-
mäßigkeit, Herr Kauder.


(Beifall bei der LINKEN – Patrick Döring [FDP]: Sie wissen es doch aus eigener Tätigkeit viel besser, Frau Bluhm!)


Aber zu den 250 000 Wohnungslosen sagen dieser
Koalitionsvertrag und die Regierung gar nichts.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Die Linksfraktion hat in der DDR viel Erfahrung mit Eigentum gemacht! Da sind Sie Spezialistin!)


Ich glaube, auch hier sind die Prioritäten völlig falsch
gesetzt.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die notwendige
energetische Sanierung nicht mit den Mietern erfolgt,
sondern gegen sie. Nur wenn es uns gelingt, mit den
Mietern gemeinsam die notwendigen Sanierungsmaß-
nahmen zu organisieren, und zwar nicht durch eine Ver-
änderung des Mietrechts, sondern durch Zusammen-
arbeit, wird hier ein Erfolg zu erzielen sein. Nur dann
können wir unsere klimapolitischen Ziele umsetzen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sören Bartol [SPD])


Die Linke fordert, statt das Mietrecht einzuschränken,
das Wohnrecht als ein Menschenrecht anzusehen


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!)


und die Wohnung als das zu betrachten, was sie im Zen-
trum sozialer Sicherheit und Menschenwürde ist, näm-
lich kein Wirtschaftsgut, sondern ein soziales Gut. So
sieht es jedenfalls die Linke. Das werden wir mit unserer
Politik weiter befördern.


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Stadtumbau Ost noch eine kurze Bemerkung.
Der Stadtumbau Ost soll selbstverständlich fortgesetzt
werden. Auch Herr Ramsauer hat das heute hier ange-
kündigt. Allerdings hängt der Gesamterfolg dieses Pro-
gramms ganz entscheidend von einer klugen Lösung der
Altschuldenproblematik ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich würde mir wünschen, dass uns gemeinsam etwas
einfällt, um die ostdeutsche Wohnungswirtschaft zu un-
terstützen.

Lieber Herr Minister, wenn Sie die Stärkung der länd-
lichen Räume ankündigen, dann sind wir ganz an Ihrer
Seite, aber nach dem Motto: Stadt und Land Hand in
Hand.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1700405600

Das Wort hat nun Kollege Winfried Hermann, Frak-

tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700405700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Herr Minister hat in einem Interview ganz
stolz gesagt, dass er sich freue, dass er das größte Inves-
titionsministerium in dieser Regierung habe. In der Tat
werden in diesem Ministerium große Milliardensummen
ausgegeben. Hier wird entschieden, wo und wie
Deutschland Zukunft gewinnt. Hier wird entschieden, ob
wir eine zukunftsfähige Infrastruktur bekommen oder ob
wir in Vergangenheit, in Asphalt und Beton, investieren.
Das ist die entscheidende Frage.

Herr Kollege Ramsauer, wenn Sie in Ihrem Ministe-
rium mit Ihren feschen jungen Staatssekretären


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


als Kompass die Zukunftsfähigkeit im Auge haben und
entsprechende Politik machen, dann haben Sie unsere
Unterstützung. Wenn Sie allerdings den tollkühnen Mut
zur Rolle rückwärts in die 90er-Jahre haben, von ideolo-
giefreier Politik sprechen und eigentlich die Ideologie






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Hermann
des Straßenbaus meinen, dann werden wir Sie ordentlich
auf Trab bringen und jung und frisch halten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Man kann mit diesem Ministerium Zukunft gewinnen
oder sie verbauen. Die Bundeskanzlerin hat gestern, wie
ich finde, in größerer Klarheit als im Koalitionsvertrag
selbst gesagt, es gebe fünf große Aufgaben, die die neue
Regierung bewältigen muss. Unter anderem sind das die
Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise, die Be-
wältigung des demografischen Wandels sowie die Be-
wältigung der Herausforderungen beim Ressourcen- und
Klimaschutz. Diese drei von den fünf Punkten sind für
das Verkehrsministerium relevant. In diesen Bereichen
hat das Ministerium große Verantwortung und große
Möglichkeiten. Deswegen ist es angemessen, dass man
sich einmal anschaut, was der Minister dazu gesagt hat
und was dazu im Koalitionsvertrag steht.

Nehmen wir die Herausforderung „Klimaschutz und
Ressourcenschutz“. Im einleitenden Abschnitt des
Koalitionsvertrags beim Kapitel „Bauen und Wohnen“
wird erwähnt, wie wichtig Integration, sozialer Zusam-
menhalt und Ressourcenschutz sind. Wir haben heute
gehört, dass der Minister ganz entzückt ist, was alles
möglich ist an Energiesparmaßnahmen im Bereich
Hausbau. Wir haben gehört, dass er große Hoffnung hat,
dass der Energieverbrauch hier deutlich reduziert wird.
Aber Herr Minister, Hoffen und Freuen werden nicht rei-
chen. Man braucht eine Strategie für den Klimaschutz
wie Bausanierung und entsprechende Maßnahmen im
Bereich des Städtebaus. Das fehlt in diesem Koalitions-
vertrag komplett.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Koalitionsvertrag steht viel Klein-Klein. Es
beginnt mit Klimaschutz und geht gleich weiter mit
Denkmalschutz, Bauplanungsrecht, Wohnungseigentum
und Bauvertragsrecht. Aber es ist keine Linie erkennbar,
wie man in diesem Bereich, in dem man für den Klima-
schutz wirklich viel tun kann, weiter vorankommen will.
Es handelt sich um unverbindliche Zielvorgaben. Aber
Instrumente werden nicht genannt. Wo ist das Energie-
effizienzgesetz, um Energie zu sparen? Wo ist das Ge-
setz für die Weiterentwicklung der Nutzung erneuerbarer
Energien im Wärmebereich mit Blick auf den Gebäude-
bestand? Damit könnte man den hohen Energiever-
brauch senken. Wo ist eine ambitionierte Wärmeschutz-
verordnung, um auch im Altbaubereich in den nächsten
Jahren Energie einzusparen? Überall Fehlanzeige!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Man kann viel über Zukunft reden, aber sie gleichzei-
tig verspielen. Nehmen wir zum Beispiel den Bereich
Verkehr. Ein Viertel bis ein Fünftel der Treibhausgas-
emissionen hat ihre Ursache in diesem Bereich. Er
kommt daher direkt nach dem Energiesektor. Wenn man
also etwas für den Klimaschutz tun will, dann muss man
eine Strategie haben, wie der Energieverbrauch im Ver-
kehrssektor gesenkt werden kann, wie man die Energie
effizienter nutzen kann und wie man zu einer besseren
Vernetzung der Verkehrsträger kommen kann. Die Ver-
netzung der verschiedenen Verkehrsträger ist unglaub-
lich wichtig. Ich frage daher: Wo wird vernetzt? Wo sind
die Vorschläge und Konzepte für eine bessere Vernet-
zung?

Ich nenne in diesem Zusammenhang den kombinier-
ten Verkehr, also die bessere Vernetzung von Straße und
Schiene. Dazu gehört die Verlagerung des Verkehrs von
der Straße auf die Schiene. Da ist bei Ihnen Fehlanzeige!
Ich nenne ein weiteres Beispiel. Die Bundeskanzlerin
hat gesagt, es sei ganz wichtig, dass man auch im Ver-
kehrsbereich die Ressourcen schützt. Aber warum steht
in Ihrem Koalitionsvertrag für den Verkehrsbereich
nichts zum Thema Klimaschutz mit Ausnahme der Nutz-
fahrzeughersteller? Da heißt es, dass Sie dafür sorgen
wollen, dass die ohnehin schon gebeutelten Nutzfahr-
zeughersteller durch Klimaschutzforderungen nicht
überfordert werden.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: So ist es! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Gehen Sie mal vor das Tor von Daimler, und sprechen Sie mit den Arbeitern!)


Wenn Sie überhaupt an Klimaschutz denken, dann
denken Sie an den Schutz der Wirtschaft vor der Klima-
schutzpolitik, an den Schutz der Autos vor den großen
Maßnahmen, die Sie vor sich herschieben. So werden
Sie die Zukunft nicht gewinnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wenn man ambitioniert die Ressourcen schützen will,
dann muss man an die Grenzwerte heran. Man muss sie
absenken, damit eine effiziente Motortechnologie geför-
dert wird. Davor schrecken Sie zurück, da Sie zu nah an
Ihrer Klientel, der Wirtschaft, sind.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: An den Arbeiterinnen und Arbeitern, die Autos bauen, Herr Hermann! Das kapieren Sie nicht!)


Wenn man keine zukunftsfähigen Perspektiven hat, dann
muss man so handeln wie Sie.

Herr Kauder, Arbeitnehmer und Arbeitsplätze. Damit
bin ich beim Leitmarkt Elektromobilität. Den bezeich-
nen Sie als Zukunftsprojekt. Da haben Sie voll und ganz
unsere Unterstützung.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenigstens das!)


Aber auch hier muss man sagen: Der Leitmarkt Elektro-
mobilität entwickelt sich im Moment in Japan und in
Frankreich. Es ist wahr, dass die Deutschen die schnells-
ten Autos bauen, aber nicht mehr die besten. Wir hinken
in Sachen Elektromobilität schon hinterher. Wenn wir
wollen, dass dort ein Leitmarkt entsteht, dass dort Ar-
beitsplätze erhalten oder sogar neue geschaffen werden,
dann muss man dafür ein Förderprogramm, ein Marktan-
reizprogramm auflegen, damit es überhaupt vorangeht.
Ansonsten hinken wir hinterher. Es sind nur große Flos-
keln, wenn wir hier im Bundestag hören, dass dies ein
Leitmarkt ist. Wir werden ziemlich schnell nur noch hin-
terhertraben, wenn wir da nicht mehr tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Winfried Hermann
Wir vermissen eine Gesamtkonzeption im Verkehrs-
bereich. Es ist nicht damit getan, dass man ideologisch
gegen die Bahn schimpft nach dem Motto: immer über-
fordert. Dieser umwelt- und klimafreundliche Verkehrs-
träger ist vielmehr seit Jahrzehnten vernachlässigt wor-
den. Man hat nicht richtig investiert. Man hat das Geld
für Großprojekte verschwendet.


(Patrick Döring [FDP]: Doppelt so viele Steuermittel wie für die Straße!)


Man macht damit weiter. Dies nützt dem Schienenver-
kehr im ländlichen Raum nichts.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Zu den Zuwächsen auf der Schiene im Bereich des
Güterverkehrs. Wir haben uns im Infrastrukturausschuss
darüber verständigt, dass es in den nächsten Jahren abso-
lut notwendig ist, den Hafenhinterlandverkehr zu entwi-
ckeln, im Hinblick auf das Netz auf kleinere Projekte zu
setzen und den Güterverkehr auf die Schiene zu verla-
gern.


(Patrick Döring [FDP]: Machen wir ja auch!)


Wo steht in Ihrem Koalitionsvertrag und wo kommt in
Ihren Reden ein Konzept dazu vor? Da ist nichts, aber
auch gar nichts vorhanden – Fehlanzeige.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Stattdessen versucht sich der neue Minister mit
Schlagzeilen. Jetzt hat er die Kompetenz für den Aufbau
Ost verloren. Aber, Herr Minister, es ist nicht so, dass Ihr
Ministerium „Aufbau Südost“ heißt. Sie sind kein Auf-
bau-Südost-Minister, kein Aufbau-West-Minister und
auch kein Straßenbauminister, sondern Sie sind für alle
Verkehrsträger, für ein Gesamtkonzept für ganz Deutsch-
land zuständig.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Nicht nur für Bayern!)


Das ist die Leitlinie; daran werden wir Sie messen. Das
ist Ihre Aufgabe; das müssen Sie leisten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich muss
zum Schluss kommen. Herr Minister und Kollegen
Staatssekretäre, Sie werden uns auf Ihrer Seite finden,
wenn Sie wirklich um eine zukunftsfähige Infrastruktur
kämpfen. Wenn Sie für den Klimaschutz und für die An-
passung der Infrastrukturinvestitionen an den demografi-
schen Wandel sind, dann haben Sie uns auf Ihrer Seite.
Wenn Sie aber meinen, Sie müssten in die 90er-, 80er-
und 70er-Jahre zurück, in denen man geglaubt hat, mehr
Infrastruktur und mehr Straßen würden die Verkehrspro-
bleme lösen, dann sind Sie als Minister fehl am Platze.
Wir werden alles tun, eine solche Politik zu bekämpfen,
und werden dies zu verhindern wissen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700405800

Nächster Redner ist der Kollege Dirk Fischer für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1700405900

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Leistungsfähige Infrastruktur und Mobilität sind
Grundlage für unsere persönliche Freiheit und Voraus-
setzung für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit unse-
rer Volkswirtschaft. Die neue Regierungskoalition will
sich diesen Zielen mit einer effizienten Verkehrspolitik
für heute und morgen zuwenden und dies sichern. Aber
wir wissen auch, dass Mobilität für unsere Menschen im
Lande bezahlbar bleiben muss.

Investitionsentscheidungen sollten eigentlich nach
vorrangigem Bedarf, ermittelt aus einem Nutzen-Kosten-
Verhältnis nachvollziehbarerer Kriterien, getroffen wer-
den. Aber selbstverständlich war es auch richtig, dass die
deutsche Einheit und die Osterweiterung der EU zu ver-
änderten Schwerpunkten im Infrastrukturausbau ge-
führt haben. Dies muss – das hat der Bundesminister
deutlich gesagt – zu einem guten Ende geführt werden.
Deswegen steht in der Koalitionsvereinbarung, dass wir
uns bemühen wollen, die VDE-Projekte Straße bis 2010
und die VDE-Projekte Schiene bis 2017 fertigzustellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn diese vorrangigen Projekte abgeschlossen sind,
müssen wieder normale Verhältnisse einkehren und müs-
sen diejenigen, die haben zurückstehen müssen, sowohl
bei Neu- und Ausbau als auch bei Unterhalt und Erneue-
rung der Infrastruktur wieder besser berücksichtigt wer-
den.

Erhalt und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur sind vo-
rangekommen, aber noch immer hinter dem vom Ge-
setzgeber festgelegten Bedarf zurückgeblieben. Das
kann auf Dauer natürlich nicht befriedigen. Wir haben
keine Probleme bei der Feststellung des prioritären Be-
darfs; aber wir haben erhebliche Probleme bei der Finan-
zierung und Umsetzung dessen, was der Gesetzgeber be-
schlossen hat. Wir müssen uns schrittweise einer Lösung
nähern, und wir wollen dazu auch die Verkehrsinfra-
strukturgesellschaft weiterentwickeln. Wir wollen die
Haushaltsabhängigkeit von Verkehrsinvestitionen redu-
zieren, und wir wollen eine mehrjährige Planungs- und
Finanzierungssicherheit für Investitionsprojekte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Herr Kollege Döring hat ja dazu das Notwendige ge-
sagt. Wir sind davon überzeugt, dass nur verkehrsträ-
gerbezogene Finanzierungskreisläufe die notwendige
Transparenz im Hinblick auf die einzelnen Kostende-
ckungsgrade und damit auch die Glaubwürdigkeit einer
Nutzerfinanzierung schaffen. Machten wir dies nicht,






(A) (C)



(B) (D)


Dirk Fischer (Hamburg)

nähme die Glaubwürdigkeit schweren Schaden. Deswe-
gen müssen wir uns dort verstärkt bemühen.

Wir haben klar entschieden, dass es in dieser Legisla-
turperiode eine Erhöhung der Lkw-Maut nicht geben
wird. Dies ist ein Belastungsmoratorium für das Ge-
werbe, das in diesem Jahr durch die Finanz- und Wirt-
schaftskrise hart gebeutelt ist und sich erst einmal wieder
freikämpfen muss, zumal es dort viele bedauerliche In-
solvenzfälle gibt. Da das Transportgewerbe erst einmal
die Mauterhöhung verkraften muss, die zum 1. Januar
2009 in Kraft trat, ist es, glaube ich, richtig, dass wir an
der Lkw-Maut-Front jetzt Ruhe eintreten lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Eine Pkw-Maut ist im Koalitionsvertrag nicht ver-
einbart worden und steht daher nicht auf der Agenda die-
ser Koalition. Also halte ich fest: Alle öffentliche Aufre-
gung darum war völlig umsonst.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Sören Bartol [SPD]: Erklären Sie das doch mal dem Minister!)


– Da der Minister nicht nur eben in der Debatte, sondern
auch öffentlich in der Presse mehrfach das Gleiche ge-
sagt hat, gibt es hier eine völlige Identität der Aussagen
des Bundesministers, des Kollegen Döring und von mir.
Nehmen Sie dies zur Kenntnis. Shakespeare würde
„Much ado about nothing“ sagen, viel Lärm um nichts.


(Sören Bartol [SPD]: Vor dem Anruf der Kanzlerin oder danach?)


Zu einem effizienten Gesamtverkehrssystem gehört
ein moderner und leistungsfähiger Schienenverkehrsträ-
ger, ohne den eine erfolgreiche Verkehrspolitik völlig
undenkbar wäre. Deutschland braucht eine effiziente
Schieneninfrastruktur und starke Unternehmen für den
Wettbewerb auf der Schiene. Dazu gehört natürlich ganz
besonders das Bundesunternehmen, die Deutsche Bahn
Aktiengesellschaft, die sich nicht nur dem Wettbewerb
in Deutschland stellen muss, sondern auch die Chancen
im europäischen Markt nutzen soll. Dieser europäische
Markt im Schienenverkehr beruht nach unserer Überzeu-
gung auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit. Deswegen
darf die EU-Kommission nicht weiter hinnehmen, dass
Deutschland seine Schieneninfrastruktur für den euro-
päischen Wettbewerb öffnet und deutsche Unternehmen
in anderen Märkten auf verschlossene Türen stoßen.
Hier besteht Handlungsbedarf für die Kommission.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die 1994 begonnene Bahnreform muss weiterge-
führt werden. Das heißt konkret: Wir wollen die DB AG
in ihrer positiven Entwicklung begleiten. Sobald es der
Kapitalmarkt zulässt, werden wir eine schrittweise er-
tragsoptimierte Privatisierung der Transport- und Logis-
tiksparten einleiten. Die Infrastruktursparten Netz,
Bahnhöfe und Energie werden nicht privatisiert; denn
ordnungspolitisch ist es von entscheidender Bedeutung,
dass der Staat seine Infrastrukturverantwortung selbst
wahrnimmt.
Die Rechte des Bundes bei der Umsetzung von Eisen-
bahninfrastrukturprojekten sollen gestärkt werden, damit
der Wille des Gesetzgebers aus dem Bundesschienenwe-
geausbaugesetz und dem anhängenden Bedarfsplan zü-
gig zur Ausführung gelangt. Der konzernweite Arbeits-
markt – auch wir erklären dies in aller Deutlichkeit –
bleibt erhalten.

Die Koalition will dafür sorgen, dass die Finanzbezie-
hungen im Unternehmen und zwischen Bund und
DB AG transparenter strukturiert werden. Wir wollen si-
cherstellen, dass die Erlöse aus der Infrastruktursparte
auch dorthin zurückfließen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die gesamte Infrastruktursparte muss im Sinne der
EU-Richtlinie unabhängiger werden, um den Forderun-
gen der EU aus dem laufenden Vertragsverletzungsver-
fahren entsprechen zu können. Mit der stärkeren Unab-
hängigkeit des Netzes verbessern wir auch den
Wettbewerb auf der Schiene. Dazu soll das Regulierungs-
recht im Allgemeinen Eisenbahngesetz überarbeitet wer-
den, um zum Beispiel die Trassen- und Stationspreise ei-
ner Anreizregulierung zu unterwerfen.


(Beifall des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auch viele Jahre nach der Schaffung eines offenen
EU-Binnenmarktes für den Güterverkehr ist unser Ge-
werbe noch erheblichen Wettbewerbsverzerrungen im
europäischen Markt ausgesetzt. Das wollen wir nicht
dauerhaft hinnehmen, sondern mit einer offensiveren
EU-Strategie angehen.

Der Luftverkehr ist ein weiterer wichtiger Pfeiler un-
serer Verkehrswirtschaft. In den vergangenen 20 Jahren
hat sich die Zahl der Flüge in Deutschland verdoppelt.
Die Prognose für 2025 geht noch einmal von einer Ver-
doppelung der Anzahl der Flüge und des Passagierauf-
kommens aus. Rund 850 000 Arbeitsplätze in Deutsch-
land hängen direkt oder indirekt vom Luftverkehr ab,
Tendenz steigend. Das ist eine Jobmaschine. Das sehen
wir sehr positiv. Wir müssen das unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Koalition erkennt die große Bedeutung des Luft-
verkehrs. Sie will dabei folgende Ziele erreichen: ein
koordinierter Ausbau der Flughafeninfrastruktur, inter-
national wettbewerbsfähige Betriebszeiten, die zügige
Realisierung des Single European Sky auf europäischer
Ebene, die Stärkung der internationalen Wettbewerbsfä-
higkeit der Deutschen Flugsicherung GmbH, insbeson-
dere durch eine Befreiung von den Restriktionen des
§ 65 Abs. 3 der Bundeshaushaltsordnung.

Die neue Regierungskoalition will die wirtschaftli-
chen Chancen, die sich aus der geografischen Lage
Deutschlands in der Mitte Europas ergeben, verkehrspo-
litisch gezielt nutzen, dazu den Logistikstandort aus-
bauen und eine mit den Ländern abgestimmte Vermark-
tungsoffensive starten, um so noch stärker an der
Wertschöpfung in Handel und Logistik teilzuhaben.






(A) (C)



(B) (D)


Dirk Fischer (Hamburg)

Der Bürger erwartet von uns ein aktives, zielgerichte-
tes Handeln, aber seine Akzeptanz für den Verkehr hängt
auch von unserem erfolgreichen Bemühen ab, den Ver-
kehr so sicher und umweltgerecht wie nur irgend mög-
lich abzuwickeln. In diesem Sinne will die CDU/CSU-
Bundestagsfraktion mit dem neuen Verkehrsminister
Dr. Ramsauer und dem Bundesministerium produktiv
zusammenarbeiten und mit den Kollegen im Ausschuss
lebhaft, aber sachlich um den besten Weg streiten.

In diesem Sinne freuen wir uns alle in unseren Frak-
tionen auf eine neue Legislaturperiode.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700406000

Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Kollege

Uwe Beckmeyer.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1700406100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Minister, ich gratuliere Ihnen und auch Ihren Parla-
mentarischen Staatssekretären zum Amt. Wir als Sozial-
demokraten werden uns mit Ihnen im Stil konstruktiv, im
Umgang fair, aber hart in der Sache auseinandersetzen.
Damit wollen wir heute auch beginnen.

Sie wollen Mobilität und Verkehrsinfrastruktur si-
chern. Das ist gut so. Die Frage ist nur: Wie? Wir haben
gestern von der Frau Bundeskanzlerin den denk- und
merkwürdigen Satz gehört: Wir wollen Wachstum, das
an morgen denkt. Sie selbst sagen: Verkehrspolitik hat
etwas mit Wirtschaftspolitik zu tun. Das ist auch richtig.
Die Frage ist aber: In welchem Umfang spiegelt sich das
eigentlich in ihrem Koalitionsvertrag wider? In welchem
Umfang hat sich das in Ihrer Erklärung als Fachminister
zu diesem Koalitionsvertrag widergespiegelt?

Nehmen wir zum Beispiel die Finanzausstattung Ih-
res Hauses in den vor uns liegenden Jahren. Mit circa
12 Milliarden Euro haben wir zurzeit eine gute Finanz-
ausstattung. Außerdem haben wir zwei Konjunkturpro-
gramme, die sich wesentlich in Ihrem Haushalt nieder-
schlagen. Die Jahre 2009 und 2010 laufen gut, aber das
Jahr 2011 wird nicht gut laufen, weil die Konjunkturpro-
gramme auslaufen werden und im Bereich der Finanz-
planung ein Absinken der Linie vorgesehen ist. In einer
solchen Situation wollen Sie die Verkehrsinfrastruktur
ausbauen. Das ist die erste große Schwachstelle. Von Ih-
nen habe ich heute kein einziges Wort gehört, im Koali-
tionsvertrag steht ebenfalls nichts dazu, in welcher
Weise Sie dieser Aufgabe, den Wachstumsmotor in der
Verkehrs- und Baupolitik ins Laufen zu bringen, über-
haupt gerecht werden wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben zu verzeichnen, dass im Bereich des Woh-
nungsbaus aus Ihrem Programm zurzeit keine Impulse
kommen. Im Bereich des Wirtschaftsbaus erleben wir
zurzeit einen dramatischen Rückgang. Im Bereich des
öffentlichen Baus droht – nach dem, was da steht – eben-
falls eine Reduktion der Aktivitäten. Das bedeutet, dass
in der prognostizierten Aufschwungphase der Bereich,
der das mittragen müsste, nämlich die Binnenkonjunk-
tur, eklatant geschwächt wird. Der Bundesminister sagt
dazu nichts, im Koalitionsvertrag steht dazu nichts ge-
schrieben. Das führt zumindest bei mir zu der Feststel-
lung, dass das, was dort geschrieben steht, armselig ist.
Es zeugt von Antriebslosigkeit. Ihrem Koalitionsvertrag
fehlt es an Geist, an Fantasie und klaren Zielen. Das
muss man als Erstes festhalten.

Das Zweite sind die Herausforderungen im Bereich
natürliche Lebensgrundlagen und Lebensqualität
kommender Generationen. Im Koalitionsvertrag steht
kein einziges Wort darüber, wie man eine nachhaltige
Politik der Entkopplung von Wirtschaftswachstum und
Verkehrszuwachs organisieren will. Kein Wort! Auch
hierzu findet man im Koalitionsvertrag eine Leerstelle.
Ich kann nur sagen: Das ist schwach; denn die Frage,
wie wir das organisieren, ist das zentrale Thema der Ver-
kehrspolitik, auch in der Zukunft.

Wir erleben eine Abkehr vom integrierten Verkehrs-
system, was sich in Ihrer verkehrsträgerorientierten
Finanzierung ausdrückt. Das ist eigentlich ein Zurück
in die 60er-Jahre.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist etwas, was diese Republik nicht aushalten kann.
Wenn Sie sagen: „Wir machen jetzt verkehrsträgerorien-
tierte Finanzierungskreisläufe“, dann frage ich mich: Wo
bleibt die Wasserstraße? Die Wasserstraßen werden zur-
zeit zu 50 Prozent über die Maut bezahlt. Wie sieht das
zukünftig aus? Wird es keinen Wasserstraßenausbau
mehr geben?


(Patrick Döring [FDP]: Selbstverständlich!)


Stoppen Sie den Ausbau des Nord-Ostsee-Kanals? Stop-
pen Sie all diese Projekte? Ist es damit vorbei?


(Patrick Döring [FDP]: Das ist doch ein Zerrbild!)


Ich frage Sie, Herr Döring: Was wollen Sie in dieser An-
gelegenheit eigentlich? Welche Signale schicken Sie
nach Norddeutschland? Welche Signale schicken Sie da-
mit in die Republik hinsichtlich der Finanzierung so
wichtiger Infrastrukturprojekte?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist nicht zu Ende gedacht. Auch hier merkt man:
Ihr Programm ist ein Lückentext. Man kann das so oder
so und relativ vage ausfüllen. Mal interpretiert der Mi-
nister, mal Herr Döring und mal Herr Fischer. Es geht
immer munter drauf los, aber keiner sagt, wie es wirklich
geht.

Etwas zur Bahn: In Ihrem Text steht, dass Sie „Ge-
winnabführungen der Infrastruktursparten an die Hol-
ding“ ausgeschlossen haben möchten. Wissen Sie ei-
gentlich, was in den Jahren nach 1994 passiert ist? Nicht
die Infrastruktur hat die Mobilität finanziert, sondern
umgekehrt: Die Mobilität hat die Infrastruktur mit
2 Milliarden Euro finanziert. Das muss man einfach wis-
sen.






(A) (C)



(B) (D)


Uwe Beckmeyer

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Patrick Döring [FDP]: Letztes Jahr 300 Millionen zurück! Dieses Jahr 400 Millionen zurück! Das stimmt doch nicht! Sie müssen nicht die Sprechzettel vom Potsdamer Platz hier vorlesen!)


Sie formulieren ein Beispiel, das völlig daneben ist.
Ich kann Ihnen nur sagen: Machen Sie weiter so. Wenn
Sie diese Gedanken, die Sie aufgeschrieben haben, in die
Tat umsetzen, schwächen Sie die Bahn. Sie reflektieren
die Steuerproblematik innerhalb der Bahn im Grunde
überhaupt nicht. Sie schädigen die Bahn, weil das einen
Steuerausfall in Höhe von ungefähr 1 Milliarde Euro be-
deutet. Dann haben Sie ein weiteres Riesenproblem.


(Patrick Döring [FDP]: Das ist schlicht falsch!)


Am Ende des Tages haben Sie sich aufgerappelt und das
Ganze unter einen Prüfvorbehalt gestellt. Das, was dort
stand, war abgrundtief falsch. Sie wollten sich wahr-
scheinlich nicht selbst blamieren. Der eigentliche Punkt
ist: Denken Sie künftig eine Sache zu Ende, ehe Sie sie
aufschreiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Patrick Döring [FDP]: Was sagen Sie zum Vertragsverletzungsverfahren?)


Herr Minister, ein Allerletztes zu Ihnen: Sie haben ge-
merkt, welches Dilemma Dementis bedeuten.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700406200

Herr Kollege, Sie denken bitte an Ihre Redezeit.


Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1700406300

Ich komme zum Schluss, ja. – Ein Dementi ist immer

eine schwierige Sache. Man sagt, das sei so, als würde
man Zahnpasta in die Tube zurückdrücken wollen. Ich
glaube, es ist wichtig, dass wir Ihnen die hundert Tage
geben. Wir Sozialdemokraten geben sie Ihnen. Aber
meine Bitte ist: Geben Sie sich auch selbst hundert Tage.
Denken Sie lieber einmal öfter nach, bevor Sie etwas
verkünden, was am Ende des Tages durch Dementis wie-
der eingeholt werden muss. Die Verkehrspolitik verträgt
einen solchen Zickzackkurs nicht. Wir haben es mit dem
größten Investitionshaushalt der Republik zu tun. Da
sind auch in Zukunft Souveränität, Klarheit, Perspektive
und Zielsetzung Maßstäbe für das politische Handeln.

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin.


(Beifall bei der SPD – Patrick Döring [FDP]: Das waren ja auch die Qualitäten von Herrn Tiefensee: Klarheit und Perspektive!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700406400

Nächster Redner ist der Kollege Peter Götz für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Peter Götz (CDU):
Rede ID: ID1700406500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Entgegen der
Kritik aus der Opposition hat die Fachwelt der Immobi-
lienwirtschaft die bau- und stadtentwicklungspoliti-
schen Vorhaben der neuen Bundesregierung mit Lob und
Vorschusslorbeeren begleitet. So erklärt der Bundesver-
band Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen –
ich zitiere –:

Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und
FDP enthält einige gute Nachrichten für Immobi-
lieneigentümer und Investoren.

Die Pressemitteilung des Bundesverbandes deutscher
Wohnungs- und Immobilienunternehmen, also des GdW,
liest sich so:

Koalitionsvertrag enthält überwiegend gute Per-
spektiven für die Wohnungs- und Immobilienwirt-
schaft.

Die Überschrift von Haus & Grund lautet:

Schwarz-Gelb hat die Weichen richtig gestellt.

Das zeigt, dass die neue Koalition die Bedeutung der
Immobilienwirtschaft erkennt, die Probleme ernst nimmt
und aufgreift. Selbst der Deutsche Mieterbund sieht in
seiner sicher kritischen Stellungnahme neben Schatten
auch Licht. Derartige Bewertungen sind Ansporn, die im
Koalitionsvertrag beschriebenen Vorhaben zügig anzu-
packen und nach besten Kräften umzusetzen.

Wir wissen: Die Erwartungen sind hoch. Wir wissen
auch: Die finanziellen Spielräume sind sehr begrenzt
und bleiben auch auf lange Sicht begrenzt. Die Bürgerin-
nen und Bürger erwarten zu Recht, dass der Staat Rah-
menbedingungen schafft für eine solide, nachhaltige
Stadt- und Dorfentwicklungspolitik, für ein bedarfsge-
rechtes Wohnungsangebot und für die Erhaltung von
Baudenkmälern. Wir brauchen Freiraum für gute neue
Architektur und für eine gelebte Baukultur.

In den letzten zehn Jahren hat die Bau- und Woh-
nungspolitik einen tiefgreifenden Wandel erfahren. Wir
haben regional differenzierte Wohnungsmärkte in einer
Bandbreite zwischen Leerstand auf der einen Seite und
Wohnungsmangel auf der anderen Seite. Der soziale
Wohnungsbau wurde daher zu Recht in den Zuständig-
keitsbereich der Länder übertragen. Bei uns ist das Bau-
und Planungsrecht geblieben, das wir mit besonderer
Sorgfalt und möglichst auch im breiten Konsens wahren
und schrittweise weiterentwickeln werden. Wir wollen
das Baugesetzbuch an veränderte Entwicklungen anpas-
sen, den Klimaschutz dort verankern und Genehmi-
gungsverfahren weiter straffen.

Zu den großen baupolitischen Herausforderungen der
nächsten Jahre gehört zweifelsohne die Entwicklung
der Städte und Gemeinden. Wir brauchen konkrete Lö-
sungen als Antworten auf den demografischen Wandel
und auf die Fragen des sozialen Zusammenhalts in
Wohnquartieren einschließlich der besseren Integration
von Menschen mit Migrationshintergrund und für den
Schutz bestehender Ressourcen. Der Erhalt von histori-
scher Bausubstanz und von Stadtstrukturen gehört ge-






(A) (C)



(B) (D)


Peter Götz
nauso dazu wie die Schaffung eines barrierefreien
Wohnumfeldes. Bei alldem muss der Mensch im Mittel-
punkt stehen.

Wir müssen uns um die Wieder- und Umnutzung in-
nerstädtischer Industrie- und Militärbrachen kümmern.
Dazu gehört ein offensiveres Immobilienmanagement
beim Verkauf bundeseigener Liegenschaften.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das liegt im Interesse vieler Kommunen, und das sollte
auch im fiskalischen Interesse des Bundes liegen.

Wir wollen die Fortführung der Städtebauförderung
auf bisherigem Niveau. Die Geschichte der Städte-
bauförderung in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte,
die international hohe Anerkennung erfährt. Wir wollen
sie im Sinne der Städte und Gemeinden ganz gezielt wei-
terentwickeln. Ich sage aber auch: Um dies umzusetzen,
brauchen wir starke Städte und Gemeinden. Die neue
Koalition will deshalb ausdrücklich die Leistungskraft
und Leistungsfähigkeit der Kommunen stärken. Das ge-
hört genauso dazu.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der LINKEN: Wo denn? – Zuruf von der SPD: Das ist ja Hohn!)


– Schauen Sie nach, dann wissen Sie es.

Beim Klimaschutz ist der Bau in besonderer Weise
gefragt. Der Herr Minister ist in seiner Rede vorhin kurz
darauf eingegangen. Vom Gebäudesektor wird ein wich-
tiger Beitrag zur Senkung des CO2-Ausstoßes erwartet.
Die riesigen Potenziale, die es durch intelligente Ent-
scheidungen zu wecken gilt, schlummern im Altbestand.
Dafür müssen wir die Gebäudeeigentümer gewinnen und
dürfen sie nicht beschimpfen. Das CO2-Gebäudesanie-
rungsprogramm hilft uns dabei.

Wenn wir mehr Klimaschutz im Gebäudebereich wol-
len, müssen wir auch das Mietrecht anschauen. Wir wer-
den deshalb das Mietrecht auf seine Ausgewogenheit
überprüfen und umwelt- und klimafreundliche Sanierun-
gen von Wohngebäuden erleichtern. Denn dort liegt die
Zukunftschance. Mietrecht und finanzielle Anreize sind
die Schlüssel, wenn wir den Gebäudebestand für eine
bessere Energieeffizienz öffnen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Lassen Sie mich noch einen Aspekt ansprechen, der
mir wichtig ist. Trotz aller finanziellen Schwierigkeiten
sollten wir darauf achten, dass der Bund bei seinen eige-
nen Bauvorhaben hinsichtlich der Baukultur und der Ar-
chitektur eine Vorbildfunktion hat. Der Bund muss als
Bauherr mit gutem Beispiel vorangehen und das leisten,
was er von privaten Hauseigentümern und Investoren er-
wartet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Vorbildfunktion des Bundes kann so noch stärker in
das öffentliche Bewusstsein gerückt werden. Das öffent-
liche Bewusstsein ist übrigens nicht auf Deutschland be-
schränkt. Gerade mit seinen Auslandsbauten kann
Deutschland beim Klimaschutz beispielgebend wirken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt viel zu tun.
Ich freue mich auf die Zusammenarbeit im Ausschuss
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Die Herausfor-
derungen sind groß, die Erwartungshaltung ist riesig. Ich
lade Sie alle ein, daran mitzuwirken und gemeinsam mit
uns zu arbeiten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700406600

Nun hat das Wort die Kollegin Sabine Leidig für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700406700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Ich spreche zum Verkehrsbereich. Ich
schicke vorweg, dass ich bei der Rede des Umweltminis-
ters Röttgen von den warmen Worten, die ich gehört
habe, beeindruckt war. Mit Blick auf den Bereich Ver-
kehrspolitik erscheinen sie mir aber extrem hohl.


(Beifall bei der LINKEN)


Die FAZ überschreibt ihr Porträt von Verkehrsminister
Ramsauer mit „Der Mann der Straße“. Ein paar Zeilen
weiter ist zu lesen:

Das Echo auf seine Ernennung ist … nicht un-
freundlich. Am größten ist die Freude in der Auto-
lobby.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Genau!)


Nach dem Studium des Koalitionsvertrages muss man
sagen: Die FAZ hat leider recht. Herr Ramsauer, es stellt
sich die Frage, wessen Bedürfnisse bei Ihrem Politikan-
satz tatsächlich im Mittelpunkt stehen. Mein Eindruck
ist: Es sind die Bedürfnisse der Fahrer großer Dienstwa-
gen. Dem will ich angesichts der Kürze der Zeit nicht
weiter nachgehen.

Ich möchte Ihren Blick auf eine andere Seite der Ver-
kehrsmedaille lenken. Die Regierung plant einen mehr-
fachen Angriff auf den öffentlichen Schienenverkehr.
Erstens sollen private Unternehmen im Nahverkehr Vor-
rang vor kommunalen Eigenbetrieben bekommen.


(Patrick Döring [FDP]: Das ist geltendes Recht, Frau Kollegin!)


Zweitens wird die unbegrenzte Zulassung von Busfernli-
nien geplant.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Wo ist denn da der „Angriff“?)


Drittens heißt es im Koalitionsvertrag:






(A) (C)



(B) (D)


Sabine Leidig
Sobald der Kapitalmarkt dies zulässt, werden wir
eine schrittweise, ertragsoptimierte Privatisierung
der Transport- und Logistiksparten

– der Deutschen Bahn –

einleiten.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Was hat das denn mit „Angriff“ zu tun?)


Was das alles bedeutet, kann man in unseren Nach-
barländern, zum Beispiel in Großbritannien, ganz kon-
kret beobachten. Dort konkurrieren Busfernverkehre mit
privatisierten Eisenbahngesellschaften und Billigflie-
gern, sie liefern sich einen Dumpingwettbewerb, die
Löhne sinken, Qualität, Fahrkomfort und Sicherheit wer-
den spürbar schlechter, schließlich steigen die Preise,
und das Schienennetz schrumpft. Das ist die Realität, die
man dort beobachten kann.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Richtung, die in Ihrem Koalitionsvertrag ange-
deutet wird und eingeschlagen werden soll, wird zu
mehr verkehrtem Verkehr führen, zu noch mehr Um-
welt- und Klimabelastungen und die Tendenz, die bereits
für die Jahre 1990 bis 2007 so zu bewerten ist, weiter-
führen. Das „Menschheitsgut“, von dem der Herr Um-
weltminister gesprochen hat, wird mutwillig weiter zer-
stört.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Linke for-
dert: Wir müssen anders, wir müssen besser verkehren!


(Beifall bei der LINKEN)


Notwendig und übrigens auch volkswirtschaftlich sinn-
voll – an dieser Stelle bitte ich die Kollegen von der
FDP, ein Ohr zu öffnen – wäre ein langfristiges, umfang-
reiches öffentliches Programm zum Ausbau und zur
Weiterentwicklung des öffentlichen Schienenverkehrs
für Menschen und für Güter.

Damit könnten wir mehrere Fliegen mit einer Klappe
schlagen.

Erstens. Es wäre ein wesentlicher Beitrag zur CO2-
Reduktion. Denn der Verkehrsbereich ist der einzige
Wirtschaftsbereich, in dem die CO2-Ausstöße steigen.
Auch dies sollte in Kopenhagen in den Mittelpunkt ge-
rückt werden.

Zweitens. Wir könnten wirklich gute Beschäftigungs-
perspektiven für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer in der Automobil- und Flugzeugindustrie schaffen.
In diesen Industrien gibt es weltweit Überkapazitäten.
Sie glauben ja selbst nicht, dass man alle Arbeitsplätze
in der Automobilindustrie erhalten kann.

Übrigens macht uns unser Nachbarland Österreich
vor, wie man mit solchen Investitionsprogrammen
volkswirtschaftlich sinnvoll umgeht. In Österreich wird
genau gerechnet: 1 Milliarde Euro Einsatz bringt 17 000
neue Arbeitsplätze, und mit 1 Euro Einsatz wird eine
Steigerung des Bruttoinlandsprodukts um 2 Euro er-
reicht. Es macht also Sinn.


(Beifall bei der LINKEN)

Drittens brauchen wir ein europäisches Konzept.
Wir brauchen bei den Verkehrskonzepten Kooperation.
Wir brauchen weder auf der Schiene noch sonst ir-
gendwo Wettbewerb, sondern wir brauchen gemeinsame
Lösungen für sinnvolle Transporte weltweit.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Verkehrsbereich ist ein Bereich, in dem es um die
Lebensqualität der Menschen geht. Die Art und Weise,
wie man von Ort zu Ort kommen kann, ist entscheidend
dafür, wie sich die Menschen bewegen. Wir brauchen ei-
nen besseren öffentlichen Nahverkehr. Wir brauchen
Bahnhöfe, an denen man sich aufhalten kann,


(Beifall bei der LINKEN)


in denen man sich nicht beängstigt fühlen muss, in denen
man auch einmal Zuflucht findet. Wir brauchen vor allen
Dingen weniger Autos und weniger Lkws in den Städten
und Gemeinden. Das würde die Lebensqualität unheim-
lich vieler Menschen enorm verbessern.


(Beifall bei der LINKEN)


Schließlich ist auch der Verkehrsbereich ein Bereich,
in dem es um Demokratie geht. Es geht darum, den
Druck, die Macht der Automobil- und Öllobby zurück-
zudrängen und die tatsächlichen Bedürfnisse der Men-
schen an Mobilität in den Mittelpunkt zu stellen. Wir
müssen da mehr Demokratie wagen. Es gibt übrigens
kaum ein politisches Projekt, bei dem die Mehrheit der
Bevölkerung so klar positioniert ist wie bei der Privati-
sierung der Bahn.


(Beifall bei der LINKEN)


78 Prozent – mehr als eine Dreiviertelmehrheit – lehnen
eine Privatisierung der Bahn ab und wünschen sich eine
gute Bahn in öffentlicher Hand. Wenn man die Meinung
der Leute ernst nimmt, schaffen wir vielleicht, was sich
die Frau Bundeskanzlerin gewünscht hat: dass die Bür-
gerinnen und Bürger den Staat besser finden.

Es geht auch darum, den Schienenbereich weiterzu-
entwickeln und ihn besser zu gestalten. Dafür brauchen
wir aber keinen grünen Tisch und keine Gespräche mit
Lobbyistenvereinigungen, wir müssen nur zuhören, was
die Leute wollen. Die Bürgerinnen und Bürger, die die
Verkehrsmittel benutzen, wissen genau, wie die Ver-
kehrsmittel sein müssen, damit sie ihren Bedürfnissen
entsprechen. Auch die in den Verkehrsbetrieben Be-
schäftigten wissen ganz genau, was man verbessern
kann. Das ist der Ansatzpunkt für eine demokratische
und menschengerechte Entwicklung des Verkehrssek-
tors.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700406800

Frau Kollegin Leidig, das war Ihre erste Rede in die-

sem Haus. Die Großzügigkeit, die wir bei der Redezeit
an den Tag gelegt haben, werden wir künftig nicht in
gleicher Weise an den Tag legen können.


(Heiterkeit)







(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Ich gratuliere Ihnen herzlich und wünsche Ihnen für die
weitere Arbeit eine glückliche Hand.


(Beifall)


Der nächste Redner ist der Kollege Sören Bartol für
die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Sören Bartol (SPD):
Rede ID: ID1700406900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mobilität, Stadt- und Raumentwicklung sind wichtige
Zukunftsfragen. Lieber Herr Minister Ramsauer, Sie er-
weisen diesem Anliegen gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit
einen Bärendienst. Ich hoffe wirklich, dass Sie an dieser
Stelle noch dazulernen.

Nicht nur personell, auch inhaltlich ist der Bereich
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Koalitionsvertrag
schlecht weggekommen. Am Koalitionsvertrag ist nicht
bemerkenswert, was in ihm steht, sondern – viel interes-
santer – was fehlt. Integrierte Verkehrspolitik? Fehlan-
zeige. Im Gegenteil: ein Minister, der ideologisch in die
Mottenkiste greift und nicht begriffen hat, welche Be-
deutung eine moderne, angepasste Verkehrspolitik hat.
Verkehrsmittelübergreifende Konzepte sucht man im
Koalitionsvertrag vergeblich, geschweige denn einen
Ansatz für eine integrierte Verkehrs- und Raumentwick-
lungspolitik. Intelligente Stadtverkehrskonzepte? Fehl-
anzeige! Anstatt klarer Prioritäten für den Umweltver-
bund, also ÖPNV, Radfahren und Zufußgehen, und einer
intelligenten Verknüpfung mit neuen Formen der Auto-
nutzung, wie zum Beispiel Carsharing, steht auf der Ko-
alitionsagenda die Beschneidung der Umweltzonen.

Diese Liste ließe sich immer weiter fortführen. Ein-
fallslosigkeit und der Verzicht auf politische Steuerungs-
möglichkeiten kennzeichnen diesen Koalitionsvertrag,
vor allen Dingen was die Zukunftsfragen im Bereich der
Mobilität anbelangt. Das ist schade für die Menschen,
die unter den Verkehrsbelastungen leiden, aber das ist
vor allen Dingen auch schade für die Umwelt und das
Klima.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch in der Verkehrspolitik regiert nun das Prinzip
Privat statt Staat. Was uns ins Haus steht, zeigt sich ganz
besonders deutlich beim öffentlichen Nahverkehr.
CDU und CSU haben die notwendige Novelle des Perso-
nenbeförderungsgesetzes in der letzten Legislaturperi-
ode leider blockiert, und jetzt beeilen sie sich, den Vor-
rang kommerzieller Verkehre mal eben ganz locker
flockig in den Koalitionsvertrag zu schreiben.


(Patrick Döring [FDP]: Das ist geltendes Recht!)


Die in der europäischen Verordnung angelegte Möglich-
keit der Direktvergabe wird damit vollkommen konter-
kariert, und der Handlungsspielraum, lieber Kollege
Götz, der Kommunen als Aufgabenträger wird vollkom-
men ausgehöhlt. Wenn Sie das so umsetzen, dann droht
Ihnen wirklich die Rosinenpickerei privater Unterneh-
men.

(Beifall bei der SPD – Patrick Döring [FDP]: Sie wissen doch, dass das nicht stimmt!)


Wir haben in Brüssel doch gemeinsam dafür ge-
kämpft, dass diese deutsche Struktur mit der Vielzahl öf-
fentlicher und auch privater Unternehmen und vor allen
Dingen die kommunale Verantwortung für diese Auf-
gabe der Daseinsvorsorge erhalten bleiben. Das setzen
Sie nun aufs Spiel. Lieber Kollege Döring, ich weiß, Sie
haben nicht so viele FDP-Bürgermeister, die Sie fragen
könnten,


(Patrick Döring [FDP]: In den neuen Bundesländern mehr als die SPD!)


aber Sie von der CDU/CSU könnten Ihre CDU- und
CSU-Bürgermeister, in deren Gemeinden es kommunale
Unternehmen gibt, einmal fragen, was sie denn dazu sa-
gen.

Was verheißt denn der Koalitionsvertrag hinsichtlich
der Wohnungspolitik? Überhaupt nichts Gutes! Wenn
m
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1700407000
Alle sind ausgewiesene Verkehrspoliti-
ker. Daran wird klar, wohin die Reise in dieser Koalition
geht. Mit der sozialen Verantwortung ist es nicht weit
her. Das erkennt man, wenn man das Kleingedruckte
liest.


(Patrick Döring [FDP]: Was?)


Sie lassen sich dafür feiern, dass Sie das Schonvermö-
gen für Arbeitslosengeld-II-Bezieher erhöhen. Das ist ja
richtig.


(Patrick Döring [FDP]: Warum haben Sie das dann nicht gemacht?)


Durch die Hintertür wollen Sie aber die Kosten der Un-
terkunft pauschalieren. Das bedeutet doch: Beziehern
von Arbeitslosengeld II droht, dass sie ihre Mieten bald
nicht mehr zahlen können. Was hat das mit einer sozia-
len Politik zu tun?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch das Bekenntnis zum sozialen Charakter des
Mietrechts ist das Papier nicht wert, auf dem es steht,
wenn Sie gleichzeitig die Kündigungsfristen verkürzen
wollen. Langjährigen Mietern kann dann mit einer
Dreimonatsfrist gekündigt werden. Ich glaube, gerade
für ältere Mieter, die schon lange in ihren Wohnungen
leben, ist das eine Zumutung. Ich hoffe, dagegen kommt
es in diesem Land bald zum Aufstand.


(Beifall bei der SPD)


Auch die Abschaffung des Mietminderungsrechts
bei der energetischen Sanierung bedeutet einfach nur,
dass die Ausgewogenheit zwischen Mieterinteressen und
Vermieterinteressen in dieser Koalition vollkommen auf
der Strecke bleibt.

Den Stellenwert, den diese Koalition der Städte-
bauförderung insgesamt zuerkennt, erkennt man daran,
dass sie in der Rede des Ministers eigentlich überhaupt
nicht vorgekommen ist. Herr Minister, die Zukunft unse-
rer Städte ist für die gesamte Gesellschaft von überra-






(A) (C)



(B) (D)


Sören Bartol
gender Bedeutung. In den Städten konzentrieren sich so-
ziale und wirtschaftliche Probleme, hier liegen aber auch
die großen Chancen. Die Städte sind die Motoren für die
wirtschaftliche Entwicklung, die Beschäftigung und die
Innovationen, aber auch die Kultur. Herr Minister, es
geht eben nicht darum, den städtischen Raum gegen den
ländlichen Raum auszuspielen, sondern darum, die
Dinge intelligent miteinander zu verknüpfen. Das be-
kommen Sie nicht hin, und da wird mir angst und bange.


(Beifall bei der SPD)


Herr Minister, ich befürchte, die Stadtentwicklung steht
am Ende des Tages leider nur noch auf Ihrem Türschild.
Das wird uns nicht reichen.

Herr Minister, ich glaube, kein Minister in dieser Re-
gierung hat es geschafft, öffentlich so schnell in Un-
gnade zu fallen wie Sie, und das gleichzeitig bei den von
Ihnen angeblich vertretenen Autofahrern, den Umwelt-
verbänden und auch noch bei den Menschen in den
neuen Bundesländern.

Ich glaube, ein Blick auf die Schlagzeilen der vergan-
genen Woche reicht; das sollte man einmal neutral tun:
„Ramsauer braucht Pannenhilfe“, sorgt sich die Frank-
furter Rundschau. „Auf der falschen Spur“ sieht die Fi-
nancial Times Deutschland den Minister. Die taz tauft
ihn – wunderbar – „Ramses – der König der Westauto-
bahnen“.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Besser als Tiefensee allemal!)


Kollege Fischer, nachdem die Kanzlerin – das muss man
vielleicht auch einmal dazusagen – ihren Minister zu-
rückgepfiffen hatte, sagte er: Ach, das alles wird man
doch wohl einmal sagen dürfen. – Dann schrieb die Bild-
Zeitung: „Erst denken, dann reden!“

Herr Minister, ich glaube, dem kann man sich nur an-
schließen. Das sollten Sie beherzigen. Viel Glück für
Ihre weitere Amtszeit!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700407100

Zu den Bereichen Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

liegen nun keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.

Wir kommen damit zu den Themenbereichen Arbeit
und Soziales. Dazu rufe ich die Zusatzpunkte 2 bis 4
auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Förderung der Altersteilzeit durch die Bun-
desagentur für Arbeit fortführen

– Drucksache 17/21 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Zimmermann, Klaus Ernst, Matthias W.
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Folgen der Krise für Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer abmildern – ALG I befristet auf
24 Monate verlängern

– Drucksache 17/22 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Beratung des Antrags der Abgeordneten Diana
Golze, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Anhebung und bedarfsgerechte Ermittlung
der Kinderregelsätze

– Drucksache 17/23 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

Als erstem Redner zu diesem Themenbereich erteile
ich für die Bundesregierung Herrn Bundesminister
Dr. Franz Josef Jung das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister für Arbeit
und Soziales:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Chancen
für Arbeit schaffen und den Zusammenhalt in Deutsch-
land stärken, das sind die Ziele der Arbeitsmarkt- und
Sozialpolitik dieser neuen Bundesregierung.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt aber!)


Der soziale Frieden, die Partnerschaft von Arbeitgebern
und Arbeitnehmern sind mit die tragenden Säulen unse-
rer sozialen Marktwirtschaft. Dazu gehört auch die Ta-
rifautonomie. Wir brauchen in Zukunft noch mehr die
gesellschaftliche Verantwortung unserer Unternehmen,
auch im Interesse der Arbeitsplätze in Deutschland.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für mehr Arbeit in Deutschland müssen wir Hürden
für Beschäftigung abbauen, muss sich der Staat auf die
Bereiche beschränken, in denen er Verantwortung über-
nehmen muss. Wir brauchen einen Arbeitsmarkt, der
nicht Fesseln anlegt, sondern Freiraum für Arbeit
schafft. Deshalb werden wir mit dem Abbau von Büro-
kratie einen Aufbau von Beschäftigung bewirken.

Sozial ist, was Arbeit schafft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD)


Mehr Beschäftigung und weniger Arbeitslosigkeit, das
stärkt zugleich die Grundlage für die soziale Sicherung
aller. Ein Blick auf die Zahlen macht deutlich: 100 000
Arbeitslose weniger bedeuten eine Entlastung von rund
2 Milliarden Euro im Haushalt und in den Sozialkassen.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Franz Josef Jung
Ein Arbeitsmarkt, der Impulse für mehr Beschäftigung
setzt, ist ein Pfeiler der solidarischen Leistungsgesell-
schaft, in der sich jeder nach seinen Fähigkeiten entfal-
ten können muss.

Gerade in der größten Wirtschaftskrise, die wir seit dem
Zweiten Weltkrieg durchleben, sind Wachstumsimpulse
und Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger die richti-
gen Signale für mehr Beschäftigung. Deshalb leisten das
Wachstumsbeschleunigungsgesetz und die Entlastungen
von circa 22 Milliarden Euro, die am 1. Januar 2010 in
Kraft treten, einen entscheidenden Beitrag zu mehr Arbeit
und Beschäftigung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schulden macht ihr!)


Wir haben in der letzten Woche am Arbeitsmarkt durch-
aus positive Zahlen im Vergleich zu den Prognosen von
Anfang dieses Jahres zur Kenntnis nehmen können.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ein Dank an Olaf Scholz!)


Die Zahlen machen Mut, aber sie stellen noch keine
Trendwende dar.

Die Entscheidung, die die Bundesregierung bei der
Kurzarbeit getroffen hat, ist eine richtige Entscheidung
gewesen und hat dem Arbeitsmarkt geholfen. Deshalb
ist es auch aus meiner Sicht notwendig, dass wir Rege-
lungen zur Kurzarbeit noch in diesem Jahr verlängern,
um hier eine Perspektive für Arbeit in Deutschland zu
schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Gute Verordnung! Die mussten Sie nur noch unterschreiben, Herr Jung!)


Wir wollen für die Unternehmen mit einem Mehr an
Möglichkeiten zu befristeten Beschäftigungsverhältnis-
sen die Voraussetzungen schaffen, flexibel zu reagieren
und damit ebenfalls Arbeitsplätze zu generieren.


(Zuruf von der SPD: Nur was für welche!)


Ferner wollen wir die neuen elektronischen Möglich-
keiten nutzen, um einen Beitrag zur Entbürokratisierung
zu leisten und die Betriebe bei den Pflichten aus der So-
zialversicherung zu entlasten. Auch im Hinblick auf die
Frage der Partnerschaft von Arbeitnehmern und Arbeit-
gebern ist es ein richtiges Signal, wenn wir beabsichti-
gen, die Mitarbeiterbeteiligung in den Unternehmen
auszuweiten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch wollen wir dafür sorgen, dass Lohndumping ver-
hindert wird. Deshalb wollen wir die Rechtsprechung
zum Verbot sittenwidrig niedriger Löhne gesetzlich fest-
schreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist zynisch! – Elke Ferner [SPD]: Salonfähig machen Sie die!)

In der Krise hat die Bundesagentur für Arbeit durch-
aus ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Ich
möchte deshalb dem Chef der Agentur, Herrn Weise,
und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern herzlich für
ihren Beitrag danken, den sie zur Vermittlung in Arbeit
in Deutschland geleistet haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir wollen die Agentur im Interesse der arbeitsu-
chenden Menschen in Zukunft noch effektiver gestalten.


(Beifall bei der FDP)


Auch werden wir das durch die Krise entstehende Defizit
für 2010 aus Mitteln des Bundes ausgleichen, damit der
Beitragssatz in der Perspektive grundsätzlich stabil bleiben
kann. Dies ist auch ein wichtiges Momentum, wenn ich
über Arbeitsplätze in Deutschland spreche.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Auch bei der Betreuung und Vermittlung von längere
Zeit Arbeit Suchenden werden wir nach der Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts die Handlungsfä-
higkeit herstellen.


(Katrin Kunert [DIE LINKE]: Welche denn?)


Wir wollen die Erfahrungen der Kommunen und der
Agentur in getrennter Verantwortung – so schreibt es das
Gericht vor – auf der Basis der freiwilligen Zusammen-
arbeit nutzen und die Optionskommunen entfristen.
Diesbezüglich werden wir einen Mustervertrag vorle-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der LINKEN: Reden Sie mal mit den Bundesländern darüber!)


Wir werden im Rahmen von Hartz IV, also dem
Sozialgesetzbuch II, Regelungen beseitigen, die die Bür-
gerinnen und Bürger zu Recht als ungerecht empfinden.
Wir werden deshalb das erarbeitete Vermögen bis zu
750 Euro pro Lebensjahr vor dem Zugriff verschonen.
Bisher waren es 250 Euro. Dies ist auch im Interesse der
privaten Altersvorsorge richtig. Deshalb werden wir dies
im Interesse der Bürger umsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Das hätten wir alles früher haben können!)


In diesem Zusammenhang werden wir auch die selbstge-
nutzte Immobilie umfassend schützen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wer arbeitet, muss mehr haben als derjenige, der nicht
arbeitet.


(Katrin Kunert [DIE LINKE]: Mindestlohn!)


Deshalb werden wir auch die Hinzuverdienstregelun-
gen entsprechend fortentwickeln, um zusätzliche An-
reize für die Arbeitsaufnahme zu schaffen.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt das genau? – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das hat mit sozialer Marktwirtschaft nichts zu tun! Das ist Lohnbewirtschaftung!)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Franz Josef Jung
Dazu gehören auch Komponenten, die im Zusammen-
hang mit der Weiterbildung bzw. einer Weiterbildungsal-
lianz erforderlich sind. Deshalb halte ich es für richtig,
dass wir die Förderung berufsbezogener Sprachkennt-
nisse in die Weiterbildung miteinbeziehen, weil dies
auch eine Chance für zukünftige Arbeit bedeutet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich will ein Wort auch zu der aktuellen Debatte über
die Rentensituation sagen. Ich denke, eines ist eindeutig:
Konkrete Aussagen über die Rentensituation ab 1. Juli
nächsten Jahres werden erst im März des nächsten Jahres
möglich sein, wenn nämlich die konkreten Zahlen vor-
liegen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das war immer so!)


Es muss aber auch klar sein: Die Rente ist Alterslohn für
Lebensleistung. Sie ist grundsätzlich an die Lohnent-
wicklung angepasst.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Daran habt ihr herumgefummelt!)


Man kann heute aber auch sagen: Auch bei einer negati-
ven Lohnentwicklung werden die Renten nicht sinken.
Dies haben wir mit der Rentengarantie so beschlossen.
Dies ist, wie ich finde, eine richtige und wichtige Bot-
schaft für die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Außerdem weise ich darauf hin, dass in Zukunft der Bei-
tragssatz in der Rentenversicherung stabil bleiben soll.
Das ist ebenfalls ein wichtiger Tatbestand, der dazu bei-
trägt, dass die Lohnnebenkosten nicht weiter steigen und
damit zu einer zusätzlichen Belastung für die Arbeits-
situation in Deutschland führen würden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In dieser Legislaturperiode wollen wir ein einheitli-
ches Rentensystem in Ost und West schaffen. Ich lade
alle Fraktionen dazu ein, sich intensiv an der Diskussion
und der Entscheidung darüber zu beteiligen; denn es ist
eine Herausforderung, 20 Jahre nach dem Fall der Mauer
ein einheitliches Rentensystem im Osten und Westen
Deutschlands zu schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Längst überfällig! Bisher haben Sie es verhindert!)


Im Hinblick auf mehr Arbeit wollen wir zudem die
Anreize zur Frühverrentung beseitigen und die Beteili-
gung am Erwerbsleben erhöhen. Auch dies gehört zu un-
serem Programm, wenn es darum geht, in Zukunft mehr
Menschen in Arbeit zu bringen.

Lassen Sie mich noch einen Satz zu einem anderen
Themenbereich aus meinem Aufgabenfeld sagen. Dabei
geht es um das Thema Menschen mit Behinderung. Ei-
nes muss klar sein: Menschen mit Behinderung haben
unsere menschliche Unterstützung verdient. Wir wollen
die Rahmenbedingungen für diese Menschen positiv ge-
stalten und einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-
Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinde-
rung entwickeln. Hilfe zur Selbsthilfe, das ist auch in
diesem Zusammenhang die richtige Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deutschlands Stärke gründet auf dem Fleiß und der
Verantwortungsbereitschaft der Menschen. Sie gründet
auf der Leistungsbereitschaft der Unternehmer und der
Arbeitnehmer. Sie gründet auf dem sozialen Frieden.
Diesem Fleiß und dieser Verantwortungsbereitschaft
mehr Raum zum Wachsen zu geben, fördert Arbeit und
den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Der Mensch
ist uns wichtiger als die Sache. In diesem Sinn machen
wir eine wertorientierte Politik für die Menschen in
Deutschland, für Arbeit und für den sozialen Frieden.

Besten Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700407200

Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Kollege

Hubertus Heil.


(Beifall bei der SPD – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Ich hoffe, Sie haben nicht die Rede von heute Morgen genommen!)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1700407300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Nach gutem parlamentarischen Brauch möchte
ich Ihnen, Herr Minister Jung, zur Ernennung in dieses
Amt ganz herzlich gratulieren und alles Gute wünschen.
Sie übernehmen mit diesem Bundesministerium ein ge-
ordnetes, ein gutes Haus.


(Beifall bei der SPD)


Sie müssen aber auch in große Fußstapfen treten. Sie tre-
ten die Nachfolge von Franz Müntefering und Olaf
Scholz an. Ich will an dieser Stelle sagen: Wir Sozial-
demokraten sind stolz auf die Arbeit dieser Minister, vor
allen Dingen auf die Arbeit von Olaf Scholz in den letz-
ten Monaten, der in der Krise mit aktiver Arbeitsmarkt-
politik, insbesondere mit den geänderten Regeln zur
Kurzarbeit, mitgeholfen hat, dass Hunderttausende Men-
schen in Deutschland an Bord, in Beschäftigung, bleiben
konnten. Das haben wir gemacht. Es ist gut, wenn Sie
zumindest daran anknüpfen.


(Beifall bei der SPD)


Herr Minister, wenn ich mir allerdings den Koali-
tionsvertrag anschaue und mir Ihre Rede vor Augen führe,
dann vermisse ich im Wesentlichen die Beantwortung fol-
gender großer Fragen: Wo sieht eigentlich der Bundesmi-
nister für Arbeit und Soziales die Zukunft der Arbeit in
unserem Land? Was tut diese Bundesregierung konkret,
damit Arbeit in diesem Land eine gute Zukunft hat? Dann
höre ich mir Ihre Rede an und höre diesen alten, aber nicht
besonders intelligenten Satz, diese Formel: Sozial ist, was
Arbeit schafft. – Herr Minister, ich will Sie zumindest
nachdenklich machen und es zuspitzen: „Sozial ist, was
Arbeit schafft.“


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat aber Schröder auch immer gesagt!)







(A) (C)



(B) (D)


Hubertus Heil (Peine)

Heißt dieser Satz eigentlich auch, dass Sklavenarbeit so-
zial ist? Überspitzt gesagt, wäre das die Tatsache.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das war doch von Schröder!)


Wir sagen: Sozial ist, was anständige Arbeit schafft, von
der Menschen auch leben können. – Das ist der Unter-
schied zu Ihnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn ich mir den Koalitionsvertrag und das, was Sie
eben gesagt haben, anschaue, dann muss ich feststellen,
dass sich das, was Sie vorhaben – atypische Arbeit, unsi-
chere Arbeit, prekäre Arbeit – in diesem Land ausbreiten
wird. Das betrifft vor allen Dingen den Einstieg in die
Aushöhlung des Kündigungsschutzes. Sie sagen zwar
im Koalitionsvertrag – eben war das nicht so sehr zu hö-
ren, aber gestern von Frau Merkel –, Sie stünden zum
Kündigungsschutz, um dann nonchalant die sachgrund-
lose Befristung auszuweiten. Das ist nichts anderes als
eine Aushöhlung des Kündigungsschutzes in Deutsch-
land, und das wird auf unseren massiven Widerstand
treffen.


(Beifall bei der SPD)


Vor allen Dingen wollen und werden Sie den Niedrig-
lohnsektor in diesem Land nicht zurückdrängen, son-
dern ausweiten. Da hilft es überhaupt nichts, die Men-
schen mit irgendwelchen Placebos ruhigstellen zu wol-
len. Bei dem Verbot sittenwidriger Löhne – das ist jetzt
das neue, große Konzept und Projekt der schwarz-gelben
Bundesregierung – muss man sich, ganz unabhängig da-
von, dass das schon in diesem Lande Rechtsprechung ist,
eines vor Augen halten. Was heißt das eigentlich, Herr
Minister, ganz konkret für die betroffenen Menschen im
Niedriglohnsektor? Es heißt nichts anderes, als dass Sie
verfestigen, dass zukünftig bis zu einem Drittel nicht nur
vom Tarifvertrag abgewichen werden kann, sondern
auch von ortüblichen Löhnen, also – auf Deutsch –
Löhne von 3 Euro, 4 Euro um ein Drittel unterschritten
werden können. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Wer die
Zukunft der Arbeit in Deutschland vor allem im Niedrig-
lohnsektor sieht, der hat weder von Wirtschaftspolitik
noch von sozialer Marktwirtschaft oder von den Bedürf-
nissen der Menschen in diesem Land irgendeine Vorstel-
lung.


(Beifall bei der SPD)


Sie sagen: Leistung muss sich wieder lohnen. – Was sa-
gen Sie eigentlich den Menschen in den Branchen, in de-
nen Sie Mindestlöhne verhindert haben, wie sich Leis-
tung wieder lohnen soll? Wenn es nach Ihnen geht, dann
sollen die zukünftig alle zum Amt gehen und sich ergän-
zendes Arbeitslosengeld II abholen, also Aufstocker
sein.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben das doch eingeführt, Herr Heil, das ist doch Ihr Beschluss! Aufstockung ist SPD pur!)

Das hat mit Ordnungspolitik nichts zu tun, das ist nichts
anderes als ein staatlich subventionierter Billigjobsektor,
und Sie verfestigen den.


(Beifall bei der SPD)


Übrigens, zu dem lauten Herrn Kolb von der FDP:


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der kommt noch!)


Herr Kolb, mit den Zuverdienstmöglichkeiten, die Sie
erweitern, machen Sie nichts anderes, als das Geld der
Steuerzahler zu nehmen, um die Löhne in Billigjobs im
Interesse der Arbeitgeber, die nicht bereit sind, einen an-
ständigen Lohn zu zahlen, aufzustocken. Nichts anderes
ist das. Mit sozialer Marktwirtschaft hat das nichts zu
tun.


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das zeigt, dass Sie von Wirtschaft nichts, aber auch gar nichts verstanden haben!)


– Herr Kolb, Sie sind nachher noch dran.

Ich will Ihnen an dieser Stelle deutlich sagen, dass wir
dem ein Gegenkonzept entgegenstellen werden. Ich
glaube, es ist wichtig, dass wir über gute, über ordentli-
che Arbeit in diesem Land reden. Wenn Sie, Herr Minis-
ter, mit den Gewerkschaften in Deutschland sprechen, ist
es wichtig, dass Sie das nicht in Form warmer Gruß-
worte tun. Die Gewerkschaften werden darauf schauen,
ob Sie konkret handeln. Sie sollten auf Ihrem Weg um-
kehren und dafür sorgen, dass wir in diesem Land or-
dentliche Arbeitsplätze haben, damit sich Leistung für
die Menschen wirklich lohnt, die morgens aufstehen, in
die Fabriken und in die Verwaltung gehen oder als Fri-
seurin arbeiten. Alle die sprechen Sie mit Ihren warmen
Worten an, aber Sie tun nichts Konkretes. Im Gegenteil:
Sie nehmen diesen Menschen nicht nur einen anständi-
gen Lohn, indem Sie Mindestlöhne verweigern, Sie neh-
men ihnen auch ein Stück der Würde ihrer Arbeit. Das
ist etwas, was wir in diesem Land nicht durchgehen las-
sen dürfen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])


Wir wollen Sie, was die Arbeitsmarktpolitik betrifft,
unterstützen, wenn Sie die Zeit der Kurzarbeit verlän-
gern wollen. Auch da haben Sie ein gut bestelltes Haus
übernommen. Ich stelle mir das so vor: Olaf Scholz, flei-
ßig, wie er ist, hat den Entwurf einer Verordnung vorbe-
reitet, und Sie mussten nur noch unterschreiben.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wo?)


Wie gesagt, in der Sache ist das richtig. Wir unterstützen
das, es hilft der Wirtschaft, es hilft den Unternehmen,
aber es hilft auch den Beschäftigten, an Bord zu bleiben.
Ich würde mir nur eines wünschen, nämlich dass Sie an
dieser Stelle noch einen draufsetzen und mithelfen, dass
auch die geförderte Altersteilzeit nicht zum 1. Januar
nächsten Jahres ausläuft. Auch das ist wichtig für die
Betriebe und für die Beschäftigten.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Hubertus Heil (Peine)

Da geht es nicht um Frühverrentung; da geht es um Be-
schäftigungsbrücken.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Es geht um Frühverrentung!)


Denn in dieser Krise sind viele Menschen in Arbeit ge-
blieben. Es gibt zwei Gruppen, die besonders betroffen
sind: die über 50-Jährigen und die unter 25-Jährigen.

Wer Angst hat, dass das zur Frühverrentung führt und
nicht zur Beschäftigungsbrücke werden kann, der sollte
sich das bei der Salzgitter AG in meiner Heimat einmal
anschauen: Dort hat man dieses Instrument genutzt und
jungen Menschen nach der Ausbildung konsequent ei-
nen Einstieg ins Erwerbsleben ermöglicht. Hinzu kamen
flexible Übergänge in den Ruhestand. Mir geht es vor al-
lem um dieses arbeitsmarktpolitische Instrument. Wir
werden nicht zulassen, dass Sie die Geltungsdauer dieses
Instrumentes tatenlos auslaufen lassen. Deshalb werden
wir nicht nur einen Antrag, sondern einen Gesetzentwurf
in diesen Deutschen Bundestag einbringen. Dann wer-
den wir sehen, wie Sie sich an dieser Stelle verhalten.


(Beifall bei der SPD)


Sie haben etwas zum Thema Arbeitsverwaltung ge-
sagt, Herr Jung. Dazu kann ich nur sagen:


(Elke Ferner [SPD]: Gute Reise!)


Die Art und Weise, wie Sie in einer Phase, in der die Ar-
beitslosigkeit zu steigen droht, die Arbeitsverwaltung in
diesem Land chaotisieren, geht nicht nur zulasten der
Kommunen, der Arbeitsverwaltung und der Beschäftig-
ten in der Arbeitsverwaltung; vor allen Dingen ist das
Politik auf dem Buckel der arbeitslosen Menschen in
diesem Land, und das ist etwas, wofür man sich wirklich
schämen muss.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die alte Bundesregierung, der auch Sie angehörten,
hatte einen Konsens mit 16 Bundesländern. Er ist von
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion torpediert und ka-
puttgemacht worden. Jetzt verwenden Sie den schönen
Begriff der getrennten Aufgabenwahrnehmung und be-
haupten, das sei eine Konsequenz des Urteils, was recht-
licher Quatsch ist; das ist Blödsinn an dieser Stelle. Es
führt vor allen Dingen dazu, dass mit den Arbeitslosen
wieder Pingpong zwischen zwei Verwaltungen gespielt
wird. Es wird mehr Bürokratie geben. Es wird mehr
Menschen geben, die dafür arbeiten müssen, und es wird
weniger geben, die sich um die Vermittlung der Men-
schen in Arbeit tatsächlich kümmern können. Das ist das
Ergebnis dieser undurchdachten Politik, für die Sie hier
antreten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Minister, Sie werden es mit der sozialdemokrati-
schen Opposition zu tun bekommen, wenn es um das
wichtigste Thema in diesem Land geht, nämlich um die
Arbeit der Menschen. Es wird die Frage zu beantworten
sein: Wer hat eigentlich einen Draht zu Menschen, die
hart arbeiten und von ihrer Arbeit auch leben können
wollen? Ich sage sehr deutlich: Manchmal habe ich den
Eindruck, dass einige bei Schwarz-Gelb ein gebrochenes
Verhältnis zu anständiger Erwerbsarbeit haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Pfui! – Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Jetzt ist aber langsam Schluss, Herr Heil! Sie haben ein gebrochenes Verhältnis zum Anstand!)


Wenn ich mir die Vorschläge anschaue, für die Sie
hier stehen, dann muss ich an dieser Stelle sagen: Gehen
Sie in Ihre Wahlkreise! Reden Sie mit Menschen, vor al-
len Dingen in den Dienstleistungsberufen, die jeden Tag
mehrere Jobs ausüben müssen, um über die Runden
kommen zu können! Diesen Menschen verweigern Sie
die Mindestlöhne. Für diese Menschen haben Sie weder
Herz noch Verstand. Sie haben den Draht zu diesen
Menschen verloren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Offensichtlich weniger als Sie!)


Ich will Ihnen zum Schluss eines sagen, Herr Minister:
Sich Art. 20 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik
Deutschland zu vergegenwärtigen, müsste eigentlich alle
verbinden, gerade im 60. Jahr der Bundesrepublik Deutsch-
land. Deutschland soll ein sozialer und demokratischer Bun-
desstaat sein. Es geht um den sozialen Rechtsstaat. Sie wol-
len in der Sozialpolitik einen Paradigmenwechsel, weg vom
sozialen Rechtsstaat, weg von sozialen Bürgerrechten, hin
zu Almosen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Das ist nicht in Ordnung. Es widerspricht dem Geist un-
serer Verfassung. Es wäre eigentlich vernünftig, sich da-
ranzumachen, den Geist der Verfassung mit neuem Le-
ben zu erwecken.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Sie missbrauchen gerade unsere Verfassung!)


Gerade in einer Situation, in der sich die Arbeitswelt än-
dert, dürfen Sie kein gestörtes Verhältnis zur Arbeit in
Deutschland bekommen. Wir werden Alternativen auf-
zeigen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700407400

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Heinrich Kolb

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1700407500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege Heil, ich habe heute schon Ihre zweite
Rede gehört,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Da kann man schlauer werden, Herr Kolb!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinrich L. Kolb
und ich stelle fest, dass Sie nichts, aber auch wirklich
überhaupt nichts aus Ihrer Wahlniederlage gelernt haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben den Versuch einer Gleichsetzung von Schwarz-
Gelb und sozialer Kälte mitzuverantworten. Das war die
entscheidende Fehlkalkulation in der Schlussphase des
Wahlkampfs. Sie haben geglaubt, Sie könnten die Men-
schen verunsichern, und Sie haben gehofft, Sie könnten
von dieser Verunsicherung profitieren. Aber die Men-
schen haben sich mehrheitlich für Schwarz-Gelb ent-
schieden,


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die bereuen das aber schon!)


weil sie uns zugetraut haben, besser mit den Folgen der
Krise fertigzuwerden. Laut sprechen allein, Herr Heil,
genügt hier nicht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie sollten die Menschen nicht unterschätzen. Die
Menschen ahnen sehr wohl, dass die schwierigen Zeiten,
in denen wir leben, nicht mit den Rezepten von gestern
zu bewältigen sind.


(Elke Ferner [SPD]: Sie haben die Rezepte von vorgestern!)


Das Rezept von Olaf Scholz, zum Beispiel zur Bewälti-
gung der Rentenprobleme, war, mit Geld, das er nicht
hatte – bildlich gesprochen: mit einem Wechsel auf die
Zukunft –, Zeit bis zum Wahltag zu gewinnen, sich über
den Wahltermin zu retten. Seriös, Herr Heil, war das aus
meiner Sicht nicht.


(Beifall des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP])


Wenn dieses Wechselgeschäft jetzt platzen sollte, wer-
den wir nicht zögern, den Verantwortlichen zu benennen.
Das gilt besonders für die Rentenpolitik, die am heutigen
Tag ja wieder einmal die Schlagzeilen bestimmt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was ist das denn hier?)


Ich kenne Karl Valentin: Das Schwierige an der Prog-
nose ist die Vorhersage des Künftigen. – Das bestreite
ich nicht. Deswegen rate ich wie der Minister dazu – das
war auch guter Brauch in der Vergangenheit –, abzuwar-
ten, bis die maßgeblichen Zahlen vorliegen. Das wird im
März kommenden Jahres der Fall sein.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Besprechen Sie das einmal mit Ihrer Bundeskanzlerin! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber dass die Rahmenbedingungen für positive Ren-
tenanpassungen in den nächsten Jahren eher schwieriger
geworden sind, das, Herr Heil, kann man heute schon
feststellen. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen,
müssen und können wir aus der Krise auch lernen:


(Elke Ferner [SPD]: Wo haben Sie denn gelernt?)

Rentner und Erwerbstätige sitzen in einem Boot.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


– Ja, da lachen Sie. Das ist eigentlich beschämend für
Sie.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Machen Sie Mindestlöhne!)


Die Renten können sich in einem umlagefinanzierten
System auf Dauer nur im Gleichklang mit den Löhnen
und Gehältern entwickeln. Jeder Versuch, diesen Zusam-
menhang aufzuheben, ist eine schwere Belastung für die
Nachhaltigkeit der Rentenfinanzierung. Deswegen war
und bleibt – ich sage das nach der Wahl so deutlich wie
vorher – die Rentengarantie der Großen Koalition ein
Akt des Populismus. Das muss man hier sehr deutlich so
benennen.


(Beifall bei der FDP – Klaus Ernst [DIE LINKE], an die CDU/CSU gewandt: Jetzt müsst ihr klatschen! Das ist euer Koalitionspartner!)


Damals wurde diese Garantie, Herr Heil, noch mit dem
beschwichtigenden Hinweis verbunden, sie werde ja nie
greifen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sieht das der Minister auch so?)


Wenn es nun anders kommen sollte und die Garantie
greift, gilt das, worauf wir immer hingewiesen haben,
dass nämlich die Rentengarantie der Großen Koalition
ein vergiftetes Geschenk gewesen ist, ein Geschenk, das
die Beschenkten am Ende selber bezahlen müssen. Die
Rentner, da bin ich mir sicher, werden sich am Ende bei
denen zu bedanken wissen, die ihnen genau das einge-
brockt haben.


(Beifall bei der FDP)


Aber nicht nur Erwerbstätige und Rentner sitzen in ei-
nem Boot, auch Schülerinnen und Schüler, Studenten,
Arbeitslose, Langzeitarbeitslose, Kinder und behinderte
Menschen. Letztlich sind alle Gruppen unserer Gesell-
schaft auf eine starke Wirtschaft angewiesen, weil nur
verteilt werden kann, was zuvor erwirtschaftet wurde.


(Zuruf von der SPD: Stimmt!)


Deswegen ist nach meiner festen Überzeugung ein
strikter Wachstumskurs ohne jede Alternative. Wir müs-
sen versuchen, die Lücke, die durch den stärksten Rück-
gang des Buttoinlandsproduktes in der Geschichte der
Bundesrepublik entstanden ist, möglichst schnell wieder
zu schließen und darüber hinaus zu gehen.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Auf Pump!)


Wir haben in den letzten Jahren gesehen: Die Finan-
zierung der gesellschaftlichen Aufgaben und die Stabili-
sierung der sozialen Sicherungssysteme gelingt am bes-
ten, wenn wir ein hohes Maß an Beschäftigung haben,
wenn möglichst viele Menschen Steuern zahlen und So-
zialversicherungsbeiträge leisten.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt aber eine Binsenweisheit!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinrich L. Kolb
Deswegen müssen wir alle Anstrengungen unternehmen,
damit in der Krise möglichst viele Arbeitsplätze erhal-
ten bleiben und nach der Krise – das ist entscheidend,
Frau Pothmer – der Aufbau neuer Beschäftigung mög-
lichst früh einsetzt und sich auch möglichst stark entwi-
ckeln kann.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Professor Binsen!)


Ein erster Baustein dazu ist das Wachstumsbeschleu-
nigungsgesetz, das in dieser Woche im Deutschen Bun-
destag eingebracht wurde. Weitere Schritte werden fol-
gen.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das eine Drohung?)


Einige davon sind im Koalitionsvertrag bereits benannt;
aber auch manches, was keine Aufnahme in den Koali-
tionsvertrag gefunden hat, wird uns in den nächsten Jah-
ren beschäftigen, beschäftigen müssen.


(Elke Ferner [SPD]: Ah, guck an, das Kleingedruckte!)


Alles, was die Koalition unternimmt, muss sich an der
Zielsetzung einer möglichst hohen Beschäftigung aus-
richten. Das gilt umso mehr, als ich die Einschätzung der
Bundeskanzlerin teile, dass am Arbeitsmarkt der schwie-
rige Teil der Wegstrecke noch vor uns liegt. Wir dürfen
uns dabei nichts vormachen, Herr Heil. Sicher, die
Kurzarbeit hatte und hat eine stabilisierende Wirkung.
Wunder vollbringen kann sie nicht.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Behauptet ja niemand!)


Denn die Kurzarbeit kostet ja nicht nur die Bundesagen-
tur viel Geld, sie belastet eben auch die Finanzen und die
Eigenkapitaldecke der Unternehmen. Die Entlastung der
Unternehmen bei den Lohnkosten im Wege der Kurzar-
beit ist ja nur ein Teil der gesamten Sicht.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber was ist die Alternative?)


Wir dürfen uns außerdem nicht darüber täuschen, dass
die Unternehmen auch weiterhin Leasingraten, Pachtzin-
sen, Abschreibungen und andere Dinge für die Bereit-
haltung von Kapazitäten zu bilanzieren haben, was sich
rapide und nachhaltig auf die Erträge der Unternehmen
auswirkt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das bestreitet doch niemand!)


Deswegen wird es im gewissen Umfang auch unver-
meidlich sein, dass Anpassungsmaßnahmen erfolgen.

Aber gerade, weil das auf uns zukommt, ist es wichtig,
dass wir jetzt in der Krise den Druck zur Beschäftigungs-
anpassung nicht noch durch prozyklische Maßnahmen er-
höhen, wozu sicherlich Beitragserhöhungen gehören
würden. Deswegen habe ich Verständnis für Überlegun-
gen, wie sie der Minister hier auch vorgetragen hat, die
krisenbedingten Kosten der Sozialversicherung mit Steu-
ermitteln zu finanzieren.

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf Pump!)


Ich glaube aber auch, dass in den Fällen, in denen sich
die Inanspruchnahme von Beitragsmitteln nicht rechtfer-
tigen lässt, jetzt ein klarer Strich gezogen werden muss.
Deswegen begrüße ich das im Koalitionsvertrag verein-
barte Auslaufen der staatlich geförderten Altersteilzeit.
Altersteilzeit war und bleibt ein Irrweg.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dadurch sind in vielen Fällen Ältere mit mehr oder we-
niger sanftem Druck aus dem Erwerbsleben und aus den
Betrieben hinausgedrängt worden. Es ist höchste Zeit,
dass der Beitragszahler aus der Haftung entlassen wird.
Es kann auch künftig Altersteilzeit geben, aber dann
bitte auf Kosten der Firmen, die diese wollen.

Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass es in die-
sem Zusammenhang auch aus meiner Sicht ein neues
Angebot an die Versicherten für die Gestaltung des
Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand geben
muss. Die FDP hat ihren Vorschlag dazu schon einge-
bracht. Ich würde mir wünschen, dass sich, nachdem die
Bundeskanzlerin hier gestern gefordert hat, es müsse
Schluss sein mit reflexhaften Reaktionen, alle Fraktio-
nen dieses Hauses, gerne auch unser Koalitionspartner,
diesen Vorschlag einmal unvoreingenommen ansehen.
Es geht darum, Entscheidungsfreiheit zu schaffen und
die Verantwortung des Einzelnen zu stärken – nicht
mehr, aber auch nicht weniger. Für mich ist klar: Gibt es
ein solches Angebot nicht, wird der Druck auf die Er-
werbsminderungsrente dramatisch zunehmen.


(Elke Ferner [SPD]: Absurd, was Sie da erzählen!)


Das ist eine Entwicklung, die angesichts der bereits jetzt
angespannten Rentenfinanzen niemand wirklich wollen
kann.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie reden von Besserverdienenden, die sich das leisten können!)


Die arbeitsmarktpolitischen Instrumente müssen ge-
strafft werden. Das hatte die Große Koalition angekün-
digt, aber nicht wirklich in Angriff genommen. Die Zahl
der Instrumente kann und muss verringert und die Effi-
zienz gesteigert werden. Letztendlich geht es darum, die
Chancen für Arbeitslose und Langzeitarbeitslose auf
eine Rückkehr in das Erwerbsleben möglichst optimal
auszugestalten.

Zum Schluss: Ich begrüße es, dass im Koalitionsver-
trag eine Verständigung darüber herbeigeführt worden
ist, dass es keinen gesetzlichen Mindestlohn geben
wird,


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das wundert uns!)


und dass die Möglichkeit, branchenbezogene Mindest-
löhne einzuführen, eingedämmt wurde.


(Elke Ferner [SPD]: Wir haben doch schon Mindestlöhne!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinrich L. Kolb
Mindestlöhne vernichten Arbeitsplätze. Das wird – da
bin ich mir sicher – auch die Evaluation zeigen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Leistung soll sich lohnen, Herr Kolb!)


Mindestlöhne schaden dem Wettbewerb. Sie vernichten
auch Wohlstand in einer Volkswirtschaft, Herr Heil.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: In 20 europäischen Ländern!)


Wir sollten sehen: Der Normalfall ist immer noch, dass
derjenige, der Arbeit hat, auch davon leben kann. Wenn
der Verdienst nicht in jedem Fall reicht, bedeutet das aus
meiner Sicht keine Bankrotterklärung unseres Sozial-
staates, sondern ist gerade Nachweis seiner Leistungsfä-
higkeit, da wir den nicht ausreichenden Verdienst aufsto-
cken.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich bin am Ende meiner
Redezeit. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ih-
nen, Herr Jung, mit Ihren Mitarbeitern und mit den alten
und neuen Kollegen im Ausschuss. Ich bin gespannt auf
den neuen Vorsitz, den erstmals die Linke stellen wird.
Wir werden in der kommenden Legislaturperiode wich-
tige Aufgaben zu lösen haben, und ich bin sicher: Bei
Offenheit und gegenseitigem Verständnis werden wir
gute Lösungen erarbeiten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700407600

Nächster Redner ist der Kollege Klaus Ernst für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700407700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Minister, ich habe ja Verständnis dafür,
dass Sie sich noch einarbeiten müssen. Aber Sie müssen
deshalb nicht jeden unsinnigen Satz wiederholen: Sozial
ist, was Arbeit schafft. Was heißt das? Auch im alten
Rom, bei den Ägyptern und bei den Griechen gab es Ar-
beit. Das war Sklavenarbeit. Wenn der Satz „Sozial ist,
was Arbeit schafft“ stimmen würde, dann wäre das alte
Rom ein Sozialstaat gewesen. Das werden Sie aber doch
nicht behaupten wollen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie wissen es doch besser! Sparen Sie Ihre Redezeit!)


Wenn Sie nicht begreifen, dass Sie nicht nur für die
Menge an Arbeit, sondern auch für die Qualität der Ar-
beit verantwortlich sind, dann verstehen Sie Ihren Job
falsch.


(Beifall bei der LINKEN)


Sittenwidrige Löhne stehen im Widerspruch zu dem
Satz „Wohlstand für alle“ in Ihrer Koalitionsvereinba-
rung und zu der Aussage „Leistung muss sich lohnen“.
Eine Floristin in Sachsen-Anhalt verdient 4,35 Euro in
der Stunde. Ist das gerecht? Lohnt sich deren Leistung?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Gibt es da einen Tarifvertrag? Wer sind die Tarifparteien?)


Ein Kfz-Handwerker in Schleswig-Holstein verdient
7,01 Euro in der Stunde. Lohnt sich dessen Arbeit? Ist
dessen Leistung vernünftig bezahlt? Ein im Wachdienst
Beschäftigter in Thüringen verdient 4,15 Euro in der
Stunde. Ist das gerecht?


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Wer hat das ausgehandelt?)


Sie haben einen Eid geschworen, dass Sie jedermann
Gerechtigkeit widerfahren lassen. Auch die Niedriglöh-
ner müssen in diesen Eid einbezogen sein, Herr Minister.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Haben da die Gewerkschaften versagt, Herr Ernst? Wie kommen die Löhne denn zustande? Sie sind auch schlauer, als Sie heute tun!)


– Sie, Herr Kolb, wissen ganz genau – so schlau sind
Sie; Sie können aber gerne eine Zwischenfrage stellen,
um meine Redezeit zu verlängern –, dass es Bereiche
gibt, in denen Gewerkschaften nicht die Möglichkeit ha-
ben, einen vernünftigen Lohn auszuhandeln. Wenn Sie
das nicht begreifen, informiere ich Sie gerne über die
Bereiche, in denen das der Fall ist.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das ist ein Armutszeugnis für Sie selbst!)


Jetzt sage ich noch etwas zur Sittenwidrigkeit. Sitten-
widrig ist es, dass Sie akzeptieren, dass die Floristin statt
4,35 nur 2,90 Euro, der Kfz-Handwerker statt 7,01 nur
4,68 Euro und der Beschäftigte im Separatwachdienst
statt 4,19 letztendlich 2,77 Euro in der Stunde verdient.
Das ist Ihre Gerechtigkeit, Herr Jung. Ich halte es für ei-
nen Skandal, dass diese Regierung dazu beiträgt, das
Niedriglohnniveau in diesem Land weiter zu senken.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD)


Zu Ihrem Vorschlag zum Kündigungsschutz.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich habe doch keinen gemacht!)


Es ist schon bemerkenswert: Da sagte die Kanzlerin in
ihrer gestrigen Regierungserklärung:

Wir werden auch die Schutzwirkung des Kündi-
gungsschutzes nicht mindern. Das schafft Vertrauen
und hat auch etwas damit zu tun, das Verhältnis der
Bürger zu ihrem Staat zu verbessern.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Bravo!)


Richtig! Aber ein paar Sätze zuvor sagte sie:

Ebenso werden wir befristete Beschäftigungsver-
hältnisse erleichtern.

Glauben Sie, die Leute sind doof und merken nicht,
was Sie da machen? Wenn Sie das umsetzen, was Sie
vorhaben, dann kommen die Leute noch nicht einmal in
den Genuss des bestehenden Kündigungsschutzes. Den






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Ernst
brauchen Sie also gar nicht zu verschlechtern. Herr Jung,
ein befristet Beschäftigter muss nicht entlassen werden.
Er fliegt einfach raus. Es sind im Übrigen diejenigen be-
troffen, die schon in der Krise rausgeflogen sind. Daher
gibt es trotz der Kurzarbeit eine Steigerung der Arbeits-
losenzahl. Ich sage Ihnen: Wenn Sie bei Ihrer Haltung
bleiben, die Befristung weiter zu öffnen, dann erhöhen
Sie die Arbeitslosigkeit. Auch das ist denkbar ungerecht.

Zur Leiharbeit lese ich in Ihrer Regierungserklärung
überhaupt nichts, Herr Jung. Leiharbeit ist ungerecht.
Bei gleicher Arbeit weniger Geld zu verdienen, ist ein
Skandal.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie unternehmen aber nichts dagegen. Der neue Arbeits-
minister schweigt zu diesem Thema.


(Zuruf des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


– Sie können gerne weiter grölen! Ich bin trotzdem ir-
gendwann einmal fertig.

Ich möchte noch eine Bemerkung zur Rente machen.
Es ist ja lustig: Da weiß die rechte Hand nicht, was die
linke macht. Wie ist es denn mit der Rente mit 60, Herr
Kolb? Darüber habe ich nichts gehört.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das habe ich doch angesprochen!)


Ich habe gedacht, Sie wollen jetzt eine Rente mit 60 ein-
führen. Sie verschweigen, dass die von Ihnen ange-
strebte Rente mit 60 dazu führt, dass die Betroffenen
letztendlich 25 Prozent Abschläge in Kauf nehmen müs-
sen, wenn sie die Rente mit 60 in Anspruch nehmen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist reflexhaft, was Sie machen! Gucken Sie sich das in Ruhe einmal an!)


Selbst die eigenen Leute in der Koalition sagen, dass
dies Unfug ist. Herr Dobrindt von der CSU sagt: Was die
FDP hier als flexible Frühverrentung tarnt, ist in Wahr-
heit ein gigantisches Entlassungsprogramm auf Kosten
der Steuerzahler. – Ich habe mir nicht träumen lassen,
dass ich einmal den Kollegen Dobrindt zitieren muss.
Aber mir bleibt gar nichts anderes übrig.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Er hat es nicht kapiert!)


Was Sie hier verbreiten, ist soziale Kälte. Ich hätte
von dem Minister gern eine klare Antwort auf die Frage:
Gilt nun in Bezug auf die Rentengarantie das, was der
Koalitionspartner sagt, oder gilt das, was Sie vereinbart
haben?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es gilt das, was im Gesetzblatt steht!)


– Herr Kolb, Sie laufen bei dieser Frage rückwärts
schneller, als Sie vorwärts gucken können. Das ist doch
Ihr Problem.


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich würde trotzdem gerne erleben, dass der Minister die-
sen Punkt klarstellt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ihre Redezeit ist abgelaufen!)


Zum Schluss. Sie sagen: Leistung muss sich lohnen.
Wenn Sie für diese Koalitionsvereinbarung nach Leis-
tung bezahlt werden würden, dann müssten Sie ein Jah-
resgehalt abgeben. So ist die Realität.

Ich danke fürs Zuhören.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700407800

Das Wort hat nun die Kollegin Brigitte Pothmer für

die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700407900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In

Deutschland fehlen 5 Millionen Arbeitsplätze. Das Defi-
zit der Bundesagentur für Arbeit ist riesig. 20 Jahre nach
dem Mauerfall ist die Arbeitslosenquote im Osten immer
noch doppelt so hoch wie im Westen. Die Lohnschere
geht immer weiter auseinander.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sieben Jahre davon hat Rot-Grün regiert!)


Geringverdiener bekommen inzwischen nur noch
53 Prozent eines Durchschnittsgehalts. Schlechter, was
diese Lohnschere angeht, sind inzwischen nur noch
Polen und Südkorea.

Immer mehr Menschen, vor allem Kinder, leiden un-
ter Armut in all ihren Erscheinungsformen. Mit anderen
Worten: Die Herausforderungen in der Arbeitsmarkt-
und Sozialpolitik sind wirklich gigantisch. Wenn ich in
Ihren Koalitionsvertrag schaue und mir Ihre Rede heute
anhöre, Herr Jung, dann kann ich nur sagen: Ihre Ant-
worten sind mickrig, völlig ohne Ehrgeiz, völlig ohne
Anspruch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich muss wirklich sagen: Ich fürchte, dass das Schick-
sal der Ausgegrenzten, der Arbeitslosen und der Gering-
verdiener bei Schwarz-Gelb in schlechten Händen ist.
Sie handeln nicht nach dem Sozialstaatsprinzip, das da
heißt: Starke Schultern sollen mehr tragen, wie es Frau
Merkel noch gestern in ihrer Regierungserklärung betont
hat. Sie handeln nach dem Prinzip: Wer hat, dem wird
gegeben. Das ist unchristlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Arbeitsmarktpolitik ist ganz offensichtlich das Stief-
kind dieser Regierung.

Schaut man sich einmal an, wie Sie, Herr Jung, zu Ih-
rem Posten gekommen sind, zu dem wir Ihnen nichts-
destotrotz herzlich gratulieren, dann kann man dazu nur
sagen: Das war der Titel, der noch auf der Resterampe zu
haben war.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Brigitte Pothmer
Alle anderen waren schon weg. Da gab es dann noch
dieses Ressort. Das war der Restposten. Das haben die
Arbeitslosen und diejenigen, die Unterstützung brau-
chen, wirklich nicht verdient.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Herr Jung, Sie selber werden es wahrscheinlich nicht
bestreiten: Bisher hatten Sie mit diesem Themenbereich
nichts, aber auch gar nichts am Hut. Aber ich wäre eine
schlechte Sozialpolitikerin, wenn ich Ihnen nicht sagen
würde: Jeder bekommt eine Chance. Ich will Ihnen aber
auch sagen: Nutzen Sie diese Chance; ansonsten geht es
Ihnen nicht gut.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Weiterhin sage ich Ihnen: Ein bisschen mehr Engage-
ment, als Sie heute in Ihrer Rede an den Tag gelegt ha-
ben, müssen Sie schon zeigen, damit Sie in dieser Frage
bestehen. Ich wünsche Ihnen im Sinne der Arbeitslosen
und derjenigen, die soziale Unterstützung brauchen, viel
Erfolg. Die Herausforderungen sind groß. Sie brauchen
da mehr Engagement, als Sie bis jetzt gezeigt haben.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Bemühen reicht nicht!)


– Mühe geben ist das Gegenteil von Kunst. Genau, das
reicht nicht.

Ich komme zum Koalitionsvertrag. Als ich den Titel
gelesen habe, habe ich gedacht: Immerhin kommt der
Begriff „Zusammenhalt“ vor. Ich muss ganz ehrlich sa-
gen: Das hat mich hoffnungsfroh gestimmt; denn wir ha-
ben es mit einer immer tieferen Spaltung in der Gesell-
schaft zu tun. Als ich den Vertrag aber gelesen habe, hat
sich bei mir – es wird Sie nicht wundern – Ernüchterung
breitgemacht. Denn wenn ich mir allein Ihre Steuer- und
Kindergeldpläne anschaue, komme ich zu dem Ergebnis:
Sie marschieren haargenau in die entgegengesetzte Rich-
tung von dem, was für mehr Zusammenhalt nötig gewe-
sen wäre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie zementieren mit Ihren Plänen eine Dreiklassenge-
sellschaft in der Kinderpolitik. Die Kinder von Besser-
verdienenden sind Ihnen 443 Euro pro Jahr wert. Kinder
von Eltern mit geringen und mittleren Einkommen sind
Ihnen nur noch 240 Euro wert. Aber diejenigen, die es
am allerdringendsten brauchen, bekommen null, zero,
Herr Jung. Das können Sie uns nicht als gerecht verkau-
fen. Das ist eine schreiende Ungerechtigkeit. Das ist
nach dem Motto: Wer hat, dem wird gegeben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Wenn Sie wirklich etwas gegen die soziale Spaltung
tun wollen, dann müssen Sie als Erstes die Regelsätze
für Erwachsene anheben. Zudem müssen Regelsätze er-
rechnet werden, die dem tatsächlichen Bedarf von Kin-
dern und Jugendlichen entsprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Warum hat Rot-Grün das damals nicht gemacht?)


Unterhalb von 420 Euro für Erwachsene und unterhalb
von 280 Euro für Kinder und 330 Euro für Jugendliche
wird es nicht gehen. Zu dieser Frage ist in Ihrem Koali-
tionsvertrag nichts zu finden. Da bewegen Sie sich kei-
nen einzigen Millimeter.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber Sie wissen schon, Frau Pothmer, dass Rot-Grün auch schon mal regiert hat?)


Bei dieser Regierung, Herr Kolb, ist es doch so: Sie
müssen zur sozialen Politik regelrecht verurteilt werden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein, wir haben nur eine andere Auffassung!)


Ich kann Ihnen nur sagen: Von Ihnen haben die Betroffe-
nen nichts, aber auch gar nichts zu erwarten. Die einzige
Chance, die sie bei dieser Regierung haben, ist das Bun-
desverfassungsgericht. Das ist doch ein Armutszeugnis,
Herr Kolb.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das sehen die Menschen offensichtlich anders!)


– Jetzt kommen Sie mir nicht mit Ihren Wählerinnen und
Wählern. 3 Prozent der Wählerinnen und Wähler, die Sie
gewählt haben, bereuen das doch schon heute schmerz-
lich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Lachen bei der FDP)


Herr Jung, der Lackmustest im Kampf gegen Armut
und für Gerechtigkeit ist nicht das Schonvermögen. Der
Lackmustest ist die Anhebung der Regelsätze.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es!)


Noch nicht einmal 1 Prozent aller Betroffenen profitiert
überhaupt vom Schonvermögen. Das ist doch reine
Symbolpolitik, und damit kommen Sie bei uns und bei
den Betroffenen nicht durch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Otto Fricke [FDP]: Wollen Sie keine Erhöhung, oder was?)


Wenn Sie wirklich etwas gegen die soziale Spaltung
bei den Einkommen tun wollen, dann müssen Sie end-
lich flächendeckende Mindestlöhne einführen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


6,5 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland für ge-
ringe Löhne, und von ihnen verdienen 2 Millionen weni-
ger als 5 Euro pro Stunde, Herr Jung. Ihre Antwort
darauf, jetzt sittenwidrige Löhne einzuführen, ist doch
ein Hohn.






(A) (C)



(B) (D)


Brigitte Pothmer

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sittenwidrige Löhne wollen wir nicht einführen! Man kann uns ja vieles vorwerfen, aber sittenwidrige Löhne wollen wir nicht!)


Wissen Sie, dass Ihre sittenwidrigen Löhne zum Beispiel
erst bei Leuten in Sachsen-Anhalt greifen, die 4 Euro pro
Stunde verdienen? Bei 2,80 Euro greifen Ihre sittenwid-
rigen Löhne. Was hat das eigentlich damit zu tun, wenn
Sie sagen: „Arbeit soll sich wieder lohnen“? Diese Men-
schen jedenfalls haben Sie nicht gemeint.


(Beifall bei der SPD)


Wenn Sie dann noch sagen: „Sozial ist, was Arbeit
schafft“,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Frau Pothmer, hören Sie auf! Das wird nicht mehr besser!)


Herr Jung, betrifft das dann auch diese Menschen?


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700408000

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Kurth?


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700408100

Ja.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700408200

Bitte sehr.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700408300

Ich stelle den eigenen Kolleginnen und Kollegen übli-

cherweise keine Zwischenfrage. Aber da Sie, Kollegin
Pothmer, sich danach erkundigt haben, was „Leistung
soll sich wieder lohnen“ heißen solle, frage ich Sie: Hal-
ten Sie es für möglich, dass die FDP diese Worte so ver-
steht, dass diejenigen, die etwas leisten, und diejenigen,
für die es sich lohnen soll, womöglich nicht dieselben
Leute sind?


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700408400

Dass die FDP zu Leistung und zu Löhnen ein gespal-

tenes Verhältnis hat, kann ich an dieser Stelle nur bestäti-
gen. Daher kann ich Ihrer Interpretation folgen. – Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist doch wirklich Kleinkunstniveau, das da aufgeführt wird!)


Herr Jung, bei den Jobcentern handeln Sie nach dem
Motto „Vorwärts, Kameraden, wir marschieren zurück“.
Mitten in der tiefsten Krise der Geschichte der Bundes-
republik, im Jahr 2010, in dem wir alle ein extremes An-
wachsen der Arbeitslosigkeit zu erwarten haben, machen
Sie die Jobcenter zu Großbaustellen. Im nächsten Jahr
werden sich die Beschäftigten mit der Umstrukturierung
ihrer eigenen Einrichtung und nicht etwa mit denjenigen
beschäftigen, die Arbeit und Unterstützung brauchen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja, doch nur, weil Rot-Grün damals eine verfassungswidrige Regelung beschlossen hat!)


– Wir hätten eine Verfassungsänderung durchführen
können. Aber Sie haben dagegen gestimmt. Sie werden
auch dafür verantwortlich gemacht, wenn in dieser
Situation die Unterstützung für Arbeitslose nicht erfol-
gen kann.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das werden wir gelassen abwarten!)


Es ist doch ein Treppenwitz der Weltgeschichte, dass
gerade die FDP, die die Bundesagentur für Arbeit wie
Exorzisten verfolgt hat, und die CDU, die immer gesagt
hat, die einzig Kompetenten in diesem Bereich seien die
Kommunen, dafür sorgen, dass die Kommunen an den
Katzentisch kommen und die Bundesagentur für Arbeit
so stark wird, wie sie nie war. Das wird bei Ihrer Politik
herauskommen.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700408500

Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700408600

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700408700

Das ist auch notwendig.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700408800

Wir brauchen einen Aufbruch in Deutschland für Ar-

beit und Gerechtigkeit. Das, was Sie hier vorgestellt ha-
ben, Herr Jung, ist es wahrlich nicht. Ich kann Ihnen nur
eins versprechen: Wir werden dafür sorgen, dass Sie in
die Strümpfe kommen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700408900

Nächster Redner ist der Kollege Karl Schiewerling

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1700409000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! „Wachstum – Bildung – Zu-
sammenhalt“, der Koalitionsvertrag von Union und FDP
zeigt schon im Titel, dass sich die neue Koalition der
großen Herausforderungen auch und gerade im Bereich
der Arbeitsmarkt- und der Sozialpolitik verantwortungs-
voll annimmt.

Programmatisch konzipiert und pragmatisch umge-
setzt, so wird unser Handeln sein – für mehr Arbeit, für
mehr und sichere Arbeitsplätze, für mehr Krisenfestig-






(A) (C)



(B) (D)


Karl Schiewerling
keit durch Förderung und Qualifizierung und – das ist
zentral – auch für den nötigen Zusammenhalt, für das
gegenseitige solidarische Einstehen durch unsere Sozial-
systeme für diejenigen, die der Hilfe und der Unterstüt-
zung bedürfen.

Vor vier Jahren hatten wir eine andere Situation. Gott
sei Dank haben wir in dieser schwersten Wirtschafts-
krise nicht mehr 5 Millionen Arbeitslose, sondern – lei-
der – etwas mehr als 3 Millionen. Die Zahl der Arbeits-
losen lag schon einmal unter 3 Millionen. Wir wissen,
dass jeder Arbeitslose ein Arbeitsloser zu viel ist; aber
die Ausgangslage ist für die Menschen heute ungleich
besser als die, die wir noch vor 2005 hatten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich nenne Ihnen einen zweiten wichtigen Unter-
schied: Der Unterschied ist der, dass in der Zeit vor 2005
viele Unternehmen Mitarbeiter entlassen wollten, weil
sie ihre Struktur in Ordnung bringen wollten. Derzeit ha-
ben wir die Situation, dass viele Unternehmen ihre Mit-
arbeiter halten wollen, weil sie genau wissen, sie sind
auf die Facharbeiter angewiesen, wenn der Aufschwung
kommt. Genau dafür haben wir das Kurzarbeitergeld
eingeführt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Olaf Scholz!)


Deswegen führen wir das Kurzarbeitergeld fort. Olaf
Scholz war damals der verantwortliche Minister. Aber er
hätte ohne die CDU/CSU nichts machen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD: Oh! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was hätten wir ohne euch gemacht?)


Die Menschen brauchen Sicherheit. Wir müssen Ar-
beitsplätze sichern und neue, zukunftsfähige Arbeits-
plätze schaffen. Natürlich schafft nicht der Staat die Ar-
beitsplätze, sondern die Wirtschaft, aber die Politik muss
für die richtigen Rahmenbedingungen sorgen. Wir müs-
sen uns auch den Fragen stellen: Was passiert mit den
Menschen, deren Qualifikation am Arbeitsmarkt nicht
gefragt ist? Was passiert mit den Menschen, die gesund-
heitliche Einschränkungen haben, aber dennoch ihren
Anteil am Arbeitsleben einbringen wollen und auch ein-
bringen können?

Diesen Herausforderungen werden wir uns stellen,
denn sie sind wichtig für eine solidarische Gesellschaft.
Die Menschen brauchen Sicherheit, und zwar echte und
keine falsche Sicherheit. Mich treibt die Frage um: Was
nutzt den Menschen bei Quelle der Kündigungsschutz,
wenn die Firma in die Insolvenz geht?


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was sagen Sie dazu?)


Daher stellt sich für uns die Frage der Sicherheit neu und
auch anders. Kündigungsschutz und Mitbestimmung
sind nicht nur ein Wesenskern von Arbeitnehmerrechten,
sie sind auch Strukturen betrieblicher Partnerschaft. Aus
diesem Grunde stehen sie für unsere Fraktion nicht zur
Disposition; die Bundeskanzlerin hat dies eindrucksvoll
unterstrichen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Aha!)


Was bringen uns flächendeckende Mindestlöhne,
wenn als deren Folge andere Jobs vernichtet werden?


(Elke Ferner [SPD]: Das kann man auch in Ihre Richtung fragen!)


Ich weiß, über die Auswirkungen streiten die Volkswirt-
schaftler und die Wissenschaftler kräftig; sie fragen sich,
ob das so kommt.


(Elke Ferner [SPD]: Das kann man in Frankreich und in Luxemburg beobachten, was da passiert! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie waren doch in Schweden und in Dänemark!)


Deswegen bleibe ich bei den Grundprinzipien unseres
Staates. In unserem Lande werden Löhne ausgehandelt
und nicht verordnet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Tarifautonomie der Tarifpartner ist ein wichtiger
Teil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung un-
seres Landes.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700409100

Herr Kollege Schiewerling, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Heil?


Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1700409200

Ja.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700409300

Bitte sehr.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1700409400

Herr Kollege, ich habe Ihrer Biografie entnommen,

dass Sie, genau wie ich, ein Christenmensch sind. Sie
haben, glaube ich, sogar einen beruflichen Hintergrund
in diesem Bereich. Wir sind nur unterschiedlicher Kon-
fession; ich bin evangelischer Christ.

Was sagen Sie eigentlich dazu, dass auch Seine Hei-
ligkeit der Papst für Mindestlöhne ist? Hat er keinen
ökonomischen Sachverstand?


(Otto Fricke [FDP]: Er muss sie ja nicht zahlen!)


Das wäre eine Frage, die mich interessiert.

Im Übrigen gibt es in 20 Ländern in Europa einen ge-
setzlichen Mindestlohn. Ich weiß nicht, wie es im Vati-
kanstaat ist.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Arbeit für Gotteslohn!)


Es ist nicht bekannt, dass er Arbeitsplätze vernichtet
hätte. – Können Sie mir das beantworten?






(A) (C)



(B) (D)


Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1700409500

Gerne. – Der Heilige Vater, Papst Benedikt XVI., hat

sich deutlich für Mindestlöhne ausgesprochen, aber er
hat nicht gesagt, in welcher Form die Mindestlöhne zu-
stande kommen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber er ist unfehlbar!)


Er hat nichts von gesetzlichen Mindestlöhnen gesagt.
Vielmehr hat er gesagt, Menschen brauchen ein Min-
desteinkommen.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 4 Euro in der Stunde, ist das ein Mindestlohn?)


Da hat der Heilige Vater völlig recht. Das deckt sich voll
mit den Positionen unserer Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Das ist ja zynisch, was Sie da machen!)


– Nein, Frau Kollegin Ferner, das hat mit Zynismus
überhaupt nichts zu tun. Man muss sich mit den Texten
der katholischen Soziallehre auskennen, übrigens auch
mit der letzten Sozialenzyklika. Wenn man die Enzy-
klika bis zum Ende liest, erkennt man die Zusammen-
hänge, und die sind etwas weiter als der Blickwinkel von
Herrn Heil.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wie es passt, ne?)


Die Tarifautonomie der Tarifpartner ist ein wichtiger
Teil unserer demokratischen Grundordnung; das habe
ich gerade gesagt. Wir brauchen, um sie umsetzen zu
können, starke Gewerkschaften und starke Arbeitgeber-
verbände. Sie sind zentral für das Funktionieren der so-
zialen Marktwirtschaft.

Teilhabegerechtigkeit und Chancengerechtigkeit sind
die beiden Faktoren, die die Menschen in unserer Gesell-
schaft insgesamt und nicht zuletzt unsere Wirtschaft
nach vorne bringen und zukunftssicher machen. Gerade
als Arbeitsmarkt- und Sozialpolitiker sage ich: Ja, wir
brauchen eine prosperierende Wirtschaft. Ohne prospe-
rierende Wirtschaft haben wir keine Perspektiven.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


Arbeitgeber und Arbeitnehmer erwirtschaften ge-
meinsam das, was Voraussetzung für die Gewährleistung
sozialer Sicherheit ist, auch für die Menschen, die
selbst nicht oder nicht mehr im Erwerbsprozess stehen.
Ich füge an dieser Stelle hinzu: Die Wirtschaft, der Staat
und auch die Sozialsysteme leben von Voraussetzungen,
die sie selbst nicht schaffen können. Eine ist, dass genü-
gend Kinder geboren und so erzogen werden, dass sie
tüchtig und lebensfähig sind und voller Begeisterung
und Zukunftsmut unsere Gesellschaft mittragen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Tun Sie mal was für die Kinder!)

Das, was wir auf den Tisch gelegt haben, ist kein Aus-
druck von sozialer Kälte, sondern von verantwortungs-
bewusstem Handeln für die Menschen. Mit dem Schlag-
wort „soziale Kälte“ haben die Oppositionsparteien
versucht, die Wähler zu verunsichern. Das hat nicht
funktioniert. Herr Heil, ich erlaube mir den Hinweis: In
Nordrhein-Westfalen haben mehr Arbeitnehmer die
CDU gewählt als die SPD.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die haben vor dem Heil die Flucht ergriffen! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das wird sich wieder ändern! Haben Sie Ihren Wahlkreis eigentlich gewonnen? – Elke Ferner [SPD]: Das ist das letzte Mal gewesen!)


Wenn Sie jetzt gemeinsam mit Ihren Oppositionskolle-
gen im Deutschen Bundestag glauben, diese Koalition
als einen Popanz darstellen zu können, auf den Sie ein
Scheibenschießen veranstalten können, dann werden Sie
sich wundern. Das hat mit der Wirklichkeit, mit dem,
was im Koalitionsvertrag steht, nichts, aber auch gar
nichts zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Gehe zurück auf Los! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Vor der NRW-Wahl oder danach?)


Teilhabegerechtigkeit und Chancengerechtigkeit ste-
hen eben nicht für unsoziale Härte, sondern sind Maß-
stäbe für soziale Gerechtigkeit auf der Basis christlicher
Wertvorstellungen. Auf diesen Maßstäben und Werten
baut unsere Gesellschaft auf. Das sind Werte, für die die
Menschen in den neuen Ländern vor 20 Jahren auf die
Straße gegangen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Teilhabegerechtigkeit und Chancengerechtigkeit zu
verwirklichen sowie die Verantwortung eines jeden, zu-
nächst nach seinen Möglichkeiten für sich selbst zu sor-
gen, das steht bei uns im Vordergrund. Erst dann, wenn
der Einzelne nicht in der Lage ist, für sich selbst und
seine Familie zu sorgen, stehen ihm unsere Sozialsys-
teme solidarisch zur Seite. Dann allerdings müssen die
sozialen Netze auch tragfähig sein.


(Beifall der Abg. Gitta Connemann [CDU/ CSU])


Die unserer Verfassung zugrunde liegenden Prinzi-
pien der christlichen Soziallehre, nämlich Personalität,
Solidarität und Subsidiarität, sichern die Entfaltung der
Eigenverantwortung und die Freiheit. Das gehört zur
Würde der Menschen. In der Sozialversicherung werden
Freiheit und Verantwortung unter anderem dadurch deut-
lich, dass wir dort eine Selbstverwaltung haben. Ich sage
das, weil im Jahr 2011 die Sozialwahlen anstehen, und
mit Blick auf aktuelle Entwicklungen im Bereich der Be-
rufsgenossenschaften, die gerade dabei sind, die Dinge
selbst zu regeln. Die soziale Selbstverwaltung ist ein Teil
unserer freiheitlichen Ordnung. Diktaturen haben sie ab-
geschafft, Konrad Adenauer hat sie folgerichtig wieder
eingeführt.






(A) (C)



(B) (D)


Karl Schiewerling

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Dann passt mal auf die FDP auf!)


Wachstum, mehr und sichere Jobs, soziale Sicherheit,
Teilhabe- und Chancengerechtigkeit sowie – lassen Sie
mich das hinzufügen – Generationengerechtigkeit, zum
Beispiel hinsichtlich der Verlässlichkeit unseres Renten-
systems, das sind die großen Herausforderungen, vor de-
nen die Union und die Koalition unter Leitung unserer
Bundeskanzlerin Angela Merkel stehen und für die sie
einen klaren Kurs haben. Uns alle treibt um, dass wir es
spätestens ab dem Jahr 2020 oder 2022 in massiver
Weise mit Altersarmut zu tun haben werden. Ich halte
es für notwendig, dass wir in dieser Koalition in den
kommenden Jahren gemeinsam die Weichen dafür stel-
len, dass dies so nicht eintritt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Einige Sätze zur Neuorganisation des SGB II: Die
Koalitionspartner haben sich darauf verständigt, die
Aufgabenwahrnehmung im Bereich des SGB II ohne
Änderung des Grundgesetzes neu zu regeln. Wir wollen
dabei dem Ziel, Hilfe aus einer Hand zu geben, mög-
lichst nahekommen. Die 69 Optionskommunen sollen
weiterbestehen; hier ist Hilfe aus einer Hand eindeutig
geregelt. Wir werden das mit allen Beteiligten, Ländern,
Kommunen, Arbeitnehmervertretern und Bundesagentur
für Arbeit, klären, um eine sachgerechte Lösung zu fin-
den.


(Elke Ferner [SPD]: Die freuen sich schon darauf!)


Dabei muss das Prinzip des Förderns und Forderns unbe-
dingt Bestand haben.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Mal Herrn Laumann anrufen!)


Dieses Prinzip hat sich bewährt und wird im Übrigen
von vielen Menschen gelebt, und zwar auch von denjeni-
gen, die es geschafft haben, aus der Langzeitarbeitslosig-
keit herauszukommen und für sich selbst und ihre Fami-
lien zu sorgen.

Es ist gut, dass die arbeitsmarktpolitischen Instru-
mente flexibilisiert und konzentriert werden, regionale
Entscheidungen erleichtert und mit einem neuen Con-
trollingverfahren effizienter gemacht werden. Ich freue
mich auf die kommenden Jahre. Ich wünsche dem neuen
Bundesarbeitsminister Dr. Franz Josef Jung viel Erfolg
und eine gute Hand bei seiner Arbeit. Wir freuen uns auf
die Zusammenarbeit. Uns allen hier im Hohen Haus in
der jeweils unterschiedlichen Rolle wünsche ich, dass
wir gut zusammenarbeiten – zum Wohle der Menschen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700409600

Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Ferner für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)


Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1700409700

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!

Sehr geehrter Herr Minister, auch von meiner Seite noch
einmal alles Gute für Ihr Amt, auch wenn ich angesichts
Ihres Koalitionsvertrages nicht die Hoffnung habe, dass
am Ende etwas Gutes herauskommt. Herr Schiewerling
hat eben vollmundig verschiedene Dinge erklärt, die zu-
mindest ich im Koalitionsvertrag nicht gefunden habe.
Ich glaube, man kann sich den Koalitionsvertrag auch
gesundbeten; aber das wird Ihnen nicht helfen.

Wir haben es jetzt, 20 Jahre nach dem Mauerfall, wie-
der mit einer Regierung zu tun, die 1998 abgewählt wor-
den ist und die Sozialversicherungsbeiträge durch die
falsche Finanzierung der Deutschen Einheit in nie wie-
der erreichte Höhen getrieben hatte.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Vorsicht mit solchen Theorien!)


Sie sagen, Sie nähmen sich vor, die paritätisch finanzier-
ten Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent zu halten. Da
muss man einmal schauen, welche Lohnzusatzkosten
das betrifft, und auf das Wörtchen „paritätisch“ achten.
Das bedeutet – das sehen wir in der Gesundheits- und in
der Pflegepolitik –, dass die nichtparitätisch finanzierten
Bestandteile durchaus in die Höhe gehen können, wenn
es nach Ihnen geht. Das heißt, Sie versuchen, die Lohn-
zusatzkosten für die Arbeitgeber zu begrenzen, und bei
den Versicherten ist es egal; da wird auch noch politisch
draufgepackt.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben auch im Bereich Soziales eine ganze Reihe
von Prüfaufträgen und, wie könnte es anders sein, eine
Regierungskommission. Ich komme nachher noch da-
rauf zu sprechen. Sie haben außer diesem einen Satz, mit
dem Sie die Regierungskommission beauftragen, keine
einzige Silbe im Koalitionsvertrag zum Thema Alters-
armut. Sie haben nichts dazu geschrieben, dass Alters-
armut am besten dann verhindert wird, wenn die Be-
schäftigten in der Erwerbsphase für gute Arbeit auch
faire Löhne bekommen.


(Beifall bei der SPD)


Im Gegenteil: Sie lehnen Mindestlöhne sogar ab.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie führen 7,50 Euro nach 45 Jahren zu einer Rente über Existenzsicherungsniveau?)


In Ihrem Vertrag steht nichts dazu, dass Altersarmut am
besten verhindert wird, wenn Frauen genauso wie Män-
ner einer existenzsichernden sozialversicherungspflichti-
gen Arbeit nachgehen können, gleiche Aufstiegschancen
und auch eine möglichst ununterbrochene Erwerbsbio-
grafie haben. Im Vertrag steht nichts dazu, dass Alters-
armut am besten verhindert wird, wenn Eltern und insbe-
sondere Alleinerziehende die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf wirklich leben können. Nein, im Gegenteil:
Mit einer Herdprämie wollen Sie die tradierten Rollen-
muster verfestigen und die Kinder auch noch aus den
Bildungseinrichtungen heraushalten.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Elke Ferner
Ich finde in Ihrem Koalitionsvertrag nichts dazu, dass
angesichts vielfältiger werdender Erwerbsverläufe eine
andere Alterssicherung betrieben werden muss, nämlich
am besten in einem Sozialversicherungssystem und nicht
in vielen, die zudem auch nicht zueinander passen. Auch
zum Thema Erwerbstätigenversicherung, über das von
Herrn Laumann vor der Wahl diskutiert worden ist, fin-
det man null. Ursachenbekämpfung ist bei Ihnen Fehlan-
zeige. Sie setzen lieber darauf, dass alles durch
Niedrigstlöhne gerichtet wird.

Eben hat jemand – ich glaube, es war sogar Herr
Kolb – gesagt: Die Rente ist das Spiegelbild dessen, was
im Arbeitsleben an Einkommen erzielt worden ist. – Das
ist richtig. Wenn das so ist, muss man aber dafür sorgen,
dass die Menschen heute so viel verdienen, dass sie in
Zukunft eine armutsfeste Rente bekommen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Dann darf man doch nicht Niedrigstlöhnen das Wort re-
den, und dann darf man auch nicht sittenwidrige Löhne
salonfähig machen. Das ist aber genau das, was Sie mit
Ihrer Maßnahme machen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Überhaupt nicht! Ganz im Gegenteil! Gerade sittenwidrige Löhne sollen dadurch doch verhindert werden!)


– Nein, das ist nicht wahr.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Doch! Natürlich!)


Wenn man ein knappes Drittel unterhalb dessen bleibt,
was ortsüblich ist, dann wäre das, wenn es nach Ihnen
ginge, auch noch sozusagen gesetzlich sanktioniert.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ein Drittel unterhalb des Ortsüblichen wäre sittenwidrig, Frau Kollegin Ferner! Genau das wollen wir verhindern! Verstehen Sie das nicht?)


Die Politik, die Sie hier machen, ist absolut falsch.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie leisten der Lohndrückerei Vorschub, und Sie brin-
gen auch die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen, die or-
dentliche Löhne zahlen, in Bedrängnis. Denn auch sie
werden in diese Abwärtsspirale mit hineingezogen, ge-
nauso wie die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Auch das ist völliger Quatsch!)


Ich finde in Ihrem Koalitionsvertrag kein Wort zu den
Langzeitarbeitslosen, die zum großen Teil ebenfalls
lange Erwerbszeiten hinter sich haben, und kein Wort zu
einer möglichen Verbesserung der Regelungen zur An-
rechnung von Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das sagen ausgerechnet Sie! Liebe Leute, ihr habt elf Jahre regiert! Was habt ihr denn in der ganzen Zeit gemacht?)

– Unsere Vorschläge sind in unserem Regierungspro-
gramm enthalten; das können Sie gerne nachlesen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja, ja! Aber die SPD hat doch elf Jahre lang regiert, Frau Ferner! In dieser Zeit müssen Sie an dieser Stelle doch irgendetwas gemacht haben, wenn Ihnen das so wichtig ist!)


Im Übrigen, Herr Kolb, können Sie mir auch gerne eine
Zwischenfrage stellen, wenn Sie Näheres wissen möch-
ten. – Ich wiederhole: Zu der Gruppe der Langzeit-
arbeitslosen mit langen Beschäftigungszeiten findet man
in Ihrem Koalitionsvertrag kein Wort. Wir haben dazu
Vorschläge gemacht.

Nichts zu lesen ist auch vom Instrument der Rente
nach Mindesteinkommen, von dem die Möchtegern-
Arbeiterführer Rüttgers und Laumann vor der Wahl im-
mer gerne gesprochen haben. Jetzt schweigen sie. Dieses
Thema wird vor der NRW-Wahl wahrscheinlich wieder
hochkommen. Dass sich die beiden Herren ab und zu
gerne ein soziales Tarnmäntelchen umhängen, wird sich
auf die konkrete Regierungsarbeit sicherlich nicht aus-
wirken.

Sie haben es versäumt, Wege aus dem Niedriglohn
aufzuzeigen. Im Gegenteil, durch die Erhöhung der Zu-
verdienstgrenzen wird sich die Zahl derer, die auf zu-
sätzliche Transferleistungen angewiesen sind, erhöhen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein! Im Gegenteil! Wir bauen ihnen eine Brücke in das Erwerbsleben, Frau Ferner! Sie verstehen das nur nicht! Das ist das Problem!)


Ich frage mich wirklich: Wenn der Spruch „Leistung soll
sich wieder lohnen“ stimmt, was ist dann mit der Hotel-
angestellten, deren Chef von seinen Gästen jetzt nur
noch 7 Prozent Mehrwertsteuer zu erheben braucht, der
seiner Reinigungskraft, die die Zimmer saubermacht,
aber nicht einmal 1 Cent mehr auf ihren ohnehin niedri-
gen Lohn draufpacken muss?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Woher wissen Sie das denn?)


Was ist mit der Verkäuferin? Was ist mit der Friseurin?
Lohnen sich deren Leistungen nicht, nur weil sie zu ge-
ringe Stundenlöhne bekommen? Dieses Leistungsver-
ständnis ist menschenverachtend.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch was das Thema Alterssicherung betrifft, ist Ab-
tauchen Ihr Motto; denn außer blumigen Prüfaufträgen
steht dazu in Ihrem Koalitionsvertrag nicht viel. Ich
hätte mit Ihnen gerne auch über konkrete Vorschläge der
SPD diskutiert; aber Sie sind nicht sprachfähig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wenn ich Sie frage: „Was ist mit der Fortführung der ge-
förderten Altersteilzeit?“,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann sagen wir Nein!)







(A) (C)



(B) (D)


Elke Ferner
dann sagen Sie gemeinsam Nein.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja!)


Das ist ein Fehler.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein! Das ist richtig!)


Wenn ich Sie frage: „Was ist mit einer Verbesserung der
Möglichkeiten bei der Teilrente?“, dann funkt es aus Ih-
rer Richtung allerdings schon unterschiedlich. An dieser
Stelle muss ich Ihnen sagen: Dass der Vorschlag der
FDP, der Abschläge in Höhe von 25,2 Prozent vorsieht,
wenn man mit 60 Jahren in Rente geht, umgesetzt wird,
können sich selbst die meisten FDP-Wähler nicht leis-
ten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Niemand wird dazu gezwungen, Frau Ferner! Das ist eine freiwillige Entscheidung!)


Was wird – diese Frage sollte uns eigentlich alle be-
schäftigen – aus den Menschen, die älter und leistungs-
gemindert sind? Wie können wir diesen Menschen zu
einer Arbeit verhelfen, die es ihnen ermöglicht, im Ar-
beitsprozess zu bleiben und die Regelaltersgrenze nicht
aus der Arbeitslosigkeit heraus zu erreichen? Dazu fin-
det man in Ihrem Koalitionsvertrag kein Wort.

Ich muss sagen: Die Prüfaufträge, die Sie formuliert
haben, sind wirklich „klasse“. Als Beispiel nenne ich das
Thema Erwerbsminderungsschutz.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist viel zu viel Klein-Klein, was Sie da vortragen, Frau Ferner!)


– Nein, das ist kein Klein-Klein, sondern das zeigt, wes
Geistes Kind Sie sind, Herr Kolb.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Bei der Erwerbsminderungsrente soll geprüft werden,
ob der Kreis ein Quadrat ist: Das Erwerbsminderungs-
risiko soll kostenneutral in der privaten Altersvorsorge
abgesichert werden. Jeder weiß: Wenn man mehr Risiko
absichern will, muss man entweder den Input vorne er-
höhen oder das, was hinten herauskommt, kleiner ma-
chen; anders geht das nicht. Dazu trauen Sie sich nichts
zu sagen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Man muss die Konditionen verändern!)


Sie haben keine Lösungen, auch nicht für Menschen
mit Behinderungen. Sie erklären zwar, Sie wollen einen
Aktionsplan machen; aber wie ich Sie kenne, wird er au-
ßer lauen Absichtserklärungen, unverbindlichen Emp-
fehlungen und billigen Appellen an wen auch immer
nichts beinhalten. Ich hätte mich gefreut, wenn im Koali-
tionsvertrag Konkretes gestanden hätte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ihre Sozialpolitik kann man nicht mehr als voraus-
schauend und aktiv bezeichnen. Sie haben sich von einer
vorausschauenden und aktiven Sozialpolitik verabschie-
det. Sie spalten unsere Gesellschaft, anstatt sie zu-
sammenzuführen. Von Zusammenhalt kann bei Ihrer So-
zialpolitik keine Rede sein. Sie legen die Axt an ein
Sozialsystem, um das uns viele auf der Welt beneiden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nie war das Armutsrisiko in Deutschland so hoch wie nach elf Jahren SPD-Regierung!)


Wenn Sie nicht in letzter Minute zur Vernunft kommen
– bei Ihnen, Herr Kolb, habe ich wenig Hoffnung –, wird
eine sozialpolitische Eiszeit in unserem Land Einzug
halten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Diese Masche hat schon im Wahlkampf nicht funktioniert!)


Wir werden kritisch sein. Sie können versichert sein,
dass wir unsere Alternativen deutlich machen werden.
Viele werden noch vor dem ersten Gesetzgebungsver-
fahren der Koalition bereuen, eine dieser drei Parteien
gewählt zu haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700409800

Nächster Redner ist der Kollege Johannes Vogel für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Vogel (FDP):
Rede ID: ID1700409900

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Die Bundeskanzlerin hat gestern gesagt: Wir
müssen zunächst analysieren; erst dann können wir ei-
nen Lösungsweg aufzeigen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der FDP: Und was die Bundeskanzlerin sagt, ist grundsätzlich richtig!)


Das ist natürlich grundsätzlich richtig.

Schauen wir uns an, was das für den Bereich Arbeit
und Soziales heißt. Wir stehen vor drei Herausforderun-
gen: Erstens ist da die Wirtschaftskrise mit all ihren Aus-
wirkungen, zweitens sind da die Belastungen, die durch
den demografischen Wandel auf die Sozialsysteme zu-
kommen, und drittens ist festzuhalten, dass der Sozial-
staat heute oft unfair zu den Betroffenen ist. Allen drei
Herausforderungen wird sich diese Regierung stellen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Schauen wir uns an, was die Koalition vorhat. Wir
wollen Wachstum durch Steuererleichterungen. Ei-
nen Schwerpunkt wollen wir auf Bildung setzen. Das
schafft Arbeitsplätze und wird den Menschen wieder
Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt geben.


(Elke Ferner [SPD]: Das glaubt kein Mensch!)


Wir müssen die sozialen Sicherungssysteme moderni-
sieren und sie zukunftsfähig machen, indem wir den
Weg der Kapitaldeckung, der bei der Rente eingeschla-






(A) (C)



(B) (D)


Johannes Vogel (Lüdenscheid)

gen worden ist, fortsetzen und endlich auch bei der
Pflege damit beginnen, auf Kapitaldeckung umzustellen
und damit einen historischen Irrtum zu korrigieren. Im
Bereich der Krankenversicherung wollen wir endlich
Wettbewerb schaffen, damit die Menschen auch in Zu-
kunft gegen die sozialen Risiken abgesichert sind.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Beides – das sage ich als Vertreter der jüngeren Gene-
ration – ist auch für die Jüngeren in unserem Land genau
das Richtige. Denn wir, die Jungen, sind diejenigen, die
die Unternehmen in der Wirtschaftskrise als Erste entlas-
sen. Darüber hinaus sind die Jungen besonders darauf
angewiesen, dass die sozialen Sicherungssysteme auch
in den nächsten Jahrzehnten noch funktionieren. Genau
darauf gibt diese Regierung eine Antwort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Schauen wir uns nun an, was wir im Bereich der Ge-
rechtigkeit tun wollen. Es geht um Gerechtigkeit für die-
jenigen, die auf die Solidargemeinschaft angewiesen
sind. Eben wurde gesagt, die Erhöhung des Schonver-
mögens von Hartz-IV-Empfängern betreffe nur einige
wenige.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Man muss aber auch einmal sehen, welche Ethik dahin-
tersteht: Es geht darum, dass in Deutschland derjenige,
der eigenverantwortlich für das Alter vorgesorgt hat,
endlich nicht mehr bestraft, sondern belohnt wird. Das
ist eine der zentralen Fragen im Bereich der sozialen Si-
cherung. Die bisherige Regelung war unfair.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Schauen wir uns nun an, was wir im Bereich des Zu-
verdienstes machen wollen. Es wird immer so getan, als
wäre die Erhöhung des Schonvermögens von Hartz-IV-
Empfängern das Einzige, was diese Regierung im Be-
reich der Solidarität vorhat.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warten wir mal ab!)


Als Vertreter der FDP sage ich mit Stolz, dass wir hier
ein wesentliches Element des Bürgergeldes, das die Li-
beralen vorschlagen, einführen werden.


(Beifall bei der FDP)


Es geht darum, dass jemand, der auf die Unterstützung
der Solidargemeinschaft angewiesen ist und sich etwas
dazuverdienen möchte, nicht mehr vor der Situation
steht, dass er – in meinen Augen eine der größten Unge-
rechtigkeiten, die wir in Deutschland haben – dann nicht
mehr hat, als wenn er es nicht täte. Das ist unfair, und es
ist ein Fehlanreiz. Es ist gut, dass wir das endlich korri-
gieren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn ich mir einmal anschaue, was die Opposition
im Laufe des Tages zum Koalitionsvertrag gesagt hat,
dann finde ich eine Reaktion von Ihnen, Herr Heil, be-
sonders spannend. Das haben Sie eben nicht so klar ge-
sagt, aber heute Morgen in der Debatte zum Bereich
Wirtschaftspolitik. Dort haben Sie nämlich die Leistun-
gen aufgrund der Agenda 2010 der rot-grünen Regierung
gelobt. Es ging um die Leistungen im Bereich des Ar-
beitsmarktes und die Reaktionen auf die Krise. Herr
Heil, das Problem ist doch, dass Sie sich jetzt gar nicht
mehr konsequent dazu bekennen, dass Sie den Sozial-
staat modernisieren wollen.


(Elke Ferner [SPD]: Wenn Sie modernisieren wollen, dann holzen Sie ab!)


Was wir machen, ist: Wir führen zum Beispiel den
richtigen Gedanken im Bereich der Rentenversicherung,
wo Sie eine größere Kapitaldeckung einführen wollten,
fort und übertragen ihn auf den Bereich der Pflege.
Gleichzeitig korrigieren wir die Ungerechtigkeiten, die
Sie im Bereich Hartz IV eingebaut haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der Heil ist auf der Flucht!)


Zum Schluss will ich noch eines dazu sagen, was die
Kollegin der Grünen eben ausgeführt hat – auch die Kol-
legin Ferner hat es eben anklingen lassen –, nämlich uns
würden die Wähler davonlaufen: Ich möchte Sie nur
ganz entspannt auf die heutige Forsa-Umfrage hinwei-
sen. Bei Forsa wird die SPD, wie ich weiß, immer ein
bisschen nervös, aber bei der Bundestagswahl war das ja
ein ganz gutes Institut; es hat das Ergebnis ganz gut vor-
hergesagt. Schauen Sie auf die heutige Forsa-Umfrage.
Danach hat die FDP 1 Prozent zugelegt, und die Regie-
rung hat 2 Prozent mehr Unterstützung als am 27. Sep-
tember 2009.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So machen Sie Politik: über Umfragen! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 3 Prozent weniger, Herr Vogel! – Zuruf von der SPD: Nachdem sie vorher 3 Prozent verloren hatte!)


Ich kann feststellen: Die Menschen begreifen, dass
wir ihnen Perspektiven geben und den Sozialstaat fairer
machen, und das werden Sie am Ende der Legislatur-
periode auch erleben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1700410000

Herr Kollege Vogel, das war Ihre erste Rede hier im

Parlament.


(Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär: Merkt man gar nicht!)


Ich gratuliere Ihnen dazu sehr herzlich und wünsche Ih-
nen weiterhin so viel Tatkraft und Schwung, wie Sie sie
gerade in dieser Rede zum Ausdruck gebracht haben,
eine glückliche Hand und viel Erfolg.


(Beifall)







(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Kipping für
die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700410100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Noch

kurz vor den Wahlen forderten die Unionsländer recht öf-
fentlichkeitswirksam mehr Geld für Kinder in Hartz IV.
Sucht man im Koalitionsvertrag jetzt nach höheren
Hartz-IV-Regelsätzen für Kinder, so muss man sagen:
Fehlanzeige!

Nun mögen Sie einwenden, dafür gebe es eine
Kindergelderhöhung. Diese Kindergelderhöhung sieht
aber wie folgt aus: Ein Ehepaar mit einem Kind, das ein
Jahreseinkommen von einer halben Million Euro hat,
profitiert davon mit über 400 Euro, während ein Ehepaar
mit einem Kind, das ein Jahreseinkommen von nur
20 000 Euro hat, nur rund die Hälfte davon bekommt.
Dass Alleinerziehende, die auf Hartz IV angewiesen
sind, davon mit 0 Euro profitieren, wurde bereits ange-
sprochen. Das ist keine Familienförderung. Ich nenne
das Reichtumsförderung.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Um es mit anderen Worten zu sagen: Die schwarz-
gelbe Koalition, die gerne auch einmal als Tigerenten-
koalition bezeichnet wird, hat vielleicht versucht, in
puncto Familienförderung als Tiger zu starten, sie ist
aber als Bettvorleger für das Klientel der Vermögenden
und Reichen gelandet.

Die Linke hat einen anderen Ansatz. Wir sagen: Wir
brauchen eine eigenständige Kindergrundsicherung. –
Deswegen legen wir Ihnen auch einen Antrag vor, in
dem ganz klar vorgesehen ist: Der Kinderregelsatz muss
eigenständig berechnet werden; denn ein Kind ist mehr
als einfach nur ein halber Erwachsener.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Koalitionsvertrag heißt es:

Wir wollen das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche
Arbeit“ für Frauen und Männer …

So weit, so gut. Schaut man aber wieder nach konkreten
Maßnahmen, so stellt man fest, dass es lediglich bei
halbherzigen Appellen an die Wirtschaft bleibt. Solange
die Politik gegenüber der Wirtschaft nur in der demüti-
gen Pose des Bittstellers auftritt, wird diese grundle-
gende Gerechtigkeitslücke nicht geschlossen. Wir als
Linke sagen: Wir brauchen verbindliche Vorgaben, da-
mit endlich wirklich „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“
gilt;


(Beifall bei der LINKEN)


denn es ist nicht hinnehmbar, dass Frauen im Durch-
schnitt immer noch ein Viertel weniger verdienen als
Männer.

Im Koalitionsvertrag wird auch das Bürgergeld er-
wähnt – zum Glück nur als Prüfauftrag. Nun gibt es ja
gelegentlich Irritationen darüber, was damit überhaupt
gemeint ist. Ich finde, an dieser Stelle sollte man einmal
klar darstellen, was mit dem Bürgergeld à la FDP ge-
meint ist. Es bedeutet 662 Euro, mit denen man alles
bezahlen muss, nicht nur die Miete und die Lebenshal-
tungskosten, sondern auch die Krankenversicherungs-
beiträge.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein!)


– Sie brauchen nicht zu widersprechen. Mir liegen Ihre
Parteitagsbeschlüsse vor.


(Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Dann müssen Sie sie auch lesen! Dann können Sie es verstehen!)


Das Bürgergeld à la FDP heißt auch schärfere Sank-
tionen. Im Klartext: Das Bürgergeld der FDP bedeutet
Hartz IV XXL. Anstatt Hartz IV XXL meinen wir als
Linke: Wir brauchen vielmehr eine sanktionsfreie Min-
destsicherung.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir als Linke fordern deswegen eine Erhöhung der Re-
gelsätze auf 500 Euro, die Streichung des Sanktionspara-
grafen 31 SGB II und die Abschaffung der Bedarfsge-
meinschaft.

Im Koalitionsvertrag heißt es auch: Zweckgebundene
Transferleistungen müssen den Vermieter erreichen. –
Im Klartext heißt das, dass die Kosten für die Unterkunft
für Hartz-IV-Beziehende, so steht es zumindest zu be-
fürchten, zukünftig direkt vom Amt an den Vermieter
gezahlt werden. Dann hätten die Mieter, die auf Hartz IV
angewiesen sind, kaum mehr die Möglichkeit, gegen-
über dem Vermieter ihre Rechte wahrzunehmen.

Stellen wir uns einmal eine Wohnung vor, in die es hi-
neinregnet und in der die Fenster nicht mehr ordentlich
schließen, aber bei der der Vermieter nichts unternimmt.
Normalerweise könnte dann ein Mieter eine Mietminde-
rung geltend machen. Aber wenn die Regelung in Ihrem
Koalitionsvertrag greift, wird das in Zukunft nicht mehr
möglich sein. Insofern kritisiert der Mieterbund diese
Regelung mit gutem Recht. 4 Millionen Haushalte wer-
den durch Schwarz-Gelb quasi entmündigt. Die Linke
steht in dieser Frage ganz klar an der Seite des Mieter-
bundes.


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der FDP)


Um es zusammenzufassen: Schwarz-Gelb verfolgt
den Kurs der Entsolidarisierung. Wir meinen jedoch:
Nötig wäre ein ganz anderer Kurs, und zwar ein Kurs in
Richtung Teilhabegerechtigkeit. Nötig wäre ein Auf-
bruch in eine Gesellschaft, in der niemand unter die Rä-
der kommt. Doch dafür steht Schwarz-Gelb nun wahr-
lich nicht.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben ja schon einmal einen Staat in die Insolvenz geführt, Frau Kipping!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700410200

Das Wort hat der Kollege Max Straubinger von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Max, das ist eine gute Gelegenheit, alles klarzustellen!)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1700410300

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Angesichts dieser Debatte hat man den Eindruck, der
Wahlkampf wird von den Oppositionsparteien fortge-
führt, von links bis grün. Es wird ein Zerrbild der sozia-
len Situation der Menschen in Deutschland und unseres
Sozialstaates insgesamt gezeichnet.

Es ist viel besser, darzustellen – der Herr Bundes-
minister Franz Josef Jung hat das sehr eindrucksvoll ge-
tan –, dass vor allen Dingen die Arbeits- und Sozialpoli-
tik in dieser Bundesregierung einen hohen Stellenwert
hat. Natürlich hat dies gestern die Frau Bundeskanzlerin
Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung ebenfalls
dargestellt. Sozialpolitik wird bürgerlich-liberal und zu-
kunftsfest gestaltet.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Befürchtungen der Opposition, in Deutschland
würde die soziale Kälte ausbrechen, sind völlig unbe-
gründet. Vor allen Dingen das Bild, das die Frau Kolle-
gin Pothmer gezeichnet hat, wird der Wirklichkeit nicht
gerecht.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann widerlegen Sie mich doch mal!)


– Frau Pothmer, alle Leistungen des Sozialstaats in
Deutschland haben ein Volumen von insgesamt
750 Milliarden Euro. Dieses Geld stammt aus den Bei-
trägen der Versicherten und aus Steuergeldern. Das ist
alles erwirtschaftetes Geld zur sozialen Unterstützung
der vielen Menschen, die dieser Unterstützung bedürfen
und diese benötigen. Angesichts dessen sollte man nicht
ein so verzerrtes Bild zeichnen, wie Sie es heute getan
haben, Frau Pothmer.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Auch wenn das der Kollege Ernst infrage gestellt hat:
Der Abbau der Arbeitslosigkeit hat in dieser Bundes-
regierung Vorrang. Das ist beste Sozialpolitik für die
Menschen.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


Jeder, der sich durch seiner eigenen Hände Arbeit seinen
Lebensunterhalt verdienen kann, ist damit natürlich auch
sozial gut abgesichert. Diese Errungenschaft wollen wir
in der Bundesregierung beibehalten. Auch ich möchte
noch einmal das feststellen, was auch der Kollege Karl
Schiewerling schon gesagt hat: Am Anfang der Regie-
rungstätigkeit der Union gemeinsam mit der SPD nach
Ablösung von Rot-Grün hatten wir 5 Millionen Arbeits-
lose. Jetzt sind es 3,2 Millionen.

(Zuruf von der SPD: Warten wir mal ab!)


Wir werden trotz dieser Schwierigkeiten, die mit der
Weltwirtschaft, der Finanzkrise und den daraus resultie-
renden wirtschaftlichen Folgen verbunden sind, mit
einer bürgerlich-liberalen Regierung weiterhin dafür sor-
gen, dass die Menschen in Arbeit kommen und dement-
sprechend selbst Zukunftschancen erarbeiten können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es gilt auch zum Ausdruck zu bringen, dass die Men-
schen besonders im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit
gesichert sind und dass wir eine vorbildliche Renten-
politik mit weiterführen. Ich glaube, dass die Renten-
garantie, die wir im vergangenen Jahr mitbeschlossen
haben, wichtig und richtig ist. Sie ist auch Ausdruck un-
seres Sozialstaatswesens, und wir sollten sie im Sinne
der Bürgerinnen und Bürger und der Rentnerinnen und
Rentner beibehalten. Dies entspricht meines Erachtens
auch der Kontinuität in der Rentenpolitik.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist auch wichtig, Menschen mit körperlichen Ein-
schränkungen oder Behinderungen ebenfalls Teilhabe
am Erwerbsleben zu ermöglichen. Wir werden mit dem
Aktionsplan eine neue Grundlage dafür schaffen. Beson-
ders entscheidend ist, dass wir auch Menschen, die aus
irgendwelchen Gründen keiner Erwerbstätigkeit nachge-
hen können, soziale Unterstützung gewähren.

Ich glaube, diese Bundesregierung hat mit dem Koali-
tionsvertrag, der in den kommenden vier Jahren abgear-
beitet wird, bereits die Grundlagen dafür geschaffen.
Aber zusätzlich ist es mitentscheidend, dass die Wirt-
schaft in Gang gesetzt wird. Mit dem Gesetz zur
Beschleunigung des Wirtschaftswachstums legen wir
die Grundlagen dafür, dass es Wirtschaftswachstum gibt,
um damit auch mehr Arbeitsplätze in Deutschland zu
schaffen. Das war der Erfolg der vergangenen Regie-
rung. Die Senkung der Lohnnebenkosten – ich erin-
nere daran, dass sie am Ende von Rot-Grün bei 42 Pro-
zent lagen; danach sanken sie unter 40 Prozent – zeigt
sehr deutlich die Handschrift der Union in diesem Be-
reich.


(Zuruf von der SPD: Niedriger als zu Ihrer Regierungszeit! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: 1998, Herr Straubinger!)


Das hat zu einem Arbeitsplatzaufbau in Deutschland ge-
führt. Diesen werden wir mit einer Senkung der Kosten
in den Betrieben zusätzlich verstärken.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700410400

Herr Kollege Straubinger.


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1700410500

Moment, Herr Präsident. – Damit werden wir die Ar-

beitslosigkeit verringern und mehr Arbeitsplätze in unse-
rem Land schaffen. – Jetzt, Herr Präsident.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700410600

Ja, sehr gerne. Herr Kollege Straubinger, würden Sie

eine Zwischenfrage des Kollegen Schaaf zulassen?


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1700410700

Dem geschätzten Kollegen Schaaf kann ich das nicht

verwehren.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das bringt Redezeit!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700410800

Bitte schön, Herr Schaaf.


Anton Schaaf (SPD):
Rede ID: ID1700410900

Geschätzter Herr Kollege Straubinger, ich kenne Sie

als engagierten Arbeitsmarkt- und Sozialpolitiker. Sie
haben sich eben ausdrücklich für die Unionsfraktion zu
der Rentengarantie bekannt. Wenn Sie der Opposition
vorwerfen, sie mache heute im Plenum permanent Wahl-
kampf, dann kann ich umgekehrt feststellen, dass Sie
mitten in den Koalitionsverhandlungen sind. Ihr Kollege
Kolb hat eben gesagt, die Rentengarantie sei ein Kardi-
nalfehler gewesen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein! Ich habe gesagt, es war Populismus! Das ist ein Unterschied!)


Sie sagten gerade, die Rentengarantie habe Bestand. Ich
und sicherlich auch die interessierte Öffentlichkeit – ins-
besondere die Rentnerinnen und Rentner – würden gerne
wissen, was gilt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es gilt das, was im Bundesgesetzblatt steht!)


Wird diese Koalition eine Initiative ergreifen, die von
uns eingeführte Rentengarantie wieder abzuschaffen?
Darauf hätten ich und sicherlich auch das geneigte Publi-
kum gerne eine Antwort.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Das war der erste Punkt.

Zweiter Punkt. Ich habe wirklich den Eindruck, Sie
sind noch in den Koalitionsverhandlungen. Herr Kolb
hat klipp und klar noch einmal das liberale Konzept der
Rente ab 60 mit den bekannten Folgen von 25 Prozent
Abzügen dargestellt,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist Quatsch! Es stimmt nicht!)


sodass sich das ein normaler Arbeitnehmer oder eine
normale Arbeitnehmerin nie leisten könnte. Mich inte-
ressiert, ob es Ihrerseits in dieser Legislaturperiode eine
Initiative zu diesem Thema geben wird.

Herr Kollege Straubinger, ich kenne Sie als engagier-
ten Kollegen. Wenn Sie Ihre Koalitionsverhandlungen,
die Sie gerade hier führen, ein bisschen erläutern kön-
nen, wäre ich sehr dankbar.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1700411000

Herr Kollege Schaaf, ich bin Ihnen sehr dankbar für

diese beiden Fragen.

Erstens. Der Kollege Kolb hat ausgeführt – ich habe
das ausdrücklich mitgeschrieben –, dass die Renten-
garantie ein Akt des Populismus gewesen ist. Das ist
aber eine Bewertung der Vergangenheit. Der Kollege
Kolb steht genauso wie die gesamte Koalition zur Ren-
tengarantie.


(Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es gilt das Bundesgesetzblatt!)


Das ist auch im Koalitionsvertrag letztendlich sichtbar.


(Zuruf von der SPD: Wo steht das?)


Zweitens. Im Koalitionsvertrag steht nichts davon,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Genau!)


dass wir ein neues Rentenmodell kreieren wollen. Wir
stehen auf den Grundlagen der Rente mit 67 – ich hoffe,
dass auch die SPD-Kollegen das zukünftig weiterhin
tun –, weil es unter dem Gesichtspunkt der Generatio-
nengerechtigkeit richtig war, die Rente mit 67 einzufüh-
ren. Die ehemaligen Bundesminister Franz Müntefering
und Olaf Scholz stehen für die Rente mit 67. Auch Sie,
Herr Kollege Schaaf, haben sie vertreten. Unter dem Ge-
sichtspunkt der Generationengerechtigkeit und ange-
sichts der Chance, Gott sei Dank eine höhere Lebenser-
wartung zu haben, ist eine längere Lebensarbeitszeit
notwendig. – Herr Schaaf, bitte setzen Sie sich nicht. Ich
bin noch nicht ganz fertig.

Wenn im Jahr 2027 das Renteneintrittsalter bei 67
liegt, dann hat die Lebenserwartung in Deutschland um
drei Jahre zugenommen. Das bedeutet, dass wir bereits
in der Vergangenheit eine generationengerechte Renten-
politik betrieben haben. Das wird auch in der Zukunft so
sein. – Ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre Zwischen-
frage, Herr Schaaf.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700411100

Herr Kollege Straubinger, diese Frage hat beim Kolle-

gen Kolb den Wunsch ausgelöst, auch eine Zwischen-
frage zu stellen.


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1700411200

Er ist mindestens genauso geschätzt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700411300

Bitte schön, Herr Kolb.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1700411400

Das hoffe ich doch, Herr Kollege Straubinger. – Eine

Vorbemerkung: Natürlich steht die FDP auf dem Boden
des geltenden Rechts. Damit ist klar: Alles, was im Bun-
desgesetzblatt steht, ist Ausgangspunkt des Regierungs-
handelns dieser bürgerlichen Koalition. Ungeachtet des-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinrich L. Kolb
sen werden wir natürlich immer wieder mit guten
Vorschlägen die Arbeit in der Koalition beleben.

Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, Herr
Straubinger, ob Sie genauso wie ich – mit dieser Intonie-
rung will ich das in die Debatte einbringen – Handlungs-
bedarf beim Übergang vom Erwerbsleben in den
Ruhestand und die Notwendigkeit sehen, nach der ge-
meinsam gewollten Abschaffung der Altersteilzeit ein
Instrument zu finden, mit dem sich dieser Übergang
überbrücken lässt.

Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass das,
was Frau Ferner und Herr Schaaf gesagt haben, falsch
ist, nämlich dass das FDP-Modell zwangsläufig mit hö-
heren Abschlägen verbunden ist? Natürlich ist die Rente
mit 60 nur ein Angebot. Die Menschen entscheiden
selbst. Sind Sie auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass es für uns wichtig ist, dass die Entscheidungsfrei-
heit und der Wille des Versicherten berücksichtigt wer-
den, was letztendlich dazu führt, dass die Menschen län-
ger im Erwerbsleben bleiben? Wir wissen – das treibt
uns um –, dass die Menschen, wenn sie länger leben,
auch länger arbeiten müssen. Es geht darum, die Voraus-
setzungen dafür zu schaffen. Eine freie Entscheidung ist
besser als eine starre Regelaltersgrenze. Wir schlagen
daher vor, den Übergang flexibel zu gestalten. Dafür
werden wir bei den Kollegen von der Union werben.
Herr Straubinger, Sie räumen mir sicherlich ein, dass die
Union für Vorschläge auf jeden Fall offen ist und sich
guten Vorschlägen am Ende nicht verschließen wird.


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1700411500

Herr Kollege Kolb, es gibt bereits das Instrument der

Teilverrentung. Wir können sicherlich darüber nachden-
ken, ob es verbessert werden kann. Dieses Instrument
kann den geordneten Übergang vom Erwerbsleben in die
Altersrente erleichtern. Aber grundsätzlich gilt natürlich,
dass die Menschen bei einer höheren Lebenserwartung
länger arbeiten müssen. Das ist generationengerecht.
Das Umlageverfahren, an dem wir festhalten, ist nichts
anderes als ein Generationenvertrag. Wir müssen eine
gute Lösung für beide Generationen, sowohl für die äl-
tere als auch für die jüngere, im Erwerbsleben stehende
Generation finden. Darüber können wir uns noch frucht-
bar austauschen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700411600

Jetzt, Herr Kollege Straubinger, hat auch der Kollege

Beck vom Bündnis 90/Die Grünen den Wunsch, eine
Frage zu stellen.


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1700411700

Das ist heute eine Ehre.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700411800

Herr Kollege Straubinger, angesichts der großen Dif-

ferenzen innerhalb der Koalition wollte ich Sie fragen,
ob Sie vielleicht daran gedacht haben, in der Koalition
so etwas wie gemeinsame Arbeitsgruppen einzurichten,
um Ihre gemeinsame Politik dort zu besprechen, sodass
die deutsche Öffentlichkeit in solchen Debatten über die
Regierungserklärung vielleicht erfährt, was die Politik
dieser Koalition ist, und nicht, was die unterschiedlichen
Standpunkte dieser Koalition sind; denn die Verhandlun-
gen waren schon, jetzt könnte es auch einmal zur Politik
kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das war bei Rot-Grün auch immer interessant!)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1700411900

Herr Kollege Beck, wenn Sie vorhin dem Kollegen

Kolb aufmerksam zugehört hätten, dann wüssten Sie,
dass Herr Kollege Kolb auf den Grundlagen des Koali-
tionsvertrages steht. Ansonsten gibt es zusätzlich in der
FDP noch weitere Diskussionen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Okay, aber nicht in der Koalition?)


– Nein, die Koalition hat einen schönen Koalitionsver-
trag gemacht.

Ich glaube, dass es entscheidend und wichtig ist – da-
mit will ich an meine letzten Ausführungen anschließen –,
die Arbeitsplätze in unserem Land zu stärken. Das ist na-
türlich mit wirtschaftlichem Aufschwung verbunden.
Wir werden die entsprechenden Weichenstellungen vor-
nehmen. Kurzarbeit und Mindestlöhne wurden heute
schon von meinen Vorrednern angesprochen. Ich glaube,
entscheidend ist, dass wir die Vermittlung auf Arbeits-
plätze verbessern und noch schneller gestalten. Wenn
wir wie derzeit 480 000 freie Stellen haben, dann müs-
sen wir alles daran setzen, dass die Vermittlungen
schnell stattfinden.

Was für mich bemerkenswert ist – darüber wird nicht
mehr gesprochen –, ist, dass wir, auf ganz Deutschland
bezogen, mehr Lehrstellen als Lehrstellenbewerber ha-
ben. Erinnern wir uns an die Instrumente der SPD, die
immer eine Ausbildungsplatzabgabe gefordert hat. Es
zeigt sich sehr deutlich, dass diese nicht notwendig ist.
Auch in diesem Bereich muss Flexibilität herrschen, da-
mit auch die letzten Ausbildungswilligen in Lehrstellen
vermittelt werden können. Das werden wir mit einer
effizienten Arbeitsverwaltung – hier danke ich aus-
drücklich Herrn Weise und den Mitarbeitern der Bun-
desagentur für Arbeit für ihren Einsatz – erreichen. Wir
werden die Bundesagentur mit unserem Programm in die
Lage versetzen, die Menschen noch schneller in Arbeit
zu bringen. Dafür stehen unsere Bundeskanzlerin und
unser Bundesminister.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700412000

Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich

liegen nicht vor.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/21, 17/22 und 17/23 an die in der






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe nun den Themenbereich Innen auf.

Das Wort als erster Redner hat der Bundesminister
Dr. Thomas de Maizière.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Als neuer Bundesminister des In-
nern sage ich Ihnen allen meine Bereitschaft zu sehr gu-
ter, offener Zusammenarbeit zu, zuvörderst in und mit
meiner Fraktion, aber genauso mit unserem verehrten
Koalitionspartner,


(Zuruf von der FDP: Das ist gut!)


aber auch mit der Opposition, jedenfalls solange die Op-
position dies wünscht.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Und sich entsprechend verhält! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir freuen uns!)


Mein Verständnis ist, dass der Bundesminister des In-
nern für die innere Verfasstheit, für den inneren Zusam-
menhalt unseres Landes zuständig ist, jedenfalls soweit
der Staat überhaupt zuständig ist; denn die Hauptverant-
wortlichen für den Zusammenhalt unserer Gesell-
schaft sind die freien Bürger, ist die Zivilgesellschaft,
die sich um das öffentliche Gut, um das Gemeinwesen,
die – um einen althergebrachten Ausdruck zu verwenden –
Res publica, kümmert. Für ein gutes Miteinander brau-
chen wir gemeinsamen Gestaltungswillen in Verantwor-
tung und eine Gesellschaft, die verhindert, dass die
Durchsetzung von Eigeninteressen auf Kosten des Zu-
sammenhalts aller geht.

Wichtige Kraftquellen für das Zusammenleben, für
das, was unser Land im Innersten zusammenhält, sind
natürlich zuvörderst die Religionen, aber auch das Eh-
renamt, der Sport, die Bindekräfte, die in den Kommu-
nen entstehen. In all diesen Bereichen wird das Bun-
desinnenministerium seinen Auftrag wahrnehmen, als
Partner, als Fürsprecher, als Gestalter.

Heute denke ich – ich hoffe, ich tue es in Ihrem Na-
men – in besonderer Weise an die Familie von Robert
Enke. Ich wünsche ihr von dieser Stelle aus Trost, Kraft
und Gottes Segen. Dieser tragische Tod soll uns Mah-
nung sein, dass äußerer Erfolg und Glanz nicht alles sind
im Leben. Manchmal lösen sie vielleicht einen Druck
aus, der übermenschlich ist.

Zum Zusammenhalt der Gesellschaft gehört auch eine
leistungsfähige Verwaltung, die das Funktionieren un-
serer arbeitsteiligen Gesellschaft gewährleistet. Wir
brauchen eine Verwaltung mit tüchtigen Mitarbeitern,
die zügig entscheiden, die klug abwägen, die ihr Ermes-
sen ausüben und die immer daran denken, dass es bei der
Gesetzesanwendung um Menschen geht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich kann und will nun nicht den ganzen Zuständig-
keitsbereich meines schönen großen und – ich sage mit
Stolz – klassischen Ministeriums durchgehen, sondern
ich will mich auf vier Punkte beschränken:

Erstens. Ein gutes Miteinander, der Zusammenhalt
der Gesellschaft funktionieren nicht ohne Sicherheit.
Wer sich nicht sicher fühlt, baut Mauern um sich herum
und schottet sich ab. Sicherheit ist ein öffentliches Gut
und keine Privatsache.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Innere Sicherheit des Einzelnen ist eigentlich nichts, was
man gemeinhin mit Polizeiarbeit und Ähnlichem verbin-
det. Innere Sicherheit ist etwas, was Menschen ausstrah-
len können und worum sie sich bemühen. Eine solche
innere Sicherheit des Einzelnen entsteht auch durch öf-
fentliche Sicherheit.

Es ist eine Kernaufgabe des demokratischen Staates,
vielleicht seine ursprünglichste Aufgabe, den Ord-
nungsrahmen für die Entfaltung von Freiheit zu
schaffen und zu sichern, Sicherheit in Freiheit zu garan-
tieren. Die Rechtfertigung für das Gewaltmonopol des
Staates beruht gerade darauf, dass sich die Bürger darauf
verlassen können, dass der Staat die Sicherheit für alle
garantiert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wer frei in Verantwortung handelt, soll sich um seine
Sicherheit nicht sorgen müssen. Öffentliche Sicherheit
ist eine Bedingung für die Entfaltung von Freiheit, und
umgekehrt ist Freiheitssicherung der eigentliche Kern
der staatlichen Zuständigkeit für öffentliche Sicherheit.
In diesem Sinne setzen wir auf unsere bewährte föderale
Sicherheitsarchitektur und werden prüfen, wo Bund und
Länder, wo auch die Sicherheitsbehörden des Bundes
untereinander ihre Zusammenarbeit verbessern können.
Das Bundeskriminalamt behält die erforderlichen Befug-
nisse im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
Den Bevölkerungsschutz, der gut aufgestellt ist, wollen
wir weiterentwickeln.

Die Bedrohung durch den internationalen Terroris-
mus ist da. Sie zeigt sich auch in den Terrorbotschaften, die
an uns gerichtet sind. Wir werden weiterhin besonnen und
entschlossen reagieren. Wir bleiben wachsam, aber wir
fürchten uns nicht. Dass wir uns fürchten, ist nämlich das,
was die Terroristen beabsichtigen.

Für die Gewährleistung der Sicherheit der Bürger tra-
gen wir alle, die Bundesregierung, der Gesetzgeber eine
gemeinsame Verantwortung; vor allem aber die Polizis-
tinnen und Polizisten sowie die Mitarbeiter der anderen
Sicherheitsbehörden. Ich freue mich auf eine gute und
faire Zusammenarbeit mit ihnen und danke ihnen allen
für ihre Arbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des InnernBundesminister Dr. Thomas de Maizière
Wenn es nötig ist, sollten wir neue Gesetze für mehr
Sicherheit erarbeiten. Wenn es nicht nötig ist, sollten wir
es lassen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der LINKEN: Neue Töne!)


Gefahrenabwehr ist zuallererst die Abwehr von Gefah-
ren, und Strafverfolgung ist zuallererst die Verfolgung
von Straftaten und Straftätern, nicht zuallererst der Er-
lass von Gesetzen.

Meine Damen und Herren, Deutschland ist eines der
sichersten Länder der Welt: Die Aufklärungszahlen sind
hoch; die Kriminalitätsentwicklung ist seit Jahren leicht
rückläufig.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, eben!)


Trotzdem haben viele Menschen den Eindruck, dass die
Bedrohung durch Kriminalität zugenommen hat. Wo-
ran liegt das? Nun, es gibt in unserer Gesellschaft Ent-
wicklungen, die neben zusätzlichen Freiheitsspielräu-
men zugleich auch Unübersichtlichkeiten schaffen: ein
hohes Maß an Mobilität, Flexibilisierung, Anonymität in
den großen Städten. Diese Faktoren tragen dazu bei, dass
viele Menschen in ihrem gewohnten Umfeld weniger
miteinander vertraut sind und zum Teil ihre eigenen
Nachbarn nicht mehr richtig kennen. In der Folge fühlen
sich viele Menschen auch im öffentlichen Raum unsi-
cher.

Hier kommen wir mit klassischen innenpolitischen
Ansätzen allein nicht weiter. Vielmehr müssen wir
Strukturen stärken, die helfen, dass Menschen sich nicht
zurückziehen, sondern die sie ermutigen, sich in einem
überschaubaren Rahmen zusammen für etwas einzuset-
zen. Wir sollten unsere öffentlichen Räume, unsere
Plätze, unsere Bahnhöfe, unsere Waggons nicht noch
mehr entmenschlichen. Kameras sind gut und notwen-
dig, Menschen sind allemal besser.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist eine ebenenübergreifende Aufgabe. Gemein-
sam mit den kommunalen Spitzenverbänden wollen wir
die Kommunen entlasten, kommunale Handlungsspiel-
räume erweitern und mit den Ländern an der Stärkung
der kommunalen Selbstverwaltung arbeiten. Wir wollen
zivilgesellschaftliche Kräfte überall ermutigen und eh-
renamtliche Strukturen weiter stärken. In diesem Sinne
werde ich sehr bald die kommunalen Spitzenverbände
einladen und mit ihnen über diese Themen sprechen.

Zweitens. Eine große Herausforderung für unser Zu-
sammenleben sind die rasanten Entwicklungen in der
Informations- und Kommunikationstechnologie. Das
Internet kann zu mehr Teilhabe und sogar zu neuen For-
men gemeinschaftlichen Handelns führen. Das fördert
die Bundesregierung selbst nach Kräften. Auch mit der
Gewährleistung sicherer Abläufe und der Erhaltung der
Funktionsfähigkeit unserer IT-Infrastruktur müssen wir
uns weiter befassen. Es geht zunehmend nicht mehr um
die alte Debatte, ob der Staat hier in Freiheitsrechte zu
stark eingreift. Auf private Daten wird heute nicht vor
allem vom demokratischen Staat zugegriffen,


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider auch!)


sondern eher von anderen Privaten, auch wegen manch-
mal eigener Leichtfertigkeit und auch wegen der Unaus-
löschlichkeit der Spuren der Internetnutzung. Da brau-
chen wir neue Antworten und nicht alte Frontstellungen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Immer wichtiger wird deshalb die Informations-
sicherheit. Die Gewährleistung sicherer Kommunika-
tion ist für mich eine neue staatliche Aufgabe. Daher
wird der Datenschutz – ich glaube, wir sollten lieber von
Datensicherheit sprechen – ein Schwerpunkt der Arbeit
in dieser Legislaturperiode sein. Gesetzlicher Rege-
lungsbedarf besteht zum Beispiel beim Arbeitnehmer-
datenschutz. Ich werde im nächsten Jahr einen Gesetz-
entwurf im Rahmen des Bundesdatenschutzgesetzes für
ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz vorlegen.

Drittens. Zum Zusammenhalt unseres Landes gehört
auch – das meine ich jetzt so wörtlich, wie man es nur
nehmen kann –, dass Menschen einander verstehen, mit-
einander sprechen können und sich als je andere akzep-
tieren. Angesichts weltweiter Migrationsbewegungen
und zunehmender Vielfalt ist Integration eine Schlüs-
selaufgabe für uns alle. Bei der Integration von Zuwan-
derern haben wir bereits viel erreicht. Es hat sich aber
auch gezeigt, dass große Anstrengungen weiterhin not-
wendig sind. Voraussetzung für alle Bemühungen ist die
Bereitschaft von Aufnahmegesellschaft und Zuwande-
rern, sich aufeinander zuzubewegen. Vielfalt ja, aber in
der Achtung unserer Kultur- und Rechtsordnung – das
ist für mich Maßstab und Auftrag.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Mit der Deutschen Islam-Konferenz ist ein maßgeb-
liches Forum entstanden, das eine Annäherung zwischen
Muslimen und dem deutschen Staat befördert. Wir wer-
den den Dialog in den nächsten Jahren weiter vertiefen
und die Islam-Konferenz fortsetzen. Meine Damen und
Herren, der Islam als Religion ist in Deutschland herz-
lich willkommen, Islamismus als Extremismus nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es wäre aber zu kurz gegriffen, Integration nur im Zu-
sammenhang mit Zuwanderern zum Thema der Innenpo-
litik zu machen. Integration in einem umfassenden Sinne
bedeutet, diejenigen Menschen mitzunehmen und in die
Mitte der Gesellschaft zu führen, die am Rand der Ge-
sellschaft stehen. Parallelgesellschaften, ob zwischen
Ausländern oder zwischen Deutschen, zerstören den Zu-
sammenhalt einer Gesellschaft. Das wollen wir nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Viertens. Wir haben vorgestern den 20. Jahrestag des
Mauerfalls gefeiert. Der 9. November 1989 ist einer der






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des InnernBundesminister Dr. Thomas de Maizière
glücklichsten und schönsten Tage unserer Geschichte.
Darauf können wir stolz sein. Der 9. November war aber
der revolutionäre Beginn, nicht schon die Vollendung
des politischen Vereinigungsprozesses.

Mein Amtsvorgänger Wolfgang Schäuble hat danach
den Einigungsvertrag maßgeblich mit ausgehandelt und
damit vor 20 Jahren die Weichen für das innere Zusam-
menwachsen unseres Landes gestellt. Dass nun die Zu-
ständigkeit für die deutsche Einheit – in unserer National-
hymne steht übrigens „Einigkeit“ und nicht „Einheit“;
das finde ich sehr interessant, und ich werde später noch
einmal darauf zurückkommen, aber nicht heute –


(Heiterkeit)


wieder zum Innenministerium gekommen ist, freut mich
persönlich besonders. Es ist eine glückliche Fügung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich selbst bin nicht in der DDR aufgewachsen wie
Arnold Vaatz, der gestern eine bemerkenswerte Rede ge-
halten hat. Der 9. November ist aber für mich ein tiefer
Einschnitt. Seit diesem Tag ist mein ganzes politisches
– und ich füge hinzu: auch mein persönliches – Leben
aufs Engste mit dem deutschen Einigungsprozess ver-
bunden und davon geprägt, und das wird es auch blei-
ben.

Ich bin zuversichtlich, meine Damen und Herren,
dass wir bis 2019 gleichwertige Lebensverhältnisse in
Ost und West schaffen können. Der Solidarpakt gilt. Der
Bundesverkehrswegeplan und die Verkehrsprojekte
„Deutsche Einheit“ stehen nicht zur Disposition. Das hat
auch mein Kollege Peter Ramsauer heute gesagt.

Der Osten Deutschlands beteiligt sich nach Kräften
an den Kosten der Einheit, und auch der Westen profi-
tiert von den Infrastrukturmaßnahmen, zum Beispiel den
großen Bauprojekten für Verkehrsverbindungen zwi-
schen West und Ost. Der Begriff „Aufbau Ost“ trifft es
nicht mehr vollständig. Ein Begriff „Aufbau West“ träfe
es erst recht nicht. Es geht um eine gemeinsame Ent-
wicklung in und für Deutschland und unsere Zukunft,
und das unter Achtung unserer jeweiligen Biografien.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutsch-
land ist stark und frei. Deutschland ist in seiner Vielfalt
und Offenheit ein lebenswertes Land. Wir wollen die
Chancen der Informationsgesellschaft nutzen. Wir wol-
len in Freiheit und Sicherheit leben, geeint und miteinan-
der. Wir wollen ein Land sein, das etwas auf sich hält.
Wir wollen ein Land sein, das zusammenhält. Dafür will
ich arbeiten, und dafür bitte ich um Ihre Unterstützung.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700412100

Herr Minister de Maizière, bei Ministern ist es nicht

üblich, zur ersten Rede zu gratulieren. Aber Sie sind
auch neugewähltes Mitglied dieses Hauses. Deswegen
will ich es so formulieren: Wenn Sie als Abgeordneter
gesprochen hätten, hätte ich Ihnen zu Ihrer ersten Rede
in diesem Hause gerne gratuliert.


(Heiterkeit und Beifall)


Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz für die SPD-
Fraktion.


(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Vom Sozial-Olaf zum Innen-Olaf!)



Olaf Scholz (SPD):
Rede ID: ID1700412200

Herr Minister, zunächst einmal von mir alles Gute für

Ihr neues Amt. Wir haben in der Vergangenheit in ande-
ren Funktionen gut zusammengearbeitet, und das wer-
den wir auch in Zukunft schaffen, wenn auch in einer
anderen Rollenverteilung: als Regierung und als Opposi-
tion. Aber auch da ist ja Zusammenarbeit erforderlich.

Meine Damen und Herren! Wenn man sich den Koali-
tionsvertrag anschaut und sich bemüht, eine Linie in der
künftigen Innenpolitik zu entdecken, gelingt einem das
nicht.


(Gisela Piltz [FDP]: Das liegt daran, dass Sie sich nicht richtig damit beschäftigt haben!)


Auch wer soeben die Rede verfolgt hat, ist nicht schlauer
geworden, was die zukünftige Linie der Koalitionsfrak-
tionen in der Innenpolitik sein soll.

Der Koalitionsvertrag ist eine eigenwillige Konstruk-
tion mit vielen Details, bei denen man sich fragt: Warum
gehört dies in einen Koalitionsvertrag, warum hat dies
kein Verwaltungsbeamter als Vorlage für den Amtschef
aufgeschrieben? Aufgrund welchen persönlichen Ste-
ckenpferds es als würdig erachtet wurde, die Zuverläs-
sigkeitsprüfung für Privatpiloten zu einer öffentlichen
Aufgabe zu machen, hat sich mir bis heute nicht er-
schlossen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich will gerne noch ergänzen. Da kommen Union und
FDP nun zusammen. Die FDP hat in den letzten elf Jah-
ren vieles an den Innenministern der SPD und der CDU
kritisiert. Was kommt nun aber heraus?


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Was Gutes! Sehen Sie doch!)


Wenn man sich den Koalitionsvertrag anschaut, dann
wird man unversehens an das berühmte Buch von
Giuseppe Tomasi di Lampedusa Der Leopard erinnert.
Da unterhält sich der Fürst mit seinem Neffen, der bei
Garibaldi mitmacht, und fragt, was das alles soll. Die
Antwort lautet: Es muss sich alles ändern, damit alles
bleibt, wie es ist. – Genau das ist das Ergebnis des
Koalitionsvertrages. Wir sind nicht beeindruckt.


(Beifall bei der SPD – Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Das ist ein Fehler! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Dazu ist ein Koalitionsvertrag auch nicht da!)







(A) (C)



(B) (D)


Olaf Scholz
Es wird evaluiert, ausgewertet, abgewartet und über-
prüft. Dann kommen noch ein paar Scheinaktionen
hinzu, die die öffentliche Debatte möglicherweise be-
gleiten sollen. Man fragt sich nur, wieso. Was beispiels-
weise vorher Richter an anderen Gerichten gemacht ha-
ben, soll jetzt ein BGH-Richter tun. Das kann man
machen, das kann man auch lassen. Es ändert gar nichts.
Es ist vielleicht das Kennzeichen dieses Koalitionsver-
trages: An dieser Stelle hat sich nichts weiterentwickelt.
Es lohnt weder, sich aufzuregen, noch eine spezifische
Debatte zu führen, was man alles da hineingeheimnissen
kann. Es ist keine Fortentwicklung erkennbar. Elf Jahre
Opposition der FDP waren jedenfalls in dieser Hinsicht
vergeblich.


(Beifall bei der SPD)


Da gibt es noch etwas, was zwar in dem Koalitions-
vertrag nicht sehr sorgfältig ausformuliert wird, was hier
aber angesprochen werden muss. Es gibt Entscheidun-
gen in Bezug auf die innere Sicherheit in unserem
Lande. Diese stehen aber nicht in erster Linie im Kapitel
über die innere Sicherheit. Denn die 24 Milliarden Euro,
die im Zuge der Steuerentlastung dem Bund, den Län-
dern und den Gemeinden fehlen, werden sich massiv auf
die innere Sicherheit auswirken. Niemand soll sagen, es
sei nicht die Schuld dieser Regierung gewesen, wenn in
den Bundesländern demnächst bei der Polizei gespart
wird. Das waren Sie. Was Sie machen, ist falsch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es findet sich auch eine Passage über den Extremis-
mus, der bekämpft werden muss. Das ist gut, vernünftig
und richtig. Was die Bekämpfung des Rechtsextremis-
mus angeht, wurden unter der letzten Regierung und
auch davor gute Programme entwickelt. Ich nenne bei-
spielsweise „Vielfalt tut gut“, „Xenos“ und „Kompetent
für Demokratie“. Das sind gute und wichtige Pro-
gramme gewesen. Warum diese spezielle Form der Ex-
tremismusbekämpfung – sie ist ausgerichtet auf die Be-
kämpfung einer Variante des Extremismus – nun auf alle
Varianten des Extremismus ausgedehnt werden soll,
ohne dass die Mittel aufgestockt werden, ist mir nicht
begreiflich. Man muss befürchten, dass die Mittel für die
bestehenden Projekte gekürzt werden zugunsten anderer.
Richtig wäre es, alle Projekte zu unterstützen. Das haben
Sie versäumt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es gibt in dem Koalitionsvertrag noch Punkte, bei de-
nen man sich fragt, wie sie da hineingekommen sind und
ob man nicht etwas länger hätte nachdenken können. Ich
meine zum Beispiel den Vorschlag, die Pflicht zum Er-
scheinen vor der Polizei neu zu regeln. Niemand braucht
diese Neuregelung. Es gibt schwerwiegende verfas-
sungsrechtliche Bedenken.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allerdings!)

Hätten Sie nicht etwas länger nachdenken können, bevor
Sie diese wenigen Sätze in den Koalitionsvertrag hinein-
geschrieben haben?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein großes Thema der Innenpolitik – auch das haben
Sie eben gesagt; damit bin ich sehr einverstanden – muss
die weitere Auseinandersetzung mit dem Thema Migra-
tion und Zuwanderung sein. Da liegen noch viele uner-
ledigte Aufgaben vor uns. Deshalb müssen wir in diesem
Bereich etwas zustande bringen, damit viele Migranten
in unserem Lande ihre Potenziale und Fähigkeiten ent-
falten können. Ich bin froh, dass es uns zumindest gelun-
gen ist, eine Diskussion über die Frage zu beginnen, ob
es über die Fachkräftezuwanderung hinaus, die wir ge-
rade in der letzten Zeit ausgeweitet haben, noch eine zu-
sätzliche Potenzialzuwanderung geben soll.


(Beifall bei der SPD)


Aber belassen Sie es in den nächsten Jahren nicht bei
den verschämten Formulierungen. Es muss etwas Kon-
kretes dabei herauskommen.


(Beifall bei der SPD)


Was wir dringend brauchen, um die vielen Menschen,
die in diesem Lande ihre Talente entfalten wollen, zu
stärken und zu unterstützen, ist ein Anerkennungsgesetz,
mit dem es einen Rechtsanspruch darauf gibt, die Quali-
fikationen, die man irgendwo auf der Welt erworben hat,
auch in diesem Lande einsetzen zu können.


(Beifall bei der SPD)


Die Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. Ich bin froh,
dass die Vorschläge des sozialdemokratischen Arbeits-
ministers der letzten Legislaturperiode nun im Koali-
tionsvertrag ihren Widerhall gefunden haben. Denn
anders als bisher geht es jetzt tatsächlich um ein Aner-
kennungsgesetz mit einem Rechtsanspruch, um ein Bun-
desgesetz. Das ist nämlich zulässig. All das, was darun-
terbleibt, ist zu wenig. Wir werden Sie daran messen, ob
Sie so gut sind, wie Sie es angekündigt haben.


(Beifall bei der SPD)


Es ist richtig, etwas beim Bleiberecht derjenigen zu
tun, die jetzt, am 31.12., gerade wegen der Wirtschafts-
krise nicht in der Lage sind, die Voraussetzung zu erfül-
len, um ihren Aufenthaltsstatus zu sichern. Wir brauchen
jetzt schnell eine Regelung. Machen Sie das, schieben
Sie es nicht auf! Schade, dass wir nicht schon fertig sind.
Denn alle Bemühungen der SPD-Fraktion und der so-
zialdemokratischen Minister wurden von der Union auf
die Zeit nach der Wahl verschoben. Jetzt ist nur noch
kurze Zeit; aber es geht noch. Werden Sie noch vor dem
Jahresende damit fertig!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin froh, dass es endlich möglich ist, darüber zu
diskutieren, dass wir ein Rückkehrrecht für diejenigen
brauchen, die als Opfer von Zwangsheirat in eine
schwierige Lage gekommen sind. Das war bisher nicht






(A) (C)



(B) (D)


Olaf Scholz
möglich. Wir werden Sie dabei unterstützen, wenn es et-
was wird. Aber beschließen Sie bitte nicht nur eine
Überschrift, sondern tatsächlich etwas, was die Lebens-
lage der betroffenen Frauen verbessert!


(Beifall bei der SPD)


Wir brauchen eine Verbesserung der Situation derje-
nigen, die illegal in diesem Lande leben. Wir brauchen
sie nicht deswegen, weil wir die Illegalität für richtig
halten, und nicht deswegen, weil es richtig ist, dass ille-
gale Zuwanderung nach Deutschland stattfindet – da
sind wir uns alle einig –, sondern deswegen, weil es
nicht sein kann, dass jemand, der eine Schule besuchen
soll, dadurch in eine schwierige Lage kommt und der
Schulbesuch deshalb unterbleibt. Es ist richtig, dass hier
die Übermittlungspflichten neu geregelt werden. Aber
wir sollten dies nicht nur auf die Schule beschränken. Es
geht zum Beispiel auch um die Besuche von Ärzten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wir müssen beim Staats-
angehörigkeitsrecht etwas voranbringen. Wir müssen
die Situation derjenigen verbessern, die in den letzten
Jahren wegen der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts
durch die rot-grüne Regierung zwei Staatsbürgerschaf-
ten hatten. Diese Regelung hatte einen kleinen Haken,
den wir wegen der damaligen Mehrheitsverhältnisse ak-
zeptieren mussten, nämlich die Situation, dass man op-
tieren muss.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So klein ist der gar nicht!)


Diese Sache muss geändert werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Optionsregelung muss endlich abgeschafft wer-
den. Wir wollen, dass die jungen Leute, die deutsche
Staatsbürger sind, ihre deutsche Staatsbürgerschaft ohne
Wenn und Aber behalten können und nicht in eine
schwierige Lage gebracht werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Alles zusammen: Es gibt viele Aufgaben, die wir in
Angriff nehmen müssen. Ich finde, es wäre interessant
gewesen, mehr zu tun als das, was im Koalitionsvertrag
steht. Letztendlich ist nicht sehr viel Konkretes geregelt
worden. Konkrete Aufgaben liegen aber vor uns.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700412300

Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz von der FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1700412400

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Herr Scholz, vielleicht liegt – Sie brauchen nicht mit mir
zu reden; das können wir in den nächsten vier Jahren
auch anders machen –


(Olaf Scholz [SPD]: Ich rede auch nicht! Sie reden!)


Ihre Aussage, dass Sie im Koalitionsvertrag keine klare
Linie in der Innenpolitik gefunden haben, daran, dass
Sie ein Neuling in der Innenpolitik sind. Ganz ehrlich
– ich darf das Kompliment zurückgeben –, auch ich habe
in Ihrer Rede keine klare Linie der SPD zur Innenpolitik
erkennen können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie haben davon gesprochen, dass zum Beispiel bei
der Polizei gekürzt worden ist. Dazu kann ich Ihnen nur
eines sagen: Dort, wo die FDP in Deutschland mitre-
giert, ist ganz im Gegenteil Geld investiert worden, sind
neue Polizisten eingestellt worden. Schauen Sie in die
von Ihnen regierten Länder. Beim nächsten Mal können
wir gerne darüber reden.


(Sebastian Edathy [SPD]: In Niedersachsen zum Beispiel? – Weitere Zurufe von der SPD)


– Das stimmt natürlich. Die Verantwortung in den Län-
dern ist gering. Aber dort, wo die FDP mitregiert, versu-
chen wir, neue Polizisten einzustellen.


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Das sollten Sie sich einmal anschauen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir prüfen das!)


Das, was Sie hier gemacht haben, ist einfach unredlich.


(Beifall bei der FDP)


Elf lange Jahre – das meine ich heute, am
11. November, überhaupt nicht karnevalistisch; ich bin
im Rheinland geboren – stand im Mittelpunkt der Innen-
politik in diesem Hohen Hause vor allen Dingen eines:
neue Befugnisse für die Behörden und das Sammeln
von immer mehr Daten von Bürgerinnen und Bürgern.


(Mechthild Dyckmans [FDP]: So ist es!)


Abschaffung des Bankgeheimnisses, Einführung der
Steuer-ID, Vorratsdatenspeicherung, Fluggastdatenüber-
mittlung, Luftsicherheitsgesetz, Ausweitung der DNA-
Speicherung – das alles, Herr Wieland, haben Sie mit zu
verantworten. Das alles ist aus Ihrer Zeit.


(Beifall bei der FDP – Hartfrid Wolff [RemsMurr] [FDP]: Rot-Grün!)


In der letzten Legislaturperiode sind auch das BKA-Ge-
setz mit heimlichen Onlinedurchsuchungen, das BSI-
Gesetz, das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz,
Internetsperren und die Bundesabhörzentrale beschlos-
sen worden. Das haben Sie, die Kolleginnen und Kolle-
gen von SPD, Grünen und CDU schon eingeführt, alles
ohne uns, gegen unsere Stimmen.






(A) (C)



(B) (D)


Gisela Piltz
Das alles und noch viel mehr ist das Erbe, das wir
vorgefunden haben. Nun könnte man jetzt natürlich sa-
gen, dass man ein Erbe ausschlagen könne, wenn es
überschuldet ist. Genau diese Überschuldung zulasten
der Bürgerrechte ist in den letzten Jahren erfolgt.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten ja einen Schuldenabbau machen können! Abbau von Maßnahmen! Einfach wegnehmen! So versprochen in Ihrem Wahlprogramm!)


Aber wir sehen es als unsere Pflicht an, nicht nur zu tö-
nen, sondern auch den Auftrag unserer Wählerinnen und
Wähler anzunehmen und dieses Erbe anzutreten.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700412500

Frau Kollegin Piltz, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Hartmann?


Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1700412600

Nein, ich möchte jetzt erst einmal weiterreden.

Wir tun dies, weil vor allen Dingen eines klar ist: Wir
wollen so nicht weitermachen, und wir werden so auch
nicht weitermachen. Dies bedeutet, dass wir Stück für
Stück die Schulden abbauen müssen, die Sie uns hinter-
lassen haben.

Die vorhin nur unvollständig aufgeführte Liste der
Bürgerrechtseinschränkungen werden wir nicht verlän-
gern.


(Beifall bei der FDP – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im gesamten Koalitionsvertrag werden Sie keine Pläne
für weitere Einschränkungen der Bürgerrechte fin-
den. Ich muss ganz ehrlich sagen: Dass Sie als Grüne
sich überhaupt trauen, hier so den Mund aufzumachen,
während Sie mit den Otto-Katalogen angefangen haben,
ist schon erstaunlich.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist überhaupt nicht wahr!)


– Sie haben sie alle unterstützt. Sie sollten sich an die ei-
gene Nase fassen, bevor Sie hier die FDP angreifen. Das
muss ich Ihnen wirklich einmal sagen.


(Beifall bei der FDP und der LINKEN)


Im Koalitionsvertrag finden Sie ein ganz klares Be-
kenntnis zu einer Politik, die im Bereich der Bürger-
rechte die Entschuldung in diesem Sinne angeht. Das ist
und bleibt eine Herausforderung; das ist klar. Die im Ko-
alitionsvertrag zur Innenpolitik geschlossenen Vereinba-
rungen stellen sicherlich keine Durchschlagung des Gor-
dischen Knotens dar; das will ich gerne zugeben. Aber
wir fangen an, die Fäden zu entwirren. Das ist der Unter-
schied zu Ihnen allen, die Sie zusammen immer neue
Knoten gemacht haben. Wir versuchen, sie zu entwirren,
und das ist ein erster Schritt, den Sie alle zusammen
nicht geschafft haben.


(Beifall bei der FDP)

Wir werden das BKA-Gesetz überarbeiten. Es ist
kein Geheimnis, dass wir dieses Gesetz nicht wollten.
Aber wir arbeiten an der absoluten Mehrheit, kann ich
dazu nur sagen.


(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Doch Karneval heute!)


Deshalb ist es schon einmal gut, dass wir beim BKA-Ge-
setz die rechtsstaatlichen Sicherungen verbessern. Das
Bundesverfassungsgericht hat die Grundrechte in diesem
Zusammenhang immer besonders betont. Künftig wird
ein Richter beim BGH – das haben Sie richtig erkannt –
über die Anordnung verdeckter Überwachungsmaßnah-
men befinden müssen. Die Anordnung muss zudem über
die Generalbundesanwaltschaft laufen. Das ist ein richti-
ger Schritt zur Absicherung der Grundrechte.

Es ist im Übrigen auch gut, dass die Generalbundes-
anwältin so in das laufende Verfahren eingebunden ist.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wie denn? Als Vermittlerin? Was ist das denn?)


– Da haben Sie vielleicht nicht genau hingeschaut. Denn
mit der steten Vorverlagerung der Strafbarkeit in das Ge-
fahrenvorfeld, wie es die SPD-Justizministerin Zypris
immer gemacht hat, ist die Abgrenzung von Gefahrenab-
wehr und Strafverfolgung immer weiter verwischt wor-
den.


(Beifall bei der FDP)


Der Schutz des unantastbaren Kernbereichs privater
Lebensgestaltung wird weiter gestärkt werden. Wir wer-
den dafür sorgen, dass solche Daten gar nicht mehr erho-
ben werden.

Ein weiteres zentrales Projekt der schwarz-gelben
Koalition wird es sein, dass Datenschutzrecht künftig
zukunftsfest und technikneutral zu gestalten. Das ist eine
Kernaufgabe – darauf hat der Minister schon hingewie-
sen – für diese Koalition, damit wir nicht jeder technolo-
gischen Entwicklung hinterherlaufen und für alles, ob es
nun RFID oder Scoring ist, einen neuen Absatz schaffen
müssen. Vielmehr muss es uns gelingen, dies anders zu
gestalten.

Das nächste Reformprojekt – dazu hätte ich schon
gerne einmal etwas von Ihnen gehört, Herr Scholz – be-
trifft den Arbeitnehmerdatenschutz. Dazu muss ich Ih-
nen ganz ehrlich sagen: Elf Jahre war die SPD an der
Regierung; sie hat ununterbrochen den Arbeitsminister
gestellt: Riester, Clement, Müntefering und Sie selbst.
Sie haben es nicht geschafft, den Arbeitnehmerdaten-
schutz hier im Haus durchzusetzen. Sie haben sogar drei
Wochen vor der Wahl noch einen Gesetzentwurf vorge-
legt. Das ist, ehrlich gesagt, nichts; denn zu diesem Zeit-
punkt wussten Sie genau, dass er – –


(Olaf Scholz [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Nein, ich möchte auch diese Frage nicht beantworten.

Sie wussten genau, dass Ihr Gesetzentwurf nicht
mehr – –


(Zurufe von der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Gisela Piltz
– Ja, bitte, dann lasse ich sie zu.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700412700

Herr Kollege Scholz, Frau Piltz lässt die Zwischen-

frage zu. – Bitte schön.


Olaf Scholz (SPD):
Rede ID: ID1700412800

Schönen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.

– Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie sich schon darauf
freuen, dass Sie noch in diesem Jahr einen vollständigen
Gesetzentwurf der SPD zum Arbeitnehmerdatenschutz
bejubeln können.


Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1700412900

Wenn es derselbe Gesetzentwurf ist, den Sie bereits

einbrachten, dann kann ich ihn nicht bejubeln, weil er
nicht gut war. Ich möchte aber sogar Ihnen eine gewisse
Lernfähigkeit unterstellen. Ich freue mich darauf, dass
Sie in der Lage sind, in der Opposition etwas zu schaf-
fen, was Sie als Regierungsfraktion nicht geschafft ha-
ben.

Aber ich muss Ihnen trotzdem sagen: Wer es in elf
Jahren nicht geschafft hat, ein Arbeitnehmerdatenschutz-
recht vorzulegen und sich dann in der Opposition damit
brüstet, hat für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in
Deutschland gar nichts getan, sondern mit Zitronen ge-
handelt. Das ist Ihre Verantwortung und nicht unsere.
Wir werden einen guten Gesetzentwurf vorlegen. Ich bin
sicher, er wird besser als das, was Sie vorlegen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein weiteres wichtiges Thema ist die Frage der Infor-
mationsgesellschaft. Wir haben im Koalitionsvertrag
vereinbart, dass die Internetsperren zunächst für ein Jahr
ausgesetzt werden. Wir werden nach dem Motto „Lö-
schen statt Sperren“ verfahren. Es wird keine geheimen
und unkontrollierten Sperrlisten geben. Sie werden nicht
geführt. Es wird nichts weitergegeben, und es wird kei-
nen Aufbau von Sperrinfrastruktur geben.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: So ist es richtig!)


Das ist ein Fortschritt. Das kann keiner bestreiten.


(Beifall bei der FDP)


Mein letzter Punkt – ich komme sofort zum Schluss –:
Wir wollen das Internet auch für die demokratische
Teilhabe nutzen. Deshalb werden wir das Petitionsrecht
zu einer Art virtuellen Volksinitiative ausbauen. Das ist
übrigens mehr als das, was in den letzten elf Jahren unter
Ihrer Regierung in diesem Bereich passiert ist. Mir ist in
diesem Bereich eine Entwicklung in kleinen Schritten
lieber als ein erneuter Prüfauftrag; wie Sie das zu diesem
Thema immer so gerne in Ihren Koalitionsverträgen ge-
macht haben.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Sie gar nicht kennen!)

Ansonsten freue ich mich auf eine vertrauensvolle Zu-
sammenarbeit für die Bürgerrechte mit Ihnen allen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir werden das prüfen!)


Zum Schluss möchte ich noch einmal Herrn Schäuble
zitieren – das verzeihen Sie mir bitte –, er hat nämlich
vor vier Jahren, als er sein Amt angetreten hat, gesagt:
Ich vertraue jedem bis zum Beweis des Gegenteils.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So war auch seine Politik!)


In diesem Sinne ist die Koalitionsvereinbarung eine gute
Arbeitsbasis. Ich freue mich auf die nächsten vier Jahre.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700413000

Das Wort hat der Kollege Jan Korte von der Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700413100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als

Erstes muss ich feststellen: Im Gegensatz zu Ihrem Vor-
gänger verbreiten Sie, Herr de Maizière, keine Weltun-
tergangsstimmung, und Sie halten keine so markigen
Reden. Wir werden überprüfen, wie sich das im Koali-
tionsvertrag niederschlägt oder eben auch nicht.

Die FDP hat richtigerweise festgestellt, dass die letzte
Legislaturperiode eine einzige Katastrophe für die Bür-
gerrechte – Onlinedurchsuchung, Vorratsdatenspeiche-
rung usw. – war. Es ist im Übrigen niemals nachgewie-
sen worden, dass all diese Maßnahmen ein Mehr an
Sicherheit gebracht haben. Es war also schlecht. Das
können wir, glaube ich, so festhalten.

Allerdings gab es in dieser Gesellschaft auch neuen
Widerstand. Es gab viele Demonstrationen mit Zehntau-
senden von Teilnehmern unter dem Motto „Freiheit statt
Angst“. Auf diesen Demonstrationen gab es geradezu
ein Fahnenmeer von FDP und Linken. Das war gut. Das
muss man so festhalten. Reden wir darüber – die FDP
wird wahrscheinlich nicht mehr demonstrieren –, was
Sie im Koalitionsvertrag durchgesetzt haben.

Mein erster Punkt ist das Arbeitnehmerdaten-
schutzgesetz. Alle Fraktionen wollten das in den letzten
Jahren immer wieder auf den Weg bringen. So weit, so
gut. Passiert ist nichts, obwohl die Skandale immer grö-
ßer wurden. Im Koalitionsvertrag steht dazu Folgendes:

Hierzu werden wir den Arbeitnehmerdatenschutz in
einem eigenen Kapitel im Bundesdatenschutzgesetz
ausgestalten.

Das ist immerhin ein Fortschritt, das muss man sagen.
Das hat die SPD in der Tat nicht hinbekommen. Aber
das, was Datenschützer immer gefordert haben, nämlich
ein eigenes, detailliertes Arbeitnehmerdatenschutzge-
setz, wollen auch Sie nicht. Das kritisieren wir massiv;






(A) (C)



(B) (D)


Jan Korte
denn der Datenschutz und die Bürgerrechte enden nicht
am Werkstor. Daran werden Sie nichts ändern.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Onlinedurchsuchung bleibt, die Vorratsdatenspei-
cherung bleibt. Ich habe mir die Koalitionsvereinbarung
genau durchgelesen. Im Innenpolitikteil, in den Zeilen
4 471 bis 4 932, habe ich nachlesen können, inwieweit
die Entwicklung entscheidungsfreudig vorangebracht
wird. Dort findet man allein zwölfmal die Begriffe
„überprüfen“, „evaluieren“ und, was ich besonders lustig
finde, „sorgfältig beobachten“, immerhin „sorgfältig“.
Nur eine Entscheidung findet man dort nicht, zu gar kei-
nem Thema. Deshalb ist das, was Sie, liebe Kollegin
Piltz, eben gesagt haben, nicht mit der Realität kompati-
bel. Das muss man leider feststellen. Auch wir hätten
uns mehr gewünscht von Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wie kann man das Ganze politisch bewerten? Man
kann es so bewerten: Im Ton moderat, aber an der harten
Law-and-Order-Politik der CDU, die den Bürgerrechten
entgegensteht, ändert sich überhaupt nichts. Das kann
man festhalten.


(Beifall bei der LINKEN)


Eine besonders schlimme Entwicklung, die Aufwei-
chung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten,
die es bereits gibt, wird nicht zurückgedrängt. Daran
wird nichts geändert. Auch das bleibt.


(Gisela Piltz [FDP]: Dazu steht doch etwas drin!)


Was sagt nun die Linke? Was sollten wir tun? Statt zu
überprüfen, zu evaluieren und sonst etwas zu tun,
brauchten wir eine grundlegende Umkehr in der Innen-
politik. Wir brauchten eine Belebung der Demokratie,
wozu übrigens auch Elemente der direkten Demokra-
tie gehören. Dazu hört man von Ihnen nichts, überhaupt
gar nichts. Direkte Demokratie, das wäre die richtige
Antwort.


(Beifall bei der LINKEN)


Eines wird sich verschlimmern: In den letzten zwei
Legislaturperioden und auch davor wurde parallel zum
Abriss des Sozialstaates in der Innenpolitik hochgerüs-
tet. Auf diesem Gebiet ist ganz Schlimmes zu erwarten.
Der Abriss des Sozialstaates wird weitergehen, und da-
rauf werden Sie mit einer Aufrüstung in der Innenpolitik
antworten. Auch das muss endlich beendet werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will noch einen Punkt ansprechen, über den ges-
tern und heute viel diskutiert worden ist: die Steuerpoli-
tik. Wozu führt diese Steuerpolitik? Ich möchte Ihnen zu
bedenken geben, wozu sie im Bereich der inneren Si-
cherheit führen wird – das ist eben schon angesprochen
worden –: Wenn ich in meinem Wahlkreis bin, beispiels-
weise auf dem Markt in Bitterfeld, dann stelle ich fest,
dass der Kontaktbereichsbeamte – so heißt er heute –,
der Streife geht, der vor Ort ansprechbar ist, wichtig ist,
wenn es um öffentliche Sicherheit und das subjektive Si-
cherheitsgefühl geht. Die Stellen dieser Kontaktbe-
reichsbeamten werden die ersten Stellen sein, die weg-
fallen, wenn die Länder aufgrund Ihrer Steuerpolitik
kein Geld mehr in der Tasche haben.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Völliger Unfug!)


Das wird die Folge sein. Diese Politik ist völlig verfehlt.
Wir brauchen Dezentralisierung und nicht Zentralisie-
rung.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein letzter Punkt, den ich ansprechen möchte: Wenn
in diesem Koalitionsvertrag wirklich, wie von der FDP
groß angekündigt wurde, ein Neuanfang vereinbart
wurde, dann könnten Sie, Herr Minister de Maizière,
und die neue Regierungskoalition doch ein durch und
durch demokratisches Zeichen setzen und endlich die
unsägliche, antidemokratische Beobachtung der Links-
partei durch den Verfassungsschutz beenden. Das wäre
ein echtes Zeichen für eine Kehrtwende in der Innenpoli-
tik.

Schönen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sie bestätigen doch, dass es richtig ist, durch Ihre Rede!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700413200

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland von

Bündnis 90/Die Grünen.


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700413300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zugege-

ben, es ist auch für mich gewöhnungsbedürftig, hier eine
innenpolitische Debatte zu führen, an der der Taktgeber
der vergangenen vier Jahre, Wolfgang Schäuble, nicht
teilnimmt – Frau Kollegin Piltz, Sie haben ihn erwähnt –:
Kein Stakkato mehr, wie wir es gewöhnt waren bei De-
batten über den Bundeswehreinsatz im Innern, über den
Abschuss von Passagierflugzeugen oder über die Liqui-
dierung von Terrorverdächtigen. Das alles fand heute
schönerweise nicht mehr statt. Herr de Maizière hat so-
gar gesagt, er reiche der Opposition die Hand, wenn sie
mitarbeiten wolle, solle sie mitarbeiten. Wir haben noch
nie eine ausgestreckte Hand ausgeschlagen. Wir werden
sehen, ob es hier nur um die Form des Politikmachens
geht, ob es nur um eine andere Herangehensweise geht
oder ob sich auch der Inhalt der Politik ändert. Nur zu
sagen: „Gesetze machen, wenn sie nötig sind“, ist ein-
fach – das klingt immer gut –, aber der Streit beginnt,
wenn es darum geht, wann was nötig ist.

Liebe Kollegin Piltz, ich sage Ihnen auch: Wenn man
uns den Fehdehandschuh hinwirft, wie Sie es getan ha-
ben, dann nehmen wir ihn auf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gisela Piltz [FDP]: Ich wäre sonst auch enttäuscht!)







(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Wieland
Deswegen sage ich Ihnen ganz direkt: Eine Partei, die
auf ihren Parteitagen mit Bändern mit der Aufschrift
„Freiheitskämpfer“ auftritt, deren Vormann, Guido
Westerwelle, sich zur Freiheitsstatue erklärt hat und in
deren Wahlprogramm so schöne Sätze wie – ich zitiere –
„Die Verfassung selbst muss Freiheit schaffen, bilden,
hüten, verteidigen und lehren. Der Zweck der Verfas-
sung ist gerade auch Schutz der Freiheit. Die FDP nimmt
die Werteentscheidungen des Grundgesetzes ernst. Sie
sind ein zentraler Maßstab liberalen Handelns“ stehen,


(Beifall bei der FDP)


die muss sich fragen lassen: Wo ist dieser Maßstab ge-
blieben? Ist die fällige und von Ihnen auch immer gefor-
derte Neujustierung der Innenpolitik hin zum Primat der
Freiheit in dieser Koalitionsvereinbarung irgendwo fest-
geschrieben worden? Die Antwort ist: Nein. Diese Ant-
wort ist enttäuschend; das können wir Ihnen nicht erspa-
ren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP])


– Ich werde Beispiele nennen, Herr Lindner, freuen Sie
sich nicht zu früh. Sie sind Neumitglied hier. Herzlich
willkommen!

Sie haben in Ihrem Wahlprogramm die sprichwörtli-
chen Berge von Gold versprochen. Jetzt stehen wir vor
einer Geröllhalde, und von Gold ist weit und breit keine
Spur. Das ist die herbe Enttäuschung, die Sie bereiten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Das war Beispiel eins.

Im Wahlprogramm steht:

Die FDP fordert die Wiederherstellung des Bankge-
heimnisses

– alles dreht sich um das Bankgeheimnis –


(Heiterkeit des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


durch die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung
und den Verzicht auf heimliche Online-Durchsu-
chungen privater Computer.

Was ist daraus geworden? Daraus ist geworden, dass
jetzt nicht mehr der Richter am Amtsgericht in Wiesba-
den die Onlinedurchsuchung anordnet, sondern ein
Richter am Bundesgerichtshof – Sie amüsieren sich zu
Recht, Herr Binninger –, auf Vermittlung des General-
bundesanwaltes.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Staatsanwälte können bisher bei uns eine Menge ma-
chen, vermitteln allerdings nicht. Das ist offenbar die li-
berale Wende.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Demnächst heißt es nicht mehr: „Ich beantrage einen
Haftbefehl“, sondern: „Ich bitte um Vermittlung eines
Haftplatzes für den hier Angeklagten“. Dahinter steckt
ein harter Kern: Sie haben den Generalbundesanwalt
beim BKA-Gesetz vollständig außen vor gelassen und
nun soll er auch durch diese Konstruktion nicht herein-
kommen. Er soll keine Akten bekommen. Er soll wie ein
Ehevermittler tätig werden. Das ist hanebüchen.

Zur Vorratsdatenspeicherung steht im Koalitions-
vertrag: Die Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richtes wird abgewartet und eingearbeitet.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und danach?)


Es bleibt Ihnen ja auch nichts anderes übrig. Bis dahin
wird sie aber nicht ausgesetzt. Nein, polizeirechtlich soll
sie weiter durchgeführt werden. Am 15. Dezember die-
ses Jahres werden wir eine Premiere erleben. Frau
Leutheusser-Schnarrenberger wird sie uns bieten. Es war
ja bisher schon die Spezialität der FDP, bei der Online-
durchsuchung sowohl als Kläger als auch als Beklagter
vor dem Bundesverfassungsgericht aufzutreten.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Da konnte man nur gewinnen. Da klagte man gegen den
eigenen NRW-Innenminister. Nun wird Frau Leutheusser-
Schnarrenberger in Person sowohl als Klägerin als auch
als Mitglied der Bundesregierung als Beklagte in Karls-
ruhe auftauchen.


(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das ist doch genial!)


Das ist eine Art Pendeldiplomatie, Herr Kollege
Wiefelspütz. Das ist die Krönung der liberalen Wendig-
keit; nur, mit Glaubwürdigkeit hat es gar nichts zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf des Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP])


– Ja, hätten Sie Ihr Wahlversprechen – weg mit der Vor-
ratsdatenspeicherung! – durchgesetzt, dann hätten wir
alle diesen Rechtsstreit für erledigt erklären können. Wa-
rum haben Sie das nicht getan?


(Gisela Piltz [FDP]: Da müssen Sie die CDU/ CSU fragen!)


Sie haben von einem Schuldenkonto gesprochen; das
machen Sie ja gerne: Hundert Gesetze seit Rot-Grün
habe es gegeben. Das habe ich immer wieder von Ihnen
gehört, liebe Kollegin Piltz. Kein einziges Gesetz haben
Sie wegverhandelt.

Zum BKA-Gesetz waren Ihre Worte: Das ist ein
Worst of – nicht Best of – aus allen Polizeigesetzen. Von
den Buchstaben a bis x haben Sie keinen einzigen he-
rausverhandelt. Das ist ein Armutszeugnis, was Sie hier
vorgelegt haben.

Sprichwörtlich sagt man – das ist ein Sprichwort; das
sage ich, damit Sie sich nicht wieder aufregen –: Wer mit
dem Teufel essen will, muss einen langen Löffel haben.






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Wieland
Die FDP ist mit dem Teelöffel angekommen, und so
sieht das Ergebnis auch aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700413400

Herr Kollege Wieland, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Wiefelspütz?


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700413500

Weil wir jetzt in der Opposition vereint sind, will ich

da nicht so kleinlich sein. Bitte schön, Herr Kollege.


Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1700413600

Ich möchte mit Ihnen auf gar keinen Fall vereint sein,

lieber Herr Kollege Wieland. Gleichwohl stelle ich die
Frage: Haben Sie, Herr Kollege Wieland, denn ernsthaft
geglaubt, dass die FDP ihre Wahlversprechungen im Be-
reich der Innenpolitik erfüllt, oder was haben Sie ge-
dacht?


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ich finde, diese Zwischenfrage ist scharf!)



Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700413700

Lieber Herr Kollege Wiefelspütz, ich war natürlich

hinreichend skeptisch; das muss ich Ihnen sagen. Ich
habe auch einmal gelesen, dass man bei Wahlverspre-
chen zwischen „die FDP will“ und „die FDP wird“ un-
terscheiden muss, dass das eine die Richtung, den politi-
schen Willen betrifft und dass das andere das ist, was
man tun wird. Zum Datenschutz beispielsweise liest
man bei Ihnen folgenden Satz: Die FDP wird die Weiter-
gabe der Meldedaten an die Gebühreneinzugszentrale
verbieten. – Als ich diesen Satz las, dachte ich: Dann
sollen sie das doch verbieten. Nachdem ich Ihre Koali-
tionsvereinbarung gelesen habe, musste ich allerdings
feststellen: Nichts davon taucht darin auf.

Außerdem sagen Sie: Das Bankgeheimnis ist uns hei-
lig. – Als ich dann aber gelesen habe, was Sie zu SWIFT
vereinbart haben, musste ich feststellen: Das ist eine
lange Wischiwaschi-Vereinbarung.


(Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD] nimmt wieder Platz)


– Bleiben Sie stehen, Herr Kollege!


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: So viel mehr Redezeit brauchen Sie auch nicht!)


Auch wenn wir uns nicht vereinigen wollen, lege ich
Wert darauf, dass Sie stehen bleiben, schon damit man
Ihre neue Frisur gebührend würdigen kann.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ CSU, der SPD und der FDP)


Notfalls sollte der Herr Präsident das durchsetzen. – Na
gut, ich gebe die Antwort dennoch: Was SWIFT angeht,
erfahren wir heute, dass diese Regierung, einen Tag be-
vor der Vertrag von Lissabon in Kraft treten wird, offen-
bar auf exekutiver Ebene Fakten schaffen, das Europa-
parlament brüskieren und den USA den Zugriff auf die
Bankdaten ermöglichen will,


(Gisela Piltz [FDP]: Nein! Stimmt nicht!)


und das von der höchsten Hüterin des Bankgeheimnis-
ses. Das muss man sich einmal vorstellen!


(Abg. Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Lieber Kollege Wiefelspütz, selbst ich, der ich geringe
Erwartungen hatte, bin von diesem mickrigen Ergebnis
enttäuscht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700413800

Herr Kollege Wieland, das löste beim Kollegen Wolff

das Bedürfnis nach einer Frage aus. Erlauben Sie das?


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700413900

Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700414000

Bitte schön.


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700414100

Wir sind ja nicht mehr in der Opposition vereint. Der

Kollege Wolff wird mir, wie ich ihn kenne, sicherlich
eine Frage zum Waffenrecht stellen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Lieber Herr Kollege Wieland, vereint waren wir auch

in der Opposition nicht wirklich. Das wird sich jetzt
auch nicht weiterentwickeln, vor allem, weil Sie gerade
zwei Fragen provoziert haben.

Mich würde erstens interessieren, wann das Thema
Fluggastdatenspeicherung aufgekommen ist. War das
nicht zufällig in der Zeit, als Sie gerade an der Regierung
beteiligt waren?

Die zweite Frage, die mich interessieren würde, ist:
Wann ist die Onlinedurchsuchung Ihrer Kenntnis nach
zum ersten Mal sogar ohne gesetzliche Grundlage durch-
geführt worden? Nach meiner Kenntnis war auch das in
einer Zeit, in der die FDP nicht an der Regierung betei-
ligt war.


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700414200

Herr Kollege Wolff, auf Ihre letzte Frage eine klare

Auskunft: Die Onlinedurchsuchung wurde das erste Mal
ohne gesetzliche Grundlage unter Rot-Grün durchge-
führt,


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Das ist ein Armutszeugnis!)







(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Wieland
allerdings ohne dass wir davon Kenntnis hatten


(Zuruf von der FDP: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht!)


und ohne dass dies überhaupt mitgeteilt wurde.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Eine Schande für die Grünen!)


Auch Sie hatten davon keine Kenntnis. Wir wollten
Herrn Diwell dazu anhören, aber – Sie werden sich erin-
nern, Herr Uhl – er ist nicht gekommen. Wir jedenfalls
haben als Koalitionspartner nichts davon gewusst.


(Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Hört! Hört! – Zuruf von der CDU/CSU: Dann seid ihr überflüssig gewesen!)


Als es herauskam, haben wir, damals noch mit Ihnen zu-
sammen, auf Aufklärung gedrängt. Dann wurde die On-
linedurchsuchung beendet, bis Ihr Innenminister sie erst-
mals in das Gesetz aufgenommen hat.

Zum Thema Fluggastdaten haben Sie in Ihrem Wahl-
programm den wunderbaren Satz geschrieben: Die FDP
will keine Speicherung, und die FDP will keine Weiter-
gabe. – Vergleichen Sie einmal selbst, welch ein mickri-
ges Ergebnis im Vergleich zu diesen hehren Zielen he-
rausgekommen ist.


(Gisela Piltz [FDP]: Sagen Sie doch einmal etwas zu den Leistungen der Grünen! Wir würden nämlich gerne wissen, was Sie gemacht haben!)


Sie werden weiterhin gespeichert und weitergegeben.
Auch hier haben Sie leider versagt, Herr Kollege.


(Zuruf von der FDP: Sie haben aber zuerst versagt!)


Jetzt komme ich zur Integrationspolitik. Es wurde
schon zu Recht gesagt, dass das eine gesamtgesellschaft-
liche Aufgabe ist. Dieses Thema lässt sich nicht auf den
Bereich Inneres beschränken. Damit ist es wirklich nicht
getan; denn Integration umfasst viele Bereiche, von der
Bildung bis zur Religion. Im Bereich Inneres werden al-
lerdings die Rahmenbedingungen gesetzt; im Bereich
Inneres sind Hürden errichtet worden. Der Kollege
Scholz hat schon gesagt: Der Optionszwang muss zuerst
fallen. – Er stellt die jungen Ausländer nämlich vor eine
Alternative, vor eine Frage, die sie nicht beantworten
können und wollen. Es ist an der Zeit, den Optionszwang
nicht nur zu überprüfen, sondern fallen zu lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch bei der Einbürgerung muss es endlich Erleichte-
rungen geben. Es darf nicht mehr heißen: Der junge
Mann, der seit 20 Jahren hier lebt, wird nicht eingebür-
gert, weil sein Vater Hartz-IV-Empfänger ist. Das muss
aufhören. Hier muss es zu einer Gleichbehandlung kom-
men, und hier brauchen wir Erleichterungen. Vor allen
Dingen darf man keine neuen Hürden aufbauen. Wenn
Sie zum Beispiel formulieren, Sie werden prüfen – das
ist einer Ihrer x Prüfaufträge –, ob man mit Blick auf
eine geprügelte, misshandelte Ehefrau eine Verlänge-
rung der Ehebestandszeit vornehmen wird, dann kann
ich Ihnen sagen: Diese Passagen tragen, genauso wie die
Visa-Warndatei, keine liberale Handschrift. Sie tragen
die Handschrift Ihrer beiden Nachbarn, von Herrn Uhl
und von Herrn Grindel; er bekennt sich auch dazu.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sicher!)


Das ist eine schwarze Handschrift, mit tiefschwarzer
Tinte. Auch hier haben Sie leider versagt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Abschließend zum Waffenrecht – das will ich Ihnen
auch noch sagen –: Was ist denn Ihre Antwort auf die
wirklich drängenden Fragen, Aggressivität unter Ju-
gendlichen, Amokläufe? Sogar der Bund Deutscher Kri-
minalbeamter fordert jetzt, dass Waffen aus Wohnungen
verbannt werden, und spricht sich gegen Waffen in pri-
vater Hand aus. Was machen Sie? Sie wollen – das steht
in Ihrer Koalitionsvereinbarung – die Waffenbestimmun-
gen wieder lockern. Das ist verhängnisvoll. Sie haben
nicht nur keine Antworten auf die drängenden Fragen,


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz im Gegenteil! Sie wollen Unannehmlichkeiten für die Waffenbesitzer abschaffen!)


Sie geben an entscheidenden Stellen auch noch die fal-
sche Antwort.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Das ist sehr schade.

Schließlich und endlich: Minister de Maizière hat ge-
sagt, man solle an die Res publica denken, man solle an
das denken, was unser Gemeinwesen zusammenhält.
Das hätte man ja einmal tun sollen! Dann hätte man sich
fragen müssen, ob nicht eine Wende hin zu einer Politik,
die den Bürger nicht unter Generalverdacht stellt, die ihn
nicht als Sicherheitsrisiko sieht, die ihn als mündigen
Menschen sieht, die ihn mitnimmt, die ihm vertraut, not-
wendig wäre. Von so etwas ist in Ihrer Koalitionsverein-
barung leider in keiner Weise die Rede.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Unter Schily war alles besser! – Gisela Piltz [FDP]: Ja, unter Schily war alles besser!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700414300

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl

von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1700414400

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Ich glaube, das Thema innere Sicherheit und
die Frage, welche Sicherheitsgesetze wir brauchen, um
in Deutschland Schaden von der Bevölkerung abzuwen-
den, ist zu wichtig und sollte uns allen zu ernst sein, um






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hans-Peter Uhl
so lärmige Reden zu halten, wie Sie es wieder getan ha-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Sicherheitsgesetze der vergangenen drei Legisla-
turperioden tragen die Handschrift der Regierungspartei
SPD. Zwei davon tragen auch die Handschrift der Grü-
nen. Nur die der letzten Periode tragen auch die unsere.
Jetzt kann man natürlich Oppositionsreden halten. Sie
waren sehr viel leiser, Herr Scholz, vielen Dank!

Auch wir, meine Damen und Herren von der FDP, sind
der Meinung, dass die Sicherheitsgesetze zum Teil ge-
setzgeberische Versuche waren, die durchaus einer Eva-
luierung bedürfen. Nach einem Jahr oder nach zwei Jah-
ren werden wir sehen – darin sehe ich keine Schande –,
ob unsere gesetzgeberischen Versuche tauglich waren, ob
sie – was Sie befürchtet haben, als Sie in der Opposition
waren – einen übermäßigen Eingriff in den Kernbereich
der Privatsphäre unserer Bürger darstellen oder ob wir sie
– was wir befürchten, vor allem ich als alter Praktiker des
Vollzugs von Gesetzen – aus lauter Sorge, die wir uns um
den Schutz des Kernbereichs der Privatsphäre der Bürger
gemacht haben, praxisuntauglich formuliert haben. Auch
dies kann bei der Evaluierung herauskommen. Dann
müssen wir gemeinsam darüber nachdenken, wie wir die
Gesetze so nachbessern, dass sie für unser Land einen Si-
cherheitsgewinn bringen. Wir wollen also gemeinsam
evaluieren und dann ganz leise, ganz sachlich, ganz ruhig
darüber reden, Herr Wieland.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer genau evaluiert?)


Wir werden in Zeiten angespannter Haushaltslage
auch im Sicherheitsbereich nicht mit weiteren Planstel-
len in Hunderterzahl rechnen können. Deswegen werden
wir uns Gedanken machen müssen, wie man die vorhan-
denen Kräfte bündeln kann. Bei der Bundeszollverwal-
tung zum Beispiel sind viele Tausend Beamte. Die Fi-
nanzkontrolle Schwarzarbeit und andere wollen in den
Bereich der Sicherheitsbehörden, in den Bereich des In-
nenministeriums überwechseln. Darüber wird zu verhan-
deln sein mit dem Bundesfinanzminister, der Ihnen ja als
ehemaliger Innenminister bekannt ist.

Im Bereich der nationalen Küstenwache sind die
Kompetenzen auf fünf Bundesministerien sowie auf
Landesministerien verteilt. Wir werden darüber zu reden
haben, wie wir das effizienter gestalten, ohne neue Plan-
stellen zu schaffen; denn das Geld dafür haben wir nicht.
Wir werden uns auch die Kompetenzen der Bundespoli-
zei, vor allem bei Einsätzen im Ausland, genau an-
schauen.

Bundesinnenminister de Maizière hat schon ange-
sprochen, dass wir – das halte ich für sehr wichtig – die
Zeichen der Zeit erkannt haben. Unsere Sicherheit wird
heute völlig anders bedroht als noch vor einigen Jahr-
zehnten. Mussten wir zur Zeit des Kalten Krieges be-
fürchten, dass Panzer über die Elbe kommen, ist in unse-
rer Zeit das Aufmarschgebiet feindlicher Kräfte das
Internet: Unsere Kommunikation als Privatperson wird
bedroht durch organisierte Kriminalität. Die Kommuni-
kation unserer Wirtschaft wird bedroht durch Wirt-
schaftsspionage aus dem Ausland wie aus dem Inland.
Unsere Kommunikation in den Behörden wird durch das
Ausspionieren durch ausländische Mächte bedroht.

Das sind die neuen Herausforderungen unserer Zeit.
Hier gilt es, Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Des-
wegen sind wir froh darüber, dass wir das Bundesamt für
Sicherheit in der Informationstechnik haben. Wir wollen
diese Fähigkeiten ausbauen und uns Gedanken darüber
machen, wie wir uns hier besser aufstellen können. Das
Ausland, etwa Amerika, Frankreich und andere Länder
– auch England –, ist hier schon sehr viel weiter als wir.
Bitte denken Sie hier gemeinsam mit.

Durch den elektronischen Personalausweis wird es
zu einer Revolution für den Bürger kommen, indem er
ihn nutzen kann, wenn er Behördengänge machen muss.
Er wird vieles von zu Hause aus erledigen können.
Durch den Personalausweis mit elektronischer Signatur
wird es zu einer Revolution auf der Anwenderseite kom-
men, zum Beispiel im privaten Rechtsverkehr, indem Sie
von zu Hause aus unter Einsatz dieses Mediums Verträge
schließen können. Dies alles sind Neuerungen von epo-
chaler Bedeutung.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schöne neue Welt!)


Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der mir sehr
wichtig ist. Es geht um das Thema Datenschutz, das
schon hinreichend diskutiert wurde. Auch wir legen gro-
ßen Wert darauf, dass der Arbeitnehmerdatenschutz
endlich verwirklicht wird. Ich bin froh darüber, dass jetzt
das Bundesinnenministerium dafür zuständig ist. Hier
wird in Kürze ein Gesetzentwurf vorgelegt werden, mit
dem wir auf diesem Gebiet weiterkommen. Es kann
nicht angehen, dass privateste Daten von Arbeitnehmern
– von Gesundheitsdaten bis hin zu Daten über das außer-
dienstliche Verhalten –, die den Arbeitgeber nichts ange-
hen, bei diesem gespeichert und missbräuchlich verwen-
det werden können. Das muss ein Ende haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Mitten in dieser vierjährigen Legislaturperiode – ge-
nauer gesagt: am 6. Juli 2011 – wird eine Entscheidung
getroffen, die für uns von großer Bedeutung ist. Es geht
darum, ob Deutschland das Vertrauen der internationalen
Sportgemeinschaft erhält, die Winterolympiade 2018
auszutragen. Das ist ein nationales und nicht nur ein
bayerisches oder ein Münchener Vorhaben.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allem aber!)


Diese Frage, ob wir die Olympischen Spiele in Deutsch-
land ausrichten können, wird im Jahre 2011 entschieden.
Ich meine, wir alle sollten uns gemeinsam anstrengen,
dass es gelingt, den Zuschlag zu bekommen.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hängt auch von den Umweltschäden ab!)


Die Olympischen Spiele sind viel mehr als ein Sport-
fest; sie verbinden die Menschen. Die olympischen
Ringe sind das bekannteste Symbol in dieser Welt;


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Die von Audi!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hans-Peter Uhl
Milliarden von Menschen kennen und bewundern es.
Deswegen meine ich, dass wir alles tun und dafür sorgen
müssen – auch hier im Bundestag –, dass wir den Zu-
schlag bekommen.

Alles in allem: Herr Scholz, ich verstehe ja, dass es
nach elf Jahren Regierung nicht einfach ist, den Weg in
die Opposition zu gehen. Erklären Sie aber bitte nicht
alle Sicherheitsgesetze für falsch, die Sie mit uns und zu-
vor mit den Grünen verabschiedet haben.

Ich verstehe, dass Herr Wieland, seinem Naturell ge-
recht werdend, hier so aufgetreten ist, wie er es immer
tut.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die Vereinbarung ist so!)


Behalten aber bitte auch Sie die Contenance. Sie können
nicht alle Sicherheitsgesetze, die Sie unter Schily ge-
meinsam beschlossen haben, für falsch erklären.

Ich möchte auch an die FDP eine Bitte richten. Als
Oppositionspolitiker redet man natürlich anders, als
wenn man in der Regierungsverantwortung ist.


(Sebastian Edathy [SPD]: Wieso das denn?)


Das ist ganz normal; das haben wir auch getan. Wenn
Sie aber in der Regierungsverantwortung sind und Ihnen
die Fachleute sagen, dass Sie Gefahren für die Bevölke-
rung abwenden könnten, wenn Sie zum Beispiel das In-
strument der Onlinedurchsuchung, der Telefonüberwa-
chung, der Vorratsdatenspeicherung oder anderes mehr
hätten, dann müssen Sie Ihrer Verantwortung bitte auch
gerecht werden.


(Sebastian Edathy [SPD]: Viel Spaß mit Herrn Uhl!)


Wenn Sie dann auch wieder Nein sagen, wie in der Op-
position, dann laden Sie Schuld auf sich, und das können
Sie nicht tun.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: Ah, das haben wir auch immer gehört!)


Ich bitte also darum, dass wir die Sache gemeinsam
angehen. Es geht um die Sicherheit unserer Mitmen-
schen. Dafür sollten wir tunlichst an einem Strang zie-
hen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: Ein Herz und eine Seele!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700414500

Das Wort hat der Kollege Dr. Dieter Wiefelspütz von

der SPD-Fraktion.


Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1700414600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

haben hier erste Anzeichen für eine offenbar wunderbare
Koalition kennengelernt.


(Heiterkeit bei der SPD – Beifall des Abg. Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU])

Offenbar handelt es sich um eine tief empfundene,
wechselseitige Freundschaft. Ich bin sehr gespannt auf
die Zusammenarbeit.

Herr Minister de Maizière, insgesamt haben Sie eine
ganz ordentliche Rede gehalten, die Rede eines liberalen
Konservativen. Ich habe es nicht anders erwartet.
Gleichwohl – jetzt wird es ganz ernst und vielleicht auch
ein bisschen bitter – bin ich über die ersten Tage Ihrer
Amtstätigkeit tief enttäuscht. Sie haben Ihre Arbeit mit
einer schweren Hypothek belastet. Lassen Sie mich das
in aller Ernsthaftigkeit ausführen.

Ihr Amtsvorgänger, Dr. Wolfgang Schäuble, war
zweimal Innenminister. Ich habe ihn in den letzten vier
Jahren begleiten können. Dieser Mann hat, wie es bei In-
nenministern der Fall ist, viele Entscheidungen treffen
müssen, weniger wichtige, wichtige und auch sehr wich-
tige. Am wichtigsten und qualifiziertesten war die von
ihm persönlich getroffene Entscheidung, den Präsiden-
ten des Bundesnachrichtendienstes, Herrn Dr. August
Hanning, zum beamteten Staatssekretär zu machen.
Diesen Menschen haben Sie, Herr Minister, unter nach
meiner persönlichen Überzeugung unwürdigen Umstän-
den vorzeitig aus dem Amt entlassen. Ich halte das von
der Sache her für indiskutabel und falsch; menschlich
halte ich das für unterirdisch. Ich muss Ihnen das hier in
aller Ernsthaftigkeit sagen.

Ich habe den Eindruck, dass es in Ihrem Hause
brennt. Durch diese, wie ich finde, falsche Entscheidung
laufen Sie Gefahr, das Vertrauen Ihrer engsten Mitarbei-
ter zu verlieren. Ich bin darüber überhaupt nicht glück-
lich. Bei den Kollegen von der Koalition herrscht hierzu
betretenes Schweigen. Sie wissen sehr genau, worum es
geht, und wissen, dass ich an dieser Stelle recht habe.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Sie müssen das nicht in aller Öffentlichkeit ausbreiten!)


Ich akzeptiere natürlich, dass Sie Ihr persönliches
Umfeld selber bestimmen.


(Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Haben Sie sonst keine Probleme?)


Der frühere Staatssekretär August Hanning hat aber in
diesem Amt im Innenministerium Außerordentliches für
unser Land geleistet. Er hat es nicht verdient, ein Jahr
vor der Altersgrenze auf diese Weise vorzeitig in den
Ruhestand geschickt zu werden.

Noch einmal: Ich bedauere das sehr. Ich betone: Das
ist eine schwere Hypothek, mit der Sie Ihre Amtszeit am
Anfang belasten. Herr de Maizière, es ist ein Fehler, der
leider nicht korrigierbar ist; er wird Ihnen bleiben.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das jetzt ein Problem der SPD?)


Nehmen Sie es bitte so, wie ich es sage! Ich bin keines-
wegs besonders glücklich darüber, dass ich das an dieser
Stelle sagen muss. Eigentlich wäre ich eher geneigt ge-
wesen, mich etwas freundlicher mit Ihnen auseinander-
zusetzen.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Zur Sache!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Dieter Wiefelspütz
– Dr. Uhl, was ist denn eigentlich mehr zur Sache als
solch ein Thema! Das ist keine Petitesse. Es ist von er-
heblicher Bedeutung, wie man miteinander umgeht und
welche Sachentscheidungen man trifft.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Das geht Sie nichts an!)


Die Tatsache, dass Sie so aufgeregt reagieren, macht
doch deutlich, wie sehr der Hieb sitzt.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sie sind doch jetzt in der Opposition, Herr Kollege! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wie sind Sie denn in den letzten Wochen mit Herrn Hanning umgegangen? – Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist doch deren Problem!)


Kollege Scholz hat die etwas flache Koalitionsver-
einbarung angesprochen. Auch ich habe mir überlegt,
wie man das werten kann. Ich komme zu folgendem Er-
gebnis: Man hatte keine neuen Ideen, weder positive
noch negative, weil wir in der Kontinuität elfjähriger Re-
gierungsmitverantwortung der SPD im Bereich der In-
nenpolitik ein Ergebnis erzielt haben, das offenbar ein
bestimmtes Niveau erreicht hat, von dem niemand he-
runter will oder kann. Deswegen fällt dieser Koalition
dazu nichts Entscheidendes ein. Alles, was in den ver-
gangenen Jahren auf den Oppositionsbänken massiv kri-
tisiert worden ist, ist im Kern von vorne bis hinten erhal-
ten geblieben. Da sind Papiertiger durch die Gegend
gelaufen. Das Ergebnis ist: Das BKA-Gesetz, nach mei-
ner festen Überzeugung das beste Polizeigesetz, das wir
in Deutschland haben,


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


ist im Kern unverändert geblieben. Ich bin sehr ge-
spannt, wie diese Klagen aussehen.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist zwar der 11.11., aber …!)


So gesehen ist nach elf Jahren Regierungsverantwor-
tung der SPD in Deutschland immerhin ein Niveau er-
reicht worden, das von Ihnen nicht in Zweifel gezogen
wird. Unter anderem deswegen ist Ihre Koalitionsverein-
barung so unendlich matt.

Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ich würde sagen, der Beifall ist ein bisschen matt, Herr Wiefelspütz!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700414700

Das Wort hat der Kollege Hartfrid Wolff von der

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe

gestern mit Freude die Aussagen des CDU/CSU-Frak-
tionschefs Volker Kauder gehört. Er sagte, wir wollen
Politik machen, die ideologiefrei und vorurteilsfrei ist.
Genau diese Politik wird die neue Bundesregierung ma-
chen.


(Beifall bei der FDP – Zuruf von der LINKEN: Ha, ha!)


Die Abwägung zwischen Freiheitsrechten und Si-
cherheit ist meines Erachtens nicht auf die Frage nach
Schuld und Unschuld zu reduzieren. Verfassungsrecht
hat mit dieser einfachen Frage nach Schuld und Un-
schuld wenig zu tun, gerade wenn es darum geht, Men-
schenrechte und Bürgerrechte zu stärken.


(Beifall bei der FDP)


Deutschland verändert sich, und die neue Bundesre-
gierung wird diese Veränderungen gestalten. Einige
krabbeln langsam wieder in die Schützengräben, andere
kommen heraus.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe sie nie verlassen!)


Das ist gut so. Insbesondere im Bereich der Migrations-
und Integrationspolitik macht es sehr viel Sinn, sich die-
ser Herausforderung zu stellen; sie bietet auch neue
Chancen.

Die Koalition hat sich auf eine konsequente Steue-
rung der Zuwanderung nach Deutschland und eine ak-
tive Integrationspolitik geeinigt. Wir wollen die Attrakti-
vität Deutschlands für Hochqualifizierte steigern und
bürokratische Hindernisse für qualifizierte Arbeitnehmer
abbauen. Denn die Zuwanderung von Hochqualifizierten
und Fachkräften schafft neue Arbeitsplätze auch in
Deutschland und stärkt den Standort Deutschland.

Der Zugang von ausländischen Hochqualifizierten und
Fachkräften muss – ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag –
„systematisch an den Bedürfnissen des deutschen Ar-
beitsmarkts ausgerichtet und nach zusammenhängenden,
klaren, transparenten und gewichteten Kriterien wie bei-
spielsweise Bedarf, Qualifizierung und Integrationsfä-
higkeiten gestaltet werden.“ Herr Koschyk wird sich gut
an diese Formulierung erinnern. Das ist eine sehr schöne
und gute Darstellung von dem, was wir in Zukunft ma-
chen wollen.

Die Integration von Menschen mit Migrationshinter-
grund ist für Deutschland eine Schlüsselaufgabe. Wir
wollen Mitbürgerinnen und Mitbürgern aus Zuwanderer-
familien alle Chancen eines weltoffenen Landes eröff-
nen und ihre gesellschaftliche, wirtschaftliche und kultu-
relle Teilhabe ermöglichen. Das erfordert umgekehrt
aber auch die entsprechende Integrationsbereitschaft der
Zuwanderer. Das Beherrschen der deutschen Sprache ist
Grundvoraussetzung für Bildung und Ausbildung, für
Integration in den Beruf, für Partizipation und sozialen
Aufstieg. Dazu werden wir die Integrationskurse quanti-
tativ und qualitativ aufwerten.

Lieber Herr Scholz, bei der Ankündigung eines Aner-
kennungsgesetzes wollen wir es eben nicht belassen. Sie
waren sehr gut darin, kurz vor Ende der Legislaturperio-
de das eine oder andere anzukündigen. Wir wollen es
umsetzen, und wir werden es auch machen. Die Aner-
kennung von ausländischen Abschlüssen ist einer der






(A) (C)



(B) (D)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

wichtigsten Bereiche. Damit können wir für eine ver-
nünftige Integrationspolitik sorgen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Sebastian Edathy [SPD])


Auch in einem anderen Punkt ist der neuen Koalition
eine lang überfällige Einigung gelungen. Wenn bei lange
geduldeten, gut integrierten Ausländern ohne festen
Aufenthaltsstatus eine Abschiebung nicht mehr vertret-
bar ist, muss dem durch eine vernünftige und unbürokra-
tische Regelung auf Bundesebene Rechnung getragen
werden. Hier gilt es zunächst, die zum Jahresende aus-
laufende Regelung zeitgerecht so anzupassen, dass wir
die notwendige Zeit gewinnen, eine tragfähige gesetzli-
che Grundlage für ein Bleiberecht zu schaffen, um nach-
haltig den nicht mehr verständlichen Zustand anzuge-
hen, den wir derzeit in einigen Bereichen haben.

Ein humanitärer Fortschritt ist es auch, dass wir die
aufenthaltsrechtlichen Übermittlungspflichten öffentlicher
Stellen ändern, um den Schulbesuch von Kindern zu ge-
währleisten.


(Beifall des Abg. Rüdiger Veit [SPD])


Das ist ein humanitäres Muss.


(Beifall bei der FDP)


Ideologiefreie, sachorientierte Politik wird ein Mar-
kenzeichen der neuen Koalition: ideologiefrei in der
Ausländer- und Integrationspolitik, mit Augenmaß in der
Sicherheits- und Datenschutzpolitik, an Lösungen statt
an aktuellen Stimmungsschwankungen ausgerichtet,
auch in Bereichen wie dem Waffenrecht und dem Bevöl-
kerungsschutz. Das wird die Zukunft der Innenpolitik
sein. Sie wird vernünftig werden, Herr Kollege Wieland.
Sie werden es merken.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700414800

Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke von der Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700414900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

neue Bundesregierung ist angetreten und will sofort die
notwendigen Programme gegen Rechtsextremismus
schwächen und ausdünnen. Sie sollen irgendwie – wohl-
gemerkt: irgendwie – auf jede Form des Extremismus
ausgedehnt werden. Ich sage Ihnen ganz klar: Wer sol-
che Pläne umsetzen will und den bisherigen Konsens
gegen rechts aufkündigt, riskiert bewusst, dass Nazis
Oberwasser gewinnen. Das sagen auch renommierte
Professoren, deren Stellungnahme heute den Medien zu
entnehmen ist. Zum Beispiel sagen sie, dass die Gleich-
setzung der unterschiedlichen Extremismusformen den
„Denkschablonen des Kalten Krieges“ entspricht. Meine
Damen und Herren, Sie können doch nicht ernsthaft die
Augen davor verschließen, dass Neonazis seit 1990
141 Menschen ermordet haben. Es sind Nazis – und
nicht Linke –, die mit ihrem Terror ganze Regionen do-
minieren und Menschen, die ihnen als nicht deutsch oder
als Andersdenkende erscheinen, täglich mit Gewalt und
Misshandlung drohen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Nazi-NPD hat eine Stammwählerschaft, wie wir
in Sachsen sehen. Statt aber diese Herausforderung an-
zunehmen, führt die Regierung ein Schattenboxen auf.
Ihre schärfste Waffe im Kampf gegen Extremismus soll
sein, die Verklärung der DDR-Vergangenheit zu verhin-
dern, wie es im Koalitionsvertrag heißt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das gefällt Ihnen wohl nicht!)


– Dieser abseitige Zusammenhang gefällt mir in der Tat
nicht. – Ich bin der Meinung: Wer den Kampf gegen den
Rechtsextremismus verwässert und schwächt, handelt
brandgefährlich. So heißt es in der heute veröffentlichten
Stellungnahme der Professoren: Man kann davon ausge-
hen, dass die Naziszene diese Schwerpunktverlagerung
„geradezu als mutmachende Geste begrüßt“. – Das wäre
eine fatale Entwicklung. Diese lehnt die Linke auf jeden
Fall ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will noch einen anderen Bereich ansprechen, die
Asyl-, Migrations- und Integrationspolitik. Die Folgen
der wirtschaftlichen Krise werden vor allen Dingen Mi-
granten und Flüchtlinge zu spüren bekommen. Zehntau-
senden Menschen droht möglicherweise ein Durchfallen
bei der Bleiberechtsregelung, weil sie keinen Job ha-
ben, der ihre Familien ausreichend ernährt. Was steht im
Koalitionsvertrag dazu? – Nichts, kein Wort!


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)


Die FDP hat sich gerade dies und meiner Meinung nach
noch einige andere Punkte auf die Fahnen geschrieben.
Ich nenne als Beispiel die vielfältigen Schikanen für
Asylsuchende. Wo wollen Sie die Residenzpflicht ab-
schaffen? Die Beschränkungen für Flüchtlinge bei den
Sozialleistungen bleiben bestehen.

Auch in der Integrationspolitik wurde nichts Sub-
stanzielles vereinbart.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Na, na, na!)


Beim Staatsangehörigkeitsrecht bleibt alles beim Alten.
Die Einführung eines kommunalen Wahlrechts für Dritt-
staatsangehörige hat es noch nicht einmal zu einem Prüf-
auftrag geschafft. Es bleibt weiterhin beim Arbeitsverbot
für Asylbewerber. Ich halte es für einen ziemlichen
Skandal, dass hier noch nicht einmal ein Millimeter-
schritt gemacht worden ist.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Unser Fazit lautet: Die neue Bundesregierung
schwankt zwischen ideologischen Rückfällen in alte Zei-
ten und einem billigen Weiter-so. Sie können sich darauf






(A) (C)



(B) (D)


Ulla Jelpke
verlassen: Die Linke wird zusammen mit Flüchtlings-
organisationen, Menschenrechtsorganisationen, Kirchen
und Wohlfahrtsverbänden entschiedenen Widerstand da-
gegen leisten, dass Sie hierzu nichts im Koalitionsver-
trag festgeschrieben haben.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700415000

Das Wort hat der Kollege Reinhard Grindel von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1700415100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Jelpke, Sie haben die Neuorientierung unserer
Extremismusprogramme angesprochen, und Herr Korte
kritisiert, dass die Linke, zumindest in Teilen, vom Ver-
fassungsschutz beobachtet wird.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, zu Recht!)


Heute hat die Leiterin des Berliner Verfassungsschutzes
darauf hingewiesen, dass die Tendenzen bei Ihrer Partei
zunehmen, mit militanten linken Gruppierungen ge-
meinsame Sache zu machen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Recht hat sie!)


Ich verweise darauf, dass Ihre Abgeordnete Höger
Brandanschläge auf Bundeswehrfahrzeuge in Berlin ge-
rechtfertigt und dafür Verständnis geäußert hat.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Wer so etwas Unmögliches tut, der darf sich nicht wun-
dern, wenn der Verfassungsschutz genau hinschaut.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Herr Scholz und Frau Kollegin Ziegler – Sie haben
die Gelegenheit, nach mir zu sprechen –, es ist das SPD-
geführte Innenressort hier in Berlin, das diese Sorgen ge-
äußert hat. Es sind Ihre Koalitionspartner, mit denen Sie
jetzt in Berlin und Brandenburg gemeinsame Sache ma-
chen, die mit militanten Gruppen gemeinsame Aktionen
durchführen. Auch daran muss man bei so einer Gele-
genheit erinnern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Insofern bleibt es dabei: Für uns kommt es auf den
Kampf gegen jede Form von Extremismus an, gegen
Rechts- und Linksextremismus, Antisemitismus und Is-
lamismus. Das ist unsere Linie, die wir in den kommen-
den vier Jahren vertreten werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Herr Kollege Wiefelspütz, Sie haben das Niveau der
SPD-Innenpolitik und der SPD-Innenminister angespro-
chen. Der Kollege Scholz kritisiert, dass wir uns beim
Thema Onlinedurchsuchung darauf verständigt haben,
dass der BGH-Richter zuständig ist. Ich muss den Hin-
weis des Kollegen Wolff aufgreifen. Sie haben noch
nicht einmal eine Rechtsgrundlage gehabt, Sie haben nur
ein Dekret des Bundesinnenministers Schily und seines
Staatssekretärs Diwell gehabt. Damit haben Sie Online-
durchsuchungen durchgeführt. Sie sind nun wirklich der
Allerletzte, der irgendwelche kritischen Anmerkungen
bei diesem Thema machen kann, was Rechtsstaatlichkeit
angeht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zu Recht ist in unserem Koalitionsvertrag sehr viel
von Integrationspolitik die Rede. Wir brauchen verant-
wortungsbewusste Integration. Das bedeutet, jeder, der
für das Gelingen der Integration verantwortlich ist, muss
sich auch der Verantwortung stellen. Der Bund tut das
mit einer weiteren Verbesserung der Integrationskurse
und der Eingliederung von Migranten in den Arbeits-
markt. Das betrifft natürlich auch die Aufnahmegesell-
schaft, vor allem die Kommunen. Hier ist vor allen Din-
gen die Verbesserung der frühkindlichen Erziehung von
zentraler Bedeutung. Aber das betrifft eben auch die Mi-
granten selber. Es gibt viele junge Migranten, die Abitur
machen und studieren. Es gibt vielfältige Integrations-
erfolge. Wenn man sich diese gelungenen Integrations-
karrieren anschaut, dann stellt man fest, dass in aller Re-
gel die Eltern mit dazu beigetragen haben, weil sie auf
Spracherwerb Wert gelegt und ihren Kindern eine Bil-
dungsperspektive gegeben haben. Deshalb heißt unsere
Konsequenz, die sich auch sehr präzise im Koalitions-
vertrag wiederfindet: Ja, wir müssen noch mehr tun, aber
unsere Integrationsangebote müssen auch angenommen
werden. Angebot und Annahme durch die Migranten
– Eltern und Kinder gehören zusammen –, Fördern und
Fordern, das ist unser Leitmotiv, das sich sehr präzise im
Koalitionsvertrag wiederfindet. Das ist auch richtig so.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es bleibt beim verbindlichen Sprachnachweis vor
dem Ehegattennachzug, weil wir gerade damit die Fami-
lien, die eher abgeschottet, eher integrationsfern in unse-
rem Land leben, darauf aufmerksam machen wollen,
dass es ohne Deutsch nicht geht, erst recht nicht für die
Kinder. Sie haben völlig zu Recht angesprochen: Was
wir dringend in Angriff nehmen müssen, ist, die Qualifi-
kationsschätze von vielen Migranten zu heben, die seit
vielen Jahren bei uns leben. Deshalb wollen wir einen
gesetzlichen Anspruch auf schnelle Verfahren zur Aner-
kennung von ausländischen Bildungsabschlüssen. Taxi-
fahrer haben wir genug in unserem Land. Wir brauchen
Ärzte und Ingenieure. Die haben wir reichlich im Land.
Mit entsprechenden Qualifizierungen und Anerkennun-
gen wollen wir erreichen, dass diese hochkompetenten
Migranten in ihrem angestammten Beruf bei uns arbei-
ten und zu unserem Wohlstand beitragen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Lieber Herr Kollege Scholz, Sie haben die Frage einer
weiteren Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte auf
den deutschen Arbeitsmarkt angesprochen. Ich rate
dazu, die Arbeitsmarktentwicklung in unserem Land und
vor allen Dingen die Auswirkungen der Freizügigkeit
abzuwarten, die wir nach 2011 für alle Arbeitnehmer in-






(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Grindel
nerhalb der Europäischen Union haben werden. Die
Grenzen fallen. Ich sage in aller Deutlichkeit: Wir wol-
len an der Vorrangprüfung festhalten. Sie muss unbüro-
kratisch ausgestaltet werden – okay, Herr Kollege Wolff.
Wir wollen, dass jeder Mittelständler, jeder Unterneh-
mer, der sich auf dem deutschen Arbeitsmarkt keine Ar-
beitskraft verschaffen kann, die Chance hat, ausländi-
sche Arbeitskräfte ins Land zu holen. Aber wir wollen
keine ungesteuerte Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt,
um billige und willige Arbeitskräfte ins Land zu holen.
Es wundert mich, dass Sie als ehemaliger Arbeitsminis-
ter einer solchen Politik das Wort reden, Herr Scholz.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Im Kern geht es auch beim Thema Bleiberechtsrege-
lung darum, Qualifikationsschätze zu heben und eine
kluge Integrationspolitik zu betreiben. Wir, die Koali-
tion, gehen davon aus, dass die Innenministerkonferenz
im Dezember eine Verlängerung der Bleiberechtsrege-
lung vereinbaren wird. Ich finde, dass wir darüber hinaus
zu einer grundlegenden Lösung für Familien kommen
sollten, die sich lange in Deutschland aufhalten und de-
ren Kinder hier erfolgreich zur Schule gehen. Wir sollten
diesen Familien ein Bleiberecht geben, damit ihre Kin-
der in Ruhe einen Schulabschluss und eine Ausbildung
machen können. Wir wollen den Erfolg aller Kinder,
auch solcher, deren Aufenthalt bisher geduldet worden
ist und für die Deutschland mittlerweile eine neue Hei-
mat geworden ist. Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam,
der Bundesinnenminister, die Koalitionsfraktionen und
die Länder, an einer solchen Lösung arbeiten. Meine
Fraktion ist dazu ausdrücklich bereit, vor allen Dingen
im Interesse der Kinder, für die unser Land Heimat ge-
worden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der LINKEN: Das ist ja ganz was Neues!)


Wir haben gehört, dass der Bundesinnenminister den
notwendigen gesellschaftlichen Zusammenhalt ange-
sprochen hat. In Zeiten, in denen man immer öfter hört
„Was bringt mir das? Was habe ich davon?“, ist es wohl-
tuend, zu sehen, wie viel ehrenamtliches Engagement
wir in unserem Land haben. Wir sollten hier über Sonn-
tagsreden hinauskommen. Wir sollten im Alltag vielen
Ehrenamtlichen ganz praktisch, unbürokratisch und mit
der Unterstützung, die wir im Rahmen des finanziell
Möglichen geben können, helfen, ihre Arbeit zu beför-
dern. Das heißt für unseren Bereich, vor allen Dingen die
freiwilligen Feuerwehren und das Technische Hilfswerk
zu unterstützen. Ich benenne in diesem Zusammenhang
einen ganz konkreten Punkt: Wir müssen zum Beispiel
mit den Verkehrspolitikern darüber diskutieren, wie es
gelingt, eine unbürokratische feuerwehrinterne Lösung
hinsichtlich der Führerscheine von Feuerwehrleuten zu
finden. Es hat etwas mit Sicherheit, mit Schutz unserer
Mitbürger und mit Unterstützung ehrenamtlichen Enga-
gements zu tun, dass wir in diesem konkreten Fall unse-
ren freiwilligen Feuerwehren zur Seite stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

CDU, CSU und FDP haben die Koalitionsverhand-
lungen in den Bereichen Inneres und Justiz zügig abge-
schlossen. Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger,
wir haben uns in unserer Verhandlungsgruppe geeinigt.
Wir haben gesagt: Wir brauchen nichts an die große
Runde abzugeben; das schaffen wir alles selber. Wir ha-
ben diese Verhandlungen in einem guten Geist geführt.
Ich bin ganz sicher, dass wir im Interesse der Menschen
in unserem Land und zum Wohle der Sicherheit unseres
Landes gute vier Jahre miteinander haben werden.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700415200

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Ziegler von

der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dagmar Ziegler (SPD):
Rede ID: ID1700415300

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Sehr geehrter Herr de Maizière, auch von
mir herzlichen Glückwunsch und viel Erfolg bei Ihrer
Amtsführung. Ich habe mich sehr gefreut, dass Sie sich
mit Ostdeutschland so verbunden fühlen. Mir als gebür-
tiger Ostdeutschen, die nach der Wende zunächst als eh-
renamtliche Bürgermeisterin in die Politik gekommen
ist, als Abgeordnete und Ministerin in Brandenburg tätig
war, liegt dieses Thema natürlich besonders am Herzen.

Wir haben vor zwei Tagen den Fall der Mauer gefei-
ert, und wir haben uns an den 9. November 1989 mit
Respekt vor den Menschen in Ostdeutschland erinnert.
Wir haben in Ost und West nicht ohne Stolz auf das zu-
rückgeblickt, was wir in den letzten zwei Jahrzehnten für
die soziale Einheit Deutschlands gemeinsam erreicht ha-
ben.

Klar ist: Der Aufbau Ost ist eine Erfolgsgeschichte.
Klar ist aber auch, dass immer noch tiefgreifende struk-
turelle Probleme in Ostdeutschland bestehen, die weiter-
hin große Anstrengungen und besondere Hilfen für den
Osten notwendig machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es liegt im gesamtdeutschen Interesse, gleichwertige
Lebensverhältnisse in Ost und West zu verwirklichen.
Das heißt konkret, erstens die Wirtschafts- und Innova-
tionskraft zu erhöhen, zweitens die sozialen Spannungen
abzubauen und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und,
drittens, die demografischen Herausforderungen zu
meistern und eine gute öffentliche Daseinsvorsorge zu
gewährleisten.

Das alles ist aber kein Selbstläufer. Dafür ist politi-
sches Handeln gefragt. Der Koalitionsvertrag von Union
und FDP ist jedoch in dieser Hinsicht eine herbe Enttäu-
schung. Die neue Bundesregierung hat kein politisches
Gesamtkonzept für Ostdeutschland, keinen Fahrplan,
keine neuen Ideen und offensichtlich auch gar keinen
Ehrgeiz.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Dagmar Ziegler
Stattdessen gibt es eine weitere Expertenkommission,
sozusagen als Ausdruck der eigenen Einfallslosigkeit.

Wer den Koalitionsvertrag aus dem Blickwinkel Ost-
deutschlands liest, stellt aber noch etwas fest: Diese
Bundesregierung gefährdet mit ihrer Politik der sozialen
Spaltung das Ziel der sozialen Einheit unseres Landes.


(Beifall bei der SPD)


Ich nenne Ihnen drei Beispiele, die in Ost und West wir-
ken, aber im Osten um ein Vielfaches negativer.

Erstes Beispiel: die Steuerpolitik. Um die soziale Ein-
heit Deutschlands zu vollenden, müssen wir die Wirt-
schafts- und Innovationskraft Ostdeutschlands stärken.
Dafür brauchen wir Investitionen in Bildung, in For-
schung, in Infrastruktur. Die Voraussetzung dafür sind
aber handlungsfähige Länder und handlungsfähige Kom-
munen. Mit Ihren Steuerplänen setzen Sie die notwendige
Handlungsfähigkeit der öffentlichen Hand jedoch fahr-
lässig aufs Spiel. Damit schaffen Sie eben nicht Ihr hoch-
gepriesenes Wachstum. Sie gefährden es,


(Beifall bei der SPD)


und Sie gefährden Beschäftigung und eine gute Daseins-
vorsorge. Gerade für den Osten wäre das fatal.

Zweites Beispiel: die Arbeitsmarktpolitik. Wir brau-
chen gute Arbeit und faire Löhne. Wir brauchen mehr
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, gleiche
Löhne in Ost und West und einen allgemeinen gesetzli-
chen Mindestlohn.


(Beifall bei der SPD)


Wir müssen auch die Arbeitslosigkeit weiter bekämpfen,
gerade auch die Langzeitarbeitslosigkeit, die im Osten
nach wie vor doppelt so hoch ist wie im Westen. Dafür
brauchen wir gerade in der Krise eine aktive und voraus-
schauende Arbeitsmarktpolitik. Wir haben die Stich-
worte Kurzarbeit und Qualifizierung bereits gehört. Ich
denke aber auch an den Kommunalkombi für Langzeit-
arbeitslose. Was aber macht Schwarz-Gelb? Sie wollen
die Arbeitsmarktinstrumente deutlich reduzieren und
stellen die aktive Arbeitsmarktpolitik gänzlich infrage.
Das Gleiche beim Thema Mindestlohn. Sie lehnen den
allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn ab und stellen
schon beschlossene Mindestlöhne wieder infrage.


(Iris Gleicke [SPD]: Das ist ein Skandal!)


Damit machen Sie Billiglöhne im Osten zum Programm.
Dabei unterstelle ich Ihnen gar keine Blauäugigkeit; das
ist pure Absicht. Sie handeln zwar nicht blauäugig, aber
Sie verdienen da zwei blaue Augen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Drittes Thema: die Gesundheitspolitik. Zu den not-
wendigen Antworten auf die demografischen Herausfor-
derungen in den neuen Bundesländern gehört ein solida-
risches und gerechtes Gesundheitssystem. Sie aber
planen die Entsolidarisierung des Gesundheitswesens
und die Regionalisierung der Krankenversicherung, und
zwar insbesondere zulasten der Menschen in den neuen
Ländern. Ihre Politik bedeutet im Konkreten: höhere
Beitragsbelastung bei weniger Leistung. Da das Lohn-
niveau im Osten leider immer noch niedriger ist als im
Westen, trifft Ihre Politik die Beitragszahlerinnen und
Beitragszahler im Osten besonders hart.

Auch mit den geplanten Veränderungen beim Risiko-
strukturausgleich benachteiligen Sie vor allem die Kran-
kenkassen in den neuen Ländern.

Das wird logischerweise zu höheren Zusatzbeiträgen
im Osten führen müssen. Gestern habe ich aus den Rei-
hen der CDU gehört, dass es da auch Bauchschmerzen
gibt. Aber hier hilft nicht der Rat des Arztes oder Apo-
thekers, da hilft ganz einfach ein Abführmittel. Führen
Sie einfach diese Pläne dorthin ab, wohin sie gehören,
und spülen Sie kräftig nach!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die SPD erwartet von Ihnen, Herr Minister, ganz kon-
kret, dass Sie Ihrer Verantwortung als Beauftragter für
Ostdeutschland nachkommen und sich in der Regierung
gegen eine solche Politik der Spaltung einsetzen. Dazu
gehört im Übrigen auch, dass endlich die Pläne zur An-
gleichung der Ostrenten verwirklicht werden.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn Kollegen Ihrer Regierung anfangen, Ost und West
gegeneinander auszuspielen, so wie es Herr Ramsauer
schon einmal versucht hat, erwarten wir von Ihnen, dass
Sie ihm mit klaren Worten Paroli bieten und nicht dazu
schweigen.

Ich erwarte, dass wir spätestens zum 30. Jahrestags
des Mauerfalls gemeinsam sagen können, dass wir die
soziale Einheit unseres Landes auch tatsächlich verwirk-
licht haben. Viel Glück dabei!


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700415400

Frau Kollegin Ziegler, ich gratuliere auch Ihnen zu

Ihrer ersten Rede hier im Deutschen Bundestag. Ich
hoffe, dass Sie noch viele Reden halten werden.


(Beifall)


Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich
liegen nicht vor.

Wir kommen nun zu dem Bereich Recht. Als erste
Rednerin hat die Bundesministerin der Justiz, Frau
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, das Wort.


(Beifall bei der FDP)


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! 20 Jahre nach dem Sieg der friedlichen Revolution
in der DDR über den Überwachungsstaat gilt der mate-
rielle Rechtsstaat in ganz Deutschland. Wir haben die
Aufgabe, ihn ständig bestmöglich auszurichten. Wir
müssen den Bürgern Rechtssicherheit geben. Aber dies
muss immer so geschehen, dass die Privatsphäre des






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Einzelnen geschützt ist und der Bürger Vertrauen in den
Rechtsstaat haben kann. Seit dem 11. September 2001
haben viele Gesetze Bürgerrechte eingeschränkt und
staatliche Überwachungsbefugnisse ausgeweitet. Das
hat mit dazu geführt, dass manche Menschen nicht mehr
das nötige Vertrauen in den Rechtsstaat haben, sondern
ihm mit Misstrauen gegenüberstehen.

Unser Grundsatz, niedergelegt in der Koalitionsver-
einbarung, ist: kein Weiter-so mit dem Stakkato immer
neuer Gesetze in der Sicherheitspolitik.


(Beifall bei der FDP)


In Zukunft haben die konsequente Anwendung der be-
stehenden Gesetze und die Beseitigung von Vollzugs-
defiziten immer Vorrang vor der Schaffung neuer Ein-
griffsbefugnisse für den Staat. In diesem Sinne werden
wir die rechtsstaatlichen Korrekturen und Gesetzesent-
schärfungen vornehmen, die in der Abwägung von Frei-
heit und Sicherheit verantwortbar sind und den Bürger
stärken.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dazu haben wir sehr konkrete Vereinbarungen getrof-
fen. Wir werden den Schutz der Berufsgeheimnis-
träger verbessern, indem wir die falsche Aufspaltung
des Berufes der Anwaltschaft in Anwälte und Strafver-
teidiger wieder aufheben.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Minimal!)


Wir werden die entsprechenden Regelungen ändern und
schnellstmöglich einen Gesetzentwurf dazu vorlegen.


(Beifall bei der FDP – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind die Journalisten? Wo sind die Ärzte?)


– Herr Wieland, natürlich haben Sie nie genug.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hatten auch nie genug!)


Wir haben in diesen Punkt des Koalitionsvertrages aus-
drücklich hineingeschrieben, dass wir in Bezug auf eine
weitere Ausdehnung des Berufsgeheimnisträgerschut-
zes prüfen werden – möglicherweise nach dem Vorbild
des § 100 c Abs. 6 StPO –, inwieweit das mit der Durch-
setzung des Strafverfolgungsanspruches vereinbar ist.
Wir ändern, und wir prüfen. Wir sind auf dem richtigen
Weg und machen das, was wir angekündigt haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind gespannt!)


Konkret vereinbart haben wir auch die Änderung der
Kronzeugenregelung. Diese Regelung muss rechts-
staatlich wieder richtig ausgerichtet werden; das heißt,
eine Berücksichtigung der Aussage bei der Strafzumes-
sung darf nur dann erfolgen, wenn ein Bezug zur vorge-
worfenen Tat hergestellt werden kann.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden – auch das ist konkret vereinbart – die
Pressefreiheit stärken. Journalisten werden in Zukunft
besser vor Beschlagnahmungen geschützt. Wir werden
sicherstellen, dass sich kein Journalist der Beihilfe straf-
bar macht, wenn er lediglich Material veröffentlicht, das
ihm zugespielt worden ist. Damit schließen wir das Ein-
fallstor, das unter anderem zu der Entscheidung des Bun-
desverfassungsgerichts im Fall „Cicero“ geführt hat. Das
geschieht sofort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden dem Internet, dem wir eine riesige
Chance für die Kommunikation und die Teilhabe des
Einzelnen zumessen, in den nächsten vier Jahren einen
großen Stellenwert geben. Auch hier spielt Vertrauen
eine große Rolle. Deshalb werden wir auf der Grundlage
des geltenden Rechts kinderpornografische Inhalte im
Netz löschen; denn das ist die wirkungsvollste Vorge-
hensweise.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb werden wir ein Jahr lang keine Sperrung vor-
nehmen und keine Infrastruktur in Bezug auf Internet-
sperren aufbauen. Wir werden sehen, wie erfolgreich wir
damit sind. Das ist im Einklang mit dem Gesetz mög-
lich. Das zeigt: Wir nehmen die Befürchtungen und die
Sorgen der Menschen vor einer möglichen Zensur ernst.
Aber wir verschließen nicht die Augen vor der Tatsache,
dass das Internet kein rechtsfreier Raum sein darf und
dass es in ihm Inhalte gibt – unter anderem kinderporno-
grafischer Art –, die aus dem Netz genommen werden
müssen. Diesem Punkt werden wir unsere Aufmerksam-
keit und unsere ganze Tatkraft widmen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nach einem Jahr wird sich zeigen, was geht und was
nicht geht. Daran lassen wir uns messen.

Im Zusammenhang mit dem Internet wird natürlich
auch das Urheberrecht eine herausragende Rolle spie-
len. Weil das Internet kein rechtsfreier Raum ist, müssen
wir das Urheberrecht durchsetzen.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Da stehen wir vor neuen Herausforderungen. Das sehen
wir an den Beratungen der Europäischen Union in den
letzten Tagen. Wir haben aber eines klargemacht: Wir
wollen keine gesetzlichen Internetsperren im Zusam-
menhang mit der Durchsetzung des Urheberrechts. Das
steht konkret in der Koalitionsvereinbarung. Da wird
nicht geprüft, nicht abgewogen und nicht evaluiert. Das
machen wir in den Bereichen, in denen es notwendig und
verantwortbar ist. Aber das können wir teilweise nicht so-
fort tun. Bevor wir uns beispielsweise mit den Strafbe-
stimmungen zu den Terrorcamps befassen können, brau-
chen wir eine gewisse Zeit, um erst einmal Erfahrungen
hinsichtlich der Anwendung dieser Bestimmungen zu






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
sammeln. Dann werden wir uns genau ansehen – diese
Gesetzgebung war eine Gratwanderung –,


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allerdings!)


ob sie sich in der Praxis bewährt haben.

Wir haben uns nicht nur auf diesen Bereich konzen-
triert. Die Rechtspolitik muss natürlich auch die richti-
gen Lehren aus der Finanzmarktkrise ziehen. Deshalb
stehen für uns das Insolvenzrecht, Reorganisationsver-
fahren für Kreditinstitute und eine Verbesserung des In-
solvenzplanverfahrens an vorderster Stelle. Wir werden
Ihnen unter Federführung des Justizministeriums ge-
meinsam mit den anderen Ressorts gute Vorschläge un-
terbreiten, die Instrumente zum Gegenstand haben, die
gerade dann, wenn die Gefahr einer Pleite droht, in der
Zukunft helfen sollen, diese zu verhindern und die be-
troffenen Unternehmen einfacher und effektiver zu sa-
nieren.

Wir haben uns in der Gesellschaftspolitik viel vorge-
nommen. Das betrifft unter anderem die Eingetragene
Lebenspartnerschaft. Da sage ich ganz deutlich: Nach
vier Jahren Stillstand wird es hier Verbesserungen
geben – im öffentlichen Dienstrecht und im Steuerrecht.
Das ist in der Koalitionsvereinbarung konkret festgelegt.


(Beifall bei der FDP)


Ich komme zum Schluss. Wir werden der Rechts- und
Justizpolitik unter Berücksichtigung der europäischen
Entwicklungen eine große Bedeutung beimessen; denn
mit dem Vertrag von Lissabon habe ich als Bundesjus-
tizministerin die große Verantwortung, Sie als Parlamen-
tarier so früh wie möglich in alle Überlegungen und Be-
ratungen einzubeziehen. Ich begrüße, dass die Rechte
des Parlaments gestärkt wurden.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit dem SWIFT-Abkommen?)


– Herr Montag, ich sage Ihnen, SWIFT wird im Moment
verhandelt.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist verhandelt!)


– Nein. – Wir haben unsere Bedenken deutlich gemacht.
Heute tagen Gruppen, und nächste Woche tagen Grup-
pen. Warten Sie einmal ab, was am 30. November pas-
siert!


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen nicht abwarten! Wir wollen es vorher wissen!)


Wir wollen mit Rücksicht auf das Europäische Parla-
ment nicht präjudizieren.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir aber! Wir wollen uns beteiligen!)


Deshalb müssen Sie sich noch ein paar Tage gedulden.
Dann werden wir Ihnen sagen können, dass wir hier un-
sere Position sehr erfolgreich eingebracht haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1700415500

Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz von der SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Olaf Scholz (SPD):
Rede ID: ID1700415600

Sehr geehrte Frau Ministerin, auch Ihnen wünsche ich

zunächst einmal alles Gute für Ihr neues Amt ganz im
Interesse unseres Landes.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er schon wieder! Heute im Doppelpack!)


Es gibt ein paar Fragen in der Rechtspolitik, die wir
besprechen müssen. Manche Fragen haben wir eben in
der Debatte über die Innenpolitik schon besprochen. Ich
fand interessant, wie man malerisch die Tatsache be-
schreiben kann, dass nichts geschieht. Es wurde darge-
stellt, dass kleine Änderungen überdacht und Prüfauf-
träge abgearbeitet werden sollen.

Aber jeder, der sich mit der Materie auskennt, weiß:
Reale Bewegung, reale Veränderung kann man nicht
wahrnehmen.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Sie sollten zumindest die Brille aufsetzen!)


Das Markenzeichen der Regierung wird vielleicht sein,
dass zwar alles groß inszeniert wird, aber das, was dann
an realer Bewegung zu beobachten ist, dieses nicht wert
ist.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das kennen Sie ja!)


Lassen Sie mich deshalb über ein paar reale Probleme
reden, die mich sehr besorgt machen und die jeden, der
am Rechtsstaat unseres Landes interessiert ist, besorgen
müssen, zum Beispiel über die Veränderung, die Sie bei
der Prozesskostenhilfe planen. Da steht zwar jetzt ganz
harmlos, dass Sie mal schauen wollen, ob das alles unter
den Gesichtspunkten der finanziellen Umstände ver-
nünftig ist. Aber in Wahrheit ist dies doch die Ankündi-
gung, dass die Prozesskostenhilfe für Leute verschlech-
tert wird, die wenig Einkommen haben.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Das ist keine gute Botschaft für den Rechtsstaat in
Deutschland. Er muss jeden schützen und nicht nur die-
jenigen mit dickem Geldbeutel.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es gibt im Übrigen überhaupt keinen Evaluationsbe-
darf. Das, was dort diskutiert wird, ist schlichtweg Spar-
politik, aus den Länderverwaltungen in die Koalitions-
verhandlungen gebracht. Es hätte genügt, sich dagegen
aufzustellen.

Das Gleiche gilt für das, was Sie mit dem Rechts-
standort Bundesrepublik Deutschland anstellen wollen.
Über Wirtschaftspolitik wird zwar viel gesprochen; aber






(A) (C)



(B) (D)


Olaf Scholz
dass die Qualität des Rechts in Deutschland sehr hoch ist
und dass man sich auf die Rechtspflege hierzulande or-
dentlich verlassen kann, das ist für viele weltweit von
großer Bedeutung. Deshalb fuhrwerkt man darin nicht
einfach herum.

Ich will Ihnen ausdrücklich vorhalten, dass die Eröff-
nung der Möglichkeit der Zusammenlegung von So-
zial- und Verwaltungsgerichten mit der Folge, dass es
in einigen Ländern so und in anderen Ländern so ist,
eine Verschlechterung der Qualität der rechtlichen Orga-
nisationen in Deutschland ist. Wir lehnen das ab. Sie
sollten von diesem Vorhaben ganz lassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dann haben Sie sich vorgenommen, dass jetzt so
manche Privatisierung stattfinden soll. Die Aufgaben
des Nachlassgerichts sollen teilweise bei den Notaren
landen. Das Gerichtsvollzieherwesen wollen Sie privati-
sieren – und das wollen Parteien, die ständig die Wirt-
schaftsförderung in den Vordergrund stellen. Hier soll
eine Veränderung durchgeführt werden, die die Kosten,
die bei der Zwangsvollstreckung anfallen, auf alle Fälle
gewaltig steigern und die die Qualität der Rechtspflege
verschlechtern wird.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Vollkommen an der Realität vorbei!)


Wir lehnen beide Privatisierungsschritte ab.


(Beifall bei der SPD)


Eines der Vorhaben, das ebenfalls Anlass zu vielen
Nachfragen und Sorge geben muss, sind die Veränderun-
gen, die Sie beim Mietrecht vorhaben. Warum eigent-
lich, fragt man sich. Man kann heute sagen, dass es keine
Behinderung vernünftiger Investitionen in Wohnge-
bäude gibt, die sich durch das heutige Mietrecht erklären
lässt. Wer saniert, hat am Ende, früher oder später, etwas
davon. Ohnehin wird dadurch sowieso nur die Substanz
der Mietsache, der Wohnung erhalten. Es gibt keinen
Anlass, nach juristischen Regeln zu suchen, die letztend-
lich dazu führen, dass Mieter Dinge bezahlen müssen,
die eigentlich zur normalen Bestandspflege und zur Wei-
terentwicklung von Wohnungen seitens der Vermieter
gehören.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Und es sind zwei Ankündigungen dabei, die mich
sehr bedenklich stimmen. Zum Beispiel wollen Sie für
das Eintreiben von Mietschulden neue Möglichkeiten
schaffen.


(Ute Kumpf [SPD]: Raubritter!)


Da fragt man sich, weil das alles sehr kryptisch ist, was
sich dahinter eigentlich verbirgt. Ich habe die Sorge,
dass Sie zum Beispiel ermöglichen wollen, dass man mit
einem Titel gegen den Hauptmieter eine Zwangsräu-
mung durchführen kann und die weiteren in der Woh-
nung berechtigt Lebenden die Wohnung gleich mit räu-
men müssen. Das wäre eine Verschlechterung. Falls das
gemeint ist, können Sie mit unserem entschiedenen Wi-
derstand rechnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Alles Spekulation!)


Ich ergänze das um die Frage der Kündigungsfristen.
Heute ist die Politiksprache so, dass sie meistens harm-
los daherkommt. Alles klingt so, als ob es zum Besseren
für alle wird. In Wahrheit wird es für manche zum Teil
ganz schön schlecht.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wer sollte das besser wissen als Herr Scholz!)


Dass Sie im Rahmen Ihrer Vorhaben sagen: „Die Kündi-
gungsfristen für Vermieter und Mieter sollen angegli-
chen werden“, ist doch nur eine nette Formulierung für
die Ankündigung, dass die Kündigungsfristen für Mieter
verschlechtert werden sollen. Das ist keine richtige Ent-
scheidung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sagen Sie offen, dass Sie der Vermieterlobby und deren
jahrelanger Arbeit in Richtung Politik nachgeben,


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und der FDP selbstverständlich!)


und tun Sie nicht so, als ob Sie irgendjemandem sonst et-
was Gutes tun. Es ist eine Verschlechterung der Situation


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Der Mietnomaden!)


der Mieter in diesem Land, die Sie planen.

Meine Damen und Herren, im Koalitionsvertrag steht
zur Rechtspolitik eine Formulierung, die die großen An-
kündigungen andernorts infrage stellt.

Ich nenne eine Ankündigung zum Gesellschafts-
recht. Sie wollen die Europäische Gesellschaft im Sinne
des Mittelstandes entwickeln. Das Gesellschaftsrecht ist
eine Sache des Justizministeriums. Aber es geht um die
Mitbestimmung. Das, was Sie hier in den Koalitionsver-
trag geschrieben haben, ist der Bruch eines Wahlverspre-
chens. Sie haben nämlich gesagt, an der Mitbestimmung
in Deutschland werde nichts verschlechtert. Ja, man
kann in Deutschland die Mitbestimmung abschaffen,
ohne ein einziges Gesetz zu ändern, indem man ein Loch
in den Eimer bohrt, durch das das ganze Wasser der Mit-
bestimmung fließt. Wenn Sie auf die Art und Weise, wie
es heute in Europa geplant ist, eine solche Europäische
Gesellschaft schaffen, dann wird es mit der Mitbestim-
mung in Deutschland bald vorbei sein, selbst wenn die
Gesetze als Relikte noch vorhanden sind. Das muss ver-
hindert werden, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es besteht Anlass zu dieser Sorge; denn es hat in der
bisherigen Koalition in dieser Frage keine Einigkeit zwi-
schen dem Arbeitsministerium, dem Wirtschaftsministe-






(A) (C)



(B) (D)


Olaf Scholz
rium und dem Kanzleramt gegeben. Dort war der
Wunsch, es so zu machen, dass die Mitbestimmung
durch die Schaffung solcher Gesellschaften abgeschafft
werden kann, so vehement, dass es nicht möglich war,
eine gemeinsame Linie der Bundesregierung in dieser
Frage gegenüber der Europäischen Union zu entwickeln.
Deshalb sage ich: Das, was Sie hier hineingeschrieben
haben, ist das Gegenteil dessen, was in der Regierungs-
erklärung gesagt worden ist. Die Mitbestimmung ist da-
mit in Gefahr. Dies muss jeder wissen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Ministerin, das Selbstlob, das Sie sich in der
Frage der Weiterentwicklung des Rechts gleichge-
schlechtlicher Lebensgemeinschaften und eingetrage-
ner Partnerschaften ausgesprochen haben, ist völlig
unberechtigt. Letztendlich haben Sie es gerade einmal
geschafft, das, was die Rechtsprechung erzwingt, Gesetz
werden zu lassen. Das darf man ja wohl mindestens er-
warten. Aber Fortschritt ist Ihnen nicht gelungen, auf
den Sie aber mit Ihrer politischen Tradition und den An-
sagen, die Sie in den letzten Jahren gemacht haben, hät-
ten dringen müssen. Dabei hätten Sie auch mit unserer
Unterstützung rechnen können. Es gibt bei der Union et-
was, das ich einmal als „Bis-hierhin-und-nicht-weiter-
Liberalismus“ bezeichne. Er geht so: Man ist immer da-
gegen. Das gesamte Recht, das wir zu den eingetragenen
Lebenspartnerschaften entwickelt haben, ist auf ent-
schiedenen Widerstand der Union gestoßen. Als wir es
endlich so weit hatten, konnte man sich irgendwann
dazu durchringen, dass es so bleiben könne, wie es ge-
worden ist; es dürfe nur nichts mehr dazukommen. Die-
ses „Nichts-mehr-darf-dazukommen“ hat die Union
auch in dieser Frage letztlich erfolgreich gegen Sie ver-
teidigt. Ich bedaure dies; denn Fortschritt wäre hier das
Richtige gewesen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Max Stadler [FDP]: Das Gegenteil ist der Fall!)


Meine Damen und Herren, es ist über den Datenschutz
schon diskutiert worden. Er spielt in der Innenpolitik, der
Justizpolitik, der Wirtschaftspolitik und selbstverständ-
lich im Bereich der Rechte von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern eine Rolle. Deshalb will ich an dieser
Stelle noch einmal etwas zum Arbeitnehmerdatenschutz
sagen, weil mich bei diesem Thema in den letzten Jahren
Folgendes sehr aufgeregt hat:


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja, hätte schneller gehen können!)


Bei jedem großen Skandal sagen alle, sie wollten etwas
machen und seien sofort für das, was die gute Überschrift
„Arbeitnehmerdatenschutz“ hat. Aber wenn es dann kon-
kret zur Sache geht, sind alle einzelnen Regelungen nicht
gewollt. Die Überschrift will man noch hinnehmen, aber
die konkreten Regelungen, die den Datenschutz der Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessern, werden
dann gar nicht mehr akzeptiert. Deshalb waren die Ver-
handlungen zu dieser Frage in den letzten Monaten und
dem letzten Jahr schon eine ganz interessante Erfahrung.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da muss man als Minister durchsetzungsstark sein!)


Es war interessant, zu sehen, dass man öffentlich immer
einer Meinung ist, in der Fachfrage aber in keinem rele-
vanten Detail.

Deshalb gibt es auch einen Entwurf zum Arbeitneh-
merdatenschutz, und deshalb werden wir ein solches Ge-
setz in diesem Hause beraten. Ich bin dagegen, es ir-
gendwo im Datenschutzgesetz unterzubringen.


(Beifall bei der SPD)


Erstens ist es schon ganz schwierig gewesen, bei der Ge-
neralklausel zu einer vernünftigen Regelung zu kom-
men. Zweitens brauchen die Arbeitnehmer mehr Schutz,
weil sonst der Missbrauch weiterhin stattfinden wird.
Wenn ein neuer Missbrauch bekannt wird, erklärt jeder
Politiker, er halte dies jetzt für so schlimm, dass man ein
Gesetz brauche. Das reicht nicht. Wir sollten ein Gesetz
schaffen, das diesen Namen verdient. Das ist dann auch
gute Rechtspolitik, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie ja jahrelang versäumt!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700415700

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Günter Krings für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1700415800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren Kollegen! Mit den heutigen Debatten zur Innen-
und Rechtspolitik sprechen wir am heutigen Nachmittag
über die Kernaufgaben des Staates. Die Bundeskanzlerin
hat gestern sehr treffend in ihrer Regierungserklärung
betont, dass Freiheit und Sicherheit untrennbar zusam-
mengehören.

Freiheit ohne Sicherheit wäre wertlos, sie verkäme zu
einer einseitigen Freiheit des Starken. Wollten wir aber
Sicherheit ohne Freiheit, hätten wir in Deutschland aus
zwei Diktaturen nichts gelernt. Heute, zwei Tage nach
dem 20. Jahrestag des Mauerfalls, wird besonders deut-
lich, dass die innere Sicherheit unseres Landes und eine
stabile Rechtsordnung eben keine Selbstzwecke sind,
sondern dass Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit im
Dienste der Freiheit der Menschen stehen. Genau das
war den Menschen in der DDR in den Tagen des No-
vembers vor 20 Jahren klarer. Und wir sollten es auch
nicht vergessen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Weil Freiheit und Sicherheit zwei Seiten der gleichen
Medaille sind, ist die Überschrift des Kapitels im Koali-
tionsvertrag sehr treffend gewählt worden: „Freiheit und
Sicherheit – Durch Bürgerrechte und starken Staat.“ Das
ist zugleich das Leitkonzept der christlich-liberalen






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Günter Krings
Rechtspolitik und der neuen Bundesregierung in dieser
Wahlperiode. Genauso wie Freiheit Sicherheit voraus-
setzt, so brauchen Bürgerrechte einen starken Staat, der
diese Freiheitsrechte, diese Bürgerrechte auch durchset-
zen kann.

Es ist keine Lösung, den Staat dort großmachen zu
wollen, wo es um Bürokratie und Umverteilungsappa-
rate geht, sondern der Staat muss gerade auch dort stark
sein, wo seine Ordnungshüter und Gerichte die Grund-
bedürfnisse der Menschen nach Freiheit und Sicherheit
befriedigen. Wir dürfen den starken Staat nicht mit dem
voluminösen Staat verwechseln. Deshalb ist es richtig,
dass wir in dieser Wahlperiode unter anderem auch beim
Bürokratieabbau deutlich voranschreiten.

Viele hatten vorausgesagt, dass es in den Koalitions-
verhandlungen gerade in den Bereichen Recht und In-
nenpolitik besonders schwierig und kontrovers werden
würde. Soweit ich die Koalitionsverhandlungen begleitet
habe, konnte ich mich davon überzeugen, dass wir in ei-
ner guten, sachlichen, konstruktiven Atmosphäre disku-
tiert haben. Am Ende waren wir im Bereich von Innen-
und Rechtspolitik eine von drei Arbeitsgruppen, die
schon in der ersten Runde einen vollständigen Konsens
erzielt haben.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für wen spricht das?)


Das ist sicher gut, weil wir schon in der letzten Wahl-
periode festgestellt haben, dass rechtspolitische Fragen
möglichst von Fachleuten diskutiert werden sollen, um
zu einer sachdienlichen Lösung zu kommen. Wenn das
zu vorgerückter Stunde in Koalitionsausschüssen statt-
fand, dann kam dabei nicht immer das beste Paket he-
raus.

Im Bereich der Innen- und Rechtspolitik ist dank der
umsichtigen Verhandlungsführung – das will ich an die-
ser Stelle betonen – des aus der Funktion des Innenminis-
ters ausgeschiedenen Wolfgang Schäuble und der neuen
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ein
gutes Ergebnis erzielt worden.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jürgen Gehb ist unvergessen als sachkundiger Redner!)


Ich möchte mich bei beiden – Frau Leutheusser-
Schnarrenberger ist anwesend – noch einmal sehr herz-
lich für diese Verhandlungen und für diese Atmosphäre
bedanken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich wünsche Ihnen, Frau Ministerin, an der Spitze des
Justizministeriums alles Gute und viel Erfolg für diese
Arbeit. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und darf
den Staatssekretär Herrn Stadler ausdrücklich in den
Wunsch einschließen. Sie nehmen eine für Sie nicht
ganz neue Position ein. Ich bin mir sicher, dass Sie die
Zusammenarbeit mit den beiden Koalitionsfraktionen er-
folgreich durchführen werden.

Im Zuge dieser Bereitschaft zu einem konstruktiven
Dialog, der natürlich auch innerhalb der Koalitionsfrak-
tionen stattfinden wird, will ich den Oppositionsfraktionen
– ich darf namentlich die SPD und das Bündnis 90/Die
Grünen erwähnen – ausdrücklich anbieten, mit uns zu-
sammenzuarbeiten.


(Zuruf von der LINKEN: Wir nicht? Das ist enttäuschend!)


Wahr ist, dass wir in der Großen Koalition mit der SPD
durchaus einen Vorrat an gemeinsamen Themen, an ge-
meinsamen Grundüberzeugungen hatten und dass wir im
Bereich der Rechtspolitik den Koalitionsvertrag der letz-
ten Wahlperiode zu einem ganz großen Teil, zu fast
100 Prozent, umgesetzt haben.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider!)


Ich kann nur hoffen, dass Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, diesen Grundkonsens in vielen
Fragen der Rechtspolitik nicht nur deshalb aufkündigen,
weil Sie jetzt eine andere Rolle spielen. Die Versuchung,
in der Opposition einen Rollenwechsel zu vollziehen, ist
groß; das weiß ich. Ich bin deshalb rückblickend froh,
dass ich während der drei Jahre als Oppositionspolitiker
im Rechtsausschuss hier im Hause dieser Versuchung
widerstanden habe.


(Lachen der Abg. Christine Lambrecht [SPD])


Ich kann mich zum Beispiel sehr gut an die Verhandlun-
gen zum Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz An-
fang 2005 erinnern, Herr Scholz. Das haben wir damals,
als wir noch in der Opposition waren, gemeinsam hinbe-
kommen. Ich fand die Verhandlungen sehr sachorien-
tiert. Ich habe bei Ihren beiden Reden zur Innen- und
Rechtspolitik ein bisschen den Eindruck gewonnen, dass
der Effekt der Oppositionszugehörigkeit Sie eingeholt
hat. Ich darf daher der Hoffnung Ausdruck verleihen,
dass wir weiter sachorientiert miteinander kommunizie-
ren werden. Ich hoffe auch, dass Sie in Ihrer neuen
Rolle, in der Opposition, nicht die Augen vor den wah-
ren Problemen dieses Landes verschließen.


(Ute Kumpf [SPD]: Das machen wir doch nie!)


Ich darf einen Punkt nennen: Sie haben eben das
Thema Mietrecht angesprochen. Ich glaube, wir müssen
uns davor hüten, zu glauben, auf der einen Seite seien
die reichen Vermieter und auf der anderen Seite die ar-
men Mieter unterwegs. Ich bin in meiner Heimatstadt
sehr oft von Menschen angesprochen worden, die sich
zum Zwecke der Altersvorsorge ein oder zwei Mietwoh-
nungen zugelegt haben und jetzt unter Mietnomaden lei-
den. Sie leiden darunter, dass sie ihre Miete nicht eintrei-
ben können und ihre Alterssicherung gefährdet ist. Wer
sagt: „Da machen wir keine Änderungen mit“, der gibt
diesen Menschen Steine statt Brot. Diese Menschen ha-
ben Hilfe verdient. Diese Hilfe bekommen sie von dieser
Koalition.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben doch geltendes Recht! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum ging es gar nicht!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Günter Krings
Da sich die Kollegen von den Grünen gerade so nett
zu Wort melden, darf ich ihnen sagen: Ich glaube, auch
die Debatten zwischen uns werden weiterhin spannend
bleiben. Das werden sicherlich Diskussionen auf Augen-
höhe sein und hoffentlich keine Diskussionen, in denen
sich die eine Seite als Gralshüter des Rechtsstaates sieht.
Hoffentlich wird die Diskussion von der Erkenntnis aus-
gehen, dass nur ein starker Staat die Bürgerrechte gut
schützen kann.

Der Koalitionsvertrag umfasst eine Fülle von Aussa-
gen aus dem sehr vielschichtigen Bereich der Rechtspo-
litik. Für die Rechtspolitik ist es übrigens besonders
wichtig, dass alle, die mitreden wollen, die circa
130 Seiten wirklich aufmerksam lesen; denn viele Aus-
sagen zur Rechtspolitik finden sich gar nicht in dem spe-
ziellen Teil zur Rechts- und Innenpolitik, sondern an vie-
len anderen Stellen, zum Beispiel zur Wirtschafts- und
Umweltpolitik. Das macht mehrere Dinge deutlich:

Erstens. Wir denken nicht in Schubladen, sondern in
thematischen Zusammenhängen, die die Bürger verste-
hen.


(Lachen der Abg. Christel Humme [SPD])


Zweitens. Rechtspolitik ist eine echte Querschnitts-
aufgabe, die in nahezu alle Sachbereiche der Politik hin-
einspielt.

Drittens. Rechtspolitik ist auch Gesellschaftspolitik,
die den Veränderungen in der Gesellschaft folgt, sie aber
auch steuert, beschleunigt oder, wenn nötig, zügelt. Mit
Rechtspolitik kann in bester konservativer Tradition Be-
währtes erhalten werden und schädlichen, gefährlichen
Entwicklungen gegengesteuert werden.

Gerade wegen dieser Vielfalt und dieser Steuerungs-
funktionen ist die Rechtspolitik eines der spannendsten
Themenfelder, über die in diesem Hause debattiert wird,
und der Rechtsausschuss einer der interessantesten Aus-
schüsse dieses Hauses. Ich beglückwünsche daher alle
Kollegen, die neu in diesem Ausschuss sind. Aufgrund
des Wahlergebnisses kommen viele erstmalig in diesen
Ausschuss. Ich bin mir sehr sicher, dass Sie die Ent-
scheidung für diesen Ausschuss nicht bereuen werden,
sondern dass Sie im Gegenteil die Arbeit im Bereich der
Rechtspolitik sehr schätzen werden.

Die öffentlichkeitswirksamsten Teile der Rechtspoli-
tik sind die strafrechtlichen und die strafprozessualen
Themen. Ich will ein paar Punkte aufgreifen. Natürlich
gab es hierbei im Vorfeld nicht nur identische Positionen
bei FDP und Union. Umso positiver ist es aber, dass wir
sagen können, dass wir in vielen Punkten einen guten
Konsens gefunden, sehr gute Kompromisse erzielt und
letztlich gerade für die Opfer von Straftaten wesentliche
Verbesserungen erreicht haben.

Ich will erwähnen, dass wir zum Ersten die Zwangs-
verheiratung als eigenständiges Delikt in das Strafge-
setzbuch hineinschreiben wollen.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir schon längst erledigt!)

Das ist ein klares und wichtiges Signal, diesen Straftat-
bestand noch einmal klarer und deutlicher zu fassen. Das
ist ein klares und wichtiges Signal für viele Frauen, die
aus anderen Kulturkreisen hierherkommen, das zeigt,
dass der deutsche Rechtsstaat sie nicht allein lässt. Die
jetzige Regelung ist eben nicht deutlich genug gefasst.
Das werden wir verbessern.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen nur eine eigene Hausnummer! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Kosmetik!)


Zum Zweiten setzen wir uns für das strafrechtliche
Verbot einer gewerblichen Sterbehilfe ein. An der Tö-
tung auch eines leidenden Menschen darf in Deutschland
kein Geld verdient werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist sogar verboten! Man darf niemanden töten! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht Ihr früherer Parteifreund Kusch, den Sie zum Justizsenator gemacht haben!)


Wir wollen Polizisten besser schützen. Die Polizisten
riskieren täglich für unseren Rechtsstaat, für unsere Sicher-
heit Leib und Leben. Es ist sehr fragwürdig, dass nach dem
Strafgesetzbuch für die Beschädigung eines Polizeiautos
ein höherer Strafrahmen vorgesehen ist – der Kollege
Bosbach hat in den letzten Wochen sehr oft zu Recht darauf
hingewiesen – als für die Verletzung eines Polizisten. Es ist
daher richtig und notwendig, dass wir für den Widerstand
gegen Vollstreckungsbeamte, jedenfalls in besonders
schweren Fällen, ein höheres Strafmaß vorsehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das Problem von Widersprüchen im Strafrecht stellt
sich auch im Bereich des Jugendstrafrechts. Deshalb
haben wir hier vereinbart, dass wir die Höchststrafe für
das abscheuliche Verbrechen des Mordes heraufsetzen
werden. Gerade weil die allermeisten jungen Erwachse-
nen heute nach Jugendstrafrecht – das ja für Jugendliche
und Heranwachsende gilt – behandelt werden,


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch überhaupt gar nicht!)


ist es nicht nur für Laien, sondern auch für viele Juristen
schwer verständlich, wenn in manchen Fällen der 22-jäh-
rige Nebentäter eine doppelt so hohe Gefängnisstrafe wie
der 20-jährige Haupttäter bekommt.

Im Jugendstrafrecht halte ich eine weitere Änderung
für noch viel dringlicher, nämliche die Einführung eines
sogenannten Warnschussarrestes.


(Christine Lambrecht [SPD]: Das ist der größte Blödsinn, den es gibt!)


Nicht erst der tragische Fall des mutigen Geschäfts-
manns Dominik Brunner, der in München-Solln im Sep-
tember von zwei Jugendlichen zu Tode geprügelt wurde,
weil er vier Kindern helfen wollte, zeigt, dass wir viel






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Günter Krings
frühzeitiger und konsequenter auf Jugendliche einwirken
müssen, die in die Kriminalität abzurutschen drohen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Glauben Sie ernsthaft, dass die Höchststrafe eine Rolle gespielt hätte? Glauben Sie, dass die Höchststrafe abgeschreckt hätte?)


– Passen Sie auf: Ich spreche gerade vom Warnschussar-
rest. Herr Kollege Wieland, Sie sollten schon aufpassen,
wovon ich spreche. Dann haben Sie auch etwas davon.

Jugendliche Intensivtäter geben oft selber an, dass sie
die Botschaft des Rechtsstaates zu lange nicht wirklich
verstanden haben, weil sie Verwarnungen von Gerichten
nicht ernst genommen haben oder die Verurteilung zu
Sozialstunden und Bewährungsstrafen als faktischen
Freispruch gewertet haben. Sie brauchen, wie sie zum
Teil selber sagen – ich selbst habe solche Gespräche ge-
führt –, einen wirksamen frühzeitigen Schuss vor den
Bug, und zwar zu dem Zeitpunkt, wo man kriminelle
Karrieren noch stoppen kann.


(Wolfgang Nešković [DIE LINKE]: Dafür gibt es den Jugendarrest!)


Dieser Schuss vor den Bug kann eben auch eine Teilver-
büßung einer im Übrigen zur Bewährung ausgesetzten
Freiheitsstrafe sein. Nichts macht wohl einen so dauer-
haften Eindruck auf einen jungen Menschen wie der Ver-
lust der Freiheit für einige Wochen.


(Christine Lambrecht erst alles, was sie noch nicht kennen! – Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

ihm macht!)

Diese sicherlich harte Maßnahme ist bei manchen Ju-
gendlichen und jungen erwachsenen Straftätern nötig,
um ihnen den Respekt vor unserem Rechtsstaat zu leh-
ren. Auch insoweit brauchen wir keinen weichen, alles
entschuldigenden, sondern einen starken Staat.

Wir werden ferner Schutzlücken im Recht der Siche-
rungsverwahrung schließen.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein besonders schlimmes Kapitel!)


Dieses besonders scharfe Schwert des Rechtsstaates darf
nur wohlüberlegt eingesetzt werden. Es wird deshalb eine
Harmonisierung mit einer in sich stimmigen Gesamtlö-
sung dieses Themenbereiches geben. Es gibt – zum Glück
nur wenige – hochgefährliche Täter, vor denen wir die
Allgemeinheit schützen müssen. Es kann aber nicht sein,
dass eine Sicherungsverwahrung etwa daran scheitert,
dass ein schon vom ersten Hafttag an extrem gefährlicher
Täter seine Gefährlichkeit eben gar nicht mehr steigern
kann. Hier gibt es Handlungsbedarf; darauf werden wir
reagieren.

Wahr ist: In der Öffentlichkeit ist, wie ich gesagt
habe, der sichtbarste Teil der Rechtspolitik das Straf-
recht. Es ist auch wahr: Über Spezialfragen, zum Bei-
spiel der freiwilligen Gerichtsbarkeit, liest man nur sel-
ten etwas auf den Titelseiten der Boulevardpresse.
Dennoch umfasst die Rechtspolitik sehr viel mehr als
Mord und Totschlag, zum Beispiel auch viele Bereiche
des Zivilrechts, die viele Menschen täglich betreffen,
und viele Bereiche des Wirtschaftsrechts. Rechtspolitik
ist eben eine umfassende Gestaltungsaufgabe. Gerade im
Wirtschaftsrecht bestehen für die neue christlich-liberale
Regierung eine Reihe von sinnvollen und pragmatischen
Gestaltungsmöglichkeiten.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo? Welche?)


Eines der wenigen Themen, das wir in der vorherigen
Koalition nicht abgearbeitet haben, war die dringend nö-
tige Reform des Insolvenzrechts. Ein wesentlicher
Grund war, dass die Leitung des BMJ spätestens zur
Mitte der letzten Wahlperiode offenbar das Interesse an
diesem Thema verloren hatte. Ich habe daher nicht ver-
standen, warum Ende 2008, Anfang 2009, auf dem Hö-
hepunkt der Finanzmarktkrise, auf einmal an der Spitze
des BMJ Krokodilstränen darüber vergossen wurden,
dass das Wirtschaftsministerium unter Führung von
Herrn Kollegen Guttenberg nun dieses Vakuum schlie-
ßen wollte.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guttenberg hat eine Anwaltskanzlei arbeiten lassen! Das wissen auch Sie! Herr Lammert hat es noch gerügt bei seiner Eröffnungsrede!)


Es ist gut, dass wir jetzt das Thema unter der Federfüh-
rung der Rechtspolitik wieder anpacken. Wichtig ist,
dass wir das Insolvenzrecht modernisieren, es zu einem
echten Restrukturierungsrecht ausbauen und dabei vor
allem dafür sorgen, dass Insolvenzverfahren eines Unter-
nehmens in der Regel nicht zur Abwicklung führen, son-
dern dazu, dass ein Unternehmen wieder auf ein solides
Fundament gestellt wird. Das Insolvenzplanverfahren
wird hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.

Lassen Sie mich zu einem letzten wirtschaftsrechtli-
chen Sachthema kommen. Sie alle wissen, dass mir der
Schutz des geistigen Eigentums besonders am Herzen
liegt. Einige im Hause hat das Wahlergebnis der Piraten-
partei offenbar etwas nervös gemacht. Man hatte bei ei-
nigen Äußerungen fast den Eindruck, dass sich der eine
oder andere selbst gern eine Totenkopfflagge ans Revers
heften möchte.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wen meinen Sie denn? – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tauss!)


Es ist richtig: Die Modernisierung des Urheberrechts
und seine Anpassung an die Herausforderungen der digi-
talen Welt bleiben eine fortwährende Aufgabe für die
Rechtspolitik. Richtig ist aber auch: Der Wohlstand un-
seres Landes basiert maßgeblich auf der Kreativität von
Unternehmern und Arbeitnehmern, von Künstlern, Er-
findern und Autoren. Die Ergebnisse dieser Arbeit müs-
sen geschützt werden. Es geht hier um eine wichtige
Schutzpflicht des Staates. Es ist deshalb richtig und ganz
entscheidend, dass die rechtlichen Maßstäbe in der digi-
talen Welt die gleichen sind wie in der analogen Welt.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Günter Krings
Was allgemein verboten ist, kann nicht plötzlich deshalb
erlaubt sein, weil es im Internet geschieht. Von diesem
Kompass werden wir uns in dieser Frage leiten lassen.
Dabei werden wir auch die beteiligten Wirtschaftsver-
bände, Unternehmen und Internetnutzer in die Pflicht
nehmen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme
zum Schluss. Die Garantie der Freiheits- und Eigen-
tumsrechte bleibt das Kernanliegen der christlich-libe-
ralen Rechtspolitik. Sicherlich werden wir über viele In-
strumente und Wege mit der Opposition streiten. Ich
gehe aber davon aus, dass wir bei den Fundamenten die-
ses Rechtsstaats und den grundsätzlichen Zielen weiter-
hin eine weitgehende Einigkeit erzielen können. Ich
hoffe auch, dass wir weiterhin spannende Debatten über
die verschiedenen Wege führen werden, möglichst auch
des Öfteren einmal in der Kernzeit des Parlaments.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun Sie etwas dafür! Sie sind die große Fraktion!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700415900

Vor allen Dingen in der vorgegebenen Zeit.


Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1700416000

Ich freue mich auf diese rechtspolitischen Debatten,

die wir gemeinsam führen werden, hoffentlich auch
dann wieder unter der charmanten Leitung der amtieren-
den Vizepräsidentin.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700416100

Der Kollege Raju Sharma hat jetzt das Wort für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Raju Sharma (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700416200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Wir wollen Freiheit und Sicherheit für unsere Bür-
gerinnen und Bürger.

So steht es in der Präambel des Koalitionsvertrages. Au-
ßerdem heißt es dort:

Wir wollen ein ausgewogenes Verhältnis von Frei-
heit und Sicherheit.

Und schließlich:

Wir setzen auf die Freiheit des Einzelnen und ste-
hen für die Sicherheit aller ein.

Das sind schöne Worte. Sie sind zwar nicht besonders
originell, aber all das sind Aussagen, denen sich vermut-
lich die Mehrheit aller Fraktionen des Deutschen Bun-
destages bedenkenlos anschließen könnte.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Das ist doch schon einmal etwas!)

Das gilt auch für die Mehrheit aller anderen Fraktionen
in jedem Parlament in jedem anderen beliebigen Land
der Welt.

Genau das ist das Problem. Auch in der Rechtspolitik
ist der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP ge-
prägt von Allgemeinplätzen, die so beliebig und unver-
bindlich sind, dass sie glatt der vom Kollegen Lammert
so geschmähten Fernsehserie Bianca – Wege zum Glück
entstammen könnten.


(Beifall bei der LINKEN)


Leider führt der Koalitionsvertrag auch in der Rechts-
politik nicht zum Glück. Wer sich die Mühe macht, tiefer
einzusteigen, wird schnell feststellen, dass auch in diesem
Bereich hinter den warmen Worten zumeist nichts anderes
als schnöde, kalte Interessenpolitik steckt, die die Sinn-
haftigkeit sozialer Transferleistungen und Schutzvor-
schriften grundsätzlich infrage stellt.

Der Kollege Scholz hat bereits darauf hingewiesen – ich
freue mich ausdrücklich darüber, dass die Sozialdemokra-
ten in diesem Punkt unsere Auffassung teilen –: Die Forde-
rung nach einer Vereinheitlichung der Kündigungsfristen
für Mieter und Vermieter mag unverdächtig und irgend-
wie ausgewogen klingen. Faktisch geht es hierbei aber
schlicht und ergreifend um den Abbau von Mieterrechten.


(Beifall des Abg. Dr. Axel Troost LINKE)

es doch erst einmal ab!)

Wenn die Koalition verlangt, mietrechtliche Ansprü-
che müssten auch wirksam vollstreckt werden können,
geht es natürlich um die Ansprüche der Vermieter. Ihnen
soll nicht länger zugemutet werden, sich mit dem lästi-
gen Mieterschutz auseinandersetzen zu müssen. Hierzu
sagt die Linke ganz klar: Nein, das wollen wir nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Rousseau hat es richtig erkannt: Zwischen dem Star-
ken und dem Schwachen ist es die Freiheit, die unter-
drückt, und das Recht, das befreit. Für die Linke hat
Rechtspolitik deshalb immer auch eine soziale Dimen-
sion. Das Sozialstaatsprinzip ist zu Recht eine der tra-
genden Säulen unserer Verfassung. Wer ein ausgewoge-
nes Verhältnis von Freiheit und Sicherheit will, darf die
soziale Sicherheit nicht aus dem Blick verlieren.

Noch ein Wort an die Justizministerin. Frau
Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben viel Mut bewie-
sen, in dieser Konstellation und mit diesem Koalitions-
vertrag in die Bundesregierung einzutreten. Ich wünsche
Ihnen, dass Sie mehr sein werden als das liberale Feigen-
blatt einer wenig freiheitlichen Rechtspolitik. Wenn es
um die Verteidigung bürgerlicher Freiheitsrechte geht,
finden sich außerhalb der Koalition womöglich mehr
Bündnispartner als innerhalb. Wer gerade den Ausfüh-
rungen des Kollegen Dr. Krings zugehört hat, der weiß,
wovon ich rede.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700416300

Herr Sharma, das war Ihre erste Rede im Deutschen

Bundestag. Wir beglückwünschen Sie dazu herzlich und
wünschen eine erfolgreiche Arbeit.


(Beifall)


Jerzy Montag spricht jetzt für das Bündnis 90/Die
Grünen.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700416400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir re-

den heute den zweiten Tag über die Regierungserklärung
der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ich will an dieser
Stelle an das Bild erinnern, das unser Fraktionsvorsit-
zender, Jürgen Trittin, gestern für den Koalitionsvertrag
geprägt hat. Er sprach von einem Zug: In den ersten
Waggons des Zuges, in der ersten Klasse, werden Cock-
tails serviert. In den hinteren Waggons, in der Holz-
klasse, gibt es nichts. Einige der Waggons werden abge-
hängt. Leider ist es so, dass die Waggons mit der
Aufschrift „Rechtsstaat/Bürgerrechte“ zu den hinteren
gehören. Ich befürchte, dass sie zu den gehören, die ab-
gehängt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie vor vier Jahren habe ich in der Regierungserklä-
rung der Bundeskanzlerin kein einziges Wort zu der Be-
deutung gehört, die die Grund- und Bürgerrechte für
eine freiheitliche Gesellschaft haben, kein Wort zur
Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtsbindung allen staat-
lichen Handelns, kein Wort dazu, dass eine Rechtspolitik
ihren Namen nur dann verdient, wenn sie verdeutlicht,
welche Bedeutung die Unabhängigkeit der Justiz hat.
Wie vor vier Jahren muss ich dies kritisieren.

Deswegen stimmt auch das zweite Bild, das Jürgen
Trittin verwendet hat: Diese Koalitionsvereinbarung und
diese Regierungserklärung sind kein Aufbruch, sondern
ein Aufguss, von dem wir uns in der Rechtspolitik nichts
versprechen dürfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Max Stadler [FDP]: Einen Aufguss rotgrüner Politik werden wir nicht machen!)


Als Rechtspolitiker habe ich an zwei Stellen aufge-
merkt. Die erste Stelle war, als die Bundeskanzlerin
sagte: „Sittenwidrige Löhne werden wir verbieten.“ Die
Bürgerinnen und Bürger müssen sich verwirrt fragen:
Was soll das heißen? Sind sittenwidrige Verträge bei uns
noch nicht verboten? Muss man sie jetzt verbieten? Ein
Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. In
§ 130 BGB heißt es:

Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten ver-
stößt, ist nichtig.

Strafrechtlich ist das bereits unter Strafe gestellt.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Was haben Sie für ein BGB?)


Meine Damen und Herren, der Satz: „Sittenwidrige
Löhne werden wir verbieten“, ist arbeitsmarktpolitisch
ein Offenbarungseid.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Es kommt nicht darauf an, sittenwidrige Löhne zu ver-
bieten, sondern darauf, sie abzuschaffen. Wie kann man
sie abschaffen? Durch intelligente Mindestlöhne; solche
Mindestlöhne müssen eingeführt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Rechtspolitisch ist dieser Satz eine Nullnummer; denn er
besagt überhaupt nichts. Ich bin sehr gespannt, wie die
Koalition zu einem Verbot der Sittenwidrigkeit kommen
will.

Der zweite Satz der Bundeskanzlerin, bei dem ich
aufgemerkt habe, war: „Wir wollen das Verhältnis der
Bürgerinnen und Bürger zu ihrem Staat verbessern.“ Das
Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zu ihrem Staat
verbessern? Was für ein Verhältnis haben die Bürgerin-
nen und Bürger denn heute zu ihrem Staat? Im Bereich
des Strafrechts und der Strafverfolgung galt bisher der
Grundsatz: Jeder rechtschaffene und gesetzestreue Bür-
ger hat das Recht, dass sich der Staat auch und besonders
in Form der Polizei von ihm fernhält und ihn nicht be-
helligt. Es gibt eine staatsbürgerliche Pflicht, Zeuge zu
sein. Die Pflicht zum Erscheinen und zur wahrheitsge-
mäßen Aussage gibt es aber bisher nur gegenüber der
unabhängigen Justiz. Sie wollen die Bürgerinnen und
Bürger dazu verpflichten, auf Vorladung auch vor der
Polizei zu erscheinen und auszusagen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)


Bisher galt: Der Staat ist für die Menschen da und
nicht die Menschen für den Staat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Bisher war der aufrechte Gang der Bürgerinnen und Bür-
ger grundrechtlich geschützt. Nach Ihrer Denkart sollen
die Bürgerinnen und Bürger jetzt wieder die Hacken zu-
sammenschlagen, und man hat gesenkten Hauptes vor
der Obrigkeit zu erscheinen. Das meint die Kanzlerin,
wenn sie sagt, dass sie das Verhältnis der Bürgerinnen
und Bürger zu ihrem Staat verbessern will.

In der Sache ist das ein Prozess der Verpolizeilichung
des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Die Polizei
wird mit dieser Neuerung aus der Rolle des Hilfsbeam-
ten der Staatsanwaltschaft befreit. Sie wird das, was sie
schon immer werden wollte: Sie wird selbstständig. Die
Staatsanwaltschaft wird weiter entmachtet.

Wir haben im Sommer dieses Jahres vom Bundesjus-
tizministerium ein vom Bundesjustizministerium in Auf-
trag gegebenes dickes Gutachten zugeschickt bekom-
men. Das Gutachten des Deutschen Richterbundes trägt
den Titel „Das Verhältnis von Gericht, Staatsanwalt-
schaft und Polizei im Ermittlungsverfahren, strafprozes-

(Fehl-? diesem Gutachten wird genau davor gewarnt, was Sie jetzt einführen wollen. Das Gutachten hätten Sie sich sparen können. Jerzy Montag (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Schande!)





(A) (C)


(B) (D)


Mit Erlaubnis der Präsidentin will ich aus einem Bun-
destagswahlprogramm einige Sätze zitieren:

Wir brauchen eine Neuausrichtung der Rechtspoli-
tik. Die Rechtspolitik darf sich nicht darauf be-
schränken, europäische Vorgaben umzusetzen oder
innenpolitische Initiativen rechtsstaatlich zu schär-
fen.

Rechtspolitik muss gestalten und dem Wandel in
der Gesellschaft ein Gesicht geben. Von der Rechts-
politik müssen entscheidende Impulse ausgehen für
eine moderne und aufgeklärte Bürgergesellschaft.

Ich frage Sie: Welche der Fraktionen dieses Hohen
Hauses hat diesen Text in ihr Wahlprogramm geschrie-
ben?


(Dr. Max Stadler [FDP]: Ihr nicht!)


Die Linke war es nicht;


(Dr. Max Stadler [FDP]: Ihr auch nicht!)


denn darin stand nichts über Hartz IV oder über völker-
rechtswidrige Angriffskriege.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ist das jetzt die 2000-Euro-Frage?)


Von uns stammt es auch nicht; Herr Stadler, Sie haben
recht. Es hätte von uns stammen können. Wir haben das
Gleiche mit anderen und besseren Worten geschrieben. –
Jawohl, es stammt von der FDP.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt ist es heraus!)


Es ist das Wahlprogramm der FDP.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Ziemlich gut!)


Angesichts dieser starken Worte, die Sie benutzt ha-
ben, sage ich Ihnen:


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ungeheuerlich!)


Für mich ist diese Bürgerpflicht, auf Vorladung vor
der Polizei erscheinen und aussagen zu müssen, die
größte rechtspolitische Fehlentwicklung und Enttäu-
schung, die Sie in diese Koalition hineintragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Viele andere Punkte sind angesprochen worden. Ich
habe nicht die Zeit, sie hier im Einzelnen aufzuführen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade!)


Wir Grünen werden, wie auch die anderen Kolleginnen
und Kollegen aus der Opposition, im Rechtsausschuss
auf alle diese Punkte zu sprechen kommen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Darauf freuen wir uns schon!)

– Ich hoffe, dass Sie das tun.
Zum Schluss würde ich ganz gerne noch eines sagen:

Frau Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger, Herr
Staatssekretär Stadler, wir werden Ihnen eine konse-
quente, eine sachliche und eine konstruktive Opposition
sein. Wir werden Ihnen nichts durchgehen lassen, wenn
Sie sich Ihrer bürgerrechtlichen und rechtsstaatlichen
Kleider entledigen,


(Dr. Max Stadler [FDP]: Keine Sorge! – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Modeberater Montag!)


und wir werden Ihnen konkrete Alternativen dafür vor-
schlagen, wie man die Justiz stärken und die Grund-
rechte, Bürgerrechte und Menschenrechte heute und
morgen in Deutschland schützen kann.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Gut, einverstanden!)

Ich will von diesem Pult nicht wegtreten, ohne Sie,

Frau Ministerin, und Sie, Herr Staatssekretär, zu Ihren
neuen Ämtern zu beglückwünschen. Ich denke, dass wir
trotz der Differenzen, die wir miteinander haben, eine
gute Zusammenarbeit im Rechtsausschuss haben wer-
den.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700416500

Der Kollege Christian Ahrendt hat das Wort für die

FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christian Ahrendt (FDP):
Rede ID: ID1700416600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Lassen Sie mich für meine Fraktion eines vorne-
weg feststellen: Die Rechtspolitik hat ihren Kompass zu-
rück. Der Rechtsstaat wird durch den Koalitionsvertrag
gestärkt.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An welcher Stelle denn? Wo?)


– Das sage ich Ihnen gleich.
Wir stellen den Menschen und die Freiheitsrechte in

den Mittelpunkt. Wir haben hier eine klare Kursbestim-
mung von der Ministerin erhalten, und für diese klare
Kursbestimmung darf ich mich bei Ihnen, Frau
Leutheusser-Schnarrenberger, ganz herzlich bedanken.


(Beifall bei der FDP – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das meinen Sie doch nicht ernst! Wolkig!)


Herr Wieland, da Sie hier so schön dazwischenrufen
und Herr Montag die Grundrechte predigt, sage ich Ih-
nen von dieser Stelle aus: Sie haben mit der SPD zusam-
men das Luftsicherheitsgesetz gemacht. Sie sind dort
mitgeflogen, und Sie sind dort auch mit abgestürzt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir! Wir haben daraus gelernt! Sie nicht!)







(A) (C)



(B) (D)


Christian Ahrendt
– Das ist schön; aber der Lernprozess hat sich nicht fort-
gesetzt, wenigstens nicht bis hierher.

Im Grunde genommen zeigt sich hier in der Debatte
das Problem: Die Opposition ist in der Rechtspolitik
ohne klare Kursbestimmung. Sie haben im Wahlkampf
gepredigt: Wenn Schwarz-Gelb gewählt wird, geht das
Abendland unter.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, dann kommt die soziale Kälte! Sie wird kommen!)


Die Menschen haben unser konkretes Politikangebot ge-
wählt. Wir sind in der Regierung, Sie sind in der Opposi-
tion, und das ist auch gut so.


(Beifall bei der FDP – Christine Lambrecht [SPD]: Das war jetzt aber eine Aussage! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn mehr Freiheit?)


Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt eingehen.
Wir haben die Skandale um die Überwachung der
Arbeitnehmer bei Lidl und bei der Bahn verfolgt. Das
Thema war schon aktuell, als Herr Scholz noch Minister
war; aber erst kurz vor Ende des Wahlkampfes ist ein
Gesetz vorgelegt worden.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war sehr spät!)


Es wäre vorher genug Zeit gewesen, um die Arbeitneh-
merrechte und den Datenschutz zu verbessern. Dennoch
wurde es erst kurz vor Ultimo in Angriff genommen. Als
man Verantwortung trug, wurde die Gelegenheit nicht
genutzt.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie recht!)


Es ist zu wenig, wenn man Rechtspolitik erst dann be-
treibt, wenn es im Wahlkampf nützlich ist.


(Beifall bei der FDP)


Ich möchte ein zweites Beispiel für die Irrungen der
Rechtspolitik anführen. Am 24. September hat dieses
Haus das Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von
Unternehmen verabschiedet. Damit wurde der Über-
schuldungsbegriff geändert. Kurz zur Rechtsge-
schichte: 1999 wurde ein neues Insolvenzrecht mit ei-
nem neuen Überschuldungsbegriff eingeführt. In der
Krise wurde dieser außer Kraft gesetzt. Seitdem kann ein
Unternehmen fortgeführt werden, wenn es eine positive
Fortbestehensprognose gibt. Dadurch sollen Sanierun-
gen erleichtert werden. Allerdings wurde für diese Rege-
lung nur ein Zeitfenster bis 2014 geöffnet. Was ist das
für eine Rechtspolitik? Bis 2014 kann ein Unternehmen
leichter saniert werden; ab 2015 können Unternehmen,
die in eine Notlage geraten, wieder schlechter saniert
werden. Das offenbart das Problem, das wir in der
Rechtspolitik haben: Sie sind ohne Orientierung unter-
wegs.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Insolvenzrecht ist das Kernstück der christlich-liberalen Wende in der Rechtspolitik! Das hat Herr Krings gesagt! Nun weiß ich, dass es sich gelohnt hat!)


– Es ist ein Kernstück der Rechtspolitik. – Das Beispiel
zeigt, wie wirr zuletzt agiert wurde. Wir werden das än-
dern.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber was ist das Christliche am Insolvenzrecht? Das hat Herr Krings nicht gesagt!)


– Das müssen Sie Herrn Krings fragen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich hätte nie davon geträumt, dass sich Herr Wieland um christliche Politik bemüht!)


Wir machen Ihnen das Angebot, in den Ausschüssen
kreativ mitzuarbeiten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700416700

Jetzt hat das Wort die Kollegin Christine Lambrecht

für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1700416800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, auch
ich darf Ihnen an dieser Stelle recht herzlich zur Ernen-
nung gratulieren und wünsche Ihnen eine glückliche
Hand bei der Amtsausübung. Ich habe Sie in den letzten
Jahren im Rechtsausschuss als eine streitbare, aber sehr
faire Kollegin kennengelernt. Von daher setze ich große
Hoffnungen in die Zusammenarbeit.

Sie haben in der Öffentlichkeit erklärt, dass dieser
Koalitionsvertrag eine liberale Handschrift trägt. Ich
freue mich, dass es gelungen ist, wenigstens das, was das
Bundesverfassungsgericht in Bezug auf gleichge-
schlechtliche Lebensgemeinschaften vorgegeben hat,
in den Koalitionsvertrag aufzunehmen.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Wir haben es vor der Entscheidung vereinbart!)


Ich weiß, wie schwierig es in den letzten Jahren war: Wir
sind immer wieder an die ideologischen Scheuklappen
der CDU/CSU gestoßen, wenn wir in diesem Bereich
auch nur die kleinsten Veränderungen vornehmen woll-
ten, selbst wenn es Vorgaben des Bundesverfassungsge-
richts gab und klar war, dass sich etwas tun muss. Ich
lese den Koalitionsvertrag; aber bevor ich mich tatsäch-
lich – insbesondere für die betroffenen Menschen – über
Verbesserungen freue, warte ich Ihre Taten ab. Wenn die
richtigen Vorschläge kommen – Herr Stadler kündigt das
an; wir nehmen Sie beim Wort –, werden Sie uns auf je-
den Fall als konstruktive Mitstreiter an Ihrer Seite haben.

Lassen Sie uns den Koalitionsvertrag in einigen
Punkten überprüfen. Sie haben gesagt, hier sei insbeson-
dere der Gedanke des liberalen Rechtsstaats zu spüren.
Bei einigen Punkten kommen allerdings Zweifel auf.






(A) (C)



(B) (D)


Christine Lambrecht
Kollege Scholz und andere haben es schon angespro-
chen. Die Überlastung der Gerichte wird völlig zu Recht
zum Thema gemacht. Rechtswege dauern lange, Richter
und auch alle anderen, die in diesem Bereich beschäftigt
sind, haben viel zu tun. Aber wenn dann vorgeschlagen
wird, die Prozesskosten- und Beratungshilfe auf den
Prüfstand zu stellen – das heißt nichts anderes, als dass
sie gekürzt werden soll –, dann hat das, glaube ich, mit
dem Rechtstaatsbegriff nichts zu tun.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn was heißt das konkret? Es heißt doch, dass denje-
nigen, die finanziell schwach sind und sich weder einen
Anwalt noch die entsprechenden Gebühren leisten kön-
nen, der Rechtsweg verschlossen bleibt, aber all diejeni-
gen, die dieses Privileg in Anspruch nehmen können, das
Recht haben, zu klagen. Bei allen anderen ist es ein
Missbrauch. Wenn man Geld hat und klagt, dann ist es
völlig in Ordnung. Dabei werden Sie allerdings auf den
erbittertsten Widerstand der SPD-Fraktion stoßen, und
zwar nicht erst, seitdem wir in der Oppositionsrolle sind.
Das war eine ganz klare Position, die wir schon immer
vertreten haben, und dabei werden wir auch bleiben.


(Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nicht alle!)


Ähnlich ist es mit der Privatisierung des Gerichts-
vollzieherwesens. Abgesehen davon, dass ich es rechts-
staatlich für höchst bedenklich halte, wenn Sie ein sol-
ches Vorhaben umsetzen, verführt es auch automatisch
dazu, dass Sie den Menschen eine Erhöhung der Gebüh-
ren klarmachen müssen. Die Erhöhung der Gebühren
wird sich auf ungefähr 200 Prozent belaufen, weil ge-
genwärtig die eingenommenen Gerichtsvollziehergebüh-
ren nicht ausreichen, um die Kosten zu decken. Sie wer-
den vielmehr zurzeit in einer Größenordnung von
345 Millionen Euro subventioniert. Zumindest diese
345 Millionen Euro müssen dann irgendwo eingetrieben
werden.


(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Wo haben Sie die Zahlen her, bitte?)


Dazu kommt, dass ein privater Gerichtsvollzieher auch
etwas verdienen will. Das bedeutet einen ordentlichen
Aufschlag für diejenigen, die sowieso schon nichts oder
wenig haben. Sie werden sich darauf einstellen müssen,
dass auch das mit uns nicht zu machen ist.


(Beifall bei der SPD)


Lassen Sie uns einen weiteren Punkt ansprechen, der
unter das Thema Populismus fällt. Dazu gehört das
Thema Zwangsheirat. Sie wollen die Zwangsheirat ver-
bieten. Sie ist aber schon längst verboten. Alles, was Sie
jetzt in den Koalitionsvertrag hineinschreiben, ist eine
zusätzliche Überschrift. Damit haben Sie völlig recht.
Aber subsumieren kann man sie, wenn man es einiger-
maßen beherrscht, bereits heute unter den Fall der be-
sonders schweren Nötigung. Man muss sich nur Mühe
geben.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht sogar ausdrücklich drin!)


Es ist also keineswegs so, dass wir eine Rechtslücke hät-
ten, die jetzt endlich geschlossen werden muss. Nein,
hier wird nur Kosmetik betrieben und einfach ein Wort
mit hineingeschrieben. Wenn das Ihr Verständnis der
Politik eines liberalen Rechtsstaats ist, dann bin ich sehr
skeptisch.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Neue Rechte kriegen die Frauen jedenfalls nicht!)


Ebenso geht es im Jugendstrafrecht weiter. Dazu ha-
ben Sie die Erhöhung der Höchststrafe im Jugendstraf-
recht von zehn auf 15 Jahre vereinbart.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Nur bei Mord!)


Jetzt lassen Sie uns einmal hören, was Sie gesagt haben,
als Sie noch in der Opposition waren. Mit Genehmigung
der Präsidentin zitiere ich die Kollegin Dyckmans, die
heute anwesend ist, aus der Debatte am 16. Januar 2008.
Wir erinnern uns: Es war wieder einmal Landtagswahl in
Hessen, und Herr Koch hat versucht, mit genau diesem
Thema auf Stimmenfang zu gehen. Die Kollegin
Dyckmans – damals noch in der Opposition – hat erklärt:

Wir haben kein Problem mit dem geltenden Recht.
Wir haben vielmehr ein Problem mit der Umset-
zung des geltenden Rechts.

Gegen Ende ihres Beitrags heißt es:

… das alles zeigt, dass wir bereits heute nach dem
geltenden Recht handeln können und handeln müs-
sen. Wir brauchen keine neuen Gesetze.

Recht haben Sie. Es ist nur schade, dass Sie sich dann,
wenn Sie in der Regierungsverantwortung sind, an diese
Sätze nicht mehr erinnern, sondern offensichtlich klein
beigeben, dem Populismus unterfallen und jetzt die
Höchststrafe anheben wollen. Dazu kann ich nur sagen:
Sie haben Ihre Wähler getäuscht.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Max Stadler [FDP]: Nur bei Mord!)


Das Gleiche gilt für den Warnschussarrest. Jeder in
der Praxis erklärt Ihnen, dass es grober Unfug ist, dass
Jugendliche, die genau diese Maßnahme erleiden, nichts
anderes erfahren als alle weiteren Möglichkeiten, wie
man richtig kriminell wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Pädagogisch kontraproduktiv!)


Bei einer so bescheuerten Idee knicken Sie jetzt ein.
Diese Position haben Sie auch vertreten, solange Sie
noch in der Opposition waren. Aber auch dabei haben
Sie sich offensichtlich eines Besseren belehren lassen.
So ist es eben, wenn man in die Regierung kommen und






(A) (C)



(B) (D)


Christine Lambrecht
mitspielen will. Ich sage in Ihre Richtung nur: Verspro-
chen – gebrochen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Das wahre Gesicht zeigt die Koalition – darin sind Sie
sich wieder sehr einig –, wenn es um Klientelpolitik
geht. Dazu gehört das Thema Mietrecht – das ist schon
angesprochen worden –, insbesondere die Verkürzung
der Kündigungsfristen.

Ich will aber noch ein weiteres Beispiel von Klientel-
politik anbringen. Sie wollen prüfen, ob Grundstücke,
die nach 1945 in der SBZ enteignet wurden, kosten-
günstig an die ehemaligen Eigentümer abgegeben wer-
den können, wenn sie jetzt in öffentlicher Hand sind.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Unverschämtheit!)


Darüber kann ich nur lachen. Es gibt ein Entschädi-
gungs- und Ausgleichsleistungsgesetz. Vor langen Jah-
ren ist ein Kompromiss zu einem solchen Ausgleich ge-
funden worden. Den haben Sie damals noch
beschlossen. Diesen Kompromiss wollen Sie jetzt zu-
gunsten Ihrer eigenen Klientel wieder aufheben und da-
mit sehr viel Unfrieden in die neuen Länder bringen.
Dazu kann ich meinem Vorredner nur sagen: Vielleicht
könnten Sie da einmal aufräumen, damit so etwas nicht
in die Tat umgesetzt wird.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie sind nicht zum ers-
ten Mal Justizministerin. Ich muss schon sagen: Ihr da-
maliger Rücktritt und Ihre Tränen darüber haben Ge-
schichte gemacht und mich als junge Juristin sehr
beeindruckt. Der Grund für Ihren Rücktritt war der
große Lauschangriff. Er ist heute noch in Kraft.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Akustische Wohnraumüberwachung!)


– Akustische Wohnraumüberwachung. Vielen Dank für
die präzise Formulierung. – Mittlerweile sind das Gesetz
über die Vorratsdatenspeicherung und das BKA-Ge-
setz hinzugekommen. Daher verwundert es, dass Sie
jetzt, wo sich vieles in eine Richtung verändert hat, die
Sie ursprünglich nicht mittragen konnten, den Mut ha-
ben, in dieses Amt zurückzukehren.

Was mich in negativem Sinn besonders beeindruckt,
ist, dass Sie momentan Justizministerin sind und gegen
eines der Gesetze klagen, die in Kraft sind, nämlich die
Vorratsdatenspeicherung. Sie selbst klagen gegen ein
Gesetz.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Das haben Sie beschlossen!)


– Da haben Sie gut aufgepasst. Aber sie klagt trotzdem
dagegen. – Ich glaube, das ist ein einmaliger Vorgang in
Deutschland.


(Zurufe von der FDP)


– Kein Wunder, dass Sie sich so aufregen. Bei einem sol-
chen Vorgang wäre auch ich aufgebracht.
Wenn die Frau Justizministerin darauf angesprochen
wird, erklärt sie: Ich warte ab, was das Bundesverfas-
sungsgericht sagt. Da kann ich nur sagen: Was ist denn
mit dem Gestaltungsauftrag der Politik? Sie sind die am-
tierende Justizministerin. Sie haben die Mehrheit in die-
sem Hause. Ändern Sie das Gesetz doch! Sie haben ur-
sprünglich erwartet, dass wir entgegen allen
europäischen Vorgaben


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben Sie doch erst geschaffen! Da hat Ihre Frau Zypries die Hand gehoben!)


dieses Gesetz zurückhalten. Sie haben jetzt die Möglich-
keit, Ihren Worten Taten folgen zu lassen. Aber das Sein
bestimmt das Bewusstsein. Es ist leichter, so etwas in
der Opposition zu fordern, als dann, wenn man in der
Regierung ist. Ich hoffe, dass dies der einzige Fall ist, in
dem Sie Ihre Überzeugung so leichtfertig über Bord wer-
fen, und dass Sie in Zukunft weiter für Ihre liberalen
Grundüberzeugungen kämpfen werden.

Meine Damen und Herren von der Koalition, wir wer-
den Ihre Arbeit begleiten und immer darauf hinweisen,
wenn Sie wie in den vielen aufgezeigten Fällen Ihre
Wahlversprechen brechen oder Überzeugungen über
Bord werfen. In diesem Sinn sind wir eine verlässliche
Opposition. Wir kündigen Ihnen aber auch eine kon-
struktive Zusammenarbeit dort an, wo es in die richtige
Richtung geht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700416900

Das Wort hat der Kollege Michael Grosse-Brömer

von der CDU/CSU-Fraktion.


Michael Grosse-Brömer (CDU):
Rede ID: ID1700417000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel Lob
und Zuspruch ein Mensch ertragen kann, bevor es ihm
unangenehm wird. Auch ich kann Ihnen das nicht erspa-
ren, Frau Justizministerin. Ich wünsche Ihnen alles Gute
in Ihrem neuen Amt. Sie machen das in der Tat zum
zweiten Mal. Sie kennen das Haus und werden sehr er-
folgreich sein, wahrscheinlich auch deshalb, weil Ihnen
die Rechtspolitiker der CDU/CSU zur Seite stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


– Der Kollege Wieland wird wieder unruhig, weil er
spürt, dass die Union einen vernünftigen Aufschlag
macht. Ich komme gleich darauf zurück.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Volle Umarmung!)


In der Rechtspolitik können wir als CDU/CSU-Frak-
tion nahtlos an eine erfolgreiche Arbeit der vergangenen
Jahre anknüpfen – das ist unser gnadenloser Vorteil –,
wenn auch unter den Bedingungen einer veränderten po-
litischen Mehrheit. Es gibt – das ist spannend – viele






(A) (C)



(B) (D)


Michael Grosse-Brömer
neue Kollegen. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit,
insbesondere mit den Kollegen in unseren Reihen. Wir
werden aber auch die neuen Gesichter in der Opposition
und neue Argumente kennenlernen. Sicherlich werden
wir ein neues Miteinander finden. Leider gibt es auch ein
paar Kollegen, die wir vermissen werden. Ich glaube,
wir hatten mit Andreas Schmidt – er gehört nicht mehr
dem Deutschen Bundestag an – einen ganz tollen Aus-
schussvorsitzenden. Es gibt noch einen anderen Kolle-
gen, der – ich muss jetzt Herrn Wieland zitieren – unver-
gessen ist, nämlich Jürgen Gehb, der rechtspolitischer
Sprecher meiner Fraktion war.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Kein lateinischer Satz in der ganzen Debatte heute! Gehb fehlt!)


Es ist schön, dass wir trotz der vielen neuen Gesichter
alte vermissen, weil sie so gut waren. Mich freut es ganz
besonders, dass es sich dabei um Mitglieder der Unions-
fraktion handelt.

Wir, die christlich-liberalen Partner, haben in den be-
reits permanent diskutierten Koalitionsvertrag die guten
Sachen aufgenommen und die schlechten weggelassen.
Deswegen wäre es klug, wenn die Opposition der Emp-
fehlung der charmanten Kollegin Lambrecht von der
SPD folgen und abwarten würde.

Es gibt natürlich noch einige Sachen, die auf uns zu-
kommen. Wir haben nicht alles in diesem Koalitionsver-
trag geregelt.


(Christine Lambrecht [SPD]: Das macht Sie so verdächtig!)


Das sieht man an dem Punkt, den sie angesprochen hat,
nämlich die Prozesskostenhilfe. Wir ahnen die Reaktion
der Opposition. Wer PKH auch nur anfasst, kommt
gleich in den Geruch, die armen Leute daran zu hindern,
den Rechtsstaat in Anspruch zu nehmen. Darum ging es
bei der Prozesskostenhilfe in der letzten Legislatur-
periode nicht,


(Christine Lambrecht [SPD]: Da sagen die Entwürfe der Länder etwas anderes!)


darum wird es auch in dieser Legislaturperiode nicht ge-
hen; denn es geht nur darum, die Möglichkeit zu be-
schränken, dass man die Prozesskostenhilfe ausnützt,
weil man sich arm rechnet, und zwar durchaus in Part-
nerschaften, die wohlhabend sind. Es geht darum, in ei-
nem solchen Fall nicht weiter Prozesskostenhilfe in An-
spruch nehmen zu können. Das ist ein Punkt, den wir
ansprechen müssen, weil er von Ihnen in die Debatte ge-
bracht wurde.

Wir werden auch weiterhin mit der Überregulierung
kämpfen und gleichzeitig den Schutz der Bevölkerung
im Auge haben müssen. In diesem Spannungsfeld wer-
den wir sicherlich spannende Debatten haben, ich
glaube, auch in der Koalition. Wir werden weiterhin das
Rechtsempfinden der Menschen beachten müssen. Wir
haben in der letzten Legislaturperiode gespürt, dass die
Managergehälter im Vergleich zu dem, was geleistet
wurde, nicht immer angemessen waren. Deswegen hat
man auch rechtspolitisch darauf reagiert. Ich glaube, wir
müssen auch in Zukunft nahe beim Menschen bleiben
und zusehen, dass wir die Akzeptanz des Rechtsstaats
bei den Menschen stärken.

Die Kanzlerin kündigte gestern zu Recht an, Deutsch-
land zu neuer Stärke zu führen. Eine der großen Stärken
Deutschlands ist die Rechtsordnung. Wir müssen die
Vorteile dieser Rechtsordnung, nämlich leistungsfähige
Gesetze, leistungsfähige Justiz, national bewahren und
international herausstellen und stärken. Stichwort ist
hier: Bündnis für das Recht. „Law – Made in Germany“,
das ist eine vorbildliche Arbeit der Politik und der be-
rufsständischen Vertretungen gewesen. Ich nenne hier
die Bundesrechtsanwaltskammer, den Deutschen An-
waltsverein, die Bundesnotarkammer, den Deutschen
Notarverein und den Deutschen Richterbund. Da ist eine
sehr gute Arbeit im Sinne des deutschen Rechtsstaats
und des deutschen Rechts geleistet worden. Wir pflegen
ein exzellentes Miteinander – das finde ich gut – zwi-
schen Politik und berufsständischen Vertretungen. Dazu
zählen beispielsweise auch die Rechtspfleger oder die
Patentanwälte. Ich glaube, es wird weiterhin so sein
müssen, dass wir als Rechtspolitiker hier im Deutschen
Bundestag Wert auf diese praktischen Erfahrungen le-
gen, dass wir die Erfahrungen berücksichtigen, unser gu-
tes Verhältnis weiter intensivieren und diese Kontakte
pflegen.

Ich will noch kurz darauf hinweisen, dass nach meiner
Überzeugung die deutsche Rechtsordnung gravierende
Vorteile gegenüber dem angelsächsischen Recht hat. Wir
haben das bei der internationalen Finanzmarktkrise ge-
spürt. Es wäre manches Mal besser gewesen, wenn wir
deutsche Rechtssätze, deutsche Bilanzierungsvorschrif-
ten hätten zur Anwendung bringen können und nicht an-
dere. Bei diesem Punkt werden wir sicherlich insgesamt
noch nacharbeiten müssen. Es geht auch in den nächsten
vier Jahren um Deregulierung. Aus Unionssicht geht es
dabei immer erstens um weniger und zweitens um bessere
Gesetze. Da gilt der alte Satz, der von dieser Stelle schon
mehrfach, auch von unterschiedlichen Parteien, zitiert
wurde: Wo es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu erlassen,
ist es notwendig, kein Gesetz zu erlassen. –


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)


Ich glaube, daran sollte man sich zwischendurch einmal
erinnern, im Übrigen auch, weil ich jetzt den Parlamen-
tarischen Staatssekretär Otto sehe, der nicht mehr im
Kulturausschuss mit mir permanent über Staatszielbe-
stimmungen diskutieren wird. Vielleicht täte dem
Grundgesetz eine kleine Ruhepause gut.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben manches geändert, aber vielleicht können wir
auch einmal nicht dem Wunsch jeder Kollegin und jedes
Kollegen nachkommen, sein Lieblingspolitikziel schnell
in die Verfassung zu schreiben, weil es da so gut aufge-
hoben ist und weil man dann einen Erfolg zu Hause ver-
künden kann. Aber Sie, Herr Kollege, haben eine ganz
wichtige Aufgabe, und ich bin froh, dass Sie sich jetzt






(A) (C)



(B) (D)


Michael Grosse-Brömer
im Wirtschaftsministerium mit schwierigen Fällen be-
schäftigen müssen.

Wir werden Gesetze nach wie vor systematisch nach-
vollziehbar und auch verständlich machen müssen.

Ein Punkt, den ich zum Schluss ansprechen will, ist
aus meiner Sicht sehr wichtig. Es gibt vieles, was nicht
mehr rein national zu regeln ist. Das ist unstreitig. Eu-
ropa und die Bundesrepublik Deutschland sind wechsel-
seitig voneinander abhängig. Wir werden die europäi-
sche Integration nicht als Bedrohung verstehen, son-
dern als Gelegenheit, auf globaler Ebene nationale
Interessen durchzusetzen. Wir haben die Begleitgesetze
neu gestaltet. Wir müssen jetzt, gerade im Rechtsaus-
schuss, noch eines tun: Wir müssen die erweiterten
Befugnisse dieses Parlaments, die erweiterten Mitwir-
kungs- und Mitbestimmungsrechte jetzt auch in An-
spruch nehmen. Nur Gesetze machen reicht nicht, gerade
dann nicht, wenn sie uns persönlich betreffen. Daran
müssen wir in den nächsten vier Jahren arbeiten. Das ist
ein ganz wichtiger Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bin mir sicher: Letztlich können wir auf den Un-
terausschuss Europarecht nicht verzichten. Da werden
viele Kollegen mitarbeiten müssen. Wie ich gehört habe,
gibt es viele, die von diesem Bereich etwas verstehen.
Sie können ihre Kenntnisse sicherlich sinnvoll einbrin-
gen. Wir werden europarechtlich intensiver, besser ar-
beiten müssen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allerdings!)


Zum Schluss will ich sagen: In der Rechtspolitik hat
sich diese Koalition viel vorgenommen. Wir sind näm-
lich sicher, dass vieles möglich ist. Frau Ministerin, be-
vor Ihnen Herr Otto irgendetwas über die Kulturstaats-
zielbestimmung erzählt, will ich noch schnell sagen,
dass dieses Koalitionsbündnis – so haben Sie es im Welt-
Interview gesagt – keine Zwangsbeglückung sei, son-
dern eine von Empathie und dem Willen zur Zusammen-
arbeit getragene Partnerschaft. Diese Einschätzung teile
ich voll und ganz. Besonders freut uns, dass Sie damit
vorweggenommen haben, dass ohne partnerschaftliche
Beteiligung der Rechtspolitiker der Union in dieser
Koalition wohl keine erfolgreiche Rechtspolitik möglich
ist. In diesem Sinne herzlichen Dank Ihnen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700417100

Der Kollege Jens Petermann hat das Wort für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jens Petermann (Plos):
Rede ID: ID1700417200

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Frau Ministerin, in Sachen Rechtspolitik hat die
Koalition, wie im Koalitionsvertrag nachzulesen ist, ihre
Hausaufgaben nur unzureichend erledigt. Diesen Vor-
wurf kann ich Ihnen leider nicht ersparen. Ich möchte
das an zwei Punkten festmachen.

Erstens. Sie haben es, wie zuvor in schöner Regel-
mäßigkeit alle Regierungen seit 1990, versäumt, die Ver-
pflichtungen aus dem Einigungsvertrag vom 3. Oktober
1990 zu erfüllen und ein Gesetz zur Regelung der
Arbeitsverhältnisse vorzulegen. In Art. 30 Abs. 1 Eini-
gungsvertrag heißt es:

Es ist die Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzge-
bers, das Arbeitsvertragsrecht … einheitlich neu zu
kodifizieren …

Die jüngere deutsche Rechtsgeschichte zeigt mit dem
DDR-Arbeitsgesetzbuch von 1976, dass sich die Ar-
beitsbeziehungen handhabbar regeln lassen und dass
Rechtssicherheit für die Beteiligten an Arbeitsrechtsver-
hältnissen erzeugt werden kann.


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das meinen Sie doch nicht wirklich ernst! Wollen Sie uns jetzt die DDRGesetze anbieten?)


– Beruhigen Sie sich doch mal. Hören Sie doch erst ein-
mal in Ruhe zu.

Von diesen Erfahrungen hat sich die Verhandlungs-
gruppe der DDR-Regierung leiten lassen und die oben
zitierte Regelung in Art. 30 Einigungsvertrag erreicht.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht die Volkskammer hier!)


Die Linksfraktion wird dieses Thema in der vor uns
liegenden Legislatur aufgreifen und einen Entwurf für
ein zeitgemäßes Arbeitsgesetzbuch vorlegen. Dabei wird
ein gesetzlicher existenzsichernder Mindestlohn in Höhe
von zumindest 8,50 Euro festzuschreiben sein.


(Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mark der DDR oder Euro?)


Wir bieten allen Fraktionen an, sich an der Erarbeitung
zielführend zu beteiligen und damit gerade im zeitlichen
Kontext des 20. Jahrestages der Grenzöffnung ein Zei-
chen zu setzen. Auch das ist ein Beweis dafür, dass die
Herstellung der deutschen Einheit im Sinne des Eini-
gungsvertrages über Sonntagsreden hinaus ernst gemeint
ist.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Die DDR-Verfassung brauchen wir nicht zu übernehmen!)


Zweitens. Der preußische Justizminister Leonhardt
erklärte einst:

Solange ich über die Beförderungen bestimme, bin
ich gern bereit, den Richtern ihre sogenannte Unab-
hängigkeit zu konzedieren.

Dieses Zitat stammt aus dem 19. Jahrhundert, also aus
einer Zeit, in der unser Justizsystem seine Wurzeln hat.






(A) (C)



(B) (D)


Jens Petermann
Was in einem Rechtsstaat nach dem Prinzip der Gewal-
tenteilung selbstverständlich ist, nämlich eine unabhän-
gige selbstverwaltete dritte Gewalt, ist in Deutschland in
der Form nicht vorhanden. Hier bestimmt nach wie vor
die Exekutive, wer Richter wird und wer als Richter be-
fördert wird. Ein Rechtsstaat verdient diesen Namen al-
lerdings nur insoweit, als er strukturell die Unabhängig-
keit der Rechtsprechung gewährleistet.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz ist
eine zentrale Forderung, der sich auch das höchste deut-
sche Parlament immer wieder stellen muss. Das Grund-
gesetz hat die rechtsprechende Gewalt den Richterinnen
und Richtern anvertraut; tatsächlich aber werden die Ge-
richte durch die hierarchisch gegliederten Justizbehör-
den geleitet. Diesem in Europa nur noch in Österreich,
Tschechien und Deutschland anzutreffenden obrigkeits-
staatlichen Konzept ist ein hierarchiefreies Modell ent-
gegenzustellen. Die von Verfassungs wegen zu verlan-
gende Autonomie der Justiz erfordert schließlich eine
unabhängige selbstverwaltete Justiz. Letztendlich lehnen
wir die Schaffung einer zusätzlichen Militärjustiz, wie
sie gerade diskutiert wird, ab. Wir fordern: Friedens-
diplomaten statt Militärrichter.

Danke, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Max Stadler [FDP]: Es gibt keine Militärrichter mehr! Völlig daneben! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Die zweite Rede muss besser werden!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700417300

Herr Petermann, auch für Sie war das Ihre erste Rede

hier im Hohen Hause. Sie haben sofort die Lebendigkeit
des Parlaments herausgefordert. Wir wünschen Ihnen
hier weiter alles Gute.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daniela Raab ist die nächste Abgeordnete, die für die
Fraktion der CDU/CSU spricht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Daniela Raab (CSU):
Rede ID: ID1700417400

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Zunächst auch von meiner Seite und aus ganz per-
sönlicher Überzeugung meine herzlichsten Glückwün-
sche an Sie, Frau Ministerin, aber natürlich auch an Sie,
Herr Staatssekretär Stadler. Wir beide kennen uns seit
den letzten beiden Legislaturperioden sehr gut aus dem
Rechtsausschuss. Ich denke, es wird eine sehr konstruk-
tive und gute Zusammenarbeit, wenn wir uns das zum
Beispiel nehmen, was wir während der Koalitionsver-
handlungen über viele Tage und Abende praktiziert ha-
ben. Es sind schon stichwortartig sehr viele Punkte, auf
die wir uns haben einigen können, genannt worden.

Ich verhehle nicht, dass es an der einen oder anderen
Stelle bei der Abwägung von Freiheit und Sicherheit
– das hat uns in den letzten Jahren beschäftigt; das wird
uns in den nächsten Jahren weiter beschäftigen – so
manche harte Nuss zu knacken gab. Wir haben uns aber,
wie ich finde, durchaus sehr erfolgreich bei manchmal
sehr weit auseinanderliegenden Vorstellungen in einer
guten und durchaus vertretbaren Mitte treffen können.
Damit meine ich das BKA-Gesetz; damit meine ich auch
die Vorratsdatenspeicherung. Bei diesen beiden Punkten
sind wir, wie ich glaube, von am weitesten auseinander-
liegenden Positionen aufeinander zugegangen. Das war
auch sicherlich richtig. An der einen oder anderen Stelle
warten wir die Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richts ab, wodurch dann vielleicht die jeweiligen Mög-
lichkeiten eingeschränkt werden.

Ich verhehle auch nicht, dass es manchmal schwierig
war; das gebe ich zu. Ich denke aber, wer will, dass diese
Koalition eine erfolgreiche Rechtspolitik macht, der
muss auch in der Lage sein, Grenzen zu akzeptieren und
Kompromisse zu schließen. Ich glaube, gerade an den
beiden genannten Punkten, BKA-Gesetz und Vorrats-
datenspeicherung, ist uns das sehr gut gelungen.

Wir haben natürlich auch Dinge durchsetzen können,
die gerade meiner Partei und meiner Fraktion ausgespro-
chen wichtig waren. Der Warnschussarrest ist schon er-
wähnt worden. Wir erhöhen auch – dieses Stichwort ist
heute, wie ich glaube, noch nicht gefallen – die Höchst-
strafe für Mord im Jugendstrafrecht von 10 auf 15 Jahre.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist leider schon gefallen!)


Auch das war uns ganz besonders wichtig.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben wir unbesehen, dass diese Idee von der CSU stammt!)


Ich danke für Ihre Kooperationsbereitschaft an dieser
Stelle.

Wichtig war uns auch – das möchte ich ansprechen,
obwohl wir es nicht durchgesetzt haben –, ein Fahrver-
bot als Hauptstrafe für Jugendliche durchzusetzen. Es
wäre mein ganz persönlicher Wunsch, aber auch der
meiner Kollegen gewesen, dies durchzusetzen. Wir müs-
sen doch schauen, was bei Jugendlichen wirkt. Gute
Worte wirken ja meist nicht so gut. Bewährungsstrafen
werden häufig gern als Freispruch empfunden. Ganz be-
sonders wirkt aber die Einschränkung der Freiheit, und
für viele Jugendliche ist die höchste Form der Freiheit
das freie Sich-Fortbewegen-Können in Form von Auto-
fahren. Ich hätte mir durchaus vorstellen können, dass
man sich hier vonseiten der FDP ein bisschen mehr be-
wegt hätte. Auf diese Weise hätte man sicherlich erhebli-
che erzieherische Wirkung erzielen können. Ich spreche
das noch einmal an, weil ich denke, dass in dieser Frage
noch nicht aller Tage Abend ist, und gebe dies als Merk-
posten den Kollegen an die Hand, die künftig die
Rechtspolitik begleiten werden.

Bei der Sicherungsverwahrung haben wir uns dage-
gen auf eine Lückenschließung geeinigt. Das war drin-
gend erforderlich; denn das wurde von vielen Bürgern,
aber auch von vielen Opfern ständig angemahnt. Dieses






(A) (C)



(B) (D)


Daniela Raab
Vorhaben müssen wir jetzt zügig angehen; denn bewusst
eine Lücke hinzunehmen, die auf Kosten der Sicherheit
geht, ist für einen Rechtsstaat nicht akzeptabel.

Bei den Internetsperren ist eine Lösung gefunden
worden, die wir als Rechtspolitiker sehr gut mittragen
können, nämlich Löschen statt Sperren. Wir hatten von
Anfang an gerade bei diesem Gesetz ein ganz klein
wenig Bauchschmerzen. Diese Bauchschmerzen sind
durchaus etwas weniger grummelig geworden.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach? Die haben Sie aber sehr gut verborgen! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Raab, wann war das mit den Bauchschmerzen?)


– Ich teile nicht immer meine persönlichen Befindlich-
keiten mit, aber gerade eben habe ich es getan.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, eben! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist auch richtig so!)


Es ist mir auch lieber, so etwas mit Kollegen zu machen,
die mir etwas näherstehen.

Vorhin wurde schon gesagt, dass Zwangsverheira-
tung von Frauen, die in unserer Mitte leben, ein Zei-
chen von Menschenverachtung und ein Zeichen von
Missachtung unseres Grundgesetzes ist. Man kann na-
türlich sagen, wir haben mit dem Straftatbestand der Nö-
tigung eine Regelung, die, wenn man sie entsprechend
auslegt und richtig liest, die Zwangsverheiratung verbie-
tet. Ich denke aber, in diesem Bereich ist ein entspre-
chender Fingerzeig ganz wichtig. Ich gehöre zwar nicht
zu denjenigen, die glauben, vom Strafrecht müsse Sym-
bolkraft ausgehen. Ich denke aber, dass es an dieser
Stelle wichtig ist, dass wir festhalten, dass Zwangsver-
heiratung mit unserer Wertevorstellung zu keinem Zeit-
punkt vereinbar ist, und dass wir deswegen, weil wir den
Frauen helfen wollen, gerade diesen Straftatbestand ganz
bewusst ins Strafrecht mit aufnehmen sollten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bezüglich der Vorhaben im Mietrecht war die Aufre-
gung ganz besonders groß. Da wird immer gleich davon
geredet, dass man ideologisch handele bzw. Scheuklap-
pen aufhabe, wenn man eine andere Meinung vertritt.
Das ist sehr interessant. Natürlich geht es beim Miet-
recht um Mieterrechte. Sie sind bei uns richtig gut aus-
geprägt. Es geht aber auch um die Vermieterrechte, und
diese haben auch ein ganz klein wenig mit Eigentums-
schutz zu tun. Das sollten wir an dieser Stelle nicht ver-
gessen.

Wenn Vermieter, deren vermietete Wohnung einen
Teil ihrer Altersversorgung darstellt, durch Mietnoma-
den in einer Weise geschädigt werden, die einen kom-
plett fassungslos hinterlässt, dann ist es unsere ver-
dammte Pflicht und Schuldigkeit, hier einzuschreiten.
Genau das tun wir. Das heißt, Mietrecht für Mieter, für
Vermieter und zum Schutz des Eigentums. Das muss an
dieser Stelle deutlich erwähnt werden. Deswegen halte
ich es für sehr richtig, dass wir uns hier Verbesserungen
– ich betone: Verbesserungen – vorgenommen haben.
Diese werden wir dringend angehen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ein Punkt, der mir persönlich wichtig war, ist die ver-
trauliche Geburt. Ich möchte dieses Thema anspre-
chen, auch wenn ich weiß, dass es hochumstritten ist.
Wir haben uns darauf geeinigt, zu prüfen, welche
Rechtsgrundlage es für Frauen in einer problematischen
Schwangerschaft geben kann, die ihr Kind eigentlich
gerne zur Welt bringen möchten, aber ihre Daten nicht
preisgeben wollen. Hier müssen wir – ich weiß, wie
schwierig das ist – zwischen dem Recht des Kindes auf
Kenntnis in Bezug auf die Abstammung und dem Recht
des Kindes auf Leben abwägen. Vielleicht gelingt es uns,
in dieser Legislaturperiode eine Lösung in der Richtung
zu finden, dass zunächst zumindest die Hürde für die
Geburt etwas gesenkt werden kann, was eine Rettung
des Kindes bedeuten würde. Anschließend müssen wir
im Personenstandsgesetz eine vernünftige Regelung ver-
ankern. Mir wäre das sehr wichtig.

Zum Schluss möchte ich zur Einmischung auffordern.
Der Kollege Grosse-Brömer hat das Thema schon ange-
sprochen. Wir werden in den nächsten Monaten sicher-
lich sehr viel über Rechtspolitik im Zusammenhang mit
der Wirtschaftskrise zu sprechen haben. Ich nenne als
Schlagworte das Gesellschaftsrecht, wo wir schon viel
Richtiges getan haben, und das Bilanzrechtsmodernisie-
rungsgesetz, das sicherlich eines der wichtigsten Gesetze
der letzten Legislaturperiode ist. Wir müssen uns aber
auch um Themen wie das der europäischen Finanzricht-
linien und das der Standards bei Finanzdienstleistungen
kümmern, bei denen wir auf europäischer oder vielleicht
sogar auf internationaler Ebene zu Regelungen kommen
müssen. Wir können als Rechtspolitiker nicht einfach
darauf vertrauen, dass die Finanzpolitiker das schon gut
machen werden.

Ich denke, dass wir uns da in ganz erheblicher Weise
einmischen müssen, Frau Ministerin. Denn Rechtspolitik
ist immer eine Querschnittsaufgabe; sie ist zum Teil im-
mer auch Wirtschaftspolitik. Deswegen haben wir hier
eine große Verpflichtung, gerade was die europäischen
Regelungen in Bezug auf die Finanzkrise und die not-
wendigen Konsequenzen daraus angeht. Ich wünsche
mir, dass wir dieses Thema bewusst aufnehmen und uns
mit den vernünftigen Grundsätzen der Rechtspolitik ein-
mischen.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700417500

Halina Wawzyniak hat jetzt das Wort für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700417600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Diese Bundesregierung möchte, so hat sie es
verkündet, das Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger
zum Staat verbessern. Mir scheint, da hat die Bundesre-






(A) (C)



(B) (D)


Halina Wawzyniak
gierung das Grundgesetz nicht wirklich gelesen. Denn in
Art. 20 Abs. 2 steht:

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.


(Beifall bei der LINKEN)


Vielleicht wäre es angesichts dessen besser, das Verhält-
nis des Staates zum Bürger zu verbessern.

Derzeit wird die Staatsgewalt allein durch Wahlen
ausgeübt. Ich komme gleich auch noch auf das Wahlge-
setz zu sprechen. Doch der Koalitionsvertrag selbst
deckt den Mantel des Schweigens über die Frage direk-
ter Demokratie und mehr Beteiligungsmöglichkeiten
für Bürgerinnen und Bürger.


(Beifall bei der LINKEN)


Noch in der vergangenen Legislaturperiode lagen die-
sem Haus drei Gesetzentwürfe für mehr direkte Demo-
kratie vor: einer von Bündnis 90/Die Grünen, einer von
der Linken und einer von der FDP. Lesen Sie in Druck-
sache 16/474 nach. Darin heißt es:

Der Wunsch und die Bereitschaft der Bevölkerung,
Verantwortung für eine aktive Bürgergesellschaft
zu übernehmen und an ihrer Ausgestaltung mitzu-
wirken, gebieten es, die parlamentarisch-repräsen-
tative Demokratie um direkte Beteiligungsrechte
für Bürgerinnen und Bürger zu ergänzen.

Das Gebot, die parlamentarisch-repräsentative Demo-
kratie um direkte Beteiligungsrechte zu ergänzen, ist
wohl den Bremsern der CDU/CSU in der Frage direkter
Demokratie geopfert worden. Die Haltung der CDU/
CSU ist nicht wirklich verwunderlich. Sie setzt die Poli-
tik der CDU/CSU aus der vergangenen Legislaturperi-
ode fort.


(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Das ist gut so!)


Aber, meine Damen und Herren von der CDU/CSU,
seien Sie doch nicht so hasenfüßig. Ihr CDU-Landesver-
band in Berlin hat mit dazu beigetragen, dass die von
Rot-Rot vorgeschlagene Verfassungsänderung für mehr
Demokratie in Berlin verabschiedet werden konnte.


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der SPD: Oh!)


Berlin steht jetzt weit oben auf der Liste der Länder, die
mehr Demokratie ermöglichen. Reden Sie mit Ihren Par-
teifreunden aus Berlin! Herr Krings, zeigen Sie, dass Sie
wirklich nicht in Schubladen denken! Geben Sie sich ei-
nen Ruck! Die Bürgerinnen und Bürger werden es Ihnen
danken.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Koalitionsvertrag sagt auch nichts zur Verände-
rung des Wahlrechts aus. Das ist ausgesprochen interes-
sant. Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht dem
Hohen Haus einen Arbeitsauftrag aufgegeben.


(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Deswegen braucht es auch nicht in den Koalitionsvertrag hinein!)

Wer Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt, der sollte
endlich darangehen, das Wahlrecht auch all jenen zu ge-
ben, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Bei dieser Gelegenheit denken Sie doch auch noch
einmal über das Staatsbürgerschaftsrecht nach. Wer
wirklich mündige Bürgerinnen und Bürger will, der gibt
ihnen auch die Möglichkeit, mit zu entscheiden, und der
ändert das Wahlrecht auch für Menschen, die schon län-
ger hier leben.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700417700

Frau Wawzyniak, auch für Sie war es die erste Rede

im Plenum. Wir beglückwünschen Sie dazu und wün-
schen Ihnen alles Gute.


(Beifall)


Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Punkt.

Wir kommen nun zu den Themenbereichen Bildung
und Forschung. Hierzu ist verabredet, eineinviertel
Stunden zu debattieren.

Ich gebe das Wort der Bundesministerin Dr. Annette
Schavan.

Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Der Koalitionsvertrag sendet
starke Signale an die junge Generation.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wo denn?)


Gute Bildung und leistungsstarke Forschung sollen die
Bildungsrepublik Deutschland prägen. Die Grundidee,
also die ganz konkrete Entfaltung dessen, was gemeint
ist, steht in dem Vertrag der christlich-liberalen Koali-
tion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Was meinen wir im Grundsatz, wenn wir sagen: „Bil-
dungsrepublik Deutschland ist das Ziel, ist das Zukunfts-
bild, das wir vor Augen haben“? Wir meinen viererlei:

Erstens. Kein Kind darf verloren gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Zweitens. Niemand darf um die Entfaltung seiner Ta-
lente gebracht werden.

Drittens. Bildung und Forschung werden als inspirie-
rende Kräfte und Quellen künftigen Wohlstands aner-
kannt.

Viertens. Bildung und Forschung müssen – das ist un-
sere Aufgabe in Parlament und Regierung hier in Berlin,
aber auch in den 16 Ländern sowie in den Städten und






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Annette Schavan
Gemeinden – in den nächsten Jahren mehr denn je politi-
sche Priorität haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir beginnen nicht am Punkt null. Auch für den Be-
reich von Bildung und Forschung gilt: Da gibt es man-
ches, auf das wir aufbauen können. Da gibt es gute Initia-
tiven in einzelnen Städten und in den Ländern. Aber das
Fundament muss noch stabiler werden. Wir wollen eines
der besten Bildungssysteme der Welt. Wir wollen, dass
Deutschland im internationalen Vergleich einer der attrak-
tivsten Wissenschafts- und Forschungsstandorte ist.

Der Koalitionsvertrag enthält die starke Zusage des
Bundes, in den kommenden vier Jahren zusätzlich
12 Milliarden Euro in Bildung und Forschung zu inves-
tieren. Damit erhöhen wir den Anteil des Bundes für Bil-
dung und Forschung auf 10 Prozent des Bruttoinlands-
produkts: 7 Prozent für Bildung, 3 Prozent für Forschung.
Auch das ist ein starkes Signal und zeigt, welche Priorität
diese christlich-liberale Koalition der Bildung und For-
schung beimisst.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben dies in der Zeit der schwersten Wirtschafts-
krise in Deutschland beschlossen, weil wir davon über-
zeugt sind, dass Bildung ein Bürgerrecht ist und dass
gute Bildung und starke Forschung Quellen für künfti-
gen Wohlstand sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundeskanzle-
rin hat gestern Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung in
Deutschland genannt. Bis zum Jahre 2020 ist mit einem
Rückgang der Zahl der unter 25-Jährigen zu rechnen.
Das setzt sich in einem etwa 20-prozentigen Rückgang
der Zahl der Schülerinnen und Schüler in Deutschland
fort. Das bedeutet: Eine Gesellschaft mit weniger Kin-
dern und Jugendlichen muss noch mehr tun, um jedem
Kind und jedem Jugendlichen Chancen durch Bildung
zu eröffnen und sie zu Bildung, Ausbildung und Stu-
dium zu ermutigen.

Ich füge hinzu: Das ist nicht allein eine Aufgabe des
Staates. Das ist die Aufgabe der ganzen Gesellschaft.
Kinder und Jugendliche brauchen auch die Ermutigung
durch ihre Eltern. Deshalb sage ich: Bildungsrepublik
Deutschland meint mehr als ein gut finanziertes Bil-
dungs- und Wissenschaftssystem, meint auch – dies
muss noch stärker eingefordert werden – Leidenschaft
und Begeisterung für Lernen und Forschen als die besten
Seiten des Menschen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich sage das auch deshalb, weil sich da niemand Illu-
sionen machen soll. Allein mehr Geld und das Verspre-
chen an die Bürgerinnen und Bürger, dass Bildung nichts
kostet, führen noch nicht zu besserer Bildung und starker
Forschung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dagmar Ziegler [SPD]: Aber ohne geht es auch nicht!)


– Maulen Sie doch nicht so herum. Sie haben doch ge-
rade Schiffbruch damit erlitten, dass Sie im Wahlkampf
zur Bildungspolitik nichts anderes gesagt haben, als dass
von der Kita bis zur Uni alles kostenfrei sein sollte. Das
hat Ihnen keiner geglaubt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist ja albern!)


Große Versprechen – und wie viel Prozent haben Sie da-
für bekommen?


(Ute Kumpf [SPD]: Seien Sie mal ein bisschen vorsichtig, Frau Schavan! – Weitere Zurufe von der SPD)


Deshalb sage ich: Die Bürgerinnen und Bürger wollen
mehr. Sie erwarten kreative Konzepte. Sie verlangen,
dass endlich die Vergleichbarkeit der Bildungsinhalte
und Schulabschlüsse möglich wird.


(Zuruf der Abg. Ute Kumpf [SPD])


– Liebe Frau Kumpf, Sie regieren doch noch in ein paar
Ländern. Sie können jetzt zu all dem beitragen, was die
Bürgerinnen und Bürger zu Recht von uns erwarten.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Das glauben Sie doch selber nicht!)


Die Lehrerinnen und Lehrer erwarten eine verlässli-
che Partnerschaft mit den Eltern, um ihre Aufgabe in der
Schule gut wahrnehmen zu können. Die Öffentlichkeit
erwartet, dass wir endlich geeignete Wege finden, um
die Bildungsarmut in einem wohlhabenden Land zu
überwinden. Ich sage Ihnen: Das Wichtigste in dieser
Legislaturperiode ist, dass es allen politischen Akteuren
gelingt, dass Bildungsarmut in diesem Land keinen Platz
mehr hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ute Kumpf [SPD]: 80 Prozent der Migrantenkinder in Stuttgart sind in Hauptschulen! Was sagen Sie dazu?)


Gute Bildung und die Teilhabe aller Kinder an einem
leistungsfähigen Bildungssystem beginnen mit der früh-
kindlichen Bildung. Deshalb werden wir die Weiterbil-
dung der Erzieherinnen voranbringen, den Bildungs-
auftrag der Kindergärten stärken und sie zu Häusern der
kleinen Forscher weiterentwickeln. Außerdem sorgen
wir – gestern haben schon einige Redner darauf hinge-
wiesen – gemeinsam mit den Ländern dafür, dass jedes
Kind vor dem Schulbeginn eine Sprachförderung erhält,
wenn seine Sprachentwicklung dies erfordert. Das ist ein
Schritt zur Integration; darin liegt für Kinder und ihre El-
tern der Schlüssel für gute Bildung: früh beginnen, Spra-
che lernen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was sagen Sie denn zum Betreuungsgeld?)


Wir werden ein Konzept für Bildungspartnerschaf-
ten von Bund, Ländern und Kommunen entwickeln. Wir
schaffen im Hochschulpakt 275 000 neue Studienplätze.
Wir bauen gemeinsam mit den Ländern ein nationales
Stipendienprogramm für 10 Prozent der Studierenden
auf. Wir sichern das BAföG und entwickeln es weiter.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Annette Schavan
Sollte jemand von Ihnen schon ein Manuskript haben, in
dem steht, dass es abgebaut wird, dann streichen Sie
bitte diesen Satz.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir schaffen Anreize für das Bildungssparen, bauen die
Aufstiegsstipendien aus und werden das Büchergeld für
die Stipendiatinnen und Stipendiaten der zwölf Begab-
tenförderungswerke auf monatlich 300 Euro erhöhen.
Wir tun nicht so, als koste Bildung nichts. Wir geben at-
traktive Impulse und Anreize für die Finanzierung von
Bildung und Studium.


(Ulla Burchardt [SPD]: Mit Steuersenkungen?)


Gemeinsam mit den Sozialpartnern, den Ländern, der
Bundesagentur für Arbeit und den Weiterbildungsver-
bänden werden wir eine Weiterbildungsallianz schmie-
den. Wir werden zügig die Anerkennung von ausländi-
schen Bildungs- und Berufsabschlüssen voranbringen
und unsere Maßnahmen zur Integration von Jugendli-
chen durch Bildung und Ausbildung verstärken.

Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte – wir wis-
sen das – sind besonders häufig in der Gefahr, keinen
Schulabschluss zu erreichen. Wir haben gute Vorarbeit
aus den letzten Jahren in diesem Bereich, vor allen Din-
gen was das Engagement in der beruflichen Bildung an-
geht. Nachdem es erste Fortschritte gibt, müssen wir
jetzt aber den Ehrgeiz haben, zu sagen: Im nächsten
Jahrzehnt muss es in Deutschland gelingen, dass kein Ju-
gendlicher mehr ohne Schulabschluss ins Leben geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Auch an diesem Punkt gilt, liebe Kolleginnen und
Kollegen: Eine ausreichende Finanzierung ist das eine,
wirksame Konzepte sind das Zweite, aber das Dritte ist,
dass Kinder und Jugendliche eben auch Erwachsene
brauchen, die sie ermutigen, die Chancen wahrzuneh-
men, die Bildung bietet. Dies betrifft die Mentalität in
dieser Gesellschaft. Deshalb bedarf es mehr Zustim-
mung zur Bildung nicht nur in Rede und Theorie, son-
dern vor allem im alltäglichen Leben. Da brauchen Kin-
der und Jugendliche Ermutigung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir werden den Ausbildungspakt zum Qualitätspakt
weiterentwickeln.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Der war ja so erfolgreich!)


– Der war ziemlich erfolgreich, total erfolgreich.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Er war nicht erfolgreich! Er ist noch nicht einmal zustande gekommen!)


Jetzt geht es um die Frage, wie wir Qualität und Ausbil-
dungsreife so weiterentwickeln, dass wirklich jeder eine
Ausbildung antreten kann.

Deutschland ist Teil des europäischen Bildungsrau-
mes. Wir werden den deutschen Qualifikationsrahmen
analog zum europäischen Qualifikationsrahmen erarbei-
ten, das Übergangssystem neu strukturieren und effizien-
ter gestalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir
werden auch gerade mit dem Flaggschiff unseres Bil-
dungssystem, der beruflichen Bildung, noch stärker in-
ternational präsent sein.

Gemeinsam mit den Ländern und den Hochschulen
werden wir ein Bologna-Qualitäts- und -Mobilitätspaket
schnüren, das die Studienreform voranbringt. Sie ist
richtig; aber sie verlangt Korrekturen, was die Gestal-
tung der Studiengänge und die Verbesserung der Lehre,
die bessere Betreuung und Beratung der Studierenden
angeht. In den nächsten Monaten können seitens der
Länder und da, wo wir helfen können, auch von unserer
Seite deutliche Signale an die Studierenden gegeben
werden.

Wir werden bereits ab dem Wintersemester 2011 in
Deutschland das modernste Konzept der Studienplatz-
vergabe haben. Auch das ist nach den Erfahrungen der
letzten Jahre ein wichtiger Schritt für die Studierenden.

Mit steuerlichen Anreizen für Investitionen in For-
schung und Entwicklung in den Unternehmen stärken
wir die Innovationskraft unseres Landes. Wir wollen es
so gestalten, dass neue Arbeitsplätze für Forscherinnen
und Forscher geschaffen werden können.

Wir werden die Hightech-Strategie weiterentwickeln
als ein europäisches Konzept mit den Flaggschiffen im
Bereich der Gesundheitsforschung und der Energie- und
Klimaschutzforschung. Wir werden ein integriertes
Energieforschungsprogramm vorlegen. Wir werden wei-
tere Spitzenforscher aus aller Welt unter anderem mit
den Alexander-von-Humboldt-Professuren nach Deutsch-
land holen.

Die Elektromobilität erweist sich als Querschnitts-
thema. Ich glaube, sie wurde in drei Reden angespro-
chen; auch ich könnte sie jetzt noch einmal nennen.
Wenn ich mir die Kompetenz und die Kompetenznetze,
die wir in Deutschland geschaffen haben, ansehe, dann
bin ich davon überzeugt, dass das ein Renner wird.

Die christlich-liberale Koalition wird mit dem Pakt
für Forschung und Innovation und einem jährlichen Zu-
wachs von 5 Prozent ein verlässlicher Partner unserer
Forschungsorganisationen sein und die Exzellenzinitia-
tive in eine zweite Runde bringen.

Schließlich: Auch in der Forschungspolitik gilt: Die
Transparenz und die Akzeptanz der Chancen und die Ri-
siken der Forschung sind so bedeutsam wie ihre Finan-
zierung. Deshalb werde ich für den 2. Dezember zum
nächsten Runden Tisch zur Grünen Gentechnik einla-
den. Das ist ein Element dessen, was wir in den nächsten
Jahren verstärken werden: Dialogplattformen, Stärkung
der Forschungsmuseen, Gründung eines Hauses der Zu-
kunft, um den Diskurs über Zukunftstechnologien in un-
serer Gesellschaft zu befördern.

Der Blick in die 16 Bundesländer zeigt, dass nahezu
alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien bil-
dungspolitische Verantwortung tragen. Das kann man
bedauern, je nachdem.


(Heiterkeit des Abg. Patrick Meinhardt [FDP])







(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Annette Schavan
Aber man kann es auch als Chance sehen. Es ist eine
Chance – ich sage das ganz ernst – zum Konsens über
Parteigrenzen hinweg. Dazu lade ich Sie ein. Lassen Sie
uns bei allen Meinungsverschiedenheiten und allem
Wettbewerb gemeinsam daran arbeiten, durch gute Bil-
dung und starke Forschung Kinder und Jugendliche zu
ermutigen und unser Land voranzubringen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700417800

Dagmar Ziegler hat jetzt das Wort für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dagmar Ziegler (SPD):
Rede ID: ID1700417900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau

Schavan! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Koali-
tionsvertrag von Union und FDP ist leider eine bildungs-
politische Mogelpackung. Es steht zwar „Bildung“ da-
rauf, sie ist aber leider nicht drin.

In der Bildungspolitik stehen wir vor enormen He-
rausforderungen. Die bildungspolitischen Megathemen
sind Chancengleichheit und Bildungsqualität. Die gro-
ßen Fragen lauten: Wie schaffen wir es, dass Bildung
nicht mehr vom Geldbeutel der Eltern abhängt? Wie
schaffen wir es, dass alle Kinder früher und besser indi-
viduell gefördert werden können? Wie schaffen wir bes-
sere Integration in und durch Bildung? Wie schaffen wir
es, dass kein junger Mensch mehr ohne Schulabschluss
und ohne Ausbildung in sein Leben starten muss? Wie
schaffen wir einen echten Qualitätssprung zu besserer
Bildung? Das sind die zentralen Fragen, die die Men-
schen bewegen und die eine gute Bildungspolitik beant-
worten muss.


(Beifall bei der SPD)


Aber, sehr geehrte Frau Schavan, in Ihrem Koalitions-
vertrag finden wir auf keine dieser Fragen eine Antwort.

Gerade mal fünf von insgesamt 132 Seiten widmen
Sie der Bildungspolitik. Es ist zudem schon erstaunlich,
dass es Ihnen gelungen ist, auf weniger als fünf Seiten
noch weniger konkrete Maßnahmen aufzuschreiben.


(Beifall bei der SPD)


Und die wenigen konkreten Maßnahmen, die Sie ankün-
digen, deuten darauf hin, dass Sie auch noch den fal-
schen Weg einschlagen.

Diese Koalition verabschiedet sich von dem Gedan-
ken, dass Chancengleichheit das Ziel und gute Bildung
für alle eine öffentliche Aufgabe sein muss, die der Staat
kostenlos zur Verfügung stellt. Die schwarz-gelbe Linie
lautet: mehr Gebühren, mehr Kosten für die Familien,
mehr Auslese, weniger Chancengleichheit.


(Beifall bei der SPD)


Sie treiben die soziale Spaltung auch im Bildungssystem
voran.
Ich möchte das gerne an drei Beispielen erläutern.
Erstens. Statt alle Kinder besser zu fördern, verschlech-
tern Sie mit dem Betreuungsgeld die Bildungschancen
von benachteiligten Kindern. Sie wissen, dass das Be-
treuungsgeld eine Bildungsverhinderungsprämie ist, dass
das Betreuungsgeld eben nicht dafür sorgt, dass insbe-
sondere Kinder aus sozial schwächeren Familien syste-
matisch an die frühkindlichen Bildungs- und Betreu-
ungseinrichtungen herangeführt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Damit bekämpfen Sie die Bildungsarmut gerade nicht,
sondern verstärken sie.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Geld ist nicht alles, Frau Ministerin – damit
haben Sie völlig recht –, aber gute Bildung darf auch
nicht am Geld scheitern.


(Ute Kumpf [SPD]: Richtig!)


Dafür brauchen wir zwei Dinge: kostenlose Bildungsan-
gebote von der Kita bis zur Hochschule und eine finan-
zielle Bildungsförderung für diejenigen, die nicht genug
Geld in der Tasche haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Schavan, Sie und Herr Pinkwart machen aber das
Gegenteil: Erst verteuern Sie Bildung durch Gebühren
immer weiter, und dann wollen Sie mit dem Bildungs-
sparen denjenigen Geld zurückgeben, die genug haben,
um etwas auf die Seite zu legen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das genau ist unser Punkt: Bildung ist keine Bauspar-
kasse. Sozial gerecht wäre etwas anderes, nämlich Ge-
bührenfreiheit von der Kita bis zur Hochschule.

Drittens. Grundsätzlich spricht nichts dagegen, für
mehr Stipendien zu sorgen. Das haben wir in der Gro-
ßen Koalition ja auch gemeinsam gemacht. Ihr Stipen-
dienmodell hat aber erhebliche Tücken:

Erstens. Sie koppeln die Studienfinanzierung an die
Konjunktur und an Brancheninteressen. Deswegen war-
nen inzwischen sogar CDU-regierte Länder vor diesem
Konzept.


(René Röspel [SPD]: Die haben es begriffen!)


Zweitens. Sie versuchen, den Menschen etwas vorzu-
machen; denn es ist ja gerade nicht Ihre Absicht, die Stu-
dierenden mit einem Geldsegen zu beglücken. Ihre ei-
gentliche Absicht ist es – das haben alle erkannt –, die
Studiengebühren, die Sie in Ihren Ländern eingeführt
haben, zu zementieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Studiengebühren sollen jetzt auch noch durch
Bundesgelder subventioniert werden.






(A) (C)



(B) (D)


Dagmar Ziegler
Drittens. Stipendien sorgen nicht für gleiche Chancen.
Kein Stipendiensystem kann eine Fördergarantie für Stu-
dentinnen und Studenten aus sozial schwächeren Fami-
lien ersetzen. Deshalb wird für die SPD das BAföG im-
mer oberste Priorität haben. Frau Schavan hat eine
Erhöhung des BAföG in dieser Legislaturperiode ausge-
schlossen, wenn sie auch gerade in ihrer Rede etwas an-
deres verkündet hat, frei nach dem Motto: Jetzt, wo ich
die SPD los bin, kann ich machen, was ich will. – Ich
sage Ihnen: Beim Thema BAföG werden Sie uns nicht
los. Wenn die Lebenshaltungskosten steigen, muss auch
das BAföG steigen. Verlassen Sie sich darauf, daran
werden wir Sie immer wieder erinnern!


(Beifall bei der SPD)


Diese drei Beispiele, Betreuungsgeld, Bildungssparen
und Stipendienprogramm, zeigen, was Schwarz-Gelb für
die Bildung bedeutet: weniger Chancengleichheit und
ein Abwälzen von Bildungskosten auf die Familien.
Gute Bildung haben für Union und FDP nur diejenigen
verdient, die sich gute Bildung leisten können. Das ist
das Gegenteil dessen, was wir in der Bildung tatsächlich
brauchen. Wir brauchen frühe individuelle Förderung,
gemeinsame Erziehung und Beschulung von behinderten
und nichtbehinderten Kindern,


(Beifall der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


mehr Ganztagsschulen, mehr Sozialarbeiter, ein neues
Schüler-BAföG, ein starkes Studenten-BAföG und ge-
bührenfreie Bildung. Das wäre der richtige Weg; aber es
ist leider nicht der Ihre.

Die schwarz-gelbe Logik ist eine andere. Bildung ist
für diese Regierung keine öffentliche Aufgabe, sondern
reines Privatvergnügen. Deswegen hat diese Regierung
auch keine Ideen, wie sie den dringend notwendigen
Qualitätssprung in der Bildung bewerkstelligen kann.
Das zeigt sich auch bei der Aus- und Weiterbildung und
bei den Hochschulen.

Bei der Aus- und Weiterbildung geben Sie keine
Antwort auf die Frage, wie Sie dafür sorgen wollen, dass
alle Jugendlichen einen Ausbildungsplatz bekommen.
Sie geben keine Antwort auf die Frage, wie Sie die Wei-
terbildung endlich zur vierten Säule des Bildungssystems
machen wollen. Sie setzen in der Aus- und Weiterbildung
auf den Markt und überlassen die Ausbildungschancen
der jungen Menschen der Konjunkturlage. Das ist der
Fehler. Wenn Sie Ideen brauchen, wie man es besser ma-
chen kann, schauen Sie in das Wahlprogramm der SPD.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/ CSU und der FDP)


– Bildung schadete auch Ihnen nicht, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Koalition.

Wir brauchen neue Förderinstrumente und Rechtsan-
sprüche, um gute Übergänge von der Schule ins Berufs-
leben zu organisieren und die Weiterbildung zu stärken.
Dazu gehört ein Rechtsanspruch auf Nachholen des
Schulabschlusses für alle. Dazu gehört eine gesetzliche
Berufsausbildungsgarantie. Dazu gehört die Arbeitsver-
sicherung, und dazu gehört die konsequente Ausrichtung
von BAföG und Meister-BAföG auf die Anforderungen
eines lebenslangen Lernens.


(Beifall bei der SPD)


Als im Sommer die Studierenden auf die Straße gin-
gen, um für bessere Studienbedingungen zu demonstrie-
ren, haben Sie, Frau Schavan, erst einmal erklärt, die
Forderungen seien von gestern. Aber der Handlungs-
druck ist da. Die Probleme bei den Bologna-Reformen
sind immer noch nicht gelöst. Die Frage des Masterzu-
gangs für alle ist offen. Wir brauchen eine Qualitätsof-
fensive in der Lehre.

Jetzt wird im Koalitionsvertrag angekündigt, dass ein
Bologna-Qualitäts- und Mobilitätspaket geschnürt
werden soll. Was dieses Paket konkret enthalten soll, er-
fahren wir nicht, auch nicht aus Ihrer Rede. Die SPD
sagt: Die Studentinnen und Studenten brauchen kein un-
verbindliches Paket aus Absichtserklärungen, sondern
einen verbindlichen Qualitätspakt für ein gutes Studium.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen fordern wir Sie auf, Geld in die Hand zu neh-
men und mit den Ländern einen solchen Qualitätspakt
für ein gutes Studium abzuschließen.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Im Übrigen sind die 275 000 Studienplätze, die Sie
hier ankündigen, nichts Neues. Dies haben wir bereits in
der Großen Koalition gemeinsam so beschlossen; das
kann man dann auch einmal sagen.


(Beifall bei der SPD – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren da schon unterfinanziert!)


Damit komme ich zum letzten Stichwort: Bildungs-
partnerschaft. Sie haben gerade davon gesprochen, die
Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen in
der Bildung stärken zu wollen. Auch das ist leider eine
Mogelpackung. Denn faktisch machen Sie auch hier ge-
nau das Gegenteil. Statt die Partnerschaft zu stärken,
verschärfen Sie damit die Konkurrenz. Das wird an zwei
Punkten ganz deutlich.

Erstens. Wer es mit der Bildungspartnerschaft ernst
meint, muss im Grundgesetz die Voraussetzungen dafür
schaffen, dass mehr Kooperation von Bund, Ländern
und Kommunen überhaupt erst möglich wird. Schwarz-
Gelb will alles so lassen, wie es ist. Ringen Sie sich end-
lich dazu durch, das Kooperationsverbot im Grundgesetz
wieder abzuschaffen! Erst dann kann eine echte Bil-
dungspartnerschaft gelingen.


(Beifall bei der SPD – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das denn eingeführt? – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So vergesslich kann man doch gar nicht sein!)


– Ich bin nicht vergesslich.

Lebenslanges Lernen ist das Stichwort. Lebenslan-
ges Lernen gilt für uns alle, auch für dieses Parlament.






(A) (C)



(B) (D)


Dagmar Ziegler
Zweitens. Sie kündigen an, mehr Geld in die Bildung
zu investieren, und Sie kündigen an, dass Sie es den
Ländern erleichtern wollen, ebenfalls mehr Geld für Bil-
dung auszugeben. Ich frage Sie: Wie? Mit den Steuerplä-
nen machen Sie genau das Gegenteil. Sie erschweren die
dringend notwendigen Mehrausgaben für die Bildung,
Sie verengen die Haushaltsspielräume, und Sie nehmen
den Ländern und Kommunen das Geld, das sie für den
Ausbau einer guten Bildungsinfrastruktur brauchen.

Die überwiegende Mehrheit der Menschen findet,
dass zusätzliche Ausgaben für Schulen und Hochschulen
wichtiger sind als unfinanzierbare Steuersenkungen auf
Pump.


(Beifall bei der SPD)


Im Klartext: Union und FDP setzen damit die falschen
Prioritäten. Sehr geehrte Frau Ministerin, steuern Sie im
Denken und Handeln um! Auch für Sie gilt lebenslanges
Lernen. Investieren Sie tatsächlich in Bildung für alle!

Danke schön.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700418000

Patrick Meinhardt spricht für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Patrick Meinhardt (FDP):
Rede ID: ID1700418100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Diese Regierung der Mitte setzt ein klares
Zeichen: Wir wollen Bildungsarmut in diesem Land be-
kämpfen. Wir wollen einen Politikwechsel für mehr Bil-
dungsgerechtigkeit in Deutschland. Wir wollen mit allen
zusammen in einer neuen Bildungspartnerschaft dafür
kämpfen, dass Deutschland zu einem Bildungsland mit
den besten Kindertagesstätten, mit den besten Schulen
und Berufsschulen, mit den besten Hochschulen und
Forschungseinrichtungen wird. Für diese Regierung der
Mitte gilt: Bildung ist Bürgerrecht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ute Kumpf [SPD]: Aber nur für die reichen Bürger! Wir haben Sie schon verstanden!)


Genau deswegen hat die frühkindliche Bildung für
uns solch einen hohen Stellenwert.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Betreuungsgeld!)


Deswegen gilt: Diese Regierung unterstützt verbindli-
che, bundesweit vergleichbare Sprachstandstests für alle
Kinder im Alter von spätestens vier Jahren und eine da-
ran ansetzende gezielte Sprachförderung. Denn jedes
Kind muss vor Schuleintritt die deutsche Sprache be-
herrschen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ute Kumpf [SPD]: Das gilt auch für die Schwaben!)

Das heißt, dass wir verstärkt auch auf die Kompetenz der
Erzieherinnen und Erzieher in Deutschland setzen müs-
sen. Es ist richtig, dass wir für die 350 000 Erzieherin-
nen und Erzieher mit einer wirklichen Fortbildungsof-
fensive durchstarten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir brauchen auch Veränderungen in der pädagogi-
schen Ausbildung bei Lehrerinnen und Lehrern. Wir
brauchen einen Modernisierungsschub, der sowohl Bil-
dungsinhalte als auch Lernmethoden und Lernmedien
umfasst.

Das müssen wir zusammen mit den Lehrerinnen und
Lehrern organisieren. Wir setzen auf Partnerschaft, wie
es unser Bundespräsident in seiner Berliner Rede 2006
formuliert hat:

Lehrerinnen und Lehrer arbeiten oft unter schwieri-
gen Voraussetzungen. … Engagierte Lehrerinnen
und Lehrer, die nicht aufgeben, die darauf brennen,
jungen Menschen etwas beizubringen – das sind für
mich Helden des Alltags.

Das ist deutlich zu unterstreichen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Genau! Denen müssen wir den Rücken stärken!)


– Ja, ihnen müssen wir den Rücken stärken.

Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, es kommt
noch ein Zweites hinzu: Starke Kinder brauchen starke
Eltern. Mehr Beratungsangebote, mehr Familienzen-
tren, eine stärkere Förderung der Erziehungskompe-
tenz der Eltern, auch das steht auf der Agenda. Es ist
richtig, dass mehr Ganztagsangebote erforderlich sind
und dass wir eine starke Vereinskultur brauchen. Es
muss in diesem Hohen Haus aber auch formuliert wer-
den dürfen: Erziehung ist zuerst einmal Elternsache.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Umso wichtiger ist, dass Eltern, Schüler und Lehrer
dann auch mehr Gestaltungsrechte in der Bildung be-
kommen. Hier können wir viel von den Schulen in freier
Trägerschaft lernen.


(Ute Kumpf [SPD]: Aha! Darum geht es Ihnen! – Weiterer Zuruf von der SPD: Daher weht also der Wind!)


Für die Hochschulen gilt: Sie sollen autonom werden.
Für die Schulen gilt: Sie sollen über ihre eigenen Ange-
legenheiten auch eigenständig entscheiden können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Sind Sie dafür zuständig, ja?)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein richtiges
Zeichen, Bildungsbündnisse vor Ort zu stärken und
auszubauen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.
Denn jeder junge Mensch – über 20 Prozent von ihnen
haben erhebliche Lese- und Rechenprobleme –, den wir
nicht fördern, läuft Gefahr, später ein Sozialfall zu wer-






(A) (C)



(B) (D)


Patrick Meinhardt
den. Deswegen ist es ein Ausdruck von Bildungsgerech-
tigkeit, hier aktiv zu werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Du liebe Güte!)


Umso wichtiger wird die Bedeutung der beruflichen
Bildung, ihre Fortentwicklung und Modernisierung. Wir
müssen die überbetriebliche Ausbildung ausbauen, die
Einstiegsqualifizierung stärken und den erfolgreichen
Ausbildungspakt mit der Wirtschaft ausweiten und fort-
führen.

Gerade mit Blick auf den Mittelstand gilt: Ob sich
junge Menschen für ein Studium oder eine Ausbildung
entscheiden, ob sie einen Beruf erlernen oder sich selbst-
ständig machen, ist für uns gleich wichtig. Für uns sind
berufliche und akademische Ausbildung gleichwertig.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Für den Wettbewerb um die beste Bildung muss auch
mutig Geld in die Hand genommen werden.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Geld haben Sie doch gerade erst verstreut! – Zuruf von der SPD: Welches Geld denn?)


FDP, CDU und CSU haben gemeinsam entschieden,
dass wir das 10-Prozent-Ziel bezogen auf den Bund
schon 2013 erreichen und damit Vorbildfunktion für alle
anderen haben wollen. Wir haben entschieden, dass in-
nerhalb der kommenden vier Jahre zusätzliche Bildungs-
investitionen in Höhe von 12 Milliarden Euro fließen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christel Humme [SPD]: Na ja! Warten wir erst einmal auf Ihren Haushalt!)


12 Milliarden Euro, das ist ein gigantisches Investi-
tionsprogramm. Das ist Vorfahrt für Bildung.

FDP, CDU und CSU haben gemeinsam entschieden,
dass der Dreiklang aus BAföG, Bildungsdarlehen, auch
über das 30. Lebensjahr hinaus, und Stipendien stark
ausgebaut werden soll. Dafür brauchen wir ein nationa-
les Stipendienprogramm. 10 Prozent der Studierenden
sollen die Chance auf ein Stipendium erhalten. Das ist
im Vergleich zu heute eine Verfünffachung. Begabungs-
förderung darf nicht an finanziellen Hürden scheitern.
Das ist Vorfahrt für Bildung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


FDP, CDU und CSU haben gemeinsam entschieden,
dass wir in der Weiterbildung deutliche Zeichen setzen
müssen,


(Christel Humme [SPD]: Wo denn genau?)


im Interesse von Erzieherinnen und Erziehern, älteren
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie kleinen
und mittleren Unternehmen. Die Zukunftskonten, die
persönlichen Bildungskonten, sind der überfällige intel-
ligente Einstieg in ein Bildungssparen ein Leben lang.
Das ist Vorfahrt für Bildung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Bildung braucht
Geld. Bildung braucht aber auch den richtigen Geist und
die richtigen Werte. Wer die Talente junger Menschen
fördern will, wer sich in die Pflicht nimmt und die Hoch-
begabtenförderung zum Programm macht, dem geht es
auch darum, dass jungen Menschen Verantwortung für
sich selbst beigebracht wird. Das geht aber nur mit der
richtigen Einstellung, und das geht nur mit der richtigen
Leistungsbereitschaft. Leistungswille ist ein Wertbegriff,
den wir im deutschen Bildungssystem wieder neu
etablieren, neu denken und neu mit Leben füllen müssen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Im gleichen Umfang brauchen wir auch eine Schär-
fung der Verantwortung für andere – für die Gemein-
schaft, für den Staat –, wie es Theodor Heuss als Erzie-
her im Hinblick auf die Demokratie eingefordert hat.
Deswegen erhält die Bundeszentrale für politische Bil-
dung 20 Jahre nach dem Mauerfall den Arbeitsschwer-
punkt „Aufarbeitung der SED-Diktatur“. Wir nehmen es
nicht hin, dass ein Hauptschüler aus Bayern mehr über
das Unrechtsregime in der DDR weiß als ein Gymnasiast
aus Brandenburg. Wir nehmen es nicht hin, dass nicht
einmal jeder zweite ostdeutsche Jugendliche die DDR
für eine Diktatur hält. Wir nehmen es nicht hin, dass in
einer Schülergeneration, die die Mauer nicht selbst er-
lebt hat, eine Verklärung der SED-Diktatur stattfindet.
Diese Bundesregierung will den Wert der Freiheit wie-
der ins Zentrum der politischen Bildung setzen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, für diese Regie-
rung der Mitte ist unter dem Motto „Freiheit für Verant-
wortung“ Bildung das Schlüsselthema für die Zukunft.
Auch für die Bevölkerung in Deutschland ist Bildung
das Schlüsselthema für die Zukunft. Das Kursbuch für
mehr Bildungsgerechtigkeit ist dieser Koalitionsvertrag.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um Gottes willen!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700418200

Die Kollegin Dr. Petra Sitte hat jetzt das Wort für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700418300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich

werde in diesen Tagen in meinem Wahlkreis immer wie-
der besorgt gefragt: Wie wird es mir ergehen unter
Schwarz-Gelb?


(Zurufe von der FDP: Oh!)


Welche Konsequenzen hat die schwarz-gelbe Regierung
für meine persönliche Lebenssituation?


(Zuruf von der SPD: Freiheit!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Petra Sitte
Welche Perspektiven werde ich in diesen vier Jahren be-
kommen – oder eben auch nicht? Vor allem: Was blüht
meinen Kindern?

Wissen Sie, ich komme aus Halle (Saale). Halle ist
eine ostdeutsche Stadt mit einer der höchsten Armuts-
quoten in diesem Land: 45 Prozent der Familien in mei-
ner Stadt erhalten Transferleistungen. Halle hat Stadt-
viertel, in denen jedes zweite Kind Sozialgeld bekommt.
Das verfügbare Jahresdurchschnittseinkommen liegt in
Halle nur knapp über 14 000 Euro. Es ist also völlig klar,
dass in meiner Stadt – in vielen anderen Regionen ist es
ähnlich – Ihr Koalitionsvertrag und Ihre Politik nur be-
stehen können, wenn sie aus der Sicht dieser Menschen
ganz konkret spürbare Verbesserungen bewirken.


(Beifall bei der LINKEN)


Schaue ich mir Ihren Koalitionsvertrag unter diesem
Blickwinkel an, kann ich den Leuten ihre Sorgen nicht
nehmen.

Die Ministerin und andere Redner der Koalition wie
Herr Meinhardt schwärmen schon davon, dass sie Mil-
liarden in Bildung, Wissenschaft und Forschung inves-
tieren wollen. Das hört sich gewaltig an, wohl wahr!
Aber dort, wo das Geld am dringendsten benötigt wird,
bei genau diesen einkommensschwachen Familien, bei
ihren Kindern und Jugendlichen, kommt es nicht an. In-
sofern, Frau Ministerin, besteht zwischen meiner Ein-
schätzung und der Ihren eine gravierende Differenz.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das zentrale Defizit Ihres Koalitionsvertrages schlägt
sich mit dramatischen Folgen auch im Bildungsteil nie-
der. Auch hier koppeln Sie sehenden Auges mittlerweile
etwa ein Drittel der Kinder und Jugendlichen von Zu-
kunftsperspektiven ab. Jene, die heute knapp unter der
Armutsgrenze oder knapp über der Armutsgrenze leben,
erfahren durch diese Politik weiter Ausgrenzung. Seit
Jahren ist bekannt, dass in diesem Land die Bil-
dungschancen und damit natürlich auch die Lebensper-
spektiven extrem von der sozialen Herkunft abhängen.
In kaum einem anderen europäischen Land fällt die Pro-
gnose für den Fachkräftemangel so dramatisch aus. Man
sollte glauben, dass der Koalition völlig klar ist, wo sie
ansetzen muss, nämlich an diesen Punkten.

Dazu müssten Sie, wie wir es mit unserem nationalen
Bildungspakt vorgeschlagen haben, gemeinsam mit den
Ländern und mit den Kommunen bei der Unterfinanzie-
rung des öffentlichen Bildungswesens konsequent ge-
gensteuern.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das beginnt bei Kindertagesstätten, wohl wahr, setzt
sich aber fort über Schule und Ausbildung und geht bis
zur Hochschule und zur Weiterbildung. An der Basis
bröckelt das öffentliche Bildungssystem am meisten, in
Quantität und Qualität. Es bietet immer weniger Kindern
optimale Startbedingungen. Ich habe vorhin erwähnt,
aus welcher Stadt ich komme, und weiß genau, unter
welchen Bedingungen viele Kinder dort aufwachsen.

Umgekehrt stellen wir fest, dass immer mehr Fami-
lien, immer mehr Eltern, die es sich leisten können, mit
dem öffentlichen Bildungssystem brechen: Immer mehr
Kinder und Jugendliche besuchen Kindertagesstätten
und Schulen in freier Trägerschaft oder privater Hand,
die Gebühren erheben. Gelöhnt wird auch für private
Nachhilfe. Auch private berufsbildende Schulen stehen
hoch im Kurs. Tausende, die in diesem Land an öffentli-
chen Hochschulen studieren, müssen Geld für Studien-
gebühren aufbringen. Wen wundert es, wenn am Ende
private Hochschulen immer mehr bevorzugt werden?

Nun will die Koalition die Ausgaben für Bildung und
Forschung bis 2015 auf etwa 10 Prozent des Bruttoin-
landsproduktes anheben. Der Bund will seinen Anteil bis
2013 aufgebracht haben, und zwar mit 3 Milliarden Euro
zusätzlich im Jahr. Ich sage Ihnen aber eines: Ihre Rech-
nung stimmt hinten und vorne nicht; denn im Oktober
2008, also vor gut einem Jahr, wollten Bund und Länder
7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes allein für Bildung
aufbringen. Damals befand eine Strategiegruppe aus
Vertretern von Kanzleramt und Ländern, dass dafür je-
des Jahr rund 25 Milliarden Euro ausgegeben werden
müssten.

Die Mittel für die nun geplanten Ausgaben müssen
dann eben auch von den Ländern aufgebracht werden.
Für Sie selbst heißt es: Die Mittel sind eigentlich gebun-
den, weil Sie den Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative
und den Pakt für Forschung und Innovation verbindlich
im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben. Mit diesen
drei Pakten werden die meisten Gelder aber in den Be-
reich Forschung und nicht in den Bereich Bildung ge-
steuert.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt sollen die Länder nachziehen. Na, die Idee ist
großartig, kann ich nur sagen. Wir haben jetzt schon Ein-
nahmedefizite durch die Krise. Sie senken die Steuern.
Es ist doch völlig logisch, dass sich das in den Landes-
haushalten niederschlägt. Das heißt am Ende, dass es so
sein wird wie in meinem Land, in dem schon jetzt klar
angekündigt wird: Das Geld für die Hochschulen wird
gekürzt. – Und wir sind nicht das einzige Land. Die Vor-
stellung, dass die Länder das Defizit beheben können, ist
also natürlich völlig illusorisch.

An dieser Stelle kommt dann auch noch hinzu, dass
die Koalition offensichtlich der Auffassung ist, dass der
Rest von der Wirtschaft erbracht wird. Das ist ungefähr
so wie beim Ausbildungspakt: Appelle, Appelle, Ap-
pelle! Wann und wo das am Ende wirklich verbindlich
geregelt wird, bleibt Ihr ganz kleines schwarz-gelbes
Geheimnis. Das ist nämlich nirgendwo im Koalitions-
vertrag verankert oder ausgewiesen.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit zwei Ideen schlägt die Koalition nach meinem
Dafürhalten neue Nägel in den Sarg des öffentlichen Bil-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Petra Sitte
dungssystems und will sie Verantwortung an private In-
vestoren abgeben. Statt nun das BAföG elternunabhän-
gig und zuschussbasiert auszubauen, mindestens jedoch
an die Lebenshaltungskosten anzupassen und für einen
Bezug über das 30. Lebensjahr nach einer ersten Berufs-
phase zu öffnen, bietet die Koalition Bildungskredite
inklusive Schuldenberge für alle an.

Für wenige, nämlich für 10 Prozent der Studierenden
– davon war ja schon die Rede –, soll es jedoch ein Sti-
pendienprogramm geben. Erst habe ich gedacht: Das
klingt ja gar nicht schlecht. – Dann habe ich gehört, wen
das betrifft. Das soll nur die Besten der Besten betreffen.
Großartig!


(Patrick Meinhardt [FDP]: Leistungsorientiert!)


Wenn wir uns in der Praxis umschauen, dann stellen wir
fest, dass genau jene kompakt studieren können, die
eben nicht nebenbei jobben müssen und die nicht aus Fa-
milien kommen, die sich das nicht leisten können,


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und das, liebe Koalition, sind eben wieder Studierende
aus einkommensschwächeren Elternhäusern.

Letztlich will die Koalition offensichtlich auch An-
reize dafür setzen, dass jeder seine Bildung selbst be-
zahlt. Sie nennen das jetzt „privates Bildungssparen“.
Das ist ein richtig schönes Zauberwort. Ich nenne das
„Bildungsriestern“. Den Familien wird eine Sockel-
summe als Anschubfinanzierung geboten; Frau Ziegler
hat das schon erwähnt.

Auch hier stellt sich aus meiner konkreten Erfahrung
in meiner Stadt heraus die Frage: Können sich die El-
ternhäuser das denn überhaupt leisten? Die meisten in
meiner Stadt können sich das nämlich gar nicht leisten,
und sie rechnen mittlerweile auch gar nicht mehr damit,
dass ihre Kinder studieren können. Sie sind ja beispiels-
weise als Alleinerziehende, als Hartz-IV-Empfängerin,
als Aufstockerin faktisch nicht in der Lage, dieses Geld
aufzubringen. Frau Schavan, Sie haben vorhin gesagt,
kein Kind solle verloren gehen. Wenn man sich den Ko-
alitionsvertrag anschaut, dann erkennt man: Das ist ein
Titel ohne Handlung.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


91 Prozent der Eltern haben sich im Sommer laut
Umfrage für ein einheitliches Bildungssystem ausge-
sprochen. Statt nun eine weitere Bildungsprivatisierung
durchzuführen und Ihre schönen föderal-bürokratischen
Blüten treiben zu lassen, sollte endlich der Ansatz ge-
pflegt werden, ein integrierendes Bildungssystem aus
einem Guss zu erarbeiten und gemeinsam mit den Län-
dern zu vereinbaren. Dann hätten nämlich endlich auch
Kinder aus sogenannten bildungsferneren Familien eine
Chance auf gute Abschlüsse.

Meine Damen und Herren, ich habe diese beiden Be-
reiche herausgegriffen, weil sie ganz konkrete Beispiele
dafür sind, wie Sie Kinder und Jugendliche aus ärmeren
Schichten abkoppeln und von Lebensperspektiven ab-
schneiden. Das ist tätige Elitenpflege einer christlich-
liberalen Koalition.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Kretschmer [CDU/ CSU]: Oh Gott!)


Wo es um Bildung geht, darf es nicht Stände geben.

Das sagte Konfuzius bereits um 500 vor Christus.
Übersetzt in die Moderne heißt das: Bildung ist ein
Recht für jedermann oder jede Frau. Wie lange soll es ei-
gentlich noch dauern, bis das Bildungssystem in diesem
Land vom Kopf auf die Füße gestellt wird, bis Bildungs-
angebote in der gesamten Breite nicht mehr vom sozia-
len Hintergrund abhängig sind? Wie viele Bildungs-
streiks müssen denn noch stattfinden? Der nächste Streik
fängt am 17. November an. Der Koalitionsvertrag bietet
jedenfalls keine Antwort auf die Proteste und die Fragen
der Studierenden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
unter dem Titel „Die Amtszeit Schavans aus der Sicht
der Betroffenen“ – ich hätte „Ministerin“ gesagt, aber so
stand es in dem Artikel – schrieb der promovierende
Sprachwissenschaftler Friedemann Vogel von der Uni
Heidelberg:

Die Studenten protestieren inzwischen auf der
Straße für eine breite, auf die Förderung individuel-
ler Urteilsfähigkeit hin orientierte Bildung. Aller-
dings fehlt in einigen Bundesländern selbst die
Möglichkeit, die Erfahrungen der Studierenden
durch verfasste Mitbestimmungsrechte einbringen
zu können. Es ist höchste Zeit, dass sich die Bil-
dungspolitiker mit der Kritik von Lehrenden und
Lernenden sowie den Problemen vor Ort auseinan-
dersetzen, anstatt von hohen Gipfeln und Kongres-
sen zu lamentieren oder sich hinter der Finanzpoli-
tik zu verstecken.

Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700418400

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

spricht nun die Kollegin Krista Sager.


Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700418500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir er-

leben hier heute eine Bildungsministerin, deren Selbst-
zufriedenheit ausschließlich darauf beruht, dass sie nicht
über den Tellerrand gucken kann. Wenn sie nämlich ein-
mal über den Rand hinüberschauen würde, hätte sie
längst entdeckt, dass die schwarz-gelbe Steuer- und






(A) (C)



(B) (D)


Krista Sager
Klientelpolitik der von ihr ausgerufenen Bildungsrepu-
blik die finanzielle Grundlage völlig entzieht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Sie freuen sich hier darüber, dass die See im Auge des
Orkans so ruhig ist. Ihre Kolleginnen und Kollegen
draußen im Lande, die Bildungspolitiker in Ländern und
Gemeinden, aber kämpfen mit allerschwerstem Wetter.
Und was machen Sie? Sie ziehen ihnen mit Ihrer Klien-
telpolitik den letzten Boden unter den Füßen weg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Warum sind Sie denn so aufgeregt?)


Das Schlimme ist: Sie machen das auf Kosten der Bil-
dungschancen von jungen Menschen und Kindern.
„Kampf gegen Bildungsarmut“ ist bei Ihnen eine bloße
Floskel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


In Ihrem Koalitionsvertrag findet sich hierfür kein einzi-
ges Instrument. Das ist eine große schwarz-gelbe Null.


(Patrick Meinhardt [FDP]: Billige Polemik!)


Die Transfers im Bereich der Familienpolitik gehen
zielgenau an den armen Familien vorbei. Genauso geht
Ihre Bildungspolitik an den Schwachen vorbei.


(Zuruf von der LINKEN: Pfui!)


Kinder brauchen in allererster Linie gute, frei zugängli-
che Bildungsinstitutionen und eine gute Bildungsinfra-
struktur. In diesem Bereich haben Sie sich nichts vorge-
nommen: keinen weiteren Ausbau der ganztägigen
Frühförderung und keine Einräumung eines gesetzlichen
Anspruchs darauf. Im Gegenteil: Eltern, die ihre Kinder
von der Frühförderung fernhalten, sollen dafür eine Prä-
mie bekommen. Wenn Eltern ihr Kind im Alter von zwei
Jahren zur Frühförderung schicken, wird ihnen zur
Strafe das Geld vorenthalten. Was sagt die Bildungs-
ministerin dazu? Es herrscht Schweigen im Walde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Hier geschieht großer bildungspolitischer Irrsinn,
aber sie duckt sich einfach weg. Wenn Sie das Geld für
die Prämie in die Frühförderung stecken würden,
müssten Sie nicht hinterher, kurz bevor die Kinder in die
Schule gehen, Reparaturmaßnahmen im Bereich der
Sprachförderung vornehmen. Das, was Sie hier machen,
stimmt doch hinten und vorne nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Das Wort „Ganztagsschulen“ kommt im Bildungsteil
Ihres Koalitionsvertrages überhaupt nicht vor. Wir wis-
sen, dass das Ganztagsschulprogramm des Bundes aus-
läuft. Sie bekennen sich zum Kooperationsverbot. Da
geschieht also nichts. Mit Ihrer Steuerpolitik geben Sie
den Ländern zudem keine Möglichkeit, hier eigene Ak-
zente zu setzen. Das alles stört die Bildungspolitikerin
Schavan aber nicht.

Offensichtlich sollen Startkonten, Gutscheine und
einseitige Transfers jetzt das Allheilmittel sein. Es ist of-
fenkundig, dass Sie hier auf Anreize für kommerzielle
Bildungsmärkte zielen, auf denen sich am ehesten die
einkommensstärkeren Familien bewegen können. Start-
konten sind weder ein Ersatz für gute Bildungsinstitutio-
nen noch ein Ersatz für ein echtes Erwachsenenbildungs-
förderungsgesetz, das endlich einmal denjenigen eine
Chance geben würde, die schlecht qualifiziert sind und
bessere Zukunftschancen brauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Für die berufliche Bildung und die Weiterbildung ge-
hen von Ihrem Koalitionsvertrag keinerlei neue Impulse
aus. Damit setzen Sie offenbar auf die Fortsetzung Ihrer
bisherigen unzulänglichen Politik. Gerade in der Krise
müsste es doch darum gehen, das Ausbildungssystem
endlich konjunkturunabhängig zu machen und die unsin-
nigen Warteschleifen in einem teuren Übergangssystem
endlich abzuschaffen. Aber da herrschen bei Ihnen totale
Ideenlosigkeit und ein hilfloses Weiter-so.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch in der Hochschulpolitik setzen Sie falsche Prio-
ritäten. Der Hochschulpakt ist nach wie vor unterfinan-
ziert. Durch die Mitfinanzierungsprobleme der Länder
steht er auch noch auf tönernen Füßen. Deswegen sagen
Sie schon gar nichts mehr zur Studierendenquote. Denn
Sie haben sich längst damit abgefunden, dass es die Stu-
dienplätze, die wir brauchen, gar nicht geben wird. Das
ist doch das Traurige.

Stattdessen wollen Sie jetzt ein Stipendienprogramm
für Begabte auflegen. Damit erreichen Sie diejenigen, die
sowieso studieren. Aber für die Menschen, für die der
Weg an eine Hochschule mit einem selektiven Hürdenlauf
durch das ganze System verbunden ist, tun Sie gar nichts;
denn für die ist dann kein Geld mehr da.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Von den 3 Milliarden Euro, die Sie jährlich mehr ha-
ben, geht der überwiegende Teil in den Hochschulpakt,
in die Exzellenzinitiative und in den Pakt für Forschung
und Innovation. Doch: Selbst diese Vorhaben sind durch
Ihre Klientelpolitik akut gefährdet. Fünf Regierungs-
chefs haben schon im Sommer erklärt, dass sie die Mit-
finanzierung nur dann leisten können, wenn es Steuer-
mehreinnahmen gibt. Jetzt hauen Sie denen durch Ihre
Politik noch mehr Einnahmen weg. Glauben Sie im
Ernst, dass die Länder, die bei den Schulen und Kinder-
gärten kaum den Status quo erhalten können, Ihnen
5 Prozent Aufwuchs bei den Forschungsorganisationen
mitfinanzieren? Glauben Sie im Ernst, dass die Länder,
die vor ihren eigenen Hochschulen und Universitäten
mit leeren Händen dastehen, ihr letztes Hemd hergeben,
um Ihr Begabtenstipendienprogramm zu finanzieren?






(A) (C)



(B) (D)


Krista Sager

(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Bei dem ganzen Schimpfen das Denken nicht vergessen!)


Ich kann nicht begreifen, Frau Schavan, wie jemand,
der aus der Landespolitik kommt, so blauäugig sein und
die Tatsachen so verkennen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Ihre eigenen schwarzen Landeskapitäne kämpfen noch
mit der hohen See der Krise. Dann kommen Sie mit Ihrer
Klientelpolitik und schießen denen zusätzlich ein großes
Leck ins Schiff.


(Heiterkeit der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Jetzt glauben Sie, dass die mit Lobeshymnen auf
Schwarz-Gelb tapfer untergehen. Aber kurz bevor sie
absaufen, sollen sie Ihnen noch den letzten Bordproviant
zuwerfen. Wer soll denn das glauben?


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wulff, Carstensen, Koch und von Beust haben doch
alle einen gesunden Selbsterhaltungstrieb. Das sind doch
keine japanischen Samurais, die sich für Glanz und Gloria
einer Bundesbildungsministerin freiwillig ins Schwert
stürzen.


(Lachen bei der CDU/CSU)


In welcher Welt leben Sie denn? Sie haben in Ihrem Ko-
alitionsvertrag chaotische Vorstellungen von der zukünf-
tigen Ausgestaltung der Bund-Länder-Beziehungen. Da-
gegen war das verfassungsrechtliche Verfahren der Bund-
Länder-Kooperation in früheren Zeiten solide, geordnet
und transparent. Glauben Sie im Ernst, irgendeine Ge-
meinde ist beeindruckt, wenn Sie sozusagen mit dem er-
hobenen Zeigefinger der Bundesbildungsgouvernante
ankommen und sich beschweren, dass die von Ihnen
weitergebildeten Erzieherinnen von denen nun nicht ein-
gestellt werden, weil sie kein Geld mehr dafür haben?
Das glauben Sie doch selber nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Vielleicht noch eines zu dem Einfluss der FDP: Wenn
man den Koalitionsvertrag liest, dann hat man geradezu
den Eindruck, dass Risikobewertung und Technikfolgen-
abschätzung jetzt durch schwarz-gelben Frohsinn ersetzt
werden sollen.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ihre Rede passt ja zum 11.11.!)


Es ist eigentlich Common Sense, dass die Risikobewer-
tung zur Forschung dazugehört. Wohin ein solcher Froh-
sinn führt, können wir noch heute im Forschungslager
Asse bewundern.

Ich komme zum Schluss. Sie setzen die falschen Prio-
ritäten. Sie verschärfen die Probleme der Unterfinanzie-
rung. Sie bekämpfen nicht die Bildungsarmut, sondern
steigern die Bildungsspaltung. Sie sind völlig ignorant
gegenüber den Problemen in den Ländern und Gemein-
den. Sie werden es nicht nur mit der Opposition im Bun-
destag zu tun haben, sondern auch ganz harten Wind von
vorne von allen Bildungspolitikerinnen und Bildungs-
politikern in dieser Republik bekommen. Das kann ich
Ihnen schon heute versprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700418600

Das Wort hat der Kollege Michael Kretschmer für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Michael Kretschmer (CDU):
Rede ID: ID1700418700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich

finde, der Gedanke der Bildungsrepublik ist in unserem
Koalitionsvertrag wirklich mit Leben erfüllt worden.


(Ulla Burchardt [SPD]: Aber scheintot ist das Leben!)


Sehr viele konkrete Punkte sind beschrieben. Liebe Frau
Kollegin Sager, man darf bei allem Schimpfen das Den-
ken nicht vergessen. Wie Sie uns gerade unterhalten ha-
ben, war durchaus amüsant, aber an der Sache vorbei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Nein, das war auch richtig!)


Wir setzen in finanziell schwierigen Zeiten einen kla-
ren Schwerpunkt auf Bildung und Forschung. Dahinter
steckt die Strategie, Deutschland international wettbe-
werbsfähig zu halten, Wachstum zu erzeugen und Wohl-
stand für unser Land zu generieren. Wir können Wohl-
stand nicht mit niedrigen Löhnen, sondern nur mit der
guten Qualität unserer Produkte im internationalen Wett-
bewerb erhalten und ausbauen. Wir wollen der Welt un-
sere Innovationen verkaufen. Deswegen fördern wir For-
schung und Entwicklung in einem ganz erheblichen
Maß.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben vor vier Jahren mit Bundeskanzlerin
Angela Merkel und Bundesforschungsministerin Annette
Schavan damit begonnen und haben seitdem kontinuier-
lich die Ausgaben für Bildung und Forschung gesteigert.
Das Volumen des Haushalts des BMBF ist um sage und
schreibe 36 Prozent gestiegen und beträgt heute über
10 Milliarden Euro. Das ist ein tolles Signal, und das
wird in den nächsten Jahren so weitergehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Zwei Abwrackprämien, die Sie in einer Nacht beschlossen haben!)


Die Bildungs- und Forschungslandschaft hat nach
Jahren von Rot-Grün, in denen gekürzt wurde, die Haus-






(A) (C)



(B) (D)


Michael Kretschmer
halte also nicht aufgewachsen sind und es große Sorgen
gab, deutlich an Auftrieb gewonnen.


(Ulla Burchardt [SPD]: Das ist Geschichtsklitterung, Herr Kretschmer!)


Wir werden trotz der aktuellen Wirtschaftskrise und ge-
rade deshalb an diesem Weg festhalten. Mit den Bundes-
ländern haben wir vereinbart, 10 Prozent des Bruttoin-
landsprodukts für Bildung und Forschung auszugeben.
Es war nicht einfach, diesen nationalen Pakt zu errei-
chen. Voraussetzung war, dass man mit den Ländern re-
det und sie ernst nimmt. Das ist ein großer Unterschied
zur ehemaligen Bundesforschungsministerin Edelgard
Bulmahn, die immer mit dem Kopf durch die Wand
wollte und den Protest der Länder hervorgerufen hat.
Nein, wir gehen einen anderen Weg. Wir setzen auf Ko-
operation und Zusammenarbeit. Wir sind dabei sehr er-
folgreich und werden das in den nächsten Jahren fortset-
zen. 12 Milliarden Euro mehr vom Bund für Bildung
und Forschung bis 2013 ist eine klare Ansage.

Man kann sich schmollend in die Ecke stellen und im-
mer nur schimpfen. Man kann aber auch mitmachen. Ich
kann nur dazu aufrufen, mitzutun. Der Wahlkampf ist
vorbei. Die Ideen, die wir in unseren Koalitionsvertrag
geschrieben haben, gilt es jetzt mit Leben zu erfüllen.
Dabei sind alle eingeladen, die guten Willens sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir stehen für Chancengerechtigkeit, Durchlässigkeit
und Aufstiegsmöglichkeiten. Ich glaube, dass jeder, der
ernsthaft und guten Willens unseren Koalitionsvertrag
liest, auch erkennt, wie das möglich ist. Wir haben klar
Position zur frühkindlichen Bildung bezogen. Jedes
Kind, das eingeschult wird, muss Deutsch können. An-
sonsten kann es dem Unterricht nicht vernünftig folgen.
Das ist noch immer keine Selbstverständlichkeit, erst
recht nicht im Land Berlin, wo Rot-Rot regiert; da ist das
am wenigsten der Fall. Dass wir, der Bund, uns gezwun-
gen sehen, hier einzugreifen, ist zuallererst ein Armuts-
zeugnis für die Bildungspolitik in diesem Land, für die
Rot-Rot seit vielen Jahren Verantwortung trägt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Das ist ja unglaublich! Nehmen Sie das eventuell zurück?)


Die Probleme sind beschrieben. Es wird im Jahr 2010
100 000 Schulabgänger weniger geben als 2006.

Deswegen sind wir in der Pflicht, und es ist eine
große Herausforderung, mehr aus den vorhandenen jun-
gen Leuten zu machen. Keiner soll auf der Strecke blei-
ben. Wir haben das als ein klares Ziel für uns formuliert.

Stichwort Bildungssparen. Frau Kollegin Sitte, ich
möchte nicht, dass Sie die neuen Bundesländer für das in
Mithaftung nehmen, was Sie heute gesagt haben; denn
es stimmt nicht. Auch ich komme aus Ostdeutschland,
und ich habe eine andere Wahrnehmung. Dort gibt es
Leute, die wollen und auch können. Das hat überhaupt
nichts mit dem Einkommen zu tun. Gerade das Bil-
dungssparen mit zunächst einmal 150 Euro als Anreiz
und später weiteren Prämien ist ein Signal an diejenigen,
die aus bildungsferneren Schichten kommen. Wir wollen
den Aufstieg durch Bildung. Dieser Koalitionsvertrag ist
eine klare Ansage an alle, da mitzutun.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


275 000 neue Studienplätze, ein Hochschulpakt mit
den Ländern, vereinbart über die nächsten Jahre und mit
sehr viel Geld, einem mehrstelligen Milliardenbetrag,
ausgestattet – das muss man in diesen Zeiten erst einmal
durchsetzen. Wir haben es getan. Wir gehen mit dem Sti-
pendienprogramm einen weiteren Schritt. Ich finde es
richtig, dass wir die Wirtschaft, die Unternehmen mit in
die Pflicht nehmen, dass wir die Länder einladen, mitzu-
tun. Wir wollen denjenigen ein Stipendium geben, die
gute Leistungen erbringen, egal aus welchen sozialen
Schichten sie kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir wollen, dass eine Stipendienkultur in diesem Land
entsteht.


(Ulla Burchardt [SPD]: Das ist seit fünf Jahren versprochen!)


Wie lange reden wir schon darüber, dass es in Deutsch-
land keine Stipendienkultur gibt? Es gab verschiedenste
Ansätze. Ich glaube, mit diesem neuen Modell, mit dem
wir 10 Prozent aller Studierenden erreichen wollen – das
ist eine klare Ansage –, werden wir eine Stipendienkul-
tur in Deutschland erzeugen. Auch da kann ich nur sa-
gen: Machen Sie mit, und stehen Sie nicht abseits!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich möchte auch etwas zum Thema Bologna sagen.
Ich fand es gut und richtig, dass die Bundesforschungs-
ministerin die Sorgen der jungen Leute ernst genommen
hat, sie eingeladen hat und mit ihnen ins Gespräch ge-
kommen ist. Es muss unser gemeinsames Ziel sein, für
eine hohe Qualität in der Lehre zu sorgen. Wenn Ände-
rungen am Bologna-Prozess notwendig sind, dann müs-
sen sie erfolgen. Ich finde es positiv, wie gerade die Kul-
tusministerkonferenz gemeinsam mit dem Stifterverband
für die Deutsche Wissenschaft einen Wettbewerb für die
bessere Lehre ausgelobt hat. Wir setzen auch in dem
nächsten Hochschulpakt einen Schwerpunkt auf eine ex-
zellente Lehre im Rahmen der Exzellenzinitiative.

Wichtig ist die Zusammenarbeit von Forschung und
Wissenschaft. Wir werden die Hightech-Strategie mit
Schwerpunkten auf Klimaschutz, Energie, Gesundheit
und Mobilität fortsetzen und konzentrieren uns zudem
auf die Förderung von Schlüsseltechnologien. Wir wol-
len, dass der Bewerbungs- und der Verwaltungsaufwand
bei den Förderverfahren kritisch untersucht wird. Wir
wollen auch dort weniger Bürokratie für die Unterneh-
men und für die Wissenschaftler, die sich um For-
schungsgelder bewerben, und wir wollen insgesamt die
bürokratischen Fesseln in den Forschungseinrichtungen
lockern. Dazu gab es bereits die Initiative „Wissen-
schaftsfreiheit“. Wir wollen sie in Zukunft mit einem
Wissenschaftsfreiheitsgesetz neu aufgreifen.






(A) (C)



(B) (D)


Michael Kretschmer

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon mal gescheitert!)


Ich glaube, es ist das Gebot der Stunde, mehr aus dem
vorhandenen Geld zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die CDU/CSU steht dafür ein, dass neue Technolo-
gien sicher gemacht werden. Das gilt für die Nanotech-
nologie genauso wie für die Bio- und Gentechnologie.
Das ist ein anderer Ansatz als die Verhinderungspolitik
von Rot-Grün. Nein, wir dürfen keine Angst haben,


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


sondern müssen klug und mutig vorangehen. Wir brau-
chen neue Technologien. Deutschland kann nur mit
neuen Technologien seinen Wohlstand halten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich kann zum Abschluss nur noch einmal sagen: Ma-
chen Sie mit! 12 Milliarden Euro sind eine ganze Menge
Geld. Viele Chancen liegen darin, die es gemeinsam zu
nutzen gilt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700418800

Das Wort hat der Kollege Ernst Dieter Rossmann für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1700418900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Angesichts der großen Ansprüche meine ich: Da muss
dann auch geliefert werden. So wie ich es sehe, Frau
Sitte, Frau Sager, wird das eine fröhliche Opposition.


(Zustimmung bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Patrick Meinhardt [FDP]: Und eine fröhliche Regierung!)


Erstens. Um es auf den Punkt zu bringen: Den Irrtum,
den Sie mit dem Kooperationsverbot begangen haben,
toppen Sie jetzt noch mit der Finanzierungsfalle für die
Länder.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Um es ganz klar zu sagen – für alle, die das vielleicht
nicht wissen –: Bildung wird zu 8,5 Prozent vom Bund
und zu über 50 Prozent von den Ländern finanziert. Wer
jetzt nahelegt, die Gesamtausgaben für den Bildungsbe-
reich auf 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu stei-
gern, der erwartet von den Ländern, dass sie 15 Milliar-
den Euro mehr finanzieren. Gleichzeitig sollen den
Ländern 15 Milliarden Euro genommen werden. Diese
30-Milliarden-Euro-Lücke wird Sie verfolgen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb kann ich nur sagen: Sie erwartet eine fröhliche
Opposition.

Hoffentlich trägt unser Streit dazu bei, dass Sie noch
die Einsicht gewinnen, dass man mit einer 30-Miliarden-
Euro-Lücke keinen Bildungsaufbau betreiben kann. Das
werden Ihnen die Ministerpräsidenten schon im Dezem-
ber sagen. Frau Schavan, wir wollen sehen, mit welchem
Ergebnis Sie von dieser Zusammenkunft zurückkehren.

Zweitens. Frau Schavan, Sie begehen den Irrtum, sich
mit der Bildungsförderung an die Spendenbereitschaft
von Firmen zu wenden. Frau Sager, aus Gründen der
Frauensolidarität haben Sie sich gefragt: Wie konnte
sich Frau Schavan eigentlich darauf einlassen? Ich
glaube, sie wollte sich gar nicht darauf einlassen, son-
dern sie musste sich darauf einlassen. Nur, Frau
Schavan, „200 000 bis 2013“, das ist jetzt Ihr Projekt;
Sie müssen liefern. Mal sehen, ob Sie liefern können. Ich
bin da nicht so sicher.

Wenn es so sein sollte, dass das BAföG erhalten
bleibt, dann kommen Sie gerne mit: Schüler-BAföG,
BAföG mit regelmäßiger Anpassung, Master-BAföG,
Meister-BAföG. Das ist tatsächlich ein Sozialstipen-
dium. In Bezug auf das andere: Wir werden sehen, ob
Sie dort wirklich liefern können.

Drittens. Herr Kretschmer, ich will ausdrücklich auf
einen Unterschied eingehen, was das Bildungssparen
angeht. Ja, auch in der Großen Koalition haben wir Er-
wachsenen ein Angebot zum Bildungssparen hinsicht-
lich der Weiterbildung gemacht. Aber es ist ein funda-
mentaler Unterschied, die Bildungschancen von Kindern
daran zu knüpfen, dass ihre Eltern für ihren Bildungs-
weg gespart haben.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Das tut doch gar keiner! Das ist totaler Blödsinn, was Sie da erzählen!)


Jetzt wird nahegelegt, dass Eltern darüber entscheiden
sollen, ob für ihre Kinder ein Bildungskonto angelegt
wird. Es ist gut, wenn sie es tun. Aber was ist mit dem
Bildungsrecht derjenigen Kinder, deren Eltern es nicht
tun? Herr Trittin hat gestern gesagt: Man kann die Frage
von Gerechtigkeit aus der Sicht des Bourgeois oder des
Citoyen betrachten. Ihre Sicht ist die des Bourgeois.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Wir sind nicht im 19. Jahrhundert!)


Das Recht auf Bildung ist nicht an materielle Vorausset-
zungen gebunden; vielmehr ist es ein Menschenrecht:
Jeder Mensch muss eine erste, eine zweite, eine dritte
Chance haben, Bildung zu erwerben.

Dieses Recht ist auch daran gebunden, dass die Insti-
tutionen stark gemacht werden. Ich finde, der bessere
Ansatz ist, Kindertagesstätten zu Eltern-Kind-Zentren
auszubauen.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ernst Dieter Rossmann
Weshalb steht hier eigentlich „Kindertagesstätten als
Haus der Forscher“ und nicht „Kindertagesstätten als El-
tern-Kind-Zentren“? Frau von der Leyen, ich glaube,
auch Ihnen wäre es wichtig, wenn aus der Bildungsein-
richtung Kindertagesstätte qualitativ richtig gute Eltern-
Kind-Zentren würden.

Stichwort „Institution stärken“. Die Institution Schule
sollte über Schulsozialarbeit gestärkt werden und nicht
über Bildungsschecks, da diese nicht zu einem gemein-
samen Lernen ganz vieler in einer gemeinsamen Schule
führen. Als Sie noch mit uns in einer Koalition waren,
waren Sie da weiter.

Recht auf Bildung heißt, mit modernsten Berufsbil-
dungseinrichtungen dafür zu sorgen, dass Menschen
ohne Ausbildung eine zweite oder dritte Chance bekom-
men, eine Ausbildung zu machen. Ich will gern anerken-
nen, dass bei Ihnen von modernsten beruflichen Bil-
dungseinrichtungen die Rede ist; für diese Einrichtungen
wollen Sie auch Investitionen tätigen. Hoffen wir, dass
Sie Ihr Vorhaben umsetzen.

Recht auf Bildung heißt auch, Priorität auf Weiterbil-
dungsberatung und Weiterbildungsnetzwerke und natür-
lich auf ein echtes Hochschulpaket, also auf ein gutes
Studium. Da haben wir einen Konsens. Frau Sager, Frau
Sitte, wir wollen sehen, wie wir Koalition und Regierung
treiben können und wie wir sie dazu bringen können,
dass sie liefern. Ich betone: Was geschrieben steht, liest
sich gut; aber sie müssen liefern.

Da sehr viel Geld in die Forschung fließen soll, will
ich an dieser Stelle zwei weitere Themen ansprechen.

Die Verknüpfung von Bildung und Forschung ist das,
was nachhaltiges Wachstum, qualitatives Wachstum ei-
gentlich ausmacht. Zur Forschungsförderung gehören
gute Universitäten, gute außeruniversitäre Forschungs-
einrichtungen und eine gute öffentlich verantwortete
Programmförderung. Außerdem gehört dazu, dass die
Wirtschaft in die Lage versetzt wird, die Märkte von
morgen zu entwickeln und sich forschungsmäßig daran
zu orientieren.

An der Stelle haben wir eine Frage an Sie. Im Koali-
tionsvertrag steht im Zusammenhang mit den Instrumen-
ten der Hightech-Strategie, dass Sie prüfen wollen, ob
Sie die Forschung von kleinen und mittleren Unterneh-
men steuerlich fördern. Das ist ja etwas, was Sozialde-
mokraten und andere mit in die Diskussion gebracht ha-
ben. Es stand zum Beispiel auch im Wahlprogramm von
Frank-Walter Steinmeier: Hier waren „tax credits“ in
Höhe von 8 Prozent bei einer Deckelung von 1,5 Millio-
nen Euro pro Unternehmen vorgesehen. Aber was ist
jetzt eigentlich passiert? Sie wollen prüfen, aber Herr
Keitel vom BDI sagt schon jetzt, es könne nicht ange-
hen, dass es diese Förderung nur für kleine und mittlere
Unternehmen gibt, sondern sie müsse für alle gelten. Da-
rin begründet sich der Unterschied von 1,5 Milliarden
und 4 Milliarden Euro im Umfang der Förderung.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja, spannend!)


Frau Schavan, wo stehen Sie? Sind Sie bei den
4 Milliarden oder bei den 1,5 Milliarden? Wollen Sie,
dass es Mitnahmeeffekte gibt, oder wollen Sie, dass sich
die Förderung wirklich auf die kleinen und mittleren Un-
ternehmen konzentriert, die die größte Wertschöpfung
haben, nämlich circa 50 Prozent, von denen aber nur
15 Prozent der Unternehmen Forschungsmittel erhalten?
Wenn man sich dann noch vor Augen führt, dass Groß-
unternehmen 5 Prozent in die Forschung investieren
können, kleine und mittelständische Unternehmen aber
nur 3 Prozent, dann ist doch evident, an welcher Stelle
die Mittel konzentriert werden müssen. Das ist besser,
als die Mittel zu zerstreuen.

Wir von der sozialdemokratischen Seite aus appellie-
ren ausdrücklich an Sie – ich vermute, das wird auch von
Ihnen so geteilt –: Bleiben Sie dabei, die Forschungs-
förderung auf kleine und mittlere Unternehmen zu kon-
zentrieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bleiben Sie dabei, ihnen den Zugang zu Venture Capital
zu ermöglichen. Bleiben Sie dabei, auch eine gute insti-
tutionelle Förderung und eine Programmförderung vor-
zusehen. Sonst bekommen Sie nämlich Schwierigkeiten
mit der Nachhaltigkeit des Forschungsförderungspro-
gramms; denn es könnte nicht mehr effizient umgesetzt
werden.

Ein zweiter Punkt bezüglich der Forschungsförde-
rung: Wir teilen Ihre Einsicht, dass die Hightech-Stra-
tegie auf bestimmte, gesellschaftlich relevante Hand-
lungsfelder konzentriert werden muss. Das sagen wir
ausdrücklich auch angesichts unserer globalen Verant-
wortung. Wir haben verinnerlicht, dass anstelle des
Grundsatzes „Global denken, lokal handeln“ jetzt gilt:
lokal forschen, um global handeln zu können. Das ist
nachhaltige globale Verantwortungspolitik; denn alles
hängt zusammen: Wenn man über Sicherheitsforschung
nachdenkt, muss man auch die Konflikt- und Friedens-
forschung mit einbeziehen und entsprechend fördern.
Wenn man über Mobilität und Gesundheit nachdenkt,
muss man auch die Auswirkungen von Demografie und
Migration mit erforschen. Wenn man über die Wert-
schöpfung von morgen nachdenkt, muss man auch hu-
manitäre Aspekte von Arbeit und die Entwicklung von
der Dienstleistungs- zur modernen Forschungsgesell-
schaft in den Evaluierungsprozess einbeziehen. Wir ha-
ben die Sorge, dass Sie hier auf einem Auge etwas blind
sind. Zerstreuen Sie unsere Sorge. Wir unterstützen Sie
gerne dabei.

Eine letzte Bemerkung zum Bürgerdialog. Den Blick
auf den Dialog zwischen Forschung und Gesellschaft zu
richten, ist angesichts der Bildungs- und Wissensgesell-
schaft von morgen grundrichtig. Die Frage, wie das kon-
kret geschehen soll, wird im Koalitionsvertrag mit der
Planung, zusammen mit der Wirtschaft ein „Haus der
Zukunft“ einzurichten, beantwortet. Wir meinen, der
Bürgerdialog muss mehr umfassen. Der Bürgerdialog
über Wissenschaft und Forschung bekommt dann einen
starken Kern, wenn dieser Bundestag zum Haus der Wis-
senschaft wird, wenn man in diesem Bundestag über
Wissenschaft, über Forschung, über Forschungsschwer-
punkte und -strukturen mehr als bisher diskutiert. Wir






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ernst Dieter Rossmann
wollen Ihnen anbieten, dieses Parlament, dieses Haus
der Bürger in Zukunft zu einem Haus zu machen, in dem
auch über Forschungs- und Wissenschaftspolitik gestrit-
ten wird. Das nützt uns allen. Frei nach der Devise von
Hartmut von Hentig – das ist ein sozialdemokratischer
Lehrsatz –: Worauf kommt es an? Sachen klären, Men-
schen stärken – das ist unsere Mission.

Danke.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700419000

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Professor

Dr. Martin Neumann das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Martin Neumann (FDP):
Rede ID: ID1700419100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wenn wir uns an die richtigen Worte der Bun-
deskanzlerin in der Regierungserklärung erinnern oder
wenn wir uns die Aussagen unseres Koalitionsvertrages
anschauen, dann kommen einem vier wesentliche Bot-
schaften in den Kopf, die ich an dieser Stelle hervorhe-
ben möchte:

Erstens. Diese Bundesregierung wird sich den rasant
wachsenden Herausforderungen des globalen Wettbe-
werbs stellen.

Zweitens. Sie wird die Leistungsfähigkeit des deut-
schen Wissenschaftssystems wahrnehmbar steigern.

Drittens wird sie dafür Sorge tragen, dass die deut-
sche Wirtschaft bei internationalen Entwicklungen wie-
der Schritt halten kann.

Viertens wird sie Deutschland für die besten Köpfe
der Welt wieder attraktiv machen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Nicht von ungefähr beschreibt die neue Bundesregie-
rung ihr innovationspolitisches Handeln mit folgendem
Satz:

Moderne Technologien sind keine Bedrohung, son-
dern Chance für Deutschland. Mit ihnen begegnen
wir den großen Herausforderungen der Menschheit
wie Hunger, Armut, Krankheit und Naturkatastro-
phen. Deutschlands Technologieführerschaft sichert
uns Teilhabe an großen Zukunftschancen, Beschäf-
tigung und Ressourcen schonendem Wohlstand.

Kurz gesagt: Diese Bundesregierung wird einer neuen
Kultur für Wissenschaft und Innovation den Weg berei-
ten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


An dieser Stelle sage ich ganz deutlich: Wir müssen
mehr Freiheit wagen, und, meine Damen und Herren,
wir werden mehr Freiheit wagen. Aus diesem Grund
werden wir gemeinsam einen mutigen Schritt in die Zu-
kunft machen und Ihnen den Entwurf eines Wissen-
schaftsfreiheitsgesetzes vorlegen.

(Beifall bei der FDP – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ich habe es gewusst!)


Es ist ein Gesetz, das der Wissenschaft und der Wirtschaft
gleichermaßen die notwendige Luft zum Atmen gibt. Es
ist ein Gesetz, das Barrieren abbaut und das – drittens –
Forschung und Lehre wieder enger zusammenführt. Es ist
ein Gesetz, das Eigenverantwortung in der Wissenschaft
stärkt und Bürokratie abbaut.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Und vor allem den Beschäftigten so viele Chancen gibt!)


Es ist ein Gesetz, das Grenzen für Fachkräfte öffnet und
bestehende Forschungsinfrastrukturen für alle zugäng-
lich macht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben das Kredo unseres Koalitionsvertrages ver-
nommen: Angst schafft keine Zukunft.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es war gerade die Angst der letzten Jahre, die sich wie
Mehltau über neue Forschungsfelder, neue Erfindungen
und Entdeckungen sowie über neue Technologien legte.
Egal, ob Grüne Biotechnologie, Stammzellenforschung,
kerntechnische Sicherheitsforschung oder Validierungs-
forschung: Diese Bundesregierung setzt wieder verant-
wortungsbewusst auf Chancen und schützt die Men-
schen dabei zugleich vor möglichen Risiken.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Asse III)


Deutschland braucht ein positives Forschungsklima,
frei von ideologischen Debatten. Die herrschende, oft
angstbesetzte Kultur des Risikos muss sich zu einer zu-
kunftsorientierten Kultur der Chancen wandeln.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Bundesregierung wird die Leistungsfähigkeit
des deutschen Wissenschaftssystems im internationalen
Wettbewerb stärken. Das heißt, wir wollen die Koopera-
tionsmöglichkeiten zwischen Universitäten, außeruni-
versitären Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft
erweitern und dabei die Eigenverantwortung der Wis-
senschaftler stärken. Wir wollen gemeinsam mit den
Ländern eine Landkarte der FuE-Infrastruktur zeichnen,
um Kooperationsverträge über die gegenseitige Nutzung
der FuE-Infrastruktur zu ermöglichen.

Die staatliche FuE-Förderung der Wirtschaft ist in
Deutschland über Jahre hinweg zurückgegangen. Sie ist
heute niedriger als in einem Großteil der OECD-Staaten,
die allerdings FuE-Projektförderung und steuerliche
FuE-Förderung als Eines betrachten. Eine verstärkte
FuE-Tätigkeit der Wirtschaft ist aber eine der Grundvo-
raussetzungen für eine Steigerung der Wertschöpfung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Martin Neumann (Lausitz)

Was Deutschland heute fehlt, ist eine gezielte steuerli-
che FuE-Förderung aller in Deutschland forschenden
Unternehmen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Während die Zuschussförderung die Durchführung eines
Forschungsprojektes erst ermöglicht, schafft die steuerli-
che FuE-Förderung zusätzliche Liquiditätsspielräume
für Innovationsvorhaben. Daher wird auch diese Bun-
desregierung eine steuerliche Förderung anstreben, die
zusätzliche Forschungsimpulse in kleineren und mittle-
ren Unternehmen sowie in großen in Deutschland for-
schenden Unternehmen auslöst.

Zum Abschluss wünsche ich Ihnen, sehr geehrte Frau
Ministerin, in Ihrem Amt alles Gute und eine glückliche
Hand für die richtigen Entscheidungen.

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700419200

Kollege Neumann, das war Ihre erste Rede im Deut-

schen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen recht herzlich und
wünsche Ihnen Erfolg in Ihrer Arbeit.


(Beifall)


Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Albert
Rupprecht.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Albert Rupprecht (CSU):
Rede ID: ID1700419300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Koalitionsvertrag der christlich-liberalen Regierung
hat den Titel „Wachstum. Bildung. Zusammenhalt“. Bil-
dungspolitik ist in den Mittelpunkt gerückt. Wir werden
für Forschung und Bildung insgesamt 12 Milliar-
den Euro mehr bereitstellen. Das ist mit Abstand der
größte Zuwachs, den ein Ressort überhaupt zu verzeich-
nen hat. Das ist eine ganz klare Prioritätensetzung für
Bildung und Forschung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es geht dabei um weit mehr als um Finanzmittel. Wir
verstehen den Bildungsbegriff im Sinne des christlichen
Menschenbildes. Das heißt, der Mensch ist als Ebenbild
Gottes zur Freiheit berufen. Bildung ist die Vorausset-
zung für innere und äußere Freiheit. Bildung schafft
geistige Selbstständigkeit und Urteilsvermögen. Deshalb
ist Bildung auch eine Voraussetzung für die Wahrneh-
mung demokratischer Rechte und Pflichten.

Ein hoher Bildungsstand sichert nicht nur Wohlstand
und Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch unsere freiheit-
liche Grundordnung als solche. Deswegen ist es gut,
dass wir über Bildungspolitik leidenschaftlich streiten
und diskutieren. Das Ringen um die beste Bildung für
unsere Kinder ist den politischen Wettstreit wert.

Bildung hat auch aus Sicht der Bevölkerung höchste
Priorität. Die Bildungsrepublik Deutschland ist an den
Küchentischen der deutschen Familien längst angekom-
men. Die Eltern stellen viele Fragen. Es ist unsere Auf-
gabe, auch Antworten und Orientierungen zu geben. Es
gehört trotz aller Mängel dazu, ein realistisches Bild zu
zeichnen. Die Mühen der letzten Jahrzehnte haben sich
gelohnt. Nie zuvor war der Bildungsstand in Deutsch-
land höher als heute. Auch das gehört zur Wahrheit, und
auch das sollten wir den Eltern sagen, die Angst um die
Zukunft ihrer Kinder haben.

Nur 3 Prozent der Erwachsenen haben keinen Schul-
abschluss. In Schweden sind es 6 Prozent, in Finnland
sind es 10 Prozent und in Frankreich 14 Prozent. Immer-
hin haben 83 Prozent der Erwachsenen einen Berufsab-
schluss – Tendenz steigend. Im EU-Schnitt sind es nur
69 Prozent. Nie zuvor gab es mehr Akademiker in
Deutschland als heute. 309 000 junge Menschen haben
2008 ihr Studium abgeschlossen. Das ist die Hälfte mehr
als im Jahr 2002. Fast 40 Prozent der Schulabsolventen
haben 2008 ein Studium aufgenommen. Das ist ein Drit-
tel mehr als 1998. Nirgends auf der Welt gibt es mehr
Höchstqualifizierte als in Deutschland. 2,6 Promotionen
kommen auf 1 000 Erwachsene. Im EU-Schnitt sind das
lediglich 1,4. In den USA sind es nur 1,3.

Das sollte uns durchaus mit Stolz erfüllen und uns
motivieren, engagiert weiterzustreiten: streiten über das
richtige Wertefundament, streiten über die richtigen
Leitbilder und Instrumente, aber immer in dem Wissen,
dass in einer vernetzten und komplexen Gesellschaft
Dogmatismus nicht weiterhilft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Neben den Erfolgen der Vergangenheit gibt es natür-
lich große aktuelle Herausforderungen, die es vor
20 Jahren in der Art nicht gab: Globalisierung, Demo-
grafie und Migration.

Zum Ersten: Schon heute fehlen jährlich 15 000 Inge-
nieure und Naturwissenschaftler. Ohne Ingenieure wer-
den wir den Wohlstand in Deutschland im globalen
Wettbewerb nicht sichern können. Es geht ganz klar um
einen Wettstreit um die besten Köpfe. Wir wollen, dass
die besten Köpfe nicht in Zürich, Harvard und in Oxford,
sondern in Aachen, Karlsruhe und in München studie-
ren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen werden wir die Attraktivität Deutschlands für
Hochqualifizierte steigern. Deswegen werden wir die
technischen Fächer stärken und Hochbegabungen früher
fördern, und das auch im Rahmen eines nationalen Sti-
pendiensystems unter Beteiligung – ich meine, das ist
richtig – der Wirtschaft.

Zum Zweiten, zur Demografie. 2010 gibt es 100 000
Schulabgänger weniger als 2006. Trotz Krise bleiben
2009 17 000 Lehrstellen in Deutschland unbesetzt. In
den nächsten 40 Jahren steigt der Altersdurchschnitt der
Deutschen um zehn Jahre. Die Betriebe werden hände-
ringend auf ältere Arbeitnehmer angewiesen sein. Viele
Senioren werden rüstig sein. Deswegen sind starre Al-
tersgrenzen in Zukunft kaum mehr zu begründen.

Zum Dritten. 15 Millionen Menschen mit Migra-
tionshintergrund leben in Deutschland. Das ist mehr






(A) (C)



(B) (D)


Albert Rupprecht (Weiden)

als ein Fünftel der deutschen Bevölkerung. Viele sind
zum Glück gut integriert. Trotzdem beträgt der Anteil
der jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund und
ohne qualifizierten Berufsabschluss 41 Prozent im Ver-
gleich zu einem Anteil von 15 Prozent, wenn man die
gesamte Bevölkerungsgruppe berücksichtigt.

Ich glaube, hier ist etwas massiv falsch gelaufen. Es
kann nicht sein, dass die zweite oder dritte Generation
schlechter integriert ist als die erste. Deswegen ist es
zwingend, dass künftig jedes Kind vor Schuleintritt die
deutsche Sprache beherrscht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wer in der Schule nichts versteht, verliert schnell den
Anschluss und das Interesse. Es muss daher für alle Kin-
der im Alter von vier Jahren Sprachstandserhebungen
und bei Bedarf verpflichtenden Sprachförderunterricht
geben. Zudem werden wir benachteiligten Kindern mit
Bildungsschecks beistehen – vor allem in den Klassen
vier bis sechs als unterrichtsbegleitende Förderung.

Dies und vieles mehr werden wir tun, um die Bildung
der Menschen in Deutschland voranzubringen und
Deutschlands Zukunft zu sichern. Hierzu begründen wir
eine Bildungspartnerschaft zwischen Bund, Ländern
und Kommunen. Wir erhöhen die Ausgaben des Bundes
für Bildung und Forschung um insgesamt 12 Milliarden
Euro bis 2013, und wir werden bis 2015 gesamtstaatlich
10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung und
Forschung aufwenden. Von Beginn der Amtszeit der Mi-
nisterin Schavan im Jahre 2005 bis zum Ende dieser Le-
gislatur wird sich der Etat des Bildungs- und Forschungs-
ministeriums insgesamt verdoppeln. Ich glaube, das ist
eine außerordentlich klare Prioritätensetzung zugunsten
von Bildung und Forschung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es ist zwingend und muss uns gemeinsam gelingen,
Deutschland zur Bildungsrepublik zu machen. Wir brau-
chen eines der besten Bildungssysteme der Welt, wenn
wir gesellschaftlichen Zusammenhalt, Wohlstand und
soziale Sicherheit in Deutschland bewahren wollen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700419400

Weitere Wortmeldungen zu diesen Themenbereichen

liegen nicht vor.

Wir kommen nun zu den Themenbereichen Familie,
Senioren, Frauen und Jugend. Das Wort hat die Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Dr. Ursula von der Leyen.

Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Politik
für Familien ist Politik für die Zukunft. Wer die Zukunft
gewinnen will, muss bereit sein, neue Wege zu gehen
und neue Akzente zu setzen. Wir haben in den vergange-
nen Jahren eine gute Grundlage für eine neue, moderne
und nachhaltige Familienpolitik gelegt. Wir haben es ge-
schafft, einen breiten gesellschaftlichen Konsens herzu-
stellen. Wir haben es geschafft, dass eine moderne Fami-
lienpolitik ein kluger Mix aus Zeit, Infrastruktur und
Geld ist und nicht nur ein einzelnes Teil zählt. Familien-
politik ist vom Rand in die Mitte der gesellschaftlichen
Diskussionen gerückt. Das ist wichtig gewesen, um hier
eine solide Grundlage zu haben.

Stellvertretend dafür stehen Themen wie zum Bei-
spiel das Elterngeld und neue Chancen für Väter – bei-
des sind Themen, die wir weiterentwickeln werden –,
der Ausbau der Kinderbetreuung, Mehrgenerationenhäu-
ser, Freiwilligendienste aller Generationen, frühe Hilfen
am Lebensanfang bis hin zu Demenzbegleitern am Le-
bensende. Wir sind erst am Anfang des Weges. Es ist
noch eine große Strecke zu gehen. Aber es ist durch die
breite Übereinstimmung, was die Richtung, in die wir
uns bewegen wollen, angeht, gelungen, dass wir jetzt
mehr in die Tiefe sehen können und vor allen Dingen
sensibler und aufmerksamer für die Brüche im Lebens-
verlauf werden können.

Was bedeutet es, wenn Kinder in Armut aufwachsen?
Was bedeutet es für Jugendliche, wenn sie in der Puber-
tät den Einstieg aus der Schule oder aus der Ausbildung
in den Beruf nicht schaffen? Was bedeutet es für Frauen
im Hinblick auf Aufstiegs- und Erwerbschancen, wenn
sie an die „gläserne Decke“ stoßen, wenn sie Kinder be-
kommen? Was bedeutet es für Menschen um die 50, die
gerade wieder eingestiegen sind, wenn sie merken, dass
Pflegeaufgaben auf sie zukommen und Pflege und Beruf
unvereinbar sind?

Natürlich sind Lebensläufe nicht immer geradlinig.
Ich weiß auch, dass zur Freiheit und Verantwortung ei-
nes jeden Menschen dazugehört, den Weg durchs Leben
selbst zu finden. Aber es gibt auch typische Brüche, die
verpasste Chancen bedeuten: verpasste Chancen für
den Einzelnen oder die Einzelne, aber auch verpasste
Chancen für dieses Land, wenn die Talente, die Mög-
lichkeiten, die Einsatzfreude von Menschen nicht ge-
nutzt werden. Zu viele verpasste Chancen kann sich die-
ses Land nicht leisten, meine Damen und Herren. Dieses
Land braucht eine Chancengesellschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es gibt kaum ein Thema, bei dem verpasste Chancen
so augenfällig werden, wie das der Kinderarmut.
2,4 Millionen Kinder leben in Armut. Kinderarmut hat
viele Gesichter. Sie hat zunächst das Gesicht der Bil-
dungsarmut. Deshalb werden wir den Ausbau einer qua-
litativ hochwertigen Kinderbetreuung weiter vorantrei-
ben. Die heute vorgelegten Zahlen sind ermutigend.
Trotz der Wirtschaftskrise hat sich die Zahl der Bewilli-
gungen für die Schaffung neuer Plätze in diesem Jahr im
Vergleich zum Jahr 2008 verdreifacht. Es ist ein Volu-
men von 150 000 Plätzen. Aber ich sage auch deutlich:
Dies reicht nicht; diese Dynamik wird noch weiter stei-
gen müssen. Auch die Qualifikation von Tageseltern, Ta-
gesmüttern mit der Bundesagentur für Arbeit und den
Jugendämtern werden wir weiter ausbauen.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
Wenn Armut Bildungsarmut bedeutet, dann heißt
dies, dass die Kinder, die zu Hause zu wenig Ansprache,
keine Alltagsstruktur oder zu wenig Förderung erhalten,
vor allem davon profitieren, wenn sie mit Gleichaltrigen
zusammen sind, weil sie dadurch spielerisch Sprache,
Fantasie und Kreativität entwickeln,


(René Röspel [SPD]: Deswegen Betreuungsgeld!)


weil sie dadurch spielerisch mit anderen ihre Welt entde-
cken. Deshalb möchte ich die kommenden drei Jahre da-
für nutzen, mit Ihnen die gesellschaftspolitische Diskus-
sion darüber zu führen, wie ein Betreuungsgeld so
ausgestaltet werden kann, dass es Kinder nicht von An-
fang an von so wichtigen Lernorten ausschließt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Anerkennung von Erziehungsleistung ja, aber liebevolle
Erziehung und frühe Bildung müssen Hand in Hand ge-
hen.

Kinderarmut hat auch das Gesicht der materiellen Ar-
mut. Ein Kind bringt sicherlich ganz viel Liebe und Le-
bensfreude in eine Familie hinein. Aber es kostet auch
Geld, und mehrere Kinder kosten mehr Geld. Deshalb ist
es richtig, das Kindergeld zu erhöhen; denn Kindergeld
verhindert das Abrutschen in Armut. Hätten wir kein
Kindergeld in diesem Land, dann läge die Armutsquote
von Kindern nicht bei 14 Prozent, sondern mehr als dop-
pelt so hoch bei 30 Prozent.

Wir werden auch den Kinderzuschlag weiterentwi-
ckeln, der den Erwerbsanreiz für die Eltern deutlich
stärkt: Wenn ihr genügend Einkommen für euch selber
verdient, dann sollt ihr nicht nur wegen der Kinder in
Hartz IV rutschen.

Die größte Gruppe der Kinder in Armut sind Kinder
von Alleinerziehenden. Sie brauchen neben den bereits
erwähnten Hilfen – gute Kinderbetreuung, Kinderzu-
schlag, materielle Hilfen – vor allem Netze der Unter-
stützung. Im Koalitionsvertrag haben wir uns vorgenom-
men, mit einem Maßnahmenpaket solche Netzwerke
auszubauen. Das beginnt bei der Zusammenarbeit in den
neuen Kooperationen mit der Bundesagentur für Arbeit,
mit lokalen Trägern, wenn es um eine bessere Vereinbar-
keit von Beruf und Familie für diese Alleinerziehenden
in ihrem schwierigen Alltag geht, und reicht bis hin zu
den inzwischen über 600 lokalen Bündnisse für Familie
und den 500 Mehrgenerationenhäusern. Das heißt, wir
haben bereits eine Plattform aufgebaut, um die Halt ge-
benden, ermutigenden und einfach zugänglichen Netz-
werke für diese Kinder auszubauen. Es gibt das schöne
alte afrikanische Sprichwort „Es braucht ein ganzes
Dorf, um ein Kind großzuziehen“.


(Caren Marks [SPD]: Das ist so ausgelutscht!)


Das ist und bleibt die richtige Philosophie. Es gibt viele
Menschen, die ehrenamtlich etwas tun wollen und tun
können. Wir dürfen es nicht dem Zufall überlassen, ob es
an einem Ort diese Unterstützungsnetzwerke gibt oder
nicht.
Armut, meine Damen und Herren, trägt aber auch das
Gesicht der Chancen- und der Teilhabearmut von Ju-
gendlichen, der verpassten Schulabschlüsse in der Pu-
bertät, des misslungenen Einstiegs in die Arbeitswelt,
des Gefühls, nichts wert zu sein, und der verzweifelten
Versuche, sich auf andere Weise Respekt zu verschaffen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Mittagessen in der Schule zu kriegen! – Caren Marks [SPD]: Das ist so ein Gesülze!)


Deshalb müssen wir uns stärker darauf besinnen, dass je-
der Jugendliche eine faire Chance bekommt, wertge-
schätzt, mit Perspektiven und gesund durch die schwieri-
gen Jahre der Pubertät zu kommen und, wenn es nötig
ist, auch eine zweite Chance zu erhalten.

Wir wollen deshalb die Jugendlichen beim Übergang
von der Ausbildung in den Beruf besser unterstützen, in-
dem wir die Netzwerke, die wir aufgebaut haben, durch
Kompetenzagenturen mit Initiativen wie „2. Chance“
oder „Jugend stärken“ ausbauen. Dieses Fundament
müssen wir nutzen, um die Chancen für die Jugendli-
chen zu verbessern.

Verpasste Chancen in diesem Lebensalter sind aber
auch verpasste Chancen, sich mit diesem Land, diesem
Staat und dieser Demokratie zu identifizieren, mitzuma-
chen, sich zu engagieren. Die Gleichgültigkeit gegen-
über Politik und Demokratie ist heute ebenso eine Ge-
fahr wie der Extremismus. Deshalb gehört es auch zu
einer eigenständigen Jugendpolitik – zu der wir uns im
Koalitionsvertrag bekennen –, die Wichtigkeit von Parti-
zipation und Teilhabe, Jugendarbeit und politischer Bil-
dung hervorzuheben, die wir mit dem Kinder- und Ju-
gendplan fördern.

Wir brauchen eine eigenständige Jugendpolitik und
– das ist im Koalitionsvertrag festgehalten – vor allem
eine eigenständige Politik für Jungen und Männer.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Denn es sind gerade die Jungen, deren Lebensverläufe
im Jugendalter zu brechen drohen. Wir müssen uns die
Frage stellen: Was ist los, dass die Jungen nicht mehr
– wie die Mädchen – am Bildungsaufwuchs teilnehmen?
Warum bleiben sie zurück?


(Sönke Rix [SPD]: Ich bin dafür, dass es mehr männliche Erzieher gibt!)


Bei den Frauen kommt der typische Bruch später im
Leben. In den Anfängen der Ausbildung sind sie besser,
sie sind schneller in der Schule, sie sind qualifiziert, aber
dann kommt der Lebensbruch – verursacht durch die
„gläserne Decke“ – in dem Augenblick, wenn Kinder da
sind und es um Erwerbs- und Aufstiegschancen für
Frauen geht. Wir wollen: mehr Frauen in Führungsposi-
tionen im öffentlichen Dienst wie in der Wirtschaft, glei-
chen Lohn für gleiche Arbeit, bessere Vereinbarkeit von
Familie und Beruf, aber auch von Pflege und Beruf. Das
sind die gleichstellungspolitischen Eckpfeiler einer
Chancengesellschaft für Frauen.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
Eine Chancengesellschaft umfasst schließlich und
endlich auch die Älteren. Wenn der Ausstieg aus dem
Beruf einen Bruch mit Aktivitäten, Aufgaben, Kontakten
und Wertschätzung bedeutet, dann ist die Chance auf ein
gutes Alter nicht gegeben. Das wiegt umso schwerer in
einer Gesellschaft, in der immer mehr Menschen immer
länger leben. Wir haben in den vergangenen Jahren da-
mit begonnen, neue Orte zu schaffen, neue Wege, neue
Chancen für ein aktives, ein anderes Altersbild zu ent-
wickeln. „Alter schafft Neues“ – das ist eines dieser
Themen. Es gibt generationsübergreifende Freiwilligen-
dienste. Dieses Leitbild werden wir weiter ausbauen.

Wir wissen, dass es mehr ältere Menschen geben
wird. Ich möchte die deutliche Ansage machen, dass das
keine Alterslast, sondern eine Chance, ein Fortschritt ist.
Deshalb ist es unser Ziel, einladende Angebote zu ma-
chen und Strukturen zu schaffen, damit sich mehr ältere
Menschen in ehrenamtliche oder bürgerschaftliche Akti-
vitäten einbringen können.

Wer Leihgroßmutter in einem Netz der „frühen Hil-
fen“ ist oder wer Mentor für Schüler mit einer besonde-
ren Schwierigkeit ist, der erfährt nicht nur hohe Wert-
schätzung für sich durch eine sinnvolle Tätigkeit,
sondern der gibt den jungen Menschen zum ersten Mal
das gute Gefühl, dass sich jemand um sie kümmert.

Alle geschilderten Lebenssituationen haben eines ge-
meinsam: Man kann sie überwinden, wenn man eigene
Kräfte mobilisiert, wenn man auf Menschen, Netze und
Strukturen bauen kann, die einen dabei unterstützen. Ge-
sellschaftspolitik für alle Generationen zu machen, heißt,
dass wir die Menschen stärken, damit sie ihr Leben in
die eigene Hand nehmen können, und wir müssen die
Menschen stärken, damit sie einander stärken und unter-
stützen können.

Eine Gesellschaft der Chancen ist auch eine Gesell-
schaft des Zusammenhalts, der gegenseitigen Hilfe und
des Engagements. Lassen Sie uns gemeinsam an dieser
Chancengesellschaft arbeiten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700419500

Das Wort hat die Kollegin Dagmar Ziegler für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dagmar Ziegler (SPD):
Rede ID: ID1700419600

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau von der Leyen,
zunächst einmal: Glückwunsch zu Ihrem Amt und viel
Erfolg; das kann man Ihnen wirklich nur wünschen.

Mit Verlaub: Ich habe nicht gewusst, ob Sie zu lange
an den Gesundheitsverhandlungen teilgenommen haben
oder ob Sie einen anderen Vortrag halten. Sie haben die
Verantwortung entweder auf die Länder, auf die Netz-
werke oder das Ehrenamt abgeschoben, die eigene Ver-
antwortung der Bundesregierung habe ich aber nicht er-
kennen können. Tut mir leid.

(Beifall bei der SPD – Iris Gleicke [SPD]: Ich auch nicht! Da bist du nicht allein!)


Der Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb sieht in der
Familienpolitik eine Erhöhung des Kindergeldes und
des Kinderfreibetrages vor. Die Financial Times
Deutschland titelte letzte Woche – wie ich finde, zutref-
fend –: „Goldene Zeiten für reiche Eltern“. In der Tat
profitieren Eltern mit höherem Einkommen davon; denn
der Steuervorteil durch den Freibetrag ist höher als das
Kindergeld, und von der Erhöhung des Kindergeldes um
20 Euro haben Eltern im Arbeitslosengeld-II-Bezug gar
nichts. Die geschätzten Kosten von rund 4,6 Milliarden
Euro hätten wir besser in Infrastrukturen für Kinder in-
vestieren sollen.


(Beifall bei der SPD)


Morgen, wenn wir über den Entwurf des Wachstums-
beschleunigungsgesetzes Streit führen, wird sicher noch
Gelegenheit sein, dazu etwas zu sagen. Deshalb hier nur
so viel: Der Argumentation, dass mit diesen staatlichen
Leistungen die Konjunktur angekurbelt wird, kann man
nicht folgen. Bei den Familien mit höherem Einkommen
wird möglicherweise die Sparquote erhöht, mehr aber
auch nicht. Auch 20 Euro mehr Kindergeld werden nicht
zu einer messbaren Belebung der Konjunktur beitragen.
Es wird aber sicherlich Folgendes passieren: Die Schere
zwischen wohlhabenden Familien und Familien mit ge-
ringem Einkommen wird weiter auseinandergehen. Das
ungerechte System des Familienlastenausgleichs wird
damit verfestigt. Aber das scheint sowohl von der CDU/
CSU als auch von der FDP gewollt zu sein. Ihre gesell-
schaftspolitischen und familienpolitischen Vorstellungen
sind geprägt von einem Bild der Verfestigung von un-
gleichen Lebenschancen, auch wenn Sie ständig etwas
anderes behaupten.


(Beifall bei der SPD)


Für die SPD gilt: Wir stehen für Chancengleichheit. Wir
sind dafür, dass alle Kinder gleich viel wert sind, unab-
hängig vom Geldbeutel ihrer Eltern.

Zur Förderung von Familien zählt auch das Eltern-
geld. Sie sehen vor, dass das Elterngeld flexibilisiert,
entbürokratisiert und die Partnermonate gestärkt werden.
Es soll ein Teilelterngeld bis zu 28 Monaten eingeführt
und der doppelte Anspruchsverbrauch bei gleichzeitiger
Teilzeitbeschäftigung beider Eltern beseitigt werden.
Aber was haben wir unter einer Entbürokratisierung und
Flexibilisierung, was unter einer Stärkung der Partner-
monate zu verstehen? Nichts davon haben Sie uns hier
berichtet. Eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Fa-
milie findet nicht statt, nur das Angebot der Einführung
eines Teilelterngeldes von 28 Monaten. Sicher, auf den
ersten Blick ist das ein Angebot für Eltern, keine Frage.
Aber werden es nicht wieder vor allem die Frauen sein,
die diese Regelung in Anspruch nehmen?


(Caren Marks [SPD]: Klar!)


Wo ist der Anreiz für echte Partnerschaftlichkeit zwi-
schen Männern und Frauen?


(Caren Marks [SPD]: Das ist nicht gewünscht!)







(A) (C)



(B) (D)


Dagmar Ziegler
Angesichts einer Teilzeitquote bei Vätern von 5 Prozent
kann von einer Partnerschaftlichkeit zwischen Frauen
und Männern ja wohl nicht die Rede sein.


(Beifall bei der SPD)


Die Abschaffung des doppelten Anspruchsverbrauchs
ist richtig und wird von uns unterstützt. Diese Abschaf-
fung haben wir immer gefordert, aber die CDU/CSU-
Fraktion hat das bei der Erarbeitung des Gesetzes immer
wieder abgelehnt. Wir freuen uns, dass Sie offensichtlich
dazugelernt haben. Wir wollen mehr Partnerschaftlich-
keit; deswegen ist eine Erhöhung der verbindlichen Part-
nermonate für uns das Ziel.

Die Aussagen in der Koalitionsvereinbarung zur Kin-
derbetreuung bleiben weit hinter Ihren vollmundigen
Ankündigungen zurück, die Sie noch im Wahlkampf von
sich gegeben haben. Sie sind wenig konkret. Schlimmer
noch: Die von Ihnen angekündigten Steuersenkungen
drücken Bund, Ländern und Kommunen die Luft ab; das
haben wir heute schon mehrfach in den Debatten zu al-
len Politikfeldern gehört. Dadurch ist es nicht möglich,
den Betreuungsausbau voranzutreiben. Erhebliche Ein-
nahmeausfälle in Milliardenhöhe sind vorprogrammiert.
Sie haben auch hier nicht die Frage beantwortet, wie
mehr Plätze und mehr Qualität in der Kinderbetreuung
realisiert werden sollen. Frühkindliche Bildung be-
ginnt für die Koalition übrigens erst bei sechs Jahren,
was die Sprachstandserhebung angeht, möglicherweise
bei vier Jahren. Für uns setzt der Begriff „frühkindliche
Bildung“ viel früher an. Darüber muss man noch einmal
diskutieren.

Wie wollen Sie es schaffen, ab 2013 die Verwirkli-
chung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz
für unter Dreijährige zu garantieren? All das bleibt heute
unbeantwortet. Vielleicht kann ich Ihnen die Antwort
geben: Der Koalitionsvertrag hat nicht den Titel „Wachs-
tum. Bildung. Zusammenhalt“ verdient, sondern: Rück-
schritt, Bildungsnotstand und Unterfinanzierung.


(Beifall bei der SPD – Sibylle Laurischk [FDP]: Also!)


Wir wollen starke Länder und Kommunen, die in der
Lage sind, bis 2013 das Ausbauziel und den Rechtsan-
spruch zu erreichen. Wir wollen mehr in die Qualität der
Kinderbetreuung investieren. Wir wollen eben nicht nur
den bereits beschlossenen Rechtsanspruch auf einen Be-
treuungsplatz ab 2013 schaffen, sondern auch einen
Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz. Wir wollen
ferner die Gebührenfreiheit von der Kita bis zur Uni.
Dazu sind Investitionen statt Steuergeschenke notwen-
dig.

Die Bundesregierung kündigt ein neues Kinder-
schutzgesetz an und distanziert sich zu Recht von dem
alten Entwurf der letzten Legislaturperiode. In diesem
Entwurf war nämlich keine Spur von präventiven Maß-
nahmen zu finden. Die Prävention soll in dem neuen Ge-
setz nun endlich eine Rolle spielen. Darüber freuen wir
uns sehr. Damit greifen Sie ja auch eine Forderung der
SPD auf.
Sie haben endlich verstanden, dass ein guter Kinder-
schutz früh ansetzt. Familien müssen rechtzeitig präven-
tive Hilfen angeboten werden, um Gefährdungen der
Kinder und Jugendlichen vorzubeugen. Präventive An-
gebote sind beispielsweise Netzwerke für gesunde Kin-
der, aufsuchende Familienhilfen, Elternkurse oder Erst-
besuche rund um die Geburt. Solche Angebote brauchen
wir flächendeckend in ganz Deutschland. Es ist mehr als
enttäuschend, dass der Koalitionsvertrag keine Aussage
zu dem dringend notwendigen Präventionsgesetz ent-
hält. Damit verspielt die neue Regierung erneut eine ent-
scheidende Chance für den Kinderschutz.

Was hat die neue Regierung älteren Menschen zu bie-
ten? Welche Antwort gibt sie auf eine immer älter wer-
dende Gesellschaft? Zum demografischen Wandel wird
ein neuer Bericht der Bundesregierung ab 2011 ange-
kündigt. Das war es im Wesentlichen. Zu Senioren ent-
hält der Koalitionsvertrag nur einige mehr oder weniger
allgemeine Absichtserklärungen zu Altersbildern und
Altersgrenzen, zum sozial vernetzten Wohnen und zur
Forschung.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege soll verbes-
sert werden. Aber wie? Keine Antwort. Das ist typisch
für die Haltung von CDU/CSU und FDP, die eine gesetz-
liche Verankerung beispielsweise von bezahlter Pflege-
zeit – wie von uns seinerzeit gefordert – abgelehnt hat-
ten.

Hier wird deutlich, was die Koalition für welche Fa-
milien bereithält: viel für die Gutverdiener und so gut
wie nichts für die Geringverdiener und Arbeitslosen.
Entsolidarisierung und Spaltung der Gesellschaft werden
leider das Ergebnis Ihrer Politik sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Iris Gleicke [SPD]: Das ist leider wahr!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700419700

Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin

Miriam Gruß.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Miriam Gruß (FDP):
Rede ID: ID1700419800

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau

Ziegler, herzlich willkommen im Bundestag! Wir haben
in den letzten Jahren im Familienausschuss schon viel
über Familienpolitik diskutiert. Ich war damals in der
Opposition. Deswegen kann ich Ihre Haltung, dass Sie
nicht nur Freude über den Koalitionsvertrag empfinden,
grundsätzlich verstehen. Aber wir haben viele Diskus-
sionen geführt und auch in vielen Ergebnissen festge-
stellt, dass die rot-grüne Familienpolitik, die Sie veran-
staltet haben, auch keine besseren Ergebnisse geliefert
hat. Deshalb würde ich Sie einfach bitten, uns jetzt ein-
mal zuzuhören.


(Dagmar Ziegler [SPD]: „Auch“!)







(A) (C)



(B) (D)


Miriam Gruß
– Keine besseren Ergebnisse als Schwarz-Rot.

Deswegen haben wir jetzt eine bürgerlich-liberale
Koalition und ambitionierte Ziele im Koalitionsvertrag
festgehalten.


(Caren Marks [SPD]: Wie das Betreuungsgeld!)


Weil Sie immer sagen, der Koalitionsvertrag sei so vage,
sage ich Ihnen: Schauen Sie sich doch einmal Ihren letz-
ten Koalitionsvertrag an! Er ist auch nicht detaillierter.
Dann schauen Sie sich einmal an, wie viel davon tat-
sächlich umgesetzt wurde. Es bleibt noch weiter hinter
den Erwartungen zurück.


(Sönke Rix [SPD]: Das lag auch am Koalitionspartner!)


Ich will mit dem Thema Kinder beginnen.


(Iris Gleicke [SPD]: Da sind wir doch gespannt!)


Wir haben, auch hier im Bundestag, in den letzten Jahren
zu Recht viel über den Ausbau der Betreuungsplätze dis-
kutiert. Wir haben immer angemahnt, dass wir auch über
die Qualität sprechen müssen. Das findet sich jetzt im
Koalitionsvertrag wieder. Wir wollen einheitliche Stan-
dards in Zusammenarbeit mit den Ländern finden, um
die frühkindliche Bildung bundesweit qualitativ nach
vorne zu bringen. Dazu gehört beispielsweise auch Trä-
gervielfalt, die der FDP sehr wichtig ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zum Thema Kinderschutz. Dies haben die Frau
Ministerin und auch Sie, Frau Ziegler, schon angespro-
chen. Ihnen war Prävention wichtig. In der Tat steht Prä-
vention jetzt im Koalitionsvertrag. Wir setzen darauf,
dass das in dem geplanten Gesetz einen großen Teil ein-
nimmt, das nicht nur ein Eingriffsgesetz, sondern tat-
sächlich ein Schutzgesetz werden soll, wobei der Schutz
mit früher Prävention beginnt, beispielsweise mit dem
Ausbau von frühen Strukturen, Hilfestrukturen, nieder-
schwelligen Strukturen und Familienhebammen. Das
war die Intention dieser Koalition.

Darüber hinaus wollen wir die Kinder- und Jugend-
hilfe insgesamt reformieren, weil es uns wichtig ist,
überall dort, wo es bürokratische Strukturen gibt, zu
schauen, wie man sie effektiver gestalten kann, sodass
sie zielgenauer denjenigen helfen, die Hilfe brauchen.
Auch das ist das Ziel dieser Koalition.

Es sollte hier im Haus allgemeine Freude auslösen,
dass sich eine Forderung der Kinderkommission im
Koalitionsvertrag wiederfindet: die Rücknahme der Vor-
behalte zur UN-Kinderrechtskonvention.


(Beifall bei der FDP)


Fraktionsübergreifend besteht Einigkeit, dass dies ein
richtiges und wichtiges Signal in Deutschland ist, das
diese Koalition setzt.
Eine weitere Forderung der Kinderkommission, dass
Kinderlärm nicht mehr zu gerichtlichen Auseinanderset-
zungen führen darf,


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


findet sich aufgrund dieser neuen Konstellation jetzt
erstmals in einem Koalitionsvertrag.

Sicherlich, Kinderarmut ist für uns alle ein sehr
ernstes Thema. Kinderarmut muss bekämpft werden.
Auch wir haben weiterhin dieses Ziel.


(Caren Marks [SPD]: Warum steht denn dann in Ihrem Koalitionsvertrag nichts dazu drin?)


– Doch, dazu steht einiges in unserem Koalitionsvertrag. –
Darüber hinaus spreche ich mich persönlich ganz deut-
lich dafür aus, dass die Regelsätze für Kinder bedarfsge-
recht ausgestaltet werden müssen.

Zum Thema Jugendpolitik. Uns war es in den letzten
Jahren immer wichtig, dass wir eine eigenständige Ju-
gendpolitik bekommen. Das ist auch ein erklärtes Ziel
der jetzigen Regierungskoalition. Wir brauchen eine ei-
genständige Jugendpolitik, die Gewalt- und Suchtprä-
vention – auch hier ist Prävention wieder das wichtigste
Wort –, die Partizipation, die Beteiligung der jungen
Menschen, und die Medienkompetenz auch junger Men-
schen in den Vordergrund rückt. Dabei geht es allerdings
nicht nur um die Medienkompetenz junger Menschen.
Das Ziel Medienkompetenz haben wir in unserem Koali-
tionsvertrag generationenübergreifend festgehalten.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Johannes Singhammer [CDU/CSU])


Nach der Jugendpolitik will ich nun auf die Jungen-
politik zu sprechen kommen. Wir haben festgestellt, dass
wir hier Defizite haben, dass Jungs die Bildungsverlierer
sind; deshalb die deutliche Passage in unserem Koali-
tionsvertrag. Natürlich brauchen wir mehr als nur einen
Boys’ Day im Jahr. Würde es ihn in Deutschland flä-
chendeckend geben, wäre dies allerdings ein gutes, rich-
tiges und wichtiges Signal; vereinzelt gibt es ihn ja
schon. All das darf aber nicht dazu führen, dass es bald
eine Männerquote in Krippen gibt, so wünschenswert es
auch wäre, dass der Anteil des männlichen pädagogi-
schen Personals im frühkindlichen Bereich steigt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bezahlen Sie sie doch besser! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Mit höheren Erzieherinnenund Erziehergehältern würden es mehr werden!)


Damit komme ich zu den Familien. Uns war wichtig,
in unserem Koalitionsvertrag ein modernes Familienbild
niederzuschreiben; auch dies finden Sie wieder. Uns war
wichtig, im Hinblick auf das Umfeld der Familien dafür
zu sorgen, dass sich Frauen und Männer frei entscheiden
können, wie sie ihr Leben gestalten. Es war wichtig, dass
auch Männer, die von früh an am Aufwachsen ihrer Kin-
der teilhaben wollen, die Chance dazu bekommen. Das
ist eine neue Gleichstellungspolitik. Wir betreiben






(A) (C)



(B) (D)


Miriam Gruß
Gleichstellung auch für Männer und sorgen dafür, dass
sie sich Zeit für ihre Familie nehmen können.


(Caren Marks [SPD]: Gleichstellung ist immer auch für Männer! Das war schon immer so! Schönen guten Morgen, Frau Kollegin!)


Deswegen finden Sie in unserem Koalitionsvertrag bei-
spielsweise auch das Thema Sabbaticals.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei der finanziellen Entlastung setzen wir vor allem
auf eine steuerliche Entlastung, natürlich aber auch auf
die Kindergelderhöhung. Frau Ziegler, ich kann es wirk-
lich nicht verstehen, dass Sie Kritik an der Kindergeld-
erhöhung vorgetragen haben.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Warum das denn nicht? Sie ist nun einmal zu kritisieren! – Caren Marks [SPD]: Die, die den Freibetrag kriegen, kriegen doppelt so viel!)


Auf die letzte Kindergelderhöhung – hören Sie mir jetzt
bitte zu – mussten wir sieben Jahre warten, und das für
10 Euro mehr Kindergeld. Die jetzige Regierungskoali-
tion wird das Kindergeld zum 1. Januar nächsten Jahres
um 20 Euro erhöhen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und was ist mit dem Bundesverfassungsgericht?)


Seien Sie also bitte ganz still, wenn es um das Thema
Kindergelderhöhung geht. Sie und Ihre Regierung haben
den Familien erst einmal Geld aus der Tasche gezogen
– das entspricht ja auch Ihrer Denkweise –, und nun wol-
len Sie es großgönnerhaft verteilen. Wir belassen das
Geld bei den Familien. Wir wollen, dass die Familien
frei entscheiden können, wofür sie ihr Geld ausgeben;


(Caren Marks [SPD]: Ja, ja! Vor allem die, die viel Geld haben!)


das haben wir in unserem Koalitionsvertrag auch so nie-
dergelegt. Die familienpolitischen Leistungen, die es
derzeit gibt, werden wir auf den Prüfstand stellen, um
die Menschen effektiv zu fördern und ihnen die notwen-
digen Leistungen zuteilwerden zu lassen.

Zum Thema Betreuungsgeld. Wie Sie gelesen haben,
sind in unserem Koalitionsvertrag auch Gutscheine er-
wähnt.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht es nicht besser!)


Hier ist das letzte Wort allerdings noch nicht gesprochen.
Meine Kritik am Betreuungsgeld gilt weiterhin.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie sich einmal Ihre Reden zu diesem Thema aus der letzten Legislaturperiode durch! – Sönke Rix [SPD]: Was stört mich mein Geschwätz von gestern!)


– Beruhigen Sie sich erst einmal, und stecken Sie die
Waffen wieder ein.

(Caren Marks [SPD]: Wir sind ganz ruhig! – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe doch noch gar nicht angefangen, mich aufzuregen! Das müssten Sie einmal erleben!)


Ich kann Ihnen versichern: Soziale Kälte ist in dieser
Koalition Fehlanzeige.


(Patrick Meinhardt [FDP]: Die soziale Kälte sitzt auf der Oppositionsseite!)


Ich freue mich auf die Debatten im Ausschuss, Sie wer-
den aber nur wenige Argumente finden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700419900

Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700420000

Schönen Dank. – Frau Präsidentin! Frau Ministerin

von der Leyen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ohne
Wachstum kein Wachsen. Das ist im Grunde die Kern-
aussage des Koalitionsvertrages, die wir in den letzten
beiden Tagen von der Kanzlerin und anderen immer wie-
der gehört haben. Ohne Wachstum kein Wachsen – das
weiß eigentlich jedes Kind. Aber was soll wachsen? Die
Zahl der verpassten Chancen, die uns Frau von der
Leyen heute genannt hat? Die Zahl der Kinder, die in Ar-
mut leben? Die Zahl der Frauen in prekären Beschäfti-
gungsverhältnissen? Die Zahl der Frauen, die aus der
Arbeitslosenstatistik herausfallen? Die Zahl der Allein-
erziehenden, die weiterhin zum Amt gehen müssen? Die
Zahl der Frauen, die immer noch weniger verdienen als
die Männer? Die Zahl der Steuervergünstigungen für
Besserverdienende? All dies legt der Koalitionsvertrag
nahe. Ich habe ihn hier, Schwarz auf Weiß, etwa
130 Seiten, viel Text, wenig Inhalt und wenn, dann ent-
weder altbekannt oder gruselig und diskriminierend.


(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Der Name ist Programm!)


– Ja, so ist es. Wenn das so weitergeht, überlege ich mir
noch meinen letzten Satz.

Es scheint angebracht, die großen Versprechungen
unter die Lupe zu nehmen und sie zu hinterfragen. Auf
einzelne Punkte möchte ich eingehen:

Zu den Alleinerziehenden. Die Ministerin hat es an-
gesprochen – ich zitiere einmal aus dem Koalitionsver-
trag –:

Wir wollen die Rahmenbedingungen für Allein-
erziehende durch ein Maßnahmenpaket verbessern.
Dieses soll insbesondere in verlässlichen Netzwerk-
strukturen für Alleinerziehende lückenlos, flexibel
und niedrigschwellig bereitgestellt werden.

Wir werden prüfen, inwieweit die Umgestaltung
des bisherigen steuerlichen Entlastungsbetrages in






(A) (C)



(B) (D)


Jörn Wunderlich
einen Abzug von der Steuerschuld möglich und in-
teressengerecht ist.

Toll!


(Heiterkeit bei der LINKEN)


Was sollen diese Worthülsen? Jeder Familienpolitiker
weiß doch, dass die Zahl der Ein-Eltern-Familien – in
der Mehrheit alleinerziehende Mütter – und ihr Anteil an
allen Familienhaushalten beständig wächst. Jedes siebte
Kind in den alten und jedes fünfte Kind in den neuen
Bundesländern wird von einem Elternteil allein erzogen.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


„Wir wollen verbessern und prüfen …“ – ja, nennen Sie
doch einmal Ihre konkreten Vorhaben!


(Iris Gleicke [SPD]: Das würden wir auch wollen!)


Zum Kinderzuschlag findet sich keine Aussage.

Im Kampf gegen Kinderarmut müssen endlich kon-
krete Maßnahmen auf die Tagesordnung.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Über zweieinhalb Millionen Kinder in Deutschland le-
ben unterhalb der Armutsgrenze. Doch weder eine rea-
listische Höhe des Regelsatzes noch eine existenz-
sichernde Grundsicherung für Kinder werden irgendwie
in Betracht gezogen. Beschämend! Zu den Kinderregel-
sätzen im Rahmen von Hartz IV ist nichts geplant. Die
Devise heißt: Abwarten!

Betreuungsgeld. Das Betreuungsgeld, das geplant
ist, ist fatal und diskriminierend – konservativer geht es
eigentlich nicht mehr.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Betreuungsgeld ist frauenfeindlich, bildungsfeind-
lich und wird verstärkt zum Ausstieg junger Frauen aus
dem Berufsleben führen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Interessant ist auch: Warum soll das Betreuungsgeld ge-
rade im Jahr 2013 eingeführt werden? Ich erinnere da-
ran: Im Jahr 2013 soll es einen Rechtsanspruch auf einen
Kindergartenplatz für alle Kinder geben. Es ist längst
klar, dass die Zahl der Plätze dem Anspruch nicht ge-
recht wird, dass Plätze fehlen werden.


(Iris Gleicke [SPD]: Deswegen machen die das auch so!)


Also muss man etwas machen. Die Zahl der Kitaplätze
verstärkt ausbauen? Nein, weit gefehlt. Stattdessen will
diese Regierung durch finanzielle Anreize die Kinder
aus den Kindergärten verbannen, um so ihre verfehlte
Politik zu kaschieren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Iris Gleicke [SPD]: Das ist es!)


Noch eines: Eltern, die ihre Kinder zu Hause erzie-
hen, sollen dafür Geld erhalten. Was soll das? Ja, erzie-
hen denn Eltern, die ihre Kinder in den Kindergarten
bringen, nicht? Verdienen diese Eltern etwa keine Aner-
kennung? Die Koalition ist offensichtlich der Ansicht,
dass diese Eltern ihre Kinder im Kindergarten abgeben,
sie Jahre später wieder abholen und dann sagen: Kerl,
wat bist du groß geworden!


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb lehnt die Linke ein derartiges Betreuungsgeld
ab.

Ehegattensplitting. Mein Gott, Frau Gruß! Frau
Laurischk, was hat die FDP dagegen gekämpft! Und
jetzt? Umgefallen.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Sie haben den Koalitionsvertrag nicht genau gelesen, Herr Wunderlich, tut mir leid!)


Die Alleinverdienerehe wird weiter privilegiert. Was ha-
ben wir im Ausschuss dafür gekämpft, dass das abge-
schafft wird! Wie sind die Kolleginnen der FDP seiner-
zeit auf die Barrikaden gegangen! Was ist davon geblie-
ben? Da kann man nur aus Konstantin Weckers Lied Was
passierte in den Jahren zitieren:

… und für die, die du bekämpft hast, machst du
jetzt den Buckel krumm.

Das scheint das Lied der FDP zu sein.

Qualität der Kindertagesstätten? Allgemeine Appelle
an die insolventen Länder. Erst wird ihnen das Geld
weggenommen, und dann heißt es: Jetzt zahlt mal! Ich
habe ernsthaft die Befürchtung, dass im Zusammenhang
mit dem qualitativen Ausbau der Kinderbetreuung die
Gefahr der Privatisierung und Kommerzialisierung
droht.


(Christel Humme [SPD]: So ist es!)


Bleibt die Abkehr von der Gemeinnützigkeit im Rahmen
von Bildung und Daseinsvorsorge weiter Regierungs-
programm?

Kinderarmut. Wird durch die Regierung – Frau von
der Leyen, das ist wichtig – im Koalitionsvertrag völlig
ausgeblendet! Nur einmal heißt es in einem Sowie-Satz
beiläufig „Kinderarmut“ – und das in dem Wissen da-
rum, dass, wie gesagt, über zweieinhalb Millionen Kin-
der in diesem Lande in Armut leben. Es macht mich wü-
tend, wenn ich hier immer wieder erleben muss, dass
sich die Regierungsparteien für alternativlos halten. Hö-
ren Sie wenigstens hin und wieder auf das Volk und die
Opposition! Damit wäre den Kindern jedenfalls gehol-
fen.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Jörn Wunderlich
Zum Elterngeld. Die Maßnahmen kommen mir ir-
gendwie bekannt vor. Der Antrag klingt fast wie der An-
trag der Linken aus der 16. Wahlperiode, aber auch nur
fast; denn so, wie das jetzt ausgestaltet ist, droht doch
wieder, dass verstärkt Frauen in Teilzeit gehen.

Zum Unterhaltsvorschussgesetz. Klasse, der Vor-
schlag, die Zwölf-Jahres-Grenze fallen zu lassen, stand
in dem ersten Gesetzentwurf, den ich eingebracht habe;
das war im Jahr 2005. Was wurde darüber gelacht! Alle
haben gesagt: Guter Gesetzentwurf; aber du bist in der
falschen Partei. – Abgelehnt! Jetzt wollen Sie diesen
Vorschlag umsetzen. Na, besser späte Einsicht als gar
keine.

Kindergeld. Warum wird die Erhöhung des Kinder-
geldes kritisiert? Es wird doch an alle gezahlt. Richtig!
Was Sie verschweigen, ist aber folgende Tatsache: Kin-
der, die in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften leben – Frau
von der Leyen, hören Sie einmal zu, dann begreifen Sie
es vielleicht auch –,


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Wenn Sie mit ihr sprechen wollen, dann müssen Sie sie auch anschauen!)


haben nämlich nichts davon. Bei ihnen wird die Kinder-
gelderhöhung nämlich voll auf die Sozialleistung ange-
rechnet. Sie sollten sich schämen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Besserverdienenden werden hier wieder finanziell
bezuschusst, und Familien, die es tatsächlich bräuchten,
gehen leer aus. Es ist so, wie es vorhin schon zitiert
wurde: Goldene Zeiten für reiche Familien.

Kinderrechte. Miriam Gruß hat es angesprochen – ich
zitiere –:

Wir setzen uns für eine Stärkung der Kinderrechte
ein. Diese Rechte müssen im Bewusstsein der Er-
wachsenen stärker verankert werden. Wir wollen in
allen Bereichen … kindgerechte Lebensverhält-
nisse schaffen. Wir wollen die Vorbehaltserklärung
zur UN-Kinderrechtskonvention zurücknehmen.

Da kann ich nur sagen: Völker, hört die Signale! Eine
über Jahrzehnte währende, lähmende Debatte lässt mich
an dieser Aussage im Koalitionsvertrag zweifeln. Die
Regierungsparteien wollten doch immer wieder den Ein-
druck erwecken, dass die deutsche Rechtslage im Asyl-
und Aufenthaltsrecht bereits im Einklang mit der UN-
Kinderrechtskonvention stünde. Jetzt kommt es plötzlich
zu diesem Sinneswandel – und das gerade bei dieser
Koalition bzw. der CDU? Da bin ich aber gespannt, wie
dann die Abstimmung ausfallen wird, wenn es darum
gehen wird, sich auch weiter dazu zu bekennen. Ich sage
nur: Na, ihr Umfaller, das ist doch wieder etwas für
euch.

Frauen- und Gleichstellungspolitik. In dem Koaliti-
onsvertrag ist im Wesentlichen der Status quo als Ziel
des künftigen Regierungshandelns festgeschrieben. Das
sind verbale Bekenntnisse ohne jede konkrete Umset-
zung. Stattdessen gibt es viele Prüfaufträge und zu er-
stellende Gutachten. Es wird weiter auf Freiwilligkeit in
der Wirtschaft gesetzt und ein nebulöser Rahmenplan
zur gleichberechtigten Teilhabe versprochen. Super!

Der Koalitionsvertrag entspricht in seiner Grundsub-
stanz in keinster Weise den Auflagen, den der CEDAW-
Ausschuss, also der Fachausschuss der Vereinten Natio-
nen zur Gleichstellung von Männern und Frauen, gegen-
über der Bundesregierung 2009 ausgesprochen hat. Der
Ausschuss hat die Regierung nachdrücklich darauf hin-
gewiesen, dass die Gleichstellung die Verpflichtung des
Vertragsstaates ist. Gleichzeitig wurden konkrete – ich
wiederhole: konkrete – Ziele wie Quoten und Fristen ge-
fordert. Nichts davon wurde umgesetzt; es gab nur Lip-
penbekenntnisse. Frau von der Leyen, da sagen Sie, ver-
passte Chancen könnten wir uns nicht leisten. Hohn und
Spott!

Seniorenpolitik. Zum Schluss noch einige Sätze
dazu. Die Koalition will eine erfolgreiche Generationen-
politik voranbringen. Na, da bin ich aber gespannt. Die
jetzigen Regierungsparteien hatten vor einem halben
Jahr auf dem 9. Seniorentag in Leipzig jedenfalls nichts
Konkretes dazu vorzuweisen. Dann aber mal los! Als
Bildungslektüre kann ich nur die seniorenpolitischen
Leitlinien der Linken empfehlen.


(Beifall bei der LINKEN)


In diesem Koalitionsvertrag steht nichts Konkretes:
nur wollen, abwarten, mal sehen, prüfen oder verteilen
von unten nach oben. Wenn das die Familienpolitik die-
ser schwarz-gelben Regierung in den nächsten Jahren
sein soll, dann kann ich nur fragen: Das soll eine Biene-
Maja-Koalition sein? Maja war immer eine fleißige und
intelligente Biene. Deshalb kann diese Koalition nicht
Biene Maja heißen, sondern bestenfalls Drohne Willi:
unbedarft, bemitleidenswert, teilweise sympathisch, aber
immer dringend hilfebedürftig.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700420100

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun

die Kollegin Ekin Deligöz.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1700420200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Frau von der Leyen, Sie haben Ihre Rede hier mit
Fragen begonnen, die Sie sich stellen, und Sie haben
eine ganze Menge Fragen gestellt. Ich frage mich nur, ob
das die richtige Herangehensweise für eine Ministerin
ist, weil es ja nicht Ihre Aufgabe ist, Fragen zu stellen,
sondern Antworten zu geben,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


und die Antworten, die in diesem Koalitionsvertrag ge-
geben werden, sind alle falsch; das wissen Sie. Sie wis-
sen auch, dass durch diesen Koalitionsvertrag die Mög-
lichkeit, eine moderne und gerechtere Kinder- und
Familienpolitik zu gestalten, auf Jahrzehnte hinaus ver-
baut und zerstört wird.






(A) (C)



(B) (D)


Ekin Deligöz

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Miriam Gruß [FDP]: Ach, so ein Blödsinn!)


Fangen wir doch einmal mit den Beispielen an. Sie re-
den von Kindergelderhöhung. Es geht dem Wesen nach
nicht um die Kindergelderhöhung, sondern um die Frei-
betragserhöhung, Frau Gruß.


(Miriam Gruß [FDP]: Das ist ja eins zu eins!)


Durch diese Freibetrags- und Kindergelderhöhung wer-
den enorme Mittel, nämlich 4,5 Milliarden Euro jährlich,
gebunden. Überlegen Sie doch einmal, wie lange und in-
tensiv wir hier gekämpft haben, um 2 Milliarden Euro
für die Kinderbetreuung herauszuschlagen. Jetzt wollen
sie von heute auf morgen in unbedachter Weise hoppla-
hopp 4,6 Milliarden Euro ausgeben. Darüber hinaus ver-
sprechen Sie in einem zweiten Schritt 2,5 Milliarden
Euro mehr. Bei diesen Entscheidungen blenden Sie jegli-
chen familienpolitischen, sozialen und fiskalischen Ver-
stand aus. Damit wollen Sie letztendlich das umsetzen,
was die FDP immer propagiert: Das Einzige, worum es
in der Politik gehen darf, ist die Senkung von Steuern.


(Miriam Gruß [FDP]: Das ist nicht das Einzige! Siehe Koalitionsvertrag!)


Dafür nehmen Sie sogar die „bildungspolitische Kata-
strophe“ – das ist nicht mein Zitat; das ist ein Zitat von
Frau von der Leyen – eines Betreuungsgeldes in Kauf,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


für das Sie 1,5 Milliarden Euro ausgeben wollen. Die
ganze Debatte um Gutscheine usw. ist doch nur der Ver-
such, von der eigentlichen Katastrophe abzulenken; das
führt zu nichts. Sie von der FDP müssen eingestehen,
dass man Ihnen an dieser Stelle nur eines vorwerfen
kann: Verhandlungsversagen erster Güte auf ganzer Li-
nie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie knüpfen an überholte Prinzipien bei der Familien-
förderung an: Die einen erhalten 20 Euro mehr, die an-
deren, die vom höheren Freibetrag profitieren, erhalten
das Doppelte, also 40 Euro mehr. Damit geben Sie den
Familien am meisten Geld, die es am allerwenigsten
brauchen. Hier geht es um Kernfragen der Gerechtigkeit
und der Ungerechtigkeit.

Frau von der Leyen, Sie haben hier und im Tagesspie-
gel gesagt, dass die Bekämpfung der Kinderarmut ein
Hauptthema Ihrer Politik sein soll. Beantworten Sie
doch die Frage, warum ausgerechnet die Kinder, die
vom ALG-II-Bezug leben, leer ausgehen sollen, warum
sie nichts bekommen sollen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Beantworten Sie die Frage, warum Sie für die Bekämp-
fung der Kinderarmut – hier geht es nicht nur um die
1,8 Millionen Kinder in ALG-II-Bezug, sondern auch
um 2,5 Millionen Kinder, die in Haushalten mit niedri-
gem Einkommen leben – keine konkreten Maßnahmen
vorsehen! Hier reichen uns Fragen nicht; wir brauchen
schon längst Antworten. Wir kennen die Antworten; es
geht darum, sie umzusetzen. In Ihrem Koalitionsvertrag
kann man nichts, aber rein gar nichts dazu lesen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Damit aber nicht genug: Sie reden zwar von einem
Kinderzuschlag, aber davon steht nichts im Koalitions-
vertrag. Warum ist kein Cent dafür vorgesehen? Warum
wird das unter Finanzierungsvorbehalt gestellt? Oder
habe ich Ihr Interview falsch verstanden? Sie kündigen
hier etwas an, meinen es aber gar nicht so, weil Sie es
unter Finanzierungsvorbehalt stellen. Warum gibt es die-
sen Finanzierungsvorbehalt nicht, wenn man zugunsten
der Gut- und Besserverdienenden in diesem Land die
Freibeträge erhöhen will? Das müssen Sie uns irgend-
wann schon erklären.

Ich komme zur Frage der Kinderregelsätze. Inzwi-
schen gibt es hierzu mehrere Entscheidungen des Bun-
desverfassungsgerichtes. Auch hier bleiben Sie untätig,
Sie sagen dazu nichts. Anscheinend verstehen Sie unter
Gerechtigkeit, denen mehr zu geben, die mehr haben,
und denen nichts zu geben, die wenig haben. Das ent-
spricht nicht meinem Gerechtigkeitsbegriff, aber auch
nicht dem des Bundesverfassungsgerichts. Sie müssen
mit weiteren Entscheidungen des Gerichts rechnen, auf
die Sie irgendwann einmal reagieren müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich komme zu den Kinderbetreuungsplätzen. Auch
hier bin ich sehr enttäuscht. Viele in diesem Haus haben
für den Ausbau der Kinderbetreuung gekämpft. Inzwi-
schen bluten die Kommunen aus. Ihre Politik, Steuern zu
senken, wird dazu führen, dass gerade die Kommunen,
die sich in diesem Bereich anstrengen und daher die
höchsten Belastungen zu tragen haben, nicht mehr über
genügend finanzielle Mittel verfügen werden. Wir kön-
nen bei der Kinderbetreuung noch lange nicht von echter
Wahlfreiheit sprechen – wir sind meilenweit davon ent-
fernt –, ganz zu schweigen von der Qualität. Wenn Sie so
tun, als sei diese Frage erledigt, kann ich nur sagen: Ma-
chen Sie mal Ihre Augen auf! Reden Sie mit den Mit-
gliedern der Kreistage und Stadträte und mit den Bürger-
meistern! Nicht ohne Grund klagen Bürgermeister in
Nordrhein-Westfalen, aber auch in anderen Bundeslän-
dern dagegen, dass die Kommunen zwar die Aufgabe
der Kinderbetreuung erfüllen sollen, aber dafür keinen
Cent Unterstützung vom Bund erhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Leere Versprechen reichen hier nicht aus.

Die Kritik am Betreuungsgeld ebbt nicht ab. Die Ein-
führung eines Betreuungsgeldes ist eine Politik der ideo-
logischen Scheuklappen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Ekin Deligöz
Sie geht komplett am Bedarf der Menschen vorbei. Sie ig-
norieren auch einfach, dass wir schon eine ganze Menge
für die Wahlfreiheit in Deutschland ausgeben. Ehegatten-
splitting, Sozialversicherung und Elterngeld – das sind
Maßnahmen zur Unterstützung der Familie. Immer noch
zu wenig tun wir aber im Bereich der Bildung und der Be-
treuung, der Qualifizierung und besseren Bezahlung unse-
rer Erzieherinnen. Quoten sind womöglich die falsche
Antwort. Eine bessere Bezahlung wäre aber eine gute
Antwort. Auch davon sind wir meilenweit entfernt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Miriam Gruß [FDP]: Dafür sind wir gar nicht zuständig!)


Jetzt komme ich zu den anderen Bereichen. Was Sie
zur Jugendpolitik präsentieren, sind alles warme Worte.
Wenn man sich den Maßnahmenkatalog ansieht, den Sie
umsetzen wollen, dann liest man nur eines: Sie wollen
Repressionen. Mit Repressionen kann man aber keine
Jugendpolitik machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Das kann und darf nicht die einzige Antwort sein, die Sie
hier geben.

Oder nehmen wir die Frauen- und Gleichstellungs-
politik. Für mich ist die Gleichstellungspolitik übrigens
auch immer eine Politik für Männer. Das ist selbstver-
ständlich, falls Sie das noch nicht im Kopf haben.


(Caren Marks [SPD]: Natürlich! – Miriam Gruß [FDP]: Davon hat man unter Rot-Grün nichts gemerkt!)


Die Kernfragen der Gleichstellung rühren Sie aber nicht
an. Was ist mit der Entgeltungleichheit? Sie können
doch nicht von Gleichstellung reden und zu diesem
Thema ein komisches Lohntestverfahren anbieten, das
nicht wirken und ins Leere laufen wird.


(Miriam Gruß [FDP]: Komisch ist es schon mal gar nicht!)


Was ist mit dem Ehegattensplitting? Es benachteiligt
Frauen. Was ist mit der Abschaffung der Lohnsteuerklasse V,
die schon immer von der FDP gefordert wurde? Ganz plötz-
lich bleibt sie unangetastet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Miriam Gruß [FDP]: Faktorverfahren ab 1. Januar!)


Ganz plötzlich ist das Thema abgehakt und verschwun-
den.

Was ist mit der eigenständigen Existenzsicherung
von Frauen? Keine einzige Zeile dazu. Das existiert
nicht mehr, nicht einmal mehr in Ihren Gedanken. Sie
glauben, wenn Frauen zu Hause bleiben, dann wäre das
die eigenständige Existenzsicherung. Das ist es aber
nicht. Das ist nicht das, Herr Singhammer, was die
Frauen in diesem Land von Ihnen einfordern. Sie werden
die eigenständige Existenzsicherung auch weiter von Ih-
nen einfordern.
Ganz schlimm finde ich – das muss ich besonders be-
tonen –, dass wir gerade in solchen historischen Tagen,
wie wir sie zurzeit erleben, auch über die Programme
gegen Rechtsextremismus reden müssen. Sie wollen
die Ausgaben für diese Maßnahmen senken.


(Iris Gleicke [SPD]: Eine Schande!)


Ihnen ist es egal, wie erfolgreich diese Maßnahmen sind.
Sie lassen gute Arbeit im Regen stehen. Sie lassen gute
Projekte in diesem Bereich verkümmern und verkom-
men. Das ist nicht zu verantworten, und das sollte Ihnen
zu denken geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Iris Gleicke [SPD]: Eine Schande ist das!)


Ich komme zu meinem allerletzten Satz. Ich schaue
mir das Ganze an und komme zu dem Schluss: Sie haben
weder den Mut noch die Kraft noch die Ideen für eine
moderne Gesellschaft. Das bleibt Tatsache.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700420300

Das Wort hat die Kollegin Ingrid Fischbach für die

Unionsfraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1700420400

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ich weiß manchmal zu Beginn einer
Rede, wenn ich einige Kollegen gehört habe, nicht, was
ich sagen soll. Frau Ziegler, von Ihnen weiß ich, dass Sie
in der letzten Legislaturperiode nicht dabei waren. Des-
wegen verzeihe ich Ihnen einiges.


(Widerspruch bei der SPD – Caren Marks [SPD]: Wie gnädig! – Dagmar Ziegler [SPD]: Ich war aber Familienministerin im Land Brandenburg!)


Sie müssen einmal Ihre Kolleginnen fragen, was sie alles
machen wollten und wozu sie alles zugestimmt haben.
Wenn ich mich recht an das Ende der letzten Legislatur-
periode erinnere, dann haben Ihre Kolleginnen gesagt,
dass sie den Ausschlag dafür gegeben haben, dass wir so
viel Erfolg hatten; dass die Frau Ministerin so gut war,
lag nur an der SPD.


(Caren Marks [SPD]: Das war ja auch so! – Iris Gleicke [SPD]: Sie machen das jetzt zunichte! – Sönke Rix [SPD]: Es geht um die nächsten vier Jahre!)


– Ja, aber Sie haben sich immer auf die Vergangenheit,
auf die letzte Legislaturperiode bezogen.


(Iris Gleicke [SPD]: Wir wussten gar nicht, dass im Koalitionsvertrag steht, wie toll die Sozialdemokraten waren!)


Sie sprechen über ein Präventionsgesetz. Dieses Gesetz
versuchte Rot-Grün schon auf den Weg zu bringen. Da-
rauf warte ich schon, seit ich hier bin, also elf Jahre. So
viel zum Präventionsgesetz.






(A) (C)



(B) (D)


Ingrid Fischbach

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zu Herrn Wunderlich wollte ich einiges zum Inhaltli-
chen sagen. Aber ich kann nur feststellen: Sie werden zu
Willi Wunderlich. Sie machen also Ihrem Namen alle
Ehre.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das Problem ist, dass ich nicht lügen kann! Ich muss immer die Wahrheit sagen!)


– Aber Willi Wunderlich ist WW und macht doch auch
Spaß. Wir werden uns bestimmt noch des Öfteren auch
bei der Namensgebung wiederfinden.

Frau Deligöz, ich verstehe, dass es für Sie schwierig
ist. Ich glaube, auch Sie haben vergessen, was in Ihrer
Regierungszeit beschlossen wurde. Sie waren immerhin
sieben Jahre dabei. Ich kann mich erinnern – das ist der
Vorteil, wenn man länger dabei ist –, dass Sie damals, als
es um das Stichwort Kinderarmut ging, noch nicht wahr-
haben wollten, wie viele Kinder in Armut leben.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wem stammt denn das Konzept Kinderzuschlag, mit dem Sie sich jetzt rühmen?)


Damals haben Sie sich gedrückt und gewunden wie ein
Aal. Wir haben die Zahl offen genannt. Die Frau Minis-
terin sagt: So viele Kinder sind es, und das darf nicht so
bleiben.


(Caren Marks [SPD]: Was tun Sie dagegen? Nichts!)


Deshalb werden wir jetzt in der neuen Koalition diesem
Problem begegnen, und wir werden es hinkriegen.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wem stammt denn der Kinderzuschlag, Frau Fischbach? Nennen Sie das Problem beim Namen!)


– Bleiben Sie ganz ruhig! Nicht nur ich, sondern auch
die Kollegen und die Menschen draußen kennen Ihre Re-
gierungsprogramme und wissen, was dabei herausge-
kommen ist.

Lassen Sie uns zusammenarbeiten. Es geht um wirk-
lich wichtige Probleme – deshalb war das Kasperlethea-
ter, das Sie, Herr Wunderlich, hier aufgeführt haben,
nicht sinnvoll –, für die wir Lösungen anbieten müssen.
Ich lade Sie, die Opposition, ein, dabei mitzumachen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich möchte in meiner Redezeit vor allem die Jugend-
politik und die Situation der Jugend ansprechen. Die
Kanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung deutlich ge-
macht, vor welchen alarmierenden Zuständen wir ste-
hen. Wenn wir uns die Zahlen genau anschauen, dann
wissen wir, dass bis 2020 die Zahl der unter 25-Jährigen
um fast 15 Prozent zurückgehen wird. Hier stehen wir
vor großen Problemen. Es ist daher wichtig, dass wir die
Jugend zu einem zentralen Thema machen. Keine Frage,
Jugend ist unsere Zukunft und unsere Ressource. Des-
wegen müssen wir die Jugendpolitik aktiv in den Fokus
nehmen. Ich freue mich, dass es gelungen ist, im Koali-
tionsvertrag festzuhalten, dass wir eine eigenständige Ju-
gendpolitik betreiben wollen. Das ist wirklich ein Fort-
schritt, das ist ein Signal. Wir werden diesen Weg gehen
und Ihnen sicherlich Erfolge mitteilen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir brauchen eine starke Jugendhilfe; auch hier müs-
sen wir ansetzen. Das haben wir in der Vergangenheit
nicht in ausreichendem Maß getan. Wir haben uns zu-
dem für eine starke Jugendarbeit ausgesprochen. Hier
wird deutlich, dass wir unterschiedliche Beteiligte brau-
chen, um dem Problem begegnen zu können und ver-
nünftige Lösungen auf den Weg zu bringen. Eine einsei-
tige Sichtweise ist dabei nicht hilfreich. Wir müssen
vielmehr schauen, dass wir die Beteiligten stärken, um
etwas für die Jugend auf den Weg zu bringen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Unser Ziel ist und bleibt, junge Menschen nicht nur
an den Entscheidungen, die sie betreffen, sondern vor al-
len Dingen auch an den Möglichkeiten teilhaben zu las-
sen, die unsere Gesellschaft bietet. Das Wichtigste ist
auf jeden Fall die Bildung; darüber haben wir schon ge-
sprochen. Junge Menschen, die Schwierigkeiten beim
Lernen und in der Schule sowie dabei haben, einen Aus-
bildungsplatz zu finden, können wir nicht alleine lassen.
Wir müssen diesen jungen Menschen Hilfen anbieten. Es
ist richtig und wichtig, dass sie frühzeitig Unterstützung
bekommen. Deshalb tun wir gut daran, den von der Mi-
nisterin angesprochenen ersten Übergang von der Schule
in die Ausbildung viel stärker in den Fokus zu nehmen.
Es gibt viele junge Menschen, die Schwierigkeiten ha-
ben, angenommen, begleitet und gefördert zu werden.
Für sie brauchen wir Angebote. Diese können wir nur
gemeinsam schaffen. Wir dürfen uns nicht nur auf die
öffentlichen Angebote verlassen – diese sind sicherlich
richtig und wichtig und verdienen unsere Unterstützung –,
sondern müssen bei diesen Angeboten auch die Familien
stärker in den Fokus nehmen. Deshalb macht es Sinn, die
Familien zu stärken, wie wir es vorhaben.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Jawohl!)


Das heißt aber auch, die Wünsche, die Probleme und die
Sorgen der Familien ernst zu nehmen. Deshalb ist es
auch richtig und wichtig, nicht nur das Kindergeld, son-
dern auch den Kinderfreibetrag zu erhöhen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD)


Frau Marks, können Sie mir erklären, warum ein
Facharbeiter, der verheiratet ist und keine Kinder hat,
genauso viele Steuern zahlt wie ein Facharbeiter, der
eine Familie hat? Ist das nicht ungerecht? Wir reden
nicht über die oberen Zehntausend, die Wer-weiß-wie-
viel-Tausende Euro verdienen. Es geht vielmehr um
ganz normale Familien.


(Caren Marks [SPD]: Sie kennen sich nicht aus mit Freibeträgen! Das trifft nicht den Facharbeiter! Sie haben nichts begriffen!)







(A) (C)



(B) (D)


Ingrid Fischbach
Hier macht es Sinn, für einen Ausgleich zu sorgen. Glau-
ben Sie es mir! – Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen,
dann verlängert sich meine Redezeit, die ohnehin knapp
ist, Frau Deligöz. Tun Sie es bitte! Dann kann ich noch
etwas länger reden.

Wir haben in der letzten Legislaturperiode einige Pro-
gramme und Projekte auf den Weg gebracht, die jungen
Menschen helfen. Wir wollen dies verstärken. Wir wer-
den ein effektives Fördersystem unter dem Stichwort
„Jugend stärken – Chancen nutzen“ schaffen, das Chan-
cengerechtigkeit und vor allen Dingen die Integration
sozial benachteiligter junger Menschen zum Ziel hat.
Daran werden wir festhalten. Wir werden alles in unserer
Macht Stehende tun, um für die jungen Menschen eine
wirkliche Verbesserung zu erreichen.

Wir werden uns intensiv mit den Schnittstellen be-
schäftigen – Frau Ministerin und auch ich haben es ge-
sagt –, nicht nur der von der Schule in den Beruf, son-
dern auch der von der Ausbildung in den Beruf. Wir
wollen mit der Bildungsministerin zusammen für Förder-
instrumente sorgen. Die Jugendpolitik – auch das
möchte ich Ihnen sagen –, die Sie jetzt vielleicht nur un-
ter dem Kapitel „Jugendliche“ nachgeschlagen haben, ist
nicht das Einzige, was wir für junge Menschen tun und
was im Koalitionsvertrag steht. Schauen Sie, Herr
Wunderlich, einmal im Kapitel „Bildung“ nach. Da wer-
den Sie die eine oder andere Antwort finden, die wir zur
Lösung der Probleme anbieten.

Die Zeiten sind nicht einfach.


(Caren Marks [SPD]: Ach!)


Die Zeiten sind wirklich nicht einfach, sie sind schwer.
Wir dürfen unsere jungen Leute nicht im Regen stehen
lassen.


(Sönke Rix [SPD]: Wir hätten tauschen können!)


Wenn Sie es ernst meinen, dann arbeiten Sie mit. Wir
bieten Ihnen an, mit Ihnen gemeinsam etwas für unsere
jungen Leute zu verändern und ihnen eine Perspektive
zu geben.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Den Scheiß machen Sie mal schön alleine! – Caren Marks [SPD]: Unmoralisches Angebot!)


Wir werden die Vorarbeit liefern, und wir würden uns
freuen, wenn Sie sich dem einen oder anderen anschlie-
ßen könnten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Könnten wir im Protokoll festhalten, dass die CDU der Linken die Zusammenarbeit anbietet?)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700420500

Das Wort hat die Kollegin Caren Marks für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)


Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1700420600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch für
den Bereich Familie, Senioren, Frauen und Jugend gibt
der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag keinen Anlass zur
Freude. Ganz im Gegenteil: Ihre ideenlose, rückwärtsge-
wandte Familienpolitik ist eine Klientelpolitik für Bes-
serverdienende, und sie vergrößert die Schere zwischen
Arm und Reich.


(Beifall bei der SPD)


Mindestens genauso ideenlos ist Ihre Gleichstel-
lungspolitik. Die Ungerechtigkeit der Lohnungleichheit
zwischen Männern und Frauen wollen Sie nach wie vor
lediglich mit freiwilligen Maßnahmen der Wirtschaft be-
seitigen. Seit über acht Jahren besteht eine freiwillige
Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den
Spitzenverbänden der privaten Wirtschaft – ohne Erfolg.
Schwarz-Gelb hat nichts, aber auch wirklich nichts da-
zugelernt. Frauen verdienen nach wie vor 23 Prozent
weniger als Männer,


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Und das haben wir zu verantworten?)


arbeiten verstärkt in Teilzeit und im Niedriglohnsektor,
sind kaum in Führungspositionen, Vorständen und Auf-
sichtsräten zu finden. Und was bietet die neue Regierung
zur Herstellung von Chancengleichheit an? Außer un-
verbindlichen Ankündigungen nichts. Bei der Wirtschaft
will Schwarz-Gelb lediglich darum werben, Entgelt-
ungleichheit zu beseitigen. Viel Spaß und Erfolg beim
Werben! Es bleibt festzuhalten: keine gesetzlichen Maß-
nahmen, keine sinnvollen Überlegungen zur Einführung
von Quoten, keine zielführenden Vorschläge zur Beseiti-
gung der Entgeltungleichheit, keine Überlegungen zur
Begrenzung von Minijobs. Schwarz-Gelb – das muss
man feststellen – ist an einer wirklichen Teilhabe von
Frauen an dieser Gesellschaft nicht wirklich interessiert.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das hat so einen Bart!)


Gleichstellungspolitik wird mit Frau von der Leyen
als Ministerin nach wie vor nicht stattfinden. Allenfalls
wird es – das versteht sie – aufgeblasene PR-Aktionen
und ein paar wohlwollende Worte beispielsweise am
Equal Pay Day geben. Aber ich sage Ihnen, Frau Minis-
terin, die Frauen haben die Nase voll von Appellen, sie
wollen Taten sehen.


(Beifall bei der SPD – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Unser Koalitionsvertrag heißt „Taten statt Worte“! – Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Wir haben gute Konzepte zur Gleichstellung und auch
konkrete Vorschläge unterbreitet. Sie können sicher sein:
Wir werden Ihre Untätigkeit nicht hinnehmen.

Nehmen wir den Bereich der Entgeltungleichheit.
Der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche und gleich-
wertige Arbeit“ muss endlich verwirklicht werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Caren Marks
Da deutlich mehr Frauen als Männer im Niedriglohnsek-
tor arbeiten, ist gerade für sie die Einführung eines Min-
destlohns besonders wichtig.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das hat damit nichts zu tun! Das ist etwas ganz anderes! Sie haben das noch nicht verstanden!)


Die Bekämpfung von Lohndumping lehnen Union und
FDP aber rigoros ab.

Wir, die SPD, wollen eine Stelle einrichten, die Lohn-
messungen bei Unternehmen veranlassen kann. Gleich-
zeitig sollen Betriebsräte das Recht erhalten, vom Ar-
beitgeber Informationen darüber zu verlangen, ob die
Löhne in einem Unternehmen gerecht sind; die Betriebs-
räte wären dann keine Bittsteller mehr, die sich mit un-
verbindlichen Auskünften zufriedengeben müssten. Die
SPD will mehr Frauen in Führungsfunktionen, und dies
nicht als Lippenbekenntnis, sondern mit klaren gesetzli-
chen Regelungen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Benachteiligung von Frauen im Beruf beschnei-
det ihre Lebenschancen; sie schadet aber auch unserer
Wirtschaft und unserer Demokratie. Damit werden wir
uns in der SPD nicht abfinden. Wir brauchen einen ver-
bindlichen rechtlichen Rahmen, der es Frauen und Be-
triebsräten ermöglicht, gegen Lohndiskriminierung vor-
zugehen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
sind die Abhilfemöglichkeiten bei Entgeltdiskriminie-
rungen durchaus verbessert worden. Benachteiligte Per-
sonen können sich besser zur Wehr setzen. Wir wollen
das Antidiskriminierungsgesetz noch schlagkräftiger
machen und weiterentwickeln; denn das ist notwendig.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Dazu hatten Sie doch Gelegenheit, Frau Marks!)


Wir wissen alle, meine Damen und Herren von Union
und FDP, dass das AGG noch nie Ihr Herzensanliegen
war. Eigentlich haben Sie es immer abgelehnt. Daher
wundert es auch nicht, dass Sie das AGG von, wie es so
schön heißt, Bürokratie befreien wollen. Dahinter ver-
birgt sich wahrscheinlich der Abbau von Rechten Be-
nachteiligter.


(Beifall bei der SPD)


Bezeichnend ist aber auch, dass Sie zur Antidiskriminie-
rungsstelle des Bundes überhaupt kein Wort verlieren.
Ihre Arbeit muss deutlich verbessert werden.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ja bisher eine peinliche Veranstaltung!)


Ob die neue Leiterin die Betroffenen besser unterstützt
als ihre Vorgängerin, bleibt abzuwarten. Schlechter kann
es jedenfalls nicht werden.

Sehr geehrte Damen und Herren von Union und FDP,
das in Ihrem Koalitionsvertrag vereinbarte Betreuungs-
geld ist reaktionär und wird Chancen von Kindern ver-
hindern. Die Zahlung einer solchen Zu-Hause-bleib-
Prämie ist bildungs-, integrations-, arbeitsmarkt- und
gleichstellungspolitisch katastrophal.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Erfahrungen in Thüringen zeigen doch, dass eine
solche Geldleistung den Fehlanreiz bietet, Kinder eben
nicht in eine Kindertagesstätte zu schicken. Dadurch
werden insbesondere für benachteiligte Kinder Bil-
dungschancen ganz bewusst vertan, und dadurch wird
Bildungsarmut verfestigt.

Frau Ministerin, es ist wirklich ein Hohn, wenn Sie
von Chancengesellschaft und Armutsbekämpfung spre-
chen. Es reicht auch nicht aus, zu verkünden, das Kon-
zept des Betreuungsgeldes sei in sich noch nicht stim-
mig. An diesem Betreuungsgeld – von einem Konzept
kann man wohl überhaupt nicht sprechen – wird nie et-
was stimmig sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist unsinnig und eine Verschwendung von Geld, das
an anderer Stelle für Qualität und Ausbau von Bildungs-
und Betreuungseinrichtungen dringend gebraucht wird.
Vor Monaten äußerten Sie als Familienministerin und
auch die FDP klar und deutlich Ihre Ablehnung zum Be-
treuungsgeld. Wir fragen Sie nun zu Recht: Wie ernst ist
Ihnen Ihr Nein zum Betreuungsgeld eigentlich?

Es bleibt festzuhalten: Mit Schwarz-Gelb ist kein
Staat für eine moderne und gerechte Familien- und
Gleichstellungspolitik zu machen. Es zeigt sich viel-
mehr: Sie sind alles andere als die selbsternannte Koali-
tion der Mitte. Sie sind die Koalition des Rückschritts,


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wir sind die Koalition des Fortschritts!)


der Ideenlosigkeit und der gesellschaftlichen Spaltung,
und das nicht nur in diesem Fachbereich.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700420700

Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1700420800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Frau Marks, dass Sie bis vor Kur-
zem mitregiert haben, kann man schier nicht fassen,
wenn man Sie heute hört.


(Markus Grübel [CDU/CSU]: Genau! – Sönke Rix [SPD]: Wir reden doch über die Zukunft!)







(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Laurischk
Ganz offensichtlich leiden Sie unter vielen verpassten
Chancen.


(Beifall bei der FDP – Caren Marks [SPD]: Unglaublich!)


Der Koalitionsvertrag setzt auch in der Familien- und
Gesellschaftspolitik neue Zeichen. Unmittelbar nach den
familienpolitischen Zielsetzungen ist das Thema „Inte-
gration und Zuwanderung“ aufgeführt, das man traditio-
nell im innenpolitischen Bereich vermutet. Hier wird
deutlich, dass wir die Bandbreite des Themas Integra-
tion nicht auf das Aufenthalts- oder Polizeirecht limitie-
ren, sondern es auch als eine Fragestellung in der Mitte
dieser Gesellschaft verstehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dazu ist natürlich der Erwerb der deutschen Sprache
weiterhin von zentraler Bedeutung. Wir haben es in der
letzten Legislatur gefordert, und wir fordern es auch
jetzt: Wir wollen, dass durch Sprachstandstests schon
frühzeitig erkannt wird, ob Kinder die entsprechenden
sprachlichen Fähigkeiten haben, und, wenn nicht, ent-
sprechende Sprachförderung anbieten, sodass sie gut ins
Schulleben starten können. Hier sind allerdings auch die
Eltern gefordert. Sie müssen das unterstützen. In man-
chen Fällen ist sicher auch Unterstützung und Aufklä-
rung der Eltern nötig, und unter Umständen brauchen
auch diese ihrerseits Sprachförderung.

Noch ein Thema war mir in den Koalitionsverhand-
lungen besonders wichtig: die Würdigung der Lebens-
leistungen von Migrantinnen und Migranten und dabei
insbesondere die Anerkennung der im Heimatland er-
worbenen Bildungsabschlüsse. Es ist ein Erfolg, dass wir
einen gesetzlichen Anspruch auf ein Anerkennungsver-
fahren schaffen werden.


(Beifall bei der FDP)


Uns ist aber auch wichtig, dass familiäre Gewalt be-
kämpft wird. Sie ist in keinster Weise zu tolerieren.
Hierzu bedarf es ausreichender sogenannter flankieren-
der Maßnahmen. Darunter verstehen wir Beratungsange-
bote, aber ganz konkret auch die Frauen- und Kinder-
schutzhäuser. Das Hilfesystem im Fall von Gewalt gegen
Frauen wird im Rahmen der Bundeszuständigkeit weiter
gestützt werden. Hierzu gehören auch die Einrichtung ei-
ner bundesweiten Notrufnummer sowie die Vorlage eines
Berichts zur Lage der Frauen- und Kinderschutzhäuser
und der darüber hinausgehenden Hilfeinfrastruktur. Wir
haben, Herr Wunderlich, den CEDAW-Bericht sehr wohl
gelesen und auch entsprechend umgesetzt.


(Beifall bei der FDP – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: An welcher Stelle denn? Das muss ein Schattenkoalitionsvertrag sein!)


Weiter haben wir vor, dass das Problem Zwangshei-
rat nicht so im Raum stehen bleibt. Es soll ein eigener
Straftatbestand geschaffen werden. Entsprechende recht-
liche Regelungen – ich nenne das Stichwort Rückkehr-
recht – sollen unter dem Gesichtspunkt des Opferschut-
zes neu gestaltet werden.
Noch eine andere Bevölkerungsgruppe, die gern über-
sehen wird, ist Thema unserer familienpolitischen Ziel-
setzung. Ich meine die mittlerweile knapp 1,6 Millionen
Alleinerziehenden in Deutschland, die rund 2,6 Millio-
nen Kinder erziehen. Gerade sie brauchen den Ausbau
der Betreuungsangebote. Dazu haben wir heute schon ei-
niges gehört. Ich bin zuversichtlich, dass die Bundesre-
gierung hier noch einiges auf den Weg bringt. Es ist im
Übrigen vereinbart, dass das Unterhaltsvorschussgesetz
dahin gehend geändert wird, dass die Gewährung von
Unterhaltsvorschuss entbürokratisiert und dieser künftig
bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres eines Kindes
gewährt wird.


(Beifall bei der FDP)


Wir brauchen in dieser Gesellschaft aber auch das
freiwillige Engagement und wollen es deshalb fördern.
So ist uns die Stärkung des bürgerschaftlichen Engage-
ments ein wichtiges Anliegen, das durch eine entspre-
chende Rahmengesetzgebung gestärkt werden soll.

Darüber hinaus haben wir vereinbart, die Wehrpflicht
auf sechs Monate zu reduzieren und den Zivildienst ent-
sprechend anzupassen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gilt auch: versprochen – gebrochen! Sie wollten doch die Wehrpflicht abschaffen!)


Das hat auch etwas mit Wehrgerechtigkeit zu tun. Im
Übrigen wird die Verkürzung des Zivildienstes, den wir
als eine Art Zwangsdienst – er ist ja bislang kein Frei-
willigendienst – kritisieren,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bleibt ja auch so!)


zu einer Umstellung führen. Ich bin sehr zuversichtlich,
dass es jetzt endlich gelingt, die Freiwilligendienste stär-
ker in den Fokus zu stellen,


(Sönke Rix [SPD]: Das steht aber nicht drin!)


zum Beispiel, indem der Ausbau von Maßnahmen wie
Freiwilliges Soziales Jahr und von anderen Freiwilligen-
diensten, nicht zuletzt auch unter Einbeziehung von jun-
gen Menschen mit Migrationshintergrund, vorangetrie-
ben wird. Eine freiwillige Verlängerung des Zivildienstes
lehnen wir allerdings ab.


(Sönke Rix [SPD]: Ach!)


Meine Damen und Herren, wir wollen solche Ziele
wie Integration und Stärkung von Familien in Problem-
lagen, aber auch mehr freiwilliges bürgerliches Engage-
ment erreichen. Wir sollten gemeinsam darauf hinarbei-
ten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700420900

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Johannes

Singhammer das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1700421000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben es ge-
schafft, in den vergangenen vier Jahren der Gerechtigkeit
für Familien einen ähnlichen Stellenwert in der öffentli-
chen Aufmerksamkeit zu verschaffen wie den Arbeitslo-
senzahlen oder den Haushaltszahlen. Glückwunsch! Ich
wünsche Ihnen für die nächsten vier Jahre weiterhin viel
Erfolg. In meinen Glückwunsch beziehe ich ausdrücklich
Ihren Staatssekretär ein. Ich hoffe, dass es so erfolgreich
für die Familien weitergeht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist nicht völlig ungewöhnlich, dass die Opposition
den Koalitionsvertrag, den wir gerade unterschrieben ha-
ben, kritisiert.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Sie ja auch!)


Ich möchte Sie einfach bitten, zu prüfen, ob Ihre Vor-
würfe, dass darin eine Ansammlung von Versprechun-
gen ohne Taten aufgeführt sei, standhalten.


(Zuruf von der SPD: Ansammlung von Blödsinn!)


Wir haben im Koalitionsvertrag, der am 26. Oktober
2009 besiegelt wurde, formuliert:

Der Kinderfreibetrag wird in einem ersten Schritt
zum 01.01.2010 auf 7 008 Euro und das Kindergeld
um je 20 Euro erhöht.

Im Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das wir in dieser
Woche in erster Lesung behandeln, steht:

… werden die Freibeträge für jedes Kind von insge-
samt 6 024 Euro auf 7 008 Euro ab dem Veranla-
gungszeitraum 2010 angehoben. Zugleich wird – um
Familien in unteren und mittleren Einkommensbe-
reichen zu fördern – das Kindergeld ab dem 1. Januar
2010 für jedes zu berücksichtigende Kind um
20 Euro erhöht.

Versprochen und gehalten – und das in Rekordzeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wer hier behauptet, der Koalitionsvertrag sei eine An-
sammlung von Versprechungen ohne Taten, der sollte
das zur Kenntnis nehmen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben immer noch kein Gesetz!)


Wenn man die Halbwertszeiten zugrunde legte, mit de-
nen früher Kindergelderhöhungen verbunden waren
– Kollegin Gruß hat es angesprochen –, nämlich 10 Euro
in sieben Jahren, hätten wir für diese Erhöhung 14 Jahre
gebraucht. Wir haben das innerhalb von acht Wochen
gemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie sollten wissen, dass auch alle anderen Perspekti-
ven für die Familien umgesetzt werden, und zwar Zug
um Zug.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Drohung!)

Wir wollen, dass es den Familien durch mehr Kinder-
und Familienfreundlichkeit besser geht. Dazu zählt
auch ein anderes Verständnis von Kinderlachen oder ge-
legentlichem Kinderlärm.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Dann stimmen Sie im Bundesrat offensichtlich zu!)


Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag formuliert, dass
Kinderlärm kein Anlass für gerichtliche Auseinanderset-
zungen sein darf. Wir werden die Gesetzeslage entspre-
chend ändern. Darauf können Sie sich verlassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Caren Marks [SPD]: RheinlandPfalz war schneller!)


Wir bekennen uns zur Erziehungsverantwortung
der Eltern. Sie tragen diese Verantwortung vor allen an-
deren. Die Eltern zu stärken, ist unser Ziel; denn starke
Kinder brauchen selbstverständlich auch starke Eltern.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Toller Spruch!)


Wir lassen die Eltern nicht allein.


(Caren Marks [SPD]: Ich als Mutter empfinde das als Drohung!)


Das bezieht sich auch auf alle anderen, die in der Erzie-
hungsverantwortung stehen. Wir sagen: Moderne Erzie-
hung braucht Werte. Wir wollen die Eltern und diejeni-
gen, die in Betreuungseinrichtungen tätig sind, auch in
der Jugendarbeit, unterstützen.

Wenn wir die Gewaltexzesse beklagen, die uns be-
kümmern und über die die Medien berichten, dann ist es
ganz wichtig,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Gewalt ist doch gesunken!)


dass wir keinen unscharf gewordenen Toleranzbegriff
verwenden, sondern klar sagen, worum es geht. Die
Würde des Menschen ist unantastbar, und Gewalt darf
nie ein Mittel der Auseinandersetzung sein. Auch das
gehört zu einer modernen Familienpolitik.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: 2001 haben wir das längst verabschiedet!)


Das Wesen der Familie ist eine Gemeinschaft. Eine
Politik, die einzelne Familienmitglieder isoliert betrach-
tet, springt zu kurz. Wer sich – zu Recht – über Kinder-
armut beklagt, der muss auch sehen, dass die Situation
der Eltern damit zusammenhängt. Arme Kinder ohne
arme Eltern trifft man selten. Deshalb ist eine ganzheitli-
che Familienpolitik so wichtig. Dazu zählt auch unser
Hauptziel, die Wirtschaftskrise zu überwinden, die Gei-
ßel der Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und dadurch vor
allem die Eltern zu stärken und aus der Armut herauszu-
bringen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wunderbar! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wie wäre es mit Mindestlöhnen?)







(A) (C)



(B) (D)


Johannes Singhammer
Denjenigen, die in besonderen Lebenslagen Unter-
stützung brauchen, wollen wir ganz konkret helfen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ganz konkret?)


Das betrifft auch Schwangere in Notlagen. Lesen Sie un-
seren Koalitionsvertrag genau durch, dann finden Sie
Formulierungen wie: Frauen können bei einer Schwan-
gerschaft aus unterschiedlichen Gründen in eine Notlage
geraten. – Wir wollen beispielsweise das Angebot der
vertraulichen Geburt entsprechend prüfen.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Prüfen?)


Wir haben uns auch als Ziel gesetzt, dass die Entschei-
dung für ein Kind nicht an finanziellen Notlagen schei-
tern darf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir müssen ein Bundesamt für Prüfaufträge einrichten!)


Das Ziel von Schwarz-Gelb ist: Wir wollen die Wahl-
freiheit der Familien hinsichtlich des von ihnen ge-
wünschten Lebensmodells verbessern. Familien sollen
ihr Lebensmodell nach ihren Wünschen wählen und ge-
stalten können. Das führt mich direkt zum Betreuungs-
geld. Mit dem Betreuungsgeld haben Sie mittlerweile
ein Feindbild gefunden. Eigentlich wollen Sie ein be-
stimmtes Lebensmodell von Familien in Deutschland
zum Feindbild hochstilisieren. Dieses Lebensmodell
können Sie offensichtlich nicht ertragen.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Wir sind für frühkindliche Bildung!)


Sie kritisieren das Betreuungsgeld und unterstellen in
diesem Zusammenhang immer, Eltern könnten mit die-
sem Geld nichts Sinnvolles anfangen.


(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Kein Mensch unterstellt etwas!)


Sie sagen, die 150 Euro Betreuungsgeld würden nicht im
Interesse der Kinder eingesetzt werden. Damit stellen
Sie die Eltern unter Generalverdacht.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn das von allen zu Recht gelobte Elterngeld in Höhe
von mindestens 300 Euro ausläuft, kann im Monat da-
rauf Betreuungsgeld in Höhe von 150 Euro beantragt
werden, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Ich fragen
Sie: Mit welcher Begründung können Sie behaupten,
dass das Elterngeld zum Wohl der Kinder eingesetzt
wird, aber das Betreuungsgeld, das danach ausgezahlt
werden kann, Teufelszeug ist?


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie das Elterngeld überhaupt eingeführt, wenn Sie es nicht haben wollten? Seien Sie mal ehrlich zu sich selbst!)


Das zeigt, vorsichtig formuliert, eine gewisse Asymme-
trie in Ihrer politischen Argumentation.

(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollten das Elterngeld nicht! Jetzt haben wir es verstanden!)


Wir werden die Eltern und die Familien fördern. Wir
wollen keine Strategie entwickeln, wie Kinder vor ihren
Eltern geschützt werden,


(Caren Marks [SPD]: Sie wollen Kinder vor Bildung schützen!)


sondern wir wollen die Familien – Väter, Mütter und
Kinder gemeinsam – ganzheitlich fördern, damit es den
Familien besser geht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Herr Singhammer, Sie glauben doch selber nicht an das, was Sie sagen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700421100

Das Wort hat der Kollege Sönke Rix für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1700421200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich bin fast gezwungen, noch einmal zum Be-
treuungsgeld Stellung zu beziehen. Aber da meine Kol-
leginnen von den Grünen und von der Linkspartei dazu
Stellung genommen haben, will ich es bei der Feststel-
lung belassen, dass Sie es einfach nicht verstanden ha-
ben. Ich will daher nicht noch einmal erklären, warum
wir das Betreuungsgeld ablehnen.


(Otto Fricke [FDP]: Doch! Bitte!)


Vielleicht sollten wir das Thema vertiefen, wenn wir im
Ausschuss den entsprechenden Gesetzentwurf behan-
deln. Ich bin sehr gespannt, ob und wann der Gesetzent-
wurf kommt. Vor allen Dingen bin ich sehr gespannt,
wie sich die FDP dazu verhalten wird. Sie hat das Be-
treuungsgeld einmal sehr viel kritischer gesehen, als es
jetzt im Koalitionsvertrag zum Ausdruck kommt.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Umfaller!)


Als ich mir den Koalitionsvertrag angeschaut habe,
habe ich mich über viele Dinge gar nicht gewundert;
denn Punkte wie Kopfpauschale, Mehrbelastung der
Kommunen und Betreuungsgeld, die im Wahlkampf an-
gesprochen wurden, finden sich nun im Koalitionsver-
trag wieder. Sehr gewundert habe ich mich aber über die
Regelung zur Wehrpflicht. Die Dauer des Wehrdienstes
soll auf sechs Monate verkürzt werden. Keiner kennt die
Gründe dafür. Es wurde gerade von Wehrgerechtigkeit
gesprochen. Jeder – sei es die FDP oder die CDU/CSU –
versucht, für sich einen Grund zu finden, warum er mit
einer Wehrdienstzeit von sechs Monaten zufrieden ist.
Als Jugendausschuss sind wir für den Zivildienst zustän-
dig. Eine Verkürzung auf sechs Monate ist für die Träger
ein Schlag ins Gesicht. Was sollen sie mit Zivildienst-
leistenden anfangen, die nur sechs Monate ihren Dienst
in der Einrichtung leisten? Diese Frage müssen Sie be-






(A) (C)



(B) (D)


Sönke Rix
antworten. Ich glaube, dieser Weg ist konzeptlos und
führt in die Sackgasse.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Otto Fricke [FDP]: Sind Sie für eine Verlängerung der Wehrpflicht? Ja oder nein? Sie müssen schon sagen, was Sie wollen!)


– Wenn Sie sich durchgesetzt hätten, dann hätten wir
eine Aussetzung der Wehrpflicht. Das hätte mich sehr
gefreut.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700421300

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen

Fricke? – Bitte schön.


Otto Fricke (FDP):
Rede ID: ID1700421400

Herr Kollege Rix, ich weiß, dass die Opposition kriti-

sieren muss. Sie muss dann aber auch sagen, was ihre ei-
gene Position ist.

Wenn Sie sagen, dass Sie wie wir auch lieber eine Aus-
setzung der Wehrpflicht hätten, könnten Sie mir dann er-
klären, wie es möglich war, dass es der FDP-Fraktion ge-
lungen ist, die CDU/CSU zu einer Verkürzung der
Wehrdienstzeit zu bewegen, während es der SPD-Frak-
tion in den vergangenen vier Jahren nicht gelungen ist?
Mich würde interessieren, warum Sie es in vier Jahren
nicht geschafft haben und wir es immerhin – ich gebe zu,
wir konnten uns nicht komplett durchsetzen – geschafft
haben, eine Verkürzung zu erreichen.


Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1700421500

Ein verkürzter Zwangsdienst ist immer noch ein

Zwangsdienst, auch wenn er nur sechs Monate dauert.
Ich sage Ihnen: Ein Zivildienst von sechs Monaten ist für
die Träger und die Einrichtungen nicht zu machen. Das
muss man einfach hinnehmen. Haben Sie die Reaktionen
der Diakonie, des Roten Kreuzes und der Arbeiterwohl-
fahrt nicht zur Kenntnis genommen? Haben Sie davon
nichts gehört? Wir haben den Zivildienst bisher fast
fraktionsübergreifend zu einem Lerndienst weiterentwi-
ckeln wollen. Wie sollen wir denn in diesen sechs Mona-
ten genügend Bildungseinheiten vorsehen, wenn die Be-
troffenen noch Urlaub haben sollen und zwischendurch
vielleicht noch krank sind?


(Otto Fricke [FDP]: Aber vier Jahre Zeit hatten Sie schon!)


Ein anderes Vorgehen hat mit der Union nicht ge-
klappt. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie sich durchset-
zen können. Das habe ich an dieser Stelle bereits gesagt.
Das ist leider nicht passiert. Dies ist Murks. Die alte Re-
gelung wäre vielleicht sogar besser gewesen als das, was
jetzt geplant ist. Viel besser aber wäre es gewesen, wenn
Sie sich für unser Modell entschieden hätten. Daraus
hätte sich mehr Freiwilligkeit und weniger Pflicht entwi-
ckelt.


(Beifall bei der SPD)

Denn es gibt einen großen Bedarf bei den Freiwilli-
gendiensten; Frau Laurischk hat es angesprochen. Es
gibt weniger Plätze als Anfragen. Das Geld, das dort zur
Verfügung steht – im Koalitionsvertrag steht übrigens
nicht, was mit den bei einem verkürzten Zivildienst frei
werdenden Mitteln passieren soll –, muss eins zu eins in
die Freiwilligendienste fließen. Es ist immer noch so,
dass auf jeden Platz drei Anfragen kommen. Dies ist ein
Instrument, das dem Jugendministerium und uns im Ju-
gendausschuss zur Verfügung steht, um Jugendlichen
nach der Schulzeit eine Perspektive zu bieten. Dazu
hätte ich mir erheblich mehr Antworten gewünscht.
Dazu steht im Koalitionsvertrag leider nicht viel.

Stattdessen sollen der Kinderfreibetrag und das Kin-
dergeld erhöht werden. Das alles ist schön und gut. Aber
was im Hinblick auf die Mittel im Jugendhaushalt pas-
sieren soll, steht nicht im Koalitionsvertrag. Stattdessen
findet man eine Formulierung, die mich ein bisschen
zum Nachdenken gebracht hat, und zwar steht dort:

Wir werden das Kinder- und Jugendhilfesystem und
seine Rechtsgrundlagen im SGB VII auf Zielgenau-
igkeit und Effektivität hin überprüfen.

Das klingt erst einmal richtig und gut. Das sollte bei
all unseren Gesetzen so sein. Ich habe mich in diesem
Zusammenhang an einen Gesetzentwurf der CDU/CSU-
Fraktion aus dem Jahre 2004 erinnert, an das sogenannte
Kommunale Entlastungsgesetz, das Sie damals geplant
haben. Es hätte in der Kinder- und Jugendhilfe einen
Kahlschlag bedeutet.


(Iris Gleicke [SPD]: Das ist wohl wahr!)


Die Formulierung im Koalitionsvertrag kann also durch-
aus so verstanden werden, dass eine Neuauflage des da-
maligen Entwurfes geplant ist. 2004 konnten wir diesen
Gesetzentwurf noch verhindern. Ich hoffe, Ähnliches ist
nicht geplant. Ich hoffe, dass solche Formulierungen
nicht einfach nur deshalb im Koalitionsvertrag stehen,
weil sie schön und gut sind. Ich hoffe, dass es nicht zu
Kürzungen kommt. Wir brauchen jeden Cent und jeden
Euro in der Jugendhilfe.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir schon bei Streichungen sind, dann sind wir
auch beim Thema der Bekämpfung des Rechtsextremis-
mus. Ich spreche es gerne noch einmal an; es war heute
schon Thema in der innenpolitischen Debatte. Sie haben
es hinbekommen – ich glaube, dies hat auch die Union
durchgesetzt –, dass es keine speziellen Programme
mehr gegen Rechtsextremismus gibt, sondern nur noch
gegen Linksextremismus und den gesamten anderen Ex-
tremismus, ohne aber festzulegen, dass es dafür auch
mehr Mittel gibt. Folge ist: Es gibt weniger Mittel für die
jetzt sehr erfolgreichen und guten Projekte.


(Miriam Gruß [FDP]: Abwarten!)


Da fehlen Antworten, wie das weitergehen soll.

Sie haben immer noch nicht begriffen, dass die Pro-
gramme gegen Rechtsextremismus nicht einfach mit






(A) (C)



(B) (D)


Sönke Rix
Programmen gegen Linksextremismus gleichzustellen
sind. Hier wird eine völlig unterschiedliche Art der Be-
kämpfung durchgeführt. Das sind völlig unterschiedli-
che Dinge. Das in einen Topf zu schmeißen, ist verkehrt,
ideologisch und schadet den guten Projekten vor Ort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Caren Marks [SPD]: Ignorant!)


Sie haben geschrieben: Vieles muss in Kindergärten,
in der Jugendbetreuung und in der Schule zu diesem
Thema passieren. Aber die jetzigen Projekte, die in Ih-
rem Hause angesiedelt sind, sind von Vereinen, Sozial-
verbänden und Kirchen organisiert. Dazu schreiben Sie
kein Wort. Ich hoffe, das lässt sich noch richtigstellen.
Wir brauchen dort jeden Cent. Die Bekämpfung des
Rechtsextremismus bleibt ein dauerhaftes Thema und
kann nicht mit der Bekämpfung des Linksextremismus
zusammengefasst werden.

Danke.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700421600

Das Wort hat die Kollegin Michaela Noll für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1700421700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Frau Ministerin, Herr Staatssekretär, ich
möchte Ihnen erst einmal gratulieren. Ich bin froh, dass
Sie unsere Ministerin geblieben sind; denn ich habe Sie
in den letzten vier Jahren – das gilt auch für die Herr-
schaften auf der Oppositionsbank –


(Zurufe von der SPD: Frauschaften!)


als wirklich engagierte und durchsetzungsstarke Fami-
lienministerin kennengelernt, die sich für alle Gruppen
eingesetzt hat, ob jung, ob alt, ob alleinerziehend etc.


(Iris Gleicke [SPD]: Das wäre mir aber aufgefallen!)


Deswegen empfinde ich es als ausgesprochen schade
– so lange sitzen Sie ja noch nicht auf der Oppositions-
bank –, dass Sie heute nicht in der Lage sind, anzuerken-
nen, was wirklich geleistet worden ist. Ich mache nicht
alles schlecht, was wir in vier Jahren gemacht haben. Ich
erwähne hier noch einmal ganz kurz das Elterngeld, den
Kinderzuschlag, den Ausbau der Kinderbetreuung, die
„Zweite Chance“, die Mehrgenerationenhäuser.


(Caren Marks [SPD]: Wir reden über das, was Sie vorhaben!)


Wir haben uns vorgenommen, an dieser Stelle weiter-
zumachen. Ich erinnere Sie daran, dass es einige Punkte
gab, die sich mit unserem Koalitionspartner, damals mit
Ihnen, äußerst schwierig gestaltet haben.

(Caren Marks [SPD]: Wohl wahr! Beim Antidiskriminierungsgesetz waren Sie schon immer bockig!)


Darauf werde ich gleich noch eingehen; Stichwort Kin-
derschutz. Deswegen bin ich froh, dass wir jetzt endlich
mit der FDP neue Akzente setzen können.


(Caren Marks [SPD]: Kinderrechte waren mit Ihnen auch nicht zu machen!)


Ich komme gleich noch auf das Thema Jungen zu spre-
chen, das der Kollegin Gruß und mir am Herzen liegt.
Endlich haben wir dieses Thema auch im Koalitionsver-
trag.

Ministerin von der Leyen, Sie haben eben noch ein-
mal den Spannungsbogen dargelegt. Es wäre einfach
schön gewesen, wenn die Kollegen von der Oppositions-
bank auch einmal zugehört hätten. Sie haben nämlich
das Thema Kinderarmut breit und mit allen Facetten
angesprochen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allgemeine Fragen gestellt, nur Antworten nicht gegeben! – Caren Marks [SPD]: Ansprechen nützt nichts!)


Sie haben über verpasste Chancen sowie darüber gespro-
chen, dass wir etwas gegen Bildungsarmut machen
müssen. Sie haben gezielt die Alleinerziehenden ange-
sprochen, die auf den Ausbau der Kinderbetreuung an-
gewiesen sind, und gesagt, dass wir Netzwerke brau-
chen. Sie haben von einer zweiten Chance gesprochen,
von der besseren Vernetzung von Kompetenzagenturen.
Ich frage mich einfach, wie es kommen kann, dass die
Kollegen von der Opposition die ganze Zeit hier sitzen
können, ohne zuzuhören.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nun zu Ihnen, Frau Ziegler: Sie sind ja neu, zumin-
dest hier bei uns. Ich weiß nicht, wie tief bei Ihnen oder
generell bei der Opposition der Frust sitzt. Er muss ganz
schön tief sitzen; denn manche Sachen, die Sie von sich
gegeben haben, kann ich nicht ansatzweise nachvollzie-
hen.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Das ist Ihr Problem, nicht meines!)


– Nein, einfach deshalb, weil Sie gar nicht hier waren.
Also können Sie gar nicht in dieser Form mitdiskutieren.


(Iris Gleicke [SPD]: Die Frau war Ministerin und vor Ort zuständig! – Dagmar Ziegler [SPD]: Ich war Ministerin!)


Nehmen wir einmal die Betreuung der unter Dreijäh-
rigen. Jeder von Ihnen weiß – die Kollegin Humme
weiß es auch; ich komme ebenfalls aus Nordrhein-West-
falen –, dass in Nordrhein-Westfalen Gott sei Dank seit
2005 eine schwarz-gelbe Regierung im Amt ist. Welche
Folgen hatte das? Obwohl Schwarz-Gelb einen giganti-
schen Schuldenberg von Ihnen übernehmen musste, ist
es uns gelungen, den Ausbau von Betreuungsplätzen für
Kinder unter drei Jahren voranzutreiben und von
11 000 auf 74 000 zu erhöhen.






(A) (C)



(B) (D)


Michaela Noll


(Iris Gleicke [SPD]: Und das war in den letzten 14 Tagen?)


Wenn Sie heute einmal die Presse gelesen hätten, hätten
Sie auch entdeckt, dass Minister Laschet sagte, bis zum
nächsten Jahr werde das Ganze auf 100 000 aufgerundet
werden. Das haben Sie in Ihrer ganzen Regierungszeit
nicht geschafft.

Nächstes Stichwort! Nehmen wir den Kinderschutz:

Aber ich finde es schön, dass wir heute wenigstens am
Ende dieser etwas heftigen Debatte gemeinsam lachen.


(Caren Marks [SPD]: Das ist eine Liebe in der Koalition! Wunderbar! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Nein, wir verstehen uns sehr gut. Deswegen spreche
ich noch kurz einen weiteren Punkt an: Seit 2002 gehöre
ich dem Deutschen Bundestag an, und seit 2002 habe ich
Die von mir wirklich sehr geschätzte Kollegin Marlene
Rupprecht hat mit mir über ein Jahr lang über den Kin-
derschutz verhandelt. Wir haben Expertengespräche ge-
führt und Anhörungen durchgeführt; wir haben Tage und
Nächte miteinander verhandelt. Wir waren beide auf ei-
nem wirklich guten Weg. Ich erinnere jetzt noch einmal
an das letzte Gespräch: Es ist nicht an uns gescheitert.
Das Problem war, dass Sie die Bundestagswahl im Na-
cken hatten, die Ihnen mächtig Angst machte. Deshalb
sind Sie vorzeitig ausgestiegen. Aber ich bin zuversicht-
lich, dass wir in der jetzigen Kombination unter dem As-
pekt der Prävention und mit unserer Ministerin an der
Spitze ein Kinderschutzgesetz auf den Weg bringen wer-
den, an dem auch Sie nichts mehr zu meckern haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Herr Wunderlich, ich schätze Sie sehr. Wir haben vier
Jahre lang gemeinsam in der Kinderkommission geses-
sen. Aber heute haben Sie Ihrem Namen alle Ehre ge-
macht. Sie haben auch nicht zugehört, als Frau von der
Leyen von Kinderarmut sprach. Was das Unterhaltvor-
schussgesetz angeht,


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: War das nicht das Gesetz, das Sie eingestampft haben, weil zu viel Kritik in der Öffentlichkeit war?)


bin ich auf Ihrer Seite; da sehe auch ich schon seit länge-
rer Zeit Handlungsbedarf. Wir haben es auf den Weg ge-
bracht. Aber es wäre auch schön, es einfach einmal an-
zuerkennen, wenn in einem Koalitionsvertrag Dinge
stehen, die praxistauglich sind. –


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Besser eine späte Einsicht als keine Einsicht!)


– Das hat aber nichts mit Umfallen zu tun. Das hat etwas
damit zu tun, dass sich die Dinge auch ändern können.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das war an die SPD gerichtet!)


– Dann ist es okay, dann nehmen wir das zurück.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD)

immer gesagt, wir müssen den Fokus mehr auf die Jun-
gen legen. Jungen sind unsere Sorgenkinder, die Jungen
sind die Bildungsverlierer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dank der guten Anfragen unter Federführung der Kolle-
gin Miriam Gruß in der letzten Legislaturperiode haben
wir dieses Thema endlich in den Koalitionsvertrag auf-
genommen. Sprechen Sie mit Lehrern, mit Erziehern
und Schulleitern: Wir haben Defizite bei den Jungen.
Das hat nichts mit Gleichstellung zu tun.


(Caren Marks [SPD]: Gleichstellung hat immer mit Jungen und Mädchen, Frauen und Männern zu tun! Guten Morgen, Frau Noll!)


Sie alle waren bei der Anhörung dabei, als Frau
Allmendinger bei uns war. Ich erinnere mich noch ganz
genau an die etwas spitz formulierte Frage von Frau
Allmendinger: Was nützt es den kompetentesten Frauen,
wenn sie keinen kompetenten Gegenüber mehr haben?
Dann nützt auch die beste Familienpolitik nichts, dann
ist sie am Ende.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Caren Marks [SPD]: Genau das ist das Problem!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1700421800

Weitere Wortmeldungen zu diesen Themenbereichen

liegen nicht vor.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 12. November
2009, 9 Uhr, ein.

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.