Rede von
Annette
Groth
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Wir ha-
ben das schon von verschiedenen Rednerinnen und Red-
nern gehört: Die Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht,
und wir sind alle aufgerufen, dieses durchzusetzen – auch
bei uns.
Da gibt es viel zu tun. Denn in der letzten Zeit häufen
sich die Anschläge auf Moscheen in Deutschland; letzte
Woche gab es zwei in Berlin. Die Stimmung gegen den
Islam wird angeheizt; etliche Rednerinnen und Redner
haben schon darauf hingewiesen.
Aber die Politik muss sich gegenüber Religionen und
Weltanschauungen neutral verhalten. Ihr Antrag, ver-
ehrte Kolleginnen und Kollegen von der Regierungsko-
alition, fokussiert sich aber einseitig auf den Schutz
christlicher Minderheiten. Gerade in einem interkulturel-
len Land wie Deutschland mit verschiedenen Religionen
und Weltanschauungen und einer großen Zahl von Athe-
istinnen und Atheisten ist das aber ausgesprochen pro-
blematisch.
Das sage ich ganz bewusst als evangelische Christin
mit zwanzigjähriger Erfahrung in kirchlichen Einrich-
tungen. Wie Heiner Bielefeldt – er wurde heute schon
öfter zitiert – bei der Anhörung zur Religionsfreiheit
treffend gesagt hat: Eine europäische Identität, die sich
in Abgrenzung zum Islam versteht, läuft auf Marginali-
sierung und Diskriminierung von Teilen der europäi-
schen Bevölkerung hinaus. – Das geht nicht.
4 Millionen Menschen muslimischen Glaubens leben
bei uns in Deutschland. Es ist unsere Aufgabe, die Betei-
ligungsrechte der Muslime entsprechend unserem ho-
hen verfassungsrechtlichen Anspruch besser auszuge-
stalten. Diesbezüglich gibt es großen Handlungsbedarf,
etwa im Religionsunterricht an Schulen und bei den öf-
fentlich-rechtlichen Medien.
Wir müssen viel stärker den interkonfessionellen und
interkulturellen Dialog suchen, wie er weltweit in öku-
menischen Begegnungen, in vielen Moscheen und Kir-
chen praktiziert wird. Es widerspricht dem Gedanken
der Toleranz, Muslime in Deutschland für die Diskrimi-
nierungen von Christinnen und Christen im Nahen Osten
in Geiselhaft zu nehmen.
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Mit den gleichen Argumenten wie für das Minarett-
erbot lassen sich alle Formen islamischer Präsenz im
ffentlichen Raum verbieten. Mit dem Minarettverbot
erden die Grundrechte einer Minderheit zur Disposi-
on gestellt. Das darf nicht sein.
Etliche Vorrednerinnen und Vorredner haben gesagt:
ie Angst vor dem Islam muss man ernst nehmen. – Das
timmt. Diese Ängste werden in der Bevölkerung aber
um Teil gezielt geschürt.
ir sollten alles dafür tun, diese Ängste abzubauen, in-
em wir soziale und kulturelle Konflikte konkret anspre-
hen; denn durch Diskriminierungen und Verbote wer-
en sie nicht gelöst.
Aufgabe einer verantwortungsbewussten Politik ist
uch, die Ängste der muslimischen Bevölkerung zu
ematisieren. Wenn eine Schweizer Partei auf ihre offi-
ielle Internetseite ein Onlinespiel stellt, bei dem man
ame abschießen kann, wird deutlich, dass es nicht nur
Islam ein Problem mit Hasspredigern gibt. Diese kul-
relle Ideologisierung als westliche Spielart des Funda-
entalismus ist zu einer politischen Herausforderung in
uropa geworden, wie das Erstarken rechtspopulisti-
cher Parteien europaweit zeigt.
In vielen Ländern des Nahen Ostens haben wir es mit
utoritären Regimes zu tun, die die Religion zur Recht-
rtigung von Unterdrückung missbrauchen. Betroffen
on Diskriminierung sind auch, aber nicht nur christli-
he Minderheiten. Im Iran zum Beispiel wurden auch is-
mische Gelehrte umgebracht, die sich den Dogmen der
errschenden widersetzt haben oder sie nur kritisch in-
age stellten. Im Irak – das wurde auch schon angespro-
hen – sind religiöse Gruppen, aber auch zum Beispiel
omosexuelle, die keine Schutzmacht hinter sich haben,
erfolgung und Angriffen ausgesetzt.
Problematisch ist daher, wenn wir in Deutschland die
evorzugte Aufnahme von christlichen Flüchtlingen aus
em Irak fordern. Über ein Asylgesuch von politisch
erfolgten muss aufgrund der individuellen Notlage und
chutzbedürftigkeit und darf nicht qua Religionszugehö-
gkeit entschieden werden.
9180 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Annette Groth
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Frau Graf hat schon darauf hingewiesen: In Ägypten
werden Kopten diskriminiert. Systematisch werden aber
die Bahai verfolgt. Der Staat spielt die verschiedenen re-
ligiösen und sozialen Gruppen gegeneinander aus. Die
zunehmende Beschneidung wesentlicher Freiheits- und
Bürgerrechte in Ägypten ist alarmierend. Wir haben es
gesehen. Die letzten Parlamentswahlen haben das ein-
drücklich gezeigt.
Auch von Bündnispartnern wie Ägypten und Saudi-
Arabien müssen wir den Schutz der Menschenrechte und
der Religionsfreiheit einfordern. Angesichts ihrer Rolle
im „Kampf gegen den Terrorismus“ hält sich die deut-
sche Außenpolitik hier aber zurück.