Rede von
Stephan
Kühn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Der vorgelegte Bericht ist ehrlicher als die
vorangegangenen, was Lageeinschätzung und Zukunfts-
aussichten betrifft. Das Ziel wurde leicht nach unten kor-
rigiert: Es geht nicht mehr um die blühenden Land-
schaften, sondern um das Aufschließen zu den struktur-
schwächsten westdeutschen Ländern, deren Niveau bis
zum Auslaufen des Solidarpakts II im Jahr 2019 erreicht
werden soll.
Trotzdem sind die Erfolge im Aufbau Ost unbestreit-
bar. Exemplarisch möchte ich die Verbesserung der Um-
weltsituation und die Sanierung der ostdeutschen Städte
nennen. Der Anteil der sanierten Gebäude ist im Osten
höher als im Westen. Ich denke, das ist in der Tat ein Er-
folg.
Persönlich kann ich sagen: Die Wende kam gerade noch
rechtzeitig. In meiner Heimatstadt Dresden sollte das
größte zusammenhängende Gründerzeitviertel Europas,
die Äußere Neustadt, durch Plattenbauten ersetzt wer-
den. Zum Glück ist es dazu nicht gekommen.
Dennoch ist Ostdeutschland geteilt in wirtschaftlich
potente Wachstumskerne einerseits wie beispielsweise
Dresden und abgekoppelte Regionen andererseits, ge-
rade im ländlichen Bereich, die durch den demografi-
schen Wandel zusätzlich benachteiligt sind. Das ökono-
mische Wachstum stagniert seit Mitte der 90er-Jahre,
und der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts in diesem
Jahr fiel im Osten geringer aus als im Westen. Wir haben
– das ist an mehreren Stellen schon genannt worden –
eine höhere Arbeitslosenquote. Das Bruttolohnniveau
liegt bei 81 Prozent des Westniveaus, und die soziale Ar-
mut ist doppelt so hoch. Ich empfehle dazu die Lektüre
des Sozialberichts des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Richtig ist, dass im Bericht die Frage nach dem ge-
sellschaftlichen Zusammenhalt zwischen Ost und West
gestellt wird. Dazu gehören aber auch die Vereinheitli-
chung des Rentenrechts, die immer noch nicht erfolgt ist,
und gleiche Löhne.
Die aktuelle Politik der Bundesregierung – darauf ha-
ben einige Vorredner zu Recht hingewiesen –, erschwert
den Angleichungsprozess zusätzlich. Die Kürzungen der
Bundesregierung, die mit steigenden Sozialausgaben bei
den ostdeutschen Kommunen verbunden sind, haben er-
hebliche Auswirkungen. Ich erinnere an die Kosten der
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ie Infrastrukturlücke, die oft beschrieben wird, existiert
icht mehr. Leider werden hier die falschen Prioritäten
esetzt.
Herr Minister, Sie haben den Nord-Süd-Korridor an-
esprochen. Da muss man fragen: Wenn er so wichtig
t, warum steht er dann hinten an? Zum Komplettaus-
au der Strecke Dresden–Berlin für eine Geschwindig-
eit von 200 km/h fehlen 450 Millionen Euro.
ie Strecke Dresden–Prag steht nicht einmal im Bundes-
erkehrswegeplan, geschweige denn gibt es eine Pla-
ung oder Finanzierung.
Künftig muss stärker in Bildung, Forschung, Innova-
ons-, Wissens- und Technologietransfer investiert wer-
en. Die Investitionszulage, wie sie noch heißt, würden
ir gerne in eine Innovationszulage umwandeln. Damit
lgen wir dem Bericht, in dem zu Recht steht:
Die Zukunft des Ostens … hängt von seiner Inno-
vationsfähigkeit ab, …
an kann entscheiden, ob man 60 Millionen Euro zum
au von 10 Kilometern Autobahn verwendet oder ob
an damit lieber ein Forschungsinstitut gründet. Das
mpfehle ich; denn das ist zielführender.
Im Bericht steht, dass die Mittel für Forschung und
ntwicklung stärker regional und mittelstandorientiert
ingesetzt werden müssen. Das ist richtig. Das beschäfti-
ungspolitische Rückgrat in Ostdeutschland ist der Mit-
lstand. Umso schlimmer ist, dass die Mittel im Bereich
er energetischen Gebäudesanierung gekürzt werden;
enn dadurch gefährden Sie die Arbeitsplätze im Mittel-
tand, nämlich im Handwerk.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9237
Stephan Kühn
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Gleiches gilt für die Städtebauförderung. Die Bauminis-
ter – nicht nur die ostdeutschen, sondern alle – haben
eindeutig und einstimmig in ihrem Beschluss im Sep-
tember dieses Jahres geschrieben:
Die Städtebauförderung ist ein unverzichtbarer Bei-
trag zum Aufbau Ost.
Zum Schluss: Ich denke, wir müssen uns – das wird in
dem Bericht nur am Rande gestreift – stärker auf die
ländlichen und peripheren Regionen konzentrieren und
dort eigenständige Lösungen entwickeln. Es reicht eben
nicht, auf die Demografiestrategie, die irgendwann
nächstes Jahr vorliegen soll, zu warten. Wir brauchen
mehr regional angepasste Förderkonzepte, beispiels-
weise durch den Einsatz von Regionalbudgets.