Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rechnung des Bundesrechnungshofes
für das Haushaltsjahr 2015 – Einzel-
plan 20 –
Drucksachen 18/8460, 18/9109 . . . . . . . . . 18555 C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
a) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzesüber die Feststellung des Bundeshaus-haltsplans für das Haushaltsjahr 2017
Drucksache 18/9200 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18507 Bb) Unterrichtung durch die Bundesregierung:Finanzplan des Bundes 2016 bis 2020Drucksache 18/9201 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18507 CEinzelplan 11Bundesministerium für Arbeit und SozialesAndrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . 18555 DDr . Gesine Lötzsch . . . . . . . . . 18558 CKarl Schiewerling . . . . . . . . . . . 18559 D
Karl Schiewerling . . . . . . . . . . . 18562 CMatthias W . Birkwald . . . . . . . 18562 DKarl Schiewerling . . . . . . . . . . . 18563 B
Ewald Schurer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18564 DKlaus Ernst . . . . . . . . . . . . . . . 18566 BStephan Stracke . . . . . . . . . . . . . 18567 C
Ralf Kapschack . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18570 DMark Helfrich . . . . . . . . . . . . . . . 18572 AWaltraud Wolff (SPD) . . . . . . . 18573 DAxel E . Fischer
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18574 D
Einzelplan 10Bundesministerium für Ernährung undLandwirtschaftChristian Schmidt, Bundesminister BMEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18576 DDr . Kirsten Tackmann . . . . . . . 18579 CRainer Spiering . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18581 A
Alois Gerig . . . . . . . . . . . . . . . . . 18583 BKarin Binder . . . . . . . . . . . . . . 18585 BJohann Saathoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18586 D
Thomas Mahlberg . . . . . . . . . . . 18589 C
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 187 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 8 . September 2016 III
Ursula Schulte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18591 C
Cajus Caesar . . . . . . . . . . . . . . . . 18593 CDr . Karin Thissen . . . . . . . . . . . . . . . . . 18595 DRita Hagl-Kehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18596 BEinzelplan 17Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und JugendManuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18597 CMichael Leutert . . . . . . . . . . . . 18599 CNadine Schön (CDU/CSU) . . . . 18600 C
Dr . Carola Reimann . . . . . . . . . . . . . . . 18604 ANorbert Müller (DIE LINKE) . . . . 18605 AMarcus Weinberg (CDU/CSU) . . . 18606 C
Ulrike Gottschalck . . . . . . . . . . . . . . . . 18610 ASylvia Pantel . . . . . . . . . . . . . . . 18611 CSönke Rix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18613 CAlois Rainer . . . . . . . . . . . . . . . . 18614 DNächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18616 CAnlageListe der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 18617 A
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187. SitzungBerlin, Donnerstag, den 8. September 2016Beginn: 9 .01 Uhr
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sieherzlich zu unserer 187 . Sitzung in der laufenden Le-gislaturperiode . Bevor ich in die Tagesordnung eintrete,möchte ich dem Kollegen Wolfgang Gehrcke herzlichzu seinem heutigen 73 . Geburtstag gratulieren .
Ein schönerer Austragungsort für einen Geburtstag alsdieser Saal lässt sich schwerlich denken. Ich hoffe, dasbeflügelt Sie für den weiteren Verlauf des neuen Lebens-jahres .Interfraktionell ist vereinbart worden, den Entwurfeines Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbe-helfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- undvölkerrechtliche Vorgaben auf der Drucksache 18/9526als Zusatzpunkt ohne Debatte zusammen mit dem Tages-ordnungspunkt 2 aufzurufen .Darüber hinaus soll der bereits überwiesene Entwurfeines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Elektro-mobilität im Straßenverkehr auf der Drucksache 18/8828nachträglich auch dem Ausschuss für Bildung, For-schung und Technologiefolgenabschätzung zur Mitbera-tung überwiesen werden .Können wir uns darauf verständigen? – Das sieht soaus . Dann ist das so beschlossen .Nun können wir die Haushaltsberatungen – Tagesord-nungspunkt 1 – fortsetzen:a) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes über die Feststellung des Bundeshaus-haltsplans für das Haushaltsjahr 2017
Drucksache 18/9200Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschussb) Beratung der Unterrichtung durch die Bun-desregierungFinanzplan des Bundes 2016 bis 2020Drucksache 18/9201Überweisungsvorschlag: HaushaltsausschussWir haben am Dienstag für die heutige Ausspracheeine Redezeit von insgesamt achteinhalb Stunden be-schlossen .Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Wirtschaft und Energie, Einzel-plan 09.Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Wirt-schaft und Energie, Sigmar Gabriel .
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirhaben in den letzten Tagen viel über Verunsicherung inDeutschland gesprochen . Allerdings gibt es auch einenlangjährigen Grund für Verunsicherung, den wir erfolg-reich zurückdrängen konnten, nämlich die Sorge um denArbeitsplatz; denn die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wieseit 25 Jahren nicht mehr. Ich finde, gerade in dieser auf-gewühlten Zeit ist das ein politischer Erfolg, den man garnicht hoch genug einschätzen kann .
43,5 Millionen Menschen finden Arbeit in unse-rem Land, so viele wie noch nie in der Geschichte derRepublik . Das zeigt, worauf es ankommt: Weil unse-re Wirtschaft jedes Jahr solide gewachsen ist, sind dieEinnahmen des Staates und der Sozialversicherungengestiegen . Unsere Aufgabe muss es deshalb sein, diesenerfolgreichen Pfad fortzusetzen und dafür zu sorgen, dasses dabei bleibt . Nach Raten von nur 0,4 und 0,3 ProzentWirtschaftswachstum in den Jahren 2012 und 2013 hatDeutschland zu Beginn dieser Legislaturperiode 1,6 Pro-zent erreicht, und in diesem Jahr werden vermutlich1,7 Prozent erreicht . Noch wichtiger aber ist, dass ent-
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gegen manchen öffentlichen Behauptungen die Zahl pre-kärer Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland nichtsteigt, sondern sinkt, während die Zahl der sozialversi-cherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse jedesJahr steigt .
Das ist nicht irgendwelche Arbeit, sondern Arbeitmit steigenden Einkommen. Die Tariflöhne sind in denletzten Jahren endlich wieder gestiegen . Wir haben unssehr darum bemüht, die Tarifverträge wieder in den Mit-telpunkt der Politik zu bringen . Wir haben Reallohnzu-wächse für die arbeitende Mitte der Gesellschaft . Wennsich Arbeit und Anstrengung lohnen, dann ist das ver-mutlich der stärkste Stabilitätsanker für unser Land, undnicht nur das . Weil Arbeit da ist und weil Löhne steigen,haben wir die höchste Rentenerhöhung seit 20 Jahren indiesem Land .
In der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik muss dieBundesregierung also irgendetwas richtig gemacht ha-ben .Demjenigen, der es ganz handfest haben will, will icheine einfache Zahl nennen: Im Durchschnitt hat heute je-der Arbeitnehmer jedes Jahr rund 1 000 Euro mehr imPortemonnaie als zu Beginn dieser Legislaturperiode .Keine Frage: Wenn der Durchschnitt des verfügbaren Ar-beitnehmereinkommens um 1 000 Euro im Jahr gestie-gen ist, heißt das auch, dass nicht alle davon profitieren.Auch das gehört zur Wahrheit: Immer noch arbeiten zuviele Menschen, vor allen Dingen im Dienstleistungs-sektor, zu schlechten Löhnen . Zu viele sind auf schlechtbezahlte Leih- und Zeitarbeit und auf Werkverträge an-gewiesen . Deshalb dürfen wir uns mit dem Erreichtennatürlich nicht zufriedengeben . Mit der Eingrenzungvon Leih- und Zeitarbeit und von Werkverträgen, die dieBundesarbeitsministerin Andrea Nahles vorangebrachthat, sind wir auf dem richtigen Weg .
Meine Damen und Herren, hinter all diesen Zahlensteckt aber etwas noch viel Grundsätzlicheres: Der Wertder Arbeit in Deutschland ist wieder gestiegen . Leistung,auch Lebensleistung, findet Anerkennung. Das ist fürunsere Gesellschaft ein Signal von überragender Bedeu-tung . Denn das Signal, dass die soziale Marktwirtschaftversucht, ihr Leitbild „Wohlstand für alle“ wieder zu er-reichen, ist gerade in solchen Zeiten, in denen wir jetztleben, wichtig .Soziale Marktwirtschaft ist eben nicht Hilfe für dieSchwächsten – diese Umdeutung zur Caritas haben dieNeoliberalen und die sogenannte Initiative Neue Sozia-le Marktwirtschaft über Jahrzehnte durchzusetzen ver-sucht –, sondern soziale Marktwirtschaft ist der Aufrufzu gerechter Teilhabe am Haben und Sagen derjenigen,die die Werte in der Gesellschaft jeden Tag hart erarbei-ten .
Das Versprechen der sozialen Marktwirtschaft ist nicht,dass die Schwächsten nicht unter die Räder geraten sol-len, sondern – ich wiederhole es – das Versprechen istWohlstand für alle .
– Ja, aber man muss eben mehr als die Klappentexte le-sen .
– Leute, ich rate euch, zu lesen, was die Ordoliberalenzur Erbschaftsteuer gesagt haben .
Das würde ich, wie gesagt, einmal nachlesen .
Die fanden, dass eine zu hohe Erbschaft eigentlich leis-tungsloses Einkommen ist,
das Marktversagen produziert .
Manchmal hätte ich mir gewünscht, ich könnte einesolche Rede in Anwesenheit der FDP halten . Aber ichsage einmal: Dass sie es jetzt nicht hört, ist auch nichtschlimm .
Meine Damen und Herren, ich glaube, dass die Rich-tung wieder stimmt . Ich sage ganz ausdrücklich: Die Ar-beit der Großen Koalition in den letzten drei Jahren hatDeutschland drei gute Jahre gebracht .
Ich bin weit davon entfernt, das als Selbstverständlich-keit zu betrachten . Im Gegenteil: Gerade weil es ganzgut läuft, darf man nicht selbstzufrieden und zu selbstsi-cher werden . Wenn wir auch 2025 noch sozial sicher undkulturell vielfältig leben wollen, müssen wir jetzt erneutanpacken, um die wirtschaftliche Dynamik zu erhalten .Wirtschaftlicher Erfolg ist gewiss nicht alles . Aber ohnewirtschaftlichen Erfolg werden wir erneut soziale Vertei-lungskämpfe erleben, weit weniger Hilfe für Flüchtendebieten und weder in Europa noch anderswo helfen kön-nen . Ohne wirtschaftlichen Erfolg wäre die Stabilität un-seres Landes möglicherweise ernsthaft in Gefahr .Meine Damen und Herren, derzeit wächst unsereWirtschaft solide, trotz einer europäischen und weltpoli-tischen Umgebung der Krisen und erheblichen Risiken .Die Politik der Bundesregierung antwortet nicht zuletztauf diese Krisen und Risiken .Bundesminister Sigmar Gabriel
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Erstens tun wir dies durch höhere Investitionen . Umein Drittel ist der Investitionshaushalt in dieser Legisla-turperiode gestiegen .Zweitens haben wir die Rahmenbedingungen für denMittelstand und für junge Unternehmen deutlich verbes-sert . Wir haben einen Bürokratieabbau im Umfang von2 Milliarden Euro hinbekommen . Wir haben die Förde-rung von Wachstumsinitiativen mit Blick auf junge Un-ternehmen mit einem Volumen von rund 2 MilliardenEuro beschlossen . Wir haben die Mittel der regionalenWirtschaftsförderung und der Innovationsförderung imMittelstand ausgebaut . Übrigens: 80 Prozent der Regi-onalförderung und 40 Prozent der Mittelstandsförderunggehen nach Ostdeutschland .Drittens . Wir haben ein Integrationspaket und den Be-ginn eines neuen Solidarpakts auf den Weg gebracht, umaktive Arbeitsmarktpolitik im Hinblick auf die Aufnah-me von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt zu leisten undzugleich allen in Deutschland lebenden Langzeitarbeits-losen ein neues Angebot zu machen, um den sozialenWohnungsbau wiederzubeleben, und um die Schaffungbezahlbarer Wohnungen für alle Menschen in Deutsch-land zu ermöglichen und um die Versorgung mit Kita-plätzen auch dann zu sichern, wenn viele Kinder ausFlüchtlingsfamilien eine Betreuung brauchen .Durch die sehr gute wirtschaftliche Entwicklung hat-ten und haben wir dafür auch die finanzielle Leistungs-kraft, und zwar ohne neue Defizite, ohne Steuererhöhun-gen und ohne schwere Verteilungskämpfe . Man muss sicheinmal überlegen, was das bedeutet: 1 Million Menschenneu aufnehmen, integrieren, keine Steuererhöhungen,keine Defizite, keine schweren Verteilungskämpfe. Ichkenne kein anderes Land der Erde, das dazu so schnell inder Lage gewesen wäre .
Aber wie schnell sich die Lage auch ändern kann,zeigen schon die Zahlen, die der Bundesfinanzministeram Dienstag vorgestellt hat; denn die ausgeglichenenHaushalte seit 2014 und die Haushaltsüberschüsse imBundeshaushalt haben neben der guten wirtschaftlichenEntwicklung ja vor allem einen Hintergrund: extremniedrige Ölpreise und massiv gesunkene Zinsen . Rund20 Milliarden Euro an Zinslast spart der Bundeshaushaltpro Jahr, 122 Milliarden Euro seit 2008 .Gleichzeitig wollen wir ja eigentlich wieder höhereZinsen haben, weil sonst die privaten Vorsorgeleistungenvieler Versicherter und Sparer dauerhaft gefährdet wer-den. Bei steigenden Zinsen und steigenden Rohstoffprei-sen kann also aus dem Haushaltsplus auch schnell einHaushaltsdefizit werden. Ich bin deshalb sehr zurück-haltend mit großen Steuersenkungsversprechen . Da istin den letzten Monaten schon viel zu viel versprochenworden und am Dienstag noch mehr .
Am Anfang stand die Ankündigung, den komplettenSoli abschaffen zu wollen. Das sind 20 Millionen – –
– Entschuldigung, 20 Milliarden . 20 Millionen, das wäreschön . Das sind also 20 Milliarden Euro . Dann sollen wirden Dauerstreit der Länder lösen und mindestens 5 Milli-arden Euro netto zusätzlich dazugeben .
Und seit Dienstag gibt es dann noch einmal die Ankün-digung einer Steuersenkung um 15 Milliarden Euro . Dassind zusammen 40 Milliarden Euro, mehr als 10 Prozentdes Bundeshaushalts. Mal ganz offen: Wer soll das ei-gentlich glauben? Das werden wir nicht machen .
Wenn man es ernst meint mit Entlastung, muss manzwei Dinge tun: Erstens darf man nicht mit der Gießkan-ne über das Land ziehen und allen alles versprechen . Wirmüssen nicht alle Einkommen steuerlich entlasten, son-dern die mittleren und niedrigen . Das ist übrigens auchökonomisch sinnvoll, weil es Kaufkraft schafft. Vor al-lem für Alleinerziehende und Familien müssen wir mehrtun . Da bieten sich Sozialabgaben weitaus besser an alsSteuern, oder es wäre zum Beispiel besser, durch die Er-höhung des Betriebskostenzuschusses des Bundes dafürzu sorgen, dass überall in Deutschland die Kindertages-stättengebühren abgeschafft werden könnten.
Das wären dann nicht ein paar Euro pro Monat, sondern200 Euro und mehr pro Monat für die Familien .Zweitens sollte man solche Entlastungen nicht nur vorWahlen ankündigen, sondern sie nach Möglichkeit vorWahlen machen .
Für die SPD kann ich erklären: Wir haben die Be-reitschaft, solche gezielten Entlastungen mittlerer undniedriger Einkommen, insbesondere bei Familien undAlleinerziehenden, noch in dieser Legislaturperiode an-zupacken; das kann ich Ihnen versprechen .
Mindestens ebenso wichtig ist es aber auch, in dieVolkswirtschaft zu investieren . Wir müssen die Wett-bewerbsfähigkeit des Landes weiter verbessern . Wirmüssen dringend unsere Schulen und hier vor allem dieBerufsschulen modernisieren . Wir brauchen mehr Ganz-tagsangebote in Kitas und Schulen . Wir brauchen vor al-lem die modernste digitale Infrastruktur bis 2025 – spä-testens dann; sonst werden wir abgehängt –, und das sindGigabit-Netze, damit wir in Echtzeit Geschäftsmodelleentwickeln können .
– Das machen wir ja . Wir fangen an .
Herr Dobrindt hat sich eine gewaltige Aufgabe vorge-nommen . Er hat ein Zwischenziel bis 2018, von dem SieBundesminister Sigmar Gabriel
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noch vor der letzten Bundestagswahl gesagt haben, wirkönnten es nicht erreichen .
Also, ich finde, die Tatsache, dass man noch nicht 2025vor sich hat, sondern 2018, spricht nicht dagegen, dassman erstens etwas Vernünftiges macht und sich zweitensbessere Ziele setzt; so ist es ja nicht .
Meine Damen und Herren, das alles wird Geld kos-ten . Angesichts der gewaltigen Ausgaben der Länder undKommunen in der Flüchtlingsintegration wird der Bundden Ländern gerade auch bei den Bildungsausgaben hel-fen müssen . Das Kooperationsverbot zwischen Bund undLändern in der Bildung ist eine echte Wachstumsbremse,meine Damen und Herren .
Wenn man nicht wieder ins Schuldenmachen ein-steigen will, kann man Geld eben nur einmal ausgeben:entweder für die Erfüllung gigantischer Steuersenkungs-versprechen oder für Investitionen in die Zukunft desLandes .
Ich rate also zur Zurückhaltung mit unrealistischen An-kündigungen und zu Augenmaß und Weitsicht .Wir haben gestern übrigens viel Richtiges über dieGefahren des rechten Populismus gehört . Zu dessenNährboden zählen auch unhaltbare Wahlversprechen, dienach Wahlen schnell wieder einkassiert werden . Auchdas sollten wir uns miteinander ersparen .
– Ja, das haben wir alle schon gemacht, jede Partei –manche mehr, manche weniger . Ich rate davon ab . Lieberwenig versprechen und das halten – das tun wir in dieserLegislaturperiode übrigens –,
als wieder neu damit anzufangen, den Staat arm zu ma-chen, die Wahlversprechen hinterher nicht einlösen zukönnen und damit die Enttäuschung vorzuprogrammie-ren .
Meine Damen und Herren, wir brauchen Investitio-nen in den wirtschaftlichen Erfolg, aber übrigens auchin mehr Sicherheit . Mehr Sicherheit hat viele Facetten:soziale Sicherheit, bezahlbarer Wohnraum, auskömmli-che Renten, gute Schulen, lebendige Städte und Gemein-den – übrigens auch dort, wo der demografische Wandelund das Fehlen von Arbeitsplätzen zu weniger Einwoh-ner führen; auch dort darf die öffentliche Daseinsvorsor-ge nicht verschwinden – und natürlich innere Sicherheit .Es bringt nicht viel, auf Zahlen zu verweisen, da dieExperten wissen, dass wir dem Aufgabenzuwachs derBundespolizei seit circa elf Jahren nicht mit Personalauf-wuchs begegnet sind . Gut, dass wir das jetzt ändern . Ichfinde das vernünftig. Die SPD hat den Antrag gestellt, dieUnion findet das richtig. Wir sind hier auf einem gutenWeg, sollten aber nicht so tun, als hätten wir in der Ver-gangenheit durch das sozusagen Armsparen des Staatesnicht vielleicht auch bei der Polizei Fehler gemacht .
Die Länder haben hier zum Teil eingespart – Gott seiDank nicht alle –, und die Bundespolizei hat – das könnenSie bei der Gewerkschaft der Polizei nachlesen – 14 000Stellen zu wenig . By the way: Expertin für die innere Si-cherheit ist die Bundespolizei und nicht die Bundeswehr .Die muss man stärken!
Meine Damen und Herren, ich bleibe dabei: Wir müs-sen in einer Lage, in der wir binnen eines Jahres mehr als1 Million Flüchtlinge aufgenommen haben, die Gesell-schaft zusammenhalten . Das ist die eigentliche Schick-salsfrage . Weniger denn je dürfen wir eine gespalteneGesellschaft der Gewinner und Verlierer hinnehmen .Weniger denn je dürfen wir die soziale Stabilität und deninneren Frieden aufs Spiel setzen .Solidarität haben die Menschen verdient, die Schutzbei uns suchen, aber nicht nur diese . Konkurrenz amArbeitsmarkt und am Wohnungsmarkt sowie Sorgenum die Qualität der Schulen und um die Kriminalitätin schwierigen Stadtteilen betreffen vor allem die Men-schen in Deutschland, die nicht viel Geld haben . Daraufhinzuweisen, heißt nicht, den Rechtspopulisten das Wortzu reden, sondern bedeutet, Menschen ernst zu nehmen,und vor allem bedeutet es, aktiv dafür zu sorgen, dassMenschen im Alltag erfahren, dass niemand vergessenwird; denn Politik lebt vom aktiven Handeln und nichtvon Durchhalteparolen .Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten plä-dieren seit fast zwei Jahren für den Solidaritätspakt imSinne einer doppelten Integration: also die integrieren,die kommen, und die zusammenhalten, die da sind . Dasist kein Ausspielen von Flüchtlingen gegen Einheimischeund übrigens erst recht nicht erbarmungswürdig, sonderndas genaue Gegenteil: Das ist der einzige Weg, die Ge-sellschaft zusammenzuhalten .
Wir fragen uns, wie vielen Menschen wir helfen undwie viele wir auf Dauer in Deutschland aufnehmen kön-nen . Das Maß, in dem wir fähig und in der Lage sind,den Zusammenhalt aller zu sichern, ist das Maß, das be-stimmt, wie viele Menschen wir hier aufnehmen können .Deshalb dürfen wir nicht in die Falle gehen, den Staaterneut zu schwächen, indem wir ihn durch allzu großeBundesminister Sigmar Gabriel
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Versprechen entweder finanziell handlungsunfähig ma-chen oder erneut in die Verschuldung treiben .Eine immer heterogener und vielfältiger werdendeGesellschaft braucht Orientierungspunkte . Der wichtig-ste Orientierungspunkt ist ein starker und handlungsfä-higer Staat . 30 Jahre lang galt es als richtig, den Staatzu schwächen: weniger Steuern, weniger öffentlicheDaseinsvorsorge, mehr Privatisierung, mehr Liberalisie-rung .Ich bin weit davon entfernt, alles wieder umkehren zuwollen; denn auch ein überbordender und übergriffigerStaat fördert den Frust und hemmt die wirtschaftlicheDynamik. Wir müssen aber eine neue Balance finden.Die Lebensverhältnisse in Deutschland sind heute jeden-falls alles andere als einheitlich, und auch das ist einerder Gründe für die Verunsicherung im Land, die sich dieFalschen versuchen zunutze zu machen .Meine Damen und Herren, Zusammenhalt in Deutsch-land ist vor allen Dingen vor Ort gelebter Zusammen-halt . Deswegen war es richtig, dass diese Regierung fürdie Kommunen das größte Entlastungspaket in der Ge-schichte der Republik geschnürt hat .
Bis 2019 wird sich die Finanzierungsentlastung derKommunen auf mehr als 30 Milliarden Euro erhöhen .Ich weiß nicht, ob es in der Geschichte der Republik et-was Ähnliches gegeben hat . Ich glaube nicht . Leistungender Daseinsvorsorge, intakte Quartiere, das alles hat mitOrdnung und Sicherheit zu tun . Es gibt kein solidarischesLand ohne solidarische Städte und Gemeinden .Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir dieRichtung in der sozialen Marktwirtschaft wieder gut vor-gegeben haben . Die soziale Marktwirtschaft überlässteben die Gestaltung der Gesellschaft nicht allein denje-nigen, die sich wirtschaftlich stark fühlen . Politik ist keinZuschauer . Sie darf nicht nur abwarten . Sie muss sicheinmischen und Regeln durchsetzen .Auch deshalb haben wir in der Energiewende trotzharter Lobbykämpfe endlich dafür gesorgt, dass sie inverlässliche Bahnen kommt .
Wir haben sie zum ersten Mal in den europäischen Bin-nenmarkt eingebettet und zugleich für die stromintensiveIndustrie sowie für die industrielle Eigenstromversor-gung Sicherheit geschaffen, damit sie nicht in Gefahrgeraten . Die im internationalen Wettbewerb stehendeStahl- und Chemieindustrie mit ihren HunderttausendenArbeitsplätzen bekommt Klarheit . Das ist ein zentralesStück Industriepolitik, mit der unsere produzierendeWirtschaft im europäischen Wettbewerb gestärkt wird .Meine Damen und Herren, Politik in der sozialenMarktwirtschaft muss sich eben einmischen, wenn es umdas Gemeinwohl geht . Das galt übrigens auch beim The-ma Edeka/Tengelmann . Ich will das nur am Rande strei-fen, wir werden darüber noch im Ausschuss reden . Abereins ist doch klar: Wenn es einen Gemeinwohlgrund gibt,dann doch wohl den, 8 000 bis 16 000 Arbeitsplätze zusichern .
Das gilt allemal dann, wenn es gut bezahlte Arbeitsplät-ze sind und diese tarifvertraglich abgesichert sind . Dassman dafür Gespräche führen muss, die man nicht jedemsofort in der Art von Protokollen mitteilt, war in bisheri-gen Kartellverfahren üblich . Insofern werden wir sehen,wie der Bundesgerichtshof darauf reagiert .
Wichtig finde ich nur, Frau Dröge: Die Tarifverträgegehen über das hinaus, was ich an Auflagen gemachthabe .
Das geht so weit, dass die befristeten Arbeitsverhältnisseabgesichert werden, sie werden zu festen Arbeitsverhält-nissen . Es geht so weit, dass auch die Arbeitsplätze beiEdeka in den Tarifverträgen gesichert werden .
Ich will denjenigen sehen, der das ernsthaft infrage stel-len kann . Deswegen bin ich ganz gelassen .Eins ist klar: Wenn man als Minister in solchen Fällennichts tut, dann handelt man relativ risikofrei .
Wenn man sozusagen oben vom Turm beobachtet, wieden Menschen etwas angetan wird, dann geht man viel-leicht selbst ein geringeres Risiko ein . Dafür steigt dasRisiko bei den Betroffenen. Ich jedenfalls glaube, dasswir nicht in der Politik sind, um unsere Risiken zu mini-mieren, sondern um die Risiken von Menschen und vorallen Dingen von abhängig Beschäftigten zu verringern .Das haben wir hier getan .
Meine Damen und Herren, die soziale Marktwirtschaftwird natürlich nur dann ernst genommen, wenn sie sichauch im Zeitalter von Europäisierung und Globalisierungdurchsetzt . Konkret: Große, renommierte, internationaleUnternehmen können sich nicht so benehmen wie Feu-dalherren und selbst entscheiden, wie sie mit ihrer Pflicht,zum Gemeinwohl beizutragen, umgehen wollen . Es gehtnicht darum, einzelne Konzerne wie Apple, Amazon oderStarbucks an den Pranger zu stellen . Darum geht es garnicht . Es geht darum, das System zu verstehen und dieKomplizenschaft abzustellen .Es ist richtig, wie der Bundesfinanzminister ausgeführthat, dass wir beim Informationsaustausch der Steuerbe-hörden Fortschritte gemacht haben . Die zuständigen Be-hörden müssen die Gelegenheit dann allerdings auch er-greifen . Wenn Apple in Deutschland ein iPhone verkauft,macht das Unternehmen mit jedem verkauften Geräteinen hohen Gewinn . Dieser Gewinn wird verschoben,um der Besteuerung zu entgehen . Die in Deutschlandregistrierte Apple-Gesellschaft in Frankfurt, die für denBundesminister Sigmar Gabriel
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Verkauf von Apple-Geräten zuständig ist, verdient damitfast eine halbe Milliarde Euro . Der Gewinn hingegen be-trägt nur etwa 10 Millionen Euro . Apple zahlt in Europa0,005 Prozent Steuern . Dass das oberfaul ist, liegt auf derHand . Und es ist ein Hohn für jeden Facharbeiter undjeden Handwerksmeister, der brav seine Steuern zahlt .
Wir sind also aufgerufen, das auch in Europa zu ändern .Das kann nicht die Aufgabe der Wettbewerbskommissionsein .Natürlich geht es auch darum, dass wir in Europa auf-passen müssen, nicht abgehängt zu werden . Deswegenbin ich sehr dafür, dass Europa auch Freihandelsverträ-ge schließt, die es uns ermöglichen, auch die Standardssozialer Marktwirtschaften im internationalen Handeleinzuführen . Dafür muss man sich in das Wagnis vonVerhandlungen hineinbegeben . Dass das bei TTIP ausmeiner Sicht in diesem Jahr nicht mehr zu erreichen ist,habe ich hinreichend oft gesagt . Dass ich das bedauere,ist, glaube ich, auch klar . Denn ich fand die Verhandlun-gen über diese Abkommen dringend nötig . Aber es bringtauch nichts, mit den Verhandlungen über TTIP so umzu-gehen wie in dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“,nämlich immer „Bravo!“ zu rufen, und in Wahrheit stehtdas Abkommen sozusagen ziemlich nackt da .
Wir werden sehen, ob nach den amerikanischen Präsi-dentschaftswahlen ein Neustart gelingt .
Herr Minister, –
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Ja, ich komme zum Schluss .
– darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass die
Freude Ihrer Fraktion über Ihre Rede vielleicht durch die
Inanspruchnahme der Redezeit der nachfolgenden Kolle-
ginnen und Kollegen getrübt wird?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Herr Präsident, ich will nicht sagen, dass sie Kummer
gewohnt sind …
Ich komme zum Schluss . Ich glaube, dass auch das da-
zugehört: den Standort Europa zu stärken und die soziale
Marktwirtschaft durchzusetzen, nicht nur bei uns, son-
dern auch Schritt für Schritt in Europa und global . Dafür
brauchen wir vor allen Dingen die Kombination aus wirt-
schaftlicher Dynamik und sozialer Sicherheit . Es vereint
das europäische Modell von Freiheit und Verantwortung .
Das ist übrigens nichts anderes als die Leitkultur unserer
Wirtschaftsverfassung .
Ich finde, wir haben in unserem Land mit viel Erfolg
in den letzten drei Jahren dieser Leitidee unserer Wirt-
schaftsverfassung zu neuer Geltung verholfen . Ich glau-
be, das sollte uns auch in den kommenden Jahren leiten .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Nächster Redner ist der Kollege Roland Claus für die
Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es istschon bemerkenswert: Immer wenn Bundestagswahlenin vermeintliche Nähe rücken, übernehmen hier Teile derKoalition den Job der Opposition und klagen die eigeneRegierung an .
Liebe Koalitionäre, wir können euch sagen: Die Op-position ist nicht amtsmüde . Wir machen unseren Jobselber .
Sie hätten wahrlich genug damit zu tun, dieses Land ver-nünftig zu regieren, statt sich untereinander zu streiten .
Herr Bundesminister, erwartungsgemäß und keines-wegs falsch haben Sie die wirtschaftliche Entwicklungpositiv bewertet . Aber wir müssen auch zur Kenntnisnehmen: Die Früchte dieser positiven Entwicklung sindleider sehr ungerecht verteilt . Wir haben uns in dieserWoche oft über die sehr ungleiche Einkommensvertei-lung unterhalten . Wenn man das früher kritisiert hat – daswar noch vor zwei, drei Jahren so –, wurde man meistensder Gleichmacherei bezichtigt . Dabei wurde immer nochein bisschen der Vergleich mit der DDR herangezogen .Heute stellen wir fest: Über 80 Prozent der Bevölke-rung finden die soziale Verteilung von Einkommen undVermögen äußerst ungerecht . Das muss Ihnen doch zudenken geben, meine Damen und Herren .
Ein guter Wirtschaftsminister sorgt sich nicht nur umdie sprudelnden Gewinne; ein guter WirtschaftsministerBundesminister Sigmar Gabriel
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muss sich auch immer um Verteilungsgerechtigkeit küm-mern .
Damit habe ich nicht gesagt, dass er das nicht machte .Aber dass da noch sehr viel Luft nach oben ist, werdenSie wohl nicht bestreiten können .Arm trotz Arbeit ist kein Phantomschmerz, den dieOpposition erfunden hat . Arm trotz Arbeit ist für Millio-nen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschämendeRealität . Niedriglohn und Leiharbeit haben sich breitge-macht und verfestigt . Im Osten ist der Anteil übrigensdoppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt . Nun habenSie das möglicherweise als Fehlentwicklung erkannt . Tat-sache ist aber doch, dass Langzeitverträge abgeschlossenworden sind . Im Osten gibt es einen Windradbauer, derinzwischen das Problem erkannt hat, dass er mit seinenLeiharbeiterinnen und Leiharbeitern den Auftragsboom,den er hat, überhaupt nicht bewältigen kann . Er ist abernicht in der Lage, jetzt aus den geschlossenen Langzeit-leiharbeitsverträgen auszusteigen .Was die Wirtschaftsförderung angeht, Herr Bundes-minister, steht natürlich auch viel Gutes und Vernünfti-ges in Ihrem Haushaltsentwurf, zu dem Sie verdammtwenig gesagt haben . Wir müssen Ihnen aber die Tatsa-che vorwerfen, dass die Verhältnisse nicht stimmen . Dasvon uns allen vielgelobte Zentrale Innovationsprogrammfür den Mittelstand, ZIM, ist mit etwa einer halben Mil-liarde Euro ausgestattet . Für die Subventionierung vonLuft- und Raumfahrt geben Sie in Ihrem Etat aber etwa1,5 Milliarden Euro aus . Das ist eine Subventionierungvon staatsnahen Monopolisten, meine Damen und Her-ren .
Es gibt also 1 Euro für die vielen kleinen Unternehmenund 3 Euro für die großen Konzerne . Wenn die Ver-hältnisse wenigstens umgekehrt wären, Herr Bundes-minister – wenn 1,5 Milliarden Euro für die KMU und0,5 Milliarden Euro für die großen Konzerne vorgesehenwären –, würde ich ja vielleicht aufhören, zu meckern .Diese Unverhältnismäßigkeit aber können wir Ihnen hiernicht durchgehen lassen .
Ende 2014 haben Sie, Herr Bundesminister, hier überdie Institutionalisierung eines Bündnisses unter dem Ti-tel „Zukunft der Industrie“ berichtet .
Wir haben uns angeschaut, was dort vorgesehen ist, undgesagt: Okay, die Probleme sind ausgesprochen präziseanalysiert, da wird der Finger in die Wunde gelegt . ImHaushalt für 2017 haben Sie für die Begleitung diesesBündnisses wieder 5 Millionen Euro eingestellt . Ichmuss Sie aber einmal fragen: Wann gedenken Sie, zuliefern? Wann wollen Sie Ergebnisse vorlegen? In denUnterlagen des Bundeswirtschaftsministeriums findetman die Ankündigung einer „Woche der Industrie“, dieam 17 . September beginnen soll . In den Unterlagen steht:In der „Woche der Industrie“ wollen Vertreter von Unter-nehmen – also Geschäftsführungen und Betriebsräte – mitBundestagsabgeordneten, Landräten und Bürgermeisternüber genau diese Probleme diskutieren . Einladungen anBundestagsabgeordnete, Herr Bundesminister, sind unsbislang nicht bekannt .
Es kann aber nicht nur immer bei einer Ankündigungs-politik bleiben, Sie müssen in der Tat auch Ergebnisseabliefern .Ich will auch auf die Entwicklung der ostdeutschenWirtschaft eingehen . Wir beobachten ja seit langem eineVerfestigung des wirtschaftlichen Rückstandes im Ver-gleich zum Bundesdurchschnitt . Das hat damit zu tun,dass es nach wie vor keine einzige große Firmenzen-trale in Ostdeutschland gibt . Auf der anderen Seite abergibt es auch Erfolge bei wirtschaftlichen Transformati-onsprozessen, die bemerkenswert sind. Die finden aberleider noch zu wenig Nachahmung und werden, was diegesamtdeutsche Betrachtung angeht, nicht genügend ge-würdigt . Die Akteure vor Ort – egal wo sie herkommen –sagen: Das war nur im Osten so möglich .Nun sind Sie ja auch – das merkt man nicht immerso – der Ost-Minister . Bei dem Titel „Schwerpunktvor-haben der Beauftragten für die neuen Bundesländer“ kür-zen Sie aber um mehr als 25 Prozent .
Da geht es nicht um viel Geld, Herr Bundesminister;aber das geht ganz eindeutig in die falsche Richtung . Ichdenke, das ist ein Punkt, den wir unbedingt korrigierenmüssen . Und wir werden ihn auch korrigieren können .
Die ostdeutsche Wirtschaft leidet besonders unter denRusslandsanktionen . Dafür kennen Sie viele Beispiele .Zur gleichen Zeit kooperiert die Bundesregierung mitrussischen und – man höre – ukrainischen Luftfahrtunter-nehmen beim Transport von NATO-Militärgütern . Genaudiese Zweierlei-Maß-Politik ist es, die kleine Unterneh-men auf die Palme bringt .Zum Schluss: Dieser Haushalt, Herr Bundesminister,kann so nicht bleiben . Er kann ja auch noch besser wer-den, wenn wir im Parlament mutig an ihn herangehen .Weil Sie, Herr Bundesminister, bekanntlich so zurück-haltend und bescheiden sind und niemals öffentlich umHilfe bitten würden, bieten wir Ihnen diese Hilfe von hieraus schon einmal aktiv an .
Vielen Dank .
Michael Fuchs erhält nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion .
Roland Claus
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Minister,Sie haben über Steuerentlastungen gesprochen . Der Bun-desfinanzminister hat uns in seiner Rede am Dienstagvorgerechnet, dass die gesamtwirtschaftliche Steuerquo-te deutlich angestiegen ist, und zwar von 21,4 Prozentim Jahre 2010 auf 22,8 Prozent in diesem Jahr, und dassdas Spielraum gibt, in der nächsten Legislaturperiodeeine Senkung der Steuern in einer Größenordnung von15 Milliarden Euro vorzunehmen . Es ist aber nicht ganzredlich, dass Sie sagen, dabei handele es sich um einevolle Belastung des Bundeshaushalts . Sie wissen ganzgenau, dass der Bund diese Belastung mit den Ländernteilt . Etwa 8 Milliarden Euro haben die Länder zu tragen,
während 7 Milliarden Euro als Belastung beim Bund lan-den . So sieht nun einmal die Verteilung zwischen Bundund Ländern gemäß der Steuerquote aus . Der geschätzteKollege Hubertus Heil hat gestern gesagt – wir werdensicherlich bei unserem nächsten Koalitionstreffen darü-ber sprechen –, man könne noch in dieser Legislaturpe-riode etwas machen . Dazu kann ich nur sagen: Da habenSie noch ein gewisses Abstimmungsproblem in IhrerFraktion .
Aber das wollen wir nicht weiter thematisieren . Das istIhr Problem und nicht unseres .In einem Punkt bin ich mit Ihnen voll und ganz einig:Deutschland geht es gut . Wann haben wir jemals so posi-tive Zahlen gehabt wie jetzt? Mir geht es ein Stück weitauf den Geist, dass nun die ganze Zeit alles Möglicheschlechtgeredet wird, egal von wem .
Wir haben eine Erwerbstätigenzahl zu verzeichnen, diees in dieser Größenordnung noch nie gegeben hat – HerrGabriel, Sie haben das eben erwähnt –: 43,5 Millionen!Aber das Wichtigste ist für mich: Wir haben de factokeine Jugendarbeitslosigkeit mehr . Es gibt sogar vieleRegionen in Deutschland, in denen nach jungen Leutenals Auszubildende gesucht wird . In meinem Wahlkreissind in diesem Jahr 600 Ausbildungsstellen noch nichtbesetzt . Das zeigt, dass wir zumindest auf diesem Sektoräußerst positive Entwicklungen zu verzeichnen haben .Dafür können wir dankbar sein . Wir müssen sogar darü-ber nachdenken, wie wir unter Umständen junge Leuteunter den Flüchtlingen so weit integrieren können, dasssie schnellstmöglich in ein Ausbildungsverhältnis kom-men . Da sehe ich Chancen; diese sollten wir nutzen .Jeder in diesem Hohen Hause muss sich aber auch da-rüber klar sein, dass ein Teil des Wachstums auf exogeneFaktoren zurückzuführen ist . Das sind der niedrige Gas-und Ölpreis, die niedrigen Zinsen und der günstige Eu-ro-Dollar-Kurs, der es unserer exportierenden Wirtschaftwesentlich leichter macht als beispielsweise noch vordrei Jahren, als 1 Dollar noch 1,35 Euro kostete . Das allessind günstige Faktoren, für die wir im Prinzip nicht allzuviel können . Des Weiteren ist zu bedenken: Die Bewäl-tigung der Flüchtlingskrise führt natürlich auch zu mehrKonsum in Deutschland. Davon profitiert der Einzelhan-del nicht unerheblich . Wir haben außerdem in dieser Le-gislaturperiode für diverse soziale Wohltaten gesorgt . Icherwähne nur die Rente mit 63 und die Mütterrente . Dassind Belastungen für den Bundeshaushalt, aber auch fürdie Sozialkassen . Das können wir uns in der derzeitigenBoomsituation leisten . Aber ich warne die Unvernünfti-gen: Es muss auch einmal gut sein . Es kann nicht dieganze Zeit so weitergehen; denn wir wissen nicht, ob sichdie wirtschaftliche Entwicklung weiterhin so positiv dar-stellen wird wie bisher .
Was müssen wir tun? Ein Punkt ist mir ganz besonderswichtig . Das ist ein klares Ja zu Freihandel und Außen-handel .
40 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland hängen di-rekt oder indirekt vom Außenhandel ab; wir sollten dasnicht vergessen . Deutschland ist für mich der größte Ge-winner einer intensiven Einbindung in den Welthandel .Wir haben einen sehr großen Exportüberschuss zu ver-zeichnen, der in den letzten Jahren immer weiter nachoben gegangen ist; dafür sind wir dankbar . Die G 20haben am Wochenende klargemacht, dass Handel undoffene Märkte ein absolutes Muss sind. Deswegen sagtdie Union ganz klar Ja zu CETA und TTIP . Das ist füruns ganz klar .
CETA ist ein fortschrittliches Abkommen, wie die An-hörung am vergangenen Montag gezeigt hat . Dort kamklar zum Ausdruck, dass es sich um ein sehr sinnvollesAbkommen handelt . Herr Minister, ich glaube, da habenwir keine wesentlichen Differenzen.Die TTIP-Verhandlungspositionen liegen auf demTisch . Es ist wie bei Tarifverhandlungen . Ich habe dasVergnügen 16 Jahre erlebt . Ich habe aber nie den Kolle-gen von der Gewerkschaft vorher gesagt, welches Zielich habe . Also können wir doch nicht erwarten, dass HerrFroman uns heute schon sagt, welche Ziele er hat . Dannerreicht er sie nie . Das Ergebnis wird immer von den Ver-handlungen abhängen . Das heißt, es ist jetzt über fast allePunkte verhandelt worden . Am Ende des Tages kommtdie berühmte Nacht der langen Messer, in der eine Forde-rung gegen die andere abgewogen wird, sodass man amEnde ein vernünftiges Abkommen hinbekommt . Warumsollen wir das, was wir mit den Kanadiern hinbekommenhaben, mit den Amerikanern nicht hinbekommen? Esschadet uns, wenn wir es nicht hinbekommen .
Verehrter Herr Gabriel, ich erwarte von Ihnen alsBundeswirtschaftsminister, dass Sie sich mit aller Kraftfür TTIP einsetzen . Ein gutes TTIP ist im Interesse vonDeutschland
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und auch im Interesse der EU . Machen wir uns bitte nichtsvor . Jetzt darf ich ein Beispiel aufgreifen . Sie haben ei-nen Kollegen, der, glaube ich, Stegner heißt . Der war vorein paar Tagen, am 1 . September, im Deutschlandfunk .Da hat er gesagt, die amerikanischen Arbeitnehmer-und Umweltstandards – ich zitiere ihn jetzt – seien soschlecht, dass man, würde man dieselben Standards inDeutschland anwenden, diese gleich an der Garderobeabgeben könnte . Das ist völliger Unsinn . Ich habe Ihnenetwas mitgebracht, Herr Minister . Ich habe Ihnen die Te-lefonnummer des Betriebsrates von VW mitgebracht . Ichmöchte Sie bitten, die Herrn Stegner zu geben .
Ein Anruf bei VW wird Herrn Stegner mit Sicherheitüber die Umweltstandards der Amerikaner aufklären .
Diese Umweltstandards sind deutlich härter als dieUmweltstandards, die wir haben . Wer hat denn denVW-Skandal aufgedeckt? Waren das unsere Behörden,oder waren das die Amerikaner? Nur eine Zahl dazu:Der Stickstoffmonoxidausstoß eines Dieselfahrzeugs inden USA darf 32 Milligramm betragen, bei uns sind das80 Milligramm . Wer hat denn nun die strengeren Um-weltstandards? Wer hat denn nun Standards, die die Wirt-schaft richtig fordern? Das ist wahrscheinlich auch derGrund, warum sich VW in dieses Desaster hineinbege-ben hat . Ich empfehle die Diskussion auf dieser Ebene;das müsste zwischen dem Betriebsrat und Herrn Stegnermöglich sein .Der Bundesfinanzminister hat in seiner Rede amDienstag noch einen weiteren Punkt angesprochen . Erhat ganz klar gemacht, dass es sehr eigenartig ist, dassauf der einen Seite permanent gegen TTIP von allenmöglichen Organisationen, die so intransparent sind, wiesie wollen, gekämpft wird, aber auf der anderen Seite dieMenschen – ich zitiere ihn jetzt – „fast glänzende Au-gen“ bekommen, „wenn sie von einer Freihandelszonevon Wladiwostok bis Lissabon reden“ .
Herr Minister, wir müssen einmal darüber nachden-ken, warum das so ist . Es gibt einen latenten Antiame-rikanismus . Darüber muss das Hohe Haus nachdenken .Wir verdanken den Amerikanern ganz besonders viel . Ichfinde es sehr übel, wenn auf diese Art ein Freihandelsab-kommen mit den Amerikanern diskutiert wird .
Ich habe mich in meinem ganzen beruflichen Lebenmit Freihandel beschäftigt . Freihandel hat unserem Landimmer nur genützt . Dazu nur eine Zahl: Wir haben vorfünf Jahren das Korea-Abkommen abgeschlossen . Ichhabe nicht eine Stimme in diesem Hohen Hause gehört,die sich dagegen ausgesprochen hat, die sich überhauptgemeldet hat oder darüber diskutiert hat . Gar nichts . Esgab einen Verband, der einen Vertreter zu mir geschickthat . Mit dem bin ich ziemlich schnell fertig geworden .Das war ein Vertreter des Verbandes der Deutschen Au-tomobilindustrie, der geglaubt hat, er werde Schadennehmen, wenn ein solches Abkommen komme . DasGegenteil war der Fall . Der Verband hat davon gewaltigprofitiert. In den fünf Jahren ist unser Export nach Ko-rea um 55 Prozent gestiegen . Das zeigt doch, dass derFreihandel und Freihandelsabkommen gerade für uns inDeutschland wichtig und vernünftig sind .Lassen Sie mich einige Worte zur EU sagen . Wir müs-sen die EU stärken . Ich halte das für dringend notwendig .Die EU diskutiert aber permanent über Austerität undAusteritätsprogramme . Der heilige Herr Keynes schrei-tet durch die Hallen, aber alle diejenigen, die die ganzeZeit darüber diskutieren, haben von Keynes offenbar nurdie erste Seite gelesen, aber nicht die zweite Seite, aufder steht, dass in guten Zeiten eingespart werden soll unddas, was man zu viel ausgegeben hat, wieder zurückge-zahlt werden muss . Ich empfehle die komplette Lektüre .
Meine Damen und Herren, gerade die Länder der EU,die besonders hohe Gesamtverschuldungsquoten haben,haben auch ein besonders schlechtes Wirtschaftswachs-tum . Das sind Italien, Griechenland, Belgien, Frankreich .All diese Länder haben ein niedriges Wirtschaftswachs-tum oder gar keins . Bei den wenig verschuldeten Staatensieht es wesentlich besser aus: bei Estland, Lettland, Li-tauen, Polen und uns selbst, Deutschland . Das zeigt, dasseine hohe Staatsverschuldung nicht dazu führt – meistenssind die schuldenfinanzierten Programme ja nichts ande-res als eine Seifenblase –, dass das Wachstum stabilisiertwird – im Gegenteil .Eins muss man den Engländern sagen: Selbstverständ-lich haben sie das Recht, Artikel 50 des EU-Vertrages zuziehen . Aber: There ain’t no free lunch . Niemand kannglauben, dass er die Möglichkeiten, die Europa uns ge-währt, weiterhin in Anspruch nehmen kann; das wirdnicht so sein . „In is in and out is out .“ Deswegen müssenwir klarmachen, dass zumindest die vier Grundfreiheitenfortbestehen müssen, wenn jemand mit der EU zusam-menarbeiten will .Ich bin dagegen, dass Herr Johnson, Großbritanni-ens Trump-ähnlicher neuer Außenminister, mit Chuzpedaherkommt und sagt: Die Europäer werden sich nichttrauen, den Banking Passport zu berühren . Natürlich,wenn England nicht mehr Mitglied der EU ist, dann kannauch der Banking Passport nicht mehr gewährt werdenfür Banken, die ihren Sitz in England haben . Wenn die-se Banken den Banking Passport behalten wollen, dannmüssen sie ihren Sitz in ein EU-Land verlagern . Wennes ihnen in Frankfurt nicht gefällt, können sie ja nachDublin gehen; aber sie müssen eine solche Verlagerungdes Firmensitzes vornehmen . Davon wird das eine oderandere Land in Europa profitieren.
Bevor ich zum Schluss komme, muss ich noch etwaszur Energiepolitik sagen . Die Energiewende haben wirvorangetrieben . Mittlerweile haben wir eine installierteLeistung bei erneuerbaren Energien von mehr als 110 Gi-gawatt; so viel hat es noch nie gegeben . Für die gesamteEnergieversorgung reicht das natürlich nicht, da es dum-Dr. Michael Fuchs
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merweise die berühmten Dunkelflauten gibt, also Tage,an denen weder genug Sonne scheint noch genug Windweht .
– Das wird ja von den Grünen die ganze Zeit versucht,lieber Herr Kauder; aber sie waren bis jetzt nicht so er-folgreich damit .
Diese Zeiten müssen wir aber abdecken . Deswegenmuss es unsere Aufgabe sein, für sichere Leistungen zusorgen . Das heißt auch, dass wir noch eine Zeit lang fos-sile Energien brauchen werden .Ich danke Ihnen .
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun
der Kollege Anton Hofreiter das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Nach der Rede des Vizekanzlers war ich, ehr-lich gesagt, verblüfft, in welche Richtung er sich bewegthat, er hat sich nämlich zurück auf die Regierungsbankgesetzt . Ich dachte nach dieser Rede, dieser Mann gehörelängst der Opposition an und die SPD habe die letztenJahre eigentlich gar nicht mitregiert .
Vieles von dem, was er gefordert hat, war ja richtig .Er hat zum Beispiel darauf hingewiesen, was bei derErbschaftsteuerreform alles schiefgegangen ist . Er hatOrdoliberale zitiert . Er hat von leistungslosen Einkom-men gesprochen . Das war ja alles richtig . Bloß, ich kannmich düster erinnern, dass das Modell dieser Erbschaft-steuerreform irgendwie durch dieses Kabinett gegangensein muss . Ich vermute einmal, dass der Vizekanzlerund Wirtschaftsminister bei der Abstimmung darüberwahrscheinlich seine Hand dazu gehoben hat . Deswegenkommt mir das Ganze hier einfach wie ein Wahlkampf-manöver vor .
Der Wirtschaftsminister und Vizekanzler lobt sich da-für, dass die Investitionen so hoch sind . Dabei werdenimmer nur absolute Zahlen genannt . Ja, wir haben seitvielen Jahren ein Wirtschaftswachstum; deshalb sind ab-solute Zahlen fast immer Höchstwerte; das ist mathema-tisch zwangsläufig.Das Spannende ist, wie sich das Ganze prozentu-al entwickelt, wie also das Verhältnis der Investitionenzum Gesamthaushalt ist . Schauen wir uns doch einfachnur Ihre offiziellen Zahlen an: Unsere Investitionsquoteliegt in diesem Jahr bei ungefähr 10 Prozent . Diese Quotesoll nach Ihren eigenen Vorstellungen im Jahr 2020 bei8,8 Prozent liegen . Das heißt, diese Quote soll im Ver-gleich zum jetzigen Wert sinken . Hören Sie also auf, sichselbst zu loben, sondern nennen Sie die richtigen Zah-len, und sorgen Sie endlich dafür, dass wirklich investiertwird .
Zum Glück geht es vielen Menschen in unseremLand inzwischen besser . Das ist richtig; das ist wichtig .Trotzdem machen sich viele Menschen Sorgen . Warummachen sie sich Sorgen? Sie machen sich nicht deshalbSorgen, weil es ihnen jetzt gar nicht so schlecht geht,sondern sie machen sich Sorgen über die Dinge, die un-ter Umständen auf sie zukommen . Wenn ich mir da diePolitik der Bundesregierung anschaue, dann kann ichverstehen, dass sich die Menschen Sorgen machen . Beiallen entscheidenden Zukunftsinnovationen bremst dieBundesregierung nämlich .Das hat man beim Klimaschutzplan wunderschön ge-sehen . Was bräuchten wir denn dringend? Wir bräuchtenein modernes Energiesystem . Wir bräuchten ein Ener-giesystem, das mit regenerativen Energien funktioniert,ein Energiesystem, das innovativ ist . Wir müssten rausaus der alten, schmutzigen Kohle . Ihre Umweltminis-terin, Ihre Parteikollegin, Herr Gabriel, hat dazu Klu-ges vorgeschlagen . Und was haben Sie gemacht, HerrGabriel? Sie haben es ihr herausgestrichen . Das ist nichtnur schlecht für die Umwelt, das ist nicht nur schlechtfür die Bekämpfung der Klimakrise, sondern das istschlichtweg schlecht für den Wirtschaftsstandort . DerWirtschaftsstandort wird gestärkt, wenn wir ein moder-nes, ein innovatives Energiesystem haben .
Immer wieder betonen SPD und CDU/CSU, wiewichtig die Autoindustrie für Deutschland ist, und dasstimmt ja .
Das ist einer der wichtigsten Industriezweige, den wir inDeutschland haben .
Wenn wir uns jetzt anschauen, was sich in der Autoindus-trie tut, dann sehen wir, dass inzwischen ein Start-up-Un-ternehmen wie Tesla zu einer ernsthaften Bedrohung fürdie mächtigste und stärkste Industrie geworden ist, diewir haben .
Wir sehen, dass Städte wie Paris bis zum Jahr 2020Dieselfahrzeuge in ihren Grenzen verbieten wollen . DieSPD und die CDU/CSU träumen immer noch von dergroßen Zukunft der Dieselfahrzeuge .
Abgesehen davon, dass das gesundheitsschädlich ist,und abgesehen davon, dass das klimaschädlich ist: Siegefährden damit mittelfristig den Bestand der wichtigs-Dr. Michael Fuchs
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ten Industrie, die wir in Deutschland haben – und das alsWirtschaftsminister . Was ist denn die Aufgabe des Wirt-schaftsministers? Die Aufgabe des Wirtschaftsministersist, dafür zu sorgen, dass es auch in der Zukunft inno-vative und sichere Arbeitsplätze gibt . Ich hätte nie ge-dacht, dass wir Grünen Sie mal dazu auffordern müssen,endlich dafür zu sorgen, dass die Autoindustrie gerettetwird . Deswegen: Hören Sie auf, der Umweltministerinda Knüppel zwischen die Beine zu werfen!
Kommen wir zu CETA und TTIP . Sie sprechen immerdavon, dass das ein tolles Freihandelsabkommen ist . DieSPD ist da sowieso schizophren unterwegs,
nämlich: TTIP ist ganz, ganz böse, und CETA ist ganz,ganz gut .Jetzt schauen wir uns doch einmal an, was bei CETAso gut sein soll . Was ist denn da angeblich so gut? DieSchiedsgerichte sind weiter drin, die Aushöhlung desVorsorgeprinzips ist weiter im Vertrag drin,
und der Angriff auf die Daseinsvorsorge ist weiter drin.Das heißt, der Minister will uns hier weismachen: TTIP –das bringt ihn vor der Bundestagswahl ganz sicher nichtmehr in Schwierigkeiten – ist das Böse – damit ist dieSPD plötzlich für einen fairen Handel –,
und CETA ist das Gute . Das ist doch absolut unglaub-würdig .Dann zur CDU/CSU . Wenn es um ein Freihandelsab-kommen ginge, dann könnte man darüber reden . Aber dieCDU/CSU – insbesondere die CSU – macht schon einenAufstand, wenn richtige und wichtige Kompetenzen aufdie EU verlagert werden . Ein Beispiel ist das peinlicheAuftreten des CSU-Finanzministers Söder in der Ap-ple-Frage . Dabei soll auf europäischer Ebene zu Rechterreicht werden, dass die transnationalen Konzerne end-lich mal Steuern zahlen müssen . Da regen Sie sich auf .Aber die Frage, wie die kommunale Wasserversorgungin unseren Orten gestaltet werden soll, soll plötzlich ineinem transnationalen Vertrag, in einem völkerrechtlichverbindlichen Vertrag zwischen Kanada und der Europä-ischen Union geregelt werden . Seien Sie mir nicht böse,wenn ich jetzt sage – ich war mal Gemeinderat bei unsin Sauerlach –: Wir wissen selber ganz genau, wie wirunsere Wasserversorgung regeln . Da brauchen wir kei-nen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag, der uns dareinpfuscht .
Darum geht es . Das ist das, was die Menschen stört, unddas ist der Grund, warum die Menschen das ablehnen .Also: Wenn es um Freihandel ginge – ja; aber diesesDeregulierungsabkommen, das bis in die kommunaleDaseinsvorsorge eingreift, lehnen wir ab .
Deshalb, Herr Wirtschaftsminister: Sie hätten unsereUnterstützung, wenn Sie für innovative Arbeitsplätzesorgen würden, wenn Sie für den Kohleausstieg sorgenwürden, wenn Sie für ein modernes regeneratives Ener-giesystem sorgen würden, wenn Sie für eine zukunftsfä-hige Mobilitätspolitik sorgen würden und wenn Sie fürfairen Handel sorgen würden .
Sorgen Sie endlich dafür! Sie haben noch ein Dreiviertel-jahr Zeit . In dieser Zeit könnte man noch manches ma-chen und hier nicht nur Oppositionsreden halten, wie Siees als Vizekanzler getan haben .
Hubertus Heil erhält nun das Wort für die SPD-Frak-
tion .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über diewirtschaftliche Lage zu sprechen, Herr Hofreiter, heißt,deutlich zu machen, wie diese im Moment ist . Sie hättenruhig einmal einräumen können, dass die wirtschaftlicheLage in diesem Land gut ist . Wir haben eine stabile undrobuste Konjunktur, die übrigens nicht nur von unsererExportfähigkeit getragen wird . Diese war jahrelang derMotor . Das ist nach wie vor so . Aber inzwischen habenwir auch eine stärkere Binnennachfrage in diesem Land,weil die Kaufkraft gestiegen ist, weil viele Menschen inArbeit gekommen sind und weil wir endlich anständigeLohn- und Tarifabschlüsse haben . Das verschweigen Sie,Herr Hofreiter, weil Sie sich mit den ökonomischen Zu-sammenhängen nicht auseinandersetzen .Wir dürfen uns nicht auf dem Erreichten ausruhen .Vielmehr ist es notwendig, den Blick nach vorne zurichten; das hat der Minister deutlich gemacht . Wir ha-ben zum Beispiel durch die Digitalisierung, aber ebenauch durch neue Antriebstechnologien – Sie haben dieAutomobilindustrie angesprochen – einen gigantischenStrukturwandel vor uns, den wir nicht unterschätzen,sondern den diese Regierung vorantreibt . Herr Hofreiter,ich will Ihnen eines sagen: Es gibt, wenn ich den Kolle-gen Fuchs und Sie einmal nebeneinanderhalte, beim The-ma Freihandel zwei extreme Positionen in diesem Haus .Michael Fuchs sagte vorhin, dass die Union ganz klar Jazu TTIP sagt . Ich frage mich eigentlich, warum; denn wirkennen den Inhalt noch gar nicht .
Einfach Ja zu sagen zum Inhalt von TTIP, ohne dassein Verhandlungstext vorliegt, ist aus meiner Sicht auchDr. Anton Hofreiter
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ein Stück ideologische Fixierung . Die Grünen sagen aufjeden Fall Nein . Das ist auch falsch . Wenn man Globa-lisierung gestalten will, dann muss man nicht nur dafürsorgen, dass Handel möglich ist, sondern auch dafür, dassman faire Abkommen bekommt mit klaren Regeln, mitRegeln für Arbeitnehmerrechte, für demokratische Rech-te, für Umweltrechte . Das ist etwas anderes, als nachdem Motto zu handeln – ich finde das, Toni Hofreiter, amRande der Redlichkeit für eine Partei, die einmal etwasmit Aufklärung zu tun hatte –: „If you don’t know justsay no .“ Das ist nicht redlich .
Jetzt reden wir einmal über die Frage: Was ist der Un-terschied zwischen TTIP und CETA? Ihr schmeißt das jaeinfach in einen Topf . Das eine ist ein Handelsabkom-men, das Europa und Kanada verhandelt haben und dasvom Text her vorliegt . Dazu sagen wir: Da gibt es vieles,was richtig gut nach vorne gekommen ist, übrigens durchunseren Druck . Gerade beim Thema Schiedsgerichtereden wir nicht mehr von diesen anonymen Schiedsge-richten, diesen Law Firms, die daraus ein Geschäftsmo-dell machen, sondern von transparenten Verfahren inRichtung Handelsgerichtshof mit Richtern, von Beru-fungsverfahren und Ähnlichem . Wir haben bei diesemAbkommen Dinge hinbekommen, die tatsächlich nachvorne weisen, was die Gestaltung der Globalisierung be-trifft, was beispielsweise Arbeitnehmerrechte anbelangt.Die Kanadier ratifizieren aufgrund dieser Verhandlungeninzwischen alle Kernarbeitsnormen der ILO . Das ist einRiesenfortschritt .Wir sagen aber noch nicht Ja, weil wir an zwei, dreiStellen in diesem Bereich – darin sind wir uns vollstän-dig einig mit den deutschen Gewerkschaften – noch aufFortschritte warten, beispielsweise wenn es darum geht,dass nicht nur ILO-Kernarbeitsnormen unterschriebenwerden, sondern dass sie auch durchgesetzt werden, bei-spielsweise wenn es darum geht, der Sorge entgegenzu-treten, dass die Daseinsvorsorge gefährdet ist oder dassRekommunalisierung nicht mehr möglich ist . Wir wolleneine Klarstellung in diesem Bereich . Noch einmal: DasAbkommen ist sehr weit . Ich sage einmal an die Adres-se der Grünen: Ihr wart mal eine Partei der Aufklärung .Jetzt seid ihr eine Partei der Mythen . An die Adresse desKollegen Michael Fuchs sage ich: Wir wollen Freihan-del, aber – das ist der Unterschied zu Ihnen – nicht umjeden Preis .
Wir wollen Freihandel auf Basis von fairen Regeln .
Michael Fuchs, so zu tun, als sei TTIP etwas, was sozusa-gen innerhalb von Wochen zu erreichen ist, das finde icham Rande dessen, was man seriös sagen darf . Denn jedervon uns weiß, dass wir schon bei der Hannover Mes-se darauf hingewiesen haben, dass ein faires und gutesTransatlantisches Freihandelsabkommen zwischen Eu-ropa und den Vereinigten Staaten in dieser kurzen Fristnur schwer zu erreichen ist und dass wir klare Vorstel-lungen haben . Das ist übrigens im Zusammenhang mitTTIP auch meine Kritik an der Bundeskanzlerin . BeimGespräch mit Präsident Obama hat sie Folgendes verlau-ten lassen: Sie wolle jetzt in Europa für eine neue Ver-handlungsdynamik in Sachen TTIP werben . Vielleichthätte sie gegenüber der amerikanischen Regierung liebereinmal deutlich machen sollen, was unsere europäischenund deutschen Anforderungen an ein faires transatlanti-sches Freihandelsabkommen sind .
Einfach nur zu sagen „Das muss jetzt schnell kom-men“, und sich nicht dafür einzusetzen, dass man Fort-schritte in der Sache hinbekommt, hat auch dazu geführt,dass die Zeit jetzt knapp ist . Deshalb sage ich – HerrGabriel als Bundesminister hat das deutlich gemacht –:TTIP ist realistischerweise aufgrund der Tatsache, dass inAmerika im November Präsidentschaftswahlen sind undda zwei kandidieren, von denen der eine ganz gegen Frei-handelsabkommen ist und die andere sagt: „So auf garkeinen Fall“, in dieser Legislaturperiode nicht erreichbar .Das ist der Unterschied . Der eine Text liegt vor . Ich sage:Wir haben mit Kanada mit einer neuen Regierung, miteiner, wie ich finde, sozialliberalen Regierung bessereChancen, dieses ohnehin ganz ordentliche Freihandels-abkommen im Gespräch mit den Parlamenten noch bes-ser zu machen . Das ist der Unterschied .Wir wissen, dass in Deutschland viele Arbeitsplätzein großen, in kleinen und in mittelständischen Unterneh-men auch vom Export abhängen . Wir dürfen keine Re-nationalisierung von Wirtschaftspolitiken zulassen . Aufder anderen Seite wissen wir auch, einfach grenzenlosMärkte zu öffnen, ohne faire Regeln zu schaffen, ohneGlobalisierung zu gestalten, ist nicht der richtige Weg .Das ist vielleicht der Unterschied zwischen den Grünen,die einfach nach dem Motto handeln: „Freihandel wol-len wir nicht, wir machen die Grenzen dicht“, und einerCDU, die sagt: „Regeln interessieren uns nicht .“ Wir ge-hen den mühevolleren Weg, Globalisierung zu gestalten .Ich glaube, das ist die zukunftsfähige Antwort auf eineWeltwirtschaft im 21 . Jahrhundert .Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Klaus Ernst erhält nun das Wort für die Fraktion Die
Linke .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Wir haben gestern gehört, dass nach Ansicht unsererKanzlerin der Haushalt die wesentlichen Probleme derZeit versucht finanztechnisch anzugehen. Das war derKern . Damit ist allerdings auch gesagt, wo die Regierungdie Probleme nicht sieht: wenn sie nicht in diesem Haus-halt angesprochen wurden .Wir haben folgende Situation: Das Problem der Ver-mögensverteilung und das Problem der ungleichen Ein-kommensverteilung sind offensichtlich für die RegierungHubertus Heil
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kein Problem, sonst würde sie sie ansprechen, sonstwürde sie versuchen, das Problem zu lösen . Das obers-te Tausendstel der Vermögenspyramide – ein Tausends-tel der Menschen, die bei uns leben – besitzt laut DIW17 Prozent des gesamten Vermögens der BundesrepublikDeutschland . Auf der anderen Seite der Vermögenspyra-mide – wir wissen das – reicht es kaum zum Leben . Esgibt Kinderarmut . Ein Viertel aller Kinder in Deutsch-land leben in einem Haushalt, der sich nicht einmal eineneinwöchigen Urlaub leisten kann . Ein besonderes Ar-mutsrisiko haben Alleinerziehende, überwiegend Frau-en, ein besonderes Armutsrisiko haben Alte . Das WSIstellt fest: Die Vermögensungleichheit ist in Deutschlandbesonders stark ausgeprägt . Innerhalb der Euro-Zone istDeutschland nach Österreich das Land mit der höchstenVermögensungleichheit . – So weit die Fakten .Wo sind Ansätze, das zu ändern? Herr Wirtschaftsmi-nister, der Hinweis, dass in der Bundesrepublik Deutsch-land die Einkommen in den letzten Jahren im Durch-schnitt um 1 000 Euro gestiegen sind, verwirrt eher,als dass er erläutert . 1 000 Euro im Durchschnitt heißt,dass es durchaus unterschiedlich verteilt ist . Ich nenneein Beispiel: Wenn Sie, Herr Gabriel, mit einem Fußim Eiswasser stehen und mit dem anderen Fuß im ko-chenden Wasser, dann ist es Ihnen am Hintern nicht lau-warm, sondern Sie verbrennen und verkühlen sich, unddas gleichzeitig . Wenn wir wissen, dass bei der Einkom-mensverteilung insbesondere die unteren Einkommen,nämlich derjenigen, die im Niedriglohnsektor arbeiten,in den letzten zehn Jahren sogar Einkommenseinbußenhinnehmen mussten, dann ist das doch ein Problem, dasdie Bundesregierung endlich effektiv angehen muss. Dahaben Sie keine Vorschläge gemacht, keinen einzigen .
– Ja, ihr habt den Mindestlohn eingeführt: deutlich zuniedrig . Wir haben die Bundesregierung gefragt, wiehoch er sein müsste, dass jemand, der den Mindestlohnbekommt, wenigstens eine Rente erhält, die über derGrundsicherung im Alter liegt: 11,68 Euro . Sie haben mi-nimal erhöht . Sie produzieren mit dem Mindestlohn, sorichtig er an sich ist, Altersarmut . Das wollen und müs-sen wir ändern, meine Damen und Herren .
Die 500 reichsten Deutschen konnten ihr Vermögen2015 um 8,7 Prozent auf 723 Milliarden Euro steigern .Eine Millionärssteuer von 5 Prozent allein für dieseGruppe hätte 36 Milliarden Euro Mehreinnahmen imStaatshaushalt zur Folge . Sie hätten immer noch 2,6 Pro-zent mehr, mehr als jeder normale Mensch auf der Bankbekommt . Übrigens: Diese 36 Milliarden Euro hättenwir, ohne die schwarze Null zu gefährden .Apropos schwarze Null: Wir haben das Beispiel Ap-ple . Die haben mit Zustimmung von Irland zu wenigSteuern gezahlt . Der bayerische Finanzminister sagt:Eigentlich ist es schlecht, wenn die Europäische Kom-mission das Geld von Apple eintreiben will – die 14 oder15 Milliarden Euro . Meine Damen und Herren, was istdas denn? Die Begründung übrigens ist, dass wir die Ver-handlungen, Herr Fuchs, über TTIP mit den Amerikanernnicht gefährden dürfen . Deshalb treiben wir die 15 Milli-arden Euro nicht ein . Wenn man als Wirtschaftsministerso agiert wie der bayerische Finanzminister, dann brauchtman sich nicht zu wundern, dass sich die Bürgerinnenund Bürger von der Politik abwenden, da sie genau wis-sen, dass auf der einen Seite unten pünktlich die Steuerngezahlt werden . Sie werden vom Lohn abgezogen, mansieht sie überhaupt nicht . Solch ein Unternehmen aberwird ganz besonders behandelt, und das auch noch mitZustimmung aus Bayern . Mein Gott! Da kann ich nichtnur sagen: „armes Deutschland“, sondern ich muss sa-gen: „armes Bayern“ – und das sage ich als Bayer .
Meine Damen und Herren, die Defizite, die wir in un-serem Land haben, sind bekannt, ob wir über die Kran-kenhäuser sprechen, über den Wohnungsbau, die Brü-cken oder die Verkehrswege . In dieser Situation über dieschwarze Null zu schwadronieren oder auf der anderenSeite über Steuersenkungen zu reden, das ist momentanwirklich absolut der falsche Weg .Wir haben fehlende Investitionen; der KollegeHofreiter hat es angesprochen . Herr Schäuble und HerrGabriel, Sie tragen die schwarze Null wie eine Mons-tranz auf einer Fronleichnamsprozession vor sich her,verbunden mit der vagen Hoffnung, der Herr wird danndie Investitionen schon tätigen . Das wird er aber nicht,das müssen wir schon selbst in Ordnung bringen . Des-halb sagen wir: Wenn man sich in einer Situation vonnull Zinsen weigert, in irgendeiner Form die dringendenAufgaben des Staates aus Schulden zu finanzieren, dannhat das mit Realitätssinn nichts mehr zu tun . Im Übrigen:Auch die Unternehmen investieren zu wenig, weil dieAnregung über öffentliche Investitionen zu niedrig ist.
Nun muss ich doch noch einmal etwas zu Herrn Fuchssagen . Der deutsche Außenhandelsüberschuss wird auf8,9 Prozent geschätzt . Die Europäische Union sagt: Al-les, was über 6 Prozent ist, ist schon schädlich . Sie sagtenwörtlich über diesen Überschuss: Dafür sind wir dankbar .
Dann haben Sie aber, von der wirtschaftlichen Kompe-tenz einmal abgesehen, in dieser Frage überhaupt kei-ne Ahnung; denn ich sage Ihnen: Das Stabilitätsgesetzspricht nach wie vor von ausgeglichenen außenwirt-schaftlichen Beziehungen . In dieser Situation feiern Sieeinen Außenhandelsüberschuss, der in anderen Länderngenau zu Problemen führt: Wir sind nicht Motor derWirtschaft, sondern wir werden von den anderen gezo-gen, weil sie uns die Dinge abkaufen . Das ist ein Pro-blem, Herr Fuchs . Sie sollten das einmal erkennen undnicht immer so tun, als wäre das toll .
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Nun komme ich zu TTIP und Ihrem Antiamerikanis-mus .
Lieber Herr Ernst, das muss aber jetzt ganz fix gehen.
Dann muss ich es ganz schnell machen . – Herr Fuchs,
Antiamerikanismus und TTIP: Haben Sie zur Kenntnis
genommen, dass sich sämtliche Präsidentschaftskandi-
daten in Amerika von diesem Handelsabkommen distan-
zieren? Ja haben wir denn in Amerika bei den Präsident-
schaftskandidaten Antiamerikaner? Also, mehr daneben
als dieser Vorwurf geht wirklich nicht, Herr Fuchs .
Ich danke für die Aufmerksamkeit .
Andreas Lämmel erhält nun das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Verehrter Kollege Ernst, ich hatte gedacht, das istheute die Debatte um den Wirtschaftshaushalt . Aber Siehaben das wahrscheinlich mit einer Parteitagsrede vorIhren Genossen verwechselt . Wenn Sie schon die Frageder sozialen Gerechtigkeit in Deutschland ansprechen, sokann ich Ihnen sagen: Es gab einmal den Slogan „Ge-recht ist, was Arbeit schafft“. Herr Kollege Ernst, seitdemdie CDU/CSU wieder in der Regierung ist, seitdem wir2005 Rot-Grün abgelöst haben, haben wir über 5 Millio-nen zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsver-hältnisse – 5 Millionen in zehn Jahren! –, und das trotzzweier sehr einschneidender Krisen: der Wirtschafts- undder Euro-Krise . Wenn das kein Ausdruck dessen ist, dasssich in Deutschland die Gesamtsituation der Beschäfti-gung und damit auch die Einkommensverhältnisse we-sentlich verbessert haben, dann weiß ich nicht, was Sienoch erwarten .Zu den 1 000 Euro, die der Minister bei den Nettolöh-nen angesprochen hat, kann ich Ihnen noch eine Zahlsagen – Sie wollten es ja gern prozentual –: 3,2 Prozentpro Jahr ist die Entwicklung in Deutschland bei den Brut-tolöhnen, und das ist inflationsbereinigt. Daran könnenSie sehen, dass auch neugeschaffene Arbeitsplätze dazuführen, dass die Menschen mehr Einkommen generierenkönnen, und genau das ist doch der Sinn von Wirtschafts-politik .
Deshalb ist Wirtschaftspolitik, meine Damen und Her-ren, Zukunftspolitik . Die Dinge, die wir jetzt im Haushaltanschieben, wirken nicht heute und morgen, sondern ent-falten übermorgen und überübermorgen ihre Wirkung .Deshalb ist es wichtig, dass wir heute kluge Beschlüssefassen .Ich möchte zum Haushalt ein paar Worte verlieren,weil es hier, wie gesagt, auch um die Zukunftsfähigkeitder Wirtschaft in Deutschland geht . Manche denken im-mer, dass die Wirtschaft in Deutschland so gut läuft, wäregottgegeben, da müsste man nichts tun . Aber, meine Da-men und Herren, das ist ein großer Irrtum . Niemand aufder Welt wartet darauf, bis wir in Deutschland einmalaus der Knete kommen, um verschiedene Dinge voran-zuschieben .Wenn man sich mit der Entwicklung der Wirtschaft inden nächsten Jahren beschäftigt, dann erkennt man – dasist ein unbestrittener Fakt –, dass die Digitalisierung derWirtschaft der entscheidende Faktor ist, wenn es darumgeht, weltwirtschaftlich überhaupt noch konkurrenzfähigzu sein . Da ist es uns in Deutschland gelungen, mit demBegriff „Industrie 4.0“ eine weltweite Marke zu schaf-fen . Selbst im englischsprachigen Raum verwendet manheute für die Digitalisierung der Wirtschaft den Begriff„Industrie 4 .0“ . Nun ist es natürlich an uns, wenn mandie Marke geschaffen hat, sie auch auszufüllen und zumErfolg zu bringen . Ich denke, der Haushaltsentwurf, deruns jetzt vorliegt, ist genau der Schritt dahin, diese Mar-ke mit Inhalten zu füllen .
Was braucht man für die Digitalisierung der Wirt-schaft? Man braucht natürlich Erfolge bei den Schlüs-seltechnologien . Eine Voraussetzung für das Gelingenvon Industrie 4 .0 sind zum Beispiel Erfolge im BereichMikroelektronik . Jahrelang hat dieser Bereich in der öf-fentlichen Diskussion in Deutschland ein Schattendaseingeführt, weil die Annahme war – viele dachten das –,dass es die Mikroelektronik in Deutschland oder Europagar nicht mehr gibt und sie sowieso schon lange in Asienist . Aber das ist ein großer Irrtum . Wenn wir die Mikro-elektronik in Deutschland und in Europa nicht weiterent-wickeln, wenn wir das den Asiaten und den Amerikanernüberlassen, meine Damen und Herren, dann wird es – daskann ich Ihnen sagen – für die Industrie 4 .0 in Deutsch-land auch schwierig .
Auch das ist klar: Neben der Mikroelektronik und derSoftwareentwicklung brauchen wir ein völlig neues Netzzur Datenübertragung, den sogenannten 5G-Standard,der im Moment in Deutschland entwickelt wird; wir sindda weltweit an der Spitze . Es wird ganz entscheidend da-rauf ankommen, dass in den nächsten Jahren dieser soge-nannte 5G-Standard in Deutschland schnell Platz greift,weil nur mit diesem Standard überhaupt zum Beispielautonomes Fahren mit Autos oder die Digitalisierung derIndustrie möglich sind .Klaus Ernst
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Herr Minister, bei der Mikroelektronik sind die Vo-raussetzungen dafür geschaffen worden, dass wir in dennächsten Jahren durchaus erfolgreich sein können . Beider 5G-Entwicklung wäre doch zu überlegen, ob manhier nicht noch einen etwas größeren Schub gibt, ob manhier nicht ein Sonderprogramm entwickelt, damit die be-teiligten Universitäten nicht bloß immer Anträge beimBMBF stellen können, und auch dafür sorgt, dass 5G,worunter sich viele Leute nichts vorstellen können,
augenscheinlich wird und ein Verständnis dafür entsteht,was man mit diesem neuen Standard eigentlich erreichenkann .Positiv am Haushalt ist, dass die Mittel des Kapitels„Digitale Agenda“ noch einmal deutlich aufgestockt wer-den . Aber wenn man jetzt einmal den ganzen Haushaltdurchsieht, dann muss man feststellen, dass zum Beispieldie verschiedenen Titel im Zusammenhang mit der Digi-talen Agenda und der Industrie 4 .0 sehr unterschiedlichveranschlagt sind . Ich würde sehr dafür plädieren, dassman das einmal zusammenfasst, dass man hier sozusagenklarmacht, dass die Industrie 4 .0, die Digitalisierung derWirtschaft, auch im Haushalt eine wichtige Rolle spielt .
Meine Damen und Herren, es sprach vorhin ein Red-ner – ich weiß gar nicht mehr genau, wer es war – davon,dass ZIM mit einer halben Milliarde Euro ausgestattetwürde und der Rest der Mittel zu den Großkonzernenflösse. Das ist natürlich völliger Unfug. Im Haushalt fin-den sich zum Beispiel auch Programme für die Luft- undRaumfahrt . Erst einmal: Die Luft- und Raumfahrt ist einwichtiger, innovativer Industriezweig in Deutschland .Dort arbeiten auch Menschen – das muss man einmal sa-gen –, dort gibt es auch Arbeitsplätze . Selbst in der Luft-und Raumfahrt gibt es mittelständische Unternehmen .Derjenige Redner, der das vorhin von sich gegeben hat,sollte einmal einen Blick in den Haushalt werfen,
weil im Haushalt die Quoten, die auf die Mittelständlerentfallen, genau ausgewiesen werden . Jetzt das ZentraleInnovationsprogramm Mittelstand auszuspielen gegendas Thema Luft- und Raumfahrt, das halte ich für völ-ligen Unfug,
zumal zum Beispiel die Gemeinschaftsaufgabe „Verbes-serung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ein klassi-sches Mittelstandsprogramm ist . Wenn man die Postenim Haushalt einmal zusammenrechnet, die spezifisch fürden Mittelstand bereitgestellt werden, dann wird mansehen: Der Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriumsist im Prinzip ein Haushalt für die mittelständische Wirt-schaft in Deutschland .
Zum Thema Außenwirtschaft . Herr Hofreiter, viel-leicht hätten Sie sich an der Anhörung zu CETA in die-ser Woche beteiligen sollen, dann hätten Sie nicht solchehalbgewalkten Sachen von sich gegeben; denn die Punk-te, die Sie angesprochen haben, haben Ihre Kollegen undauch die linke Seite in der Anhörung angesprochen . Siehätten sich die Meinung der Experten anhören sollen .
Denken Sie doch einmal darüber nach, ob es sein kann,dass Ihr Standpunkt, den Sie einnehmen, fachlich nichtuntermauert ist .
Das müssen Sie auch als Politiker anerkennen . So wenigSie mit Ihrer Ideologie in Sachen Energiewende die Phy-sik außer Kraft setzen können, so wenig können Sie mitIdeologie Handelspolitik machen .
So einfach ist das .
Ich empfehle Ihnen: Nutzen Sie die fachliche Kompetenzin den Anhörungen, damit Sie hier im Plenum fachge-recht diskutieren können .
Zum Thema Außenwirtschaft, Herr Minister, müssteman aus meiner Sicht folgende Frage diskutieren . Es gibteine Menge verschiedener Exportinitiativen: die Export-initiative Gesundheitswirtschaft, die ExportinitiativeEnergieeffizienz, die Exportinitiative Erneuerbare Ener-gien und weitere Exportinitiativen . Auch hier wäre zuüberlegen, ob man diese Exportinitiativen nicht bündelt,um sie auch für Außenstehende etwas transparenter zumachen; denn das soll mit diesen Initiativen im Prinziperreicht werden .Jetzt war in dieser Woche in den Zeitungen zu lesen,dass die deutsche Wirtschaft am besten beim Export indie ganze Welt aufgestellt ist, weil sie sehr diversifiziertist . Sie hat nicht nur einen Markt, sondern sie hat weltweitviele Märkte . Nur auf einem Markt, Herr Minister, sindwir nicht so gut vertreten, und das ist der Markt in Afrika .Ich möchte hier dafür werben: Wir sollten den KontinentAfrika nicht den Chinesen, Türken, Indern oder anderenüberlassen, sondern wir sollten uns gemeinschaftlich be-mühen, dass die deutsche Wirtschaft mit mehr Engage-ment in Afrika unterwegs sein kann . Ich rege an, dassman sich im Hause des Bundeswirtschaftsministers zu ei-Andreas G. Lämmel
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ner Strategie zusammenrauft, aus der hervorgeht, wie wirin den nächsten Jahren auch in Afrika wieder mehr Fußfassen können . Das wäre jedenfalls mein großer Wunsch .
Die Eröffnung der neuen Büros in Sambia und in Mo-sambik geht in die erst einmal richtige Richtung, aberman braucht einen generellen Ansatz, um in Afrika tätigzu werden . Vor allem geht es darum, die mittelständischeWirtschaft nach Afrika zu bringen .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zusammen-fassend: Wir finden den Entwurf des Haushalts für dasBundeswirtschaftsministerium sehr positiv . Man kannsicherlich noch einige Diskussionen führen, aber er stelltdie Weichen für eine erfolgreiche weitere Entwicklung inDeutschland .Vielen Dank .
Und nun spricht die Kollegin Anja Hajduk für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Gemessen daran, dass eine der wichtigsten wirt-schaftspolitischen Aufgaben ist, Innovationen und Inves-titionen zu fördern, dazu zu ermuntern und sie wirklichzu steigern, ist dieser Haushalt eine große Enttäuschung,Herr Minister, und ich will das belegen .
Sie haben sich selber ehrgeizige und engagierte Zielebeim Digitalen Innovationsprogramm Mittelstand ge-setzt . Sie haben gesagt: Ich will die Mittel auf 1 Milli-arde Euro bis 2018 steigern . Das hätten Sie aber jetzt imHaushalt 2017 unterstreichen müssen .
Sie haben die selbstgesetzten Ziele zum Beispiel beimZentralen Innovationsprogramm Mittelstand, die Mittel,wie angekündigt, auf 700 Millionen Euro zu erhöhen,nicht erreicht, sondern Sie bleiben 150 Millionen Eurodarunter . Das ist ein Beleg .Zweiter Beleg: Sie hatten angekündigt, die Mittel fürdie industrielle Gemeinschaftsforschung auf 200 Millio-nen Euro auszuweiten, doch Sie packen nur 500 000 Eurodrauf .Das sind die schlichten Zahlen, die zeigen, dass dieMittel für Investitionen im digitalen Bereich nicht in derWeise gesteigert werden, wie sie sollten .
Unter diesen Programmen gibt es zuhauf gute Projekte,die wegen mangelnder Mittel aber nicht bewilligt werdenkönnen .Zum Breitbandausbau muss man auch noch Folgendessagen: Es ist wirklich absurd, dass Sie weitere Jahre inineffizientes Kupfer investieren, statt flächendeckend aufGlasfaser umzustellen . Sie wissen doch selber, dass wirim OECD-Vergleich hinsichtlich der Glasfaserkabelan-bindung nur auf Platz 30 von 35 Ländern liegen . Das istwirklich ein Armutszeugnis Ihrer Regierung .
Auch bei Innovationen treten Sie richtig auf die Brem-se . Das Existenzgründungsprogramm im Bereich Wis-senschaft, EXIST, wird um knapp 20 Prozent gekürzt,und das Ressourcenprogramm, bei dem es darum geht,mit Rohstoffressourcen effizienter umzugehen, stellenSie im Haushalt 2017 vollständig ein .
Die Kollegen der Koalition haben Sie aufgefordert, dieseAngebote zur betrieblichen Ressourceneffizienz fortzu-entwickeln und auszubauen . Ihre Antwort: Das einzigeProgramm in diesem Bereich wird ersatzlos gestrichen .Das ist ein Armutszeugnis für einen Minister, der dasWort „Innovation“ in den Mund nimmt .
Insgesamt, Herr Gabriel, scheitern Sie damit an derAufgabe, die ökologische Modernisierung unserer Indus-trie wirklich voranzutreiben . Doch das muss das Projekteines so starken Landes wie Deutschland im 21 . Jahrhun-dert sein . Dass Sie Gegner des Kohleausstiegs sind, istbekannt . Darüber werden wir noch weiter sprechen, HerrMinister .Wir haben es aber insgesamt mit einem falschen Sys-tem bei unserem wirtschaftspolitischen Denken zu tun .Zum Beispiel ist es bei uns ganz normal, dass die In-dustrie einen Anspruch auf großzügige Kompensationenerhält, auch wenn sie nicht effizient ist. Beispiel Strom-preiskompensation: Die Mittel dafür werden laut diesemHaushaltsentwurf um 55 Millionen Euro auf 300 Millio-nen Euro gesteigert . Es geht um Strompreiskompensati-onen ohne Effizienznachweis. Die Mittel dafür sind um40 Prozent höher als alle Mittel, die Sie in Programmeim Rahmen Ihrer Digitalen Agenda stecken . Das ist dochkeine moderne Wirtschaftspolitik .
Noch ein Punkt, der unterstreicht, was bei uns im Lan-de hinsichtlich des wirtschaftspolitischen Denkens falschläuft, bei dem Ihnen der Mut fehlt, Herr Gabriel . Es gehtum den Umgang mit der Autoindustrie; Herr Hofreiterhat das schon angesprochen . Jetzt kommen Sie mit ei-ner Kaufprämie für Elektroautos von 600 Millionen Eurobis 2019 . Ich will jetzt gar nicht davon sprechen, dass esdabei Startschwierigkeiten gibt . Aber Sie und die Uni-Andreas G. Lämmel
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on halten gleichzeitig krampfhaft an der Privilegierungvon Dienstwagen fest . Das sind 5 Milliarden Euro Steu-ersubventionen pro Jahr . Wenn Sie sich das einmal ganznüchtern anschauen, stellen Sie fest: Dienstwagen ma-chen zwei Drittel der Neuzulassungen aus . Bei der Hälftedavon handelt es sich um Dieseltechnologie . Wenn Siemit 5 Milliarden Euro solche Anreize in der Automobil-industrie setzen, aber bei der Elektrotechnologie nichtvorankommen, dann verantworten Sie es, dass wir beidieser wichtigen Industrie, die so viel Beschäftigung inDeutschland bietet, nicht modernisieren .
Sie bauen eine Innovationsbremse ein, weil Sie Angst ha-ben, alte Privilegien schrittweise abzubauen .
Das ist eine wirtschaftspolitische Sünde . Dafür werdenwir noch einen hohen Preis bezahlen .Dies ist wirklich ein Haushalt der verpassten Chan-cen, und Sie sind kein ökologischer Industrieminister,sondern Sie sind ein Industrieminister von gestern .
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Jurk für die
SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Um unsere wirtschaftliche Leis-tungsfähigkeit und damit gut bezahlte Arbeitsplätze auchzukünftig zu sichern, müssen wir bei der längst begon-nenen Digitalisierung der Wirtschaft jetzt die richtigenWeichenstellungen vornehmen . Ich freue mich, dassdie Bundesregierung das ebenso sieht und im Etat desBundeswirtschaftsministeriums mit dem vorliegendenHaushaltsentwurf für 2017 die richtigen Schwerpunktebei Innovationen und Digitalisierung gesetzt hat . So wer-den die Ansätze für das Zentrale InnovationsprogrammMittelstand, ZIM, um 5 Millionen Euro und für die In-dustrieforschung um 6 Millionen Euro angehoben . ImGegensatz zu meinem Vorredner will ich durchaus da-rauf hinweisen, dass das ein stetiger Aufwuchs über dieletzten Jahre gewesen ist .
Man kann sich immer mehr wünschen . Wenn Spielräumeda sind, werden wir sie, glaube ich, auch nutzen .
Außerdem werden die Mittel für den Investitionszu-schuss Wagniskapital massiv erhöht: um 16 MillionenEuro auf mittlerweile 46 Millionen Euro . Zudem stehenin dieser Förderperiode des Europäischen Sozialfondsnunmehr 85 Millionen Euro für den zweiten Mikromez-zaninfonds bereit . Über den Fonds erhalten Existenz-gründer und junge Unternehmen Eigenkapital von biszu 50 000 Euro für zehn Jahre . Die Schwerpunktsetzungauf junge und auf innovative Unternehmen ist uneinge-schränkt zu begrüßen .
Mit zusätzlichen Mitteln in diesem Haushalt sollen2017 weitere Mittelstand-4 .0-Kompetenzzentren zurUnterstützung von kleinen und mittleren Unternehmenbei der Digitalisierung errichtet werden, um eine bun-desweite Abdeckung sicherzustellen . Darüber hinaus sollauch das bisher sehr gut angenommene Modellvorhaben„go-digital“ zu einem bundesweiten Förderprogrammausgebaut werden . Mit „go-digital“ können kleine undmittelständische Unternehmen und das Handwerk exter-ne Beratungsleistungen in Anspruch nehmen, um fit fürdie digitalen Herausforderungen zu werden . Auch hier istdas Geld gut angelegt .Die wichtigste Weichenstellung für die Zukunft unse-res Landes verbinde ich jedoch mit dem Titel „Mikro-elektronik für die Digitalisierung“, welcher für 2017 mit50 Millionen Euro ausgestattet ist
– das ist ja nur der Einstieg – und weitere Verpflichtungs-ermächtigungen, also die Chance auf Bewilligung, inHöhe von 800 Millionen Euro einräumt . Hinter diesemHaushaltstitel verbirgt sich der Bundesanteil eines Inves-titionsprogramms, das gemeinsam mit anderen EU-Mit-gliedstaaten als wichtiges Vorhaben von gemeinsamemeuropäischen Interesse – Important Project of CommonEuropean Interest, IPCEI – umgesetzt werden soll . Zielist es, die deutsche Mikroelektronikbranche bei For-schung, Entwicklung und Produktion neuartiger Bauteilezu unterstützen . Denn viele Innovationen im Maschinen-und Anlagenbau der Elektroindustrie oder auch bei denerneuerbaren Energien sind nur durch neue Entwicklun-gen in der Mikroelektronik möglich .Die deutsche Wirtschaft braucht eine leistungsfähigeund innovative Mikroelektronik . Vor einigen Jahren – da-mals war ich noch Wirtschaftsminister in Sachsen, einemLand mit einem bedeutenden Mikroelektronik-Clus-ter – wurden auf Bundesebene die Potenziale der Bran-che kaum gesehen . 2009 ging leider auch der einzigeSpeicherchiphersteller Europas mit immerhin 3 900 Ar-beitsplätzen in Dresden, Qimonda, in die Insolvenz . Ichbegrüße es deshalb ausdrücklich, dass die Bundesregie-rung mit der Beteiligung an dem europäischen Projektdie Bedeutung der Mikroelektronik als Schlüsselindus-trie mit strategischer Bedeutung für unsere ökonomischeEntwicklung erkannt hat .
Insgesamt sollen bis zum Jahre 2020 bis zu 1 Milli-arde Euro an Investitionszuschüssen im Etat des Bun-deswirtschaftsministeriums und weitere 400 MillionenEuro für Forschung und Entwicklung im Etat des Bun-Anja Hajduk
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desforschungsministeriums zur Verfügung gestellt wer-den . Mit diesen Investitionszuschüssen des Bundes sol-len in Deutschland in den nächsten Jahren Investitionenin Höhe von 3,8 Milliarden Euro ausgelöst werden . DasGesamtvolumen der Investitionen auf europäischer Ebe-ne liegt übrigens bei 6,5 Milliarden Euro . Das ist einegewaltige Dimension .Mit der Förderung der Mikroelektronik setzen wireuropapolitisch ein wichtiges Signal . Denn diese ge-meinsame europäische Initiative ist durchaus als AntwortEuropas auf massive Subventionen der Mikroelektronik-industrie in einigen außereuropäischen Staaten wie Ko-rea, China, Taiwan oder den USA zu verstehen . Die In-vestitionsförderung des Bundes wird die wirtschaftlicheEntwicklung auch und gerade in den neuen Ländern stär-ken; denn voraussichtlich 80 Prozent der Investitionszu-schüsse werden in die neuen Länder fließen. Es handeltsich bei der Förderung der Mikroelektronik also auch umeinen wichtigen Beitrag zum Aufbau Ost . Dafür möchteich Bundesminister Sigmar Gabriel ausdrücklich danken .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zusammen-fassend darf ich feststellen: Der Haushaltsplanentwurfsetzt die richtigen Prioritäten . Er ist eine sehr gute Aus-gangs- und Arbeitsgrundlage für die anstehenden Aus-schussberatungen .
Eva Bulling-Schröter erhält nun das Wort für die Frak-
tion Die Linke .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! WerGeld ausgibt, der muss auch erklären, was für eine Poli-tik er oder sie damit machen will . Wer das Geld der Bür-gerinnen und Bürger ausgibt, der muss das natürlich erstrecht beantworten .Was ist jetzt das Ziel des Einzelplans 09? Was sagter über die Ziele des Wirtschaftsministeriums zu Energieund Klimaschutz? Da steht dann: Als Energieministe-rium gestaltet das Wirtschaftsministerium die Energie-wende . – Mit über 80 Prozent bleibt der Energiebereichin Deutschland für den Großteil der Treibhausgase ver-antwortlich . Sehr richtig! Also, für den Klimaschutz istdas Ministerium von Herrn Gabriel ziemlich zentral undwichtig .Ja, und jetzt? Jetzt sehen wir beim Klimaschutz geradeeher andere am Zug, und das wirft bei uns große Fragenauf . Da haben uns beim G-20-Gipfel die USA und Chinaja vorgemacht, wie schnell das Pariser Klimaschutzab-kommen ratifiziert werden kann. Ausgerechnet die altenKlimabremser USA und China treten diesem so wichti-gen Vertrag vor Deutschland bei . Da schau!
Das Zögern der Großen Koalition finde ich da schonverwunderlich .
– Das finde ich sehr verwunderlich;
denn in jedem dritten Satz wird betont, dass durch denKlimaschutz weder für die öffentlichen Haushalte nochfür die Wirtschaft zusätzliche Kosten entstehen sollen .
Das heißt, jetzt wird es einmal Zeit mit dem Ratifizie-ren. Wir brauchen hier mehr öffentliche Bekenntnisse fürmehr Klimaschutz, meine Damen und Herren, und natür-lich nicht nur Bekenntnisse, sondern auch Taten .
Aber stattdessen rücken jetzt wieder die alten Klimab-remser in der Union nach vorn und fordern ausgerech-net im Jahr eins nach der Pariser Klimakonferenz eineAufweichung der deutschen Klimaschutzziele . Ich sageIhnen: Das ist zukunftsfeindlich und rückwärtsgewandt .
Die NASA hat für 2016 gerade festgestellt, dass dieCO2-Konzentration in der Atmosphäre eine historischeRekordhöhe erreicht hat . Das heißt, wir müssen mehrstatt weniger tun .Da wird vom Kanzleramt, vom Verkehrs- und Land-wirtschaftsministerium, aber auch vom Wirtschaftsmi-nisterium der Klimaschutzplan der UmweltministerinHendricks zerschossen . Ich sage: Da geht ganz viel in diefalsche Richtung, nämlich nach hinten statt nach vorne .Das muss sich ändern, meine Damen und Herren .
Dann haben wir zwei harte Klimabrocken, die wirLinke beiseiteschieben wollen .Das Erste ist der notwendige Kohleausstieg . Je längerman das Ende der Kohle aufschiebt, umso schmerzhafterist es für die Beschäftigten und die Regionen in Nord-rhein-Westfalen und der Lausitz; das wissen auch alle .Einer der größten Batzen im Einzelplan 09 ist nach wievor die Steinkohlesubvention mit rund 1 Milliarde Euro .
Ab 2018 wird hier viel Geld frei, weil die Kohlebei-hilfe in diesem Jahr ausläuft . Deshalb schlagen wir vor:Lassen Sie uns die freiwerdenden Posten in einen Struk-turwandelfonds für die Braunkohleregionen Lausitz undNordrhein-Westfalen überführen . Diese Mittel könneneinen entscheidenden Beitrag leisten, um den Kohleaus-Thomas Jurk
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stieg einzuleiten, unmittelbar und ohne soziale und wirt-schaftliche Verwerfungen, und darum geht es uns doch .
Wenn wir eines vom Ende der Steinkohle in Deutschlandgelernt haben, dann ist es doch das: Wer nicht sofort mitdem Kohleausstieg beginnt, der handelt fahrlässig unddem geht es eigentlich nur um Wahlkampf und nicht umdie Menschen in den Regionen .
Ich sage explizit: Beginnen und nicht alles auf einmal ab-schalten, wie Sie es uns unterstellen . Aber es muss jetztbegonnen werden .
Der andere Brocken ist die energetische Gebäude-sanierung. Das ist wirklich sozialer Sprengstoff – daswissen Sie –, weil viele Vermieter die energetische Sa-nierung zum Anlass nehmen, die Mieten weiter in dieHöhe zu treiben . Es ist einfach irre, was auf dem Woh-nungsmarkt passiert . Mieterinnen und Mieter werdenvertrieben, um anschließend teurer zu vermieten . DiesemSpiel muss endlich ein Ende gesetzt werden,
nicht nur wegen der Verdrängung, sondern auch, weilAkzeptanz von Klimaschutz so brutal zerstört wird . Wirschlagen deshalb vor, die Erhöhung der Mieten nachenergetischen Sanierungen für Menschen mit kleinenEinkommen abzufedern. Auch der von Ihnen abgeschaff-te Heizkostenzuschuss, von dem 1 Million Mieter profi-tieren würden, muss als eine Art Klimawohngeld wiederher .Energetische Sanierungen dürfen eben nicht für Angstund Schrecken sorgen . Energetische Sanierungen sollender Normalfall und ein Gewinn sein .Mieterinnen und Mieter sollten ein Recht auf energe-tische Sanierung erhalten . Das und nicht das Gegenteilmüssen wir fördern .Danke .
Ich erteile nun dem Kollegen Jan Metzler für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! 1981 gebo-ren, gehöre ich mit 35 Jahren zu der Generation, die fastnichts anderes kennt als ein geeintes Deutschland und eingeeintes Europa, eine Art Insel der Glückseligen, auf derFrieden, Freiheit und Sicherheit für alle und für die nach-folgenden Generationen von Kindesbeinen an selbstver-ständlich sind .Rückblickend kann ich mich nicht erinnern, dass wirin den letzten Jahren je eine Phase hatten, in der Krisen,Konflikte oder Kriege so wahrnehmbar nah an Europaherangerückt sind wie gegenwärtig . Gleichzeitig sind wirin einer Phase, in der Globalisierung und Digitalisierungin unserer Gesellschaft immer schneller voranschreiten,einer Phase, in der sich derart viel und schnell verändert,dass diese enorme Schlagzahl viele Menschen in unse-rem Land verunsichert .Gerade deshalb ist es so wichtig, Sorgen ernst zu neh-men und gleichzeitig ein Signal der Verlässlichkeit undder Stabilität für die Zukunft zu senden . Genau das tunwir . In diesem Zusammenhang möchte ich den KollegenFuchs entsprechend unterstützen . Mir geht es genausoauf den Zeiger, dass hier alles permanent – insbesonderedie Erfolgsbilanz in diesem Haushalt – so schlechtgere-det wird . Viele hier in diesem Haus haben ein Problemmit der Anerkennung von Leistungen und in diesemZusammenhang letztlich auch ein Kommunikationspro-blem – und nichts anderes .
Deutschland geht es wirtschaftlich so gut wie nie:Rekorderwerbstätigenzahl, niedrigste Arbeitslosenquoteseit der Wiedervereinigung, gleichzeitig steigende Re-allöhne und Renten, dazu seit fünf Jahren ein gesundesWirtschaftswachstum, das sich in diesem und im kom-menden Jahr fortsetzen wird . Wir müssen nicht nur dieseErfolgsgeschichte zusammen weiterschreiben, sondernvor allem müssen wir die Menschen in unserem Land da-bei weiterhin mitnehmen . Wir dürfen nicht müde werden,das zu betonen . Das ist unsere gemeinsame Aufgabe, umdenjenigen keinen Zentimeter Raum zu geben, die nuraus der Angst der Menschen Kapital schlagen wollenund an entsprechenden Lösungen überhaupt kein Interes-se haben .Gradmesser dafür, ob die richtigen Weichen gestelltwerden, sind in jedem Jahr der Bundeshaushalt, die mit-telfristige Finanzplanung und im Besonderen eben auchder Wirtschaftsetat . Für mich als junger Abgeordneterstehen dabei zwei Punkte im Mittelpunkt: die Zukunfts-fähigkeit und damit verbunden die Generationengerech-tigkeit .Ganz grundsätzlich ist es wichtig, dass an dem Credo„keine neuen Schulden“ in diesem Zusammenhang fest-gehalten wird . Das ist keine Demonstranz, sondern einaktiver Beitrag zur Generationengerechtigkeit in unse-rem Land .
Unserem Bundesfinanzminister Schäuble kann ich indiesem Zusammenhang für seine Beharrlichkeit und sei-ne Arbeit nur Danke sagen . Das ist eine enorme Leistung,die Sie in diesem Zusammenhang vollbracht haben .Zudem werden die Länder und Kommunen bis 2020 inMilliardenhöhe entlastet – so stark wie noch nie . Es wer-den Rücklagen geschaffen, um in wirtschaftlich schwie-Eva Bulling-Schröter
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rigen Zeiten handlungsfähig zu bleiben . Gleichzeitigwerden Spielräume eröffnet, um in allen Bereichen – denBereichen „Infrastruktur“, „Bildung und Forschung“ und„innere und äußere Sicherheit“ – weiter kräftig in die Zu-kunft unseres Landes zu investieren – und das so intensivund hoch wie in keinem anderen EU-Land . Das ist auchetwas, was man einmal unterstreichen kann .Einem Land und seinen Menschen geht es in die-sem Zusammenhang aber immer nur so gut, wie es diewirtschaftliche Basis im Land erlaubt . Dass wir starkeUnternehmen und eine solide Wirtschaft haben, ist keinGeheimnis . Im Export sind wir spitze . Das ifo-Institut hatin seiner aktuellen Prognose sogar vorhergesagt, dass wirChina als Exportweltmeister ablösen werden .Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, müssenaber auch weiterhin die richtigen Anreize gesetzt wer-den . Dem trägt der vorgelegte Haushalt für Wirtschaftund Energie Rechnung . Rund die Hälfte des Gesamt-etats kommt dabei direkt der Wirtschaft zugute . Beson-dere Schwerpunkte sind die Technologieförderung unddie Digitalisierung der Wirtschaft . Bei dem derzeitigenenorm schnellen Wandel müssen wir unsere Unterneh-men beim Übergang zur oftmals schon angesprochenenIndustrie 4 .0 bestmöglich begleiten . Das wird uns lang-fristig Wettbewerbsvorteile einbringen; da bin ich sicher .Entscheidend ist darüber hinaus, inwieweit wir in derLage sind, Jungunternehmen und ihre innovativen Ideenin unserem Land an uns zu binden . Gründungen und er-folgreiche Start-ups müssen nicht zwangsläufig aus SanFrancisco kommen . Ein Blick auf unser Land – daraufsind wir ebenfalls stolz – zeigt: Sie kommen oftmals ausBerlin . Aber sie kommen eben auch – das macht eben-falls glücklich – aus Saarbrücken, Jena und Worms . Zielmuss es sein, diese Innovativität überall in Deutschlandzu bündeln und nach vorne zu bringen, weil die innova-tiven Unternehmen mit ihren Ideen der Mittelstand vonmorgen sind .Um die neue Gründerzeit voranzubringen, sind Pro-gramme zur Förderung von Unternehmensausgründun-gen an Hochschulen und zur Stärkung des Wagniskapital-marktes sicherlich die richtigen Mittel . Die Neugründungund Finanzierung der ersten Schritte sind dabei oftmalsnicht das eigentliche Problem . Wichtig wird in diesemZusammenhang, den weitaus kniffligeren Schritt posi-tiv zu begleiten, nämlich den Schritt in die Wachstum-sphase, wenn eben dem Unternehmer aufgrund einer zugeringen Unternehmenslebensdauer bisher kein Kreditgewährt wurde . Hier müssen wir weiterhin positiv be-gleiten . Ausgezeichnet ist, dass hier mit einem 10-Mil-liarden-Euro-Fonds, der in Aussicht gestellt wird, genaudiese Finanzierungslücke geschlossen werden soll .Wir brauchen neue Ideen, um weiterzukommen . Des-halb finde ich es an der Zeit, innerhalb der EuropäischenUnion endlich wieder Zukunftsthemen zu platzieren, wiebeispielsweise die Digitalunion . Unterm Strich muss esunser gemeinsames Interesse sein, die Gründer- und Kre-ativenszene mit ihren immensen Potenzialen in Deutsch-land und in Europa zu halten und nach vorne zu entwi-ckeln .Digitalisierung ist keine Bedrohung . Ja, Geschäftsmo-delle müssen sich ändern. Der demografische Wandel undein verändertes Kundenverhalten sind dafür die Gründe .Besonders die Digitalisierung treibt den Wandel rasantvoran . Aber einzelne Branchen werden dadurch einenechten Evolutionssprung machen; auch davon bin ichüberzeugt . Arbeitsplätze könnten durch digitale Arbeits-teilung und mobile Arbeitsformen auch vermehrt dortentstehen, wo Fachkräfte zu Hause sind; im besten Fallealso auch da, wo bisher wenige Unternehmen angesiedeltsind und die Arbeitslosenzahl tendenziell höher ist .Nicht nur als Abgeordneter eines ländlichen Wahlkrei-ses, sondern eben auch als Berichterstatter für regionaleWirtschaftspolitik freue ich mich über die Chancen, diesich in diesem Zusammenhang ergeben und die insbe-sondere strukturschwächeren Regionen zugutekommen .Auch da setzen wir im Unterausschuss – dafür bin ichden Kolleginnen und Kollegen dankbar – die richtigenAkzente .
Dort, wo Menschen nicht das Gefühl haben, mitgenom-men zu werden oder Teil einer Erfolgsgeschichte zu sein,entsteht schnell die Gefahr, Demagogen zu folgen .Mir als Vertreter der jüngeren Generation, der wieselbstverständlich in Frieden, Freiheit und Sicherheitaufgewachsen ist, zeigt sich in Momenten wie diesen,wie großartig die Errungenschaften unserer Wiederver-einigung, aber auch der Europäischen Union waren undsind . Gemeinsam können wir jetzt die richtigen Weichenfür die Zukunft und für die nachfolgenden Generationenstellen; und das tun wir auch . Dieser Haushalt trägt einenBaustein dazu bei .Ich finde, damit sind wir auf dem richtigen, damit sindwir auf einem zukunftsfähigen und damit sind wir auf ei-nem generationsgerechten Weg . Lassen Sie uns mit Mut,Haltung und Optimismus die Aufgaben der Zukunft ge-meinsam angehen .Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
Katharina Dröge erhält nun das Wort für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter Herr Minister Gabriel und sehrgeehrter Herr Heil, ich habe Ihnen eben aufmerksam zu-gehört, und ich bin ziemlich erstaunt darüber gewesen,wie weit das auseinanderklafft, was Sie hier vortragen,und das, was Sie in Ihrer Politik real tun .
Ich möchte das, wenn meine Redezeit reicht, an dreiBeispielen deutlich machen . Ich fange mit TTIP undCETA an . Sigmar Gabriel hat sich schon vor langer Zeitfestgelegt: Er wird CETA zustimmen . Im Oktober stehtJan Metzler
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der Handelsministerrat an . Dann sagt er Ja zu einem Ab-kommen mit aller Kritik, die es daran gibt, mit gefährli-chen Schiedsgerichten, mit der Schwächung des Vorsor-geprinzips und mit der Einschränkung der kommunalenHandlungsfreiheit .An diesem Abkommen wird Sigmar Gabriel nichtsmehr ändern . Trotzdem erwecken Sie, Herr Gabriel, denEindruck, dass die SPD das Abkommen eigentlich ir-gendwie gut findet. Eigentlich wird Herr Gabriel zustim-men, aber eigentlich werden Sie es auch noch irgendwieändern. Sie erzählen der Öffentlichkeit irgendetwas vonProtokollerklärungen, die man vor der Abstimmung nochhinzufügen kann, und von Änderungen, die die Parla-mente im Verfahren noch durchsetzen sollen .Was ist das für eine schizophrene Haltung,
wenn man auf der einen Seite auf einem Parteitag sagt:„Unser Wirtschaftsminister soll ohne Wenn und Aberund ohne Änderung des Vertragstextes Ja zu einem Ab-kommen sagen“, und auf der anderen Seite die Parlamen-te noch unverbindliche Protokollerklärungen neben dasAbkommen stellen sollen, weil die SPD das Abkommendoch nicht so gut findet, wie sie es in der Öffentlichkeitsagt, um zu begründen, weshalb sie Ja sagen muss? Wemwollen Sie das erklären?
Das Gleiche gilt für TTIP . Sie sagen: TTIP ist tot . –Heute haben Sie gesagt: TTIP kommt in diesem Jahrnicht mehr . – Das ist eine interessante Positionsverschie-bung allein in der Debatte der letzten zwei Wochen .
Die Frage ist nur: Woran machen Sie es fest, dass diesesAbkommen tot ist?
Denn wenn man den Verhandlungsverlauf betrachtet –darin muss ich ausnahmsweise dem Kollegen Fuchs zu-stimmen –,
dann kann man an keiner Stelle erkennen, dass diese Ver-handlungen irgendwo an einem Punkt sind, zu scheitern .Es ist in Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommenganz normal, dass es Konflikte gibt und dass gerade diegroßen Konflikte für die Endverhandlungen aufgespartwerden, um sie dann zu klären .
Nichts in den Verhandlungen deutet darauf hin, dass siejetzt viel schlechter laufen als andere, und nichts deutetdarauf hin, dass Sie irgendwann Vorschläge gemacht ha-ben, mit denen Sie gescheitert sind, weshalb Sie jetzt sa-gen könnten: Das Abkommen ist tot .Nichts deutet darauf hin, dass Sie irgendetwas dafürtun wollen, dieses Abkommen zu stoppen . Oder stellenSie im Handelsministerrat im Oktober einen Antrag, dieVerhandlungen abzubrechen oder das Verhandlungsman-dat zu ändern?
Nichts davon werden Sie tun .
Das heißt, das Einzige, was Sie hier machen, ist Rhe-torik .
Um über Ihren SPD-Konvent hinwegzukommen
und die schwierige Entscheidung der Parteibasis fürCETA hinzukriegen,
erwecken Sie jetzt den Eindruck, dass Sie sich gegenTTIP positionieren . Weil Sie wissen, dass nicht mehrSigmar Gabriel als Wirtschaftsminister über dieses Ab-kommen abstimmen muss, ist das eine leichte Sache .Aber die einzigen Sachen, die Sie machen können, umdas Abkommen wirklich zu stoppen, tun Sie nicht . Unddamit läuft das Abkommen genauso weiter wie vorher .
Nehmen wir das Thema Ministererlaubnis . Das ist daszweite Beispiel dafür, dass Sie viel erzählen, aber danndoch das Gegenteil machen . Sigmar Gabriel hat wiedergesagt: Ich will Arbeitsplätze retten, und deshalb geneh-mige ich die Fusion von Kaiser’s Tengelmann und Edeka .
Gucken wir uns das einmal an: Sigmar Gabriel ge-nehmigt eine Fusion gegenüber einem Unternehmen, dasvorher schon angekündigt hat, in relevantem UmfangJobs abzubauen, und über das alle Experten sagen, dassgenau dieses Unternehmen den höchsten Anreiz hat, Ar-beitsplätze zu vernichten, und das schon jetzt aufgrundeiner schlechten Mitbestimmungsstruktur für seine Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Kritik steht .Diesem Unternehmen erteilen Sie jetzt den Zuschlag füralle 16 000 Mitarbeiter von Kaiser’s Tengelmann . DieAlternativen haben Sie nicht ordentlich geprüft . Das hatIhnen das OLG Düsseldorf aufgeschrieben .
Katharina Dröge
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Es macht Ihnen sogar den Vorwurf, dass Sie in dem gan-zen Verfahren befangen waren und sich noch nicht ein-mal die Mühe gemacht haben, mit dem Konkurrenten zusprechen und zu prüfen, welche alternativen Angebote esgibt .Sie behaupten immer wieder, Sie dürften keine Ver-kaufsverhandlungen führen . Genau darum geht es nicht .
Es geht vielmehr darum, dass man Alternativen ordent-lich prüfen muss, um dann eine Entscheidung zu treffen,ob diese Ministererlaubnis notwendig gewesen wäre .Ihr eigenes Ministerium, Herr Gabriel, hat Ihnen auf-geschrieben, dass diese Entscheidung nicht notwendiggewesen wäre und dass es bessere Alternativen gegebenhätte .
Trotzdem setzen Sie sich darüber hinweg . Trotzdem be-antworten Sie alle unsere Fragen nicht, zum Beispiel Fra-gen danach, wie viele Arbeitsplätze eigentlich bei Edekaoder bei anderen Unternehmen, bei den Lieferanten undbei den Bauern verloren gehen, und nach den Nachteilenfür die Verbraucherinnen und Verbraucher . Alle diese Be-denken beantworten Sie einfach nicht .
Frau Kollegin .
Deshalb kann ich nur feststellen: Die Einzigen, die
von dieser Entscheidung profitieren, sind Herr Haub und
Herr Mosa, die Chefs von Kaiser’s Tengelmann und Ede-
ka . Das ist keine vernünftige Politik . Sie machen eine
Politik für einige wenige statt für viele . Wenn Sie so eine
Maxime als Leitfaden für Ihr Regierungshandeln haben,
dann wird dieses Land von Ihnen schlecht regiert .
Für die SPD-Fraktion ist Bernd Westphal der nächste
Redner .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Einzelplan 09 – um den geht es hier – stehtganz im Zeichen der Investitionen und Innovationen .Insgesamt sieht dieser Einzelplan Ausgaben in Höhe von7,4 Milliarden Euro vor . Die Investitionsquote des Bun-deshaushaltes beträgt im kommenden Jahr – erstmals seit2003 – über 10 Prozent . Das ist eine gute Entwicklung .
Wir investieren in den Wirtschaftsstandort Deutsch-land . In diesem Einzelplan gibt es eine Orientierung aufdie Schwerpunkte Forschung, Entwicklung und Innova-tion . Insgesamt sind über 3 Milliarden Euro dafür veran-schlagt. Wir machen die Unternehmen fit für die Zukunft,für die Digitalisierung und den globalen Wettbewerb,aber auch für gute Arbeit und für die Bewältigung desdemografischen Wandels, mit dem auch Unternehmen zutun haben .Industrie ist wichtig für unseren Standort . Das giltaber auch für den Mittelstand . Deshalb ist der Titelansatzfür das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM,erneut angehoben worden . Das ist sicherlich ein gutesZeichen . Aber auch die Erhöhung der Mittel für die Digi-tale Agenda – das wurde bereits hier vorne vorgetragen –ist ein deutliches und gutes Zeichen .Damit investieren wir genau in die Rahmenbedin-gungen, die gute Arbeit für die Zukunft sichern undnachhaltiges Wachstum in den Mittelpunkt stellen . DerSPD-Fraktion ist dabei wichtig, dass wir den wirtschaft-lichen und technischen Fortschritt immer auch mit sozi-alem und ökologischem Fortschritt verbinden . Deshalb,Frau Dröge, ist die Entscheidung des Ministers in derFrage Edeka/Tengelmann richtig .
Jetzt müssen wir denjenigen, die dazu beigetragen ha-ben, dass wir eine so gute wirtschaftliche Situation bzw .Wirtschaftswachstum haben, dementsprechend Rech-nung tragen: Es muss also unser politisches Ziel sein,Steuersenkungen für die fleißigen, gut qualifizierten undengagierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor-zunehmen .
Ich möchte an dieser Stelle besonders denen danken, dieimmer wieder – auch selbstmotiviert in Bezug auf Wei-terbildung und Qualifizierung – durch ihren Einsatz ineinem innovationsfreundlichen Umfeld ihres Unterneh-mens für Fortschritt sorgen . Ohne diese Anstrengungenwäre dieser zusätzliche Gestaltungsspielraum, den wirhier haushaltspolitisch haben, nicht möglich .Auch die Investitionen in die Energiewende stelleneinen wichtigen Block des Einzelplans dar . Hierfür ste-hen insgesamt 4 Milliarden Euro für unterschiedlicheMaßnahmen zur Verfügung . Die Energiewende stellteines der größten Infrastrukturprojekte unserer Zeit dar .Ich bin dem Bundeswirtschaftsminister Gabriel dankbar,dass er es in seiner Amtszeit geschafft hat, Ordnung indiese Energiewende zu bringen, dass er dafür gesorgthat, dass wir eine belastbare Umsetzungsperspektive fürdieses wichtige, auch international beachtete Projekt be-kommen .In den Bereichen Wärme, Verkehr und Energieeffi-zienz müssen wir unsere Anstrengungen noch erhöhen .Wir begrüßen deshalb das Förderprogramm und die fi-nanzielle Unterstützung gerade für diesen Bereich . Dabeigilt sowohl für die Wirtschaft als auch für diejenigen, diemit Energie zu tun haben, dass die kommenden Heraus-Katharina Dröge
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forderungen nur mit gemeinsamem Engagement bewäl-tigt werden können .Mit dem vorliegenden Einzelplan zeigen wir, dassdie SPD ihrer besonderen Verantwortung mit wichtigenInvestitionen gerecht wird . Diese Investitionen sind dieGrundlage dafür, dass es uns auch in Zukunft gut gehenwird . Wir müssen die angstvollen Blicke der Angehö-rigen einiger Bevölkerungsteile sicher ernst nehmen,dürfen sie nicht ignorieren; aber wir dürfen auch nichtnachgeben . Diese Investitionen symbolisieren genau dasGegenteil. Wir vermitteln damit Hoffnung und Zuver-sicht in den Wirtschaftsstandort und geben mit sicherenArbeitsplätzen Menschen eine Perspektive . Die SPDsorgt für Investitionen in diese Zukunft .Vielen Dank .
Hansjörg Durz ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf wird der Bundzum vierten Mal in Folge keine Schulden aufnehmen .Die schwarze Null steht, und wir können zu Recht daraufstolz sein .Ich möchte noch einmal drei Argumente anführen,weshalb uns dieses Thema so wichtig ist .Erstens . Mit der Entscheidung bezüglich der schwar-zen Null halten wir Wort . Wir machen, wie versprochen,keine neuen Schulden – und das, wie ebenfalls verspro-chen, ohne die Steuern zu erhöhen . Die schwarze Nullwird also aus laufenden Einnahmen erwirtschaftet . Sie istdas Bekenntnis dafür, dass wir mit den Steuergeldern derBürgerinnen und Bürger verantwortlich umgehen .
Zweitens . Mit der schwarzen Null werden wir unse-rem stabilitätspolitischen Anspruch in Europa gerecht .Sie hilft uns, uns Schritt für Schritt dem Ziel zu nähern,die heute noch zu hohe Gesamtstaatsschuldenquote biszum Jahr 2020 auf unter 60 Prozent des Bruttoinlands-produktes zu senken .Drittens . Die schwarze Null ist nicht nur sichtbaresZeichen solider Finanzen, sondern vor allem auch Aus-druck praktizierter Generationengerechtigkeit; denn wirwollen zukünftigen Generationen noch Spielraum hinter-lassen, um Politik zu gestalten .
Dabei geht es nicht darum, den Haushalt ohne jedwe-de Rücksicht zu konsolidieren . Fakt ist, dass dieser Haus-halt den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unseremLand weiter stärkt, und zwar nicht nur zwischen Alt undJung . Vielmehr werden auch sozialpolitische Leistungenin ausreichendem Maß finanziert. Das alles trägt dazubei, einen Ausgleich zwischen wirtschaftlich Starken undsozial Schwachen zu erreichen . Die Sozialausgaben sindmit gut 170 Milliarden Euro im Jahr 2017 mit Abstandder größte Ausgabenbereich im Bundeshaushalt . Gutjeden zweiten Euro gibt der Bund für soziale Aufgabenaus . Allerdings müssen wir heute und in Zukunft in derLage sein, diese Sozialausgaben zu finanzieren. Das Geldmuss erwirtschaftet werden . Daher geht es nicht nur umKonsolidieren, sondern vor allem auch um Investierenin den Wirtschaftsstandort Deutschland . Wir müssen dieSpielräume nutzen, die uns die hervorragende Einnahme-situation sowie die niedrigen Zinsausgaben bieten, indemwir auf zentralen Feldern die Investitionen deutlich stei-gern und damit auf die großen Herausforderungen unse-rer Zeit und der Zukunft antworten . Stabilität, Verläss-lichkeit und Zukunftsinvestitionen, dieser Dreiklang istfür uns handlungsweisend .Dass der Bund nicht nur konsolidiert, sondern auchinvestiert, sehen wir daran, dass die Investitionen imJahr 2019 mit rund 35 Milliarden Euro um 10 Milliar-den Euro über den Investitionen von 2014 liegen wer-den, ein enormer Aufwuchs . Hier gilt es, die richtigenSchwerpunkte zu setzen . Als Wirtschafts- und Digitalpo-litiker steht für mich die Digitalisierung mit an obersterStelle . Hier gilt zunächst unserem Bundesverkehrsmi-nister Alexander Dobrindt ein ausdrücklicher Dank . AmAnfang dieser Legislaturperiode ist er beim Breitband-ausbau mit null Euro gestartet . Nun werden wir, nach-dem die Bundesregierung über die bereits vorgesehenen2,7 Milliarden Euro hinaus 1,3 Milliarden Euro zur Ver-fügung stellen wird, in den kommenden Jahren 4 Milliar-den Euro in den Breitbandausbau investieren .Der Ausbau der digitalen Infrastruktur ist die Grundla-ge für alle weiteren Entwicklungen im Bereich der Digi-talisierung. Der flächendeckende Zugang zu modernstenDigitalnetzen ist für Bürger wie für Unternehmen Vo-raussetzung für den erfolgreichen Wandel hin zur digi-talen Gesellschaft; da befinden wir uns auf einem richtigguten Weg . Daher ist es klug, dass der Staat hierfür vielGeld in die Hand nimmt und dort für ein entsprechendesVersorgungsniveau sorgt, wo ein rein privatwirtschaftli-cher Ausbau bislang nicht vorankommt . Um den Digi-talstandort Deutschland für die Zukunft fit zu machen,gibt der Bund auch sehr viel Geld für Forschung und Ent-wicklung aus, beispielsweise – das ist bereits angeklun-gen – für den zukünftigen Mobilfunkstandard 5G; das istrichtig und wichtig . Gerade bei innovativen Entwicklun-gen wie Internet der Dinge, digitaler Medizin oder selbst-fahrenden Fahrzeugen wird der mobile Datenaustauschin Zukunft von entscheidender Bedeutung sein . Dafürbrauchen wir 5G, und zwar 5G made in Germany .
Wie wir wissen, steht Deutschland auf einigen Feldernder Digitalisierung an der Spitze der technologischenEntwicklung . Ich denke hier vor allem an den Bereichder Automatisierung oder die Robotik . Allerdings wissenwir auch, dass zwischen den Industrieunternehmen inEuropa und den Internetkonzernen aus den USA längstein intensiver Wettlauf ausgebrochen ist . Angesichts dertiefgreifenden Umwälzungen, die mit der Digitalisie-Bernd Westphal
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rung einhergehen, stellt sich schon heute ganz konkretdie Frage, wie die Wertschöpfung in Deutschland in Zu-kunft gestaltet sein wird, wie wir diese sichern können,wie es gelingen kann, unsere Unternehmen – egal ob essich um mittelständische oder große handelt – für die Di-gitalisierung in der Zukunft fit zu machen. Hier gilt es,die Rahmenbedingungen beispielsweise für die Indus-trie 4 .0 so zu setzen, dass Deutschland digitales Wachs-tumsland Nummer eins ist und die deutsche Wirtschaft ineinem globalisierten, digitalisierten Wettbewerbsumfelderfolgreich bleiben kann . Dies ist die entscheidende wirt-schaftspolitische Aufgabe für uns .Mit der Digitalen Agenda hat die unionsgeführte Bun-desregierung die Weichen richtig gestellt . Auch der jetztvorliegende Haushaltsentwurf zum Einzelplan des Bun-desministeriums für Wirtschaft und Energie, über denwir heute in erster Lesung diskutieren, setzt die richti-gen Schwerpunkte . So werden im Bereich der DigitalenAgenda die Mittel auf 174 Millionen Euro erhöht . Dies istein signifikanter Aufwuchs; gegenüber den 97 MillionenEuro aus dem vergangenen Haushalt sind es fast 80 Pro-zent mehr . Der Schwerpunkt liegt auf der Entwicklungdigitaler Technologien, etwa im Bereich Smart Home,durch die Schaffung von vertrauenswürdigen Cloudsoder im Bereich Mittelstand-Digital durch Errichtungvon zehn bundesweit aufgestellten Mittelstand 4 .0-Kom-petenzzentren . Im Übrigen wird auch daran deutlich, dassdiese Haushaltsposition ganz stark auf den Mittelstandfixiert ist.Des Weiteren gibt es in der Titelgruppe 02 den Titel„Potenziale der digitalen Wirtschaft“, worunter zum Bei-spiel die Strategie Intelligente Vernetzung oder die Ini-tiative „IT-Sicherheit in der Wirtschaft“ vor allem für dieKMUs fallen, und den Titel „Initiative Industrie 4 .0“ mitder gleichnamigen zentralen Plattform sowie ganz neudie Anfinanzierung eines europäischen Mikroelektronik-programms zur Steigerung der Innovations- und Wettbe-werbsfähigkeit der europäischen Industrie .
Auch im Bereich „Gründen, Wachsen, Investieren“setzt der Einzelplan wieder einen Schwerpunkt . Die be-währten Programme EXIST und INVEST sind übrigensunter dem Titel „Innovative Unternehmensgründungen“zusammengefasst . Auch hier gibt es einen stetigen Auf-wuchs . Es waren im Jahr 2015 72 Millionen Euro, 2016 80 Millionen Euro und sollen 2017 84 Millionen Eurosein . Das heißt, auch im Bereich „Gründen, Wachsen,Investieren“ investieren wir stetig mehr Geld, um Unter-nehmensgründungen voranzubringen .
Auch der High-Tech Gründerfonds wird fortgeführt .Außerdem hat Bundesfinanzminister Schäuble ange-kündigt, dass der Erhalt von Verlustvorträgen bei Ei-gentümerwechsel sichergestellt wird . All das stärkt dieGründungsbedingungen und fördert und verbessert damitweiter die Gründerkultur in Deutschland .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werdenden Einzelplan in den anstehenden Beratungen auch mitBlick auf den von mir genannten Schwerpunkt „digitaleWirtschaft“ analysieren und gegebenenfalls bei Bedarfauch an der einen oder anderen Stelle nachbessern . Aberbereits heute steht fest: Mit der schwarzen Null, den rich-tigen Ausgabenschwerpunkten und der Steigerung vonInvestitionen in zentrale Zukunftsfelder wird der Bundeinen erheblichen Beitrag dazu leisten, dass Deutschlandund die deutsche Wirtschaft gut gerüstet in die Zukunftgehen .Vielen Dank .
Vielen Dank, Hansjörg Durz . – Auch von mir Ihnen
einen schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kol-
legen . Nächste Rednerin in der Debatte: Daniela Ludwig
für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wer von Ihnen weiß denn, wie viele Übernachtungen in-und ausländischer Gäste wir im ersten Halbjahr diesesJahres in Deutschland hatten?
Ich sage es Ihnen gerne: über 199 Millionen Übernach-tungen nur im ersten Halbjahr 2016 . Das war wieder einPlus von 3 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2015 .So wie sich die Sommersaison angelassen hat, die janoch weiter läuft, werden wir auch im zweiten Halbjahrein weiteres dickes Plus zu verzeichnen haben .Die Tourismuswirtschaft ist damit fast ein bisschender Hidden Champion unter den Wirtschaftsbranchendieses Landes; denn kaum jemand spricht darüber, dasswir nun sechs Rekordjahre in Folge im Deutschlandtou-rismus zu feiern haben, möchte ich fast sagen . Es gibtkaum eine Branche, die über eine so lange Dauer so guteZahlen vorzuweisen hat . Deswegen, glaube ich, lohnt essich schon, auch in einer Debatte zum Wirtschaftshaus-halt das Thema Tourismus ab und an etwas näher zu be-leuchten .Ich möchte hier an dieser Stelle unseren Haushälterndanken, stellvertretend für alle Andreas Mattfeldt, deruns immer sehr gut betreut und der gemeinsam mit denKollegen der SPD dafür gesorgt hat, dass die Haushalts-ansätze für die Tourismuspolitik im BMWi unangetas-tet geblieben sind . Das ist nicht selbstverständlich . Ichdanke insbesondere auch den Kollegen von der Deut-schen Zentrale für Tourismus, die dafür sorgen, dass derDeutschlandtourismus auch im Ausland die Rolle spielt,die ihm zukommt, dass die Attraktivität unseres Landesauch in die Welt hinausgetragen wird . Denn ich glaube,wir können auf einen guten Tourismus in Deutschlandauf keinen Fall verzichten, auch wenn wir viel zu seltenHansjörg Durz
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darüber reden . Der Tourismus ist eine wirtschaftsstarkeBranche, eine Wachstumsbranche, und er ist eine Bran-che, in der gute Arbeitsplätze und gute Ausbildungsplät-ze zur Verfügung stehen . Auch dies gilt es zu würdigen .
Auch wenn der Bund für den Tourismus formal nichtzuständig ist, da die Länder das Nötige in Eigenverant-wortung zu organisieren haben, so stoßen wir immer wie-der in Form von Querschnittsaufgaben auf Probleme undauch auf Herausforderungen der Tourismusbranche, diewir über alle Ministerien hinweg auf Bundesebene lösenkönnen .Die erste Herausforderung, die uns in diesem Jahr wie-der beschäftigt, ist die Umsetzung der sogenannten Pau-schalreise-Richtlinie, die für diese Branche sehr wichtigist . Die Europäische Kommission hat eine neue Richtli-nie vorgelegt, die natürlich in ganz Europa passen muss .Nun haben wir in Deutschland das Problem – da gehtmeine Bitte ausdrücklich an das Bundesjustizministeri-um, sich dieses Problem noch einmal näher anzuschau-en –, dass die Reisebranche hier anders als in eigentlichallen anderen europäischen Ländern sehr mittelständischgeprägt ist . In Deutschland gibt es viele kleine mittelstän-dische Reisebüros und Omnibusunternehmen, die Reisenzusammenstellen und vermarkten. Überall woanders fin-den wir fast nur noch die ganz großen Player, die Reisenanbieten .Es ist deswegen wichtig, dass wir aufpassen, dass derdeutsche Mittelstand in Form unserer gut organisiertenReisebüros nicht unter die Räder kommt . Derzeit siehtdie EU-Richtlinie jedoch vor, dass Reisebüros künftig alsReiseveranstalter angesehen werden und damit die kom-plette Haftung übernehmen müssen . Dies dürfte für vielekleine Reisebüros vor Ort zum einen nicht sachgerechtsein, denn sie sind wirklich nur klassischer Vermittlerund nicht Veranstalter, und zum anderen dürfte es fürviele Reisebüros auch existenzbedrohend werden, wennes sich in diese Richtung entwickelt . Deswegen möch-te ich hier für die Arbeitsgruppe Tourismus, aber auchfür die Arbeitsgruppe Wirtschaft meiner Fraktion in allerDeutlichkeit feststellen: Das, was derzeit an Umsetzungder Richtlinie auf dem Tisch liegt, ist für uns so nochnicht akzeptabel . Da müssen wir im parlamentarischenVerfahren noch so einiges ändern, um die Struktur, dieuns wichtig ist – die mittelständische Struktur vor Ort –,auch in Zukunft erhalten zu können . Da bitte ich herzlichum Unterstützung .
Die zweite Herausforderung, die uns in diesem Jahrwie auch in den Vorjahren beschäftigt, führt uns zumBauministerium – Sie sehen: Tourismus ressortiert zwarfederführend beim Wirtschaftsminister, betrifft aber auchviele andere Bereiche –: Es geht um das Thema Feri-enwohnungen . Auch dieser Bereich ist eine Art HiddenChampion . Nur durch Ferienwohnungen wird im Jahrein Umsatz von 8 Milliarden Euro erzielt. Jährlich fin-den 103 Millionen Übernachtungen in Ferienwohnungenstatt . Das ist also ein wichtiger Punkt, heißt aber auch:Es gibt die einen, die gerne Ferienwohnungen vermieten,und es gibt die anderen – man erlebt es in Berlin fast täg-lich –, die kaum damit zurechtkommen, dass sie ständigwechselnde Nachbarn in unterschiedlicher Feierlaunevorfinden.Deswegen ist es wichtig, dass wir den Ferienwohnun-gen im Baurecht einen eigenen Platz geben, dass wir hierRechtssicherheit für all diejenigen schaffen, die nebeneiner Ferienwohnung leben, aber auch für all diejenigen,die eine Ferienwohnung vermieten wollen . Ich glaube,dass wir hier auf einem ganz guten Weg sind . Ich dankeden Kollegen aus den Fraktionsarbeitsgruppen Bau da-für, dass sie uns sehr dabei unterstützen, dass wir einenguten Ausgleich finden zwischen den unterschiedlichenInteressen, auf die wir hier treffen.Das Thema Breitband ist hier schon, im wahrsten Sin-ne des Wortes, in aller Breite angesprochen worden . Ichdanke dem Bundesverkehrsminister in aller Form dafür,dass er sich dieses Themas so intensiv annimmt . Auch fürdie Tourismusbranche ist es in vielerlei Hinsicht wich-tig, dass hier investiert wird . Die Frage „Gibt es in IhremHaus WLAN?“ ist mit buchungsentscheidend . Deswe-gen ist es wichtig, dass wir beim Breitbandausbau vo-rankommen . Insbesondere für die kleineren Häuser undPensionen im ländlichen Raum ist es wichtig, dass sieonline erreichbar sind, dass eine Buchung also nicht nurper Telefon vorgenommen werden kann . Dieses Themaist also auch an dieser Stelle ganz wichtig .Wo ich schon beim ländlichen Raum bin: Wir habenin diesem Jahr eine wichtige parlamentarische Initiati-ve vorangebracht: die Stärkung des Kulturtourismus imländlichen Raum . Es nutzt relativ wenig, meine liebenFreunde, wenn wir zwar unsere schönen Städte Berlin,Hamburg und München bewerben, der ländliche Raumdavon aber nicht profitiert. Deswegen war es gerade denMitgliedern meiner Arbeitsgruppe wichtig, die Men-schen, die in die Großstädte kommen, dafür zu sensibi-lisieren, dass Kultur ebenfalls im ländlichen Raum statt-findet und dass es sich lohnt, die ausgetrampelten Pfadeder Großstädte einmal zu verlassen, hinauszugehen undsich mit den vielen charmanten Seiten unserer Heimatauseinanderzusetzen .Ein weiteres Problem, das vor der Sommerpause an-gestoßen worden ist und das wir ebenfalls ressortüber-greifend lösen müssen, betrifft das Thema Wassertou-rismuskonzept, lieber Matthias Lietz . Auch hier gibt esunterschiedliche Zuständigkeiten . Die Zuständigkeit fürdie touristische Nutzung liegt bei den Ländern, währenddie Zuständigkeit für die Wasserstraßen beim Bundesver-kehrsminister liegt . Ich danke Alexander Dobrindt, dasser jetzt den Versuch unternimmt – ich glaube, er wird er-folgreich sein –, beides zusammenzubringen und dafürzu sorgen, dass wir auch beim Wassertourismus ein wich-tiger Player im internationalen Wettbewerb werden, dasswir die Wasserstraßen, die für eine touristische Nutzungattraktiv sind, entsprechend erhalten und dass wir dies imGleichklang mit den Ländern hinbekommen .Sie sehen: Tourismus, das ist ein breiter Querschnittund – ich sage es noch einmal – bestimmt ein HiddenChampion, weil viel zu wenig darüber gesprochen wird,wie wichtig Tourismus ist .Daniela Ludwig
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Ein letztes Wort dazu: Nicht nur die Zahlen beim Tou-rismus sind wichtig, etwa wie viel wir umsetzen, sondernes ist auch wichtig, dass wir die Schönheit, die Kulturund die Mentalität unseres Landes an all diejenigen ver-mitteln, die uns gern besuchen kommen . Deswegen istTourismus nicht nur ein wichtiger wirtschaftlicher Fak-tor, sondern sicherlich auch ein Faktor für die Völker-verständigung . In diesem Sinne: Danke für die bisherigeUnterstützung und danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Vielen Dank, Daniela Ludwig . – Der letzte Red-
ner in dieser Debatte: Andreas Mattfeldt für die CDU/
CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine langeDebatte geht zu Ende . Wir haben gehört: Die deutscheWirtschaft ist stark . Wir haben von Daniela Ludwig ebengehört: Insbesondere die Tourismusbranche ist stark undwettbewerbsfähig . – Ich bin ganz sicher, dass wir mit die-sem Haushalt heute die Voraussetzungen dafür schaffen,dass das auch in den kommenden Jahren so bleibt .Ich glaube, das brauchen wir auch; denn die Heraus-forderungen für unser Land sind groß . Dafür brauchenwir einen starken Mittelstand . Wir brauchen eine starkeIndustrie, die für Wachstum und für Arbeitsplätze sorgt .Deswegen ist gerade dieser Haushalt schwerpunktmäßigauf Wachstum, auf Innovation und auf Beschäftigungausgerichtet .Wir haben es gehört: Massiv unterstützen wir auchdieses Mal wieder den Mittelstand, und das machen wirnicht ganz vergebens; denn immerhin arbeiten zwei Drit-tel aller Beschäftigten in Deutschland im Mittelstand .Deshalb ist es folgerichtig, dass wir auch die Mittel fürdas Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, lieberRoland Claus, in diesem Jahr erneut erhöhen, und zwarum weitere 5 Millionen Euro auf fast 550 Millionen Euro .Mittelstandsförderung – das darf ich auch sagen – istnicht nur das ZIM; Mittelstandsförderung findet auchbei unseren Auslandshandelskammern statt, die ich ein-mal hervorheben möchte . Die Auslandshandelskammernunterstützen gerade kleine und mittelständische Un-ternehmen bei Investitionen, beim Einkauf oder beimVertrieb ihrer Produkte im Ausland . Die Auslandshan-delskammern können die Märkte dort einschätzen, undsie können die Industrieunternehmen entsprechend ziel-gerichtet beraten . Gerade weil diese Dienstleistung soenorm nachgefragt wird, erhöhen wir unsere Präsenzin weiteren Ländern wie zum Beispiel in Sambia oderMosambik . Folgerichtig spiegelt sich das natürlich auchim Etat wider . Wir erhöhen die Mittel in diesem Bereichum 3,5 Millionen Euro, sodass die Auslandshandelskam-mern nun fast 44 Millionen Euro erhalten .Eine Schlüsseltechnologie, die wir in diesem Haus-halt ebenfalls erheblich fördern, ist die Luft- und Raum-fahrtindustrie . Sie erhält fast 1,6 Milliarden Euro . Sie istnicht nur Beschäftigungs- und Innovationsmotor; nein,sie ermöglicht es uns auch, international im Technologie-wettbewerb zu bestehen . Der größte Teil der Mittel, rund755 Millionen Euro, fließt an die Europäische Weltraum-organisation ESA . Wir müssen ganz genau schauen – dassage ich aber auch –, wie es nach der ESA-Ministerrats-konferenz – ich glaube, sie findet am 1. Dezember statt,Herr Minister – mit Projekten wie zum Beispiel der Welt-raumstation ISS oder einer Asteroidenabwehr, die ja auchangedacht ist, weitergeht . All das kostet Geld . Aber klarist auch: Wenn wir in Europa weiterhin technologischund wirtschaftlich in einer globalen Welt bestehen wol-len, dann dürfen wir als Europäer in diesem Bereich aufgar keinen Fall den Anschluss verlieren .
Einen großen Anteil am Erfolg im Bereich der Luft-und Raumfahrt hat auch das Deutsche Zentrum für Luft-und Raumfahrt – kurz DLR –, das eine ausgezeichneteArbeit leistet . Aber, Herr Minister, dass das DLR mit5 Millionen Euro nun auch noch Extremismuspräventionin der Ausbildung für Ihr Ministerium begleiten soll, dashalte ich schon für ein bisschen merkwürdig . Das DLRist sicherlich in technischen und wissenschaftlichen Din-gen top; aber ob dieses Institut bei Extremismuspräven-tion der richtige Projektträger ist, da bin ich mir nichtganz sicher . Ich weiß, Herr Minister, dass Ihnen diesesProgramm wichtig ist . Ich bin aber fest davon überzeugt,dass andere Ministerien hier über mehr Kompetenz ver-fügen .
Wir sollten ernsthaft überlegen, ob es sinnvoll ist, dassSie diesen Aufgabenbereich nun auch noch im Wirt-schaftsministerium bearbeiten möchten .
Meine Damen und Herren, ein weiterer wichtiger In-dustriezweig, der für den Wirtschaftsstandort Deutsch-land von ganz großer Bedeutung ist, ist die maritimeWirtschaft . Wir bauen in Deutschland die besten Kreuz-fahrtschiffe und die innovativsten Spezialschiffe derWelt, und das soll auch in 20 Jahren noch so sein .
Mit Blick auf den großen globalen Wettbewerb in dieserBranche ist es deswegen wichtig, dass wir hier unsereTechnologieführerschaft sichern und richtig investieren .Und genau deshalb wäre es klug, wenn der gekürzte An-satz im Bereich der Innovationsförderung wieder auf denStand der letzten Jahre angehoben würde . Ich schaue ein-fach einmal auf die Bundesratsbank – der Kollege RüterDaniela Ludwig
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aus Niedersachsen war vorhin da –: Niedersachsen gehtda ja eben nicht großartig voran .
Meine Damen und Herren, kommen wir zu einerweiteren Herkulesaufgabe, der wir uns auch im Haus-halt 2017 umfänglich widmen: Das ist die Energiewen-de, die sowohl aus dem Haushalt des Ministeriums mit2,44 Milliarden Euro als auch aus dem Energie- und Kli-mafonds mit 2,9 Milliarden Euro finanziert wird. Sorge,Herr Minister, bereitet mir hier allerdings die Sicherheitder Stromversorgung . Wie geht es weiter, wenn nach2021 die letzten Kernkraftwerke vom Netz gehen? Wiralle wissen: Das ist nicht mehr allzu lange hin . Auchwenn Sie mir im Berichterstattergespräch nun erklärt ha-ben, dass es auch andere Möglichkeiten der Versorgungals durch eigene neue deutsche Kraftwerke gibt, müssenwir im Blick behalten – ich weiß, Sie sehen das genau-so –, dass Deutschland eine Industrienation ist, die aufbezahlbare Strompreise und vor allem auch auf stabileStromnetze – vielleicht mehr als andere Nationen – an-gewiesen ist .In diesem Sinne wäre es gut, wenn wir heute schon be-legen können, wie die Grundlast gesichert wird, welcheKraftwerke, wo auch immer, gegebenenfalls hinzulie-fern, wenn andere abgeschaltet werden und wir trotzdemimmer noch Stromspitzen abdecken müssen . Das ist vonallergrößter wirtschaftlicher Bedeutung, meine Damenund Herren .Ein weiterer Schwerpunkt dieses Haushaltes ist natür-lich wie immer das Thema Fachkräftesicherung . Schonheute gibt es genügend Betriebe, die unter dem Fachkräf-temangel massiv leiden . Deshalb erhöhen wir den Titel„Fachkräftesicherung für kleine und mittlere Unterneh-men“ um weitere 2,4 Millionen Euro .Ich bin allerdings ein wenig skeptisch, ob jedes Mi-nisterium hier Aktivitäten entwickeln muss. Es findensich nicht nur im Haushalt des Wirtschaftsministeriums,sondern auch in allen anderen Ressorts zahlreiche Pro-gramme zum Thema Fachkräfte . Das ist von der Idee herrichtig . Aber wir müssen uns wirklich überlegen, ob wirdas nicht irgendwo, ich sage einmal, ein bisschen bün-deln und irgendwo eine Stelle einrichten, die das Ganzekoordiniert, damit wir hier einen roten Faden haben .Mit gleicher Blickrichtung, Herr Minister, frageich mich auch, ob wir bei dem Thema „Integration derFlüchtlinge in Arbeit“ richtig aufgestellt sind . Auch hiergibt es viele Programme im Bundeshaushalt – auch inIhrem Haushalt –, die um das Ziel der Flüchtlingsinte-gration erweitert worden sind, und das ist auch richtigso . Da wir beide sonst sehr gut klarkommen – ich glaube,das darf ich sagen –,
gehört es auch dazu, dass man unter Koalitionären ein-mal anspricht, was einen an der Politik des anderen einwenig stört . Sie wissen, glaube ich, ganz genau, dass ichim vergangenen Jahr das Handeln der Regierung bei derBewältigung der Flüchtlingskrise ein wenig kritisch hin-terfragt habe . Nun sind aber die Menschen bei uns, undwir müssen sehen, wie wir all diese Menschen in Arbeitbekommen . Dazu müssen wir mit klugen Entscheidun-gen beitragen, und es müssen eben auch alle Regierungs-mitglieder mit klugen Entscheidungen dazu beitragen .Sie, Herr Minister, haben im letzten Jahr gesagt, dassdie Bewältigung der Flüchtlingskrise vor allem ein Wirt-schaftsthema sei; denn Arbeit ist der beste Weg zur Inte-gration . Sie haben das Thema damit wirtschaftspolitischzu Ihrer ganz persönlichen Chefsache erklärt . Und ichbin da inhaltlich voll bei Ihnen . Genau deshalb habe ichnach Ihrer Kritik an der Union, nach Ihrem Fingerzeigauf die Union im Zusammenhang mit der Bewältigungder Flüchtlingskrise, als Ihr zuständiger Unionshaushäl-ter einmal ganz genau geschaut, wie das denn in IhremMinisterium gelaufen ist . Und da, lieber Herr Gabriel, hatIhr Ministerium noch Luft nach oben; denn Ihr Verspre-chen, dass die Bewältigung der Flüchtlingskrise in ers-ter Linie ein Wirtschaftsthema sei, haben Sie – das mussich leider sagen – nicht gehalten . Hier müssen wir mehrmachen, als nur Willkommenslotsen der IHK zu unter-stützen .
Auch ich finde es beschämend, dass nach einer Um-frage die 30 größten DAX-Unternehmen gerade einmal54 Flüchtlinge angestellt haben, allein 50 davon bei derPost . Ich glaube, diese Bilanz ist massiv ausbaufähig .
Ich darf aber auch sagen, Herr Minister: Da hätte viel-leicht auch von Ihnen mehr kommen müssen . Da warauch der persönliche Einsatz des Wirtschaftsministersgefragt .
Sich ein Stück weit von den Unternehmen mit der Be-hauptung abspeisen zu lassen, dass die Qualifikationender Flüchtlinge für Großkonzerne nicht ausreichten, istein wenig zu einfach; denn, wie wir sehen, sind kleineund mittelständische Unternehmen auch hier wieder derVorreiter bei Integration, und sie versuchen, ihren Bei-trag auch bei geringerer Qualifikation der Flüchtlinge zuleisten . Hier, Herr Gabriel, haben wir alle – ich glaube,das darf ich sagen – unsere Hausaufgaben zu leisten undkönnen die Verantwortung nicht einfach auf andere – indiesem Fall auf den Koalitionspartner – abschieben .
Meine Damen und Herren, dieser Haushaltsentwurf istgut . Er geht absolut in die richtige Richtung, aber wir allewissen: Der Bessere ist der Feind des Guten . In diesemSinne werden wir die anstehenden Beratungen nutzen,um weitere positive Veränderungen herbeizuführen . Sieals Opposition lade ich auch dieses Jahr wieder ein, darankonstruktiv mitzuwirken . In diesem Sinne freue ich michauf die anstehenden Haushaltsberatungen .Andreas Mattfeldt
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Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Andreas Mattfeldt . – Weitere Wortmel-
dungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor .
Bevor wir zum nächsten kommen, bitte ich Sie, die
Plätze einzunehmen bzw . zu wechseln .
– Sie können auch gerne bleiben, Herr Grund, selbstver-
ständlich, logisch .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Gesundheit, Einzelplan 15. Ich bitte
Sie, die Plätze einzunehmen, damit ich den ersten Redner
aufrufen kann und wir ihm entsprechend zuhören kön-
nen .
Ich rufe jetzt den Bundesminister Hermann Gröhe für
die Bundesregierung auf .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Es ist zwei Tage her, dass Kollegin Manuela Schwesigund ich gemeinsam mit der Deutschen Alzheimer Ge-sellschaft den Startschuss für die Aktion Demenzpartnergegeben haben . Es geht darum, in einem KursangebotMenschen in ihrem beruflichen Umfeld, in Behörden, inGeschäften, im Personennahverkehr, aber auch als acht-same Nachbarn zu befähigen, im Blick zu haben, wasbesonders notwendig ist, um angemessen mit demenziellErkrankten umzugehen . Es geht auch darum, gegen dieGefahr der Isolation von demenziell Erkrankten und ih-ren Angehörigen ein wirksames Zeichen zu setzen . DieseAktion der Deutschen Alzheimer Gesellschaft ist einge-bunden in ein weltweites Netzwerk . Im angelsächsischenRaum spricht man von „Dementia Friends“ . Das Symbolist das Vergissmeinnicht, das deutlich machen soll: Auchwenn zu dieser Krankheit ein Nachlassen der eigenenGedächtniskraft gehört, vergessen wir diese Menschennicht, meine Damen, meine Herren .
Diese starke Aktion aus der Zivilgesellschaft, die wirmit einer Anschubfinanzierung aus den Mitteln des Bun-desgesundheitsministeriums unterstützt haben, passt gutzu unserer Pflegepolitik. Am 1. Januar nächsten Jahresist es nämlich endlich so weit: Demenziell Erkrankteerhalten dann einen gleichberechtigten Zugang zu allenLeistungen der Pflegeversicherung. Die Vorbereitungendafür laufen auf Hochtouren . Ob es nun um die Schu-lung derjenigen geht, die in Zukunft das neue Begutach-tungsverfahren anwenden, ob es um die Verhandlungvon Personalschlüsseln für einzelne Einrichtungen undLandesrahmenvereinbarungen geht: 5 Milliarden Euromehr jährlich werden ab dem nächsten Jahr in der Pfle-geversicherung für zusätzliche Leistungen zur Verfügunggestellt .Die pflegepolitische Agenda dieser Koalition gehtweiter . Ich nenne als Themen stichwortartig die besse-re Verzahnung der Leistungen der Pflegeversicherungmit der kommunalen Altenhilfe, die Modernisierungder Pflegeberufe, die Entbürokratisierung der Pflegedo-kumentation und einen Pflege-TÜV, der endlich diesenNamen auch wirklich verdient . Wir haben uns viel vorge-nommen. Ich danke dem Pflegebeauftragten Karl-JosefLaumann für sein engagiertes Drängen und Arbeiten andiesen Themen .
Meine Damen, meine Herren, dieser Kraftakt derGroßen Koalition im Bereich der Pflege macht zugleichdeutlich, dass wir selbstbewusst all jenen Populisten ent-gegentreten sollten, die den Eindruck erwecken, die gro-ßen Anstrengungen bei der Aufnahme von Flüchtlingenin unserem Land ließe gleichsam die Einheimischen zukurz kommen . Davon kann nicht die Rede sein .
Ich bitte alle, auch die Kolleginnen und Kollegen desgeschätzten Koalitionspartners – nur einzelne, aber dannleider hochrangige –, nicht selbst zum Stichwortgebersolcher unberechtigter Ängste zu werden .
Nein, wir kümmern uns um diejenigen, die zu unskommen, sowie um diejenigen, die hier sind und unse-re Unterstützung vermehrt verdienen, seien es Pflegebe-dürftige, ihre Angehörigen oder die Pflegekräfte in unse-rem Land .Lassen Sie mich auch etwas zur Gesundheitsversor-gung der Flüchtlinge in unserem Land sagen . Da mussam Beginn der Dank an die vielen Haupt- und Ehren-amtlichen stehen, die in den FlüchtlingseinrichtungenBeeindruckendes bei der medizinischen Erstversorgungleisten . Danke für diesen Einsatz!
Ich habe erst vor wenigen Wochen das Michaelis Dorfin Darmstadt besucht, wo ein eindrucksvolles Projektgerade für traumatisierte Frauen, Kinder und Jugendli-che läuft, das gleichzeitig vom Sigmund-Freud-Institutwissenschaftlich evaluiert wird, damit wir dort noch Wei-teres lernen, um Traumatisierten bestmöglich helfen zukönnen .Zugleich gilt – darauf hat erst vor wenigen Tagen er-neut das Robert-Koch-Institut hingewiesen –, dass sichSorgen, mit den Flüchtlingen kämen gleichsam erhöhteGesundheitsgefahren für die Bevölkerung in Deutsch-Andreas Mattfeldt
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land auf uns zu, als unbegründet herausgestellt haben –auch hier kein Grund zur Panikmache .
Natürlich will auch ich ein Wort zur Frage der da-mit verbundenen Kosten sagen . Zunächst gilt: Für dieLeistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz steht dieGemeinschaft der Steuerzahler ein . Danach werden dieFlüchtlinge – jedenfalls zuallermeist, wenn sie dauerhafthierbleiben – Mitglieder der gesetzlichen Krankenversi-cherung . Da gilt natürlich, dass wir alles tun wollen undtun müssen, damit sie bestmöglich in den Arbeitsmarktintegriert werden, dass wir auch aus Fehlern gescheiterterIntegration in der Vergangenheit lernen . Deshalb ist dasIntegrationsgesetz ein so wichtiger Schritt . ScheiterndeIntegration kostet Geld, gelingende Integration kann unshelfen, Probleme zu lösen .Beim Tag der offenen Tür des Bundesgesundheitsmi-nisteriums vor wenigen Tagen habe ich eine junge Frau,die aus Syrien zu uns geflohen ist, kennengelernt, die alsBufdi im bayerischen Hof in einem Pflegeheim hilft. Ichhabe nicht nur die strahlende Dankbarkeit bei ihr, son-dern auch bei der Einrichtungsleiterin für diese Arbeitgesehen.Ja, es ist richtig, dass wir gleichzeitig Vorsorge betrei-ben, dass Kosten der Flüchtlingsversorgung nicht zu stei-genden Zusatzbeitragen führen . Deshalb halte ich es ineiner Zeit, in der die Liquiditätsreserve prall gefüllt undmit Negativzins belegt ist, für vertretbar, dass wir Mittelentnehmen, um das Risiko von Mehrkosten abzufedern .Das war eine gemeinsame Entscheidung im Bundeska-binett. Ich sage ganz offen: Wir werden die Entwicklungweiter im Auge behalten müssen . Das kann sicher keineDauerlösung sein, sondern es muss erst recht Anspornsein, um bestmögliche Integration in den Arbeitsmarktzu gewährleisten .
Meine Damen, meine Herren, lassen Sie mich etwaszur Kassenlage insgesamt sagen . Das erste halbe Jahrist erneut mit einem Plus von 600 Millionen Euro abge-schlossen worden . Es zeigt sich, dass diejenigen, die vorWochen mit falschen Zahlen – auch heute werden wiederin Zeitungen falsche Zahlen über die durchschnittlicheHöhe des Zusatzbeitrages verbreitet –
Alarmismus verbreitet haben, für den es ebenso wie fürPanikmache keinen Anlass gibt, auch nicht in Vorwahl-kampfzeiten, unrecht hatten .Es gibt gute Gründe, zu sagen: Wir halten die Lohn-zusatzkosten in Schach; denn die wichtigste Grundlageeines solidarischen Gesundheitswesens sind gut bezahl-te, sichere Arbeitsplätze . Gleichzeitig gilt – das wissenwir alle –, dass wir die Versicherten nicht überforderndürfen . Deshalb müssen Leistungsverbesserungen stetsmit Augenmaß geschehen, und wir müssen die nachhal-tige Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems im Augebehalten .Entgegen treten möchte ich allerdings ausdrücklichAussagen einzelner Kassenvertreter, die von uns be-schlossene Leistungsausweitung komme nicht den Versi-cherten zugute. Von wegen! Die Stärkung der Pflege aufden Krankenhausstationen, die Verbesserung der Kran-kenhaushygiene, der Palliativ- und Hospizversorgung –all dies liegt im Interesse der Versicherten in unseremLand, meine Damen, meine Herren .
Bei einer Reihe von Gesetzen, die wir in den letztenzwölf Monaten auf den Weg gebracht haben, sind jetztdie verschiedenen Partner, auch in der Selbstverwaltung,dabei, sie umzusetzen . Ich freue mich, dass im Februardie Nationale Präventionskonferenz eine erste wichtigeBundesrahmenempfehlung für den Bereich der Gesund-heitsförderung in Lebenswelten beschlossen hat und dassinzwischen in vier Bundesländern – Hessen, Sachsen,Nordrhein-Westfalen und Thüringen – Landesvereinba-rungen hinzugekommen sind; die anderen sind eingela-den, alsbald hier mitzumachen . Das Präventionsforumwird in der nächsten Woche zusammenkommen und vie-le einbeziehen, die dieses Gesetz mit Leben füllen sollen .Ausdrücklich möchte ich betonen, dass der Kampfgegen Suchtgefahren ein zentrales Element unserer Po-litik der Gesundheitsförderung und Prävention ist . Auchdazu ist eine Reihe von Maßnahmen erneut im Bundes-haushalt vorgesehen . Ich danke der DrogenbeauftragtenMarlene Mortler herzlich für ihre hervorragende Arbeit .
Der Innovationsfonds wird bald – ich rechne im Ok-tober damit – erste Entscheidungen für die Förderungsektorübergreifender Versorgung treffen. Da, wo wir vielzu lange Mauern zwischen den Sektoren hatten, werdenendlich Brücken gebaut .Ich möchte etwas zur Umsetzung der Krankenhausre-form sagen . Ja, wir haben eine Reihe von Aufträgen andie Selbstverwaltung übergeben . Einige davon sind er-ledigt worden, andere noch nicht . Ich erwarte, dass dieszeitnah geschieht .
Ich finde es nicht schön, dass es beispielsweise im Be-reich der Hochschulambulanzen im Zusammenhang mitden Zentrenzuschlägen offensichtlich des Schlichtungs-verfahrens bedarf, damit hier zeitnah entschieden wird .Wir erwarten, dass der Wille des Gesetzgebers, dieseArbeit auskömmlich zu finanzieren, umgesetzt wird, undwerden dies sehr nachdrücklich begleiten .
Meine Damen, meine Herren, wir verbinden bei Leis-tungsverbesserungen mit Augenmaß stets die Gedankender Qualität und der nachhaltigen Finanzierbarkeit . Aberda bedarf es gelegentlich – das will ich einräumen – desNachsteuerns . Das tun wir etwa beim Gesetz zur StärkungBundesminister Hermann Gröhe
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der Heil- und Hilfsmittelversorgung . Mich beschämt es,wenn ich den Brief einer 80-jährigen Frau lese,
die mir schreibt, wie sie mit einer Kasse darum kämpft,ein taugliches Inkontinenzmittel für ihren pflegebedürf-tigen Ehemann zu finden. Damit muss Schluss sein. Daswerden wir mit diesem Gesetz beenden .
Wirtschaftlichkeit – ja! Aber bessere Beratung und klareQualitätsmaßstäbe gehören zusammen .Ich sage angesichts einer Diskussion der letzten Tage:Wir werden uns auch bei der Zytostatikaversorgung, alsobei der Versorgung mit eigens hergestellten Arzneimittelnin der Tumorbehandlung, genau ansehen, ob Ausschrei-bungsrahmenbedingungen korrigiert werden müssen,
damit einerseits wir die Vorteile entsprechender Verfah-ren im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit nutzen und an-dererseits die zeitnahe Zurverfügungstellung der Mittelin hoher Qualität nicht gefährdet wird . Wenn hier Nach-steuerungsbedarf besteht, dann werden wir ihn – da binich mir sicher – gemeinsam bewerkstelligen .
Mit Blick auf Qualität und Patientensicherheit möchteich ein paar kurze Bemerkungen zu den Berichterstat-tungen über den sogenannten Krebswunderheiler vomNiederrhein machen; das ist nicht weit von meiner Hei-mat entfernt . Ich rate uns dazu, durchaus erst einmal das,was wir bisher in erster Linie aus Presseverlautbarungender Staatsanwaltschaft wissen, genau auszuwerten undzu schauen, wo etwaige Schutzlücken bestehen . Wennes sie gibt, müssen und wollen wir sie beseitigen . ZumBeispiel könnte man die entsprechenden Richtlinien ausdem Jahr 1992 überarbeiten . Ich sage jedenfalls ganz per-sönlich: Ich glaube nicht, dass man der Patientensicher-heit dient, wenn man Behandlungsmethoden ohne jedewissenschaftliche Evidenz vorschnell gleichsam mit demGütesiegel eines staatlich anerkannten Gesundheitsberu-fes versieht . Das, glaube ich, nützt der Pateientensicher-heit nicht .
Der Frage der richtigen Balance zwischen guter Qua-lität und nachhaltiger Finanzierbarkeit müssen wir unsauch bei der Umsetzung der Ergebnisse des Pharmadi-alogs stellen, den das Forschungs-, das Wirtschafts- unddas Gesundheitsministerium gemeinsam durchgeführthaben . Wir wollen etwa mehr Anreize für die Forschungund Entwicklung in den Bereichen der Arzneimittel fürKinder und gegen seltene Erkrankungen sowie der drin-gend benötigten neuen Antibiotika schaffen. Wir brau-chen aber auch eine wirksame Preisbremse gerade beiArzneimitteln, die hochpreisig sind und sich an eine gro-ße Zahl von Patientinnen und Patienten richten, mit de-nen also bereits im ersten Jahr hohe Umsätze erzielt wer-den . Auch hier gilt: Qualität, Innovationsfreudigkeit undnachhaltige Finanzierbarkeit müssen zusammengehören .
Meine Damen, meine Herren, lassen Sie mich etwaszur internationalen Gesundheitspolitik sagen, die sicherin den letzten Jahren zu einem Markenzeichen der inter-nationalen Verantwortung der Bundesrepublik Deutsch-land geworden ist .Zur Stunde findet der erste Einsatz des European Me-dical Corps statt, eine Konsequenz aus der Ebolakrise .Daran sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bern-hard-Nocht-Instituts und des Robert-Koch-Instituts be-teiligt, die in der Demokratischen Republik Kongo hel-fen, den sehr ernsten Gelbfieberausbruch zu bekämpfen.Wir haben aus unserem Haus heraus die entsprechendenKapazitäten in den genannten Einrichtungen aufgebaut .Der konkrete Einsatz wird aus Mitteln des AuswärtigenAmts finanziert. Ich möchte dem Außenminister, aberauch dem Entwicklungsminister ausdrücklich für diegute Zusammenarbeit im Hinblick auf die Stärkung in-ternationaler Gesundheitspolitik danken .
Schon in wenigen Wochen werden wir in Berlin zu ei-nem internationalen Expertentreffen zusammenkommen,bei dem es um das Thema Antibiotikaresistenzen gehenwird . Wir werden im Mai des nächsten Jahres erstmaligim Format der G 20 zu einem Gesundheitsministertreffenin Berlin zusammenkommen, weil es gerade bei großen,grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren, aber auchbeim Thema Antibiotikaresistenzen darum gehen muss,die Aktivitäten der EU und der G 7 mit den großen bevöl-kerungsreichen Ländern und großen Agrarproduzentenzu verbinden . Deswegen werden diese Themen auf derTagesordnung eines G 20-Gesundheitsministertreffensstehen .Für all dies setzt der Haushaltsentwurf einen erstenRahmen . Wir werden ihn jetzt gemeinsam beraten . Aufdie Beratung mit Ihnen allen freue ich mich .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Hermann Gröhe . – Die nächste Rednerin
in der Debatte: Dr . Gesine Lötzsch für die Linke .
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Ich möchte zunächst zwei Zahlengegenüberstellen . Die eine Zahl ist 36 Milliarden Euro,die andere Zahl ist 15 Milliarden Euro . 36 MilliardenEuro sind in diesem Haushalt für Rüstung und Verteidi-gung vorgesehen, nur 15 Milliarden Euro für Gesundheit .Ich finde, das ist ein eklatantes Missverhältnis.
Bundesminister Hermann Gröhe
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Meine Damen und Herren, die Menschen wollen wis-sen, wie sich in den nächsten Jahren die Beiträge für dieKrankenkassen entwickeln . Sie haben die Sorge, dass dieZusatzbeiträge steigen, und diese Sorge ist nicht berech-tigt .
– Ja, sie ist berechtigt; man kann über einen Versprechernatürlich lachen . – Ich kann es ja noch einmal wiederho-len: Diese Sorge ist mehr als berechtigt . Ich kann es auchnicht leiden, wenn man den Menschen versucht zu er-klären, sie würden sich ihre Ängste nur einbilden . Nein,diese Ängste sind ganz real .Laut aktuellen Berechnungen kommen auf Durch-schnittsverdiener Zusatzbeiträge von mehr als 50 Euroim Monat zu . Das wäre mehr als eine Verdoppelung in-nerhalb der nächsten vier Jahre . Das können wir dochnicht zulassen, meine Damen und Herren .
Diesen Kostenanstieg können wir im Bundestag gemein-sam verhindern, wenn wir wieder zu einer paritätischenFinanzierung des Gesundheitssystems zurückkehren .
Das heißt, die Arbeitgeber sollen wieder genauso vielzahlen wie die Arbeitnehmer .Wir hatten als Linke den Antrag gestellt, die Zusatz-beiträge abzuschaffen und die paritätische Finanzierungwiederherzustellen, aber leider haben Union und SPDdas abgelehnt . Im Gegensatz zu dieser Ablehnung hatnun der Vorsitzende der SPD, Herr Gabriel, gefordert,die paritätische Finanzierung wieder einzuführen . DieArbeitgeber haben das postwendend abgelehnt, und derArbeitgeberpräsident wies auch noch darauf hin – ichdarf zitieren –:Die Entscheidung von Rot-Grün vor mehr als zehnJahren, den Arbeitgeberbeitrag festzuschreiben, istund bleibt richtig .
Einerseits ist es natürlich wichtig, daran zu erinnern,wer die Verantwortung für die stärkere Belastung derBürgerinnen und Bürger trägt . Aber wenn die SPD ihreMeinung nun wirklich geändert hat: Warum sollte siedann unserem Antrag im Bundestag nicht zustimmen?
Ich denke, das sollten wir gemeinsam hinbekommen .
Herr Gröhe – das ist heute in mehreren Medien nach-zulesen – musste einen besonders großen Beitrag für dieschwarze Null leisten . Die Finanzspritze aus dem Ge-sundheitsfonds soll natürlich die Beitragssteigerungenvor der Bundestagswahl verhindern . Umso größer wer-den dann die Überraschungen nach der Bundestagswahlsein, wenn die Zusatzbeiträge steigen . Ich kann Ihnen nursagen: Machen Sie sich ehrlich, machen Sie endlich eineehrliche Politik . Die Zusatzbeiträge müssen weg, und da-ran müssen wir alle arbeiten .
Herr Gröhe, Sie müssen ja – das hat Ihnen der Finanz-minister verordnet – 1,5 Milliarden Euro aus dem Ge-sundheitsfonds an die Kassen geben, um die zusätzlichenKosten zu finanzieren. Angeblich soll das notwendig sein,um die Gesundheitskosten für die Flüchtlinge zu decken .Das ist allerdings nicht richtig . Der AOK-Chef MartinLitsch hat Ihnen widersprochen, und zwar zu Recht . Erhat gesagt: Wir haben kein Flüchtlingsproblem, sondernwir haben ein Hartz-IV-Problem; denn der Bundeszu-schuss, den die Krankenkassen für Hartz-IV-Empfängererhalten, ist nicht kostendeckend . – Das ist die Wahrheit .
Derzeit erhalten die Kassen 90,36 Euro pro Monat füreinen Hartz-IV-Empfänger, doch der Bedarf für einendurchschnittlichen Versicherten beträgt 245 Euro monat-lich .Meine Damen und Herren, wenn wir uns fragen, wa-rum Menschen auf Arztbesuche, zum Beispiel auf drin-gend notwendige Zahnarztbesuche verzichten, dann wis-sen wir, wie die Zusatzkosten schon jetzt drücken . Dashabe ich mir nicht ausgedacht, sondern das geht aus einerVeröffentlichung des Statistischen Bundesamtes zur amt-lichen Haushaltsbefragung „Leben in Europa“ hervor . Eswurde herausgefunden, dass knapp die Hälfte derjenigen,die im Jahr 2014 auf einen Zahnarztbesuch verzichteten,dies aus finanziellen Gründen taten. Das kann doch ineinem reichen Land wie dem unseren nicht die Wahrheitsein . Dagegen müssen wir uns verwahren .
Wir brauchen endlich eine Gerechtigkeitsoffensive.Mit einer solidarischen Gesundheitsversicherung könn-ten wir nicht nur sämtliche Zusatzbeiträge abschaffen;die Krankenkassen könnten auch – und das ist ja dasGute an der Sache – ihre Beitragssätze um rund ein Drit-tel senken .
– Ja, das können Sie nachlesen . Ich kann Ihnen die Stu-dien dazu geben .
Statt bei derzeit durchschnittlich 15,7 Prozent könnteder Beitragssatz dauerhaft zwischen 10 und 11 Prozentliegen . Das wäre keine Zauberei, sondern einfache Ma-thematik; denn in eine solidarische Gesundheitsversiche-rung könnten wir auch höhere Einkommen einbeziehen,indem wir schrittweise die Beitragsbemessungsgrenzeanheben und letztendlich abschaffen,
Dr. Gesine Lötzsch
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und auch Kapitaleinkünfte und Gewinne – das ist wich-tig – könnten mit einbezogen werden .Herr Gröhe, ein letzter Satz zur Pflege. Sie sind jaauch Pflegeminister. Sie haben hier positiv über die Er-folge gesprochen . Ich hatte allerdings erwartet, dass Siezu einer Meldung Stellung nehmen, die viele Menschenin den letzten zwei Tagen verunsichert hat: Es entfällt dieHilfe zur Pflege. Das heißt, die Menschen, die in Pflege-heimen wohnen und keine Pflegestufe haben, also Selbst-zahler sind, wissen nicht, was jetzt aus ihnen wird . DieTeilnehmer einer Besuchergruppe von mir hat das umge-trieben . Sie haben gefragt: Was wird denn nun?Ich fordere Sie auf: Lassen Sie uns bis zum Jahresendeeine Regelung finden. Es kann nicht sein, dass Menschenin Pflegeheimen Angst haben müssen, dass sie das Pfle-geheim verlassen müssen, weil dieser Passus aus demGesetz gestrichen wurde . Hier besteht dringender Hand-lungsbedarf . Das müssen wir unbedingt anpacken .Vielen Dank .
Vielen Dank, Gesine Lötzsch . – Nächster Redner:
Dr . Karl Lauterbach für die SPD .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich will zunächst einmal auf die Frage einge-hen, die heute auch in der Presse diskutiert wurde unddie indirekt auch in den beiden Reden, die wir zu diesemEinzelplan heute schon gehört haben, vorkam: Haben wirnur mehr Geld ausgegeben, das System also deutlich teu-rer gemacht, und keine Gewinne an Effizienz und Qua-lität erzielt, oder haben wir auch etwas erreicht? Das istja eine legitime Frage . Dieser Frage müssen wir uns indieser Debatte stellen; das ist ganz klar .Ich will darauf hinweisen: Selbst wenn man sehr kri-tisch ist und sagt: „Vieles von dem, was erreicht werdensollte, ist noch nicht komplett erreicht, weil vieles zulange dauert“, sollte man ein Mindestmaß an Fairnesswalten lassen . Man sollte einräumen: Wir haben viel ge-macht, was den Versicherten, den Patienten langfristigzugutekommt .
Alles andere ist unehrlich .Ich bringe nur ein paar Beispiele, um das konkret zuzeigen: Wir haben mit dem Versorgungsstärkungsgesetzmit dazu beigetragen, dass Hausärzte und Fachärzte bes-ser verteilt werden zwischen den Regionen, in denen Ein-kommensschwache wohnen – das sind häufig dörflicheRegionen –, und den Innenstädten, in denen viele Privat-versicherte wohnen . Wir haben die Terminvergabe durchTerminservicestellen beschleunigt . Wir haben spezielleLeistungen in Krankenhäusern – insbesondere in Unikli-niken, die mit jedem Patienten große Verluste gemachthaben –, besser bezahlt . Wir dürfen unsere Uniklinikenund die Häuser, die sich auf solche Patienten speziali-siert haben, nicht plündern . Das ist einfach nicht richtiggewesen .Wir haben zudem mehr Pflegekräfte eingestellt. Wirhaben ein Gesetz erarbeitet – es wird als teures Kranken-hausgesetz kritisiert –, mit dem über 500 Millionen Europro Jahr für die Pflege bereitgestellt werden. Darüber hi-naus kommt auch noch ein Pflegeförderprogramm.
Das sind sehr wichtige Investitionen . Ich bitte Siedaher, der Fairness halber zur Kenntnis zu nehmen: Wirkönnen nicht mehr Hausärzte, eine bessere Verteilungder Hausärzte, eine bessere Intensivmedizin, eine bessereNotfallmedizin, auf die ich jetzt nicht eingegangen bin,eine bessere Maximalmedizin und mehr Pflegekräfte, diewir auch noch besser bezahlen, haben, ohne dass es zukurzfristigen Kostensteigerungen kommt . Das wird nichtmöglich sein . Unser Gesundheitssystem ist kein Aktien-fonds, in den man nur investiert, um später etwas her-auszuholen . Wir wollen eine bessere Versorgung und einmodernes Gesundheitssystem, und wir wollen, dass un-sere Gesellschaft in der Lage ist, sich nach außen als ge-rechte Gesellschaft zu profilieren. Diesen Zustand wollenwir erhalten . Dafür muss Geld investiert werden .
Es wurde eben darauf hingewiesen, dass die Arbeitge-ber nicht bereit sind, diese Investitionen langfristig mitzu bezahlen, und dass die Wiederherstellung der paritäti-schen Finanzierung von ihnen abgelehnt wird . In diesemZusammenhang wurde der Arbeitgeberpräsident zitiert .
Das war in zweierlei Hinsicht falsch . Es ist zunächst ein-mal faktisch falsch; denn zum Glück ist es ja so, dasswir als Bundestag beschließen, wie das System finanziertwird .
Das bestimmen nicht die Verbände, erst recht nicht derArbeitgeberverband . Es war darüber hinaus falsch, zu sa-gen, dass die rot-grüne Koalition die Festschreibung desArbeitgeberbeitrags auf 7,3 Prozent eingeführt hat . Dasist in der schwarz-gelben Koalition geschehen .
Wir sind dafür, dass diese Regelung wieder aufgehobenwird; dafür plädieren wir .Nichtsdestotrotz muss man sich aber auch anschauen,was wir gemeinsam erreicht haben, und ich danke allen,die daran mitgewirkt haben . Ich möchte ein paar Beispie-le nennen, die zeigen, was wir noch vorhaben, aber nichtbevor ich mich an dieser Stelle bei den Kollegen von derDr. Gesine Lötzsch
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Union und beim Ministerium für die gute Zusammenar-beit bedankt habe .
Ich führe die Beispiele so konkret wie möglich an, weildie Zeit ja knapp ist .Wir haben klare Ziele . In den letzten Monaten wurdenzum ersten Mal Studien veröffentlicht, die darauf hindeu-ten, dass bei der Behandlung einer Demenz, die schonda ist, das Fortschreiten der Erkrankung wahrscheinlichgebremst, vielleicht sogar ein Stück weit rückgängig ge-macht werden konnte . Man weiß noch nicht genau, wieviel das ausmacht . Aber zum ersten Mal ist es überhauptgelungen, den pathophysiologischen Prozess, die Amy-loid-Ablagerungen im Gehirn, mit einer Antikörperthe-rapie ein Stück weit zu bremsen oder ihn sogar zurück-zudrängen . Das ist eine sehr, sehr wichtige Entwicklung .Dies ist, wie gesagt, das erste Mal, dass in diesem Be-reich überhaupt etwas gelungen ist .Zu diesem Thema werden auch in Deutschland Stu-dien durchzuführen sein . Aus diesem Grunde wollen wirdas Gesetz an dieser Stelle reformieren, sodass entspre-chende Studien in einem ethisch vertretbaren Rahmen –wenn der Versicherte, seine Angehörigen bzw . sein Be-treuer dies wünschen – auch in Deutschland möglichsind. Wir schaffen also die Grundlage dafür, dass diesewichtige Forschung, auf die viele Angehörige und auchviele Patienten dringend warten, auch in Deutschlandmöglich wird .
Wir haben ein Gesetz in Vorbereitung – da danke ichinsbesondere dem Kollegen Nüßlein, weil das eine Ini-tiative ist, die aus den Fraktionen hervorgegangen ist –,mit dem wir das Fallpauschalengesetz mit Blick auf diePsychiatrie ändern wollen . Bisher haben wir ein System,nach dem die einzelnen Krankenhäuser Budgets bekom-men; sie sind aber völlig ungerecht bemessen . Es gibtalso ungerechte Budgets pro Krankenhaus .
Es kommt vor, dass Krankenhäuser, die bei der intensi-ven Versorgung nur wenig machen und die keine Not-fallversorgung anbieten, relativ hohe Budgets erhalten,und dass Krankenhäuser, die viel leisten, eine Notfallver-sorgung anbieten und die regionale Versorgung gewähr-leisten, relativ geringe Budgets erhalten . Die gute Nach-richt ist also: Wir haben ein Budgetsystem . Die schlechteNachricht ist: Es ist ungerecht .Wir wollten dieses System umstellen und ein Systemmit Fallpauschalen einführen, nach dem der einzelne Pa-tient sozusagen der Träger des Budgets ist . Das wäre abernoch schlechter gewesen . Denn dann hätten wir nicht proHaus ungerechte Budgets, sondern pro Patient, und dannwäre der Patient aufgrund von Rosinenpickerei durch dasSystem geschickt worden . Das ändern wir, indem wir eintransparentes, gerechtes System für die Häuser einfüh-ren . Wir gehen also von einem ungerechten Budgetsys-tem pro Haus zu einem gerechten System pro Haus über .Wissenschaftlich gesicherte Leitlinien und neue Behand-lungsformen sollen die Höhe des Budgets bestimmen .Das ist ein wichtiger Schritt der Modernisierung . Erkönnte aus meiner Sicht sogar maßgeblich sein für ande-re Bereiche in unserem Krankenhauswesen, in denen wiruns über Alternativen zum Fallpauschalensystem Gedan-ken machen . Die stärkere Berücksichtigung dessen, waswissenschaftlich gesichert ist, die stärkere Berücksichti-gung von Mindestpersonalstandards
sowie die bessere Berücksichtigung dessen, was in denKrankenhäusern tatsächlich gemacht wird, das mussauch maßgeblich für uns sein bei den weiteren Reformendes Krankenhaussystems .Ich komme zur Situation in der Pflege. Es wurdeschon erwähnt: In der Pflege machen wir da weiter, wowir angefangen haben . Bisher werden Patienten mit De-menz und psychiatrischen Erkrankungen in diesem Sys-tem oft nicht so gut behandelt, wie sie eigentlich behan-delt werden müssten, weil es sich in den Budgets nichtwiderspiegelt . Das beseitigen wir, indem wir umstellenauf Pflegegrade, weg von den Pflegestufen. Wir moder-nisieren unser Einstufungssystem . Das machen wir jetztauch für all diejenigen, die die Leistungen derzeit überdie Sozialhilfe bezahlt bekommen . Das ist ein wichtigerSchritt nach vorn . Darüber hinaus stärken wir die Kom-munen bei der Planung dieser Versorgung .Der entscheidende Flaschenhals für die langfristigeVersorgungsqualität im Krankenhaus und auch in derAltenpflege wird die Zahl gut qualifizierter Pflegerinnenund Pfleger sein. Das – und übrigens nicht das Geld – istder wichtigste Punkt .
Daher müssen wir das Pflegeberufegesetz unbedingt mo-dernisieren .
Dafür haben wir einen entsprechenden Vorschlag vorge-legt . Die Ausbildung wird besser; sie wird universalisiert .Das heißt, derjenige, der in einem Bereich angefangenhat, kann in den anderen Bereich wechseln . Er muss sichnicht für den Rest seines Lebens festlegen . Wir werdendann viel weniger Menschen haben, die, wenn sie einmalin diesem Bereich tätig waren, die Pflege verlassen undaus dem Beruf ganz aussteigen . Der Beruf wird attrakti-ver werden, besser bezahlt werden, und es wird besserDr. Karl Lauterbach
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qualifiziert werden. Das ist ein wichtiger Schritt nachvorn, den wir jetzt gehen .
Wir werden bei den Arzneimitteln verhindern, dasses Windfall Profits gibt. Die Firmen gehen immer mehrdazu über, die Gewinne des gesamten Produktes in daserste Jahr zu verlagern, nach dem Motto: Im ersten Jahrwähle ich Mondpreise, um bei dem Medikament, ob-wohl es noch nicht so gut erforscht ist, trotz nur gerin-gen Zusatznutzens komplett abzukassieren . – Da werdenwir einen Schwellenwert einführen, sodass diese Praxisunmöglich wird . Wir werden das AMNOG, das die Prei-se regelt, weiter verbessern . Es ist ein gutes Gesetz . Wirwerden zum Schluss die Ergebnisse auch den Ärzten zurVerfügung stellen .Zum Schluss . In einem Punkt gebe ich der Rednerinvon der Opposition recht . Es ist ganz klar: Langfristighaben wir ein großes Problem in Deutschland . Das Ge-sundheitssystem ist ungerecht finanziert. Einkommens-schwache zahlen relativ zu viel . Einkommensstarkezahlen relativ zu wenig . Gleichzeitig werden aber Ein-kommensstarke und Bildungsstarke in der Regel besserversorgt . Wir haben in Deutschland mit die größten Le-benserwartungsunterschiede zwischen Reich und Armin Europa . Das ist für uns, ehrlich gesagt, eine Schande .Daran müssen wir arbeiten . Daher halte ich das Projektder paritätischen Bürgerversicherung für langfristig daswichtigste Projekt, welches diese Ungerechtigkeit besei-tigen kann . Dafür werbe ich bei allen hier im Hause .Ich danke für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Karl Lauterbach . – Nächste Rednerin:
Ekin Deligöz für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! LiebeKolleginnen und Kollegen! Wenn wir über das Gesund-heitssystem in Deutschland reden, reden wir eigentlichüber eine wirklich stolze Summe . Das sind nämlich220 Milliarden Euro . Hier in diesem Haushalt reden wiraber nur über 15 Milliarden Euro . Und genau genommenreden wir über noch viel weniger, nämlich über 596 Mil-lionen Euro; denn 14,5 Milliarden Euro werden als Bun-deszuschuss an die gesetzlichen Krankenkassen gezahlt .Das hat auch eine Rechtfertigung . Das sind die Zahlun-gen des Bundes an den Gesundheitsfonds zur pauscha-len Abgeltung der Aufwendungen der Krankenkassenfür versicherungsfremde Leistungen . Der entsprechendeAusgleich soll das System stabil halten .Vor allem aber soll es auch Vertrauen schaffen. HerrLauterbach, wenn ich es vorhin richtig verstanden habe,was die aktuelle Diskussion angeht, so muss ich sagen:Ich glaube nicht, dass es richtig ist, wenn man Ihnen vor-wirft, Sie hätten zu wenig gemacht . Darum geht es garnicht . Es geht um zwei andere Sachen .Der erste Punkt ist: Haben Sie entschlossen genugagiert?
Da gibt es ein ganz großes Fragezeichen .Der zweite Punkt ist: Was ist mit dem Vertrauen derMenschen? Denn der größte Anteil dieses Geldes für dasSolidarsystem kommt von den Beitragszahlerinnen undBeitragszahlern, verbunden mit einem ganz großen Ver-trauensvorschuss . Und genau dieses Vertrauen dürfen wirnicht aufs Spiel setzen; darum muss es gehen .
Dieses Vertrauen wird aber verspielt, wenn der Arbeit-geberbeitrag weiterhin bei 7,3 Prozent verbleibt . Warum?In einer Krise, in der die Arbeitslosigkeit hoch ist und esder Wirtschaft schlecht geht, Herr Gröhe, lässt sich soetwas vielleicht rechtfertigen . Aber in einer Zeit, in der esuns wirtschaftlich gut geht und die Arbeitslosigkeit nied-rig ist, brauchen wir eine echte Solidarität . Dann müs-sen wir die Arbeitgeber auch nicht schonen, dann gibt eskeinen Grund dafür, mit Investitionen oder Ähnlichemzu argumentieren, sondern Solidarität muss es beidseitiggeben – auf der Seite der Arbeitgeber und auf der Seiteder Arbeitnehmer –, damit das System auch in Zukunftund nicht nur jetzt stabil und verlässlich ist und Vertrauenschaffen kann. Hier wird aber Vertrauen verspielt.
Ein anderes Beispiel ist, dass Sie auf die Reserve desGesundheitsfonds zurückgreifen und 1,5 Milliarden Euroentnehmen . Sie können jetzt sagen: Die Reserven sindhoch . Warum sollen wir dort nicht hineingreifen? – Auchdas hat ganz viel mit Vertrauen zu tun . Das ist das Geldder Beitragszahler . Sie zahlen das Geld ein in dem Glau-ben, dass es dann, wenn es gebraucht wird, für sie auchzur Verfügung steht . Wenn der Bund in diese Reserve hi-neingreift, dann steht es aber nicht mehr zur Verfügung .Sie nehmen dieses Geld jetzt, um, wie Sie sagen, indie Telematikinfrastruktur und die gesundheitliche Ver-sorgung von Flüchtlingen zu investieren . Man muss abersagen: Die Zahlungen nach dem SGB II würden ohne-hin anfallen – mit oder ohne Flüchtlinge . Entscheidendist: Eigentlich müssten dafür Steuergelder und nicht dieGelder der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler ver-wendet werden . Das zerstört das Vertrauen der Beitrags-zahlerinnen und Beitragszahler .
Im Sozialsystem vorausschauend zu agieren, heißt,darauf zu setzen, dass man sich auch in Zukunft daraufverlassen kann . Bei dieser Gelegenheit fällt noch einesauf: Eigentlich müssten wir jetzt die Zahlungen nach demSGB II neu berechnen . Sie sind zu niedrig und knapp be-messen . Das fällt uns irgendwann einmal auf die Füße,weil wir dieses Geld zuzahlen müssen . Hier bräuchtenDr. Karl Lauterbach
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wir eine ehrliche Berechnung, damit wir das korrekt dar-stellen können .
Zur Schaffung von Vertrauen gehört nicht nur der ver-antwortungsvolle Umgang mit den Ausgaben, sondernauch eine gute Rechnungsprüfungskontrolle . Hier hatIhr Haus – dank dem Bundesrechnungshof ist das an unsherangetragen worden – einen großen Fehler gemacht .Es geht hier konkret um eine Ihrem Haus untergeord-nete Behörde . Der Bundesrechnungshof hat aufgezeigt,dass die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärungein Schimmelproblem im Gebäude hatte . Das ist schonschlimm genug, kann aber passieren . Bei dieser Gelegen-heit kam aber heraus, dass drei Jahre lang die Rechnun-gen nicht überprüft wurden und verschimmelt sind . DieFrage ist: Wie kann es eigentlich passieren, dass Rech-nungen in diesem Land nicht überprüft werden? Zu ei-ner guten Regierungsführung gehört eben auch eine guteKontrolle, wohin das Geld geht .Herr Minister, ich hoffe, Sie haben daraus gelernt. Siehaben nämlich auch Verantwortung für die Ihnen zuge-hörigen Behörden . Wir müssen mit dem Geld der Steuer-zahler nicht nur achtsam, sondern auch verantwortungs-voll umgehen .
Es ist gut, dass Sie einen Teil unserer Anträge aus demletzten Jahr übernommen haben, zum Beispiel unserenAntrag zur Erhöhung der Mittel für die Migration undIntegration im Gesundheitswesen . Weil es so gut ist, dassSie unsere guten Ideen übernehmen, haben wir natürlichnoch viel mehr gute Ideen, die wir Ihnen im Rahmen derVerhandlungen vorschlagen werden . Dazu gehört ganzdefinitiv, dass wir mehr Geld für Prävention, Aufklärungund Forschung brauchen .Ja, Sie machen hier sehr viel, aber der Bedarf liegtweit höher . Warum? Das Gesundheitswesen hat ebenauch den Auftrag, darauf zu reagieren, dass sich der Le-bensstil und die Lebenswelten der Menschen verändern .Darauf, dass Prävention immer wichtiger wird und dassauch die Gesundheitsrisiken steigen, brauchen wir nochentschlossenere Antworten in diesem Etat .
Es geht hier übrigens nicht nur um nationale, sondernauch um internationale Fragen . Es ist gut und richtig,dass Sie inzwischen erkannt haben, dass die UN und dieWHO eine wichtige Rolle spielen . In einer globalen, mo-bilen Welt müssen wir auch global und mobil denken .Wir müssen diese Strukturen in Zukunft stärken undnoch viel stärker in den Fokus des Etats nehmen, weilwir nicht mehr weggucken können . Das dürfen wir ausVerantwortung nicht, aber auch deshalb nicht, weil dieWelt sozusagen immer kleiner wird und wir immer auchfür die anderen mitdenken müssen . Jetzt in Prävention zuinvestieren, bedeutet, dass uns diese Kosten an andererStelle später erspart werden .In diesem Sinne, Herr Minister, werden wir in derkommenden Zeit, denke ich, konstruktiv zusammenar-beiten . Wichtig ist, dass wir gemeinsam wissen: Gesund-heitspolitik ist eben mehr als nur das, was wir in Bezugauf die Sozialversicherungen machen . Der Auftrag desBundes ist auch, in den Bereichen tätig zu sein, die nichtin klassischer Weise durch die Versicherten finanziertwerden, damit die Menschen auch in Zukunft gesundbleiben können .
Vielen Dank, Ekin Deligöz .
Ich darf auf der Besuchertribüne, falls Sie sich gewun-
dert haben, eine sehr bunte Besuchergruppe begrüßen:
einen Spielmannszug aus der Pfalz . Seien Sie uns herz-
lich willkommen!
Ich hoffe, wir können Sie auch von unserem Sound hier
überzeugen .
Nächster Redner: Dr . Georg Nüßlein aus Krumbach
von der CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichbin zunächst einmal der Kollegin Deligöz ausdrück-lich dankbar dafür, dass sie den Unfug, den vorhin FrauLötzsch zu den Gesundheitsausgaben von sich gegebenhat, relativiert hat . Sie machen es sich viel zu einfach,Frau Lötzsch, wenn Sie den Bundeshaushaltsansatz fürGesundheit in Relation zu den Verteidigungsausgabensetzen und dann sagen, das sei alles, was wir für die Ge-sundheit täten . Ein jeder weiß, dass die Gesundheitskos-ten über die Kassen finanziert werden; das sind 220 Mil-liarden Euro im Bereich der Gesetzlichen .
Und einiges kommt noch einmal vonseiten der PKVdazu . Deshalb ist das, was Sie an dieser Stelle abgezogenhaben, schon sehr populistisch .
Ich glaube, das sollte man nicht tun, weil dabei dasRisiko besteht, liebe Kollegin, dass der eine oder andereauf diesen Populismus hereinfällt . Das ist genauso wiemit der Zeitungsente über die Zusatzbeitragsexplosion,auf die der eine oder andere in diesem Hohen Hause he-reingefallen ist .
Ekin Deligöz
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– Das war eine Zeitungsente . – Jetzt weiß ich nicht, obdas daran lag, dass einige Kollegen ein besonderes Ver-trauen in ein Presseorgan setzen, das ansonsten von Bil-dern und Übertreibungen lebt . Aber ich gehe davon aus,dass der eine oder andere – das sieht man auch an demVerlauf dieser Debatte – einfach ein gewisses politischesKalkül verfolgt und sagt: Da bietet sich jetzt die Mög-lichkeit, das eine oder andere Thema – Stichwort: Parität,Stichwort: Bürgerversicherung – zu setzen .Bei den Menschen kommt man aber mit Plausibilitätweiter . Wie der Kollege Lauterbach vorhin deutlich ge-zeigt hat, haben wir viel für die Patienten, für Strukturenund für Qualität getan . Jedem leuchtet ein, dass all dieseMaßnahmen am Ende des Tages auch Geld kosten, Geld,das uns unsere Gesundheit wert sein muss; das muss manin dieser Klarheit sagen .Mich ärgern aber – auch das sage ich ganz offen – dieGKV-Lobbyisten, die zunächst einmal auf den Kostenan-stieg rekurrieren – das ist durchschaubar –, aber gleich-zeitig kritisieren, dass die Qualitäts- und Effizienzgewin-ne noch nicht eingetreten seien . Daran haben sie einenentscheidenden Anteil .
Wir haben nämlich eine ganze Menge Aufgaben anden Gemeinsamen Bundesausschuss delegiert . Ich mei-ne, das war ein ganzes Stück zu viel; wir überfrachtendieses Gremium – das aber nur als ceterum censeo . Aberman muss sich dann schon an die eigene Nase fassen,wenn es um die Umsetzung geht, und darf nicht zur Un-zeit und viel zu früh Kritik äußern .
Dafür ist die Krankenhausreform ein deutliches Bei-spiel, sowohl für die Umsetzung als auch dafür, dass wirdas, was wir getan haben, sehr ausgewogen gemachthaben. Wir haben mit dem Pflegezuschlag dafür Sorgegetragen, dass die Krankenpflege nicht als Steinbruch ge-nutzt wird, um Kosten einzusparen . Darüber hinaus ha-ben wir den Strukturfonds aufgelegt, um dem Problem zubegegnen, dass es in manchen Regionen der Republik zuviele Krankenhausbetten und in anderen zu wenige gibt .Die Länder sind gefordert, hier etwas zu tun . Sie sollendann aber auch die entsprechende Politik machen .Als ich vorhin von politischem Kalkül gesprochenhabe, habe ich mich auf die paritätische Finanzierungbezogen . Kollege Lauterbach, es ist ganz klar, wann dasbeschlossen wurde . Damals hieß das „Sonderbeitrag“,heute heißt es „Zusatzbeitrag“ . Aber es war nichts ande-res als das . Beschlossen wurde er im Jahr 2004 von Rotund Grün gemeinsam . Warum Sie sich immer dagegenwehren, wenn Sie etwas Gutes getan haben – Stichwort:Agenda 2010 –, verstehe ich beim allerbesten Willennicht . Wehrt euch doch nicht dagegen, wenn ihr etwasgemacht habt, was Sinn macht . Dann muss man das dochnicht von sich weisen, sondern man muss sagen: Jawohl,wir haben damals auf den Anstieg der Lohnnebenkostenreagiert . Es war sinnvoll, das damals in dieser Weise zutun .Ich will Ihnen auch sagen, warum es auch aus einemanderen Grund Sinn macht, das an dieser Stelle getan zuhaben: Der Wettbewerb der Kassen untereinander wirdüber diesen Zusatzbeitrag in Zukunft funktionieren . DerBeitragszahler – nicht der Arbeitgeber – entscheidet da-rüber, bei welcher Kasse er versichert ist .
Er wird nur dann wechseln, wenn er einen Anreiz dafürsieht . Die 50 Euro, von denen Sie vorhin gesprochen ha-ben, Frau Lötzsch, kann er in Zukunft einsparen, wenn erdie Kasse wechselt .
Herr Nüßlein, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung?
Selbstverständlich .
Dann bitte schön, Karl Lauterbach .
– Jetzt ist Karl Lauterbach dran .
Ich habe folgende Frage: Sie wollen doch nicht be-
streiten, dass ich gesagt habe, dass wir damals in der
rot-grünen Regierungszeit den Arbeitgeberbeitrag nicht
eingefroren haben? Denn dies war der Vorwurf, der eben
vorgetragen wurde und mit dem auch der Arbeitgeber-
präsident zitiert wurde . Das würde nämlich bedeuten,
dass ich gesagt hätte – was nicht stimmt –, wir hätten den
Sonderbeitrag nicht eingeführt . Aber um den Sonderbei-
trag ging es gar nicht, sondern um das Einfrieren des Ar-
beitgeberbeitrags . Das hat Schwarz-Gelb eingeführt . Ich
hätte das gar nicht kritisiert, wenn es nicht zur Sprache
gekommen wäre, weil es nicht meine Art ist, Schwarz-
Gelb zu kritisieren, während wir hier gemeinsam regie-
ren. Das ist eine Sache der Höflichkeit.
Sie müssen doch einräumen, dass ich vom Einfrieren
des Arbeitgeberbeitrags auf 7,3 Prozent gesprochen habe .
Ich habe sogar die Beitragssatzzahl genannt . Sie müssen
auch einräumen, dass das von Schwarz-Gelb eingeführt
wurde und nicht unter Rot-Grün .
Herr Nüßlein .
Herr Kollege Lauterbach, nun kenne ich nicht das Pro-tokoll auswendig, aber ich vertraue eben, dass Sie genauwissen, was Sie an der Stelle gesagt haben .
Wir sollten jetzt auch keinen Dissens konstruieren . Ichhabe mich jedenfalls, was die Unionsseite angeht, vondem Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags nicht distanziert .Wenn Sie sich nicht vom Sonderbeitrag distanzieren, derDr. Georg Nüßlein
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eben nicht paritätisch finanziert ist, dann sind wir wiedereiner Meinung, Herr Kollege .
Meine Damen und Herren, ich darf in dem Zusam-menhang nur am Rande darauf hinweisen, dass die Ar-beitgeber mit der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfallin Höhe von immerhin 51 Milliarden Euro, mit demGKV-Beitrag für geringfügig Beschäftigte in Höhe von3 Milliarden Euro und mit Beiträgen für geringverdie-nende versicherungspflichtige Auszubildende in Höhevon 1 Milliarde Euro einen Beitrag in einer großen Höheleisten, der nicht paritätisch finanziert ist. Auch das ge-hört zur Ehrlichkeit dazu, dass man das an der Stelle malerwähnt .
Einige Vorredner haben auf das Thema Bürgerversi-cherung rekurriert . Auch da kann ich es mir leicht ma-chen . Ich kann beispielsweise den Kollegen Münteferingzitieren, der seinerzeit in Richtung der Grünen gesagt hat:Diesen Kompromiss sollten wir gemeinsam vertre-ten – und nicht die Menschen zur Unzeit verunsi-chern .Er hat sich auf die nicht paritätische Finanzierung bezo-gen .Ein Wechsel zur Bürgerversicherung, wie ihn dieGrünen verlangten, könne die Probleme im Gesund-heitswesen allein nicht lösen . „Beamte und Selbst-ständige wären ja nicht nur zusätzliche Beitragszah-ler, sondern auch zusätzliche Leistungsempfänger .“Auch das muss man in aller Klarheit sagen . FranzMüntefering hat an der Stelle durchaus recht gehabt .Denn es gibt den Bestands- und Eigentumsschutz, der ei-nen Zugriff auf die Altersrückstellungen verhindert. Dasheißt, die Rechnung wird nicht aufgehen .
Sie führen gerne eine Verbreiterung der Bemessungs-grundlage ins Feld . Ich muss darauf hinweisen, dassangesichts der derzeitigen Zinsentwicklung bei einerEinbeziehung von Zinseinkünften nichts herauskommt .Das ist ein ganz anderes Problem, das wir an andererStelle diskutieren . Bei den Mieteinnahmen hat die SPDgemerkt, dass sich das am Schluss zulasten der Mieterauswirken wird . Auch das Verfassungsrecht besagt, dassman die Beitragsbemessungsgrenze nicht endlos ausdeh-nen kann . Deshalb wird eine Verbreiterung letztlich kei-ne Lösung bringen, sondern ein neues Problem schaffen,mit dem Sie dann konfrontiert werden würden .
Wir raten dazu, die private Krankenversicherung auchein Stück, Schritt für Schritt, weiterzuentwickeln . Es gibtnämlich in der Tat einige Schwierigkeiten, über die manreden muss . Ich glaube, dass die private Krankenversi-cherung nachweislich zu der bestmöglichen Versorgungaller Versicherten – nicht nur der Privatversicherten –beiträgt,
und ich glaube, dass es sinnvoll wäre, KollegeLauterbach, wenn wir uns gemeinsam darüber Gedankenmachen würden, wie man in dem Bereich noch das eineoder andere voranbringen könnte .Ich nenne vier Beispiele: zunächst erweiterte Möglich-keiten zur Vertragsgestaltung mit Leistungserbringernund zweitens die Verstetigung der Beitragsanpassungstatt Beitragssprüngen, wie jetzt wieder einer bevorsteht .
Wir brauchen drittens mehr Flexibilität bei der Tarifge-staltung – das ist im Interesse der Versicherten –, zumBeispiel eine generelle Öffnung des Standardtarifs. Vier-tens brauchen wir mehr wettbewerbliche Elemente durchTarif- und Anbieterwechsel .
Warum soll das, was wir im GKV-Bereich machen, nichtauch im Bereich der privaten Krankenkassen möglichsein? Ich glaube, wir sollten uns darüber Gedanken ma-chen, wie man das moderat entwickeln bzw . voranbrin-gen kann .Ich komme noch einmal auf die Kosten zurück . Ganzdeutlich möchte ich sagen, dass man das nicht nur haus-halterisch oder finanzmathematisch sehen kann. Viel-mehr müssen wir das vorhandene Potenzial nutzen, umauf der einen Seite Kosten zu senken, um auf der anderenSeite aber auch die Situation für die Patienten zu verbes-sern .Was das Krankenhauswesen angeht, wurden bereitsdas Hygieneprogramm und andere Themen angespro-chen .Im Bereich der Medikamente will ich die Hepati-tis-C-Mittel ansprechen . Es kann mittlerweile nachgele-sen werden und ist auch nachzuvollziehen, dass teuersteMedikamente am Ende erstens für Heilung und zweitensfür eine Kostensenkung sorgen können, wenn sie Ope-rationen, Organtransplantation, Ansteckung und Arbeits-ausfall vermeiden helfen . Deshalb sind solche Innova-tionsanreize aus meiner Sicht ganz besonders wichtig .Wir in der Großen Koalition machen eine Politik, die aufdiese Innovationsanreize setzt –
allerdings, meine Damen und Herren, nicht blauäugig .Denn man sollte, was zum Beispiel die Zytostatika an-geht, ganz klar an den Rabattverträgen festhalten undsich, wie es der Kollege Hennrich heute vorgeschlagenhat, Gedanken machen, ob man solche Verträge künftignicht auch direkt mit den Herstellern abschließen kann .Ich halte das für einen wichtigen Weg, um auf der einenSeite die Innovationen im Auge zu behalten, und auf deranderen Seite dafür Sorge zu tragen, dass wir, was dieKosten angeht, nicht ausgebootet werden .Dr. Georg Nüßlein
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Lassen Sie mich abschließend noch ein paar Sätzezum Thema Flüchtlinge sagen . Auch da hat die KolleginDeligöz durchaus recht: Deren Gesundheitsversorgungist nicht nur ein Thema, das direkt mit Flüchtlingen zutun hat, sondern ein Thema, das Bezug hat auf Hartz IV .Deshalb müssen wir darauf achten, dass am Schlussmöglichst wenige Leute in Hartz IV landen und an dieserStelle die Kassen belasten .Ich kann die Beschreibung nachvollziehen: Es handeltsich hier wirklich nur um die zweitbeste Lösung, die Fi-nanzierung ausnahmsweise über den Gesundheitsfondszu machen . Dies kann keine Dauerlösung sein . Wir ha-ben noch nicht einmal eine genaue Vorstellung davon,was das Ganze kosten wird . Auf der einen Seite kommensehr gesunde Menschen, auf der anderen Seite aber auchausgesprochen Kranke zu uns . Deshalb muss man sichdas aus meiner Sicht sehr genau anschauen .Ich glaube, wir sollten alles dafür tun, dass das ordent-lich finanziert wird. Wir sollten uns aber auch Gedankendarüber machen, was man tun kann, dass das Ganze nichtüberfrachtet wird . „Nicht überfrachten“ heißt an der Stel-le – auch das sage ich in Richtung der Grünen – insbe-sondere, keine neuen Ideen zu entwickeln, Stichwort:Dolmetscherkosten . Es sollten also keine neuen Ideenentwickelt werden, mit denen die gesetzlichen Kranken-kassen zusätzlich belastet würden .
Wenn Sie also in Bezug auf die eine Seite Kritik äußern,rate ich mit Blick auf die Kosten zur Zurückhaltung aufder anderen Seite . Wenn Sie das täten, wäre viel geholfenund Ihre Argumentation wäre dann auch ausgewogen,meine Damen und Herren .Vielen herzlichen Dank .
Vielen Dank, Kollege Nüßlein . – Nächste Rednerin:
Kathrin Vogler für die Linke .
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Herr Nüßlein, ichweiß überhaupt nicht, wo ich anfangen soll, um mit allden Mythen aufzuräumen, die Sie uns hier gerade erzählthaben . Ich fange einmal mit dem Mythos der Lohnne-benkosten an . Wir reden viel über Evidenz im Gesund-heitswesen . Es gibt keinen evidenten Beleg dafür, dasseine Senkung der Lohnnebenkosten – also der Arbeitge-berbeiträge zur Sozialversicherung – irgendwann einmalzu einer massiven Einstellungs- oder Investitionswellegeführt hat .
Arbeitgeber stellen ein, wenn sie in ihrem Unternehmenbestimmte Leute brauchen – und nicht auf Halde, weilihre Beschäftigung gerade so günstig ist .Dann zum Mythos Privatversicherung, der besagt,unser Gesundheitswesen sei so gut, weil es die privatenKrankenversicherungen gebe . Das ist wirklich an denHaaren herbeigezogen . Unser Gesundheitswesen ist vorallem deshalb so gut, weil 70 Millionen Versicherte inder gesetzlichen Krankenversicherung dafür sorgen, dasswir eine flächendeckende Infrastruktur bzw. flächende-ckende Angebote für Behandlung, Prävention und andereDinge haben .
Dann kommen wir zum Mythos Lohnfortzahlung . DieLohnfortzahlung im Krankheitsfall ist weder eine Gnadeder Unternehmen gegenüber ihren Beschäftigten nochsonst irgendwie eine einseitige Belastung . Vielmehr han-delt es sich dabei um ein von den Gewerkschafterinnenund Gewerkschaftern – den Arbeiterinnen und Arbeiternsowie den Angestellten – in einem sechswöchigen Streikerkämpftes Recht .
Das wird den Beschäftigten über die Umverteilung in dergesetzlichen Krankenversicherung sozusagen auf kaltemWege wieder aus den Taschen gezogen .Wenn Sie von GKV-Lobbyisten sprechen, die unsRednern von der Opposition angeblich die Reden ge-schrieben haben, dann frage ich mich, welche LobbyistenIhnen diese Rede geschrieben haben . Waren das die Ar-beitgeberverbände, die privaten Versicherungskonzerneoder die Kollegen der Pharmaindustrie, speziell die derforschenden Pharmaindustrie? Da weiß man gar nicht,wo man anfangen soll .
Wenn wir über den Gesundheitshaushalt reden, redenwir nicht über sehr viel Geld . Tatsächlich aber geht es umsehr viel Geld . Im letzten Jahr sind 212 Milliarden Euroin der gesetzlichen Krankenversicherung eingenommenworden . Im Vergleich dazu betrug das Volumen des Bun-deshaushalts im letzten Jahr nur 299 Milliarden Euro .Damit ist der Bundeshaushalt noch nicht einmal um einDrittel größer als die Einnahmen der gesetzlichen Kran-kenversicherung . Wir haben also nicht zu wenig Geldim System . Aber wir müssen fragen: Ist es denn richtigverteilt? Ist es sozial gerecht, wirksam und gut verteilt?Kommt es dort an, wohin es gehört, nämlich bei der Ver-sorgung?Natürlich weckt so viel Geld die Begehrlichkeitenderjenigen, die mit Krankheit Profit erwirtschaften wol-len . Leider sind diese Bundesregierung und insbesonderedieser Bundesminister Gröhe mehr auf der Seite dieserLeute als auf der Seite der Patienten und Versicherten .
– Ja, das wollen Sie nicht hören . Aber ich kann das an-hand der Gesetzgebung dieser Bundesregierung und die-ser Koalition belegen .
Noch bevor die Tinte auf dem Koalitionsvertrag tro-cken war, haben Sie mit dem 14 . Gesetz zur ÄnderungDr. Georg Nüßlein
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des SGB V der Pharmaindustrie etwa eineinhalb Milliar-den Euro jährlich geschenkt . Sie haben nämlich die Her-stellerrabatte zugunsten der Krankenkassen auf beson-ders teure Arzneimittel von 16 auf 7 Prozent verringert .Der nächste Anschlag auf die Taschen der Beitragszah-lerinnen und -zahler war das GKV-Finanzierungsgesetzvon 2014 . Da haben Sie die Festschreibung des Arbeit-geberbeitrags weiter verewigt . Sie haben außerdem be-schlossen, dass künftig alle Kostensteigerungen alleinvon den Versicherten, also von den Beschäftigten sowieden Rentnerinnen und Rentnern, zu tragen sind .
Seit Anfang dieses Jahres finden die Menschen deswegeneine saftige Erhöhung ihrer Krankenkassenbeiträge aufdem Lohnzettel . Eigentlich müssten die Krankenkassen-beiträge noch einmal erhöht werden . Aber weil Sie dasin einem Wahljahr nicht gebrauchen können, greifen Sienun auf die Rücklagen bzw . die Liquiditätsreserve desGesundheitsfonds zurück, damit die Beiträge nicht sobrutal steigen . Das alles sind Taschenspielertricks, dieam zentralen Problem nichts ändern .Ich freue mich übrigens, dass die SPD das Themaparitätische Finanzierung wiederentdeckt hat . Die pari-tätische Finanzierung, also das Prinzip, dass Arbeitgeberund Rentenkasse die Hälfte der Beiträge zahlen, habenSie zusammen mit den Grünen 2003 tatsächlich abge-schafft. Aber wir wollen da überhaupt nicht nachtragendsein . Wir laden Sie ein, diese Ungerechtigkeit zu beseiti-gen . Das können wir gerne zusammen machen .
Dann kam eine ganze Reihe von Reformen, mit de-nen diese Bundesregierung staatliche, also gesamtgesell-schaftliche Aufgaben, privatisiert und aus dem Bundes-haushalt ausgelagert hat . Jetzt müssen die Versichertenmit ihren Pflichtbeiträgen alle möglichen Projekte dieserBundesregierung finanzieren. Ich nenne als Beispiele nurdas Krankenhausstruktur- sowie das Finanzierungs- undQualitätsgesetz, das Präventionsgesetz, das GKV-Ver-sorgungsstärkungsgesetz, das E-Health-Gesetz mit demMilliardengrab elektronische Gesundheitskarte und –last, but not least – die Privatisierung der UnabhängigenPatientenberatung Deutschland . Da haben Sie zunächstden Etat ordentlich aufgestockt, was die Linke unter-stützt hat . Andererseits haben Sie durch eine Ausschrei-bungsregel dafür gesorgt, dass das nun nicht mehr Ver-braucher- und Patientenschutzorganisationen machen,sondern ein Callcenter im Besitz eines Finanzinvestors .Das ist wirklich ein Skandal .
Wenn Sie in Ihrem Koalitionsvertrag schreiben: „ImZentrum unserer Gesundheitspolitik stehen die Patientin-nen und Patienten und die Qualität ihrer medizinischenVersorgung“, dann fragen Sie doch einmal diese Patien-tinnen und Patienten, was bei ihnen angekommen ist . Seit2013 wurden 43 Krankenhäuser geschlossen, und zwarnicht in den überversorgten Gebieten, sondern auf demLand . 2 665 Betten wurden stillgelegt, aber es wurden400 000 Fälle mehr behandelt . Gleichzeitig haben diezehn größten Klinikkonzerne im letzten Jahr fast 1 Milli-arde Euro Gewinn gemacht, alles aus Steuergeldern undden Mitteln der gesetzlich Versicherten . Deswegen sageich Ihnen: Die Gesundheitspolitik dieser Koalition istnicht im Interesse der Patientinnen und Patienten, nichtim Interesse der gesetzlich Versicherten . Deswegen müs-sen Sie sie verändern .
Vielen Dank, Kathrin Vogler . – Nächster Redner:
Burkhard Blienert für die SPD .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Über 15 Milliar-den Euro beträgt der Etat des Bundesgesundheitsministe-riums . 14,5 Milliarden Euro davon, der übergroße Anteil,gehen in den Gesundheitsfonds – meine Vorredner habenschon darauf hingewiesen –, wie versprochen . Das Ver-sprechen haben wir gehalten . Es ist wieder mehr Geldgeflossen.Disponible Mittel finden sich vorwiegend in nur ganzwenigen Bereichen wie Prävention und Forschung . Ins-gesamt sind es rund 125 Millionen Euro, die – das ist un-sere Aufgabe – sinnvoll und zielführend eingesetzt wer-den müssen . Das heißt konkret: Wir wollen mit diesemGeld Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen weiterausbauen, Projekte stärken sowie Forschung intensivie-ren .Eines ist doch eigentlich sicher: Ohne geeignete Vor-sorgeangebote kommen wir in der Gesundheitspolitiknicht voran . Die Krankenkassen haben allein im erstenHalbjahr 2016 für Präventionsleistungen 224 MillionenEuro ausgegeben . Aus meiner Sicht ist das im Sinne derPatientinnen und Patienten, der Beitragszahlerinnen undder Beitragszahler gut investiertes Geld .Ich bin froh, dass wir in dieser Wahlperiode schon sehrvieles im Gesundheitsbereich angepackt und beschlossenhaben: das Präventionsgesetz, das GKV-Versorgungs-stärkungsgesetz, das Krankenhausstrukturgesetz, meh-rere Pflegereformgesetze und, und, und. Das alles istAusdruck unserer konsequenten Linie, die medizinische,pflegerische und präventive Versorgung der Bevölkerungdauerhaft zu verbessern . Dadurch wird aus vielen Einzel-maßnahmen etwas Ganzes .
Alle Gesetze geben konkrete Antworten auf die He-rausforderungen einer steigenden Belastung im Arbeits-leben, einer älter werdenden Bevölkerung und der Ver-sorgung vieler Hilfs- und Schutzbedürftiger .An dieser Stelle möchte ich auch die nicht vergessen,die genau diese Hilfe leisten, die den Kranken und Pfle-gebedürftigen helfen, also die Krankenschwester, denKathrin Vogler
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Altenpfleger, die Ärztin, aber auch den Therapeuten inder Reha . Es ist an uns, erst einmal Danke zu sagen, dassdiese Menschen diese Arbeit leisten .
Sie alle leisten damit einen wichtigen Beitrag für dieGesellschaft . In dem Wissen darum, dass wir auf diesehelfenden Hände in einer älter werdenden Gesellschaftnicht verzichten können, muss Politik dafür Sorge tragen,dass wir auch weiterhin genügend Nachwuchs in diesenBereichen ausbilden .
Eine Baustelle haben wir; das ist im Pflegeberufebe-reich der Fall . Diese werden wir angehen .
Wir müssen einen wichtigen Beitrag leisten, um diesesBerufsfeld attraktiv zu machen .Die medizinische Versorgung müssen wir ebenfalls inden Blick nehmen . Wir müssen die Entwicklung genaubeobachten und der drohenden Unterversorgung geradeim ländlichen Raum entgegenwirken . Mit dem Versor-gungsstärkungsgesetz haben wir schon einen Teil geleis-tet . Mit der Reform des Medizinstudiums werden wirdie Allgemeinmedizin für die Studierenden attraktivermachen . Dafür ist eine gemeinsame Kraftanstrengungvon Bund und Ländern nötig, von Gesundheits- wie auchBildungspolitikern . Aber ich denke, dass der MasterplanMedizinstudium dort einen wichtigen Beitrag leistenkann .Apropos Geld: Auf die 600 Millionen Euro ist schonhingewiesen worden . Die Finanzreserven der Kassen be-laufen sich auf mittlerweile 15,1 Milliarden Euro . Trotz-dem wird uns die Debatte um die Zusatzbeiträge auchim Herbst weiterhin beschäftigen . Wir haben es bei derDebatte heute schon gesehen: Das Schwarze-Peter-Spielgeht natürlich weiter . Wer ist denn schuld an diesen Zu-satzbeiträgen? Ich möchte davor warnen, dieses Spiel-chen tatsächlich so fortzusetzen .Eins ist klar: Leistungsverbesserungen im Gesund-heitswesen, die wir ja gemeinsam wollen, kosten Geld .Natürlich tragen auch Kostensteigerungen in den einzel-nen Bereichen dazu bei . Das Kernproblem liegt woan-ders . Die heutige Geschichtsstunde hat gezeigt, dass wirdarüber intensiv reden müssen: Den Zusatzbeitrag finan-zieren im Moment allein die Arbeitnehmer . – Das warein Blick zurück . Wichtiger ist mir ein Blick nach vorne .Mein Kollege Karl Lauterbach hat schon darauf hinge-wiesen: Die jetzige Regelung ist ein Fehler . An dieserStelle müssen wir wieder für mehr Gerechtigkeit sorgen .
Die Arbeitgeber müssen zurück ins Boot . Wir müssenzurück zur paritätischen Finanzierung . Die steigendenZusatzbeiträge einseitig bei den Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmern zu belassen, das kann es nicht sein . Wervon Fortschritt und Strukturen profitiert, der muss dazuauch seinen Beitrag leisten . Das gilt für Versicherte undArbeitgeber . Deshalb ist die Wiedereinführung der pari-tätischen Finanzierung für uns von höchster Priorität .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte nochkurz auf die Gesundheitsforschung eingehen . Wir brau-chen dort dringend eine auskömmlich finanzierte For-schung, um den „Beipackzettel“ der Gesetze richtig zuschreiben . Wenn ich allein an den Drogen- und Suchtbe-reich denke, so wird mir klar: Wir benötigen Forschungzum Thema E-Zigarette, zur FASD-Diagnostik und natür-lich auch, ganz aktuell, die angedachte Begleiterhebungbeim Gesetzgebungsverfahren „Cannabis als Medizin“ .Ich begrüße ausdrücklich, dass die Drogenbeauftragtemit dem Gesetzentwurf nun endlich ihren Ankündigun-gen in diesem Bereich Taten hat folgen lassen . Wir wer-den hierzu Ende September eine Anhörung durchführen,und wir werden sehen, ob wir an der einen oder anderenStelle noch nachjustieren müssen .Über eins bin ich mir im Klaren: Die im Haushaltbisher veranschlagten 850 000 Euro für die Begleiter-hebung sind nur der erste Ansatz . Wir müssen über eineGrundlagenforschung an dieser Stelle nachdenken . Da-bei sollten wir Gesundheitspolitiker zusammen mit unse-ren Bildungs- und Forschungskolleginnen und -kollegenvorgehen . Ich appelliere an beide Gruppen, in diesemBereich dringend die Grundlagenforschung zu stärken .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Haus-haltsentwurf haben wir ein ausgewogenes Konzept vor-gelegt, das unsere Arbeit in der Koalition fortschreibt .Ich denke, wir werden gute Beratungen haben, um ausdiesem Haushalt einen noch besseren Haushalt zu ma-chen .Vielen Dank .
Vielen Dank, Burkhard Blienert . – Nächste Rednerin:Maria Klein-Schmeink für Bündnis 90/Die Grünen .
Liebe Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegenhier im Haus! Sehr geehrter Herr Minister! Wenn ich diebisherige Debatte Revue passieren lasse, dann frage ichmich angesichts des Wahlergebnisses vom Sonntag: Wardas hier eigentlich eine angemessene Diskussion um ei-nen ganz wesentlichen Pfeiler unserer sozialen Absiche-rung in Deutschland? War das angemessen, was wir hiergehört haben? Ist es angemessen, sich in ganz kleinteili-gen Debatten zu verlieren?
Burkhard Blienert
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Ist es angemessen, so wie Sie nur über Symbole zu redenund nicht über die Kernprobleme?Eigentlich müssten wir hier eine Botschaft aussenden,die besagt: Wir brauchen Vertrauen in diesen Staat undseine Handlungsfähigkeit . Wir brauchen Vertrauen inden Fortbestand der sozialen Absicherung . Wir brauchenauch Vertrauen darauf, dass die Politik, die gemacht wird,ausgewogen ist, dass sie sich ernsthaft um die soziale Si-cherung und um den sozialen Zusammenhalt kümmert .
Ich muss sagen: Da hat mir hier jetzt einiges gefehlt .
Es kann nicht sein, dass wir uns in kleinteiligen Debattenverlieren und gleichzeitig nicht auf die Kernfrage einge-hen .Die Kernfrage ist natürlich: Was passiert in Zeiten,in denen wir wissen, dass die Inanspruchnahme des Ge-sundheitssystems massiv ansteigen wird und wir einenachhaltige Finanzierung brauchen? Da reicht es dochnicht, dass wir auf irgendwelche alten Debatten darüberverweisen, wer wann für welche Zusatz- oder Sonder-beiträge zuständig war, sondern wir brauchen eine klareAntwort und eine klare Botschaft: „Wie soll es in Zu-kunft aussehen?“,
und die ganz klare Aussage: So wie es jetzt ist – alle Kos-ten werden einseitig bei den Versicherten abgeladen –, istes nicht in Ordnung .Da muss ich in Richtung Union ganz klar sagen: Siehaben keinerlei Konzept dafür,
wie eine nachhaltige Finanzierung in der nächsten Wahl-periode aussehen soll .
Ich habe von Ihnen dazu noch nichts gehört, außer dassSie eine Zwangssolidarabgabe der Versicherten gegen-über den Arbeitgebern noch immer verteidigen, obwohlsie überhaupt nicht genutzt werden kann; denn wir habenriesige Rücklagen im Gesundheitsfonds . So sieht es aus .Da vermisse ich jegliche Antwort von Ihrer Seite .
Herr Minister – an dieser Stelle gehe ich Sie direktan –, wie kann es sein, dass wir einen durchaus plausib-len zusätzlichen Zuschuss für die Krankenkassen von1,5 Milliarden Euro damit begründen, dass wir Mehraus-gaben wegen der Versorgung von Flüchtlingen hätten?Das ist nicht in Ordnung; das ist ein Wahlkampfmanö-ver . Sie wissen ganz genau: Es ging darum, im nächstenJahr einen möglichst geringen zusätzlichen Zusatzbeitragerheben zu müssen . Es ging niemals darum, damit dieKosten der Flüchtlingsversorgung oder der Telematikabzusichern . – Ich habe nachgefragt . Sie konnten uns janoch nicht einmal sagen, welche Ansätze Sie für dieseBerechnung zugrunde gelegt haben . Dann ist es schäbig,wirklich schäbig, in dieser zugespitzten Situation einsolches Argument zu bemühen; denn es ist fachlich undsachlich falsch .
Jegliche Kosten für die Versorgung von Flüchtlingensind aus Steuermitteln zu bezahlen . Stellen Sie das inden kommenden Gesetzgebungsverfahren bitte klar! Daerwarte ich von Ihnen eine ganz klare Aussage; So wiebisher ist es einfach sachlich und fachlich falsch .
Dazu gehört das Eingeständnis, dass Sie dem Finanzmi-nister einen Gefallen getan haben . Sie haben diese Kos-ten im Gesundheitssystem abgebildet, aber nicht dafürgesorgt, dass es eine echte Anfrage beim Finanzministergegeben hat, die SGB-II-bezogenen Kosten abzudecken .Sie haben noch nicht einmal eine Prüfung in Auftrag ge-geben, und das ist schäbig .
Ein Weiteres. Die Integration wurde häufig genannt.Sie haben ein Projekt erwähnt, Herr Minister; aber esreicht nicht, mit Projekten um die Ecke zu kommen . Wirbrauchen strukturell eine vernünftige Versorgung vonFlüchtlingen im Gesundheitssystem . Wir brauchen dieÜbernahme der Dolmetscherkosten, wenn Psychothera-pie notwendig ist und sie anderweitig, also ohne Dolmet-scher, nicht gewährleistet werden kann . Da ist es wiederdie CSU, die eine vernünftige Regelung blockiert . Ichfinde auch das schäbig.
Es ist natürlich auch in Gänze kontraproduktiv für alleAnsätze von Integration .Genauso machen Sie es nicht möglich, dass Asylbe-werber wie alle anderen im Regelsystem behandelt wer-den . Auch das ist in keiner Weise nachvollziehbar .
Warum tun Sie das? Sie trauen sich nicht, der AfD, denRechtspopulisten gegenüberzutreten und die klare Bot-schaft zu senden: Ja, wir investieren in den sozialen Zu-sammenhalt . – Darum muss es eigentlich gehen .
Es ist schäbig – ich finde es wirklich schäbig –,
dass auch die Mittel, die Sie im letzten Haushalt für dieFolteropfer eingesetzt haben, schon wieder gecanceltMaria Klein-Schmeink
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werden sollen . Das ist nicht nachhaltig . Das ist keinewirkliche Botschaft .
An dieser Stelle muss ich wirklich sagen: Ich finde dasenttäuschend . Angesichts der kommenden Wahlen – esgeht jetzt um den Haushalt, der das Wahljahr begleitenwird – brauchen wir klare Ansagen .
Da brauchen wir die Ansage, wie Sie in Zukunft einengroßen Teil der Reformen stemmen werden, die jetztnoch nicht angegangen worden sind, nämlich die Per-sonalbemessung in der Altenpflege und in der Kranken-pflege. Da geht es um große Summen. Das alles ist aufdie nächsten Wahlperioden vertagt . Da will ich Aussagensehen . Das wäre eine richtig klare Botschaft in RichtungZusammenhalt und dazu, wie wir Zukunft wirklich si-cher gestalten . Das wäre Ihre Aufgabe .
Vielen Dank, Maria Klein-Schmeink . – Nächste Red-
nerin: Maria Michalk für die CDU/CSU-Fraktion .
Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Meine Vorrednerin hat so oft das Wort „schäbig“ in
den Mund genommen,
dass ich sagen muss: Schäbig war Ihre Rede, weil Sie der
Koalition unterstellt haben, dass wir die vielen Projekte
und Gesetzesvorhaben niemals aus der Sicht der Versi-
cherten diskutiert haben .
Sie wissen ganz genau, dass das nicht wahr ist und dass
es diese Koalition und dieses Gesundheitsministerium
sind – bei bestimmten Projekten sind sogar Sie dabei –,
die immer aus der Sicht der Versicherten schauen: Was
hilft den Versicherten? Was bringt uns voran?
Insofern sage ich: Ihre Rede war dem Haushalt nicht an-
gemessen .
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung von Maria Klein-Schmeink?
Bitte schön .
Selbstbestimmung von Frau Michalk .
Frau Michalk, ich habe in keiner Weise davon gespro-
chen, dass Sie bei allen Reformen nicht die Patienten im
Auge gehabt haben, sondern gesagt, dass Sie in dieser
Diskussion das Signal haben vermissen lassen, dass wir
in gute Versorgung und in den sozialen Zusammenhalt
investieren . Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen .
Wenn Sie leugnen, dass wir in gute Versorgung inves-tieren, dann straft Sie die Wirklichkeit Lügen . Ich kommegleich darauf zurück; das werden Sie noch hören . MeineKolleginnen und Kollegen haben bereits vieles genannt .Sie wissen also ganz genau, dass das nicht richtig ist .
Lassen Sie mich als Zwischenstand, damit wir wiederzum Thema kommen, feststellen: Jeder von uns, egal obhier im Hohen Haus oder draußen in unserem wunder-schönen Land, kann auf Gesundheit nicht verzichten . Obes einfache Befindlichkeitsstörungen sind oder ernsthafteErkrankungen, jeder tut alles, um gesund zu werden . Esist kein Zufall, dass gerade am Ende der Urlaubssaisonviele Menschen, die im Ausland erkrankt sind, alles dafürtun, schnellstmöglich zurückzukommen, um hier die Ver-sorgung zu bekommen, damit sie gesund werden, weildiese absolut exzellent und musterhaft ist . Wir haben ei-nes der besten Gesundheitssysteme der Industriestaaten .Das müssen Sie einfach einmal zur Kenntnis nehmen .
Ich will noch einmal auf Folgendes hinweisen – ichhatte jetzt gar nicht vor, das zu sagen –: Wir sind nochnicht im Wahlkampf, sondern mitten in der Legislaturpe-riode . Wir haben viele Projekte auf die Schiene gesetzt,wie ich immer sage, die wir zu Ende bringen werden .Nächstes Jahr werden wir uns dann mit dem Istzustandauseinandersetzen . Aber die heutige Bilanz ist enorm gut .
Angesichts dessen, was wir alles gemacht haben und wiedas angenommen wird, kann doch niemand sagen, dieseKoalition hätte nicht Stück für Stück die Projekte und Ge-setzesvorhaben aus dem Koalitionsvertrag abgearbeitet .Maria Klein-Schmeink
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Wir wissen, dass wir aufgrund der demografischenEntwicklung und des medizinischen Fortschritts immerund immer wieder vor neue Herausforderungen gestelltwerden . Deshalb wächst auch der Etat des Gesundheits-ministeriums . Vor allen Dingen aber wachsen die Ge-samtausgaben im Gesundheitsbereich; das haben meineKollegen schon gesagt .
Unsere Einnahmen und Ausgaben sind fast genauso hochwie der gesamte Bundeshaushalt . Das muss man docheinfach einmal zur Kenntnis nehmen. Darüber finanziertsich das . Wenn man bedenkt, dass heute jeder zweiteKrankenhauspatient über 65 Jahre ist, dann hat das dochKonsequenzen .
Wenn Sie einen lieben Menschen im Krankenhausbesuchen, nehmen Sie Rosen mit . Rosen regnet es nichtvom Himmel – im Traum manchmal schon . Wer Rosenernten will, muss Rosen pflanzen. Es dauert eine Wei-le, bis Sie sie schneiden und sich daran erfreuen können .Genau das machen wir . Wir setzen Stück für Stück Pro-jekte in die Wirklichkeit um, und unsere Bevölkerung istes, die davon profitiert.Ich will Ihnen einmal eines sagen: Es kann dochnicht sein, dass Sie sagen, dass die TerminservicestellenQuatsch sind, weil bis jetzt nur 60 000 Leute diesen Ser-vice in Anspruch genommen und einen Termin vermit-telt bekommen haben . Diese Terminservicestellen gibtes noch nicht einmal ein Jahr . Hätten wir sie nicht, dannwürden Sie umgekehrt sagen: So viele Leute warten nachwie vor auf Termine . – Wir sind also auf einem richtigenWeg .Lassen Sie mich auf ein anderes Gesetz eingehen . DasEntlassungsmanagement im Krankenhausbereich habenwir doch nicht gemacht, um irgendjemanden zu ärgern,sondern weil wir die Wirklichkeit betrachtet haben undeine Antwort auf die Probleme gefunden haben – mehr-fach und jetzt wieder . Es ist besser geworden; Sie wis-sen das. Die Menschen, die noch nicht unter einen Pfle-gegrad fallen – Gott sei Dank, kann man sagen –, abervorübergehend Unterstützung brauchen, gehen in dieneugeschaffene Kurzzeitpflege, wo ihnen geholfen wird,wieder ein eigenständiges Leben führen zu können . Dasist doch ein gutes Projekt .Niemand kann leugnen, dass das Recht auf eine Zweit-meinung nicht sinnvoll ist .
Wir haben die Vorsorgeuntersuchungen für Kinder undJugendliche verbessert . Es kann doch niemand sagen,wir hätten das gemacht, weil wir nichts anderes zu tunhätten . – Das alles sind Dinge, die den Menschen vor Ortin der konkreten Situation Erleichterungen verschaffen.Niemand behauptet, dass wir nichts mehr zu tun hätten .Jeder weiß, dass wir weitere Dinge tun werden . Jederweiß auch, dass das eine oder andere zusätzlich kostet .Auch unsere Regelungen bei der Palliativversorgung undim Hospizwesen sind eine Verbesserung . Wir waren unseinig – das will ich noch einmal ansprechen –, dass wirdie Gesellschaft einbeziehen, und sind hinsichtlich derFinanzierung bei einem Zuschuss von 95 Prozent geblie-ben, damit sich die Gesellschaft weiter dafür interessiertund einen Beitrag dazu leistet .Dass wir mit dem E-Health-Gesetz den Medikations-plan auf den Weg gebracht haben, ist auch ein Projekt,das wichtig ist . Auch unter dem Stichwort „Digitalisie-rung im Gesundheitswesen“ haben wir noch wahnsinnigviel zu tun . Ich ärgere mich auch, dass wir viel Zeit verlo-ren haben . Aber die richtigen Maßnahmen mit den Part-nern sind in die Realität umgesetzt worden . Das mussweitergehen .Es ist wichtig, dass wir sagen, dass das eine oder an-dere mehr kostet . Beim Präventionsgesetz beispielswei-se haben wir natürlich das Problem, dass wir nicht aufEuro und Cent ausrechnen können, wie viel Ersparnis esbringt, wenn die Menschen auf gute Ernährung und mehrBewegung achten und Krankheiten verhindert werden .Die chronischen Krankheiten müssen stärker beachtetwerden . Deshalb haben wir strukturierte Behandlungs-programme eingeführt . – Die Liste ließe sich fortführen .Ich weiß, dass Frau Klein-Schmeink sagen wird, das seialles viel zu kleinteilig . Aber das orientiert sich am Men-schen, und das ist uns wichtig .
Ich möchte noch mit einer Behauptung aufräumen,die Frau Lötzsch aufgestellt hat . Ich möchte, dass sichdas gar nicht erst festsetzt . Sie hat von der Lücke in derPflegereform gesprochen, davon, dass manchen Leutender Verlust des Heimplatzes droht . Sie wissen ganz ge-nau, dass das Recht auf Hilfe zur Pflege erhalten bleibt.Das werden Sie erkennen, wenn Sie sich den Entwurfdes PSG III und das Teilhabegesetz in Kombinationnoch einmal genau durchlesen . Wer bei eingeschränkterAlltagskompetenz den Pflegegrad 1 hat, behält ihn undbekommt 125 Euro . Wenn das nicht reicht, ist nach wievor das SGB XII anzuwenden . Das muss man einfacheinmal zur Kenntnis nehmen, statt so tun, als sei das einProblem . Sollte es Unklarheiten geben – wir werden unsdas in der Gesetzesberatung natürlich noch einmal an-schauen –, dann werden wir das konkretisieren . Aber wasich kritisiere, ist, dass Sie der deutschen Öffentlichkeitgegenüber erklären, wir schafften neue Lücken im Pfle-gebereich . Ganz im Gegenteil!
Unser Bundesgesundheitsminister hat es schon er-wähnt: Deutschland spielt international im Bereich desGesundheitswesens eine ganz wichtige Rolle, bringtsich mit seinen Erfahrungen ein, hilft, wo es geht . Wirtauschen uns aus, auch im Bereich der Versorgungsfor-schung . Ich freue mich, dass es seit Jahren eine guteZusammenarbeit deutscher Forschungsinstitute mit denInstituten in den USA gibt; hier nenne ich Heidelberg undHouston . Im Grunde muss man den Herren und DamenMaria Michalk
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danken, dass sie sich so engagieren, und dies tun sie nicht,weil sie meinen, dass Forschung sein muss, sondern weilsie im Dienste der Gesundheit stehen . Seit Jahren wirddaran gearbeitet, die schreckliche Krankheit Krebs zu be-kämpfen. Seit Jahren hoffen Menschen, dass sie endlicheine Therapie bekommen, bei der größere Heilungschan-cen bestehen . Das ist auf einem guten Weg . Es muss unsdoch stolz machen, dass deutsche Wissenschaftler daranmitarbeiten . Deshalb ist jeder Euro, der in diesen Bereichinvestiert wird, wichtig und richtig .
Das eine oder andere können wir im Rahmen derHaushaltsberatungen noch ergänzen bzw . verstärken; dasist überhaupt keine Frage . Darin sind wir uns immer einiggewesen . Aber es ist notwendig, dass wir uns nicht selbstschlechtreden, sondern auch einmal sagen, was sich zumWohle der Menschen verbessert hat . Auf diesem Wegewerden wir die weiteren Monate bis zum Ende der Legis-laturperiode arbeiten . Das lassen wir uns nicht nehmen .Vielen Dank .
Vielen Dank, Maria Michalk . – Nächste Rednerin für
die SPD-Fraktion: Hilde Mattheis .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine Rednerin der Grünen hat von Verlässlichkeit und
Vertrauen gesprochen . Ich denke, das ist ein Anspruch,
den wir alle hier erfüllen müssen .
Zum Thema „Vertrauen und Verlässlichkeit“ gehört
auch, anzuerkennen, was seitens dieser Großen Koalition
für die Menschen getan wurde . Dass viel getan worden
ist, haben viele meiner Vorrednerinnen und Vorredner be-
reits betont .
Ich möchte noch einzelne Punkte hinzufügen . Zehn
Gesetze haben wir auf den Weg gebracht . Jemand, der
meint, dass wir das nicht unter Beachtung der Versi-
chertenbedürfnisse, unter Qualitätsgesichtspunkten und
unter Gerechtigkeitsaspekten getan haben, der soll hier
aufstehen und sagen: „Das Palliativ- und Hospizgesetz
ist schlecht“, der soll hier aufstehen und sagen: „Das
GKV-Versorgungsstärkungsgesetz ist schlecht“, obwohl
wir die Hausarztquote in den ländlichen Bereichen si-
chern, der soll hier aufstehen und sagen, dass wir für die
Pflegefachkräfte nicht genügend tun, obwohl wir für Per-
sonalstandards sorgen .
Richtig ist: Wir haben gesagt, dass das mehr Geld kostet .
Gerade wir als SPD sind im Wahlkampf ausgezogen und
haben gesagt: Wir wollen mehr für die Pflege. – Schauen
Sie sich die drei Pflegegesetze an, und vergleichen Sie sie
mit dem Konzept der SPD . Wir haben immer gesagt: Wir
brauchen dafür 0,5 bzw . 0,6 Beitragspunkte mehr .
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Klein-Schmeink?
Ich möchte den Gedanken gern zu Ende führen .
Ja, gut .
Es gab keinen Aufschrei in der Bevölkerung; denn ihrwar klar: Gute Pflege kostet etwas; sie muss uns etwaswert sein . Den Gesichtspunkt der solidarischen Finanzie-rung haben wir als SPD in der weiteren Debatte und auchin den letzten Monaten immer wieder angeführt .
Diesen Gesichtspunkt, der den Gerechtigkeitsgedankenweiterträgt und die soziale Komponente beinhaltet, müs-sen wir jetzt gemeinsam verteidigen, weil unser System –das ist doch unser aller fester Glaube – eines der bestenist, da wir beitragsfinanziert dafür sorgen, dass alle eineneinigermaßen gleichen Zugang zum Gesundheitswesenhaben .In diesem Zusammenhang gehe ich auf Herrn Nüßleinein . Ich habe Ihre Ausführungen über die privaten Ver-sicherungen nicht ganz verstanden; ich gebe es zu, HerrNüßlein .
– Nein, vielleicht brauche ich das gar nicht . – Zu meinen,dass wir diesen solidarischen Aspekt, diesen Gerechtig-keitsgedanken mit einer Privatisierungswelle ausweitenkönnen, ist schon relativ naiv .
Mein Wahlkreis grenzt ja an Ihren Wahlkreis . Ich seheja, wie sich die Krankenhauslandschaft mit den Trägernverändert, und weiß, wie sich die CSU da aufstellt . Mirmüssen Sie da also nichts erzählen . Aber ich warne da-vor, von einer gerechten und solidarischen Finanzierungabrücken zu wollen, weil es die Privaten besser könnensollen .
Ich warne davor .
Maria Michalk
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Dass es uns nicht freut, dass 1,5 Milliarden Euro ausdem Gesundheitsfonds herausgenommen werden sollen,um den Bundeshaushalt zu entlasten, haben wir als SPDan verschiedenen Stellen immer wieder gesagt; das ver-hehlen wir gar nicht . Das aber mit der Finanzierung derGesundheitskosten für Flüchtlinge zu verknüpfen, haltenwir nicht nur für schräg, sondern auch für falsch und ge-fährlich .
Das ist ein Spiel mit dem Feuer; das darf man nicht tun .Es ist sachlich falsch und politisch hochgefährlich .
Wir wählen eine andere Argumentationslinie und sa-gen: Wer eine gerechte und solidarische Finanzierungwill, muss natürlich auch die Debatte um das Einfrierender Arbeitgeberbeiträge führen .
Das ist doch wohl klar . Ich sage Ihnen: Unterhalten Siesich mal mit der Arbeitsgemeinschaft der bayerischenHandwerkskammern . Sie hat uns nämlich vorgerechnet,wie viel mehr eine Handwerkerstunde im Falle einer pa-ritätischen Finanzierung kosten würde . Die Mehrkostenliegen im minimalen Centbereich . Dann immer diesesPferd zu reiten und zu argumentieren, der damit verbun-dene Anstieg der Lohnnebenkosten würde die Wirtschaftzum Erlahmen bringen, ist völlig daneben . Das Argu-ment wurde mehrfach widerlegt .
Ich bitte also darum, im gemeinsamen Bestreben, alldas Gute, das wir gemacht haben, etwa bei der Pflege-versicherung – da hängt doch unser Herz dran, das istrichtig gut –, bei der Palliativ- und Hospizversorgung,bei der hausarztzentrierten Versorgung, im Kranken-hausbereich – wir ertüchtigen Krankenhäuser, indem wirihnen Leistungen zukommen lassen, wenn sie Qualitätliefern –, bei den Pflegekosten – wir hinterlegen Mittel ineiner Höhe, die es ermöglicht, dass die Leute ihren Job,den sie lieben, unter guten Beschäftigungsbedingungenmachen können –, gerecht zu finanzieren.
Ich bin froh, dass einige aus der CDU/CSU – ich glaube,es ist der Arbeitnehmerflügel – schon gesagt haben: Lasstuns doch nicht mit der Last einer ausstehenden paritäti-schen Finanzierung in den Wahlkampf gehen! Lasst unsdoch überlegen, ob wir nicht gemeinsam in dieser Legis-latur die Parität wiederherstellen!
Ich finde, das ist ein vernünftiger Ansatz. Vernunft mussbelohnt und mehrheitlich unterstützt werden . In diesemSinne werbe ich dafür .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Hilde Mattheis . – Nächster Redner:
Helmut Heiderich für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Der Ge-sundheitshaushalt, den wir jetzt schon seit einiger Zeitdiskutieren, ist der beste Gesundheitshaushalt, den wir indieser Legislaturperiode vorlegen .Erstens . 14,5 Milliarden Euro aus dem Bundesetatstellen wir der gesetzlichen Krankenversicherung für dieFinanzierung von Ausgaben im Gesundheitswesen be-reit . Ich will deutlich sagen: Das sind 4 Milliarden Euromehr als noch 2014, und es sind 3 Milliarden Euro mehrals 2015 .
Ich betone das deswegen, weil die Opposition in den letz-ten Debatten keine Chance ausgelassen hat, immer wie-der darauf hinzuweisen, dass wir in diesem Bereich nichtgenug Geld bereitstellen würden .
Ich habe heute kein einziges Wort von der Oppositiondazu gehört, dass wir jetzt mehr Geld in den Gesund-heitsbereich geben . 14,5 Milliarden Euro verbessern dieSituation der gesetzlichen Krankenversicherung ganzentscheidend .
Zweitens haben wir im Gesundheitsfonds – das mussman auch noch einmal darstellen – eine Liquiditätsreser-ve von 10 Milliarden Euro . Auch das ist ein ganz erhebli-cher Betrag . Es gehört dazu, dass man der Bevölkerung,der Öffentlichkeit einmal deutlich macht, welche Mittelhier zur Verfügung stehen .
Dritter Punkt . Die Finanzreserven der gesetzlichenKrankenkassen betragen rund 15 Milliarden Euro . Auchhier haben wir eine positive Situation . Wenn Sie sagen,Hilde Mattheis
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es reiche nicht aus, nur darauf zu verweisen, dann sageich: Der Bürger muss wissen, wie die Situation bei diesenEtats aussieht, damit er erkennt, auf welcher Basis wirhier miteinander diskutieren und in welcher Weise wirhier arbeiten .
Herr Heiderich, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung?
Gerne .
Gut . – Dann Frau Klein-Schmeink .
Die Große Koalition hat für die zehn umfangrei-
chen Gesetzesvorhaben ein Mehrausgabenvolumen von
ungefähr 12 bis 14 Milliarden Euro pro Jahr bis 2020
beschlossen . Dafür brauchen wir eine Finanzierungs-
grundlage . Da stellt sich die Frage: Wem werden Sie die
Finanzierung dieser Vorhaben aufbürden? Bleibt die Uni-
on dabei, dass das alleine die Versicherten tragen sollen?
Das frage ich Sie ganz konkret .
Vielen herzlichen Dank . – Über das Thema ist schonmehrfach diskutiert worden . Ich rede über den Anteil,den wir aus dem Haushalt direkt in die Finanzierung desGesundheitswesens geben . Eine andere Frage ist die Fi-nanzierung über Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil .Sie haben eben gehört, dass die Fachpolitiker – zu de-nen gehöre ich nicht, ich bin Haushälter – dieses Themaintensiv diskutieren und dass in der nächsten Zeit – ichwürde sagen, in der nächsten Wahlperiode – diesbezüg-lich Entscheidungen getroffen werden, bei denen es ge-nau darum geht, wonach Sie gefragt haben: Wie stellenwir sicher, dass das Gesundheitswesen ausreichend fi-nanziert ist?
Lassen Sie mich auch sagen: Ich glaube, dass wir inDeutschland nach wie vor eines der besten Gesundheits-systeme weltweit haben . Wir haben es vorhin gehört:5 Millionen Menschen sind in diesem Bereich aktiv . Siesetzen sich jeden Tag engagiert dafür ein, dass die Bür-ger bestens versorgt werden . Wir haben es hier mit einemAusgabevolumen zu tun, das mit rund 330 MilliardenEuro etwa so groß ist wie der Bundeshaushalt .Dass es an der einen oder anderen Stelle Veränderun-gen gibt, dass wir an der einen oder anderen Stelle neueBeschlüsse fassen müssen, das ist selbstverständlich . Wirwollen ja nicht beim Versorgungswesen von gestern ste-hen bleiben, sondern uns mit neuen Methoden beschäfti-gen und moderne Methoden einführen . Der Minister unddie Fachpolitiker – das ist eben ausführlich vorgetragenworden – haben noch nie so viele neue Beschlüsse undGesetze verabschiedet, wie es in dieser Legislaturperi-ode geschehen ist . Dafür danke ich all jenen, die daranbeteiligt waren .
Man merkt an der Diskussion, insbesondere daran,dass die Redner der linken Opposition immer dann, wennSie ans Rednerpult kommen, die Pappkameraden selberaufbauen müssen, um sie anschließend mit großer rheto-rischer Verve wieder umwerfen zu können, dass wir hiergut aufgestellt sind . Wir sorgen auch dafür, dass das sobleibt .
Noch eine kurze Bemerkung zur Finanzierung . Ja, dieFinanzierung ist im Moment gesichert, weil es unseremLand wirtschaftlich gut geht, weil die Menschen in denletzten Jahren jährlich Lohnzuwächse hatten, und zwarerhebliche Lohnzuwächse . Das ist der Grund, warum dieFinanzierung im Gesundheitsbereich deutlich besser ist;das ist das Geheimnis des Erfolgs . Frau Mattheis, wirmüssen schon sehr sorgsam überlegen, wie wir die Fi-nanzierung in Zukunft weiterentwickeln, damit ein sol-ches Wachstum aufrechtzuerhalten ist .
Als Haushälter will ich darauf hinweisen, dassdie Ausgaben für den Bereich Soziales bei ungefähr170 Milliarden Euro liegen . Wenn Sie bedenken, dassder Gesamthaushalt etwa 330 Milliarden Euro umfasst,dann können Sie leicht ausrechnen, dass wir deutlichüber 50 Prozent der Haushaltsmittel in den Sozialbereichgeben . Die Zahlen werden in den nächsten Jahren weitersteigen; bis 2020 wird sich der Ansatz noch erhöhen .Natürlich müssen wir alle gemeinsam darüber nach-denken, ob ein Staat es auf Dauer zulassen kann, dassdie Entwicklung so weitergeht . Wenn wir sagen: „Wirmüssen in die Zukunft investieren, wir müssen Bildungund Forschung voranbringen, wir müssen neue Tech-nologien haben, wir müssen in unserem Land investivvorgehen“, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass dieentsprechenden Mittel in den Bundeshaushalt eingestelltwerden . Wir können die Gelder nicht immer nur für neueSozialleistungen ausgeben . Auch hier sind wir alle ge-meinsam gefordert – von der Fachpolitik bis zur Finanz-politik –, dafür zu sorgen, dass in den nächsten Jahren dieStrukturen verändert werden .
– Ich lasse niemanden aus, verehrte Frau KolleginLötzsch .
Helmut Heiderich
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Einen Schwerpunkt haben wir auch auf den Bereichdes internationalen Gesundheitswesens gelegt . Wirwollen nicht nur den drittgrößten Beitrag an die WHOzahlen, sondern wir wollen auch die Entwicklung mitge-stalten . Deshalb haben wir hierfür weitere Mittel einge-stellt . Herr Minister Gröhe ist in dieser Sache seit einigerZeit unterwegs, und auch die Bundeskanzlerin war beider Vollversammlung der WHO . Wir wollen uns bei denStrukturveränderungen der WHO einbringen . Bei derEbolakrise konnte man nicht schnell genug reagieren .Das hat deutlich gemacht, dass es eine Menge Struktur-mängel gibt . Frau Chan, die Direktorin der WHO, hat ge-sagt, sie persönlich wünsche sich, dass Deutschland seineErfahrungen in die Mitarbeit einbringt . Diese Mitarbeitwollen wir verstärken . Wir wollen im Bereich der Anti-biotikaresistenzen auch inhaltlich aktiv mitarbeiten, weildieses Thema uns alle weltweit beschäftigt . In diesemBereich wollen wir zusätzlich initiativ werden . Wenn dieG 20-Präsidentschaft auf uns übergeht, wollen wir imGesundheitsbereich entsprechende Zeichen setzen . Da-für haben wir Mittel im Haushalt eingeplant . Wir wollenim nächsten Jahr in diesem Bereich aktiv werden .
Es ist schon angesprochen worden, dass Präventi-on für uns ein wesentliches Thema ist . Auch in diesemBereich sind die Mittel deutlich gestiegen . Wir wollenin diesem Bereich aktiv weiterarbeiten . Einige Detailssind schon genannt worden . Die will ich hier gar nichtwiederholen, aber betonen: Es ist klar: Prävention ernstzu nehmen, ist einer der wenigen Wege, um den Anstiegder Gesundheitskosten einigermaßen im Griff zu behal-ten . Wir wollen mit der Prävention ganz am Anfang desLebens beginnen . Wir erhöhen die Mittel im Bereich derKindergesundheit, damit wir die Kinder von der Kitaüber die Grundschule mit dem Präventionsgedankenvertraut machen können . Es geht um – das wurde ebenschon gesagt – Ernährung und Bewegung, zum Beispielum das Programm IN FORM und Ähnliches mehr, damitschon im kindlichen Alter der Gedanke der Präventionaufgenommen wird .Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen . Überdas Haus werden ja auch einige Forschungsinstitute fi-nanziert . Dort beschäftigt man sich zum Beispiel auchmit der Frage der landärztlichen Versorgung . 2012 und2015 haben wir zwei neue Gesetze dazu gemacht . Eswurden neue Möglichkeiten und Fondsmittel vorgese-hen . Trotzdem hat uns das Institut für Gesundheits- undSozialforschung den Hinweis gegeben, dass wir an dieserStelle noch genauer hinschauen und noch stärker aktivwerden müssen, weil vor allen Dingen in den ländlichenRegionen die Patienten mit ihren Anliegen direkt in dieNotversorgung des Krankenhauses gehen . Dort ist lautAuskunft dieses Instituts ein erheblicher Anstieg zu er-kennen . 44 Prozent der Patienten nehmen, wenn ich dasrichtig sehe, diesen direkten Weg . Das ist ein Zeichen,dass wir da nachsteuern müssen . Die vielen Möglichkei-ten, die wir geschaffen und den Kassenärztlichen Verei-nigungen an die Hand gegeben haben, werden offensicht-lich noch nicht genügend genutzt . Sie sehen, wir sind denDingen genauso wie Sie auf der Spur . An dieser Stellemüssen wir nacharbeiten; denn die ärztliche Versorgungim ländlichen Raum, insbesondere die hausärztliche Ver-sorgung, ist nach wie vor ein großes Thema . Das solltenwir weiterverfolgen .
Insgesamt – ich wiederhole mich – bietet der Haus-haltsentwurf für 2017 die besten Voraussetzungen . Wirsollten ihn gemeinsam beraten und für die Bevölkerungund das Gesundheitswesen die besten Ergebnisse erzie-len .Schönen Dank .
Vielen Dank . – Als letzte Rednerin in dieser Runde hat
Bärbel Bas für die SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Seien Sie jetzt nicht verwun-dert, weil ich ein Thema anspreche, das in der Debatteheute überhaupt noch nicht erwähnt worden ist . Es gehtum die Stiftung Humanitäre Hilfe für durch BlutprodukteHIV-infizierte Personen.
Das ist ein sperriger Titel für eine wichtige Stiftung .Diese Stiftung ist nach einem Untersuchungsaus-schuss 1995 durch das HIV-Hilfegesetz ins Leben geru-fen worden . Zweck der Stiftung ist es, aus humanitärenund sozialen Gründen Personen finanzielle Hilfe zu leis-ten, die in den 80er-Jahren durch Blutprodukte mit HIVinfiziert wurden. An der Finanzierung der Stiftung habensich damals von Anfang an sowohl die Bundesländer alsauch der Bund, die involvierten pharmazeutischen Unter-nehmen und das Rote Kreuz beteiligt .Allerdings schwebt von Beginn an ein Damokles-schwert über dieser Stiftung . Denn in § 14 des HIV-Hil-fegesetzes steht:Die Stiftung wird aufgehoben, wenn der Stiftungs-zweck erfüllt ist oder die Mittel für die finanzielleHilfe erschöpft sind .
Das ist der Punkt, um den es jetzt geht, und der Grund,warum die Betroffenen verunsichert sind. Von Beginn anwar klar, dass die Mittel ungefähr 2016/2017 verbrauchtsein würden .
Helmut Heiderich
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Man hatte Anfang der 90er-Jahre geglaubt, dass die da-mals 1 500 betroffenen Menschen bis dahin verstorbensein werden . Das muss man so ausdrücken; so war da-mals die Prognose . Wir haben es übrigens einem sehrguten Gesundheitssystem zu verdanken,
dass die betroffenen Menschen von damals heute eine an-nähernd normale Lebenserwartung haben .
Das ist die sehr gute Botschaft, die von dieser Geschichteausgeht .Es gibt eine Studie aus dem Jahr 2014 – fast 20 Jahrenach Einsetzung der Stiftung –, die uns die Lebenssituati-on der betroffenen Menschen zeigt. Darin wird detailliertbeschrieben, dass viele der Leistungsempfängerinnenund Leistungsempfänger auf die Unterstützungsleistun-gen dieser Stiftung existenziell angewiesen sind . DreiViertel von ihnen sind inzwischen an Aids erkrankt, undfast alle müssen sehr viele Medikamente nehmen; zu denNebenwirkungen brauche ich, glaube ich, nichts zu sa-gen .Seit 2014 benötigt auch knapp die Hälfte der Betrof-fenen mindestens einmal pro Woche Unterstützung undVersorgung, und die Tendenz ist steigend . Fast die Hälfteder Betroffenen ist zwar im erwerbsfähigen Alter, kannaber keiner Erwerbstätigkeit nachgehen . Es wird in Zu-kunft vielleicht noch auf den einen oder anderen wei-teren Betroffenen zutreffen, dass er frühzeitig aus demErwerbsleben ausscheidet. Dass die nicht geklärte finan-zielle Zukunft der Stiftung diese Menschen im Momentbelastet und verunsichert, können wir uns, glaube ich,alle hier im Hause lebhaft vorstellen .Ich will deshalb, wenn das erlaubt ist, aus einem Briefzitieren, der mich erreicht hat, weil ich Stiftungsratsmit-glied bin – deswegen rede ich heute zu diesem Thema;ich danke meiner AG sehr, dass ich das hier tun darf –:Es fühlt sich an, als ob ich mich dafür entschuldi-gen müsste, noch am Leben zu sein und nicht in dieSterbekalkulation der Geldzahler hineinzupassendadurch, dass ich nunmehr eine normale Lebenser-wartung aufweisen kann .Ich bin froh, dass ich diesem Betroffenen heute in un-ser aller Namen sagen kann: Die Finanzierung für dasJahr 2017 ist auf jeden Fall gesichert, weil im Bundes-haushalt steht, dass der Bund wieder 2 Millionen Eurofür diese Stiftung zur Verfügung stellen wird .
Bei dieser Gelegenheit will ich mich natürlich auchbeim Stiftungsvorstand, bei Frau Dr . Braun, HerrnDr . Breuer und unserem ehemaligen SPD-Bundestags-kollegen Horst Schmidbauer, für die engagierte Arbeitin dieser Stiftung bedanken . Danken will ich auch demParlamentarischen Staatssekretär im Bundesfinanzminis-terium Jens Spahn und dem Staatssekretär im Bundes-gesundheitsministerium Lutz Stroppe, weil die beideninsbesondere darum bemüht sind, die weitergehende Fi-nanzierung mit der Pharmaindustrie und mit dem Deut-schen Roten Kreuz auf eine gute Grundlage zu stellen,sodass die Fortsetzung der Finanzierung der Stiftungmöglich wird . Vielen Dank dafür!
Weil wir als Bundespolitiker gerne ein bisschen überdie Länder schimpfen, möchte ich an dieser Stelle be-richten, dass die Gesundheitsministerkonferenz in einemeinstimmig gefassten Beschluss entschieden hat, dassman sich an der weiteren Finanzierung beteiligt . Wenndie Gespräche, die wir im Hintergrund mit der Pharmain-dustrie und dem Roten Kreuz führen, einen guten Verlaufnehmen, werden sich also auch die Bundesländer wiederin der gleichen Größenordnung beteiligen . Auch dafürherzlichen Dank in diese Richtung!
Ich möchte abschließend sagen: Wir haben den Be-troffenen jetzt erst einmal nur Sicherheit für ein Jahrgegeben . Das ist gut . Aber wir sollten im Verlauf derHaushaltsverhandlungen auch die Gelegenheit nutzen,die Finanzierung der Stiftung langfristig auf sichereBeine zu stellen . Es sollte zumindest die jetzt vom Ro-bert-Koch-Institut prognostizierte Lebensdauer zugrundegelegt werden. Ich finde, wir hier im Hause sind es ins-besondere den Betroffenen schuldig, dass wir ihnen diesePlanungssicherheit für ihr Leben geben .Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, esliegen mir keine weiteren Wortmeldungen zu diesemEinzelplan vor .Daher rufe ich Tagesordnungspunkt 2 sowie den Zu-satzpunkt auf:2 . Beratung des Antrags des Bundesministeriumsder FinanzenEntlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2015– Haushaltsrechnung und Vermögensrech-nung des Bundes für das Haushaltsjahr 2015 –Drucksache 18/8833Überweisungsvorschlag:HaushaltsausschussZP Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas-sung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes undanderer Vorschriften an europa- und völker-rechtliche VorgabenBärbel Bas
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Drucksache 18/9526Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheit
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzHierbei handelt es sich um Überweisungen im ver-einfachten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf .Es handelt sich hierbei um die Beschlussfassung zu Vor-lagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist .Tagesordnungspunkt 3 a:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Haushaltsausschusses
– zu dem Antrag des Bundesministeriums derFinanzenEntlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2014– Haushaltsrechnung des Bundes für dasHaushaltsjahr 2014 –– zu dem Antrag des Bundesministeriums derFinanzenEntlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2014– Vorlage der Vermögensrechnung desBundes für das Haushaltsjahr 2014 –– zu der Unterrichtung durch den Bundesrech-nungshofBemerkungen des Bundesrechnungshofes2015 zur Haushalts- und Wirtschaftsfüh-
– zu der Unterrichtung durch den Bundesrech-nungshofBemerkungen des Bundesrechnungshofes2015 zur Haushalts- und Wirtschaftsfüh-rung des Bundes– Weitere Prüfungsergebnisse –Drucksachen 18/5291, 18/5128, 18/6600,18/6933 Nr. 1.1, 18/8100, 18/8283 Nr. 4, 18/9108
– Ich bitte die Kollegen, ein bisschen zuzuhören undauch mitzumachen .Unter Nummer 1 seiner Beschlussempfehlung schlägtder Haushaltsausschuss die Erteilung der Entlastung derBundesregierung für das Haushaltsjahr 2014 vor . Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschluss-empfehlung angenommen worden .Unter Nummer 2 seiner Beschlussempfehlung emp-fiehlt der Haushaltsausschuss, die Bundesregierungaufzufordern, a) bei der Aufstellung und Ausführungder Bundeshaushaltspläne die Feststellungen des Haus-haltausschusses zu den Bemerkungen des Bundesrech-nungshofes zu befolgen, b) Maßnahmen zur Steigerungder Wirtschaftlichkeit unter Berücksichtigung der Ent-scheidungen des Ausschusses einzuleiten oder fortzufüh-ren und c) die Berichtspflichten fristgerecht zu erfüllen,damit eine zeitnahe Verwertung der Ergebnisse bei denHaushaltsberatungen gewährleistet ist . Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Enthält sich jemand? – Dann ist diese Beschlussempfeh-lung sogar einstimmig angenommen worden .Ich komme zum Tagesordnungspunkt 3 b:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Haushaltsausschusses
zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrech-nungshofesRechnung des Bundesrechnungshofes für dasHaushaltsjahr 2015– Einzelplan 20 –Drucksachen 18/8460, 18/9109Wer stimmt für Nummer 1 der Beschlussempfehlung,also die Feststellung der Erfüllung der Vorlagepflicht? –Gibt es jemanden, der dagegenstimmt? – Der sich ent-hält? – Damit ist auch diese Beschlussempfehlung ein-stimmig angenommen worden .Wer stimmt für Nummer 2 der Beschlussempfehlung,also die Erteilung der Entlastung? – Wer stimmt dage-gen? – Enthält sich jemand? – Damit ist auch diese Be-schlussempfehlung einstimmig angenommen worden .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen jetzt dieHaushaltsberatungen fort und kommen nun zum Ge-schäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit undSoziales, Einzelplan 11.Als erste Rednerin hat die Bundesministerin AndreaNahles für die Bundesregierung das Wort .
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-ziales:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Mit fast 140 Milliarden Euro umfasst das Bud-get für Arbeit und Soziales, Einzelplan 11, in diesem Jahr42 Prozent des Bundeshaushalts . Das sage ich nicht, umzu kokettieren, sondern das ist eine wichtige Botschaftfür die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes; denn eszeigt, dass wir in unserem Land Ernst machen mit dem,was Auftrag der Verfassung ist .Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokrati-scher und sozialer Rechtsstaat . Das Soziale ist nicht nurGarnitur obendrauf, sondern das Soziale ist eine wesent-liche Kernaufgabe unseres Landes . Das zeigt auch dieserHaushaltsentwurf . Darum ist es weder so, dass die Regie-rung unsere Zukunft verpulvert, wie es Die Welt kürzlichVizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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postulierte, noch müssten „alle Alarmglocken läuten“,wie der Herr Kollege von Stetten meint . Nein, die Alarm-glocken müssten läuten, wenn wir als Staat nachlassenwürden, für Ausgleich zu sorgen, wenn wir nachlassenwürden, für Gerechtigkeit, für soziale Sicherung und Zu-sammenhalt zu sorgen . Das wäre alarmierend .
Gerade jetzt erleben wir, dass der Zusammenhalt inunserem Land auf die Probe gestellt wird . Gerade jetztwird spürbar, dass Solidarität eben keine Selbstverständ-lichkeit ist . Gerade in diesen Tagen fühlen sich die oben-auf, die einen Keil zwischen die Menschen in unseremLand treiben wollen, die die Sorgen ausnutzen und Res-sentiments und Ängste schüren – mit anderen Worten:die spalten .Angst schüren und aus der Unsicherheit der Menschenpolitisches Kapital schlagen – das ist der Weg der AfD .Die Bundesregierung macht genau das Gegenteil: Wirsetzen auf die Zukunft . Wir wollen gestalten: Fortschrittund soziale Gerechtigkeit . Diese Regierung hat geradein den letzten Jahren sehr viel getan, um das Leben derMenschen in diesem Land im Alltag ganz konkret zu ver-bessern .
Mindestlohn, Mietpreisbremse, Rentenreform, aber auchdie Stärkung der Tarifautonomie und nicht zuletzt ebenunser Versuch, in schwierigen Zeiten einfach vernünf-tig und auf einem klar demokratischen und integrativenKurs zu bleiben: Das ist die Politik, die wir machen; dennunsere Kraft liegt im Zusammenhalt .Dort, wo sich Frauen und Männer, Arbeitnehmer undArbeitgeber, junge und alte Menschen, Menschen mitund ohne Behinderung, Alteingesessene und neu Hinzu-gekommene zusammentun, kommen die Dinge in Bewe-gung und erreichen wir dauerhaft sozialen Frieden undWohlstand . Für mich ist es ganz einfach: Zusammen istman eben am stärksten . Wer mit dem Finger auf anderezeigt und Politik gegen Schwächere und Minderheitenmacht, wer Ausgrenzung statt Zusammenhalt propagiert,der schwächt unser Land und damit am Ende auch unsselbst .
Für mich ist ganz klar – das ist für die Opposition indiesen Tagen natürlich sehr schwer –, dass wir stark sind .
Die wirtschaftliche Lage unseres Landes ist gut . Wir ha-ben schon über Jahre stetiges Wachstum .
Die Beschäftigung – ich kann mich als Abgeordnete auchnoch an andere Zeiten erinnern –
boomt . Ich betone: boomt!
Trotz der Belastungen auch durch die Hinzugekomme-nen haben wir weiterhin mehr offene Stellen und einehöhere Beschäftigung . Wir hatten seit Jahrzehnten nichteine so hohe Anzahl an Erwerbstätigen;
seit 25 Jahren war die Arbeitslosigkeit nicht so niedrigwie jetzt .
Es ist aber manchmal eben schwer, das einfach malzu würdigen, obwohl es schnell gesagt wäre . Wenn esanders wäre, dann hätten wir hier Debatten . Für die Leu-te draußen im Land ist das aber vielleicht die wichtigsteNachricht überhaupt .
Ich sage deswegen im Übrigen auch: Das heißt nicht,dass wir die Hände in den Schoß legen und dass es nichtsmehr zu tun gibt . – Das ist ja Quatsch . Wir nehmen unsgerade für diesen Herbst und Anfang des nächsten Jahresgroße Gesetzespakete vor .In wenigen Wochen werde ich ein Gesamtkonzept zurAlterssicherung vorlegen, in dem es darum geht, die ge-setzliche Rente als tragenden Pfeiler des Rentensystemsin Deutschland zu stabilisieren . Das wird ganz klar einganz zentraler Punkt .
Darüber hinaus werden wir, wie ich hoffe, nach 30 Jah-ren – in 2020 wird das der Fall sein – das letzte Sozial-system, bei dem die Ost-West-Angleichung noch nichtgelungen ist, reformieren und ein gleiches Rentenrecht inOst und West durchsetzen . Ich sage aber: Ich warte nochdarauf, dass die Meinungsbildung der CDU und der CSUin dieser Frage abgeschlossen wird .
Vor allem in Richtung der Linkspartei sage ich aberauch: Es geht natürlich nicht, nur die Rosinen herauszu-picken . Gleiches Recht bedeutet zwar, dass der Renten-wert von 94 auf 100 Prozent erhöht wird, gleichzeitig istdann aber auch eine Höherbewertung der Entgeltpunktenicht mehr möglich .
Bundesministerin Andrea Nahles
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Das muss man ganz eindeutig sagen . Gleiches Rechtheißt gleiches Recht und nicht gleiches Recht mit Aus-nahmen für einige in Ostdeutschland . Das kann es amEnde nicht geben .
Darüber müssen wir dann hier streiten; das kann es aberauf keinen Fall sein .
Wir werden daneben dafür sorgen – Herr Schäubleund ich sind hier in intensiven Gesprächen –, dass auchkleine und mittlere Unternehmen – in diesen ist die be-triebliche Altersvorsorge noch nicht sehr weit verbrei-tet – ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Zukunfteine betriebliche Altersvorsorge anbieten können . Da ar-beiten wir eng und vertrauensvoll zusammen .Es geht natürlich auch um Armutsprävention . DieGruppe, die zurzeit das größte Armutsrisiko trägt, sinddie Erwerbsgeminderten, 1,8 Millionen Menschen . Siedürfen nicht vergessen werden . Außerhalb von Fachzir-keln höre ich über diese Gruppe faktisch nie etwas . Aberes sind diejenigen, die am meisten von Altersarmut be-troffen sein werden. Auch das wird auf jeden Fall ein Teildes Gesamtkonzeptes werden .
Sie sehen also: Allein in diesem Bereich gibt es eine gan-ze Menge zu tun .Wir werden darüber hinaus in der nächsten Sitzungs-woche zwei wesentliche Gesetzentwürfe einbringen .Auf unserer Grundphilosophie „Stärkung der Tarifau-tonomie“ basiert unser Gesetzentwurf zu Leiharbeitund Werkvertragsarbeit, mit dem zum ersten Mal eineHöchstverleihdauer geregelt wird und der zum erstenMal dafür sorgt, dass die Betriebsräte Bescheid wissen,weil sie ein Recht auf Information erhalten .Ich sage noch etwas . Dieses Gesetz wird mit demMissstand Schluss machen, dass Unternehmen Leihar-beiter gezielt als Streikbrecher einsetzen, um damit Ta-rifverhandlungen zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Esist kein Zufall, dass in dem Jahr, in dem bei der Postmassenweise Streikbrecher eingesetzt wurden, der nied-rigste Tarifabschluss des ganzen Jahres genau in diesemBereich abgeschlossen wurde . Damit ist Schluss, wennwir dieses Gesetz gemeinsam verabschieden .
Wir müssen nicht darüber reden, dass wir in diesemZusammenhang auch mit dem Mindestlohn Zeichen ge-setzt haben . Zum neuen Jahr 2017 wird der Mindestlohnauf 8,84 Euro steigen . Das haben nicht wir entschieden,sondern das haben wir, wie es unserer Überzeugungentspricht, den Tarifparteien im Rahmen einer Mindest-lohnkommission überantwortet . Das ist kein politischerMindestlohn, sondern er basiert auf dem, was die So-zialpartner uns vorschlagen . Ich bleibe dabei: Es hilftnichts – das sage ich besonders in Richtung Linkspar-tei –, den Menschen immer etwas von 10, 12 Euro oderanderen Fantasiezahlen zu erzählen . Der neu festgesetzteMindestlohn basiert auf Fakten und Sozialpartnerschaft .
Das ist der richtige Weg, liebe Kolleginnen und Kolle-gen .
Wir werden in den nächsten Wochen den Armuts-und Reichtumsbericht in seiner ersten Fassung auf denWeg bringen . Was heißt das? Es werden erst einmal diestatistischen Grundlagen vorgelegt . Wir haben hier vonAnfang an eine klare Politik gemacht . Wir haben dieseZahlen transparent und allen zugänglich gemacht . Es gabin diesem Zusammenhang viele Verschwörungstheorien .Sie entbehren aber jeder Grundlage . Wir werden Ihnenund allen, die dies wollen, die Gelegenheit geben, sichdie Daten anzusehen .Reichtum kommt in Deutschland immer weniger auseigener Arbeit – das bedrückt mich –, sondern wird heutemeist vererbt . Das mag für manche erfreulich sein; fürunser Land insgesamt ist es sehr bedenklich . Es führtdazu, dass sich Schichten verfestigen, dass Aufstieg, dieTriebfeder für den Einsatz in Beruf und Wirtschaft, selte-ner und schwerer wird . Deswegen ist das eine Sache, diewir so nicht stehen lassen können . Dafür wird uns dieserArmuts- und Reichtumsbericht wichtige Argumente lie-fern .
Ich bin daran besonders interessiert, weil es Zusam-menhänge mit anderen Programmen, zum Beispiel vonBarbara Hendricks, gibt . Wir wollen mit Blick auf diesoziokulturellen Verfestigungen in bestimmten Stadttei-len, die jeder von uns kennt, selbst in kleineren und mit-telgroßen Städten, an die Wurzel des Übels gehen, umzu verhindern, dass bestimmte Gruppen und Stadtteilevöllig abgehängt werden . Das wird einer der Punkte sein,die uns beschäftigen .Wir haben in diesem Zusammenhang auch über Lang-zeitarbeitslosigkeit zu reden . Ich bin froh, dass wir indiesem Haushalt den Ansatz für das Programm „SozialeTeilhabe am Arbeitsmarkt“, das auf den öffentlichen Be-schäftigungssektor zielt, verdoppeln können . Immerhin:Das ist eine Möglichkeit – –
– Frau Pothmer, da haben Sie vollkommen recht . Ich binimmer offen für eine weitere Mittelsteigerung. Immer-hin: Der Ansatz wird verdoppelt . Wir können nun ganzkonkret mit diesem Programm Langzeitarbeitslose, dieeinen Neustart verdienen, besser unterstützen .Daneben haben wir auch die Integration von Flücht-lingen zu leisten . Dazu haben wir bereits das Integrati-onsgesetz durch den Bundestag gebracht . Aber auch inBundesministerin Andrea Nahles
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diesem Haushalt stehen zusätzlich 3,25 Milliarden Eurozur Sicherung des Lebensunterhaltes und – vor allem dasist wichtig – 1,9 Milliarden Euro für die aktive Einglie-derung der Flüchtlinge bereit .Wir werden die Anzahl der berufsbezogenen Sprach-kurse bis Anfang des nächsten Jahres von 20 000 auf200 000 verzehnfachen . Wenn noch mehr Bedarf besteht,dann – da bin ich sicher –, wird diese Bundesregierungauch handeln . Deutsch lernen ist nun einmal der zentraleDreh- und Angelpunkt. Wir schaffen außerdem in diesemHaushalt für Flüchtlinge die Möglichkeit, über die Inte-grationsmaßnahmen etwas Sinnvolles zu tun, solange siefaktisch leider noch zu lange im Regelkreis des Asylbe-werberleistungsgesetzes festhängen, weil es mit der Sta-tusklärung so lange dauert . Dieses Programm gilt bereitsab August dieses Jahres . Es wird also bereits umgesetzt .Das sind wichtige Punkte .Aber am meisten knabbern wir zurzeit daran, dass wirauch den Nachweis vorhandener Qualifikationen klärenmüssen . Oft heißt es nur: Sie haben keine Urkunde derIHK in der Tasche . – Wenn Flüchtlinge von Syrien hier-herkommen, ist das auch nicht zu erwarten . Trotzdemkönnen sie etwas . Umso wichtiger ist es, dass wir esanbieten, sie zu erproben, und dass die IHK und Hand-werkskammern mitspielen . Das läuft auch . Diese Erpro-bungs- und Anerkennungsverfahren halte ich für ganzzentral, um die vorhandenen Potenziale zu heben .Nicht zuletzt haben wir Hürden abgebaut, zum Bei-spiel die Vorrangprüfung . Wir haben den Ländern dieEntscheidung selber überlassen, auch regional . Das Er-gebnis ist, dass in 133 der 156 Agenturbezirke der Bun-desagentur für Arbeit die Vorrangprüfung ausgesetztwurde . Das ist sehr gut, weil es wieder eine Hürde weni-ger ist, um diese Menschen in Arbeit zu integrieren, undgleichzeitig auf regionale und landesspezifische Bedürf-nisse eingeht . Denn es gibt nun einmal auch Regionen,für die das keine schlaue Idee ist, und diese werden damitauch berücksichtigt .Wir werden in diesem Herbst – das ist mein letzterSatz – neben dem, was ich bereits genannt habe, auch dasBundesteilhabegesetz anpacken .
Dafür werden zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt,von 157 Millionen Euro für 2017 aufwachsend bis auf700 Millionen Euro . Die Entlastung der Kommunen um5 Milliarden Euro findet statt – auf anderem Wege; dieseMittel sind „on top“ . Damit können wir die Umsetzungder UN-Behindertenrechtskonvention auf neue, wie ichfinde, bahnbrechende Weise weiterbringen. Auch darü-ber werden wir gesondert beraten .Sie sehen also: Diese Regierung ist handlungsfähig .Wir arbeiten mit ganz konkreten Anstrengungen für dieMenschen . Die nötigen Mittel dafür stehen bereit . Das istauch der guten wirtschaftlichen Lage zu verdanken, sonstwürden wir über ganz andere Fragen diskutieren . Umsobesser; das fügt sich gut . In diesem Sinne haben wir nocheinen heißen Herbst .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Dr . Gesine
Lötzsch von der Fraktion Die Linke das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Frau Ministerin Nahles, Sie habenmit der Rente begonnen . Das will ich auch tun . In we-nigen Wochen ist der 3 . Oktober . Dann wird wieder diedeutsche Einheit gefeiert . Die Wiedervereinigung ist26 Jahre her . Seit 26 Jahren diskutieren wir darüber, dassdie Mauer zwischen den Ostrentnern und Westrentnerneingerissen werden muss . Das wird jetzt endlich Zeit,meine Damen und Herren .
Sie haben gesagt, Frau Nahles, dass Sie die Meinungs-bildung in der Union abwarten . Ich kann Ihnen nur raten:Machen Sie mächtig Druck! Den Rückenwind der Lin-ken bekommen Sie dafür in jedem Fall .
Bundeskanzlerin Merkel hatte im letzten Bundestags-wahlkampf den Ostdeutschen eine Rentenangleichungversprochen . Dieses Versprechen hat sie augenscheinlichgebrochen, und gebrochene Versprechen zahlen sich nieaus . Das haben wir gerade erst erlebt, meine Damen undHerren .Herr Schäuble hat sich nun gegen die Ost-West-Angleichung gewandt, weil es angeblich großen Unmutüber die hohen Ostrenten in den alten Bundesländern imWesten gebe . Was der Finanzminister aber völlig ver-schweigt und was man immer wieder erklären muss, ist,dass die Altersbezüge in den sogenannten alten Bundes-ländern bzw . in den westlichen Bundesländern in der Re-gel aus mehreren Quellen gespeist werden können .
Im Osten ist häufig – in fast allen Fällen – die gesetzlicheRente die einzige Quelle zur Sicherung des Lebensunter-haltes . Das ist ein gewaltiger Unterschied, meine Damenund Herren . Der muss beseitigt werden .
Ich finde, wir sollten auch endlich damit aufhören, Ostund West gegeneinander auszuspielen . Sie, Frau Nahles,haben in Richtung der Linken gesagt, wir sollten keineRosinenpickerei betreiben; Sie wollten gleiches Rechtfür alle . Gleiches Recht für alle heißt auch in ganz vielenLebensbereichen – wir könnten jetzt alle durchdeklinie-ren –, besondere Bedingungen zu berücksichtigen . Ichfinde, wir sollten endlich einmal aufhören, den unkorrek-ten Begriff „Höherwertung“ zu verwenden. Es geht umBundesministerin Andrea Nahles
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eine Umrechnung der Einkommen . Die spielt eine wich-tige Rolle für die Rente .
Wir wissen, dass viele Menschen aus den verschie-densten Gründen – durch die Ausweitung des Niedrig-lohnsektors, durch Leiharbeit und Veränderungen derArbeitswelt – keine kontinuierliche Erwerbsbiografie,wie man das technisch so sagt, mehr haben . Das heißt,sie haben mal weniger verdient, mal waren sie arbeitslos,und dann haben sie vielleicht wieder einmal mehr ver-dient . Darum ist Altersarmut ein Problem, dem wir alleuns stellen sollten .Wir brauchen nicht nur ein einheitliches Rentensys-tem, sondern auch endlich eine solidarische Mindestren-te, die Altersarmut wirksam verhindert, meine Damenund Herren .
Dazu gehört natürlich auch, dass das Rentenniveauwieder angehoben werden muss . Ich will Sie alle da-ran erinnern und darauf aufmerksam machen, dass derDeutsche Gewerkschaftsbund jetzt eine Rentenkampag-ne ins Leben gerufen hat . Viele von Ihnen sind ja auchGewerkschaftsmitglieder. Ich finde, damit müssen Siesich ernsthaft auseinandersetzen . Den Funktionären desDeutschen Gewerkschaftsbundes – viele von ihnen sindja Mitglieder von Parteien – sage ich: Machen Sie auchin Ihren eigenen Parteien Druck, damit das Rentenniveauendlich wieder angehoben wird .
Ich komme – auch darauf ist Frau Nahles eingegan-gen – zum zweiten Punkt . Sie sind stolz auf die Einfüh-rung des Mindestlohnes . Ja, darauf sind auch wir stolz;
denn wir haben den Mindestlohn 20 Jahre lang immerwieder gefordert . Nun haben wir ja Praxiserfahrung undwissen, dass ein Beschluss nicht bedeutet, dass er überallim Leben umgesetzt wird .Es ist so – da kennt vielleicht jeder aus seinem Umfeldein Beispiel –, dass nicht alle Menschen, die einen An-spruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben, diesenauch erhalten . Die Deutsche Zoll- und Finanzgewerk-schaft hat zu Recht darauf hingewiesen, dass das Min-destlohngesetz eine derartige Vielzahl bürokratischerAusnahmen enthält, dass dessen Überwachung und Kon-trolle erheblich erschwert wird .Viele von uns haben in Bürgersprechstunden oder auchim Familienkreis davon gehört, wie manche Arbeitgeberversuchen, den Mindestlohn mit Tricks zu umgehen . Esmuss klar geregelt sein – das ist unsere Forderung –,welche Zulagen und Zuschläge mit dem Mindestlohnverrechnet werden dürfen . Es kann doch nicht sein, dassSachleistungen, Gutscheine und Trinkgelder mit demMindestlohn verrechnet werden, meine Damen und Her-ren . Das muss endlich ein Ende haben .
Ich habe mich mit Beschäftigten unterhalten, die mirsagten, dass sie jetzt weniger Lohn hätten als vor derVerabschiedung des Mindestlohngesetzes . Das war dochnicht das Ziel dieses Gesetzes . Wir dürfen das nicht wei-ter zulassen .Meine Damen und Herren, wir müssen mehr in Soli-darität investieren . Wir brauchen eine Gerechtigkeitsof-fensive. Mehr Solidarität schafft auch mehr Sicherheitfür die Menschen . Das heißt, wir müssen unsere Solidar-systeme stärken . Doch die Bundesregierung – wir habenes ja beim zuletzt behandelten Tagesordnungspunkt, alses um den Gesundheitsetat ging, schon angesprochen –schwächt diese Systeme . Sie schwächt die Rentenkasse,die Krankenkassen und die Arbeitslosenversicherung, in-dem aus diesen Kassen versicherungsfremde Leistungenfinanziert werden. Sie werden ihnen aufgebürdet. Dabeihandelt es sich um Aufgaben, die eigentlich von allen fi-nanziert werden müssten . Zum Beispiel müsste die Müt-terrente aus Steuermitteln finanziert werden.
Meine Damen und Herren, wir sollten die Haushalts-verhandlungen nutzen, um das viele Geld, das sich indiesem Etat befindet, gerecht und vernünftig zu verteilen.Vor allen Dingen aber sollten wir darauf hinwirken, dasses in unserem Land gerecht zugeht und dass die Vermö-genden endlich ihren Beitrag zum Gemeinwesen leisten,dass sie sich nicht weiter davonstehlen können .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Karl
Schiewerling von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Sozialpolitik hat die Auf-gabe, den Schwächeren zu schützen, Solidarität in derGesellschaft herzustellen und Teilhabe zu ermöglichen .Das ist kein Geschenk, das sind Rechtsansprüche . Und:Überall dort, wo es Rechtsansprüche gibt, entstehen auchKlagen bzw . Ansprüche, die gerichtlich geltend gemachtwerden . Das ist gemäß der Systematik, die wir haben,auch völlig in Ordnung . Das führt dann allerdings auchschnell dazu, dass bei jeder Kleinigkeit – wenn diesesoder jenes nicht geleistet wird – gesagt wird, dieser Staatsei unsozial .Meine Damen und Herren, in unserem Sozialstaatwerden jährlich Mittel in Höhe von insgesamt 750 Mil-liarden Euro – jeweils zu einem erheblichen Teil umla-ge- und steuerfinanziert – für soziale Leistungen zur Ver-fügung gestellt . Allein im Bundeshaushalt haben wir fürdas Jahr 2017 139 Milliarden Euro angesetzt . Ich sageIhnen: Dieser Staat ist nicht unsozial . Dieser Staat hältmit seinem Sozialetat zusammen . Wir tun alles, damitdiese Gesellschaft nicht auseinanderfällt . Ich glaube,Dr. Gesine Lötzsch
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dass wir dabei sehr erfolgreich sind . Wir lassen uns dasvon nichts und niemandem kaputtreden .
Das heißt nicht, dass es im Einzelfall keinen Nachbes-serungsbedarf gibt . Wenn Sie aber unsoziale Staatenkennenlernen wollen, dürfen Sie nicht nach Deutschlandschauen . Dafür empfehle ich Ihnen den Blick auf andereRegionen .
Grundlage dieses Sozialstaates ist natürlich – die FrauBundesministerin hat zu Recht darauf hingewiesen – einestabile Wirtschaft . Ohne eine stabile Wirtschaft werdenwir die Leistungen, die wir erbringen, nicht finanzierenkönnen . Ich bin der Frau Bundesministerin außerordent-lich dankbar, dass sie an die Zeit von vor gut zehn Jahrenerinnert hat, als es 5 Millionen Arbeitslose gab und dieSituation in der Wirtschaft und bei den Sozialträgern ka-tastrophal war . Es geht nicht darum, Schuld zuzuweisen;das wäre Unfug . Aber das soll uns daran erinnern, dassder Wohlstand, den wir im Augenblick erarbeitet haben,nicht selbstverständlich ist . Aber wir müssen daran den-ken, dass wir für konjunkturell schwierigere Lagen, dieunzweifelhaft auf uns zukommen werden – wann undwie, wissen wir nicht; wir hoffen auch nicht, dass siekommen; aber aufgrund der Erfahrungen in den letzten70 bis 80 Jahren ist das quasi ein Naturgesetz –, gerüstetsein müssen, um die zukünftigen Herausforderungen zustemmen .
Die Wirtschaft prosperiert; das ist gut . Das Ergeb-nis ist eine hohe Beschäftigung . Es gibt 43,5 Millio-nen erwerbstätige Menschen. 31,5 Millionen befindensich in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. InDeutschland gibt es 685 000 offene Stellen, insbesondere172 000 offene Stellen im Ausbildungsbereich. Ich warim Sommer in meinem Wahlkreis viel unterwegs . Über50 Termine habe ich wahrgenommen . Weit mehr als dieHälfte entfiel auf Betriebsbesuche. Das Hauptproblemder Betriebe ist im Augenblick ein Thema, von dem wirvor zehn Jahren nicht gedacht hätten, dass es auf uns zu-kommt . Das ist der Fachkräftemangel . Zur Wahrheit ge-hört, dass es Betriebe gibt, die Aufträge nicht annehmen,weil sie keine Mitarbeiter finden und so nicht über aus-reichende Kapazitäten verfügen . Das stellt uns vor neueHerausforderungen .Ich halte es vor diesem Hintergrund für falsch, so wiees die Opposition macht, nur den Blick auf die prekärenSituationen zu richten . Wenn alles so prekär wäre, wärendie Sozialversicherungen nicht so hervorragend ausge-stattet . Dann hätten wir nicht solche Überschüsse in derRentenversicherung zu verzeichnen und könnten uns imGesundheitssystem überhaupt nicht mehr bewegen .
Ich freue mich, dass sich die Beschäftigung in vielenBereichen positiv entwickelt . Ich will als Beispiel dasdeutsche Hotel- und Gaststättengewerbe nennen . Dort istein Aufwuchs von 260 000 neuen sozialversicherungs-pflichtigen Beschäftigungsverhältnissen zu verzeichnen.Das entspricht einem Anstieg von 33 Prozent . In der Ver-gangenheit haben wir von dieser Branche eher Negativesgehört . Wir freuen uns nun mit den Beschäftigten und derBranche über diese neue Entwicklung .Wir müssen aber unseren Blick auch auf die Situa-tion derjenigen Menschen richten, die keine Arbeit ha-ben . 830 000 Arbeitslose haben wir im Regelkreis desSGB III . Das sind Menschen, die bis zu einem Jahr ar-beitslos sind . Zudem gibt es rund 1,85 Millionen Men-schen, die schon länger arbeitslos sind . Auch wenn manuns immer anderes unterstellt: Die Situation gerade derLangzeitarbeitslosen ist uns nicht gleichgültig . Aber wirstehen vor Herausforderungen, die nicht mit einem Fin-gerschnippen zu erledigen sind . Wenn die Arbeitslosen-quote wie in meinem Wahlkreis bei 2,9 Prozent oder inbestimmten bayerischen Regionen bei 1,7 Prozent liegt,dann kann man getrost davon ausgehen, dass es nicht anden Betrieben allein liegt, wenn Langzeitarbeitslose insolchen Regionen nicht in Arbeit gebracht werden kön-nen . Hier sind wir gefordert, den Menschen zu helfen,damit sie den Weg in den Arbeitsmarkt schaffen. Das istoft langwieriger und mühsamer, als wir uns das wün-schen und es bei einer anderen Verfassung der Betreffen-den der Fall wäre .
Aber wir wollen ihnen helfen, den Weg in den Ar-beitsmarkt zu finden. Der Eingliederungstitel ist ange-passt bzw . leicht erhöht worden . Es stehen mehr Mittelpro Langzeitarbeitslosen zur Verfügung, als das nochvor vielen Jahren der Fall war . Es liegt an uns, die Mittelrichtig zu konzentrieren .Ich will den Blick insbesondere auf diejenigen rich-ten, die es besonders schwer haben . Wir haben die Si-tuation, dass circa 300 000 Kinder und Jugendliche inDeutschland leben, deren Eltern und Großeltern bereitsvon Sozialhilfe gelebt haben . Sich denen zuzuwendenund alles zu tun, dass sie mit unserer Hilfe in Ausbildungund Beschäftigung kommen und eine Lebensperspektiveerhalten, halte ich für eine der zentralen Zukunftsaufga-ben, die wir miteinander zu bewältigen haben . Deswegenfreue ich mich, dass wir die rechtlichen Voraussetzungendafür im Zweiten Sozialgesetzbuch mit dem neuen § 16hgeschaffen haben. Ich bin gespannt, wie die zurzeit lau-fenden Modellprojekte bewertet werden. Ich hoffe sehr,dass dies zu einer guten Regelförderung wird .
Wenn wir einen Aufwuchs an Arbeitslosen in unseremSystem haben, dann hängt das damit zusammen, dass dieFlüchtlinge, wenn sie anerkannt sind und aus dem Be-reich des Asylbewerberleistungsgesetzes herausfallen,durch die Grundsicherung aufgefangen werden, also inden Bereich des Zweiten Sozialgesetzbuches fallen . Des-wegen müssten die Ansätze in diesem Bereich erhöhtwerden, was auch richtig ist .Karl Schiewerling
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Aber ich freue mich auch, dass wir alle Anstrengun-gen unternehmen, Flüchtlinge, die anerkannt sind, inAusbildung und Beschäftigung zu bringen . Wir habenmit dem Integrationsgesetz beschlossen, dass die Jugend-lichen, die geduldet sind, die Möglichkeit erhalten, eineAusbildung zu machen und anschließend noch zwei Jah-re beschäftigt zu sein . Ich kenne viele Betriebe, die aus-bilden wollen . Es gibt eine große Bereitschaft – übrigensbevorzugt im Mittelstand –, gerade Flüchtlinge auszubil-den oder zu beschäftigen, wenn die Voraussetzungen wiedie Kenntnis der deutschen Sprache und die rechtlichenVoraussetzungen für die Anerkennung vorliegen .Viele Betriebe haben das schon getan . Ich habe vieleBetriebe kennengelernt, in denen das mit Erfolg läuft . Ichkenne auch Betriebe, in denen das gescheitert ist, wie esauch bei anderen Personengruppen in Deutschland gele-gentlich scheitern kann . Aber grundsätzlich besteht einegroße Bereitschaft . Ich meine, wir als Deutscher Bundes-tag sollten alles daransetzen, diesen Weg weiter zu ver-folgen, weil auch die Menschen, die zu uns gewandertsind, über diesen Weg eine Perspektive erhalten und weilwir ihnen so über ihr Verweilen in Deutschland hinauseine Perspektive mit auf den Weg geben können . Ichglaube, es ist eine wichtige Aktion, die wir hier starten .
Lassen Sie mich eine Sorge äußern . Wir haben einProgramm aufgelegt und Gelder für die Schaffung von100 000 Stellen bewilligt, die im Rahmen des Asylbe-werberleistungsgesetzes zur Verfügung gestellt werden,damit Flüchtlinge erste Schritte auf dem Arbeitsmarktunternehmen können . Die Verwaltung liegt bei der Bun-desagentur für Arbeit, die Entscheidung bei den Kommu-nen . Ich bitte nur sehr darum, dass die Bundesagentur fürArbeit wirklich nur ihre Verwaltung einsetzt, aber nichtden kompletten Inhalt bestimmen will . Der soll in derHand der Kommunen bleiben, damit es nicht zu einemReibungsverlust kommt .
Ich will, weil es ein wichtiges Thema ist, wenigstenskurz auf die Rentenpolitik eingehen . Die Daten für dieDeutsche Rentenversicherung sind gut . Wir haben zur-zeit einen Beitrag von 18,7 Prozent . Wir haben eineNachhaltigkeitsrücklage von etwa 34 Milliarden Euro,trotz Rente mit 63 und Mütterrente . Das ist ein Hinweisdarauf, dass unsere Beschäftigungssituation offensicht-lich gut ist . Sonst hätten wir nicht die hohen Einnahmen .Wir haben ein Rentenniveau von 47,8 Prozent . Ich glau-be, dass wir insgesamt mit der Rente in einer guten Ver-fassung sind .
Ich will eine Zahl herausgreifen: Wir haben allein imletzten Jahr einen Zugang in die Rente von 1,4 MillionenMenschen gehabt . Das sind fast 8 Prozent mehr als imJahr davor . Der mit dieser Entwicklung einhergehendeDruck auf die Rentenversicherung wird beibehalten .Wir als Deutscher Bundestag dürfen vor dieser Ent-wicklung die Augen nicht verschließen . Ich bin sehr da-für, für die Menschen etwas zu tun, die 40 oder 45 Jahregearbeitet, Kinder erzogen und alte Eltern gepflegt ha-ben, Vollzeit beschäftigt waren und dennoch eine Rentebekommen, die unterhalb der Grundsicherung liegt . Daskönnen wir den Menschen auf Dauer nicht zumuten . Hierbrauchen wir eine Regelung, die mit den unterschiedli-chen Sozialsystemen konform ist . An diesem Punkt wirdzurzeit gearbeitet . Aber ich bin auch dafür, darüber nach-zudenken, wie die Ost-West-Angleichung funktionierenkann .
In dieser Frage geht es auch um Klarheit und Wahrheit .Zur Klarheit gehört neben all den Fragen der Anpassungauch die Frage, was das für die jungen Menschen, die inden fünf betroffenen Bundesländern wohnen, bedeutet.Zu bedenken sind alle Auswirkungen, etwa, dass wir eineSpreizung haben zwischen den realen Gehältern im Wes-ten und im Osten und dass eine höhere Ostrente durch dieBesteuerung dieser Gehälter mitfinanziert werden muss.Wir stehen hier vor Fragen, die nicht ideologisch zubeantworten sind; eine ideologische Herangehensweisehaben wir lange genug erlebt . Frau Lötzsch, das diskutie-ren wir nicht seit 25 Jahren,
sondern erst jetzt, weil bei der deutschen Einheit vonAnfang an klar war, dass die unglaubliche Leistung, diedie deutsche Rentenversicherung West bei der deutschenEinheit erbracht hat, zwar irgendwann einmal zu demErgebnis führen wird, dass es in Ost und West gleicheRenten gibt, dass wir uns dafür aber, wie jeder weiß, Zeitlassen müssen .Ich plädiere sehr dafür, dass wir uns an das halten,was wir im Koalitionsvertrag 2013 festgelegt haben . Dasheißt, dass wir uns anschauen, wie die Situation 2019sein wird . Mit dem Auslaufen des Solidarpakts wollenwir annähernd gleiche Lebensverhältnisse haben . Des-halb schauen wir uns Ende 2017 und 2018 die Situationan und schauen, wie die Renten weiter anzupassen sindund welche Schritte zu gehen sind .Ich glaube, es gehört zur Klarheit und zur Konse-quenz, dass wir das Rentensystem auch unter diesen Ge-sichtspunkten betrachten . Ich weiß, dass das emotionalhoch beladen ist, und ich weiß, dass Rentenpolitik hoch-komplex ist . Wir haben erlebt, zu welchen Ergebnissender Versuch, komplexe Systeme einfach zu erklären, amletzten Sonntag geführt hat . In diesem Fall halte ich esaber für notwendig, diese komplexen Systeme wirklichzu erklären und den Menschen näherzubringen . Man soll-te nicht sagen, dass es eine böse Absicht des DeutschenBundestages ist, die Schritte nicht sofort zu vollziehen .In unserer Fraktion ringen wir um den richtigen Weg .
Lassen Sie mich noch einen Hinweis geben . Es wirdvon anderer Seite immer wieder geäußert, wir seien da-bei, die jüngere Generation auf Dauer gesehen zu über-fordern . Zur Generationengerechtigkeit gehört auch, diejüngere Generation in den Blick zu nehmen . Aber lassenKarl Schiewerling
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Sie mich hier wenigstens die Randnotiz mitteilen, dassJahr für Jahr etwa 25 Milliarden Euro von der jetzigenRentnergeneration an ihre Kinder oder ihre Enkel weiter-gegeben werden .
Herr Schiewerling, Sie haben – –
Was glauben Sie, wie dies zu einem innergesellschaft-
lichen, familiären Frieden beiträgt! Ohne unsere Familien
ist keine Sozialpolitik zu machen, ohne unsere Familien
ist auch kein Staat zu machen, und ohne unsere Familien
gibt es auch keinen Zusammenhalt . Als Union sollten wir
dies unterstützen . Es geht um Personalität, es geht um
Solidarität, und es geht um Subsidiarität . Ich glaube, dass
wir diesen Dreiklang behalten wollen .
Herzlichen Dank .
Es gab zwei Wünsche nach Zwischenfragen . Herr
Schiewerling, mein zaghafter Versuch, Sie zu unterbre-
chen, um Sie zu fragen, ob Sie sie zulassen, ist geschei-
tert .
– Gut, dann erhalten jetzt die beiden Abgeordneten, die
eine Zwischenfrage stellen wollten, das Wort zu einer
Kurzintervention . Herr Schiewerling wird die Gelegen-
heit erhalten, zu entgegnen .
Herr Kurth, Sie haben das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie diese Kurz-
intervention noch zulassen . – Ich habe angesichts der
14 Minuten Redezeit, die Herrn Schiewerling zur Verfü-
gung standen, mit mir gerungen, ob ich mich überhaupt
zu Wort melden soll . Aber als Sie, Herr Schiewerling,
ausholten, um über die Angleichung der Renten in Ost
und West und von der damit verbundenen Komplexität
zu sprechen, wurde mir klar, dass wirklich nichts von den
Plänen beleuchtet wurde . Beantworten Sie doch einfach
einmal zwei ganz klare Fragen .
Erstens . Kommt nach dem Willen der Union noch in
dieser Legislaturperiode der Gesetzentwurf?
Oder was heißt, man müsse lange überlegen?
Zweitens . Ganz konkret: Wollen Sie die Höherwer-
tung der Ostbeiträge 26 Jahre nach der deutschen Einheit
auch endlich ad acta legen, damit 1 Euro Beitragszahlung
aus dem Osten genauso viel Rente bringt wie 1 Euro Bei-
tragszahlung aus dem Westen?
Herr Schiewerling .
Sie haben gehört, Herr Kollege Kurth: Bei Ihren Op-
positionskollegen von der Linken darf das nicht „Höher-
wertung“ heißen, sondern es muss „Umwertung“ heißen .
Da müssen Sie vorsichtig sein . Aber ich stimme mit Ih-
nen überein: Es ist eine Höherwertung .
Wir werden eine Anpassung nicht hinbekommen,
ohne dass die Höherwertung entfällt,
weil wir sonst eine riesige Ungerechtigkeit zwischen Ost
und West erhalten . Das ist etwas, das nicht eintreten darf .
Diese Gefahr besteht latent . Alle Rentenfachleute, die
nicht populistisch argumentieren, wissen auch, wie kom-
pliziert die Situation ist .
Da ich Sie für einen sehr sachkundigen Kollegen halte,
gemeinsam mit dem Kollegen Strengmann-Kuhn und an-
deren, weiß ich, dass Sie das wissen und deswegen auch
kein Interesse daran haben, dass wir gemeinsam einen
Gesetzentwurf vorlegen, der unter dem Strich den von
mir formulierten Ansprüchen nicht genügt . Es ist nun
einmal so, dass wir innerhalb der Union in dieser Frage
unterschiedliche Ansätze haben, aber nicht deshalb, weil
es um Machtkämpfe geht, sondern deshalb, weil sich die
gemeinsame Sorge darauf richtet, im Sinne von Klarheit
und Konsequenz die richtige Entscheidung zu treffen.
Herr Kollege Birkwald .
Herr Kollege Schiewerling, ich habe mich gemeldet,als Sie von der Komplexität des Rentensystems gespro-chen haben und davon, dass man schwierige Sachen aucherklären muss . Das würde ich jetzt gern einmal tun undIhnen sagen, warum wir Linken dagegen sind, dass derRentenwert Ost auf den allgemeinen Rentenwert, auch„Rentenwert West“ genannt, angehoben wird und dieUmrechnung dann gestrichen wird .
Das bedeutet nämlich, dass glücklicherweise dannzwar die Menschen, die heute in Rente sind, endlich diegleiche Rente bekommen wie die Menschen im Westen;Karl Schiewerling
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aber das ist nach Ihrem bisherigen Vorschlag mit drasti-schen Rentenkürzungen bei denjenigen erkauft, die heutenoch arbeiten . Ich will Ihnen die Zahlen gern vortragen .Heute bekäme man nach Status quo, mit Umrechnung,also mit Gleichbehandlung des Lohns, zum Beispiel voneiner Floristin oder einem Fleischer oder einer Bäcke-rin in der Rentenversicherung, nach 45 Jahren Arbeit950 Euro Rente . Das, was jetzt als Gesetzentwurf aufdem Tisch liegt, würde bedeuten, dass diese Menschen –Quelle: Verdiensterhebung, Statistisches Bundesamt, ers-tes Quartal 2016 – nur noch 880 Euro Rente bekämen .Das heißt, die Menschen würden in Zukunft 70 Euro we-niger Rente bekommen als heute nach Status quo . Dasmuss man hier aufklärerisch deutlich sagen .
Wir Linken sagen: Die Umrechnung muss so langeerhalten bleiben, bis die Löhne und Gehälter bei 95 Pro-zent, 96 Prozent des Westniveaus sind; erst dann kannman die Umrechnung abschaffen. Das würde bedeuten,dass nach unserem Vorschlag die Rente für die Men-schen im Osten, die heute noch arbeiten, wenn sie un-gelernte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind, auf1 010 Euro steigen und eben nicht sinken würde .
Wenn Sie das alles machen, dann sagen Sie den Men-schen: Ja, wir geben den Rentnerinnen und Rentnernheute mehr Geld – das finde ich gut –, aber die Jüngerenmüssen es mit drastischen Rentenkürzungen bezahlen . –Ich glaube nicht, dass Sie das wollen .Sie sprachen eben von Linkspopulismus . Ich stellefest, dass Ihr Kollege stellvertretender Fraktionsvorsit-zender Arnold Vaatz Sie alle in der Union davor warnt,die Umrechnung jetzt abzuschaffen. Ich stelle fest,dass der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, und der Ministerpräsident von Sachsen, HerrTillich, ebenfalls dieser Meinung sind . Ich sage Ihnen:Drei Menschen in Ihrer Fraktion bzw . Partei haben dieOstrente echt verstanden . Hören Sie auf die drei!Herzlichen Dank .
Herr Schiewerling .
Herr Kollege Birkwald, Sie machen es mir wirklich
schwer . Drei aus unserer Fraktion und Partei haben es
verstanden – so haben Sie gesagt –, aber die drei haben
leider etwas Unterschiedliches verstanden . Wir müssen
nämlich sehen – das ist ein Teil meines Beitrags vorhin
gewesen –, dass wir in unserer Partei, in unserer Partei-
enfamilie, über diese Frage noch Klärung herbeiführen
müssen, weil die Ansätze unterschiedlich sind . Ich habe
vorhin schon dem geschätzten Kollegen Kurth gesagt,
dass ich zugestehe, dass diese Ansätze unter dem Ge-
sichtspunkt der Generationengerechtigkeit und der Fra-
ge „Wie gehen wir innerhalb Gesamtdeutschlands mit
dieser Frage um, damit wir keine neuen sozialen Unge-
rechtigkeiten schaffen und zu entsprechenden Lösungen
kommen?“ betrachtet werden müssen . Ich gestehe auch
zu, dass es, wenn wir das alles sofort umsetzen würden,
ein Finanzierungsproblem gäbe, weil natürlich jeder er-
wartet, dass aus dem Bundeshaushalt da sofort mehrere
Milliarden Euro reinfließen.
Das ist aber so ohne Weiteres nicht zu gestalten; auch das
gehört zur Wahrheit . Deswegen schauen wir uns das an .
Die Bundesarbeitsministerin hat dankenswerterweise in
dieser Frage Vorschläge erarbeitet . Wir werden uns damit
beschäftigen, und irgendwann wird es zu einem Gesetz-
entwurf kommen .
Wir fahren in der Debatte fort . Als nächste Rednerin
hat Ekin Deligöz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Ministerin! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Der Etat des Bundesministeriumsfür Arbeit und Soziales hat mit 139 Milliarden Euro dasgrößte Volumen innerhalb des Bundeshaushalts . Aller-dings sind die Spielräume in diesem Haushalt bei wei-tem nicht so groß, wie es die Summe vermuten lässt,weil zentrale Leistungen wie Arbeitslosengeld II, Ren-tenzuschüsse und Altersgrundsicherung einen ganz gro-ßen Teil der Mittel verschlingen . Wir wissen, dass dieserBereich nicht erst in den kommenden Jahren, sondernwahrscheinlich schon bis zum Abschluss dieses Haushal-tes noch anwachsen wird aufgrund der steigenden Sozial-leistungen und der Rechtsansprüche, die dahinterstehen .Das lässt sich, ehrlich gesagt, auch rechtfertigen und hiervertreten, weil es um Grundsätze geht .Welche sind das? Dieser Einzelplan beinhaltet dieLeistungen, die diese Gesellschaft zusammenhalten .Existenzsicherung und Teilhabemöglichkeiten sind derKitt, der eine demokratische Gesellschaft zusammenhält .Das müssen wir hier hochhalten, wahren und verteidigen .Herr Schiewerling, zu Beginn Ihrer Rede haben Sie ge-sagt, dass es, wenn man hieran Kritik übe, immer sofortum sozial oder unsozial gehe, und dass Armut woandersdoch viel schlimmer sei als hier . Nein, das ist der falscheAnsatz . Der Ansatz ist doch, zu sagen: Gerade wir habendie Verpflichtung, soziale Gerechtigkeit in diesem Haus-halt abzubilden . Es geht nicht um sozial oder unsozial,sondern es geht darum, ob es auch den künftigen Gene-rationen gut geht, und darum, was wir tun können, dasses ihnen gut geht . Wenn Sie davon reden, was Armut indiesem Land ist, und die Familie hochhalten, dann sageich: In diesem Land ist Armut jung und weiblich. Es trifftdie alleinerziehende Mutter, es trifft das Kind, das in Ar-mut heranwächst . Auch die alleinerziehende Mutter mitKind ist Familie . Das ist auch Familienpolitik . Deshalbmüssen wir genau hinschauen und alles Erdenkliche tun,damit wir Armut – sie ist immer subjektiv – in diesemMatthias W. Birkwald
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Land offensiv bekämpfen. Für die betroffenen Menschenmüssen wir uns einsetzen . Das ist unser großer Auftrag .
Weil es um den sozialen Zusammenhalt, um Existenz-sicherung und Teilhabemöglichkeiten geht, sage ich: Ge-rade weil es uns in Deutschland so gut geht, wäre dochin diesem Haushalt viel mehr drin gewesen . Das ist eineberechtigte Kritik, die Sie sich anhören müssen . Ich gebeIhnen einmal ein paar Beispiele dazu: Sie haben, FrauMinisterin, gesagt, was Sie alles tun, damit der Arbeits-markt funktioniert . Ja, es stimmt, die Arbeitslosigkeitist niedrig . Die Anzahl der Langzeitarbeitslosen ist abernach wie vor sehr hoch, und zwar wirklich alarmierendhoch . Es reicht nicht, was Sie da gemacht haben .Schauen wir uns einmal an, wie es bei den Jobcenternaussieht . Die Ausgaben bleiben immer noch strukturellgedeckelt . Die Anpassung für die Flüchtlinge macht dasnicht wett . Vielmehr verschlingen die Verwaltungskos-ten immer mehr Mittel aus den Eingliederungsmaßnah-men . Für das Jahr 2015 reden wir da über 600 MillionenEuro . Gleichzeitig müssen die Jobcenter eine GMA von100 Millionen Euro zusätzlich erbringen . Das kann dochnicht richtig sein, wenn es darum geht, Langzeitarbeitslo-sigkeit in diesem Land offensiv zu bekämpfen.
Nehmen Sie als Beispiel den Bereich Entbürokratisie-rung der Arbeit in den Jobcentern . Es hat vorne und hin-ten nicht funktioniert . Die Rechtsvereinfachung hat nichtfunktioniert . Sie machen zwar ein Programm nach demanderen, aber die Nachhaltigkeit bleibt auf der Strecke .Wenn Sie wirklich etwas gegen Langzeitarbeitslosigkeitunternehmen wollen, dann seien Sie endlich einmal kon-sequent . Investieren Sie in Eingliederungsmaßnahmen .Schaffen Sie Modelle für die Menschen wie den Pas-siv-Aktiv-Transfer . Das würde nicht nur bedeuten, dassdie Hilfe bei den Menschen ankommt, sondern das wür-de auch Bewegung auf diesen Markt bringen . Das wärekonsequent .
Stichwort „Altersarmut“ . Sie haben jetzt ein bisschenGeld eingestellt . Sie sagen, dass die Altersarmut um8 Prozent pro Jahr zunimmt . Diese Annahme kann ich sobestätigen . Im nächsten Jahr werden wir 7,2 MilliardenEuro für die Grundsicherung im Alter diesem Bereichausgeben . Im Jahr 2020 reden wir übrigens schon über9,2 Milliarden Euro, die wir dafür ausgeben .Sie haben ganz lange nichts gemacht . Kurz vor Schlussmachen Sie noch eine Lebensleistungsrente . Aber Sieglauben doch selber nicht daran, dass die Lebensleis-tungsrente wirkt . Warum? Sie stellen bei der Grundsi-cherung eine Entlastung von gerade einmal 22 MillionenEuro ein . Wenn es ein wirkungsvolles Programm seinsoll, das Menschen aus der Grundsicherung holt, dannwürden Sie doch nicht so wenig einstellen, dann würdenSie doch eine adäquate Summe einstellen . Das tun Sieaber nicht, also glauben Sie auch nicht daran, also bringtdas auch nichts . Hier geht es nicht um Zahlenhuberei,sondern es geht darum, dass Menschen, die gearbeitet ha-ben, an ihrem Lebensende von der Rente nicht mehr le-ben können . Es geht um Würde, es geht um Existenz undum Teilhabe . Seien Sie konsequent! Legen Sie uns etwasvor, worüber es sich lohnt, zu reden, damit wir über Al-tersarmutsbekämpfung reden können, und nicht nur dasZahlenspielchen, das Sie hier vorlegen .
Im Bereich Flüchtlingsintegration haben Sie endlicheinmal Ihre Annahmen angepasst . Das ist gut so . Sie wer-den auch noch ein paar Modelle zur Sprachförderung undzur Arbeitsmarktmigration vorlegen . Gleichzeitig holenSie das ein; denn heute lese ich in der Zeitung, dass Siean anderer Stelle wieder kürzen können . Entweder Siehaben begriffen, dass wir in diesem Land investierenmüssen, damit Integration auch gelingt, oder Sie wollenes eigentlich gar nicht und laufen den Populisten hinter-her . Sie sind unentschieden . Wir werden es sehr kritischbeäugen, Frau Ministerin . Konsequent sind Sie hier nicht .
Enttäuschend ist übrigens auch die Vorlage zum Bun-desteilhabegesetz . Dazu gibt es ein gesondertes Gesetz-gebungsverfahren . Das werden wir uns genau anschauen .Ich hoffe sehr, dass die 5 Milliarden Euro bei den Kom-munen ankommen . Darauf wird es hinauslaufen . MeinVertrauen fehlt leider noch . Aber wir werden es im Haus-haltsverfahren sehen .Frau Präsidentin, erlauben Sie mir bitte zum Schluss,noch ein Wort des Dankes auszusprechen . Weiter hintenim Einzelplan gibt es einen Titel „Hilfen für Betroffene,die als Kinder und Jugendliche in Heimen der Behinder-tenhilfe bzw . stationären psychiatrischen EinrichtungenLeid und Unrecht erfahren haben“ . Es war ein Auftragdes Bundestages an das Ministerium, hier ein Hilfesys-tem aufzubauen . Es gab lange Debatten, sowohl mit denKirchen als auch mit den Ländern . Ich weiß, dass dieVerhandlungen sehr lange und sehr hart waren . An dieserStelle Dank an Ihr Haus, an Ihre Mitarbeiter und auch anSie, dass Sie das durchgehalten haben . Wir haben jetztein System, das demnächst startet . Das ist gut, und es istwichtig für dieses Land . Es ist auch ein starkes Symbol,dass die Ergebnisse der parlamentarischen Beratungenvon Ihnen so umgesetzt werden . Vielen Dank dafür .
Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht Ewald
Schurer für die SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir werdenbei solchen Debatten über Sozialstaatlichkeit über un-sere Gesellschaft lernen müssen – nicht nur vor demHintergrund des Wahlergebnisses vom letzten Sonntagin Mecklenburg-Vorpommern –, dass wir den Menschendie sozialen Prozesse in der Gesellschaft näherbringen,auch in Sprache und Verständlichkeit, um diesen provo-Ekin Deligöz
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kativen und strategisch gezielten giftigen Pfeilen einesRechtspopulismus mit Fakten zu entgegnen . Das ist eineganz wichtige Sache . Hier bin ich ganz bei Frau Ministe-rin, die das am Anfang intoniert hat .Wir haben zurzeit eine enorm starke volkswirtschaft-liche Leistung . Das kann man mit den Höchstständenam Arbeitsmarkt hinsichtlich der Beschäftigung im so-zialversicherungspflichtigen Bereich belegen. Das kannman mit den historisch niedrigen – leider doch vorhan-denen, gerade was die Langzeitarbeitslosigkeit angeht;das ist richtigerweise gesagt worden –, guten Wertenam Arbeitsmarkt begründen . Da gibt es eine ganz wich-tige Dualität . Auf der einen Seite ist die Wirtschaft ineiner sehr guten Verfassung, mit hoher Wertschöpfung .Nur deswegen sind wir in der Lage, in der Sozialpoli-tik – hier verstehe ich die Kritiken; aber es ist einfach so,liebe Kollegin Deligöz – den Haushalt 2017 um immer-hin 8,7 Milliarden Euro zu steigern . Das ist eine enormeLeistung . Das muss man nicht nur aussprechen können,sondern man muss auch sehen, wohin das Geld geht .Deswegen sage ich: Es gibt verschiedene Begriffe,was Investitionen sind . Für mich ist dieser Haushalt eineInvestition ganz und gar für die Menschen in zwei ganzgroßen Blöcken: auf der einen Seite am Arbeitsmarkt,um die richtigen Impulse zu setzen, auf der anderen Seitebei der Alterssicherung, über die wir uns im Herbst nocheinmal ganz intensiv unterhalten müssen . Man muss –bei aller Kritik – die Botschaft setzen können, dass dieseBundesregierung im sozialpolitischen Bereich Enormesleistet .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind Struktur-daten, die ich genannt habe; der Arbeitsmarkt hat sichnochmals verbessert . Die Welt, die sozialpolitischen Pro-zessen ja nicht immer automatisch sehr positiv gegen-übersteht, titelt heute, am 8 . September 2016: „Deutsch-land hat aus Misserfolgen bei der Integration gelernt“ .Sie zitiert einen OECD-Bericht, der dezidiert sagt, dasssich die Voraussetzungen für eine gelungene Integrationheute besser darstellen als vor einem Jahr . Es ist zwarso, dass grundsätzlich Flüchtlinge, Menschen, die zu unsgekommen sind, größere Schwierigkeiten haben, am Ar-beitsmarkt zu punkten, aber es sind viele Maßnahmengeschaffen worden, vom Integrationsgesetz bis zu den100 000 Arbeitsgelegenheiten, die mit 300 MillionenEuro in diesem Haushalt unter aktiver Arbeitsmarktpo-litik finanziert werden. Wir haben daher selbst von derOECD in einem ersten Jahr ganz besonderer Belastungenein gutes Zwischenzeugnis bekommen: Von der Bundes-regierung werden die richtigen Maßnahmen aufgelegt .
Keine Frage: Die aktiven Arbeitsmarktleistungensteigen in diesem Haushalt immerhin auf 9,18 Mil-liarden Euro; die passiven – darüber hat der KollegeSchiewerling bereits gesprochen; das sind die Rechts-ansprüche – liegen insgesamt bei 28,5 Milliarden Euro .Wir erleben einen guten Arbeitsmarkt und setzen bei denMaßnahmen an den richtigen Stellen an .Die BA, die Bundesagentur für Arbeit, sagt: Es ist beider Integration von Menschen ganz klar, wir brauchenvermehrte Sprachförderung, Qualifikationsmaßnahmenauf allen Leistungsebenen – dazu gehören auch diese100 000 Arbeitsgelegenheiten für noch nicht anerkann-te Flüchtlinge –, und wir brauchen natürlich auch einefachlich gute Beratung für Ausbildung und Arbeitsver-mittlung .Mein Fazit an dieser Stelle ist: Dieser Haushalt – dasist eine wichtige Botschaft nach draußen – tut allgemeinviel am Arbeitsmarkt . Er spielt nicht die Menschen, diebisher Hilfe gebraucht haben, gegen die neu ankommen-den Menschen in der Integration aus, sondern er ergänztmit ganz spezifischen Maßnahmen für jene, die es amschwersten haben – für die Migranten –, die bisherigesehr gute Arbeitsmarktpolitik . Wir spielen niemandengegeneinander aus, sondern wir versuchen, additiv fürdie Menschen etwas zu tun, die es bisher in unserer Ge-sellschaft schwer hatten, und wir tun etwas Spezielles fürdie Menschen auf dem Gebiet der Migration . Das hal-te ich für eine wichtige Botschaft, die man auch drau-ßen nicht laut genug sagen kann, um dem unsäglichenRechtspopulismus und anderen Brunnenvergiftern etwaszu entgegnen .Meine Damen und Herren, das Kapitel Rente ist hierebenfalls bereits sehr intensiv angesprochen worden .Auch dafür gilt: Man muss erklären können, worum esgeht . Es geht um 21 Millionen Menschen, die im Au-genblick in Deutschland Rente beziehen . Es geht bei-spielsweise darum, zu wissen – nach einer Studie, die imNovember 2015 in einer Drucksache veröffentlicht wur-de –: Die Basis ist die gesetzliche Rentenversicherung .Sie wird zu 75 Prozent aus Beiträgen und zu 25 Prozentaus Bundeszuschüssen gespeist . Es gibt dabei sicherlicheine steigende Tendenz im Vollzug der von uns beschlos-senen Gesetze . Die Ausgaben der Rentenkassen sind zu90 Prozent originär die Renten selbst, 6,5 Prozent gibtdie gesetzliche Rentenversicherung in Zuschüsse für dieKrankenversicherung der Rentner, und 2,2 Prozent sindfür die Erhaltung und Wiederherstellung der Erwerbsfä-higkeit da . Dies alles sind Dinge, die man draußen guterklären muss .Dass wir insgesamt beim größten Block des Haushal-tes mit 98,4 Milliarden Euro im Jahr 2017 5 MilliardenEuro mehr ausgeben werden, ist eine wichtige Informa-tion . Davon entfallen auf die allgemeine Rentenversi-cherung 67,8 Milliarden Euro, auf die knappschaftlicheRentenversicherung 5,5 Milliarden Euro und auf dieGrundsicherung im Alter und die Erwerbsminderung7,2 Milliarden Euro . Für die Beitragszahlungen für Kin-dererziehungszeiten sind es immerhin 13,2 MilliardenEuro, und die Zuschüsse auf Rentenversicherungsbeiträ-ge für die Behindertenwerkstätten betragen 1,3 Milliar-den Euro . Das sind enorme Ausgaben, die den größtenTeil dieses Bundeshaushaltes ausmachen .Es ist schon wichtig – was auch von der Linken an-gesprochen worden ist –, zu wissen: Wie sind die Alters-einkünfte der Menschen zusammengesetzt? Dabei gibtes einen in der Tat signifikanten Unterschied. Währenddie Menschen in Deutschland insgesamt durchschnittlich64 Prozent ihres Alterseinkommens aus der gesetzlichenEwald Schurer
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Rentenversicherung und 21 Prozent aus anderen Alterssi-cherungsleistungen beziehen, ist es in Ostdeutschland, inden neuen Ländern, in der Tat so, dass die Leistungen dergesetzlichen Rentenversicherung 91 Prozent des Alters-einkommens ausmachen . Das muss man bei den Überle-gungen zur Rente in Ost und West berücksichtigen; dasgehört dazu .Wir werden im Herbst ein Alterssicherungskonzeptvorlegen und über die künftigen Aufgaben der Renten-versicherung reden . Ich sehe es schon so: Es spricht et-was dafür, ganz gezielt Altersarmut zu bekämpfen . Guteökonomische Leistungsdaten sind das eine; aber eine ge-zielte Bekämpfung der Altersarmut auch im Rahmen derRentenversicherung ist für mich ein ganz großes Thema .Ich blicke der Diskussion darüber mit großem Interesseentgegen .Ein letzter Punkt . Der bayerische MinisterpräsidentHorst Seehofer, der mich immer wieder überrascht –nicht gerade bei seinen Aussagen zu Migration undFlüchtlingen –, hat im April dieses Jahres gefordert, imRahmen einer umfassenden Rentenreform ganz gezieltAltersarmut zu bekämpfen . Da warte ich mal ab, wasvon der CSU aus München kommt, um diese wichtigeDiskussion für die Zukunft zu befruchten .In diesem Sinne herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Klaus Ernst
von der Fraktion Die Linke das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an den großenVolksschauspieler Helmut Qualtinger erinnern können .
In einem Sketch versucht er, seinen Freund davon zuüberzeugen, dass er zur Wahl geht . Er sagt: Du musst zurWahl gehen . – Der Freund sagt: Warum soll ich das dennmachen? – Da sagt er: Bei einer Wahl erfährt der Politi-ker, was das Volk von ihm hält . – Dann sagt der Freund:Was? Und das stört den nicht?
Schauen wir uns einmal das Wahlergebnis von Meck-lenburg-Vorpommern an . Wissen Sie, es gibt einen ek-latanten Unterschied zwischen dem, wie wir hier überdas diskutieren, was wir tun – wir finden das alle groß-artig, wir klopfen uns so sehr auf die Schulter, dass manmanchmal meint, wir bekommen einen Schaden –, unddem, wie es der Bürger wahrnimmt. Offensichtlich sehenes die Bürger anders; sie sehen es gar nicht so positiv . Ichglaube, für das Wahlergebnis ist auch ein Stück weit diereale Lage derer verantwortlich, für die wir uns eigent-lich insbesondere in der Sozialpolitik engagieren . Des-halb ist es schon nötig, dass wir uns ein Stück weit damitbeschäftigen, wie unsere Sozialpolitik real ankommt .Wenn wir die Realität beobachten, dann sehen wir:Zunehmend droht Altersarmut . Wir wissen das, wir dis-kutieren darüber, aber wir haben keine Lösungen, son-dern reden nur .
Die Menschen, die es betrifft, warten auf Lösungen, aberdie kommen nicht . Meine Damen und Herren, die Rentenwurden in diesem Jahr deutlich erhöht – einverstanden!Aber wir wissen, dass das Rentenniveau weiter sinkenwird – das wissen die auch . Und wir diskutieren darüber,ohne entsprechende Lösungen zu bieten .Die Regelsätze im Hartz-Bezug haben wir um 5 Euroerhöht. Das finden die Betroffenen sicherlich klasse, sa-gen: Toll, eine richtig schöne Erhöhung . Auf der anderenSeite wissen wir auch, dass das Vermögen der 500 reichs-ten Deutschen um 8,7 Prozent angestiegen ist . Sie verfü-gen inzwischen über ein Vermögen von 723 MilliardenEuro . Das merken die Menschen . Sie fragen sich nichtnur, wie wir darüber diskutieren, sondern sie fragen sich,was in der Sozialpolitik bei ihnen ankommt .Meine Damen und Herren, 2,5 Millionen Kinder inDeutschland – das entspricht 19 Prozent – waren 2015von Armut betroffen, insbesondere Kinder von Alleiner-ziehenden, meist Frauen, die mit ihrem Geld kaum überdie Runden kommen . Sie hören, dass wir darüber debat-tieren, aber solange sie hier keine Lösungen und keinereale Veränderung ihrer Situation erfahren, ist die Gefahrgroß, dass sie sich weiter von uns, von den Parteien, diehier vertreten sind, abwenden . Deshalb sage ich: Wirmüssen bei diesen Fragen grundsätzlich etwas ändern .Jetzt weiß ich auch, Frau Nahles – ich sehe Sie da gera-de sitzen –, dass Sie vieles ändern wollen, übrigens auchSie von der Sozialdemokratischen Partei, übrigens auchder eine oder andere von der CDU/CSU – das will ichgar nicht leugnen –, aber insgesamt wird deutlich: Einewirkliche, reale Verbesserung der Situation derer, überdie ich jetzt gesprochen habe, haben Sie nicht zustandegebracht . Jetzt können Sie sagen: Sie in der Opposition jaauch nicht . – Richtig, das stimmt . Wir haben tolle Forde-rungen, aber kriegen sie nicht umgesetzt . Vielleicht mussman dann auch einmal über andere Koalitionen nachden-ken, in denen wir diese Forderungen umsetzen können,meine Damen und Herren . Vielleicht ist das eine Lösung .
Meine Damen und Herren, ja, Sie haben den Min-destlohn eingeführt . Wir wissen, dass er zu gering ist .Sie haben auf unsere Anfrage geantwortet, Frau Nahles:11,68 Euro müsste er betragen, damit niemand in Alters-armut landet bzw . niemand eine Rente hat, die unter demSozialhilfesatz liegt . Das wissen wir . Aber wir wissenauch, dass nichts passiert, und das wissen auch die Men-schen .Ewald Schurer
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25 Prozent der Beschäftigten arbeiten im Niedrig-lohnsektor . Ursache dafür waren die sogenannten Ar-beitsmarktreformen, zu denen ich aus aktuellem An-lass etwas sagen muss . Wir haben eine Anfrage an dieBundesregierung gestellt, weil wir wissen wollten, wiees um die Leiharbeit bestellt ist . Die Antwort aus IhremMinisterium, Frau Nahles, ist: Die Zahl der Leiharbei-ter nimmt zu und liegt inzwischen auf Rekordniveau .961 000 Menschen sind aktuell in Leiharbeit beschäftigt,100 000 Menschen mehr als 2013 . Das Einkommen de-rer beträgt im Schnitt 1 700 Euro, normale Beschäftigteverdienen 2 960 Euro . Das ist ein Minus von 1 260 Eurogegenüber einem normalen Beschäftigten .
Seit ich im Bundestag sitze, also seit zwölf Jahren,diskutieren wir über das Thema Leiharbeit . Wir habenes in zwölf Jahren nicht hinbekommen, ein ordentlichesGesetz zu verabschieden, damit gilt: Gleicher Lohn fürgleiche Arbeit . Das ist ein Skandal . Wir müssen nicht aufdie AfD zeigen, auf uns müssen wir zeigen, weil wir esnicht hinbekommen haben, und mit Ihrem Gesetz, FrauNahles, bekommen Sie es auch nicht hin .
75 Prozent derer, die in Leiharbeit beschäftigt sind,sind weniger als neun Monate im selben Betrieb, dasheißt, nur 25 Prozent sind über neun Monate im selbenBetrieb . Jetzt wollen Sie ein Gesetz verabschieden, dasvorsieht, dass ab neun Monaten gleicher Lohn für gleicheArbeit gezahlt werden soll, bei entsprechenden Tarifver-trägen gegebenenfalls erst später . Das heißt, dass diesesGesetz wieder an 75 Prozent der Betroffenen total vor-beigeht . Warum machen wir es nicht wie in Frankreich?Dort gilt: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ab der erstenStunde plus einem Flexibilitätszuschlag . Dann gibt esauch weniger Leiharbeit, Frau Nahles, dann haben Siedas Problem in dieser Form nicht mehr .
Wenn Sie es mit Ihren Leuten nicht hinbekommen: Wirstimmen zu, wenn Sie einen solchen Vorschlag machen;die Grünen wahrscheinlich auch .Meine Damen und Herren, was Sie hier vorlegen, be-deutet in einem Punkt sogar eine massive Verschlechte-rung – Sie wissen das –, und zwar bei den Werkverträ-gen . Bisher konnte jemand, der einen Werkvertrag hat,wenigstens klagen, wenn er Zweifel hatte, ob das alles sorichtig ist, was er bisher hat . Künftig soll durch eine Er-klärung des Arbeitnehmers in einem solchen Arbeitsver-hältnis ausgeschlossen werden, dass er seinen Arbeitge-ber dazu zwingen kann, ihn ordentlich einzustellen . AlleArbeitsrechtsexperten sagen uns, dass wir recht haben,und ich weiß, dass auch Sie es wissen, Frau Nahles, jetzttun Sie doch nicht so . Die Experten haben recht . Trotz-dem bleiben Sie bei Ihrer Haltung .Ich komme zum Schluss .
Wenn wir die Probleme, die es in unserem Land gibt,nicht wirklich angehen, dann werden wir in die Situationgeraten, dass sich die Menschen noch weiter von uns ab-wenden, und das will hier keiner . Ich nehme niemandenso wenig wichtig, dass ich ihm nicht abnehme, dass eretwas ändern will . Aber wenn es uns nicht gelingt, die re-ale Situation zu verändern, sondern wir weiterhin immernur Erklärungen abgeben – was die Rente angeht, wasdie sozialen Zustände für Frauen und Alleinerziehen-de angeht –, dann haben wir mit der Wahl in Mecklen-burg-Vorpommern noch nicht das Ende der Fahnenstan-ge erreicht. Ich hoffe, dass uns anderes und mehr erspartbleibt .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Stephan
Stracke von der CDU/CSU das Wort .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnenund Kollegen! Gute Arbeitsmarktpolitik ist gute Sozi-alpolitik . Klaus Ernst hat hier ein Zerrbild der Realitätgezeichnet . Das ist Ausdruck der Politik der Linken, hiermeistens das darzustellen, was Populismus vermeintlichauslöst . Aber tatsächlich ist die Realität in diesem Landeine ganz andere . Der Haushalt des Bundesarbeitsminis-teriums steht dafür . Er steht für den sozialen Zusammen-halt unserer Gesellschaft . Der Grund hierfür ist eine guteArbeitsmarktlage .Der Arbeitsmarkt ist robust, und davon profitierenvor allem diejenigen, die es oftmals deutlich schwererauf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt haben: das sinddie Langzeitarbeitslosen, die Älteren, die Personen mitHandicap, und zwar überproportional . Deswegen ist esgut, dass wir eine so gute Arbeitsmarktpolitik machen .Es profitieren vor allem diejenigen, die aus dem Erwerbs-leben schon ausgeschieden sind, weil sie Rentnerinnenund Rentner sind . Jetzt haben wir die höchste Rentener-höhung seit über 20 Jahren . Das zeigt: Was wir als GroßeKoalition tun, ist die beste Sozialpolitik .
Dass eine solche Arbeitsmarktlage alles andere als einSelbstläufer ist, ist selbstverständlich . Deswegen müssenwir darauf achten, dass die Entwicklung so bleibt, wiesie ist .Der Mindestlohn wird zum 1 . Januar 2017 zum erstenMal erhöht . Er wird festgelegt durch die Mindestlohn-kommission, nicht durch die Politik, sondern durch dieTarifvertragsparteien . Das ist gut und richtig . Wir stehenfür einen angemessenen Mindestschutz für die Arbeit-nehmer, für faire und funktionierende Wettbewerbsbe-dingungen, und eben auch für einen Mindestlohn, derBeschäftigung nicht gefährdet – bei all diesen Diskussio-nen muss man das mit in den Blick nehmen . Die Evalua-tion steht noch aus, und wir haben noch viele Baustellen,Klaus Ernst
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gerade im Mindestlohnbereich . Vieles wurde angekün-digt, allerdings noch nicht umgesetzt: rechtssichere undverlässliche Lösungen für ehrenamtlich Tätige, Arbeit-geberhaftung und Erleichterungen bei den Dokumenta-tionspflichten.Wir haben uns jetzt eine Regulierung der Zeitarbeitund der Werkverträge vorgenommen . Nach langem undzähem Ringen liegt jetzt ein Kabinettsentwurf vor . Wirhaben von Anfang an deutlich gemacht, wogegen sichunsere Einwände richten . Ich glaube, bei dem ThemaWerkverträge haben wir jetzt eine Lösung gefunden, diedie Innovationskraft unserer Betriebe nicht gefährdet .Allerdings werden natürlich neue Brüche im Bereichder Zeitarbeit entstehen, gerade wenn es um die Höchst-überlassung und den Grundsatz „Gleicher Lohn für glei-che Arbeit“ geht . Ich kann nicht nachvollziehen, dass esAusdruck einer vernünftigen Arbeitsmarktpolitik seinsoll, dass gerade Experten, die 18 Monate oder, wenn dieTarifvertragsparteien sich auf weitere Öffnungen einigen,länger als Zeitarbeiter arbeiten, zu den Verlierern zählensollen . Wir brauchen sicherlich rechtssichere und büro-kratiearme Definitionen, insbesondere angesichts desGrundsatzes „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ . Sank-tionen sind natürlich richtig, auch was die Missbrauchs-bekämpfung bei der Zeitarbeit angeht; aber auch da gilt:Die Balance muss stimmen . Wir müssen darauf achten,dass es nicht zu einem Übermaß an Sanktionen kommt .Ich hoffe auf ideologiefreie Diskussionen.
Zur Entgeltgleichheit: Wir wollen den gleichen Lohnfür gleiche Arbeit von Frauen und Männern . Aber auchhier gilt: Weitere Bürokratie und Unfrieden in den Betrie-ben sind nicht der richtige Weg . Deswegen bin ich dank-bar, dass die Familienministerin jetzt endlich erkannt hat,dass man das Gespräch mit den Tarifvertragsparteien su-chen sollte, um zu einvernehmlichen Lösungen in diesemBereich zu kommen .Wir haben im letzten Jahr die größte Migrationswelleseit dem Zweiten Weltkrieg erlebt . Tausende Menschenkamen zu uns und drängen jetzt allmählich auf den Ar-beitsmarkt . Allerdings steigt die Zahl der Arbeitslosenunter den Flüchtlingen leider schneller als die der Be-schäftigten . Die Bundesagentur rechnet damit, dass350 000 Flüchtlinge in diesem Jahr in das Hartz-IV-Sys-tem gelangen . Integration dauert lange und kostet vielGeld . Klar ist jetzt auch: Die Flüchtlinge sind nicht dieLösung des Fachkräftemangels . Wir stellen uns dieserAufgabe . Wir haben von Anfang an die Stellschraubenrichtig gesetzt: Spracherwerb ist ganz zentral, ebensoKompetenzerwerb, praktische Arbeitserprobung und in-tensive Beratung und Begleitung . Dabei sind wir jetztdeutlich besser aufgestellt als noch vor einem Jahr . Wirsollten unser Augenmerk auch verstärkt darauf richten,wie es mit der Beschäftigung von Frauen aussieht, geradebei den Migrantinnen und Flüchtlingen .Mit dem Integrationsgesetz haben wir die Rahmen-bedingungen nochmals deutlich verbessert . Wir unter-breiten eine Vielzahl von Angeboten, geben aber auchAnreize . Wir haben das Angebot an Integrations- undSprachkursen erheblich ausgeweitet, die Ausbildungs-förderung wird erleichtert und vieles mehr . Wer sich an-strengt, wer durch Spracherwerb und Arbeit seinen Bei-trag zur Integration leistet, der hat in diesem Land alleChancen, insbesondere die Chance zum Einstieg in dieseGesellschaft . Umgekehrt gilt aber auch: Derjenige, derseine Integrationsmaßnahmen abbricht, der seine Mit-wirkungspflichten verletzt, der muss mit Sanktionen, mitLeistungskürzungen rechnen . Wir setzen das Prinzip desFörderns und Forderns sehr konsequent um .Wir wollen vor allem kein Gegeneinander und auchkein Nebeneinander von gesellschaftlichen Gruppen .Deswegen haben wir die Wohnsitzauflage eingeführt.Bayern setzt diese als eines der ersten Bundesländer um .Wir wollen nämlich keine Parallelgesellschaften . DieMenschen sollen nach besten Kräften versuchen, dort,wo sie leben, eine Arbeit aufzunehmen . Die Wohnsitz-auflage wird auch kein Hindernis für den Arbeitsmarktsein; denn der Wohnsitz folgt der Arbeitsstelle .Der Freistaat Bayern hat sich hier besonders gut auf-gestellt . Fördern und Fordern ist unsere Philosophie imUmgang mit Migranten und Flüchtlingen . Der Blicknach Bayern kann hier einmal mehr als Vorbild dienen .
Die Initiative, die die Bayerische Staatsregierung zu-sammen mit der bayerischen Wirtschaft und der Regio-naldirektion Bayern gestartet hat, ist ein Erfolgsmodell .24 000 Flüchtlinge sind bereits jetzt in Praktika, Ausbil-dung und Arbeit . Das Ziel war an sich, bis Ende 2016 dieZahl 20 000 zu erreichen . Wir liegen schon jetzt deutlichdarüber .
Das zeigt: Diese Initiative ist richtig, und wir sind in die-sem Bereich auf dem richtigen Weg .Allerdings will ich nicht geringschätzen: Wenn mansich die Zahlen ansieht, stellt man fest, dass die über-große Zahl derjenigen, die sich im Arbeitsleben inte-griert hat, im Helferbereich zu finden ist, gerade in denBereichen Gastronomie, Hotellerie und Logistik . Deswe-gen ist klar, dass Flüchtlinge jedenfalls kurzfristig keineLösung im Hinblick auf die Arbeitsmarktintegration vonHochqualifizierten sein können. Die Zuwanderung mussbegrenzt werden, schon alleine aufgrund der Aufnahme-fähigkeit unseres Arbeitsmarktes . Es darf keine neuenPull-Faktoren und keine Wiederholung unkontrollierterZuwanderung wie im Jahre 2015 geben .Dabei dürfen wir nicht nur die Migration aus Drittstaa-ten, sondern müssen auch die innereuropäische Migra-tion in den Blick nehmen, also die Migrantinnen undMigranten, die aus europäischen Staaten nach Deutsch-land kommen . Sie ist nämlich nicht zu unterschätzen .Freizügigkeit in Europa ist ein hohes Gut .
Aber wir müssen aufpassen, dass keine Einwanderungin unsere sozialen Sicherungssysteme stattfindet. Sozi-alleistungen zu ersitzen, ist der falsche Weg . DeswegenStephan Stracke
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müssen wir die Rechtsprechung des Bundessozialge-richts auf dem schnellsten Wege korrigieren .
Frau Nahles hat als Bundesarbeitsministerin bereitsEnde 2015 Korrekturen angekündigt . Diese stehen im-mer noch aus . Reine Ankündigungen beeindrucken aberkeinen Sozialrichter . Die Rechtsprechung des Bundesso-zialgerichts verfestigt sich von Tag zu Tag . Dies müssenwir folgerichtig verändern .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Men-schen in unserem Land sind, glaube ich, gegen die zen-tralen Lebensrisiken sehr gut abgesichert . Wir gebenjeden zweiten Euro aus dem Bundeshaushalt für die so-ziale Sicherung aus – ein unglaublicher Betrag . Der So-zialstaat in Deutschland funktioniert, insbesondere wasdas Ausmaß der Umverteilung angeht . Wenn beispiels-weise ein Viertel der Reichsten zu über 60, 70 Prozentder Einkommensteuereinnahmen beitragen, dann zeigtdies beispielhaft, wie gut die Umverteilung in diesemLand funktioniert . Da braucht es keinen Schaum vor demMund . Wir können feststellen: Der Sozialstaat funktio-niert . Aber er kommt auch an seine Grenzen . Wir solltendie Lasten für diejenigen, die ihn tragen und erwirtschaf-ten, nicht überdehnen .Deswegen spielt auch die Rentendebatte eine so wich-tige Rolle . Hier dürfen wir nichts über das Knie brechen .Vor allem besteht kein Anlass für eine Generalrevisionder Rentenpolitik . Unser Ziel ist vor allem, dafür zu sor-gen, dass diejenigen, die ihr Leben lang gearbeitet haben,im Alter eine Lebensstandardsicherung haben . Dafürwerden wir auch in Zukunft entsprechende Vorschlägevorlegen. Die Altersvorsorgepflicht für Selbstständige,der Erwerbsminderungsschutz und vieles mehr stehenhier im Vordergrund . Ich glaube, diese Diskussion zeigt:Wir können stolz auf das sein, was diese Große Koalitionunter Unionsführung in den letzten Jahren erreicht hat .Auf diesem Weg werden wir weitermachen .Herzliches Dankeschön .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Corinna
Rüffer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Herr Stracke, ich fange vielleicht soan: Wenn die Töne aus Bayern in Zukunft ein bisschenmoderater und weniger populistisch wären – im Momentist das echt unerträglich –, dann würden wir alle Ihnenwieder lieber zuhören; davon bin ich überzeugt .
Damit bin ich auch schon beim Thema; denn dieserHaushalt – da findet ja nur noch Wahlkampf statt in die-sen Zeiten –
steht wahrlich unter besonderen Vorzeichen . Hier erlebenwir, dass das verheerende Ergebnis der Landtagswahl inMecklenburg-Vorpommern zu noch übleren Scharmüt-zeln innerhalb der Großen Koalition führt . Deswegenhabe ich Sie gerade angesprochen .Es finde es unverantwortlich, wenn hier versucht wird,die Wahlerfolge der AfD mit der Flüchtlingspolitik zu er-klären. Die Aufnahme der vielen Geflüchteten im letztenJahr war weder falsch, noch überfordert sie uns . Sie warmenschlich dringend geboten . Und was wäre die Alterna-tive gewesen? Die Menschen im Dreck verrecken lassen?Die AfD hat es geschafft, mit nationalistisch-rassisti-schen Forderungen den Frust vieler Menschen für ihreZwecke zu instrumentalisieren . Aber jetzt mal ehrlich:Das Potenzial rechtspopulistischer Wähler gibt es dochschon lange, viel länger als die sogenannte Flüchtlings-krise . Das sind nämlich jene, die sich schon längst vonden etablierten Parteien und unserem demokratischenSystem verabschiedet haben . Sie sind an vielen Wahl-sonntagen schlicht und ergreifend zu Hause geblieben,oder sie haben ihre Stimmzettel ungültig gemacht, odersie haben die NPD oder andere Splitterparteien gewählt .In Mecklenburg-Vorpommern lässt sich das auch gutsehen, wenn man einmal hineinschaut: Die Wahlbeteili-gung ist um 10 Prozent gestiegen . So etwas kennen wireigentlich gar nicht mehr . Die Wahlbeteiligung sinkt jaeigentlich immer . 55 000 von ihnen sind zur AfD gegan-gen . Sie hat am meisten bei den Nichtwählern geholt .Das muss uns doch allen zu denken geben . Die Ero-sion der demokratischen Parteien schreitet seit langemmunter voran, ganz unabhängig von den Geflüchteten.Aber diese bieten sich – wie immer schon in der Ge-schichte – wie alle Minderheiten und Schutzlosen wun-derbar als Sündenböcke an .Vor allem an Teile der Union, aber auch die Sozialde-mokratie gerichtet, sage ich: Hört auf damit, aus takti-schen Gründen das Geschäft der AfD zu verrichten .
Wir brauchen keine Obergrenzen . Und der Satz: „Wirschaffen das“ war keineswegs naiv, sondern ohne Alter-native . Aber er muss Konsequenzen haben . Es brauchtEngagement, und es braucht auch Geld, und hier kommeich zu dem Problem dieses Haushalts .Die Menschen in diesem Land erwarten von ihrer Re-gierung zu Recht, dass sie gestaltet, Gräben überwindetund den sozialen Zusammenhalt stärkt . Sie machen dasGegenteil . Sie verwalten nur den Status quo, und das istein richtig großes Problem;
Stephan Stracke
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denn so versöhnen Sie nicht, sondern Sie spalten weiter .Gestern habe ich viele Reden in diesem Hohen Hausgehört . In vielen dieser Reden kam das Wort „Bundesteil-habegesetz“ vor . Schöne Sätze haben Sie gesprochen:Wir werden die Rechte von Menschen mit Behinderungstärken . Oder: Mit dem Bundesteilhabegesetz werde derParadigmenwechsel von der Fürsorge zur Teilhabe voll-zogen . Und so weiter .Wenn Sie tatsächlich daran glauben, muss ich Ihnenleider mitteilen, dass Sie mit dieser Einschätzung mitt-lerweile ziemlich allein dastehen . Seit Monaten brodeltder Protest, nicht nur in Berlin, sondern an vielen Ortenin dieser Republik . Vielleicht erinnern sich manche anden Mai dieses Jahres, als ganz viele Rollifahrer sich hieram Reichstagufer angekettet haben, um zu protestierengegen ein Gesetz, das für sie keinerlei Verbesserungengebracht hat .Aber all das ist gegenüber dem, was wir jetzt mit demBundesteilhabegesetz erleben, kalter Kaffee. Die Men-schen wissen das . Deshalb ist der Gegenwind so groß,und der Protest wird weiter zunehmen . Warum? Sie ha-ben keinen Entwurf für ein Teilhabegesetz vorgelegt,sondern ein Spargesetz, eine Mogelpackung, auf die Sie„Inklusion“ geschrieben haben . Genau da liegt der Hundbegraben . Deshalb laufen behinderte Menschen Sturm .Und – schon mitbekommen? – jetzt steht auch nochHerr Seehofer an ihrer Seite – ich zitiere –: Er werde dasMenschenmögliche tun, was in bayerischer Macht liegt,um das Gesetz zu verbessern und Verschlechterungen ge-genüber der geltenden Rechtslage zu verhindern . – Dassollte Ihnen bitte zu denken geben .Ich möchte an dieser Stelle kurz aufzeigen, was ei-gentlich passieren wird . Es werden zukünftig wenigerMenschen Unterstützung bekommen . Nur wer in min-destens fünf von neun Lebensbereichen Unterstützungbraucht, soll sie auch bekommen . Warum fünf? Warumnicht vier oder sechs oder ein Lebensbereich?
Das haben Sie bisher nicht geklärt . Selbst Herr Schummer,der behindertenpolitische Sprecher der Union – den habeich vor zwei Wochen beim LVR in Köln getroffen –, hatdiese Frage gestellt und gesagt: Ich verstehe nicht: Wa-rum fünf Kriterien, warum nicht eine andere Zahl? Wa-rum überhaupt diese Kriterien? – Selbst Herr Schummer,der behindertenpolitische Sprecher der Union, verstehtnicht, was da gemacht wird . Aber da kann und will ichan dieser Stelle nicht ins Detail gehen . Das wäre zu tech-nisch .Reden wir besser darüber, was diese Regelung, wennsie in Kraft treten würde, für die Menschen bedeutet .Nehmen wir beispielshaft den psychisch erkrankten33-jährigen Mann . Er kann sich theoretisch natürlich wa-schen und auch einen Staubsauger bedienen, um seineWohnung sauber zu halten . Er tut es aber nicht . Er könntemobil sein, kommunizieren, lernen und sich selbst ver-sorgen, natürlich, aber er tut es nicht . Also bekommt erkeine Unterstützung mehr . Was passiert? Seine Wohnungwird verlottern, er wird sich nicht mehr waschen, er wirdKonflikte haben – vielleicht auch in der Nachbarschaft –,und irgendwann wird er womöglich auf der Straße lan-den . Sie können sich das ausmalen . Wahrscheinlich ken-nen alle hier Menschen, die diese Probleme haben .Vielleicht kann er dem entgehen, indem er sich selbstso darstellt, als könne er sehr wenig . Er kann versuchen,nachzuweisen, warum er in möglichst vielen Lebensbe-reichen unfähig ist . Ist es das, was Sie wollen? Ich glaubenicht, dass es das ist, was wir alle wollen . Wir wollenmehr Teilhabe, und deswegen muss das Gesetz an dieserStelle verändert werden .
Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele, hat auf ihrer Facebook-Seite geschrie-ben, dass sie sich ein aktives Parlament wünscht . Für un-sere Seite kann ich sagen: Wir wollen das sein . Wir wol-len gemeinsam mit Ihnen diesen Entwurf an ganz vielenStellen verbessern, damit dieses Gesetz am Ende seinenNamen verdient, Teilhabe ermöglicht wird und wir alsGesellschaft ein Stück vorankommen .Ich sage Ihnen auch: Das gibt es nicht umsonst, unddeswegen müssen wir das hier in den Haushaltsberatun-gen auch diskutieren .
Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht Ralf
Kapschack von der SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Verehrte Zuschauer! Es würde mich reizen, jetzt auf dasThema Bundesteilhabegesetz einzugehen, aber ich habeeinen anderen Punkt anzusprechen . Ich will nur so vieldazu sagen: Es gilt das Struck’sche Gesetz: Kein Gesetzverlässt dieses Parlament so, wie es hineingekommen ist .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon mehr-fach angesprochen worden: In diesen Tagen und Wochenist sehr viel die Rede von Glaubwürdigkeit . Glaubwür-digkeit heißt, zu sagen, was man tut, und zu tun, was mansagt . Dafür steht diese Arbeitsministerin .Die deutsche Wirtschaft boomt, die Zahl der sozialver-sicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse steigt.Das ist gut so; denn davon profitieren viele – auch derStaat, der Finanzminister und vor allem die Sozialkassen .Von der guten Konjunktur hat eine Gruppe aber nurwenig . Die Zahl der Langzeitarbeitslosen bewegt sichCorinna Rüffer
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nämlich seit Jahren kaum . Als langzeitarbeitslos gilt, werlänger als ein Jahr arbeitslos ist . Viele sind es aber schonzwei, drei oder vier Jahre .Die Bundesarbeitsministerin hat im vergangenen Jahrzwei Programme auf den Weg gebracht, die sich diesemProblem sehr unterschiedlich nähern . Zum einen ist dasESF-Programm zur Eingliederung von Langzeitarbeits-losen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu nennen . Ins-gesamt stehen hier Mittel für 33 000 Plätze zur Verfü-gung . Die bisherigen Anmeldungen zeigen: Da ist nochLuft nach oben . Daneben gibt es das Programm „SozialeTeilhabe am Arbeitsmarkt“ mit 10 000 Plätzen für be-sonders arbeitsmarktferne Erwerbsfähige . Das wird gutangenommen, und deshalb ist es auch richtig, dass wirdieses Programm ausweiten .
Die bisherigen Instrumente reichen aber nicht aus, umdie Langzeitarbeitslosigkeit nachhaltig zu bekämpfen .Wir brauchen neue Wege, um die Langzeitarbeitslosig-keit in den Griff zu bekommen. Das notwendige Geld istzum großen Teil da .Die Mittel, die an Langzeitarbeitslose gezahlt werden,sollten besser für die Eingliederung in den Arbeitsmarktgenutzt werden . Regelleistungen und das Geld für dieKosten der Unterkunft sollten eingesetzt werden, umArbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. „Passiv-Ak-tiv-Tausch“ ist der Schlüsselbegriff dafür.Bislang verhindert der Finanzminister das notwendigeUmlenken der vorhandenen Gelder .
Dabei ist die Forderung gar nicht neu . Sie wird von Ge-werkschaften, den Kirchen und Sozialverbänden seit Jah-ren erhoben . Diese Forderung ist richtig . Wir unterstüt-zen sie ausdrücklich .
Auch bei den Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikernunseres Koalitionspartners gibt es deutliche Sympathiedafür . Die Kolleginnen Eckenbach und Schmidt und dieKollegen Weiß, Zimmer, Pätzold und Whittaker habenvor einiger Zeit ein Papier dazu vorgelegt, und ich musssagen: Das Papier ist nicht schlecht .
– Na ja, in diesen Tenor will ich jetzt nicht einstimmen . –In ihrem Papier wird nämlich sehr plausibel dargelegt,wie die vorhandenen Mittel sinnvoll und konzentrierteingesetzt werden können, um denen eine Chance zu ge-ben, die diese Chance ohne eine zusätzliche Förderungund ohne intensive Betreuung auf Dauer nicht hätten . Ichzitiere:Wir sprechen uns vor diesem Hintergrund dafüraus, zunächst . . . in einem Modellprojekt Erfahrun-gen mit dem Einsatz des Passiv-Aktiv-Transfers zusammeln .
Dann lassen Sie uns das doch endlich machen .
Die CDU im Ruhrgebiet – Frau Eckenbach wird sichdaran erinnern – hat zusammen mit uns und den Grünenim November vergangenen Jahres eine ähnliche Forde-rung erhoben . Lassen Sie uns nicht immer neue Papiereschreiben . Lassen Sie uns endlich handeln .
Ich zitiere noch einmal aus dem Papier der geschätz-ten Kollegen der CDU/CSU-Fraktion .
– Warten Sie doch erst einmal ab .
Also, das Zitat lautet – ich bitte um Aufmerksamkeit, dasist sehr interessant –:Dem christlichen Menschenbild entsprechend darfniemand dauerhaft von sozialer Teilhabe ausge-schlossen werden .
Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung leisteteinen elementaren Beitrag zur Stärkung der sozialenTeilhabe .
Wir fordern deshalb, neue Wege zu erproben, durchwelche die Chance auf soziale Teilhabe für Personenmit mehrfachen Vermittlungshemmnissen erhöhtwird . Kein Mensch darf zurückgelassen werden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,überzeugen Sie den Bundesfinanzminister, dass er seineBlockade aufgibt,
damit wir zumindest mit ein paar Modellprojekten star-ten können. Das wäre gut für die betroffenen Menschen.Das wäre gut für unser Land . Und das wäre gut für dieGlaubwürdigkeit der Politik .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Ralf Kapschack
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Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Mark Helfrich
das Wort .
Ich möchte ihm, sicherlich auch im Namen aller Kol-
leginnen und Kollegen, zu seinem Geburtstag ganz herz-
lich gratulieren, den er heute feiert .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will hoffen, dassdas nicht der einzige Applaus in meiner Rede bleibt .
Trotzdem hat er gutgetan . Herzlichen Dank .
An gute Nachrichten im Bereich der Arbeitsmarkt- undSozialpolitik haben wir uns längst gewöhnt . Deutschlandgeht es gut. Die Arbeitslosigkeit befindet sich auf demniedrigsten Stand seit 1991 . Die Zahl der Erwerbstä-tigen ist auf Rekordniveau gestiegen . Dank der hohenErwerbsquote fließt über die Sozialbeiträge der Arbeit-nehmer und Arbeitgeber viel frisches Geld in unsere So-zialversicherungssysteme .An diese guten Nachrichten haben wir uns so sehr ge-wöhnt, dass wir mitunter vergessen, was die Ursachensind: eine zukunftsorientierte, vorausschauende Wirt-schafts- und Finanzpolitik, eine Politik, die auf Wachs-tum und auf sparsames Haushalten und weniger auf Um-verteilung ausgerichtet ist . Die unter Gerhard Schrödermit der Agenda 2010 eingeleiteten Reformen sind eben-so eine Ursache für unsere gute Arbeitsmarkt- und Wirt-schaftslage,
auch wenn so manch einer selbst nach zehn Jahren damitnoch nicht seinen Frieden gemacht hat .Wir haben uns so sehr an die guten Nachrichten ge-wöhnt, dass wir manchmal die Augen davor verschlie-ßen, welchen gewaltigen politischen Herausforderungenwir gegenüberstehen . Sie werden irgendwann einmal mitschlechteren Nachrichten einhergehen .Im vergangenen Herbst – wir alle erinnern uns andiese Zeit – kamen täglich bis zu 10 000 Flüchtlinge inDeutschland an . Damals haben Wirtschaftsgrößen als po-sitiven Nebeneffekt der Flüchtlingskrise vorschnell denZuzug Hunderttausender Fachkräfte gesehen und vomneuen deutschen Wirtschaftswunder geträumt . Gut einDreivierteljahr später haben die 30 größten deutschenUnternehmen gerade einmal 54 Flüchtlinge eingestellt .Lediglich 30 000 Flüchtlinge haben nach Auskunftder BA seit dem Frühjahr des vergangenen Jahres einenJob gefunden, vorwiegend im Helferbereich . Das hatseinen Grund . Inzwischen wissen wir, dass 75 Prozentder Geflüchteten keine formale Berufsausbildung vor-weisen können und ein Viertel keinen Schulabschlusshat . Es ist also wahrlich nicht überraschend, dass dieZahl der arbeitslosen Flüchtlinge derzeit kontinuierlichsteigt . Das niedrige Bildungsniveau, kaum vorhandeneDeutschkenntnisse und unrealistische Vorstellungen vomdeutschen Arbeitsmarkt werden für viele Migranten zueinem Hindernis für die Integration in den Arbeitsmarktund damit auch für die Integration in unsere Gesellschaft .Auch die aus Sicht der Zuwanderer auskömmlichenTransferleistungen sind eine Integrationsbremse . Da-rauf weisen Migrationsforscher immer wieder hin . DieArbeitslosenquote wird deshalb im nächsten Jahr zumersten Mal seit 2013 wieder steigen . In den nächsten drei-einhalb Jahren wird sich nach Berechnungen der Bun-desregierung die Zahl der Erwerbslosen um eine halbeMillion Flüchtlinge erhöhen . Das ist ein Anstieg, der sichin Zeiten positiver Konjunkturentwicklung noch verhält-nismäßig gut bewältigen lässt . Gerät unsere Wirtschaftaber ins Stocken, wird es ungleich schwerer, hier Erfolgezu erzielen .Deshalb müssen wir die Mammutaufgabe der Integra-tion der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zügig angehen .Fakt ist: Dies wird nur nach dem Prinzip des Fördernsund Forderns gelingen . Mit dem Integrationsgesetz sinddie notwendigen Voraussetzungen geschaffen. Es siehtverpflichtende Sprach- und Integrationskurse vor und be-legt diejenigen mit Sanktionen, die sich verweigern .Mit dem neu aufgelegten Programm zur Schaffungvon 100 000 Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge, zuUnrecht als 80-Cent-Jobs diffamiert, können Asylbewer-ber während der Zeit des Wartens eine sinnvolle Beschäf-tigung ausüben . Im besten Fall ist diese Beschäftigungauch für die weitere Qualifizierung in Deutschland nütz-lich .
Dafür setzen wir richtig Geld ein: in den kommendendrei Jahren rund 1 Milliarde Euro, und im nächsten Jahrsind dafür 300 Millionen Euro im Haushalt veranschlagt .Die Sprachförderung bleibt das A und O für eine aus-sichtsreiche Integration . Deshalb haben wir die berufsbe-zogene Sprachförderung als Regelinstrument im SGB IIdauerhaft etabliert . Dieses dient der Vorbereitung derFlüchtlinge auf den Arbeitsmarkt . Ab dem nächsten Jahrwird es jährlich 200 000 Plätze für die berufsbezogeneSprachförderung geben .Sehr verehrte Damen und Herren, um es mit denWorten des BA-Vorstandsmitglieds Raimund Becker zusagen: Es gibt weder Grund für Pessimismus, noch gibtes Anlass zu übertriebenen Hoffnungen. Aber mit Realis-mus lässt sich sagen, dass aus dem Flüchtling von heutenicht die Fachkraft von morgen, aber mit Glück die vonübermorgen wird .
Klar ist: Wenn es uns nicht gelingt, die Flüchtlinge inLohn und Brot zu bringen, dann ist das Sprengstoff für
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unsere sozialen Sicherungssysteme und für unsere Ge-sellschaft .Die Flüchtlingsdiskussion darf nicht davon ablenken,dass schon länger Probleme mit Langzeitarbeitslosen ausanderen Herkunftsländern bestehen . Immer noch gibt esmehr Hartz-IV-Empfänger mit einem türkischen als miteinem syrischen Pass . Immer noch gibt es mehr Bulga-ren und Rumänen, die von Hartz IV leben müssen, alsFlüchtlinge aus Eritrea .Gut jeder vierte Hartz-IV-Bezieher hat einen ausländi-schen Pass. Sie müssen genauso in die Pflicht genommenund gefördert werden wie die deutschen Arbeitslosenauch .In diesem Zusammenhang ist es wichtig, liebe Kol-leginnen und Kollegen, dass wir den Ausschluss vonAnsprüchen auf Hartz-IV-Leistungen für EU-Ausländerzügig gesetzlich festlegen . Das BMAS hat dazu einensehr guten Gesetzentwurf vorgelegt, und es ist dringendgeboten, dass wir diesen Gesetzentwurf verabschieden .
Wenn wir diese Klarstellung versäumen, tragen wirdazu bei, dass die Akzeptanz für Zuwanderung – vonEU-Bürgern wie im Übrigen auch von schutzsuchendenFlüchtlingen – in unserem Land leidet .
Was haben Finnland, Dänemark, die Niederlande,Großbritannien, Irland, Portugal, Italien, Griechenland,Zypern und die Tschechische Republik gemeinsam?
– Falsch . – Sie alle haben Rentenreformen beschlossen,die das gesetzliche Renteneintrittsalter über das 67 . Le-bensjahr hinausschieben . Wirklich eine bekloppte Idee,Herr Gabriel? Nein, natürlich nicht .
Wir müssen der Tatsache Rechnung tragen, dass sichauch in Deutschland das zahlenmäßige Verhältnis zwi-schen Beschäftigten und Rentnern zukünftig ungünstigentwickeln wird .
Immer mehr Ruheständler stehen immer weniger Bei-tragszahlern gegenüber . Die Menschen leben länger, undsie werden dementsprechend auch länger Rente bezie-hen . Bereits jetzt ist klar, dass die Ausgaben des Bundesfür die Renten in den nächsten Jahren zu einem Problemwerden .
Bis zum Jahr 2020 steigt der Zuschussbedarf auf annä-hernd 100 Milliarden Euro jährlich .Vor diesem Hintergrund gibt es drei Möglichkeiten:ein weiterhin sinkendes Rentenniveau, stetig steigendeBeiträge oder eine höhere, an die Lebenserwartung ge-koppelte Lebensarbeitszeit . Wichtig ist doch, dass dieRente für die Beitragszahler bezahlbar bleibt . Ein an dieLebenserwartung gekoppeltes Renteneintrittsalter kanndabei helfen .
Wenn die Bundesbank jetzt Langzeitberechnungen bis2060 anstellt und eine Rente mit 69 fordert, dann ist dasnach meinem Verständnis keine Panikmache . Vielmehrist das eine seriöse Vorbereitung auf die sozialpolitischenHerausforderungen der Zukunft. Die demografische Ent-wicklung kann man nicht wegreformieren . Sie ist plan-bar . Sie zu ignorieren, wäre fahrlässig .
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsamdie Herausforderung angehen . Lassen Sie uns dabei neueWege beschreiten . Die vor uns liegenden Aufgaben – dasist klar – fordern uns . Sie dürfen uns nicht überfordern .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Waltraud
Wolff von der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurzauf die Kollegin Rüffer eingehen. Frau Kollegin Rüffer,das Bundesteilhabegesetz wird – Punkt eins – erst imHerbst eingebracht werden . Punkt zwei: Dabei handeltes sich um das Gesetz in der Bundesrepublik, welches,wenn man in die Vergangenheit zurückschaut, bisher diegrößte Beteiligung überhaupt gehabt hat . Wir haben inder letzten Legislaturperiode damit angefangen . Ich musssagen: Ich finde es unlauter, bevor überhaupt ein Gesetzeingebracht ist, von hier vorne aus Unruhe zu stiften . Dasfinde ich nicht gut.
Arbeiten Sie lieber an Verbesserungen, die Sie gernewünschen, mit, wenn das Gesetz eingebracht worden ist .
Meine Damen und Herren, es geht um Rente, Arbeits-markt, Mindestlohn, Integration und Teilhabe am gesell-schaftlichen Leben . Dazu nenne ich hier einmal explizitdie Unterstützung der Alleinerziehenden . Hier wollenwir einen Umgangsmehrbedarf einbringen, sodass sichMark Helfrich
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in der Zukunft beide Elternteile besser um ihre Kinderkümmern können .
Die Punkte, die ich eben genannt habe, meine Damenund Herren, sind die Schwerpunkte im Haushalt für Ar-beit und Soziales . Und die tragen – das sage ich vollerStolz – eine sozialdemokratische Handschrift . Vielenherzlichen Dank dafür .
Ich greife einmal explizit den Bereich Rentenversi-cherung, Grundsicherung im Alter und Erwerbsminde-rungsrente heraus . Hier gibt es ein Plus von 8,7 Milli-arden Euro . Auch das trägt einen sozialdemokratischenStempel .
Leider fehlt uns ein wichtiger Punkt . Ich frage mich,weshalb noch immer die Angleichung der Ostrenten andie Westrenten außen vor bleibt . Meine Damen und Her-ren, wann denn, wenn nicht jetzt? Und wer denn, wennnicht wir in dieser Großen Koalition können es schaffen,hier Änderungen hinzubringen?
Ich habe der Rede des Finanzministers am Dienstaggut zugehört und zitiere einmal:Es geht … nicht in erster Linie um Finanzierungs-fragen . Es geht um einen fairen Ausgleich zwischenOst und West, aber es geht auch um einen fairenAusgleich zwischen Jung und Alt .Okay, das unterschreibe ich .Herr Schäuble führt weiter aus, dass die lohnbezogeneAngleichung alles in allem funktioniert hätte . Also, dassehe ich anders . Das hat eben bis heute nicht funktioniert .
Die Löhne im Osten sind circa 20 Prozent niedriger alsdie im Westen . Deshalb haben wir – oder auch Sie – da-mals den Höherwertungsfaktor eingeführt . Und den gibtes heute noch . Daran wollen auch viele festhalten .Herr Schiewerling, Sie haben vorhin gesagt, dass mitder deutschen Einheit eine große Leistung der Renten-versicherung erbracht worden ist . Ich sage, da wurde eingroßer Fehler gemacht. Das hätte schon damals steuerfi-nanziert sein müssen . Es ist ein Fehler, dass das bis heuteauf dem Rücken der Beitragszahler ausgetragen wird .
Meine Damen und Herren, wenn der Finanzministervon der Fairness zwischen Jung und Alt spricht, dann istdoch wohl eines klar: Hier geht es um bessere Löhne imOsten . Es kann hier nur um Tarifbindung und anständigeSozialpartnerschaft in den Betrieben gehen . Es geht ein-fach nicht, dass 79 Prozent der Arbeitgeber in den neuenBundesländern nicht im Arbeitgeberverband sind . Das istdoch keine soziale Verantwortung von Unternehmen .
Herr Birkwald, Sie haben vorhin gesagt, die Renten-angleichung Ost/West bedeutete eine Rentenkürzung .Auch diese Bezeichnung halte ich für falsch . Schließlichgibt es einen Höherwertungsfaktor . Sie haben genausowie wir, die SPD, gesagt: Wir wollen die Angleichungder Rentensysteme haben . – Nach 30 Jahren legt nunFrau Ministerin im Herbst einen entsprechenden Entwurfvor . Es geht aber nicht, auf der einen Seite die Beseiti-gung der Nachteile zu fordern und auf der anderen Seitezu verlangen, dass die Vorteile bleiben sollen . Ich steheals SPD-Frau dazu, dass eine Angleichung der Systeme,wenn es sie denn gibt, in Gänze zu erfolgen hat . Wir müs-sen gemeinsam dafür sorgen, dass bessere Löhne in denneuen Bundesländern gezahlt werden und dass die Ar-beitgeber ihre Verantwortung wahrnehmen .
Frau Nahles wird im Herbst einen Gesetzentwurf zurEinleitung des Rentenangleichungsprozesses vorlegen .Auch der Ministerpräsident aus meinem Land, Sach-sen-Anhalt, hat Unterstützung signalisiert und verlangteine Steuerfinanzierung. Herzlichen Dank nach Sach-sen-Anhalt! Wir wollen das in zwei Schritten tun .
Frau Kollegin, Sie sind zwar gerade so schön im
Schwung, aber ich muss Sie bitten, zum Schluss zu kom-
men .
Die Kanzlerin will die Rentenangleichung . Der Fi-
nanzminister will sie . Die SPD will sie . Nur die CDU/
CSU-Fraktion ist zerstritten . Sie hat den Schwarzen
Peter . Ich kann nur sagen: Springen Sie über Ihren Schat-
ten! Denn die Rentenangleichung ist eine Gerechtigkeits-
frage, der wir nicht mehr ausweichen dürfen . Die geord-
neten Haushaltsverhältnisse lassen es zu . Lassen auch
Sie es zu!
Vielen herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als letzter Redner hat Axel Fischervon der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Axel E. Fischer (CDU/CSU):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Deutschland geht es gut . DenMenschen in Deutschland geht es gut . Die Menschen inDeutschland wissen, dass es ihnen gut geht . Die Wirt-schaft brummt . Der Arbeitsmarkt ist robust . Die Steu-Waltraud Wolff
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erquellen sprudeln . Es ist schön, dass wir vor diesemHintergrund die Haushaltsdebatte in dieser Woche sehrentspannt führen können. Unser BundesfinanzministerWolfgang Schäuble hat an diesem Rednerpult zu Rechtdarauf hingewiesen, dass wir noch immer an der Spitzeder Wohlstandspyramide stehen . Angesichts der Kritik,die von der Opposition und teilweise von der SPD – sindSie eigentlich noch Mitglied der Koalition? –
geübt wurde, frage ich mich, welche Ausgangslage wirheute hätten, wenn Sie an der Regierung wären . Ich kannmich noch sehr gut an einen Bundesfinanzminister erin-nern, der, als er 2001 den Etat für 2002 vorgelegt hat, ge-sagt hat: Der vorliegende Haushalt ist auf Kante genäht .Er enthält keine zusätzlichen Reserven . – Damals war dieUnion in der Opposition . Heute ist die Union in der Re-gierung . Freuen wir uns doch gemeinsam darüber, dasswir heute auch wirtschaftlich besser dastehen als damals .
Allein die Zahlen sprechen für sich . Seit 2010 ha-ben wir ein gesundes Wirtschaftswachstum, zuletzt von1,7 Prozent . Wir gehen auch in den kommenden beidenJahren von einem guten Wachstum aus . Die Zahl derErwerbstätigen ist ebenfalls positiv . Diese ist in diesemJahr mit 43,5 Millionen auf einem erneuten Rekordhoch .Die Zahl der Arbeitslosen sinkt weiter . Im August hattenwir die niedrigste Arbeitslosenzahl seit 25 Jahren zu ver-zeichnen . Die Reallöhne sind seit 2003 deutlich gestie-gen, allein im vergangenen Jahr um 2,4 Prozent . Trotz-dem bleiben die Preise stabil . Auch die Renten sind sostark gestiegen wie lange nicht mehr, zum 1 . Juli um über4 Prozent im Westen und um knapp 6 Prozent im Osten .Sie sehen: Die Regierungskoalition von CDU, CSU undSPD hat in den vergangenen Jahren erfolgreiche Arbeitgeleistet . Das wollen und das werden wir auch weitertun, zumindest bis im nächsten Jahr .Wir haben mit einer vorausschauenden und zukunfts-orientierten Wachstumspolitik sowie mit vielen ord-nungspolitisch notwendigen und sinnvollen Maßnahmendie Finanz- und Wirtschaftskrise gemeistert . Wir habenviele Menschen wieder, andere neu in Arbeit gebracht .
Wir haben gerade im Bereich der Arbeitsvermittlung undauch bei der Aktivierung von Langzeitarbeitslosen undbei den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten Erfolg ge-habt .Wir haben den Bundeshaushalt konsolidiert – und dasohne Steuererhöhungen .
Diese Bilanz kann sich sehen lassen .
Seit 2014 geben wir nur so viel Geld aus, wie wir ein-nehmen . Standen 2013 Ausgaben von 307,8 MilliardenEuro Einnahmen von lediglich 285,7 Milliarden Eurogegenüber, waren Einnahmen und Ausgaben 2014 mit295,5 Milliarden Euro deckungsgleich . Auch 2015 und2016 sind Einnahmen und Ausgaben deckungsgleich,und im nächsten Jahr soll es trotz einer weiteren Stei-gerung auf 328,7 Milliarden Euro so bleiben . Sie sehen,meine Damen und Herren, dass wir uns Spielräume erar-beitet haben, die wir nutzen können und natürlich auchnutzen werden . Weil das so ist, können wir darüber bera-ten, wofür wir das Geld ausgeben werden .
Dieser Haushalt ist nicht auf Kante genäht . Wir habenzusätzliche Reserven .Mein spezieller Dank gilt an dieser Stelle natürlich un-serem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der esmit einer enormen Energieleistung geschafft hat,
den jahrzehntelang chronisch unterfinanzierten Bundes-haushalt wieder ins Gleichgewicht zu bringen . Vielenherzlichen Dank dafür .
Zudem, meine Damen und Herren, ist sich die Koali-tion ihrer sozialen Verantwortung bewusst . Die Entwick-lung der Sozialausgaben im Bundeshaushalt zeigt diesdeutlich . Lagen diese 2014 noch bei 148,8 MilliardenEuro, sollen sie 2017 auf 171 Milliarden Euro steigen .Das sind 22,2 Milliarden Euro mehr als vor vier Jahren .Allein im Bereich des Einzelplans 11, dem Haushaltfür Arbeit und Soziales, sind für das kommende Jahr138,6 Milliarden Euro vorgesehen .Wir in der Koalition haben gemeinsam viele Gesetzeauf den Weg gebracht: das Gesetz über Leistungsver-besserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung,das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie, das Gesetzzur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes unddes Sozialgerichtsgesetzes, das Gesetz zur Weiterent-wicklung des Behindertengleichstellungsrechts, um nureinige Beispiele zu nennen . Das ist erfolgreiche Arbeitunserer Koalition, und das muss man hier auch einmaldeutlich sagen .
Dieser Koalition aus CDU, CSU und SPD liegt aucheine gute Finanzausstattung der Länder und Kommunenam Herzen . Da wir wissen, dass die Kommunen Trägervieler sozialer Leistungen sind und teilweise mit steigen-den Sozialkosten kämpfen müssen, haben wir einige die-ser Leistungen teilweise oder komplett übernommen . Andieser Stelle möchte ich nur an die Aufstockung der Zu-schüsse zu Kindertagesstätten, an die Eingliederungshil-fe und an die Neuregelung der Kosten für Unterkunft undHeizung erinnern . Zudem haben wir durch die kompletteÜbernahme der Kosten für die Grundsicherung im Alterund bei Erwerbsminderung die Kommunen massiv ent-lastet . Das alles waren Schritte, die den Kommunen wie-der mehr Gestaltungsspielräume eröffnen. Diese warenwichtig und richtig, führen aber natürlich logischerweisedazu, dass wir massive Erhöhungen in den Sozialausga-ben des Bundes haben . Das muss man vor allem dannAxel E. Fischer
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wissen, wenn über steigende Sozialausgaben im Bundes-etat gesprochen wird .Meine Damen und Herren, über die Folgen der massi-ven Zuwanderung im vergangenen Jahr ist hier schon vielgesagt worden . Da hilft nun auch kein Jammern und keinKlagen und kein Zündeln – die Menschen sind da . Fürmich ist völlig klar, dass die Integration der Menschen,die bei uns bleiben dürfen, eine gesamtgesellschaftlicheAufgabe ist, die nicht zulasten der Arbeitslosen und derSchwächsten in unserer Gesellschaft gehen darf . Flücht-linge, die voraussichtlich im Land bleiben dürfen, solltenwir aber so schnell wie möglich in den Arbeitsmarkt in-tegrieren .
Das verbessert übrigens auch die gesellschaftliche Ein-gliederung; denn mit der erfolgreichen Arbeitsvermitt-lung steht und fällt das Schicksal dieser Menschen .Wir wissen, dass es derzeit viele Ängste gibt . Die Be-völkerung macht sich Sorgen, und diese Sorgen nehmenwir ernst . Eine dieser Sorgen ist, dass Zuwanderer diedeutschen Arbeitnehmer verdrängen .Ich habe schon auf die derzeit positive Situation amArbeitsmarkt hingewiesen . Wir haben die geringstenArbeitslosenzahlen seit der Wiedervereinigung . VieleBetriebe suchen händeringend geeignete Bewerber undbrauchen immer länger, um freie Stellen zu besetzen . DasSchlagwort „Fachkräftemangel“ macht schon länger dieRunde . Auch die Kollegen Schiewerling und AndreasMattfeldt haben heute darauf hingewiesen .
– Das ist in der Tat so .Zudem sinkt aufgrund der demografischen Entwick-lung die Zahl der potenziell Erwerbstätigen zukünftigweiter . Bislang konnten wir das teilweise durch die hö-here Erwerbstätigkeit von Frauen und Älteren und vorallem durch Zuwanderung aus anderen EU-Ländern aus-gleichen .Wir besetzen außerdem weniger attraktive Arbeits-plätze mit Zuwanderern .So können wir feststellen, dass auch Personen miteiner Staatsbürgerschaft aus den nichteuropäischenAsylherkunftsländern zuletzt von der guten Arbeits-marktsituation profitieren konnten. Die Anzahl der sozi-alversicherungspflichtig Beschäftigten aus nichteuropä-ischen Asylherkunftsländern hat sich von Mai 2015 bisMai 2016 um 31 Prozent erhöht, unter den aus Syrienstammenden Menschen sogar um 71 Prozent .Man muss der Ehrlichkeit halber aber schon sagen,dass geringe Sprachkenntnisse und fehlende formale Be-rufsabschlüsse oft eine schnelle Integration erschweren;das wurde in der Debatte schon mehrfach angesprochen .Genau da, meine Damen und Herren, müssen wir anset-zen .In meinem Wahlkreis gibt es eine Jugendhilfeeinrich-tung, die jungen Flüchtlingen eine neue Heimat bietet .Dort können sie gemeinsam mit anderen jungen Men-schen einen Schulabschluss sowie eine Ausbildung zumMaler, Tischler, Lackierer oder Schlosser machen . Beimeinem Besuch dort wurde mir von den jungen Men-schen berichtet, dass sie gegenseitig von dem gemeinsa-men Lernen profitieren.
Dieses Beispiel zeigt, dass diese Herkulesaufgabe gelin-gen kann .
Es zeigt aber auch, dass noch große Anstrengungen voruns liegen .Meine Damen und Herren, ich glaube, dass mit demvorliegenden Bundeshaushalt die Bundesregierung einegute Grundlage geliefert hat . Wir können jetzt darüberdiskutieren . Ich bin mir sicher, dass wir im Kreis der Kol-leginnen und Kollegen daraus noch einen besseren Ent-wurf für 2017 machen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Weitere Wortmeldungen zu diesemEinzelplan liegen nicht vor .Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-nisteriums für Ernährung und Landwirtschaft, Ein-zelplan 10. – Ich bitte Sie, jetzt Ihre Plätze einzunehmen .Ich erteile das Wort dem Bundesminister ChristianSchmidt .
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Nachdem zu dem Etat für Arbeit und Sozialesgenügend gesprochen wurde, kommen wir jetzt zu demfür Ernährung und Landwirtschaft . Ich bedanke mich beiIhnen schon im Voraus sehr für die Mitarbeit an den inden nächsten Wochen anstehenden Beratungen diesesEtats .Der Regierungsentwurf sieht eine Aufstockung mei-nes Haushalts um 300 Millionen Euro auf insgesamt5,9 Milliarden Euro vor . Das ist ein richtiges, ein gutesZeichen; denn der Entwurf spiegelt damit nicht nur denErfolg unserer Arbeit wieder, sondern er schafft auchSpielräume, um die beiden wichtigsten Ziele meiner Po-litik konsequent umzusetzen und starke Akzente zu set-zen . Ich danke dafür, dass wir dies mit diesem Haushalts-volumen werden erreichen können .Mein Haushalt steht für eine zukunftsfähige Land-und Forstwirtschaft sowie – nicht zu vergessen! – einengesicherten Garten- und Weinbau – auch mit dem Wein-Axel E. Fischer
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recht werden wir uns in diesem Jahr noch befassen –, fürvitale ländliche Räume und ebenso für eine gesunde undausgewogene Ernährung von Anfang an .Sie alle wissen: Die Landwirtschaft geht augenblick-lich durch schwere Zeiten . Das gilt, wenn ich mir die ak-tuellen Ergebnisse der Getreideernte ansehe – sie fallennatürlich regional unterschiedlich aus –, nicht nur für dieMilchbauern . Wir stehen deswegen an der Seite aller Be-troffenen und müssen auch angemessen zur Entlastungbeitragen .Wir entlasten unsere Landwirte, und zwar alle und ausallen Branchen, auch 2017 durch einen gleichbleibendhohen Zuschuss in Höhe von 178 Millionen Euro bei derlandwirtschaftlichen Unfallversicherung .
Überhaupt hat im Bereich der Landwirtschaft das Sozialeeinen sehr hohen Anteil in unserem Haushalt .Wir werden eine weitere Entlastung im steuerlichenBereich vornehmen . Wir arbeiten daran, die Möglichkeitder Gewinnglättung von zwei auf drei Jahre auszuwei-ten . Wir wollen die Erlöse aus Veräußerungsgewinnenzukünftig durch einen Freibetrag von der Steuer verscho-nen, wenn sie zur Schuldentilgung verwendet werden .Über diese Frage werden natürlich Sie in den parlamen-tarischen Beratungen zu reden und zu entscheiden haben .Ein nationales Bürgschaftsprogramm soll dies ergänzen .In der aktuellen Krise kommt es auch auf weitereHilfe an, insbesondere für die Milchbauern . Ich habe inBrüssel intensiv und hart für ein zweites EU-Hilfspaketgekämpft . Wir hatten Erfolg . 150 Millionen Euro stehenab Oktober für Maßnahmen zur Mengenregulierung be-reit . Die Länder übernehmen die Durchführung . Diesbegrüße ich als einen solidarischen Beitrag der Länderzur Überwindung der Marktkrise . Ich bedanke mich aberauch für die Kooperation, die wir von beiden Seiten, vonBund und Ländern, in der praktischen Umsetzung errei-chen konnten . Es ist die gute Situation eingetreten, dasshier nicht nach Parteifarben vorgegangen wird und unter-schiedliche Blickwinkel eingenommen werden, sonderngemeinsam angepackt wird, um das Geld schnellstmög-lich bei den Erzeugern, bei den Bauern und Bäuerinnen,ankommen zu lassen .
Ich werde das anschließend, wenn ich von hier direkt zurAgrarministerkonferenz fahre, auch mit den Landeskol-legen besprechen .Weitere gut 58 Millionen Euro stellt uns die Europäi-sche Union für ein nationales Hilfspaket zur Verfügung .Den Umfang des Hilfspakets will ich mit nationalen Mit-teln auf 117 Millionen Euro verdoppeln . Hier werden wirMengendisziplin verbindlich festschreiben .Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,wir arbeiten im Moment mit Hochdruck an der genau-en Ausgestaltung des Programms, das einer engen Ab-stimmung mit Brüssel bedarf . Die Brüsseler Regelungenwerden morgen veröffentlicht werden. Ich bin mir mitdem Bundesfinanzminister darüber einig, dass ich nachSpruchreife dieses Programms – wenn meine Leute, diein diesem Bereich unwahrscheinlich viel arbeiten, dasüber das Wochenende umsetzen, vielleicht schon Anfangder nächsten Woche – die Regelungen auf den Weg brin-gen werde . Es geht darum, im Rahmen von über- undaußerplanmäßigen Ausgaben noch für 2016 Mittel zurVerfügung zu haben . Ich bitte Sie hier schon heute umIhre Unterstützung . Für mögliche weitere Maßnahmenerwarte ich auch die Unterstützung der Bundesländer .
Wir müssen beim Thema Milch die Ursachen aber jetztschon tiefgehend analysieren und diskutieren . Wer dasnicht macht, legt die Falle für die nächste Krise aus . MeinBefund ist, dass die Erzeuger gegenwärtig das Risiko fak-tisch alleine tragen . Wir müssen also bei den Markt risikenzwischen Erzeugern, Molkereien, Lebensmitteleinzelhan-del und Verbrauchern eine bessere Balance finden. Daskann aber nicht nur der Staat regeln . Mir fällt auf, dassviel nach dem Staat gerufen wird, manchmal schneller,als man selbst geschaut hat, wo denn Möglichkeiten zurVerbesserung sind . Deswegen lade ich nächste Woche zumeinem zweiten Milchstrukturgespräch ein .Da will ich zum einen hören – ich werde nicht pre-digen –, was sich denn bei den Lieferbeziehungen tut .Ich möchte wissen, wie die Genossenschaften ihrer Ver-antwortung gegenüber ihren Genossen zum Beispiel inForm eines strategischen Mengenmanagements für dieMilch gerecht werden .
Wir werden auch darüber reden müssen, dass es man-che gibt, die offensichtlich nur rein innerbetriebswirt-schaftliche Überlegungen haben, ohne die Konsequen-zen für die Erzeuger in ihre Perspektiven einzubeziehen .
Ich dränge zur Eile, weil ich schon jetzt spüre – wirsind ja wie die Landwirte sehr sensorisch veranlagt –,dass die Bereitschaft zum Umdenken sofort nachlässt,wenn, wie jetzt in diesen Tagen, die Erzeugerpreise fürMilch erste leichte Signale der Erholung zeigen .
Das kann nicht sein . Deswegen sage ich: Legt jetzt alleKräfte zusammen, um Strukturen zu verbessern!
Da wird manchmal kräftig zugelangt; das soll auch sein .Da bin ich auch gerne mit dabei . Aber es kann keiner er-warten, dass ich um des lieben Friedens willen nur Geldorganisiere und die Probleme nicht angegangen werden .Da müssten auch manche bei uns, auch in der politischenDiskussion, bevor sie den Mund aufmachen und Forde-rungen erheben, einmal ein klein wenig nachdenken, wieman in andere Bereiche mit hineinwirken muss . Ich binnicht bereit, den Status quo fortzuschreiben .
Bundesminister Christian Schmidt
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Das ist nicht zumutbar für die Bäuerinnen und Bauern .Ein solches Vorgehen würde so kurzzeitig tragen wie einMindesthaltbarkeitsdatum .Zu unserer arbeitsteiligen Weltwirtschaft gehört übri-gens auch der Export in kaufkräftige Märkte . Manchmalist mir nicht so ganz klar, über was wir reden, was unterMarkt verstanden wird . Ich werde die Exportförderungund das Messeprogramm auf hohem Niveau fortschrei-ben. Wir eröffnen damit unseren Landwirten neue Chan-cen auf neuen Märkten . Damit das ganz klar gesagt ist:Verantwortungsbewusster Export von Nahrungsmittelnist für mich kein notwendiges Übel zum Ausgleich vonÜberproduktion, sondern legitimer Bestandteil landwirt-schaftlicher Produktion in Gunstregionen .
Ich bitte uns alle darum, nicht dazu beizutragen, dassder Export per se in eine Schmuddelecke gestellt wird .Da gehört er jedenfalls heute nicht mehr hin . Wir sindheute weltweit Nummer drei beim Agrarexport . Ja, dasist für andere aus ganz anderer Sicht ein Problem, weilsie diese Rangstelle erreichen möchten . Wir jedenfallsmüssen dabei auf Qualität und natürlich auf die regio-nalen Märkte achten . China ist beispielsweise ein wich-tiger Exportmarkt, dessen Aufnahmebereitschaft in die-sem Jahr übrigens zu den deutlich besseren Preisen fürSchweinefleisch beigetragen hat. Russland ist ein kom-plexes Kapitel, an dem wir arbeiten . Ich habe intensiveGespräche mit meinem russischen Kollegen geführt . Ichwar vor wenigen Wochen in Moskau und werde in die-sem Jahr noch einmal hinreisen . Wir werden über dieseFragen dann mit Blick auf das nächste Jahr zu sprechenhaben .Mein Haus wird im nächsten Jahr einen nationalenExportbericht für die Agrarmärkte vorlegen . Auf dieserGrundlage werden und können wir dann über die Per-spektiven des Exports, seine Chancen und Potenzialereden . Ich lade alle dazu ein; denn bislang wird die Dis-kussion schief geführt . Das ist nicht in Ordnung . Michwundert, dass zum Beispiel kaum zur Kenntnis genom-men wird – oder genommen werden will –, dass sich dieEuropäische Union, auch dank der von mir dezidiert ver-tretenen Position, bei der WTO erfolgreich für ein Endeder Exportsubventionen bei Agrargütern eingesetzt hat .Lassen Sie mich auch noch ein sehr nachdenklichesund kritisches Wort zu den Freihandelsabkommen sagen .Ja, ich weiß, es gibt großes Interesse daran und großeDiskussionen darüber . Das ist ja auch gut so . Ich bin aberder festen Überzeugung, dass unsere heimische Land-und Ernährungswirtschaft durch den freien Handel ge-winnen kann; denn deutsche Lebensmittel stehen nichtnur für höchsten Genuss, sondern auch für die sicherstenStandards weltweit . Und dieses Schutzniveau wird durchTTIP oder CETA – bei TTIP durch unsere Verhandlungs-positionen; bei CETA durch die Ergebnisse – nicht infra-ge gestellt .
Deshalb finde ich auch die Haltung, die in der Diskus-sion von manchen Nichtregierungsorganisationen, zumTeil auch von Politikern, zum Beispiel von den Grünen,eingenommen wird, leicht paradox .Auf der einen Seite wird unterstellt, Freihandelsab-kommen würden die hohen Schutzstandards unsererLebensmittel unterwandern . Das heißt, unsere hohenSchutzstandards werden gelobt . Aber kurz darauf werdenunsere Nahrungsmittel als vergiftet, krankmachend undungenießbar dargestellt . Damit stellen Sie doch genaudie Standards infrage, die Sie vorher noch beschworenhaben .
Glauben wir denn, dass, wenn wir so etwas in den Raumstellen, sich die Lebensmittelerzeuger, die Bäuerinnenund Bauern, die Bäcker, die Bierbrauer noch respektiertfühlen können? Wohl kaum .
Ich wünsche mir, dass wir mit Sachkenntnis und Ruhenachhaltig und verantwortungsbewusst, auch beispiels-weise hinsichtlich Pflanzenschutz, diskutieren.Da fällt mir das Thema Glyphosat ein . Die StiftungWarentest, die auf Beschluss des Deutschen Bundestagesgegründet worden ist, damit Verbraucher objektiv überdie Qualität von Produkten informiert werden, hat vor ei-nigen Wochen – Sie haben es sicherlich gelesen – einengroßen Test über die Wasserqualität des Trinkwassers,also Leitungs- und Mineralwasser, in Deutschland veröf-fentlicht . Ein Ergebnis dieser Untersuchung widersprichtdeutlich der immer wieder aufgestellten Behauptung,Glyphosat wäre ubiquitär, also überall und unbegrenztverbreitet . Der Test besagte nämlich, dass Glyphosat innicht einer einzigen der Trinkwasser- und Mineralwas-serproben gefunden worden ist .
Deutsches Trinkwasser ist glyphosatfrei . Das möchteich hier uns schon gerne zur Kenntnis geben .
Dies sollte Anlass sein, dass wir nüchtern und ruhig überdieses Thema sprechen . Ich sehe nach wie vor und weni-ger denn je Anlass, den Wirkstoff Glyphosat komplett zuverbieten . Neben dem gesellschaftlichen und auch poli-tisch motivierten Druck habe ich fast den Eindruck, man-chen wäre es lieber gewesen, es wäre herausgekommen,dass in Wasser Glyphosat ist . Mir nicht . Ich bin froh unddankbar, dass es so ist, wie es ist .
Den starken Mittelansatz für Nachhaltigkeit, For-schung und Innovation in Höhe von 280 Millionen Eurowill ich unter anderem dazu nutzen, unsere Landwirte beider Anpassung an extreme Wetterlagen zu unterstützen,mit denen wir, auch bedingt durch den Klimawandel,immer mehr rechnen müssen . Perspektiven der nachhal-tigen Nutzung des Clusters Forst und Holz sind mir eben-Bundesminister Christian Schmidt
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so wichtig wie die Eiweißstrategie und der Ökolandbau .Zudem müssen wir die Klimabilanz der Landwirtschaftverbessern, etwa durch die Förderung von CO2-Senkenin Wald und Forst . Beim Klimaschutz ist die Landwirt-schaft Teil der Lösung . Wir werden uns als solchen Teilder Lösung in die Diskussion einbringen, auch innerhalbder Beratungen in der Bundesregierung über Klima-schutzmaßnahmen . Ich rate hier zu einer konstruktivenZurückhaltung bei Einzelmaßnahmen . Das Baugesetz-buch haben wir gerade in der letzten Legislaturperiodegeändert . Wir sollten einmal schauen, wohin sich dieDinge dann entwickelt haben .Landwirtschaft muss ökonomisch und ökologischtragfähig sein . Beides gehört zusammen . Ausgehend vondiesem Ansatz werden wir konstruktiv daran arbeiten .Geld haben wir zur Verfügung . An Steuererhöhungendenke ich nicht . Ich weiß, dass fast über alles diskutiertwird, etwa über Steuern auf Zucker, Salz, tierische Pro-dukte, Fett und vieles andere . Ich glaube nicht, dass diesder Weg ist, um das Verbraucherverhalten und das Ernäh-rungsverhalten zu verbessern . Ja, es muss verbessert wer-den . Das werden wir zum einen dadurch machen, dasswir ein Bundeszentrum für die Ernährungskommunika-tion aufbauen . Wir wollen uns noch stärker um die jun-gen Menschen kümmern . Das geplante Bundeszentrumfür Ernährung soll dann besonders bei Kindern in Schuleund Kita tätig sein . Wir werden darüber hinaus 2016 und2017 Transparenz bei der Lebensmittelinformation wei-ter voranbringen .Dieses Haus hat sich das Thema Lebensmittelkenn-zeichnung auf die Fahne geschrieben . Ich bin dabei; las-sen Sie mich aber sagen: Wenn die Kennzeichnung dazudienen sollte – ich habe den Eindruck, dass es in andereneuropäischen Ländern leider eine Tendenz dazu gibt –,heimische Produkte hervorzuheben und andere Produk-te, beispielsweise deutsche Produkte, vom Markt auszu-schließen, dann müssen wir darüber in der EuropäischenUnion sehr offen und ehrlich und notfalls strittig reden.
Herr Minister .
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Die ländlichen Räume stehen im Mittelpunkt .
Sie dürfen so lange reden, wie Sie möchten, aber ich
muss Ihnen sagen, dass das dann zulasten der Redezeit
Ihrer Fraktion geht .
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Frau Präsidentin, in meiner Dankbarkeit gegenüber
der Fraktion gehe ich so weit, dass ich davon ausgehe,
dass das Thema „ländliche Räume“ bei der GAK, den
Haushältern und diesem Parlament in guten Händen ist
und die weiteren Beratungen positiv für uns alle ausfal-
len .
Ich bedanke mich und wünsche uns gute Haushaltsbe-
ratungen bis Ende November .
Vielen Dank . – Als Nächste erhält für die Fraktion Die
Linke Kirsten Tackmann das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Gäste! Als Linke habe ich ja viel Grund zur Kri-tik an der Großen Koalition und ihrer Politik . Wir lebenzwar in einem reichen Land, trotzdem sind Kinder einArmutsrisiko, trotzdem hängt der Bildungsabschlussvom sozialen Status der Familie ab, trotzdem konnte ichmich zwar in Estland, im tiefen Nationalpark, auf das In-ternet verlassen, aber eben nicht einmal überall in Ber-lin, trotzdem fährt in viele Dörfer nur noch ein Schulbus .Und dass ich in Lappland vor einigen Jahren einen bes-seren Handyempfang hatte als in meinem Dorf, 100 Ki-lometer von Berlin entfernt, lässt ebenfalls tief blicken .Deshalb verstehe ich, ehrlich gesagt, dass sich viele ab-gehängt und in ihren täglichen Problemen nicht wirklichernstgenommen fühlen . Dies gilt übrigens auch für dieAgrarpolitik der Koalition .Viele Landwirtschaftsbetriebe kämpfen seit Monatenum ihre Existenz . Die Vorschläge der Linken zur Lösungder Krise liegen seit langem auf dem Tisch . Die Agrar-betriebe müssen endlich gegen die erpresserische Markt-übermacht von Schlachthof-, Molkerei- und Handels-konzernen geschützt werden .
Es kann doch nicht länger geduldet werden, dass sie nurdas bekommen, was die Konzerne ihnen übrig lassen .Milchviehbetriebe dürfen doch keine Bittsteller sein,sondern müssen für ihre Arbeit anständig bezahlt werden .
Es ist doch absurd, wenn Milch abgeliefert werdenmuss, man aber nicht weiß, wie viel Geld man dafür be-kommt .
Bei der Milch ist es eben anders als bei VW, um das hiernoch einmal klar zu sagen: Die Zulieferer können nichteinfach mit einem Lieferstopp ihre Interessen durch-setzen oder Kurzarbeitergeld beanspruchen . Deswegenbrauchen sie unseren Schutz, und ich finde, erst recht,weil es hier um Lebensmittel geht, also unsere Lebens-grundlage .
Bundesminister Christian Schmidt
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Von daher habe ich sehr wohlwollend die Worte des Mi-nisters gehört; aber wir werden Sie an Ihren Taten mes-sen .Auch bei der Bodenfrage geht es um die Existenzortsansässiger Betriebe . Wir können doch nicht zulassen,dass Geldkapital durch die Lande zieht und die Existenzunserer ortsansässigen Betriebe infrage stellt, ihnen dieProduktionsgrundlage entzieht, dass Makler wie Heu-schrecken durch das Land ziehen, um die Verlierer einesDumpingpreiswettbewerbes zum Schnäppchenpreis zuübernehmen .
Wenn landwirtschaftsfremde Investoren Kauf- undPachtpreise so hoch treiben, dass sie mit landwirtschaft-licher Arbeit nicht mehr zu finanzieren sind,
dann können wir doch nicht einfach zuschauen .Aber sogar der Bundesfinanzminister macht mit derPrivatisierung ehemals volkseigener Flächen noch Kasseauf Kosten der einheimischen, ortsansässigen Betriebe .Der Aufstieg und der tiefe Fall der KTG Agrar, einerAgrar aktiengesellschaft mit undurchsichtiger Strukturund 46 000 Hektar in Ostdeutschland und Litauen, istdoch nur ein Beispiel für eine katastrophale Agrarstruk-turpolitik . Die Ländereien aus dieser Insolvenzmassewerden wohl wieder nur bei Investoren landen und ebennicht bei ortsansässigen Betrieben .
Das bundeseigene Thünen-Institut hat festgestellt, dasszum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern bereits einDrittel der Landwirtschaftsbetriebe nicht mehr in ortsan-sässiger Hand ist .
Ich finde das, ehrlich gesagt, beunruhigend.
Übrigens brauchen wir bei einer investorengestütztenLandwirtschaft auch nicht mehr über nachhaltige Land-wirtschaft und über Tierschutz zu reden . Kostendecken-de Erzeugerpreise werden eben auch gebraucht, um dieseProbleme zu lösen . Wir brauchen dafür eine bundeswei-te Strategie; deshalb ist hier auch der Bundeslandwirt-schaftsminister klar in der Pflicht.Aber es geht längst auch um mehr als um Bodenpreiseund Milchkrise . Aktuell wird kein landwirtschaftlichesProdukt angemessen bezahlt . Selbst Roggen in Brotqua-lität bringt mehr Geld, wenn er nicht als Lebensmittel,sondern energetisch verwertet wird. Ich finde das echtpervers .
Aber anstatt die strukturellen Ursachen zu beseitigen,wird immer mehr Geld in ein falsches System gepumpt .Nur: Mehr Geld ohne richtige Politik liegt eben auchnicht im Interesse der Betroffenen. Auf die Agrarbetriebeverteilt, ist die hohe Gesamtsumme übrigens auch nur einTropfen Milch auf einen überhitzten Stein . Zum Beispielspart ein mittlerer Milchviehbetrieb mit 100 Hektar und80 Milchkühen durch den Bundeszuschuss gerade einmalBeiträge in Höhe von 600 Euro im Jahr für die Unfall-pflichtversicherung. Ihm fehlen aber 10 Cent an jedemLiter Milch . Das entspricht einem Minus von 30 Prozent,Liter für Liter .Ja, es gibt in der EU zusätzliche Liquiditätshilfen, dieauch vom Bund aufgestockt werden . Aber es geht dochnicht, dass größere Betriebe, die Beschäftigte bezahlenmüssen, gar nicht davon profitieren können. Das sindübrigens gerade in Ostdeutschland Betriebe in struktur-schwachen Regionen, in denen diese Arbeitsplätze oftdie letzten verbliebenen sind. Deswegen finde ich dasnicht okay .Es gibt noch mehr Problembereiche . Zum Beispiel istdie Weidetierhaltung die Verliererin der EU-Agrarpoli-tik, obwohl sie die höchste gesellschaftliche Akzeptanzhat und gerade Schafe und Ziegen für die Kulturland-schafts- und Deichpflege dringend gebraucht werden.Wir als Linke haben immer wieder mehr Unterstützungauch vom Bund gefordert, in Form einer Weidetierprä-mie und eines Herdenschutzkompetenzzentrums . Bisherverweigert dies leider die Koalition . Aber ich kann ver-sprechen: Wir werden an dem Thema dranbleiben .
Das gilt übrigens auch für dieses Thema: Klein- undKleinstwaldbesitzer müssen ungerecht hohe Beiträgezur Unfallversicherung zahlen, während die Beiträge fürGroßwaldbesitzer auf niedrigem Niveau gedeckelt wer-den. Das finde ich als Linke nach wie vor inakzeptabel.
Auch beim Thema Fischerei gibt es eine dringendeBaustelle . Es wurden zwar strenge Bestimmungen zurBekämpfung der illegalen Fischerei beschlossen; aberohne ausreichendes Personal für die Kontrollen wirdeben weiter illegal gefischt. Hier muss sich deswegenwirklich etwas ändern .Als Linke haben wir die vielen Probleme immer wie-der thematisiert . Aber die Menschen erwarten von uns,dass sie endlich gelöst werden .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt derKollege Rainer Spiering .
Dr. Kirsten Tackmann
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Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Vorab:Herr Minister, Sie haben CETA angesprochen . Ich wer-de mich jetzt nicht inhaltlich zum Freihandelsabkom-men äußern . Aber eines weiß ich: Wenn diejenigen, diein Deutschland produzieren und Handel betreiben – alsoIndustrie und Handel –, sich frühzeitig an die Gewerk-schaften gewandt hätten und einen interessierten Aus-gleich mit den gewerkschaftlichen Vertretern gefundenhätten, dann hätten wir heute deutlich weniger Problememit CETA, als wir es zurzeit haben . Ich muss ganz ehr-lich sagen: Da haben die entsprechenden Wirtschaftsver-bände einfach nicht ordentlich gearbeitet .
Eine weitere Randbemerkung . Wir sind uns, Herr Mi-nister, sehr einig: Export ergibt dann einen Sinn, wennreale Wertschöpfung stattfindet. Export um des Exportswillen, bei dem man Verluste in Kauf nimmt, ergibt kei-nen Sinn . Ich glaube, auch das muss man nüchtern zurKenntnis nehmen .
Wir alle wissen: Rauchen ist schädlich . Mit der Um-setzung der EU-Tabakrichtlinie im nationalen Tabaker-zeugnisgesetz sind wir im Frühjahr den richtigen Weggegangen . Warnungen der Tabakindustrie, die Umstel-lung auf die neuen Verpackungen wäre nicht realisierbar,haben sich im blauen Dunst aufgelöst . Natürlich war dieUmstellung mit unserer modernen deutschen Technikmöglich . Internationale Tabakkonzerne wollten uns ihrenZeitplan und ihre Marktbedingungen aufzwingen . Da-rauf haben wir uns nicht eingelassen . Richtig und konse-quent so . Glückwunsch ans Haus und ans Ministerium!In einem zweiten Schritt wollten wir die Zusatzstof-fe definieren und Außenwerbung verbieten. Hierfür hatBundesminister Schmidt mit einem guten Gesetzentwurfalle Voraussetzungen geschaffen. Dieser Gesetzentwurfwurde vor Eintritt in die parlamentarischen Beratun-gen aufgehalten . Interessant, dass der Vorsitzende derCDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder, den CSU-MinisterChristian Schmidt ausbremst . Sonst kennen wir das nurumgekehrt .
Mit einem parlamentarischen Tritt in den Pöter des Bun-desministers Schmidt hat Volker Kauder die Interessender internationalen Tabakwirtschaft gerettet. Ich findees bedauerlich . Herr Bundesminister, Sie haben so ei-nen guten Gesetzentwurf vorgelegt . Lassen Sie uns da-ran festhalten und ihn durchbringen, und lassen Sie sichnicht von Herrn Kauder aufhalten .
Mein Thema: Smart Farming . Herr Bundesminister,Sie haben angesprochen, dass wir der Landwirtschaft mitFördermitteln helfen wollen . Ich glaube, eine nach hintengerichtete Förderung, bei der man versucht, mithilfe vonGeldmitteln Probleme aufzuhalten oder zu heilen, wirdauf Dauer keine Zukunft haben . Wir haben aber sehrwohl eine Zukunft . Sie liegt darin, dass wir das, was wirim Landbau machen, mit dem verknüpfen, was wir tech-nologisch und mithilfe des Internets leisten können .Ich hatte jetzt bei mir zu Hause viele Veranstaltungen,viele davon mit Landwirten . Sie waren gut für mich . Wasich für mich erkennen konnte, war Skepsis bei den älte-ren Landwirten – wie auch immer sie entstanden ist – undsehr große Bereitwilligkeit bei den jungen Landwirten,sich mit einer modernen, zukunftsorientierten Landwirt-schaft verbunden mit IT-Unterstützung auseinanderzu-setzen . Und sie haben dabei keine Hemmschwellen . Siefinden es total spannend, was man mit moderner IT an-stellen kann. Deswegen meine dringende Aufforderung:Helfen Sie unserer Landwirtschaft, indem Sie unserenjungen Bauern helfen, ihren Weg zu gehen; denn sie sinddie Zukunft und nicht die älteren Eigentümer der Höfe .
Der digitale Kuhstall und satellitengesteuerte Trak-toren sind keine Zukunftsmusik, sondern real . DiesenWeg werden wir weiter beschreiten müssen . Das ist dieGrundlage für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Indus-trie und unserer Wirtschaft .Wir haben ein Positionspapier zu den Chancen desSmart Farming vorgelegt . Ich habe es eben schon er-wähnt: Bei den jungen Menschen haben wir damit Erfolgund erreichen, dass sie Zutrauen haben . Ich will Ihnenein Argument nennen, das gerade die jungen Landwirtesehr intensiv aufgenommen haben .Unsere Landwirtschaft steht meiner Meinung nachhäufig zu Unrecht unter Druck. Wenn man aus einer Re-gion kommt, die wie meine Region sehr ländlich geprägtist und in der eindeutig sehr viel Gülle hergestellt wird –das ist noch sehr vorsichtig ausgedrückt, man könnte dasauch noch ganz anders formulieren –, dann weiß man:Der Druck ist noch viel höher . Man fragt sich: WelcheChance hat eigentlich die Landwirtschaft bei mir zuHause, nachzuweisen, dass sie für die Nitratwerte nichtverantwortlich ist? Zurzeit keine . Aber wenn wir IT-un-terstützt eine solide und ordentliche Hoftorbilanz erstel-len, dann haben wir alle Möglichkeiten, Ross und Reiterzu benennen, im Guten wie im Bösen . Dann muss manbekennen, und Bekennen – das ist ganz wichtig – schafftVertrauen in der Politik . Das wissen Sie alle .
Wir wollen unsere globalen Player vor Ort halten . Dasbetrifft die gesamte Landmaschinentechnologie; ich habeden Zusammenhang bereits erläutert .Jetzt möchte ich ein paar Punkte nennen, die wir un-bedingt umsetzen müssen . Wir müssen eine Verknüpfungherstellen zwischen industrieller Landwirtschaft und dendazugehörigen Landmaschinenherstellern . Dazu brau-chen wir Professorenstellen an den Universitäten . Ichwürde mich freuen, wenn das Landwirtschaftsministeri-um Ähnliches unterstützen würde .Wir können aber auch noch etwas ganz anderes ma-chen . An Standorten, an denen die Verknüpfung vonLandmaschinentechnologie und intensiver Landwirt-
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schaft stattfindet, kann man Institute wie das Fraunho-fer-Institut fragen: Habt ihr nicht Interesse, uns mit zu-kunftsorientierter Anwendungstechnik vor Ort zu helfen?Ich weiß, Herr Bundesminister, das ist nicht Ihr Ressort,aber ich glaube, Sie haben genügend Einfluss, um dasentsprechende Ressort in Bewegung zu setzen .Ich würde mich freuen, wenn von diesem Hause ausdas klare Signal ausgeht: Wir geben der deutschen Land-wirtschaft und den jungen Bäuerinnen und Bauern auchin Zukunft eine Chance, und zwar nicht, indem wir ihreVerluste im Nachhinein versuchen zu glätten, sondernindem wir eine Technologie und eine Landwirtschaftschaffen, in die die Menschen in unserem Land zu Rechtwieder Vertrauen haben .Danke schön .
Vielen Dank. – Friedrich Ostendorff ist jetzt der nächs-te Redner für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gera-de findet in Warnemünde die Agrarministerkonferenz inBegleitung von energischen, wütenden Bauernprotestenstatt. Ich finde, wir finden: sehr zu Recht.Vor 35 Jahren haben meine Frau und ich über unserScheunentor geschrieben: „Bleibt auf dem Lande undwehret euch täglich!“ Das war das Motto von uns Jung-bauern und Jungbäuerinnen gegen die Industrialisierungder Landwirtschaft und für den Erhalt unserer Höfe . Eswar und ist die Erklärung unserer Entschlossenheit, umjeden einzelnen Hof zu kämpfen .Seit 1975 sind über 600 000 Bauernhöfe in Deutsch-land verschwunden, jährlich etwa 2 Prozent der Betriebe .Seit dem Ende der Milchquote am 1 . April 2015 habenjeden Tag 10 bis 15 Milchviehbetriebe aufgegeben – dassind 5 Prozent, Zahl ständig steigend –, Tausende unwie-derbringlich verlorene Höfe, Existenzen, prägende Teiledes ländlichen Raums . Man muss es so deutlich sagen:Es findet kein Strukturwandel, kein Strukturbruch statt,das ist ein Gemetzel im ländlichen Raum, das niemandenkalt lassen kann .
Der Soziologe Heinz Bude kennzeichnet solche Vor-gänge und deren Opfer als Verbitterungsmilieu in derMitte der Gesellschaft . Darüber sollten wir einen Mo-ment nachdenken . Nur, manche, gerade auch Ökonomen,lässt das ja kalt . Sie können natürlich immer wieder guterklären, warum der Strukturwandel notwendig ist . Diemeisten Molkereien predigen das sowieso, und für denBauernverband ist Wachsen oder Weichen fester Be-standteil seiner absurderweise immer schon bauernfeind-lichen Ideologie .Warum, liebe Kolleginnen und Kollegen, erlauben wireigentlich Ökonomen, Molkereien und dem Bauernver-band, zu entscheiden, was gut für unser Europa ist? Dennum Europa geht es, liebe Kolleginnen und Kollegen .Europa steht nicht nur durch den Brexit vor einer Zer-reißprobe . Europa ist nicht nur durch Schuldenkrise undFlüchtlingsdrama infrage gestellt, sondern auch durchdas, was hier in der Landwirtschaft stattfindet. Wenn wirnicht nur London, Paris, Rom und Berlin als Europa be-trachten, sondern auch Little Farmhill, Petit Paysanne,Villagio Piccolo oder Kleinbauerndorf, wenn wir aner-kennen, dass es auch und vor allem die ländlichen Räu-me, die bäuerlichen Kulturlandschaften sind, die Europasvielbeschworene Identität ausmachen, dann müssen wirsagen, dass der aktuelle Zusammenbruch der jahrhunder-tealten Bewirtschaftung dieser ländlichen Räume nichtsweniger als eine weitere Katastrophe für Europa ist .
Nichts weniger als den Zusammenbruch der bäuerli-chen Landwirtschaft erleben wir gerade in Europa . DieseEntwicklung war nicht nur abzusehen, sondern sie warvon den Befürwortern der Liberalisierung gewollt undgeplant . Sie haben nach dem Markt geschrien, nun wütetder Markt ungezügelt in den europäischen Dörfern . Die,die gewarnt haben, wurden niedergemacht .Minister Schmidt, ein großer, in die Zukunft denken-der Mensch, sagte im März 2015 35 Cent für den LiterMilch voraus . Heute wurden vom Minister als Bonbonfür die Landwirtschaft, als Hoffnung für die Zukunft,Gewinnglättung und höhere Freibeträge angekündigt .Ich verstehe das so, Herr Minister, dass diese Maßnahmesich nicht auf Verluste bezieht, sondern auf Gewinne . Dasollten wir die Landwirtschaft erst einmal wieder hinfüh-ren, dass sie Gewinne erwirtschaftet . Diesbezüglich sindAntworten erforderlich .
Die Verantwortlichen für das Sterben sind diese Bun-desregierung und mit ihr zusammen der Deutsche Bau-ernverband . Bauernverband und CDU/CSU haben seitJahren auf das hingearbeitet, was jetzt eingetreten ist: diechaotische und ungeregelte Explosion der Milchproduk-tion, der hemmungslose Preiskampf der Discounter unddamit verbunden der totale Zusammenbruch des Mark-tes . Die Milch wird aktuell für 42 Cent, sogar gentech-nikfrei, im Laden verramscht . Die Bauern erhalten oftnur 15 Cent – bei Kosten von 40 Cent .Sie von der CDU/CSU haben alle Vorschläge für einevernünftige Gestaltung des Milchmarktes – davon gabes nach Auslaufen der Quote genug – bekämpft wie derTeufel das Weihwasser . Eigene Vorschläge gab es leiderkeine . Rechtzeitig zum von Ihnen lange ersehnten Endeder Milchquote haben Sie auch noch den schwächstenLandwirtschaftsminister seit Bestehen der Bundesrepu-blik installiert,
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der mit seiner vollkommen unzulänglichen, nichtstu-enden Politik sicherstellt, dass die Zerstörungskraft desMarktes ungezügelt zur Geltung kommen kann .
Der Zusammenbruch der bäuerlichen Milchwirtschaftist der Zusammenbruch Ihrer Politik, meine lieben Kol-leginnen und Kollegen von CDU und CSU . Wenn wirunsere Verantwortung für Europa gemeinsam ernst neh-men, müssen Sie jetzt endlich das Höfesterben beenden .Das geht nur, wenn Sie sich endlich verabschieden vondiesen marktradikalen Ideologien und den Markt so mit-gestalten, dass unsere Höfe weiter bestehen können .
Die Erhaltung der bäuerlichen Betriebe muss oberstePrämisse der Agrarpolitik sein . Sonst ist Agrarpolitiküberflüssig.Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Haushalts-vorschläge liegen auf dem Tisch: stärkere Förderung desbiologischen Landbaus, der ländlichen Entwicklung, dertiergerechten Haltung, vor allem aber Stärkung der bäu-erlich-ökologischen Landwirtschaft .
Wenn Sie endlich ohne Scheuklappen und ohne Rück-sicht auf Lobbyinteressen an Ihre Arbeit gehen, könnenimmer noch viele bäuerliche Betriebe und damit zumin-dest ein kleiner Teil der europäischen Identität gerettetwerden .Schönen Dank .
Vielen Dank . – Als Nächster hat für die CDU/
CSU-Fraktion Alois Gerig das Wort .
Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr verehrten Kol-leginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wirhaben es in den vergangenen Tagen oft gehört: Deutsch-land ist ein starkes Land . 71 Jahre Frieden und Freiheit,Demokratie und Rechtsstaatlichkeit haben uns einen be-achtlichen Wohlstand beschert . Der Fleiß der Menschenund die Innovationskraft der Unternehmen haben unserLand zur Wachstumslokomotive Europas gemacht, ganzbesonders in den vergangenen Jahren .Deutschland – das will ich betonen – ist aber auch einschönes Land . Die vielfältigen, meist bunten Landschaf-ten von Flensburg bis Oberstdorf sind ökologisch wert-voll und wichtig, und sie machen unser Land für in- undausländische Touristen attraktiv .
Unserem Ministerium geht es im Hinblick auf dieHaushaltsmittel maßgeblich um die Zukunftsfähigkeitder ländlichen Räume . Es geht um die wirtschaftlichenPerspektiven insbesondere unserer familiengeführtenbäuerlichen Land- und Forstwirtschaft . Es geht ebensoum die Themen Ernährungssicherheit, Ernährungsbil-dung und Lebensmittelverschwendung . Verbraucher-schutz und nachwachsende Rohstoffe stehen ebenso ganzoben auf der Agenda .Mein Dank gilt an dieser Stelle ganz besonders unse-rem Bundesminister Christian Schmidt und seinem Haus .
Mein Dank gilt auch unserem Chefhaushälter CajusCaesar und seinen Kollegen, und zwar dafür, dass es wie-derum gelungen ist, die Mittel im Einzelplan 10 ähnlichwie im vergangenen Jahr auch für 2017 um fast 5 Prozentaufzustocken .
Diese Mittel, meine Damen und Herren, werden ganzsicher gebraucht . Vieles wurde heute bereits über dienotleidende Landwirtschaft gesagt . Sie können sichersein: Unser Minister, sein Haus und die zuständigen Par-lamentarier werden alles dafür tun, dass diese Mittel guteingesetzt werden .Das Ministerium und die Politik können – na klar –nicht jedes Defizit und jede Preiskrise ausgleichen.Deshalb müssen wir alle mit Nachdruck daran arbeiten,dass die Leistungen, die die Land- und Forstwirtschaftfür die Allgemeinheit erbringt, und ihre Produkte wiedermehr Wertschätzung in der Gesellschaft erfahren und ihrzu mehr Wertschöpfung verholfen wird, bevor sich derohnehin starke Strukturwandel in der Branche, das Hö-festerben – auch dies wurde hier schon angesprochen –,weiter beschleunigt und damit auch die von uns lieb ge-wonnene vielfältige Kulturlandschaft und die Strukturder Dörfer extrem gefährdet . Wir dürfen die Landwirte –da sind wir uns alle einig – mit dieser Last nicht alleinelassen . Wir müssen die richtigen Weichen stellen . Handelund Gesellschaft müssen erkennen, dass sie ihren Beitragleisten müssen .Ich sage: Wir alle können und müssen auf die Leistungunserer Bäuerinnen und Bauern stolz sein .
Sie produzieren Lebensmittel von weltweit höchsterQualität . Das ist zum Beispiel durch die jährliche Sta-tistik über Pflanzenschutzmittelrückstände in Lebens-mitteln beweisbar . Das Prädikat Lebensmittel „Made inGermany“ gibt es schon; es muss nur in die Köpfe derMenschen . Insbesondere der Handel muss seinen Beitragdazu leisten, dass Lebensmittel aus deutschen Landen ih-Friedrich Ostendorff
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ren Preis haben und nicht permanent verramscht werdendürfen .
Mit dem Agrarmarktstrukturgesetz haben wir die Vo-raussetzungen dafür geschaffen, dass sich die Erzeugergegenüber dem Handel besser aufstellen können . Die-se Möglichkeit gilt es jetzt sukzessive umzusetzen; dashat der Minister bereits angesprochen . Ich bin ihm sehrdankbar, dass er erstmals diesen großen Milch- und Le-bensmittelgipfel ins Leben gerufen hat und da weiter denFinger in die Wunde legen wird .Selbstverständlich braucht unser Land auch zukünf-tig neben dem Import von Lebensmitteln einen gewissenExportanteil . Ich habe kein Verständnis dafür, wenn –wie es der Kollege Bartsch als Fraktionsvorsitzenderder Linken hier vor zwei Tagen getan hat – angeprangertwird, dass deutsche Milchprodukte nach Afrika geliefertwerden, und das insbesondere vor dem Hintergrund, dasses geschätzt 800 Millionen Menschen auf dieser Erdegibt, die Hunger leiden, und dass circa 60 Millionen aufder Flucht sind .Ich sage deshalb im Hinblick auf die vielfältigen An-feindungen von allen möglichen Seiten, die jetzt schonwieder zunehmen, ganz klar: Was unsere Bauern mitBlick auf Klima-, Umwelt- und Tierschutz angeht, sokann man natürlich immer darüber reden, noch besser zuwerden, wenn es denn honoriert wird . Aber unsere Bau-ern sind angesichts der globalen Herausforderungen un-serer Zeit nicht das Problem, sondern ein ganz wichtigerund maßgeblicher Teil der Lösung .
Lieber Kollege Friedrich Ostendorff, Beschimpfungengegenüber dem Minister
oder gar die vielen Attacken, die es in den letzten dreiJahren gegen die Landwirtschaft bei Tierhaltung, Pflan-zenschutz und Düngung aus euren Reihen gegeben hat,bringen uns nicht weiter . Sie sind in hohem Maße kon-traproduktiv .
Deswegen sage ich: Lasst uns doch gemeinsam dieseswichtige und schwierige Thema angehen .
Jetzt geht es kurzfristig darum, das zweite Hilfspaketzur Liquiditätsstabilisierung auf den Weg zu bringen .Der für mich erkennbare Ansatz ist durchaus gut, und wirsind alle gespannt darauf, was die Agrarministerkonfe-renz in den nächsten zwei Tagen bringen wird .Positiv ist die Aufstockung der Mittel für die landwirt-schaftliche Unfallversicherung auf erneut 178 MillionenEuro . Das hilft der gesamten Branche und jedem einzel-nen Land- und Forstwirt .
Die CDU/CSU-Fraktion setzt sich ferner dafür ein,Freibeträge für die Schuldentilgung einzuführen . Und –ganz wichtig –: Zur besseren Risikovorsorge wollen wir,wie von der Branche seit langem gefordert, die Gewinn-glättung auf drei Jahre ausweiten . Sie sind alle aufgefor-dert, den Weg mitzugehen .
Die Themen „gesunde Ernährung“, Lebensmittelsi-cherheit und -verschwendung haben natürlich im Ernäh-rungsministerium und im Haushalt eine hohe Priorität .Mit dem Nationalen Aktionsplan in Form der Kampagne„Zu gut für die Tonne“ oder dem Aufbau des Bundeszen-trums für Ernährung sind wir ganz sicher auf dem richti-gen Weg . Steuern, meine Damen und Herren, auf Fleisch,Zucker oder Fett wird es mit der CDU/CSU-Fraktion de-finitiv nicht geben.
Ich möchte noch ein herzliches Dankeschön sagen andie Behörden: an die Bundesanstalt für Landwirtschaftund Ernährung, wo viele Fäden zusammenlaufen, an dasBundesinstitut für Risikobewertung und an das Bundes-amt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit,wo überall eine hocheffiziente wissenschaftliche Arbeitgeleistet wird . Und da gilt genau das Gleiche: Anfein-dungen gegenüber diesen unabhängigen Instituten sindnicht nur kontraproduktiv . Sie sind einfach nicht fair . ImHinblick darauf, dass wir irgendwann einmal wieder denRat aus diesen Häusern dringend brauchen, ist es auchunanständig .
Ich glaube immer noch an die Energiewende und da-ran, dass die nachwachsenden Rohstoffe und die ländli-chen Räume eine wesentliche Rolle spielen werden . DieFachagentur Nachwachsende Rohstoffe leistet hier einenBeitrag und muss ebenfalls weiter gefördert werden .Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brau-chen eine Politik für den ländlichen Raum . Ich freuemich, dass der Haushalt für unser Ministerium vielegute Ansätze dazu bietet . Gleichwohl müssen wir auchdie anderen Bundesressorts – das gelingt uns mehr oderweniger – mit ins Boot holen, damit gleichwertige Be-dingungen für die Menschen in Stadt und Land weiterhinbestehen bleiben .Dort, wo weniger Menschen auf dem Quadratkilome-ter zusammenleben, ist einfach eine andere Förderungnotwendig . Da geht es um die Infrastruktur – Straßeund Schiene –, um schnelles Internet, um Schulen, umdie medizinische Nahversorgung und darum, dass inden ländlichen Räumen mittelständische Unternehmen,Alois Gerig
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Handwerk, Land- und Forstwirtschaft, Vereine und ande-re Organisationen weiterhin für Vitalität sorgen .
Herr Kollege Gerig .
Ich komme gleich zum Ende .
Ja, schnell .
Mit klugen politischen Entscheidungen können wir
dafür Sorge tragen .
Wir müssen den Belangen der ländlichen Räume auch
in Zukunft eine hohe Priorität einräumen . Dazu sind in
Zukunft noch mehr Haushaltsmittel nötig .
Wir haben mit dem Haushalt des BMEL einen richtigen
und wichtigen Schritt dahin getan .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt
Karin Binder .
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! HerrMinister! Meine Damen und Herren auf den Besuchertri-bünen! Mit diesem Haushaltsplan für 2017 wird eine Le-gislaturperiode zu Ende gehen, die für verpasste Chancenund leere Versprechungen durch den Ernährungsministersteht, um die unsinnige schwarze Null des Finanzminis-ters zu sichern .Herr Minister Schmidt, Sie haben in dieser Regierungnichts getan und nichts erreicht,
um den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher zustärken . Ernährungssouveränität und Lebensmittelsicher-heit wären gute Stichworte gewesen .Wo ist aber die Lebensmittelsicherheit? Auch im ver-gangenen Jahr sind aufgrund mangelnder Lebensmittel-sicherheit wieder Menschen gestorben und viele schwererkrankt . Monatelang haben Behörden in Deutschlandzugeschaut, wie sich Krankheitserreger in Deutschlandund in den Nachbarländern ausbreiten konnten, zum Bei-spiel Salmonellen in einer Hühnerfabrik oder Listerienauf Wurstwaren . Herr Minister, was sind Ihre Konse-quenzen daraus?Auch gegen Tricks und Verbrauchertäuschung derLebensmittelindustrie gibt es von Minister Schmidt nurvage Versprechungen statt wirksamer Maßnahmen . Stattgutes Essen in Kitas und Schulen gibt es von Ihnen pein-liche Empfehlungen an die Eltern, sich selbst mehr umdie Schulverpflegung zu kümmern. Zu viel Fett, Zuckerund Salz im Essen und auch Lebensmittelverschwen-dung: Aus Sicht des Bundesministeriums für Ernährungund Landwirtschaft ist immer der Verbraucher schuld .Dagegen setzt das Bundesministerium auf Infoflyerund Internet-Apps . Nur ja keine Verbindlichkeit oder gargesetzliche Maßnahmen! Der Ernährungsminister bleibtlieber bei schönen Plakaten . Der Lebensmittellobby ge-fällt das sehr gut . Sie kann mit dieser Untätigkeit gut le-ben . Die Verbraucherinnen und Verbraucher aber nicht .
Herr Minister, stellen Sie statt der Lebensmittellobbyendlich die Verbraucherinnen und Verbraucher in denMittelpunkt Ihrer Arbeit .
Das müsste sich jedoch auch in den Zahlen Ihres Haus-haltes niederschlagen und würde bedeuten, dass Sie For-derungen der Linken erfüllen müssten . Ich nenne nurfünf Beispiele .Erstens eine klare Verbraucherinformation . Dazu isterforderlich, dass das Informationsportal www .lebens-mittelklarheit .de des Bundesverbandes der Verbraucher-zentralen und Verbraucherverbände dauerhaft finanziellabgesichert wird .Zweitens . Lebensmittelsicherheit zum Schutz der Ver-braucherinnen und Verbraucher muss systematisch ge-stärkt werden . Die amtliche Lebensmittelüberwachungmuss bei überregional arbeitenden und internationalenUnternehmen auf allen Ebenen ständig zusammenarbei-ten . Die Verantwortung muss auf die Bundesebene über-tragen werden .
Die Behörden müssen jederzeit Zugang zu allen Un-ternehmensdaten bezüglich der Qualitäts- und Sicher-heitskontrollen von Lebensmitteln haben . Die größerenUnternehmen sollten an der Finanzierung dieser Kostenbeteiligt werden .Drittens . Bei anderen Produkten des täglichen Bedarfsmuss der gesundheitliche Verbraucherschutz ebensodringend verbessert werden . Das gilt insbesondere fürKinderspielzeuge . Noch immer ist jedes vierte Spielzeugauf dem deutschen Markt gesundheitsbedenklich . Daskönnen wir nicht länger hinnehmen .
Alois Gerighttp://www.lebensmittelklarheit.dehttp://www.lebensmittelklarheit.de
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 187 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 8 . September 201618586
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Wir brauchen mehr und bessere Kontrollen . Nur durchbundesweit einheitliche und konsequente Überwachungkönnen wir die Gesundheit der Kinder im Umgang mitSpielzeug ausreichend schützen . Das muss der Bund ver-antworten und mitfinanzieren.Viertens . Da wir gerade bei Kindern sind: Wir brau-chen eine gezielte und umfassende Erforschung und Un-tersuchung des Ernährungsverhaltens von Kindern undJugendlichen . Sie alle wissen, dass uns eine Generationheranwächst, die durch Fehlernährung bereits als Kinderund Jugendliche mit Übergewicht und Diabetes zu kämp-fen hat . Womit sie später als Erwachsene zu kämpfenhaben, können wir schon heute voraussagen: Das reichtvon ernährungsbedingten Krankheiten über fehlende be-rufliche Qualifikation bis zur sozialen Ausgrenzung. Wirbegrüßen deshalb ausdrücklich die Einrichtung einesIn stituts für Kinderernährung am Max-Rubner-Institut .Dort ist dieses überaus wichtige Thema in guten Händen .
Allerdings geht auch hier das Ernährungsministeriumnur halbherzig zur Sache . Das Max-Rubner-Institut solldiese Sache für null managen .
Dem Max-Rubner-Institut werden für die Einrichtungund den Betrieb des Instituts für Kinderernährung dienotwendigen Mittel in diesem Haushalt nicht zur Verfü-gung gestellt .
Wir möchten wissen, Herr Minister: Wie soll dieses Insti-tut für Kinderernährung im Einzelnen finanziert werden?
Oder was wird möglicherweise beim MRI dafür wegge-strichen?
– Das reicht gerade einmal für die Tariferhöhung, HerrKollege,
aber doch nicht für weitere Aufgaben, die noch hinzu-kommen .
Das MRI hat in den vergangenen zwei Jahren mehrerezusätzliche Aufgaben übernommen und hat keinen Centmehr bekommen .
Stellenstreichungen sind wohl dabei die Methode .Fünftens, jetzt vom theoretischen zum praktischenVerbraucherschutz . Die Linke plädiert für die Einführungeiner flächendeckenden und kostenfreien Verpflegung anallen Kindertagesstätten und Schulen .
Dazu brauchen wir die gesicherte Finanzierung der Ver-netzungsstellen Schulverpflegung und auch eine deutli-che Aufstockung und dauerhafte Absicherung durch denBund .Wir brauchen zudem endlich verbindliche Qualitäts-vorgaben für die Gemeinschaftsverpflegung auch in Pfle-ge- und Betreuungseinrichtungen, in Krankenhäusernund auch in öffentlichen Kantinen. Das wäre sogar haus-haltsneutral, Herr Minister . Dafür hätte ich noch mehrVorschläge zu machen . Die muss ich Ihnen dann im Rah-men der Beratungen im Ausschuss unterbreiten . Aber ichglaube, es reicht nicht, Infoflyer zu verteilen oder vonteuren Werbeplakaten zu lächeln . Wir müssen anpacken,und zwar an vielen Stellen .
Vielen Dank . – Als Nächstes spricht der Kollege
Johann Saathoff, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! DasGesamtvolumen des Einzelplans für Landwirtschaft undErnährung beträgt 5,9 Milliarden Euro . Das muss mansich einmal auf der Zunge zergehen lassen .Ich möchte heute auch – aber nicht nur deswegen,weil der Minister anfangen wollte, über ländliche Raum-entwicklung zu sprechen – dieses Thema aufgreifenund den Schwerpunkt meiner Rede auf die Entwicklungländlicher Räume legen . Ich glaube, dass es hier trotz desVerhältnisses von 20 Millionen Euro pro Jahr für die Ent-wicklung ländlicher Räume zu den 5,9 Milliarden EuroGesamtvolumen einen enormen Fortschritt in dieser Le-gislaturperiode gibt . Es ist nicht zuletzt den Sozialde-mokraten zu verdanken, dass wir das so hinbekommenhaben .
Das sind 100 Millionen Euro in fünf Jahren für dieEntwicklung ländlicher Räume . Wir werden die ländli-chen Räume weiterentwickeln . Wie man bei uns sagenwürde: „Wi könn’t dat – un wi maak’t dat ok!“, und zwarnicht nur durch Haushaltsansätze, sondern vor allen Din-gen auch durch Politikansätze .Karin Binder
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Dabei ist zum Beispiel der Ansatz der sozialen Dorfer-neuerung zu nennen . Mit der sozialen Dorferneuerung istgemeint, dass wir die ursprüngliche Dorferneuerung wei-terentwickeln . Früher war Dorferneuerung so angelegt,dass man sich die Straßen angesehen und gesagt hat: Siesind in einem schlechten Zustand; wir investieren Geld,und am Ende der Dorferneuerung sind die Straßen dannin einem besseren Zustand .Wir wollen aber, dass Konzepte des Zusammenlebensder Menschen in den Dörfern gefunden werden, dass dasMiteinander gestärkt wird und dass man der Frage nach-geht, wie man in welchen Verhältnissen zusammenlebt .Wir wollen nicht den Tiefbau fördern, sondern das Zu-sammenleben .
In diesem Zusammenhang gibt es zum Beispiel auchdas Konzept des Dorfkümmerers . Ich glaube, an dieserStelle kann man ruhig sagen, dass die Gemeindeschwes-ter Emmi Austermann aus Pewsum im tiefsten Ostfries-land sicher nie damit gerechnet hätte, dass sie einmalim Deutschen Bundestag erwähnt wird . Sie war bis indie 60er-Jahre hinein diejenige, die sich gekümmert hat,wenn irgendwo ein Kind geboren wurde, wenn es irgend-wo Schwierigkeiten in der Erziehung gab oder wenn ins-gesamt in der Ortschaft das eine oder andere aus dem Lotgeraten ist . Wir brauchen wieder solche Dorfkümmerer .Das ist unser Wunsch für die soziale Dorferneuerung .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen dieWertschöpfung stärken, weil das Arbeitsplätze schafft.Das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass man in denländlichen Räumen nicht nur landwirtschaftliche Pro-dukte herstellt und diese dann zur Veredelung nach au-ßen gibt, sondern wir müssen die Veredelung wieder indie ländlichen Räume zurückholen, damit die Menschennicht nur vor Ort wohnen, sich amüsieren und die tolleLandschaft betrachten können, sondern auch Arbeit fin-den und für ihre Familien sorgen können .Dazu gehört auch, dass wir dafür sorgen, dass es wie-der regionale Produkte gibt, die wir dann auch regionalvermarkten können . Dieses Bewusstsein muss gestärktwerden, und ich bin sicher: Das wird uns gelingen .
Nicht zuletzt werden wir auch über Bildungsangeboteim ländlichen Raum sprechen müssen, getreu dem Motto„Kurze Wege für kurze Beine“ . Integrierte Schulsyste-me sind genau das, was wir für die ländlichen Räumeund deren Bildungsstruktur brauchen, zum einen, um dasAngebot aller Schulformen vor Ort sicherzustellen, aberzum anderem auch, weil hinter dem integrierten Schul-system eine andere Idee steckt: nicht die Idee des Kon-kurrenten im Klassenzimmer, sondern die Idee des Part-ners bei der Erreichung von Zielen und der Wunsch, dassKinder, die an integrierten Schulen unterrichtet werden,schon in der Schulzeit die Erkenntnis gewinnen, dass derMensch mehr wert ist als die Summe seiner Schulnoten .Wir werden uns insgesamt natürlich auch darüber Ge-danken machen, wie ländliche Kulturarbeit stattzufindenhat . Ich kann an dieser Stelle einen Blick auf die Internet-seite der Ländlichen Akademie Krummhörn empfehlen,die schon ohne Förderung hervorragende ländliche Kul-turarbeit macht . Aber mit einer freundlichen Förderungdes Bundesministeriums würde sie die Kultur noch vielbesser gestalten, Herr Minister .Wir brauchen innovative Verkehrskonzepte bzw . Mo-bilitätskonzepte. Der öffentliche Personennahverkehr istnicht in einem besonders guten Zustand . Aber auf deranderen Seite ist es schwierig, seitens der öffentlichenHand Mitfahrkonzepte zu organisieren . Zwischen mei-nem Heimatort und der nächstgelegenen Stadt werdenjeden Tag 15 000 leere Sitze hin- und hergefahren . Aberfür eine Rentnerin wird es schwierig, von dem einen Ortzum anderen Ort zu kommen, einzig und allein deshalb,weil es an bürokratischen Hürden gescheitert ist – es warauch mir damals in der Verwaltung nicht möglich, sie zuüberwinden –, Mitfahrkonzepte auf öffentlicher Ebene zuorganisieren . Daran müssen wir arbeiten, liebe Kollegin-nen und Kollegen .
Wir müssen auch daran arbeiten, dass der Breitband-ausbau im ländlichen Raum vorankommt, und zwar nichtnach den urbanen Zentren, sondern gleichzeitig mit ih-nen .Ich habe in diesen Tagen oft gehört, dass die Vecto-ring-Entscheidung stark kritisiert wird . Aber als Landei,als Kind vom Land, sage ich Ihnen: Mir ist lieber, schnel-ler besseres Internet zu haben, als mich mit wirtschafts-theoretischen Ergüssen auseinanderzusetzen . Aus derPosition einer Stadt wie Berlin mit der entsprechendenVersorgung kann ich leicht argumentieren, ob jemandein Monopol bekommt oder nicht, aber das interessiertdie Menschen im ländlichen Raum nicht . Sie wollen ansInternet angeschlossen werden . Deswegen werden wirmassiv in den Glasfaserausbau investieren müssen, undzwar nicht nur in urbanen Zentren, sondern auch in denländlichen Räumen . „Fiber to the building“ heißt dasStichwort in dieser Frage .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, 100 Millionen Euroin fünf Jahren, also 20 Millionen Euro für die Entwick-lung ländlicher Räume pro Jahr, sind viel Geld; aberdas ist nur ein Einstieg . Wir werden deutlich mehr Geldbrauchen, wenn wir, wie man so schön sagt, die Projekte,die jetzt im Pilotstadium entwickelt werden, übers Landausrollen bzw . im Land implementieren wollen . Deswe-gen werden wir uns in den nächsten Monaten, aber auchin den nächsten Jahren Gedanken machen müssen, wiewir denn die Ausfinanzierung der weiteren Umsetzunggestalten wollen . Das kann man zum Beispiel machen,indem man sich Gedanken darüber macht, ob die GRWund die GAK in dieser Frage nicht viel enger miteinanderverbunden werden könnten, als das bisher der Fall ist .Mein letzter Gedanke dazu ist: Wir müssen aufpassen,dass die Küstenschutzmittel noch in ausreichendem Um-fang vorhanden sind . Ich habe in diesem Jahr als Deich-Johann Saathoff
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richter zum ersten Mal erlebt, dass nicht ausreichendMittel für den Küstenschutz vorhanden waren . Das warnicht so, weil die Dinge zu teuer wurden, sondern weildie Zahl der angemeldeten Maßnahmen in sehr starkemMaße gestiegen war . Wir müssen also darauf achten, dassdie Mittel dafür in ausreichendem Maße vorhanden sind .Wi könn’t dat – un wi maak’t dat ok! Mit diesemHaushalt entwickeln wir – da bin ich ganz sicher – dieländlichen Räume ein kleines Stück weiter .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Als Nächste hat Nicole Maisch, Bünd-
nis 90/Die Grünen, das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Bevor ich versuche, einiges zum Haushalt zu sagen, las-sen Sie mich, Herr Minister, kurz auf das reagieren, wasSie zu den Freihandelsabkommen gesagt haben . Michhat es schon erschreckt, dass Sie weder für die Qualitätunserer Lebensmittel noch für unsere europäische bäu-erlich geprägte Agrarstruktur Gefahren in diesen Frei-handelsabkommen sehen wollen . Ich glaube, das ist einenaive Sicht auf das, was im Moment zwischen der Euro-päischen Union und den USA bzw . Kanada verhandeltwurde bzw . wird .
Wenn Sie sich anschauen, was die Verbände der ökolo-gischen Landwirtschaft, der Naturkosthandel und auchdie Vertreter der bäuerlichen Landwirtschaft zu den Zu-kunftsoptionen bei TTIP und CETA sagen, dann werdenSie feststellen, dass dort die nackte Angst um unsere Artder Agrarstruktur herrscht . Auch herrscht da Angst vorPunkten wie Gentechnikkennzeichnung, Schlachthygie-ne oder Herkunftsnachweise . Wir haben als Europäer mitunseren regionalen Spezialitäten ja etwas, was uns aufden internationalen Märkten auszeichnet . All das wird alsHandelshemmnis von der amerikanischen Seite in denVerhandlungen infrage gestellt .Herr Kollege Spiering, Sie haben gesagt, die Wirt-schaftsverbände und die Gewerkschaften hätten da ir-gendwelche Dinge besser machen müssen . Ich glaube,dass das eine falsche Sicht auf diese Sache ist . Wer jetztam Zug ist, das zu verhindern – gerade bei TTIP, aberauch bei CETA –, sind doch die Sozialdemokraten . IhrKollege Miersch hat sehr deutlich gesagt, dass kein So-zialdemokrat in einem Parlament dem zustimmen kann,was bei CETA vorliegt . Da sind jetzt Sie gefragt – undnicht der Deutsche Gewerkschaftsbund .
Ein Jahr vor der Bundestagswahl ist ja eine gute Zeit,Bilanz zu ziehen . Die Bilanz dieses Ministers ist, was dieThemen Ernährung und Tierschutz angeht, leider mehrals dünn . Man kann sich vorstellen, dass es im Ministeri-um einen Schreibtisch mit Stapeln unerledigter Aufgabengibt . Ich will nur zwei exemplarisch nennen .Erstens nenne ich – das steht im Koalitionsvertrag –die Reform des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbu-ches . Ich nehme an, dass es Elvira Drobinski-Weiß hi-neingeschrieben hat . Da steht es gut . Seitdem ist nichtspassiert . Schon 2015 stand das auf der Kabinettstages-ordnung, wurde aber abgesetzt . Seitdem ist es in der Ver-senkung verschwunden .Zweitens nenne ich die Verordnung zum Schutz derVerbraucherinnen und Verbraucher vor giftigen Mine-ralölen . Das will niemand im Essen haben, es ist nichtgesund . Das Ding gammelt seit 2012 auf Halde herum .Ich finde, es ist jetzt Zeit, da in die Puschen zu kommenund etwas für den Schutz der Verbraucherinnen und Ver-braucher zu tun .
Herr Minister, wenn Sie denn Projekte anpacken, dannlaufen die nicht selten grandios vor die Wand . Ich erin-nere an das Verbot der Pelztierhaltung . Der Minister hates im letzten Winter groß in der Presse angekündigt undden Gesetzentwurf schon mal an die Medien weiterge-geben . – Zack, die Unionsfraktion kassiert es wieder!Es wäre sehr sinnvoll, gute Projekte wie das Verbot derPelztierhaltung vorher mit den eigenen Leuten abzustim-men . Dann kann am Ende auch etwas herauskommen,das dem Tierschutz dient .Als weiteres Beispiel nenne ich den Schutz von Kin-dern und Jugendlichen vor den Gefahren der Energy-drinks . Wir alle wissen, dass es insbesondere bei männ-lichen Jugendlichen eine Gruppe gibt, die zu viel vondiesen Limonaden konsumiert . Das ist schädlich fürdas Herz und den gesamten Organismus . Der Ministerund die Koalition können sich nicht dazu entschließen,zu sagen: Das Zeug darf nicht mehr an Kinder verkauftwerden . – Also schaltet er eine Info-Website . Leider hatniemand im Ministerium gecheckt, ob die Dosis, dieman den Kindern da vorschlägt, auch korrekt ist . DieBild-Zeitung hat es herausgefunden: Die angegebenenVerzehrsempfehlungen waren falsch . Die Website gingwieder vom Netz. Offen gestanden, das ist ein bisschenpeinlich .
Einen ähnlichen Rohrkrepierer gibt es beim Thema„besseres Essen in Kita und Schule“ . Das Ministeriumerfindet die Kampagne „Macht Dampf!“. 2,5 Millio-nen Euro hat uns der Spaß gekostet . Leider haben nur329 Menschen – mich eingeschlossen – die Kampagnen-materialien heruntergeladen . Kernstück der Kampagnewar: Die Eltern laden das herunter, schreiben Brandbrie-fe an die Schulen und machen deutlich: Wir wollen einbesseres Essen an den Schulen . Deutschlandweit ist das,wie gesagt, 329-mal geschehen . Zehnmal war es meinBüro, weil wir immer wieder einmal geschaut haben,was Sie im Ministerium so machen. Ich finde, das istJohann Saathoff
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eine schlechte Bilanz und, ganz ehrlich gesagt, eine Ver-schwendung von Steuergeldern .
Hier könnten Sie beim nächsten Mal etwas kritischersein . Herr Caesar wird ja nach mir noch sprechen .Die Tabakwerbung wurde bereits als Beispiel genannt .Es gibt einen schönen Gesetzentwurf . Wir haben superPressemitteilungen von der Drogenbeauftragten und vomMinister erhalten . Was ist herausgekommen? Nichts!Auch das ist relativ peinlich . Bei dem Thema Tabakwer-bung sind wir in Deutschland tief in den 90er-Jahren ste-hen geblieben . Suchtprävention im 21 . Jahrhundert siehtanders aus . Da hätte man bei der Außenwerbung deutlichschärfer herangehen können . Der Minister hat dazu guteVorschläge gemacht . Allein, er kann sie nicht durchset-zen . Das ist mehr als traurig .
Zur Einrichtung eines Instituts für Kinderernährungam Max-Rubner-Institut hat Karin Binder alles Not-wendige gesagt . Ich bin sehr gespannt, Herr Caesar,wo im Haushalt die dafür notwendigen Millionen ein-gestellt sind . Ich jedenfalls habe das anders verstanden .Nach meiner Auffassung ist der Mittelaufwuchs beimMax-Rubner-Institut für andere Dinge vorgesehen, zumBeispiel als Kompensation der Tariferhöhungen . AberSie können uns gleich noch erläutern, wo die Millionenversteckt sind .Sie wollen des Weiteren ein neues Bundeszentrum fürErnährung aufbauen . Es handelt sich um eine zentraleEinrichtung für Ernährungskommunikation und -kompe-tenz . Super Idee! Aber selbst bei einer solch guten Ideesollte man zuvor dem Koalitionspartner Bescheid sagen,dass man so etwas machen will . Dann werden solcheProjekte normalerweise viel besser und einfacher auf denWeg gebracht . Auch bewährte Kooperationspartner wiedie DGE oder die Verbraucherzentralen sollte man, bevorman ein solches Kaninchen aus dem Hut zaubert, zumin-dest informieren und deren Sachkompetenz nutzen .
Herr Minister, am Anfang Ihrer Amtszeit haben Sieversprochen: Am Ende soll es den Tieren in diesem Landbesser gehen . – Ja, das haben Sie versprochen . Bisher ha-ben wir aber noch sehr wenig dazu gehört . Leider neigtsich meine Redezeit dem Ende zu . Deshalb will ich nurnoch zwei Punkte nennen .
Ihre Redezeit ist schon zu Ende .
Dann mache ich ganz schnell . – Zum Verbot der Pelz-
tierhaltung und zum Verbot von Wildtieren im Zirkus:
Hierzu hat der Bundesrat ein ums andere Mal Beschlüsse
gefasst . Es gibt eigentlich einen breiten gesellschaftli-
chen Konsens dazu . Der Ball liegt quasi vor dem Tor . Sie
müssen ihn nur noch reinmachen . Wenigstens das sollte
in dieser Legislaturperiode für die Tiere möglich sein .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Ich darf alle Kolleginnen und Kolle-
gen noch einmal daran erinnern, sich an die vereinbar-
te Redezeit zu halten . Das macht uns nun der Kollege
Thomas Mahlberg vorbildlich vor .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Mir wurde schon vorab eineMinute von meiner Redezeit abgezogen . Von daher binich schon Vorbild .Herr Kollege Spiering, auch ich wollte Sie kurz aufdas Freihandelsabkommen ansprechen, allerdings auseiner anderen Perspektive . Ich war ebenfalls ein biss-chen überrascht, als Sie gesagt haben: Wir sind jetzt inein Problem hineingeraten, weil die Arbeitgeber und dieGewerkschaften das nicht ordentlich ausverhandelt hät-ten . An Ihrer Stelle würde ich das mit dem Bundeswirt-schaftsminister besprechen, der normalerweise auf derRegierungsbank seinen Platz hat .
Da ist doch etwas schiefgelaufen . Zu diesem Schlusskomme ich, wenn ich mir seine Äußerungen zu den Frei-handelsabkommen vor Augen führe . Es gibt bereits sehrviele solcher Abkommen . Diese helfen natürlich unsererWirtschaft und insbesondere unserer Landwirtschaft; da-rauf hat Christian Schmidt zu Recht hingewiesen .
Sie haben über die Chancen der Landwirtschaft ge-sprochen; das ist völlig richtig . Aber das sollten Sie nichtnur an uns, die wir uns mit Landwirtschaft befassen, son-dern zum Beispiel auch an die BundesumweltministerinHendricks adressieren . Ich habe den Eindruck, dass FrauHendricks immer dann, wenn wir über Chancen spre-chen, uns gerne den einen oder anderen Stein in den Weglegen möchte . Ich möchte Sie bitten, Frau Hendricks da-rauf einmal anzusprechen .
– Man darf doch diskutieren; das ist völlig in Ordnung .Da sie mich gerade so nett ansprechen: Ich höre Ihnengerne zu, wenn Sie beispielsweise über Bio sprechen .Sie betrachten immer nur einen kleinen Ausschnitt ausder Landwirtschaft. Ich finde, was bei Ihnen fehlt, ist derBlick darauf, was Landwirtschaft eigentlich in diesemNicole Maisch
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Land leistet . Die Landwirtschaft muss auch dafür sorgen,dass die Menschen ernährt werden können .
Ich möchte Sie einfach bitten, auch zur Kenntnis zu neh-men, dass Landwirtschaft eine Aufgabe hat . Das ist keineSpielwiese, sondern Landwirtschaft hat eine Aufgabe .
– Deshalb wundere ich mich umso mehr . Sie wissen dasdoch .
Frau Kollegin Maisch, Sie sagten, man habe nichtsfür das Tierwohl getan . Der Unterschied zwischen Ihnenund uns ist doch ganz offensichtlich: Sie brauchen immerein Gesetz . Wenn es dann tatsächlich Initiativen gibt wiedie Tierwohlinitiative, die von unserem Bundeslandwirt-schaftsminister gestartet wurde, dann zählt das für Siegar nicht . Bei Ihnen muss immer alles in Gesetzesformgegossen werden . Das macht den großen Unterschiedzwischen uns aus . Diese Initiative ist doch sehr gut ange-laufen . Dass das nicht von jetzt auf gleich geht, ist klar .
Ich meine, wir diskutieren hier über den Haushalt . DerHaushalt zeigt doch eines sehr deutlich, nämlich dass diefamiliengeführte bäuerliche Landwirtschaft, so wie Sie,liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, sichdas wünschen, eine Zukunft hat . Solange das Ministe-rium in Unionshand ist – das merkt man sehr deutlichan der Politik der letzten Jahre –, so lange haben dieseFamilien auch eine Zukunft .
Das Ministerium ist in guten Händen . Ich würde sogarso weit gehen, zu sagen – das zeigen Ihre Wortbeiträge,die Sie heute wieder geleistet haben –, dass die Landwirt-schaftspartei hier in diesem Hause die Union ist .
Landwirtschaft muss natürlich auch verbraucherorien-tiert sein – auch darüber ist diskutiert worden –, selbstver-ständlich . Auch wir wollen natürlich auf der einen Seitedie Wettbewerbsfähigkeit der Landwirte, wir wollen aberauf der anderen Seite sichere Lebensmittel und verlässli-che Informationen . Die Lebensmittel in Deutschland sinddoch die sichersten Lebensmittel, die wir je hatten . Auchdas sollte man den Menschen immer wieder sagen, an-statt ihnen Angst zu machen .
Der Haushaltsplan trägt genau diesem Ansinnen invollem Umfang Rechnung . Der Ernährungsbereich istauch im kommenden Jahr, wie ich finde, bestens aufge-stellt und erreicht ein sehr hohes Niveau .Liebe Frau Kollegin Binder, es ist ein bisschen ver-wirrend, was Sie darstellen, weil Sie immer alle Ebenenmiteinander vermischen, zum Beispiel die Kompetenzender kommunalen Ebene mit denen der Landesebene .
Am Ende sagen Sie immer: Der Christian Schmidt mussalles machen .
Das ist ein bisschen schwierig . Sie stellen immer allesschön dar hier vor dem Publikum, aber tatsächlich wis-sen Sie genau: Da sind verschiedene Kompetenzen be-rührt . – So einfach ist das nicht .
Sie wissen genau: Es gibt unterschiedliche Ebenen . Diemüssen natürlich miteinander vernetzt sein und zusam-menarbeiten, aber nicht alles wird aus dem Bundesland-wirtschaftsministerium gesteuert .Ich finde, gerade im Ernährungsbereich sieht es her-vorragend aus; denn wir haben verschiedene Programmeim Rahmen der Möglichkeiten, die wir auf der Bundes-ebene haben, aufgelegt . Ich nenne die Projekte IN FORModer auch „Zu gut für die Tonne“ . Auch hervorzuhebenist der Aufbau des Bundeszentrums für Ernährung; dasist eben schon erwähnt worden . Es soll ein Kompetenz-und Kommunikationszentrum werden, das gerade derÖffentlichkeit als Ansprechpartner für alle Fragen rundum die Ernährung dient, im Prinzip vom Acker bis zumTeller . Das ist genau das, was die Menschen brauchen:viel Information .Für Panikmache und Desinformation ist an dieserStelle – wir haben das gerade von der Kollegin Maischgehört – überhaupt kein Anlass gegeben .
Was wir brauchen, ist eine wissensbasierte und einesachliche Ernährungspolitik . Deshalb ist es gut – ichglaube, das ist allseits anerkannt worden –, dass beimMax-Rubner-Institut das Institut für Kinderernährungeingerichtet wird . Dort soll Forschungsarbeit geleistetwerden. Es sollen die Einflussfaktoren, die das Essver-halten und die Trinkgewohnheiten der Kinder prägen,untersucht werden . Es soll erforscht werden, wie sichdiese für die Hinführung zu einer gesunden LebensweiseThomas Mahlberg
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nutzen lassen; denn wir alle wissen: Was Hänschen oder,von mir aus, auch Gretchen nicht lernt … Sie kennen denSpruch, glaube ich .Apropos lernen: Wie man in der wissenschaftlichenWelt hoch anerkannte Gutachten und Analysen erstellt –liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ichmuss Sie leider noch einmal ansprechen, aber Sie sitzenmir ja auch gleich gegenüber –, zeigt das Bundesinstitutfür Risikobewertung . Das ist eine Institution – ich willdas in Erinnerung rufen –, die von Frau Künast, also ei-ner Kollegin von Ihnen, damals ins Leben gerufen wur-de . Diese Institution bekämpfen Sie anscheinend bis aufsMesser, weil sie nicht in Ihre Analysen, in Ihre Angstpo-litik, die Sie immer machen, hineinpasst .Ich finde, Sie täten eigentlich gut daran, wenn Sie dieExpertisen, die vorgelegt werden, tatsächlich einmal denFachleuten überließen . Wir haben hier schon einige vonIhnen benannte Fachleute erlebt . Sie haben eigentlich nurzur Verunsicherung der Menschen in diesem Land bei-getragen .
Ich erinnere an Äußerungen zu Glyphosat in der Mutter-milch und zur damit verbundenen Frage des Stillens vonKleinkindern. Ich finde, Sie können sich an dieser Stel-le sehr entspannt zurücklehnen; denn es gibt zusätzlicheMittel für das BfR . Dort werden Risikobewertungen vor-genommen. Ich finde, auch die Kommunikation ist dortin guten Händen .Der Minister hatte das Thema eben noch einmal kurzangesprochen – auch ich will es tun –: das Geschacherum Glyphosat . Für mich ist das völlig unverständlich;das muss ich ehrlich sagen . Nachdem sich alle deutschenBehörden, die für die Bewertung von Glyphosat zustän-dig sind, für die Neuzulassung dieses Wirkstoffs ausge-sprochen haben, musste sich die Bundesregierung beiden Abstimmungen in Brüssel enthalten .
Damit hat man ja nicht nur die eigenen Behörden unddie Fachleute vor den Kopf gestoßen, sondern es werdenZulassungsverfahren insgesamt ad absurdum geführt,wenn so eine Frage nicht mehr wissenschaftlich beant-wortet wird, sondern nur noch politisch .
Die Kolleginnen und Kollegen der SPD sollten darübernoch einmal nachdenken .Ich fand das Geschacher an dieser Stelle unwürdig . Esist sowieso eine schwierige Situation, wenn es um dieZulassung und die Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmit-teln geht. Diese Pflanzenschutzmittel werden in diesemLand natürlich gebraucht, wenn wir die Ernährung derMenschen sicherstellen wollen . Es gibt ganz viele neueHerausforderungen . Unsere Kollegin hat sich sehr inten-siv um die Kirschessigfliege gekümmert, die hier einge-schleppt wurde und unwahrscheinlich viele Schäden imObst- und Weinbau hervorruft . Auch da hat sich die Bun-desregierung positiv aufgestellt und Geld für entspre-chende Demonstrationsvorhaben bereitgestellt .Da ich mich vorbildlich verhalten sollte, was die Re-dezeit angeht, komme ich jetzt leider nicht dazu, nochetwas zum Gartenbau zu sagen . Ich kann nur feststellen:Der Haushalt bietet dem Gartenbau große Perspekti-ven, gerade was Energieeffizienz angeht. Wir haben denentsprechenden Ansatz um 25 Millionen Euro erhöht .Gerade in diesem Bereich sind wir auch im Sinne desKlimaschutzes tätig . Ich glaube, es ist ein sehr zukunfts-weisender Haushalt, der uns hier vorliegt . Ich würdemich sehr freuen, wenn wir das alle so sehen könntenund ihn gemeinsam verabschieden würden .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als Nächstes hat Ursula Schulte,
SPD-Fraktion, das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Mi-nister Schmidt! Meine sehr verehrten Damen und Herrenauf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichspare mir das nette Vorgeplänkel, das ich in meinem Ma-nuskript stehen habe, und gehe kurz auf Frau MaischsBemerkung zum Thema CETA und SPD ein . FrauMaisch, ich finde Ihre Bemerkung unredlich,
weil Matthias Miersch nicht gesagt hat: Der Vertrag istfür die SPD nicht zustimmungsfähig .
Er hat eindeutig gesagt: Der Vertrag ist so nicht zustim-mungsfähig . – Er setzt auf die parlamentarischen Be-ratungen. Ich finde, dass es die SPD ehrt, dass wir alsPartei über die Inhalte von CETA streiten . Bei uns ist esanders als bei Ihnen: Sie lehnen den Vertrag ja ab, weilSie einfach Spaß am Ablehnen haben, egal wie der Ver-trag aussieht .
Im Einzelplan des Ministeriums für Ernährung undLandwirtschaft finden wir viele Ansätze, die wir be-grüßen und richtig finden. Nehmen wir zum Beispieldas Thema Biodiversität . Ich freue mich, Herr Minister,dass dieses Thema am Johann-Heinrich-von-Thünen-In-stitut einen Schwerpunkt bilden wird . Das ist aber auchzwingend erforderlich, und ich sage Ihnen auch gleich,warum: Während meiner Sommertour durch meinenWahlkreis habe ich die Biologische Station Zwillbrockbesucht; vielleicht sagt Ihnen das etwas . Von einem sehrengagierten und immer noch hochmotivierten LeiterThomas Mahlberg
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wurde mir leider bestätigt, dass es um den Artenschutz,um biologische Vielfalt und um das Zusammenspiel vonLandwirtschaft und Artenschutz nicht gut bestellt ist .
Frau Kollegin Schulte, wenn Sie einmal Luft holen!
Ich muss Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage der Kol-
legin Maisch zulassen .
Nein .
Dann ist es gut .
Ich habe alles zu CETA gesagt, was ich sagen wollte,und ich lasse jetzt nicht zu, dass das infrage gestellt wird .
Sie, Frau Maisch, können mir das gleich gerne sagen .Der Leiter der Biologischen Station Zwillbrock hatmir gesagt, dass die Insektenpopulationen gewaltig aufdem Rückzug sind, ebenso der Kiebitz und die Bienen .Ich finde, das sind eindeutige Warnsignale. Der Indika-torenbericht 2014 sagt ebenfalls aus, dass wir etwas fürden Erhalt der Artenvielfalt tun müssen . Also: Wir sindeigentlich schon lange aufgefordert, zu handeln . Unse-re Aufgabe wird es daher sein, die Erkenntnisse, die wirdurch das Thünen-Institut bekommen, schnell umzuset-zen . Das ist notwendig für unsere Umwelt, für unsereKinder und für unsere Enkelkinder .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein großer Teil desEinzelplans 10 ist sozialpolitisch gebunden . 67 Prozentder gut 5,8 Milliarden Euro sind für die Alterssiche-rung der Landwirte, für ihre Krankenversicherung, fürdie landwirtschaftliche Unfallversicherung und für vie-le Dinge mehr reserviert . 2016 haben wir einen zusätz-lichen Zuschuss von 78 Millionen Euro für die Unfall-versicherung bereitgestellt, um der schwierigen Situationder Landwirte Rechnung zu tragen .Ich bin mir mittlerweile allerdings nicht mehr sicher,ob all diese Maßnahmen wirklich greifen, vor allen Din-gen wenn die Mittel nicht zielgenau für die Landwirteausgegeben werden; denn ich stelle fest, dass die Pro-bleme der Landwirtschaft sehr komplex sind . Genausokomplex und vielfältig wie die Probleme sind auch dieAntworten der Landwirte, die ich zum Beispiel zum The-ma Milchkrise bekomme . Die einen sind total verzwei-felt und fordern immer mehr staatliche finanzielle Hilfen.Die anderen erklären mir, dass es der Markt schon regelnwird .
Ich bin mittlerweile zu der Erkenntnis gekommen, dasses für die Politik hier einzig und allein um die Gestaltungdes Strukturwandels gehen kann . Die Politik muss ehr-lich sagen, was sie will, und dann für die entsprechendenRahmenbedingungen sorgen . Nach den Vorstellungenmeiner Fraktion sind das Rahmenbedingungen für einenachhaltige Landwirtschaft, für die es langfristig öffent-liche Gelder nur noch für öffentliche Leistungen gebensoll .
Lassen Sie mich nun, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, einen Blick auf die Verbraucher- und Ernährungs-politik werfen . Das geplante Bundeszentrum für Ernäh-rung kann eine gute Idee sein, wenn wir wissen, welcheAufgabenstruktur das Ministerium sich so vorstellt . Mirerschließt sich zurzeit nicht, warum eine gut funktionie-rende Einrichtung wie der aid infodienst – das ist derInfodienst für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-cherschutz – unbedingt in die geplante neue Organisa-tionsstruktur eingebaut werden soll . Der aid infodiensthat gute Arbeit geleistet, hat kritisch hinterfragt und hatüberzeugende Informationen geliefert . Das spricht ei-gentlich für die Fortsetzung dieser Arbeit im bewährtenRahmen. Mit dieser Auffassung stehe ich im Übrigennicht ganz allein da, wie ich aus der Agrarministerkon-ferenz höre . Der baden-württembergische Minister fürLändlichen Raum, Peter Hauk, sieht die Eile, mit der hierumstrukturiert werden soll, ebenfalls kritisch . Wir solltenalso gemeinsam noch einmal überlegen, wie die Arbeitdes geplanten Bundeszentrums in Zukunft aussehen soll .Herr Minister, Sie haben in den Haushalt 2016 2 Mil-lionen Euro für eine Nationale Strategie zur Reduktionvon Zucker, Fett und Salz eingestellt, und ich bin richtiggespannt auf die Ergebnisse, weil es da dringenden Hand-lungsbedarf gibt; denn Deutschland ist beim Zuckerver-brauch Europameister . Da hilft es auch nicht, wenn Sie,wie bei hart aber fair, auf die freiwillige Selbstverpflich-tung der Industrie setzen . Sie können die Verantwortungdafür nicht immer nur bei den Konsumenten abladen,Herr Minister .
Was mich besonders ärgert, ist das Verhalten der Indus-trie bei den Produkten für Kinder .
Diese werden so aggressiv beworben, dass Eltern schonsehr standfest sein müssen, wenn sie ihre Kinder vordiesen zuckerhaltigen Produkten schützen wollen . MeinFazit lautet: Wir müssen endlich die Vorherrschaft desZuckers in der deutschen Ernährung beenden . Das sindwir zumindest unseren Kindern schuldig, meine Damenund Herren .
Ursula Schulte
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In diesem Zusammenhang fallen mir auch noch dieEnergydrinks ein; Frau Maisch hat das auch erwähnt .Die Informationsseite des Ministeriums war ein Flop; sieist vom Netz genommen . Wir haben vor zwei Jahren inIhrem Haus schon einmal über dieses Thema diskutiert,Herr Minister . Leider ist seitdem nicht viel Weltbewe-gendes passiert. Ich finde, Sie sollten endlich die Hin-weise der Kinderkardiologen ernst nehmen und handeln .Wir können gern gemeinsam überlegen – das biete ichIhnen an –, wie wir es schaffen, dass Kinder und Jugend-liche vor einem übermäßigen Konsum von Energydrinksgeschützt werden .
Mir ist noch wichtig, auf die Bedeutung der Schulver-netzungsstellen hinzuweisen und darauf, dass das For-schungsinstitut für Kinderernährung bei der SPD ganzoben auf der Agenda steht . Wir sind sehr daran interes-siert, dass das für die Zukunft verlässlich finanziert wird.Liebe Kolleginnen und Kollegen, 30 Jahre Kommu-nalpolitik haben mich gelehrt, dass Haushaltsplanbera-tungen kein Wunschkonzert sind . Aber wir müssen tun,was wir können, um wenigstens einige unserer Wünschezu realisieren . In diesem Sinne wünsche ich uns alleneine gute Beratung und viel Erfolg .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Die Kollegin Maisch hat um das Wort
zu einer Kurzintervention gebeten . Bitte schön, Kollegin .
Frau Kollegin, Sie haben meine Zwischenfrage leider
nicht zugelassen . Deshalb möchte ich so einige Dinge
zum Thema CETA klarstellen: Über CETA wird nicht
mehr verhandelt . Die Verhandlungen sind abgeschlossen .
Wer noch verhandelt, ist der SPD-Parteitag . Aber das än-
dert am Ende überhaupt nichts am Vertragstext .
Die Rechtsförmlichkeitsprüfung ist abgeschlossen . Der
Vertragstext ist übersetzt . Das heißt: Das Abkommen ist
fertig, und man kann sich jetzt entscheiden, ob man zu-
stimmen möchte oder nicht . Dazu hat Herr Miersch klare
Sätze gesagt . Er hat gesagt, „dass die von Parteitag und
Parteikonvent gezogenen roten Linien in zentralen Punk-
ten … nicht eingehalten“ werden . Weiter hat er gesagt:
Aus meiner Sicht kann kein sozialdemokratisches
Mitglied eines Parlaments diesem Abkommen in
der vorliegenden Fassung zustimmen .
Es gibt aber keine andere Fassung . Sie können auf
Ihrem Konvent beschließen, was Sie wollen . CETA ist
ausverhandelt . Daran ändert der SPD-Parteikonvent
nichts. Ich finde, Sie müssen sich sehr genau überlegen,
ob Investor-Staat-Schiedsgerichte, die in CETA weiter-
hin enthalten sind und bei denen durch die regulatori-
sche Kooperation die gesetzgeberischen Kompetenzen
von den Parlamenten hin zu Gremien, die von keinem
gewählt werden, verlagert werden, etwas sind, was man
gut finden kann.
Frau Kollegin Schulte, möchten Sie darauf antwor-
ten? – Das ist nicht der Fall . Ich bin als Präsidentin im-
mer froh, dass den Parlamenten noch eine große Bedeu-
tung zukommt . Dafür sitzen wir hier als Abgeordnete .
Der nächste Redner ist der Kollege Cajus Caesar für
die CDU/CSU-Fraktion .
Verehrte Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kol-legen! Zum dritten Mal den Haushalt mit einer schwar-zen Null auszugleichen, darauf können wir, denke ich,stolz sein . Das ist eine besondere Leistung . Das ist einebesondere Leistung unseres Finanzministers WolfgangSchäuble, aber auch dieser Regierung . Ich denke, damitkönnen wir die Zukunft gestalten .
Ich sage Dank an die Landwirte und die Bäuerinnenvor Ort, dass sie unsere Kulturlandschaft gestalten, dasssie dafür sorgen, dass wir satt werden und gesunde Le-bensmittel haben . Ich denke, das sollten wir nicht verges-sen und mit einem Dankeschön verbinden .
Meine Vorrednerin von der SPD hat ja etliche Wün-sche an den Minister gerichtet . Ich habe einen Wunsch anden Koalitionspartner: dass man vielleicht bei der Bun-desumweltministerin darauf achtet, dass sie nicht das oh-nehin schwere Leben unserer Landwirte weiter erschwertdurch zusätzliche Auflagen, die über die EU-Rahmenbe-dingungen hinausgehen .
– Ja, das werde ich gerne machen . Wenn sie entsprechendreagiert und wir darüber reden können, wie man zu demErgebnis kommt, dass wir unsere ländlichen Räumedurch Umwidmung von landwirtschaftlichen Gebäudenund dadurch, dass wir Ställe modernisieren, so gestaltenkönnen, dass wir mehr Tierwohl haben, führe ich diesesGespräch gerne mit ihr .Die Landwirte stehen vor großen Herausforderun-gen: Die Ernte ist nicht so reichhaltig wie gedacht . DiePreise für Weizen liegen deutlich niedriger . Auch bei derMilch geben die Rahmenbedingungen keinen Anlass zurEuphorie . Die Zahl der Milchviehbetriebe ist seit demUrsula Schulte
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Jahr 2000 insgesamt zurückgegangen; dennoch müssenwir feststellen, dass die Milchmenge um 5 MillionenTonnen gestiegen ist . Eine staatliche Festsetzung derMenge wäre falsch . Aber natürlich wollen wir unserenLandwirten helfen . Deshalb setzen wir entsprechendeRahmenbedingungen . Ich bin unserem Minister ChristianSchmidt sehr dankbar, dass er dafür gesorgt hat, dassdie EU 500 Millionen Euro bereitstellt . Das ist ja nichtselbstverständlich; das muss man auf europäischer Ebeneerst einmal hinbekommen . Das bedeutet 150 MillionenEuro, um die Regelungen zur Milchmenge neu zu gestal-ten, und 350 Millionen Euro, also 58 Millionen Euro fürDeutschland, um Rahmenbedingungen setzen zu können,damit unsere Landwirte wieder in die Zukunft schauenkönnen . Man muss als Minister Rückgrat zeigen . Das hatunser Minister getan, und zwar nicht nur in diesem Be-reich . Herzlichen Dank, Christian Schmidt .
Was wir uns als Union allerdings auch wünschen, ist,dass aus den Bundesländern nicht nur heiße Luft kommt,sondern dass sie dazu beitragen, diese Mittel zu erhöhen .
Wir wollen, dass diese Mittel in Höhe von 58 MillionenEuro national verdoppelt werden . Aber es stünde denLändern gut an, weitere 58 Millionen Euro bereitzustel-len . Das wäre gut für die Landwirte und die Bauern inunserem Land . Deshalb bitte ich alle Bundesländer, ins-besondere die rot-grün regierten: Setzen Sie sich dafürein, dass die entsprechenden Mittel bereitgestellt wer-den! Dann sind wir auf dem richtigen Weg für unsereLandwirtschaft .
Zusätzlich bringen wir ein Liquiditätsprogramm aufden Weg . Ausfallbürgschaften werden vom Bund getra-gen . Wir werden steuerliche Rahmenbedingungen andersgestalten, um zu einer unbürokratischen Entlastung zukommen . Ich glaube, dass dies der richtige Weg ist .Wir setzen mit diesem Haushalt Akzente . Angesichtsder schwarzen Null wird es immer schwieriger, für ein-zelne Bereiche mehr Geld bereitzustellen . Nachdem wirim letzten Jahr schon rund 250 Millionen Euro mehr indiesem Haushalt bereitgestellt haben, sind es nun über300 Millionen Euro . Ich denke, das ist ein Zeichen fürunsere Landwirtschaft, die ländlichen Räume, die Mo-dell- und Demonstrationsvorhaben .
Für den Sozialbereich bedeutet das: 65 Millionen Euromehr für die Alterssicherung, 40 Millionen Euro mehrfür die Krankenversicherung, 78 Millionen Euro mehrfür die landwirtschaftliche Unfallversicherung . Für dielandwirtschaftliche Unfallversicherung bedeutet das eineBeitragsentlastung von 37 Prozent . Ich nenne ein Bei-spiel: Für einen Betrieb mit 100 Hektar Grünlandflächeund 160 Milchkühen und einem Risikobeitrag von insge-samt 5 000 Euro liegt die Entlastung in der Unfallversi-cherung bei 1 800 Euro . Ich denke, das kann sich sehenlassen .
Wir können nicht alles staatlich regulieren; aber wir kön-nen Zeichen setzen . Das tun wir damit .Da uns der ländliche Raum wichtig ist, haben wirdie Gemeinschaftsaufgabe neu gestaltet . In den letztenHaushaltsberatungen haben wir immer wieder gehört: Ihrmüsst mehr für den ländlichen Raum tun . Das tun CDU/CSU und SPD . So haben wir den Titelansatz im Haushaltvon 590 Millionen Euro in 2015 auf jetzt 765 MillionenEuro erhöht .
Dabei muss man zur Kenntnis nehmen, dass Zu-kunftsprojekte zur gesunden Ernährung und zur sozialenAusrichtung Aufwüchse erfahren haben; wir tun etwasdafür . Diese Projekte werden durch zusätzliche Mittelbegleitet von mittelständischen Betrieben auch außer-halb der Landwirtschaft; denn wir haben sie auf außer-halb der Landwirtschaft tätige Betriebe ausgedehnt . Da-von profitieren die Infrastrukturen, Dienstleistungen, dieVersorgung mit Gütern, der ländliche Tourismus und dieUmnutzung von Bausubstanz . Wir treten für den ländli-chen Raum ein . Er soll gleichberechtigt neben den Städ-ten sein . Wir wollen, dass der ländliche Raum erhaltenbleibt, dass die Menschen, die dort arbeiten und leben,eine entsprechende Lebensqualität haben . Das will dieUnion .
Wir haben den Mittelansatz für das Bundesprogramm„Ländliche Entwicklung“, BULE genannt, verdoppelt .So können gute Ideen umgesetzt werden . In meiner Hei-matregion Kalletal/Lüdenhausen zum Beispiel hat derHeimatvereinsvorsitzende Lars Brakhage alle zusam-mengerufen und gesagt: Lasst uns einmal überlegen,was für einen so kleinen Ort wichtig ist! – Wir habengerade über den öffentlichen Verkehr gesprochen. InKalletal/Lüdenhausen ist unsere zukünftige Infrastruk-tur: öffentlicher Verkehr plus Elektroauto, das von denBürgern gefahren wird . Damit sind die einzelnen Bürgerim ländlichen Raum angebunden. Wir haben ein Dorfin-foportal, und der Laden im Ort wird als zentrale Kom-munikationszelle eingerichtet . Hier sind 75 000 Euro gutangelegt, weil die Ideen der vor Ort Lebenden umgesetztwerden . – So können wir uns dieses Programm weitervorstellen. Ideen sind gefragt; wir stellen die finanziellenRahmenbedingungen .
Mit dem Programm Land(auf)schwung und dem Wettbe-werb zur Unterstützung des bürgerschaftlichen Engage-ments haben wir zwei weitere Projekte, die für diesenBereich sehr wichtig sind .Ich möchte an dieser Stelle auf unsere gelungene Ini-tiative, den vorbeugenden Hochwasserschutz nach vornezu bringen, besonders eingehen .
Cajus Caesar
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Für den Küstenschutz haben wir 25 Millionen Euro . Ebenwurde gesagt, wir brauchten mehr . Tatsache ist aber, dassbisher nicht alle Länder alle Mittel abgerufen haben . Wirhaben für den Hochwasserschutz zur Deichertüchtigungund Deicherhöhung 100 Millionen Euro angesetzt mit ei-ner 60 : 40-Finanzierung – beim Küstenschutz haben wireine 70 : 30-Finanzierung, also 70 Prozent aus Bundes-mitteln –, und wir haben den vorbeugenden Hochwas-serschutz . Wir haben mit 20 Millionen Euro begonnenund sind jetzt bei 100 Millionen Euro jährlich . Ich denke,das ist ein wirklich zukunftsweisendes Programm, dashervorragend gelungen ist und bei den Ländern, den Bür-gern, eigentlich überall gut ankommt
und im Sinne von Umweltschutz und Landwirtschaft ist .Es ist uns erstmalig gelungen, dass das Wasser schon amOberlauf mehr Raum hat . Dafür müssen jene, die dieseFlächen bereitstellen, einmalig mit 20 Prozent des Ver-kehrswerts aus Bundesmitteln entschädigt werden . Un-abhängig davon wird auch für Schäden entschädigt . Aberdie Menschen können weiter dort wirtschaften, und un-ten kommt weniger Wasser an . Das ist doch unser Ziel:
nicht gegeneinander, sondern miteinander, nicht Kon-frontation, sondern miteinander die Dinge bewegen . Ichdenke, da ist uns vieles gelungen .
Nun möchte ich noch einige Sätze zur gesunden Er-nährung sagen; das war eben schon eine Herausforde-rung . Was haben wir da alles?Wir haben den Aktionsplan IN FORM mit bisher100 Projekten auf den Weg gebracht; und wenn man Pro-jekte hat, muss man diese anschließend natürlich auchumsetzen .Der Aufbau eines Bundeszentrums für Ernährungwurde eben genannt . Ich glaube, dass es richtig ist, wennwir Kräfte bündeln . Ich bin jedenfalls dem Ministerium,dem Minister und den Staatssekretären dankbar, dasssie dies tun wollen . Unsere stellvertretende Fraktions-vorsitzende Gitta Connemann hat immer wieder gesagt:„Cajus, setz dich für gesunde Ernährung ein“; und es gibtauch einige aus der SPD, die das getan haben . Das istalso ein wichtiges Thema für uns . Wir haben auch dasneue Forschungsinstitut für Kinderernährung . Übrigensgibt es 16 Stellen mehr am Max-Rubner-Institut; dassollte man nicht vergessen .
Wir geben einen Zuschuss an die Deutsche Gesell-schaft für Ernährung . Wir haben die Initiative zur Ein-dämmung von Lebensmittelverschwendung . Wir habendas EU-Schulobst- und -gemüseprogramm – mit übri-gens 30 Millionen Euro aus Bundesmitteln –; allerdingsbeteiligen sich nur neun Länder . Vielleicht fragen wireinmal nach, warum die anderen nicht mitmachen .
Sie denken an die Redezeit?
Wir haben außerdem die Vernetzungsstelle Schul-
verpflegung. Sie sollte eigentlich auslaufen; aber, lieber
Kollege Ulrich Freese, es ist uns gelungen, sie jetzt bis
2020 mit jährlich 1 Million Euro für Projekte zur Förde-
rung der Qualität der Schul- und Kitaverpflegung auszu-
gestalten . Das sind Leistungen des Bundes, die man an
dieser Stelle noch einmal ansprechen sollte .
Zum Schluss, verehrte Frau Präsidentin, –
Ja, aber bitte .
– möchte ich meinen Mitberichterstattern, Ulrich
Freese, Sven-Christian Kindler und Heidi Bluhm, für
die gemeinsame Arbeit noch einmal Dankeschön sagen .
Ich möchte natürlich auch unserer AG mit Franz-Josef
Holzenkamp, Alois Gerig und Marlene Mortler danken;
Gitta Connemann habe ich eben genannt .
In diesem Sinne auf ein gutes Miteinander für unsere
Land- und Forstwirtschaft!
Vielen Dank . – Die nächste Rednerin ist Frau Dr . Karin
Thissen, SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol-legen! Meine Damen und Herren! Haushaltsberatungenzum Ressort Ernährung und Landwirtschaft – was ha-ben wir vor, was haben wir erreicht? Die gute Nachrichtim Bereich gesundheitlicher Verbraucherschutz lautet:Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmit-telsicherheit soll 5 Millionen Euro zusätzlich erhalten .Das Bundesinstitut für Risikobewertung soll 8 Milli-onen Euro zusätzlich erhalten . Das begrüßt die SPDausdrücklich; denn zu unseren Vorstellungen von einerzukunftsfähigen Land- und Ernährungswirtschaft gehörteine adäquate finanzielle Ausstattung von staatlichen undteilstaatlichen Institutionen . Das haben wir im BereichVerbraucherschutz vor .Und was haben wir im letzten Jahr im Bereich gesund-heitlicher Verbraucherschutz erreicht?
Nichts, rein gar nichts . Herr Minister, wo sind sie geblie-ben, die verbraucherpolitischen Gesetzesinitiativen undpolitischen Impulse aus dem Bundesministerium für Er-nährung und Landwirtschaft? Vor knapp einem Jahr ha-ben wir an dieser Stelle über den Haushalt 2016 diskutiert .Wir von der SPD haben damals klipp und klar gefordert:Cajus Caesar
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Wir wollen mehr Transparenz im Lebensmittelsektor,wir wollen eine klare Lebensmittelkennzeichnung, wirwollen eine bessere Information der Öffentlichkeit imLebensmittelbereich, Stichwort „§ 40 LFGB“ . Es stehtsogar im Koalitionsvertrag, dass wir ihn rechtssicher for-mulieren wollen . Gekommen ist nichts . Wahrscheinlichkommt es am Sankt-Nimmerleins-Tag .Themenwechsel: Landwirtschaft . Die Nachricht lau-tet: Die landwirtschaftliche Unfallversicherung bekommteinen zusätzlichen Zuschuss von 78 Millionen Euro . Dashört sich ja erst mal gut an . Aber ist es auch gut?
Nicht dass ich den Landwirten das Geld nicht gönne!Aber hilft es ihnen aus der Krise?
Unsere Aufgabe in diesem Hause ist es, die Ursachen vonKrisen zu bekämpfen und die Landwirte in wirtschaft-lich angespannten Situationen so zu unterstützen, dasssie zukünftige Krisen ohne derartige Hilfen überstehenkönnen . Dafür müssen zukunftsträchtige Rahmenbedin-gungen geschaffen werden. 78 Millionen Euro sind eineMenge Geld, die da einfach mit der Gießkanne verteiltwird . Aber für die Landwirtschaft sind es unterm Strichauch nur wieder ein paar Tropfen auf den heißen Stein .Wir brauchen einen strukturellen Wandel in der Land-wirtschaft . Es wird Zeit, Landwirtschaft aus Sicht desVerbrauchers zu betrachten, und zwar nicht in dem Sinne,Landwirte und Verbraucher gegeneinander auszuspielen,sondern in dem Sinne, sie zueinander zu führen .
Ich danke Ihnen fürs Zuhören . Es geht nämlich auch,die Redezeit einzuhalten .
Danke schön . – Dann hat jetzt Rita Hagl-Kehl,
SPD-Fraktion, das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wie vielleicht viele von Ihnen wissen, bin ichein Kind des Bayerischen Waldes .
Deswegen liegt mir der ländliche Raum genauso nahewie meinen Kollegen oben von der Küste, natürlich auch,weil ich SPD-Politikerin bin .Ich finde, die Menschen im ländlichen Raum haben esverdient, dass wir ihre Zukunft attraktiv gestalten . Wirhaben uns dafür langfristige Ziele gesteckt . Die ländli-che Entwicklung muss gefördert werden, damit wir dieWettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft erhalten kön-nen . Wir brauchen eine nachhaltige Bewirtschaftung dernatürlichen Ressourcen . Die Wirtschaftskraft muss in derRegion gehalten werden . Nicht zuletzt geht es auch umden Erhalt der schönen Kulturlandschaft, wie bei mir imBayerischen Wald; diese Aufgabe übernimmt die Land-wirtschaft .Der Weg dorthin: Wir brauchen eine bessere Ausstat-tung der zweiten Säule . Damit können wir den ökolo-gischen Landbau ausweiten, die Umweltleistungen derLandwirte honorieren, tiergerechte Haltung fördern undauch viele Klimaschutzmaßnahmen in Angriff nehmen.
Damit verfolgen wir das Ziel: öffentliches Geld für öf-fentliche Leistungen . Unser Beispiel könnte Österreichsein . Da ist das Verhältnis: 700 Millionen Euro in der ers-ten Säule, 1,3 Milliarden Euro in der zweiten Säule . Ichglaube, da ist meine Forderung, den Anteil der zweitenSäule auf 30 Prozent zu erhöhen, eigentlich nicht groß-spurig .
Die SPD hat zahlreiche Forderungen für den Bereichder ländlichen Räume aufgestellt . Bestandteil des ländli-chen Raums ist natürlich die Land- und Forstwirtschaft,die 80 Prozent der Fläche Deutschlands prägt . Wir wol-len eine bäuerliche Landwirtschaft mit hofnahen Kreis-läufen, eingebunden in die Regionen, und die Sicherungder Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen . Durch die Ver-knüpfung von Ökolandbau und Regionalvermarktungkönnen wir starke und lebenswerte ländliche Räume er-halten . Dafür brauchen wir aber viel mehr Geld für dieDirektvermarktung . Ich sehe in meiner Gegend vieleBeispiele dafür, zum Beispiel Milchtankstellen oder Ei-erautomaten, die von den Kunden sehr gut angenommenwerden . Der Verbraucher möchte die Milch ja zu einemfairen Preis kaufen; aber im Lebensmitteleinzelhandel istdas zum Teil nicht möglich . Wir müssen den Bauern abereine Förderung zukommen lassen . Es darf nicht so sein,dass sie das Risiko eingehen, Milchautomaten aufzustel-len, und dafür keine Förderung bekommen .Wir brauchen mehr Geld für das BundesprogrammÖkologischer Landbau, BÖLN genannt . Meine Forde-rung ist, die Mittel hierfür auf 20 Millionen Euro zu er-höhen . Wenn ich höre, welche Zahlen im Rahmen derHaushaltsdebatte hier im Raum schweben, dann findeich, 3 Millionen Euro mehr sind nicht zu viel verlangt .Das wichtigste Ziel bei der Förderung des Ausbaus desökologischen Landbaus: Wir wollen eine Ausweitung derAnbaufläche auf 20 Prozent; das wird auch vom HerrnMinister gefordert . Momentan haben wir nur 6,4 Prozentan ausgewiesener Fläche . Das geht am tatsächlichen Be-darf vorbei; denn der Bedarf im ökologischen Bereichliegt bereits bei über 20 Prozent .
Dr. Karin Thissen
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Die Gründe für die Aufstockung des Programms sindvielfältig . Wir brauchen mehr Forschungsförderung, zumBeispiel im Bereich Saatgutzucht und Pflanzenzucht.
Das nützt nicht nur den Ökobauern, sondern auch denkonventionellen Bauern .Gut ausgeschöpft wurde das Programm mit Sicher-heit, viel besser als zum Beispiel das FörderprogrammNachwachsende Rohstoffe oder ähnliche Programme.Ein Beispiel ist das Netzwerk Pilotbetriebe, das nur bis2018 fortgeführt werden kann, obwohl hier wirklich vielForschungsstruktur aufgebaut wurde . Es geht um denVergleich zwischen konventionellem und Ökolandbau,um die Analyse von Klimaentwicklung, Nachhaltigkeitund Tierwohl . Aber das Geld reicht nicht, also wird dasProgramm eingestellt . Es gibt auch viele abgelehnte Pro-jekte .Die Forschungsergebnisse nutzen allen . Sogar derBauernverband hat im Dezember 60 Millionen Euro fürdas Bundesprogramm Ökologischer Landbau gefordert .Ich fordere nur ein Drittel. Ich finde, ich bin sehr beschei-den .
Auch seitens des Nationalen Aktionsplans Pflanzen-schutz, der vom BMEL initiiert wurde und in dem ent-sprechende Thesen aufgestellt wurden, wird eine Auf-stockung des Programms gefordert . Damit könnten wirForschung zu risikoarmen Methoden im Bereich desPflanzenschutzs entwickeln. Das würde allen entgegen-kommen: den Landwirten und den Verbrauchern, auchden kritischen Verbrauchern .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Die beiden letzten Rednerinnen warenwirklich vorbildlich, was die Redezeit betrifft.
Noch einmal herzlichen Dank dafür .Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen zu diesemEinzelplan vor .Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Ju-gend, Einzelplan 17.Ich bitte Sie, möglichst zügig Ihre Plätze einzu-nehmen . – Ich erteile das Wort der BundesministerinManuela Schwesig .
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Abgeordnete!Sehr geehrte Damen und Herren! Gestern und vorges-tern war hier im Hohen Hause viel von gesundem Wirt-schaftswachstum und Spielräumen im Bundeshaushaltdie Rede . Vielen Menschen in Deutschland geht es gut .Es werden endlich wieder mehr Kinder geboren: 738 000im letzten Jahr . Das sind so viele Kinder, wie seit 15 Jah-ren nicht mehr . Viele Menschen in Deutschland sagen:Mir geht es materiell gut . Dennoch sagen viele auch: „Ichbin verunsichert“, so viele wie schon lange nicht mehr .Sie haben Angst vor Gewalt, Kriminalität und Terror, vorZuwanderung und internationalen Krisen . Und es gibtpolitische Kräfte, die diese Verunsicherung ausnutzen .Diese Kräfte schlagen keine Lösungen für die Alltags-herausforderungen vor, sondern sie schüren Ängste undVerunsicherung . Unsere gemeinsame politische Aufgabeist es, diesen Ängsten und dieser Verunsicherung etwasentgegenzusetzen, sie nicht zu schüren, sondern ernst zunehmen und die Menschen im Alltag zu unterstützen .
Es liegt in unserer Verantwortung, ob die Menschen imLand wieder mehr Vertrauen und Zuversicht bekommen .Eine Antwort heißt: Wir machen das stark, was Men-schen stark macht, was Vertrauen und Zuversicht gibt .Das ist in erster Linie die Familie . Für 75 Prozent derMenschen in Deutschland garantiert die Familie Sicher-heit .
Ich erlebe das in vielen Gesprächen, in denen mir Men-schen sagen: Gerade angesichts der vielen unüberschau-baren internationalen Krisen ist es ganz wichtig, dassman sozusagen für sich selbst einen Anker hat, die Fa-milie hat . Aber gleichzeitig sagen sie: Der Familienalltagist auch eine große Herausforderung, insbesondere wennman Kinder oder pflegebedürftige Angehörige hat undarbeiten geht . Deshalb ist es unsere Aufgabe, Familienstark zu machen, damit sie den Menschen Sicherheit undZuversicht geben kann . Familien brauchen ganz konkreteUnterstützung in ihrem Alltag: mit Geld für Familie, mitZeit für Familie und mit guter Betreuung und Bildungfür Kinder .
Ich freue mich, Ihnen heute den Haushaltsentwurfsdes Bundesfamilienministeriums für das Jahr 2017 vor-stellen zu können . Wir haben uns gegenüber dem Anfangdieser Legislaturperiode wirklich verbessert . Ich erinne-re mich an die erste Debatte in dieser Legislaturperio-de, 2013, die zu einer sehr familienunfreundlichen Zeit,spät abends, stattfand . In zeitlicher Hinsicht haben wiruns verbessert; denn wir debattieren jetzt zu einer fa-milienfreundlicheren Uhrzeit . Aber wir haben uns auchgeldmäßig verbessert . Mit rund 9,2 Milliarden Euro istder Etat so groß wie nie zuvor . Als ich Bundesfamilien-ministerin wurde und den Etat übernommen habe, betruger knapp 7 Milliarden Euro . Wir haben die Familien inRita Hagl-Kehl
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dieser Legislaturperiode also von Haushaltsjahr zu Haus-haltsjahr besser unterstützt .
Konkret heißt das: mehr Geld für Familien, mehr Geldfür gute Kinderbetreuung und vor allem moderne famili-enpolitische Leistungen, die die Familienvielfalt in unse-rem Land respektieren und Kinderarmut bekämpfen .Für 2017 veranschlagen wir 6,2 Milliarden Euro fürdas neue Elterngeld Plus und das bisherige Elterngeld .Das liegt an der guten Nachricht, dass mehr Kinder ge-boren werden, aber auch daran, dass diese Leistung sobeliebt wie nie zuvor ist .Aber es gibt immer wieder Diskussionen . Weil manmit 4 Milliarden Euro gestartet ist und diese Zahl jetztauf 6 Milliarden steigt, kommt immer wieder die For-derung, gerade auch aus dem Finanzministerium, hiereinzugreifen, damit das nicht noch teurer wird . Aberich sage ganz klar: Wenn mehr Kinder geboren werden,wenn die Löhne steigen und wenn endlich mehr VäterElternzeit nehmen und dadurch die Ausgaben für dasElterngeld steigen, dann sind das gute Nachrichten, diejeden Euro wert sind – und dabei muss es auch bleiben .
Das neue Elterngeld Plus bietet den Paaren mehr Un-terstützung bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie,gerade wenn man Teilzeit arbeitet . Ich freue mich sehr,dass das gut angenommen wird . Wir müssen jetzt dasElterngeld perspektivisch ausbauen zu einem Familien-geld; denn es kann nicht nur um Unterstützung im erstenLebensjahr des Kindes gehen . Es geht auch darum, mehrUnterstützung bei der Vereinbarkeit von Beruf und Fami-lie zu bekommen, wenn die Kinder im zweiten und drit-ten Lebensjahr sind, mindestens bis zum Schuleintritt . Esmuss für Frauen und Männer möglich sein, in dieser ZeitTeilzeit zu arbeiten und Unterstützung zu bekommen .Teilzeit darf keine Sackgasse in Deutschland sein . Teil-zeit muss geachtet werden: in der Arbeitswelt, aber auchmonetär bei den Familienleistungen .
Auch der Kinderzuschlag für Eltern, die arbeiten ge-hen, aber am Ende des Monats kaum Geld übrig haben,wurde erhöht . Das ist eine konkrete Unterstützung zurBekämpfung der Kinderarmut . Oft sind es Alleinerzie-hende, die wenig Geld haben, und oft alleinerziehendeFrauen . So bekommt eine Frau, die zwei Kinder alleingroßzieht und 1 200 Euro netto verdient, 320 Euro Kin-derzuschlag zum Kindergeld . Das ist wichtig . Alle, dieKinder haben, für die gerade das neue Schuljahr begon-nen hat, wissen, wie es ist: Jedes Kind braucht nach einpaar Jahren einen neuen Ranzen, es braucht Schulmateri-al, und es braucht neue Kleidung, weil Kinder wachsen .Da sind ruck, zuck 200, 300 Euro ausgegeben . Das gehtganz schnell, auch wenn man nicht üppig einkauft . Des-halb ist es wichtig, dass wir diesen Kinderzuschlag zah-len . Das ist Geld, das direkt bei den Familien ankommt,die fleißig sind und jeden Tag für wenig Geld arbeiten.Sie brauchen diese Unterstützung . Damit bekämpfen wirdie Kinderarmut .
Zu guten Rahmenbedingungen für Familien gehörtauch eine gute Kinderbetreuung . Deshalb stocken wirdas Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ 2017auf . Mir geht es darum, dass wir mehr Kitaplätze habenund es keine Konkurrenz um Kitaplätze zwischen ein-heimischen Kindern und Flüchtlingskindern gibt . Wirbrauchen für alle Kinder in Deutschland Kitaplätze, undwir brauchen Randzeiten, die der Arbeitswelt gerechtwerden . Mich hat gerade eine junge Frau angesprochen,die Kellnerin ist . Sie hat mir gesagt: Eine Kita, die um16 Uhr schließt, passt nicht zu meinen Arbeitszeiten . Sobekomme ich keinen Job . Ich bekomme nur Absagen, ob-wohl ich arbeiten will . – Ich freue mich, dass unser neuesProgramm zur Schaffung bedarfsgerechter Betreuungs-zeiten angenommen wird . Wir fördern mit „KitaPlus“300 Kitas bundesweit, und es gibt einen regelrechtenRun auf dieses Programm . Das zeigt, wie wichtig es fürdie bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist .
Wichtig ist aber nicht nur der Kitaplatz selbst, sondernauch gute Förderung . Dazu gehört vor allem die Sprach-förderung in den Kitas . Sie ist übrigens für einheimischeKinder genauso wichtig wie zum Beispiel für Flücht-lingskinder, die zu uns kommen und natürlich schnellDeutsch lernen sollen . Deshalb freue ich mich, dass wirdie Mittel für das gute Programm aus der letzten Legis-latur um 150 Millionen Euro auf 278 Millionen Euroaufstocken konnten, um die großen Herausforderungenin der Kitalandschaft im Bereich der Sprachförderung zustemmen . Es wird mehr Erzieherinnen und Erzieher inunseren Kitas geben . Das ist ein wichtiger Baustein zurQualitätsverbesserung .
Das Familienministerium steht aber auch für gesell-schaftlichen Zusammenhalt . Er ist wichtiger denn je . Wirtragen gemeinsam Verantwortung dafür, dass die Kräf-te, die unser Land spalten wollen, es nicht schaffen, dassauch die Menschen gespalten werden, in Zuversicht undProtest . Wir brauchen deshalb mehr Unterstützung fürgesellschaftlichen Zusammenhalt . An dieser Stelle unter-stützen wir vor allem das freiwillige Engagement, undzwar mit mehr Stellen für den Bundesfreiwilligendienst,aber auch mit unserem neuen Bundesprogramm „Men-schen stärken Menschen“ . Uns geht es darum, dass wiruns im Alltag die Hand reichen und uns nicht aus demWeg gehen . Das unterstützen wir . Das tun auch viele Eh-renamtliche in unserem Land . Ihnen gilt unser Dank, aberauch unsere ganz konkrete materielle Unterstützung .
Wir brauchen mehr Sicherheit im Land . Es wird vieldarüber diskutiert, wie die innere Sicherheit gestärktwerden kann, zum Beispiel vonseiten der Bundespoli-zei und des Verfassungsschutzes . Wir brauchen für mehrSicherheit aber auch die zweite Seite der Medaille, undzwar Prävention und bessere Bildung . Das erreichen wirBundesministerin Manuela Schwesig
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durch unser Bundesprogramm „Demokratie leben!“ zurDemokratieförderung und Extremismusprävention . Wirgehen in Schulen und unterstützen zum Beispiel das Pro-jekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, beidem über 2 000 Schulen mit über 1,5 Million Schülerin-nen und Schülern mitmachen .Wir wollen, dass unsere Kinder in einem Land großwerden, in dem man sich anschaut, in dem man aufein-ander zugeht, in dem man sich nicht streitet bzw . in demman sich, wenn man sich gestritten hat, wieder die Handreicht und in dem kein Hass gesät wird; denn Hass istimmer die Grundlage für Gewalt . All das verfolgen wirmit diesem Programm . Deshalb bin ich sehr dankbar,dass wir durchgesetzt haben, dass die Mittel für diesesProgramm von 30 Millionen Euro, die es zu Anfang die-ser Legislatur waren, auf 50 Millionen Euro aufgestocktwurden und dass im Bundeshaushalt 2017 100 Millio-nen Euro dafür veranschlagt sind . Das ist ein wichtigesSignal an die Zivilgesellschaft .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist das,was diese Regierung schon erreicht hat .Letzter Punkt – dann möchte ich zum Ende kommen –:Wir haben es gehört, der Finanzminister sieht auch wei-tere Spielräume . Das freut mich . Ich sage aber ganz klar:Wenn wir weitere Spielräume haben, dürfen wir nichtsmit der Gießkanne verteilen, sondern müssen noch ein-mal konkret schauen, wo Unterstützung gebraucht wird .Die Alleinerziehenden, die jeden Tag ihren Job stem-men, aber vom Expartner nicht unterstützt werden, brau-chen unsere Unterstützung, und sie bekommen unsereUnterstützung mit dem Unterhaltsvorschuss . Jedoch hatmir eine Alleinerziehende gesagt: Ja, erst macht sichmein Partner aus dem Staub, und der Staat macht sichaus dem Staub, wenn mein Kind zwölf Jahre alt ist; dannwird nämlich nicht mehr gezahlt . – Eine andere Frausagt: Ich habe sechs Jahre lang Unterhaltsvorschuss be-kommen . Jetzt kommt mein Kind in die Schule, und esgibt gar nichts mehr .Das kann nicht sein . Wir als Staat haben die Verant-wortung, diese Alleinerziehenden zu unterstützen . Des-halb bin ich dafür, den Unterhaltsvorschuss auszuweiten,aber auch für bessere konkrete Maßnahmen, den Unter-halt wieder einzutreiben .
Denn es kann nicht sein, dass sich Partner oder Part-nerinnen aus der Verantwortung für ihr Kind stehlen undsich auf den Staat verlassen . Jeder, der ein Kind in dieWelt setzt, muss auch Verantwortung dafür übernehmen .Wenn das Alleinerziehende in besonderer Weise tun, un-terstützen wir sie . Aber wir sollten die, die sich aus derVerantwortung stehlen, stärker zur Verantwortung zie-hen .
Sehr geehrte Damen und Herren, deshalb hoffe ich,dass der Vorschlag der SPD-Fraktion, in den parlamen-tarischen Beratungen noch einmal auf den Unterhalts-vorschuss zu schauen und zu schauen, ob es hier weitereSpielräume für die Verbesserung gibt, Unterstützung fin-det. Ich freue mich auf die Beratungen und hoffe auf sogute Unterstützung wie in den letzten Jahren . Dann gehtwieder ein Signal von diesem Haushalt an die Familienim Land: Ihr seid uns wichtig . Die Kinder im Land sinduns wichtig . Wir wollen unseren Beitrag leisten .Herzlichen Dank .
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege
Michael Leutert .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! FrauMinisterin, Sie haben gesagt, wir haben dieses Jahr einenHaushalt vorliegen, den es in dieser Höhe noch nicht gab .Das stimmt so . Trotzdem möchte ich gerne noch etwaszum Volumen hinzufügen .Es sind ja dieses Jahr, von Ihnen vorgeschlagen,92 Millionen Euro mehr, und im Haushalt werden nocheinmal 560 Millionen Euro frei, weil wir das Betreuungs-geld nicht mehr benötigen . Das macht ungefähr 650 Mil-lionen Euro . Das klingt nach unglaublich viel . Aber esist nun mal so, dass viele dieser Gelder durch gesetzlicheVerpflichtungen gebunden sind. Wir brauchen 200 Milli-onen Euro mehr für das Elterngeld . 365 Millionen Eurowerden mehr ausgegeben für den Kitaausbau, aber auchfür die Qualifizierungsoffensive, was alles richtig und gutist . 44 Millionen Euro brauchen wir mehr für den Kinder-zuschlag . Das sind alles Dinge, die wir tun müssen . Dieszeigt, dass der Spielraum in diesem Haushalt für andereMaßnahmen doch recht eng gestrickt ist .Sie haben den Spielraum trotzdem genutzt – das findetunsere absolute Zustimmung – und nehmen noch einmal54 Millionen Euro in die Hand, um es in den Bereichder Prävention zu stecken, in den Titel, der sich mit demProgramm „Demokratie leben!“ beschäftigt, das heißt,in Programme, Strukturen, Projekte, die sich gegen De-mokratiefeindlichkeit, gegen Menschenfeindlichkeit imweitesten Sinne richten, also gegen Ideologien wie Ras-sismus, Antisemitismus und Salafismus. Trotzdem sageich: Wir könnten auch dort noch mehr Geld gebrauchen .Aber viel wichtiger ist mir, dass die Programme auchverstetigt werden, dass sie auch in den nächsten Jahren,also in den Jahren 2018, 2019 und 2020, durchfinanziertsind . In der mittelfristigen Finanzplanung ist jedoch fest-gehalten, dass der Etat ab dem nächsten Jahr wieder ab-gesenkt werden soll auf knapp 80 Millionen Euro . Ichglaube, das ist der falsche Weg . Der Kampf gegen Ras-sismus und andere menschenfeindliche Ideologien ist einKampf, den wir auch übernächstes Jahr und in den Fol-gejahren leider noch werden führen müssen .
Keine Zustimmung findet bei uns die Absenkung derMittel für den Kinder- und Jugendplan . Dazu wird meinKollege nachher noch mehr sagen . Wenn wir auf derBundesministerin Manuela Schwesig
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einen Seite Programme aufsetzen, die sich gegen Men-schenfeindlichkeit und Demokratiefeindlichkeit richten,und auf der anderen Seite bei den Strukturen kürzen, indenen junge Menschen eigentlich lernen, solidarisch unddemokratisch miteinander umzugehen, dann ist das derfalsche Weg . Ich glaube, wir müssen dort noch nachbes-sern . Wir haben im Übrigen in der letzten Haushaltsbera-tung genau an dem Punkt nachgebessert .Ich möchte noch etwas zur Unterstützung der Fami-lien sagen . Sie haben ja im Sommer ein Projekt in denMedien vorgestellt, das jetzt in den Haushaltsberatungennoch keine Rolle spielt, und zwar das Projekt des Fami-liengeldes . Soll heißen, dass diejenigen, die mehr Zeitmit ihren Kindern verbringen wollen und ihre Arbeits-zeit auf 80 Prozent reduzieren, dafür einen Ausgleich von150 Euro bekommen . Also, der Vater bekommt 150 Euro .Wenn es die Mutter auch macht – oder umgedreht –, sindes insgesamt auf alle Fälle 300 Euro . Ich sage es einmalso: Das klingt am Anfang sehr charmant . Trotzdem blei-ben hier noch ein paar offene Fragen.Sie haben ja angekündigt, dass Sie das in dieser Le-gislaturperiode gerne noch auf den Weg bringen wollen .Mich würde interessieren, wie Sie sich das genau vor-stellen . Was ist zum Beispiel mit Aufstockern? Was istmit einer Frau, die ALG II bezieht und vielleicht nochals Haushaltshilfe arbeitet, um aufzustocken? Wie sollsie ihre Arbeitszeit reduzieren? Bekommt sie das Gelddann auch? Wird das Geld gegengerechnet? Was ist mitMenschen, die in einem kleinen Betrieb arbeiten, derenChef sagt: „Ja, Sie können das gerne machen, aber fürdie restlichen 20 Prozent der Zeit, in denen ich Sie auchbenötige, kann ich niemand Neues einstellen, Sie müssendas dann eben in unbezahlten Überstunden wegarbei-ten .“? – Dann wäre das Familiengeld eine Lohnsubventi-onierung . Wie sind diese Probleme gelöst?Ich glaube, in der Zeit, in der wir das diskutieren, soll-ten wir unsere Energie darauf verwenden, das Kindergeldzu reformieren . Vielleicht gibt es hier auch eine breiteMehrheit dafür . Natürlich muss das Kindergeld erhöhtwerden . Daneben stellt sich aber auch die Frage, warumfür das erste und das zweite Kind jeweils 190 Euro ge-zahlt werden, während für das dritte Kind 196 Euro undfür jedes weitere Kind 221 Euro gezahlt werden . Was istder Unterschied zwischen ihnen? Ist zum Beispiel dasdritte Kind mehr wert als das erste Kind? Was ist die Lo-gik hinter dieser Abstufung? Ich finde, uns sollten alleKinder gleich viel wert sein, und deshalb sollten wirgleich viel Kindergeld zahlen .
Frau Ministerin, in der Bild-Zeitung stand ein sehr in-teressantes Interview mit Ihnen . Ich habe das mit Interes-se zur Kenntnis genommen . Sie haben sich darin – dashaben Sie hier auch noch einmal angesprochen – zumUnterhaltsvorschuss geäußert . Ich habe mit Interesse zurKenntnis genommen, dass im Finanzministerium nochSpielraum dafür gesehen wird . Wir können das nur un-terstützen . Das ist eine Forderung, die wir auch schonviele Jahre in die Beratungen hier mit eingebracht haben .Es kann nicht sein, dass ein Unterhaltsvorschuss – dasheißt eine staatliche Leistung für Frauen, die alleinerzie-hend sind und deren Partner für das gemeinsame Kindnicht zahlen will oder kann – auf sechs Jahre beschränktist und nicht bis zum 18 . Lebensjahr gezahlt wird . Ichglaube, das muss dringend geändert werden .
Nadine Schön (CDU/CSU):Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In diesenTagen wird viel über gesellschaftlichen Zusammenhalt,über Verlust- und Abstiegsängste, über kulturelle Kon-flikte, über Frauenrechte, über die Akzeptanz demokrati-scher Strukturen und über Radikalisierungstendenzen inunserer Bevölkerung diskutiert . Das sind gesellschaftli-che Fragen, die uns als Familienpolitiker ganz besondersbetreffen und beschäftigen; denn der Zusammenhalt derGesellschaft ist die große Überschrift über und die Klam-mer um all diese Themen, die uns als Familienpolitikerbeschäftigen . Der gesellschaftliche Zusammenhalt istdas Ziel unserer Familienpolitik .
Deshalb ist der Haushalt, der heute von der Regierungeingebracht wird, auch Ausdruck und Beleg dessen . Mitden finanziellen Festlegungen setzt die Regierung Zei-chen, und wir geben Antworten auf vieles, was derzeithöchst kontrovers diskutiert wird, auf viele Fragen, diedie Menschen in diesen Tagen stellen .Ich denke zum Beispiel an die Frage, ob jetzt eigent-lich nur noch etwas für Flüchtlinge getan wird . Wo bleibteigentlich unsere Bevölkerung? – Gerade der Haushaltdes Familienministeriums zeigt: Wir tun viel für die Fa-milien in unserem Land . Der Gesamthaushalt für unserenBereich ist in den letzten Jahren jedes Jahr angestiegenund hat mittlerweile einen Umfang von über 9 Milliar-den Euro .Wir haben den Kitaausbau weiter vorangetrieben . Mitdem neuen Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“stehen jetzt noch einmal 446 Millionen Euro und damit216 Millionen Euro mehr als noch im vergangenen Jahrzur Verfügung . Wir bauen die Sprachkitas aus . Auch hierbeträgt der Aufwuchs über 100 Prozent auf mittlerweileüber 250 Millionen Euro . Allein für das Elterngeld unddas Elterngeld Plus geben wir über 6 Milliarden Euroaus . Auch das ist eine massive Erhöhung, weil das El-terngeld sehr gut angenommen wird . Der KinderzuschlagMichael Leutert
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wurde gerade im vergangenen Monat um 20 Euro erhöht .Das Kindergeld wurde erhöht, und der Kinderfreibetragwurde erhöht . Der Freibetrag für Alleinerziehende wur-de erhöht . Das sind viele Maßnahmen, die zum Teil inunserem Haushalt stehen und zum Teil im Haushalt desFinanzministeriums .Wir haben die ursprünglich für das Betreuungsgeldvorgesehenen Mittel eins zu eins an die Länder undKommunen weitergegeben mit der Auflage, diese für Fa-milien einzusetzen . Damit sehen Sie: Ehe- und familien-bezogene Leistungen wurden in den vergangenen Jahrenund gerade auch im letzten Jahr massiv ausgebaut . Siesind das Fundament, das den Familien wirtschaftlicheStabilität gibt . Damit geben wir ein klares Signal an dieMenschen in unserem Land: Wir investieren nicht nur indie Menschen, die zu uns kommen, sondern wir inves-tieren auch und vor allem in die Menschen, die bei unsleben, die Kinder großziehen, die Senioren betreuen . Wirinvestieren in die Familie als Kernzelle unserer Gesell-schaft, also in diejenigen, die für den gesellschaftlichenZusammenhalt in unserem Land sorgen .
Wir geben auf weitere Fragen Antwort, zum Beispiel:Wie integrieren wir die Menschen, die zu uns gekom-men sind, in unsere Gesellschaft? Wie vermitteln wirunsere Kultur und unsere Werte? Hier gibt es im Haus-halt verschiedene Ansätze . Ich nenne hier das Programm„Menschen stärken Menschen“ mit 10 Millionen Euro,das Programm „Willkommen bei Freunden“ mit 3,8 Mil-lionen Euro und vor allem den Bundesfreiwilligendienst .Bis zu 10 000 zusätzliche Stellen werden für den Bun-desfreiwilligendienst mit Flüchtlingsbezug geschaffen,und zwar für die Menschen, die sich für Flüchtlinge ein-setzen, die denjenigen, die zu uns kommen, das erklä-ren, was unser Land ausmacht, die ihnen erklären, wasuns hier im Land wichtig ist, welches unsere Werte sind,was Gleichberechtigung von Mann und Frau in unseremLand bedeutet, was Toleranz auch etwa gegenüber homo-sexuellen Menschen in unserem Land bedeutet . Das sindMenschen, die sich vor Ort dafür einsetzen, dass dieje-nigen, die zu uns kommen, hier ankommen und dass siedie Werte, die wir leben, akzeptieren und mit uns dieseGesellschaft gestalten .Bei diesen 10 000 Stellen können sich auch die Flücht-linge selbst einbringen . Sie können sich eine Zeit lang en-gagieren, um etwas von dem zurückzugeben, was sie vondiesem reichen Land in den letzten Monaten bekommenhaben . Das ist ein starkes Zeichen . Diese Gelder sind gutangelegt . Damit geben wir ein richtiges Signal, zum ei-nen an die Flüchtlinge, nämlich die Aufforderung, sich zuintegrieren und die Angebote anzunehmen und zu nutzen,die man ihnen macht – darauf legen wir auch im Integra-tionsgesetz wert –, zum anderen an unsere Bevölkerung .Wir sagen ihr: Uns ist nicht egal, wie die Menschen, diezu uns kommen, hier leben . Wir legen Wert darauf, dassunsere Werte und unsere Kultur vermittelt werden . Dafürsetzen wir im Haushalt gewisse Schwerpunkte .Es gibt einen weiteren Komplex, der uns in den letztenTagen sehr beschäftigt hat, nämlich das Thema „Radi-kalisierungstendenzen in der Bevölkerung“ . Wir erleben,dass Islamismus, Links- und Rechtsextremismus in be-denklicher Weise zugenommen haben .
Wir erleben, dass es nicht mehr selbstverständlich ist,dass jeder weiß, dass es in einer Demokratie keine einfa-chen Lösungen geben kann,
dass Parlamentarismus das Aushandeln von Kompromis-sen ist, dass demokratische Verfahren lang und komplexsind und dass Gewalt kein Mittel zur politischen Kon-fliktlösung ist.Frau Lemke, wenn Sie eine Frage haben, dann bitteich Sie, sie zu stellen . Aber diese Zwischenbemerkungensind weder für die Zuschauer auf den Tribünen noch fürdie vor dem Fernseher noch für mich akustisch zu ver-stehen .
Deshalb meine herzliche Bitte an Sie: Wenn Sie eine Fra-ge haben, dann stellen Sie sie .
Ich bin der Meinung: All diesen Arten von Extremis-mus müssen wir mit der Härte des Rechtsstaates begeg-nen, aber auch mit Prävention . Dabei setzen wir mit die-sem Haushalt Zeichen, zum einen durch die Strategie zurExtremismusprävention und Demokratieförderung, zumanderen durch die Jugendverbandsarbeit .
– Frau Lemke, noch einmal an Sie die Aufforderung:Wenn Sie eine Anmerkung oder eine Frage haben, kön-nen Sie sie gerne öffentlich stellen.
Aber das Dazwischenrufen irritiert ein wenig . Ich glaube,wir sind ein Haus, in dem debattiert werden kann . Des-halb die herzliche Bitte an Sie, dass wir das öffentlichmachen .
Die Mittel für die Jugendverbandsarbeit haben wir imvergangenen Jahr um mehrere Millionen aufgestockt .Auch in diesem Jahr wollen wir in den Haushaltsbera-Nadine Schön
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tungen ein Augenmerk darauf legen, dass der Ansatz ingleicher Höhe weitergeführt werden kann .
Ich denke, das ist gut investiertes Geld . Denn wenn jun-ge Menschen wissen, was sie tun können, wenn sie eineAufgabe haben und in gefestigten sozialen Strukturensind, dann besteht weniger Gefahr, dass sie abdriften undfür extremistisches Gedankengut anfällig sind, sei es ausder islamistischen Szene, sei es von rechts oder links .Deshalb sind diese Mittel gut investiertes Geld .
Wir geben also Antworten auf die Fragen: Was wirdfür unsere Bevölkerung getan? Wie integrieren wir dieMenschen, die zu uns kommen? Und wie gehen wir mitden Radikalisierungstendenzen in der Bevölkerung um?Ich will aber vor einem warnen, nämlich vor Verspre-chungen, die wir machen, ohne sie mit haushalterischenMitteln zu unterlegen . Denn ich glaube, dass daher einGroßteil der Politikverdrossenheit kommt, die wir in denvergangenen Tagen erlebt haben. Deshalb finde ich esproblematisch, ein Familiengeld für 2017 anzukündigenund gleichzeitig als Regierung einen Haushalt für 2017vorzulegen, ohne darin einen einzigen Cent für diesesFamiliengeld einzustellen .
Ich finde es auch problematisch, als Regierung einenHaushalt vorzulegen, wenn am selben Tag gleich zweiMinister der Regierung fordern, weitere familienpoliti-sche Maßnahmen zu finanzieren.
Es ist der Haushalt der Bundesregierung . Wenn die Bun-desminister noch weitere Maßnahmen wollen, dann habeich als Abgeordnete eigentlich die Erwartung, dass siediese Wünsche dann auch in dem Haushalt, den sie unsheute vorlegen, etatisieren .
Man kann sich nicht nur darauf verlassen, dass der Bun-destag weitere Wünsche erfüllen wird .
Das ist so, als würde ein Kind zu seinen Eltern kommenund sagen: Ich hätte gerne ein Fahrrad . – Die Eltern ha-ben aber kein Geld und antworten dem Kind: Die Omawird dir schon eins kaufen . – Das ist keine seriöse Politik .
– Genau . Oft geht das gut . Oft kauft die Oma das Fahrrad .Ich glaube, auch wir als Parlamentarier haben eineMenge Vorstellungen, was wir familienpolitisch in unse-rem Land noch tun können . Auch wir haben viele Wün-sche, wie wir die Familien in unserem Land noch weiterunterstützen können und wollen . Aber wir stehen vordem Problem, dass wir nicht nur Politik für die Familienvon heute machen können, sondern wir müssen auch einbisschen die Menschen, die nach uns kommen, im Blickhaben . Was ist mit den jungen Menschen, die die Schul-den, die wir hinterlassen, zurückzahlen müssen?
Wenn wir das ganze Geld, das wir jetzt durch diewirtschaftlich gute Lage einnehmen, mit dem Füllhornausschütten, es ausgeben, dann drücken wir den zukünf-tigen Generationen den Hals zu . Das kann doch nicht derAnsatz einer generationengerechten Familienpolitik sein .Das bitte ich immer im Blick zu behalten .
Man kann über vieles sprechen . Wir haben, wie gesagt,ebenfalls viele Wünsche an die Familienpolitik . Geradedie Alleinerziehenden liegen uns besonders am Herzen .Ich bin dafür, dass wir, wenn wir mehr für die Allein-erziehenden machen und einen Unterhaltsvorschuss er-möglichen, auch dafür sorgen müssen, dass diejenigen,die unterhaltspflichtig sind – meistens Väter – und denUnterhalt nicht zurückzahlen, zur Rückzahlung gezwun-gen werden . Dabei kann es auch zu unkonventionellenMaßnahmen kommen . Die Idee des Führerscheinentzu-ges für diejenigen, die nicht zahlen, ist in meinen Augeneine charmante Maßnahme .
Wir müssen Wege finden, wie wir die Unterhaltspflichti-gen dazu zwingen, das Geld zurückzuzahlen .Dabei dürfen wir aber eines nicht aus den Augen ver-lieren: Diejenigen, die für die Rückforderung des Unter-haltsvorschusses zuständig sind, sind die Kommunen .Wenn wir als Bund den Unterhaltsvorschuss komplettübernehmen – dieser Vorschlag steht im Raum –, dannbesteht für die kommunale Ebene kein Anreiz, den Un-terhaltsvorschuss zurückzufordern .
Deshalb sollte man mit diesen Maßnahmen sehr vor-sichtig sein . Wir haben die nächsten Wochen Zeit, unsdamit zu befassen, wie wir die Positionen im Haushalt,die noch nicht ausfinanziert sind, ausfinanzieren. Wir ha-ben die Möglichkeit, in Ruhe zu diskutieren . Das solltenwir auch tun, in Verantwortung für die Menschen, diejetzt bei uns leben, und auch in Verantwortung für diekommenden Generationen . Deshalb freue ich mich aufdie Beratungen, die vor uns liegen .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Dörner fürBündnis 90/Die Grünen .Nadine Schön
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie-be Kollegen! Ich war auch etwas verwirrt von der Rededer Ministerin . Sie lobt ihren Etat, und gleichzeitig kriti-siert sie ihn auch, weil das Familiengeld nicht darin ent-halten ist . Regierung und Opposition in einem: Das kannFrau Schwesig sehr, sehr gut . Es ist aber doch sehr leichtdurchschaubar .
Was ist von einer Ministerin zu halten, die zwei Tagevor Beginn der Etatberatungen einen Gesetzentwurf an-kündigt, um eine neue und nicht gerade billige Famili-enleistung einzuführen? Wir alle haben die Schlagzeilegelesen: Das Familiengeld muss nächstes Jahr kommen .Der Blick in den Haushaltsentwurf zeigt aber ganz klar,dass für dieses sogenannte Familiengeld kein einzigerCent vorgesehen ist. Ich finde das hochgradig unseriös.Sie gaukeln den Familien eine Unterstützungsmaßnahmevor, von der Sie selber am besten wissen, dass Sie sie indieser Regierung auf keinen Fall umsetzen werden . Dasist ein großer Bluff. Und ich finde, das geht so nicht.
Die Ministerin hat ja das Familiengeld und die Fami-lienarbeitszeit im Ministerium vorgestellt . Da denkt mandoch: Aha, das ist Regierungshandeln . Auf Nachfrage er-fahren wir dann: Nein, ein Konzept gibt es nicht, es sindÜberlegungen . Wir haben nach konkreten Ausgestaltun-gen und Fakten gefragt . Was die Antwort darauf anbe-langt: Absolute Fehlanzeige . 19 von 26 Fragen bliebenkomplett unbeantwortet . Wir hatten Fragen nach demZeitplan, den Kosten, dem Mehrwert für die Familien,der Höhe der Leistung, der Zielgenauigkeit und den An-spruchsberechtigten gestellt . Weiter hatten wir gefragt,wie sich das auf die Verteilung von Erwerbs- und Fami-lienarbeit zwischen Männern und Frauen bzw . zwischenVätern und Müttern auswirkt . Das alles sind keine unwe-sentlichen Fragen . Alle blieben komplett unbeantwortet .Ich sage: Frau Schwesig bläst Seifenblasen in die Luft .Die schillern mal kurz auf . Dann macht es Blubb, und siesind weg . Das ist einfach unseriöse Politik .
Ich ärgere mich besonders über diese Art des Vorge-hens, weil wir als Grüne es nämlich gerade wichtig fin-den, dass Familien mehr Zeit bekommen. Wir finden esrichtig und wichtig, den Familien in dem Kontext auchmehr finanzielle Spielräume zu eröffnen. Aber dann mussman eben auch etwas Konkretes vorlegen . Dann mussman das – so wie wir das mit unserem Konzept für dieKinderzeit Plus machen werden – im Haushalt hinterle-gen . Das ist dann konkrete Politik .
Wir befinden uns ja in der ersten Beratung und werdeneinen konkreten Antrag dazu vorlegen . Ich bin dann sehrgespannt auf den Antrag der SPD, mit der wir in diesemJahr das Familiengeld beschließen werden .
Reine Ankündigungspolitik, liebe Kolleginnen undKollegen, ist einfach schlecht . Um eine Reihe von Vor-haben aus dem Hause Schwesig muss man sich ja leiderSorgen machen . Die Kanzlerin hat zwar gestern gesagt,dass das Entgeltgleichheitsgesetz kommen wird – dasist gut –, aber wir haben in den letzten Monaten im Zu-sammenhang mit diesem Gesetzentwurf ein unwürdigesGeschacher erlebt . Die Frauen haben endlich gleichenLohn für gleiche Arbeit verdient . Wir Grünen sagen auchganz klar, dass wir ein solches Gesetz wollen; aber wirwollen eben ein Gesetz, in dem auch drin ist, was drauf-steht . Einen zahnlosen Tiger, ein Gesetz beispielsweisenur für Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern wird es mit uns so nicht geben . GleicherLohn für gleiche Arbeit muss für alle Frauen gelten .
Das zweite Sorgenkind ist die geplante Reform desSGB VIII . Ich bin schon lange eine Verfechterin der in-klusiven Lösung . Kinder sind Kinder, und Jugendlichesind Jugendliche – mit und ohne Behinderung . Deshalbfinde ich es absolut richtig, dass das SGB VIII das Leis-tungsgesetz für alle Kinder wird. Ich hoffe wirklich, dassdie inklusive Lösung kommen wird . Wir wissen abereben auch alle um die Fallstricke und die Herausforde-rungen im Detail .Wenn ich mir die Geheimniskrämerei und die Arbeitim stillen Ministeriumskämmerlein angucke, die wir vordem Sommer und über die Sommerzeit hinweg erlebt ha-ben, dann muss ich sagen: Ich mache mir große Sorgen,dass es wirklich gelingt, dass eine gute inklusive Lösungfür die Kinder bzw . die Familien gefunden wird .Wie gesagt, wir werden das konstruktiv begleiten . Wirstehen für die inklusive Lösung . Dafür brauchen wir aberendlich auch eine vernünftige gesetzliche Grundlage .
Mit uns Grünen wird es auf gar keinen Fall Standard-absenkungen bei den Hilfen zur Erziehung – das giltinsbesondere für minderjährige unbegleitete Flüchtlin-ge – geben . Die individuellen Rechtsansprüche müssenerhalten bleiben . Sie sind die Stärke in unserem heutigenSGB VIII . Wir werden mit Argusaugen darüber wachen .Ich hoffe, dass wir hier im Bundestag gemeinsam das Zielhaben, da nicht zu Standardabsenkungen zu kommen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend stelleich fest, dass mich bei diesem Etatentwurf eines wirk-lich ziemlich fassungslos macht . Das sind die Kürzungenbei der Jugendverbandsarbeit und den Jugendmigrati-onsdiensten . In einem Haushalt, der laut FinanzministerSpielräume im Volumen von bis zu 15 Milliarden Eurofür Steuersenkungen enthält, will die Große Koalition beider Jugendverbandsarbeit 2 Millionen Euro und bei denJugendmigrationsdiensten 8 Millionen Euro kürzen . Daskann doch nicht Ihr Ernst sein!
Es ist ja nicht nur so, dass die Jugendverbände in denletzten Jahren steigende Ausgaben zu bewältigen hatten,die lange nicht ausgeglichen wurden . Gerade jetzt brau-chen die Jugendverbände mehr denn je Unterstützung .
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Ich verfolge ihre Arbeit sehr genau . Wenn ich etwa sehe,was die Jugendverbände in den letzten Monaten insbe-sondere im Bereich der Flüchtlingsarbeit geleistet haben,dann kann ich nur sagen: Diese haben ihren Teil zum„Wir schaffen das“ beigetragen. Nichtsdestotrotz sehensie sich jetzt mit Kürzungen konfrontiert . Das Gleichegilt für die Jugendmigrationsdienste . Kürzungen in die-sem Bereich sind angesichts der aktuellen Situation einabsolutes No-Go . In den anstehenden Haushaltsberatun-gen müssen wir dafür sorgen, dass diese Kürzungen zu-rückgenommen werden . Wir werden uns jedenfalls dafüreinsetzen .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Die Kollegin Dr . Carola Reimann spricht als Nächste
für die SPD .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Der Einzelplan für Familie, Senioren, Frauen undJugend sieht mit knapp 9,2 Milliarden Euro erneut einenAufwuchs vor, und das ist gut; denn mit den zusätzlichenMitteln zum Beispiel für das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ und die Demokratieförderung investieren wirnachhaltig in den gesellschaftlichen Zusammenhalt . Dasist gut investiertes Geld .Schon im vergangenen Jahr haben wir als SPD-Bun-destagsfraktion deutlich gemacht, dass wir die aktuel-len Herausforderungen, vor denen wir stehen, nur miteinem zusätzlichen Investitionsschub meistern können .Wir haben immer gesagt, dass es hierbei nicht um einEntweder-oder gehen kann, also nicht darum, dass dieeinen etwas bekommen und die anderen nicht . Nein, eswar immer klar, dass von diesem Investitionsschub alleprofitieren müssen: durch mehr bezahlbare Wohnungen,durch bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und nichtzuletzt durch mehr und qualitativ hochwertige Kitas .Dafür muss man ordentlich Geld in die Hand nehmen .Ich bin sehr froh, dass uns das auch gelungen ist; dennmit den zusätzlichen Mitteln für den Kitaausbau und dieSprachkitas setzen wir unsere Bildungs- und Betreuungs-offensive fort. Davon profitieren Kinder und Eltern, dieschon lange hier leben, genauso wie Familien, die in denletzten Monaten zu uns gekommen sind .
Das verstehen wir unter doppelter Integration . Wirnehmen die Herausforderung der Integration an und in-vestieren zugleich in den gesellschaftlichen Zusammen-halt . Für gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sorgen, be-deutet auch, diejenigen zu unterstützen, die sich um denZusammenhalt konkret kümmern, im Freundeskreis, imBeruf, im Ehrenamt und in der Familie . Familie bedeutetfür viele Glück und Erfüllung . Oft führt der dort geleis-tete Dauereinsatz aber auch zu Stress und Erschöpfung .Viele fühlen sich wie in einem Hamsterrad . Man läuftund läuft und scheint doch nicht wirklich voranzukom-men . Wir können den Druck, dem vor allem berufstätigeEltern ausgesetzt sind, nicht einfach per Gesetz abschal-ten . Aber wir können unseren Beitrag leisten, dass die-ser Druck spürbar abnimmt . Wir wollen mehr zeitlicheSpielräume für Familien schaffen.Mit dem Elterngeld Plus haben wir einen ersten Schrittgetan . Die Familienarbeitszeit, über die zum ersten Mal –nicht ganz überraschend – im Zusammenhang mit die-sem Haushalt diskutiert wird, wird zusammen mit demFamiliengeld der nächste Schritt sein . Die Ministerinhat dazu ein überzeugendes Konzept vorgelegt, wie ichfinde. Es ermöglicht Kindern, mehr Zeit mit beiden El-ternteilen zu verbringen . Es fördert die partnerschaftlicheAufteilung der Aufgaben zwischen Müttern und Vätern .Es führt außerdem zur Angleichung beruflicher Entwick-lungschancen und letztlich auch zu einer Angleichungder Löhne der Frauen an die der Männer . Wir sind bereit,die Familienarbeitszeit noch in dieser Legislaturperiodeauf den Weg zu bringen, je schneller, desto besser .
Da wir beim Thema Löhne sind: Wir brauchen endlichein Lohngerechtigkeitsgesetz . Der Gesetzentwurf liegtseit Monaten auf dem Tisch . Es wird allerhöchste Zeit,dass wir für mehr Transparenz bei den Gehaltsstrukturensorgen . Auch hier gilt: Dieses Gesetz muss jetzt auf denWeg gebracht werden .
Familien vollbringen wahre Höchstleistungen beimtäglichen Drahtseilakt zwischen Familie, Beruf und denvielen weiteren täglichen Herausforderungen, die ich ge-rade genannt habe . Das alles aber auch noch alleine zubewerkstelligen, ist umso bewundernswerter. Ich finde,Alleinerziehende leisten Enormes . Dass sie dann trotz ih-res beruflichen Einsatzes und ihrer oft guten Ausbildungeinem sehr hohen Armutsrisiko in Deutschland ausge-setzt sind, darf nicht sein . Das ist für uns nicht hinnehm-bar .Deshalb haben wir in dieser Legislaturperiode dafürgesorgt, dass Alleinerziehende besser unterstützt werden,unter anderem mit der Erhöhung des steuerlichen Ent-lastungsbetrages, mit dem Ausbau von Kinderbetreuungauch in Randzeiten – das ist hier schon erwähnt worden –und mit der Einführung des Mindestlohns, von dem ins-besondere Frauen profitieren. Diesen Weg wollen wirweitergehen .Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion in der ver-gangenen Woche ein Maßnahmenpaket für Alleinerzie-hende beschlossen . Wir wollen noch in dieser Legisla-turperiode den Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehendedeutlich verbessern . Dabei soll die Altersgrenze des Kin-des von jetzt 12 auf 18 Jahre angehoben und die zeitlicheBefristung auf 72 Monate abgeschafft werden. Darüberhinaus werden wir uns weiterhin für einen Umgangs-mehrbedarf für Kinder getrennt lebender Eltern, die Ar-beitslosengeld II beziehen, starkmachen . Das war schoneinmal Thema in der Großen Koalition . Wir wollen, wieim Koalitionsvertrag verabredet, eine WeiterentwicklungKatja Dörner
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des Teilzeitrechts mit einem Rückkehrrecht zur früherenArbeitszeit .
Das sind ganz konkrete Konzepte, sie liegen auf demTisch . Wir wollen in den kommenden Monaten bis zurBundestagswahl noch einiges bewegen – für Familien,die mehr zeitliche Spielräume brauchen, für Alleinerzie-hende, die wir besser unterstützen wollen, und für dieFrauen, die im Beruf 100 Prozent leisten und deshalbauch 100 Prozent verdienen .
Herzlichen Dank, insbesondere für die Punktlandung
bei der Redezeit . – Nächster Redner ist der Kollege
Norbert Müller für die Fraktion Die Linke .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Redne-rinnen und Redner der Großen Koalition haben gesternimmer wieder darauf hingewiesen, dass sie ab jetzt nichtin den Dauerwahlkampf für das kommende Jahr gehenwollen, und machen das auch am aktuellen Haushalt undan dieser Sitzungswoche, die das ganz gut illustrierensoll, fest . Das heißt für uns übersetzt: Wir nehmen Siebeim Wort bei allem, was Sie heute ankündigen und ver-sprechen .
Denn das heißt ganz offensichtlich, dass es sich hierbeinicht um Wahlkampf handelt, sondern um das, was Siein den Haushaltsberatungen noch aktiv angehen wollen .
Dann ist es doch ein großer Fortschritt, dass die GroßeKoalition, die sich im Koalitionsvertrag darauf verstän-digt hatte, nichts zum Thema Kinderarmut festzuhalten,das Thema der Kinderarmut und der Armut von Alleiner-ziehenden – dazwischen gibt es einen engen Zusammen-hang – endlich anpacken will, indem sie den Unterhalts-vorschuss offensichtlich ausbauen will. Das haben in denBeratungen nicht nur Herr Gabriel, sondern auch HerrSchneider, Herr Kahrs und Frau Schwesig gefordert, alsoeine lange Liste von Sozialdemokraten . Man muss davonausgehen, dass Sie das jetzt anpacken .Sie haben, wenn ich der Rede von Frau Dörner folgenkann, in diesem Plenum bereits jetzt eine Mehrheit da-für, den Unterhaltsvorschuss bereits in diesem Jahr aus-zubauen, jedenfalls was die Zahldauer bis zum 18 . Le-bensjahr und die Bezugszeit von 72 Monaten angeht . Dasheißt, wir können im Rahmen der Haushaltsberatungensofort den Unterhaltsvorschuss reformieren und deutlichausbauen .Warum ist das nötig? 42 Prozent aller Alleinerziehen-den sind in Deutschland armutsgefährdet . Die Spiegel-seite davon ist, dass in ganz Deutschland 50 Prozent, alsojedes zweite Kind, das im Hartz-IV-Bezug ist, in einemHaushalt von Alleinerziehenden lebt . In Ostdeutschlandsind es sogar 60 Prozent . Das heißt, mehr als die Hälfteder Hartz-IV-beziehenden Kinder in Ostdeutschland unddie Hälfte dieser Kinder in Gesamtdeutschland leben inHaushalten von Alleinerziehenden .Das bedeutet in der Konsequenz: Wir können nichtnur den Unterhaltvorschuss ausbauen – was richtig undnotwendig ist und wofür Sie jetzt eine Mehrheit hätten –,sondern wir müssen auch anfangen, über die Regelsätzefür Kinder in der Grundsicherung zu reden . Sie müssendeutlich erhöht werden, damit die Kinder aus der Armutherauskommen . Wir reden hier darüber – das ist mehr-mals gesagt worden –, dass jedes vierte Kind arm ist .Hier können wir mit wenig Geld sehr schnell sehr vielhelfen . Es gilt, aufzuzeigen, welche Dimensionen Armutin Bezug auf die Gesundheit, in Bezug auf die Bildungs-chancen und in Bezug auf die Beteiligung hat . Das istalles bereits dargestellt worden .
Gegen Kinderarmut hilft aber auch eine gute sozialeInfrastruktur . Es stellt sich die Frage: Was tun Sie oderwas unterlassen Sie, um im Kampf gegen Kinderarmutfür eine gute soziale Infrastruktur zu sorgen . Ich willzwei Beispiele nennen, wo dieser Haushalt eine Enttäu-schung ist .Das erste Beispiel ist bereits angesprochen worden:Den Kinder- und Jugendplan wollen Sie nochmals kür-zen . Im Koalitionsvertrag haben Sie – das ist erst knappdrei Jahre her – zur Jugendverbandsarbeit vereinbart:Wir werden die Infrastruktur der Kinder- und Ju-gendarbeit sowie die Jungendverbandsarbeit und diepolitische und kulturelle Bildung auf Bundesebenestärken und dabei auch die besonderen Bedürfnis-se junger Menschen mit Migrationshintergrund inden Blick nehmen . Der Kinder- und Jugendplandes Bundes . . . ist das zentrale Instrument, um einebundeszentrale Infrastruktur der Jugendverbände si-cherzustellen .Die Mittel dafür wollen Sie um Millionenbeträge kür-zen. Das finde ich, ehrlich gesagt, unverschämt. Wenndie Vorstellung war, diese Mittel im Haushaltsentwurfzu kürzen, damit das Parlament sie dort wieder veran-schlagt, sodass Sie dem Bundesfinanzminister gegenüberdarstellen können, welche Haushaltskürzungsbemühun-gen Sie vorgenommen haben, dann ist das doppelt un-verschämt, weil es eine Nichtwürdigung der Arbeit derKinder- und Jugendverbände ist .
Ich mache Ihnen das deutlich . Gleichzeitig wird inIhrem Ministerium offenbar mit den Verbänden desDeutschen Bundesjugendringes darüber gesprochen, dieKostensätze endlich zu erhöhen . Sie sind zum Teil nochin D-Mark gerechnet worden, weil sie seit über 15 Jah-ren nicht erhöht worden sind . Es geht um die Kosten fürFahrten, für Übernachtungen, für Honorare . Diese Kos-tensätze zu erhöhen, das ist richtig, und da haben Sieauch unsere Unterstützung . Aber wenn man die Kosten-sätze endlich erhöhen will, dann muss man auch diesenDr. Carola Reimann
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Einzelplan deutlich aufstocken und darf nicht noch Mil-lionenbeträge herausnehmen, weil die Konsequenz sonsthieße: weniger Angebote durch die Träger der Kinder-und Jugendhilfe, weniger Angebote durch die Kinder-und Jugendverbände .Wir hatten gerade Sommerferien . Die SPD-nahe Orga-nisation Die Falken bietet Ferienfreizeiten insbesonderefür arme Kinder an . Das hängt mit dem zusammen, wasSie richtigerweise im Koalitionsvertrag zur Arbeit derKinder- und Jugendverbände festgehalten haben, aberauch mit der Kinderarmut, zu der Sie sich nicht äußernwollen . Ein Verband wie die Falken bietet Ferienfreizei-ten für arme Kinder an . Wie soll das möglich bleiben,wenn Sie ihn gleichzeitig finanziell k.o. schlagen?Das hat eine weitere Dimension . Wenn Sie die Kinder-und Jugendverbände finanziell schwächen, dann machendiese weniger Angebote, und wenn die Angebote zurück-gehen, dann erleben wir eine weitere Welle des Sterbensder Einrichtungen der Kinder- und Jugendbildung . Dasheißt, Jugendbildungsstätten, denen es schon in den letz-ten Jahren immer schlechter ging, werden weiter in ihrerExistenz bedroht, weil die Übernachtungszahlen dannmöglicherweise zurückgehen . Wir werden also dieseKürzungsvorschläge im parlamentarischen Verfahrenkippen müssen . Ich habe viel Zustimmung dazu auch beider Koalition gesehen. Ich hoffe, wir schaffen das ge-meinsam .
Ein zweites Beispiel dafür, wo dieser Haushalt eineEnttäuschung ist . Eine soziale Infrastruktur, die Kindernaus der Armut hilft, sind auch Kitas . Kita ist eben nichtnur Betreuung; Kita ist frühkindliche Bildung . Wennwir Kita als frühkindliche Bildung verstehen, dann heißtdas eben auch, dass wir über Qualität, über Arbeitsbe-dingungen der dort Beschäftigten reden müssen – nichtnur, wenn gerade Streikzeiten sind –, dass wir über einegute Qualität von Ausbildung, über gutes Essen und überdie Kosten der Eltern, aber auch über Personalschlüsselreden müssen .Jetzt werden Sie wieder sagen: Das ist die Aufgabevon Ländern und Kommunen, Eltern und Beschäftigten .Sie müssen das irgendwie stemmen, sodass es funktio-niert, und der Bund gibt ja schon ganz viel. – Ich findedas unredlich . Gute frühkindliche Bildung ist ein Mecha-nismus, um Wege aus der Kinderarmut aufzuzeigen . DerBund muss seine Aufgabe wahrnehmen, um gleichwer-tige Lebensverhältnisse im Land herzustellen . Er kannnicht weiterhin sagen: Wir haben den Rechtsanspruchauf einen Kindergartenplatz geschaffen; wie er umge-setzt wird, überlassen wir Ländern und Kommunen undEltern . – Das Ganze wird dann auf dem Rücken von Be-schäftigten ausgetragen .Vielmehr sollte es heißen: Wir müssen über ein Kita-qualitätsgesetz Geld in die Hand nehmen und die früh-kindliche Bildung deutlich intensivieren . Wir müssenGeld in die Hand nehmen, um die Bedingungen der Be-schäftigten zu verbessern, um Betreuungsschlüssel zuverbessern, um Kitaessen kostenlos anzubieten und zuverbessern . Außerdem müssen wir über Elternbeitrags-freiheit reden; denn wir wissen, dass Kitagebühren Fami-lien in die Armut bringen können .Herzlichen Dank .
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Marcus
Weinberg .
Vielen Dank . – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Als ich heute Nacht gegen halb vier schweiß-gebadet aufgewacht bin, habe ich reflektiert, dass wirheute die schönste Situation im Jahr erleben, weil wirheute über den Haushalt des Familienministeriums dis-kutieren können . Seitdem ich Mitglied des Bundestagesbin, seit 2005, haben wir in jeder Haushaltsdebatte übereinen Aufwuchs der Mittel gesprochen .
Ich glaube, das ist seit 2005 ein klares Signal an die Fa-milien, dass wir sie stärken wollen .
Jeder hier hat seine Rolle, und das ist auch gut so . Sievon der Regierung haben uns einen guten Entwurf vor-gelegt, und wir machen es so wie jedes Jahr: Ein guterEntwurf wird durch die parlamentarische Arbeit noch einwenig besser . Deswegen wird es hier und da natürlichnoch Diskussionen geben .Es waren für uns damals einige Punkte wichtig, unddeshalb haben wir im Parlament die Ansätze erhöht . Icherinnere an die Jugendmigrationsdienste – 8 MillionenEuro zusätzlich –, an die Sprachkurse für Flüchtlinge,die studieren wollen – 15 Millionen Euro zusätzlich –, andie Hilfen für schwangere Flüchtlingsfrauen und an dieJugendverbandsarbeit . Im vorliegenden Entwurf ist daswieder herausgenommen worden, aber seien Sie guterHoffnung, dass wir im parlamentarischen Verfahren sehrkluge Lösungen finden werden.
Das muss am Anfang einer jeden Haushaltsdebattebei uns gesagt werden, weil das, was für den Staat gilt,auch für Familien gilt: Wir machen keine neuen Schul-den; denn die Schulden, die der Staat macht, genauso wieübrigens die Schulden, die Familien machen, müssen dieKinder tragen . Deswegen ist der eigentlich größte Erfolgfür Kinder und Familien, dass die Gesamtneuverschul-dung bei null liegt .
Erwähnt wurde bereits, wie sich der Familienetat seitder Regierungsübernahme durch Frau Merkel veränderthat . Wir sind jetzt bei rund 9,2 Milliarden Euro . Wir hat-ten 2013 7 Milliarden Euro . Wir kamen von 4,5 Mil-liarden Euro in 2005 . Das heißt, seit 2005 ist der EtatNorbert Müller
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verdoppelt worden . Geld ist zwar nicht alles, aber im Fa-milienbereich kann Geld unheimlich viel bewirken . Dasist eine Erfolgsgeschichte seit 2005, die wir heute mit derEtatplanung für 2017 fortschreiben .Dabei haben wir als Union immer eines gesagt: Wirwollen Familien stärken, Familien in ihrer Vielfalt stär-ken, aber Familien insbesondere auch in ihrer Freiheitstärken, so zu leben, wie sie wollen . Die Freiheit der Fa-milien, über ihr Familienmodell zu entscheiden und da-mit zu entscheiden, wie sie leben, steht bei uns an ersterStelle .
Wir wollen dabei die Teilhabe von Kindern, vonJugendlichen, von Frauen stärken, den SchwächerenSchutz bieten – das haben wir vor wenigen Wochen mitdem Prostituiertenschutzgesetz bewiesen – und die Ent-faltung des Einzelnen insgesamt voranbringen . Es musseine pragmatische Politik sein, die die Bedarfe und Wün-sche der Familien aufnimmt, die aber auch werteorien-tiert ist . Werte sind nicht Familienmodelle, die man mit300 Euro gesondert fördert, sondern bei den Werten gehtes um Verantwortungsübernahme, darum, Bindungen zustärken, nicht dem Zeitgeist hinterherzurennen, sondernverbindlich und nachhaltig Verantwortung, Bindung undFreiheit der Familien zu stärken .Deswegen führen wir gern Debatten darüber, wieFamilienmodelle sich verändert haben . Es gibt den Vor-schlag der Ministerin zur Einführung einer Familienzeit .Dazu hat Nadine Schön schon das Richtige gesagt . Denmuss man dann auch finanziell untermauern. Man mussfragen, ob das so vorgesehen war .Man muss auch noch etwas anderes fragen . Wir ha-ben hier über Jahre Debatten geführt, in denen an unsder Vorwurf gerichtet wurde: Mit dem Betreuungsgeldfördert ihr doch ein ganz besonderes Familienmodell . –Wenn man das so sieht und wenn man die Freiheit der Fa-milien stärken will, dann würde ich davon abraten, jetztandere besondere Familienmodelle finanziell zu fördern,zu subventionieren,
weil gerade das nicht die Freiheit der Familien stärkt .Warum soll eine Familie, in der sich die Mutter freiwilligentscheidet, nur 20 Stunden zu arbeiten, nicht so subven-tioniert werden wie eine Familie, in der sich die Mutterentscheidet, 26 Stunden zu arbeiten? Noch einmal: Ichbin sehr dafür, dass wir die Freiheit stärken . Wir solltenaber nicht das eine Modell durch das andere ablösen,auch wenn sich gesellschaftliche Veränderungen entwi-ckelt haben .Für uns war in der Debatte um Familienpolitik immerwichtig, dieses berühmte Dreieck zu stärken: Zeit zu ge-nerieren für die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit undFamilienzeit, die Infrastruktur zu stärken – das ist derBlick auf den Kitaausbau; das ist nicht nur eine familien-politische Maßnahme, sondern auch eine bildungspoliti-sche und eine integrationspolitische Maßnahme – und diefinanzielle Sicherheit der Familien insgesamt zu stärken.Natürlich ist das Elterngeld das Erfolgsmodell indieser Geschichte, nicht nur deshalb, weil die Zahlengigantisch sind . Wir haben jetzt 840 000 Familien, dieElterngeld beziehen . Über 12 Prozent der Väter nehmenes in Anspruch . Das ist schon mehr als früher, aber nochzu wenig; daran werden wir arbeiten . Es sind insgesamt6,2 Milliarden Euro, die dafür zur Verfügung stehen .Dieses Elterngeld hat die Freiheit der Familien massivgestärkt, zu entscheiden, wie sie die Betreuung im erstenJahr nach der Geburt des Kindes regeln . Deswegen wares im Übrigen auch richtig, das Elterngeld mit dem El-terngeld Plus auszuweiten . Jetzt ist es klug und richtig,sich Gedanken darüber zu machen, wie wir dieses Mo-dell der Kindertagesbetreuung an besonderen Randzeitennoch stärken können .Der U3-Ausbau ist die zweite große Erfolgsgeschich-te . Ich habe es schon gesagt: Es geht nicht nur darum, dieVereinbarkeit von Familie und Beruf zu stärken, sondernes geht auch um Bildungsimplikationen, um Sozialisa-tion, um Integration . Deshalb haben wir als Bund diese5,6 Milliarden Euro in die Hand genommen, um die An-gebote baulich auszuweiten . Wir nehmen fast 1 MilliardeEuro – 945 Millionen Euro – in die Hand, um die gestie-genen Betriebskosten der Länder abzudecken .Damit komme ich wieder einmal zu dem Grundpro-blem bei den Beratungen über einen Haushalt . Das Gan-ze machen wir, weil es wichtig ist . Aber wir erwartendann auch von denjenigen, die die originäre Kompetenzin diesen Bereichen haben, dass sie sich einbringen, auchbeim Ausbau im Bereich der Kindertagesbetreuung, unddass diese Mittel auch dort landen, wo wir sie vorgesehenhaben .
Die Folge ist: Von den 2,7 Millionen Kindern werdenmittlerweile fast 700 000 betreut . Das sind fast 30 Pro-zent . Das waren 2007 noch 15 Prozent . Wie gesagt: Mitdem Ausbau, auch dem Programm „KitaPlus“, glaubeich, setzen wir sozusagen diesen Schritt fort .Damit kommen wir zu dem Punkt, an dem man sichsozusagen gesellschaftlich überlegen muss: Was brau-chen wir eigentlich noch? Es wurde angesprochen: DasBundesprogramm „Sprach-Kitas“ ist mit 278 Millio-nen Euro im Jahr 2017 und mit 131 Millionen Euro imJahr 2016 ein gutes, sinnvolles und wichtiges Programm,weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist . Es ist tatsächlichso: Es geht nicht nur um die Flüchtlinge . Auch viele deut-sche Familien, mit Verlaub, können dieses Programmin Kindertagesstätten gut gebrauchen . Ich glaube, wirmüssen immer wieder klar betonen: Es gibt kein Kind Aund B, sondern es ist ein Programm für die Kinder, dieDefizite im Sprachbereich haben. Die brauchen diesesProgramm . Das ist richtig gut angelegtes Geld, und dasProgramm werden wir auch fortsetzen .
Die Stichworte „Kindergelderhöhung“ und „Kinder-zuschlag“ sind schon benannt worden . Wir legen jetztnoch einmal über 40 Millionen Euro drauf . Insgesamt lie-gen dann die Ausgaben für das Kindergeld und den Kin-Marcus Weinberg
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derzuschlag beim zuständigen Ministerium bei 594 Mil-lionen Euro .Weiterhin wurde das Thema Alleinerziehende ange-sprochen . Diese Koalition hat vor einem Jahr beschlos-sen, dass wir endlich den Entlastungsbeitrag für Allein-erziehende von 1 308 Euro auf 1 908 Euro erhöhen, alsoum 600 Euro . Zehn Jahre lang ist hier nichts passiert .Sicherlich: Diese Erhöhung kommt zehn Jahre zu spät,aber diese Große Koalition hat sie gemacht . Der gesamteAusbau im Bereich der Kindertagesstätten dient den Al-leinerziehenden .
Damit, Herr Müller, kommen wir zum wesentlichenPunkt: dem Unterhaltsvorschuss . Dazu muss man sagen,dass wir eine Verteilung zwischen Bund und Ländern ha-ben .Das Erste ist die Rückholquote: Es kann nicht sein,dass wir die säumigen Väter – in der Regel sind es Väter;es können aber auch Mütter sein – so einfach davonkom-men lassen . Die müssen zur Kasse gebeten werden .
Das Zweite ist die Frage, wie das systemisch zu ent-wickeln ist: Die Kommunen sollen aufgefordert werden,das Geld zurückzuholen, damit sie es dann den Ländernüberweisen können .In diesem Zusammenhang, glaube ich, müssen wirauch weiterhin auf eine Verteilung Wert legen – ichsage das, Frau Reimann, weil Sie den Beschluss derSPD-Bundestagsfraktion angesprochen haben –, bei derzwei Drittel die Länder übernehmen und ein Drittel derBund . Ich weiß nicht, was Frau Kraft gesagt hat, als sieangesprochen wurde, inwieweit sie sich daran finanzi-ell beteiligen will . Ich weiß nicht, was Herr Scholz inHamburg gesagt hat, inwieweit er sich finanziell beteili-gen will . Aber wir können als Bund nicht einfach sagen:Das übernehmen wir jetzt, weil wir das ansonsten nichthinbekommen. – Wir sind sehr offen dafür. Wir wollendas auch erweitern . Das ist Parteitagsbeschluss der CSUund der CDU . Jawohl, das machen wir, aber wir erwartenauch, dass wir uns zunächst einmal um die Rückholquotekümmern und sehen, wie wir die säumigen Gelder wie-der reinholen können .
Als einer der besonderen Punkte ist sicherlich das ge-sellschaftliche Engagement zu nennen, das gerade in denletzten zwölf Monaten sichtbar wurde . Das wird auchfinanziell weiter unterlegt und weiterhin gestärkt. Ich er-innere an den Bundesfreiwilligendienst und an die, glau-be ich, kluge Entscheidung, zu sagen: Wir werden vordem Hintergrund der Flüchtlingskrise 10 000 zusätzlichePlätze schaffen, die den Flüchtlingen die Chance bieten,sich gesellschaftlich zu engagieren . Auch das ist ja jetztim Haushalt verankert worden . Auch das war, glaube ich,wichtig . Natürlich wird in den nächsten Wochen darüberdebattiert werden, wo wir an der einen oder anderen Stel-le noch die Stellschrauben verändern . Ich habe bereitsgesagt, dass Jugendverbandsarbeit ein Thema sein wird .Ich glaube, da kriegen wir sicherlich eine gute Lösunghin .Trotzdem muss man natürlich weiter und längerfristigdenken, wie man Familienpolitik gestaltet, also die Fra-ge stellen: Welche weiteren Reformvorhaben werden wirbrauchen, um die Vielfalt der Familien anzuerkennen unddie Vielfalt der Familien insgesamt zu stärken? Das wirdsicherlich eine Rolle im aufkommenden Bundestags-wahlkampf spielen . Wir in dieser Großen Koalition wer-den diesen Haushalt jetzt im parlamentarischen Verfah-ren debattieren und an der einen oder anderen Stelle denbereits guten Entwurf noch etwas besser machen . Dannwerden wir sicherlich die Konzepte für das Jahr 2017und folgende erarbeiten . Nur – das ist eine herzliche Bit-te, wir haben vieles im Koalitionsvertrag vereinbart –: Esist auch eine politische Kultur gefordert, dass man jetzt,zwölf Monate vor der Wahl, nicht mit neuen, finanziellnicht unterlegten Forderungen kommt . Liebe SPD, ichwürde mir sehr wünschen, dass wir uns daran halten, waswir abgestimmt haben, was finanziell unterlegt ist, undnicht frühzeitig beginnen, mit Dingen Wahlkampf zu ma-chen, die finanziell noch nicht gesichert sind. Wir habeneine politische Kultur und eine Haltung, dass wir sagen:Das ist vereinbart, und das machen wir auch .Dann sprechen wir über die verschiedenen Konzepte:das Konzept, die Familien in ihrer Freiheit zu stärken,oder das Konzept, mögliche gesellschaftliche Familien-modelle insgesamt zu stärken . Auf jeden Fall freue ichmich auf die gemeinsame Debatte im parlamentarischenVerfahren .Vielen Dank .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr . FranziskaBrantner, Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen undHerren! Die Bekämpfung der Kinderarmut ist und bleibtunser aller Hauptaufgabe . Wir haben in Deutschland fast3 Millionen Kinder, die in Armut leben oder von Armutbedroht sind . Nur jedes fünfte Kind aus einer Arbeiterfa-milie studiert, aus Akademikerfamilien sind es 70 Pro-zent . Das sind Daten und Fakten, die für ein reiches Landwie Deutschland einfach nicht hinnehmbar sind . Das istunsere Aufgabe .
Es gibt Instrumente, die Aufgabe anzugehen . Aber wirmüssen endlich etwas dafür tun, dass diese Hilfen die Fa-milien, die sie erreichen sollen, auch erhalten .Nehmen wir den Kinderzuschlag . Frau Schwesig, Siehaben ihn erwähnt . Seit 2014 wissen wir, wie wenigeFamilien er erreicht . Wir haben im Sommer noch ein-mal gefragt: Wie viele Familien erhalten momentan denMarcus Weinberg
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Kinderzuschlag? Es sind nicht einmal 30 Prozent der An-spruchsberechtigten – nicht einmal 30 Prozent! Das heißt,70 Prozent, die ihn eigentlich brauchten, die de facto inArmut oder mit zu wenig Geld leben, erhalten ihn nicht .Wir wissen, was notwendig ist, um ihn zu verbessern .Was hat das Ministerium geantwortet? Sie „prüfen“, wasman machen kann . Frau Schwesig, Sie haben gesagt, dieErhöhung des Kinderzuschlags ist die Bekämpfung vonKinderarmut . Ich kann sagen: Ihre Politik ist ein Armuts-zeugnis und keine Bekämpfung von Kinderarmut .
Sie wissen, dass wir besonderen Handlungsbedarf beiden Alleinerziehenden haben; das wurde heute mehrfacherwähnt . Es ist überhaupt nicht vermittelbar, warum ein13-jähriges Kind keinen Unterhaltsvorschuss mehr erhältoder warum ein Kind, weil sich die Eltern getrennt ha-ben, als es zwei Jahre alt war, nach sechs Jahren keineUnterstützung mehr erhält . Das ist absurd, und das kannman niemandem mehr vermitteln . Jetzt haben Sie, FrauSchwesig, angekündigt, dass Sie das ändern wollen . DieAltersgrenze soll auf das 14 . Lebensjahr angehoben wer-den . Aber dafür ist noch nicht einmal 1 Cent im Haus-halt eingestellt . Das ist doch purer Wahlkampf und keinewirkliche Hilfe für die Alleinerziehenden .Zu Ihnen, Herr Weinberg, darf ich sagen: Ihre Stra-tegie, die Rückholquote zu verbessern und dann mehrGeld zu geben, geht doch zulasten der Kinder . Die Kin-der können doch nicht warten, bis wir es schaffen, dieseRückholquote zu verbessern . Wir müssen diesen Wahn-sinn jetzt effektiv beenden, die Altersgrenze und auch dieBezugsdauer abschaffen. Das ist das, was jetzt ansteht.
Frau Schwesig, liebe SPD, Sie haben häufig über denFührerscheinentzug gesprochen . Alle möglichen Übelsollen damit behoben werden . Wir sagen dazu Nein .Das trifft nämlich Menschen sehr unterschiedlich. Wennich mit der S-Bahn gut zur Arbeit komme, brauche ichvielleicht keinen Führerschein . Wenn ich aber täglichAuto fahren muss, dann ist das eine existenzgefährdendeEntscheidung . Wir wollen nicht Existenzen von Väterngefährden, sondern wir wollen den Unterhalt vernünftigeinziehen . Das ist die Aufgabe, die wir als Gesetzgeberhaben .
Dazu gibt es übrigens in Bayern gute Modelle . Spezi-alisierte Einheiten der Finanzämter sind dafür zuständig,das Geld zurückzuholen . Seitdem das eingeführt wurde,gibt es wesentlich höhere Rückholquoten . Wir sind derMeinung, hier könnte man einmal von Bayern lernen:Spezialisten bei den Finanzämtern, die sich damit aus-kennen und es einholen . Hier können wir vorangehen .
Beim Thema Alleinerziehende möchte ich übrigensdarauf hinweisen, dass auch der Mehrbedarf für die Al-leinerziehenden im SGB II schon mehrfach angekündigtwurde . Auch davon ist in diesem Haushalt nichts zu le-sen . Das sind leere Versprechen, die Sie den Alleinerzie-henden gemacht haben . Im Haushalt gibt es dafür keineneinzigen Cent .
Bei den Kitas stocken Sie auf . Wenn wir aber wissen,dass der Ausbau gerade lahmt, dass wir gleichzeitig vieleKinder, die neu zu uns gekommen sind, integrieren müs-sen, dass sie die Kitas brauchen, um dort die Sprache zulernen, und alle davon profitieren, dann sind die Gelder,die dafür eingestellt sind, nicht ausreichend . Daher kön-nen und dürfen wir die Kommunen nicht alleinlassen .Das schaffen sie nicht, dabei brauchen sie unsere Unter-stützung . Lassen Sie uns das Geld jetzt investieren, be-vor es zu Unmut vor Ort kommt und jemand sagt: Ichbekomme keinen Kitaplatz, weil ein Flüchtlingskind denKitaplatz bekommt . Diesen Streit möchte ich nicht inunserem Land haben, deshalb brauchen wir jetzt dieseGelder für die Kommunen .
Ein Punkt noch am Ende, der mir am Herzen liegt;denn wir brauchen nicht nur gute Kitas, Schulen und guteTransferleistungen an die Eltern, sondern wir brauchenauch Teilhabe, wie zum Beispiel Kicken im Fußballklub,Ballettunterricht oder ein Musikinstrument zu lernen .Das können Eltern wie wir unseren Kindern ermögli-chen; aber es gibt viele, die das nicht können, und dafürgibt es eigentlich das Bildungs- und Teilhabepaket . Eswurde jetzt evaluiert . Die Inanspruchnahme ist so gering .Die Nachhilfe für Kinder nehmen nur 9 Prozent der Be-rechtigten in Anspruch – 9 Prozent! –, und sie bekommeneh nur die Kinder, die versetzungsgefährdet sind, alsodann, wenn es eigentlich ohnehin schon zu spät ist . Wenndas Kind überall Fünfen hat, darf es einen Antrag stellen .Dann ist es aber eigentlich schon zu spät .Das muss doch bedeuten, dass wir das Ganze endlichreformieren . Die Kinder brauchen Nachhilfe, wenn sienoch hilft, um nach vorn zu kommen . Da müssen wirherangehen, genauso wie bei der Frage von Sport oderMusik . Diese Dinge nehmen 20 Prozent der Anspruchs-berechtigten wahr, ein Fünftel – das ist nichts . Dies hängtdamit zusammen, dass es eine Zettelwirtschaft ist . DieMutter muss für den Ballettunterricht des Sohnes einenAntrag stellen und für den Klavierunterricht der Toch-ter einen anderen, und zwar jedes Mal einzeln neu . Die-sen Bürokratiewahn müssen wir abschaffen. Stattdessenbrauchen wir freie, unbürokratische Angebote in Verei-nen, in den Kitas, in den Schulen für die Kinder, damitdie Teilhabe endlich gelingen kann .
Unsere Aufgabe ist, für den sozialen Zusammenhaltin diesem Land zu kämpfen, Gerechtigkeit voranzubrin-gen, Chancen für jedes Kind verwirklichen zu könnenund keines zurückzulassen . Dafür brauchen wir keinenWahlkampf, sondern hilfreiche Politik .Ich danke Ihnen .
Dr. Franziska Brantner
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Die nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike
Gottschalck für die SPD .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Bereits im März dieses Jahres hat die Regierung mitdem Eckwertebeschluss wichtige Weichen für unserenHaushaltsetat gestellt, und diesen finden wir nun auch imHaushaltsentwurf wieder . Das Sondervermögen für denKitaausbau wird um 216 Millionen Euro aufgestockt . Ichdenke, das ist kein geringer Betrag, Frau Brantner . Wennimmer gesagt wird, den Kommunen doch noch ein biss-chen mehr zu geben, dann möchte ich nur sagen: Bis zumJahr 2017 werden wir die Kommunen um 30 MilliardenEuro entlastet haben .
Dadurch bekommen sie Spielräume, um in ihren Kitasordentliche Arbeit zu leisten – was auch gut und richtigist .Das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ wird um150 Millionen Euro aufgestockt – auch dies ist ein im-menser Betrag . Die Mittel für das Bundesprogramm„Demokratie leben!“ werden um 54 Millionen Euro aufinsgesamt 104,5 Millionen Euro erhöht . Ich glaube, wiralle hätten uns zu Beginn dieser Legislaturperiode nichtvorstellen können, dass wir das hinbekommen, aber dieZeiten erfordern es eben auch . Nicht nur die Extremis-ten, egal ob rechts oder links, sondern auch die Salafis-ten müssen wir in Schach halten . Deshalb ist Präventionimmer gut .
Diese Investitionen kommen allen Familien inDeutschland zugute, und sie dienen dem gesellschaftli-chen Zusammenhalt .Der dickste Brocken, das Elterngeld, steigt erneut, undzwar um 200 Millionen Euro auf 6,2 Milliarden Euro .Rund ein Jahr nach der Einführung des Elterngeld Pluskann man sagen: Klasse, wir haben mit dem ElterngeldPlus den Nerv der Eltern getroffen, insbesondere dieMinisterin, von der die Initiative ausging . HerzlichenGlückwunsch! Das Geld kommt gut an, es wirkt . Wir ha-ben es gehört: Wir bekommen auch wieder mehr Kinder .
– Ich habe schon drei .
Zu den Initiativen von Frau Ministerin – um bei die-sem Thema zu bleiben –:
Es gab die Initiative zum Elterngeld Plus, sie hat auch imprivaten Bereich Initiative ergriffen, wir haben jetzt eineweitere Initiative der Ministerin betreffend den Unter-haltsvorschuss. Ich finde, das ist eine sehr wichtige Ini-tiative; denn Kinder kosten eben auch nach dem zwölftenLebensjahr viel Geld .Meine Damen und Herren, ich bin der Auffassung –ich denke, gemeinsam mit der Union –, dass Väter Ver-antwortung tragen müssen . Wer A sagt, der muss auch-limente sagen .
Deshalb müssen wir schon sehen, dass wir diese Koh-le wieder reinbekommen . Ich persönlich – ich sage das,auch wenn ich weiß, dass ich dann viele böse Zuschriftenkriege – hätte nichts dagegen, da durchaus über Führer-scheinentzug nachzudenken; denn das bringt die Jungsdann doch schon einmal zum Nachdenken .Meine sehr geehrten Damen und Herren, gut am Ent-wurf ist auch, dass wir den Bundesfreiwilligendienst mitFlüchtlingsbezug weiter stärken können – die Mittel fürdas entsprechende Sonderprogramm werden auf 33 Mil-lionen Euro erhöht – und die Mittel für die Engagement-politik in Höhe von 10 Millionen Euro verstetigt werdenkönnen . Aber ich würde mir wünschen, dass wir auch beiden anderen Freiwilligendiensten vielleicht noch einmalschauen, ob wir da nicht auch noch eine Schippe drauf-legen können .
Weniger gut ist allerdings, meine sehr geehrten Da-men und Herren, dass uns gerade im Integrationsbereichwichtige Mittel abhandengekommen sind . Wenn ichnoch einmal die Reden von Herrn Schäuble vorgesternund von Kanzlerin Merkel gestern Revue passieren lasse,dann muss ich einfach sagen: Es muss sich um ein riesen-großes Missverständnis handeln .
Herr Schäuble hat gesagt: „Wir müssen jetzt beweisen,dass die Integration der … Flüchtlinge gelingen kann“ .Wenn wir alles dafür tun wollen, dass wir Menschen, diein höchster Not zu uns geflüchtet sind, hier integrieren,dann können wir nicht ernsthaft 8 Millionen Euro bei denJugendmigrationsdiensten, 15 Millionen Euro bei denSprachkursen und 8 Millionen Euro bei den Wohlfahrts-verbänden kürzen .
Ich bin wirklich froh, dass wir erneut einen Haushaltohne Neuverschuldung haben, aber auf Nachhaltigkeitmuss auch geachtet werden . Ich kann mir das eigentlichnur so erklären – insbesondere weil ich die Reden vonKanzlerin Merkel und Herrn Schäuble gehört habe –,dass es einige Büroklammern gab, die im vorauseilendenGehorsam so viel von diesem Schwarze-Nullen-Grütze-
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brei aufgelöffelt haben, dass sie nicht mehr über den Tel-lerrand schauen können .
Das könnte uns aber volkswirtschaftlich teuer zu stehenkommen . Wir haben diese Punkte letztes Jahr im Haus-haltsausschuss und auch im Parlament in großer Ein-mütigkeit aufgesattelt und sie mit einer hohen Prioritätversehen . Deswegen kann ich nicht verstehen, warum siesich im Entwurf nicht wiederfinden.
Nun werden Frau Dörner und einige andere gleich wiedersagen: Ja, aber warum hat die Ministerin zugestimmt?
Ich sage mal: Wir haben auch sehr viel Licht in unseremHaushalt . Deshalb muss man da natürlich zustimmen .Es gibt aber noch zwei weitere Prioritäten, die unsHaushältern fehlen . Dazu wird Kollege Alois Rainer si-cherlich gleich etwas ausführen. Das betrifft zum einendie Mehrgenerationenhäuser . 300 000 Euro nicht fortzu-schreiben, finde ich bei einem Haushalt mit einem Volu-men von über 300 Milliarden Euro schon ein bisschensehr knickerig .Zum anderen betrifft es die Jugendverbände. Sie leis-ten eine hervorragende Arbeit – das kann man wirklichsagen –,
angefangen beim Bundesjugendring über die Trachtenju-gend bis hin zu den Falken .
Es wird einfach hervorragende Jugendarbeit gemacht .Junge Leute werden zum Ehrenamt angeleitet .Wir sollten gemeinsam alles unternehmen, um denEntwurf – genau so, wie es auch Herr Weinberg gesagthat – noch zu optimieren . Ich denke, gemeinsam wirduns das gelingen . Der Opposition empfehle ich: ArbeitenSie konstruktiv mit! Dann wird das auch klappen .
Wir Familienpolitiker werden den Haushaltsentwurf si-cherlich noch in unserem Sinne verändern können .Vielen Dank .
Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Sylvia
Pantel .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Familien-politik ist Gesellschaftspolitik, darüber haben wir hiermehrfach diskutiert . Dass Familienpolitik das Fundamenteiner funktionierenden Gesellschaft ist, darüber sind wiruns alle einig . Meine Vorredner haben schon darauf hin-gewiesen, was das Parlament alles für die Familien tutund wie viel Geld wir in die Familien investieren .Wir haben in den vergangenen drei Jahren viele po-sitive Entwicklungen auf den Weg gebracht . Ich möchtemich an dieser Stelle – auch wenn es gerade vielleichtnicht ganz so passt – bei unserem Koalitionspartner fürdie sehr gute Zusammenarbeit in den letzten drei Jahrenan der einen oder anderen Stelle bedanken .
– Ja . – Gerade in Anbetracht der Wahlkampfrhetorik,die wir alle in den vergangenen Wochen gehört haben,ist es umso wichtiger, die vielen positiven Gesetze, diewir für unsere Familien geschaffen haben, zu benennen.Wir haben noch nie so viel Geld in den Familienhaushalteingestellt wie jetzt .Unser Land erlebt einige gewaltige gesellschaftlicheVeränderungen . Arbeitswelten, Familienbilder, Flücht-lingsströme – unser Alltag ändert sich . Wie die Zukunftder Familien aussehen soll, darüber gehen unsere Vor-stellungen hier im Saal sehr wohl auseinander . Es istnicht Aufgabe des Staates und damit der Familienpoli-tik, Menschen vorzuschreiben, wie sie leben sollen . Wirwollen Wahlfreiheit ermöglichen und die Schwachenschützen, die sich nicht um sich selbst kümmern könnenoder in Not geraten sind . Familienpolitik in Deutschlandmuss für die Menschen die richtigen Start- und Rahmen-bedingungen schaffen, damit sie so leben können, wie esfür die jeweilige Familie richtig ist . Da haben Sie, FrauSchwesig, unsere Familienpolitik eben sehr gut darge-stellt . Auch die Shell-Studie hat wieder gezeigt, wie sehrsich die jungen Menschen in unserem Land nach Familieund Stabilität sehnen . 91 Prozent der Befragten stellenVereinbarkeit von Familie und Beruf über ihre eigeneKarriere . Die Studie zeigt ganz klar, dass sich viele jungeMenschen nach einer Familie sehnen .Die Deutschen wollen wieder mehr Kinder bekom-men . Die Geburtenzahlen steigen; Frau Schwesig, Siehatten das eben schon gesagt . Wir konnten uns schonim Jahr 2014 gegenüber dem Vorjahr über ein Plus von32 000 Geburten freuen . Im Jahr 2015 gab es eine erneu-te Steigerung von 22 000 Geburten . Das ist ein Zeichendafür, wie gut unsere Familienpolitik ist . Wir können klarfeststellen, dass seit dem Jahr 2000 die Geburtenzahlenpermanent steigen .Wir Parlamentarier müssen dafür Sorge tragen, dassunsere jungen Menschen in Deutschland den Wunschnach Familie und Kindern in die Tat umsetzen können .Wir müssen aber auch die Kosten im Blick behalten . DenUlrike Gottschalck
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nachfolgenden Generationen dürfen wir keine Schulden-berge hinterlassen .
Deshalb beurteile ich die schwarze Null etwas anders alsmancher hier .
Auch das beinhaltet gute Familienpolitik, damit mannicht mit einem schlechten Erbe in die Zukunft blickenmuss . Deshalb legen wir wieder einen Haushalt ohneNeuverschuldung auf .
Wir setzen super Akzente .
Wenn wir hier im Plenum in dieser Woche über denHaushalt für das kommende Jahr sprechen, dann gerätmanchmal in den Hintergrund, dass jeder Euro, den wirhier verplanen, von den Menschen in unserem Land ersteinmal erwirtschaftet werden muss . Wir geben 9,2 Milli-arden Euro in diesem Jahr für unsere Familien aus . Dassdas nur geht, weil wir eine gute Wirtschafts- und Arbeits-marktsituation haben, das sollte man hierbei bitte nichtvergessen .Die Ausgaben des Einzelplans 17 sind zum einen fixeLeistungen, deren Höhe sich aus Bedarf und langfristi-ger Planung ergibt, und zum anderen die Ausgaben fürKinder- und Jugendarbeit oder für die Zivilgesellschaft,die der Bund ebenfalls aus den Mitteln des Familienmi-nisteriums fördert .Zuerst ein Blick auf die gesetzlichen Leistungen . Die-se Leistungen machen den größten Anteil des Haushaltsaus und sind mit 7,4 Milliarden Euro veranschlagt . Ne-ben Kindergeld und Kinderzuschlag fällt darunter zumBeispiel das Elterngeld . Immer mehr Familien nutzen dieVorzüge der gemeinsamen Erziehungszeit und nehmendas Elterngeld oder das Elterngeld Plus in Anspruch . Für2017 rechnen wir daher mit 6,2 Milliarden Euro und si-chern dadurch mehr Flexibilität für Familien .Ebenfalls unter die gesetzlichen Leistungen fallen dieUnterhaltsvorauszahlungen, mit denen wir dafür sor-gen, dass Alleinerziehende nicht in existenzbedrohendeNöte geraten, weil sie unter der fehlenden oder schlech-ten Zahlungsmoral des anderen Elternteils leiden . Dasheißt natürlich nicht – das haben eben schon einige aus-geführt –, dass das andere Elternteil, das eigentlich dieSorge für den Unterhalt tragen müsste, sich dadurch sei-ner Verpflichtungen entziehen kann. Wir müssen Strate-gien entwickeln, um hier an höhere Quoten zu kommen .Die zweite große Gruppe der Leistungen sind all jeneMaßnahmen, die unsere Gesellschaft stärken . Da ist zumBeispiel der Bundesfreiwilligendienst, den wir mit über200 Millionen Euro finanzieren. Ein anderes Beispiel fürgute Investitionen in unsere Gesellschaft sind die Mittelfür das Bundesprogramm „SprachKitas“ .Auch Länder und Kommunen – ich bitte, das nichtzu vergessen – haben hohe Steuereinnahmen . Dennochsind wir dem vielfachen Wunsch nachgekommen, zu hel-fen und mehr in die Ausbildung der Erzieherinnen undErzieher zu investieren. Nachdem wir diese Qualifizie-rungsoffensive 2017 um weitere 150 Millionen Euro auf-gestockt haben, werden insgesamt 278 Millionen Eurozur Förderung der Qualifizierung von Erzieherinnen undErziehern ausgegeben . Allein in meinem Wahlkreis inDüsseldorf habe ich 33 Kindertagesstätten, die an die-sem Programm teilnehmen . An dieser Stelle möchte ichauf das eingehen, was zum Bundesteilhabegesetz gesagtworden ist: Bei uns ist es so, dass die Kinder sehr wohlan Musikunterricht und anderen Aktivitäten teilnehmen,weil die Schulen, die Kitas und auch die Sportvereine inder Lage sind, die Formulare auszufüllen, damit man andas Geld kommt .Es ist besonders erfreulich, dass wir eine sichere Fi-nanzierung der Mehrgenerationenhäuser erreicht haben .Ich weiß, dass wir uns am Anfang dieser Legislaturpe-riode bemüht haben, überhaupt die bereits bestehendenMehrgenerationenhäuser zu sichern . Jetzt sind insgesamt14 Millionen Euro für 2017 eingeplant . Mir ist wichtig,dass wir die Finanzierung der Mehrgenerationenhäusernicht nur langfristig sicherstellen, sondern auch ausbauenkönnen . Wir sind uns alle darüber im Klaren, dass wirhier mit wenig Mitteln ein riesiges, auch ehrenamtlichesEngagement ins Rollen gebracht haben und die Mehrge-nerationenhäuser eine wirklich sehr gute Arbeit leisten .
Außerdem müssen wir Hilfsangebote für diejenigensicherstellen, die eine helfende Hand benötigen . Dankder Finanzierung durch das Bundesamt für Familie undzivilgesellschaftliche Aufgaben zum Beispiel wird die sowichtige Hotline „Gewalt gegen Frauen“ gesichert .Auch die Förderung der Beratungsstellen hat Lebengerettet . 240 Kinder kamen seit Mai 2014 im Zuge dervertraulichen Geburt auf die Welt . Dass wir dafür dieKosten übernehmen, rettet Kinderleben . Ich bin wirklichstolz, dass dieses Programm so erfolgreich ist .
In meinem Umfeld, also in der Region Düsseldorf – ichhabe nachgefragt –, gibt es nicht einen Säugling, der aus-gesetzt wurde oder ums Leben gekommen ist . Mit die-sem Programm retten wir wirklich Kinderleben .
Genauso wichtig sind die Beratungsangebote von Do-num Vitae . Ich werde mich dafür einsetzen, dass unsereVereinbarung zur Finanzierung umgesetzt wird und hiernicht vom Ministerium am falschen Ende gespart wird .Das Gleiche gilt für den Bundesjugendring, der einetolle ehrenamtliche Arbeit leistet . Es ist schön, dass dashier allgemeiner Konsens ist .Viele dieser kleinen Ausgaben bemerken die Bürgerhäufig nicht bewusst, aber sie sind wichtig, weil sie dafürsorgen, dass Menschen in Not geholfen wird . Außerdemunterstützen wir damit ehrenamtliches Engagement .Sylvia Pantel
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An dieser Stelle möchte ich aber auch offen Kritikäußern, wo ich meine, dass es nicht gut läuft . Ich haltedas Programm „Demokratie leben!“ für wichtig, aber fürzum Teil schlecht oder falsch umgesetzt . Es ist richtigund wichtig, dass wir Projekte und Maßnahmen fördern,die besonders jungen Menschen ein demokratisches Mit-einander näherbringen . Es ist wichtig und richtig, dasswir politische Bildung fördern und Initiativen unterstüt-zen, die sich gegen Extremismus, religiösen Fanatismusund Gewalt richten . Da ist es unerheblich, ob jemandwegen rechter oder linker Gewalt verletzt wird . Extre-mismus an sich ist von uns zu bekämpfen .
Die aktuelle Umsetzung ist aber fehlerhaft und un-durchsichtig . Niemand weiß genau, was mit den Mittelndes Bundesprogramms „Demokratie leben!“ letzten En-des unterstützt wird . Durch die Presse gingen Fälle, indenen es hieß, dass im Rahmen von Anti-Salafismus-Pro-jekten Vereine unterstützt wurden, die nachweislich eherzur islamistischen Radikalisierung beitragen, als dass sieToleranz und Verständnis fördern . In Norddeutschlandbekommt sogar die DITIB Geld vom Familienministeri-um, um Islamfeindlichkeit zu bekämpfen . Wir reden seitlangem darüber, dass es nicht sein darf, dass die türkischeRegierung über die DITIB Einfluss auf Deutschlands Zi-vilgesellschaft erlangt . Dann erfahre ich, dass das Fami-lienministerium über 250 000 Euro an DITIB-Vereineüberwiesen hat . Aber nicht nur der politische Islam isteine Bedrohung für unsere Gesellschaft . Denken Sie nuran die brennenden Autos in Berlin und an die angezünde-ten Wahlkampfbusse . Hier wurden CDU- und SPD-Poli-tiker gleichsam Opfer . Wir wollen Jugendliche für Politikbegeistern, nicht für politische Gewalt .
Auch kann das Ministerium derzeit nicht nachvoll-ziehen, wo Geld bei Projekten dubioser Antifa-Gruppenversackt . Da werden dann auch schon einmal Aktivistender Antifa zu Demos und Blockaden durch die Republikgefahren, oder sie trainieren, wie man am besten Wider-stand gegen Polizeimaßnahmen leistet . Wie erklären wirdas den Polizisten, die jeden Tag den Kopf für uns hin-halten? Das ist bestimmt nicht im Sinne des Programms .Für mich gibt es nur eine Konsequenz aus diesen Er-kenntnissen: In Zukunft muss die Verwaltung überprü-fen, wer welche Förderung bekommt . Aufgabe des Mi-nisteriums ist es daher, nun Prozesse zu entwickeln, beidenen nicht nur genauer hingeschaut wird, bevor Gelderüberwiesen werden, –
Frau Kollegin, Sie denken an die vereinbarte Rede-
zeit?
– ja –, sondern auch, wofür die Gelder im Rahmen der
Projekte am Ende ausgegeben wurden .
Meine Damen und Herren Kollegen, Ihnen liegt ein
guter Haushaltsentwurf für den Einzelplan 17 vor . Die
familienpolitischen Akzente helfen dabei, den richti-
gen Weg für die Familien zu finden. Wir werden unsere
Schwerpunkte setzen und in den Beratungen darauf hin-
wirken, dass die Dinge, die unserer Meinung nach feh-
len, noch einfließen. Ich bin gespannt bzw. freue mich
auf eine gute Beratung .
Herzlichen Dank .
Der Kollege Sönke Rix spricht jetzt für die SPD .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbeginne mit dem, womit ich eigentlich enden wollte,nämlich mit lobenden Worten für diejenigen, die sich fürDemokratie einsetzen. Ich finde, es ist nicht richtig, wennwir an dieser Stelle, ohne Ross und Reiter zu benennen,so tun, als ob Gelder direkt vom Familienministerium anirgendwelche verbotenen Organisationen oder für Ge-waltaktionen ausgegeben würden .
Das ist einfach nicht richtig, und das ist auch nicht wahr .Es gibt keine direkten Mittel vom Familienministeriuman irgendwelche verbotenen Vereinigungen oder für ver-botene Aktionen . Das weise ich hier mit Entschiedenheitzurück, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Viel wichtiger ist es, denjenigen Dank zu sagen, diesich ehrenamtlich in der Zivilgesellschaft für Demokra-tie einsetzen . Das ist keine Selbstverständlichkeit . FrauPantel, Sie haben gerade eben selbst gesagt: Auch wirbzw . unsere Parteien, die sich mit Vehemenz für die De-mokratie einsetzen – zumindest diejenigen, die hier imBundestag vertreten sind –, leiden gerade in den Wahl-kämpfen unter Gewalt . All denjenigen, die sich außer-halb von Parteien für Demokratie und Toleranz einset-zen, gilt der Dank des ganzen Hauses .
Deshalb ist es nur richtig, dass wir diese Mittel endlicherhöht haben, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Das tun wir übrigens nicht nur, weil wir gerade durchdie Zuwanderung die eine oder andere neue Herausfor-derung haben, sondern auch, weil es einen gemeinsamenBeschluss dieses Hauses dazu gibt . Wir haben, als wirden NSU-Bericht entgegengenommen haben, gemein-sam fraktionsübergreifend beschlossen, dass wir die Mit-tel für die Demokratieförderung ganz deutlich und dras-tisch erhöhen wollen . Dazu sollte auch die Union stehen .Ich finde, da ist eher noch ein bisschen mehr zu erwarten,Sylvia Pantel
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 187 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 8 . September 201618614
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als dass wir uns damit schon jetzt zufriedengeben sollten,liebe Kolleginnen und Kollegen .
Ich möchte an dieser Stelle die Debatte über die Ent-lastung und Unterstützung von Familien aufgreifen . Esging um die Fragen, wann wir das machen und ob wirnur das tun, was im Koalitionsvertrag steht, oder viel-leicht auch das eine oder andere tun, was sich im Laufeder letzten vier Jahre, also nachdem der Koalitionsver-trag verfasst worden ist, ergeben hat; es ist ja nicht immeralles vorhersehbar .Wir haben alle gemeinsam an dieser Debatte hier gese-hen, wie wichtig es ist, Alleinerziehende zu unterstützen .Wir haben alle hier gemeinsam auch deutlich gemacht,wie wichtig es ist, dass sie diesen Unterhaltsvorschussbekommen . Dann ist es doch nur folgerichtig, wenn dieMinisterin dazu auch Vorschläge unterbreitet, die wirdann gemeinsam miteinander verhandeln, als Erstes in-nerhalb der Koalition, liebe Grünen und liebe Linke, unddann, wenn wir uns da gemeinsam auf den Weg gemachthaben, auch mit dem Rest des Hauses, was diesen Haus-halt angeht . Wir auf jeden Fall werden den Unterhalts-vorschuss in den Haushaltsberatungen thematisieren undwollen da auch etwas erreichen .
Auch Herr Schäuble hat ja Entlastungen und Unter-stützung für Familien angekündigt, zwar erst für dienächste Wahlperiode. Aber ich finde, das kann man auchschon in dieser Wahlperiode machen . Das gehört auch zudem Thema: ankündigen und dann nicht umsetzen . Daskönnen wir auch jetzt schon gemeinsam machen .Dann ist in der Debatte die SGB-VIII-Reform ange-sprochen worden . Ich glaube, hinter der inklusiven Lö-sung stehen wir auch alle gemeinsam . Wir haben sie jah-relang immer wieder in allen Reden vorgetragen . Abernatürlich kommt es hier auf die Umsetzung an . In derZielsetzung sind wir uns einig . Das, was wir an Eck-punkten im Moment auch aus dem Ministerium kennen,geht absolut in die richtige Richtung . Aber es kommtda auf die genaue Formulierung im Gesetzestext an . Dagibt es bis jetzt nur Arbeitsentwürfe . Ich will hier für dieSPD-Fraktion ganz deutlich machen: Mit uns wird eskeine Standardabsenkung in der Kinder- und Jugendhilfegeben, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Wir haben in dieser Wahlperiode noch mehr gemein-sam vor . Auf unserer Tagesordnung steht nämlich nochdie Lohngerechtigkeit, das Lohnentgeltgleichheitsgesetz .Das liegt im Moment noch im Kanzleramt . Auf anderenEbenen wird dazu noch beraten. Ich finde, es liegt vielzu lange da .
– Nein, das ist in der Frühkoordinierung . Wir haben dasja schon thematisiert, als wir den Koalitionsvertrag mit-einander formuliert haben . Das Problem ist also nichtneu . Von daher sollten die Lösungsvorschläge, die dasind, auch ganz schnell umgesetzt werden . Aber ich sageauch an dieser Stelle für die SPD-Fraktion: Wir machennicht irgendein Gesetz mit, sondern nur ein Gesetz, daswirklich dazu beiträgt, dass gleicher Lohn für gleiche Ar-beit gilt .
Insgesamt haben viele Redner das Struck’sche Gesetzbetont . Nicht alles, was die Regierung an dieser Stellevorgelegt hat, ist schon perfekt . Aber es gibt ja uns, dasParlament . Wir werden es noch perfekter machen . Wirwerden natürlich noch einmal gucken, wie wir mit Ju-gendmigrationsdiensten bzw . mit der Situation von Ju-gendverbänden umgehen . Da müssen wir als Parlamentnoch mal wieder als Korrektiv wirken . Das sind wir viel-leicht schon gewohnt. Ich hoffe dennoch, dass es beimnächsten Mal dann auch klappt,
dass, wenn das Parlament zwei- oder dreimal hinterei-nander Erhöhungen beschließt, die Regierung dann aucherkennt: Okay, wir müssen nicht jedes Mal das Parlamentwieder tätig werden lassen, sondern es steht gleich imEntwurf richtig drin . Aber wir übernehmen auch an die-ser Stelle die Arbeit .Ich freue mich auf die Debatten in den Ausschüssenund auch auf die zweite Debatte hierzu im Plenum .Herzlichen Dank .
Abschließender Redner zu diesem Geschäftsbereich
ist der Kollege Alois Rainer für die CDU/CSU .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zu den wesentlichen Zielen der Familienpolitik gehörtes, Familien und Kinder wirksam zu unterstützen und zufördern . Da es uns derzeit wirtschaftlich sehr gut geht,können wir und werden wir investieren, und zwar inves-tieren wir nicht nur in Straßen, was auch wichtig ist, son-dern wir investieren unter anderem in die Menschen undFamilien in unserem Land, in Deutschland . Meine sehrverehrten Damen und Herren, das ist der richtige Weg .Ich werde etwas kürzer sprechen . Ich habe eine Minu-te abgezogen bekommen, was ich angesichts des schönenAbends auch verstehe .
Deshalb kürzen wir das ein bisschen ein und machenwir es ein bisschen flotter.Sönke Rix
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Den Haushaltsansatz haben wir schon oft gehört . Ichwill nur einmal auf die Erhöhung gegenüber dem Vorjahrhinweisen . Circa 650 Millionen Euro haben wir mehr zurVerfügung, wenn man das Betreuungsgeld dementspre-chend mit berücksichtigt . Die größte Position im Fami-lienetat nimmt wie jedes Jahr das Elterngeld mit einerHöhe von 6,2 Milliarden Euro ein . Das ist eine weite-re Erhöhung gegenüber dem Vorjahr um 200 MillionenEuro .Insbesondere die Einführung des Elterngeld Plus unddes Partnerschaftsbonus wird von den Familien gut an-genommen . Aber nicht nur das Elterngeld Plus, sondernauch die steigende Geburtenrate sowie die aktive Väter-beteiligung und die positive Entwicklung der Nettolöhneführten zu einer Anpassung des Elterngeldes .Meine sehr verehrten Damen und Herren, vorhin istkurz über den Kinderzuschlag gesprochen worden . Es istzu wenig – klar, liebe Frau Kollegin Brantner, es ist im-mer zu wenig –, aber wenn ich den Gesamtansatz sehe,der um 20 Millionen Euro erhöht worden ist, stelle ichfest: Wir bewegen uns hier bei 405 Millionen Euro imJahr 2017 . Das ist ein ordentlicher Betrag, der sich sehenlassen kann .Heute ist schon viel über das Unterhaltsvorschussge-setz gesprochen worden . Auch hier ist der Ansatz erhöhtworden, nämlich um 15 Millionen Euro . Das hängt mitder Anhebung des Mindestunterhalts für Kinder zusam-men . Lassen Sie mich aber etwas Grundsätzliches dazusagen: Die Zahlung eines Mindestunterhalts für ihr Kindist meines Erachtens das Mindeste, was Unterhaltspflich-tige leisten sollten . 50 Prozent Nichtzahler sind in mei-nen Augen nicht akzeptabel . Das geht so nicht .
Dass hier Verbesserungen her müssen, ist auch klar undunstrittig .Es soll hier aber kein Diskussionsverbot bestehen;man diskutiert natürlich gerne darüber . Man kann überdie Dauer und auch über eine Verschiebung diskutieren .Man kann darüber diskutieren, ob man die Dauer so be-lässt und das relevante Alter ändert . Das werden die Fa-milienpolitiker zur rechten Zeit miteinander ausmachen .Wir müssen nur auch darüber nachdenken, ob dasGeld dafür überhaupt vorhanden ist; denn wir sprechennicht nur von Bundesgeld, sondern auch von Ländergeldund von Geld der Kommunen . Wir brauchen hier also zu-erst einmal auch die Zustimmung des Bundesrates, undhier bin ich am Ende der Tage wirklich gespannt, waspassiert, wenn wir nicht mehr über 50 Millionen Euromehr reden, die dort zur Verfügung gestellt werden müs-sen, sondern über viel mehr . Ich bin wirklich gespannt,was dabei am Ende des Tages herauskommt .In diesem Zusammenhang muss zwingend auch überdie Rückholquote diskutiert werden . Ich bin überzeugt,dass mehr zu holen ist . Ich habe es mir vorhin ange-schaut – liebe Frau Brantner, vielen Dank, dass Sie Bay-ern gelobt haben –: In Bayern beträgt die Rückholquo-te circa 30 Prozent, in Bremen liegt sie bei 11 Prozent .Das ist die Spanne in Deutschland . Der Durchschnitt inganz Deutschland liegt momentan bei 23 Prozent . Das istokay, aber es wäre noch viel mehr möglich . Ich habe aberauch Verständnis für die Kreis- und Stadtverwaltungen .Wenn sie das Geld mit ihrem Personal zurückholen soll-ten, dann bleiben sie auf den Personalkosten sitzen undhaben nichts davon . Auch das sollte und muss meines Er-achtens diskutiert werden .Wir dürfen die Unterhaltspflichtigen, die zahlen könn-ten, nicht einfach außen vor lassen . Es gibt gute Möglich-keiten, zum Beispiel das sogenannte Kontenabrufverfah-ren, das mit Wirkung zum 1 . Juli 2013 durch dieses Hauseingeführt worden ist . Nur der Hinweis darauf wirkt zumTeil schon Wunder . – Wie gesagt: Es gibt etwas zu tun .Als Haushaltspolitiker freut man sich, wenn der Re-gierungsentwurf kommt . Manchmal ist man ein Stückweit überrascht, wenn er dann kommt . Am meisten warich aber beim Bundesprogramm „Demokratie leben!“überrascht . Meine Kollegen wissen, wie ich dazu stehe .Ich habe kein großes Problem damit – in keinster Wei-se –, aber wenn die Mittel von 30 Millionen Euro – dasist der Status quo – auf 104 Millionen Euro erhöht wer-den – das sind also 74 Millionen Euro mehr –, dann istdas schon ordentlich . Liebe Frau Ministerin, dieses Pro-gramm muss man dann auch entsprechend mit Lebenerfüllen .Ich werde mich heute hüten, groß über den Linksex-tremismus zu referieren, weil in diesem Zusammenhangfast nur der Rechtsextremismus angesprochen wird, aberein Programm im Umfang von 104 Millionen Euro mussmit Leben erfüllt werden . Von den 50 Millionen Euro, diedieses Jahr zur Verfügung standen, haben wir bis dato nur20,5 Millionen Euro ausgegeben .Ich bin davon überzeugt, dass wir hier etwas tunmüssen, nicht nur wegen der aktuellen Situation . Wirwollen keinen Extremismus – sei es Linksextremismus,Rechtsextremismus, Salafismus oder ein anderer Extre-mismus – in unserem Land . Das will kein Mensch . Demmüssen wir präventiv entgegenwirken, aber mit den rich-tigen Programmen .
Die Kollegin Pantel hat vorhin einige Dinge ange-sprochen . Ich bitte das Ministerium, das zu prüfen undklarzustellen, dass so etwas nicht vorkommt; denn wirwollen diesen Eindruck ja nicht bestärken . Dann ist manmit Sicherheit auf dem richtigen Weg, und dann kanndieses Geld auch zielführend und zielbringend eingesetztwerden .Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Siemich noch eins ansprechen, was wichtig ist: die Un-terstützung der Kindertagesstätten . Auch hierfür sindMilliarden ausgegeben worden . Ich bringe gerne dasBeispiel aus Bayern: das Programm Kinderbetreuungs-finanzierung 2013-2014, mit einer Bundesförderungvon 580 Millionen Euro ausgestattet . Allein in Bayernwurden 940 Millionen Euro an Landesmitteln investiert .Wenn man die Bundesförderung von 90 Millionen Euroin Bayern dazurechnet, dann sind wir bei über 1 Mil-liarde Euro . Insgesamt wurden in dieses Programm inAlois Rainer
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Deutschland 2,6 Milliarden Euro investiert, davon über1 Milliarde Euro in Bayern .Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Siemich eine Empfehlung aussprechen . Es gibt eine schöneListe, die Sie sich einmal anschauen sollten . Darauf steht,wie viele Länder eigene Mittel eingesetzt haben . Das isteigentlich eine klassische Länderaufgabe .
Der Bund zahlt . Das ist gut so . Wir haben die Plätze fest-gelegt, weil es eben eine klassische Länderaufgabe ist .Ich möchte hier nicht die Namen der anderen Bundes-länder vorlesen, ich will niemanden diskriminieren, dasgeht eigentlich nicht .
Aber das wäre sehr gut machbar . Es gibt mit Bayern nurvier Länder, die mehr an Landesmitteln einsetzen, als siean Bundesmitteln erhalten . Bayern habe ich schon ange-sprochen . Hessen, Saarland und Schleswig-Holstein
setzen etwas mehr Landesmittel ein . Es gibt auch Länder,die überhaupt keine Landesmittel mehr einsetzen . LiebeFreunde, das geht so nicht . Da muss man nacharbeiten .
Ich bin auch bei der Betriebsmittelförderung dabei .Aber da muss man wissen, dass über die Umsatzsteuer-punkte mittlerweile 945 Millionen Euro an die Kommu-nen als Betriebsmittelförderung ergehen . Das ist nichtwenig . Ich lasse es auch nicht gelten, wenn man sagt,dass die Kitagebühren Familien in die Armut treiben .Das wird so nicht der Fall sein . Wir müssen die Kita nichtkostenlos machen .Meine Damen und Herren, zum Abschluss noch meinLieblingsthema: die Mehrgenerationenhäuser . Liebe UliGottschalck, lieber Kollege Leutert – die andere Kolleginist nicht da –, ich bin überzeugt – so selbstbewusst müs-sen wir Parlamentarier sein –: Das schaffen wir wieder.
Die Probleme mit den verschiedenen Kürzungen sindheute angesprochen worden, etwa im KJP oder bei denSprachkursen . Der Haushaltsgesetzgeber ist das Parla-ment . Wir haben jetzt einige Wochen Zeit, zu diskutie-ren . Wir werden das ausdiskutieren . Ich bin überzeugt,dass wir am Ende der Tage eine gute Lösung für unserenNachwuchs, für die Familien, Frauen, Jugend und Senio-ren erreichen werden . Ich freue mich auf die kommendenBeratungen und wünsche Ihnen heute einen sehr ange-nehmen Abend .Danke schön .
Vielen Dank . – Weitere Wortmeldungen zu diesem
Einzelplan liegen mir nicht vor .
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages für morgen, Freitag, den 9 . September 2016, 9 Uhr,
ein .
Kommen Sie gut und wohlbehalten wieder . Die Sit-
zung ist geschlossen .