Rede von
Dietmar
Nietan
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Religion ist keineswegs Privatsache; aber für jeden gläu-
bigen Menschen ist sein Glaube etwas ganz Persönli-
ches, etwas, das sein Sein in der Welt zutiefst prägt, ein
konstitutives Element seiner Persönlichkeit. Deshalb ist
Religionsfreiheit für mich nicht irgendein Menschen-
recht; Religionsfreiheit ist in jeder Hinsicht ein grundle-
gendes Menschenrecht.
Religionsfreiheit ist wie alle Menschenrechte ein
universelles Menschenrecht. Wer Menschenrechtsverlet-
zungen im Bereich der Religionsfreiheit nach Glaubens-
richtung, Anzahl der Betroffenen, handelnden Staaten
oder politischen Systemen unterschiedlich wertet, ist aus
meiner Sicht auf dem besten Weg, die Axt an den uni-
versellen Charakter dieses Menschenrechts anzulegen.
Wer ein besonderes Augenmerk auf Menschenrechtsver-
letzungen gegenüber Angehörigen einer bestimmten Re-
ligion legt, schwächt sein eigenes Anliegen, obwohl es
ein sehr ehrenwertes Anliegen ist. Jeder Mensch, dessen
Würde mit Füßen getreten wird, muss uns gleich wichtig
sein. Er hat unsere Solidarität genauso verdient, wenn er
wegen eines Glaubens verfolgt wird, den wir möglicher-
weise ganz und gar nicht teilen.
Warum betone ich diese Art von Solidarität? Ich be-
tone das, weil ich glaube, dass wir nur mit dieser Art von
Solidarität gerade auch mit Andersdenkenden all denje-
nigen in der Welt entgegentreten können, die unseren
Einsatz für die Durchsetzung der Menschenrechte gerne
als Herrschaftsinstrument des Westens diskreditieren
wollen, um sich so aus der Verantwortung zu stehlen.
Als Christ fühle ich mich meinen verfolgten Mit-
schwestern und Mitbrüdern in besonderer Weise verbun-
den. Trotzdem halte ich es für falsch, ein besonderes Au-
genmerk auf die Lage der christlichen Minderheiten zu
legen, wie es der Koalitionsantrag tut. Damit Sie mich
nicht falsch verstehen: Ich habe die Einbringung dieses
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h finde aber, dass wir gerade auch den verfolgten
hristinnen und Christen am besten helfen, wenn wir je-
er Menschenrechtsverletzung gegenüber jeder religiö-
en Minderheit die gleiche Aufmerksamkeit zuteilwer-
en lassen.
as macht uns nämlich am Ende glaubwürdiger. Für
ich ist Glaubwürdigkeit eine der wichtigsten Waffen
Kampf für die Menschenrechte.
Zur Glaubwürdigkeit gehört für mich allerdings auch,
ass wir den deutlichen Gefährdungen der Religions-
eiheit im eigenen Land klare Worte entgegenstellen.
amit ich auch da richtig verstanden werde: Natürlich
eiß ich, dass wir hier über Gefährdungen der Reli-
ionsfreiheit reden, nicht von massiven Verfolgungen
der Diskriminierungen, wie sie in anderen Ländern auf-
eten. Ich glaube aber, niemand von uns will hier ernst-
aft behaupten, dass wir im Bundestag erst dann darüber
den sollten, wenn es mit der Religionsfeindlichkeit in
eutschland so weit gekommen ist, dass Straftatbe-
tände auftreten. Vielmehr müssen wir jetzt darüber re-
en.
h will es diplomatisch formulieren: Der Antrag der
oalitionsfraktionen wäre noch besser gewesen, wenn
s dort klare Worte zur wachsenden Islamophobie in un-
erem Land gegeben hätte.
Ich habe mich sehr gefreut, dass der Evangelische Ar-
eitskreis der CDU/CSU unter der Führung meines ge-
chätzten Kollegen Thomas Rachel sehr großen Wert da-
uf gelegt hat, dass durch entsprechende Klarstellungen
der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufent-
altsgesetz dafür gesorgt wird, dass die sogenannte Qua-
fikationsrichtlinie in der deutschen Asylpraxis endlich
berall in vollem Umfang angewandt wird. Ich hätte
ich gefreut, wenn die Koalition diese Forderung in
ren Antrag aufgenommen hätte; denn es dient unserer
laubwürdigkeit, wenn wir deutlich machen, dass wir
llen Menschen, die aus religiösen Gründen verfolgt
erden – egal, welcher Religion sie angehören und was
er Verfolgungsgrund ist –, Asyl gewähren.
9184 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Dietmar Nietan
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Eine entsprechende Klarstellung hätte Ihrem Antrag
mehr Glaubwürdigkeit verliehen.
Ich möchte dem verehrten, von mir wirklich geschätz-
ten Kollegen Raju Sharma sagen: Religionsfreiheit ist in
der Tat nur in einem säkularen Staat möglich. Aber – das
betone ich für mich – ein säkularer Staat ist etwas ande-
res als ein laizistischer Staat. Ich sage hier an dieser
Stelle sehr deutlich, dass ich bei manchen Diskussions-
zusammenhängen in unserem Land, die laizistisch ge-
prägt sind, eine gewisse Melodie erkenne, die mich an
Religionsfeindlichkeit erinnert. Wenn das mit Laizismus
gemeint ist, dann kann ich persönlich das nicht unterstüt-
zen. Es kann nicht sein, dass Äußerungen und Symbole
zur Religion grundsätzlich aus dem öffentlichen Raum
verbannt werden. Denn sie gehören zu unserer Kultur
und zu unserem Land. Diese Art von Laizismus möchte
ich bei uns in Deutschland nicht haben.
In diesem Zusammenhang empfehle ich sehr die Lek-
türe von Professor Habermas, der ja nicht in Verdacht
steht, ein christlicher Fundamentalist zu sein.
Professor Habermas hat ausdrücklich betont, dass reli-
giös begründete Stellungnahmen einen wichtigen und le-
gitimen Platz in der öffentlichen politischen Diskussion
haben müssen. Habermas begründet das insbesondere
damit, dass er sagt: Die praktische Vernunft – und er
sieht sich als einen Vertreter der nachreligiösen prakti-
schen Vernunft – braucht geradezu einen neuen Dialog
mit der Religion, mit dem Religiösen, um nicht an ihren
eigenen guten Gründen angesichts entgleisender Moder-
nisierung zu verzweifeln.
Deshalb sage ich: Ein offener Dialog zwischen prakti-
scher Vernunft und Religion ist für beide wichtig. Wir
sollten denjenigen entgegentreten, die meinen, dass Reli-
gion etwas Althergebrachtes ist, das nicht mehr in unsere
Zeit gehört. Das ist für mich auch ein Anfang von Reli-
gionsfeindlichkeit, den wir verhindern sollten.
Ich möchte zum Schluss an eine großartige Rede er-
innern, die unser damaliger Bundespräsident Johannes
Rau im Jahre 2004 zum Festakt des 275. Geburtstags
von Gotthold Ephraim Lessing gehalten hat. Ich möchte
zwei Zitate nennen, die, glaube ich, auf den Punkt brin-
gen, worum es in unserer Debatte gehen sollte. Ich wün-
sche mir sehr, dass wir dieses Thema beim nächsten Mal
in einer Art und Weise diskutieren, dass wir am Ende zu
einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen kommen.
Denn das ist dem Thema eigentlich angemessen.
Johannes Rau hat gesagt:
Es geht um die Frage: Wie können Menschen mit-
einander leben, die ganz unterschiedliche Dinge für
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