Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
nd Kollegen! Als 1989 in Leipzig und anderswo die
enschen auf die Straße gegangen sind und wenig spä-
r in Berlin die Mauer gefallen ist, war ich neun Jahre
lt. Ob man heute sagt, das ist lange her, oder nicht: Aus
einer Perspektive war das vor einem Großteil meines
ebens.
Ich kann mich trotz meines damaligen jungen Alters
och sehr gut daran erinnern, wie es in der DDR ausge-
ehen hat, in welchem Zustand die Straßen und die Infra-
truktur waren, was man gegessen hat, was man konsu-
iert hat und mit was man durch die Gegend gefahren
t. Ich kann mich auch noch gut an die Einschränkung
er Lebensqualität erinnern, zu der die massive Umwelt-
erstörung geführt hat.
Die DDR hatte für mich einen spezifischen Geruch.
s roch nach Trabbi.
meinem Heimatdorf roch es nach Gülle.
9232 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Daniela Kolbe
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Seither hat sich unglaublich viel verändert und ver-
bessert. Jeder, der durch Leipzig, Bautzen oder Schwerin
schlendert – das kann ich allen nur herzlich empfehlen –,
wird dem zustimmen. Überall ist die Infrastruktur sehr
gut ausgebaut. In 20 Jahren wurde durch die Solidarität
der alten Länder und durch die Aufbauleistung der Men-
schen in den neuen Ländern Beachtliches geschaffen.
Darauf können wir alle miteinander sehr stolz sein.
Doch nicht alles ist rosig, und nicht in allen Punkten
sind die alten und die neuen Länder gleich. Es gibt noch
große Unterschiede. Das will ich nicht bewerten. Ich will
einfach nur sagen: Es gibt Unterschiede. Die neuen Län-
der sind anders. Aber wir müssen uns als Politiker
immer wieder aufs Neue fragen, wie wir für die Gleich-
wertigkeit der Lebensverhältnisse und die Chancen-
gleichheit eintreten können. Einige Beispiele für die Un-
terschiede sind schon genannt worden.
Beispiel Wirtschaftsstruktur. In den neuen Ländern
gibt es einen anderen Branchenmix. Der öffentliche
Dienst ist deutlich wichtiger, wenn es um Beschäftigung
geht. Es gibt deutlich weniger Stammsitze großer Unter-
nehmen, und es gibt immer noch zu wenig mittelständi-
sche Betriebe. Gleichzeitig gibt es eine stark verfestigte
Langzeitarbeitslosigkeit.
Für die Zukunftsfähigkeit der neuen Länder ist auch
die Forschungstätigkeit wichtig. Auch dabei gibt es Un-
terschiede. Im Osten dieses Landes wird leider immer
noch deutlich weniger in den Unternehmen geforscht.
Das liegt auch an der Größe der Unternehmen. Erfreu-
lich ist dagegen die stark aufgeblühte Forschungsland-
schaft in den Universitäten und außeruniversitären For-
schungseinrichtungen. Dieser Bereich ist auch weiterhin
auf öffentliche Mittel angewiesen. Sie haben es bereits
angesprochen: 2013 werden die Mittel der europäischen
Strukturfonds wegbrechen. Die Frage ist: Was kommt
danach?
Ein weiteres Beispiel ist der Zustand der Demokratie.
Obwohl vor 20 Jahren Zehntausende in den neuen Län-
dern ihr Leben riskiert haben, als sie für die Demokratie
auf die Straße gegangen sind, müssen wir feststellen,
dass die Zustimmung zur Demokratie in den neuen Län-
dern geringer ist als in den alten. Das ist ein beunruhi-
gender, ja verheerender Befund. Ebenso verhält es sich
bei dem Thema Rechtsextremismus. In den neuen Län-
dern ist das ein großes Problem; zwar nicht nur dort,
aber gerade dort.
Beispiel Demografie. Nach der Wiedervereinigung
haben wir eine dramatisch gesunkene Geburtenrate er-
lebt und danach eine dramatische Abwanderung gerade
von jungen Menschen. Deshalb wird der dramatische de-
mografische Wandel im Osten jetzt schon deutlich. Das
ist ein Punkt – Herr de Maizière, hier möchte ich einen
Wunsch an Sie loswerden –, an dem man von Ost-
deutschland lernen kann. Hier werden Phänomene deut-
lich, die im Osten nur vorweggenommen sind. Sie wer-
den in den alten Ländern auch noch zum Tragen
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Hier kann ich nur sagen: Wir erwarten vom zuständi-
en Minister, dass er die Spezifika der neuen Länder er-
ennt
nd seinen Ministerkollegen und den Zuständigen in den
lten Ländern deutlich macht, wo man von den neuen
ändern lernen kann. Vor allem aber erwarten wir, dass
homas de Maizière weiter hart und sichtbar an der An-
leichung der Lebensverhältnisse arbeitet. Genug zu tun
ibt es; das habe ich bereits ausgeführt. Ein wirklich ak-
ver und sichtbarer Minister, der sich immer wieder
eutlich für die neuen Länder positioniert, wäre wirklich
chick, um es ganz salopp auszudrücken. Leider sehen
ir derzeit wenig davon. Das „leider“ möchte ich dabei
ick unterstreichen.
s hapert offenbar noch an der Koordinierung der ein-
elnen Ministerien mit dem BMI, wenn es um das
hema Aufbau Ost geht. Das Mindeste, das wir als SPD
rwarten, ist, dass diese Regierung keine Politik gegen
ie neuen Länder macht.
chaut man auf die aktuelle Regierungspolitik, dann be-
ommt man ein mulmiges, ja ein beängstigendes Gefühl.
Beispiel Sozialkürzungen. Wenn man einen Blick in
en Sozialatlas des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes
irft, dann könnte man meinen, dass es die DDR immer
och gibt, so deutlich sichtbar ist die ehemalige deutsch-
eutsche Grenze. Dieser Sozialatlas zeigt – für die, die
s nicht wissen –, wo die schwarz-gelben Sozialkürzun-
en wie stark ausfallen. Die neuen Länder sind hiervon
einem dramatischen Ausmaß stärker betroffen als die
lten Länder.
Beispiel Stadtentwicklung. Die Bundesregierung legt
ie Axt an wichtige Stadtentwicklungselemente, wie
twa die Programme „Soziale Stadt“ oder „Stadtumbau
st“. Das betrifft besonders die vom Strukturwandel be-
offenen neuen Länder.
Beispiel aktive Arbeitsmarktpolitik. Die dramatischen
ürzungen, die Sie gerade beschlossen haben, treffen na-
rlich – das ist ganz plausibel – die Regionen, in denen
ie Arbeitslosigkeit besonders hoch ist. Diese Regionen
egen – das hat sogar Herr de Maizière gesagt – in den
euen Ländern. Sie haben nicht nur gekürzt, Sie haben
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Daniela Kolbe
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auch strategisch umgesteuert. Zukünftig soll aktive Ar-
beitsmarktpolitik vor allen Dingen dann greifen, wenn
Menschen an den ersten Arbeitsmarkt herangeführt wer-
den können. Leider gibt es aber aufgrund der verfestigten
Langzeitarbeitslosigkeit gerade in den neuen Ländern
viele Menschen mit mehrfachen Vermittlungshemmnis-
sen. Was passiert eigentlich mit denen?
– Ich glaube auch, sie werden abgeschrieben.
Wo sollen sie denn hin? Was wird mit ihnen passie-
ren? Sie gehen zurück hinter die Gardinen in ihre Woh-
nung. Das ist ein Skandal.
Ich glaube, das Ganze wird eine echte Katastrophe
mit allen sozialen Konsequenzen, die damit zusammen-
hängen. Mir graut ehrlich gesagt schon vor dem Jahr
2011, wenn ich an diese Menschen denke. Mir graut aber
auch, wenn ich an die Vereine und Verbände denke, die
auf diese Menschen angewiesen sind.
Letztes Beispiel, Flächenerwerbsänderungsgesetz. Ich
habe ja noch gehofft, dass es anders kommen wird. Vor ei-
ner Stunde aber wurde dieses Gesetz beschlossen. Hier
betreibt die Bundesregierung Klientelpolitik zulasten der
neuen Länder.
Für die Landwirtschaft befürchten wir dramatische Aus-
wirkungen. Für die öffentliche Hand sind Mindereinnah-
men von circa 1 Milliarde Euro zu befürchten.
Liebe Grüne – das kann ich Ihnen leider nicht erspa-
ren –, in einem Entschließungsantrag zu diesem Thema,
in dem wirklich viel Gutes steht, schreiben Sie unter an-
derem folgenden richtigen Satz:
Auswüchse der Bodenspekulation bzw. -konzentra-
tion müssen vermieden werden.
Das ist ein richtiger Satz. Sie haben vorhin dem Flächen-
erwerbsänderungsgesetz zugestimmt.
– Das hat sehr wohl damit zu tun.
Wir würden uns wünschen, dass Sie die Interessen der
neuen Länder stärker berücksichtigen.
Zusammenfassend möchte ich sagen: In 20 Jahren
wurde von den Menschen, den Unternehmen und der
Politik viel erreicht. Es geht darum, diesen Prozess aktiv,
energisch und öffentlich weiterzuführen. Da sehe ich bei
Schwarz-Gelb im Moment leider schwarz.
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