Rede von
Waltraud
Wolff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn man dieser
Debatte folgt, könnte man meinen, wir hätten in dieser
Frage keine Rechtssicherheit. 65 Jahre nach dem Zwei-
ten Weltkrieg, 20 Jahre nach der deutschen Einheit tut
man einfach so, als gäbe es keinen Einigungsvertrag.
Diesen Vertrag haben meines Wissens Herr Schäuble
und Herr Krause geschlossen. Gab es denn keine Ent-
schädigung? Wenn wir heute Recht schaffen müssen,
dann heißt das doch, wir leben im Unrecht. Genau so ist
es eben nicht.
– Sie sagen, es ist eine Frage der Gerechtigkeit. Leider –
das sage ich reinen Herzens – gibt es keine absolute Ge-
rechtigkeit,
a
2
d
d
re
h
fa
re
D
li
ti
g
a
w
g
m
–
ru
d
d
B
w
li
A
g
S
le
E
e
te
re
g
s
B
H
w
fr
m
n
le
d
uch nicht mit einer Änderung des Flächenerwerbs nach
0 Jahren deutscher Einheit.
Ganz viele Familien, auch meine Familie, hatten an
en Folgen des Zweiten Weltkriegs zu leiden; das ist in
ieser Debatte schon gesagt worden. Mein Vater, gebo-
n im heutigen Tschechien, meine Mutter, geboren im
eutigen Polen, waren beim Bau der Mauer leider zur
lschen Zeit am falschen Ort. Wer beurteilt, ob es ge-
cht ist, dass meine Eltern nicht im freiheitlichen
eutschland leben durften und dass ich nicht im freiheit-
chen Deutschland aufwachsen durfte? Was ist Gerech-
gkeit? Ich glaube, wir müssen uns heute an realen Ge-
ebenheiten orientieren und dürfen keine neuen Gräben
uftun.
Im Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz
urde nach langem, schwerem Ringen ein Kompromiss
eschlossen. Halten wir uns doch daran! Das ist von
einen Vorrednern doch schon gefordert worden.
Nein, Sie halten sich eben nicht daran, weil Sie Ände-
ngen vornehmen.
Wenn es so wäre, dass Sie sich darauf beschränken,
ie Antragsflut einzudämmen und den Alteigentümern,
ie ihre Ansprüche geltend gemacht haben, weiterhin zu
edingungen von 2004 einen begünstigten Flächener-
erb zu gewährleisten, dann hätten Sie selbstverständ-
ch auch bei der SPD offene Türen eingerannt.
ber Sie wollen die nicht selbst wirtschaftenden Altei-
entümer nachträglich begünstigen. Deshalb erweitern
ie über eine Änderung von § 3 Abs. 5 des Ausgleichs-
istungsgesetzes den Kreis der Berechtigten bis hin zu
rben des vierten Ranges. Ehrlich gesagt, musste ich erst
inmal nachschauen, bis hin zu wem genau diese Erwei-
rung reicht.
Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Genau damit schü-
n Sie neue Interessenkonflikte zwischen den ansässi-
en und wirtschaftenden Bauern und den nicht wirt-
chaftenden Alteigentümern. Das ist doch der Punkt.
Für mein Bundesland, Sachsen-Anhalt, spricht das
undesministerium der Finanzen von zurzeit 70 000
ektar freiverkäuflicher Flächen. Für die Neuregelung
ürden aber nur circa 10 000 Hektar gebraucht. Als ich
agte: „Woher wissen Sie das?“, hieß es: Alle Anträge
üssen doch schon gestellt sein. Da frage ich mich: Ist
och nicht durchgedrungen, dass man neue Anträge stel-
n darf? Wissen sie das selber noch nicht? Durchaus
enkbar ist, so sagt die BVVG,
9222 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Waltraud Wolff
)
)
dass in Sachsen-Anhalt vielleicht auch nur 6 000 bis
8 000 Hektar übrig bleiben.
Ich will damit nur deutlich machen, dass wir uns in ei-
nem spekulativen Bereich bewegen. Keiner kann wirk-
lich handfeste Aussagen treffen.
– Ja, genau. Da wurden aber auch nur Spekulationen an-
gestellt.
Wir erwarten, dass diese Regelungen zu Verwerfun-
gen in der Agrarstruktur führen. Wer bis jetzt noch kei-
nen Antrag auf Kauf des verbilligten Bodens gestellt hat,
kann das Angebot mit Blick auf die Ahnentafel schon
einmal aufgreifen.
Man muss das Land nicht einmal selber bewirtschaften
wollen. Ich frage Sie: Wer greift da nicht gerne zu? Zu-
zugreifen, das ist doch verständlich.
Wir befürchten einen Anspruchs- und Flächenerwerbs-
tourismus.
Warum spreche ich von Verwerfungen in Ostdeutsch-
land? Ganz einfach: weil der Flächenentzug in diesen
Größenordnungen der letzte Anstoß dafür sein kann, aus
der Tierproduktion auszusteigen. Anzeichen dafür gibt
es schon. Wenn es zu solchen Reaktionen kommt, be-
deutet das auch Arbeitsplatzabbau in den ländlichen Re-
gionen der neuen Bundesländer.
Eine Diskussion mit der Koalition war bei diesem
Thema nicht möglich. Sie haben nicht einmal die be-
rechtigten Forderungen des Bauernverbandes berück-
sichtigt, Sie haben keine Regelung zum Fortbestand der
Pachtverträge getroffen, und Sie haben keine Regelung
zur Begrenzung des Erwerbstourismus getroffen. Das
werfen wir Ihnen vor.