Gesamtes Protokol
Guten Morgen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße Sie alle herzlich zu unseren heutigen Be-
ratungen.
Wir können gleich in die Tagesordnung einsteigen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe
– zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Kauder,
Ute Granold, Erika Steinbach, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie
der Abgeordneten Marina Schuster, Pascal
Kober, Serkan Tören, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Religionsfreiheit weltweit schützen
– zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Das Menschenrecht auf Religions- und Glau-
bensfreiheit als politische Herausforderung
– Drucksachen 17/2334, 17/3428, 17/4122 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
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Redet
Christoph Strässer
Marina Schuster
Annette Groth
Tom Koenigs
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe zu dem Antrag
der Abgeordneten Volker Beck , Tom
Koenigs, Josef Philip Winkler, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Das Menschenrecht auf Religions- und Glau-
bensfreiheit stärken
– Drucksachen 17/2424, 17/4121 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
um zweiten Mal in diesem zweiten Halbjahr 2010 be-
ext
fassen wir uns mit der Situation von Christen in aller
Welt. Ich freue mich, dass wir heute hier auf der Ehren-
tribüne des Deutschen Bundestages Gäste bei uns haben,
die aus Ländern kommen, in denen es Christen beson-
ders schwer haben.
Ich begrüße herzlich den Bischof der Chaldäisch-Ka-
tholischen Kirche in Bagdad, Shlemon Warduni,
und den Patriarchalvikar der Chaldäisch-Katholischen
Kirche in der Türkei, François Yakan.
Exekutivsekretär der nationalen Kom-
et Pax in Pakistan, Peter Jacob.
Ich begrüße den
mission Justitia
9170 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Volker Kauder
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)
Ich freue mich, dass der für diese Aufgaben zuständige
Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof
Dr. Stephan Ackermann, heute da ist.
Ebenso freue ich mich, dass der Vertreter der Deutschen
Evangelischen Allianz, Wolfgang Baake, und die Präla-
ten Jüsten und Felmberg da sind. Herzlich willkommen
bei dieser Debatte!
Der Papst hat gestern, wie für diese Debatte gemacht,
eine Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages am
1. Januar nächsten Jahres veröffentlicht. Diese drän-
gende Botschaft befasst sich ausschließlich mit dem
Thema „Verfolgung von Christen in der ganzen Welt“.
Der Papst stellt fest, dass die Verfolgung von religiösen
Minderheiten – er spricht nicht nur von den Christen –
eine der zentralen Ursachen für Unfrieden in der Welt
ist. Er betont, was wir auch in unserem Antrag formulie-
ren: Das Bekenntnis zur Religion und die Möglichkeit,
die Religion zu wechseln, sind ein universales Men-
schenrecht, ein Menschenrecht, das niemandem abge-
sprochen werden kann. Wir formulieren das auch in un-
serem Antrag so. Das Recht auf freie Religionsausübung
gehört zur Würde des Menschen. Deswegen treten wir
alle, die wir uns im Deutschen Bundestag für Menschen-
rechte einsetzen, besonders für das Recht auf freie Reli-
gionsausübung ein.
Wir sehen mit einiger Sorge, dass sich im internatio-
nalen Bereich etwas entwickelt, das das Menschenrecht
auf Religionsfreiheit relativieren soll. Es kommt ganz
harmlos daher, und wer nicht genau hinschaut, bemerkt
den Unterschied zunächst einmal gar nicht. Da wird for-
muliert: Wir wollen den Schutz der Religion. Es ist vor
allem die Organisation der Islamischen Konferenz, die
den Schutz der Religion in internationalen Gremien
durchzusetzen versucht und ihn in Unterorganisationen
der UNO schon durchgesetzt hat. Die islamischen Orga-
nisationen versuchen dies vor allem, weil sie den Islam
vor Angriffen schützen wollen.
Damit wird ein Menschenrecht einem Kollektivrecht
untergeordnet. Es geht nicht mehr darum, das Recht des
Einzelnen auf freie Religionsausübung zu erhalten, son-
dern es geht darum, eine Gruppe zu schützen. Dazu kann
ich nur sagen: Wir wollen nicht eine Religion schützen,
sondern wir wollen das Menschenrecht auf freie Reli-
gionsausübung schützen. Das ist ein elementarer Unter-
schied.
Ich weiß, dass wir das hier im Deutschen Bundestag ge-
meinsam so sehen; dafür bin ich dankbar.
Wir sehen die Verfolgung und Bedrängung von
Christen in Asien und im Nahen Osten. Wir sehen sie
in vielen Ländern dieser Welt. Aber unser Blick wendet
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und verabschieden, konkrete Taten folgen lassen. Die
Mittel, die wir dafür benötigen, werden keine so giganti-
sche Höhe haben, dass wir uns das nicht leisten könnten.
Deshalb rufe ich uns alle auf: Unseren Worten, die wir
heute im Deutschen Bundestag im Zusammenhang mit
dem Bekenntnis zum Menschenrecht auf freie Religions-
ausübung formulieren, müssen wir im nächsten Jahr Ta-
ten folgen lassen.
Ich möchte abschließend noch eine Bitte aussprechen:
Wenn es darum geht, für das Recht auf freie Religions-
ausübung einzutreten, erwarte ich, dass auch diejenigen,
die aus anderen Ländern zu uns gekommen sind und in
unserem Land erfahren, welch großes Geschenk es ist,
seinen Glauben frei leben zu können, und zwar unabhän-
gig davon, welcher Religion man angehört, die erfahren,
welch großes Geschenk es ist, Gebetshäuser bauen zu
können, wissen, dass es auch darauf ankommt, dass sie
selbst für das Menschenrecht der Glaubensfreiheit
eintreten.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Christoph Strässer für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen!
Die Religionsfreiheit ist Gegenstand heftiger Aus-
einandersetzungen geworden, bei denen es sowohl
um die praktische Umsetzung als auch um Grund-
satzfragen geht. Dafür politische Aufmerksamkeit
zu investieren, lohnt sich. Denn als Menschenrecht
zielt die Religionsfreiheit in letzter Konsequenz auf
die wirksame Anerkennung von Würde, Freiheit
und Gleichheit aller Menschen.
Dies ist ein Zitat aus einer kürzlich erschienenen Veröf-
fentlichung von Heiner Bielefeldt, der seit einigen Mo-
naten Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für
Fragen der Religionsfreiheit ist. Ich glaube, diesem Zitat
kann jeder in diesem Hause zustimmen. Es ist gut, dass
wir heute über dieses Thema diskutieren. Auch ich freue
mich über die Anwesenheit der Repräsentanten vieler
christlicher Glaubensgemeinschaften, die ich im Namen
der SPD-Fraktion ganz herzlich begrüße.
Die Freude über diese Tatsache wäre allerdings noch
größer, wenn wir hier auch Angehörige anderer Glau-
bens- und Weltanschauungsgemeinschaften begrüßen könn-
ten. Viele können deshalb nicht hier sein, weil sie wegen
ihres Glaubens verfolgt werden, weil sie inhaftiert sind
und um ihr Leben fürchten müssen, und das allein, weil
sie sich zu einem Glauben bekennen oder für sich in An-
spruch nehmen, nicht zu glauben, keinem Bekenntnis an-
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Ich denke hier insbesondere – darauf möchte ich hin-
eisen – an sieben führende Mitglieder der iranischen
ahai-Gemeinde, deren Aufgabe es ist, die sozialen und
ligiösen Belange der circa 300 000 Bahai im Iran zu
oordinieren. Sie sind seit März 2008 inhaftiert, zum
eil in Isolationshaft im berüchtigten Evin-Gefängnis in
eheran. Sie blieben 20 Monate ohne Anklage in Haft
nd wurden im Juni dieses Jahres nach wenigen Ver-
andlungstagen ohne jegliche Beweise und ohne den
nschein eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu 20 Jah-
n Haft verurteilt.
Die Bahai sind eine kleine Gemeinschaft, eine Ge-
einschaft, die wie kaum eine andere seit ihrer Grün-
ung von den Gedanken der Friedfertigkeit und Toleranz
eleitet wurde. Gerade weil es nur eine vergleichsweise
leine Gruppe ohne große Lobby ist, gilt, dass wir uns
rer Interessen annehmen und um unserer eigenen
laubwürdigkeit willen die uneingeschränkte und re-
ressionsfreie Ausübung ihres Glaubens weltweit einfor-
ern müssen.
Ich freue mich, dass ich auf der Tribüne auch Ange-
örige des Nationalen Geistigen Rates der Bahai in
eutschland sehe. Auch Ihnen ein herzliches Willkom-
en hier im Deutschen Bundestag!
Religionsfreiheit ist – das ist von Ihnen, Herr Kol-
ge Kauder, zu Recht angesprochen worden – ein indi-
iduelles Menschenrecht. Es ist nahezu weltweit im In-
rnationalen Pakt über die bürgerlichen und politischen
echte verbürgt, der seit 1966 von der überwiegenden
ehrzahl der Staaten ratifiziert wurde. Religions- und
eltanschauungsfreiheit ist damit nichts, das von Staa-
n gewährt wird. Nein, es handelt sich um ein Recht,
uf das ein jeder Mensch einen Anspruch hat.
Obwohl dies so ist, können viele Menschen weltweit
ren Glauben nicht frei ausüben. Das hat viele Ursachen
nd Ausprägungen. Es gibt Konflikte und gewalttätige
useinandersetzungen zwischen religiösen Gruppen,
um Beispiel immer wieder zwischen Muslimen und
hristen in Nigeria. In Indien werden christliche Kir-
hen durch hinduistische Fanatiker zerstört, ohne dass
er Staat Schutz gewährt. Das Thema Irak haben Sie be-
9172 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Christoph Strässer
)
)
reits angesprochen. Im Bürgerkrieg in Sri Lanka haben
singhalesische Mönche mit Hetzkampagnen gegen Ta-
milen eine verheerende Rolle gespielt.
Wir weisen darauf hin – das kann man auch nachlesen –,
dass religiös begründete Konflikte und die Verfolgung
religiöser Minderheiten weltweit stark zunehmen. In
über 60 Ländern weltweit ist die Religionsfreiheit stark
eingeschränkt. Doch dabei – auch das möchte ich sagen –
geht es oft nur vordergründig um Religion. Unterschied-
lichste politische Motive, soziale Ungleichheit und kul-
turelle Differenzen bilden zumeist die tatsächlichen Ur-
sachen. Die Leidtragenden sind meist Angehörige
religiöser Minderheiten. Sie werden diskriminiert, ver-
folgt, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt oder sogar
getötet. Das darf uns nicht unberührt lassen. Deshalb bin
ich sehr froh darüber, dass wir heute so umfassend über
dieses Thema diskutieren.
Ich möchte noch ein weiteres Thema ansprechen, das
uns auch in unserer Außenpolitik ein Stück weit angeht.
Es geht um folgende Frage: Wie stehen wir dazu, dass in
bestimmten Staaten, insbesondere islamischer Prägung,
der Religionswechsel unter Strafe steht? Nach unserer
Auffassung – ich glaube, das ist seit vielen Jahren Kon-
sens in den Vereinten Nationen; es gibt einen sogenann-
ten General Comment dazu – ist ein Bestandteil der Reli-
gionsfreiheit die Freiheit, die Religion repressionsfrei zu
wechseln.
In einigen islamischen Staaten, insbesondere in Pakis-
tan, in Saudi Arabien, aber leider Gottes auch in Afgha-
nistan – deshalb habe ich auf unsere Außenpolitik hinge-
wiesen – wird der Abfall vom Islam, die Apostasie,
immer noch mit der Todesstrafe geahndet. Über dieses
Thema sollten wir hier im Deutschen Bundestag disku-
tieren, und darüber hinaus sollte die Bundesregierung in
all ihren Bemühungen, gerade in Afghanistan, dafür sor-
gen – dies ist meine ganz herzliche Bitte –, dass in die-
sen Ländern die unmenschliche Todesstrafe abgeschafft
wird. Sie darf erst recht nicht angewandt werden, wenn
Menschen das tun, was ihnen in weltweiten Vereinba-
rungen zugebilligt worden ist. Das kann nicht sein. Das
müssen wir in unseren internationalen Gesprächen im-
mer wieder anführen.
Ich möchte noch kurz die Gelegenheit nutzen, darauf
hinzuweisen, dass auch in Europa zunehmend über Fra-
gen von Religionsfreiheit und Diskriminierung reli-
giöser Minderheiten gestritten wird. Ich nenne nur ei-
nige Themen: das Tragen der Burka in Belgien, religiöse
Symbole in bestimmten Schulen in Italien, das Tragen
des Kopftuchs an französischen Schulen, also in einem
laizistischen Staat. Ich nenne bewusst auch das Thema
„Volksabstimmung in der Schweiz über ein Minarettbau-
verbot“. Ich weiß, das alles spielt sich auf einem anderen
Niveau ab. Aber ich warne davor, zu denken, dass die
Religionsfreiheit in Europa nicht zur Diskussion steht.
Auch wir streiten. Ich möchte nicht wissen, wie eine
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Vergessen wir indes nicht die Frage der Religions-
eiheit in Europa. Sie ist uns nicht zugefallen, sondern
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9173
Christian Lindner
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sie ist eine zivilisatorische Errungenschaft, um die viele
Generationen und Jahrhunderte gekämpft werden
musste. Meilensteine sind beispielsweise – um nur zwei
zu nennen – der Augsburger Religionsfrieden und die
Weimarer Reichsverfassung.
Paradox ist: Je stärker sich der Staat aus der Reli-
gionspolitik zurückgezogen hat, desto freier waren die
Menschen, ihre Religion zu prägen. Erst als der Staat mit
dem Augsburger Religionsfrieden selbst nicht mehr ge-
tauft war, war es möglich, dass seine Untertanen und
späteren Bürger ihre Konfession selbst frei wählen. Von
zentraler Bedeutung ist, nicht Republik gegen Religion
zu setzen, sondern zu begreifen, dass republikanische
Werte möglicherweise erst die übergreifende Klammer
bilden können, unter der Menschen als freie Individuen
oder als Gemeinden und Gruppen ihren Glauben leben
können.
Von dieser Debatte muss ein Signal nach innen, in die
Innenpolitik Europas – der Kollege hat es angesprochen –,
aber auch in die Welt ausgehen, dass es eben keinen
Konflikt geben darf zwischen Staat und Religion, zwi-
schen republikanischen Werten und religiösen Geboten,
zwischen weltlichem Recht und persönlichen Glaubens-
überzeugungen, sondern dass erst der offene Raum der
Republik den Menschen die Möglichkeit eröffnet, ihren
individuellen Glauben zu stiften und zu leben.
Das ist das Anliegen der Liberalen, einzelner christlicher
Demokraten und vieler anderer mehr.
Wir wollen in diesem Sinne, dass Menschenrechts-
und Entwicklungspolitik, dass unsere auswärtigen Be-
ziehungen Menschenrechte schützen, Menschen das
Recht eröffnet, ihre Religion zu leben. Es ist ein Aus-
weis von Zivilität, ein Ausweis von Reife einer Gesell-
schaft und einer Staatsordnung, wenn sie Menschen in
diesem Sinne Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet.
Wir dürfen uns nicht allein auf freundliche Appelle
beschränken, sondern müssen sie mit dem offensiven
Werben um diese republikanische Qualität verbinden.
Die Menschenrechtsfrage müssen wir mit den unter-
schiedlichen Kontakten, die wir in diese Länder haben,
verbinden, um sicherzustellen: Der einzelne Mensch
braucht diese Freiheit, und es ist ein Gewinn für diese
Gesellschaften, wenn sie sich in dieser Weise innerlich
liberalisieren.
Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Raju
Sharma das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be-
fassen uns heute wieder einmal mit dem weltweiten
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Hören Sie zu; ich werde Ihnen jetzt nämlich sagen, wie
ich das Bundesverfassungsgericht dazu äußert.
Unser höchstes Gericht leitet aus dem Grundgesetz
as Gebot zur Wertneutralität des Staates ab; Religion
nd Staat sollen getrennt sein.
o will es unsere Verfassung, Herr Kauder, und nichts
nderes will die Linke. Mit Religions- oder Kirchen-
indlichkeit hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun.
as Gegenteil ist der Fall.
Wirkliche Religionsfreiheit kann nur in einer multire-
giösen Gesellschaft wie der Bundesrepublik – ich
anke dem Herrn Bundespräsidenten ausdrücklich für
eine klarstellenden Worte –, nur in einem säkularen
taat gelingen. Genauso sieht es auch der UN-Sonderbe-
chterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit, Heiner
ielefeldt, auf den auch Herr Strässer eben verwiesen
9174 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Raju Sharma
)
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hat. Auch Bielefeldt ist überzeugt, dass die klare Tren-
nung von Staat und Religion Voraussetzung für gelebte
Religionsfreiheit ist.
Meine Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie
müssen sich schon entscheiden: Stehen Sie fest auf dem
Boden des Grundgesetzes und treten Sie vorbehaltlos für
wirkliche Religionsfreiheit ein, oder wollen Sie doch lie-
ber eine christliche Staatsreligion?
So lassen es zumindest Ihr Antrag und die heutigen Aus-
führungen Ihres Fraktionsvorsitzenden vermuten.
Ihr Koalitionspartner ist in dieser Frage erfreulich
klar. Wie der Presse zu entnehmen war, lehnt die FDP re-
ligiöse Überzeugungen als Leitbild für gesellschaftliche
Integration ab. Im Gegenteil, der Bezug auf ein christ-
lich-jüdisches Abendland könne sogar als – ich zitiere –
„Ausgrenzungsformel“ verstanden werden. Dem kann
ich nur hinzufügen: Das ist richtig; aber der Konjunktiv
ist überflüssig. Dies ist eine Ausgrenzungsformel und
spiegelt die Haltung großer Teile der Union zu muslimi-
schen Migranten in unserem Land wider.
Ein konservativer Muslim ist schnell als Verfassungs-
feind verdächtig, während fundamentale Christen mit
der größten Nachsicht rechnen können. Wenn Piusbrüder
die Demokratie durch eine Gottesherrschaft ersetzen und
Homosexualität aus dem öffentlichen Leben verbannen
wollen, dann hält die Regierung solche Äußerungen al-
lenfalls für – ich zitiere – „nicht unumstritten“, so nach-
zulesen in einer Antwort auf die Kleine Anfrage der
Grünen.
Der Einsatz der Union für im Ausland verfolgte
Christen ist, allen Beteuerungen zum Trotz, wenig
glaubwürdig. Zwar haben in der ersten Debatte zu die-
sem Thema, die wir im Juli dieses Jahres geführt haben,
gleich drei Redner der Union die verzweifelte Situation
der Christen im indischen Orissa beklagt; als wir aber
nur einen Tag später ein Treffen mit indischen Abgeord-
neten hatten, traute sich kein einziger Unionsvertreter,
dieses Thema anzusprechen. Stattdessen wurden die gu-
ten wirtschaftlichen Beziehungen zwischen unseren
Ländern gelobt; sie sind auch lobenswert. Ich war da-
mals derjenige, der kritische Nachfragen stellen musste
– das habe ich gern gemacht –, und dann fand eine inte-
ressante Diskussion statt. An dieser Diskussion hat die
Union aber nicht teilgenommen. Es waren ja auch keine
Fernsehkameras dabei.
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Nein, meine Damen und Herren von der Koalition,
ir finden Ihren Antrag unglaubwürdig und werden ihm
aher nicht zustimmen.
Aber auch die SPD wäre noch glaubwürdiger, wenn
ie in ihrem eigenen Laden zumindest eine ernsthafte
ebatte über die Trennung von Staat und Religion zu-
ssen würde. Das tut sie aber nicht. Stattdessen hat
igmar Gabriel deutlich gemacht, dass er den Arbeits-
reis der SPD-Laizisten nicht anerkennen wird, und
uch die Katholiken Andrea Nahles und Wolfgang
hierse wollen Laizisten unter dem Dach der SPD lieber
einen Platz einräumen.
Konsequent ist dagegen der Antrag der Grünen. Hier
t der Wille zur vorbehaltlosen rechtlichen Gleichstel-
ng aller Religionsgemeinschaften klar erkennbar –
eltweit, aber genauso in Deutschland und in Europa.
hne diese rechtlich verbindliche Gleichstellung kann es
eine Religionsfreiheit geben. Dann bleibt Religionsfrei-
eit eine leere Phrase, die vom guten Willen der Mächti-
en abhängt.
Ohne Rechte werden religiöse Minderheiten nie den-
elben Status haben wie die Mehrheitsreligion oder auch
ichtreligion. Diskriminierung wird dann immer dro-
en, egal ob es sich um Christen im Irak, Buddhisten in
hina oder Bahai im Iran handelt.
Oder auch um Muslime in Deutschland: Wer bezwei-
lt, dass der Islam eine gleichberechtigte Religion in
nserem Land und in Europa ist, erschwert nicht nur die
tegration der Muslime, sondern der hat auch nicht be-
riffen, dass Religionsfreiheit ein Recht ist, das jedem
enschen gleichermaßen zusteht. Er meint immer noch,
ass es Religionen gibt, die richtiger sind als andere. Er
issversteht religiöse Traditionen als Leitkultur, die für
lle verbindlich ist. Das stimmt aber nicht. Traditionen,
gal welchen Ursprungs, verändern sich. Verbindlich ist
ur das Gesetz. Vor dem müssen alle Religionen gleich
ein.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Tom Koenigs für die
raktion Bündnis 90/Die Grünen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9175
)
)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Religionsfreiheit ist ein unveräußerliches und
unverletzliches Menschenrecht. So steht es in Art. 4 des
Grundgesetzes. Aber nicht nur da. Zum ersten Mal als
Gesetz dokumentiert und in Stein gemeißelt worden ist
die Religionsfreiheit im 6. Jahrhundert vor Christus vom
persischen König Kyros dem Großen. Also ist Reli-
gionsfreiheit nicht nur ein westlicher und schon gar nicht
ein originär christlicher Wert.
Religionsfreiheit ist aber immer ein bedrohtes Men-
schenrecht gewesen, nicht nur im Nahen und Fernen Os-
ten. Die Hälfte der Deutschen ist heute der Meinung,
dass nicht alle Religionsgemeinschaften dieselben
Rechte haben sollten. 42 Prozent der Deutschen finden,
die Ausübung des islamischen Glaubens müsse stark
eingeschränkt werden. Nur jeder vierte Deutsche befür-
wortet den Bau von Moscheen; das sind weniger als in
der Schweiz. Das sind die Ergebnisse einer ganz aktuel-
len repräsentativen Umfrage der Westfälischen Wil-
helms-Universität Münster. Herr Professor Pollack, der
diese Umfrage im Exzellenzcluster der dortigen Univer-
sität begleitet hat, hat uns diese Studie gestern noch ein-
mal vorgetragen.
Breite Teile der deutschen Bevölkerung erkennen die
Religionsfreiheit von mindestens einer religiösen Min-
derheit, dem Islam, also nicht an. Diese Stimmung in
der Bevölkerung muss ernst genommen werden. Sie
muss auch von uns hier ernst genommen werden.
Deshalb darf ein Antrag zur Religionsfreiheit, Herr
Kauder, nicht nur auf das außereuropäische Ausland zei-
gen, sondern muss sich auch mit der gesellschaftlichen
Entwicklung hier bei uns befassen.
Auch in Deutschland muss die Mehrheit verstehen, dass
Minderheiten das gleiche Recht auf Religionsfreiheit ha-
ben.
Unter dem Deckmantel von Gleichberechtigung und
Emanzipation wird gegenwärtig in vielen europäischen
Ländern – es ist schon gesagt worden –, zum Beispiel in
Frankreich, Holland, Belgien und Spanien, ein Kopf-
tuch- oder Burkaverbot gefordert. Das befreit aber
noch nicht einmal die Frauen, denen der Schleier oder
die Burka aufgezwungen worden ist, es verbannt sie al-
lenfalls aus der Öffentlichkeit. In jedem Fall aber ver-
letzt es die individuelle Religionsfreiheit derjenigen Trä-
gerinnen, die diesen Schleier als Ausdruck ihres
Glaubens tragen wollen. Solche Verbote sind reine Sym-
bolpolitik am weiblichen Körper. Freiheit kennt keine
Kleiderordnung.
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Bekleidungsverbote dürfen nicht mit Normen ver-
echselt werden, die Zwang und Nötigung zu bestimm-
n Formen des religiösen Bekenntnisses verbieten.
afür gibt es bei uns schon längst § 240 des Strafgesetz-
uches, also das Verbot der Nötigung.
Religionsfreiheit ist das Recht, seinen Glauben frei zu
ekennen oder auch zu verbergen. Wer also zum Bei-
piel seine Tochter zwingt, ein Kopftuch zu tragen, oder
ie zwingt, es nicht zu tragen, obwohl sie es will, der
ergeht sich an diesem Recht. Religionsfreiheit ist ein
chutzrecht für Religion und vor Religion. Beide Rechte
üssen gekannt und durchgesetzt werden.
Die Diskussionen über die Religionsfreiheit sind in
eutschland untrennbar mit der Integrationsdebatte
erbunden, die wir gerade führen. Integration setzt Reli-
ionsfreiheit voraus. Die Bundeskanzlerin hat an diesem
ult gesagt, Multikulti sei gescheitert. Ich weiß nicht,
as sie damit meint, ob sie also zum Beispiel meint, die
lurale Gesellschaft sei gescheitert. Das wäre eine gro-
ske These. Denn das multikulturelle Deutschland ist
ine Realität. Nichts anderes hat der Bundespräsident
esagt – und er hat recht –: Auch der Islam gehört heute
u Deutschland.
Diese Zustandsbeschreibung darf man nicht mit der
ufgabe der Integration verwechseln. Diese Aufgabe
aben nicht nur die Migranten, sondern auch die Integra-
ons- oder Einwanderungsgesellschaften. Das zu erken-
en und anzuerkennen fällt in Deutschland immer noch
ielen schwer. Ein Einwanderungsland wider Willen
ollte sich nicht über widerwillige Einwanderer wun-
ern.
eshalb ist es beunruhigend, dass ein antimuslimischer
ffekt heute in vielen Ländern der Europäischen Union
nd in Deutschland zur zentralen Ausdrucksform von
remdenangst geworden ist.
Das Menschenrecht auf Religions- und Glaubensfrei-
eit verlangt nicht die religiöse Neutralisierung, sondern
ie religiöse Vielfalt und Gleichberechtigung. Wer diese
icht akzeptiert, wäre selbst im persischen Reich des
önigs Kyros dem Großen vor 2 500 Jahren politisch
nd moralisch nicht auf dem Stande der Zeit gewesen.
Vielen Dank.
9176 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
)
)
Nächster Redner ist der Kollege Johannes
Singhammer für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir wollen uns in dieser Debatte für die Rechte
der Menschen in aller Welt einsetzen, die wegen ihrer re-
ligiösen Überzeugung verfolgt, eingesperrt, gefoltert
oder gar getötet werden, und wir wollen denen eine
Stimme geben, die verstummt sind, weil sie in Gefäng-
nissen eingesperrt sind, weil ihre Existenz verschwiegen
wird oder weil ihr Schicksal vertuscht werden soll.
Herr Kollege Koenigs, während wir in Bezug auf die
Religionsfreiheit vergleichsweise in einem Paradies le-
ben,
leben viele Menschen, vor allem Christen – beispiels-
weise im Irak –, eher in einer Hölle. Fast 70 Prozent der
Menschen auf unserem Planeten in 64 Ländern kennen
Religionsfreiheit nicht oder allenfalls nur sehr einge-
schränkt. Deshalb ist es unsere Aufgabe, die Aufgabe
der freien Nationen, mit Diplomatie und mit Nachdruck
für die Religionsfreiheit einzutreten, die wir mittlerweile
als selbstverständlich ansehen.
Religionsfreiheit ist unteilbar und nicht auf bestimmte
Glaubensrichtungen beschränkt. Eine Religionsgemein-
schaft leidet weltweit aber besonders unter Verfolgung,
nämlich die Christen. Deshalb wollen wir das hier auch
ganz besonders ansprechen.
Immer neue Schreckensnachrichten ereilen uns. Am
31. Oktober 2010 sind in der irakischen Hauptstadt
Bagdad 51 Gläubige und 3 Priester zu Tode gekommen.
Islamistische Terroristen hatten sich in der syrisch-ka-
tholischen Kirche mit 120 Geiseln verschanzt. Sicher-
heitskräfte stürmten das Gotteshaus mit schrecklichen
Folgen.
Koptische Christen in Ägypten werden diskriminiert
oder fürchten gar um ihr Leben. In Pakistan schlägt das
Schicksal der Christin Asia Bibi, einer fünffachen Mut-
ter, hohe Wellen. Sie wurde zum Tode verurteilt, weil sie
– in Bedrängnis – ihrem Glauben nicht abschwören
wollte.
Auch befreundete Nationen – das darf man hier eben-
falls ansprechen – sind teilweise nicht in der Lage, Reli-
gionsfreiheit zu garantieren. Ich meine die Türkei. Der
vor kurzem fertiggestellte Fortschrittsbericht der EU-
Kommission, der jedes Jahr fortgeschrieben wird, ergibt
für das Jahr 2010 Folgendes: Muslimischer Religionsun-
terricht ist zwingend; keine Änderung seit den Jahren
2007, 2008 und 2009. Die seit 1971 verbotene Ausbil-
dung von Priestern für die orthodoxe Kirche ist auch im
Jahr 2010 nicht möglich.
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Für die Beitrittsverhandlungen zwischen der Euro-
äischen Union und der Türkei muss gelten: Bevor wei-
re Kapitel eröffnet werden, muss eingehend geprüft
erden, ob bei der Gewährung von Religionsfreiheit, die
on allen hier zu Recht angemahnt wird, Fortschritte,
nd zwar nachprüfbare Fortschritte, gemacht worden
ind.
Ich danke an dieser Stelle ebenfalls dem Bundes-
ußenminister, weil er in Gesprächen mit der irakischen
egierung deutlich gemacht hat, welche Bedeutung die
undesrepublik Deutschland dem Schutz religiöser Min-
erheiten, gerade auch der christlichen Minderheiten
eimisst. Das ist notwendig.
Es macht uns Sorge, dass gerade in den Ländern, in
enen eine große Präsenz von Streitkräften aus westli-
hen Ländern vorhanden ist – das betrifft auch Afghanis-
n, wo unsere Bundeswehrsoldaten Dienst tun –, gleich-
ohl von einer Realisierung der Religionsfreiheit keine
ede sein kann. Deshalb muss es unser Anliegen sein,
ns in den Ländern, wo wir selbst entsprechende Mög-
chkeiten haben, dafür einzusetzen, dass die Religions-
eiheit umgesetzt wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Weihnach-
n ist ein Fest des Friedens. Die Botschaft, die von
eihnachten ausgeht, richtet sich an alle Menschen: Der
riede sei mit euch. Das betrifft aber insbesondere dieje-
igen, die christlichen Glaubens sind und die unter einer
nfriedlichen Umgebung leiden. Ihnen senden wir die
otschaft zu: Wir wollen uns für euch einsetzen, damit
er Friede auch zu euch kommt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9177
Johannes Singhammer
)
)
Das Wort hat nun die Kollegin Angelika Graf für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Auch ich bedanke mich bei den auf der Tribüne versam-
melten Vertretern der christlichen Kirchen, aber auch bei
den Vertretern anderer Religionsgemeinschaften, die
heute hier bei uns sind und dieser Debatte folgen, für Ihr
Kommen. Sie belegen eindrucksvoll die Vielfalt der Re-
ligiosität in Deutschland und darüber hinaus und die
Wichtigkeit der Debatte, die wir heute führen.
Ein Schwerpunkt der Koalition bei dieser Debatte
liegt auf dem Thema Christenverfolgung. Wikipedia
definiert diesen Begriff als „die systematische gesell-
schaftliche und/oder staatliche Benachteiligung und
existenzielle Bedrohung von Christen aufgrund ihres
Glaubens“. Der Antrag der Koalition beschreibt ebenso
wie unser Antrag die schwierige Situation vieler gläubi-
ger Christen in vielen Teilen der Welt. Die Verfolgung
von Menschen aufgrund ihres Glaubens beschäftigt uns
im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundesta-
ges, seit es diesen Ausschuss gibt; denn das Recht, die
eigene religiöse Überzeugung ohne Behinderung oder
Verfolgung ausüben zu können, ist eines der wichtigsten
Menschenrechte, wobei es fast unnötig ist, hinzuzufü-
gen, dass die Definition von Wikipedia selbstverständ-
lich nicht nur für die Christen, sondern auch für alle an-
deren Religionen auf dieser Welt gilt.
Verfolgung wegen der Religion ist ein weltweites
Phänomen; dies wurde schon dargestellt. Christen wer-
den im Iran, in Indien, China und vielen anderen Teilen
der Welt verfolgt, Muslime ebenfalls in Indien, China
und anderen Regionen. Die Bahai, auf deren Situation
mein Kollege Strässer schon sehr ausführlich eingegan-
gen ist, gehören zu den am stärksten verfolgten Religio-
nen in dieser Welt. Die Jesiden haben ebenfalls ein
schwieriges Leben im Iran. In Afghanistan haben Chris-
ten und Hindus mit vielen Einschränkungen und massi-
ver Verfolgung zu rechnen. Die Liste ließe sich unend-
lich fortsetzen.
Ich unterstreiche ausdrücklich, dass sich die Türkei
auf dem Weg nach Europa verändern muss, was die An-
erkennung auch des christlichen Glaubens, der Ausbil-
dung von Christen in der Türkei, den Bestand der Klös-
ter in Tur Abdin und dergleichen anbetrifft. Dies ist
unglaublich wichtig.
Weil sich die Situation vieler Menschen unterschiedli-
cher Religionen so gleicht, denken wir, dass der Antrag
der Koalition mit seinem Hauptfokus auf der Christen-
verfolgung und der mangelnden Religionsfreiheit außer-
halb Europas zu kurz greift, wobei ich herzlich darum
bitte, nicht inflationär mit dem Topos „Verfolgung“ um-
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Ich komme nun zur Situation der Christen im Irak;
err Kauder, Sie sind darauf eingegangen. Der Besuch
it Außenminister Westerwelle Anfang Dezember in
agdad, an dem die Kollegin Granold und ich teilge-
ommen haben, hat deutlich gemacht, dass manche
aßnahme, zum Beispiel die gezielte Aufnahme von
hristen in Deutschland und in Europa, von den christli-
hen Repräsentanten vor Ort eher skeptisch gesehen
ird. Einhellig haben uns alle hohen Würdenträger der
nterschiedlichen christlichen Kirche im Irak gebeten,
uf derartige Programme und Aktionen nur für Christen
ünftig zu verzichten, und betont, es sei wichtiger, auf
ie Regierung im Irak einzuwirken, dass die Menschen
ort bleiben können. Dies ist bei dieser Reise auch ge-
chehen. Ich freue mich sehr über die Zusage der iraki-
chen Regierung, die Christen künftig besser zu schüt-
en.
In unserem Antrag halten wir fest: Religionsfreiheit
t ein universell geltendes individuelles Menschenrecht,
as neben dem Freiheitsrecht auch ein Gleichheitsrecht
ller Menschen ist, das sich aus der gleichen Würde aller
enschen ableitet. Nutznießer sind nicht Religionen – das
t schon gesagt worden –, sondern die Menschen, unab-
ängig von ihrer religiösen und weltanschaulichen Über-
eugung. Wir dürfen deshalb nicht vergessen, uns mit
er Situation im eigenen Land und der Situation in der
uropäischen Union auseinanderzusetzen.
Weihnachten ist – Herr Singhammer hat das ange-
prochen – ein Fest des Friedens. Ich mache mir zum
eispiel Sorgen um die Zukunft unserer vielfältigen Ge-
ellschaft, wenn in einem Weihnachtspfarrbrief einer
atholischen Kirchengemeinde in meinem Wahlkreis vor
em Islam, der uns „die vielen Einwanderer gebracht
at“, als einer „Religion der Macht“ gewarnt wird, wenn
ort auf muslimische Eroberungswellen hingewiesen
ird und die Kreuzzüge bemüht werden. Das kann man
o nicht stehen lassen. Da hilft es auch nicht, wenn der
farrer dann ein „gesegnetes, liebereiches neues Jahr“
ünscht.
Dazu passt, dass – Herr Koenigs hat das schon ange-
prochen – in einer brandneuen wissenschaftlichen Stu-
ie der Universität Münster zur religiösen Vielfalt in
9178 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Angelika Graf
)
)
der Gesellschaft der Verfasser, Herr Professor Dr. Detlef
Pollack, berichtet, dass nur 34 Prozent der Menschen im
Westen Deutschlands und nur 26 Prozent der Bürger im
Osten positiv über Muslime denken. In den Niederlan-
den, Frankreich und Dänemark sind diese Zahlen fast
doppelt so hoch, obwohl wir misstrauisch beobachten,
welche politischen Strömungen sich dort entwickeln.
Der Aussage, religiöse Vielfalt sei bereichernd, stimmt
nur die Hälfte der bundesdeutschen Befragten zu. Das ist
ebenso erschreckend wie ein Minarettverbot in der
Schweiz. Es sind Hinweise darauf, dass auch wir uns
hier in Deutschland mit dem Thema Religions- und
Glaubensfreiheit noch intensiver befassen müssen, übri-
gens unter Einbeziehung der hier lebenden Muslime und
religiöser Minderheiten.
Wichtig ist hierbei für mich, dass der Glaube Privat-
sache ist und keinesfalls über dem Recht steht und dass
man den Glauben und den Nichtglauben des anderen vor
diesem Hintergrund akzeptiert und achtet. Dazu gehört
auch, dass jeder erst einmal vor seiner eigenen Tür kehrt
– ich verweise auf den eben erwähnten Pfarrbrief –, dass
man den Balken im eigenen Auge sucht, bevor man sich
mit dem Splitter im Auge des anderen befasst.
Wenn wir das beherzigen und die politischen Weichen
in diese Richtung stellen, dann sind wir auf einem guten
Weg. Dazu leisten wir mit unserem Antrag einen guten
Beitrag. Ich fordere Sie auf: Stimmen Sie unserem An-
trag zu!
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Pascal
Kober.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das weltweite entschiedene Eintreten für das Menschen-
recht auf Religionsfreiheit ist Kennzeichen der werte-
gebundenen und wertegeleiteten Außenpolitik unseres
Landes und dieser Regierung. Als christlich-liberale
Koalition haben wir uns in unserem Koalitionsvertrag
verpflichtet, dem Menschenrecht auf Religionsfreiheit in
dieser Legislaturperiode ein besonderes Augenmerk zu
widmen, und das nicht ohne Grund.
Meine Vorredner haben die Zahlen schon genannt.
Fast 70 Prozent der Weltbevölkerung leben in Ländern,
in denen das Menschenrecht auf Religionsfreiheit ein-
geschränkt ist oder überhaupt nicht anerkannt wird. In
manchen Gegenden Indiens werden Christen und Mus-
lime unterdrückt und Opfer von gewalttätigen Aus-
schreitungen. In der Türkei wird der Bau von Kirchen
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, was die Religions-
eiheit, für die wir weltweit im Rahmen unserer kohä-
enten und wertegeleiteten Außenpolitik eintreten,
ber nicht meint und was die Toleranz unter den Religio-
en und Weltanschauungen, die wir einfordern, nicht
eint, ist eine relativistische Toleranz oder Religions-
eiheit, die der Frage nach der Gültigkeit von Werten
nd die, wenn man so will, der Wahrheitsfrage aus-
eicht. Denn wem alles gleich gültig ist, dem ist am
nde auch alles gleichgültig. Das aber ist das genaue
egenteil einer wertegebundenen und wertegeleiteten
ußenpolitik und das genaue Gegenteil der Idee univer-
ell gültiger und unveräußerlicher Menschenrechte.
Das Konzept der Religionsfreiheit, für das wir als
hristlich-liberale Koalition weltweit eintreten, ist das
onzept einer Toleranz, die nicht alles für richtig hält
nd auch nicht jedem recht gibt. Wer beispielsweise un-
r dem Deckmantel der Religionsfreiheit anderen an-
ere Grundrechte vorenthalten möchte, hat mit unserem
ntschiedenen Widerspruch zu rechnen. Religionsfrei-
eit gibt es für uns nur innerhalb des Rahmens der für
lle gültigen und universellen und unteilbaren Men-
chenrechte.
Was wir mit unserer wertegeleiteten Außenpolitik von
llen Religionen und Weltanschauungen einfordern, ist
egenseitige Toleranz, aber keine Toleranz, die dem Dia-
g um Wertefragen ausweicht, sondern eine Toleranz,
ie den Dialog um die Wahrheit und Gültigkeit von Wer-
n, die den Dialog um die Weise eines friedlichen
usammenlebens aller sucht, und zwar innerhalb der
riedensordnung, und die jedem die unveräußerlichen
enschenrechte gewährt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9179
Pascal Kober
)
)
Vielen Dank.
Die Kollegin Annette Groth ist nun die nächste Red-
nerin für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Wir ha-
ben das schon von verschiedenen Rednerinnen und Red-
nern gehört: Die Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht,
und wir sind alle aufgerufen, dieses durchzusetzen – auch
bei uns.
Da gibt es viel zu tun. Denn in der letzten Zeit häufen
sich die Anschläge auf Moscheen in Deutschland; letzte
Woche gab es zwei in Berlin. Die Stimmung gegen den
Islam wird angeheizt; etliche Rednerinnen und Redner
haben schon darauf hingewiesen.
Aber die Politik muss sich gegenüber Religionen und
Weltanschauungen neutral verhalten. Ihr Antrag, ver-
ehrte Kolleginnen und Kollegen von der Regierungsko-
alition, fokussiert sich aber einseitig auf den Schutz
christlicher Minderheiten. Gerade in einem interkulturel-
len Land wie Deutschland mit verschiedenen Religionen
und Weltanschauungen und einer großen Zahl von Athe-
istinnen und Atheisten ist das aber ausgesprochen pro-
blematisch.
Das sage ich ganz bewusst als evangelische Christin
mit zwanzigjähriger Erfahrung in kirchlichen Einrich-
tungen. Wie Heiner Bielefeldt – er wurde heute schon
öfter zitiert – bei der Anhörung zur Religionsfreiheit
treffend gesagt hat: Eine europäische Identität, die sich
in Abgrenzung zum Islam versteht, läuft auf Marginali-
sierung und Diskriminierung von Teilen der europäi-
schen Bevölkerung hinaus. – Das geht nicht.
4 Millionen Menschen muslimischen Glaubens leben
bei uns in Deutschland. Es ist unsere Aufgabe, die Betei-
ligungsrechte der Muslime entsprechend unserem ho-
hen verfassungsrechtlichen Anspruch besser auszuge-
stalten. Diesbezüglich gibt es großen Handlungsbedarf,
etwa im Religionsunterricht an Schulen und bei den öf-
fentlich-rechtlichen Medien.
Wir müssen viel stärker den interkonfessionellen und
interkulturellen Dialog suchen, wie er weltweit in öku-
menischen Begegnungen, in vielen Moscheen und Kir-
chen praktiziert wird. Es widerspricht dem Gedanken
der Toleranz, Muslime in Deutschland für die Diskrimi-
nierungen von Christinnen und Christen im Nahen Osten
in Geiselhaft zu nehmen.
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Mit den gleichen Argumenten wie für das Minarett-
erbot lassen sich alle Formen islamischer Präsenz im
ffentlichen Raum verbieten. Mit dem Minarettverbot
erden die Grundrechte einer Minderheit zur Disposi-
on gestellt. Das darf nicht sein.
Etliche Vorrednerinnen und Vorredner haben gesagt:
ie Angst vor dem Islam muss man ernst nehmen. – Das
timmt. Diese Ängste werden in der Bevölkerung aber
um Teil gezielt geschürt.
ir sollten alles dafür tun, diese Ängste abzubauen, in-
em wir soziale und kulturelle Konflikte konkret anspre-
hen; denn durch Diskriminierungen und Verbote wer-
en sie nicht gelöst.
Aufgabe einer verantwortungsbewussten Politik ist
uch, die Ängste der muslimischen Bevölkerung zu
ematisieren. Wenn eine Schweizer Partei auf ihre offi-
ielle Internetseite ein Onlinespiel stellt, bei dem man
ame abschießen kann, wird deutlich, dass es nicht nur
Islam ein Problem mit Hasspredigern gibt. Diese kul-
relle Ideologisierung als westliche Spielart des Funda-
entalismus ist zu einer politischen Herausforderung in
uropa geworden, wie das Erstarken rechtspopulisti-
cher Parteien europaweit zeigt.
In vielen Ländern des Nahen Ostens haben wir es mit
utoritären Regimes zu tun, die die Religion zur Recht-
rtigung von Unterdrückung missbrauchen. Betroffen
on Diskriminierung sind auch, aber nicht nur christli-
he Minderheiten. Im Iran zum Beispiel wurden auch is-
mische Gelehrte umgebracht, die sich den Dogmen der
errschenden widersetzt haben oder sie nur kritisch in-
age stellten. Im Irak – das wurde auch schon angespro-
hen – sind religiöse Gruppen, aber auch zum Beispiel
omosexuelle, die keine Schutzmacht hinter sich haben,
erfolgung und Angriffen ausgesetzt.
Problematisch ist daher, wenn wir in Deutschland die
evorzugte Aufnahme von christlichen Flüchtlingen aus
em Irak fordern. Über ein Asylgesuch von politisch
erfolgten muss aufgrund der individuellen Notlage und
chutzbedürftigkeit und darf nicht qua Religionszugehö-
gkeit entschieden werden.
9180 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Annette Groth
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)
Frau Graf hat schon darauf hingewiesen: In Ägypten
werden Kopten diskriminiert. Systematisch werden aber
die Bahai verfolgt. Der Staat spielt die verschiedenen re-
ligiösen und sozialen Gruppen gegeneinander aus. Die
zunehmende Beschneidung wesentlicher Freiheits- und
Bürgerrechte in Ägypten ist alarmierend. Wir haben es
gesehen. Die letzten Parlamentswahlen haben das ein-
drücklich gezeigt.
Auch von Bündnispartnern wie Ägypten und Saudi-
Arabien müssen wir den Schutz der Menschenrechte und
der Religionsfreiheit einfordern. Angesichts ihrer Rolle
im „Kampf gegen den Terrorismus“ hält sich die deut-
sche Außenpolitik hier aber zurück.
Achten Sie bitte auf die Redezeit, Frau Kollegin.
Letzter Satz. – Doppelstandards bei der Durchsetzung
der Menschenrechte und der Religionsfreiheit lehnt die
Linke entschieden ab.
Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Volker Beck für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ko-
alition, SPD und Grüne haben Anträge zu dieser Debatte
vorgelegt. Wir werden dem Antrag der Koalition zustim-
men,
weil er viel Wahres enthält, aber wir haben einen Ände-
rungsantrag gestellt – darin werden mehrere Änderungen
vorgeschlagen –, weil er eben nur die halbe Wahrheit
enthält.
Das Problem bei Ihrem Ansatz, meine Damen und
Herren von der Koalition, ist die Fokussierung auf die
verfolgten Christen.
Bei dem Grundanliegen sind wir an Ihrer Seite; wir wol-
len aber stärker deutlich machen, dass es um die Verfol-
gung aller Glaubensrichtungen geht. Überall da, wo
Menschen wegen ihrer Glaubensüberzeugung, ihres
Glaubenswechsels oder ihrer Missionstätigkeit verfolgt
werden, müssen wir aufstehen und die Freiheit dieser
Menschen verteidigen – ohne Ansehen des Bekenntnis-
ses.
Ich glaube, wir leisten den verfolgten Christen in aller
Welt eigentlich einen Bärendienst, wenn wir den Ein-
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iese Freiheit müssen wir verteidigen. Wir können sie
ber glaubwürdig nur verteidigen, wenn wir das in Be-
ug auf jede Glaubensüberzeugung tun und nicht nur aus
er christlichen Missionsperspektive.
Ich möchte einen anderen Punkt ansprechen, der in
rem Antrag völlig fehlt. Zur Glaubensfreiheit gehö-
n drei wesentliche Elemente: die individuelle Glau-
ensfreiheit – die Freiheit, seiner Überzeugung gemäß
ben zu können –, die kollektive Glaubensfreiheit – die
reiheit, seine Religion als Glaubensgemeinschaft ge-
einsam ausüben und öffentlich leben zu können –, aber
uch die negative Glaubensfreiheit – nicht glauben zu
üssen, was die Mehrheit in einem Land glaubt. Da ha-
ert es in Ihrem Antrag.
Das ist ganz entscheidend mit Blick auf die Verfol-
ung von Christen in mehrheitlich muslimischen Gesell-
chaften; denn dort geht es genau darum, dass diese
hristen nicht dem Islam gemäß leben müssen, nur weil
ie in einer mehrheitlich islamischen Gesellschaft leben.
enn wir diese negative Glaubensfreiheit schon in unse-
r Debatte unterbelichten, müssen wir uns nicht wun-
ern, wenn sie auch in anderen Ländern unterbetont
ird.
Meine Damen und Herren, ich will auf die Türkei zu
prechen kommen. Wir führen ja Beitrittsverhandlungen
it der Türkei. Die Türkei respektiert nach dem Lausan-
er Vertrag nur zwei christliche Glaubensgemein-
chaften, nämlich die griechisch-orthodoxe und die
rmenisch-apostolische Kirche, und die jüdische Glau-
ensgemeinschaft. Die Protestanten und Katholiken
erden dort offiziell nicht anerkannt. Die Ausbildung
on Pfarrern ist nicht möglich. Die Einreise von Pfarrern
us dem Ausland wird erschwert, auch von Pfarrern der
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9181
Volker Beck
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)
orthodoxen Kirche. Das dürfen wir der Türkei als einem
befreundeten Land nicht durchgehen lassen.
Wir müssen deutlich machen: Wir fordern gleiche
Rechte für die Christen in der Türkei.
Aber wir fordern selbstverständlich auch gleiche
Rechte für die Aleviten; sie sind keine Christen. Sie bil-
den die größte religiöse Gruppe neben dem sunnitischen
Islam in der Türkei.
Wir verlangen von der Türkei auch, dass die Cem-Häu-
ser mit den Moscheen gleichgestellt werden und die
Zwangsassimilierung an den sunnitischen Islam von ale-
vitischen Kindern in der Schule aufhört, wie das auch
der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte von
Ankara gefordert hat.
In vielen muslimischen Ländern, zum Beispiel im
Iran oder auch in Ägypten, sehen wir, dass die Hauptlast
der Verfolgung nicht die christlichen Religionen und
Kirchengemeinschaften trifft, sondern die Bahai; denn
aus Sicht des Islam darf nach Mohammed kein neuer
Prophet, kein Glaubensgründer auftreten. Mit den klassi-
schen Buchreligionen, dem Judentum und dem Christen-
tum, kommt der Islam schon im Koran zurecht, weil sie
als Vorläufer des Islam gelten. Aber die Bahai, die mit
Bab und Bahaullah einen Glaubensgründer aus dem
19. Jahrhundert haben, werden massiv verfolgt. Wir wa-
ren auf Anregung der CDU/CSU-Fraktion – Frau
Granold sitzt da – in Ägypten und haben uns auf die Su-
che nach den verfolgten koptischen Christen gemacht.
Was wir gefunden haben, waren in der Tat diskriminierte
koptische Christen, aber auch massiv verfolgte Bahai,
Oppositionelle, Blogger und Journalisten. Wir dürfen
nicht immer nur bei den Christen laut aufschreien und
bei den anderen wegschauen.
Ein Bahai in Ägypten hat keinen zivilen Status. Er kann
keine Urkunden vorweisen und hat kein Bankkonto, er
kann keine Verträge abschließen, seine Kinder nicht zur
Schule schicken und keine Sozialversicherung abschlie-
ßen. Das ist eine Vernichtung der sozialen individuellen
Existenz aus Glaubensgründen, und dagegen müssen wir
massiv aufstehen.
In Ihrem Antrag steht etwas zu Ägypten, aber nur zu
den koptischen Christen.
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Ich werbe wirklich darum, dass wir hier den Fokus
eu ausrichten, dass wir die Verfolgung der Christen in
ller Welt im Rahmen der religiösen Verfolgung insge-
amt thematisieren. Dann sind wir glaubwürdig. Und
enn wir glaubwürdig sind, können wir mehr für die
erfolgten Glaubensbrüder und -schwestern erreichen,
ls wenn wir uns, innenpolitisch motiviert, allein auf die
hristenverfolgung kaprizieren.
Das Wort hat nun die Kollegin Erika Steinbach für die
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
gen! Verehrte und liebe Gäste auf der Tribüne aus vie-
n Ländern, in denen Menschen religiös verfolgt wer-
en! Herr Kollege Beck, es wäre gut, wenn Sie ihre
cheuklappen ablegen und unseren Antrag richtig durch-
sen würden.
Wir sind für die vollständige Religionsfreiheit.
as kann uns aber nicht an der klaren Erkenntnis hin-
ern, dass Christen die weltweit am intensivsten ver-
lgte religiöse Gemeinschaft sind.
Meine Vorredner haben sich überwiegend mit der Re-
gionsfreiheit in Deutschland beschäftigt, die hier Not
ide. Dazu sage ich deutlich: In Deutschland gibt es Re-
gionsfreiheit. Jeder kann hier seinen Glauben frei le-
en. Der Staat schützt die Religionsfreiheit. Wenn es
bergriffe in der einen oder anderen Form gibt, dann ist
as strafbar. Die Menschen werden bestraft, wenn sie ei-
em anderen etwas zuleide tun. Das ist bei uns nicht ge-
tattet.
Wer sich beim Thema Religionsfreiheit primär mit
nseren deutschen Verhältnissen beschäftigt, der will be-
usst ausblenden, was sich um uns herum weltweit tut.
In genau einer Woche feiern wir den Heiligen Abend.
iele Hundert Millionen Christen in aller Welt wollen
9182 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Erika Steinbach
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ihn auch feiern. Aber wir müssen eines erkennen: Nicht
alle Christen haben die Möglichkeit, das Weihnachtsfest
in Ruhe und auch in Frieden zu begehen. „Weihnachten
ist die Botschaft von Hoffnung und Frieden. Beides ha-
ben wir verloren“, sagte der irakische Christ Abdullah
al-Naufali aus Bagdad. Er hat diese Befürchtung nicht
ohne Grund, wie er sagte: „Die meisten Gläubigen bei
uns im Irak werden sich nicht in die Weihnachtsmetten
wagen.“
Über 100 Millionen Christen weltweit sind wegen ih-
res Glaubens von Misshandlung, Tod, Gefängnis oder
massiver Diskriminierung bedroht. Wenn man sagt: „In
Ägypten gibt es ja nur Diskriminierung von Christen“,
dann halte ich das für ein Kleinreden von Problemen.
Wenn wir Menschen in Deutschland so diskriminieren
würden, möchte ich den einen oder anderen meiner Vor-
redner dazu hören. Dann wäre einiges los im Lande.
Keine andere Religionsgemeinschaft wird intensiver
verfolgt. Das zeigen die dramatischen Vorfälle in den
letzten Monaten und Jahren, die wir im Menschenrechts-
ausschuss behandelt haben.
Ich spreche keiner Kollegin und keinem Kollegen der
anderen Fraktionen ab, dass es auch ihnen am Herzen
liegt, diese Dinge nicht einfach hinzunehmen. Wir haben
den Tod der 50 irakischen Christen in Erinnerung. Sie
waren Geiseln islamischer Fundamentalisten in einer sy-
risch-orthodoxen Kirche. Ein irakischer Bischof sagte
heute beim Frühstück: „Wer nicht weiß, was die Hölle
ist, der soll zu uns in den Irak kommen. Bei uns ist die
Hölle.“ Der Bischof ist anwesend; er sitzt auf der Tri-
büne.
Das müssen wir registrieren. Aus unserer Warte, aus
einem sicheren Hort kann man manches beiseite wischen
und darüber hinwegsehen.
Die Zahl der im Irak lebenden Christen betrug vor
20 Jahren noch 1,4 Millionen. Im Jahr 2003 waren es
noch 800 000. Heute sind es weniger als 200 000 Men-
schen christlichen Glaubens, die es noch wagen, im Irak
zu leben.
Im indischen Bundesstaat Orissa wurden zwischen
2007 und 2009 rund 50 000 Christen vertrieben oder er-
mordet. Auch in der jüngsten Zeit gab es wiederholt
Übergriffe gegenüber Christen.
Auch nach Pakistan schauen wir mit Besorgnis. Die
Christin Asia Bibi – der Kollege Singhammer hat schon
darauf hingewiesen – soll wegen Blasphemie gehängt
werden, weil sie Mohammed mit Jesus verglichen hat.
Noch steht die Vollstreckung zwar aus; aber die pakista-
nische Regierung steht durch islamische Kräfte unter
enormem Druck, dieses Urteil tatsächlich zu vollstre-
cken.
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tät mit den Menschen, die wegen ihrer Religionszugehö-
rigkeit verfolgt und unterdrückt werden und um ihr Le-
ben bangen. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion
stehen an der Seite aller Menschen, die um ihres Glau-
bens willen verfolgt werden. Wir sehen aber in dieser
Adventszeit mit Sorge die Situation der Christen, die
dieses Fest der Liebe begehen möchten. Ich grüße von
hier aus alle Christen, die auf ein friedvolles Weih-
nachtsfest hoffen, von ganzem Herzen. Ich wünsche ih-
nen und allen Menschen ein friedvolles Weihnachtsfest.
Nächster Redner ist der Kollege Dietmar Nietan für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Religion ist keineswegs Privatsache; aber für jeden gläu-
bigen Menschen ist sein Glaube etwas ganz Persönli-
ches, etwas, das sein Sein in der Welt zutiefst prägt, ein
konstitutives Element seiner Persönlichkeit. Deshalb ist
Religionsfreiheit für mich nicht irgendein Menschen-
recht; Religionsfreiheit ist in jeder Hinsicht ein grundle-
gendes Menschenrecht.
Religionsfreiheit ist wie alle Menschenrechte ein
universelles Menschenrecht. Wer Menschenrechtsverlet-
zungen im Bereich der Religionsfreiheit nach Glaubens-
richtung, Anzahl der Betroffenen, handelnden Staaten
oder politischen Systemen unterschiedlich wertet, ist aus
meiner Sicht auf dem besten Weg, die Axt an den uni-
versellen Charakter dieses Menschenrechts anzulegen.
Wer ein besonderes Augenmerk auf Menschenrechtsver-
letzungen gegenüber Angehörigen einer bestimmten Re-
ligion legt, schwächt sein eigenes Anliegen, obwohl es
ein sehr ehrenwertes Anliegen ist. Jeder Mensch, dessen
Würde mit Füßen getreten wird, muss uns gleich wichtig
sein. Er hat unsere Solidarität genauso verdient, wenn er
wegen eines Glaubens verfolgt wird, den wir möglicher-
weise ganz und gar nicht teilen.
Warum betone ich diese Art von Solidarität? Ich be-
tone das, weil ich glaube, dass wir nur mit dieser Art von
Solidarität gerade auch mit Andersdenkenden all denje-
nigen in der Welt entgegentreten können, die unseren
Einsatz für die Durchsetzung der Menschenrechte gerne
als Herrschaftsinstrument des Westens diskreditieren
wollen, um sich so aus der Verantwortung zu stehlen.
Als Christ fühle ich mich meinen verfolgten Mit-
schwestern und Mitbrüdern in besonderer Weise verbun-
den. Trotzdem halte ich es für falsch, ein besonderes Au-
genmerk auf die Lage der christlichen Minderheiten zu
legen, wie es der Koalitionsantrag tut. Damit Sie mich
nicht falsch verstehen: Ich habe die Einbringung dieses
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h finde aber, dass wir gerade auch den verfolgten
hristinnen und Christen am besten helfen, wenn wir je-
er Menschenrechtsverletzung gegenüber jeder religiö-
en Minderheit die gleiche Aufmerksamkeit zuteilwer-
en lassen.
as macht uns nämlich am Ende glaubwürdiger. Für
ich ist Glaubwürdigkeit eine der wichtigsten Waffen
Kampf für die Menschenrechte.
Zur Glaubwürdigkeit gehört für mich allerdings auch,
ass wir den deutlichen Gefährdungen der Religions-
eiheit im eigenen Land klare Worte entgegenstellen.
amit ich auch da richtig verstanden werde: Natürlich
eiß ich, dass wir hier über Gefährdungen der Reli-
ionsfreiheit reden, nicht von massiven Verfolgungen
der Diskriminierungen, wie sie in anderen Ländern auf-
eten. Ich glaube aber, niemand von uns will hier ernst-
aft behaupten, dass wir im Bundestag erst dann darüber
den sollten, wenn es mit der Religionsfeindlichkeit in
eutschland so weit gekommen ist, dass Straftatbe-
tände auftreten. Vielmehr müssen wir jetzt darüber re-
en.
h will es diplomatisch formulieren: Der Antrag der
oalitionsfraktionen wäre noch besser gewesen, wenn
s dort klare Worte zur wachsenden Islamophobie in un-
erem Land gegeben hätte.
Ich habe mich sehr gefreut, dass der Evangelische Ar-
eitskreis der CDU/CSU unter der Führung meines ge-
chätzten Kollegen Thomas Rachel sehr großen Wert da-
uf gelegt hat, dass durch entsprechende Klarstellungen
der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufent-
altsgesetz dafür gesorgt wird, dass die sogenannte Qua-
fikationsrichtlinie in der deutschen Asylpraxis endlich
berall in vollem Umfang angewandt wird. Ich hätte
ich gefreut, wenn die Koalition diese Forderung in
ren Antrag aufgenommen hätte; denn es dient unserer
laubwürdigkeit, wenn wir deutlich machen, dass wir
llen Menschen, die aus religiösen Gründen verfolgt
erden – egal, welcher Religion sie angehören und was
er Verfolgungsgrund ist –, Asyl gewähren.
9184 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Dietmar Nietan
)
)
Eine entsprechende Klarstellung hätte Ihrem Antrag
mehr Glaubwürdigkeit verliehen.
Ich möchte dem verehrten, von mir wirklich geschätz-
ten Kollegen Raju Sharma sagen: Religionsfreiheit ist in
der Tat nur in einem säkularen Staat möglich. Aber – das
betone ich für mich – ein säkularer Staat ist etwas ande-
res als ein laizistischer Staat. Ich sage hier an dieser
Stelle sehr deutlich, dass ich bei manchen Diskussions-
zusammenhängen in unserem Land, die laizistisch ge-
prägt sind, eine gewisse Melodie erkenne, die mich an
Religionsfeindlichkeit erinnert. Wenn das mit Laizismus
gemeint ist, dann kann ich persönlich das nicht unterstüt-
zen. Es kann nicht sein, dass Äußerungen und Symbole
zur Religion grundsätzlich aus dem öffentlichen Raum
verbannt werden. Denn sie gehören zu unserer Kultur
und zu unserem Land. Diese Art von Laizismus möchte
ich bei uns in Deutschland nicht haben.
In diesem Zusammenhang empfehle ich sehr die Lek-
türe von Professor Habermas, der ja nicht in Verdacht
steht, ein christlicher Fundamentalist zu sein.
Professor Habermas hat ausdrücklich betont, dass reli-
giös begründete Stellungnahmen einen wichtigen und le-
gitimen Platz in der öffentlichen politischen Diskussion
haben müssen. Habermas begründet das insbesondere
damit, dass er sagt: Die praktische Vernunft – und er
sieht sich als einen Vertreter der nachreligiösen prakti-
schen Vernunft – braucht geradezu einen neuen Dialog
mit der Religion, mit dem Religiösen, um nicht an ihren
eigenen guten Gründen angesichts entgleisender Moder-
nisierung zu verzweifeln.
Deshalb sage ich: Ein offener Dialog zwischen prakti-
scher Vernunft und Religion ist für beide wichtig. Wir
sollten denjenigen entgegentreten, die meinen, dass Reli-
gion etwas Althergebrachtes ist, das nicht mehr in unsere
Zeit gehört. Das ist für mich auch ein Anfang von Reli-
gionsfeindlichkeit, den wir verhindern sollten.
Ich möchte zum Schluss an eine großartige Rede er-
innern, die unser damaliger Bundespräsident Johannes
Rau im Jahre 2004 zum Festakt des 275. Geburtstags
von Gotthold Ephraim Lessing gehalten hat. Ich möchte
zwei Zitate nennen, die, glaube ich, auf den Punkt brin-
gen, worum es in unserer Debatte gehen sollte. Ich wün-
sche mir sehr, dass wir dieses Thema beim nächsten Mal
in einer Art und Weise diskutieren, dass wir am Ende zu
einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen kommen.
Denn das ist dem Thema eigentlich angemessen.
Johannes Rau hat gesagt:
Es geht um die Frage: Wie können Menschen mit-
einander leben, die ganz unterschiedliche Dinge für
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Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Stefan Ruppert
r die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
gen! Das Friedenslicht aus Bethlehem ist heute Mor-
en im Deutschen Bundestag in einer, wie ich finde, sehr
chönen Andacht im Andachtsraum angekommen. Es
uchtet für alle Christen: für die, die in diesem Land le-
en, und für die, die weltweit bedrängt sind. Dieses
icht leuchtet für die Christen, die ihre Religion nicht
ei ausüben können.
In diesem Zusammenhang muss ich mich mit dem ei-
en oder anderen Vorredner einmal auseinandersetzen.
iebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken und
um Teil auch von SPD und Grünen, ich verstehe Ihre
bgrenzungsenergie nicht. Wir reden heute über be-
rängte Christen in aller Welt.
amit soll nicht die religiöse Verfolgung anderer gerin-
er eingeschätzt oder geleugnet werden. Es ist doch viel-
ehr ein sinnvolles Zeichen, wenn ein Land, in dem
iele Christen leben,
ktiv an die Solidarität mit bedrängten Christen in aller
elt appelliert.
ie geben jeden Tag neue Solidaritätsbekundungen für
inzelne Gruppen ab, und zumeist sind sie berechtigt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9185
Dr. Stefan Ruppert
)
)
Dann lassen Sie uns heute ein Signal setzen, dass wir ge-
gen die religiöse Verfolgung von Christen in aller Welt
sind!
„Die Religion kennt keinen Zwang“, so steht es in
dem bemerkenswerten Vers 256 der zweiten Sure des
Koran. Deswegen ermutige ich alle Moslems in diesem
Land, aber auch andernorts, ihre Haltung gegenüber be-
drängten Christen in aller Welt zu überprüfen und ein
festes Zeichen für die Religionsfreiheit, die sie in diesem
Land erfahren, nach außen zu tragen.
Die religionspolitischen Sprecher in diesem Haus, Herr
Sharma, Herr Ehrmann und alle anderen, fordern dazu
gemeinsam auf. Wir sagen: Die bedrängten Christen in
der Türkei, insbesondere in Mor Gabriel, verlangen un-
sere Solidarität. Deswegen sprechen wir mit dem türki-
schen Botschafter und bitten ihn, dafür zu sorgen, dass
sie ihre Religion frei leben können.
Ein weltanschaulich neutraler Staat, ein liberaler
Rechtsstaat wie Deutschland lebt von Voraussetzungen,
die er allein nicht garantieren kann. Eine Kraft, die die
Festigkeit und die Integrationskraft dieses Staates jeden
Tag neu gewährleistet, sind die Christen und Christinnen
in aller Welt wie auch die Angehörigen aller anderen Re-
ligionsgemeinschaften. Sie tragen zum Gelingen des Ge-
meinwesens bei, wenn sie ihre Religion leben können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Strässer?
Ja.
Herzlichen Dank, Herr Kollege. Ich möchte es kurz
machen und an Ihre intellektuelle Redlichkeit appellie-
ren.
Wenn Sie sich umdrehen, können Sie auf der Tafel lesen:
Tagesordnungspunkt 36, Religions- und Glaubensfrei-
heit. Sie versuchen, uns die ganze Zeit einzureden, dass
mit Religions- und Glaubensfreiheit ausschließlich die
Christenverfolgung gemeint ist. Sie haben gerade ge-
sagt: Wir reden heute über Christenverfolgung.
Ich frage Sie ganz ernsthaft – ich formuliere das ganz
deutlich und klar –: Sind Sie der Meinung, dass Reli-
gions- und Glaubensfreiheit mehr ist als die Auseinan-
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Herr Kollege, darf ich Sie noch einmal unterbrechen?
ie Kollegin Pfeiffer möchte eine Zwischenfrage stel-
n.
Ja.
Frau Kollegin, bitte.
Herr Kollege Ruppert, wir sind uns alle einig, dass es
m die Religionsfreiheit im Allgemeinen geht. Aber wer
oll sich um die Christen in aller Welt kümmern, wenn
ich die Christen nicht selbst kümmern? Außer den
hristen wird es niemanden geben, der sich um die
hristen kümmert. Also frage ich: Worüber reden wir ei-
entlich?
ir Christen müssen uns um Christen kümmern. Nie-
and anders wird sich um sie kümmern. Deshalb glaube
h, dass wir hier eine Scheindiskussion führen.
Frau Kollegin, darin sind wir uns einig. Ich habe
chon gesagt, dass wir keinen ausschließen wollen, son-
ern aktiv darauf hinweisen wollen, dass Christen in al-
r Welt verfolgt werden, dass die meisten, die wegen ih-
s Glaubens verfolgt werden, Christen sind. Das muss
inmal gesagt werden.
Die Bertelsmann-Stiftung hat über ihren bemerkens-
erten Religionsmonitor festgestellt, dass sich Men-
chen, die an etwas glauben, sehr stark in das Gemein-
esen einbringen. Christen, Moslems und Angehörige
9186 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Dr. Stefan Ruppert
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)
aller anderen Glaubensgemeinschaften engagieren sich
ehrenamtlich und bringen sich in das Gemeinwesen ein.
Von dieser religiösen Vielfalt, von der Entfaltung religiö-
ser Kräfte und religiösen Lebens kann jede Gesellschaft
weltweit profitieren. Deswegen kämpfen wir für die Re-
ligionsfreiheit. Deshalb werden wir auch nicht müde, da-
rauf hinzuweisen, dass die wertegeleitete Außenpolitik
unseres Außenministers dieses Anliegen immer verfol-
gen wird.
Vielen Dank.
Jetzt bitte ich Sie um Ihre Aufmerksamkeit für die
letzte Rednerin in dieser Debatte. Das Wort hat die Kol-
legin Ute Granold für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Vertreter der christlichen Kir-
chen aus dem Irak, aus Pakistan und Vertreter der Bahai!
Ich freue mich, dass auch die Prälate der Katholischen
und der Evangelischen Kirche Deutschlands heute zuge-
gen sind. Das Thema findet hier im Parlament eine große
Aufmerksamkeit. Ich freue mich, dass wir über Anträge
der Koalition, aber auch der Opposition zum Thema Re-
ligionsfreiheit – Religionsfreiheit weltweit schützen, Re-
ligionsfreiheit stärken, Religionsfreiheit als politische
Herausforderung – debattieren. Wir haben festgestellt,
dass es in großen Teilen Übereinstimmung gibt, wenn
auch der eine oder andere die Religionsfreiheit in
Deutschland, in Europa nicht gewährleistet sieht und den
Fokus auf diesen Bereich richtet.
Ich kann nicht verstehen, warum zum Beispiel eine
Diskussion über das Minarettverbot in der Schweiz ge-
führt wird, aber mit keinem Wort gesagt wird, dass in
Saudi-Arabien und in der Türkei keine Kirchen gebaut
werden dürfen. Das ist der Grund, warum in Deutsch-
land Vorbehalte bestehen. Viele Menschen fragen:
Wieso können hier Moscheen gebaut werden, während
in der Türkei, in Saudi-Arabien keine Kirche gebaut
werden kann?
Wir wollen, dass Religionsfreiheit eine Freiheit für
alle Menschen, für alle Glaubensgemeinschaften ist. Das
ist aber keine Einbahnstraße. Ich stehe hier als Mitglied
der Christlich Demokratischen Union; ich stehe hier
auch als Christin, als Katholikin. Es ist eine Tatsache,
dass die Christen mit über 2 Milliarden Mitgliedern die
größte Religionsgemeinschaft der Welt sind; die Katho-
liken stellen 1 Milliarde davon. Ich meine, dass ich das
Recht, aber auch die Verpflichtung habe, meinen Fokus
auf die verfolgten Christen in der Welt zu richten.
Die Christen sind die Religionsgemeinschaft, die am
stärksten verfolgt, diskriminiert und mit dem Tod be-
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Wir waren auch in Ostindien. In Orissa – das wurde
ngesprochen – fand ein schlimmes Massaker an Chris-
n statt. 300 Kirchen wurden zerstört. Die Menschen
ind auf der Flucht. Wir haben mit den Menschen ge-
prochen. Dort pflegen indische Schwestern in einem
eim behinderte Kinder von Eltern, die nachweislich am
assaker an den Christen beteiligt waren. Das ist christ-
che Barmherzigkeit. In Westindien – auch das möchte
h betonen – werden von Schwestern des Ordens der
utter Teresa Kinder und Babys, die auf der Straße ge-
nden werden, aufgepäppelt, betreut und versorgt, bis
ie sechs Jahre alt sind. Sie dürfen nur von Hindus adop-
ert werden. Die Schwestern werden kontrolliert, damit
ie den Kindern nicht ein Kreuzzeichen oder den christli-
hen Glauben beibringen. Die Schwestern machen das
uch nicht. Menschen, die sich auf die Straße legen, um
u sterben, werden von den christlichen Schwestern auf-
enommen und aufgepäppelt. Das ist christliche Barm-
erzigkeit. Wir tun dies für alle Menschen, unabhängig
on ihrem Glauben.
eshalb meine ich, dass es berechtigt ist, hier auch ein
ort zu den Christen zu sagen.
Die Union beschäftigt sich seit langer Zeit, bereits in
er letzten Wahlperiode, aber auch in dieser, mit diesem
hema. Es ist ein zentrales Thema im Ausschuss für
enschenrechte und Humanitäre Hilfe. Wir sind froh,
ier heute gemeinsam darüber debattieren zu können.
Ich war dieser Tage zusammen mit Kollegen anderer
raktionen im Irak und in Ägypten. Wir schauen uns die
ituation der Menschen an, der Kopten in Ägypten, aber
atürlich auch der Bahai, die ein vogelfreies Leben füh-
n – eine schlimme Situation in Ägypten und im Iran.
ir meinen schon, dass die Kollegen, die sich mit die-
em Thema befassen, die in die Länder gehen, in denen
ie Menschen bedrängt sind, an die Basis gehen. Wir
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9187
Ute Granold
)
)
sprechen mit diesen Menschen und versuchen, zu helfen;
teilweise kann man auch helfen. Ich denke, das ist der
richtige Weg. Es sollten nicht nur Worte sein, sondern es
sollten auch Taten folgen. Es darf nicht zu Ende sein mit
der Debatte, die wir heute in diesem Haus führen,
sondern wir müssen schauen, dass wir den Menschen
helfen.
Ich möchte, weil Vertreter aus dem Irak heute hier
sind und die Lage dort momentan sehr prekär ist, auch
noch einige Worte dazu sagen. Wir haben gerade nach
dem Attentat, nach dem Bombenanschlag auf die Kirche
in Bagdad, eine verstärkte Welle von Gewalt im Irak
festgestellt. Diese Gewalt richtet sich gegen Sunniten,
Schiiten, aber einmal mehr gegen die Christen, weil al-
Qaida gesagt hat: Die Christen werden wir jetzt aus dem
Irak vertreiben. – Deshalb müssen wir auch hier unser
Augenmerk auf die Christen richten.
Wir haben vor allem mit den Vertretern der Kirchen,
aber auch mit dem Ministerpräsidenten, dem Staatsprä-
sidenten und dem Parlamentspräsidenten im Irak da-
rüber gesprochen, was wir für unsere Glaubensbrüder
und -schwestern in Mesopotamien, Babylon oder an-
derswo im Irak tun können. Das ist die Wiege unseres
Glaubens. Wenn nicht wir, wer sonst soll sich um diese
Menschen kümmern?
Es bestand die einhellige Meinung, dass wir dem Exodus
der Christen aus dem Irak begegnen müssen – dem-
nächst gibt es ein weiteres Land; ich erinnere an die Tür-
kei –, indem wir versuchen, den Menschen vor Ort zu
helfen, indem wir die neue Regierung des Irak, die nun
einmal da ist, stabilisieren, indem wir nachhalten, ob die
Zusage der Gewährung von Sicherheit auch eingehalten
wird; denn mit der Sicherheit geht ein Stück weit Frie-
den und Hoffnung einher. Frieden und Hoffnung, das ist
die Botschaft zu Weihnachten.
Wer die Neujahrsansprache des Papstes gelesen hat
– sie kam dieser Tage –, der weiß: Ein zentrales Thema
der Botschaft des Papstes – immerhin vertritt er
2 Milliarden Menschen – ist die Religionsfreiheit. Ich
meine, dass es nicht nur ein Thema der Politik ist, sich
weltweit um die Religionsfreiheit zu kümmern; es ist
auch Aufgabe der Vertreter aller Glaubensrichtungen.
Nur gemeinsam sind wir in der Lage, zu einer Befrie-
dung beizutragen und die Religionsfreiheit auch zu le-
ben: dass jeder nach seinem Glauben leben kann, indem
er das Zeichen seines Glaubens, zum Beispiel ein Kreuz,
trägt, ohne größere Probleme zu bekommen, aber auch
kollektiv, indem es ihm möglich ist, in ein Gotteshaus zu
gehen und zu beten.
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ir möchten, dass das Priesterseminar Chalki wieder-
röffnet wird. Das wären positive Zeichen.
Im EU-Fortschrittsbericht zur Türkei kann man lesen,
ass in puncto Menschenrechte und insbesondere Reli-
ionsfreiheit noch akuter Nachholbedarf besteht. Wir
erden, wie wir es im Irak tun, auch in der Türkei die
eligionsfreiheit einfordern, individuell wie kollektiv;
ir haben viele Verbindungen von der Türkei nach
eutschland. Es gibt in Deutschland Religionsfreiheit
r die Muslime. Wir erwarten dies aber bitte schön auch
der Türkei für die Christen, die dort in der Minderheit
ben und ein schwieriges Leben führen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zu den Abstimmungen. Es geht um
ie Beschlussempfehlung des Ausschusses für Men-
chenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der
raktionen der CDU/CSU und der FDP mit dem Titel
Religionsfreiheit weltweit schützen“. Der Ausschuss
mpfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-
ng auf Drucksache 17/4122, den Antrag der Fraktionen
9188 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
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)
der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/2334 anzu-
nehmen.
Es liegt dazu ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/4227 vor, über
den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Ände-
rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? – Wer
ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist
damit abgelehnt. Dafür hat die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen gestimmt, dagegen haben die Koalitionsfraktio-
nen gestimmt, und enthalten haben sich die Fraktionen
SPD und Die Linke.
Nun kommen wir zur Abstimmung über den
Buchstaben a der Beschlussempfehlung, die Annahme
des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP.
Über diesen Buchstaben a der Beschlussempfehlung
stimmen wir namentlich ab.
Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die Plätze an den Urnen einzunehmen. – Sind alle Plätze
an den Urnen wie vorgesehen besetzt? – Das ist der Fall.
Dann eröffne ich die Abstimmung.
Sind noch Kolleginnen oder Kollegen im Saal, die
ihre Stimme bei dieser ersten namentlichen Abstimmung
nicht abgegeben haben? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
Ich bitte Sie nun um Aufmerksamkeit für die Erklä-
rungen zur nächsten Abstimmung. – Unter Buchstabe b
empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3428 mit dem Titel
„Das Menschenrecht auf Religions- und Glaubensfrei-
heit als politische Herausforderung“. Auch über diesen
Buchstaben b der Beschlussempfehlung stimmen wir na-
mentlich ab. Es geht um die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der SPD. Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? –
Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ich frage alle Kolleginnen und Kollegen: Ist jemand
im Haus, der seine Stimmkarte noch nicht abgegeben
hat? – Das ist nicht der Fall. Dann ist auch diese Abstim-
mung geschlossen. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Auch
das Ergebnis dieser Abstimmung wird Ihnen später be-
kannt gegeben.2)
Wir haben nun noch eine Abstimmung durchzufüh-
ren. Damit ich einen Überblick habe, bitte ich Sie, Ihre
Gespräche, soweit erforderlich, außerhalb des Plenar-
saals zu führen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Das Menschenrecht
auf Religions- und Glaubensfreiheit stärken“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/4121, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2424 abzulehnen.
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1) Ergebnis Seite 9190 C
2) Ergebnis Seite 9192 B
Die Realität ist doch, dass Leiharbeiter bis zu
0 Prozent weniger verdienen als ihre Kollegen, obwohl
ie die gleiche Arbeit machen. Die Realität ist doch, dass
ie immer wieder um ihre Jobs bangen. Die Realität ist
och, dass Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter kaum
ufstiegschancen haben, nicht qualifiziert werden und
ach ihrem Einsatz in dem Betrieb, der sie gebraucht hat,
Übrigen kaum übernommen werden. Deswegen be-
eutet Leiharbeit Entwürdigung der Arbeit. Würde ist
ei der Arbeit aber notwendig, damit die Menschen wei-
r motiviert sind.
Wenn man sich den Gesetzentwurf dieser Regierung
nguckt, dann stellt man fest: „Würde“ kennt Schwarz-
elb nur als Konjunktiv; als Substantiv ist Ihnen dieser
egriff fremd. Das muss man einmal ganz klar festhal-
n. Das, was hier vorgelegt wird, ist ein kleiner Gesetz-
ntwurf für ein großes Problem. Sie haben sich ein klei-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9189
Andrea Nahles
)
)
nes Lex Schleckerchen ausgedacht. Was heißt das? Frau
von der Leyen wachte auf, als Schlecker im Frühjahr
dieses Jahres massenhaft Leute entlassen hat, um sie da-
nach zu schlechteren Konditionen über Leiharbeit wie-
der einzustellen. Sie hat sich damals „wahnsinnig“ geär-
gert; das stand im März so im Spiegel. Noch besser war,
dass sie dem Ganzen „einen Riegel vorschieben“ wolle.
Am besten war folgende Aussage von Frau von der
Leyen: „Ich rechne da nicht in Monaten, sondern eher in
Wochen.“ März, April, Mai, Juni usw. – ich komme jetzt
schon auf acht Monate, in denen nichts passiert ist,
meine Damen und Herren von der Koalition. Rechen-
künstlerin wird Frau von der Leyen mit Sicherheit nicht
mehr.
Nun haben Sie, Frau Ministerin, in dieser Woche end-
lich etwas vorgelegt. Aber was liegt denn hier vor? Das
ist doch ein Schlag ins Gesicht eines jeden, der an die-
sem Thema wirklich interessiert ist und eine Lösung für
die Leiharbeit in Deutschland will.
Das ist doch eine Bagatellisierung der Leiharbeit. Die
Situation wird im Grunde genommen noch bunter, wenn
Sie sagen: Nur dann soll es gleichen Lohn für gleiche
Arbeit geben, wenn der Arbeitgeber die Leute entlässt
und innerhalb von sechs Monaten im Wege der Leih-
arbeit wieder einstellt. Man könnte auch sagen: Das, was
wir in Deutschland bisher als Missbrauch bezeichnet ha-
ben, wird jetzt noch salonfähig gemacht. Das ist doch
der Gegenstand Ihres Gesetzes.
Dazu kann ich nur sagen: Den Stempel „rechtmäßig“
werden wir Ihnen für die Leiharbeit nicht geben, meine
Damen und Herren von der Regierungskoalition.
Ich sage Ihnen: Es ist schon ziemlich verlogen, wenn
die FDP, um den Mindestlohn in der Leiharbeit zu ver-
hindern, nun funkt, sie sei für Equal Pay. Das hat mich
persönlich überrascht, Herr Kolb.
Ich dachte: Mein Gott, späte Erkenntnis ist auch eine Er-
kenntnis. Aber auch hier ist es so, dass Sie von der FDP
Equal Pay erst nach sechs Monaten wollen. Das bedeu-
tet, dass nur ein Bruchteil der Leiharbeiter jemals in den
Genuss von gleichem Lohn für gleiche Arbeit kommen
wird. Die Hälfte der Leiharbeiter arbeitet im Durch-
schnitt nicht länger als drei Monate. Das, was die FDP
vorschlägt, ist so wie freiwillig Schneeschippen anmel-
den, aber im Sommer. Mehr ist dieses Ganze nicht, was
Sie da vorlegen.
Ich saß in der letzten Woche zusammen mit circa der
Hälfte meiner Bundestagskollegen am Flughafen in der
Lounge. Man wartete stundenlang, bis die Flüge gingen.
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Wenn ich sage, die Leiharbeit und die Praxis von
eiharbeit in diesem Land sind verkommen, muss ich
ststellen, dass man dies mittlerweile für den gesamten
rbeitsmarkt sagen muss. Dieser ist nämlich auch ver-
ommen, weil viele junge Menschen als Erstes die fol-
ende Berufserfahrung machen: Leiharbeit, unbezahlte
der wenig bezahlte Praktika, sachgrundlose Befristun-
en. Jede zweite Neueinstellung ist befristet.
Das heißt für mich: Es geht nicht nur darum, meine
amen und Herren von der Koalition, jeden Monat die
rbeitsmarktstatistik abzufeiern; Hauptsache, die Zah-
n gehen runter. Nein, es geht nicht um Zahlen, es geht
m Menschen, die hinter den Zahlen stehen. Diese ver-
ienen gute Arbeit, sie verdienen anständige Bezahlung.
ie brauchen auch eine Perspektive für das Leben. Das
lles verbindet sich mit dem Thema Leiharbeit, liebe
olleginnen und Kollegen.
Nun ist der Koalition aufgefallen – ich bin begeistert –,
ass ab 1. Mai 2011 in Europa die volle Arbeitnehmer-
eizügigkeit herrschen wird. Jetzt ist es so, dass Frau
on der Leyen wieder einmal etwas ankündigt, nämlich
ass es Mindestlöhne braucht. Die Begründung lautet:
uch die Arbeitgeber merken mittlerweile – das ist ja
as Interessante –, dass es zu einer Verschiebung im
ettbewerb kommen könnte, wenn kleine oder auch
rößere Unternehmen Lohndumping anbieten, was über
9190 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Andrea Nahles
)
)
löhne in Deutschland. Das ist hier notwendig. mungen bekannt. Zunächst die namentliche Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Koalition ei-
ert zwischen Mindestlohn und Equal Pay herum. Wir le-
gen hier einen Antrag vor, in dem es um gleiches Geld
für gleiche Arbeit geht, weil nur das gerecht ist. Es geht
um den Mindestlohn, um auch zwischen zwei Einsätzen
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Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 569;
davon
ja: 373
nein: 69
enthalten: 127
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
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für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zum Antrag
die Freizügigkeit wahrscheinlic
Fall sein wird.
Was haben Sie gemacht? Fr
Aussicht gestellt, dass es einen
Jetzt will ich im Dezember ni
wir damit rechnen können; das
rig. Aber wissen Sie, was ich g
Herren von der Koalition? Sie h
ndesrat. Wir werden bei
stehen, ganz gewiss das
t für die Leiharbeitsbran-
kenden Mindestlohn ins-
genstand machen. Die
das vielleicht doch mit-
P durchgesetzt werden
n teilweise anmerken.
P]: Es ist bald Weih-
n Zwietracht!)
Ihnen auch: Wir werden
. Also machen Sie keinen
Weg frei für Mindest-
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ine angemessene Bezahlung zu
eschränkung von Leiharbeit
eil nach einem Jahr wirklich
en Menschen braucht und ih
icht. Schließlich wollen wir,
ehr als Streikbrecher missbra
üssen sie in die Mitbestimm
nd die Mitbestimmung darf ni
In diesem Sinne fordere ich S
em Antrag zu, machen Sie ein
eitnehmerinnen und Arbeitn
enn Sie es nicht tun, wird es
üße fallen. Es ist nur schade,
achten weiter auf Sie warten m
qual-Pay-Regelung für alle
irklich ein schönes Päckchen
eben Sie sich einen kleinen S
nserem Antrag zu.
Vielen Dank.
n Otto Solms:
ner aufrufe, gebe ich Ih-
namentlichen Abstim-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9191
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
)
)
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Kristina Schröder
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller
Nadine Schön
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche
Lothar Riebsamen
Josef Rief
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r. Johann Wadephul
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r. Edmund Peter Geisen
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r. Lutz Knopek
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Dr. Gerhard Schick
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Dorothea Steiner
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Dr. Harald Terpe
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Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
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Josef Philip Winkler
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Ewald Schurer
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
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r. Barbara Hendricks
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r. Eva Högl
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r. h. c. Susanne Kastner
lrich Kelber
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r. Bärbel Kofler
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benfalls angenommen.
)
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 566;
davon
ja: 305
nein: 195
enthalten: 66
Ja
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Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
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Heinz Lanfermann
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Dr. Martin Lindner
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Dr. Martin Neumann
Dirk Niebel
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Dr. Christiane Ratjen-
Damerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
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Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
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Johannes Vogel
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
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r. Wilhelm Priesmeier
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r. Ernst Dieter Rossmann
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du tätest, wenn du das Sagen hättest. Mindestlöhne in einzelnen Branchen gekümmert hat, das
Thema Zeit- und Leiharbeit auf der Tagesordnung hatten
Dr. Heinrich L. K
Alles, aber auch wirklich al
rade im Bereich der Leiharbe
beklagt hat, hat eine einzige Ur
rung des sogenannten Arbe
gesetzes, AÜG, zur Zeit der r
und Grün tragen die Verantwor
der Sitten in der Leiharbeit.
les, was Frau Nahles ge-
it in Deutschland beredt
sache, nämlich die Ände-
itnehmerüberlassungs-
ot-grünen Koalition. Rot
tung für die Verlotterung
nd der FDP – Gustav
en zugestimmt!)
s die Sozialdemokraten,
Arbeitsminister elf Jahre
ben, nach einem Jahr die
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indlichkeitserklärung für di
ehement verhindert haben?
r Sozialdemokraten das?
tätigen, dass denjenigen,
uf die Tarifautonomie in
n, nämlich auf die CGB-
tiert wurde, überhaupt
Sie mir bestätigen, dass
chen Vorwürfen! Wir ha-
dass hier viel aus dem
in der letzten Legislatur-
denn das neue Glaubensbekenntnis der Sozialdemokra-
ten lautet: Sage nicht, was du getan hast, als du das Sa-
gen hattest,
sondern sage, wenn du gerade nicht das Sagen hast, was
n
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Herr Kollege Weiß, erlauben Sie eine Zwischenfrage
es Kollegen Schaaf?
Bitte schön.
Herr Schaaf, bitte.
Ich will die Sitzung nicht unnötig aufhalten, Herr
eiß. Aber bestätigen Sie mir, dass wir in der gemeinsa-
en Kommission der Großen Koalition, die sich um
9196 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Anton Schaaf
)
)
periode versucht, das zu ändern. Versuchen Sie nicht,
sich aus der Verantwortung zu stehlen!
Herr Kollege Schaaf, in der Tat haben wir in den vier
Jahren Große Koalition darüber gesprochen, wie die auf-
grund rot-grüner Gesetzgebung verlotterten Sitten in der
Leiharbeit, was die Lohnfindung angeht, korrigiert wer-
den können. Eine wichtige Bedingung, auf die wir uns
damals geeinigt hatten, war, auf Vorschlag der Tarifpart-
ner Tarifverträge, die möglichst 50 Prozent der Be-
schäftigten und der Betriebe einer Branche umfassen,
für allgemeinverbindlich zu erklären. Aber die Verlot-
terung der Sitten in der Leiharbeit aufgrund rot-grüner
Gesetzgebung hat dazu geführt, dass wir es mit mehre-
ren, unterschiedlichen und miteinander konkurrierenden
Tarifverträgen zu tun hatten, dass die Tarifvertragspart-
ner – das betrifft vor allen Dingen die Arbeitgeberseite –
uns massiv bestürmt haben, die Tarifverträge nicht anzu-
tasten, und dass deswegen keine Einigung möglich war.
Das Großartige ist aber, Herr Kollege Schaaf, dass al-
lein die Drohung und Ankündigung von Frau Bundes-
ministerin von der Leyen, in diesem Bereich etwas zu
machen, dazu geführt haben, dass vor wenigen Wochen
alle vier Arbeitgeberverbände im Bereich der Zeitarbeit
mit allen Gewerkschaften den gleichen Mindestlohn ver-
einbart haben. Deswegen haben wir heute eine grundle-
gend andere Situation als zur Zeit der Großen Koalition.
Das ist Tatsache.
Ich erinnere an Folgendes: Im alten AÜG, das die
Leiharbeit regelt, stand, dass für Zeitarbeitsverhältnisse,
die länger als zwei Jahre dauern, der Gleichbezahlungs-
grundsatz gilt, dass also der Leiharbeiter genauso viel
Gehalt zu bekommen hat wie der festangestellte Mit-
arbeiter. Diesen Satz haben nicht die CDU/CSU und
FDP, sondern ihn hat Rot-Grün aus dem Gesetz gestri-
chen. Das ist die Ursache für das, was wir heute bekla-
gen. Während Rot-Grün das Dilemma angerichtet hat
und sich plötzlich reinwaschen will, ist Frau von der
Leyen die erste Bundesarbeitsministerin seit zwölf Jah-
ren, die handelt.
Es ist ein Unding und es ist unanständig, dass Firmen
ihre festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
entlassen und sie anschließend als Leiharbeiterinnen und
Leiharbeiter wieder in den Betrieb holen. Deswegen hat
das Bundeskabinett am Mittwoch dieser Woche einen
Gesetzentwurf beschlossen, mit dem dieser Drehtür-
effekt für alle Zeiten unterbunden werden wird. Wir
handeln!
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Wenn sich jetzt Sozialdemokratinnen und Sozialde-
okraten zu diesem Thema äußern, dann muss ich auf
olgendes hinweisen: Es gibt unter den großen Wohl-
hrtsverbänden in Deutschland einen, der historisch
edingt auf das Engste mit der Sozialdemokratie verbun-
en ist, nämlich die Arbeiterwohlfahrt. Die Arbeiter-
ohlfahrt – so höre ich aus Essen – beendet die Ausbil-
ung in Pflegeberufen damit, dass sie die jungen Leute
n eine eigene Leiharbeitsfirma, die AWO-Service
mbH, weiterleitet.
ann werden diese gut ausgebildeten jungen Leute von
er AWO-Service GmbH im gleichen Betrieb wieder an-
estellt und verdienen, obwohl sie eine sehr gute Ausbil-
ung haben, gerade einmal so viel wie ein Pflegehelfer,
er überhaupt keine Ausbildung hat.
as ist sozialdemokratische Ehrlichkeit in Sachen Leih-
rbeit.
Das zweite Thema hat der Kollege Schaaf schon an-
esprochen: die Löhne in der Leiharbeit. In den ver-
angenen Jahren sind in der Leiharbeitsbranche katastro-
hal niedrige, unanständige Löhne gezahlt worden. Das
uss ein Ende haben.
eil wir das klar und deutlich gesagt haben, haben end-
ch auch die Zeitarbeitsunternehmen verstanden, dass
ie Leiharbeit und die Zeitarbeit ganz kaputtgehen wer-
en, wenn sie weiter in der Schmuddelecke bleiben. Da-
ber bin ich sehr froh.
Unter Rot-Grün gab es eine Verlotterung der Sitten.
agegen ist es jetzt erstmals gelungen, dass alle vier Ar-
eitgeberverbände im Bereich der Zeitarbeit einen ein-
eitlichen Mindestlohn mit den Gewerkschaften verein-
art haben. Wir haben jetzt in Deutschland zum ersten
al einen einheitlichen branchenübergreifenden Min-
estlohn in der Leiharbeitsbranche. Das hat es früher
icht gegeben; das gibt es jetzt zum ersten Mal. Das
eigt, dass die Tarifautonomie in Deutschland funktio-
iert.
Deswegen ein Kompliment an die Verhandelnden auf
rbeitgeber- und auf Arbeitnehmerseite dafür, dass sie
rstmals einen flächendeckenden Mindestlohn für die
eiharbeitsbranche in Deutschland vereinbart haben –
nders, als es unter Rot-Grün in Deutschland üblich war.
)
[SPD]: Nein! Das muss allgemeinverbindlich
erklärt werden!)
– Frau Kramme, eins nach dem anderen.
Nun gibt es ein Datum, auf das Frau Kramme hin-
weist, das in meiner Rede aber ohnehin vorgekommen
wäre: Wenn am 1. Mai 2011 die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer aus den acht im Jahre 2004 der Europäi-
schen Union neu beigetretenen Staaten Ost- und Mittel-
europas das Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit er-
halten, also ohne weitere Vorbedingungen zu uns nach
Deutschland kommen können, dann droht der einheitli-
che Mindestlohn in der Zeitarbeitsbranche, den wir jetzt
in Deutschland haben, eventuell durch ausländische Ta-
rifverträge unterboten zu werden. Deswegen arbeiten
wir intensiv an einer gesetzlichen Regelung, die genau
dieses verhindert.
– Frau Kollegin Nahles, verehrte Kolleginnen und Kol-
legen von Rot-Grün, ich würde da nicht laut „Oh!“
schreien, denn der 1. Mai 2011 stand auch schon zur Re-
gierungszeit von Rot-Grün im Kalender.
Denn damals, 2004, unter rot-grüner Verantwortung, ist
der Beitritt dieser acht Staaten zur Europäischen Union
beschlossen worden.
Sie haben nicht gehandelt. Sie haben das Dilemma, das
uns jetzt droht, sehenden Auges in Kauf genommen.
Deswegen werden wir, die christlich-liberale Koalition,
auch dieses Thema befriedigend regeln.
Leiharbeit in Deutschland muss anständige Arbeit zu
anständigen Löhnen bedeuten. Rot-Grün hat dafür ge-
sorgt, dass die Sitten verlottert sind. Wir sorgen wieder
für Ordnung auf dem deutschen Arbeitsmarkt.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi von der
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir beschäftigen uns heute mit einem SPD-An-
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Das bedeutete damals in großem Umfang Leiharbeit,
efristete Beschäftigung, Teilzeitarbeit, Aufstocker usw.
ll das führte zu einer dramatischen Lohnsenkung in
eutschland. Deutschland ist Weltmeister bei der
ohnsenkung. Von den USA bis Norwegen gab es in den
tzten zehn Jahren Lohnsteigerungen von – inflations-
ereinigt – 2,2 bis 25,1 Prozent. In Deutschland hatten
ir in den letzten zehn Jahren eine Lohnsenkung um
,5 Prozent. Das ist die Wahrheit. Das gilt für Ihre ge-
amte Regierungszeit und natürlich auch für Ihre Regie-
ngszeit, meine Damen und Herren von der Koalition.
eshalb kann sich hier keine Fraktion außer unserer aus
er Verantwortung stehlen.
iese Zahlenfeststellung kommt nicht von uns, sondern
on der Internationalen Arbeitsorganisation, der ILO,
ie bei der UNO angesiedelt ist.
Zusätzlich haben SPD und Grüne das Rentenniveau
esenkt, indem sie die Kohl’sche Rentenformel wieder
ingeführt haben. Dadurch ist das Rentenniveau deutlich
esunken. Dann ist die Bezugsdauer beim Arbeitslosen-
eld gekürzt worden. Außerdem haben Sie über die Ein-
hrung von Hartz IV die Sozialleistungen reduziert.
ir haben immer gesagt: Hartz IV muss weg, weil das
ein Weg ist, unsere Probleme zu lösen.
Das Ergebnis war, dass deutsche Produkte immer bil-
ger wurden. Weil deutsche Produkte immer billiger
urden, haben wir einen immer größeren Exportüber-
chuss erzielt, haben immer mehr in Länder wie Frank-
ich, Portugal, Spanien etc. exportiert.
iese Länder konnten immer weniger zu uns exportie-
n. Dadurch ist ein makroökonomisches Ungleichge-
icht entstanden, mit dem wir uns heute herumzuschla-
en haben.
Ich wusste, dass Sie denken, das habe mit dem Thema
ichts zu tun. Wenn Sie mich einladen, werde ich Ihnen
inmal erklären, warum das eine Menge mit dem Thema
u tun hat, aber jetzt habe ich leider nicht die Zeit dafür.
9198 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Dr. Gregor Gysi
)
)
Nur so viel noch: Der Binnenmarkt in Deutschland
ist über die Lohnsenkung, die Rentensenkung und die
Senkung der Sozialleistungen erheblich geschwächt
worden. Das ist völlig klar. Das ist das Ergebnis.
Jetzt verlangen Sie von Griechenland, von Spanien,
von Portugal, auch von Frankreich drastische Lohn-
senkungen und Sozialkürzungen, und diese Länder ge-
hen den Weg auch. Wenn Sie das aber durchsetzen, liebe
Union und liebe FDP – dafür setzen sich Frau Merkel
und die ganze Bundesregierung ein –, dann nehmen Sie
uns die Möglichkeit, dorthin so zu exportieren wie bis-
her; dann geht unser Export zurück. Somit gibt es nur
eine einzige Ausgleichsmöglichkeit: Wir müssen den
Binnenmarkt stärken.
Deshalb sage ich Ihnen: 2011 muss das Jahr von mas-
siven Lohn- und Rentensteigerungen sowie von Erhö-
hungen der Sozialleistungen werden. Wer das verhin-
dert, arbeitet nicht für, sondern gegen Europa, arbeitet
gegen den Euro, ist nicht nur unsozial, sondern schwächt
auch unsere eigene Wirtschaft, und zwar beachtlich. Die
Linke kämpft jetzt um Europa, während Sie Europa ge-
fährden. Das ist die Wahrheit, mit der wir es heute zu tun
haben.
Auf einen Umstand wurde schon hingewiesen. Ge-
rade dank der Linken im Senat von Berlin hat es eine
Klage gegeben, die bis zum Bundesarbeitsgericht ge-
gangen ist. Dort ist jetzt entschieden worden, dass die
christlichen Gewerkschaften, die nichts anderes sind
als Krücken der Arbeitgeber, keine Tarifverträge schlie-
ßen dürfen.
– Das hat das Bundesarbeitsgericht festgestellt. Wenn
Sie es mir nicht glauben, dann lesen Sie sich das Urteil
durch.
Im Ergebnis sind alle diese Tarifverträge nichtig. Nun
muss es natürlich beachtliche Nachzahlungen an Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer sowie an die Sozialkas-
sen geben. Ich bin gespannt, ob Union und FDP diese
Nachzahlungsforderungen unterstützen oder nicht. Ich
warte auf eine Äußerung von Ihnen.
Kommen wir aber zurück zur Leiharbeit. Sie ist 1972
unter Willy Brandt erfunden worden, aber damals mit
klaren Regelungen und als eindeutige Ausnahme. Dann
war es leider so, dass mit der Deregulierung des Arbeits-
marktes durch Rot-Grün 2003 Folgendes passiert ist: Er-
klärt wurde, man wolle die Leiharbeit aus der Schmud-
delecke herausholen. Dabei hat man sie allerdings so
schmutzig gemacht, dass sie heute an Sklaverei erinnert,
kann ich nur sagen.
Erstens haben Sie die Entfristung der Leiharbeit ge-
regelt. Das heißt, Unternehmen können Leiharbeitskräfte
dauerhaft einsetzen. Das war die erste ganz erhebliche
Benachteiligung.
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as ist doch ein einzigartiger Skandal!
eder bzw. jede achte Beschäftigte in Leiharbeit ist Auf-
tockerin oder Aufstocker und muss zum Sozialamt ren-
en. Das ist damals eingeführt worden, und das finden
ie gut. Dazu hätte man seitens SPD und Grünen selbst-
ritisch etwas sagen müssen, finde ich.
Viertens haben Sie keine Drehtürregelung einge-
hrt. Das führte dazu, dass Schlecker Folgendes
achte: Schlecker entließ seine Beschäftigten und stellte
ie als Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter gleich wieder
in. Nun sagen auch Union und FDP, das gehe ihnen zu
eit. Auch Sie haben erkannt, dass es keine Drehtür-
gelung gibt, weshalb Schlecker seine Mitarbeiter ent-
ssen und als Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter wieder
instellen kann. Aber was machen Sie? Ich habe mir
ren Gesetzentwurf angesehen. Sie schlagen vor, die
iedereinstellung für sechs Monate zu verbieten. Mit
nderen Worten: Sie sagen, dass Schlecker die Leute erst
ach sechs Monaten wieder einstellen darf. Das ist keine
ösung des Problems.
ie haben von einer dauerhaften Lösung gesprochen.
ann regeln Sie das! Streichen Sie die Sechsmonatsfrist,
nd verbieten Sie die Wiedereinstellung zur Leiharbeit
auerhaft. Sonst ist das kein wirklicher Fortschritt.
Aber die Situation wird immer dramatischer. Im drit-
n Quartal 2010 entstanden nur 50 000 neue reguläre
rbeitsplätze, aber 150 000 Leiharbeitsplätze. Da sehen
ie, was die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ange-
chtet hat: eine soziale Katastrophe.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9199
Dr. Gregor Gysi
)
)
Bei der Zahl der Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter
nähern wir uns jetzt der Millionengrenze. Nun hat der
DGB einen neuen Tarifvertrag mit der Leiharbeits-
branche – mit denen, die da mitmachen; viele machen ja
nicht mit – geschlossen, in dem ein Mindesttarif West
von 7,79 Euro und ein Mindesttarif Ost von 6,89 Euro
festgeschrieben ist. Ich sage Ihnen ganz klar: Es ist ein
Skandal, dass 20 Jahre nach Herstellung der deutschen
Einheit ein geringerer Mindesttarif Ost als West verein-
bart wird. Das sage ich ganz deutlich, auch den Gewerk-
schaften.
Nun haben die Gewerkschaften allerdings auch etwas
Positives erreicht. Sie haben nämlich in manchen Kon-
zernbereichen durchgesetzt, dass gleicher Lohn für glei-
che Arbeit auch für Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter
zu bezahlen ist. Aber das geschieht nur in Ausnahmefäl-
len. In der Regel ist das nicht der Fall.
Nun erleben wir einen Streit zwischen Union und
FDP; das finde ich ganz interessant. Die Union schlägt
vor, im Entsendegesetz einen Mindesttarif zu regeln, und
zwar den von mir gerade angesprochenen. Das löst das
Problem aber überhaupt nicht; denn das bedeutet nicht,
dass der Ingenieur, der als Leiharbeiter in einem Unter-
nehmen tätig ist, den gleichen Lohn bekommt wie ein
anderer Ingenieur, der dort die gleiche Arbeit macht. Sie
wollen ja nur einen Mindesttarif für die Leiharbeitsfir-
men. Deshalb ist das keine wirkliche Lösung.
Die FDP – auch in meinem Alter muss ich sagen: man
höre und staune – schlägt ernsthaft vor, dass für den
Leiharbeiter der gleiche Lohn bezahlt wird wie für den
festen Mitarbeiter in dem Unternehmen.
Ich war völlig von den Socken.
– Moment! – Dann sagen Sie, dass das erst nach einer
bestimmten Frist der Fall sein soll, und die nennen Sie
noch nicht. Sie wissen natürlich, dass über die Hälfte der
Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter weniger als drei Mo-
nate tätig ist. Deshalb ahne ich, dass Sie irgendwie auf
drei oder vier Monate kommen. Sagen Sie doch einfach:
unbefristet. Das wäre ein guter Vorschlag.
Solange es Leiharbeit gibt, fordern wir sieben Dinge:
Erstens. Gleicher Lohn und gleiche Arbeitsbedingun-
gen für gleiche Arbeit ohne Ausnahme vom ersten Ar-
beitstag an.
Zweitens. Zusätzlich soll an Leiharbeiterinnen und
Leiharbeiter wie in Frankreich eine Flexibilitätsprämie
von 10 Prozent gezahlt werden. Denn sie sind jeweils
nur befristet tätig und haben dann wieder stärkere Lohn-
einbußen. Weil die Leiharbeiterin oder der Leiharbeiter
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Herr Kollege Gysi, Sie haben Ihre Redezeit weit über-
zogen.
Das ist sehr tragisch, aber es war notwendig.
Sie – die SPD – hätten allerdings zugeben müssen,
dass Sie das Ganze beschlossen haben. Wir bräuchten
Ihren Antrag gar nicht, wenn Sie es nicht seinerzeit ein-
geführt hätten. Aber immerhin: Ich darf es bedauern,
aber lassen Sie uns jetzt versuchen, es gemeinsam zu
überwinden.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist Vorweihnachtszeit, und ich will mit dem Verbinden-
den beginnen: Ich glaube, uns eint der Wunsch, Miss-
brauch bei der Zeitarbeit zu verhindern. Das will ich
auch für meine Fraktion feststellen. Das ist auch der
Grund, warum mit Unterstützung der Koalitionsfraktio-
nen gestern im Kabinett ein Entwurf zur Novellierung
der Arbeitnehmerüberlassung vorgelegt wurde, in dem
zum Beispiel die schon erwähnte Drehtürklausel veran-
kert ist. Das ist die Reaktion auf Vorkommnisse bei einer
großen Handelskette, die wir erleben mussten. Ich will
den Namen nicht nennen.
Wir alle haben sehr entschieden gesagt: So geht es
nicht. Das wird jetzt umgesetzt. Man konnte das deshalb
zeitlich etwas länger laufen lassen, weil die Tarifpartner
in der Branche zwischenzeitlich entschieden gehandelt
haben und der Problemdruck von dieser Seite gelöst
wurde.
Wenn ich sage, wir wollen Missbrauch bekämpfen,
dann schließe ich mich denen an, die heute Morgen
schon gesagt haben: Der Missbrauch ist erst dadurch
möglich geworden, dass die SPD und die SPD-Arbeits-
minister zu Regierungszeiten glaubten, mit einer Öff-
nung der Leiharbeit einen wichtigen Beitrag leisten zu
können. Das unterscheidet uns auch aktuell von Ihnen:
Wir sind auch weiterhin der Meinung, dass die Zeitarbeit
ein wichtiges Flexibilitätsinstrument für unsere Wirt-
schaft ist. Sie muss aber auf den Kern zurückgeführt
werden, nämlich dass mit diesem Instrument befristete
Auftragslagen beantwortet werden sollen. Es kann nicht
darum gehen, Stammbelegschaften auf Dauer durch
Zeitarbeitnehmer zu ersetzen. Es kann genauso wenig
darum gehen, durch Zeitarbeit eine Lohndifferenzierung
nach unten vorzunehmen. Beides haben wir schon vor
Monaten sehr deutlich gesagt.
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Frau Nahles, Sie wundern sich, dass die FDP das
hema Equal Pay ins Gespräch gebracht hat. Das sollte
ie aber nicht wundern; denn bei einem Blick ins Arbeit-
ehmerüberlassungsgesetz werden Sie feststellen, dass
qual Pay dort schon heute der Regelfall ist. Die Abwei-
hung hiervon durch Tarifvertrag, auch von SPD-Stim-
en ins Bundesgesetzblatt hineingebracht, stellt die
usnahme dar. Die Frage lautet, inwieweit diese Aus-
ahme nachjustiert werden muss, um zu angemessenen
rgebnissen zu kommen.
Ich bin anders als Sie, Herr Kollege Gysi, nicht der
einung, dass Equal Pay mit einer sehr kurzen Frist
ich habe mich persönlich bislang noch nie zu einer
rist geäußert – kommen müsste, und zwar aus folgen-
en Gründen: Zum einen entspricht es dem Charakter
er Zeitarbeit, dass man sie mit einer bestimmten zeitli-
hen Toleranz akzeptieren kann und akzeptieren muss.
um anderen muss auch die umfangreiche Ausbildungs-
istung honoriert werden, die von Zeitarbeitsunterneh-
en in Deutschland geleistet wird. Das ist eine Ausbil-
ungsleistung mit dem Ziel, zuvor arbeitslose Menschen
n den Arbeitsmarkt heranzuführen.
enn Sie in die Statistik schauen, stellen Sie fest, dass
s in sehr vielen Fällen auch gelingt, die Menschen aus
er Arbeitslosigkeit abzuholen und über die Zeitarbeit in
in Arbeitsverhältnis im ersten Arbeitsmarkt zu bringen.
Ich bin der Meinung, dass man beim Thema Equal
ay eine Aussage treffen muss. Auf eines will ich beson-
ers hinweisen, weil das Thema Mindestlohn immer so
chnell genannt wird: Der Mindestlohn, Frau Kollegin
ahles, ist im Kern eine Unternehmer-, eine Arbeitge-
ersicht. Die Arbeitnehmersicht hingegen ist die des
qual Pay. Beim Mindestlohn geht es, auch wenn es ar-
eitnehmerfreundlich verbrämt wird, quasi darum, pro-
ktionistisch Märkte abzuschotten. Ich wundere mich
ilweise, wenn Verbandsvertreter sagen: Auch wenn nur
00 Leute über Zeitarbeitsverträge von Polen nach
eutschland kämen, sei das bereits ein Riesenproblem.
ie gleichen Verbandsvertreter gehen aber ganz selbst-
erständlich davon aus, dass ihre Unternehmen grenz-
berschreitend tätig sein dürfen, mit offenen Grenzen
nd ohne Widerstände in den jeweiligen Empfängerlän-
ern.
Wenn wir über die Einordnung der Zeitarbeit im Kon-
xt der arbeitsmarktpolitischen Instrumente reden
also neben Vollzeitarbeit, neben Teilzeitarbeit, neben
efristeter Beschäftigung –, ist natürlich auch in den
lick zu nehmen, dass dies die Kehrseite eines relativ
tarken Kündigungsschutzes ist, den wir in Deutschland
aben, dass also Unternehmen mit Zeitarbeit reagieren
nd sich sozusagen Flexibilität auf diesem Wege erkau-
n.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9201
Dr. Heinrich L. Kolb
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)
Deswegen, Herr Kollege Gysi, kann es mich auch
nicht verwundern, wenn am Ende der Krise – Sie haben
ja Zahlen genannt – Unternehmen angesichts noch nicht
sicherer Auftragsreichweiten zunächst verstärkt auf die-
ses Instrument der Zeitarbeit einschwenken. Unser Ziel
muss sein, das will ich für die FDP-Fraktion – –
Herr Kollege Kolb, ich muss Sie einmal unterbre-
chen. Der Kollege Ernst würde gern eine Zwischenfrage
stellen.
Das darf er natürlich gerne tun. Meine Redezeit wäre
sonst auch gleich zu Ende gewesen.
Die Redezeit wird angehalten, bis die Antwort durch
Sie erteilt ist.
Vielen Dank, Herr Dr. Kolb. – Ich habe zwei Fragen.
Erstens. Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass Sie
kritisieren, wie die Sozialdemokraten und die Grünen
eine Verschärfung dieser Leiharbeitsregelungen einge-
führt haben. Mich würde aber interessieren: Welche Hal-
tung hatte denn die FDP damals dazu? Mir ist nämlich
nicht bekannt, dass Sie sich vehement gegen diese Vor-
schläge gewehrt hätten. Soweit ich es in Erinnerung
habe, gingen Ihnen die Einschränkungen, die noch in
diesen Vorschlägen steckten, eher zu weit. Mich würde
interessieren, ob das richtig ist.
Zur zweiten Frage. Nach Ihrer Darstellung müsste es
so sein, dass Equal Pay am Anfang einer Beschäftigung
für einen bestimmten Zeitraum unterlaufen werden
könnte. Ist Ihnen bekannt – ich gehe davon aus, dass es
Ihnen bekannt ist, weil Sie selbst geschäftsführender Ge-
sellschafter eines Unternehmen in der Metallindustrie
sind –, dass Neueingestellte in den Betrieben in der Re-
gel noch nicht denselben Lohn wie alle anderen bekom-
men? Es gibt Einarbeitungsregelungen, einerseits in den
Tarifverträgen, andererseits in der betrieblichen Praxis
von Betrieben, in denen es keine Tarifverträge gibt. Des-
halb die Frage: Wollen Sie mit Ihrem Vorschlag errei-
chen, dass Zeitarbeiter Löhne unterhalb der in den Be-
trieben vereinbarten Einarbeitungsstufe erhalten? Aus
Ihrer Darstellung folgt nämlich, dass Sie momentan kein
Equal Pay für alle wollen; wenn es Equal Pay für alle
gäbe, würde das auch für die Einarbeitungsstufen gelten,
die niedriger sind als die Tarifstufen derjenigen, die
schon länger im Betrieb beschäftigt sind.
Herr Kollege Ernst, zunächst einmal freue ich mich,
dass es mir auch heute gelungen ist, Sie zu einer Zwi-
schenfrage zu reizen, auch wenn das der eine oder an-
dere Kollege, der dringend zum Flughafen oder zur
Bahnhof muss, vielleicht anders sieht.
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h will Ihre Frage gern beantworten.
Ich habe damals vermutlich auch zu den Gesetzesän-
erungen bei der Zeitarbeit geredet. Nach meiner Erin-
erung habe ich damals das Gleiche wie heute gesagt:
eitarbeit ist ein wichtiges Flexibilitätsinstrument, das
utzbar gemacht und gehalten werden muss. Das treibt
ns auch in der aktuellen Situation um; ich will das deut-
ch sagen. Es ist erkennbar, dass manche Stimmen in
iesem Haus von einer Bekämpfung des Missbrauchs in
er Zeitarbeit reden, aber in Wirklichkeit meinen, dass
ie Zeitarbeit abgeschafft werden soll. Das wollen wir
usdrücklich nicht. Ich habe damals wie heute gesagt:
ir sind dafür, dass Zeitarbeit im Konzert der arbeits-
arktpolitischen Möglichkeiten eine wichtige Rolle
pielt.
Zweiter Punkt: die Einstellungssituation in den Unter-
ehmen der Metallbranche. Wir müssen Equal Pay nicht
eu erfinden und nicht neu definieren. Es ist klar, was
qual Pay bedeutet – das wird im Rahmen der Leih-
rbeitsrichtlinie längst umgesetzt –: Es bezieht sich auf
ie Gewährung der wesentlichen Arbeitsbedingungen.
as heißt, die Regelungen für die Stammbelegschaft
üssen nicht Buchstabe für Buchstabe auf Leiharbeiter
bertragen werden; aber einem Leiharbeiter müssen im
esentlichen die Arbeitsbedingungen gewährt werden,
ie einem Mitarbeiter der Stammbelegschaft im Einsatz-
etrieb unter vergleichbaren Bedingungen zu gewähren
ären.
Wenn sich die Tarifpartner der Branche darauf ver-
tändigt haben, für den Beginn eines Arbeitsverhältnis-
es eine besondere Vorschrift zu schaffen, dann würde
as nach meinem Verständnis und meiner Interpretation
er Leiharbeitsrichtlinie bedeuten, dass diese Vorschrif-
n bei der Anwendung der „wesentlichen Arbeits- und
eschäftigungsbedingungen“ zu berücksichtigen wären.
as heißt, es müsste so gehandhabt werden, wie Sie es
eschrieben haben. Das würde dem entsprechen, was für
ie Stammbelegschaften bzw. für neu in die Stammbe-
gschaft eintretende Mitarbeiter in den Unternehmen
er Metall- und Elektroindustrie gelten würde.
Frau Kollegen Nahles, die Uhr läuft schon weiter.
Ich meine, wir sollten hier mit Augenmaß herange-
en; das Struck’sche Gesetz gilt sicherlich auch für das
rbeitnehmerüberlassungsgesetz und die Novellierung,
ie jetzt vom Kabinett an den Bundestag herangetragen
orden ist. Ich bin sicher, dass wir uns hier in dem ein-
angs beschriebenen Gemeinsinn zusammensetzen und
chauen: Welche Justierungen sind notwendig, um die
eitarbeit auf Dauer so zu gestalten, dass sie kompatibel
9202 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Dr. Heinrich L. Kolb
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ist und in der Gesellschaft akzeptiert wird? Darum geht
es uns im Wesentlichen: die Zeitarbeit nicht abschaffen,
sondern sie modernisieren, damit sie auch künftig den
Unternehmen zur Verfügung steht, aber nur für den
Zweck, für den sie gedacht war, nämlich für befristete,
nicht vollständig überschaubare Auftragslagen. Das
wollte ich Ihnen vor Weihnachten sagen.
Ich wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest, eine ru-
hige Zeit zwischen den Jahren und alles Gute für 2011.
Ich bedanke mich.
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Müller-
Gemmeke vom Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Eigentlich diskutieren wir heute über
den Antrag der SPD; aber es ist bekannt, dass die Oppo-
sition bei dem Thema Leiharbeit sehr nah beisammen ist
und weitgehend an einem Strang zieht. Im Mittelpunkt
der Forderungen steht: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.
Das fordern auch wir Grünen, und zwar ohne Wenn und
Aber.
Sie von den Koalitionsfraktionen streiten aber noch
immer über eine Gesetzesvorlage, die Sie schon vor ei-
nem Jahr lautstark angekündigt haben. Im ersten Ent-
wurf gab es noch eine Lohnuntergrenze, im zweiten Ent-
wurf war sie schon wieder draußen. In dieser Woche hat
das Kabinett den dritten Entwurf beschlossen, aber we-
der eine Lohnuntergrenze noch Equal Pay sind geplant.
Die Regierung hat sich lediglich auf eine dürftige Rege-
lung zum Drehtüreffekt und auf einige Anpassungen zur
europäischen Leiharbeitsrichtlinie einigen können.
Ministerin von der Leyen wird also weiterhin für einen
Mindestlohn in der Leiharbeitsbranche streiten müssen.
Eine kurze Zeit lang – ich glaube, es waren nur we-
nige Stunden; Kollege Kolb, ich spreche Sie jetzt direkt
an – haben Sie signalisiert, dass die FDP einem Mindest-
lohn in der Leiharbeitsbranche nicht im Weg stehen
würde.
Dann mussten Sie sehr schnell wieder zurückrudern. Auf
Ihrer Homepage steht jetzt wieder – ich glaube, Kollege
Vogel sagte es –, dass die FDP gegen einen Mindestlohn
ist. Beide Kollegen, Kolb und Vogel, wollen aber an-
scheinend das Equal Pay nach einer gewissen Frist –
was immer das heißen mag. Das ist wieder einmal
schwarz-gelbe Chaospolitik. Sie streiten, sie schachern
wie auf einem Basar, und zwar zulasten der Beschäftig-
ten.
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Seit einem Jahr kündigen Sie an, dass Sie gegen den
issbrauch in der Leiharbeit vorgehen wollen.
ie haben aber nichts getan. Die Konsequenz ist: Nach
er Krise kommt jetzt im Aufschwung der neue Boom in
er Leiharbeit. Mittlerweile hat die Beschäftigung in der
eiharbeit fast die Millionengrenze erreicht. Laut IG
etall bewegt sich die Leiharbeitsquote in den Betrie-
en der Metall- und Elektroindustrie auf sehr hohem Ni-
eau. Das bedeutet, dass in einer Schlüsselbranche der
eutschen Wirtschaft – machen Sie sich das schlichtweg
inmal deutlich – immer weniger sozialversicherungs-
flichtige Beschäftigte arbeiten. Eine Vielzahl von regu-
ren Beschäftigungsverhältnissen ist durch Leiharbeit
rsetzt worden. Diese Entwicklung zeigt: Es entsteht
ine Zweiklassengesellschaft auf dem Arbeitsmarkt. Ich
nde, dieser Trend muss endlich gestoppt werden.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Regie-
ngsfraktionen, auf diesem Ohr sind Sie aber taub.
leichzeitig sagen Sie ja immer, wir Grünen seien die
agegen-Partei.
ie Realität zeigt aber, dass Sie die Neinsager sind. Wir
ind für Equal Pay, die CDU/CSU ist aber dagegen. Wir
ind für einen Mindestlohn, die FDP ist aber dagegen.
ir wollen die Leiharbeit auf ein sozialverträgliches
aß begrenzen, Sie sind aber dagegen. Nicht bei den
rünen sitzen die Neinsager, sondern in den Reihen der
egierungsfraktionen.
Unbeirrt halten Sie daran fest, dass die Leiharbeit ein
ichtiges Instrument für die Wirtschaft ist. Herr Kolb,
ie haben es gerade noch einmal gesagt. Aber was heißt
as eigentlich? Ich habe mal ein bisschen gegoogelt und
in bei der Zeitarbeitsfirma ProFutura fündig geworden.
ort wird der Vorteil der Leiharbeit sehr deutlich und
ehr klar beschrieben – ich zitiere –:
– Sie befreien sich von vielen Arbeitgeberpflichten
und -risiken
– Sie vermeiden konsequent Trennungsprobleme
– Sie erreichen eine Kostensenkung und wandeln
Fixkosten in variable Kosten
– Sie verschaffen sich durch optimale Personalbe-
setzung einen Wettbewerbsvorteil, der zu Ihrem
Unternehmenserfolg beiträgt
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9203
Beate Müller-Gemmeke
)
)
Wenn ich das lese, läuft es mir eiskalt den Rücken
runter. Wo leben wir eigentlich, wenn Menschen aus-
schließlich als variable Kosten und Wettbewerbsvorteil
bezeichnet werden? Wollen wir wirklich den Status als
Exportweltmeister mit Dumpinglöhnen erkaufen? Was
ist eigentlich noch der Wert der Arbeit bei uns hier in
Deutschland?
Für eine Sekretärin in einem Klinikum bedeutet Leih-
arbeit beispielsweise ganz konkret: Sie bekommt für die
gleiche Arbeit circa 500 Euro brutto weniger im Monat,
sie hat sechs Tage weniger Urlaub, bekommt kein Ur-
laubs- und Weihnachtsgeld und keine betriebliche Al-
tersvorsorge. Wenn alle anderen Heiligabend und Silves-
ter einen halben Tag frei haben, muss sie arbeiten.
Das ist kein Einzelfall. Die Leiharbeitskräfte sind Be-
schäftigte zweiter Klasse, die nicht nur schlechter ver-
dienen, sondern auch weniger Rechte haben. Sie haben
deutlich weniger Planungssicherheit; denn für den Ent-
leihbetrieb gilt der Kündigungsschutz nicht. Vor allem
sind sie aber zum Spielball der Unternehmen geworden.
Diese können durch die Leiharbeit einfach ihr betriebs-
wirtschaftliches Risiko auf die Beschäftigen übertragen.
Schwächelt die Konjunktur, sind die Leiharbeitskräfte
die ersten, die hinausgeworfen werden und auf staatliche
Unterstützungsleistungen angewiesen sind. Diese Form
der Beschäftigung ist meiner Meinung nach nicht mit ei-
ner sozialen Marktwirtschaft zu vereinbaren. Sozial ist
nicht, was Arbeit schafft, sondern sozial ist, was gute
Arbeit schafft.
Kritikwürdig finde ich auch, dass die Bundesagentur
für Arbeit immer mehr in Leiharbeit vermittelt, und
dies, obwohl die meisten Leiharbeitskräfte – dabei geht
es um Singlehaushalte und nicht um Familien – zusätz-
lich ergänzendes Arbeitslosengeld II erhalten. Hier liegt
die Leiharbeitsbranche weit vor allen anderen Branchen.
Dennoch wirbt die Bundesagentur für Arbeit auf ihrer
Homepage dafür – ich zitiere nochmals –:
Wenn Ihnen der Einsatz bei verschiedenen Arbeit-
gebern und Branchen gefällt, können Sie die Zeitar-
beit zu Ihrem Dauerjob machen.
Ich finde das zynisch. Die BA sollte ihren Job endlich
ernst nehmen und die Menschen in reguläre Beschäfti-
gung vermitteln.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir Grünen
sind kritisch, aber auch selbstkritisch. Ich habe hier
schon einmal gesagt, dass die Reform der Leiharbeit un-
ter Rot-Grün ein Fehler war. Fehlentwicklungen können
und müssen aber korrigiert werden. Die Verantwortung
dafür liegt jetzt leider nicht bei uns, sondern bei Ihnen,
bei den Regierungsfraktionen und der Bundesregierung.
Hören Sie von den Regierungsfraktionen endlich auf,
immer nur zu sagen, dass die Entwicklung durch Rot-
Grün entstanden ist.
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Auch die Argumentation, die ich immer wieder höre,
ass 1 Million Leiharbeitskräfte lediglich 3 Prozent der
eschäftigten entsprechen, kann ich nicht gelten lassen.
ntscheidend sind die Dynamik in der Branche und die
olgen auf dem Arbeitsmarkt, vor allem mit Blick auf
ie Freizügigkeit. Der Schutz der arbeitenden Men-
chen und die soziale Gerechtigkeit gehen durch die
eiharbeit immer mehr verloren. Die Wohlstandsver-
prechen der sozialen Wirtschaft, dass in Krisenzeiten
lle gleichermaßen abgesichert sind und am Wachstum
erecht beteiligt werden, werden in der Realität immer
eltener eingelöst. Fairness und soziale Verantwortung
ehen für mich anders aus.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Re-
ierungsfraktionen, nehmen Sie die Fakten endlich ernst.
egreifen Sie endlich, dass es nicht nur um ein bisschen
issbrauchsbekämpfung geht, sondern um viel mehr. Es
eht um einen grundsätzlichen Korrekturbedarf im Be-
ich der Leiharbeit. Kommen Sie zu Potte, und machen
ie endlich den Weg frei für reguläre Beschäftigung und
ire Löhne.
Das ist nicht nur der Wunsch der Opposition, sondern
uch der Wunsch der Bevölkerung. Umfragen haben er-
eben, dass 60 Prozent der Deutschen die Leiharbeit ab-
hnen und 87 Prozent die ungleiche Bezahlung für un-
erecht halten. Gleiches Geld für gleiche Arbeit – das
ntspricht dem Gerechtigkeitsgefühl der Menschen. Dies
ollte auch ein Zeichen für die Regierung sein.
Wenn die Meinung der Bevölkerung für Sie nicht
ählt, dann nehmen Sie doch wenigstens erfahrene Poli-
ker aus den Reihen der CDU ernst, beispielsweise
orbert Blüm, der Schirmherr der Initiative „Gleiche
rbeit – Gleiches Geld“ ist. Seinen Einsatz begründet er
amit, dass das deutsche Wirtschaftswunder durch Inno-
ation und Qualität entstanden ist und nicht durch Be-
chäftigung bei weniger Rechten und zu Dumpinglöh-
en. Recht hat er. Unsere Gesellschaft ist nur tragfähig,
enn möglichst viele Menschen einen Arbeitsplatz ha-
en, bei dem sie so viel verdienen, dass sie davon leben
önnen – ohne staatliche Unterstützung –, und bei dem
ie die gleichen Rechte und die gleichen Sicherheiten ha-
en wie alle anderen auch. Alles andere ist unsozial und
ntspricht nicht der Würde des Menschen.
Zum Schluss möchte ich ganz kurz Norbert Blüm zi-
eren: „Made in Germany ist nicht der Begriff für bil-
g!“
Vielen Dank.
9204 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
)
)
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Peter Tauber von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! Angesichts der Worte von Frau Nahles und Herrn
Gysi bin ich geneigt, mein Redemanuskript erst einmal
beiseitezulegen und auf zwei, drei Punkte einzugehen.
Eines ist unstreitig: Dort, wo es in der Zeitarbeit zu
Missbrauch kommt, besteht weitgehend Konsens, dass
wir das nicht wollen und gemeinsam überlegen müssen,
welche Schritte unternommen werden, um das künftig
zu unterbinden.
Um der Wahrheit die Ehre zu geben, sage ich aber auch
– der Erfolg der Pädagogik liegt ja manchmal in der
Wiederholung –: Wir müssten uns mit diesem Problem
nicht herumschlagen, wenn Sie das damals unter Rot-
Grün vernünftig geregelt und organisiert hätten. Das ge-
hört zur Wahrheit. Das wollen wir an dieser Stelle noch
einmal deutlich sagen.
Noch eines kommt hinzu: Sie zeichnen ein Zerrbild
der Zeitarbeit, indem Sie Negativbeispiele aufzählen.
Dieses Zerrbild kann der Wirklichkeit nicht standhalten;
denn es gibt genauso viele Positivbeispiele. Sie versün-
digen sich an diesem arbeitsmarktpolitischen Instru-
ment. Auch das will ich Ihnen an dieser Stelle sehr deut-
lich sagen.
Herr Gysi, wie weit Sie von der Wirklichkeit entfernt
sind, sieht man schon allein daran, dass Sie hier von Tau-
senden von Ingenieuren in Zeitarbeit schwadronieren,
die ausgebeutet und ausgenutzt werden. Sie wissen ge-
nau, dass der Anteil der Akademiker an den Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmern in der Zeitarbeit deutlich
unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Frau Nahles, natür-
lich trifft man in der Lufthansa-Lounge keine Zeitarbeit-
nehmerinnen und Zeitarbeitnehmer.
Vielleicht kennen Sie auch zu wenige persönlich, um Po-
sitivbeispiele wahrzunehmen. Ich habe Freunde und Be-
kannte, die über das Instrument Zeitarbeit ein festes un-
befristetes Arbeitsverhältnis bekommen haben. Sie sind
froh, dass sie diese Chance hatten, wieder in den Ar-
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Sie wissen genauso gut wie wir, dass ein Großteil der
eitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmer vorher ar-
eitslos war und dass die Zeitarbeit ein erster Schritt in
in unbefristetes Beschäftigungsverhältnis sein kann.
um sogenannten Klebeeffekt und dem, was damit zu-
ammenhängt, brauche ich hier keine weiteren Ausfüh-
ngen zu machen.
Natürlich gibt es den. – Wir müssen darüber reden, wie
an das verbessern kann. Aber Sie können es nicht völ-
g vom Tisch wischen. Die Schwarz-Weiß-Malerei, die
ie betreiben, wird der Wirklichkeit nicht gerecht.
Das kann man auch über den Antrag der SPD sagen.
enn wir Ihrem Antrag folgen würden, würde Zeitarbeit
Deutschland zu einem völlig ineffektiven Instrument
erden. Dann könnten wir sie gleich abschaffen. Das
ann niemand ernsthaft wollen. Deswegen wird Ihr An-
ag von uns zu Recht abgelehnt.
Die spannende Frage ist, was Sie machen, wenn wir
en Gesetzentwurf, den das Kabinett beschlossen hat,
uf den Weg bringen. Sie tragen den Fall Schlecker wie
ine Monstranz vor sich her und verallgemeinern ihn.
erden Sie den Mut finden und zustimmen, wenn wir
as, was Sie hier wortreich beklagt haben, eindeutig re-
eln? Man muss deutlich sagen, dass Ihre Kritik an der
inisterin aus meiner Sicht, ehrlich gesagt, ziemlich un-
assend ist. Natürlich hat es etwas mit dem Handeln und
uftreten der Ministerin zu tun, dass Schlecker ange-
ündigt hat, diese Methode nicht weiter anzuwenden.
Darüber hinaus hat die Ministerin durch eine Perso-
alaufstockung und eine weitere Verbesserung der inter-
en Verfahren bei der Bundesagentur für Arbeit dafür
esorgt, dass die Überwachung der Zeitarbeitsunterneh-
en verbessert wird. Sie werfen uns an dieser Stelle Un-
tigkeit vor, nachdem Sie selbst Verursacher dieses Pro-
lems sind. Hier legen Sie eine spannende Dialektik an
en Tag. Vielleicht sollten Sie einmal in den Spiegel
chauen.
Es ist richtig: Die christlich-liberale Koalition han-
elt. Wir machen ein Gesetz zur Verhinderung von Miss-
rauch der Arbeitnehmerüberlassung. Dieses Gesetz ist
ine kluge Lösung, durch die die Drehtürklausel ausge-
chlossen, das Instrument Zeitarbeit aber weiterhin im
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9205
Dr. Peter Tauber
)
)
Portfolio gelassen wird, um Menschen auf diesem Weg
dauerhaft in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis
vermitteln zu können.
Hinzu kommt, dass wir damit eine EU-Richtlinie um-
setzen. Wir setzen sie ein Jahr früher um, als es fristge-
mäß getan werden muss. Sie sind sehenden Auges in die
Katastrophe gelaufen, die der Kollege Weiß hier so tref-
fend beschrieben hat. Auch das gehört zur Wahrheit. Das
müssen Sie sich an dieser Stelle von mir sehr deutlich sa-
gen lassen.
Ansonsten bleibt es dabei: Dort, wo es Missbrauch
gibt, muss er bekämpft werden. Er muss auch beim Na-
men genannt werden. Das ist nicht das Problem. Ein
Zerrbild zu zeichnen, löst das Problem nicht, sondern
führt nur dazu, dass man die Chancen nicht im Blick
hält.
Wenn Sie uns bei der Bekämpfung des Missbrauchs
unterstützen, dann nehmen wir diese Unterstützung gern
an. Ich rufe Sie aber auch dazu auf, die Chancen zu er-
kennen und uns dabei ebenfalls zu begleiten. Das wären
ein vernünftiges Verhalten und eine vernünftige Rege-
lung. Dazu laden wir Sie herzlich ein – nicht nur, weil
bald Weihnachten ist. Überlegen Sie sich das und ma-
chen Sie mit; denn die Zeitarbeit – dabei bleibe ich – ist
ein gutes Instrument, das wir intelligent nutzen müssen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Anette Kramme von
der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es wird auf die Historie verwiesen. Herr Kolb
redet davon, Herr Weiß redet davon, Herr Dr. Tauber re-
det davon,
und ich habe ganz viel Verständnis dafür, dass Sie diese
Thematik auch ansprechen. Leider ist es so, dass gesetz-
geberisches Handeln nicht immer fehlerfrei ist, und es ist
tatsächlich so, dass wir damals einer Fehleinschätzung
erlegen sind,
und ich denke, ich kann das sowohl für die SPD-Frak-
tion als auch für die Fraktion der Grünen sagen.
Allerdings geht es darum, daraus Schlussfolgerun-
gen zu ziehen. Das haben wir bereits in der letzten Le-
gislaturperiode versucht. Leider haben Sie blockiert. Sie
hätten jetzt die Chance, tatsächlich etwas zu machen.
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iebe Kolleginnen und Kollegen, leider lösen Sie mit
iesem Gesetzentwurf allenfalls ein Randproblem, das
roblem der Schlecker-Fälle.
ber Sie lösen nicht das, was tatsächlich zentral im Be-
ich der Leiharbeit im Vordergrund steht: Sie gehen
icht darauf ein, dass im Bereich der Leiharbeit nur
iedrigstlöhne gezahlt werden.
ie gehen nicht darauf ein, dass leider immer mehr
tammarbeitnehmer verdrängt werden und eine zweite
arifvertragsstruktur in die Betriebe eingezogen wird.
ie gehen nicht darauf ein, dass leider die Betriebszuge-
örigkeitszeiten von Leiharbeitnehmern völlig unzurei-
hend sind, weil Arbeitsverträge befristet sind, und Sie
ind auch nicht bereit, Betriebsräten in den Entleiher-
nd Verleiherbetrieben zu helfen.
Was macht Ihre Arbeitgeberministerin tatsächlich?
ie sagt: „Das regeln wir irgendwann noch.“ Ihre Arbeit-
eberministerin vertröstet, und das macht sie seit Mona-
n. Im März hat sie diese Thematik das erste Mal aufge-
riffen. Im Mai hat sie auf dem Bundeskongress des
GB versprochen, es gebe einen DGB-Mindestlohn.
ber warme Worte helfen nicht. Warme Worte und kalte
aten machen nämlich nicht satt, und den Satz „Ein Ar-
eitnehmer muss mindestens 8,50 Euro brutto die
tunde erhalten“ kann Ihnen selbst der Hausmeister ins
esetz schreiben.
Der Reformbedarf bei der Leiharbeit ist allein anhand
er Fälle des letzten Jahres unübersehbar. Es gab die
chlecker-Fälle einerseits, und es gab das Betonwerk
esterwelle andererseits, bei dem Leiharbeitnehmer als
treikbrecher eingesetzt worden sind. Es gab leider stei-
ende Zahlen in der Leiharbeitsbranche. Auf den ersten
lick könnte man sagen, das ist etwas, was schön ist.
ber wenn die Wachstumslogik der Leiharbeitsbranche
usschließlich auf Niedrigstlöhnen beruht und wenn die
9206 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Anette Kramme
)
)
Wachstumslogik der Leiharbeitsbranche darauf beruht,
Aufstockungszahlungen der Argen in Kauf zu nehmen,
dann ist das ein Wachstum, das wir nicht wollen.
Wir brauchen in der Leiharbeit vor allen Dingen vier
Dinge:
Erstens fordern wir gleiches Geld für gleiche Arbeit.
In unserem Antrag ist das so vorgesehen. Es gibt nur
eine winzige Ausnahme. Diese winzige Ausnahme ist
mehr als vertretbar. Wir sagen: Für eine erforderliche
Einarbeitungszeit – das gilt nicht für eine Zeit, die keine
Einarbeitungszeit ist – darf es für die Dauer von vier
Wochen eine Ausnahme geben. Aber das kann nicht
durch einen x-beliebigen Tarifvertrag passieren, sondern
das kann nur durch einen Tarifvertrag des Entleihers pas-
sieren; darüber hinaus muss das Schutzniveau des Leih-
arbeitnehmers gewahrt werden. Das heißt, man kann ihm
in dieser Zeit vielleicht 10 oder 15 Prozent des Lohnes
nehmen, aber dann muss man ihm an anderer Stelle
mehr zahlen.
Zweitens sagen wir: Ein Platz, ein Jahr. Wenn ein
Leiharbeitnehmer mehr als ein Jahr in einem Betrieb
beschäftigt ist, dann ist das keine lockere Affäre mehr,
sondern im Regelfall eine ernsthafte Beziehung. Bei
ernsthaften Beziehungen ist die Festanstellung im Ent-
leiherbetrieb angebracht. Wir fordern an dieser Stelle
klar und deutlich: Es darf keine Synchronisierung von
Arbeitsverträgen der Leiharbeitnehmer und Einsätzen im
Verleiherbetrieb mehr geben.
Drittens sagen wir: Es darf keine Verträge von Fall
zu Fall geben. Das haben wir in unserem Antrag klar
und deutlich zum Ausdruck gebracht.
Viertens – ein allerletzter Punkt, der uns wichtig ist –
fordern wir: Leiharbeit muss klar mitbestimmt sein. Das
heißt zunächst einmal, dass die Leiharbeitnehmer bei der
Zahl der Vertreter im Betriebsrat und bei der Zahl der
Freistellungen mitberücksichtigt werden müssen. Vor al-
len Dingen wollen wir den Betriebsräten im Entleiherbe-
trieb ein echtes Mitbestimmungsrecht geben, ein Mitbe-
stimmungsrecht, bei dem sie selber initiativ werden
können, bei dem Leiharbeit nicht einfach aufgedrückt
werden kann und bei dem am Ende im Zweifel eine Ei-
nigungsstelle steht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union,
Weihnachtsgeschenke sollten Sie nicht nur den Reichen
in diesem Land, nicht nur der Atomwirtschaft, nicht nur
den Hoteliers und nicht nur den Unternehmern machen,
sondern auch den ganz normalen Leiharbeitnehmern und
Leiharbeitnehmerinnen in diesem Lande.
In diesem Sinne herzlichen Dank.
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Ich habe mir Ihre Begründung des Hartz-I-Gesetzes
ngeschaut. Dort heißt es: Durch die „Aufhebung des
ynchronisationsverbots, des besonderen Befristungs-
erbots sowie des Wiedereinstellungsverbots“ wird die
rbeitnehmerüberlassung „flexibilisiert“. – Das war ge-
au das, was Sie wollten.
as haben Sie auch bekommen. Jetzt können Sie nicht
o tun, als hätte sich nur ein kleines Detail anders entwi-
kelt, als Sie es wollten.
as ist unehrliche Politik, und das werden wir Ihnen
icht durchgehen lassen, liebe Kollegen.
Herr Ernst, Sie können gerne eine Zwischenfrage stel-
n. Ich freue mich, wenn Sie meine vier Minuten Rede-
eit verlängern.
Der zweite Punkt. Sie haben gesagt, Sie wollten das
lles schon in der letzten Legislaturperiode korrigieren.
as Sie uns jetzt vorlegen, ist die komplette Rückab-
icklung der gesamten im Hartz-I-Gesetz vorgesehenen
lexibilisierung der Zeitarbeit. In der letzten Legislatur-
eriode wollten Sie das aber nicht.
a wollten Sie einen Mindestlohn einführen, den in
eutschland nach meiner Auffassung niemand braucht;
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9207
Johannes Vogel
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)
er ist nicht notwendig, weil es schon eine hundertprozen-
tige Tarifbindung gibt. Das war das Einzige, was Sie
wollten. Von der Verbotsorgie, die Sie jetzt feiern wol-
len, war damals noch keine Rede.
Und daraus zimmern Sie sich Ihre Rechtfertigungen
auch zurecht. In Ihrem Antrag ist die Rede davon, es
würden in großem Stil Stammarbeitskräfte abgebaut und
Zeitarbeiter aufgebaut;
das habe ich eben auch von der Kollegin Müller-
Gemmeke von den Grünen gehört.
– Ich sage Ihnen, was ich mir anschaue.
Die Untersuchungen des IAB zitieren wir alle immer
gerne im Ausschuss. Wer hier jetzt behauptet, das sei
keine seriöse Quelle, der lügt. Das IAB hat im Bericht
2010 festgestellt, dass in 98 Prozent der Fälle Zeitarbeit
eben nicht dafür genutzt wird, Stammarbeitskräfte abzu-
bauen, sondern zusätzliche Beschäftigung aufzubauen.
Also zimmern Sie sich nicht Ihre Rechtfertigung zusam-
men, wie es gerade passt, sondern bleiben Sie bitte bei
der Wahrheit.
Und wie sieht die Wahrheit aus? Was ist zu tun? Auch
die Koalition ist ja der Auffassung, dass sich bei der
Zeitarbeit etwas ändern muss. Nur sagen wir nicht, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in der Regie-
rungszeit „schwarz“ und später in der Opposition „weiß“
oder umgekehrt.
– Bei uns ist immer alles blau-gelb, Herr Kollege Schaaf.
Wir fragen uns, welche Lösung für die Menschen
wirklich richtig ist.
Richtig ist in diesem Land, dass wir die Vorteile der
Zeitarbeit erhalten. Zwei Drittel der Zeitarbeiter waren
vorher langzeitarbeitslos. Für sie ist Zeitarbeit die
Chance für einen Einstieg in den Arbeitsmarkt.
Wir wollen die Flexibilisierung erhalten, auch die
Vorteile des deutschen Arbeitgebermodells, und echten
Missbrauch effektiv verhindern. Genau das macht diese
Koalition. Wie machen wir das? Wir sorgen mit der so-
genannten Schlecker-Klausel im Gesetz dafür, dass sol-
cher Missbrauch, wie wir ihn Anfang des Jahres bei
Schlecker erlebt haben, nicht mehr möglich ist. Und das
Struck’sche Gesetz wurde eben auch schon angespro-
chen. Ich bin mir sicher, dass wir nach diesem im weite-
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Frau Nahles, Sie hatten acht Jahre Zeit. Ich verstehe ja,
enn Sie sagen – das ist Ihr gutes Recht –, Sie würden
ich das alles schneller wünschen, aber wir werden eine
ute Lösung finden.
ie gute Lösung sieht in meinen Augen so aus, dass wir
der Tat Equal Pay nach Frist brauchen. Mehrfach
urde gesagt, weil wir Equal Pay nicht ab dem ersten
ag, sondern nach einer Frist wollten, sei das unehrlich
nd wir würden es auch nicht wirklich wollen. Das ist
ber alles nicht zutreffend. Die Frage ist doch: Was wol-
n wir denn?
ir wollen die Zeitarbeit als Flexibilitätsinstrument,
rau Kollegin, und als Einstieg für Langzeitarbeitslose.
enn Leute nur für eine gewisse Zeit eingesetzt werden,
t es okay – das ist ja der Sinn der Zeitarbeit –; denn die
eitarbeiter werden nach dem deutschen Arbeitgeber-
odell nach Tarif bezahlt, übrigens auch in verleihfreien
eiten. Genau das werden wir erhalten.
Missbrauch tritt ein, wenn jemand sehr lange in einem
nternehmen ist und man sich die Frage stellen kann, ob
as möglicherweise nur deshalb der Fall ist, weil der Ta-
flohn für Zeitarbeit unter dem Tariflohn im Unterneh-
en liegt. Das wollen wir nicht. Das ist Missbrauch, den
ir effektiv verhindern werden. Deshalb schlägt die
DP vor – und ich wette, wir werden uns als Koalition
u einer klugen Lösung durchringen –, Equal Pay nach
rist einzuführen.
Anders als Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
er SPD, stellen wir uns dieser Aufgabe. Sie machen in
er Regierungszeit das eine und verkünden in der Oppo-
ition das genaue Gegenteil. Wir fragen: Was ist für die
enschen richtig, und wo kann man Missbrauch effek-
v verhindern?
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Ich wün-
che noch nicht frohe Weihnachten, weil ich glaube, dass
ir uns bei der übernächsten Debatte hier im Plenum
lle noch einmal wiedersehen. Insofern: Bis gleich!
Das Wort hat jetzt die Kollegin Heike Brehmer von
er CDU/CSU-Fraktion.
9208 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
)
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wilhelm von Humboldt schrieb einst: „Das
Arbeiten ist meinem Gefühl nach dem Menschen so gut
ein Bedürfnis als Essen und Schlafen.“ Dem dürften Sie
alle wohl gleichermaßen beipflichten.
Die Zeitarbeit hat in den letzten Jahren sehr viel für
die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen, älteren Ar-
beitsuchenden und Geringqualifizierten in den ersten Ar-
beitsmarkt getan. Die Brückenfunktion der Zeitarbeit
ist Realität. Viele Langzeitarbeitslose haben durch Zeit-
arbeit eine Chance auf Eingliederung in das Erwerbsle-
ben gefunden.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat
in seinem Bericht „Weichen für den Aufschwung stel-
len“ dargestellt, dass Zeitarbeit für Arbeitslose häufig
ein Sprungbrett in reguläre Beschäftigung ist. Für Lang-
zeitarbeitslose müssen Anreize geschaffen werden, so
der Industrie- und Handelskammertag weiter, damit sie
nicht länger auf staatliche Unterstützung angewiesen
sind.
In Deutschland haben nur etwa 2,25 Prozent der
41 Millionen Erwerbstätigen eine Tätigkeit in der Zeit-
arbeitsbranche, was ich im Übrigen hier erwähne, damit
die Größenverhältnisse in der Debatte gewahrt bleiben.
In der Branche arbeiten insgesamt ca. 923 000 Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer.
Unbestritten hat es unter den Zeitarbeitsunternehmen
schwarze Schafe gegeben. Der Fall Schlecker ist nur das
prominenteste Beispiel. Weil ein Unternehmen wie
Schlecker unter dem Deckmantel der Zeitarbeit ver-
sucht, Tarifverträge zu umgehen, kann aber nicht die ge-
samte Zeitarbeitsbranche verteufelt werden.
Durch Negativbeispiele wie Schlecker wird uns ge-
zeigt, dass Unternehmen durch rot-grüne Fehler und
Nachlässigkeiten bei der Deregulierung der Arbeitneh-
merüberlassung zu falschem Verhalten eingeladen wur-
den. Den Gewerkschaften und der Opposition dient der
Fall Schlecker als Steilvorlage. Reflexartig fordern sie
die Regulierung der Zeitarbeit, die Einführung eines
Mindestlohns und obendrauf die Erhöhung der Hartz-IV-
Sätze und dass Arbeitslosengeld länger gezahlt wird.
Genau das ist aber der falsche Weg, um Menschen
wieder in Arbeit zu bringen. Das bedeutet, dass die
christlich-liberale Regierungskoalition erneut die Repa-
raturwerkstatt für rot-grüne Gesetze ist und auch bei der
Arbeitnehmerüberlassung nachbessern wird.
Ein allgemeinverbindlicher Mindestlohn wird von
den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften sowie
den Branchenverbänden der Zeitarbeit einhellig unter-
stützt. Unsere Bundesministerin Frau von der Leyen hat
einen Entwurf zur Änderung des Arbeitnehmerüberlas-
sungsgesetzes vorgelegt, welcher in dieser Woche durch
das Kabinett beschlossen wurde. Unsere Ministerin hat
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die häufig doppelt so gut bezahlt werden. Das müssen
wir ändern.
Wir müssen nicht die gute Bezahlung ändern, aber der
Minderlohn für Leiharbeit muss weg. Deshalb sagen
wir: Mindestlohn ist das eine, aber Equal Pay ist uner-
lässlich, wenn wir mehr Gerechtigkeit in der Arbeitswelt
erreichen wollen. Das ist auch das Ziel, das wir mit un-
serem Antrag verfolgen.
Wir sind schon enttäuscht über den Gesetzentwurf,
den Sie, meine Damen und Herren von der Mehrheit die-
ses Hauses, hier vorlegen. Das ist nicht nur unwürdig für
Weihnachten, sondern dadurch erwecken Sie auch den
Eindruck, als gebe es Leiharbeit nur bei Schlecker und
als sei das Problem der Leiharbeit in Deutschland gelöst,
wenn man das Problem Schlecker löse. Nein, meine Da-
men und Herren, so ist es nicht. Hunderttausende von
Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern hatten darauf ge-
hofft, dass Sie die Wirklichkeit wahrnehmen, dass Sie
die Probleme erkennen und zu einer Lösung beitragen.
Das sehen wir leider nicht.
Sie sehen sich gezwungen, zu reagieren, weil Europa
schon mehr eingesehen hat als Sie. Sie verhandeln FDP-
intern und mit dem Koalitionspartner. Dazu kann ich nur
sagen: Gute Verhandlungen! Sie können sie sich sparen,
wenn Sie sich unsere Forderungen anschauen.
Mir ist heute noch etwas aufgefallen: Zu Recht sagen
Sie, Rot-Grün hat die Leiharbeit in einem Maße flexibi-
lisiert, dass wir damit heute große Probleme haben. Ja,
diesen Fehler gestehen die Sozialdemokraten ein. Aber
wissen Sie, warum Sie immer darauf rekurrieren und
dann von „verlotterten Sitten“ sprechen? Das ist Ihre
Lieblingsformel, Herr Weiß.
Weil Sie eigentlich nichts zu bieten haben, um das zu än-
dern.
Gar nichts. Sie schauen zurück, weil es schäbig ist, was
Sie heute machen, und weil es keine Lösungen für mor-
gen sind.
So viel zu den verlotterten Sitten.
Frau Lösekrug-Möller, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Weiß?
Nein, die erlaube ich heute nicht. Ich will das auch
gern begründen, Herr Kollege Weiß. Sie hatten viele Mi-
nuten Zeit, Ihre Sichtweise vorzutragen. Sie haben sich
im Wesentlichen darauf beschränkt, uns zu beschimpfen.
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h finde, davon haben wir heute genug gehört.
Ich möchte eher über die reden, denen es in der Leih-
rbeit nicht gut geht, Herr Weiß. Dazu will ich aus einer
nhörung des Deutschen Bundestages im Juni zitieren.
amals sagte jemand: Meine Werkskollegen an der glei-
hen Maschine bei gleicher Arbeit arbeiteten zum Lohn
on 17,50 Euro plus Schichtzulage, Leiharbeitslohn
,42 Euro.
Dann geht es weiter: Wir mussten eine andere Klei-
ung tragen, wir mussten zum Beispiel für das Kantinen-
ssen das Doppelte bezahlen, weil wir die Ermäßigung
icht bekamen. – Das stelle man sich einmal vor! – Wir
urften die betriebseigenen Parkplätze nicht benutzen.
Das alles mögen Sie als Kleinigkeiten empfinden. Es
t aber Ausdruck einer Diskriminierung von vielen Be-
chäftigten in Deutschland, mit der wir uns so nicht ab-
nden wollen.
Deshalb sagen wir, das muss sich ändern. Deshalb le-
en wir Wert darauf, dass ein Gesetz nicht nur irgendwie
uropakonform wird, sondern dass es mit den Missstän-
en deutlich aufräumt. Das ist unser Wille, und das ist
halt unseres Antrags.
Eine Sache hat mich heute maßlos geärgert. Das ist
as Schönreden der Brückenfunktion. Mehrfach habe
h gehört, wie wunderbar breit und sicher diese Brücke
t. Hier wurde – Herr Vogel, wenn Sie aufhören, zu tele-
nieren, könnten Sie an meiner Rede teilhaben – gesagt,
ie wunderbar es klappt, dass man damit in den ersten
rbeitsmarkt kommt.
Sie haben gesagt: Das IAB ist eine so verlässliche
uelle. – Ja, das finde ich auch. Und was sagt das IAB
u diesem Punkt? Es sagt, nur 5 Prozent können diese
rücke erfolgreich nutzen.
ur 5 Prozent. Was ist mit den anderen 95 Prozent?
m diese kümmern Sie sich nicht gut genug.
Ich will Ihnen sagen, was ich noch prekär finde: Pre-
är finde ich, dass wir in der Leiharbeit sehr viele junge
rbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finden. Wir haben
estern beim Thema „Generation Praktikum“ darüber
estritten. Wer beklagt, dass wir möglicherweise nicht
enug Fachkräfte haben, der sollte sich um die jungen
eute kümmern, die gern unsere Fachkräfte sein wollen
9210 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Gabriele Lösekrug-Möller
)
)
und die wir schäbig behandeln, wenn wir sie in puncto
Leiharbeit weiterhin in einer so prekären Situation belas-
sen.
In diesem Sinne wünsche ich allen eine schöne Be-
scherung.
Wie vermutet, drängt es den Kollegen Peter Weiß,
eine Kurzintervention abzugeben. Bitte denken Sie an
das Wort „kurz“.
Ja, danke. – Frau Kollegin Lösekrug-Möller, für eine
verlotterte Sitte im politischen System halte ich es, wenn
man in seiner Regierungsverantwortung ein Problem
schafft und anschließend, wenn man in der Opposition
ist, von den anderen fordert, das Problem zu beseitigen.
Zweitens war es so, dass während Ihrer Regierungs-
zeit in der Zeitarbeit zum Teil dramatisch niedrige Löhne
gezahlt worden sind – verlotterte Sitten – und dass wir
jetzt zum ersten Mal einen flächendeckenden Mindest-
lohn in der Zeitarbeit in Deutschland haben, weil alle
vier Arbeitgeberverbände und alle Gewerkschaften sich
gemeinsam darauf verständigt haben. Das halte ich für
einen großen Fortschritt zugunsten der Leiharbeiterinnen
und Leiharbeiter in unserem Land.
Vielen Dank.
Bitte zur Erwiderung, auch kurz.
Selbstverständlich, Herr Präsident; das geht auch
ganz kurz, weil ich eine ganz einfache Antwort habe. –
Herr Kollege Weiß, in der letzten Legislaturperiode wa-
ren wir beide auch schon Mitglieder des Ausschusses für
Arbeit und Soziales. Ich kann mich nicht erinnern, dass
Sie in der letzten Legislatur die „verlotterten Sitten“ ir-
gendwo kritisiert hätten. Sie gehören zu der Fraktion, die
dazu einfach nichts gemacht hat. Sie haben blockiert:
Jede Anregung, jede Initiative, die wir – –
– Oh ja, so ist das. Sie müssen jetzt auch die Wahrheit
aushalten. Das kommt davon, wenn man meint, man
habe immer recht, und dann auch noch von verlotterten
Sitten spricht. Es geht um Gerechtigkeit; darum ringen
wir. Deshalb fordere ich Sie auf, sich bitte einmal an die
letzte Legislaturperiode zu erinnern. Vielleicht kehrt bei
Ihnen dann auch ein klein wenig Reue ein.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Ulrich Lange von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
ie Kollegin Nahles hat vorhin davon gesprochen,
er Arbeitsmarkt sei verkommen – nach elf Jahren SPD-
olitik. Die parlamentarischen Sitten der SPD sind ver-
ommen, wenn die erste Rednerin sich einfach in den
eihnachtsurlaub verabschiedet, während wir dieses
hema hier weiter diskutieren. Ich hätte ihr gerne noch
ersönlich geantwortet.
Wenn man geredet hat, sollte man jetzt auch hier sit-
en.
Wir können jetzt gern darüber reden, wer wann Buße
n soll und muss. Ich wünsche uns allen am Ende der
ede ein gesegnetes, von Buße begleitetes Weihnachts-
st. Aber ich glaube, dass das Thema Zeitarbeit, das wir
nicht zum ersten Mal in dieser Legislaturperiode dis-
utieren, durchaus auch positive Signale hat. Nachdem
nsere Bundesarbeitsministerin vorhin einer Tarifpartei
ugeordnet wurde, muss ich sagen: Die unmissverständ-
che Aufforderung von Ursula von der Leyen nach der
ausa Schlecker an die Tarifparteien, zu handeln, hat zu
iesen neuen Tarifverträgen geführt.
ies zeigt die Akzeptanz und die Kompetenz unserer
euen Bundesarbeitsministerin.
Die neuen Tarifverträge – ich habe es gerade schon
ngesprochen – mit Lohnuntergrenzen und einer Ver-
eidung des Drehtüreffekts zeigen aber auch die Stärke
nseres Tarifsystems. Dies zeigt, dass bei uns in
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9211
Ulrich Lange
)
)
Deutschland Tarifautonomie funktioniert. Das ist die
Aussage dieses Jahres in der Zeitarbeit.
Kollegin Kramme, wenn Sie vorhin von großem Re-
formbedarf gesprochen haben, dann ist das richtig. Die
christlich-liberale Koalition ist eine große Korrektur-
werkstatt der von Rot-Grün geschaffenen Missbrauchs-
möglichkeiten. Nur eines lassen wir auch nicht durchge-
hen: den Grundgedanken der Zeitarbeit grundsätzlich
zu verteufeln.
– Natürlich machen Sie es. So wie Sie sie ausgestalten
wollen, ist Zeitarbeit nicht mehr möglich.
Eines ist nämlich genauso richtig: Im Prinzip liegt der
seriösen Zeitarbeit eine richtige Idee zugrunde.
Dass wir gegen schwarze Schafe vorgehen, Missbrauch
bekämpfen und ein faires System brauchen, darin sind
wir uns einig. Dazu bedarf es aber weder einer Jahres-
schlusspanikdebatte, als welche ich sie heute empfinde,
noch eines Schaulaufens der SPD. Wenn Sie etwas
durchsetzen wollen, dann zeigen Sie Stärke. Ich frage
Sie dann, wie tarifmächtig oder koalitionsmächtig Sie
sind.
Ich habe eigentlich auf die Einwechslung Ihres Super-
stars gewartet. Aber Ihr Superstar, der eine Zeit lang da
war, kommt wahrscheinlich nicht mehr zurück.
– Es ist doch Ihr Antrag, Frau Mast. Dann sorgen Sie
auch dafür, dass Ihre Kollegen da sind.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
die gänzliche Abkehr von der Agenda 2010 bedeutet die
Verabschiedung aus der Verantwortung. Sie verabschie-
den sich, wir übernehmen die Verantwortung. Wir haben
die Verantwortung mit Erfolg übernommen. Ein Rück-
gang der Arbeitslosenzahl von 5 Millionen auf 2,9 Mil-
lionen – das ist die Bilanz der christlich-liberalen Koali-
tion im ersten Jahr.
Wir alle wissen, dass der 1. Mai 2011 für die Zeitar-
beit kein Tag der Arbeit wie jeder andere ist, sondern
dass ab dann die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit mit all
ihren Auswirkungen gilt. Aber wir werden im europäi-
schen Kontext die Angelegenheit regeln und im Auge
behalten. Wir stehen für Schutz vor dem Drehtüreffekt.
Wir stehen für den Schutz der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer im Rahmen der Freizügigkeit. Wir stehen
für die Umsetzung der EU-Richtlinie. Wir stehen aber
auch für den Erhalt der Zeitarbeit als eigenständige
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erden der Zeitarbeit im Jahr 2011 ein neues, gesell-
chaftsfähiges, an die Arbeitswirklichkeit angepasstes,
hancenoffenes und faires Gesicht geben.
In diesem Sinne wünsche ich schon jetzt – ich werde
eute nicht mehr reden – von dieser Stelle aus gesegnete
eihnachten und alles Gute. Ich freue mich auf die De-
atten im Jahre 2011.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Pascal Kober von der FDP-
raktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
iebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, fast habe
h gedacht, als ich Ihren Antrag gelesen habe, dass die
elt nicht mehr stimmt. Wo bleibt denn Ihr sozial- und
rbeitsmarktpolitischer Kultschlager? Aber dann, nach
cht langen Seiten, fand er sich in den letzten Zeilen
och, die Forderung nach einem gesetzlichen Mindest-
hn in Höhe von 8,50 Euro.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, so wie
ie nicht müde werden – egal bei welchem Antrag zu
en Debatten über die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik –,
inen flächendeckenden und branchenübergreifenden
indestlohn in Höhe von 8,50 Euro zu fordern, so
erde auch ich nicht müde werden, Ihnen die Arbeits-
arkt- und Sozialpolitik dieser christlich-liberalen Ko-
lition zu erläutern. Wir als christlich-liberale Koalition
ind angetreten, um den Menschen, die arbeitslos sind,
en Sprung in die Erwerbstätigkeit zu erleichtern und die
enschen, die einen Arbeitsplatz haben, zu unterstüt-
en, ihren Arbeitsplatz zu behalten. Dass wir als christ-
ch-liberale Koalition da außerordentlich erfolgreich
ind, zeigen die aktuellen Arbeitsmarktdaten beindru-
kend.
Nun fordern Sie auch in dem vorliegenden Antrag ei-
en Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro. Wir lehnen die-
en auch deshalb ab, weil seriöse wissenschaftliche Stu-
ien zumindest zu bedenken geben, dass das negative
uswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben könnte. Bei
9212 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Pascal Kober
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)
einem Stundenlohn in Höhe von 8,50 Euro könnten bis
zu 1,2 Millionen – nach bestimmten Studien sogar bis zu
2 Millionen Arbeitsplätze – gefährdet sein.
Aber das ist genau das Gegenteil von dem, was wir wol-
len. Wir wollen keine Arbeitsplätze gefährden. Vielmehr
wollen wir, dass die Menschen in Erwerbstätigkeit kom-
men und in Erwerbstätigkeit bleiben.
Auch der Ihnen und den Gewerkschaften nahestehende
Wirtschaftsweise Peter Bofinger warnt vor einem Min-
destlohn von über 5 Euro.
Wir wollen, dass die Menschen in Arbeit bleiben oder
den Sprung in die Erwerbstätigkeit schaffen. In diesem
Zusammenhang muss man erwähnen, dass die Zeitarbeit
bisher ein wichtiges – ja, so kann man es nennen – ar-
beitsmarktpolitisches Instrument gewesen ist. Selbst die
gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung gibt zu, dass
15 Prozent der Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeit-
nehmer in den Betrieben, in die sie entliehen werden, ei-
nen dauerhaften Arbeitsplatz finden. Andere Studien ge-
hen sogar von weit höheren Zahlen – von bis zu
25 Prozent – aus. Dann gibt es noch bis zu 20 Prozent,
die in anderen Betrieben einen Arbeitsplatz finden. Das
zeigt eindeutig, dass die Zeitarbeit ein wirksames Instru-
ment ist, um Menschen in Beschäftigung zu bringen und
ihnen eine Erwerbstätigkeit zu ermöglichen.
62,2 Prozent der Zeitarbeiternehmerinnen und Zeitar-
beitnehmer waren zuvor arbeitslos, 11,4 Prozent haben
zuvor sogar nie gearbeitet. Das zeigt sehr deutlich, wie
wichtig das Instrument der Zeitarbeit ist. Wir von der
christlich-liberalen Koalition werden selbstverständlich
alle Schritte der Bundesregierung unterstützen, um
Missbrauch in der Zeitarbeitsbranche zu verhindern.
Aber wir werden auch dafür Sorge tragen, dass dieses
sehr wichtige Instrument auf unserem Arbeitsmarkt
nicht durch unsachgemäße Anträge von Ihnen kaputtge-
macht wird.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat jetzt die Kollegin Gitta Connemann von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden
heute einmal mehr über die Zeitarbeit in Deutschland.
Das ist sicherlich ein Thema, an dem sich die Geister
scheiden, und eine Debatte, bei der sich die Gemüter er-
hitzen. Das haben wir heute einmal mehr erlebt.
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as sind immerhin mehr als 800 000 Menschen in
eutschland. Liebe Frau Müller-Gemmeke und lieber
err Gysi, ich bitte Sie, endlich einmal zur Kenntnis zu
ehmen, dass diese Menschen in einem regulären Ar-
eitsverhältnis stehen.
eitarbeit ist eine Beschäftigung im ersten Arbeits-
arkt. Ein Zeitarbeitnehmer ist bei einem Zeitarbeits-
nternehmen beschäftigt und wird lediglich an unter-
chiedlichen Arbeitsorten eingesetzt. Er befindet sich in
inem ganz normalen, regulären Arbeitsverhältnis mit
gulären Arbeitnehmerrechten.
r hat Anspruch auf Urlaub, Entgeltfortzahlung im
rankheitsfall und genießt Kündigungsschutz, genau
ie jeder andere Arbeitnehmer auch. Ich würde Sie bit-
n, das endlich zur Kenntnis zu nehmen.
Die gesamte Debatte ist durchzogen von Ideologie,
lischees und Vorurteilen, die nicht der Wirklichkeit
nd der Wahrheit entsprechen. Das war anders, als Sie
003 das Gesetz, über das wir heute sprechen, geschaf-
n haben. Damals hatten Sie drei Ziele. Die Bundesre-
ierung hat jetzt bei der Vorlage ihres Gesetzentwurfes
eprüft, ob genau diese Ziele erreicht worden sind. Da-
n hat sie gut getan, denn es geht nicht um Vorurteile,
ondern um Zahlen und Fakten.
Das erste Ziel, das Sie, meine Damen und Herren von
ot und Grün, erreichen wollten, war die Schaffung zu-
ätzlicher Arbeitsplätze. Heute können wir sagen: Ja, ge-
au das hat die Zeitarbeit erreicht.
Januar 2004 gab es 326 000 Zeitarbeitnehmer, heute
ind es um die 800 000 Zeitarbeitnehmer. Es geht dabei
m reguläre Arbeitsplätze, und zwar um neue Arbeits-
lätze.
Liebe Frau Kramme, Sie sagen, wir würden nicht da-
uf eingehen, dass Stammarbeitsplätze verdrängt wor-
en sind. Das tun wir in der Tat nicht, und zwar deshalb,
eil diese Behauptung falsch ist. Nehmen Sie bitte zur
enntnis, dass die Zeitarbeit nur bei 2 Prozent der Be-
iebe dazu geführt hat, dass Stammarbeitsplätze abge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9213
Gitta Connemann
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schafft worden sind. Bei 98 Prozent der Betriebe ist das
nicht geschehen. Die Zeitarbeit hat also erheblich dazu
beigetragen, den Arbeitsmarkt in Deutschland zu verbes-
sern. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis!
Das zweite Ziel, das Sie erreichen wollten, war es,
Brücken in den ersten Arbeitsmarkt zu schlagen. Genau
das hat die Zeitarbeit geleistet. Nehmen Sie bitte auch
zur Kenntnis, dass 62 Prozent der Beschäftigten, die neu
eingestellt worden sind, vorher ohne Beschäftigung ge-
wesen sind. Von diesen Menschen sind übrigens
32 Prozent ohne Berufsausbildung oder Abschluss. Das
sind Menschen, die sonst keine Chance auf dem Arbeits-
markt haben. Wir sind nicht bereit, zuzulassen, dass ih-
nen diese Chance durch Ihr Handeln kaputtgemacht
wird.
Das dritte Ziel war: Die Unternehmen sollen einen
Flexibilitätspuffer erhalten. Genau das hat die Zeitar-
beit bewirkt. Die Zahlen besagen, dass 50 Prozent der
Einsätze kürzer als drei Monate sind. Unter dem Strich
wird damit die Zeitarbeit genau für die Fälle gebraucht,
für die sie gedacht war, nämlich für Auftragsspitzen und
Auslastungsschwankungen.
Die Bilanz zeigt: Die Zeitarbeit hat positive Effekte.
Daran ändert die aktuelle Entscheidung des Bundesar-
beitsgerichts nichts; denn diese hat nur die Tariffähigkeit
einer einzigen Gewerkschaft, aber nicht das Instrument
der Zeitarbeit zum Gegenstand. Zur Zeitarbeit wird darin
nichts gesagt, und dazu könnte darin auch nichts gesagt
werden. An der Zeitarbeit ist nichts zu bemängeln. Auf
dieser Grundannahme beruht der Gesetzentwurf der
Bundesregierung.
Dazu hat die SPD in einer Nacht-und-Nebel-Aktion
in dieser Woche einen neuen Antrag vorgelegt.
Zu diesem Antrag lässt sich sagen: Er ist überholt. Sie
fordern zu Recht zum Beispiel eine Umsetzung der EU-
Leiharbeitsrichtlinie. Wenn Sie in den Gesetzentwurf der
Bundesregierung geschaut hätten, dann hätten Sie fest-
gestellt, dass das darin steht. Einfach einmal den Gesetz-
entwurf lesen!
Darin steht unter anderem, dass Zeitarbeitnehmer Zu-
gang zu Gemeinschafteinrichtungen der Einsatzbetriebe
erhalten sollen.
Wenn Sie sich mit der Gesetzeslage auseinanderge-
setzt hätten, wüssten Sie auch, dass schon heute Fakt ist,
was Sie fordern, nämlich dass auch Zeitarbeitnehmer
Betriebsräte wählen können. Unterhalten Sie sich einmal
mit der Firma Randstad! Da sind mehr als 50 Mitarbeiter
als Betriebsräte freigestellt. Nehmen Sie doch einfach
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Zu Ihrer Begrifflichkeit. „Dumpinglöhne“ ist bei Ih-
en ein sehr beliebter Begriff, wenn es um die Zeitarbeit
eht.
ich erschüttert an dieser Stelle besonders, dass Sie in
rem Antrag von Menschen als „Niedriglohn-Reserve“
prechen.
h persönlich verwahre mich dagegen, dass Menschen,
ie hart arbeiten, von Ihnen als „Niedriglohn-Reserve“
lassifiziert und disqualifiziert werden. Das ist einfach
ur unanständig.
Wenn wir auf die Lohnhöhen zu sprechen kommen
ollen, bitte ich Sie einfach, das Tarifgefüge zur Kennt-
is zu nehmen.
ie Tarifabschlüsse, die heute einen deckungsgleichen
ariflohn festlegen, sind von uns allen völlig zu Recht
egrüßt worden. Aber nehmen Sie bitte auch zur Kennt-
is, dass der Tariflohn in der untersten Lohngruppe für
ngelernte Arbeiter in der Zeitarbeitsbranche heute bei
,40 Euro im Osten und 7,60 Euro im Westen liegt. Ich
etone: ungelernte Arbeiter, unterste Lohngruppe.
Schauen wir doch einmal über den Tellerrand, in an-
ere Branchen. Sie wiederholen immer monoton, in der
eitarbeitsbranche würde schlechter bezahlt als in ande-
n Branchen. Das ist schlichtweg nicht der Fall.
h darf nur einige wenige Tarifabschlüsse der letzten
onate nennen. Unter anderem hat die IG Metall im
anuar 2010 in der Pfalz, übrigens ein SPD-geführtes
and, einen Tarifvertrag für die Bekleidungsindustrie
it einer untersten Lohngruppe von 6,18 Euro abge-
chlossen. Das liegt bei fast 1,50 Euro unter dem ent-
prechenden Lohn in der Zeitarbeitsbranche.
h nenne weiter den Einzelhandel in Bremen. Da hat
er DGB einen Tarifvertrag mit einer untersten Lohn-
ruppe von 7,37 Euro abgeschlossen. Für das nordrhein-
estfälische Fleischerhandwerk wurde ein Tarifvertrag
it 6,45 Euro abgeschlossen.
9214 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Gitta Connemann
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Ich könnte weitere nennen. Es sind alles Tarifverträge,
die aktuell vom DGB, von der IG Metall oder von Verdi
abgeschlossen worden sind.
In allen diesen Betrieben werden Zeitarbeitnehmer
eingesetzt. Ihre Forderung nach Equal Pay würde für
diese Arbeitnehmer bedeuten, dass sie in der untersten
Lohngruppe nicht mehr 7,60 Euro, sondern eben zum
Beispiel nur noch 6,18 Euro bekommen. Das ist die
Wirklichkeit. Auch das muss an dieser Stelle einmal ge-
sagt werden.
Das ist das Gefährliche bei Forderungen zum Beispiel
nach einem undifferenzierten Equal Pay. Man sollte dif-
ferenzieren, und genau das wird beispielsweise mit dem
Gesetzentwurf der Bundesregierung getan. Das Einzige,
was mir an Ihrem Antrag wirklich gefällt, ist die Über-
schrift: „Missbrauch der Leiharbeit verhindern“. Das
wollen auch wir. Im Gegensatz zu Ihnen tun wir das
auch,
indem wir jetzt einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem
wir Fällen wie zum Beispiel Schlecker und Schleckers
Genossen entgegentreten. Ich finde, dass der Fall der
AWO, der heute hier von Peter Weiß präsentiert worden
ist, einem den Atem stocken lassen kann. Aber ich habe
von Ihnen immer noch nichts in Bezug auf Ihre Beteili-
gung an Medienverlagen gehört, die genau das machen,
was Sie hier kritisieren. Da stehen Sie persönlich in der
Verantwortung. Ich würde mir wünschen, dass Sie sich
dieser Verantwortung endlich stellen.
Nicht nur schöne Worte, sondern gute Taten sind ent-
scheidend. Genau dafür stehen wir mit diesem Gesetz-
entwurf. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Stimmen Sie
einfach zu!
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/4189 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 38 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung
der Vorschriften zum begünstigten Flächen-
erwerb nach § 3 des Ausgleichsleistungs-
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– Drucksache 17/3183 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts-
ausschusses
– Drucksache 17/4236 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Brackmann
Rolf Schwanitz
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Stephan Kühn
Dazu liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktion
ie Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
erspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das
o beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
er Norbert Brackmann von der CDU/CSU-Fraktion das
ort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen
ir endlich Gerechtigkeit für die Menschen schaffen, die
wischen 1945 und 1949 durch die Bodenreform in der
amaligen sowjetisch besetzten Zone enteignet wurden.
Warum beschäftigt uns das heute noch? Nach der
iedervereinigung 1990 sind diese Flächen, die damals
nteignet wurden, in einem Flächenpool des Bundes zu-
ammengeführt worden. Es hat dann sehr schwierige ge-
ellschaftspolitische, damals auch agrarpolitische – das
t heute nicht unser Thema –
nd auch allgemeinpolitische Diskussionen gegeben.
und und Länder haben seinerzeit den Kompromiss ge-
nden, einen begünstigten Flächenerwerb für die Altei-
entümer vorzusehen.
Damals wurde durch Gesetz festgelegt, dass die Altei-
entümer nach einem komplizierten Berechnungsverfah-
n circa 34 Hektar begünstigt erwerben können sollten.
iele, die meisten, gingen damals davon aus, dass das
anze Verfahren nach vier, fünf, spätestens zehn Jahren
eendet sein würde; denn man wollte 2005, nach 50 Jah-
n, endlich den Rechtsfrieden in Deutschland wieder-
ergestellt haben.
Heute schreiben wir das Jahr 2010, und nach wie vor
ind Tausende von Ausgleichsleistungsbescheiden von
en Landesbehörden in den neuen Ländern unbearbeitet
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9215
Norbert Brackmann
)
)
geblieben. Alles spricht dafür, dass es ausschließlich
politische Gründe waren, weshalb das Gesetz nicht mit
dem nötigen Nachdruck umgesetzt wurde. Die Sachver-
ständigenanhörung hat gezeigt, dass es sachliche Gründe
für eine solche Verzögerung nicht gegeben hat. Das ist
ein wirklicher Skandal;
denn diese Form der Behördenwillkür hat eine schlei-
chende Enteignung der Alteigentümer zur Folge.
1999 hat die damalige rot-grüne Bundesregierung die
Ausgleichsleistung an die Bodenpreise gekoppelt, so-
dass die Alteigentümer heute im Durchschnitt keine 34,
keine 24, oft nicht einmal 14 Hektar erwerben können.
Das liegt daran, dass die Ausgleichsbescheide die
Grundlage für den Flächenerwerb sind. Mit dem Be-
scheid kann sich der Alteigentümer an die Bodenverwer-
tungs- und -verwaltungs GmbH wenden und aus dem
Flächenpool Grund und Boden im Wert des im Bescheid
genannten Betrages erwerben. Genau diese Bescheide
wurden aber von den Landesbehörden extrem schlep-
pend erteilt, mit der Auswirkung, dass bei seit 2004 ver-
doppelten Bodenpreisen heute im Durchschnitt nur noch
die Hälfte der Fläche erworben werden kann.
Durch die gewaltigen Verzögerungen bei der Aus-
gleichsbescheidung stehen die Betroffenen nun vor ei-
nem großen Problem, für das sie selbst nichts können.
Wir schließen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
diese Gerechtigkeitslücke.
Wir führen damit nicht mehr und nicht weniger als vier
Regelungen ein. Ich betone das, weil ich weiß, dass hier
wieder eine ganz andere Debatte angestoßen werden
soll.
Erstens führen wir eine Stichtagsregelung ein. Als
Stichtag ist der 1. Januar 2004 vorgesehen. Das heißt,
der Kaufpreis für begünstigt zu erwerbende Flächen
wird anhand der zum 1. Januar 2004 geltenden Boden-
preise berechnet. Damit stellen wir sicher, dass Behör-
den diesen Anspruch nicht mehr durch Verschleppung
mindern können, weil er auf der Basis von 2004 erhalten
bleibt.
Zweitens. Im Sinne einer Gleichbehandlung aller Be-
troffenen wird die Stichtagsregelung auch auf bereits ge-
schlossene Kaufverträge ausgedehnt. Damit erhalten
diejenigen, die in den letzten Jahren einen Vertrauens-
schutz erworben haben, eine rückwirkende Erwerbs-
möglichkeit.
Drittens. Wir beenden die umstrittene Praxis, einseitig
nach Abschluss des Kaufvertrages noch Sachverständi-
gengutachten einzuholen, sodass man bei Abschluss des
Kaufvertrages nicht weiß, wie viel Geld man letztlich zu
bezahlen hat, indem wir die veröffentlichten Wertansätze
für Ackerland und Grünland zugrunde legen. Das trägt
zudem zur Entbürokratisierung bei, weil es keinen riesi-
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Der Gesetzentwurf hat ausschließlich das Ziel, die
achteile für Alteigentümer aufgrund der langsamen
earbeitung und der exorbitanten Preissteigerung auszu-
leichen. Wir treten für diese Verbesserung ein, die – das
öchte ich vor allem der Opposition deutlich machen –
eine Besserstellung bezogen auf das Jahr 1994 bedeu-
t, sondern ausschließlich die Ansprüche erfüllt, die
994 gewährt worden sind.
Die Stichtagsregelung bewirkt lediglich einen Aus-
leich dafür, dass die Alteigentümer infolge jahrelanger
ntätigkeit der Landesbehörden seit dem Jahr 1994
chaden erlitten hatten. Gemeinsam mit der SPD hätten
ir diese Ungerechtigkeit bereits in der vergangenen Le-
islaturperiode ändern können. Obwohl diese Ungerech-
gkeit jedem unmittelbar ins Auge springt, war das mit
er SPD nicht zu machen. Man könnte der SPD daher
latt den Namen „Ungerechtigkeitspartei“ geben. Das
äre jedenfalls treffender als Ihr Vorwurf uns gegenüber,
s handele sich um Klientelpolitik.
emeinsam mit unserem Koalitionspartner räumen wir
un diese Ungerechtigkeit aus.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Kollege Rolf Schwanitz von
er SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion
9216 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Rolf Schwanitz
)
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wird den Gesetzentwurf heute ablehnen. Ich will die drei
wichtigsten Gründe dafür nennen.
Erstens. Die Begünstigung, die mit dem Gesetzent-
wurf der Koalition gegenüber den nicht wirtschaftenden
Alteigentümern – diese Betonung ist durchaus notwen-
dig – vorgenommen wird, wird keinen Rechtsfrieden
schaffen. Sie schafft vielmehr neue Ungerechtigkeiten.
Mit der falschen Behauptung – das ist gerade bei mei-
nem Vorredner noch einmal angeklungen –, dass der Ge-
setzgeber quasi eine Erwerbsgarantie für eine bestimmte
Mindestfläche gegenüber den Alteigentümern ausge-
sprochen habe, werden jetzt, mit einer Kaufpreisgaran-
tie, die den maßgeblichen Verkehrswert zum Stichtag
1. Januar 2004 zugrunde legt, neue, exorbitant hohe
finanzielle Begünstigungen für Alteigentümer durchge-
setzt. Das entspricht in etwa einer Verdoppelung der
Ausgleichsleistungen, die der Gesetzgeber ursprünglich
vorgesehen hatte. Der Flächenerwerb durch die BVVG
wird dadurch zum Durchlauferhitzer für die Ausgleichs-
leistungsansprüche degradiert, zum Wertmaximierer für
die Alteigentümer. Das werden wir nicht unterstützen.
Damit wird ein zentraler Baustein des Entschädi-
gungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes von 1994 zer-
schlagen, nämlich die Gleichgewichtigkeit zwischen den
Ausgleichsleistungen auf der einen Seite und den Ent-
schädigungsleistungen auf der anderen Seite. Künftig
wird es Betroffene erster und zweiter Ordnung geben.
Diejenigen, die nach 1949 enteignet worden sind und
wegen der Unmöglichkeit der Restitution auch nur auf
Entschädigungsleistungen angewiesen sein werden, wer-
den in wenigen Wochen und Monaten bei Ihnen vor der
Tür stehen und ihre Rechte einklagen; Sie haben den
Rechtsfrieden zerstört.
Zweitens. Der Gesetzentwurf schafft eine massive
Benachteiligung der ostdeutschen Bauern beim Flächen-
erwerb. Wir wissen, dass nach den Verabredungen der
BVVG und der Bundesregierung mit den ostdeutschen
Ländern etwa 150 000 Hektar für den Erwerb durch
Pächter in Ostdeutschland, die langfristig pachten, vor-
gesehen sind. Das wird nicht nur infrage gestellt; es wird
vielmehr unmöglich gemacht. Die Privilegierung, die
Sie mit dem Gesetzentwurf herbeiführen, erzwingt eine
Umverteilung von Flächen zugunsten der Alteigentümer.
Dadurch werden die ostdeutschen Bauern zum Schluss
das Nachsehen haben. Sie werden kaum noch Chancen
haben, an diesem Flächenerwerb teilzunehmen.
Drittens. Ihr Vorhaben ist ein Klientelgeschenk, das
neue Löcher in den Bundeshaushalt reißt.
Das will ich als Haushälter nicht verschweigen. Sie als
einbringende Fraktionen haben gesagt: Das Ganze kostet
370 Millionen Euro.
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– Na gut, kein einziges Loch. Sie haben selber von
70 Millionen Euro gesprochen. – Sie gehen davon aus,
ass nur 20 Prozent der Berechtigten diese neuen Mög-
chkeiten in Anspruch nehmen. Die Betroffenenver-
ände hingegen sagen selber: Nahezu alle, nämlich
00 Prozent der Alteigentümer, werden sich diese Ver-
oppelung des Wertes ihrer Ansprüche nicht entgehen
ssen. – In Wahrheit liegt der Ausfall bei 1 bis 2 Milliar-
en Euro, die Ende Dezember quasi hinübergereicht
erden.
Diese Situation ist unzumutbar für die Betroffenen,
chlecht für die ostdeutschen Agrarstrukturen und für
en Steuerzahler. Deswegen sage ich: Heute ist eigent-
ch ein Schwarzer Freitag für die Steuerzahler und für
ie ostdeutschen Bauern.
Eine letzte Bemerkung. Die Bundesregierung hat im
ugust eine Veranstaltung mit dem Titel „20 Jahre Eini-
ungsvertrag“ durchgeführt. Hier sind die historischen
eistungen, insbesondere im Eigentumsbereich, gewür-
igt worden. Ich finde, Sie sollten sich angesichts des-
en, dass Sie nur zwei Monate später einen derartigen
esetzentwurf eingebracht haben, solche Veranstaltun-
en künftig sparen.
Das Wort hat der Kollege Hans-Michael Goldmann
on der FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Zu Beginn möchte ich eine kleine Einführung
eben: Ich komme aus dem Nordwesten Niedersachsens,
twa acht Kilometer von der niederländischen Grenze.
ls ich die Aufgabe des agrarpolitischen Sprechers für
ie FDP übernahm, habe ich mich um viele Dinge ge-
ümmert, die ich bis dahin nicht kannte. Ich wusste
icht, was die BVVG ist. Ich wusste auch nicht so ge-
au, wie die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg in
en neuen Ländern war. Ich finde aber, dass wir alle
eute Veranlassung haben, aus dem – vom Vorredner so
ezeichneten – Schwarzen Freitag einen Zukunftsfreitag
nd einen Rechtsfreitag zu machen. Denn es gibt weder
r den Steuerzahler noch für die Bauern in den neuen
ändern an irgendeiner Stelle etwas, was ihnen einen un-
umutbaren Schaden zufügt. Ganz im Gegenteil sorgt
er Gesetzentwurf dafür, dass wir eine Rechtssituation
erstellen, auf die wir meiner Meinung nach in der Bun-
esrepublik Deutschland immer Wert legen.
Es geht hier nicht darum, ob die Umsetzung 370 Mil-
onen, 420 Millionen oder 150 Millionen Euro kostet.
s geht hier darum, ob denjenigen Menschen Unrecht
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9217
Hans-Michael Goldmann
)
)
geschehen ist, denen in den Jahren 1945 bis 1949 das
Land weggenommen wurde. Es kam ein anderer und
räumte alles ab, nach dem Motto: Ihr seid die Reichen in
diesem Land, diejenigen, die während des Zweiten Welt-
kriegs möglicherweise die falsche Partei unterstützt ha-
ben.
Ist diesen Menschen Unrecht geschehen oder nicht? Ih-
nen ist eindeutig Unrecht geschehen!
Deswegen wurde ein Gesetz auf den Weg gebracht
– liebe Kirsten Tackmann, ganz langsam! –, das dieses
Unrecht korrigieren sollte.
– Doch, Herr Schwanitz; genau darum geht es.
Rechtsbestandteil war, dass diese Menschen einen
Bescheid in der Hand halten mussten, um ihre Ansprü-
che geltend zu machen. In diesem Gesetz hat es einen
Konstruktionsfehler gegeben: Der Bund durfte die Zin-
sen zahlen, die fällig wurden, weil die Bauern ihre Flä-
chen nicht nutzen konnten. Die Länder haben die zustän-
digen Behörden unzureichend ausgestattet, sodass die
Menschen, die einen solchen Bescheid anstrebten, nicht
in den Genuss ebendieses Bescheides kamen. Das war
der Grund. Ende der Durchsage! Deswegen konnte der
Rechtsanspruch von Tausenden bis heute nicht bedient
werden. Das Ganze hat also überhaupt nichts mit Wert-
maximierung zu tun; vielmehr wird ein Rechtsanspruch
auf der Basis des Jahres 2004 umgesetzt.
Der Vorwurf, das zerstöre den Frieden vor Ort, ist
überhaupt nicht berechtigt. Es gab schon öfter die Situa-
tion, dass Bauern, die eine Zeit lang nicht vor Ort waren,
in die ländliche Region zurückgekehrt sind; das hat zu
überhaupt keiner Störung des ländlichen Friedens ge-
führt. Ganz im Gegenteil: Diese Bauern wurden vor Ort
sehr positiv aufgenommen; sie konnten dort ihre Interes-
sen verwirklichen. Das hat also überhaupt nichts mit ei-
ner Zerschlagung des Rechtsfriedens oder der dörflichen
Struktur zu tun.
Es hat auch überhaupt nichts mit Wertmaximierung
zu tun; denn die Bauern vor Ort, von denen Sie, Herr
Schwanitz, meinen, sie kämen jetzt nicht mehr in den
Genuss der Flächen, können diese Flächen natürlich
kaufen, möglicherweise von denjenigen, die sie jetzt ver-
günstigt erworben haben. Das ist ein Vorteil für die Bau-
ern vor Ort, die bis jetzt nicht richtig behandelt worden
sind, aber kein Nachteil; denn wenn sie die Flächen von
der BVVG kaufen müssten – die BVVG verfügt, neben-
bei bemerkt, noch über genügend Flächen, um entspre-
chende Kaufwünsche zu bedienen –, müssten sie den
Preis zahlen, den der Markt heute hergibt. Insofern ent-
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Frau Tackmann, das wissen Sie genauso gut wie ich.
Es ist interessant, dass die Grünen, die durchaus Wur-
eln in den neuen Ländern haben, das gleiche Rechts-
mpfinden und das gleiche Ziel haben wie die Koali-
onsfraktionen. Es wird also keine Klientelpolitik
etrieben, sondern es geht schlicht und ergreifend um
ie Sicherstellung einer guten Rechtssituation.
Herzlichen Dank.
9218 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
)
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Das Wort hat nun Kirsten Tackmann für die Fraktion
Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste! Für viele Menschen in Ost und
West ist das heutige Thema sehr emotional – Sie merken
das sicherlich –; denn Bodeneigentum hat eine beson-
dere Bedeutung: Boden ist Grundlage für ein existenziel-
les Gut der Menschheit, nämlich die Nahrungsmittel,
und Boden ist nicht vermehrbar. Im Gegenteil: Wir ver-
lieren noch heute jeden Tag 100 Hektar Ackerboden,
beispielsweise durch den Straßenbau. Boden wird also
dringend gebraucht. Er ist knapp, und er kann nur einmal
verteilt werden. Deshalb war und ist die Bewirtschaftung
der eigenen Scholle eine der sensibelsten Fragen der
Menschheit.
Wir tragen als Gesetzgeber an dieser Stelle große Verant-
wortung.
Gemessen an diesem strategischen Anspruch an die
Bodenpolitik ist die vorliegende Gesetzesnovelle ein Ar-
mutszeugnis dieser Regierung;
denn sie begünstigt nicht landwirtschaftlich tätige Alt-
eigentümer gegenüber aktiven Landwirtschaftsbetrieben
in Ostdeutschland beim Bodenerwerb, und das ohne Not.
Der Bundestag hatte 1994, auch wenn es schwierig war,
eine Regelung gefunden: Alteigentümer können als Aus-
gleichsleistung begrenzt verbilligt ostdeutschen Acker
erwerben. Das können sie noch heute, wenn auch zeit-
lich verzögert.
Die PDS hatte diese Regelung damals als Einstieg aus
dem Ausstieg aus der Bodenreform abgelehnt. Offen-
sichtlich hatte sie damals recht. Heute ist es eine
schwarz-gelb-grüne Koalition, die das weiterverfolgt
und die Bodenreform infrage stellt. Ich sage für die
Linke an dieser Stelle ganz klar: Wer die Bodenreform
infrage stellt, der legt die Axt an eine der wesentlichen
Grundlagen des Einigungsvertrages. Das ist nicht hin-
nehmbar.
Zum Beispiel können die Alteigentümer nicht zur
Hälfte, wie ursprünglich, sondern in voller Höhe der
Ausgleichsleistungen Boden erwerben. Ab heute können
sogar Erben bis zum vierten Verwandtschaftsgrad Boden
erwerben.
ragen Sie sich einmal, wie das auf die 70 000 ostdeut-
chen Bodenreformerben wirkt, die nach bundesdeut-
chem Recht entschädigungslos enteignet wurden, nur
eil sie nicht landwirtschaftlich tätig waren. Das sind
ie Alteigentümer heute auch nicht; aber sie werden be-
ünstigt. Das ist eine grobe Ungleichbehandlung.
Damit die Alteigentümer trotz stark gestiegener Bo-
enpreise mehr Fläche kaufen können, soll der Boden-
reis vom 1. Januar 2004 gelten. Für den kommenden
undeshaushalt bedeutet das – das ist schon gesagt wor-
en – mindestens 370 Millionen Euro weniger Einnah-
en.
Dabei ist das Problem hausgemacht: Die drastischen
reissteigerungen für ostdeutsche Äcker kommen zu-
tande, weil die Koalition nichts gegen spekulative Bo-
enkäufe tut, obwohl im Koalitionsvertrag die Überprü-
ng der gegenwärtigen Verkaufspraxis der BVVG
ereinbart ist. Ein Motor der extremen Bodenpreisstei-
erung ist das politisch verordnete Preisfindungssystem
er BVVG. Sie verkauft im Auftrag des Bundes ehemals
olkseigene Äcker in Ostdeutschland zum Höchstgebot
ach europaweiter Ausschreibung. Das heißt, aktive
andwirtschaftsbetriebe konkurrieren beim Flächenkauf
it landwirtschaftsfremdem Kapital, das nur nach siche-
n Renditen sucht.
Ich gebe Ihnen einmal zwei aktuelle Beispiele für das,
as dabei herauskommt: In meiner Heimat, der Prignitz,
ingen gerade knapp 23 Hektar mit recht mageren
5 Bodenpunkten für fast 15 000 Euro pro Hektar über
en Tisch der BVVG. In der Uckermark kosteten knapp
7 Hektar mit 45 Bodenpunkten 21 000 Euro pro Hektar.
as sind Boden- und Pachtpreise, die durch landwirt-
chaftliche Arbeit nicht mehr erwirtschaftet werden kön-
en.
s gibt nur einen gerechten Weg aus dieser schwierigen
ituation: die Verhinderung spekulativer Bodenkäufe,
nd zwar in Ost und in West.
tattdessen verschenkt Schwarz-Gelb heute an Alteigen-
mer und ihre Nachkommen Weihnachtsgutscheine
r „Ostäcker zum Schnäppchenpreis“, wie selbst die
inancial Times Deutschland schreibt.
Das lehnt die Linke ab. Sie fordert ganz klar: Kein
auernland in Spekulantenhände!
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9219
Dr. Kirsten Tackmann
)
)
Wie das geht, steht in unserem Entschließungsantrag.
Beenden Sie endlich Ihre Klientelpolitik zum Nachteil
der aktiven Landwirtschaft in Ostdeutschland!
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Cornelia Behm für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Trotz Kritik im Detail trägt Bündnis 90/Die Grü-
nen den Entwurf des Zweiten Flächenerwerbsänderungs-
gesetzes im Grundsatz mit; denn es geht um die
Wiederherstellung legitimer gesetzlicher Ansprüche für
eine Gruppe von Opfern des Stalinismus.
Denken Sie 20 Jahre zurück: Bei der Abfassung des
Einigungsvertrages 1990 haben die beiden deutschen
Regierungen den von der Bodenreform in der sowjetisch
besetzten Zone Betroffenen die Rückgabe ihres Eigen-
tums verweigert. Später, 1994, hat die Bundesregierung
ihnen, soweit sie keine Nazis waren, über das EALG ei-
nen geringen Ausgleich dafür zugesichert, dass sie in
den Jahren 1945 f. völkerrechtswidrig enteignet wurden.
Jetzt geht es um die Gleichstellung der Alteigentümer,
die noch heute auf ihren Ausgleichsleistungsbescheid
warten, mit denen, die bereits vor Jahren ihren gesetzli-
chen Anspruch auf Flächenerwerb einlösen konnten.
Viele mag es verwundern, dass wir Bündnisgrüne uns
für Alteigentümer einsetzen. Als Bürgerrechtlerin, die
über Bündnis 90 in die Politik kam, sage ich dazu: Für
eine Bürger- und Menschenrechtspartei ist und bleibt es
inakzeptabel, wie im Stalinismus mit den Menschen um-
gegangen wurde. Das gilt auch für die Bodenreform;
denn den Opfern wurde nicht nur alles Eigentum genom-
men. Nein, sie wurden sogar innerhalb von Stunden mit
nur einem Koffer in der Hand und bar jeglicher Wertge-
genstände von ihrem Hof und aus ihrer Heimat vertrie-
ben.
Manch einer wurde anschließend interniert. Viele haben
all das nicht überlebt.
So kann und darf man mit Menschen nicht umgehen.
Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Menschenrechte sind
unteilbar. Das gilt auch für die Nachkriegszeit.
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uch die häufig geäußerte Meinung, die Enteignung
abe schon die Richtigen getroffen, die allermeisten
eien aktive Nazis und Kriegsverbrecher gewesen, ist
chlicht falsch.
in rechtsstaatlicher Prozess, in dem diese Schuld hätte
stgestellt werden können, fand nicht statt.
Übrigen bekommen diejenigen, denen man heute
achweisen kann, dass sie aktive Nazis waren, gar nicht
rst einen Ausgleichsleistungsbescheid.
Wenn es bei der Bodenreform um Gerechtigkeit und
m das Umverteilen von Großgrundbesitz gegangen
äre, dann hätte man den sogenannten Junkern und
roßbauern wenigstens 100 Hektar Land lassen können,
ie anderen Bauern auch.
ass sie nichts behalten durften, zeigt doch, dass es we-
iger um die Beseitigung des Großgrundbesitzes ging als
ielmehr um die Beseitigung der Großgrundbesitzer.
Dass SPD und Linke noch immer der Legende von
er gerechten Bodenreform anhängen, macht mich wirk-
ch betroffen. Nichts anderes ist Grundlage ihrer popu-
stischen Kampagne gegen den Flächenerwerb durch
lteigentümer. Das wiederum zeigt, dass die gesell-
chaftliche Aufarbeitung dieses Kapitels des Stalinismus
och aussteht.
och heute glauben viele Menschen an die Argumente
r die Bodenreform aus der Stalin-Ära.
Als Bürgerrechtlerin sage ich klar und deutlich: Es
eht nicht um eine Revision der Bodenreform.
9220 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Cornelia Behm
)
)
Es geht um einen Diskurs in der Gesellschaft, in dem die
Geschichte aufgearbeitet und die Opfer von Willkür und
Stalinismus rehabilitiert werden.
Dieser Diskurs hat mit dieser Debatte über das Zweite
Flächenerwerbsänderungsgesetz vielleicht begonnen.
Das Wort hat nun Eckhardt Rehberg für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeord-
nete! Frau Kollegin Behm, ich möchte mich bei Ihnen
ganz ausdrücklich für Ihre Worte zur Bodenreform be-
danken. Ich glaube, es ist besonders wichtig, dass diese
Worte 20 Jahre nach der deutschen Einheit und 65 Jahre
nach Ende des Krieges im Deutschen Bundestag gefallen
sind. Wer die Bodenreform weiterhin, so wie Linke und
SPD, für einen Akt der Gerechtigkeit, für einen Akt
rechtsstaatlicher Politik hält,
geht darüber hinweg, Herr Kollege Schwanitz, dass weit
mehr enteignet worden ist – in Sachsen-Anhalt waren
viele Höfe mit unter 100 Hektar betroffen –, und lässt
weitere Umstände – auch Vergewaltigung, Mord und
Drangsalierung spielten in diesem Zusammenhang eine
Rolle – außer Acht. Es war nur ein kleiner Akt der
Gerechtigkeit, 1994 auch den nicht wirtschaftenden Alt-
eigentümern eine Wiedergutmachung in Höhe von
34 Hektar zuzugestehen. Dies war ein schwieriger ge-
sellschaftspolitischer Kompromiss. Nur dem werden wir
heute gerecht; es geschieht nicht mehr, aber auch nicht
weniger.
Was mich bei SPD und Linken besonders enttäuscht
hat: Keiner der beiden Redner, weder Frau Tackmann
noch Herr Schwanitz, ist auf die Ursachen eingegangen.
Wie würde es Ihnen, Herr Schwanitz oder Frau
Tackmann, gehen, wenn Sie vor 15 Jahren bei einer Be-
hörde einen Antrag auf Geltendmachung eines An-
spruchs gestellt hätten, der Ihnen gesetzlich zusteht, und
Sie bis heute keinen Bescheid dazu bekommen hätten?
Die Ursache dieses Problems liegt ganz allein darin, dass
innerhalb von 15 Jahren von den Ämtern zur Regelung
offener Vermögensfragen in den neuen Bundesländern
nicht einmal 20 Prozent der Anträge beschieden worden
sind. Hier bin ich völlig beim Kollegen Brackmann:
Egal welche politische Farbe in dem jeweiligen Land die
politische Spitze gebildet hat, man kann vermuten, dass
politische Motivation hinter diesem Handeln steckte.
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Herr Kollege Schwanitz, wer sich das EALG von
994 anschaut, sieht, dass es keine Flächengarantie gab.
lles, was Aussagekraft hat – sowohl die Ertragsmess-
ahlen als auch die halbe Ausgleichsleistung –, war an
läche gebunden. Übrigens haben Sie selber 1999, nach-
em die EU-Kommission den Direktverkauf an die
ächter EU-beihilferechtlich infrage gestellt hatte, die
olle Ausgleichsleistung eingeführt, um den Flächenan-
pruch von 34 Hektar zu erhalten.
ber damals konnten Sie nicht voraussehen, dass die
reise für Grund und Boden in den neuen Bundesländern
b 2004 dermaßen ansteigen und der Flächenanspruch
urch die Kopplung von Bodenwert mit Bodenpreis
eute teilweise auf ein Drittel reduziert ist. Wenn man
ier davon spricht, dass wir jemanden begünstigen, muss
h entgegnen: Nein, wir stellen die Gerechtigkeit, die
urch den schwierigen politischen, gesellschaftlichen
ompromiss aus dem Jahr 1994 gewährleistet werden
ollte, wieder her; nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Jetzt sage ich noch etwas zu dem Märchen, man stelle
ie Agrarstrukturen der neuen Bundesländer infrage.
eit dem Jahr 1990 bis heute sind etwa 370 000 Hektar
on der BVVG veräußert worden. Der Direktverkauf an
ächter gliedert sich folgendermaßen auf – jetzt hören
ie gut zu –: 125 000 Hektar an Wiedereinrichter,
00 000 Hektar an Neueinrichter und 145 000 Hektar an
ristische Personen, also an Nachfolgebetriebe der ehe-
aligen DDR. Lediglich 18 000 Hektar, also 4,6 Prozent,
ind an nicht wirtschaftende Alteigentümer gegangen.
aher können Sie nicht sagen, dass die Agrarstruktur im
sten dadurch infrage gestellt wird. Diese Zahlen zei-
en, dass Sie hier die Unwahrheit gesagt haben.
Ich will noch auf Mecklenburg-Vorpommern zu spre-
hen kommen. In Mecklenburg-Vorpommern haben wir
ine landwirtschaftliche Nutzfläche von 1,3 Millionen
ektar. Der sogenannte sachverständige Minister
r. Backhaus hat am Montag vor elf Tagen ausgeführt,
ass er damit rechnet – es war sehr interessant, dass er
eine konkreten Zahlen vorlegen konnte –,
ass, wenn alle Anträge positiv beschieden würden,
0 000 bis 60 000 Hektar den nicht wirtschaftenden Alt-
igentümern zur Verfügung gestellt werden müssten.
as sind 5 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche
ecklenburg-Vorpommerns.
Frau Tackmann, ich habe das Gesicht Ihrer Kollegin
esine Lötzsch am Montag vor elf Tagen gesehen, nach-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9221
Eckhardt Rehberg
)
)
dem sie dem Sachverständigen, den Sie geladen hatten,
ihre Frage gestellt hatte. Ich zitiere einmal – ein hochin-
teressantes Zitat –:
Ich kann nur davor warnen, dass man das Kompro-
misspaket wieder aufschnürt; denn dann wird der
Rechtsfrieden infrage gestellt. …
Ich will mich sehr deutlich positionieren: Zum 1994
geschlossenen Kompromiss – sein Zustandekom-
men hat lange gedauert; er wurde immer wieder
von verschiedenen Seiten beklagt – sollte man ste-
hen. Man sollte im Hinblick auf den Erwerb von
Flächen durch nicht wirtschaftende Alteigentümer,
der aufgrund von wie auch immer zu verantworten-
den Verzögerungen nicht zustande kommt, für ei-
nen Ausgleich sorgen, indem man zu einer Stich-
tagsregelung zurückkehrt. Das betrachte ich
ebenfalls als eine Frage der Rechtssicherheit. …
Weiter:
Ich stehe auch dazu, dass für mich ein Alteigen-
tümer, der über Flächen mit einer Größe von 12, 15
oder 25 Hektar verfügt und nicht ortsansässig ist,
also die Flächen nicht selbst bewirtschaftet, viel-
leicht ein besserer Verpächter ist als jemand, der
das nur durch die fiskalische Brille sieht.
Ich glaube, besser kann man diesen unseren Kompro-
miss nicht beschreiben. Ich sage Ihnen noch, wer das ge-
sagt hat: Wolfgang Jaeger, über anderthalb Jahrzehnte
Hauptgeschäftsführer des Bauernverbandes von Meck-
lenburg-Vorpommern.
Danke schön.
Das Wort hat nun Waltraud Wolff für die SPD-Frak-
tion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn man dieser
Debatte folgt, könnte man meinen, wir hätten in dieser
Frage keine Rechtssicherheit. 65 Jahre nach dem Zwei-
ten Weltkrieg, 20 Jahre nach der deutschen Einheit tut
man einfach so, als gäbe es keinen Einigungsvertrag.
Diesen Vertrag haben meines Wissens Herr Schäuble
und Herr Krause geschlossen. Gab es denn keine Ent-
schädigung? Wenn wir heute Recht schaffen müssen,
dann heißt das doch, wir leben im Unrecht. Genau so ist
es eben nicht.
– Sie sagen, es ist eine Frage der Gerechtigkeit. Leider –
das sage ich reinen Herzens – gibt es keine absolute Ge-
rechtigkeit,
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uch nicht mit einer Änderung des Flächenerwerbs nach
0 Jahren deutscher Einheit.
Ganz viele Familien, auch meine Familie, hatten an
en Folgen des Zweiten Weltkriegs zu leiden; das ist in
ieser Debatte schon gesagt worden. Mein Vater, gebo-
n im heutigen Tschechien, meine Mutter, geboren im
eutigen Polen, waren beim Bau der Mauer leider zur
lschen Zeit am falschen Ort. Wer beurteilt, ob es ge-
cht ist, dass meine Eltern nicht im freiheitlichen
eutschland leben durften und dass ich nicht im freiheit-
chen Deutschland aufwachsen durfte? Was ist Gerech-
gkeit? Ich glaube, wir müssen uns heute an realen Ge-
ebenheiten orientieren und dürfen keine neuen Gräben
uftun.
Im Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz
urde nach langem, schwerem Ringen ein Kompromiss
eschlossen. Halten wir uns doch daran! Das ist von
einen Vorrednern doch schon gefordert worden.
Nein, Sie halten sich eben nicht daran, weil Sie Ände-
ngen vornehmen.
Wenn es so wäre, dass Sie sich darauf beschränken,
ie Antragsflut einzudämmen und den Alteigentümern,
ie ihre Ansprüche geltend gemacht haben, weiterhin zu
edingungen von 2004 einen begünstigten Flächener-
erb zu gewährleisten, dann hätten Sie selbstverständ-
ch auch bei der SPD offene Türen eingerannt.
ber Sie wollen die nicht selbst wirtschaftenden Altei-
entümer nachträglich begünstigen. Deshalb erweitern
ie über eine Änderung von § 3 Abs. 5 des Ausgleichs-
istungsgesetzes den Kreis der Berechtigten bis hin zu
rben des vierten Ranges. Ehrlich gesagt, musste ich erst
inmal nachschauen, bis hin zu wem genau diese Erwei-
rung reicht.
Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Genau damit schü-
n Sie neue Interessenkonflikte zwischen den ansässi-
en und wirtschaftenden Bauern und den nicht wirt-
chaftenden Alteigentümern. Das ist doch der Punkt.
Für mein Bundesland, Sachsen-Anhalt, spricht das
undesministerium der Finanzen von zurzeit 70 000
ektar freiverkäuflicher Flächen. Für die Neuregelung
ürden aber nur circa 10 000 Hektar gebraucht. Als ich
agte: „Woher wissen Sie das?“, hieß es: Alle Anträge
üssen doch schon gestellt sein. Da frage ich mich: Ist
och nicht durchgedrungen, dass man neue Anträge stel-
n darf? Wissen sie das selber noch nicht? Durchaus
enkbar ist, so sagt die BVVG,
9222 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Waltraud Wolff
)
)
dass in Sachsen-Anhalt vielleicht auch nur 6 000 bis
8 000 Hektar übrig bleiben.
Ich will damit nur deutlich machen, dass wir uns in ei-
nem spekulativen Bereich bewegen. Keiner kann wirk-
lich handfeste Aussagen treffen.
– Ja, genau. Da wurden aber auch nur Spekulationen an-
gestellt.
Wir erwarten, dass diese Regelungen zu Verwerfun-
gen in der Agrarstruktur führen. Wer bis jetzt noch kei-
nen Antrag auf Kauf des verbilligten Bodens gestellt hat,
kann das Angebot mit Blick auf die Ahnentafel schon
einmal aufgreifen.
Man muss das Land nicht einmal selber bewirtschaften
wollen. Ich frage Sie: Wer greift da nicht gerne zu? Zu-
zugreifen, das ist doch verständlich.
Wir befürchten einen Anspruchs- und Flächenerwerbs-
tourismus.
Warum spreche ich von Verwerfungen in Ostdeutsch-
land? Ganz einfach: weil der Flächenentzug in diesen
Größenordnungen der letzte Anstoß dafür sein kann, aus
der Tierproduktion auszusteigen. Anzeichen dafür gibt
es schon. Wenn es zu solchen Reaktionen kommt, be-
deutet das auch Arbeitsplatzabbau in den ländlichen Re-
gionen der neuen Bundesländer.
Eine Diskussion mit der Koalition war bei diesem
Thema nicht möglich. Sie haben nicht einmal die be-
rechtigten Forderungen des Bauernverbandes berück-
sichtigt, Sie haben keine Regelung zum Fortbestand der
Pachtverträge getroffen, und Sie haben keine Regelung
zur Begrenzung des Erwerbstourismus getroffen. Das
werfen wir Ihnen vor.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum Schluss. – Dennoch verabschieden
Sie hier und heute diesen Gesetzentwurf. Wir haben auf
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
raktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten
ntwurf eines Zweiten Flächenerwerbsänderungsgeset-
es. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Be-
chlussempfehlung auf Drucksache 17/4236, den Ge-
etzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP
uf Drucksache 17/3183 in der Ausschussfassung anzu-
ehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
er Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
eichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
esetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
timmen von CDU/CSU, FDP und Grünen gegen die
timmen von SPD und Linksfraktion angenommen.
Dritte Beratung
nd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
esetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
er stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
urf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zu-
or angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ungsanträge.
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
rucksache 17/4254. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
er Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hau-
es gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abge-
hnt.
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
rünen auf Drucksache 17/4255. Wer stimmt für diesen
ntschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
ngen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
es Hauses gegen die Stimmen der Grünen abgelehnt.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 39 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Diana
Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Sozialkassen vor Beitragsverlusten bewahren
– Drucksachen 17/3042, 17/3732 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Max Straubinger
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
einen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9223
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Max Straubinger für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Bitte schön.
Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kolle-
gen! Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts hat die Tarif-
fähigkeit der CGZP verneint. Die Tarifgemeinschaft
Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-
serviceagenturen ist keine Spitzenorganisation, die im
eigenen Namen Tarifverträge abschließen kann. Sie er-
füllt die hierfür erforderlichen tarifrechtlichen Voraus-
setzungen nicht.
In der Konsequenz wurde entschieden, dass die CGZP
nicht tariffähig ist und keine Tarifverträge abschließen
kann, mit denen Zeitarbeitsunternehmen vom Grundsatz
des Equal Pay abweichen können. Die betroffenen Leih-
arbeitnehmer können Anspruch auf den gleichen Lohn
wie die beim Entleiher beschäftigte Stammbelegschaft
erheben. Dies betrifft nicht nur die Mitglieder der Ge-
werkschaft unmittelbar, sondern auch alle Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer, deren Arbeitsvertrag auf diese
Tarifverträge verweist. Die Zahl der Betroffenen dürfte
weit größer sein als die Zahl der Gewerkschaftsmitglie-
der.
Noch sind nicht alle Auswirkungen des Urteils abseh-
bar, aber meiner Auffassung nach hätten die Arbeitgeber
bereits seit längerer Zeit erkennen können, dass es be-
rechtigte Zweifel an der Tariffähigkeit der CGZP gibt.
Arbeitsgerichte der ersten und zweiten Instanz haben be-
reits entsprechend entschieden.
Die CGZP war aufgrund eines Satzungsfehlers schon
bei Abschluss ihrer Tarifverträge in der Vergangenheit
nicht tariffähig. Die mündliche Verkündigung des Ur-
teils lässt meines Erachtens bereits jetzt diesen Schluss
zu. Die CGZP hätte die Tarifverträge nicht nur im eige-
nen Namen abschließen dürfen, sondern auch mit einer
ihrer 16 jeweils zuständigen tariffähigen Einzelgewerk-
schaften. Die Konstrukteure der Tarifgemeinschaft ha-
ben meines Erachtens damit schon bei der Gründung
grobe Fehler gemacht.
Auch wenn von dem Urteil keiner der derzeit gültigen
Haustarifverträge und Flächentarifverträge berührt ist,
da die Tarifpartner inzwischen vorgesorgt haben und
nicht nur einen Vertrag mit der CGZP, sondern einen
wortgleichen Vertrag auch mit einer der Mitgliedsge-
werkschaften der Organisation abgeschlossen haben,
wird es meiner Überzeugung nach zu Rückwirkungen
kommen. In diesem Fall müssen die Arbeitgeber höhere
Löhne und Sozialversicherungsbeiträge in Höhe der Dif-
ferenz zwischen dem Tarifvertrag und Equal Pay zahlen,
möglicherweise auch rückwirkend bis zur Verjährungs-
grenze.
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eil natürlich erst die Begründung des Bundesarbeitsge-
chtes abzuwarten ist. Sie legen doch immer besonderen
ert auf rechtsstaatliche Verfahren.
eshalb ist es wichtig, dass zuerst die Begründung gele-
en wird. Auf Grundlage dieser Begründung müssen
ann die entsprechenden Lösungen herausgearbeitet
erden.
9224 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Max Straubinger
)
)
Wir sind für ein rechtsstaatliches Verfahren, womit
wir im Gegensatz zu Ihrer Auffassung stehen. Das ist
das Entscheidende für einen Rechtsstaat. Deshalb lehnen
wir Ihren Antrag ab.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Katja Mast für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Auch wir stehen in diesem Verfahren auf der Seite des
Rechtsstaats – wie übrigens auch alle anderen Opposi-
tionsparteien. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen und den Linken, ich schließe Sie hier mit ein.
Bei dem Antrag, der hier vorliegt – ich glaube, ich
muss das noch einmal erklären –, geht es darum: Wir ha-
ben in der Großen Koalition mit der Union darüber ge-
stritten, ob es einen Mindestlohn in der Leiharbeit geben
soll. Ihr Argument war immer, dass wir in diesem Be-
reich keine Tarifeinheit erreichen werden, weil es die
CGZP gibt.
Das war Ihr Argument, verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen von der Union. Deshalb gibt es heute noch immer
keinen Mindestlohn in der Leiharbeit.
Heute sagen Sie, Sie wollten das schon immer. In die-
ser Woche hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil
festgestellt, dass die CGZP zu der Zeit, zu der Sie sich
immer auf sie berufen haben, überhaupt nicht tariffähig
war.
Ich bin froh, dass es jetzt dieses Gerichtsurteil gibt.
Wir diskutieren heute über einen Antrag, der nur ei-
nen einzigen Sinn hat: Der Sozialstaat Deutschland soll
gestärkt werden.
Dies soll erreicht werden, indem gesagt wird: Dadurch,
dass diese Gewerkschaft nicht tariffähig war, gilt für die
Leiharbeiter rückwirkend das, was im Arbeitnehmer-
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Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Ar-
eitsvertrag sich in der Vergangenheit auf diesen Tarif-
ertrag gründete, sind nicht ordentlich entlohnt worden.
urch diese nicht ordentliche Entlohnung sind den So-
ialkassen Verluste in Millionenhöhe entstanden. Wir re-
en hier von einem Verlust von über einer halben Mil-
arde Euro pro Jahr für die Sozialkassen.
as heißt, wenn wir nicht noch in diesem Jahr handeln
nichts anderes wollen wir mit dem Antrag, über den
ir hier diskutieren –, dann wird aufgrund von Verjäh-
ngsfristen eine halbe Milliarde Euro für die Rentenver-
icherung, für die Krankenversicherung und für die Ar-
eitslosenversicherung flöten gehen.
Das ist die Argumentation von meinem Vorredner,
on Herrn Straubinger. Ich kann nicht verstehen, warum
ie Bundesregierung bei diesem wichtigen Thema, dem
rhalt des Sozialstaats, schweigt und kein Mitglied der
undesregierung hier im Plenum Stellung dazu bezieht,
bwohl es an dieser Stelle ausschließlich um nachgeord-
ete Behörden des Bundesarbeitsministeriums geht.
ezogen auf unseren Sozialstaat ist das grob fahrlässig.
Wir haben heute im Deutschen Bundestag schon ge-
ug darüber diskutiert, wie wir die Leiharbeit regulieren
ollen. Mit der Spaltung der Belegschaft in den Betrie-
en muss Schluss sein, und es muss Schluss damit sein,
ass Menschen für die gleiche Arbeit nicht das gleiche
eld bekommen. Sie haben diesem Grundsatz heute
ehrfach widersprochen, Kolleginnen und Kollegen von
er FDP und von der Union.
Wir sagen heute mit unserem Antrag klar und deut-
ch: Wir wollen gleiches Geld für gleiche Arbeit. Dazu
rauchen wir keine Gerichte – Sie anscheinend schon.
ir freuen uns, dass uns das Bundesarbeitsgericht, bezo-
en auf diesen Grundsatz, recht gegeben hat.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9225
Katja Mast
)
)
Ich will es noch einmal sagen: Es ist wichtig, dass die
Bundesregierung, die warmen Worten immer wieder
kalte Taten folgen lässt, noch in diesem Jahr handelt.
Deshalb fordere ich Sie alle von der Regierungskoalition
auf: Stimmen Sie heute diesem Antrag zu!
Es geht um mehr als eine halbe Milliarde Euro für das
Jahr 2006. Die Gefahr besteht, dass dieser Anspruch ver-
jährt. Das sind eine halbe Milliarde Euro, die den Leis-
tungsträgern dieser Gesellschaft gehören, die denjenigen
gehören, die jeden Morgen arbeiten gehen, und auch
denjenigen, die diese Menschen beschäftigen, nämlich
den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern. Sie sorgen mit
Ihrer Ablehnung dieses Antrags dafür, dass den Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern sowie den Arbeitge-
bern das Geld für die Sozialkassen verloren geht. Das
kann ich als Sozialdemokratin nicht tolerieren.
Ich will meine Rede nun vorzeitig beenden.
Damit schenke ich Ihnen allen vor Weihnachten noch
drei Minuten Zeit. Ich will mit der Losung für den heuti-
gen Tag schließen – 2. Mose, 34,21 –:
Sechs Tage sollst du arbeiten, am siebenten Tage
sollst du ruhen.
Ich bitte Sie von der Regierungskoalition: Lassen Sie
Ihren warmen Worten Taten folgen und sorgen Sie dafür,
dass die Menschen nicht an sechs Tagen arbeiten müs-
sen, sondern schon nach fünf Tagen Ruhe haben!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Frohe Weih-
nachten!
Das Wort hat nun Johannes Vogel für die FDP-Frak-
tion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Mast, die inhaltliche Debatte über die Zeitar-
beit hatten wir vorhin geführt. Ich verstehe den Versuch,
noch einmal zu sagen: Wir brauchen den Mindestlohn in
der Zeitarbeit. – Ich finde, darüber können wir trefflich
streiten. Aber das können Sie aus dem Urteil nun wirk-
lich nicht ableiten. Es hat nämlich nicht über die Inhalte
der Tarifverträge geurteilt, sondern über die Organisa-
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Worum geht es hier?
ie sagen, Sie haben ein Interesse daran, die Sozialkas-
en vor Beitragsverlusten zu bewahren.
h sage Ihnen ganz offen: Auch ich habe dieses Inte-
sse. Auch mir, der ich freiwillig in die gesetzliche Ren-
nversicherung einzahle, ist es wichtig, dass die gesetz-
che Rentenversicherung vor Beitragsverlusten bewahrt
ird. Ich habe nur im Gegensatz zu Ihnen großes Ver-
auen in die Bundesregierung und in die gesetzliche
entenversicherung, dass sie die Beitragsverluste ver-
indern. Es gibt auch keinen Grund, daran zu zweifeln,
ebe Kolleginnen und Kollegen.
Frau Mast, was hat die Bundesregierung – Stichwort:
ewaltenteilung in unserem Rechtsstaat – gemacht? Sie
at sich dafür entschieden, das letztinstanzliche Urteil
es Gerichts abzuwarten. Das klingt für mich doch ver-
ünftig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
ie Frage ist doch: Hätte die Rentenversicherung anders
andeln können oder anders handeln sollen? Wenn wir
hrlich sind – das wissen Sie so gut wie ich; zumindest
ehe ich davon aus, wenn ich mir Ihre Gesichter an-
chaue –, ist uns doch allen klar: Das hätte sie nicht.
Lieber Herr Birkwald, selbst Ihr Kollege Klaus Ernst
at hier im Plenum gesagt, er sei sehr gespannt, was das
ericht über die Tariffähigkeit der christlichen Gewerk-
chaften sagt. Ja, es war richtig, abzuwarten, wie die Ju-
ikative urteilt. Obwohl das bis zur Urteilsverkündung
öllig unklar war, meinen Sie, dass hätte gehandelt wer-
en sollen. Das ist in einem Rechtsstaat kein vernünfti-
es Verfahren. Es wäre rechtswidrig gewesen, entspre-
hende Bescheide zu erlassen, Herr Birkwald. Ich weiß,
ie wollten vorsorglich – so steht es in Ihren Antrag –
ie Höhe möglicher Beitragsforderungen mit Blick auf
en möglichen Prozessausgang festgestellt wissen.
9226 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Johannes Vogel
)
)
Darin wurden Sie auch von den Grünen und der SPD un-
terstützt. Ich frage mich aber – darüber haben Sie sich
ausgeschwiegen –, auf welcher soliden Rechtsgrundlage
diese Feststellung hätte getroffen werden sollen. Diese
gab es nicht, und deshalb war es richtig, das nicht zu tun,
sondern erst einmal auf das Urteil zu warten.
– „Erwartbar“ ist ein interessantes Stichwort. Das führt
mich zu dem nächsten Punkt. Dazu wollte ich ohnehin
kommen.
Ich glaube, wir müssen uns darüber klar sein, wie die
Gewaltenteilung in unserem Staat organisiert ist. Es gibt
eben Exekutive, Legislative und Judikative. Das wissen
Sie.
Aber manchmal bin ich mir nicht sicher, wie groß Ihr
Vertrauen in die Gerichte ist. Das zeigt sich nicht nur an
dieser Stelle, sondern zum Beispiel auch bei der Frage
der Bagatellkündigungen. Da diskutieren wir das auch.
Sie fordern regelmäßig gesetzgeberisches Handeln. Ar-
beitnehmern soll wegen möglicher Bagatellen nicht ge-
kündigt werden, wenn es keinen Vertrauensverlust, keine
wirkliche Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwi-
schen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gab.
Dieses Ziel teilen wir sogar, und wir haben auch
schon verschiedentlich hier im Plenum darüber disku-
tiert, dass das durch die Rechtsprechung in Deutschland
relativ gut gewährleistet ist. Dem haben Sie nun wieder
nichts entgegenzusetzen. Hier drängt sich mir als ein
Muster das Bild eines gewissen Misstrauens in unsere
Rechtsprechung auf. Ich habe das nicht, und es gibt auch
keinen Grund, ein solches Misstrauen zu haben.
Es gab die Pflicht der Bundesregierung und der Ren-
tenversicherung zur Neutralität. Das Urteil war abzuwar-
ten, und genau das ist erfolgt. Kollege Straubinger hat
gerade schon gesagt, wie es jetzt weitergeht.
Die Bundesregierung wird zusammen mit der Renten-
versicherung das weitere Vorgehen beraten. Sie wird erst
die Urteilsbegründung abwarten. Dann werden nicht nur
die Arbeitnehmer in rechtmäßiger Weise Gehaltsansprü-
che durchsetzen, weil dann das Prinzip des Equal Pay
möglicherweise mittelbar rückwirkend greift – wir alle
wissen, dass es so sein wird, wenn dies aus der Begrün-
dung hervorgeht –, sondern dann wird auch die Renten-
versicherung entsprechend handeln. Ich sehe dies wie
der Kollege Straubinger: Sie sollte dann auch entspre-
chend handeln. Wir sollten uns Beitragszahlungen nicht
entgehen lassen.
Sie reden ja von Verjährung und von Dringlichkeit.
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ben habe ich ausgeführt, dass ich das Gefühl habe, Sie
isstrauen manchmal der Judikative. Jetzt habe ich hier
as Gefühl, dass Sie der Regierung misstrauen.
Ich meine das nicht politisch; aber, Herr Birkwald, wir
önnen uns schon darin einig sein, dass die Regierung in
er Lage sein wird, in den Tagen, die bis zum Ende des
ahres 2010 noch vergehen – das sind ja noch einige,
uch wenn wir dann im Weihnachtsurlaub sein mögen –,
ntsprechend zu handeln. Die Angst vor der Verjährung
t einfach unbegründet. Es gibt keinen Grund, hier der
egierung irgendetwas legislativ vorzuschreiben. Sie
ird es gut machen. Es war richtig, abzuwarten, weil
ies einfach Ausdruck des Respektes gegenüber den Ge-
chten in Deutschland ist.
Liebe Frau Kollegin Mast, Sie sind mit gutem Bei-
piel vorangegangen. Ich will Ihnen nun zumindest eine
albe Minute Redezeit schenken.
Ich weiß, aber ich kann leider nicht ganz gleichziehen.
Ich möchte noch die Gelegenheit nutzen, liebe Kolle-
innen und Kollegen, mich für die, wie ich fand, immer
ehr spannenden und angenehmen Beratungen im Aus-
chuss im vergangenen Jahr bedanken. Mir hat der poli-
sche Streit mit Ihnen immer sehr viel Spaß gemacht.
etzt freue ich mich auf schöne Weihnachten, weil es im
eben nicht nur um Streit geht. Ihnen allen wünsche ich
ohe Weihnachten und ein paar schöne, ruhige und be-
innliche Tage im Kreis der Familie.
Vielen Dank.
Kollege Vogel, Sie haben uns zehn Sekunden ge-
chenkt.
Ich erteile dem Kollegen Matthias Birkwald für die
raktion Die Linke das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
n! Das Bundesarbeitsgericht, Herr Vogel, hat am
ienstag ein klares und deutliches Urteil gefällt: Die so-
enannte Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaf-
n für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen, kurz
GZP, ist tarifunfähig. Das heißt, die christlichen Ge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9227
Matthias W. Birkwald
)
)
werkschaften hätten niemals Lohndumpingtarifverträge
abschließen dürfen, und sie dürfen es auch künftig nicht.
Das Urteil ist ein tarifpolitischer Meilenstein und ein
großartiger Erfolg für die Leiharbeiterinnen und Leih-
arbeiter, die jetzt nämlich vorenthaltenen Lohn nachfor-
dern dürfen.
Aber das Urteil ist nicht vom Himmel gefallen. Wir
verdanken es der gemeinsamen Initiative der Gewerk-
schaft Verdi, der Professoren Peter Schüren und
Wolfgang Däubler und des Landes Berlin. Darum
möchte ich mich hier bei Verdi, den beiden Wissen-
schaftlern und vor allem bei der damaligen Berliner Ar-
beitssenatorin Dr. Heidi Knake-Werner und ihrer Nach-
folgerin Carola Bluhm – beide übrigens Mitglieder der
Linken – herzlich bedanken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Christen-
gewerkschaften sind ein grandioser Etikettenschwindel:
Sie sind keineswegs christlich, und Gewerkschaften sind
sie erst recht nicht. Ihre Nächstenliebe galt bisher aus-
schließlich den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern. Mit
den Gefälligkeitstarifen ist jetzt Schluss. Dazu kann ich
nur sagen: Gott sei Dank, dabei muss es auch bleiben.
Das Bundesarbeitsgericht hat seinen Job getan. Was
ist jetzt zu tun? Es muss dringend dafür gesorgt werden,
dass die Sozialkassen die Beiträge für 2006 erhalten,
Herr Vogel. Es geht um viel Geld. Die Bundesregierung
hätte längst handeln müssen. Seit 2008 liegt das Problem
auf dem Tisch, und 2009 hat Berlins Arbeitssenatorin
Carola Bluhm die Bundesarbeitsministerin aufgefordert,
aktiv zu werden. Frau Bluhm hat gegen die CGZP ge-
klagt. Das hätten Sie, Herr Staatssekretär Fuchtel, und
Ihre Ministerin Frau von der Leyen ebenfalls tun kön-
nen. Sie haben es nicht getan, und das ist nicht zu akzep-
tieren.
Das Nichtstun kostet die Sozialkassen jedes Jahr
mehr als eine halbe Milliarde Euro. Ihnen geht es doch
immer um Beitragssatzstabilität. Diese Beiträge gehen
der Rentenversicherung und der Krankenversicherung
komplett verloren, wenn die Ansprüche verjähren; diese
Gefahr besteht. Für die Jahre 2004 und 2005 ist das Kind
bereits in den Brunnen gefallen. 1,2 Milliarden Euro
sind futsch, Herr Vogel. Weitere zweieinhalb Milliarden
Euro stehen auf dem Spiel. Die Deutsche Rentenversi-
cherung Bund muss deswegen sofort die Leiharbeitsfir-
men auffordern, zu melden, ob sie nach den miesen Tari-
fen der christlichen Gewerkschaften gezahlt haben oder
nicht. Damit wäre die Verjährung unterbrochen, und
mehr als eine halbe Milliarde Euro Nachzahlung wäre
für das Jahr 2006 gesichert. Wenn hier nicht sofort ge-
handelt wird, werden die Lohndrücker geradezu ermun-
tert, an ihrem schmutzigen Treiben festzuhalten. Das ist,
liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und
FDP, unverantwortlich.
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Die Lohndrückergewerkschaft CGZP ist nur die sicht-
are Folge politischer Fehlentscheidungen und arbeits-
chtlicher Missstände. Es geht nicht allein um Miss-
rauch des Leiharbeitsgesetzes, worüber wir heute
ormittag geredet haben. Das Gesetz selbst öffnet dem
ohndumping Tür und Tor. Hier haben sich alle außer
er Linken nicht mit Ruhm bekleckert. Rot-Grün hat es
ingeführt, und Schwarz-Gelb hält an der Einladung zur
ohndrückerei weiterhin fest. Im Klartext: In der Leih-
rbeit herrscht Lohndumping per Gesetz. Das müssen
ir ändern, und zwar ganz dringend.
Die Linke hat bereits Anfang des Jahres einen Antrag
ur strikten Begrenzung von Leiharbeit vorgelegt. Einen
esetzentwurf zur dringend notwendigen Änderung des
rbeitnehmerüberlassungsgesetzes hat die Linke eben-
lls eingebracht. Was wollen wir? Wir Linken wollen
nter anderem, dass Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter
b der ersten Stunde gleichen Lohn für gleiche Arbeit er-
alten wie die Festangestellten. Wir wollen, dass Leih-
rbeit in einem Betrieb auf höchstens drei Monate be-
renzt wird. Die Linke will, dass Betriebsräte das Recht
rhalten, über den Einsatz von Leiharbeiterinnen und
eiharbeitern mitzubestimmen. Wir sagen: Leiharbeite-
nnen und Leiharbeiter dürfen für ihre Flexibilität nicht
it Dumpinglöhnen bestraft werden. Nein, stattdessen
üssen sie mit einer Flexibilitätsprämie von 10 Prozent
ohnzuschlag belohnt werden. Kurzum: Das Lohndum-
ing per Gesetz muss endlich ein Ende haben.
Haben Sie herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
h wünsche Ihnen einen guten Rutsch ins neue Jahr und
in friedliches 2011. Ich freue mich auf die Debatten mit
nen, Herr Vogel.
Danke schön.
Das Wort hat nun Beate Müller-Gemmeke für die
raktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
en und Kollegen! Diese Woche ist eine gute Woche.
as Bundesarbeitsgericht hat der Tarifgemeinschaft
hristlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-
erviceagenturen die Tariffähigkeit aberkannt; darauf
arte ich schon lange und ungeduldig. Damit hat die
ohndrückerei dieser Pseudotarifgemeinschaft endlich
in Ende.
Die Leiharbeitskräfte in Betrieben mit diesen Gefäl-
gkeitstarifverträgen mussten in den vergangenen Jah-
n für einen unsäglich niedrigen Lohn arbeiten. Sie ha-
en unter der Pseudotarifgemeinschaft gelitten, die sich
9228 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Beate Müller-Gemmeke
)
)
als christlich bezeichnet und nicht einmal die Durchset-
zungskraft besitzt, bei nur einem einzigen Unternehmen
einen Tarifvertrag durchzusetzen. Das BAG hat nun mit
dem Beschluss klargestellt: Die tarifrechtlichen Voraus-
setzungen werden nicht erfüllt.
Für mich stand schon lange fest, dass bei dieser Tarif-
gemeinschaft nicht die Beschäftigten im Mittelpunkt
stehen, sondern die Interessen der Arbeitgeber. Ziel der
Tarifgemeinschaft sind niedrige Löhne und schlechte
Arbeitsbedingungen. Sie, die Regierungsfraktionen, hat-
ten da immer eine andere Meinung.
Das ist ein Skandal und zugleich aber auch ein Armuts-
zeugnis für die Unternehmen, die derartige Tarifverträge
abgeschlossen haben, um Löhne zu drücken und Ar-
beitsbedingungen zu verschlechtern.
Ärgerlich ist aber auch, dass die Deutsche Rentenver-
sicherung abgewartet hat, bis das Bundesarbeitsgericht
entschieden hat,
obwohl der Beschluss nach den beiden zuvor gefällten
Urteilen absehbar war. Die Rentenversicherung hätte die
Sozialversicherungsansprüche von über 200 000 Leih-
arbeitskräften sicherstellen und vor Verjährung schützen
müssen. Jetzt haben nicht nur die Leiharbeitskräfte
Nachteile. Auch die Versichertengemeinschaft aller So-
zialkassen hat damit eine erhebliche Summe verloren.
Ich meine, dass die Bundesregierung hieran eine Mit-
schuld trägt. Sie hat die Rechtsaufsicht über die Deut-
sche Rentenversicherung und hätte längst dafür sorgen
können und müssen, dass die Rentenversicherung tätig
wird. Stattdessen wurde das Abwarten seitens der Bun-
desregierung immer wieder verteidigt, auch in Kleinen
Anfragen.
Mich ärgert aber auch, dass sich die Regierung bei-
spielsweise beim Arbeitslosengeld II völlig anders ver-
halten hat. In vorauseilendem Gehorsam wurden von der
Bundesagentur für Arbeit Hartz-IV-Bescheide ver-
schickt, noch bevor die Streichung des Elterngeldes hier
im Bundestag beschlossen wurde. So viel zum Thema
Rechtsstaatlichkeit, Herr Kollege Straubinger, aber auch
zum Thema Respekt vor dem Bundestag, Herr Kollege
Vogel.
Aufgrund nochmaliger Änderungen mussten die Be-
scheide dann korrigiert werden.
– Warum ist es auf Ihrer Seite jetzt so laut? Habe ich ir-
gendetwas gesagt, das Ihnen nicht passt?
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nd darf nicht nochmals prüfen, abwarten und wieder
rüfen. Sie muss Betriebsprüfungen durchführen und
ozialversicherungsbeiträge nacherheben, damit die
eiharbeitskräfte, aber auch die Versichertengemein-
chaft zu ihrem Recht kommen.
Handeln ist übrigens auch deshalb notwendig, damit
ie Leiharbeitsunternehmen für das jahrelange Lohn-
umping die entsprechende Rechnung bekommen; denn
iese haben sie wahrlich verdient.
Auch ich wünsche Ihnen schöne und frohe Weihnach-
n, und ich hoffe, Sie haben eine besinnliche Zeit.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Peter Weiß für die Fraktion der
DU/CSU.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
edes höchstrichterliche Urteil wird vielfältig interpre-
ert.
o ist es auch in diesem Fall. Aber ich finde, man sollte
ich auf die Sache konzentrieren. Welche Konsequenzen
irklich aus diesem Urteil erwachsen, wissen wir erst,
enn die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt.
as wird leider noch etwas dauern.
rotzdem gibt es schon vorher Fakten, die man gemein-
am festhalten kann.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9229
Peter Weiß
)
)
Erstens. Frau Kollegin Mast, bitte erzählen Sie hier
keine falschen Sachen. Wir haben mittlerweile – Gott sei
Dank – einen einheitlichen unteren Lohn für die gesamte
Zeitarbeitsbranche in Deutschland, auf den sich alle Ge-
werkschaften und Arbeitgeberverbände verständigt ha-
ben.
Das ist eine großartige Leistung und zeigt, dass die Ta-
rifautonomie funktioniert.
Zweitens. Das Bundesarbeitsgericht hat festgestellt,
dass eine Tarifgemeinschaft aus formalen Gründen nicht
tariffähig ist. Jetzt müssen die Konsequenzen aus dem Ur-
teil gezogen werden. Die Konsequenz ist, dass die Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer die Differenz zwischen
dem Lohn, den sie erhalten haben, und dem, der einem
festangestellten Mitarbeiter zugestanden hätte, einklagen
und einkassieren können. Weitere logische Konsequenz
ist, dass die Sozialversicherung die Sozialversicherungs-
beiträge, die nicht gezahlt wurden, ebenfalls einfordern
kann. Wenn das so ist, sollte sie es selbstverständlich auch
tun. Das stellt niemand in Abrede.
Frau Mast sprach von der Rentenversicherung als ei-
ner nachgeordneten Behörde, Frau Müller-Gemmeke
sprach von der Rechtsaufsicht der Bundesregierung.
Die Rentenversicherung in Deutschland ist zuerst einmal
eine Versicherung für die Arbeitnehmer.
Deswegen wählen wir ein eigenes Parlament für die
Rentenversicherung.
Ich rufe schon heute alle Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer auf, im nächsten Jahr, wenn wieder Sozialwah-
len sind, ihr Wahlrecht auch wahrzunehmen.
Ich verstehe überhaupt nicht, warum aufseiten der
Opposition ein solches Misstrauen gegenüber den ge-
wählten Vertretern in der Selbstverwaltung der Sozial-
versicherung besteht. Da sitzen hochrangige Vertreter
der deutschen Gewerkschaften. Ich vertraue darauf – ich
bin davon überzeugt, dass das auch so ist –, dass der Prä-
sident der Deutschen Rentenversicherung und die Mit-
glieder der Selbstverwaltung der Rentenversicherung,
sowohl die auf der Arbeitgeberseite wie auch die auf der
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Deswegen ist der Antrag, den Sie gestellt haben, so
nnötig wie ein Kropf. Hier hat nicht der Bundestag zu
andeln, hier hat nicht die Bundesregierung zu handeln,
ier hat die Deutsche Rentenversicherung zu handeln.
h sage Ihnen eines: Die wird auch handeln.
Bevor man eine Rede hält, kann man auch einmal den
elefonhörer in die Hand nehmen und zum Beispiel fra-
en, ob die Damen und Herren bei der Deutschen Ren-
nversicherung den gleichen Kalender haben wie wir
nd ob auch bei ihnen der 31. Dezember das Jahresende
t. Das habe ich getan. Wissen Sie, welche Auskunft ich
ekommen habe? Auch bei der Deutschen Rentenversi-
herung weiß man, dass der 31. Dezember das Jahres-
nde ist. Donnerwetter! Dazu brauchen die dort keinen
ntrag aus dem Deutschen Bundestag; das können die
elber feststellen.
Deswegen gehe ich davon aus – ich bin mir sogar si-
her –, dass die Deutsche Rentenversicherung bis zum
1. Dezember alle Unternehmen, die es betrifft, darüber
formieren wird, welche Konsequenzen aus diesem Ur-
il des Bundesarbeitsgerichts zu erwarten sind.
h finde, es gibt keinen Grund, der Rentenversicherung,
or allen Dingen ihrer Selbstverwaltung, zu misstrauen
nd etwa davon auszugehen, dass sie nicht pflichtgemäß
as tut, was ihr aufgetragen ist, nämlich die Finanzen un-
erer Sozialversicherung so solide sicherzustellen, wie
as jeder von uns wünscht.
eswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen.
ir werden mit großer Sicherheit erleben, dass die Ren-
nversicherung handelt.
9230 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
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)
Auch wenn es jetzt noch einige Tage bis zum Jahres-
ende sind, bedanke ich mich bei den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern der Deutschen Rentenversicherung
schon einmal im Voraus dafür, dass sie noch in diesem
Jahr ihre Pflicht tun werden, ohne dass sie aus dem
Deutschen Bundestag dazu aufgefordert werden. Ich
vertraue der Selbstverwaltung der Deutschen Rentenver-
sicherung. Mit diesem Schlusssatz möchte ich uns allen,
aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der
Rentenversicherung, die jetzt viel Arbeit haben, ein fro-
hes und gesegnetes Weihnachtsfest sowie einen guten
Start ins neue Jahr 2011 wünschen.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Sozialkassen vor Bei-
tragsverlusten bewahren“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/3732,
den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/3042
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unions-
fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der
SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 40 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand
der Deutschen Einheit 2010
– Drucksachen 17/3000, 17/3110 Nr. 7, 17/4147 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Behrens
Daniela Kolbe
Jimmy Schulz
Roland Claus
Stephan Kühn
Hierzu liegen je ein Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich gehe da-
von aus, dass der Geräuschpegel kein Widerspruch zu
dieser Vereinbarung ist. – Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes-
minister des Innern, Dr. Thomas de Maizière.
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ine Kollegin hat eben gesagt: Für den Osten war es das
icht. Da bin ich nicht so sicher. Wir Deutschen haben,
laube ich, bei keinem anderen Thema so sehr die Nei-
ung, darüber zu streiten, ob das Glas halb voll oder halb
er ist, wie bei der Frage der deutschen Einheit.
Deswegen ist es nicht schlecht, die Ostdeutschen
elbst zu fragen. Mir liegt eine Umfrage der Super Illu
on dieser Woche vor, die – Fehlerquote hin oder her –
u folgendem Ergebnis kommt, Frau Kollegin: Die Aus-
age „Für Deutschland war es alles in allem ein gutes
ahr“ bestätigen die Ostdeutschen insgesamt zu 56 Pro-
ent.
as finde ich nicht schlecht. Auf die Frage „Für mich
ersönlich als Ostdeutscher war es ein gutes Jahr, ja oder
ein?“ antworten 64 Prozent, dass das Jahr 2010 für sie
in gutes Jahr war.
Sie können über die Seriosität der Zeitung oder über
as Leipziger Institut reden, was immer Sie wollen. Ich
alte das jedenfalls für ein gutes Ergebnis und freue
ich darüber.
Bei der heutigen abschließenden Diskussion über den
ericht zum Stand der deutschen Einheit, den wir vorge-
gt haben, will ich, auch aus Zeitgründen, auf Einzel-
eiten nicht eingehen. Die Bilanz nach 20 Jahren ist
emischt. Wir haben große Fortschritte bei den Infra-
trukturaufgaben gemacht. Wir haben sie abgearbeitet,
zw. sie sind in Arbeit. Das BIP, das Bruttoinlandspro-
ukt, pro Kopf ist gestiegen. Die Arbeitslosigkeit ist auf
0,7 Prozent gesunken. Der Satz „Die Arbeitslosigkeit
t doppelt so hoch wie im Westen“, den wir uns einge-
ämmert haben, stimmt nicht mehr; sie ist niedriger. Die
ahl der Erwerbstätigen ist so hoch wie Anfang der
0er-Jahre. Wir haben da eine gute Entwicklung zu ver-
eichnen.
Nun haben wir in Deutschland die Art, das Glas,
enn es halb voll sein könnte und man das nicht zuge-
en will, einfach zu vergrößern, weil dann der Füllpegel
inkt. Dann kann man sagen: Siehst du, das Glas ist ja
och nicht halb voll!
So ist es auch hier. Vor einigen Tagen war die Mel-
ung zu lesen: „Einkommenskluft zwischen Ost und
est wächst“. Sicher wird der eine oder andere Redner
arauf eingehen. Angesichts dieser Meldung ist man be-
orgt. Wenn man sich das aber einmal genau anschaut,
tellt man fest, dass das nicht stimmt. Der Hintergrund
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9231
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern
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Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
ist: Die Löhne der abhängig Beschäftigten im Osten sind
genauso gestiegen wie im Westen. Wie kommt dann
diese Meldung über die Kluft zustande?
– Auch nicht Teilzeit, Herr Claus.
Es hängt damit zusammen, dass die Zahlungen für die
Transferempfänger relativ gesehen gesunken sind. Wo-
ran liegt das? Das ist einzig und allein durch das Ren-
tenthema begründet. Die starken Rentenjahrgänge haben
nicht mehr dasselbe Gewicht wie früher. Für Sachsen
kann ich sagen: Vor einigen Jahren war Hoyerswerda
eine der ostdeutschen Städte mit dem höchsten Kauf-
kraftniveau. Darauf wäre man gar nicht gekommen. Das
war eine Folge der guten Bezahlung im Braunkohlenta-
gebau und der entsprechend hohen Renten. Jetzt gibt es
die ersten Jahrgänge, die uns im Hinblick auf die gebro-
chenen Erwerbsbiografien Sorgen machen. Da sinken
die Transferzahlungen, und das wird uns beschäftigen.
Das Thema Rente bleibt auf der Tagesordnung. Aber die
Löhne haben sich gut entwickelt. Das heißt, man muss
solche Horrormeldungen differenziert betrachten.
Was ist nun zu tun? Das kann man in der Kürze der
Zeit nicht im Einzelnen sagen. Aber natürlich bleibt ers-
tens die Frage der zu hohen Arbeitslosigkeit, der Innova-
tion, Forschung und Entwicklung in den Betrieben – und
nicht nur im öffentlichen Bereich – wichtig.
Zweitens. Wir brauchen – das ist ein Schlüsselthema
in dieser Legislaturperiode – eine kluge Anschlussrege-
lung für die Strukturfonds ab 2013. Da sind wir aufs
Engste mit den ostdeutschen Ländern im Gespräch. Bei
diesem Thema geht es wirklich um die Wurst.
Drittens. Wir müssen weg von der Durchschnittsbe-
trachtung. Durchschnitt Ost gegen Durchschnitt West
trifft die Wirklichkeit nicht mehr. Um Ihnen ein Beispiel
zu nennen: In Rostock ist die Arbeitslosigkeit niedriger
als in Bremen. Zwischen Dresden und der Oberlausitz
gibt es Gehaltsunterschiede zwischen 10 und 15 Prozent.
Die Betrachtung des Durchschnitts verstellt also den
Blick auf die Wirklichkeit in beiden Teilen unseres Lan-
des.
Viertens. Wir müssen mit aller Kraft die Entwicklung
eines durch Ostdeutschland gehenden Korridors in An-
griff nehmen. Die Rheinschiene ist voll. Wir brauchen
eine weitere große Nord-Süd-Verbindung in Europa, von
Skandinavien durch die Mitte Europas bis an die Adria.
Die Frage ist nur, ob dieser Korridor in Polen oder bei
uns sein wird. Ich bin dafür, dass er bei uns ist. Deswe-
gen müssen wir etwas tun.
Fünftens schließlich gibt es zwar die demografische
Herausforderung – das will ich nicht schönreden; das
stellt uns vor gewaltige Probleme –, aber wir können uns
wenigstens einmal darüber freuen, dass die Chancen für
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Wenn Sie auf die Bezahlung abzielen, dann prophezeie
h Ihnen, dass sie aus purem Eigeninteresse der Unter-
ehmen blitzschnell besser wird. Dafür muss man gar
icht viel machen. Es wird ganz andere Probleme geben.
Letzter Punkt. Wir haben uns dieses Jahr an 20 Jahre
eutsche Einheit erinnert. Ich habe mich darüber gefreut.
s gab sehr viele Veranstaltungen: national, regional und
kal. Auch dort waren die Ostdeutschen ganz zufrieden.
der Umfrage, die ich eingangs zitiert habe, bejahen
2 Prozent der Befragten die Aussage: „Ich habe mich
efreut. Es war alles in allem ein würdiges Jubiläums-
hr“. – Na bitte. Ich finde das gut. 2010 war auch für
en Stand der deutschen Einheit und für die Menschen in
stdeutschland ein gutes Jahr.
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Daniela Kolbe
as Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
nd Kollegen! Als 1989 in Leipzig und anderswo die
enschen auf die Straße gegangen sind und wenig spä-
r in Berlin die Mauer gefallen ist, war ich neun Jahre
lt. Ob man heute sagt, das ist lange her, oder nicht: Aus
einer Perspektive war das vor einem Großteil meines
ebens.
Ich kann mich trotz meines damaligen jungen Alters
och sehr gut daran erinnern, wie es in der DDR ausge-
ehen hat, in welchem Zustand die Straßen und die Infra-
truktur waren, was man gegessen hat, was man konsu-
iert hat und mit was man durch die Gegend gefahren
t. Ich kann mich auch noch gut an die Einschränkung
er Lebensqualität erinnern, zu der die massive Umwelt-
erstörung geführt hat.
Die DDR hatte für mich einen spezifischen Geruch.
s roch nach Trabbi.
meinem Heimatdorf roch es nach Gülle.
9232 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Daniela Kolbe
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Seither hat sich unglaublich viel verändert und ver-
bessert. Jeder, der durch Leipzig, Bautzen oder Schwerin
schlendert – das kann ich allen nur herzlich empfehlen –,
wird dem zustimmen. Überall ist die Infrastruktur sehr
gut ausgebaut. In 20 Jahren wurde durch die Solidarität
der alten Länder und durch die Aufbauleistung der Men-
schen in den neuen Ländern Beachtliches geschaffen.
Darauf können wir alle miteinander sehr stolz sein.
Doch nicht alles ist rosig, und nicht in allen Punkten
sind die alten und die neuen Länder gleich. Es gibt noch
große Unterschiede. Das will ich nicht bewerten. Ich will
einfach nur sagen: Es gibt Unterschiede. Die neuen Län-
der sind anders. Aber wir müssen uns als Politiker
immer wieder aufs Neue fragen, wie wir für die Gleich-
wertigkeit der Lebensverhältnisse und die Chancen-
gleichheit eintreten können. Einige Beispiele für die Un-
terschiede sind schon genannt worden.
Beispiel Wirtschaftsstruktur. In den neuen Ländern
gibt es einen anderen Branchenmix. Der öffentliche
Dienst ist deutlich wichtiger, wenn es um Beschäftigung
geht. Es gibt deutlich weniger Stammsitze großer Unter-
nehmen, und es gibt immer noch zu wenig mittelständi-
sche Betriebe. Gleichzeitig gibt es eine stark verfestigte
Langzeitarbeitslosigkeit.
Für die Zukunftsfähigkeit der neuen Länder ist auch
die Forschungstätigkeit wichtig. Auch dabei gibt es Un-
terschiede. Im Osten dieses Landes wird leider immer
noch deutlich weniger in den Unternehmen geforscht.
Das liegt auch an der Größe der Unternehmen. Erfreu-
lich ist dagegen die stark aufgeblühte Forschungsland-
schaft in den Universitäten und außeruniversitären For-
schungseinrichtungen. Dieser Bereich ist auch weiterhin
auf öffentliche Mittel angewiesen. Sie haben es bereits
angesprochen: 2013 werden die Mittel der europäischen
Strukturfonds wegbrechen. Die Frage ist: Was kommt
danach?
Ein weiteres Beispiel ist der Zustand der Demokratie.
Obwohl vor 20 Jahren Zehntausende in den neuen Län-
dern ihr Leben riskiert haben, als sie für die Demokratie
auf die Straße gegangen sind, müssen wir feststellen,
dass die Zustimmung zur Demokratie in den neuen Län-
dern geringer ist als in den alten. Das ist ein beunruhi-
gender, ja verheerender Befund. Ebenso verhält es sich
bei dem Thema Rechtsextremismus. In den neuen Län-
dern ist das ein großes Problem; zwar nicht nur dort,
aber gerade dort.
Beispiel Demografie. Nach der Wiedervereinigung
haben wir eine dramatisch gesunkene Geburtenrate er-
lebt und danach eine dramatische Abwanderung gerade
von jungen Menschen. Deshalb wird der dramatische de-
mografische Wandel im Osten jetzt schon deutlich. Das
ist ein Punkt – Herr de Maizière, hier möchte ich einen
Wunsch an Sie loswerden –, an dem man von Ost-
deutschland lernen kann. Hier werden Phänomene deut-
lich, die im Osten nur vorweggenommen sind. Sie wer-
den in den alten Ländern auch noch zum Tragen
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Hier kann ich nur sagen: Wir erwarten vom zuständi-
en Minister, dass er die Spezifika der neuen Länder er-
ennt
nd seinen Ministerkollegen und den Zuständigen in den
lten Ländern deutlich macht, wo man von den neuen
ändern lernen kann. Vor allem aber erwarten wir, dass
homas de Maizière weiter hart und sichtbar an der An-
leichung der Lebensverhältnisse arbeitet. Genug zu tun
ibt es; das habe ich bereits ausgeführt. Ein wirklich ak-
ver und sichtbarer Minister, der sich immer wieder
eutlich für die neuen Länder positioniert, wäre wirklich
chick, um es ganz salopp auszudrücken. Leider sehen
ir derzeit wenig davon. Das „leider“ möchte ich dabei
ick unterstreichen.
s hapert offenbar noch an der Koordinierung der ein-
elnen Ministerien mit dem BMI, wenn es um das
hema Aufbau Ost geht. Das Mindeste, das wir als SPD
rwarten, ist, dass diese Regierung keine Politik gegen
ie neuen Länder macht.
chaut man auf die aktuelle Regierungspolitik, dann be-
ommt man ein mulmiges, ja ein beängstigendes Gefühl.
Beispiel Sozialkürzungen. Wenn man einen Blick in
en Sozialatlas des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes
irft, dann könnte man meinen, dass es die DDR immer
och gibt, so deutlich sichtbar ist die ehemalige deutsch-
eutsche Grenze. Dieser Sozialatlas zeigt – für die, die
s nicht wissen –, wo die schwarz-gelben Sozialkürzun-
en wie stark ausfallen. Die neuen Länder sind hiervon
einem dramatischen Ausmaß stärker betroffen als die
lten Länder.
Beispiel Stadtentwicklung. Die Bundesregierung legt
ie Axt an wichtige Stadtentwicklungselemente, wie
twa die Programme „Soziale Stadt“ oder „Stadtumbau
st“. Das betrifft besonders die vom Strukturwandel be-
offenen neuen Länder.
Beispiel aktive Arbeitsmarktpolitik. Die dramatischen
ürzungen, die Sie gerade beschlossen haben, treffen na-
rlich – das ist ganz plausibel – die Regionen, in denen
ie Arbeitslosigkeit besonders hoch ist. Diese Regionen
egen – das hat sogar Herr de Maizière gesagt – in den
euen Ländern. Sie haben nicht nur gekürzt, Sie haben
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9233
Daniela Kolbe
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auch strategisch umgesteuert. Zukünftig soll aktive Ar-
beitsmarktpolitik vor allen Dingen dann greifen, wenn
Menschen an den ersten Arbeitsmarkt herangeführt wer-
den können. Leider gibt es aber aufgrund der verfestigten
Langzeitarbeitslosigkeit gerade in den neuen Ländern
viele Menschen mit mehrfachen Vermittlungshemmnis-
sen. Was passiert eigentlich mit denen?
– Ich glaube auch, sie werden abgeschrieben.
Wo sollen sie denn hin? Was wird mit ihnen passie-
ren? Sie gehen zurück hinter die Gardinen in ihre Woh-
nung. Das ist ein Skandal.
Ich glaube, das Ganze wird eine echte Katastrophe
mit allen sozialen Konsequenzen, die damit zusammen-
hängen. Mir graut ehrlich gesagt schon vor dem Jahr
2011, wenn ich an diese Menschen denke. Mir graut aber
auch, wenn ich an die Vereine und Verbände denke, die
auf diese Menschen angewiesen sind.
Letztes Beispiel, Flächenerwerbsänderungsgesetz. Ich
habe ja noch gehofft, dass es anders kommen wird. Vor ei-
ner Stunde aber wurde dieses Gesetz beschlossen. Hier
betreibt die Bundesregierung Klientelpolitik zulasten der
neuen Länder.
Für die Landwirtschaft befürchten wir dramatische Aus-
wirkungen. Für die öffentliche Hand sind Mindereinnah-
men von circa 1 Milliarde Euro zu befürchten.
Liebe Grüne – das kann ich Ihnen leider nicht erspa-
ren –, in einem Entschließungsantrag zu diesem Thema,
in dem wirklich viel Gutes steht, schreiben Sie unter an-
derem folgenden richtigen Satz:
Auswüchse der Bodenspekulation bzw. -konzentra-
tion müssen vermieden werden.
Das ist ein richtiger Satz. Sie haben vorhin dem Flächen-
erwerbsänderungsgesetz zugestimmt.
– Das hat sehr wohl damit zu tun.
Wir würden uns wünschen, dass Sie die Interessen der
neuen Länder stärker berücksichtigen.
Zusammenfassend möchte ich sagen: In 20 Jahren
wurde von den Menschen, den Unternehmen und der
Politik viel erreicht. Es geht darum, diesen Prozess aktiv,
energisch und öffentlich weiterzuführen. Da sehe ich bei
Schwarz-Gelb im Moment leider schwarz.
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Für die FDP hat der Kollege Kurth das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Das Jahr geht zu Ende, damit auch ein Jahr der
ubiläen.
ir konnten fast wöchentlich die jeweiligen Entwick-
ngen vor 20 Jahren feiern. Wir haben auch hier im Ple-
arsaal die eine oder andere Jubiläumsveranstaltung
urchgeführt. Insofern ist es schön, dass wir jetzt, am
tzten Sitzungstag des Deutschen Bundestages in die-
em Jahr, noch einmal über das Thema der deutschen
inheit sprechen können.
Der vorliegende Jahresbericht der Bundesregierung
eigt: Jawohl, der Aufbau Ost ist eine Erfolgsgeschichte.
amit es jeder noch einmal hören kann, wiederhole ich
s sehr gern: enorme Sprünge bei der Infrastruktur, im-
ense Aufholprozesse der Bürgerinnen und Bürger in
stdeutschland bei Wohlstand und Lebenserwartung, bei
er Gesundheitsversorgung und bei der Wirtschafts-
truktur. Die neuen Länder haben also einen beispiello-
en Aufholprozess hingelegt.
s gibt viele Vorzeigeregionen, die zum Teil schon Re-
ionen im Westen übertroffen haben. Kommen Sie ein-
al nach Thüringen und schauen Sie sich Jena, Arnstadt
der Eisenach an. Das sind Erfolgsgeschichten.
Diese Erfolge wurden durch den großen materiellen,
ber auch ideellen Einsatz der westdeutschen Bürgerin-
en und Bürger erreicht; natürlich wurden sie auch mit
er historischen Leistung und dem Fleiß der Deutschen
der ehemaligen DDR erreicht, die den Übergang in
in völlig anderes, bis dahin unbekanntes wirtschaftli-
hes und gesellschaftliches System vollbracht haben.
Diese Erfolge sind umso bemerkenswerter, wenn man
ich die Situation im Jahr 1990 anschaut, den immensen
cherbenhaufen, den 40 Jahre SED-Herrschaft hinterlas-
en hat.
s ging der DDR übrigens nicht deswegen so schlecht,
eil die DDR-Bürger nicht so fleißig waren. Im Gegen-
il: Sie haben geackert und gerackert; es gab Leistungs-
ruck, Erfolgsdruck und Erwartungsdruck. Nur konnte
9234 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Patrick Kurth
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man in diesem System nicht viel erreichen; daran war
das System schuld. Das System hat Leistung und Erfolg
nicht zugelassen. Das haben wir 1990 geändert; darauf
können wir stolz sein.
Man kann jetzt mit Interesse verfolgen, dass alle
Fraktionen auf unterschiedliche Art und Weise versu-
chen, hier Verantwortung zu übernehmen. Bei einer
Fraktion, die eigentlich die Hauptverantwortung für das
trägt, was in den 40 Jahren vor 1990 gelaufen ist, kann
ich nicht erkennen, dass diese Verantwortung tatsächlich
übernommen wird.
Die Menschen haben ein Land wiederaufgebaut, in dem
Sie gewütet haben. Sie haben die Landschaften im Osten
vergiftet und beschweren sich hinterher, dass sie nicht
blühen.
Wissen Sie eigentlich, wie viel Arbeit es gemacht hat,
den Dreck wegzuräumen, den Sie hinterlassen haben?
Dennoch gilt: Wir haben Probleme; sie sind zum Teil
angesprochen worden. Die Abwanderung ist und bleibt
hoch. Das ist angesichts all der Probleme, die sie nach
sich zieht, erschreckend. Dabei befinden wir uns in der
paradoxen Situation, dass einerseits die schwächelnde
Wirtschaftskraft Grund für die Abwanderung ist und an-
dererseits die wirtschaftliche Gesundung Ostdeutsch-
lands durch die Abwanderung nicht so nach vorne ge-
bracht werden kann, wie wir das wollen.
Ich glaube trotzdem, dass es im Osten eine ganze
Menge gibt, worauf wir stolz sein können. Wir haben
eine hervorragende Kindergartenstruktur. Hier könnte
man schauen, ob es vielleicht einen Nachbau Ost im
Westen geben kann. Wir haben Bildungssysteme mit ei-
nem Abitur nach zwölf Jahren, die, wenn ich an Thürin-
gen oder Sachsen denke, sehr gut benotet werden und
vorbildhaft sind. Wir haben eine hochwertige Kultur-
landschaft: Nirgendwo in Deutschland gibt es mehr Or-
chester und Theater als in Thüringen oder Sachsen.
Und es gibt die wiedergewonnene Schönheit der Natur,
die von Jahr zu Jahr von immer mehr Bürgern besucht
wird.
Es liegt ein Entschließungsantrag der Linken vor, in
dem die Rede – ich will daraus zitieren – von „einer ver-
meintlich desolaten Ausgangslage nach dem Mauerfall“
ist.
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ie haben es wieder hineingeschrieben: eine vermeint-
ch desolate Ausgangslage nach dem Mauerfall. Was
einen Sie denn mit „vermeintlich“? War es denn früher
chöner in Bitterfeld? War es früher schöner bei Wismut
Ronneburg? War es früher schöner um das Atomkraft-
erk in Rheinsberg oder um das Atomkraftwerk Lub-
in, das genauso wie Rheinsberg sofort nach der Wende
ufgrund der Sicherheitsmängel abgeschaltet worden
t?
Ich muss schon sagen: Das, was Sie hier abliefern,
ägt zur Geschichtsklitterung bei.
ie werfen anderen ja Revanchismus vor. Vielleicht trifft
ier das Wort zu: Der Revanchismus der Linken ist an
er Stelle bösartig.
Meine Damen und Herren, der Aufbau Ost ist und
leibt kein Thema für eine Vergangenheitsbewältigung,
ondern ist ein aktuelles Thema. Ich sage auch: Das ist
in Zukunftsthema, es geht um Zukunftspolitik. Vieles,
as im Osten gemacht wird, könnte auch im Westen er-
lgreich sein. Zum Beispiel kann man die Konzepte zur
emografie erwähnen. Die demografische Entwicklung,
ie wir jetzt im Osten erleben, wird irgendwann auch auf
en Westen zukommen.
Aus meiner Sicht sollten wir in den Ausschüssen des
eutschen Bundestages und im Plenum den Aufbau Ost
tärker unter diesen Gesichtspunkten betrachten und
ollten nicht immer nur eine Runde zum Aufbau Ost ma-
hen, und dann war es das. Der Aufbau Ost spielt in
iele Themengebiete mit hinein.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen weiterhin ei-
en guten und erfolgreichen Aufbau Ost. Ich wünsche
nen allen frohe Weihnachten und ein gesundes neues
ahr.
Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Claus
as Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be-
ntworten hier die Gretchenfrage: Wie hältst du es mit
er deutschen Einheit? Dazu will ich gerne beitragen.
ir reden jedes Jahr über den Jahresbericht zum Stand
er deutschen Einheit, in diesem Jahr geschieht das vor
em Hintergrund des 20. Jahrestages. Um es klar zu sa-
en: Ich freue mich über jeden Schritt nach vorne, der in
en neuen Bundesländern gegangen wird. Ich tue auch
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9235
Roland Claus
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etwas dafür, dass solche Schritte tatsächlich möglich
sind.
Trotzdem gehört zur Wahrheit, dass die Angleichung
der Lebensverhältnisse in Ost und West seit über zehn
Jahren nicht vorankommt. Die Schere geht nicht nur
nicht mehr zusammen, sondern sie geht auseinander. In
dem Zusammenhang treffe ich überall auf das Bild von
dem halb vollen und dem halb leeren Glas.
Mit diesem Vergleich kann ich nicht allzu viel anfangen;
denn dieses Bild dient denjenigen, die es benutzen, vor
allen Dingen dazu, die Fakten auszublenden.
Zu diesen Fakten gehört in der Tat ein Rückgang der
Nettoeinkommen im Osten im Vergleich zum Westen.
Nicht um die 75 Prozent, die Sie genannt haben, geht es,
sondern um die Kritik, die in einer Zeitung steht, die Sie
ansonsten ziemlich lobt, Herr Bundesinnenminister.
Diese Kritik besagt doch: Wir waren schon weiter und
sind wieder zurückgegangen. – Natürlich sagt ein
Durchschnittswert nicht alles aus, aber die Mathematik
außer Kraft setzen können wir auch dann nicht, wenn
wir über die deutsche Einheit reden.
Nach wie vor haben wir keine einzige Unternehmens-
zentrale in den neuen Bundesländern.
Die Arbeitslosenzahlen und die Zahlen für den Niedrig-
lohnsektor sind im Osten etwa doppelt so hoch wie im
Westen. Wir haben kein einheitliches Rentenrecht.
Vielleicht kann ich Sie mit einem Beispiel, auf das ich
in dieser Woche aufmerksam geworden bin, etwas nach-
denklicher machen: Ein großes Bundesamt zieht um. Die
verschiedenen Standorte des Bundesbauamts – seine
richtige Bezeichnung ist etwas länger – werden jetzt
konzentriert. Das ist ein guter Prozess. Der Standort Ber-
lin Alexanderplatz ist im Gespräch – eine gute Adresse,
wie ich fand.
Nun habe ich mich mit einer Reihe von Einwänden
vertraut gemacht, die es dagegen gab. Einer dieser Ein-
wände – ich glaube, das ist der entscheidende – ist, dass
im Ostteil der Stadt Berlin die Beamtenpensionen noch
immer niedriger sind als im Westteil. Nun dürfen Sie
dreimal raten, wohin das Bundesbauamt wirklich zieht:
in den Westteil dieser Stadt. So gespalten ist diese Repu-
blik nach wie vor, und das ist das Produkt Ihrer Politik;
da können Sie sich nicht herausreden.
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h bekomme auch in Bayern Beifall dafür, wenn ich
age – das wissen wir alle längst –: Wir brauchen ein
inheitliches Bildungssystem anstelle der bildungspoliti-
chen Kleinstaaterei.
elcher Bürokratieabbau möglich ist, wenn es um Un-
rnehmensansiedlungen geht, kann sich der Westen
urchaus vom Osten abschauen.
Sachsen-Anhalt wählt am 20. März des nächsten Jah-
s. Die Linke will auch dadurch ihren Beitrag zur deut-
chen Einheit leisten, dass sie erstmals den Ministerprä-
identen des Landes Sachsen-Anhalt stellt.
ir haben in diesem Land vor 15 Jahren Neuland betre-
n. In Mecklenburg-Vorpommern machen wir den Wäh-
rinnen und Wählern ein inhaltsgleiches Angebot.
Alles Gute für das neue Jahr! 2011 kann ein gutes
ahr für die deutsche Einheit werden.
Vielen Dank.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-
lege Stephan Kühn das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Der vorgelegte Bericht ist ehrlicher als die
vorangegangenen, was Lageeinschätzung und Zukunfts-
aussichten betrifft. Das Ziel wurde leicht nach unten kor-
rigiert: Es geht nicht mehr um die blühenden Land-
schaften, sondern um das Aufschließen zu den struktur-
schwächsten westdeutschen Ländern, deren Niveau bis
zum Auslaufen des Solidarpakts II im Jahr 2019 erreicht
werden soll.
Trotzdem sind die Erfolge im Aufbau Ost unbestreit-
bar. Exemplarisch möchte ich die Verbesserung der Um-
weltsituation und die Sanierung der ostdeutschen Städte
nennen. Der Anteil der sanierten Gebäude ist im Osten
höher als im Westen. Ich denke, das ist in der Tat ein Er-
folg.
Persönlich kann ich sagen: Die Wende kam gerade noch
rechtzeitig. In meiner Heimatstadt Dresden sollte das
größte zusammenhängende Gründerzeitviertel Europas,
die Äußere Neustadt, durch Plattenbauten ersetzt wer-
den. Zum Glück ist es dazu nicht gekommen.
Dennoch ist Ostdeutschland geteilt in wirtschaftlich
potente Wachstumskerne einerseits wie beispielsweise
Dresden und abgekoppelte Regionen andererseits, ge-
rade im ländlichen Bereich, die durch den demografi-
schen Wandel zusätzlich benachteiligt sind. Das ökono-
mische Wachstum stagniert seit Mitte der 90er-Jahre,
und der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts in diesem
Jahr fiel im Osten geringer aus als im Westen. Wir haben
– das ist an mehreren Stellen schon genannt worden –
eine höhere Arbeitslosenquote. Das Bruttolohnniveau
liegt bei 81 Prozent des Westniveaus, und die soziale Ar-
mut ist doppelt so hoch. Ich empfehle dazu die Lektüre
des Sozialberichts des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Richtig ist, dass im Bericht die Frage nach dem ge-
sellschaftlichen Zusammenhalt zwischen Ost und West
gestellt wird. Dazu gehören aber auch die Vereinheitli-
chung des Rentenrechts, die immer noch nicht erfolgt ist,
und gleiche Löhne.
Die aktuelle Politik der Bundesregierung – darauf ha-
ben einige Vorredner zu Recht hingewiesen –, erschwert
den Angleichungsprozess zusätzlich. Die Kürzungen der
Bundesregierung, die mit steigenden Sozialausgaben bei
den ostdeutschen Kommunen verbunden sind, haben er-
hebliche Auswirkungen. Ich erinnere an die Kosten der
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ie Infrastrukturlücke, die oft beschrieben wird, existiert
icht mehr. Leider werden hier die falschen Prioritäten
esetzt.
Herr Minister, Sie haben den Nord-Süd-Korridor an-
esprochen. Da muss man fragen: Wenn er so wichtig
t, warum steht er dann hinten an? Zum Komplettaus-
au der Strecke Dresden–Berlin für eine Geschwindig-
eit von 200 km/h fehlen 450 Millionen Euro.
ie Strecke Dresden–Prag steht nicht einmal im Bundes-
erkehrswegeplan, geschweige denn gibt es eine Pla-
ung oder Finanzierung.
Künftig muss stärker in Bildung, Forschung, Innova-
ons-, Wissens- und Technologietransfer investiert wer-
en. Die Investitionszulage, wie sie noch heißt, würden
ir gerne in eine Innovationszulage umwandeln. Damit
lgen wir dem Bericht, in dem zu Recht steht:
Die Zukunft des Ostens … hängt von seiner Inno-
vationsfähigkeit ab, …
an kann entscheiden, ob man 60 Millionen Euro zum
au von 10 Kilometern Autobahn verwendet oder ob
an damit lieber ein Forschungsinstitut gründet. Das
mpfehle ich; denn das ist zielführender.
Im Bericht steht, dass die Mittel für Forschung und
ntwicklung stärker regional und mittelstandorientiert
ingesetzt werden müssen. Das ist richtig. Das beschäfti-
ungspolitische Rückgrat in Ostdeutschland ist der Mit-
lstand. Umso schlimmer ist, dass die Mittel im Bereich
er energetischen Gebäudesanierung gekürzt werden;
enn dadurch gefährden Sie die Arbeitsplätze im Mittel-
tand, nämlich im Handwerk.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9237
Stephan Kühn
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Gleiches gilt für die Städtebauförderung. Die Bauminis-
ter – nicht nur die ostdeutschen, sondern alle – haben
eindeutig und einstimmig in ihrem Beschluss im Sep-
tember dieses Jahres geschrieben:
Die Städtebauförderung ist ein unverzichtbarer Bei-
trag zum Aufbau Ost.
Zum Schluss: Ich denke, wir müssen uns – das wird in
dem Bericht nur am Rande gestreift – stärker auf die
ländlichen und peripheren Regionen konzentrieren und
dort eigenständige Lösungen entwickeln. Es reicht eben
nicht, auf die Demografiestrategie, die irgendwann
nächstes Jahr vorliegen soll, zu warten. Wir brauchen
mehr regional angepasste Förderkonzepte, beispiels-
weise durch den Einsatz von Regionalbudgets.
Kollege Kühn, achten Sie bitte auf das Zeichen.
Ich komme zum Schluss. – Insbesondere die ökologi-
sche Modernisierung bietet greifbare und weitreichende
Potenziale für die Entwicklung in den neuen Ländern,
gerade im ländlichen Raum. Sorgen Sie deshalb dafür,
dass die erneuerbaren Energien weiter Wachstums- und
Jobmotor bleiben.
Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche allen
erholsame Weihnachtsfeiertage.
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Manfred
Behrens das Wort.
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Wenige Tage nach dem Fall der Mauer am
9. November 1989 wurde aus dem Ruf „Wir sind das
Volk!“ der Ruf: „Wir sind ein Volk!“ Im Anschluss daran
fanden die ersten freien Wahlen statt. Für die Parteien,
die die deutsche Einheit anstrebten, stimmte eine über-
wältigende Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen. Kurz
darauf trat die Wirtschafts- und Währungsunion in Kraft.
Die D-Mark wurde alleiniges Zahlungsmittel. Am
12. September 1990 unterzeichneten die beiden deut-
schen Staaten und die Alliierten das Zwei-plus-Vier-Ab-
kommen. Deutschland erhielt seine volle Souveränität
zurück. Die deutsche Einheit wird seit 1990 als Natio-
nalfeiertag gefeiert.
Das Jahr 2010 stand ganz im Zeichen der Erinnerung
an den Aufbau der Demokratie in Ostdeutschland. Es
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m Ende des Prozesses wird das Niveau gleich hoch
ein. Das Statistische Bundesamt hat dies deutlich be-
gt, und das ist ein Erfolg für die deutsche Einheit.
Weiterhin freue ich mich über die positiven Entwick-
ngen im Bereich des Sports. Im Zuge der Wiederverei-
igung wurde das Sportsystem der DDR erfolgreich in
as bundesdeutsche integriert.
as ins Leben gerufene Sportstättenförderprogramm
oldener Plan Ost beseitigte den Mangel an Sportstätten
r den Breitensport in den neuen Ländern.
er Neubau von Sportplätzen, Sporthallen und Umklei-
ekabinen wurde von der Bundesregierung gefördert
nd unterstützt. Nachdem die Bundesfördermittel Ende
es Jahres 2009 ausliefen,
erden aktuell 600 Millionen Euro aus dem Konjunk-
rpaket II für Sportstätten verwendet. Die Grundversor-
ung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene ist damit
bgedeckt.
9238 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Manfred Behrens
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)
Ich freue mich über die positiven Zahlen am Arbeits-
markt. Kurz nach der Wiedervereinigung waren in den
neuen Bundesländern 30 Prozent der Menschen im er-
werbstätigen Alter ohne Job. Dieser Wert sank auf jetzt
11 Prozent. Zudem hat sich der deutsche Arbeitsmarkt
als robust gegen die Wirtschaftskrise erwiesen. Die
Nachfrage nach Arbeitskräften befindet sich in einem
stabilen Aufwärtstrend. Berechnungen der Bundesagen-
tur für Arbeit zufolge sinkt die Arbeitslosenquote auch
in 2011. Bundesweit werden dann nur noch 7 Prozent ar-
beitslos sein. Das ist höchst erfreulich, 20 Jahre nach der
deutschen Wiedervereinigung.
Insgesamt gesehen wird beim Blick auf den Jahresbe-
richt der Bundesregierung zum Stand der Deutschen
Einheit deutlich: Die Einheit war wichtig, und sie war
richtig. Die vergangenen 20 Jahre haben zahlreiche posi-
tive Entwicklungen mit sich gebracht; der Jahresbericht
der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit
belegt dies deutlich.
Auch ich wünsche Ihnen ein schönes Weihnachtsfest
und geruhsame Tage. Vielen Dank für die Aufmerksam-
keit.
Kollege Behrens, das war Ihre erste Rede in diesem
Hohen Hause. Ich gratuliere Ihnen dazu recht herzlich.
Wir wünschen Ihnen Erfolg bei Ihrer Arbeit.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Innenausschusses auf Drucksache
17/4147 zu dem Jahresbericht der Bundesregierung zum
Stand der Deutschen Einheit 2010. Der Ausschuss emp-
fiehlt, die Unterrichtung auf Drucksache 17/3000 im
Rahmen der Plenardebatte erneut zur Kenntnis zu neh-
men. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge, und zwar zunächst über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/4228. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent-
schließungsantrag ist mit den Stimmen der Unionsfrak-
tion, der FDP-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/4229. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 auf:
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Es geht in diesem Zusammenhang aber nicht nur um
Zertifikate, sondern auch um Fondsbeteiligungen und
andere Finanzprodukte. Wer die Tickermeldungen von
heute liest, weiß, dass es auch in anderen Fällen zu
Falschberatung kommen kann. Die Betroffenen, die ge-
rade erst mehrere zehntausend Euro verloren haben,
müssen im Falle einer Klage ein Prozesskostenrisiko von
weiteren 10 000 oder 15 000 Euro eingehen. Da sie nicht
wissen, wie der Prozess ausgeht, trauen sie sich in vielen
Fällen nicht, zu klagen. Eine Rechtsschutzversicherung
trägt die Kosten einer solchen Klage häufig nicht; denn
sie bezeichnet die Produkte, die von einer Bank als ver-
meintlich sichere Anlagen verkauft worden sind, als spe-
kulative Produkte. Die Betroffenen fallen hier in eine
Lücke unseres Rechtsstaates. Wir meinen, dass es ge-
rechtfertigt ist, die Fälle, die noch nicht verjährt sind,
durch eine veränderte Übergangsregelung aus der Ver-
jährung herauszunehmen.
Ich finde es interessant, dass in diesem Zusammen-
hang der Rechtsfrieden als Argument angeführt wird, so
geschehen in der Antwort des Bundesfinanzministe-
riums auf eine unserer Fragen. Für wen geht es hier um
Rechtsfrieden? Es gibt mehrere Banken, die betroffen
wären. Auf der einen Seite gibt es eine Bank wie die
Haspa, die Hamburger Sparkasse, die von sich aus sagt:
Wir wollen ein anständiges Verhältnis zu unseren Kun-
den haben. – Sie verzichtet auf die Einrede der Verjäh-
rung und sagt: Wir geben unseren Kunden zwei Jahre
länger Zeit. – Das ist ein anständiges Verhalten; auch das
muss einmal gesagt werden. Auf der anderen Seite gibt
es allerdings auch eine Bank wie die Targobank alias
Citibank, die dies nicht tut. Würden wir auf der jetzigen
Regelung beharren, würden wir es gerade der Bank, bei
der in Sachen schlechter Beratung wahrscheinlich die
meisten Fälle zu verzeichnen sind, ermöglichen, sich ei-
ner Überprüfung durch ein Gericht zu entziehen. Wir
würden die Kunden im Regen stehen lassen.
Ich möchte sehr eindringlich an Sie appellieren, die-
ser Änderung im Sinne der Kunden zuzustimmen. Es
geht um die Frage: Auf welcher Seite stehen wir als Ge-
setzgeber? Stehen wir auf der Seite derer, die eine Über-
prüfung ermöglichen wollen – in diesem Fall wäre es
immer noch Sache des Gerichts, zu entscheiden, ob eine
Falschberatung vorliegt oder nicht –, oder lassen wir es
darauf hinauslaufen, dass keine Überprüfung stattfindet,
weil eine alte Regelung, die von fast allen in diesem
Hause als falsch beurteilt worden ist, Gültigkeit hat?
Hier mit dem Rechtsfrieden zu argumentieren, über-
zeugt uns nicht. Ich habe mich im Einzelnen erkundigt
und festgestellt: Im Januar 2011 verjährt ein Zertifikat
der Targobank im Wert von 60 Millionen Euro, im Fe-
bruar verjähren zwei im Wert von 10 Millionen bzw.
7 Millionen Euro, im April weitere. Sie können sich also
ausrechnen, dass bei Fortbestehen der jetzigen Rechts-
situation in den nächsten Monaten mehrere Tausend
Menschen nicht mehr die Möglichkeit haben werden,
gerichtlich überprüfen zu lassen, ob sie wegen schlechter
Beratung Ansprüche gegen die Bank haben. Es wird in
der Zwischenzeit höchstrichterliche Entscheidungen zu
Fällen geben, in denen Menschen aufgrund von Provi-
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Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
rinkhaus.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
chick, ich war wirklich gespannt, wie Sie es schaffen
ürden, diesen sehr komplexen Gesetzentwurf, den Sie
rmuliert haben, hier zu erklären. Ich muss sagen – bei
llem Respekt –: Sie sind gescheitert. Ich glaube, kaum
mand hat verstanden, worauf Sie hinauswollen. Das ist
chade, weil es durchaus ein ernsthaftes Anliegen ist.
Ich möchte meine Ausführungen in drei Teile glie-
ern. Ich möchte auf Ihren Gesetzentwurf eingehen, ich
öchte darlegen, dass er auch etwas mit Ihrer Grund-
instellung zur Verbraucherpolitik zu tun hat, die mit un-
erer Grundeinstellung nicht übereinstimmt, und ich
öchte zum Schluss noch einmal darstellen, was wir in
iesem Jahr im Bereich „Finanzregulierung und Ver-
raucherschutz“ auf den Weg gebracht haben, was gut
nd was schlecht war und was wir vielleicht – da beziehe
h auch uns als Regierungsfraktionen mit ein – besser
achen können.
Kommen wir zu Ihrem Gesetzentwurf. Letztlich geht
s doch darum – ich möchte es am Fall von Lehman er-
utern –, dass Menschen Lehman-Zertifikate gekauft
aben, dass sie über das Risiko nicht aufgeklärt worden
ind und viel Geld verloren haben. Teilweise geht es um
ltere Menschen, die ihre Altersversorgung auf diese
ertifikate aufgebaut und einen erheblichen Schaden er-
tten haben. Diese Menschen haben in ihrem Leben
icht mehr die Chance, das verlorene Geld wieder he-
inzuholen. Sie haben bisher nie etwas mit Gerichten zu
n gehabt. Sie stehen jetzt auf einmal vor der Situation:
as Geld ist weg. Ihre Bank oder ihr Finanzdienstleister
aben sie nicht richtig beraten, nicht richtig aufgeklärt.
Ich habe versucht, mich in die sehr schwierige Situa-
on dieser Menschen hineinzuversetzen, und habe ges-
9240 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Ralph Brinkhaus
)
)
tern noch einmal im Internet recherchiert. Dort finden
Sie eine Vielzahl von Foren und Rechtsanwälten, die auf
dieses Thema spezialisiert sind. Als normaler Mensch
blicken Sie da gar nicht mehr durch. Ihnen wird nur klar,
dass alle sagen: Wenn Sie eine Klage erheben, kostet das
Geld. Sie müssen Gerichtskosten und Rechtsanwaltskos-
ten bezahlen. – Weil viele nicht wissen, was bei einer
Klage herauskommt, scheuen sie dieses Risiko. Das ist
verständlich; denn bei einem Streitwert von 15 000 Euro
– das werden mir die Anwälte hier im Hause bestätigen –
entstehen schnell Kosten von 4 000 bis 5 000 Euro nur
in der ersten Instanz. Dann fragen sich die betroffenen
Menschen natürlich: Soll ich jetzt auch noch mein letztes
Geld verlieren? – Viele dieser Geschädigten haben des-
halb keine Klage erhoben, sondern warten die Entschei-
dungen von Landgerichten oder Oberlandesgerichten ab;
in einem Fall ist, soweit ich weiß, auch ein Verfahren
beim Bundesgerichtshof anhängig. Sie hoffen auf eine
klare Entscheidung der Gerichte, um ihr Risiko besser
einschätzen und sagen zu können: Wenn ich Klage er-
hebe, dann habe ich auch eine gute Chance und be-
komme eine Erstattung. – Diese Haltung ist verständlich.
Diese Menschen haben jetzt aber ein Problem; denn
für die Klageerhebung gilt bisher eine dreijährige Ver-
jährungsfrist. Diese Verjährungsfrist – Herr Schick hat
es gerade ausgeführt – läuft für viele in den nächsten
Monaten ab. Anfang 2008 war eine besonders wilde
Zeit, zumindest im Bereich Lehman; für diejenigen, die
Anfang 2008 diese Zertifikate erworben haben – 2008
plus drei Jahre –, endet die Verjährungsfrist 2011. Jetzt
fordern Sie eine Verlängerung dieser Frist, damit die be-
troffenen Menschen noch die Chance haben, das Risiko
zu reduzieren. Das hört sich gut an und ist auch nach-
vollziehbar, weil die Menschen sehr stark betroffen sind
und viele Schicksale dahinter stehen;
das muss man ganz klar sagen.
Die andere Seite der Medaille haben Sie in Ihrem An-
trag nicht erwähnt; aber ich glaube, wir müssen so fair
sein, beide Seiten zu betrachten. Die andere Seite der
Medaille ist erstens, dass 2009 einvernehmlich festge-
legt worden ist, dass die Verjährungsfrist für zukünftige
Fälle – nicht für Altfälle – auf eine Regelverjährung von
zehn Jahren – das bedeutet im Übrigen nicht immer zehn
Jahre, wie mir jeder Jurist bestätigen kann – verlängert
wird. Man hat das Gesetz am 5. August 2009 in Kraft
treten lassen und damit den Schnitt gemacht: Alle fol-
genden Fälle unterliegen der Regelverjährung, alle Alt-
fälle unterliegen der verkürzten Verjährung. – Man hat
sich damals auch etwas dabei gedacht; denn man hat ge-
sagt: Wir können nur schwer rückwirkend in Sachver-
halte eingreifen; denn das ist nicht unbedingt mit unse-
rem Rechtssystem vereinbar. Dafür muss man sehr gute
Gründe haben.
Zweitens hat man gesagt, dass Verjährungsfristen
auch einen Sinn haben, nämlich den Sinn, Rechtsfrieden
herzustellen, unabhängig vom Ansehen der Kontrahen-
ten. Deswegen gibt es in allen Rechtsgebieten Verjäh-
rungsfristen.
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kenne an, dass man so etwas in die Anlageentscheidung
mit einbeziehen muss; aber damit hätten wir noch eine
Regelung mehr.
Wir verfolgen hier einen anderen Ansatz. Wir als
Union möchten nicht eine Vielzahl von Einzelregelun-
gen, sondern einen Rahmen für einen fairen und transpa-
renten Markt, auf dem die Verbraucher die Chance
haben, ihre Entscheidungen zu treffen – auch falsche.
Zur Marktwirtschaft, auch zur sozialen Marktwirtschaft,
zu einem freiheitlichen Gesellschaftsbild gehört es, dass
man auch falsche Entscheidungen treffen kann und nicht
vor allen falschen Entscheidungen vom Staat geschützt
wird. Deswegen möchten wir als Union uns mehr darauf
konzentrieren, einen Rahmen für den Markt zu setzen,
anstatt eine Vielzahl von Einzelvorschriften auf den Weg
zu bringen; denn diese Einzelvorschriften würden am
Ende nur dazu führen, dass das System nicht mehr hand-
habbar ist und nicht mehr ernst genommen wird.
Jetzt komme ich zum dritten Punkt. Wir befinden uns
am Ende eines langen Jahres, eines für uns Finanzmarkt-
regulierer und Finanzmarktverbraucherschützer aufre-
genden Jahres. Wir haben, glaube ich, sechs Gesetzes-
vorhaben auf den Weg gebracht. Wir haben EU-
Richtlinien umgesetzt wie im Bereich Rating oder Ver-
gütung. Wir haben uns bei dem Verbot der Leerverkäufe
sehr, sehr weit aus dem Fenster gelehnt. Wir haben die
Kapitaladäquanzrichtlinie mit den Verbriefungen umge-
setzt.
Wir haben bei der Bankenrestrukturierung Wegweisen-
des auf den Weg gebracht. Im Bereich Anlegerschutz be-
findet sich momentan – das ist auch unser Thema heute –
das Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz
im parlamentarischen Prozess. Ich denke, das ist eine
Menge.
Wir haben durchaus einige konstruktive Diskussionen
geführt. Aber ich denke, zwei Dinge müssen wir noch
besser machen. Hier fange ich bei uns, bei den Regie-
rungsfraktionen an.
Ich würde mir wünschen, dass wir die Oppositions-
fraktionen mehr in den Gesetzgebungsprozess einbezie-
hen, dass wir frühzeitiger informieren und dass wir
versuchen, einen weitergehenden Konsens hinzubekom-
men. Das ist nicht immer gelungen. Das lag teilweise an
der Eigendynamik der Entwicklung, dass wir schnell
handeln mussten, dass wir Dinge etwa aufgrund von
Bundesratsvoten auf den Weg bringen mussten. Aber in
dieser Hinsicht haben wir noch Potenzial nach oben.
Das funktioniert aber auch nur, meine Damen und
Herren, wenn Sie konstruktiv mitdiskutieren. Ich würde
mir wünschen, dass wir die Diskussion über die einzel-
nen Gesetzesvorhaben sachlicher führen. Ein Beispiel:
Wir machen ein umfangreiches Gesetzgebungspaket, das
sehr kompliziert ist, mit einer Vielzahl von technischen
Einzelregelungen. Das geht im Regulierungs- und Ver-
braucherschutzbereich manchmal nicht anders. Die Re-
aktion der Opposition, etwa der SPD, darauf lautet: „Mir
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lich zu machen, dass wir uns in diesen Beratungen auf
die Einzelpunkte konzentrieren
und nicht auf Grundsatzfragen ausweichen sollen. Sie
haben das aber mit Argumenten getan, mit denen Sie
weit ausgewichen sind. Sie sind gerade von diesem sehr
präzisen Vorschlag, den Bündnis 90/Die Grünen einge-
bracht haben, doch etwas abgewichen.
Ich will sagen, dass wir in der Darstellung des Pro-
blems eine große Einigkeit haben, des Problems näm-
lich, dass für Fehlberatung durch Banken bis in den Au-
gust 2009 hinein sehr kurze Verjährungsfristen von drei
Jahren galten, die damit deutlich kürzer waren als die im
bürgerlichen Recht üblicherweise festgeschriebenen Re-
gelungen und die zulasten der Anlegerinnen und Anle-
ger, vieler Bürgerinnen und Bürger gingen, jedoch zu-
gunsten der Banken und der Finanzindustrie gewirkt
haben. Das Anliegen, dass dies geändert werden musste,
ist umgesetzt worden, Kollege Brinkhaus. In der Großen
Koalition hat man gemeinsam mit einer Verjährungsfrist
von zehn Jahren eine vernünftige Grundlage geschaffen.
Das ist breit unterstützt worden. Auch Kollege Schick
hat hier deutlich gemacht, dass er dies für ein richtiges
Vorgehen gehalten hat.
Aber jetzt fällt den Menschen ein Regelungsproblem
auf die Füße: Der Tag, an dem die alte Verjährungsfrist
von drei Jahren abläuft, rückt immer näher. Hierbei geht
es um Käufe in der Zeit vom 1. Januar 2008 bis Anfang
August 2009. Wer in diesem Zeitraum gekauft hat, hat
sozusagen Pech gehabt. Nach meiner Auffassung muss
man damit ernsthaft umgehen. Mir war das nicht ernst-
haft genug, Kollege Brinkhaus, wenn Sie hier sagen: Die
Leute beraten sich mit ihren Rechtsanwälten und warten
auf Grundsatzurteile, aber sie müssen sich jetzt entschei-
den, vor Gericht zu gehen. – Ich finde, so kann man da-
mit nicht umgehen, man muss den Menschen Zeit dafür
lassen. Die Kosten für ein Gerichtsverfahren belaufen
sich schnell auf mehrere Tausend Euro.
– Das haben Sie gesagt. Aber wenn man hü sagt, muss
man an dieser Stelle auch hott sagen und springen.
Springen hieße, dass man bitte sehr diese Lücke schließt.
Wir als SPD halten den Vorschlag von Bündnis 90/
Die Grünen für klug und vernünftig, zu sagen: Wir wol-
len auch für diese betroffenen Leute gerade vor dem
Hintergrund, dass unsere Gerichte die notwendigen
Grundsatzurteile noch nicht beschlossen haben, zusätzli-
che Zeit und damit Rechtssicherheit gewinnen. Vor die-
sem Hintergrund stehen wir diesem Vorschlag sehr posi-
tiv gegenüber.
An dieser Stelle verweise ich darauf, dass es nicht an-
geht, von diesem Platz aus zu sagen, die Rechtssicher-
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Na gut, dann will ich „Keiner“ gerne zitieren. Ich habe
eute Morgen in der Financial Times gelesen, dass der
ollege Dautzenberg, der offensichtlich schon in den
eihnachtsurlaub entschwunden ist und deshalb dieser
ebatte nicht beiwohnt, sich dazu äußert, indem er – –
Viele sind im Weihnachtsurlaub. Das war nur eine
achverhaltsbeschreibung; das müssen Sie nicht miss-
erstehen.
Der Inhalt der Aussage vom Kollegen Dautzenberg
ar, dass es rechtspolitisch zweifelhaft sei, wenn auch
erbraucherpolitisch verständlich. Rechtspolitisch zwei-
lhaft! Diese Auffassung teilen wir nicht; wir halten
ies für rechtspolitisch notwendig.
h fordere Sie auf, verbraucherpolitisch klar zu werden,
chtspolitisch konsequent zu handeln und diese Ände-
ng hier mitzugehen.
Ich will aber auch nicht verschweigen, dass nach mei-
er Auffassung Ihre Scheu, dieses Thema anzufassen,
amit zu tun hat – diesen Zusammenhang muss man her-
tellen –, dass Sie bei diesem Thema insgesamt bisher
icht viel Neues auf den Tisch gelegt haben. Als SPD
aben wir in unserem Antrag vorgeschlagen, die Sonder-
erjährungsfristen insgesamt zu verlängern. In dem An-
gerschutzgesetz, über das wir ja auch fachlich intensiv
eraten
nd das bald in den Deutschen Bundestag kommt, war
rsprünglich auch vorgesehen, die Sonderverjährungs-
isten zu verlängern. Sie – oder wahrscheinlich die Da-
en und Herren von der FDP unter Führung von Herrn
rüderle nach vielen Lobbygesprächen – haben diesen
unkt aus Ihrem Gesetz herausgenommen. Wenn Sie bei
iesen Dingen so um uns als Opposition werben, dann
mpfehle ich Ihnen, einen vernünftigen Verbraucher-
chutz zu machen und diese Sonderverjährungsfristen
uch für die anderen Dinge wieder abzuschaffen.
ann wird daraus ein Paket, und dann kann man das ma-
hen, was Kollege Schick hier vorgeschlagen hat. Dann
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9243
Dr. Carsten Sieling
)
macht man ein vernünftiges Anlegerschutzgesetz und
kommt auf den richtigen Weg. So muss man es machen.
Ich vermute, Ihre Scheu hat mit Ihrer politischen Auffas-
sung und mit Ihrer Schwäche bei ordentlichem, durch-
greifenden Verbraucherschutz zu tun.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und be-
danke mich jetzt vor Weihnachten noch einmal sehr
beim Präsidium dafür, dass es Nachsicht hatte, wenn ich
in meinen letzten Reden meine Redezeit überzog. Heute
gebe ich zwei Minuten und 40 Sekunden zurück und
hoffe, dass dies als Weihnachtsgeschenkt angenommen
wird.
Herzlichen Dank.
Herzlichen Dank. – Für die FDP-Fraktion hat der
Kollege Holger Krestel das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zuerst
ein Wort an den Kollegen aus der SPD: Ich sehe bei Ih-
nen gerade in diesen finanzpolitischen Themen immer
ein Stück weit die Flucht vor der eigenen Regierungsver-
gangenheit. Wer hat denn die Gesetze, die wir heute zu-
mindest nach dem Wunsch der Grünen nachbessern sol-
len, federführend in der letzten Regierung mit auf den
Weg gebracht?
– Ich bin in der letzten Wahlperiode nicht Mitglied die-
ses Hauses gewesen.
Wer hat denn diese Gesetze federführend verabschie-
det? Das war doch die SPD mit ihrem Minister
Steinbrück. Hinterher zu versuchen, einen Robin-Hood-
Effekt zu erzeugen, ist für viele Menschen draußen nicht
besonders glaubwürdig.
Ich möchte den Grünen danken, dass sie sich Gedan-
ken über den Anlegerschutz machen. Sie haben recht:
Die große Mehrheit der Anleger sind fleißige Menschen,
brave Sparer, die unsere Unterstützung verdienen. Die
Problematik Ihres Gesetzentwurfs liegt aber in der nicht
vorhandenen Möglichkeit, ihn in unser Rechtssystem
einzuordnen. Rechtliche Regeln beschreiben nicht ohne
Grund einen abstrakten Tatbestand, unter den dann die
einzelnen Fälle der Lebensrealität zu subsumieren sind.
Wenn man sich Ihren Gesetzentwurf zu eigen machte,
stellte man fest, dass sein Anliegen so speziell ist, dass
man hier fast von dem Versuch sprechen kann, Einzel-
fallgerechtigkeit für jene Anleger zu schaffen, die den
Ausgang anhängiger Verfahren abwarten und dann,
wenn möglich, profitieren wollen; das wäre menschlich
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9244 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Dr. Axel Troost
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nen. Diesbezüglich ist bisher noch gar nichts gemacht
worden.
Die Zahlen aus dem jüngsten „SchuldnerAtlas“ von
Creditreform zeigen: Rund 6,5 Millionen Menschen
über 18 Jahre sind in Deutschland überschuldet und wei-
sen nachhaltige Zahlungsstörungen auf. Seit 2004 ist vor
allem der Anteil von Frauen an den überschuldeten Pri-
vatpersonen massiv gestiegen. Auch ist die Entwicklung
bei jungen Erwachsenen problematisch. Von den 20- bis
29-jährigen Einwohnern Deutschlands gelten mittler-
weile 10,8 Prozent als überschuldet.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt der Überschuldungs-
report des Hamburger Instituts für Finanzdienstleistun-
gen. Dabei stellt er fest, dass vor allen Dingen die soge-
nannten unvermeidbaren kritischen Ereignisse – das sind
insbesondere Arbeitslosigkeit, Scheidung und Krankheit –
als Hauptauslöser für Überschuldung gelten, während so-
genanntes vermeidbares Verhalten wie das Konsumver-
halten und unwirtschaftliche Haushaltsführung gerade
einmal 17 Prozent der Überschuldungssituationen verur-
sachen.
Wir sind daher der Ansicht, dass die Zeit reif ist, sich
endlich auch diesen Herausforderungen einer verantwor-
tungsvolleren Kreditvergabe zu stellen. Die Kreditvergabe
ist ebenso wenig etwas Schlechtes wie die Überschuldung
nicht automatisch ein Zeichen von Verschwendung ist.
Wir kommen aber nicht umhin, das regulative Umfeld des
Kreditmarktes auf den Prüfstand zu stellen.
Es muss das Ziel sein, die von den Kreditgebern ein-
gesetzten Techniken wie das Marketing, die Kreditver-
gabepraxis, die Risikostreuung und den Umgang mit
säumigen Schuldnern als Auslöser für Überschuldung zu
beseitigen.
Deshalb sollten wir uns als Finanzpolitikerinnen und
Finanzpolitiker und als Verbraucherschützerinnen und
Verbraucherschützer für das Jahr 2011 gemeinsam vor-
nehmen, nicht nur den Anlegerschutz in den Blick zu
nehmen, sondern auch die Überschuldung zu einem
Thema der gemeinsamen Beratungen zu machen.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/4053 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Kein Atomendlager bei Lubmin
Ich eröffne die Aussprache.
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Jetzt haben Sie das erste Mal westdeutschen Atom-
üll in das ostdeutsche Zwischenlager gebracht, das ei-
entlich nur für ostdeutschen Atommüll da ist.
amit verstoßen Sie gegen das, was vereinbart war, und
as ist nicht in Ordnung.
Dass Union und FDP mit dem Thema sehr verantwor-
ngslos umgehen, ist bekannt, und das sieht man auch
tzt wieder. Aber ernsthaft traurig und wütend macht
ich, dass auch die Grünen und die SPD sich hier deut-
ch verantwortungslos verhalten haben;
enn dieser Transport geht auf das Jahr 2004 zurück.
amals hat der grüne Umweltminister Jürgen Trittin
stgelegt, dass diese Transporte durchgeführt werden
ollen,
ass dieser Müll aus Karlsruhe und von der „Otto Hahn“
der Nähe von Greifswald im Zwischenlager Nord ein-
elagert werden soll.
Das hat er gegen den entschiedenen Widerstand des
andesumweltministers Wolfgang Methling von der
inken getan. Dass es dort entschiedenen Widerstand
ab, dass man auf Vereinbarungen verwiesen hat, das al-
s hat die Bundesregierung nicht interessiert. Das wurde
urchgedrückt. Das wurde durchgezogen. Das ist kein
erantwortungsvoller Umgang, nicht mit dem Osten,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9245
Steffen Bockhahn
)
)
nicht mit dem Westen; das ist insgesamt verantwortungs-
los.
Insofern ist klar, dass die Grünen bei den Protesten in
Greifswald mal eher nicht zu sehen waren.
Während man im Wendland in ganzer Garnisonsstärke
anwesend gewesen ist, ist dort, glaube ich, nur ein Bun-
destagsabgeordneter der Grünen gesehen worden.
Das war bei uns ein bisschen anders. Wir wissen auch,
warum. Sie sind an der Stelle einfach nicht glaubwürdig.
Sie sind an diesen Atomtransporten schuld. Das haben
Sie zu verantworten.
Wir haben jetzt schlicht und ergreifend festzustellen,
dass Schwarz-Gelb für blühende Landschaften sorgen
wollte, aber Rot-Grün für eine strahlende Zukunft ge-
sorgt hat. Das ist allerdings kein Erfolgsmodell, das man
fortsetzen sollte.
Wenn Sie heute erklären, dass das alles nicht so sein
dürfe, muss man klar sagen: Da sind Grüne und SPD un-
glaubwürdig; denn sie haben die Voraussetzungen dafür
geschaffen, dass Schwarz-Gelb an dieser Stelle so agie-
ren kann, wie das geschieht.
Das muss man schlicht und ergreifend so sagen. Das
sind die Fakten. Die müssen Ihnen nicht gefallen. Aber
es sind die Fakten, und an denen kommen Sie nicht vor-
bei.
Dann muss man die Frage stellen: Warum mussten
Sie den Müll überhaupt nach Lubmin transportieren las-
sen? Das liegt einfach daran, dass Sie keine andere Mög-
lichkeit hatten.
– Ja. – Es handelt sich um Müll aus deutschen For-
schungsreaktoren. Der wurde durch die Bundesrepublik
Deutschland erzeugt.
Die privaten Atomkonzerne, die von Ihnen selbstver-
ständlich wunderbar protegiert werden – auch die SPD
ist an der Stelle nicht immer ganz lupenrein –, haben
sich geweigert, diesen Müll anzunehmen. Daraufhin
mussten Sie ihn in das bundeseigene Zwischenlager
Nord verschicken lassen. Das heißt, Sie spekulieren sehr
wohl darauf, dass immer dann, wenn Sie den Müll nicht
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Vor allen Dingen Leute aus FDP und CDU sagen im-
er, es sei alles Panikmache, wenn vorgebracht werde,
ass es hier darum gehe, ein großes Zwischenlager oder
omöglich sogar ein Endlager zu errichten. Dazu muss
h bemerken: Es liegt ja noch mehr Atommüll herum,
er produziert worden ist und für den es Verpflichtungen
ibt. Bei Ihrer Politik ist mir völlig klar, dass der Be-
tandsschutz, der bisher besteht – das Zwischenlager
ord hat, in Anführungszeichen, nur acht Hallen –, gar
ichts wert ist. Wenn Sie neue Flächen brauchen, werden
ie neue Hallen bauen lassen. Dann werden Sie eine
eue Betriebsgenehmigung erteilen. Sie werden alles da-
r tun, dass Sie der Atomlobby weiterhin große Ge-
chenke machen können. Dazu brauchen Sie Lagerstät-
n. Die werden Sie im Zweifel auch in der Nähe von
ubmin schaffen wollen. Das wird aber auf unseren er-
itterten Widerstand stoßen. Ich freue mich, dass der
rotest in Vorpommern immer stärker geworden ist.
Wenn Sie 10 000 Polizistinnen und Polizisten einset-
en, um einen so kleinen Transport durchzuführen, dann
t Ihnen klar: Auch wenn es nicht die ganz große Bewe-
ung wie im Wendland gibt, hat das, was Sie da tun,
eine gesellschaftliche Mehrheit. – Das werden wir Ih-
en jedes Mal aufs Neue beweisen, auch im Frühjahr
ieder, wenn die nächsten Transporte rollen sollen.
Ganz zum Schluss Folgendes: Wenn Sie sagen, es
andele sich in Lubmin überhaupt nicht um ein Endla-
er, dann muss ich Ihnen entgegenhalten: Die Genehmi-
ung läuft momentan bis 2039. Ich glaube nicht daran,
ass Sie bis 2039 ein echtes Endlager gefunden haben
erden. Was passiert dann? Dann wird die Betriebsge-
ehmigung verlängert, und schleichend wird das dort
och ein Endlager. Das werden wir nicht zulassen.
Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin
rsula Heinen-Esser.
Ur
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
h finde es schon erstaunlich, mit welchem Titel wir
eute in diese Aktuelle Stunde gehen:
9246 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser
)
)
„Kein Atomendlager bei Lubmin“. Schon der Titel die-
ser Aktuellen Stunde, die Sie beantragt haben, ist verrä-
terisch.
Er ist zutiefst unseriös und absolut irreführend. Sie spie-
len bewusst mit Ängsten und Sorgen in der Bevölke-
rung.
Das ist keine seriöse Politik, die Sie hier machen. Sie
setzen unseriöse Behauptungen in die Welt.
Ich bin erstaunt, dass Sie es geschafft haben, in Ihrer
Rede das Wort „Zwischenlager“ in den Mund zu neh-
men, obwohl Sie uns hier das Atomendlager präsentie-
ren wollen.
– Jetzt können Sie mir zuhören.
– Ich habe Ihnen sehr genau zugehört. – Es geht hier um
die Fakten. Das Zwischenlager Nord dient in der Tat ganz
überwiegend der Lagerung der bestrahlten Brennele-
mente aus den in Stilllegung befindlichen Kernkraftwer-
ken Greifswald und Rheinsberg sowie der Zwischenlage-
rung der aus dem Abbau dieser Anlagen resultierenden
radioaktiven Abfälle. Die Aufbewahrungsgenehmigung
– das haben Sie richtig gesagt – gilt in der Tat bis zum Jahr
2039.
Der Bund hat im Zuge der deutschen Einheit die Auf-
gabe übernommen, die Kernkraftwerke in der ehemali-
gen DDR abzubauen und die anfallenden radioaktiven
Abfälle zu entsorgen. Dieser Aufgabe hat sich der Bund
seit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik intensiv
und mit hohem finanziellem Engagement angenommen.
Die Kosten sind bis Ende 2009 auf etwa 2,8 Milliarden
Euro angewachsen. Am Rande sei hier auch einmal er-
wähnt, dass die vom Bund finanzierte Energiewerke
Nord GmbH, der Betreiber des Zwischenlagers, außer-
gewöhnliche Anstrengungen vor Ort zur Nachnutzung
der Liegenschaften am Standort Greifswald unternimmt
und dabei sehr erfolgreich agiert. Zu sonstigen positiven
Wirkungen in der Region, auch auf den Arbeitsmarkt,
wird mein Kollege Lietz gleich sicherlich noch das eine
oder andere sagen.
Aber in der Tat ist es so, dass mit der Lagerung der
ehemaligen DDR-Abfälle die Kapazitäten des Zwi-
schenlagers nicht erschöpft sind. Die verbleibenden Ka-
pazitäten haben bereits im Jahr 2004 zu der Entschei-
dung der damaligen Bundesregierung geführt, das vom
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h sage ganz klar: Ich halte diese Entscheidung für rich-
g und verantwortbar.
Gestern wurden vier Behälter mit bestrahlten und un-
estrahlten Kernbrennstoffen aus dem ehemaligen Karls-
her Forschungsreaktor und dem ehemaligen Reaktor-
chiff „Otto Hahn“ zum Zwischenlager Nord verbracht.
Übrigen wäre es schön gewesen – Sie haben ja gesagt,
ie viele Polizisten im Einsatz gewesen sind –, Sie hätten
en Polizisten einmal gedankt, die hier nämlich eine sehr
chwere Aufgabe hatten.
Sie sagen: keine Abfälle aus dem Westen nach Lub-
in. Das ist Ihre schlichte Aussage. Aber was ist die Al-
rnative? Die einzige Alternative wäre doch, dass wir
eitere Zwischenlager in Deutschland bauen, mit einem
öglicherweise erheblichen Transportaufwand und viel-
icht nicht so guten Auswirkungen auf die Sicherheit,
bwohl wir ein gutes, vernünftiges Zwischenlager in
ubmin haben.
Aufgrund dessen ist es richtig, das Zwischenlager in
ubmin zu nutzen. Eine Unterscheidung zwischen radio-
ktiven Stoffen aus der ehemaligen DDR und aus dem
esten, wie Sie sie betreiben, entbehrt jeder sachlichen
rundlage und ist für mich absolut nicht nachvollzieh-
ar.
as wollen Sie den Menschen an anderen Standorten er-
lären?
as wollen Sie den Menschen in Gorleben, in Ahaus, in
er Samtgemeinde Asse erläutern,
ie die gesamtgesellschaftliche Verantwortung tragen?
Das, was Sie machen – ich wiederhole meine Ein-
angsworte –, ist unseriös und unverantwortlich. Sie
ind nicht bereit, sich einer gesamtgesellschaftlichen
erantwortung zu stellen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9247
Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser
)
)
Lassen Sie mich zum Schluss den ehemaligen Bun-
desumweltminister Sigmar Gabriel aus dem Jahr 2006
zitieren:
Ungeachtet meiner Ausführungen zur Sach- und
Rechtslage bin ich der Auffassung, dass es die
Pflicht sowohl des Bundes als auch der Bundeslän-
der ist, alle auf dem Territorium der Bundesrepublik
angefallenen radioaktiven Abfälle – gleich in wes-
sen Zuständigkeit und zu welchem Zeitpunkt sie
angefallen sind – auf der Basis der bestehenden
Rechtsnormen einer sicheren Lagerung in Deutsch-
land zuzuführen.
Diesen Ausführungen ist nichts hinzuzufügen.
Danke.
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Ute
Vogt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es wird zwar derzeit kein Atomendlager im Zwischenla-
ger Nord in Rubenow eingerichtet, aber faktisch handelt
es sich dabei um ein Endloslager.
Denn Sie sind es, die bereits im Jahr 2006 verhindert
haben, dass wir die Suche nach einem alternativen End-
lagerstandort beginnen, als Sigmar Gabriel das vorge-
schlagen hat.
Sie sind es, die heute mit Gorleben ein totes Pferd rei-
ten und den Menschen vormachen, dass man einen End-
lagerstandort gefunden haben könnte, obwohl Sie genau
wissen, dass dies nicht rechtmäßig zustande gekommen
ist und es erhebliche wissenschaftliche Zweifel daran
gibt. Deshalb ist es klar, dass die Menschen dort, wo
Müll hingefahren wird, die Sorge haben,
dass bei ihnen auf unbestimmte Zeit ein Lager eingerich-
tet wird.
Die Heftigkeit des Protestes braucht niemanden zu
wundern. Denn Sie haben mit Ihrer Laufzeitverlänge-
rung jedes Vertrauen in eine glaubwürdige Energiepoli-
tik zerstört, und Sie haben eine Energiepolitik begonnen,
die von Lobbyisten geführt wird und mit der Sie sich zu
reinen Erfüllungsgehilfen der Industrie machen. Deswe-
gen ist die Akzeptanz gerade auch in dem Zwischenlager
Nord nicht mehr gegeben. Es gibt Demonstrationen in
einer Art und Weise, wie es sie früher nicht gegeben hat.
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Wenn Sie heute den Müll hin- und herschieben, dann
üssen Sie sich fragen lassen, wie es wird, wenn man
och zwölf Jahre draufsattelt. Wo wollen Sie eigentlich
in, wenn auch das Lager dort schon nahezu voll belegt
t? Allein der aktuelle Transport kostet das Land Meck-
nburg-Vorpommern 1,6 Millionen Euro. Ich kann nach-
ollziehen, dass man sich angesichts Ihrer aktuellen
nergiebeschlüsse dort heftig wehrt.
Verstärkt wird das Misstrauen durch die Intranspa-
nz, die sich diese Bundesregierung leistet. Darüber,
er in Rubenow was lagern wird, geben Sie noch nicht
inmal dem Deutschen Bundestag ausführlich Auskunft.
it dem Hinweis auf die Wahrung von Geschäftsinteres-
en und Geschäftsgeheimnissen versagen Sie auch dem
eutschen Bundestag konkrete Angaben über die Ver-
agspartner im Einzelnen. Deshalb ist es auch kein
under, dass die Spekulationen bei diesem Thema so
s Kraut schießen.
Man kann nachvollziehen, dass gerade in Mecklen-
urg-Vorpommern die Menschen besonders empört sind.
enn gerade dieses Land hat wahrlich seinen Beitrag ge-
istet, und es kann Vorbild für andere sein.
a Mecklenburg-Vorpommern schon heute 40 Prozent
eines Nettostromverbrauchs aus Windenergie produ-
iert und damit in Deutschland den zweiten Platz ein-
immt, kann man verstehen, dass einem die Zukunft, die
an mit dem Windrad täglich vor Augen hat – eine Zu-
unft, die erst durch Rot-Grün möglich geworden ist –,
adurch vergällt wird, dass Sie durch Ihre Energiepolitik
ine unendliche Müllmenge produzieren. Dann kann
an verstehen, dass Ihnen die Menschen nicht mehr ver-
auen und sie Sorge und Angst haben, dass sie das, was
on Ihrer Seite dorthin gekarrt wird, nie mehr loswerden.
Ich denke, die CDU muss eine realistischere Wahr-
ehmung bekommen. Der CDU-Innenminister von
ecklenburg-Vorpommern, Herr Caffier, hat sich da-
ber beschwert, dass er – ich zitiere – „nun den Müll
ekommt, den die Grünen bestellt haben“. Ich sage Ih-
en: Viel richtiger ist, dass dieses Land jetzt den Protest
ekommt, den CDU/CSU und FDP provoziert haben.
as ist die Wahrheit. Das steckt hinter den Protesten.
Wenn man zurückschaut, stellt man fest, dass es da-
als in Deutschland bei der Einführung der Atomener-
ie auch in meiner Partei einen breiten politischen Kon-
ens gab.
9248 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Ute Vogt
)
)
Im Gegensatz zu anderen haben wir aber in verantwortli-
cher Weise eine Neueinschätzung dieser Technologie
vorgenommen und nicht ignoriert, was uns Wissenschaft
und Technik im Laufe der Jahrzehnte in Bezug auf die
Gefährdungen durch eine solche Technologie gezeigt ha-
ben.
Wir haben deutlich gemacht, dass es einen klaren, für
alle verlässlichen Weg gibt, diese Technologie einem
Ende zuzuführen, eine Technologie, der schon das Ster-
beglöckchen geläutet hat, bevor Sie sie praktisch wieder
zum Leben erwecken wollen.
Das zerstört den energiepolitischen Konsens in die-
sem Lande. Sie sorgen für Unfrieden. Sie sorgen für
450 Tonnen mehr hochradioaktiven Müll, und das Jahr
für Jahr für die nächsten zwölf Jahre. Das ist unverant-
wortlich. Sie werden nicht umhinkommen, die Proteste
wahrzunehmen. Vor allen Dingen werden Sie 2013 die
Quittung für Ihr Handeln bekommen. Die Kräfte, die
dann an die Regierung kommen, werden die Laufzeit-
verlängerung wieder beenden, damit wieder Frieden in
diesem Land herrscht und vor allem eine zukunftsfähige
Energiepolitik betrieben wird.
Der Kollege Michael Kauch hat nun für die FDP-
Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Linke hat heute noch einmal gezeigt, dass bei ihr die
Mauer im Kopf immer noch da ist.
Ich kann an dieser Stelle nur deutlich sagen: Wir kön-
nen Altlasten aus nuklearen Abfällen nicht gegeneinan-
der aufrechnen. Es war die Vorgängerpartei der Linken,
die damals in der DDR regiert oder besser gesagt über
die DDR geherrscht hat. Diese Partei hat ein Endlager in
Morsleben gebaut, das nicht den Anforderungen west-
deutscher Sicherheitsstandards entspricht und deshalb
jetzt auf Kosten des Bundes – wohlgemerkt – und nicht
des Landes Mecklenburg-Vorpommern oder anderer ost-
deutscher Länder saniert wird. Hier zeigt der Bund seine
Solidarität. Diese Solidarität ist keine Einbahnstraße.
Wir haben eine nationale Verantwortung. Wir enden
nicht in der Kleinstaaterei, auch nicht, wenn es um die
Verantwortung für nukleare Abfälle geht.
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Dieser Provinzialität und Engstirnigkeit, die die Linke
ier an den Tag legt, nämlich Verantwortung nur bis zum
igenen Gartenzaun zu zeigen, setzt Frau Vogt noch die
rone auf. Frau Vogt hält hier eine Hetzrede gegen die
chwarz-gelbe Regierung.
n dieser Stelle muss ich sagen: Sie wollen zündeln, Sie
ollen die Protestprofiteure werden.
Nur, so wird die traditionsreiche sozialdemokratische
artei nicht gewinnen. Denn die Grünen können das
ufrufen zu Demonstrationen und die Linken das Aufru-
n zum Schottern viel besser als Sie. Deshalb sollten
ie zu einer verantwortungsvollen Politik zurückkehren.
enn Sie haben in diesem Land Verantwortung getra-
en, auch für die Abfälle, die wir heute transportieren.
Liebe Frau Vogt, liebe Frau Kotting-Uhl – Sie reden
leich –, es ist auch Ihr Müll, der hier transportiert wird.
er rot-grüne Umweltminister hat diesen Transport so-
usagen in Auftrag gegeben. In Gorleben gab es zehn
ahre lang einen Stopp bei der Erkundung der Eignung
r ein Endlager. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass
ie rot-grüne Regierung – in den letzten zehn Jahren war
icht nur die Union an der Regierung – an anderer Stelle
in Endlager gesucht hätte.
Frau Vogt, Sie loben hier Mecklenburg-Vorpommern
afür, dass es 40 Prozent des Stroms aus Windkraft ge-
innt. Man sollte aber auch erwähnen, dass in Ihrem
undesland 50 Prozent des Stroms aus Kernkraft stam-
en.
ielleicht sollten Sie Ihren Wahlkreis als Standort für ein
eues Zwischenlager anmelden. Das tun Sie aber nicht.
ie wollen hier zündeln, aber keine Verantwortung tra-
en. Das, was die Opposition hier abliefert, ist wirklich
nterste Schublade.
s wird dem Anspruch an eine verantwortliche Politik
icht gerecht.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9249
Michael Kauch
)
)
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Ich war
im Sommer in Mecklenburg-Vorpommern. Da hat man
mich darauf angesprochen, dass die Landesregierung
dort einen Anteil der erneuerbaren Energien an der
Stromversorgung von 100 Prozent erreichen will. Ich
habe die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpom-
mern dafür gelobt. Ich habe aber den Hinweis gegeben,
dass der Blick auf ein einzelnes Bundesland auch bei der
Energieversorgung nicht hilfreich ist. Denn Mecklen-
burg-Vorpommern und andere Länder an der Küste, die
es bei der Nutzung der Windkraft leicht haben, weil dort
mehr Wind als beispielsweise in Bayern weht, brauchen
ein Back-up, wenn der Wind nicht weht.
Wir sprechen hier über ein nationales Energieversor-
gungssystem. Die Energiesicherheit in Mecklenburg-
Vorpommern ist nur gewährleistet, wenn das Land in
dieses nationale System eingebunden ist.
Im Übrigen profitieren auch die Menschen an der
Küste davon, dass die Industrie, die beispielsweise an
der Ruhr oder im Rhein-Main-Gebiet angesiedelt ist,
über eine sichere Stromversorgung verfügt;
denn das sichert Arbeitsplätze in der gesamten Republik.
Wir können nicht so tun, als ob einzelne Bundesländer
energieautark wären. Sie sind es nicht, sie werden es
nicht sein. Deshalb müssen wir gemeinsam Verantwor-
tung für unser Land tragen.
Vielen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Sylvia Kotting-Uhl das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Bockhahn, wir sind uns beim Ziel der Energiepolitik
wahrscheinlich ziemlich einig. Man kann aber nicht so
inflationär mit dem Begriff „Atommüllendlager“ umge-
hen, wie Sie es heute gemacht haben. Wenn man ein
Atommüllendlager finden, auswählen und so benennen
möchte, muss man bestimmten Kriterien folgen.
Wenn Sie das, was in Lubmin steht, als Atommüllend-
lager bezeichnen – egal vor welchem Hintergrund, mit
welcher Zielrichtung Sie es so bezeichnen –, ist das
schlimmer, als wenn andere sagen, Gorleben sei ein su-
pertolles Endlager. Ich kann das nicht akzeptieren. Au-
ßerdem – falls Sie es nicht wissen –: In Ahaus lagert
zum Beispiel Atommüll aus Rossendorf. Sollen wir den
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Sie haben richtigerweise gesagt, dass die Zwischenla-
erung 2003 beantragt und anschließend genehmigt wor-
en ist. Die Zwischenlager in Ahaus und Gorleben wer-
en von der Privatwirtschaft, von der Atomwirtschaft,
etrieben; Sie haben die Zwischenlagerung abgelehnt.
as Zwischenlager muss immer selber den Antrag auf
ufbewahrung stellen.
Jetzt sagen Sie einmal: Wohin hätte man denn gehen
ollen? Mein Wahlkreis ist Karlsruhe. Insofern hat Herr
auch sogar recht: Es ist auch mein Müll. Ich habe ihn
icht produziert; aber er stammt aus meinem Wahlkreis.
ieser Müll ist jetzt in Lubmin gelandet. Wo hätten wir
n denn lassen sollen? In der Großstadt Karlsruhe, in
er es damals zusätzlich die gerührte hochradioaktive
tomsuppe gab? Hätte man den ganzen Müll mitten in
er Großstadt lassen sollen? Lubmin ist das einzige bun-
eseigene Zwischenlager. Damals gab es, wie Sie richtig
esagt haben, keine andere Lösung.
Jetzt können Sie den Verursacher des Atommülls an-
reifen.
Sie können auch eine Zwischenfrage stellen. – Oder
ie können, wie Sie es gemacht haben, die Verursacher
er Genehmigung angreifen. Jetzt fragen Sie sich einmal
rnsthaft, welcher Angriff der bessere wäre, und dann
önnen wir beide gemeinsam weiterreden.
Herr Kauch, Sie sind heute bei Ihren Aussagen zu den
rneuerbaren weit unter Ihren Fähigkeiten und unter Ih-
n eigenen Kenntnissen geblieben. Das muss ich Ihnen
urz vor Weihnachten noch mitgeben.
Die Zeit ist mir wirklich zu schade, um noch einmal
ie Geschichte des vermeintlichen Endlagers und des
tandorts Gorleben zu erzählen. Aber dass Jürgen Trittin
in Endlagersuchgesetz ausgearbeitet hat, dass er Krite-
en für die Endlagersuche hat erarbeiten lassen, dass
ann die vorgezogene Bundestagswahl dazwischenkam,
t doch inzwischen Allgemeingut. Muss man das in je-
er Debatte wiederholen?
Der Endlagersuchprozess wäre längst gestartet, wenn
ie Regierung nicht gewechselt hätte. Aber Schwarz-Rot
onnte sich nicht einigen. Sie glauben, man könnte das
lles in Gorleben abladen. Es ist ziemlich unerträglich,
as Sie zum Teil von sich geben.
Ich will Ihnen jetzt aber einmal sagen, worum es
eute und in Lubmin tatsächlich geht. Wir haben in einer
9250 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Sylvia Kotting-Uhl
)
)
Kleinen Anfrage gefragt, worum es in Lubmin eigentlich
geht und was dort in Zukunft geplant ist. Aus der Ant-
wort auf die Kleine Anfrage vom 29. November 2010
will ich Ihnen einmal einiges zitieren. Daraus geht übri-
gens auch völlig klar hervor, dass die erste Genehmi-
gung zur Pufferlagerung unter Frau Merkel erfolgt ist
und nicht schon in 2004. Frau Merkel hat damals das
Zwischenlager Lubmin für den westdeutschen Müll ge-
öffnet. Herr Trittin hat eine Genehmigung erteilt, aber er
hat es nicht geöffnet.
Man muss auch klar sagen, wie die Dinge angefangen
haben.
Und jetzt will ich Ihnen aus einer Kleinen Anfrage
von mir vom 29. November zitieren. Bei den Planungen
steht zum Beispiel noch, dass der Müll aus der WAK
kommt – der Eigentümer wird immer genannt –, Her-
kunftsort ist Karlsruhe/Geesthacht/Cadarache. – Das ist
alles richtig. Dann kommen weitere Beschreibungen. Da
heißt es dann in der Rubrik Eigentümer plötzlich nur
noch: Dritte, in der Rubrik Herkunftsort nur noch: KKW.
KKW heißt Kernkraftwerk. Vorher heißt es noch KGR
für Kernkraftwerk Greifswald, KKR für Kernkraftwerk
Rheinsberg. KWO wäre übrigens Atomkraftwerk Obrig-
heim. Das müsste hier stehen. Das heißt, hier findet eine
ungeheure Geheimniskrämerei statt.
Wir sollten uns einmal gemeinsam Gedanken darüber
machen und dem nachgehen, was unter Herrn Rittscher
– vormals bei der GNS –, auch einer der bekennenden
Atomlobbyisten in unserem Land, passiert. Dieses Zwi-
schenlager wird jetzt sukzessive zum Geschäft gemacht.
Es soll für Müll aus Atomkraftwerken geöffnet werden,
obwohl das völlig unnötig ist. Dagegen müssten wir ge-
meinsam vorgehen, anstatt dass Sie sich darüber aufre-
gen, dass das ein Transport aus Westdeutschland ist.
Das ist Forschungsmüll, öffentlicher Müll, der in das
einzig öffentliche Zwischenlager kommt.
Ich will aber Ihnen von der Regierung noch etwas sa-
gen: Sie kommen mit Ihrer veränderten und verfehlten
Energiepolitik einerseits und den Polizeieinsätzen ande-
rerseits, die überall – ob in Stuttgart, ob in Gorleben oder
jetzt in Lubmin – absolut verschärft werden, garantiert
nicht weiter. Schauen Sie sich einmal die Berichte aus
Lubmin an! Schauen Sie sich an, was dort wieder pas-
siert ist, wie Leute in Gewahrsam gehalten wurden.
Sie wurden von überforderten Polizisten stundenlang
willkürlich und unangemessen in der Kälte festgehalten.
Die Polizisten haben die einen in einen Gefangenen-
transport und die anderen in einen Reisebus gesteckt. Sie
wussten nicht, was sie tun sollten.
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as regt mich nicht nur als Abgeordnete, sondern auch
ls Bürgerin auf. Solche Politik können Sie nicht ma-
hen! Hören Sie auf damit! Behandeln Sie wenigstens
re Polizisten und die Demonstranten angemessen!
ie Demonstranten nehmen ein Grundrecht wahr, und
ie Polizisten wollen ihre Arbeit tun. Sie verunsichern
eide Seiten. Das geht nicht! Hören Sie auf damit!
Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Paul für die
nionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin
er Linken ja schon fast dankbar dafür, dass sie heute
iese Aktuelle Stunde beantragt hat, weil wir so einmal
eigen können, wie unseriös Ihre Politik ist, wie Sie sys-
matisch versuchen, die Menschen in diesem Lande für
umm zu verkaufen.
Sie vergießen hier Krokodilstränen und beklagen sich
ber die lange Dauer der Zwischenlagerung bis zur Ab-
hrung an ein Endlager für radioaktive Abfälle. Auf der
nderen Seite machen Sie alles, um Fortschritte bei der
rkundung des Salzstocks Gorleben zu verhindern. Da-
ei brauchen wir doch Fortschritte bei der Erkundung,
m möglichst zügig ein Endlager einrichten zu können.
ir müssen Sicherheit haben, ob Gorleben ein geeigne-
r Standort ist oder nicht. Man kann nicht auf der einen
eite die Erkundung nicht mittragen und auf der anderen
eite eine lange Zwischenlagerzeit beklagen. Dieses wi-
ersprüchliche Verhalten nimmt Ihnen nun wirklich kei-
er ab.
Es ist sicherlich richtig, dass die Entsorgung radioak-
ver Abfälle eine gesamtstaatliche Aufgabe ist. Das gilt
mso mehr, wenn die Verursacher dieser Abfälle öffent-
che Einrichtungen wie Forschungseinrichtungen sind.
s ist auch richtig und entspricht dem Verursacherprin-
ip, dass die öffentliche Hand dann einen Entsorgungs-
eg sucht, sowohl was den sicheren Abbau der For-
chungseinrichtungen angeht, sofern man sie nicht mehr
raucht, als auch was den Transport, die Verpackung, die
wischenlagerung und letztlich auch die Endlagerung
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9251
Dr. Michael Paul
)
)
angeht. Deshalb war und ist es richtig, dass es ein Kon-
zept für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle aus
deutschen Forschungseinrichtungen gibt.
Ich verstehe wirklich nicht, warum die SPD heute hier
Verständnis für die Proteste zum Ausdruck bringt.
Schließlich ist das Konzept im Jahr 2004 entwickelt
worden. Danach sollen die Forschungsabfälle zentral im
einzigen bundeseigenen Zwischenlager, im Lager Lub-
min, bei den EWN, den Energiewerken Nord, eingela-
gert werden. Der damalige Umweltminister Trittin von
den Grünen und die damalige Forschungsministerin
Bulmahn von der SPD haben das festgelegt. Heute wol-
len Sie davon nichts mehr hören. Das ist typisch für die
SPD. Egal wo man hinschaut, überall fällt sie um: Rente
mit 67, Stuttgart 21 und heute auch noch beim ZLN.
Wenn Sie schon damals der Auffassung gewesen wä-
ren, dass das Konzept falsch ist, hätten Sie doch anders
handeln können. Sie selber haben im Jahr 2002 eine Ver-
pflichtung zur Errichtung standortnaher Zwischenlager
ausschließlich für die privaten Kernkraftwerke im Aus-
stiegsgesetz festgeschrieben. Sie haben die Forschungs-
einrichtungen ausdrücklich ausgenommen. Wenn Sie die
Transporte quer durch Deutschland hätten verhindern
wollen, dann hätten Sie das tun können. Ich hätte das
nicht für richtig gehalten. Sie haben damals nichts getan,
stellen sich heute aber hier hin und sagen, dass Sie Ver-
ständnis für die Proteste haben. Das ist unseriös, und das
müssen wir hier heute auch so sagen.
Wer damals die Weichen gestellt hat, kann sich heute
nicht auf die Schienen setzen und versuchen, den Zug,
der auf diesen Schienen fährt, aufzuhalten.
Zum Schluss muss ich mich ausdrücklich gegen den
Vorwurf wehren, dass die Einrichtungen der EWN in
Lubmin ausschließlich als Müllabladeplatz verwendet
werden; hier ist sogar das schlimme Wort „Atomklo“ ge-
fallen. Die EWN, Energiewerke Nord GmbH, ist eine
bundeseigene Gesellschaft, die den Rückbau der DDR-
Reaktoren in Greifswald und Rheinsberg organisiert hat.
Sie hat das so gut gemacht und sich eine so hohe Kom-
petenz angeeignet, dass sie mittlerweile nicht nur auf na-
tionaler, sondern auch auf internationaler Ebene als
Know-how-Träger eingesetzt wird. Bei der Abwrackung
der russischen U-Boot-Flotte in Murmansk unterstützt
die EWN. Außerdem ist sie der zentrale Dienstleister für
alle öffentlichen Forschungseinrichtungen des Bundes.
Ob es der AVR in Jülich oder eine Einrichtung in Karls-
ruhe ist, die EWN ist der kompetente Dienstleister. Das
heißt, Mecklenburg-Vorpommern ist viel mehr als das
„Atomklo“, wie Sie von den Linken hier sagen. Damit
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Meine Schlussworte gelten, nicht nur weil dies die
tzte Sitzung vor Weihnachten ist, den Polizisten und
en Einsatzkräften, die es ermöglicht haben, dass dieser
ransport trotz ungünstiger Voraussetzungen zügig das
wischenlager erreicht hat. Ich danke ihnen dafür.
Ihnen allen wünsche ich eine schöne Weihnachtszeit.
uf Wiedersehen!
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Sonja Steffen
as Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Sehr geehrter Herr Dr. Paul, mit einer Aus-
age haben Sie recht: Eigentlich ist alles ganz schön in
ubmin bzw. Rubenow. Denn abseits von Lärm, Stress
nd Hektik, unberührt von Massentourismus erwarten
omfortable Hotels und gemütliche Pensionen ihre
äste. Ganz in der Nähe gibt es ein Atommüllzwischen-
ger, das noch immer kaum entdeckt ist: Lubmin. Wieso
ur hat sich bislang kaum jemand für die abgelegenste
tommüllhalde Deutschlands interessiert?
Auch der Sozialismus setzte auf Atomkraft. In Lub-
in entstand – das haben wir schon gehört – in den 70er-
ahren das größte Atomkraftwerk der DDR. Das Kern-
raftwerk „Bruno Leuschner“ in Lubmin bei Greifswald
ersorgte bis 1990 die Nordbezirke mit Strom. Dann
urde es – auch das kam schon zur Sprache – wegen Si-
herheitsbedenken abgeschaltet. Gott sei Dank!
in 3,2 Milliarden Euro teures vom Bund finanziertes
tilllegungsprogramm begann. Die strahlende Hinterlas-
enschaft – es sind immerhin mehr als 5 000 Brennele-
ente – lagert seit 2006 verpackt in 65 Castoren im bun-
eseigenen Zwischenlager in Lubmin, das eigens für die
DR-Kraftwerke gebaut wurde.
Die Zwischenlagerung der Abfälle in Lubmin ist bis
039 befristet. Angesichts des Endlosstreits über ein ato-
ares Endlager für hochradioaktive Abfälle gibt es
doch Befürchtungen, dass der Atommüll über den Ge-
ehmigungszeitpunkt hinaus in Lubmin lagern wird.
ollege Bockhahn und meine Kollegin Ute Vogt haben
arauf schon hingewiesen. Diese Bedenken sind ernst zu
ehmen. Die Befürchtungen scheinen nicht ganz unbe-
ründet zu sein. Denn selbst die Energiewerke Nord als
etreiber des Zwischenlagers schließen angesichts der
9252 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Sonja Steffen
)
)
Endlagerdebatte eine längere Lagerung in Lubmin in-
zwischen nicht mehr aus.
Noch 2009 hat das Bundesamt für Strahlenschutz in
seinem Statusbericht zur Atomenergienutzung ausge-
führt, dass das Zwischenlager Lubmin der Aufnahme
von abgebrannten Brennelementen, Kernbrennstoffen
und sonstigen radioaktiven Abfällen aus den ostdeut-
schen Reaktoren Rheinsberg und Greifswald dient. Es
scheint so, dass derzeit bevorzugt Standorte in struktur-
schwachen Gegenden gewählt werden, in denen mit we-
nig Protest zu rechnen ist.
Hier wird nach einem Prinzip gehandelt, das wir auch
aus anderen Bereichen, zum Beispiel Gentechnik oder
Tiermastfabriken, kennen: Man geht immer dorthin, wo
der Widerstand als am geringsten einzustufen ist.
Sie werden sich hier aber kräftig irren.
Die Proteste gegen das Bombodrom und die Proteste ge-
gen das ursprünglich geplante Kohlekraftwerk in Lub-
min haben gezeigt, dass Widerstand auch im struktur-
schwachen Osten möglich und erfolgreich sein kann.
Am letzten Wochenende haben 3 000 Atomkraftgeg-
ner – das mag gesamtdeutsch betrachtet wenig sein, aber
für den Osten war es die größte friedliche Demonstration
gegen Atomkraft, die wir bislang erlebt haben – friedlich
in Greifswald demonstriert. Sie alle wissen – meine Kol-
legin Ute Vogt hat schon eindrücklich darauf hingewie-
sen –, dass sich die Proteste auch und vor allem gegen
die von der schwarz-gelben Regierung beschlossene
Laufzeitverlängerung richten.
Das geschieht mit gutem Grund. Mit der Atomlobby
wurde ein Deal vereinbart, der den Konzernen Milliar-
dengewinne bringt und durch den weitere Tausende von
Tonnen hochradioaktiver Abfälle angehäuft werden. Wir
hatten einmal einen Kompromiss in Deutschland, in dem
die Beendigung der Laufzeiten festgelegt wurde.
Es war von dieser Bundesregierung mehr als unklug,
diesen Konsens auszuhebeln. Die Bürger protestieren
nicht grundlos.
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h muss Ihnen sagen: Ich war sehr stolz, dass zu den
eilnehmern auch unser Ministerpräsident Erwin
ellering, der Bischof der Pommerschen Evangelischen
andeskirche, Hans-Jürgen Abromeit, und viele Vertre-
r der Gewerkschaften gehörten. Die Demonstration
erlief absolut friedlich. Laut Polizei gab es keine Zwi-
chenfälle.
Wenn der Kollege Ahrendt von der FDP in der gestri-
en Debatte zum Widerstand gegen Vollstreckungsbe-
mte behauptet, dass der Ministerpräsident des Landes
ecklenburg-Vorpommern „geistige Beihilfe zum Wi-
erstand gegen Polizeibeamte“ geleistet habe, so ist dies
icht nur eine Diffamierung, sondern auch eine Missach-
ng der Rechte der Menschen, die durch den Protest ih-
n Unmut an der derzeitigen Politik der schwarz-gelben
egierung friedlich zum Ausdruck brachten.
ber vielleicht entschuldigen Sie sich ja gleich noch, Sie
ind ja im Anschluss meiner Rede an der Reihe. Die
rundrechte der Meinungsfreiheit und der Demonstra-
onsfreiheit stehen unter einem besonderen Schutz. Es
t das gute Recht der Bürgerinnen und Bürger, gegen
ie Transporte von Atommüll nach Lubmin zu demon-
trieren.
Frau Steffen, achten Sie bitte auf das Signal.
Das müsste besonders Ihnen, meine Damen und Her-
n von der FDP, am Herzen liegen. Es ist Ihnen, und
war der gesamten Regierungskoalition, dringend zu ra-
n, besser auf die Bedürfnisse und Wünsche Ihrer ost-
eutschen Wählerinnen und Wähler zu achten.
Vielen Dank.
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege
hristian Ahrendt.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
ollegen! Ich habe gar nicht vor, mich zu entschuldigen.
h will nur der Wahrheit etwas aufs Pferd helfen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9253
Christian Ahrendt
)
)
Dann wollen wir uns einmal die Zeitungslage an-
schauen.
– Hören Sie erst einmal zu, bevor Sie weiter herumkra-
keelen.
Schauen wir uns einmal die Zeitungslage an. Da be-
richten die Norddeutschen Neusten Nachrichten:
Wie aus Papieren, die unserer Redaktion vorliegen,
hervorgeht, gab das Innenministerium am 20. Fe-
bruar 1998 den bundeseigenen Energiewerken
Nord bei Lubmin die Erlaubnis, radioaktive Abfälle
Dritter, über die ehemaligen DDR-Kernkraftwerke
Lubmin und Rheinsberg hinaus, einzulagern.
Fragen Sie mich einmal, wer 1998 Regierungsverant-
wortung in Mecklenburg-Vorpommern getragen hat!
Das waren Sie von der SPD zusammen mit der CDU.
Sich aber hier hinzustellen und zu sagen, Sie hätten
nichts damit zu tun, dass heute in Lubmin andere Atom-
kraftendlagerprodukte eingelagert werden, ist wirklich
zynisch. Das ist unwahr, und das lassen wir Ihnen auch
nicht durchgehen, Frau Kollegin.
Die Tatsache, dass wir heute solche Transporte durch
Mecklenburg-Vorpommern erleben, ist einfach und al-
lein dem Grund geschuldet, dass wir bis heute kein End-
lager haben. Man kann sich auch nicht hier hinstellen
und sagen: Wir haben irgendwann einmal regiert, wir
sind leider nicht fertig geworden mit irgendeinem Ge-
setz, und deswegen haben wir auch leider keine Verant-
wortung, weil Gott sei Dank eine Wahl dazwischenkam,
die es uns nicht erlaubt hat, weiterzumachen. –
Tatsache ist doch, Frau Kollegin: Der Atommüll, der
heute eingelagert werden muss, ist nicht der Atommüll
von Norbert Röttgen, das ist auch nicht der Atommüll
dieser liberal-christlichen Koalition.
Das ist der Atommüll von Jürgen Trittin und Sigmar
Gabriel, weil sie die Endlagersuche eingestellt haben.
Das muss hier doch einmal gesagt werden.
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Das betrifft sowohl die Aufrufe von Politikern zum
Schottern als auch, dass Sellering am Samstag in
Greifswald auf der Demo war.
as ist das, was unsere Polizisten empfinden.
Sie stellen sich in der Debatte hin – auch die Linke
estern – und rufen offen dazu auf,
ier Widerstand zu leisten, weil Sie meinen, Sie haben
gendein gesellschaftliches Recht dazu. Das haben Sie
icht.
riedliche Demonstrationen sind okay, aber geistige Bei-
ilfe zum Widerstand gegen Polizeibeamte zu leisten ist
icht okay. Auch das werden wir Ihnen nicht durchgehen
ssen, Frau Kollegin.
Deswegen ist es unzulässig, den Menschen in Meck-
nburg-Vorpommern zu sagen, dass an irgendeiner
telle diese Koalition dafür verantwortlich ist, dass der
tommüll vor Weihnachten durch Mecklenburg-Vor-
ommern gekarrt wird. Dafür sind Sie verantwortlich.
ie haben die Endlagersuche verpennt. Das müssen die
enschen jetzt ausbaden. Das werden wir den Men-
chen auch sagen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Frak-
on Die Linke.
9254 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
)
)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Da hatten wir mit der Bahn ja Glück:
Der Castor kam vor dem Schneesturm an, ohne Havarie.
Aber das Wetter ist nur eine Unwägbarkeit, die nicht be-
herrschbar ist. Als Maschinenbauer will ich mich der
Castorsicherheit von der technischen Seite nähern. Am
12. April 1912 ging ein Schiff auf die Reise.
Es war das modernste seiner Zeit und unsinkbar, sagten
Hersteller und Eigner. Am 15. April 1912 bezahlten
1 500 Passagiere der „Titanic“ das blinde Vertrauen in
die Technik mit dem Leben.
Mit stählernen Schiffen gibt es inzwischen mehr als
hundert Jahre Erfahrung. Trotzdem würde kein Minister
Schiffsunglücke ausschließen. Aber beim Castor wollen
Sie uns in Sicherheit wiegen.
Diese falsche Bewertung kann, wie bei der „Titanic“, fa-
tal enden.
Die Sicherheitsanalyse der Castoren beruht nur auf
Berechnungen und Versuchen an Modellen. Nicht ein
Castor wurde komplett getestet. Sogar bekannte Pro-
bleme werden ignoriert. Zum Beispiel gibt es keine
Langzeiterfahrungen mit den neuartigen Metalldichtun-
gen am Deckel. Bleiben diese dauerhaft dicht? Der Her-
steller kann es nicht beweisen; aber er hofft es.
Außerdem gibt es am Deckel Elastomerdichtungen.
Leider weiß man bereits, dass diese mit der Zeit versa-
gen, weil das Material durch die Strahlung zerstört wird.
Aber man weiß nicht genau, wann die Dichtung versa-
gen wird. Vielleicht hält sie ja lange genug. Man kann
die Dichtung doch verwenden, bis man merkt, dass sie
kaputt ist, oder? So denken Sie. Die Linke denkt anders.
In Atomkraftwerken ist jedes System doppelt abgesi-
chert, zur Sicherheit. Im Castor jedoch reicht ein einzi-
ges Messgerät. Dumm ist nur, dass man entstehende
Lecks am Behälter ohne Messgerät nicht erkennen kann.
Beim Füllen eines Castors bleibt trotz Trocknung etwas
Feuchtigkeit im Behälter. Auch beim Zerfall einer Elas-
tomerdichtung werden Wasser und organische Stoffe
freigesetzt. Das ist gut für die Korrosion. Sie beschädigt
dann die metallische Dichtung, und sich bildende Gase
erhöhen den Druck im Behälter. Das Messgerät sollte er-
kennen, wann der Behälter in einen kritischen Zustand
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Bei diesen Risiken bezüglich des Behälters wäre zu-
indest ein Notfallplan für die Lagerzeit wichtig. Aber
der Realität gibt es im Zwischenlager Lubmin keine
ich wiederhole: keine – Vorkehrung, um im Falle eines
ecks eines Castorbehälters das Verseuchen von Greifs-
ald zu verhindern.
Um die Hitze des Castors abzuleiten, steht dieser in
auerhaftem Luftstrom. Die warme Abluft wird ungefil-
rt in die Umgebung abgeleitet. Radioaktive Partikel
erden so verteilt.
aben die Greifswalder Glück mit dem Wind, können
ie noch gesund evakuiert werden.
btransportieren kann man einen kaputten Behälter aber
icht; sonst verseucht man die Umgebung der Transport-
trecke. Wer, wie diese Bundesregierung und vorherige
undesregierungen, so eine Zwischenlagerung plant, ist
ewissenlos.
Sie wissen um die Risiken. Damit im Unglücksfall
us Ihrer Sicht die Folgen minimiert werden, errichten
ie Zwischenlager in dünn besiedelten Randregionen, in
orleben und jetzt in Lubmin. Das ist verantwortungslos
nd zynisch.
Was soll eigentlich mit den strahlenden Behältern
assieren, wenn 2039 die Genehmigung für Lubmin aus-
uft? Falls die Behälter dann noch nicht kaputt sind, ist
as Risiko beim Transport in ein anderes Lager, wie
chon gesagt, viel höher als heute. Also müsste der
tommüll dann in neue, bessere Behälter umgepackt
erden. Ist das Ihr Plan?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9255
Ralph Lenkert
)
)
Jetzt schaffen Sie den Atommüll nach Lubmin. In ei-
nigen Jahren stellen Sie fest: Die Behälter machen Pro-
bleme. Dann bliebe Ihnen nichts anderes übrig, als in
Lubmin eine Umpackanlage für Castoren zu bauen, die
Sie sonst nie durchsetzen könnten. Weil es dann ein
staatliches Zwischenlager wäre, müsste der Steuerzahler
dafür zahlen. Ganz nebenbei lösen Sie damit auch das
Umpackproblem für die Atomlobby.
Fest steht: Das Zwischenlager Nord in Lubmin ist
nicht sicher; es gehört geschlossen.
Fest steht: Jeder Castortransport gefährdet Menschenle-
ben an der Strecke, ob in Heidelberg, in Darmstadt, Er-
furt, Jena oder woanders. Jede zusätzliche Tonne Atom-
müll erhöht die Gefahr eines radioaktiven Unfalls.
Deshalb gibt es für verantwortungsbewusste Politiker
nur einen Weg: Sofortiges Aussetzen der Castortrans-
porte, Abschalten aller Atomkraftwerke und Konzentrie-
rung der Atomforschung auf eine sichere Verwahrung
des Atommülls.
Die Linke wird diesen Weg beschreiten. Folgen Sie
uns!
Für die Unionsfraktion spricht nun die Kollegin
Dr. Maria Flachsbarth.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Lenkert, wir machen einfach mal Angst. Wir be-
haupten einfach mal, was alles so passieren könnte und
welcher Gefahr wir die Bürgerinnen und Bürger in die-
sem Lande aussetzen. Nach Ihrer Logik dürften wir
überhaupt keine Industrie, chemische Industrie zum Bei-
spiel schon gar nicht, betreiben.
Wir dürften keine medizinische Forschung mehr betrei-
ben, weil immer etwas passieren könnte. Das – Sie wis-
sen es, Herr Lenkert – ist tatsächlich in hohem Maße
verantwortungslos.
Gestern Abend sind die vier Castorbehälter aus Cada-
rache in Lubmin angekommen, geschützt von einem
Großaufgebot von 10 000 Beamten, und das tatsächlich
aus dem Grund, weil sie eben in ein Bundeszwischenla-
ger gebracht wurden, das nach der Wiedervereinigung
für demontierte Kernkraftwerke der ehemaligen DDR
gebaut wurde.
2004 hat die ehemalige rot-grüne Bundesregierung
entschieden – das ist auch durchaus richtig –, diese Bun-
desabfälle in ein Bundeszwischenlager zu bringen. Die
rot-rote Landesregierung hatte sich dagegen gewandt,
musste sich 2004 von Bundesumweltminister Trittin und
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Als Regierungsmitglied hat Jürgen Trittin hier an die-
er Stelle am 15. Februar 2001 gesagt: Weil wir rechtlich
nd politisch verpflichtet sind, den deutschen Atommüll
urückzunehmen, sagen wir mit aller Klarheit: Proteste
ind verständlich, aber in der Sache falsch.
m 29. März 2001 hat er noch eins draufgesetzt und ge-
agt:
Diejenigen, die durch ihre Aktion auf den Gleisen
dazu beigetragen haben, dass die Castorbehälter ei-
nen Tag später als geplant angekommen sind, haben
für sich in Anspruch genommen, sie seien nicht ge-
walttätig. Es ist aber völlig eindeutig, … dass sich
diese Menschen rechtswidrig verhalten und Rechts-
bruch begangen haben; …
er objektiv gleiche Sachverhalt, die Rücknahme von
eutschem Atommüll aus dem Ausland, in internationa-
n Verträgen zugesichert, wird je nachdem, wie es ei-
em in den eigenen parteipolitischen Kram passt, instru-
entalisiert. Es ist eben nicht demokratisch, wenn man
elbst bestimmt, welche Gesetze eingehalten werden
üssen und welche nicht, wenn Abgeordnete der Grü-
en und der Linken Bürger offen zu Rechtsbruch aufru-
n und wenn der, der die lautesten Schreihälse um sich
ersammelt, sich anstelle der demokratisch legitimierten
ehrheit durchsetzt.
Es ist infam, dass die Linken die Aktuelle Stunde mit
em Titel „Kein Atomendlager bei Lubmin“ beantragt
aben; denn jeder weiß, dass es in Lubmin weder ein
tomendlager gibt noch geben wird.
9256 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Dr. Maria Flachsbarth
)
)
Der schwach- und mittelradioaktive Müll, den es jetzt in
Lubmin gibt, wird ab 2013 zum genehmigten und dann
fertigen Endlager Schacht Konrad gebracht, das übri-
gens in Niedersachsen liegt. Niedersachsen käme aber
niemals auf die absurde Idee, zu behaupten, das Endla-
ger nähme nur niedersächsischen Müll auf. Wo kämen
wir denn da auch hin?
Für den hochradioaktiven Müll gibt es überhaupt
noch kein Endlager. Warum gibt es eigentlich kein End-
lager für hochradioaktiven Müll in Deutschland? Das
will ich Ihnen sagen: weil die rot-grüne Bundesregierung
die Untersuchung eines möglichen Standorts über zehn
Jahre lang gestoppt hat. Man hat einfach die Notwendig-
keit der Erkundung ignoriert.
Es gibt eben kein Endlagersuchgesetz. Das hat dieses
Parlament niemals erreicht. Es gibt keine Benennung
von Alternativstandorten. Es gibt aus rot-grüner Zeit
noch nicht einmal Gespräche mit den Ländern, um einen
solchen Endlagerstandort alternativ zu benennen. Letzt-
endlich hatten Sie auch keine Traute, tatsächlich zu sa-
gen: Gorleben ist nicht geeignet, und wir lassen es mit
der Suche dort. Sie haben sich einfach nur vor der Ver-
antwortung weggeduckt.
Ich bin froh, dass Umweltminister Röttgen jetzt Ver-
antwortung übernimmt, dass er einen Dialog mit den
Menschen am Standort Gorleben aufnimmt, wo das Er-
kundungsbergwerk ist, und dass er ihnen weitgehende
Rechte in einem völlig transparenten und offenen Dialog
zugesagt hat. Es werde eine Steuerungsgruppe für die
vorläufige Sicherheitsanalyse, ein zusätzliches Vertrau-
ensgremium, beide hälftig besetzt mit den Vertretern der
Bürgerinitiative, gebildet.
Ich glaube, das ist tatsächlich der Weg, der gegangen
werden muss. Es ist jetzt endlich Zeit für ein seriöses
und zielgerechtes Handeln und nicht für ein unverant-
wortliches Spiel mit der Sorge und der Angst der Men-
schen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Ulrich Kelber für die SPD-
Fraktion.
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der Verfassung ist keine Einschränkung des Rechts
uf Demonstration für die eigene politische Meinung
orgesehen.
Man muss sich die Frage stellen: Warum haben die
roteste an Stellen zugenommen, an denen in der Tat an-
cheinend nichts anderes passiert als vor 2009? Diese
rage sollten sich aus meiner Sicht gerade auch die Ab-
eordneten von Schwarz und Gelb stellen.
as hat ja nicht damit etwas zu tun, dass einfach nur eine
ndere politische Couleur die Mehrheit hat, sondern das
at mit den Taten an dieser Stelle zu tun.
Sie sollten einmal sowohl mit den protestierenden
ürgerinnen und Bürgern, die sich betroffen fühlen, als
uch mit den dort eingesetzten Polizistinnen und Polizis-
n sprechen, die zusätzlich zu den Mehreinsätzen auf-
rund der Terrorwarnungen gigantische Überstunden
hren und froh sind, wenn jemand mit ihnen über diese
insätze spricht. Sie können das also wirklich gut tun.
iese sprechen davon, dass es hier nicht um eine techni-
che Diskussion, also darum geht, ob Zwischenlager A
der Zwischenlage B besser geeignet ist. Das sind nicht
ur örtliche Proteste, nach dem Prinzip „nicht vor mei-
er Haustür“, sondern die Menschen verbinden mit der
eit November 2009 veränderten Politik Ängste, die zu
iesen Protesten führen.
Drei Punkte sind zu nennen.
Erstens. Sie haben entschieden, dass mehr hochradio-
ktiver Müll entsteht. Das heißt, diese Transporte wer-
en in Zukunft weitergehen, und sie werden eines Tages
vermehrtem Maße auch zwischen den Zwischenlagern
nd dem Endlager stattfinden. Das heißt, Sie haben für
in Mehr an Transport und damit für ein Mehr an poten-
ieller Gefahr gesorgt.
Zweitens. Es gibt keine Bürgerbeteiligung. Frau
lachsbarth, zur Bürgerbeteiligung: Sie haben ja ge-
erkt, dass sich die Bürgerinitiativen in Gorleben nicht
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9257
Ulrich Kelber
)
)
mit dem Bundesumweltminister treffen wollten. Ob sie
damit gut beraten waren, muss man wahrscheinlich aus
Sicht der jeweiligen politischen Couleur entscheiden.
Aber warum wollten sie das denn nicht? Sie haben
gesagt: Erstens ist die Entscheidung schon getroffen
worden, und erst danach sollte mit uns gesprochen wer-
den? Zweitens hat man sich entschieden, dass jede Bür-
gerinformation nur ein freiwilliger, zurücknehmbarer
Akt ist. Man hätte die vorhandenen Rechtsinstrumente
für eine juristisch überprüfbare, echte Bürgerbeteiligung
einsetzen können,
entweder nach dem Atomrecht oder nach dem seit 1991
gültigen aktuellen Bergrecht.
Man hat sich aber dafür entschieden, ein 1983 aufgege-
benes Verfahren erneut zu verwenden, um keine Bürger-
beteiligung durchzuführen zu müssen.
Es hat auch keinen gesellschaftlichen Diskurs gegeben.
Drittens. Die Wahrheit stirbt, wenn der Atommüll
kommt. Auch das haben die Menschen erlebt. Das gilt
für Morsleben, das gilt für die Asse, und das gilt für Gor-
leben,
wo geschummelt, gelogen und vertuscht wurde. Natür-
lich haben die Menschen kein Vertrauen, weil für Lub-
min jetzt jemand zuständig ist, der schon bei der Asse
dafür verantwortlich war, dass zum Beispiel Atommüll-
fässer falsch deklariert wurden. Das kann man, denke
ich, gut verstehen.
Herr Kauch und Frau Flachsbarth, ich möchte gerne
auf Sie eingehen, wobei ich normalerweise die Streitig-
keiten zwischen den Rändern des Parlaments nicht kom-
mentiere. Aber Sie haben das Thema Morsleben ange-
sprochen und gesagt, das sei damals in der SED-Zeit
eingerichtet worden. Sie wissen aber schon, dass die
Bundeskanzlerin, die Sie durch Ihre Koalition unterstüt-
zen, als Umweltministerin gegen den Rat der Fachleute
aus dem eigenen Ministerium für die weitere Einlage-
rung von Atommüll in Morsleben votiert hat. Das haben
Sie mitbekommen? Sonst schicke ich Ihnen den Vorgang
gerne noch einmal zu.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die
nionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Dass
ir in der letzten Debatte in diesem Jahr über einen Akt
nker Propaganda diskutieren müssen, ist etwas, was
ich ärgert, was mich aufregt. Herr Lenkert, wenn Sie
tzt so lachen, sage ich Ihnen ganz offen: Das, was Sie
orgetragen haben, meine ich an dieser Stelle nicht. Das
ar schlicht und schlank Dummheit.
as, was Sie hier vorgetragen haben, war technisch so
nhaltbar, dass ich mich angesichts Ihrer Berufsbezeich-
ung als Techniker schon wundere, wie Sie auf solche
bsurden technischen Zusammenhänge und Spekulatio-
en kommen.
Ich nehme an, dass die Mehrheit derjenigen, die auf
er linken Seite sitzen, sehr genau weiß, dass das Thema
ndlager in Lubmin überhaupt kein Thema ist, und dass
s Ihnen nur darum geht, unredlich, unverantwortlich
nd unanständig Angst zu schüren und für Sie Propa-
anda zu machen.
Es gibt noch einen anderen Punkt in Ihrer Rede
wenn Sie mich an dieser Stelle so angehen –, der mich
9258 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Dr. Georg Nüßlein
)
)
schon stutzig gemacht hat. Es ist schon spannend, zu se-
hen, dass Sie eine Mauer im Kopf haben und zwischen
Ost und West differenzieren, sodass man bei dieser Gele-
genheit merkt, dass Ihnen die deutsche Einheit über-
haupt nichts bedeutet
und dass Sie im Unterschied zu der Kollegin Steffen
nicht einmal würdigen können, was die deutsche Einheit
auch im Blick auf Umweltschutz und Sicherheit von ato-
maren Anlagen gebracht hat. Das ist etwas, was beson-
ders traurig ist, weil es an dieser Stelle fachlich dazuge-
hören würde.
Wenn wir uns weiter über die Linke und ihr Verhältnis
zu diesem Thema unterhalten, können wir gerne auf den
Castortransport im November zurückblicken. Etliche
Linke-Abgeordnete riefen zum Schottern, zu einer kla-
ren Straftat, die auch noch gefährlich ist, auf.
Daran sieht man, wer Sie sind und was Sie sind. Der
Kollege Gysi hat in Dannenberg demonstriert und der
Polizei seinen Dienstwagen überlassen. Sie sollte darauf
aufpassen. Auch daran sieht man, wer Sie sind und was
Sie sind. Dass der Kollege Ernst seinen Porsche gleich
zu Hause gelassen hat und gar nicht hingegangen ist, ist
auch etwas, woran man sieht, wer Sie sind und was Sie
sind.
– Wenn Sie sagen, ich kritisiere alles, dann komme ich
gern zu den Grünen.
Ich habe mit großer Freude zur Kenntnis genommen,
dass Frau Kotting-Uhl das Thema Propaganda und den
Titel des Ganzen genauso sieht wie ich.
Ich gehe jetzt einfach einmal davon aus, dass Sie von
den Grünen deshalb an dieser Stelle etwas leiser treten,
weil Sie unter dem Druck stehen, Herrn Trittin bei jeder
Gelegenheit verteidigen zu müssen; das haben wir ja
heute schon mehrfach gehört.
Das Zitat von Trittin aus dem Jahr 2001 ist ja mittler-
weile gut bekannt:
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Ich gehe davon aus, dass mittlerweile auch klar ist,
ass unter Herrn Trittin 1999 dieses Zwischenlager Nord
enehmigt wurde. Das ist im Übrigen etwas, was im
ontext dessen steht, was er getan hat.
r hat nämlich bis zu seiner Regierungszeit Zwischenla-
er als Blechhütten abgewertet und dann über die Repu-
lik verteilt. Das müssen Sie sich auch einmal sagen las-
en.
as ist diese grüne Doppelzüngigkeit, die einem wehtut.
h meine, wir sollten diese ganze Debatte mit etwas
ehr Redlichkeit führen.
Insbesondere kurz vor Weihnachten
teht uns allen dies gut an. In diesem Sinne wünsche ich
ohe Weihnachten.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
atthias Lietz für die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Es fällt mir nicht leicht, zu dieser Stunde und
us diesem Anlass in dieser fröhlichen Runde, wie ich
ier bemerke, zu diesem Thema zu Ihnen zu sprechen.
s ist, wie ich glaube, niemand in diesem Raum, der so
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9259
Matthias Lietz
(C)
)
wie ich 1989 vor den Toren dieses Werkes stand und sich
über den Beschluss der damaligen DDR-Regierung – es
war der Minister Pflugbeil – gefreut hat, in dem es um
die Stilllegung und den Ausstieg aus der Kernenergie an
diesem Standort ging.
führen müssen. Diese Verantwortung haben wir als Poli-
tiker hier im Deutschen Bundestag zu übernehmen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN)
Aus meiner ganz persönlichen Erfahrung sage ich Ih-
nen: Ich habe wenige Tage später begriffen, was Aus-
stieg aus der Kernenergie bedeutet. Ich habe in meiner
ehrenamtlichen Zeit – das sind mittlerweile 20 Jahre –
vor Ort viele Minister kommen und gehen sehen. In der
Regel wurde als erstes Wort der Ausstieg aus der Kern-
energie betont. Das zweite Wort, dass wir dann auch
Kraftwerke stillzulegen haben, habe ich dann schon sel-
tener vernommen. Etwa 1993 wurde es ernst, als für die
Bundesrepublik Deutschland festgelegt wurde, an den
Standorten Zwischenlager zu errichten. Dass dies für die
Menschen vor Ort natürlich auch Entscheidungen bedeu-
tet, ist klar. Ich komme aus diesem Seebad Lubmin und
wohne in unmittelbarer Nähe; es sind drei Standortge-
meinden, was für Kraftwerksstandorte nicht ungewöhn-
lich ist, Rubenow, Kröslin, Lubmin. An diesem Standort
wurde dann dieses Zwischenlager gebaut.
Als Bürgermeister war ich in einer komfortablen
Lage. Ich habe den Menschen erklärt: Wir bauen hier ein
Zwischenlager am Standort, weil wir die Verantwortung
für die DDR übernommen haben. Herr Bockhahn, Sie
haben die Gnade der späten Geburt – das rechne ich Ih-
nen noch an –, daher können Sie es nicht wissen. Ich
habe nicht die Gnade gehabt, auf der Großbaustelle des
Sozialismus arbeiten zu dürfen. Mein Protest bedeutete
Arbeitslosigkeit in Lubmin. Ich will Ihnen eines versi-
chern: Die Menschen haben dann schnell begriffen, dass
wir dieses Zwischenlager bauen, weil es in der Bundes-
republik ja die Suche nach einem Endlager gibt, und das
war zu diesem Zeitpunkt Gorleben.
Sie haben mit gutem Gewissen gesagt: Jawohl, wir
übernehmen diese Verantwortung. – Ich erwarte, dass
wir diesen Menschen erklären – das werden wir mindes-
tens 17-mal, wenn nicht sogar 18-mal tun müssen –, dass
zum Ausstieg aus der Kernenergie auch ein Endlager ge-
hört und dass das Endlager nicht irgendwo in Europa
oder in der Welt, sondern in der Bundesrepublik
Deutschland errichtet werden muss. Nachdem ich mir
gestern hier in Berlin die Fernsehbilder über Lubmin an-
geschaut habe, kann ich nur sagen, dass Sie verstehen
müssen, wie schwierig es für die Menschen vor Ort ist.
Diese haben die Entscheidungen in einer Demokratie zu
akzeptieren und sich der Mehrheit zu beugen, die einen
Beschluss nach einem bestimmten Verfahren fällt; ich
stehe hier voll an ihrer Seite. Wir werden das Verfahren,
mit dem festgestellt wird, an welchem Standort in der
Bundesrepublik das Endlager errichtet werden soll, offen
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord-
ung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf Mittwoch, den 19. Januar 2011, 13 Uhr, ein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen
esinnliche Feiertage, Erholung und manche neue Er-
enntnis. Wie ich höre, ist das Tief „Petra“ abgezogen.
as heißt, Sie haben hoffentlich eine beschwerdefreie
eimreise.
Die Sitzung ist geschlossen.