Rede von
Christoph
Strässer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen!
Die Religionsfreiheit ist Gegenstand heftiger Aus-
einandersetzungen geworden, bei denen es sowohl
um die praktische Umsetzung als auch um Grund-
satzfragen geht. Dafür politische Aufmerksamkeit
zu investieren, lohnt sich. Denn als Menschenrecht
zielt die Religionsfreiheit in letzter Konsequenz auf
die wirksame Anerkennung von Würde, Freiheit
und Gleichheit aller Menschen.
Dies ist ein Zitat aus einer kürzlich erschienenen Veröf-
fentlichung von Heiner Bielefeldt, der seit einigen Mo-
naten Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für
Fragen der Religionsfreiheit ist. Ich glaube, diesem Zitat
kann jeder in diesem Hause zustimmen. Es ist gut, dass
wir heute über dieses Thema diskutieren. Auch ich freue
mich über die Anwesenheit der Repräsentanten vieler
christlicher Glaubensgemeinschaften, die ich im Namen
der SPD-Fraktion ganz herzlich begrüße.
Die Freude über diese Tatsache wäre allerdings noch
größer, wenn wir hier auch Angehörige anderer Glau-
bens- und Weltanschauungsgemeinschaften begrüßen könn-
ten. Viele können deshalb nicht hier sein, weil sie wegen
ihres Glaubens verfolgt werden, weil sie inhaftiert sind
und um ihr Leben fürchten müssen, und das allein, weil
sie sich zu einem Glauben bekennen oder für sich in An-
spruch nehmen, nicht zu glauben, keinem Bekenntnis an-
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Ich denke hier insbesondere – darauf möchte ich hin-
eisen – an sieben führende Mitglieder der iranischen
ahai-Gemeinde, deren Aufgabe es ist, die sozialen und
ligiösen Belange der circa 300 000 Bahai im Iran zu
oordinieren. Sie sind seit März 2008 inhaftiert, zum
eil in Isolationshaft im berüchtigten Evin-Gefängnis in
eheran. Sie blieben 20 Monate ohne Anklage in Haft
nd wurden im Juni dieses Jahres nach wenigen Ver-
andlungstagen ohne jegliche Beweise und ohne den
nschein eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu 20 Jah-
n Haft verurteilt.
Die Bahai sind eine kleine Gemeinschaft, eine Ge-
einschaft, die wie kaum eine andere seit ihrer Grün-
ung von den Gedanken der Friedfertigkeit und Toleranz
eleitet wurde. Gerade weil es nur eine vergleichsweise
leine Gruppe ohne große Lobby ist, gilt, dass wir uns
rer Interessen annehmen und um unserer eigenen
laubwürdigkeit willen die uneingeschränkte und re-
ressionsfreie Ausübung ihres Glaubens weltweit einfor-
ern müssen.
Ich freue mich, dass ich auf der Tribüne auch Ange-
örige des Nationalen Geistigen Rates der Bahai in
eutschland sehe. Auch Ihnen ein herzliches Willkom-
en hier im Deutschen Bundestag!
Religionsfreiheit ist – das ist von Ihnen, Herr Kol-
ge Kauder, zu Recht angesprochen worden – ein indi-
iduelles Menschenrecht. Es ist nahezu weltweit im In-
rnationalen Pakt über die bürgerlichen und politischen
echte verbürgt, der seit 1966 von der überwiegenden
ehrzahl der Staaten ratifiziert wurde. Religions- und
eltanschauungsfreiheit ist damit nichts, das von Staa-
n gewährt wird. Nein, es handelt sich um ein Recht,
uf das ein jeder Mensch einen Anspruch hat.
Obwohl dies so ist, können viele Menschen weltweit
ren Glauben nicht frei ausüben. Das hat viele Ursachen
nd Ausprägungen. Es gibt Konflikte und gewalttätige
useinandersetzungen zwischen religiösen Gruppen,
um Beispiel immer wieder zwischen Muslimen und
hristen in Nigeria. In Indien werden christliche Kir-
hen durch hinduistische Fanatiker zerstört, ohne dass
er Staat Schutz gewährt. Das Thema Irak haben Sie be-
9172 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Christoph Strässer
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reits angesprochen. Im Bürgerkrieg in Sri Lanka haben
singhalesische Mönche mit Hetzkampagnen gegen Ta-
milen eine verheerende Rolle gespielt.
Wir weisen darauf hin – das kann man auch nachlesen –,
dass religiös begründete Konflikte und die Verfolgung
religiöser Minderheiten weltweit stark zunehmen. In
über 60 Ländern weltweit ist die Religionsfreiheit stark
eingeschränkt. Doch dabei – auch das möchte ich sagen –
geht es oft nur vordergründig um Religion. Unterschied-
lichste politische Motive, soziale Ungleichheit und kul-
turelle Differenzen bilden zumeist die tatsächlichen Ur-
sachen. Die Leidtragenden sind meist Angehörige
religiöser Minderheiten. Sie werden diskriminiert, ver-
folgt, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt oder sogar
getötet. Das darf uns nicht unberührt lassen. Deshalb bin
ich sehr froh darüber, dass wir heute so umfassend über
dieses Thema diskutieren.
Ich möchte noch ein weiteres Thema ansprechen, das
uns auch in unserer Außenpolitik ein Stück weit angeht.
Es geht um folgende Frage: Wie stehen wir dazu, dass in
bestimmten Staaten, insbesondere islamischer Prägung,
der Religionswechsel unter Strafe steht? Nach unserer
Auffassung – ich glaube, das ist seit vielen Jahren Kon-
sens in den Vereinten Nationen; es gibt einen sogenann-
ten General Comment dazu – ist ein Bestandteil der Reli-
gionsfreiheit die Freiheit, die Religion repressionsfrei zu
wechseln.
In einigen islamischen Staaten, insbesondere in Pakis-
tan, in Saudi Arabien, aber leider Gottes auch in Afgha-
nistan – deshalb habe ich auf unsere Außenpolitik hinge-
wiesen – wird der Abfall vom Islam, die Apostasie,
immer noch mit der Todesstrafe geahndet. Über dieses
Thema sollten wir hier im Deutschen Bundestag disku-
tieren, und darüber hinaus sollte die Bundesregierung in
all ihren Bemühungen, gerade in Afghanistan, dafür sor-
gen – dies ist meine ganz herzliche Bitte –, dass in die-
sen Ländern die unmenschliche Todesstrafe abgeschafft
wird. Sie darf erst recht nicht angewandt werden, wenn
Menschen das tun, was ihnen in weltweiten Vereinba-
rungen zugebilligt worden ist. Das kann nicht sein. Das
müssen wir in unseren internationalen Gesprächen im-
mer wieder anführen.
Ich möchte noch kurz die Gelegenheit nutzen, darauf
hinzuweisen, dass auch in Europa zunehmend über Fra-
gen von Religionsfreiheit und Diskriminierung reli-
giöser Minderheiten gestritten wird. Ich nenne nur ei-
nige Themen: das Tragen der Burka in Belgien, religiöse
Symbole in bestimmten Schulen in Italien, das Tragen
des Kopftuchs an französischen Schulen, also in einem
laizistischen Staat. Ich nenne bewusst auch das Thema
„Volksabstimmung in der Schweiz über ein Minarettbau-
verbot“. Ich weiß, das alles spielt sich auf einem anderen
Niveau ab. Aber ich warne davor, zu denken, dass die
Religionsfreiheit in Europa nicht zur Diskussion steht.
Auch wir streiten. Ich möchte nicht wissen, wie eine
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