Die nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Müller-
Gemmeke vom Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Eigentlich diskutieren wir heute über
den Antrag der SPD; aber es ist bekannt, dass die Oppo-
sition bei dem Thema Leiharbeit sehr nah beisammen ist
und weitgehend an einem Strang zieht. Im Mittelpunkt
der Forderungen steht: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.
Das fordern auch wir Grünen, und zwar ohne Wenn und
Aber.
Sie von den Koalitionsfraktionen streiten aber noch
immer über eine Gesetzesvorlage, die Sie schon vor ei-
nem Jahr lautstark angekündigt haben. Im ersten Ent-
wurf gab es noch eine Lohnuntergrenze, im zweiten Ent-
wurf war sie schon wieder draußen. In dieser Woche hat
das Kabinett den dritten Entwurf beschlossen, aber we-
der eine Lohnuntergrenze noch Equal Pay sind geplant.
Die Regierung hat sich lediglich auf eine dürftige Rege-
lung zum Drehtüreffekt und auf einige Anpassungen zur
europäischen Leiharbeitsrichtlinie einigen können.
Ministerin von der Leyen wird also weiterhin für einen
Mindestlohn in der Leiharbeitsbranche streiten müssen.
Eine kurze Zeit lang – ich glaube, es waren nur we-
nige Stunden; Kollege Kolb, ich spreche Sie jetzt direkt
an – haben Sie signalisiert, dass die FDP einem Mindest-
lohn in der Leiharbeitsbranche nicht im Weg stehen
würde.
Dann mussten Sie sehr schnell wieder zurückrudern. Auf
Ihrer Homepage steht jetzt wieder – ich glaube, Kollege
Vogel sagte es –, dass die FDP gegen einen Mindestlohn
ist. Beide Kollegen, Kolb und Vogel, wollen aber an-
scheinend das Equal Pay nach einer gewissen Frist –
was immer das heißen mag. Das ist wieder einmal
schwarz-gelbe Chaospolitik. Sie streiten, sie schachern
wie auf einem Basar, und zwar zulasten der Beschäftig-
ten.
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Seit einem Jahr kündigen Sie an, dass Sie gegen den
issbrauch in der Leiharbeit vorgehen wollen.
ie haben aber nichts getan. Die Konsequenz ist: Nach
er Krise kommt jetzt im Aufschwung der neue Boom in
er Leiharbeit. Mittlerweile hat die Beschäftigung in der
eiharbeit fast die Millionengrenze erreicht. Laut IG
etall bewegt sich die Leiharbeitsquote in den Betrie-
en der Metall- und Elektroindustrie auf sehr hohem Ni-
eau. Das bedeutet, dass in einer Schlüsselbranche der
eutschen Wirtschaft – machen Sie sich das schlichtweg
inmal deutlich – immer weniger sozialversicherungs-
flichtige Beschäftigte arbeiten. Eine Vielzahl von regu-
ren Beschäftigungsverhältnissen ist durch Leiharbeit
rsetzt worden. Diese Entwicklung zeigt: Es entsteht
ine Zweiklassengesellschaft auf dem Arbeitsmarkt. Ich
nde, dieser Trend muss endlich gestoppt werden.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Regie-
ngsfraktionen, auf diesem Ohr sind Sie aber taub.
leichzeitig sagen Sie ja immer, wir Grünen seien die
agegen-Partei.
ie Realität zeigt aber, dass Sie die Neinsager sind. Wir
ind für Equal Pay, die CDU/CSU ist aber dagegen. Wir
ind für einen Mindestlohn, die FDP ist aber dagegen.
ir wollen die Leiharbeit auf ein sozialverträgliches
aß begrenzen, Sie sind aber dagegen. Nicht bei den
rünen sitzen die Neinsager, sondern in den Reihen der
egierungsfraktionen.
Unbeirrt halten Sie daran fest, dass die Leiharbeit ein
ichtiges Instrument für die Wirtschaft ist. Herr Kolb,
ie haben es gerade noch einmal gesagt. Aber was heißt
as eigentlich? Ich habe mal ein bisschen gegoogelt und
in bei der Zeitarbeitsfirma ProFutura fündig geworden.
ort wird der Vorteil der Leiharbeit sehr deutlich und
ehr klar beschrieben – ich zitiere –:
– Sie befreien sich von vielen Arbeitgeberpflichten
und -risiken
– Sie vermeiden konsequent Trennungsprobleme
– Sie erreichen eine Kostensenkung und wandeln
Fixkosten in variable Kosten
– Sie verschaffen sich durch optimale Personalbe-
setzung einen Wettbewerbsvorteil, der zu Ihrem
Unternehmenserfolg beiträgt
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9203
Beate Müller-Gemmeke
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Wenn ich das lese, läuft es mir eiskalt den Rücken
runter. Wo leben wir eigentlich, wenn Menschen aus-
schließlich als variable Kosten und Wettbewerbsvorteil
bezeichnet werden? Wollen wir wirklich den Status als
Exportweltmeister mit Dumpinglöhnen erkaufen? Was
ist eigentlich noch der Wert der Arbeit bei uns hier in
Deutschland?
Für eine Sekretärin in einem Klinikum bedeutet Leih-
arbeit beispielsweise ganz konkret: Sie bekommt für die
gleiche Arbeit circa 500 Euro brutto weniger im Monat,
sie hat sechs Tage weniger Urlaub, bekommt kein Ur-
laubs- und Weihnachtsgeld und keine betriebliche Al-
tersvorsorge. Wenn alle anderen Heiligabend und Silves-
ter einen halben Tag frei haben, muss sie arbeiten.
Das ist kein Einzelfall. Die Leiharbeitskräfte sind Be-
schäftigte zweiter Klasse, die nicht nur schlechter ver-
dienen, sondern auch weniger Rechte haben. Sie haben
deutlich weniger Planungssicherheit; denn für den Ent-
leihbetrieb gilt der Kündigungsschutz nicht. Vor allem
sind sie aber zum Spielball der Unternehmen geworden.
Diese können durch die Leiharbeit einfach ihr betriebs-
wirtschaftliches Risiko auf die Beschäftigen übertragen.
Schwächelt die Konjunktur, sind die Leiharbeitskräfte
die ersten, die hinausgeworfen werden und auf staatliche
Unterstützungsleistungen angewiesen sind. Diese Form
der Beschäftigung ist meiner Meinung nach nicht mit ei-
ner sozialen Marktwirtschaft zu vereinbaren. Sozial ist
nicht, was Arbeit schafft, sondern sozial ist, was gute
Arbeit schafft.
Kritikwürdig finde ich auch, dass die Bundesagentur
für Arbeit immer mehr in Leiharbeit vermittelt, und
dies, obwohl die meisten Leiharbeitskräfte – dabei geht
es um Singlehaushalte und nicht um Familien – zusätz-
lich ergänzendes Arbeitslosengeld II erhalten. Hier liegt
die Leiharbeitsbranche weit vor allen anderen Branchen.
Dennoch wirbt die Bundesagentur für Arbeit auf ihrer
Homepage dafür – ich zitiere nochmals –:
Wenn Ihnen der Einsatz bei verschiedenen Arbeit-
gebern und Branchen gefällt, können Sie die Zeitar-
beit zu Ihrem Dauerjob machen.
Ich finde das zynisch. Die BA sollte ihren Job endlich
ernst nehmen und die Menschen in reguläre Beschäfti-
gung vermitteln.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir Grünen
sind kritisch, aber auch selbstkritisch. Ich habe hier
schon einmal gesagt, dass die Reform der Leiharbeit un-
ter Rot-Grün ein Fehler war. Fehlentwicklungen können
und müssen aber korrigiert werden. Die Verantwortung
dafür liegt jetzt leider nicht bei uns, sondern bei Ihnen,
bei den Regierungsfraktionen und der Bundesregierung.
Hören Sie von den Regierungsfraktionen endlich auf,
immer nur zu sagen, dass die Entwicklung durch Rot-
Grün entstanden ist.
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Auch die Argumentation, die ich immer wieder höre,
ass 1 Million Leiharbeitskräfte lediglich 3 Prozent der
eschäftigten entsprechen, kann ich nicht gelten lassen.
ntscheidend sind die Dynamik in der Branche und die
olgen auf dem Arbeitsmarkt, vor allem mit Blick auf
ie Freizügigkeit. Der Schutz der arbeitenden Men-
chen und die soziale Gerechtigkeit gehen durch die
eiharbeit immer mehr verloren. Die Wohlstandsver-
prechen der sozialen Wirtschaft, dass in Krisenzeiten
lle gleichermaßen abgesichert sind und am Wachstum
erecht beteiligt werden, werden in der Realität immer
eltener eingelöst. Fairness und soziale Verantwortung
ehen für mich anders aus.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Re-
ierungsfraktionen, nehmen Sie die Fakten endlich ernst.
egreifen Sie endlich, dass es nicht nur um ein bisschen
issbrauchsbekämpfung geht, sondern um viel mehr. Es
eht um einen grundsätzlichen Korrekturbedarf im Be-
ich der Leiharbeit. Kommen Sie zu Potte, und machen
ie endlich den Weg frei für reguläre Beschäftigung und
ire Löhne.
Das ist nicht nur der Wunsch der Opposition, sondern
uch der Wunsch der Bevölkerung. Umfragen haben er-
eben, dass 60 Prozent der Deutschen die Leiharbeit ab-
hnen und 87 Prozent die ungleiche Bezahlung für un-
erecht halten. Gleiches Geld für gleiche Arbeit – das
ntspricht dem Gerechtigkeitsgefühl der Menschen. Dies
ollte auch ein Zeichen für die Regierung sein.
Wenn die Meinung der Bevölkerung für Sie nicht
ählt, dann nehmen Sie doch wenigstens erfahrene Poli-
ker aus den Reihen der CDU ernst, beispielsweise
orbert Blüm, der Schirmherr der Initiative „Gleiche
rbeit – Gleiches Geld“ ist. Seinen Einsatz begründet er
amit, dass das deutsche Wirtschaftswunder durch Inno-
ation und Qualität entstanden ist und nicht durch Be-
chäftigung bei weniger Rechten und zu Dumpinglöh-
en. Recht hat er. Unsere Gesellschaft ist nur tragfähig,
enn möglichst viele Menschen einen Arbeitsplatz ha-
en, bei dem sie so viel verdienen, dass sie davon leben
önnen – ohne staatliche Unterstützung –, und bei dem
ie die gleichen Rechte und die gleichen Sicherheiten ha-
en wie alle anderen auch. Alles andere ist unsozial und
ntspricht nicht der Würde des Menschen.
Zum Schluss möchte ich ganz kurz Norbert Blüm zi-
eren: „Made in Germany ist nicht der Begriff für bil-
g!“
Vielen Dank.
9204 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
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