Rede von
Volker
Beck
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ko-
alition, SPD und Grüne haben Anträge zu dieser Debatte
vorgelegt. Wir werden dem Antrag der Koalition zustim-
men,
weil er viel Wahres enthält, aber wir haben einen Ände-
rungsantrag gestellt – darin werden mehrere Änderungen
vorgeschlagen –, weil er eben nur die halbe Wahrheit
enthält.
Das Problem bei Ihrem Ansatz, meine Damen und
Herren von der Koalition, ist die Fokussierung auf die
verfolgten Christen.
Bei dem Grundanliegen sind wir an Ihrer Seite; wir wol-
len aber stärker deutlich machen, dass es um die Verfol-
gung aller Glaubensrichtungen geht. Überall da, wo
Menschen wegen ihrer Glaubensüberzeugung, ihres
Glaubenswechsels oder ihrer Missionstätigkeit verfolgt
werden, müssen wir aufstehen und die Freiheit dieser
Menschen verteidigen – ohne Ansehen des Bekenntnis-
ses.
Ich glaube, wir leisten den verfolgten Christen in aller
Welt eigentlich einen Bärendienst, wenn wir den Ein-
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iese Freiheit müssen wir verteidigen. Wir können sie
ber glaubwürdig nur verteidigen, wenn wir das in Be-
ug auf jede Glaubensüberzeugung tun und nicht nur aus
er christlichen Missionsperspektive.
Ich möchte einen anderen Punkt ansprechen, der in
rem Antrag völlig fehlt. Zur Glaubensfreiheit gehö-
n drei wesentliche Elemente: die individuelle Glau-
ensfreiheit – die Freiheit, seiner Überzeugung gemäß
ben zu können –, die kollektive Glaubensfreiheit – die
reiheit, seine Religion als Glaubensgemeinschaft ge-
einsam ausüben und öffentlich leben zu können –, aber
uch die negative Glaubensfreiheit – nicht glauben zu
üssen, was die Mehrheit in einem Land glaubt. Da ha-
ert es in Ihrem Antrag.
Das ist ganz entscheidend mit Blick auf die Verfol-
ung von Christen in mehrheitlich muslimischen Gesell-
chaften; denn dort geht es genau darum, dass diese
hristen nicht dem Islam gemäß leben müssen, nur weil
ie in einer mehrheitlich islamischen Gesellschaft leben.
enn wir diese negative Glaubensfreiheit schon in unse-
r Debatte unterbelichten, müssen wir uns nicht wun-
ern, wenn sie auch in anderen Ländern unterbetont
ird.
Meine Damen und Herren, ich will auf die Türkei zu
prechen kommen. Wir führen ja Beitrittsverhandlungen
it der Türkei. Die Türkei respektiert nach dem Lausan-
er Vertrag nur zwei christliche Glaubensgemein-
chaften, nämlich die griechisch-orthodoxe und die
rmenisch-apostolische Kirche, und die jüdische Glau-
ensgemeinschaft. Die Protestanten und Katholiken
erden dort offiziell nicht anerkannt. Die Ausbildung
on Pfarrern ist nicht möglich. Die Einreise von Pfarrern
us dem Ausland wird erschwert, auch von Pfarrern der
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010 9181
Volker Beck
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orthodoxen Kirche. Das dürfen wir der Türkei als einem
befreundeten Land nicht durchgehen lassen.
Wir müssen deutlich machen: Wir fordern gleiche
Rechte für die Christen in der Türkei.
Aber wir fordern selbstverständlich auch gleiche
Rechte für die Aleviten; sie sind keine Christen. Sie bil-
den die größte religiöse Gruppe neben dem sunnitischen
Islam in der Türkei.
Wir verlangen von der Türkei auch, dass die Cem-Häu-
ser mit den Moscheen gleichgestellt werden und die
Zwangsassimilierung an den sunnitischen Islam von ale-
vitischen Kindern in der Schule aufhört, wie das auch
der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte von
Ankara gefordert hat.
In vielen muslimischen Ländern, zum Beispiel im
Iran oder auch in Ägypten, sehen wir, dass die Hauptlast
der Verfolgung nicht die christlichen Religionen und
Kirchengemeinschaften trifft, sondern die Bahai; denn
aus Sicht des Islam darf nach Mohammed kein neuer
Prophet, kein Glaubensgründer auftreten. Mit den klassi-
schen Buchreligionen, dem Judentum und dem Christen-
tum, kommt der Islam schon im Koran zurecht, weil sie
als Vorläufer des Islam gelten. Aber die Bahai, die mit
Bab und Bahaullah einen Glaubensgründer aus dem
19. Jahrhundert haben, werden massiv verfolgt. Wir wa-
ren auf Anregung der CDU/CSU-Fraktion – Frau
Granold sitzt da – in Ägypten und haben uns auf die Su-
che nach den verfolgten koptischen Christen gemacht.
Was wir gefunden haben, waren in der Tat diskriminierte
koptische Christen, aber auch massiv verfolgte Bahai,
Oppositionelle, Blogger und Journalisten. Wir dürfen
nicht immer nur bei den Christen laut aufschreien und
bei den anderen wegschauen.
Ein Bahai in Ägypten hat keinen zivilen Status. Er kann
keine Urkunden vorweisen und hat kein Bankkonto, er
kann keine Verträge abschließen, seine Kinder nicht zur
Schule schicken und keine Sozialversicherung abschlie-
ßen. Das ist eine Vernichtung der sozialen individuellen
Existenz aus Glaubensgründen, und dagegen müssen wir
massiv aufstehen.
In Ihrem Antrag steht etwas zu Ägypten, aber nur zu
den koptischen Christen.
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Ich werbe wirklich darum, dass wir hier den Fokus
eu ausrichten, dass wir die Verfolgung der Christen in
ller Welt im Rahmen der religiösen Verfolgung insge-
amt thematisieren. Dann sind wir glaubwürdig. Und
enn wir glaubwürdig sind, können wir mehr für die
erfolgten Glaubensbrüder und -schwestern erreichen,
ls wenn wir uns, innenpolitisch motiviert, allein auf die
hristenverfolgung kaprizieren.