Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Auch ich bedanke mich bei den auf der Tribüne versam-
melten Vertretern der christlichen Kirchen, aber auch bei
den Vertretern anderer Religionsgemeinschaften, die
heute hier bei uns sind und dieser Debatte folgen, für Ihr
Kommen. Sie belegen eindrucksvoll die Vielfalt der Re-
ligiosität in Deutschland und darüber hinaus und die
Wichtigkeit der Debatte, die wir heute führen.
Ein Schwerpunkt der Koalition bei dieser Debatte
liegt auf dem Thema Christenverfolgung. Wikipedia
definiert diesen Begriff als „die systematische gesell-
schaftliche und/oder staatliche Benachteiligung und
existenzielle Bedrohung von Christen aufgrund ihres
Glaubens“. Der Antrag der Koalition beschreibt ebenso
wie unser Antrag die schwierige Situation vieler gläubi-
ger Christen in vielen Teilen der Welt. Die Verfolgung
von Menschen aufgrund ihres Glaubens beschäftigt uns
im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundesta-
ges, seit es diesen Ausschuss gibt; denn das Recht, die
eigene religiöse Überzeugung ohne Behinderung oder
Verfolgung ausüben zu können, ist eines der wichtigsten
Menschenrechte, wobei es fast unnötig ist, hinzuzufü-
gen, dass die Definition von Wikipedia selbstverständ-
lich nicht nur für die Christen, sondern auch für alle an-
deren Religionen auf dieser Welt gilt.
Verfolgung wegen der Religion ist ein weltweites
Phänomen; dies wurde schon dargestellt. Christen wer-
den im Iran, in Indien, China und vielen anderen Teilen
der Welt verfolgt, Muslime ebenfalls in Indien, China
und anderen Regionen. Die Bahai, auf deren Situation
mein Kollege Strässer schon sehr ausführlich eingegan-
gen ist, gehören zu den am stärksten verfolgten Religio-
nen in dieser Welt. Die Jesiden haben ebenfalls ein
schwieriges Leben im Iran. In Afghanistan haben Chris-
ten und Hindus mit vielen Einschränkungen und massi-
ver Verfolgung zu rechnen. Die Liste ließe sich unend-
lich fortsetzen.
Ich unterstreiche ausdrücklich, dass sich die Türkei
auf dem Weg nach Europa verändern muss, was die An-
erkennung auch des christlichen Glaubens, der Ausbil-
dung von Christen in der Türkei, den Bestand der Klös-
ter in Tur Abdin und dergleichen anbetrifft. Dies ist
unglaublich wichtig.
Weil sich die Situation vieler Menschen unterschiedli-
cher Religionen so gleicht, denken wir, dass der Antrag
der Koalition mit seinem Hauptfokus auf der Christen-
verfolgung und der mangelnden Religionsfreiheit außer-
halb Europas zu kurz greift, wobei ich herzlich darum
bitte, nicht inflationär mit dem Topos „Verfolgung“ um-
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Ich komme nun zur Situation der Christen im Irak;
err Kauder, Sie sind darauf eingegangen. Der Besuch
it Außenminister Westerwelle Anfang Dezember in
agdad, an dem die Kollegin Granold und ich teilge-
ommen haben, hat deutlich gemacht, dass manche
aßnahme, zum Beispiel die gezielte Aufnahme von
hristen in Deutschland und in Europa, von den christli-
hen Repräsentanten vor Ort eher skeptisch gesehen
ird. Einhellig haben uns alle hohen Würdenträger der
nterschiedlichen christlichen Kirche im Irak gebeten,
uf derartige Programme und Aktionen nur für Christen
ünftig zu verzichten, und betont, es sei wichtiger, auf
ie Regierung im Irak einzuwirken, dass die Menschen
ort bleiben können. Dies ist bei dieser Reise auch ge-
chehen. Ich freue mich sehr über die Zusage der iraki-
chen Regierung, die Christen künftig besser zu schüt-
en.
In unserem Antrag halten wir fest: Religionsfreiheit
t ein universell geltendes individuelles Menschenrecht,
as neben dem Freiheitsrecht auch ein Gleichheitsrecht
ller Menschen ist, das sich aus der gleichen Würde aller
enschen ableitet. Nutznießer sind nicht Religionen – das
t schon gesagt worden –, sondern die Menschen, unab-
ängig von ihrer religiösen und weltanschaulichen Über-
eugung. Wir dürfen deshalb nicht vergessen, uns mit
er Situation im eigenen Land und der Situation in der
uropäischen Union auseinanderzusetzen.
Weihnachten ist – Herr Singhammer hat das ange-
prochen – ein Fest des Friedens. Ich mache mir zum
eispiel Sorgen um die Zukunft unserer vielfältigen Ge-
ellschaft, wenn in einem Weihnachtspfarrbrief einer
atholischen Kirchengemeinde in meinem Wahlkreis vor
em Islam, der uns „die vielen Einwanderer gebracht
at“, als einer „Religion der Macht“ gewarnt wird, wenn
ort auf muslimische Eroberungswellen hingewiesen
ird und die Kreuzzüge bemüht werden. Das kann man
o nicht stehen lassen. Da hilft es auch nicht, wenn der
farrer dann ein „gesegnetes, liebereiches neues Jahr“
ünscht.
Dazu passt, dass – Herr Koenigs hat das schon ange-
prochen – in einer brandneuen wissenschaftlichen Stu-
ie der Universität Münster zur religiösen Vielfalt in
9178 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Dezember 2010
Angelika Graf
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der Gesellschaft der Verfasser, Herr Professor Dr. Detlef
Pollack, berichtet, dass nur 34 Prozent der Menschen im
Westen Deutschlands und nur 26 Prozent der Bürger im
Osten positiv über Muslime denken. In den Niederlan-
den, Frankreich und Dänemark sind diese Zahlen fast
doppelt so hoch, obwohl wir misstrauisch beobachten,
welche politischen Strömungen sich dort entwickeln.
Der Aussage, religiöse Vielfalt sei bereichernd, stimmt
nur die Hälfte der bundesdeutschen Befragten zu. Das ist
ebenso erschreckend wie ein Minarettverbot in der
Schweiz. Es sind Hinweise darauf, dass auch wir uns
hier in Deutschland mit dem Thema Religions- und
Glaubensfreiheit noch intensiver befassen müssen, übri-
gens unter Einbeziehung der hier lebenden Muslime und
religiöser Minderheiten.
Wichtig ist hierbei für mich, dass der Glaube Privat-
sache ist und keinesfalls über dem Recht steht und dass
man den Glauben und den Nichtglauben des anderen vor
diesem Hintergrund akzeptiert und achtet. Dazu gehört
auch, dass jeder erst einmal vor seiner eigenen Tür kehrt
– ich verweise auf den eben erwähnten Pfarrbrief –, dass
man den Balken im eigenen Auge sucht, bevor man sich
mit dem Splitter im Auge des anderen befasst.
Wenn wir das beherzigen und die politischen Weichen
in diese Richtung stellen, dann sind wir auf einem guten
Weg. Dazu leisten wir mit unserem Antrag einen guten
Beitrag. Ich fordere Sie auf: Stimmen Sie unserem An-
trag zu!