Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nehmen Sie bitte Platz.
Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord-
nungspunkt I – fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2010
– Drucksachen 17/200, 17/201 –
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-
haltsausschusses zu der Unterrich-
tung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2009 bis 2013
– Drucksachen 16/13601, 17/626 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider
Otto Fricke
Roland Claus
Rede
Alexander Bonde
Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt I.9 auf:
Einzelplan 04
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
– Drucksachen 17/604, 17/623 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Rüdiger Kruse
Petra Merkel
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz
Dazu liegen Ihnen die Beschlussempfe
Haushaltsausschusses auf den Drucksachen
17/623 vor.
zung
en 17. März 2010
.00 Uhr
Es gibt einen Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke zu diesem Einzelplan, über den wir später nament-
lich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache dreieinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es
dazu Einwände? – Das ist offenkundig nicht der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Kollegen Dr. Frank-Walter Steinmeier für
die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Frau Bundeskanzlerin, wir haben nicht nur Ver-ständnis für die Abwesenheit des Bundesfinanzminis-ters, sondern wir wünschen ihm auch raschen Fortschrittbeim Heilungsprozess. Gute Besserung, Herr Schäuble,wünscht Ihnen die gesamte SPD-Fraktion!
Haushaltsdebatten sind besondere Debatten, selten intextMoll geführt und nie nur Debatten über Zahlenkolonnen.Da steht die Regierung auf dem Prüfstand, und das tutnot, weil – mit Blick auf das, was wir in den nächstenJahren zu bestehen haben – die Herausforderungen inder Tat gewaltig sind. Die Zweifel der Menschen inDeutschland, dass wir das schaffen, wachsen doch täg-lich; das ist doch zu spüren. Wir stecken in der tiefstenWirtschaftskrise seit 1949. Das Wirtschaftswachstumverlagert sich in andere Teile der Welt, nach Asien etwa,weit weg von Europa und von Deutschland. Das Ge-wicht Europas in der Welt wird kleiner, und hier wach-sen sogar die Gegensätze zwischen den Eurostaaten.Viele Menschen in Deutschland fragen sich mittlerweile,tand hier wohl erhalten bleibt. Das alles istg. Aber noch schlimmer ist: Ausgerechnetlitik vorangehen müsste, wo Politik Ver-en müsste, da hat Deutschland eine Regie-hlungen des17/604 undob der Wohlsschlimm genujetzt, wo Potrauen schaffrung, die nicht regiert, die keine gemeinsame Idee und
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keinen gemeinsamen Willen hat. Jeder kämpft gegen je-den in dieser Regierung. Sie streiten sich wie die Kessel-flicker. Es gibt keinen, der Ordnung schafft. So schlechtwurde Deutschland seit Jahrzehnten nicht regiert. Wirverlieren Tag für Tag an Boden.
Viele, die Sie gewählt haben, sind nicht nur enttäuscht– diese Briefe bekommen nicht nur wir von der SPD-Fraktion –, sondern auch entsetzt. Nach 140 Tagen Re-gierung haben Sie doch im Grunde genommen IhrenVertrauensvorschuss schon verspielt. Das kleinkarierteGezänk, das wir jeden Tag hören, geht den Menschendoch auf die Nerven. Die Menschen in Deutschland wis-sen schon jetzt, nach 140 Tagen, nicht, wovor sie eigent-lich Angst haben sollen: dass diese Regierung sich auf-löst oder dass sie im Amt bleibt. Das Schlimmste ist:Selbst das ist den Menschen schon egal.
Jetzt sehr ernsthaft: Glauben Sie nicht, dass Sie mitder SPD eine Oppositionsfraktion haben, die da scha-denfroh in der Ecke steht – nicht, wenn es um die Zu-kunft des größten Landes in Europa geht. Wir wissen,Deutschland regieren, das ist kein Spiel, der Kabinetts-saal ist kein Abenteuerspielplatz, eine Regierung istkeine Selbsterfahrungsgruppe. Spielen Sie nicht mit derVerantwortung, die Sie für dieses Land übernommenhaben! Nehmen Sie diese Verantwortung endlich an!
So wie bisher, Frau Merkel, schafft diese Regierungkein Vertrauen, sie zerstört Vertrauen. So kann dasnicht weitergehen. Wer soll denn in Deutschland an dieRegierung glauben, wenn sie nach 140 Tagen ein soschwaches Bild abgibt? Wer soll denn glauben, dassdiese Regierung in der Lage ist, die Macht von Bankenund Börsen tatsächlich einzuschränken? Wer soll dennglauben, dass diese Regierung Wege aus der Krise be-schreibt? Wer soll denn glauben, dass diese RegierungZukunft gestaltet angesichts des schwierigen Jahrzehnts,das auf uns zukommt?
Meine Damen und Herren, Sie regieren noch kein hal-bes Jahr, und niemand glaubt Ihnen das, nicht einmal dieeigene Wählerschaft. Das kann Sie doch nicht kaltlassen.Darüber kann man doch nicht mit Schulterzucken hin-weggehen. Das geht einfach nicht. So kann das nichtweitergehen!
– Seien Sie vorsichtig, es geht hier nicht nur um Regie-rung, sondern es ist ein bisschen mehr, was da bedrohtist. Da kommt ein bisschen mehr als nur Vertrauen in dieRegierung ins Rutschen.Viele sagen doch: Die Orientierung fehlt, Werte sindverloren gegangen. Wenn da etwas dran ist, meine Da-men und Herren, dann sind diese Werte vermutlich nichtin der Wohnküche von Arbeitslosen verloren gegangen.Werte erodieren nicht von unten, sondern sie erodierenmeistens von oben. Das war schon im späten Rom so,Herr Westerwelle. Dekadenz war leistungsloser Wohl-stand saturierter Oberschichten. So war das.
Nun weiß auch ich, nicht alles, was hinkt, ist ein Ver-gleich, Herr Westerwelle. Aber wenn ich schon Verglei-che anstelle, dann hätte ich an Ihrer Stelle in den Ver-gleich Gier, Unvernunft, Verantwortungslosigkeit undLeichtfertigkeit einiger internationaler Finanzmanager inden Topetagen einbezogen. Je skrupelloser, je erfolgrei-cher – das war doch die Maxime, die einige vorgelebthaben. Das zerstört Werte. Das zerstört Vertrauen. Wenndas Vertrauen in die Gültigkeit von Regeln, wenn dasVertrauen in die Gültigkeit von Standards verloren geht,wenn da einige glauben, sich über andere stellen zu kön-nen, dann sinkt eben auch das Vertrauen in Politik. Dannsinkt das Vertrauen in Demokratie. Das geht nicht nurdie Regierung an. Darum kümmern auch wir uns, meineDamen und Herren.
Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben jedenfalls un-sere Verantwortung angenommen mit einer kritischenund – das gebe ich zu –, wo nötig, auch scharfen Opposi-tionsarbeit. Wir haben die Verantwortung aus den elfJahren, an denen wir an der Regierung in diesem Landbeteiligt waren, nicht vergessen. Wir haben das gezeigt,etwa bei der Debatte und bei der Abstimmung über denAfghanistaneinsatz. Wir zeigen das bei den Gesprächen,die wir zurzeit über die Zukunft der Jobcenter führen.Wir haben Verantwortung gezeigt. Aber, Frau Merkel,ich frage Sie nach Ihrer Verantwortung. Sie sind verant-wortlich dafür, dass die Regierung ihre Aufgaben zumüberwiegenden Teil nicht erfüllt. Es ist kaum zu ertra-gen, dass Sie den Eindruck erwecken, als hätten Sie da-mit nichts zu tun, als wäre Ihnen auch manches peinlich,was der eine oder andere Minister da öffentlich äußert.
Diese schwarz-gelbe Koalition, Frau Merkel, ist IhreKoalition. Sie haben diese Koalition gewollt. Das warvor sechs Monaten Ihre Liebesheirat. Wir sagen Ihnenheute: Sie stehen vor den Trümmern einer zerrüttetenEhe. Das ist die ganze Wahrheit. Jeder sieht das.
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Wenn ich mit dem einen oder anderen von Ihnen überdie Flure gehe, dann sagt mir mancher: Herr Steinmeier,Sie hatten doch damals bei Rot-Grün 1998 auchschlechte Presse. – Ich erinnere mich sehr gut: Ja, auchwir hatten schlechte Presse. Aber ich würde nie sagen,dass schlechte oder gute Presse der Maßstab von Poli-tik sein darf. Rot-Grün wurde 1998 kritisiert, weil siesich zu viel vorgenommen haben, zu schnell vorgenom-men haben, gleichzeitig gehandelt haben.
– Passen Sie auf! – Vieles haben Sie jetzt übernommen.Ich erinnere an den Streit um die Energiewende. Wostanden Sie bei der Einführung der Ökosteuer? Wo stan-den Sie beim Erneuerbare-Energien-Gesetz? Wo standenSie beim Ausstieg aus der Atomenergie?
Das alles fand im ersten Jahr statt, begleitet durch dieÄnderung des Staatsangehörigkeitsrechtes und durchInitiativen zur Veränderung im Verhältnis der Ge-schlechter.Dieses Problem haben Sie nicht: zu viel, zu schnellund gleichzeitig. Sie haben ein anderes Problem:
Diese schwarz-gelbe Regierung hat kein einziges ge-meinsames Projekt, das überzeugt.
Die Union beschimpft die Liberalen als Traumtänzer.Die FDP erwidert der Union: Wenn ihr heimlich weiterGroße Koalition macht, was wollt ihr dann mit uns? –Frau Merkel, was soll denn daraus werden? Wenn sogardie Beteiligten dieser Koalition die Koalition für einenIrrtum halten, dann ist das eben ein schrecklicher Irrtumfür Deutschland.
Jetzt diskutieren wir einen Haushalt mit über80 Milliarden Euro Neuverschuldung. Jeder dritte Eurodieses Haushaltes ist schuldenfinanziert. Das ist einsa-mer Rekord. Das ist natürlich auch eine Folge der Fi-nanzkrise. Das – jetzt hören Sie zu – legen wir nicht vor-dergründig Ihnen oder dem Finanzminister HerrnSchäuble zur Last. Aber die ganze Wahrheit ist doch:Die Steuerzahler werden jetzt für die Gier von Bankenund Hedgefonds zur Kasse gebeten, jeder in Deutsch-land mit mindestens 2 500 Euro.
Das ist das himmelschreiend Ungerechte. Wenn Politikverlorenes Vertrauen wirklich wieder zurückholen will– das ist auch Ihre Aufgabe, meine Damen und Herren –,dann müssen Sie eben jetzt als Regierung handeln. Stop-pen Sie das Tun der Finanzjongleure, die sich ein umsandere Mal auf Kosten des Gemeinwohls bereichern!
Sorgen Sie dafür, dass das internationale Börsenkasinonicht weitermacht wie bisher! Sorgen Sie dafür, dass dieBanken das billige Geld aus den Rettungspaketen an un-sere Mittelständler geben und nicht schon wieder fürZockereien missbrauchen!
Frau Merkel, Sie haben viel geredet, aber geändert hatsich nichts. Das ist das, was zu beklagen ist. In der Gro-ßen Koalition haben wir, haben Sozialdemokraten Siebei der Regulierung der Finanzmärkte gedrängt. DieUnion hat damals auf der Bremse gestanden, und mit derFDP steht jetzt die gesamte Regierungsbank auf derBremse. Die Banken und die Finanzmarktlobby – wirhören das bis nach Berlin – atmen erleichtert auf in die-sen Tagen. Warum das so ist, haben wir in den letztenMonaten oft genug gesehen: Da entwirft Gordon Brownin Großbritannien den Vorschlag, die Hälfte der Banker-boni als Steuern abzukassieren, was Frau Merkel füreine „charmante Idee“ hält. Aber was passiert dann?
Nichts. Dann haben wir über die Börsen- und Finanz-marktabgabe diskutiert. Was passierte? Weit weggescho-ben in die Prüfungsschleifen der G-20-Welt, vertagt – sowürde man sagen – ad calendas graecas. Aber ich gebezu: Das geht in diesen Tagen schwer über die Lippen.Banken und Hedgefonds haben den griechischenStaat mit spekulativen Kreditausfallversicherungen fastin den Ruin getrieben. Das hat Griechenland und – werweiß – am Ende vielleicht auch den Steuerzahler in Eu-ropa Hunderte von Millionen Euro gekostet. Was sagtdiese Regierung? Was sagt die Bundeskanzlerin? Dasmuss man untersuchen. – Nein, Frau Merkel, Taten sindjetzt gefragt. Die Krise geht weiter, solange es keineOrdnung auf den internationalen Finanzmärkten gibt.Legen Sie deshalb die Hedgefonds an die Kette! BringenSie Ratingagenturen unter Aufsicht! Verbieten Sie Leer-verkäufe und den spekulativen Handel mit Kreditausfall-versicherungen! Das muss mindestens sein in dieser Si-tuation.
Der Steuerzahler jedenfalls – darüber müssen wir unsin diesem Haus einig sein – darf nicht weiter die Zechefür Zocker und Spekulanten zahlen. Dafür zu sorgen, istjetzt Aufgabe dieser Regierung. Wenn Sie dafür keineMehrheit in der Koalition haben: Ich bin mir sicher, indiesem Hause haben Sie sie, Frau Merkel.
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Ich spreche über Vertrauen. Wer Vertrauen zurückho-len will, der muss mit Blick auf diesen Haushalt und mitBlick auf eine Rekordverschuldung von 80 MilliardenEuro beim Sparen bei sich selbst anfangen. Diese Regie-rung macht das Gegenteil. Herr Fricke, Sie haben ges-tern hier gesprochen. Ich habe in früheren Jahren vieleGespräche mit Herrn Koppelin, dem für mich damals zu-ständigen Haushälter, und mit Herrn Westerwelle ge-führt. Wie haben Sie sich über jede neue Stelle aufge-regt, als Sie noch in der Opposition waren. Wie ofthaben Sie von diesem Pult aus mit Ihrem dickleibigenliberalen Sparbuch gewedelt. 400 Sparvorschläge ha-ben Sie uns von diesem Rednerpult aus angekündigt.Das war Ihr gutes Recht. Womit Sie nicht gerechnet ha-ben: Das weckt Erwartungen. Jetzt sind Sie an der Re-gierung und nichts davon ist verwirklicht.
Stattdessen 985 neue Beamtenstellen.
Sie suchen offenbar noch nach einer Überschrift für dasschwarz-gelbe Projekt. Mir fällt nur eine Überschrift fürdieses Projekt ein, eine Überschrift, die sich aufdrängt.Sie lautet „Mehr Bürokratie wagen“. Das ist Ihre Parole.
Der Finanzminister hat 417 neue Stellen. HerrRöttgen lässt für 2 Millionen Euro seine neue Chefetageplanen, so habe ich gelesen. Gleichzeitig sperrt diese Re-gierung 900 Millionen Euro für die Qualifizierung vonArbeitslosen. Sie predigen öffentlich Wasser und trinkenheimlich Wein. Sie aasen und denen, die Arbeit suchen,nehmen Sie das Geld weg. Das sind die Prioritäten die-ser Regierung.
Herr Westerwelle, ich habe Sie auf dem Parteitag derFDP in Siegen beobachtet. Ich habe auf der großen Lein-wand im Hintergrund den Slogan gesehen „Aufstiegdurch Leistung“. Aufstieg durch Arbeit, Aufstieg durchBildung und Aufstieg durch Leistung: Das sagen wir So-zialdemokraten nicht nur, dafür machen wir seit 150 Jah-ren Politik.
Wir ziehen daraus möglicherweise sehr unterschiedlicheSchlussfolgerungen. Wir sagen nämlich zusätzlich: Je-der, der jeden Tag zur Arbeit geht, muss von seinemLohn verdammt noch mal auch leben und seine Familieernähren können. Er muss herauskommen aus Armutund aus der Abhängigkeit vom Staat. Sie von der FDPund auch Teile der Union finden sich eben mit Billiglöh-nen ab. Der eine oder andere hält sie sogar für notwen-dig. Ich habe es im Koalitionsvertrag gelesen. Da sagenSie: Sittenwidrige Löhne sind die Untergrenze. Sie wis-sen, was das im Klartext nach der geltenden Rechtspre-chung bedeutet. Das bedeutet 4 Euro die Stunde, und dasbedeutet weiterhin, dass der Rest bis zur Grundsicherungvom Steuerzahler draufgelegt werden muss. Das ist IhrePolitik. Das bedeutet für die Menschen: den ganzen Tagarbeiten und am Ende doch keine Chance haben, aus derAbhängigkeit herauszukommen, also keine Unabhängig-keit vom staatlichen Tropf. Sie reden über den Preis derArbeit, und wir reden über den Wert von Arbeit.
Wer den Wert von Arbeit nicht respektiert, wer ihn miss-achtet, der greift das Wertegerüst einer auf Arbeit ge-gründeten Gesellschaft an. Deshalb war das Wort vonder römischen Dekadenz, das Sie, Herr Westerwelle, denArbeitslosen hinterhergerufen haben, nicht nur zynisch,sondern auch leichtfertig und gefährlich. Und ich be-haupte, Sie wissen das.
Wenn Ihnen an Aufstieg durch Arbeit oder Aufstiegdurch Leistung wirklich etwas liegt, dann schaffen Siedie Voraussetzungen dafür, dass in diesem Lande endlichMindestlöhne eingeführt werden und dass wir mehr Ar-beitsvermittler bei den Arbeitsagenturen bekommen.Schaffen Sie Perspektiven und Beschäftigungsmöglich-keiten für Langzeitarbeitslose, statt sie zu beschimpfen.Deutschland muss kein Land der Billiglöhne bleiben undwerden. Dafür werden wir kämpfen, und zwar auch inder Kommission für Mindestlöhne.
Wir alle wollen, dass Arbeit sich lohnt, dass Leistungsich lohnt, aber eben nicht nur für Hotelbesitzer und an-dere, sondern auch für diejenigen, die wirklich zu denLeistungsträgern in diesem Lande gehören, zum Beispielfür die Pflegekräfte, die schwer arbeiten müssen und oftsittenwidrig schlecht bezahlt werden. Sie haben mindes-tens den Mindestlohn verdient, diesen aber ganz be-stimmt. Da sind Union und FDP merkwürdig zurückhal-tend, da eiern sie herum. Sie haben diese Aufgabe aneine Kommission weitergegeben und schauen mit ver-schränkten Armen zu, wie die Sache zurzeit nicht voran-kommt.Frau Merkel, Frau von der Leyen, Frau Schröder, tunSie das Nötige, damit sich Leistung für diejenigen wie-der lohnt, die die wirklichen Leistungsträger unseresLandes sind, die jeden Tag Alte und Kranke füttern, wa-schen und ihnen Zuwendung geben.
Sie sollten den Mut haben, zu sagen: Es geht nicht, dieseMenschen mit einem Stundenlohn von 4 Euro abzuspei-
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sen, und wenn die Kommission anders entscheiden wird,dann nehmen wir das nicht hin.Sie appellieren alle an das Gute im Menschen, an diemenschliche Gesellschaft.
Dagegen habe ich wirklich nichts; viele tun das zuRecht. Aber das Missverständnis in dieser Regierung ist:Sie haben nicht zu appellieren, Sie haben zu entscheiden.Das tun Sie seit Wochen nicht, auch hier nicht, und des-halb sind Sie die größte Nichtregierungsorganisationdieses Landes!
Genauso halten Sie es in der Gesundheitspolitik. Je-der darf sich da im Augenblick einmal mit neuen Ideenausprobieren, als hätten wir gerade in diesem Bereichnichts zu verlieren. Ich jedenfalls bin der Meinung, dasswir im europäischen Vergleich immer noch die beste me-dizinische Versorgung in diesem Land haben. Wir habendas Vertrauen der Menschen darauf, dass jeder Zugangzu dieser medizinischen Versorgung hat. Wir haben Ver-trauen darauf, dass in Deutschland die Kosten für einehochklassige medizinische Versorgung fair verteilt wer-den. Das ist nicht wenig. Aber als wäre das nichts, darfjeder in der Regierung in diesem Bereich herumdilettie-ren. Mit solch einer Politik untergraben Sie das Ver-trauen der deutschen Bevölkerung.Wer in einer solchen Situation auf nichts andereskommt, als vorzuschlagen, die Beiträge der Arbeitgebereinzufrieren, der weiß ganz genau, was er tut. Das heißtnämlich, dass alle Kostensteigerungen infolge des medi-zinischen Fortschritts, neuer Behandlungsmethoden undsteigender Medikamentenpreise in Zukunft einseitig aufden Schultern der Versicherten ruhen. Das bricht mitdem Solidaritätsprinzip im Gesundheitswesen.
– Sie wissen das. – Das bricht mit dem guten Prinzip„Menschen für Menschen“, das uns in 60 Jahren Nach-kriegszeit in der Gesundheitspolitik stark gemacht hat.Sie opfern das einem Wahlversprechen. So darf man inDeutschland nicht Politik machen, vor allem nicht indiesem sensibelsten Bereich der Gesellschaft.
Ich bin nicht an der Regierung, ich darf appellieren,und ich appelliere an Sie: Behalten Sie erstens die Ar-beitgeber in der Verantwortung
und fahren Sie zweitens das Gesundheitssystem durchdie Einführung der Kopfpauschale nicht gegen dieWand. Dieses System ist ungerecht, das wissen Sie, undder Sozialausgleich ist unfinanzierbar. Aber was nochviel schlimmer ist: Sie wollen bis zu 30 Millionen Men-schen in den Sozialausgleich schicken, 30 MillionenKrankenversicherte zu Bittstellern machen, mit umfang-reichen Fragenkatalogen, Formularen und – wer hätte esgedacht – mit noch mehr Bürokratie.
Ich verspreche Ihnen: Das wird Ihnen nicht gelingen.Der Protest ist gewaltig, und wir haben die Bürger aufunserer Seite. Wir werden das verhindern.
Die Regierung hat nicht nur keine Antworten. Da, wosie Antworten gibt, hat sie falsche Antworten. Sie ver-weigert sich den wirklich wichtigen Fragen. Die Men-schen stellen sich nicht die Frage: Kommen die mit-einander klar? Das interessiert die Menschen nicht. DieMenschen interessiert die Frage: Woher kommt inDeutschland der Wohlstand von morgen? Dazu habe ichvon dieser Regierung noch kein vernünftiges Wort ge-hört, geschweige denn ein durchdachtes Konzept gese-hen. Das, was ich gesehen habe, ist ein Gesetz, das einenfalschen Namen trägt. Mit dem Wachstumsbeschleuni-gungsgesetz wächst nichts, außer den Schulden. Sie hö-ren doch die Hilferufe der Bürgermeister und Oberbür-germeister. Sie haben das zur Kenntnis genommen und– wie ich den Zeitungen entnommen habe – mit Betrof-fenheit quittiert, mehr aber auch nicht. Zu den Einnah-meverlusten, die die Städte und Gemeinden haben – indiesem Jahr sind es bereits mehr als 10 Milliarden Euro –,legen Sie noch eins obendrauf. Sie helfen ihnen nicht. ImGegenteil: Sie nehmen ihnen noch einmal etwas weg:1,6 Milliarden Euro allein durch das Wachstumsbe-schleunigungsgesetz und zusätzlich durch die verändertesteuerliche Berechnung bei Leasing und Funktions-verlagerung ins Ausland. Bei zukünftigen Einkommen-steuersenkungen können noch weitere Einnahmeverlustein Milliardenhöhe hinzukommen. Das geht so nicht! Sokönnen wir die Kommunen in Deutschland nicht alleinelassen. Mit uns geht das nicht.
Was ich nun sage, Frau Merkel, meine ich in der Tatsehr ernst:
Hören Sie genau zu. Wenn das so weitergeht – Sie ahnendas doch selbst auf der Seite der Opposition –,
dann sind wir dabei, unsere Zukunft zu verlieren. Die In-vestitionen rutschen ab und der private Konsum stag-niert. Im letzten Aufschwung waren wir in Deutschlanddie Lokomotive in Europa. Wir haben den Zug inEuropa gezogen, andere folgten dem. Jetzt fallen wir
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aus. So sehr berechtigt es ist, dass wir sorgenvoll nachGriechenland blicken, so wissen wir auch, dass das, wassich in diesem Lande tut, für das Wachstum in Europaviel wichtiger ist als die Haushaltskrise und die Schwä-che Griechenlands.Wenn wir über unseren Tellerrand blicken, dann se-hen wir, dass sich Nordamerika erholt und Asien wächst.China ist Exportweltmeister. Deutschland und Europafallen zurück. Wenn wir nicht aufpassen, wird uns derBoden unter den Füßen weggezogen, und dann habenunsere Kinder nicht dieselben Chancen wie wir. Das,meine Damen und Herren, Frau Merkel, ist das zentraleProblem. Kümmern Sie sich in dieser Regierung endlichdarum! Legen Sie eine Innovationsstrategie vor, eineStrategie für die Leit- und Zukunftsbranchen dieses Lan-des, eine Strategie, wie Arbeit von morgen entsteht, eineEnergiestrategie, mit der Sie sich nicht zum Handlangerder Atomwirtschaft in diesem Land machen,
eine Strategie, die den Ausbau der erneuerbaren Ener-gien beschleunigt statt zu gefährden. Das müssen diePrioritäten dieser Regierung sein.Ich füge hinzu: Rufen Sie bitte auch Ihren Wirtschafts-minister Herrn Brüderle zur Ordnung, der in Zeitenhöchster Not – ich habe eben die Gründe beschrieben –mit einem Entflechtungsgesetz durchs Land zieht. Dasist gut und schön, aber was das Gesetz angeht, so verräter keinem, auch nicht auf Nachfrage, was und vor allemwer gemeint ist. Herr Brüderle, wenn Sie die Post mei-nen, dann lassen Sie uns in diesem Haus doch über dieZukunft der Post streiten, aber laufen Sie nicht mit Über-schriften von Gesetzgebungsvorhaben durch die Ge-gend; denn keiner weiß, was die Anstrengung in diesemBereich im Augenblick soll.
– Herr Kauder, wissen Sie, wenn Sie das karikieren,dann frage ich mich: Warum treibt es Sie eigentlich nichtum – das werden Sie wie ich am Wochenende in denZeitungen gelesen haben –, dass Vattenfall sein Energie-netz, sein Leitungsnetz verkaufen will? Warum treibt Siedas nicht um? Ich sage es Ihnen: Weil Sie nicht sehen,dass wir mit solchen Entscheidungen einzelner Unter-nehmen ein gutes Stück Zukunft in diesem Lande verlie-ren.
Ich habe mir in der Großen Koalition manchmal denMund fusselig geredet – Sie wissen das, Sie können sicherinnern –, dass wir den Verkauf der Energienetze nichteinfach tatenlos hinnehmen dürfen,
dass wir sie in einer deutschen Netzgesellschaft unterBeteiligung des Bundes bündeln müssen.
Ich schaue auf Peer Steinbrück: Auch der Finanz-minister – das ist ja keine Selbstverständlichkeit – wardamals dieser Meinung. Wir haben beide gesehen: Dasist nicht irgendetwas. Das sind die Lebensadern einer in-dustriell geprägten Volkswirtschaft, über die wir da re-den, und die dürfen wir nicht einfach irgendwelchen in-ternationalen Finanzmarktinvestoren überlassen.
Die Energiepolitiker unter Ihnen wissen das doch:Wenn die Integration der erneuerbaren Energien in dasLeitungsnetz wirklich gelingen soll, dann brauchen wirdort Investitionen, und wir brauchen den Antrieb von In-genieuren, um den Übergang von den bestehenden Net-zen zu intelligenten Netzen, zu Smart Grids der nächstenGeneration, wirklich zu schaffen. In der Großen Koali-tion war die Union dagegen. In dieser Koalition herrschtbei dem Thema „deutsche Netzgesellschaft“ gemein-schaftliches Desinteresse. Ich sage Ihnen: Auch Unter-lassen gestaltet Wirklichkeit neu. Sie werden das amEnde bitter bereuen. Eines wissen Sie doch ganz genau:Irgendwelche Finanzinvestoren aus dem Vereinigten Kö-nigreich, aus den USA oder aus Singapur werden sichnicht um die Zukunftsfähigkeit des deutschen Energie-netzes kümmern. Das glauben Sie doch selbst nicht. Sietun nichts. Vom Schulterzucken müssten Sie inzwischenMuskelkater haben, Herr Brüderle.
Das, was Deutschland jetzt braucht, ist eine kraftvolleRegierung, die dieses Land erneuert, deren wirtschafts-politische Fantasie zu mehr reicht als nur dazu, zu sagen:Steuersenkungen, Steuersenkungen, Steuersenkungen.Deutschland braucht eine Regierung, die Investitionenorganisiert, die Zukunft baut, eine Regierung, die dieganze Gesellschaft im Blick hat und nicht nur die eigeneKlientel. Davon ist diese schwarz-gelbe Regierung mei-lenweit entfernt. Das ist das Verhängnis dieser Zeit.
Ich komme zum Schluss und sage: Frau Merkel, HerrWesterwelle, ich bin mir inzwischen ganz sicher, dassdie Mehrheit der Menschen in Deutschland sagt: DieseRegierung hat Deutschland nicht gewollt. Und ich sage:Eine solche Regierung hat Deutschland auch nicht ver-dient.
Ich fordere Sie auf: Tun Sie endlich Ihre Pflicht! Brin-gen Sie Ordnung in den Laden! Nehmen Sie endlich IhreVerantwortung wahr! Es ist jetzt wirklich Ihre Verant-wortung, Frau Merkel.Herzlichen Dank.
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Das Wort hat die Frau Bundeskanzlerin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! HerrSteinmeier, vorweg eine Bemerkung: Die Oppositionund speziell die SPD könnte dem gesellschaftlichenKlima im Lande einen guten Dienst erweisen – vielleichtkönnten Sie ganz persönlich dafür sorgen –, wenn unse-rem Staatsoberhaupt, dem Bundespräsidenten, der not-wendige Respekt entgegengebracht wird. Das fordernwir.
Wir beraten heute den Haushalt, der die größte Neu-verschuldung des Bundes in der 60-jährigen Geschichteder Bundesrepublik Deutschland aufweist. 80,2 Milliar-den Euro Schulden bei einem Gesamtumfang des Bun-deshaushaltes von knapp 320 Milliarden Euro,
das bedeutet 25 Prozent Schulden, das bedeutet, jedervierte Euro, den wir in diesem Jahr ausgeben, ist nichtdurch die Einnahmen gedeckt.
Diese 80 Milliarden Euro Schulden sind genau das Dop-pelte der bisher höchsten Neuverschuldung des Bundesaus dem Jahre 1996 infolge der deutschen Einheit. Da-mals waren es 40 Milliarden Euro. 80 Milliarden EuroSchulden, das bedeutet 1 000 Euro pro Einwohner derBundesrepublik Deutschland; hinzu kommen 460 EuroZinsen. Das heißt, 11,5 Prozent des Bundeshaushaltes,ungefähr jeder zehnte Euro, muss bereits für Zinszahlun-gen aufgebracht werden.Ich sage ganz deutlich – genauso wie der Finanz-minister gestern –: Mit Recht machen sich die MenschenGedanken über die Verschuldung. Mit Recht fragen sieuns alle, wenn wir in unseren Wahlkreisen sind: Waswird daraus? Wie werdet ihr das lösen?
Ich glaube, das eint uns in diesem Hause. Was uns nichteint und worüber wir ja heute sprechen
– bleiben Sie doch ganz ruhig und gelassen –, sind dieFragen: Was tun wir, und wie tun wir es?
Die Bundesregierung hat sich dennoch dazu entschlos-sen. Ich möchte mich bei den Abgeordneten der Koali-tionsfraktionen ganz besonders bedanken, dass sie dasmitgetragen haben, sodass wir heute in den Grundzügenden Haushalt so verabschieden, wie ihn die Regierungvorgelegt hat.Ich sage im Übrigen an die SPD: Dieser Haushaltwird gegenüber dem Haushalt, den wir damals in derGroßen Koalition beraten haben, drei Monate früher be-raten. Das zeigt, wie handlungsfähig diese Regierungund diese christlich-liberale Koalition in einer schwieri-gen Situation sind.
Wenn wir uns die Struktur dieses Haushaltes an-schauen – auch da will ich gar nicht drum herumreden –,dann sehen wir, dass dieser Haushalt über 9 Prozent grö-ßer ist, als es in normalen Zeiten der Fall wäre. Etwa54 Prozent dieses Haushaltes sind Sozialausgaben. Er-innern wir uns: 1980 wurden 16 Prozent des Bundes-haushaltes für Soziales ausgegeben, 1991 20 Prozent, imJahre 2000 33 Prozent. In diesem Jahr sind es 54 Pro-zent. Das beinhaltet etwa 80 Milliarden Euro für Rente,40 Milliarden Euro für das Arbeitslosengeld II und – wirhaben etwas ganz Besonderes gemacht; das weist schondarauf hin, warum wir einen solchen Haushalt verab-schieden – auch immense Zuschüsse an die Bundesagen-tur für Arbeit und an den Gesundheitsfonds; diese führenuns genau dazu, warum wir einen solchen Haushalt ver-abschieden.Wir verabschieden einen solchen Haushalt nur aus ei-ner einzigen Tatsache heraus: In diesem Jahr müssen wirweiter eine Krise bekämpfen, die uns im vergangenenJahr einen Wirtschaftseinbruch von 5 Prozent gebrachthat. Das sind 88 Milliarden Euro weniger Produktion inDeutschland, weniger Bruttoinlandsprodukt. Einen sol-chen Einbruch haben wir noch nie gesehen. Wir wollenFehler aus der Geschichte nicht wiederholen und ver-nünftig darauf antworten, sodass Wachstum wieder inGang kommen kann. Das ist die tiefere Ursache diesesHaushaltes. Dazu stehen wir aus voller Überzeugung,weil es für die Menschen in diesem Lande richtig ist.
Keiner von uns hat Erfahrungen mit einem solch dra-matischen Wirtschaftseinbruch. Die Krise hat vor 18 Mo-naten mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothersbegonnen. Wir können heute sagen, dass wir in diesen18 Monaten Wichtiges geschafft haben. Wir haben dieBanken und den Finanzsektor stabilisieren können. Mitden 400 Milliarden Euro Garantien und den 80 Milliar-den Euro Rekapitalisierung ist das gelungen. Heutehaben wir noch etwa 145 Milliarden Euro Liquiditäts-garantien – bei den Garantien gab es übrigens keine Aus-
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2712 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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fälle –, und wir haben 28 Milliarden Euro Eigenkapital-hilfen.
Das wird sich noch lange in die Zukunft ziehen, solange, bis wir absehen können, was für einen Verlust dasfür den Steuerzahler bedeutet. Die Hilfen sind gut ange-nommen worden, und sie sind weltweit koordiniert ge-geben worden. Das hat zu einer Stabilisierung geführt.Mindestens genauso wichtig: Der Einbruch der Real-wirtschaft ist durch das, was wir machen, in seinenAuswirkungen gedämpft worden, nämlich durch das100-Milliarden-Euro-Konjunkturpaket für 2009 und2010 und ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz, dasseinen Namen zu Recht hat,
mit 8,5 Milliarden Euro Entlastung für Familien und vie-les andere.
Die Steuersenkungen haben wir zum Teil gemein-sam und zum Teil nach kontroversen Diskussionen be-schlossen. Wir haben für eine Entlastung von über20 Milliarden Euro gesorgt. Wir wissen aus den Erfah-rungen: 90 Prozent davon gehen in den Konsum derMenschen, und das ist genau der Beitrag, den wir leisten,um die Binnenwirtschaft nicht einbrechen zu lassen.
Wir machen das, was uns die Ökonomen sagen: Wirlassen die automatischen Stabilisatoren wirken – dasheißt auf gut Deutsch, die Lohnzusatzkosten steigennicht an –, und wir haben die Darlehen sowohl für dasGesundheitssystem als auch für die Bundesagentur inZuschüsse umgewandelt, was uns ein besseres Funda-ment im Hinblick auf die weitere Beitragsentwicklunggibt. Wir haben, damals noch gemeinsam, auch die Ren-tengarantie beschlossen, eine wichtige Maßnahme, wiesich jetzt herausstellt. Denn zum ersten Mal in der Ge-schichte der Bundesrepublik Deutschland sind die Brut-tolöhne im letzten Jahr gesunken.
Hier möchte ich an das anknüpfen, was neben all denMaßnahmen, die wir ergriffen haben, in den letzten18 Monaten vielleicht das Allerwichtigste war: dass dieMenschen gezeigt haben, was in diesem Lande steckt,dass Unternehmer genauso wie Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer Verantwortung gezeigt, die Maßnahmender Regierung angenommen und selbst Lohnzurückhal-tung geübt haben. Es war gut, dass wir für eine Flexibili-sierung des Arbeitsmarktes mit Arbeitszeitkonten undvielem anderen gesorgt haben; von all diesen Instrumen-ten wurde Gebrauch gemacht. Wir haben deshalb dieKurzarbeit aus voller Überzeugung bis 2011 verlängert.Wir sagen: Wir müssen in dieser Situation zusammenste-hen. Das zeigen die moderaten Tarifabschlüsse, das zei-gen unsere Maßnahmen, und so werden wir auch weiterdurch diese Krise gehen.
Das hat Wirkung gezeigt. Wenn wir uns einmal an-schauen, wie sich die Arbeitslosigkeit im europäischenVergleich entwickelt hat, so sehen wir, dass die Arbeits-losigkeit bei uns im Jahre 2009 gegenüber 2008 um4,4 Prozent gestiegen ist, im EU-Durchschnitt allerdingsum 36 Prozent. In Frankreich zum Beispiel ist sie um30 Prozent gestiegen, in den Vereinigten Staaten vonAmerika um 70 Prozent.Das vielleicht Schönste ist, dass die Jugendarbeitslo-sigkeit bei uns um 11 Prozent gesunken ist, während sieim Mittel der Europäischen Union um 28 Prozent gestie-gen ist, in Spanien zum Beispiel um 86 Prozent. Das istnichts, worauf man sich ausruhen kann. Aber das istschon etwas, worauf man auch ein Stück stolz sein kann,und zwar wir alle gemeinsam.
Wir haben wieder leichte Wachstumsraten. Der Bin-nenkonsum ist im letzten Jahr nicht eingebrochen: plus0,2 Prozent.
In diesem Jahr sehen wir einen leichten Einbruch. War-ten wir aber erst einmal ab. Den Prognosen kann man jaauch nicht so richtig trauen. Wir konnten bislang Insol-venzen vermeiden. Es wird nicht einfach; aber es istrichtig, diesen Kurs weiter zu verfolgen.In den nächsten Jahren kommt eine riesige Aufgabeauf uns zu, eine Herkulesaufgabe. Wir müssen eigentlichUnvereinbares zusammenbringen: den Haushalt konsoli-dieren, aber zugleich Wachstum schaffen, und das Ganzein dem Umfeld einer Gesellschaft, deren Altersaufbausich dramatisch verändert.Wir brauchen neues Denken, um diese großen He-rausforderungen bewältigen zu können.
Dazu ist die christlich-liberale Koalition bereit.
Als Erstes brauchen wir eine kluge Exitstrategie aus denKonjunkturprogrammen, die wir aufgelegt haben. Wirmüssen in den nächsten Jahren – auch wegen der Schul-denbremse, die Deutschland als weltweit einziges Landeingeführt hat, mitten in der Krise – auf Konsolidie-rungskurs gehen.
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Wir haben schwierige Sparmaßnahmen vor uns. Einstrukturelles Defizit von etwa 67 Milliarden Euro wirdin den Jahren 2011 bis 2015 abzubauen sein, damit dieNeuverschuldung im Bundeshaushalt ab 2016 bei höchs-tens 10 Milliarden Euro liegt. Das heißt, wir müssen proJahr ein Defizit von 10 Milliarden Euro abbauen.
Das Kabinett wird sich dieser Aufgabe stellen, und ichsage dem Bundesfinanzminister Unterstützung zu. Wirwissen, was das bedeutet. Die Erstanmeldungen für denHaushalt 2011 sind noch nicht so, dass wir sagen könn-ten: Wir haben es schon geschafft, die 10 MilliardenEuro einzusparen. Die Bundesregierung verpflichtet sichhier aber gegenüber dem Parlament, ihren Beitrag zuleisten.
Bei der Analyse dürften wir uns einig sein, darüberbrauchen wir nicht mehr zu streiten. Jetzt kommen wirzu der Frage: Wie schaffen wir das? Neben einer klugenExitstrategie brauchen wir eine kluge Wachstumsstrate-gie. Die Erfahrungen der Jahre 2005 bis 2009 zeigendoch: Die beste Wachstumsstrategie ist, möglichst vieleArbeitsplätze zu schaffen. Wann immer wir mehr Ar-beit haben, wann immer die Zahl der Arbeitslosen um100 000 sinkt, werden die Sozialsysteme und der Bun-deshaushalt um 2 Milliarden Euro entlastet. Deshalb giltes, Arbeit zu schaffen und möglichst viel Beschäftigunghinzubekommen. Nicht nur entlastet das den Bundes-haushalt, sondern Arbeit ermöglicht den Menschen auchTeilhabe und gesellschaftliches Mitbestimmen und ist le-benserfüllend.
Das bedeutet, in Deutschland möglichst viel qualifizierteArbeit bereitzustellen, um aus der Arbeitslosigkeit he-rauszukommen.Schauen wir uns die heutige Situation einmal an:5 Millionen Menschen beziehen Arbeitslosengeld II.Das kostet den Bundeshaushalt, wie gesagt, 40 Milliar-den Euro. Durch die Kosten für die Unterkunft entstehtden Kommunen eine Belastung von 11 Milliarden Euro.Wenn wir es schaffen, dass mehr und mehr Menschenaus dieser Situation herauskommen, dann haben wir et-was erreicht.
– Schauen wir uns einmal an, was Sie vorschlagen: Diesozialdemokratische Fraktion und der ehemalige Kanz-leramtsminister Steinmeier sind, muss man sagen, in ei-nem wundersamen Wandel begriffen.
Es waren einmal 5 Millionen Arbeitslose. Sie haben Re-formen durchgeführt; wir haben diese Reformen im Bun-desrat unterstützt. Diese Reformen haben, zusammen mitanderen Reformen, dazu geführt, dass die Zahl derArbeitslosen in den Jahren darauf unter 3 Millionen ge-fallen ist.
Sie haben sich nie überlegt, warum das so gekommen ist.Ihre Wahrnehmung war immer geteilt:
Sie waren zwar froh, dass die Zahl der Arbeitslosensank; aber Sie haben Ihren Leuten nie erklärt, wie daskommen konnte.
Die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosen-hilfe ist eine Härte, ja. Aber gleichzeitig hat diese Maß-nahme natürlich Möglichkeiten geschaffen, dass vieleMenschen wieder eine Arbeit aufgenommen haben.
Weil Sie das alles niemals Ihren eigenen Leuten er-klärt haben, müssen Sie jetzt die Rolle rückwärtsmachen und wollen allen Ernstes behaupten: Wer Ar-beitslosengeld II bekommen will, braucht keine Vermö-gensprüfung mehr zu durchlaufen. Ich glaube, da sindSie auf einem falschen Trip. Ich zumindest bin davonüberzeugt, dass das falsch ist.
– Da nützt auch das Schreien nichts.Der nächste Punkt wird sein, dass Sie die Rente mit 67rückgängig machen müssen, weil aufgrund Ihrer fal-schen Konzepte die Möglichkeiten zur Vermittlung vonälteren Arbeitnehmern schlechter werden.
– Ich habe Sie nicht gebeten, ein Konzept vorzulegen.Sie hätten ja bei dem bleiben können, was Sie immer ge-sagt haben.
Jetzt sage ich Ihnen, was wir wollen. Von den heute5 Millionen Arbeitslosengeld-II-Empfängern sind unge-fähr 1,4 Millionen zusätzlich zu den Leistungen ausHartz IV erwerbstätig. Von diesen 1,4 Millionen Men-schen befindet sich die übergroße Mehrzahl in Beschäf-
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tigungsverhältnissen unter oder bis 200 Euro. Die Zahlderer, die darüber hinaus dazuverdienen, wird immer ge-ringer. Das heißt doch nichts anderes, als dass es eineBarriere beim Hinzuverdienst gibt.
Am Anfang ist die Abzugsrate gleich null; man kannhinzuverdienen. Über diesen Betrag von 200 Euro hi-naus ist die Abzugsrate so hoch, dass es bei Verdienstenüber 150 Euro praktisch überhaupt keinen Unterschiedmehr macht,
insbesondere bei Familien mit mehreren Kindern, ob sieetwas verdienen oder ob sie nichts verdienen undHartz IV bekommen.
Deshalb haben wir gesagt: Wir müssen die Hinzuver-dienstgrenzen verändern, und zwar so, dass sie einenAnreiz bieten, in Arbeit zu kommen. Wir sind der Mei-nung: Diejenigen, die sowohl Arbeitslosengeld II bezie-hen als auch etwas hinzuverdienen, sind auf einem bes-seren Weg, eine Arbeit zu finden, als die, die gar nichtshinzuverdienen. Das ist unser Ansatz.
Man kann den Unterschied ganz klar benennen. Wirwollen den Menschen helfen. Dafür sind die Eingliede-rungstitel und viele andere Instrumente in der Bundes-agentur geschaffen worden.
– Sie sagen wenigstens „sperren“.
Manch einer sagt einfach nur „kürzen“.
Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales wird einProgramm vorlegen. Dann werden die Mittel entsperrtund stehen zur Verfügung. Das ist überhaupt kein Pro-blem. Wir müssen dafür sorgen, dass mit dem Geld, daswir für die ausgeben, die Arbeitslosengeld II beziehen,und sie in Beschäftigung bringen soll, wirkliche Folge-beschäftigung entsteht, anstatt einen öffentlichen Ar-beitsmarkt zu manifestieren und zu zementieren, der unsam Schluss nur etwas kostet und nichts bringt. Es ist derMühe wert, dass man das versucht.
Ich spreche darüber so ausführlich, weil sich genauhier unterschiedliches Denken im Hause manifestiert.
Wenn wir die Struktur dieses Bundeshaushaltes mittel-fristig ändern, wird das dazu führen, dass wir die Ren-tenzuschüsse und die Gesundheitskosten, die wir alsSteuermittel im Wesentlichen für die Kinder in das Ge-sundheitssystem gegeben haben, nicht kürzen.
Dann werden wir sehen, dass mehr Menschen in Arbeitkommen und von diesem Block der 40 Milliarden Euroweniger ausgegeben werden muss, weil diese Menschenwieder Arbeit haben.
Auf diesem Feld können wir etwas tun. Im Übrigenfreuen sich darüber auch die Kommunen; denn sie ge-ben 11 Milliarden Euro für die Kosten der Unterkunftaus. Jeder Euro, den sie nicht ausgeben, ist für sie einemassive Entlastung.
Wenn Menschen arbeiten, dann geht es darum, dasssich Leistung lohnt.Deshalb ist unser Ansatz, bei dem sogenannten Mittel-standsbauch, also bei der stärksten Steigerung der Pro-gression, und bei der kalten Progression im steuerlichenBereich für eine Entlastung zu sorgen. Es wird einfacher,niedriger und vor allen Dingen gerechter, damit sichLeistung in diesem Lande lohnt.
Es geht natürlich um qualifizierte Arbeitsplätze. Des-halb haben wir in der Koalition – das spiegelt sich ja imHaushalt wider – einen Schwerpunkt bei Forschung undBildung gesetzt, weil das die Zukunft ist. Deshalb sagenwir: Wir werden die Elektromobilität fördern. Am3. Mai 2010 wird der Kongress mit allen Akteuren statt-finden, damit wir eine Chance für den Technologiestand-ort Deutschland entwickeln.
Deshalb werden wir auch ein neues Energiekonzeptentwickeln.
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Wir sind in dieser Frage einer Meinung darin, dass es da-rum geht, ein Zeitalter der regenerativen Energien zuerreichen. Eigentlich müssten wir aber auch einerMeinung darüber sein, dass wir den IndustriestandortDeutschland erhalten wollen, und das heißt immer Dreier-lei: Energie muss bezahlbar sein, Energie muss sichersein, und Energie muss umweltverträglich sein. Das wer-den wir zusammenbringen.
Deshalb sagen wir: Die Kernenergie ist eine Brücken-technologie, aber die Länge der Brücke richtet sich da-nach, dass wir diese drei Dinge miteinander verbindenkönnen.
Herr Steinmeier, ich bin schon ein bisschen erstaunt.Die deutschen Stromversorgungsnetze haben sich nun60 Jahre lang in privater Hand befunden. Jetzt ist es so,dass das Eigentum auch aufgrund von Anordnungen derEuropäischen Union von Vattenfall, einem Unterneh-men, das schwedischer Natur ist, hin zu einem belgi-schen Unternehmen wandert, das schon eine Vielzahlvon Stromnetzen betreibt und von dem nichts Ehrenrüh-riges bekannt ist. Das ist genauso wie bei anderen, dieihr Elektronetz an ein niederländisches Staatsunterneh-men verkauft haben. Sind wir nun in einem europäischenBinnenmarkt, oder sind wir es nicht? Polemisieren wirgegen belgische Firmen, nur weil sie keine deutschensind, oder machen wir das nicht?
Von der Idee einer Reverstaatlichung des deutschenStromnetzes halte ich ehrlich gesagt gar nichts. Wir müs-sen natürlich vernünftige Ausbaubedingungen erreichen.
Dafür müssen wir vernünftige Investitionsbedingungenschaffen und dafür sorgen, dass man eine Hochspan-nungsleitung bauen kann, ohne dass das Genehmigenzehn Jahre dauert und ohne dass die Erdkabel so vielGeld verschlingen, dass man überhaupt nicht mehr zuPotte kommt.
Das sind die wichtigen Aufgaben, aber das hängt nunwirklich nicht davon ab, ob das Unternehmen schwe-disch oder belgisch ist, sondern das hängt von ganz an-deren Dingen ab.Wir werden die Gesundheitsforschung weiter nachvorne bringen. Wir haben bereits ein Zentrum für De-menzkranke in Bonn gegründet. Eine wissenschaftlicheBündelung aller – –
– Ich weiß nicht, ob Herr Müntefering da ist. Er hattewenigstens, als wir noch gemeinsam regiert haben, soviel Vernunft, zu sagen, dass wir Leuchttürme brauchen.
– Nein, nein, Sie müssen einfach einmal in die Reihehinter sich schauen. Es sind nicht alle so vernünftig wieSie, Herr Poß.
Ich verstehe Sie ja. Das ist ein Zentrum in Bonn und des-halb in Nordrhein-Westfalen. – Wir brauchen alsoLeuchttürme, mit denen den Menschen gezeigt wird,wofür Forschung und Entwicklung gut sind, und bei ei-ner alternden Gesellschaft ist es allemal gut, wennDeutschland im Gesundheitsbereich eine Spitzenposi-tion auf der Welt hat. Wir haben auch das Zeug dazu,und die Bundesregierung fördert das.
Natürlich ist es wichtig, dass unsere Unternehmen mitKrediten versorgt werden – insbesondere der Mittel-stand. Deshalb gibt es die Kreditversorgung über denWirtschaftsfonds, und deshalb haben wir auch – derBundeswirtschaftsminister hat das getan – einen Kredit-mediator eingesetzt, der seine Arbeit aufgenommen hat.
– Sie wissen, dass bei solchen Dingen gilt: Wenn Sie siegemacht hätten, dann fänden Sie es ganz toll, weil wirsie machen, finden Sie es einfach nicht toll. Der Kredit-mediator wird seine Arbeit machen, der Mittelstand wirdes ihm danken.
Wir sprechen wieder darüber, wenn sich die Sache gutentwickelt hat.
Ich sage Ihnen auch: Wir werden eine Politik fördern,mit der die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gestärktwird. Ich glaube nicht, dass wir in der EuropäischenUnion, wenn wir über eine Wirtschaftsregierung reden,was ich für richtig halte, die Diskussion so führen soll-ten, dass man sich danach richtet, wer am langsamstenist, sondern beim Benchmarking muss geschaut werden,wer am schnellsten und am besten ist.Ich sage auch ganz deutlich, wo Deutschland Schwä-chen hat. Wir haben von der OECD eine hohe Abgaben-last im Niedriglohnbereich attestiert bekommen. Da ha-ben wir Schwächen. Darüber müssen wir nachdenken.Aber wir werden unsere Stärken nicht aufgeben, weilvon unseren Exportgütern mehr gekauft wird als von de-nen anderer Länder. Das wäre die falsche europäischeAntwort auf die Wettbewerbsfähigkeit unseres Konti-nents.
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Sicherlich ist die schwierigste Herausforderung, vorder wir stehen, die Veränderung des Altersaufbaus. AmEnde des Jahrzehnts, das jetzt begonnen hat, wird es3 Millionen mehr ältere Beschäftigte geben. Die Zahlder Beschäftigten im Verhältnis zu Rentnern und Kin-dern wird sich dramatisch verändern, und zwar vonheute 65 Rentnern und Kindern im Verhältnis zu 100 Be-schäftigten auf 84 Rentner und Kinder im Verhältnis zu100 Beschäftigten. Das alles muss erarbeitet werden.Außerdem wird die Zahl der Schulabgänger sinken. Des-halb ist es so wichtig, dass das Thema des Zusammen-halts unserer Gesellschaft ganz oben auf der Tagesord-nung steht.
Ich habe mir im Allensbacher Jahrbuch angesehen,was die Menschen auf die Frage, was sie unter einergerechten Gesellschaft verstehen – wir sind uns, glaubeich, einig, dass Gerechtigkeit die Voraussetzung für denZusammenhalt ist – und ob es ihrer Meinung nach in derWirtschaft gerecht zugeht, antworten. In den letzten Jah-ren ist eine erschütternde Entwicklung zu erkennen. Inden neuen Bundesländern war es leider immer so, dasseine übergroße Mehrheit gesagt hat: In der Wirtschaftgeht es nicht gerecht zu.
Das hat sich in 20 Jahren eigentlich nicht geändert. Inden alten Bundesländern gab es über viele Jahrzehnte einAuf und Ab. Es herrschte aber immer ein ungefährerGleichstand zwischen „gerecht“ und „nicht gerecht“.Seit den Jahren 2004 bzw. 2005 und ganz besondersseit der Finanzkrise hat sich der Abstand zwischen den-jenigen, die sagen, dass es in der Wirtschaft gerecht zu-geht, und denjenigen, die sagen, es gehe ungerecht zu,auf 58 Prozent vergrößert. Wenn die Akzeptanz der so-zialen Marktwirtschaft erhalten werden soll, dann mussdiese Lücke wieder geschlossen werden, sowohl in Ost-deutschland als auch in Westdeutschland. Das ist meinefeste Überzeugung.
Wenn man die Menschen fragt, was sie für gerecht hal-ten, dann sagen sie als Erstes – und zwar mit weitem Ab-stand; es sind insgesamt 83 Prozent –: gleiche Chancenfür gute Schulbildung. Die Bildung ist das Thema, dasdie Menschen am meisten berührt. Als Zweites, auch dasist interessant, sagen sie – zu etwas über 60 Prozent –:
dass der Staat für ein Existenzminimum sorgt und nie-mand in Not gerät. Ungefähr genauso viele Menschensind der Meinung, dass Leistung sich lohnen muss. Dasheißt: Wer mehr leistet, muss auch mehr davon haben.Das sind die zwei Seiten der Medaille.
Mit diesen drei Prioritäten – Arbeitsmarkt, Grund-sicherung und Bildung – reagiert die christlich-liberaleKoalition also ganz gezielt auf die Wünsche der Men-schen. Daran werden wir weiter arbeiten. Das ist es, wasuns interessiert.
Wir werden natürlich auch das Bundesverfassungs-gerichtsurteil zu den Hartz-IV-Sätzen umsetzen. Da-rüber möchte ich heute aber nicht weiter sprechen.
Das ist einfach nicht möglich, weil die Statistiken nochnicht ausgewertet sind. Ich möchte wiederholen, was dieBundesministerin gesagt hat: Klar ist schon heute, dasswir für die Bildung der Kinder mehr Geld ausgeben wer-den. Wir werden es aber so tun, dass es bei den Kindernankommt. Sachleistungen sind also nicht ausgeschlos-sen. Denn wir wollen, dass das Geld den Kindern zugu-tekommt. Genau darauf werden wir hinarbeiten.
Um das 7-Prozent-Ziel für die Bildung zu erreichen,haben wir den Ländern bereits in Aussicht gestellt, dasswir seitens des Bundes bis 2015 die Lücke von mindes-tens 13 Milliarden Euro mit einer Quote von 40 Prozentfüllen werden; normalerweise geben wir 10 Prozent da-für aus. Wir sagen aber: Es ist ein so wichtiges gesamt-gesellschaftliches Anliegen, dass der Bund bereit ist,sich an dieser Stelle mehr zu engagieren und die Bil-dungspolitik im ganzen Land dadurch zu verbessern.
Wir werden den Nationalen Integrationsplan weiter-entwickeln. Wir haben bereits gezeigt, dass wir für dieFamilien etwas tun. Der Ausbau der Kleinkinderbetreu-ung wird weitergehen. Das Kindergeld und die Kinder-freibeträge sind erhöht worden. Deshalb ist das eine ver-nünftige Sache.Außerdem werden wir auch über die Vorschläge derBundesfamilienministerin zu reden haben, was Pflegezeitanbelangt. Denn das Thema Pflege wird uns in der nächs-ten Zeit in besonderer Weise beschäftigen. Es ist etwas,was die Menschen zutiefst bewegt. Ich sage Ihnen – ichhabe darüber auch mit den Arbeitgebern gesprochen –:Wir sollten hier wirklich neues Denken anwenden. Eswird in Zukunft schwierig sein, qualifizierte Arbeitskräftezu bekommen. Das wird sich über die nächsten Jahre inganz anderer Weise entwickeln. Die Bereitschaft der Un-ternehmen, freiwillig etwas zu tun, wird an vielen Stellenwachsen, weil man Beruf und Familien viel besser ver-binden muss.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas zu denschrecklichen Fällen von sexuellem Missbrauch sagen,von denen wir jeden Tag hören und von denen wir erfah-ren. Ich glaube, wir sind uns alle einig: Sexueller Miss-brauch an Kindern und an Schutzbefohlenen ist ein ver-abscheuungswürdiges Verbrechen. Es gibt nur eine
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Möglichkeit, dass unsere Gesellschaft mit diesen Fällenklarkommt: Das ist Wahrheit und Klarheit über alles,was passiert ist.
Ich glaube, jedem ist bewusst, dass das Leben derMenschen, die so etwas erlebt haben, anders verläuft, alswenn sie das in jungen Jahren nicht erlebt hätten. Dasbegleitet sie ein ganzes Leben. Völlige Wiedergutma-chung wird und kann es nicht geben. Es hat keinen Sinn,es auf eine Gruppe zu beschränken, auch wenn uns dieersten Fälle sozusagen aus dem katholischen Bereich zuOhren gekommen sind. Es ist etwas, das sich in vielenBereichen der Gesellschaft ereignet hat, und es ist vor al-len Dingen auch etwas, das sich heute teilweise in ande-rer Form, aber mit gleichen Folgen weiter ereignet.Deshalb bin ich froh, dass die drei Ministerinnen FrauLeutheusser-Schnarrenberger, Kristina Schröder undAnnette Schavan gemeinsam ein Gesprächsforum mitden Betroffenen bilden, mit denjenigen, von denen dieseFälle bekannt werden, und dass man sowohl in die Ver-gangenheit als auch in die Zukunft blickt.Aber lassen Sie uns die Sache nicht zu einfach ma-chen. Man muss über Verjährung sprechen. Man kannüber Entschädigung sprechen.
Aber insgesamt kommt es darauf an – das ist eine Be-währungsprobe für unsere ganze Gesellschaft –, dassMenschen, die so etwas erfahren haben, sich in dieserGesellschaft wieder anerkannt und aufgehoben fühlenund wenigstens das Stück Wiedergutmachung bekom-men, was man im Nachhinein noch schaffen kann.
Meine Damen und Herren, wenn wir über die Verän-derung des Altersaufbaus unserer Gesellschaft sprechen,dann sind die sozialen Sicherungssysteme sicherlich derPunkt, an dem die größte politische Arbeit zu leisten ist.Mit der Rente haben wir Zukunftsvorsorge getroffen. Dawird die politische Kraft darin bestehen, alle Faktoren,die die demografische Veränderung widerspiegeln, auchin den nächsten Jahren umzusetzen. Es ist nicht einfach,wenn die Rentnerinnen und Rentner in diesem Jahr eineNullrunde haben.
Das trifft die Menschen zwar nicht einfach so – eigent-lich wäre es weniger gewesen –, aber trotzdem ist aucheine Nullrunde nicht einfach. Umso zufriedener bin ich,dass auch die Tarifabschlüsse moderat waren, weil wirdaran sehen, dass es insgesamt eine schwierige Zeit ist.
Ich sage Ihnen auch ganz klar: Wir werden uns auchmelden, wenn Unternehmensführer sich in einer solchenZeit zum Teil in absurder Art Gehaltssteigerungen gön-nen, die von keinem anderen in dieser Gesellschaft nach-vollzogen werden können.
Deshalb ist vielleicht der Gesundheitsbereich derje-nige, in dem die meiste Arbeit zu leisten ist. Ich habe ei-gentlich nur eine Bitte, nämlich dass Sie von der Opposi-tion wenigstens nicht dauernd Dinge behaupten, dieeinfach nicht stimmen.
Es ist nicht fair, einfach irgendetwas zu behaupten.
Die kostenlose Mitversicherung der Ehepartner wirdweiter gewährleistet sein. Die Versicherung der Kinderwird, wenn Sie es so rechnen, inzwischen im Wesentli-chen aus dem Steuertopf bezahlt. Wir waren uns doch ei-nig, dass der steuerliche Ausgleich gerechter ist als dersoziale Ausgleich über Beiträge. Das wissen Sie doch al-les.
Warum soll für einen Erwachsenen falsch sein, was fürein Kind richtig ist?Gerade die SPD müsste doch sagen: Diejenigen, dieviel verdienen, müssen das meiste zum Sozialausgleichin einem so sensiblen Bereich wie dem Gesundheitswe-sen beitragen. Das tun Sie aber nicht.
Sie fangen an, auf eine ganz unverantwortliche Weise ir-gendetwas zu behaupten, was überhaupt nicht stimmt. Esgibt heute einen Sozialausgleich im Gesundheitssystem,und der erfolgt automatisch. Es wird auch später einenSozialausgleich im Gesundheitssystem geben. Es gehtim Augenblick nur um die Aufwüchse.
– Hören Sie zu! – In jeder Legislaturperiode – das warbei Ihnen so, das war bei uns so, und das wird auch wei-ter so sein – steigen die Beiträge, wenn wir es geschicktmachen, um ungefähr 1 Prozentpunkt und sonst um1,5 Prozentpunkte. Sie haben keine Antwort auf dieFrage, was man tun kann, um fortwährend steigendeLohnzusatzkosten zu vermeiden.
– Herr Oppermann, Sie sind viel zu intelligent, um nichtzu wissen, dass auch eine Bürgerversicherung einen Ar-beitgeberanteil benötigt, der dann dauernd steigt und dieLohnzusatzkosten erhöht.Wenn Sie nicht wollen, dass über den Druck der Wirt-schaftlichkeit – weil die Gesundheitskosten an die Ar-beitskosten gekoppelt sind – nicht mehr jeder Mensch
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die Gesundheitsversorgung bekommt, die er eigentlichbekommen müsste, dann müssen Sie eine Entkopplungvon den Lohnkosten für die Aufwüchse, die sich im Ge-sundheitswesen ergeben, hinbekommen. Ich sage: fürdie Aufwüchse!
Es ist immer schade, wenn sich Illusionen zerstreuen.Auf jeden Fall wird es dann genauso einen sozialen Aus-gleich geben. Die Aufwüchse werden von den Arbeits-kosten entkoppelt. Das ist ein richtiger Schritt dieser Ko-alition. Dabei werden wir den Gesundheitsministerunterstützen, sofern er überhaupt Unterstützung braucht.Er ist ja in seinen eigenen Aussagen ganz selbstständig.
Es ist richtig, dass die Gesundheitskommission heuteihre Arbeit aufnimmt.Genauso ist es richtig, dass der Bundesfinanzministereine Gruppe zur Zukunft der Kommunalfinanzen, ander Sie über Ihre Länder Gott sei Dank mitarbeiten, ein-gerichtet hat. Es reicht doch nicht, einen Schutzschirmfür die Kommunen aufzubauen, wie Sie es fordern. Dasist vielleicht etwas, das den Kommunen in einer Krisehilft. Aber langfristig sind die Kommunen in einem Zu-stand, wo die Finanzierung nicht auf Nachhaltigkeit be-ruht. Zwischen 2000 und 2008 sind in den Kommunendie Sozialausgaben um 50 Prozent gestiegen und dieBaukosten um 20 Prozent eingebrochen. Dieser Wegmuss umgekehrt werden. Da brauchen wir eine Trend-wende. Ansonsten wird es keine kommunale Politikmehr geben, die selbsttätig arbeiten kann und an der sichdie Menschen aus Lust ehrenamtlich beteiligen. Wirwollen das. Deshalb stellen wir uns dieser Aufgabe. Mankann nicht vom ersten Tag an sagen, was alles nicht geht,sondern man muss überlegen, was geht; denn die Kom-munen sind die Grundlage des Lebens der Menschen indiesem Land.
Natürlich dürfen wir uns nicht nur um den Zusam-menhalt kümmern, sondern müssen auch zur Kenntnisnehmen, dass die Globalisierung fortschreitet und dasswir unsere Art, zu leben, die soziale Marktwirtschaft undihre Prinzipien, nur durchsetzen können, wenn es uns ge-lingt, die Globalisierung menschlich zu gestalten. Dasind allen voran die Finanzmarktregeln nach den Exzes-sen auf den Finanzmärkten zu nennen. Ich will hier inErinnerung rufen: Einiges ist geschehen. Es hat keinenSinn, dauernd so zu tun, als ob gar nichts geschehenwäre. Wir haben verbesserte Vorschriften über die Ei-genkapitalbasis der Banken. Wir haben einen Kabinetts-beschluss zu den Ratingagenturen, der jetzt beraten wirdund mit dem eine europäische Richtlinie umgesetzt wird.Es wird klargestellt, dass Unternehmen nicht mehrgleichzeitig beraten und Produkte bewerten dürfen; dasist dringend notwendig.Wir haben eine neue Bankenaufsicht – die Verhand-lungen darüber sind in Europa weit fortgeschritten –, mitder systemische Risiken europaweit besser überwachtwerden können. Wir werden im Sommer einen Vor-schlag vorlegen, aus dem hervorgeht, wie die Aufsichts-funktionen in Deutschland gebündelt werden können.Wir wissen heute, dass es wichtig ist, dass Emittentenbei besonders riskanten Produkten, zum Beispiel beiVerbriefungen, einen Teil des Risikos in der eigenen Bi-lanz behalten müssen. Wir haben auch für die Entloh-nung von Bankern neue Regeln aufgestellt, die dem-nächst im Kabinett beraten werden. Wir werden inbaldiger Zukunft einen Kabinettsbeschluss fassen, ausdem hervorgeht, wie wir es schaffen, die Abwicklungund Restrukturierung von Banken sicherzustellen, damitnicht wieder der Effekt eintritt, dass der Staat die Bankenretten muss, wenn sie in eine Krise geraten. Die Bankensollen das selbst tun. BMJ und BMF arbeiten daran. Wirwerden – das wurde in der G-20-Gruppe verabredet – imJuni Vorschläge vom IWF zur Beantwortung der Fragebekommen, wie man die Banken besser an den Kosten,die sie verursacht haben, beteiligen kann.
Auf diese Vorschläge warten wir, weil wir das internatio-nal so verabredet haben. Es ergibt nämlich keinen Sinn,wenn wir in Deutschland so tun, als könnten wir dasirgendwie erreichen. Sie haben heute Herrn Brown zi-tiert. Ich arbeite gut mit Gordon Brown zusammen, aberseine einmalige Besteuerung von Boni war nur halb sosinnvoll wie die Hedgefondsregulierungen, die wir ge-rade beraten und denen Großbritannien jetzt zustimmensollte. Darum müssen wir kämpfen, und dafür erwarteich Unterstützung.
Wir haben gesehen, dass wir in dieser Krise nicht nurBanken retten müssen, sondern dass jetzt auch im Euro-Raum eine schwierige Situation eingetreten ist, was Grie-chenland anbelangt. Es war richtig, dass sowohl NicolasSarkozy als auch der Ministerpräsident Papandreou, Jean-Claude Juncker und ich die Kommission aufgeforderthaben – das geht nur europaweit –, die Finanzrichtlinieso zu ändern, dass die sogenannten nackten Credit De-fault Swaps, bei denen man Wetten auf etwas abschlie-ßen kann, das man nicht besitzt, verboten werden.Wolfgang Schäuble hat gestern zu den Leerverkäufengesprochen. Das können wir aber nicht alleine machen.Wir sind in der Europäischen Union, und das fällt in de-ren Kompetenz. Ich denke, die Signale aus der Kommis-sion, dass dort etwas gemacht wird, sind richtig.Das darf uns aber nicht vergessen lassen, dass die grie-chische Lage nicht durch die Spekulanten hervorgerufenwurde – sie wird durch die Spekulanten verstärkt –, son-dern dass sie durch die langjährige Verletzung des Stabi-litäts- und Wachstumspakts hervorgerufen wurde.
Deshalb steht der Euro vor seiner stärksten Herausforde-rung, die er je zu bewältigen hatte.
– Ich kann auch sagen, dass die Regierung Karamanlisdaran beteiligt war. Auch deren Vorgängerregierung war
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schon daran beteiligt. Das hilft uns doch jetzt nicht. Wirmüssen mit der Sache fertig werden. –
Die Antwort können wir nur mit Blick auf die langfris-tige Stabilität des Euro finden. Da ist die schnelle Soli-daritätsleistung mit Sicherheit nicht die richtige Ant-wort, sondern die richtige Antwort heißt, die Sache beider Wurzel anzupacken und die Probleme vernünftig zulösen. Deshalb gibt es keine Alternative zu dem griechi-schen Sparprogramm und weiteren Anstrengungen inden nächsten Jahren. Ich finde es gut und richtig, und diegriechische Regierung hat großen Mut bewiesen, jetzt4 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt einzusparen, umdas Defizit in einem ersten Schritt zu senken. DieMärkte haben das durchaus goutiert.Wir müssen immer im Auge haben, dass Europa aufder einen Seite eine Friedensgemeinschaft ist. Deshalbkann in einem gemeinsamen Währungsraum – das giltfür alle Mitgliedstaaten, aber für die im Euro-Raum ver-sammelten besonders – kein Land völlig alleine gelassenwerden. Deshalb haben wir auf dem Rat gesagt: Wir ste-hen natürlich insgesamt für die Stabilität des Euro ein.Wir können doch nicht zusehen, wie der Euro-Raum unddamit auch unsere Grundlagen insgesamt instabil wer-den. Europa ist aber nicht nur eine Friedensgemein-schaft, sondern auch eine Stabilitätsgemeinschaft. Des-halb kann es nicht sein, dass wir einfach mitfreundschaftlichen Bekundungen darüber hinweggehen,sondern die Erholung muss, wie ich es schon gesagthabe, von Griechenland ausgehen. Alles, was überhauptgedacht wird, muss darauf ausgerichtet sein, dass wirnicht vorschnelle Hilfen leisten, sondern dass wir dafürSorge tragen, dass das Ganze wieder in Ordnung kommt.Alles andere wäre fatal.Europa ist auch eine Rechtsgemeinschaft. In dieserRechtsgemeinschaft gibt es einen Vertrag. Deshalb ha-ben die Finanzminister richtigerweise gesagt, dass alles,was wir tun, dem europäischen Recht und – das habensie mit Bedacht hinzugefügt – dem nationalen Recht ent-sprechen muss; denn wir haben ganz klare Gegebenhei-ten, die festlegen, was man überhaupt in einer Notsitua-tion tun kann und was nicht. Deshalb sage ich ganz klar,dass nichts gemacht werden kann, was gegen nationalesRecht verstößt. Da sind uns Grenzen auferlegt.Wir denken auch für die Zukunft; denn Europa ist un-sere eigene Zukunft. Deshalb hat Wolfgang Schäublenicht für Griechenland Vorschläge gemacht, aberWolfgang Schäuble hat Vorschläge gemacht, damit maneventuell den IWF nicht in allen Situationen rufen muss –was jetzt vielleicht der Ausweg sein müsste, wenn manetwas täte. Aber ich sage hier nichts darüber hinaus. Erhat Vorschläge gemacht, dass wir für die Zukunft einVertragswerk bekommen, aufgrund dessen es als UltimaRatio sogar möglich ist, ein Land aus dem Euro-Raumauszuschließen, wenn es die Bedingungen langfristigimmer wieder nicht erfüllt. Sonst kann man nicht zusam-menarbeiten.
Heute haben wir eben nicht das richtige Instrumenta-rium. Wir haben nicht gedacht, dass wir im Euro-Raumin eine Situation kommen, in der ein Land vielleicht vorder Zahlungsunfähigkeit steht. Die Antwort hieß damals:Die schärfste Sanktion ist, dass das Land Geld an dieKommission zahlen muss. Ein Land, das kein Geld hat,kann auch kein Geld an die Kommission zahlen, oderwir führen die Zahlungsunfähigkeit noch besonders be-schleunigt herbei; das wäre ja schwachsinnig. Es ist rich-tig, dass wir darüber hinausdenken und fragen: Wiemüssten wir die Verträge entwickeln, damit man mit ei-ner solchen Situation umgehen kann? Auch bei Grie-chenland muss jetzt gelten, dass die Stabilitätsgemein-schaft im Vordergrund steht und dass wir nicht einevorschnelle Hilfe leisten, die uns langfristig überhauptnicht weiterbringt, sondern den Euro immer weiterschwächt.
Meine Damen und Herren, Europa gestalten heißteben auch: Wirtschaftsregierung – ja, und zwar mit an-spruchsvollen Zielen und nicht mit der Frage „Wie kön-nen wir alle gemeinsam diese anspruchsvollen Zielevielleicht nicht durchsetzen?“.Außerdem heißt es: Protektionismus vermeiden. Ichkönnte hier viel dazu sagen. In den letzten Monaten hatder Protektionismus weltweit zugenommen. Wir sindmit der Doha-Runde nicht weitergekommen. Für eineExportnation wie Deutschland ist das jedoch zwingendnotwendig.Wir brauchen Datenschutz. Globale Digitalisierungist gut. Wir brauchen aber auch den Schutz und müssenden Bürgerinnen und Bürgern sagen, dass die Dingenicht so sind, dass Menschen auf ihre eigenen Daten garkeinen Zugriff haben.Wir müssen natürlich auch viele außenpolitische Pro-bleme, über die ich heute aus Zeitgründen nicht redenkann, in den Griff bekommen.Meine Damen und Herren, Deutschland ist eine tole-rante, eine offene Gesellschaft. Der Economist – nichtgerade eine Zeitung, die Deutschland immer nur in denhöchsten Tönen lobt – hat über Deutschland in der ver-gangenen Woche geschrieben, dass es ein nicht nur le-benswertes, sondern auch ein liebenswertes und durch-aus auch reformfreudiges Land ist.
Ich glaube, dass wir auf dieses Land stolz sein können,und das ganz besonders mit Blick auf das, was morgenhier in diesem Hohen Hause stattfindet, nämlich die Er-innerung an den 20. Jahrestag der ersten freien Wahlzur Volkskammer. Mit diesem Tag, dem 18. März1990, ist der Einigungsprozess sozusagen unumkehrbargeworden. Das war ein tolles Gefühl, nach Jahrzehntenzum ersten Mal frei wählen zu können. Davon haben da-mals auch 93 Prozent der Menschen in der DDR Ge-brauch gemacht. Auch das zeigt, wie sehr man sich da-rauf gefreut hat.
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2720 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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Meine Damen und Herren, aufgrund dieser Erfahrungder letzten 20 Jahre bin ich optimistisch, dass wir esschaffen können, die Etappe, die jetzt Ost und West, dasganze Deutschland, gemeinsam in einem vereinten Eu-ropa zu gehen haben, zu einem Erfolg zu machen, überden unsere Enkel eines Tages einmal sagen: Mensch, dashaben die in schwieriger Zeit gut gemacht. Aber wennwir nicht zu einem Punkt kommen, an dem es uns ge-lingt, über notwendige Veränderungen und Weiterent-wicklungen in diesem Land so zu sprechen, wie es dieVerantwortung gebietet, dann werden wir das nichtschaffen. Ich sage Ihnen: Die christlich-liberale Koali-tion ist zu dieser verantwortlichen Diskussion bereit.
Wir gehen mit Mut an die Arbeit.Herzlichen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Gregor Gysi für die
Fraktion Die Linke.
Herr Bundestagspräsident! Meine sehr verehrten Da-men und Herren! Ich habe bei Ihrer Rede sehr genau zu-gehört, Frau Bundeskanzlerin Merkel, aber alles, wasSie gesagt haben, ändert nichts daran, dass sich IhreBundesregierung doch in einem ziemlich erbärmlichenZustand befindet, wie ich versuchen werde, Ihnen zu zei-gen.
Ich räume ja ein, auch Teile der Opposition befindensich in keinem guten Zustand. Aber damit meine ich kei-nesfalls die Linke. Wir haben zwar auch einige Pro-bleme, aber im Vergleich zu den anderen sind wir dochtopfit. Es ist alles relativ, wie Sie wissen.
Die Grünen wechseln gerade in das sogenannte bür-gerliche Lager. Wir haben das in Hamburg erlebt. Wirhaben das im Saarland erlebt. Sie kündigen das schon fürNRW an. Für die Bundesebene kann man auch damitrechnen.
– Hören Sie einmal zu! – Beim Saarland kommt nocheine sehr unappetitliche Käuflichkeit durch die FDPdazu. Das sollten Sie einmal aufarbeiten, finde ich.
Die SPD ist dabei, ihren Standort zu suchen. Sie hatihn noch nicht gefunden. Immerhin beginnen Sie von derSPD jetzt damit, Hartz IV zu überwinden. Sie kritisierenjetzt prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Nur muss manhinzufügen: Hartz IV ist vollständig und die prekäre Be-schäftigung in diesem Umfang durch eine Bundesregie-rung von SPD und Grünen eingeführt worden, also zuIhrer Regierungszeit. Das heißt, bei SPD und Grünen er-leben wir Folgendes: Sie leiten unsoziale Prozesse alsRegierung ein, um danach zu sich selbst in Oppositionzu treten. Das ist gar kein so seltener Vorgang. Trotzdemmuss die SPD – das will ich gerne animierend sagen –diesen Weg weiter gehen.
Sozialdemokratische Politik bedeutet meines Erach-tens, dass Hartz IV überwunden wird, dass prekäre Be-schäftigung überwunden wird, dass man dagegen ist,Rente erst ab 67 Jahren zu zahlen, dass man endlich da-für eintritt, die Bundeswehr unverzüglich aus Afghanis-tan abzuziehen. Sozialdemokratische Politiker müsstenfür Steuergerechtigkeit streiten, das heißt auch für eineMillionärssteuer, für eine Börsenumsatzsteuer, für einenhöheren Spitzensteuersatz. Aber von alledem ist die SPDdoch noch meilenweit entfernt. Ich wünsche Ihnen je-doch Erfolg auf diesem Weg, wenn Sie ihn denn gehenwollen.
Frau Kraft in NRW scheint allerdings einen anderenWeg zu gehen. Sie hat ja nun den Vorschlag erfunden,dass Langzeitarbeitslose ehrenamtlich tätig sein sollen.Ich frage mich: Warum immer diese Hartz-IV-Logik?Warum kann man Arbeit nicht einfach bezahlen? Warummuss man die Leute so demütigen? Ich kann das über-haupt nicht nachvollziehen, was dort passiert.
Aber zu Hartz IV äußere ich mich noch später.Herr Steinmeier, ich habe Ihrer Rede ja sehr genau zu-gehört. Ich muss zugeben, das hat mir auch Spaß ge-macht, auch aufgrund Ihrer Rhetorik. Nur eines muss ichIhnen auch sagen: Ich hätte eine solche Rede so gerneeinmal von Ihnen als Kanzleramtschef unter KanzlerSchröder hier im Bundestag gehört, nicht erst heute. Dashätte die Regierungspolitik sicherlich wesentlich verän-dert.
Es geht ja eigentlich um die Bundesregierung.
Da ist alles noch viel schlimmer. Lassen Sie mich zu-nächst einmal etwas zu den Rüstungsexporten sagen.Frau Bundeskanzlerin Merkel, seit 2005 hat Deutschlandseine Rüstungsexporte verdoppelt. Wir stehen jetzt andritter Stelle weltweit. Mehr Rüstungsgüter verkaufennur die USA und Russland. Dann folgt Deutschland.Darf ich daran erinnern, dass der schlimmste Krieg desletzten Jahrhunderts von Deutschland ausging? Was istdenn eigentlich so schlimm daran, wenn wir einmal als
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2721
Dr. Gregor Gysi
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Erster die Schlussfolgerung ziehen, zu sagen: „Wir wol-len an Krieg nicht mehr verdienen, wir verbieten Rüs-tungsexporte“? Was wäre daran so schlimm?
Wenn wir so viele Waffen verkaufen, Frau Bundeskanz-lerin, können Sie überhaupt nicht einschätzen, wann undwo und wie sie eingesetzt werden. Ich sage Ihnen: Ichbin der festen Überzeugung, Kriege hören nicht auf, so-lange so viel an Kriegen verdient wird. Das muss unter-bunden werden.
Nun haben wir einen Bundesaußenminister, der auchFDP-Vorsitzender ist und nie genau weiß, wie er mit denRollen umgehen soll. Ich lasse jetzt einmal Ihre Be-schimpfung der Arbeitslosen weg, Herr Westerwelle, zu-mal ich sowieso meine, es gibt keine Arbeitslose undkeinen Arbeitslosen, die bzw. der je auf die Idee käme,FDP zu wählen. Aber damit rechnen Sie ja auch nicht.
– Nein, nein, hören Sie zu! – Aber ich sage Ihnen auch:Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die FDPwählen, passen in eine Telefonzelle.Aber davon einmal ganz abgesehen: Die FDP versuchtetwas Neues, nämlich eine Lobbyistenpartei hoffähig zumachen. Was Sie mit den Hoteliers und der Dankesspendevon Mövenpick gemacht haben, was Sie mit den Ge-schenken an die Pharmaindustrie vorhaben und wie dieGästeliste von Bundesaußenminister Westerwelle beiseinen Reisen aussieht, das alles spricht dafür, dass manversucht, eine Lobbyistenpartei salonfähig zu machen.Frau Bundeskanzlerin Merkel, Sie sagen dazu in derRegel nichts. Sie halten sich zurück, vergessen aber, dassSie dafür mithaften.
Zum Beispiel in Bezug auf die Gästeliste könnten Sie Ih-rem Bundesaußenminister die Sache erleichtern, indemSie eine kleine Dienstanweisung erlassen, in der steht,wen man mitnehmen darf und wen nicht. Wenn Sie esnicht schaffen, helfe ich Ihnen gerne. Ich will nur sagen:Das ist zu leisten.Im Kern geht es um eine ganz andere Frage: Wollenwir eine „Berlusconisierung“ der Politik in Deutschlandoder wollen wir die nicht? Wir sind strikt dagegen. Alsotun Sie etwas dagegen!
Bundesminister zu Guttenberg hat zunächst erklärt,dass der entsetzliche Luftangriff auf Kunduz mit vielentoten Zivilisten, darunter auch vielen Kindern, angemes-sen gewesen sei. Dann hat er seinen Generalinspekteurund den Staatssekretär entlassen, weil sie ihn falsch in-formiert hätten. Dann hat er gesagt, der Angriff sei dochnicht angemessen gewesen, sondern unangemessen.Jetzt nimmt er die beiden Entlassenen wieder in Schutz.Ich verstehe überhaupt nicht, was in Ihnen vorgeht, Herrzu Guttenberg. Ihnen fehlt eine notwendige Erkenntnis:dass es von Anfang an falsch war, die Bundeswehr inAfghanistan einzusetzen. Das sollten Sie endlich einmalzugeben, und das muss korrigiert werden.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben zu Griechenlandgesprochen. Da wundert mich eines: Wir verlangen vonGriechenland einen knallharten Sparkurs, den wir fürDeutschland ablehnen. Denn das ist Brüning’sche Poli-tik, und Sie wissen, dass Reichskanzler BrüningDeutschland in die größte Katastrophe geführt hat. Wa-rum verlangen wir eine solche Politik von Griechenland?Jetzt gehen die Menschen dort auf die Straße, und zwar,wie ich finde, völlig zu Recht. Es ist doch nicht hin-nehmbar, dass Sozialleistungen, Renten, Löhne usw. ge-kürzt werden,
aber die Banker, die die ganze Krise verursacht haben,überhaupt nicht zur Verantwortung gezogen werden. Dastehen wir an der Seite der Bevölkerung Griechenlands.
Sehen Sie sich das einmal an: Die Großbanken zo-cken jetzt schon wieder mit Wetten auf die SchuldenGriechenlands. Sie machen schon wieder Leerverkäufe.Nachdem die Leerverkäufe in Deutschland zwischen-zeitlich verboten waren, sind sie nun wieder erlaubt.Jetzt hat Bundesminister Schäuble gesagt, er will sievielleicht doch wieder verbieten. Machen Sie es dochendlich! Wir brauchen keine Leerverkäufe; das ist nichtsanderes als Spekulation.
Dann geht es um eine Abgabe der Banken, weil diesedirekt und indirekt eine Menge davon hatten, dass derStaat Rettungsaktionen gestartet hat. Warum führen Siedie Abgabe nicht ein? Sie sagen heute, Frau Bundes-kanzlerin Merkel, das könne Deutschland nicht alleinmachen, sondern nur die EU als Ganzes. Wirklich? Wa-rum hat Schweden das dann allein gekonnt? DennSchweden, ebenfalls Mitglied der EU, hat eine solcheAbgabe schon eingeführt. Warum kann in diesem Fallnicht Deutschland einmal als Vorbild vorangehen? ImÜbrigen plant auch der Präsident der Vereinigten Staatenvon Amerika, Obama, eine solche Abgabe in den USA.
Nun folgen Sie doch wenigstens Obama in dieser Frage,wenn Sie uns schon nicht folgen; das ist doch nicht zuviel verlangt.
Ackermann bekommt jetzt wieder ein Gehalt von10 Millionen Euro ausgezahlt. Ich gönne ihm das ja;aber wissen Sie, was das Problem daran ist? Das habendie Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gezahlt. WissenSie auch, warum? Die Deutsche Bank hatte eine Milliar-denforderung gegenüber HRE. Wäre HRE in die Insol-venz gegangen, hätte die Deutsche Bank keinen Gewinngemacht; ganz im Gegenteil, sie hätte schwere Verlustezu verzeichnen. Jetzt ist HRE verstaatlicht worden; dasheißt, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben die
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2722 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Dr. Gregor Gysi
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Forderung übernommen und an die Deutsche Bank ge-zahlt. Davon bekommt Ackermann jetzt 10 MillionenEuro, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler abernichts. Das ist die Ungerechtigkeit, die wir kritisierenund gegen die Sie nichts machen.
Deutschland ist inzwischen der größte Niedrig- undDumpinglohnsektor aller Industriestaaten. Ein Viertelder Beschäftigten, sagt das Statistische Bundesamt, ar-beitet in Deutschland zu Niedriglohn. Damit hängt zu-sammen, dass unsere Exporte billiger sind und die grie-chischen teurer. Jetzt gibt es zwei Wege: Der eine Wegist, dass die Griechen ihre Löhne noch weiter senken,und der andere Weg ist, dass wir unsere Löhne erhöhen.
Genau dagegen wehren Sie sich. Sie tun ja so, als ob dieGesellschaft unterginge, wenn wir das machten, wasschon 20 Mitgliedsländer der Europäischen Union getanhaben, nämlich einen flächendeckenden gesetzlichenMindestlohn einzuführen. Genau den brauchen wiraber.
Davon hätten nicht nur die Griechinnen und Grie-chen, sondern auch unsere Beschäftigten etwas. Davonhätten auch – deshalb verstehe ich die FDP nicht – dasHandwerk und die kleinen und mittleren Unternehmenetwas, die von der Binnenwirtschaft leben. Sie braucheneine erhöhte Kaufkraft. Aber Sie verhindern dies.Eigentlich sind wir die Partei der kleinen und mittlerenUnternehmen und nicht Sie. Sie tun bloß so als ob.
– Herr van Essen, wenn Sie mir das nicht glauben, dannglauben Sie es doch wenigstens dem Direktor des arbeit-gebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, MichaelHüther. Auch er schlägt jetzt einen flächendeckendengesetzlichen Mindestlohn vor. Er ist noch nicht bei derHöhe von 10 Euro, die wir vorschlagen, angekommen.Aber abgesehen davon kann man sagen, dass er immer-hin diesen Weg vorschlägt.Frau Bundeskanzlerin, ich habe mich gewundert, dassSie von Chancengleichheit geredet haben. – Wo ist sieeigentlich? Ich sehe, dass sie im Moment ihre Staats-sekretäre betreut. Auch das ist nötig.
Ich habe mich, wie gesagt, gewundert, dass Sie, FrauBundeskanzlerin, von Chancengleichheit in der Bildunggesprochen haben. Überall dort, wo die Union regiert,werden die Kinder in der Grundschule nach der viertenKlasse getrennt. Wer Kinder nach der vierten Klassetrennt, der macht nichts anderes als soziale Ausgren-zung.
– Einen Moment, Herr Lindner. Hören Sie zu! FrauMerkel und ich sind auf eine Gemeinschaftsschule ge-gangen. Ganz so blöde sind wir beide doch nicht gewor-den. Oder wollen Sie das Gegenteil behaupten?
Ihre Position kann ich überhaupt nicht akzeptieren.Ich komme jetzt zu einem anderen Thema. Ob nunSPD oder die Union regiert, es ist immer dasselbe:Meine Partei wird vom Bundesamt für Verfassungs-schutz beobachtet.
Ich kann Ihnen sagen, woran das liegt. Das liegt daran,dass die Mitarbeiter dieses Amtes vom Grundgesetzkeine Ahnung haben.
Aber wenn Sie das wollen, Herr Kauder, dann versucheich, denen das Grundgesetz beizubringen. Wenn diesedas Grundgesetz endlich verstehen würden, dann müss-ten sie sich eher um Sie und auch um die SPD kümmern.
Denn eines muss ich Ihnen sagen: Während der GroßenKoalition sind so viele verfassungswidrige Gesetzeverabschiedet worden wie noch nie zuvor in der Ge-schichte der Bundesrepublik Deutschland. Dazu habenSie einen Hang.
Jetzt nenne ich Ihnen die Beispiele. Der Bundespräsi-dent hat zwei Gesetze, nämlich das Gesetz zur Privati-sierung der Flugsicherung und das Gesetz zur Reduzie-rung des Verbraucherschutzes, nicht unterzeichnet, weilsie offensichtlich – nicht nur verdeckt – grundgesetzwid-rig waren.
Dann haben Sie eine Neuregelung zur Kilometerpau-schale verabschiedet. Wir haben Ihnen gesagt, das istgrundgesetzwidrig. Sie beide haben uns das selbstver-ständlich nicht geglaubt. Aber das Bundesverfassungs-gericht hat uns recht gegeben. Dann haben Sie die Ge-setze zum Vertrag von Lissabon gemacht. Wir habenIhnen gesagt, sie sind grundgesetzwidrig. Sie haben unsdas selbstverständlich nicht geglaubt. Aber das Bundes-verfassungsgericht hat uns recht gegeben. Dann habenSie ein Vorratsdatenspeicherungsgesetz gemacht. Wirhaben Ihnen gesagt, es ist grundgesetzwidrig. Sie habenuns das selbstverständlich nicht geglaubt. Aber das Bun-desverfassungsgericht hat uns recht gegeben. Das Glei-che wird übrigens mit dem Internetzensurgesetz passie-ren.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2723
Dr. Gregor Gysi
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Dann haben Sie – Sie von der Union waren nur indi-rekt beteiligt – ein Hartz-IV-Gesetz beschlossen. Wir ha-ben Ihnen gleich gesagt, das ist grundgesetzwidrig. Siehaben es uns nicht geglaubt. Das Bundesverfassungsge-richt hat es bestätigt. Glauben Sie mir: Von den Linkenkönnen Sie in Bezug auf das Grundgesetz eine Mengelernen.
Passen Sie auf, jetzt kommt der Höhepunkt. Obwohldas Bundesverfassungsgericht so entschieden hat, töntdie FDP, dass sie die Aufhebung des Gesetzes nutzenwill, um die Leistungen für Hartz-IV-Empfängerinnenund Hartz-IV-Empfänger zu kürzen.
Zum Teil tönen da noch andere mit. Ich sage Ihnen: Dasist ein Skandal. Es dauert leider lange, bis das Bundes-verfassungsgericht das aufheben würde. VerabschiedenSie kein neues verfassungswidriges Gesetz! Fragen Sieuns! Wir sagen Ihnen, was im Grundgesetz steht.
Wenn wir schon bei Hartz IV sind: Sie, Frau Merkel,sagen, Sie wollen den Zuverdienst erhöhen. Wissen Sie,was Sie da anrichten? Sie sagen damit doch permanent,die Leute sollen faktisch unentlohnt für einen kleinenZuschuss arbeiten. Davon haben nur die Unternehmenetwas. Ich habe Ihnen schon von dem Mann erzählt, derfünf Monate unentgeltlich ein Praktikum gemacht hat.Das nutzt natürlich diesem Unternehmen. Wollen Siedenn das Lohndumping immer weiter vorantreiben? Wa-rum können wir nicht einmal einen anderen Weg gehen:den Hartz-IV-Regelsatz wenigstens auf 500 Euro erhö-hen, eine Kindergrundsicherung machen und die demüti-genden Sanktionen streichen?Dann sollten wir neu nachdenken und Arbeit statt Ar-beitslosigkeit bezahlen.Im Vergleich mit Frankreich, Großbritannien undSkandinavien haben wir den kleinsten öffentlichenDienst. Das spüren übrigens auch die Kommunen; dageht es um Lehrerinnen und Lehrer, um Kindergärtnerin-nen und Kindergärtner und ganz viel sonstiges Personal.Es geht auch um die Justiz und um die Polizei.
– Herr Kauder, wenn ich heute beim VerwaltungsgerichtBerlin-Brandenburg eine Klage einreiche, dann be-komme ich den ersten Termin in zwei Jahren. Das findenSie normal?
Wir brauchen in diesem Bereich mehr Beschäftigte;denn die Qualität der Rechtsprechung hängt auch davonab, dass sie zügig erfolgt und die Leute relativ schnellwissen, ob sie recht oder unrecht hatten.
Da müssen wir neu nachdenken. Wir müssen den öf-fentlichen Dienst erweitern, und wir brauchen einen öf-fentlich geförderten Beschäftigungssektor, wie es ihn inBerlin gibt und wie er in Brandenburg geplant ist. InBerlin gibt es schon 7 600 entsprechende Stellen. DieseLeute verdienen wieder Geld, sie zahlen wieder Lohn-steuer und Beiträge in die Sozialkassen ein. Außerdemsparen wir auf der anderen Seite die Auszahlung vonHartz IV. Was ist denn daran so schlimm? Sie machenetwas Vernünftiges und werden dafür bezahlt. Das ist derrichtige Weg und nicht die Bezahlung von Arbeitslosig-keit. Es gibt doch andere Möglichkeiten.
Jetzt lassen Sie mich noch auf einen speziellen Falleingehen, der mich – und eigentlich auch Sie, HerrKauder – seit August 2009 beschäftigt und uns alle dem-nächst beschäftigen wird. Herr Kauder und ich warenzusammen mit Herrn Wowereit von der SPD, mit HerrnBrüderle von der FDP und mit Herrn Kuhn von den Grü-nen bei Hart aber fair. Da trat eine Mutter auf, die sagte,dass sie nur teilzeitbeschäftigt ist und zusätzlichHartz IV bezieht. Ihre Tochter hatte in den Ferien gear-beitet und sich mit dem verdienten Geld einen Traum er-füllt und eine Gitarre gekauft. Der Mutter wurde dasGeld dann wieder abgezogen.
Alle, die in der Sendung anwesend waren, haben gesagt– auch Sie, Herr Kauder –, dass das korrigiert werdenmuss. Wir haben dann im September, noch in der vori-gen Legislaturperiode, die Korrektur beantragt. Sie,meine Damen und Herren von der SPD, haben diesenAntrag zusammen mit der CDU/CSU abgelehnt.
Die Grünen haben zugestimmt, wir haben zugestimmt,und die FDP hat sich der Stimme enthalten.Jetzt haben Sie von der SPD einen entsprechendenAntrag eingebracht. Ich sage Ihnen heute schon, waspassieren wird: Wir werden zustimmen, die Grünen wer-den zustimmen, die Union wird dagegenstimmen, undauch die FDP wird dagegenstimmen. Damit machen SiePolitik unmöglich. Was sagen Sie denn den Leuten? AlsSie in der Regierungsmehrheit waren, haben Sie dage-gengestimmt. Wenn Sie aber in der Opposition, in derMinderheit, sind, stimmen Sie dafür. Die FDP hat sich inder Opposition der Stimme enthalten und stimmt in derRegierung dagegen. Was sollen die Leute damit anfan-gen?Herr Lindner hat nun in einer neuen Sendung gesagt,das werde bis Ende des Jahres geregelt werden. HerrLindner, warum bis Ende des Jahres? Die nächsten Som-merferien kommen im Juli. Lassen Sie uns das doch vor-her regeln, damit die Kinder diesbezüglich vor den Som-merferien Bescheid wissen.
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2724 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Dr. Gregor Gysi
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Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt, es sei Ihnengelungen, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Sie hättenaber auch sagen müssen, wodurch. Es ist geschehen, in-dem die prekäre Beschäftigung in einem Maße ausge-baut worden ist, das für diese Gesellschaft von größtemNachteil ist. Bei der Vollzeitbeschäftigung gibt es1,4 Millionen Stellen weniger. Bei der Teilzeitbeschäfti-gung gibt es inzwischen 5 Millionen Stellen, bei Mini-jobs 7,1 Millionen. Die Mehrfachbeschäftigung hat sichverdoppelt, und die Zahl befristeter Beschäftigungsver-hältnisse ist – das wurde gestern in der Tagesschau ge-meldet – auf 2,7 Millionen gestiegen.Dann gibt es noch die Aufstockerinnen und Aufsto-cker, die Sie alle loben. Aufstockung ist doch aber eineZumutung. Da arbeitet jemand Vollzeit, verdient aber sowenig, dass er nicht davon leben kann, und dann kommtder Staat und übernimmt den Rest. Das ist ein Skandal.Wenn der Staat den Rest übernimmt, verführt das dieUnternehmen doch dazu, ganz niedrige Löhne zu zahlen.
Wenn jemand vollzeitbeschäftigt ist, dann hat er An-spruch auf einen Lohn, von dem er in Würde leben kann.Das ist unser Standpunkt.Wir haben, wie Sie gesagt haben, mit über 80 Milliar-den Euro die höchste Neuverschuldung, die es je gab.Sie haben 900 Millionen Euro für die Bundesagentur fürArbeit erst einmal gesperrt. Jetzt sagen Sie, diese Mittelwürden wieder zur Verfügung gestellt. Aber erst einmalsind sie gesperrt. Wenn sie gesperrt blieben, hieße das,dass ein Drittel der Jobcenter handlungsunfähig wäreund 10 000 Leute entlassen werden müssten. Was sindda Ihre Pläne?Herr Bundesminister Rösler will jetzt zusätzlich eineKopfpauschale von 29 Euro einführen.
Sie behaupten im Ernst, das Ganze sei aufgrund einesSteuerzuschusses sozial gerecht, wobei ich jetzt garnichts dazu sagen möchte, dass Sie den Spitzensteuer-satz ständig senken. Aber ernsthaft zu glauben, dass eineFriseuse und Herr Ackermann das Gleiche für die Ge-sundheit bezahlen sollten, ist völlig absurd.
– Ja, das ist Ihre Idee. Für mich ist es aber ein völlig ab-surder Gedanke.
Nun machen Sie mit der geplanten Einführung einerPauschale von monatlich 29 Euro einen ersten Schritt.Aber bitte fügen Sie hinzu, dass Sie den Arbeitnehmer-beitrag für Zahnersatz und Krankenhauskosten in Höhevon 0,9 Prozent des Einkommens streichen wollen.Stattdessen wollen Sie die 29 Euro kassieren. Das be-deutet für jemanden, der 1 500 Euro im Monat verdient,dass er rund 10 Euro mehr zahlen muss. Jemand, der3 700 Euro im Monat verdient, muss 5 Euro wenigerzahlen. Es ist die alte Leier: Immer wieder wird eineUmverteilung von unten nach oben organisiert. Etwasanderes kennen Sie nicht.
Das ist ein Zeichen der Entsolidarisierung. Mir ist eswichtig, hinzuzufügen: Natürlich brauchen wir eine Bür-gerversicherung, weil dann jede und jeder seinem Ein-kommen entsprechend herangezogen wird. Nur das istgerecht und nichts anderes.
Herr Bundesminister Rösler, zu Ihrem Vorhaben, dieArzneimittelpreise zu senken: Sie wissen doch selbst,dass das ein Schuss nach hinten ist; das kann nicht funk-tionieren. Warum organisieren Sie nicht einfach einePreiskontrolle und eine Festlegung der Preise durch denStaat, damit die Konzerne zwar einen angemessenen Ge-winn erzielen, aber keine riesigen Profite machen kön-nen? Was wäre daran so schlimm? Jetzt sagen Sie, diegesetzlichen Krankenkassen sollen im Nachhinein mitder Pharmaindustrie verhandeln. Dabei sind die Kran-kenkassen in einer viel schwächeren Position als diePharmaindustrie, sodass nichts dabei herauskommt, au-ßer dass die Pharmaindustrie nach wie vor die vollstän-dige Preisdominanz hat.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben darauf hingewiesen,dass sich morgen der 18. März 1990 zum 20. Mal jährt.Das stimmt.
Ich habe ein paar Fragen an Sie: Frau Bundeskanzlerin,wann bekommen die Rentnerinnen und Rentner im Os-ten endlich für die gleiche Lebensleistung die gleicheRente wie die Rentnerinnen und Rentner im Westen?Wann beantworten Sie uns diese Frage?
Wann, Frau Bundeskanzlerin, bekommt man im Ostenden gleichen Lohn für gleiche Arbeit und die gleiche Ar-beitszeit? Wann beantworten Sie uns diese Frage?
Wann, Frau Bundeskanzlerin, ist die Arbeitslosigkeit imOsten nicht mehr doppelt so hoch wie im Westen? Wann,Frau Bundeskanzlerin, verhindern wir, dass der Ostenden Westen nach unten zieht, wie das heute der Fall seinsoll? Wann hört es auf, dass der Osten die Begründung– dies ist eine falsche Begründung – für den Sozialabbauim Westen ist? Wer ein vereintes Deutschland will, mussgleiche Lebensverhältnisse in Ost und West herstellenund aufhören, Ost und West gegeneinander auszuspie-len.
Zum Schluss sage ich Ihnen: Wenn wir in dieser Ge-sellschaft soziale Gerechtigkeit wollen, kommen wir umSteuergerechtigkeit nicht umhin. Wer nicht den Mut hat,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2725
Dr. Gregor Gysi
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Steuergerechtigkeit herzustellen, der wird niemals in derLage sein, soziale Gerechtigkeit herzustellen, sondern erwird immer nur begründen, weshalb dies nicht gehe undwas alles dagegenspreche, und das zerstört diese Gesell-schaft. Es gab noch nie so viele Außenstehende wie jetzt.Es gab noch nie so viel Armut in Deutschland wie jetzt.Wenn Sie daran weiter arbeiten, dann zerstören Sie dieeigenen Grundlagen, auf die Sie bauen.Frau Bundeskanzlerin, Sie werden verstehen: Wirkönnen dem Etat Ihres Bundeskanzleramts beim bestenWillen nicht zustimmen. Ich kann es nicht ändern.
Für die FDP-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Birgit
Homburger.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirberaten in dieser Woche den Bundeshaushalt 2010. Die-ser Bundeshaushalt ist ein Dokument der Handlungsfä-higkeit und auch der Entschlossenheit dieser Koalition.
Wir haben eben von Herrn Steinmeier und Herrn Gysigehört, was wir alles falsch machen. Ich möchte Ihnenvon der SPD deutlich machen, was Ihre Politik von un-serer Politik unterscheidet.
Sie haben einen Rettungsschirm für Banken auf den Weggebracht. Sie haben Steuergelder für General Motorsausgegeben, und Sie haben eine Abwrackprämie für alteAutos eingeführt. Wir spannen jetzt einen Arbeitnehmer-schutzschirm, wir entlasten die Bürgerinnen und Bürger,und wir tätigen mehr Investitionen im Bereich Bildungund Forschung. Das ist der Unterschied, der diese Koali-tion ausmacht.
Auch wenn dieser Haushalt noch ein Stück weit ge-prägt ist von einer Übergangsstruktur, ist es doch so,dass man ihm im Kern schon ansieht, dass er eine andereSchwerpunktsetzung hat,
dass für uns die Menschen im Mittelpunkt stehen, HerrBonde. Das zeigt sich zunächst an dem, was wir im Ja-nuar auf den Weg gebracht haben, am Familienförde-rungsgesetz, an der Entlastung der Bürgerinnen und Bür-ger, vor allem der Familien in diesem Land. Endlichhaben die Familien wieder mehr Geld in der Tasche.
Herr Bonde, wir haben Impulse für mehr Wachs-tum und Beschäftigung gegeben, indem wir Fehler beider Gewerbesteuer und der Erbschaftsteuer korrigiert ha-ben. Ich sage Ihnen eines: Das Sozialste, was man über-haupt tun kann, ist, dafür zu sorgen, dass Menschen eineChance auf Arbeit haben. Wenn wir das wollen, dannmüssen wir auch dafür sorgen, dass die Entlastungen, diewir im steuerlichen Bereich vorgenommen haben, nichtdurch höhere Beiträge zu den Sozialversicherungen wie-der aufgefressen werden. Deshalb haben wir den Zu-schuss zur Krankenversicherung erhöht und einen Zu-schuss zur Arbeitslosenversicherung vorgesehen. Dasalles bedeutet nichts anderes, als dass wir die Lohnzu-satzkosten stabil halten. Das ist ein Schutzschirm für dieArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und bedeutet einMehr an Chancen auf Arbeitsplätze in diesem Land. Dashaben wir hier im Deutschen Bundestag verabschiedet.
Wir haben einen neuen Schwerpunkt bei Bildungund Forschung gesetzt. Das wird schon im Haushalt2010 sichtbar: 750 Millionen Euro zusätzlich für Bil-dung und Forschung. In Summe haben wir uns vorge-nommen, 12 Milliarden Euro mehr in diesen Bereich zuinvestieren. Wir wollen in die Köpfe, in die Chancen derjungen Generation investieren. Wir werden noch in die-sem Jahr den Start des Stipendienprogramms haben. Ichsage auch ganz deutlich: Wir werden mehr tun im Be-reich Forschung. Das ist dringend notwendig, auch imHinblick auf die Energiepolitik. Hier ist heute zu Rechtgesagt worden, dass wir das Zeitalter der regenerativenEnergien erreichen wollen. Wir werden alles tun, damitdie notwendige Forschung, beispielsweise im BereichSpeichertechnologien, durchgeführt wird, damit wir die-ses Ziel erreichen.
Herr Steinmeier, Sie haben uns vorhin vorgeworfen,wir hätten in diesem Haushalt nicht genügend gekürzt.Unsere Haushaltspolitiker haben in diesem Parlament310 Kürzungsvorschläge vorgelegt. Wir haben 500 Mil-lionen Euro zusätzlich bei der Verwaltung eingespart.Ich möchte Sie an dieser Stelle einfach nur bitten, sichdiesen Haushalt noch einmal genau anzuschauen. Ichkann mir überhaupt nicht vorstellen, dass Sie hier einenfalschen Vorwurf in den Raum stellen wollten, was Sievorhin aber getan haben, als Sie behaupteten, wir wür-den über 900 zusätzliche Stellen schaffen. In Summewerden wir am Ende des Jahres 2010 – auch das mussdie Öffentlichkeit erfahren –, weil wir in anderen Berei-chen Stellen streichen, 581 Stellen weniger haben. Dasheißt, wir sparen. Zusätzlich haben wir eine 1-prozentigeKürzung in diesem Haushalt für die Zukunft beschlos-sen. Das ist die Wahrheit und nicht das, was von Ihnen,Herr Steinmeier, erzählt worden ist.
Die Nettokreditaufnahme wurde angesprochen. Ja,die ist verdammt hoch. Auch wir würden uns wünschen,
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das wäre anders. Die Bundeskanzlerin hat das Nötigedazu schon gesagt. Ich möchte aber trotzdem deutlichmachen, dass wir im Rahmen der Haushaltsberatungenim Vergleich zum ersten Entwurf noch einmal 6 Mil-liarden Euro zusätzlich eingespart haben.Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Die FDP hatin ihrer Zeit in der Opposition hier im Deutschen Bun-destag regelmäßig ein Sparbuch vorgelegt. Sie, meinesehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Oppo-sition, haben hier nur Wunschlisten vorgelegt. In Summehaben Sie 56 Milliarden Euro Mehrausgaben beantragt.Das, was Sie hier vorschlagen, ist keine verantwortlichePolitik.
– Lieber Herr Bonde, Sie fordern die Wahrheit ein.
Die Wahrheit ist, dass die Grünen zusätzliche Ausgabenin Höhe von 14 Milliarden Euro beantragt haben. Wür-den wir Ihren Vorschlägen folgen, dann hätten wir amEnde eine Neuverschuldung von 100 Milliarden Euro;das schlagen Sie vor.
Die Linken haben zusätzliche Ausgaben in Höhe von41 Milliarden Euro beantragt. Ich wiederhole es: 41 Mil-liarden Euro. Daneben sehen die zusätzlichen Ausgabenin Höhe von 840 Millionen Euro, die die SPD beantragthat, bescheiden aus. Aber das war natürlich vor denHartz-IV-Beschlüssen. Verantwortliche Haushaltspolitikmachen in diesem Hause genau zwei Fraktionen: dieFDP und die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Steinmeier, Sie haben hier Krokodilstränen überden Zustand der Finanzen der Kommunen geweint.
An dieser Stelle möchte ich Ihnen sagen: Das beschäftigtuns alle. Ich unterstelle das jedem in diesem Haus. Aller-dings wissen wir alle, dass das Problem der kommunalenFinanzen vor allen Dingen darin liegt, dass sie extremkonjunkturabhängig sind.
Wir haben seit Jahren immer wieder deutlich gemacht,dass wir hier eine Veränderung, eine Stabilisierung derFinanzierung der Kommunen brauchen.
Sie haben elf Jahre lang regiert, Herr Poß – schreien Siehier nicht einfach nur dazwischen –, und Sie haben sichüberhaupt nicht um die Kommunen gekümmert.
Wir haben jetzt eine Regierungskommission eingesetztund werden uns dieser Aufgabe stellen.
Die Sozialstaatsdebatte, die wir auch in diesem Hauseführen, geht von einem Urteil des Bundesverfassungsge-richts aus.
Frau Kollegin Homburger, lassen Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Hagedorn zu?
Ich bin mit meiner Rede schon ein Stück weiter. Ichmöchte an dieser Stelle meinen Gedanken fortführen.Wie gesagt, wir haben, ausgehend von einem Bundes-verfassungsgerichtsurteil, eine Sozialstaatsdebatte ange-stoßen. Jetzt möchte ich Herrn Gysi direkt ansprechen,weil er hier Unwahrheiten verbreitet:
Das Bundesverfassungsgericht hat ein Urteil gespro-chen, und es hat mitnichten die Erhöhung der Regelsätzebei Hartz IV gefordert.
Im Gegenteil: Es hat deutlich gesagt, dass das, was dortvon der Gemeinschaft geleistet wird, nicht evident unzu-reichend sei. Allerdings haben die SPD, Sie und auch dieGrünen sofort – die Begründung in Karlsruhe war nochnicht abgeschlossen – höhere Regelsätze bei Hartz IVgefordert.
Im Gegenzug wird uns vorgeworfen – gerade ebenwieder von Herrn Gysi von diesem Pult aus –, wir woll-ten eine Senkung der Regelsätze. Ich halte in diesem Ho-hen Hause auch für die Öffentlichkeit fest: Keiner ausder FDP-Bundestagsfraktion will eine Absenkung derRegelsätze von Hartz IV. Wir wollen eine neue Balancedes Sozialstaats. Dafür werden wir uns einsetzen.
Wenn die Aussage: „Wer arbeitet, muss mehr habenals der, der nicht arbeitet“, eine solche Selbstverständ-lichkeit ist – so wird es hier immer wieder vorgetragen –,dann frage ich mich, warum so viele Menschen in die-
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sem Land denken, dass es richtig ist, dass wir über genaudiese Frage diskutieren und Veränderungen herbeiführenwollen. Die Menschen haben ein gutes Gespür dafür,dass an dieser Stelle etwas nicht stimmt.
Ich frage Sie: Wenn es eine solche Selbstverständlichkeitist, warum gibt es dann diese massiven Angriffe? HerrSteinmeier, Sie sind beispielsweise in einer Meldung derdpa zitiert worden, laut der Sie gesagt haben:Westerwelle verfalle immer stärker in einen „ag-gressiven Rechtspopulismus“, …Ich kann Ihnen, lieber Herr Steinmeier, nur sagen:Wenn Sie da richtig zitiert worden sind – das ist ein Zitatvom 23. Februar dieses Jahres aus einer Meldung derdpa –, wenn die SPD Leistungsgerechtigkeit inzwischenals Rechtspopulismus betrachtet, dann sind Sie ver-dammt weit von den Menschen entfernt und vor allenDingen auf dem Weg weit nach links.
Ich will eine Bemerkung zu dem Vorwurf der Ver-fassungsfeindlichkeit machen, der von mehreren ge-genüber der FDP erhoben worden ist.
– Vor allen Dingen im Zusammenhang mit Hartz IV undmit den Aussagen von Herrn Westerwelle. – Dazu hatsich auch Herr Gabriel geäußert.
Herr Steinmeier, vielleicht können Sie einmal erklären,wo Herr Gabriel ist. Auf allen Kanälen pöbelt er durchdie Gegend, seine Präsenz hier im Parlament: Fehlan-zeige. Ich frage mich: Hängt das mit dem Verhältnis zwi-schen Ihnen beiden zusammen, oder ist das schlichtMissachtung des Parlaments, was Herr Gabriel da be-treibt?
Herr Gabriel hat am 9. März im WDR, damit Siegleich nicht nachfragen müssen, Herr Steinmeier, erklärt– ich zitiere –:Herr Westerwelle handelt verfassungswidrig, javerfassungsfeindlich.Zitat Ende. Weiterhin hat er über die FDP gesagt – in ei-nem Wortlautinterview in der Leipziger Volkszeitungnachzulesen –:… die sind jung, … gnadenlos, … und sie sindverfassungsfeindlich …Zitat Ende.
Sehr geehrter Herr Steinmeier, Sie haben vorhin gesagt,wir sollten aufpassen, dass nicht Werte verloren gehen.Ich glaube, Sie haben allen Grund, in Ihrer Partei aufzu-passen, dass Sie sich nicht daran beteiligen, dass Wertein diesem Land verloren gehen.
Wer mit einer Partei koaliert, die in einigen Ländernund auch im Bund vom Verfassungsschutz überwachtwird,
und wer zukünftig offensichtlich auch in Nordrhein-Westfalen eine solche Koalition anbahnen will – das istja im Augenblick zu beobachten –,
der sollte einer Partei, die unzweifelhaft auf dem Bodendes Grundgesetzes steht,
einer Partei, die die Bundesjustizministerin stellt, einerPartei, die beim Bundesverfassungsgericht gerade meh-rere Klagen gewonnen und recht bekommen hat, nichtunterstellen, sie sei verfassungsfeindlich. Ich fordere Sieauf, zur sachlichen Auseinandersetzung zurückzukehren.
Eine letzte Bemerkung in diesem Zusammenhang. Ichwar entsetzt, als ich feststellen musste, was alles in die-sem Land inzwischen ohne öffentlichen Aufschrei hin-genommen wird.
Auf einer Veranstaltung ist eine Laudatio auf eine Jour-nalistin gehalten worden. In dieser Laudatio wurde derSatz gesagt – ich zitiere –:Man trifft sie ja gerade jetzt vermehrt, die Nazis imNadelstreifen, die Sarrazins, die Westerwelles …
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich mussIhnen ganz ehrlich sagen: Dass ein solches Zitat in eineröffentlichen Veranstaltung ungerügt bleibt, dass es auchnoch in einer Zeitung abgedruckt wird, das geht gegenjegliches Gefühl der Demokratie.
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Birgit Homburger
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Ich erwarte, dass wir von der persönlichen Diffamierungwegkommen, dass wir die politische Kultur in diesemLande gemeinsam bewahren,
dass es in einem solchen Fall einen Aufschrei der Demo-kraten gibt und wir gemeinsam die Verfassung verteidi-gen.
Das erwarte ich von allen Mitgliedern dieses Hauses. Icherwarte, dass auch Sie dagegen aufstehen.
Ich mache noch einige wenige Bemerkungen zumThema Hartz IV; dieses Thema wurde schon angespro-chen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Beck?
Nein, Herr Kollege. Ich würde gerne weitermachen.
– Ja, das werde ich gerne tun.
Ich möchte noch einige Bemerkungen zu der Hartz-IV-Debatte machen, die wir in diesem Hause geführt habenund die wir weiterhin führen müssen. Ich sage zunächsteinmal: Wir haben zwischenzeitlich umgesetzt, was wirangekündigt haben: Wir haben dafür gesorgt, dass derje-nige, der Hartz IV bezieht und mehr tut, auch mehr Geldbehalten darf. Wir haben das Schonvermögen von250 Euro auf 750 Euro pro Lebensjahr verdreifacht. Wirwollen die Hinzuverdienstmöglichkeiten verbessern.Wir wollen, dass die Sozialversicherungsbeiträge im un-teren Einkommensbereich nur langsam ansteigen. Damittun wir etwas für diese Menschen.Herr Scholz hat am Montag dieser Woche das Kon-zept der SPD vorgestellt. Herr Scholz, warum sind Siemit diesen Ideen nicht im letzten Jahr gekommen, als Sieals Bundesarbeitsminister Verantwortung für diesen Be-reich getragen haben? Wenn man erkannt hat, dass manetwas ändern muss, muss man die Änderungen auf denWeg bringen, wenn man Verantwortung hat. Das habenSie nicht getan. Was Sie jetzt vorschlagen, ist eine Gene-ralrevision der rot-grünen Arbeitsmarktpolitik.
Sie wollen rückwärts in die Zukunft gehen. Sie schla-gen unter anderem vor, staatlich finanziert einen zweitenArbeitsmarkt von 200 000 Arbeitsplätzen aufzubauen.Das würde nichts anderes bedeuten, als dass Sie zusätzli-che Kosten von über 3 Milliarden Euro irgendwo imHaushalt unterbringen müssten.
Damit verbunden ist ein Zweites: Sie haben die Men-schen offensichtlich aufgegeben. Eine solche Politik ma-chen wir nicht mit. Wir wollen eine Politik, die denMenschen Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt, auf so-zialversicherungspflichtige Beschäftigung eröffnet.
Sie wollen, dass nicht für 12, sondern für 24 MonateArbeitslosengeld I gezahlt wird. Sie lassen unbeantwor-tet, wie Sie die damit einhergehende Erhöhung der Zu-satzkosten in der Arbeitslosenversicherung finanzierenwollen. Ihr Vorschlag hätte nichts anderes zur Folge, alsdass Arbeit wieder teurer würde. Eine Politik für Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer sieht anders aus als das,was Sie vorschlagen, meine sehr verehrten Damen undHerren. Was Sie zu Hartz IV vorschlagen, das ist keinsozialpolitisches Konzept, das ist eine koalitionspoliti-sche Offenbarung.
Für uns stehen bei der Neuregelung von Hartz IV dieKinder im Mittelpunkt.
– Frau Kollegin, die FDP hat schon in den letzten Jahrengesagt, dass der Satz für Kinder nicht vom Regelsatz fürErwachsene abgeleitet werden kann. Kinder sind eigenePersönlichkeiten mit eigenen Bedürfnissen. Das Bundes-verfassungsgericht hat das noch einmal deutlich ge-macht. Es hat uns den Auftrag gegeben, das neu zu re-geln. Diese Neuregelung ist notwendig, weil Ihr Gesetznicht bestehen konnte. Wir werden diese Neuregelungvornehmen. Es geht uns darum, mehr Chancengerechtig-keit am Start zu erreichen. Bildung ist nun einmal derSchlüssel zu sozialem Aufstieg. Wir wollen Hartz-IV-Karrieren vermeiden.
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Wir wollen alles dafür tun, dass die Hilfe für Kinderauch bei den Kindern ankommt. Deshalb wollen wirnicht nur Geld, sondern auch Sachleistungen wie Bil-dungsgutscheine geben.
Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen: Natür-lich bleibt die Entlastung der Mittelschicht auf derAgenda. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Das eine ge-hört zum anderen: Denen zu helfen, die Hilfe benötigen,gehört genauso auf die Agenda, wie denen zu helfen, diedas erwirtschaften, was dann verteilt wird. Deswegenwollen wir gerade für die Mittelschicht Entlastungen aufden Weg bringen.
Wir haben uns vorgenommen, das Steuerrecht zu ver-einfachen. Das ist ein zentrales Anliegen vieler Bürge-rinnen und Bürger. Wir wollen, dass die Steuern bei un-teren und mittleren Einkommen weiter gesenkt werden.Wir werden uns die Spielräume dafür im nächsten Haus-halt hart erarbeiten müssen. Aber wir wollen Impulse ge-ben gegen Schwarzarbeit, Impulse für mehr Leistungs-gerechtigkeit und nicht zuletzt für mehr Fairness desStaates im Umgang mit seinen Bürgerinnen und Bür-gern.
Herr Steinmeier, wenn Sie die Gesundheitsreformkritisieren, dann will ich Ihnen deutlich sagen: Sie habenunser Modell in keiner Weise verstanden.
Wir wollen Politik für die Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer machen. Deswegen haben wir vorgeschla-gen, dass ein einkommensunabhängiger Arbeitnehmer-beitrag erhoben wird – mit einem sozialen Ausgleich.Wir wollen, dass die Lohnzusatzkosten nicht weiter stei-gen. Das, was Sie in der Vergangenheit vorgeschlagenhaben, hat zu mehr Bürokratie geführt. Es hat zu Ein-schränkungen der Wahlfreiheit geführt. Es hat das Arzt-Patienten-Verhältnis belastet. Das, was diese Koalitionjetzt macht, sehr verehrter Herr Steinmeier, bedeutetmehr Solidarität und auch mehr Gerechtigkeit,
weil nach unserer Auffassung Gerechtigkeit nicht an derBeitragsbemessungsgrenze aufhört, sondern alle umfas-sen muss. Deshalb wollen wir den Sozialausgleich überdas Steuersystem.
Natürlich beschäftigt sich diese Koalition in erhebli-cher Art und Weise auch mit der Finanzmarktkrise.Wir versuchen, einerseits die Folgen der Finanzmarkt-krise abzumildern, andererseits aber auch dazu beizutra-gen, dass so etwas nicht wieder passieren kann. Jetzt istdie Frage: Wie kann man das aufarbeiten? In Düsseldorfbeginnt – das ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbe-achtet geblieben – der erste Prozess gegen den Managereiner Bank. Wenn jemand schuldhaft gehandelt hat, dannsoll Schadensersatz geltend gemacht werden können.
Deswegen überlegen wir, beispielsweise die zivilrechtli-che Verjährungsfrist zu verlängern, weil wir mehr Zeitbrauchen, um eine entsprechende Prüfung vornehmen zukönnen.
Wir wollen diejenigen zur Verantwortung ziehen, dietatsächlich Verantwortung getragen haben. Das ist derKern der Sache. Herr Steinmeier, wenn Sie sich hier hin-stellen und sagen, wir sollen Hedgefonds verbieten undRatingagenturen an die Kette legen, dann nehmen wirdas zur Kenntnis. Aber wer hat denn elf Jahre lang denBundesfinanzminister gestellt? Wer hat denn die Hedge-fonds eingeführt? Sie waren das; Ihre Regierung wardas, Herr Steinmeier.
Sie haben das zugelassen. Sie hätten das, was Sie jetztaus der Opposition heraus fordern, in den letzten Jahrenkorrigieren können, wenn Sie es denn angegangen wä-ren.Der Kern des Problems ist, dass wir Verantwortungund Haftung zusammenbringen müssen. Das bedeutet,dass wir dem Prinzip des ehrbaren Kaufmanns wiederGeltung verschaffen müssen. Wir als FDP und ebensodie CDU/CSU haben uns über viele Jahre immer wiederfür die Familienunternehmen in diesem Land eingesetzt,weil wir wissen, dass dort Haftung und Verantwortung,das Tragen des Risikos in einer Hand liegen und dassman hier mit Risiken anders umgeht als in anderen Be-reichen.
Wir wollen hier Änderungen. Managerboni müssensich stärker an der langfristigen Entwicklung orientieren.Die Vergütung muss vor allen Dingen so gestaltet sein,dass es im Verlustfall auch Abzüge gibt, nicht nur Boni.Wir wollen mehr Transparenz und Verständlichkeit derFinanzprodukte. Wir wollen, dass Regeln endlich einge-halten werden. Es ist nicht so, dass es für den Finanz-markt keine Regeln gibt. Es ist jedoch so, dass Sie dieAufsicht zersplittert haben. Wir haben jetzt gemeinsambeschlossen, dass die Bankenaufsicht in einer Hand zu-sammengeführt wird: bei der unabhängigen Bundes-bank.
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2730 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
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Damit garantieren wir, dass Regeln zukünftig eingehal-ten werden und dass jemand darüber wacht, der davonAhnung hat. Das ist das Ziel dieser Koalition.
Wir werden in diesem Hause weiter über das ThemaBürgerrechte zu sprechen haben. Das Bundesverfas-sungsgericht hat uns gerade einen weiteren Auftrag zumThema Vorratsdatenspeicherung erteilt. Es hat nämlichfestgestellt, dass die Vorratsdatenspeicherung in der Artund Weise, wie sie vorgenommen wurde, verfassungs-widrig und nichtig ist, dass die Datensammelwut unver-hältnismäßig ist. Es waren erneut Liberale, die denSchutz der Freiheit und der Bürgerrechte beim Bundes-verfassungsgericht erstritten haben.
Es ist festzuhalten, dass es keinen Sicherheitsgewinngeben wird, wenn man die Daten von 80 MillionenDeutschen systematisch zu erfassen gedenkt, allerdingsdabei den Blick für konkrete Gefahren verliert. Die Be-drohung der Freiheit ist durch die Einschränkung derFreiheit nicht zu bewältigen. Deshalb werden wir ge-meinsam in dieser Koalition für Deutschland eine neueBalance zwischen Freiheit und Sicherheit finden.
Wir wollen eine Politik für die Bürger machen. Wirwollen einen fairen Umgang des Staates mit den Bür-gern. Wir setzen dabei auf den mündigen Bürger undwollen eben keinen Vormundschaftsstaat mit Rundum-betreuung. Wir wollen mehr Chancen auf Bildung undAufstieg, und wir wollen die Kraft der Freiheit zumWohle dieses Landes nutzen.Wir arbeiten an einem neuen Aufbruch für Deutsch-land, und egal, ob Sie mitmachen oder sich dagegenstel-len: Wir werden es für unser Land schaffen.
Das Wort hat nun Renate Künast für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt, hierund heute sollte es eigentlich um die Zukunft der Men-schen in diesem Land und um die Zukunft Deutschlandsgehen. Das ist Ihr erster Haushalt in einer schwarz-gel-ben Regierung, Frau Bundeskanzlerin. – Wahrscheinlichhat sie schon das Weite gesucht.
– Es wäre ja auch nicht schlecht, wenn sie auf der Regie-rungsbank sitzen würde.
Das ist der erste Haushalt einer neuen Bundesregierung,und an dieser Stelle schauen wir einmal ganz genau, wasdieser Haushalt bringt und ob Sie den Mut und die Krafthaben, die Ziele zu zeigen, also zu zeigen, wo der Wegin Deutschland hinführen soll. Das wäre ja eigentlichIhre Aufgabe, Frau Merkel.Nachdem ich hineingeschaut und Ihre Rede heute ge-hört habe, sage ich Ihnen ganz klar: Sie haben in IhrerErklärung vorhin erneut nicht begründet, was den SinnIhrer Kanzlerschaft ausmachen soll.
Sie reden über neues Denken, aber welches neue Denkensoll das denn eigentlich sein? Welches Ziel und welcheLeitbilder haben Sie?Sie wollten hier zum Sozialen reden. Das haben wirnicht vergessen, Frau Merkel, weil wir ja nicht an retro-grader Amnesie leiden. Sie haben vor Wochen, als IhrVizekanzler mit der Sozialhetzedebatte begonnen hat,gesagt, diese Debatte werde hier im März bei der Haus-haltsberatung geführt. Sie haben an dieser Stelle aberfaktisch kein einziges Wort der Klarheit und der Stel-lungnahme dazu gesagt.
Da hat einer suggeriert, er habe Tabus brechen wol-len, obwohl man wirklich sagen muss: Seit Jahren disku-tiert fast das ganze Land über die Frage, wie der Sozial-staat am besten organisiert werden soll – nur eben nochnicht auf dem Niveau von Guido Westerwelle.
Wo waren Ihre Aussagen dazu, wie es denn nun gehensoll? Sie schweigen weiter.Wo waren Ihre Klarheit hinsichtlich der Reisetätigkeitdes Bundesaußenministers und Ihre Aussage dazu? Eshat mich schon verwundert, dass Sie an dieser Stelle, daSie doch über neues Denken reden, nichts dazu sagen,was eigentlich die kulturelle Anmutung einer Regie-rungstätigkeit sein soll. Ist es okay, dass jemand wieHerr Lindner sagt, Spitzenpolitiker hätten halt Netz-werke, die sie pflegen? Warum haben Sie an der Stellenicht klar gesagt: Das können Sie gerne tun, aber nichtals Mitglied dieser Bundesregierung, und hier haben Siesich aus den Netzwerken Ihrer Finanzbeschaffungsparteiherauszuhalten?
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Renate Künast
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Es ist atemberaubend, wie er sein Parteibüro leerge-fegt, Staatsposten besetzt und vermehrt und Reisegrup-pen zusammengestellt hat. Am Ende war ich einen Au-genblick lang gewillt, zu glauben, er habe Brasilienentdeckt.
Das hat er aber nicht. Man hätte jedoch den Eindruck ha-ben können, als habe es die WTO-Gespräche usw. garnicht gegeben. Ich kann Ihnen aber versichern – ich habees nachgesehen –: Es war ein Portugiese, der 1500 süd-lich von Salvador da Bahia als erster Ausländer brasilia-nischen Boden betrat.Da wir schon bei dieser Geschichte sind: Sie habenkein Wort dazu gesagt, was eine ordentliche rechtlicheKultur ist, Frau Merkel. Wie stellt man Delegationen zu-sammen? Wie vertritt man die Interessen Deutschlands?Stattdessen hat gestern Herr Brüderle angekündigt – fürdie, die es nicht wissen: Er ist Bundeswirtschaftsminister –,eine Außenwirtschaftsoffensive zu starten. Dies wolle ervornehmlich mit Delegationsreisen tun. Ich sehe nichtein, warum wir das Gleiche zweimal bezahlen sollen.
Wie wäre es denn gewesen, wenn an der Stelle derBundesaußenminister etwas gegen die Zunahme vonRüstungsexporten und gegen die Konzentration auf dasWirtschaftliche statt auf das Ethische bei den Rüstungs-exporten gesagt und getan hätte?
Wie wäre es denn gewesen, Herr Westerwelle, stattZusagen nicht einzuhalten – ich will nur die 420 Millio-nen Euro, die in Kopenhagen zusätzlich versprochenwurden, erwähnen –, wenn Sie dafür gekämpft hätten,dass das in diesem Haushalt umgesetzt wird? Dann hätteman klar sagen können: Jetzt geht es los. Auf dieseWeise wären Sie vielleicht Ihrem Ziel und unser allerZiel näher gekommen, einen Sitz für Deutschland imUN-Sicherheitsrat zu erhalten. Sie bekommen dafürdoch keine Unterstützung, wenn Sie Zusagen nicht ein-halten.
Wie wäre es mit weiteren Aktivitäten in Bezug auf dieUN und Afghanistan? Wie wäre es mit ein bisschen Eu-ropapolitik? Wie wäre es mit Aussagen dazu, wie wirmit einem EU-Währungsfonds umgehen? Was sagen wirzu Griechenland? Frau Merkel, ich habe mich wirklichgefragt: Ist es schon so weit gekommen, dass Sie sichnicht einmal mehr trauen, ein klares Wort zu Ihrem Vize-kanzler und seiner Politik zu sprechen?
Sie haben auch nicht gesagt, wie es mit dem ThemaSteuersenkungen weitergehen soll. Sie reden hier überkommunale Finanzen. Klar ist aber: Beides geht nicht.Man kann nicht die Steuern senken und gleichzeitig be-haupten, die Kommunen hätten genug Geld, um ihrenAufgaben in der Daseinsvorsorge nachzukommen. Daspasst nicht zusammen. Wo war hier das klare Wort derBundeskanzlerin?
Es kam gar nichts, und ich weiß auch, warum. Sie habenmal wieder einen Arbeitskreis gegründet, in dem es– mal wieder – um die FDP geht, die die Gewerbesteuerund damit die Finanzgrundlagen für die Kommunen ei-gentlich abschaffen will.
Zum Thema Gesundheit. Frau Merkel, Sie haben unsein paar Anpassungsprobleme erklärt. Das Anpassungs-problem ist heute aber schon so groß – so hat es dieAOK gestern mitgeteilt –, dass wir im nächsten Jahr zu-sätzliche Probleme im Umfang von 11,6 Milliarden Eurobekommen werden. Sie haben über Anpassung geredet,aber nicht über die Grundstruktur. Die Zukunft diesesLandes wird jetzt organisiert, Frau Merkel. Man mussjetzt sagen, wo es langgehen soll und wie die Leitbilderaussehen sollen.Sie haben ebenfalls nicht gesagt, ob es die Bürgerver-sicherung, die solidarische Versicherung oder wirklicheine Kopfpauschale geben wird. An dieser Stelle habenSie keine Klarheit geschaffen. Frau Homburger, dasglaubt kein Mensch: Angesichts eines so verschuldetenHaushalts wollen Sie mit einer Kopfpauschale – ob sieklein ist oder später immer größer wird – alle Problemeaus dem Bundeshaushalt heraus lösen. Mit einem so ver-schuldeten Haushalt geht das aber nicht. Sie müssen ranan Ihre Klientel und Ihre Lobbyisten. Sie müssen Men-schen haben, die sich für andere Menschen einsetzen.Das Problem ist doch: Wer soll das bezahlen?
Sie reden über Schulden im Haushalt, und zwar nachdem Motto: Wenn es wieder zu mehr Wachstum kommt,dann wird es schon gehen. So viel können wir aber nichtwachsen, wie es nötig wäre, damit sich wieder etwas tut.Wir haben einen Haushalt mit einer Neuverschuldungvon 130 Milliarden Euro. Wer soll das bezahlen? Sie ha-ben mit diesem Haushalt eine Neuverschuldung ohnejegliche Rendite für die Zukunft organisiert. Wer soll dasbezahlen, Frau Merkel? Darüber haben Sie kein Wortverloren.Sie sagen, dass wir mehr Wachstum und mehr qualifi-zierte Leute brauchen. In diesem Land haben wir abereinen Mangel an Fachkräften. Dies ist nicht nur auffehlende Qualifizierung, sondern auch darauf zurückzu-führen, dass durch den Geburtenrückgang immer weni-ger Jugendliche einen Schulabschluss machen. Diesewenigen Schulabgänger bekommen dann aber nur Pre-kariatsjobs. Das soll Ihre Neuverschuldung bezahlen?Das funktioniert doch nicht, schon gar nicht mit Ihrer be-absichtigten Steuersenkung.
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2732 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Renate Künast
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Sie sprachen über Wissen und Bildung. Wie wollenSie das aber finanzieren, Frau Merkel? Das sind ein paarBrosamen in diesem Haushalt, mehr aber auch nicht.Zu den Konsequenzen aus Kopenhagen haben Sie– so mein Eindruck – ebenfalls kein Wort gesagt.Sprechen wir doch einmal über das Problem, das unsderzeit beschäftigt: Herrn Minister Guttenberg undAfghanistan. Auch dazu haben Sie kein Wort gesagt. Wirhaben einen Verteidigungsminister. Das ist ein nicht un-wichtiges Ressort; man denkt zwar immer, man könne esan die Seite schieben, es gibt aber schon Gründe dafür,ein Verteidigungsministerium zu haben. Dieser Ministerschritt richtig schneidig ins Ministerium hinein. Jetztaber sehen wir einen Hochdekorierten nach dem anderenwieder herausschreiten. Ich formuliere das auf netteWeise und erwähne den neuesten Vorfall gar nicht erst.Ich frage aber: Ist das motivierende Politik? Selbst wennsich der Brigadegeneral im Ton vergriffen hat, fragt mansich trotzdem langsam: Hält Herr Guttenberg die Truppeim Ernstfall eigentlich noch zusammen? Sie wundernsich vielleicht, warum jemand von den Grünen dieseFrage stellt. An Ihrem Schweigen merke ich aber, dassSie es sich auch fragen.
Ein anderes sehr ernstes Thema – Sie haben es ange-sprochen, Frau Merkel – ist der Missbrauch von Kin-dern in katholischen Einrichtungen, in einem Chor, instaatlichen Schulen und in privaten Schulen. Ich mussehrlich sagen, dass ich entgeistert war, wie spät dieseRegierung reagiert hat, und ich war und bin entgeistertdarüber, dass sich unter Ihrer Ägide, Frau Merkel, dreiMinisterinnen über runde Tische gestritten haben. Dasist der Verletztheit der betroffenen Menschen nicht ange-messen.
Ich glaube, dass der CDU das C im Wege steht, viel-leicht auch manche Auseinandersetzung, die Sie in derVergangenheit mit der katholischen Kirche hatten, zumBeispiel über die Stammzellenforschung, oder die öf-fentlich geäußerte Kritik auf einer Pressekonferenz vonFrau Merkel.Wir wollen wissen, wer in dieser Regierung die Auf-gabe übernimmt, sich rückhaltlos für die Schutzbefohle-nen, für die Kinder in diesem Lande, einzusetzen. Wersorgt dafür, dass es eine unabhängige Aufklärung durchDritte gibt? Man darf sich nicht auf den Föderalismusbeziehen und auf die Länder verweisen, die für die Schu-len zuständig sind. Ich will nicht hören, dass das Staats-kirchenrecht uns irgendwelche Probleme bereitet. EinKind muss ohne Wenn und Aber den Schutz der gesam-ten Gesellschaft erfahren.
Weil Frau Merkel gestern den Papst gelobt hat, willich auch sagen: Es sind die Kinder, die den besonderenSchutz der Gesellschaft brauchen, und nicht der Papst.
– Ich weiß, was Ihnen unter den Stühlen brennt. Ich kannes gerne wiederholen: Es sind die Kinder und nicht derPapst. Denn es kommt jetzt nicht darauf an, ihn zu loben,dass er etwas richtig gemacht habe. Selbst der Bund derDeutschen Katholischen Jugend spricht von der schwers-ten Krise der katholischen Kirche. Wieso loben wir jetztden Papst?Fangen wir besser an, das zu machen, was Aufgabeeiner Bundesregierung ist, nämlich dafür Sorge zu tra-gen, dass es Entschuldigungen gibt, dass eine unabhän-gige Untersuchung durchgeführt wird und dass auch beiverjährten Fällen öffentlich wird, was war. Das sind wirden Opfern, die heute noch leiden, schuldig.
Sorgen wir dafür, dass es einen Fonds gibt, aus dem maneine Entschädigung für die Vorfälle in der Vergangenheitoder eine finanzielle Unterstützung erhalten kann.Das sind einige Punkte, die Sie heute nicht angespro-chen haben, Frau Merkel, oder die Sie aus meiner Sichtzumindest unbefriedigend oder ein bisschen halbgar an-gegangen sind. Das ganze Durcheinander in dieser Bun-desregierung haben Sie, Frau Merkel, zu verantworten.Man kann in diesem Lande kaum erklären, wofür dieseRegierung eigentlich steht. Ich weiß aber eines: Sie ma-chen Ihre Hausaufgaben nicht, was die zentralen Aufga-ben angeht. Auf dieser Regierung liegt ein dunklerSchatten von Ideenlosigkeit und Klientelpolitik.
Hier und heute müsste dieser Haushalt zeigen, wohindie Reise in Zukunft gehen sollte. Er müsste zeigen, dasswir uns anstrengen, jetzt wirklich etwas anders zu ma-chen. Aber Sie können und wollen das nicht.Jetzt wären die richtigen ökologischen Weichenstel-lungen notwendig, statt die Kosten den nachfolgendenGenerationen oder anderen Menschen auf diesem Glo-bus zuzuschieben. Jetzt geht es darum, die blockierteGesellschaft aufzulösen und die soziale Spaltung unseresLandes zu bekämpfen, statt für Mövenpick den Haushaltauszuwringen und Steuersenkungen für Reiche durchzu-führen.Jetzt ginge es darum, eine vernünftige Energiepolitikzu machen und einen richtigen Innovationsschub auszu-lösen, statt Investoren, Industrie und Mittelstand erst ein-mal wieder monatelang hängen zu lassen.
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Jetzt ginge es darum, die Endlagerfrage, die sich nuneinmal stellt, offen, transparent und vergleichend zu lö-sen, statt sie, wie es Herr Röttgen macht, nach altemRecht zu regeln. Sie kommen mit dem Bergrecht von1983. Wenn ich in der Universität fragen würde, ob dieStudenten noch nach diesem Recht studieren, dann wür-den sie mich entgeistert angucken und mir erklären: Esgibt eine Regelung von 1990. Wir studieren das neueRecht, nicht das alte. – Aber der Bundesumweltministerverwendet das alte Recht, weil es die geringste Bürger-beteiligung vorsieht. Das ist im Jahr 2010 nicht würdig.
Gorleben war ein Ort schwarz-gelber Willkür unterder Regierung Kohl in der Frage, wie entschieden undwas umgesetzt wurde. Gorleben ist politisch für ein End-lager verbrannt. Wir brauchen endlich eine offene undvergleichende Suche mit einer ordentlichen Bürgerbetei-ligung.
Jetzt ginge es um Dinge, die Kosten und Gesundheits-schäden auslösen. Ein Beispiel sind die Laufzeiten derAKWs. Man sollte nicht über Laufzeitverlängerung re-den. Herr Röttgen, Sie haben hier schon schöne, grüneReden gehalten. Sie wurden immer wohlklingender. BeiIhnen fällt mir der Satz mit dem Bettvorleger ein, HerrRöttgen: Als grüner Tiger gestartet, als schwarzer Bett-vorleger gelandet. – Das ist die Wahrheit Ihrer Energie-und Klimapolitik.
Jetzt müsste es darum gehen, eine gute Verkehrspoli-tik für Stadt und Land zu machen. Das Wettrennen umdie Neuerfindung des Autos ist eröffnet. Frau Merkelmacht sicherlich irgendwann wieder einmal einen run-den Tisch oder führt ein Gespräch. Aber wo ist das Kon-zept, das einen Stundentakt für den öffentlichen Verkehrvorsieht und ihm Vorrang einräumt, und zwar hier inDeutschland und nicht irgendwo anders? Wo ist dasKonzept, das das Auto in modernster Form durch An-reizprogramme im Haushalt oder eine andere Kfz-Steuerfördert? Sie organisieren in diesem Haushalt keine Zu-kunft. Sie führen nur hin und wieder Gespräche, damitSie schöne Zeitungsfotos bekommen. Das ist aber für dieZukunft dieses Landes nicht genug.
Sie machen 130 Milliarden Euro neue Schulden ohne ir-gendeine Rendite auf die Zukunft.Ich will Ihnen sagen, was man eigentlich machenmüsste. Man müsste mit Mut und Visionen losgehen,Entscheidungen gegen alte Lobbys treffen und sozusa-gen durch Mauern laufen. Man wird das sicherlich nichtmit ein, zwei Maßnahmen erreichen. Aber man müsstegezielt vorgehen und Einsparungen im Haushalt vorneh-men und gleichzeitig sozial und ökologisch intelligenteInvestitionen tätigen. Das tun Sie nicht. Sie haben mitdem vorliegenden Haushalt vielmehr einen Verschiebe-bahnhof für alte Lobby- und Klientelinteressen geschaf-fen.
Frau Homburger, wir haben uns der Mühe unterzo-gen, alles durchzurechnen. Diejenigen, die rechnen kön-nen, kommen zu dem Ergebnis, dass unser Vorschlag imVergleich zu Ihrem Haushaltsentwurf zu einer um7,5 Milliarden Euro geringeren Verschuldung führte. Soviel Zeit muss sein. Ich weiß nicht, ob Herr Koppelin Sieimmer falsch informiert. Das mag sein.
Schauen wir uns die drei Bereiche Einsparen, Einnah-men und Ausgaben an. Was hieße es, wenn wir eine Re-gierung hätten, die wirklich Mut hätte und sich nicht un-tereinander kloppte und nicht das Theaterstück „Kasperund das Krokodil“ aufführte? Ich weiß nicht, wer wer ist.Aber diese ewige Klopperei hinter dem Vorhang siehtman schon.Schauen wir uns an, wie Einsparungen vorgenom-men werden könnten. Denken Sie an Generationenge-rechtigkeit! Denken Sie an das Klima, über das Sie so oftreden! Warum, bitte schön, fangen wir nicht mit demUmbau hin zu einer ökologischen Dienstwagensteuer an,die dazu führt, dass nicht jedes Auto steuerlich voll ab-gesetzt werden kann, statt tonnenschwere Dienstwagenzu subventionieren? Oder die Ökosteuer. Warum gibt esAusnahmen für die Zementindustrie? Zement ist keinglobal gehandeltes Produkt. Solche unsinnigen Ausnah-men wollen wir streichen.
Oder die Kohlesubventionen. Wir dürfen nicht längerklimaschädliche Technologien mit Milliarden fördern.Oder die in die Milliarden gehenden Forschungsgelderfür die Raumfahrt. Was wollen wir eigentlich auf demMond? Ich sage Ihnen ganz klar: Auch dieses Programmkönnen Sie streichen. Wir Deutsche wollen nicht dieLetzten auf dem Mond, sondern die Ersten sein, die miteinem Elektroauto von Berlin nach München fahren,ohne zwischendurch Strom zu tanken. Das wäre dietechnologische Entwicklung.
Schauen wir uns das Thema Einnahmen genau an.Sie sind für eine Rekordverschuldung verantwortlichund machen sich nicht die Mühe, die Stärkeren mehrLasten tragen zu lassen und diejenigen, die an denFinanzmärkten profitiert haben, ein Stück weit zahlen zulassen; denn Sie haben kein Leitbild und wissen nicht,wie Sie sich die Zukunft dieses Landes vorzustellen ha-ben. Dazu haben Sie keinen Mut. Sie müssen den Spit-zensteuersatz auf 45 Prozent anheben. Sie brauchen eineVermögensabgabe zur Deckung der Schulden aus derFinanzkrise. Es muss Schluss mit dem Gehälterwahn-sinn sein. Man muss den Unternehmen sagen: Nur bis
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Renate Künast
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500 000 Euro darfst du das Gehalt von deinen Betriebs-kosten abziehen. Ansonsten musst du dich vor deinenAktionären rechtfertigen, dass die Ausschüttungen ge-ringer sind. Du kannst nicht auf Kosten des Steuerzah-lers leben.
Wie wäre es zum Beispiel mit einer Finanzumsatz-steuer?Eines muss ich Ihnen, Frau Merkel, wirklich ankrei-den. Sie enttäuschen mich, weil Sie in der letzten Legis-laturperiode mit einem roten Anorak vor einem Glet-scher gestanden und gesagt haben, jetzt gehe es um dasKlima. Wo sind eigentlich die Investitionen in das Öko-logische? Wo zeigt sich an diesem Haushalt Jahre nachIhren Aussagen eigentlich, wie man in Zukunft wirklichgute Klimaschutzpolitik macht und ökologische Inves-titionen tätigt? Wir schlagen einen Klimaschutzfinanz-plan vor; das heißt neue Jobs durch Investitionen inHöhe von zusätzlich 4 Milliarden Euro, einen Energie-sparfonds und ein Anreizprogramm für Elektroautos.Wir schlagen enorme Investitionen in moderne Energie-netze vor. Es reicht doch nicht, hier darüber zu schwa-dronieren, dass man irgendwann im Zeitalter der erneu-erbaren Energien ankommen sollte, sondern man mussin diesem Haushalt die Weichen dafür stellen, und dieWeichen stellt man mit Geld für das Neue und nicht füralte Privilegien.
Sie haben keinerlei gezielte Investitionen für neueJobs und Maßnahmen zur Schaffung von sozialerGerechtigkeit vorgeschlagen. Dabei sagen Sie selber:Bildung ist der Rohstoff der Zukunft. – Wir wollen mehrBetreuungsplätze. Wir müssen die Kommunen finanziellentlasten, damit sie ihren Aufgaben im sozialen Bereichnachkommen können. Deshalb fordern wir, einen höhe-ren Anteil an den Kosten für die Unterkunft zu überneh-men und die Kommunen dadurch zu entlasten. Zum So-zialen gehört auch Würde, und das heißt, die Hartz-IV-Sätze auf 420 Euro anzuheben, damit man davon lebenkann. Einer der Kerngedanken, neben der Bildung unddem sozialen Bereich, ist: gute Löhne, damit sich Arbeitwieder lohnt, nicht Zuverdienst, damit man in den Grau-zonen bleiben kann. – Wir brauchen gute Mindestlöhne,wir brauchen Zuschüsse für die Lohnnebenkosten derGeringverdiener, und wir brauchen Qualifizierung, aberkeinen Zuverdienst.
Schon gar nicht brauchen wir Ihre Sperre an dieserStelle, die dazu führt, dass viele Langzeitarbeitslose mitmultiplen Problemen auf der Straße bleiben.Elf Jahre haben Sie sich auf diese Regierung vorbe-reitet. Das Fazit ist: Schwarz-Gelb ist nicht die Zukunftdieses Landes. Schwarz-Gelb ist immer nur für einigeAuserwählte; aber für die Mehrheit der Kinder und Er-wachsenen dieses Landes ist Schwarz-Gelb eine Politikder leeren Hände.
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält Kollege
Volker Beck.
Frau Kollegin Homburger, Sie haben vorhin ein Zitat
verwendet, in dem Herr Sarrazin und Herr Westerwelle
als Nazis in Nadelstreifen bezeichnet werden. Das ist
eine Formulierung, die natürlich völlig inakzeptabel ist.
Sie haben dabei den Eindruck erweckt, als ob irgendje-
mand auf dieser Seite des Hauses die Verantwortung für
diese Aussage zu tragen hätte. So können wir miteinan-
der nicht umgehen. Sie haben keine Zwischenfrage zu-
gelassen, obwohl viele Kollegen wissen wollten, von
wem das Zitat eigentlich stammt. Deshalb stelle ich Ih-
nen jetzt die Frage: Wer aus diesem Hohen Hause hat
diese Aussage getätigt? Oder: Von wem haben Sie dieses
Zitat? Es ist inakzeptabel – darüber sind wir uns einig –;
aber Sie sollten nicht den Eindruck erwecken, so etwas
sei hier von Kolleginnen und Kollegen gesagt worden,
wenn Sie das nicht belegen können.
Ich habe den Verdacht, dass es die Argumentations-
strategie Ihrer Partei in den letzten Tagen ist, gegen
Popanze zu argumentieren, um berechtigte Kritik an an-
deren Dingen abzuwehren. Jetzt wird so getan, als ob die
politische Kultur von der Opposition dadurch beschädigt
wird, dass sie berechtigte Fragen hinsichtlich des Amts-
verständnisses des Bundesaußenministers und anderer
Kabinettsmitglieder hat. Das reiht sich in die Aussage
des Kollegen Altmaier von heute Morgen in Phoenix
ein, der Minister sei nicht kriminell. Auch das hat nie-
mand behauptet. Herr Westerwelle verteidigt sich selber
mit dem Hinweis, er werde auch in Zukunft Wirtschafts-
vertreter auf seine Auslandsreisen mitnehmen. Niemand
hat bestritten, dass das jeder Außenminister der Bundes-
republik Deutschland tun kann.
Nennen Sie hier bitte Ross und Reiter! Sagen Sie, wo-
her Sie dieses Zitat haben, oder korrigieren Sie den Ein-
druck, vonseiten der Opposition sei jemals eine solche
Äußerung über den Bundesaußenminister gefallen.
Kollegin Homburger, bitte.
Herr Kollege Beck, ich habe hier im Zusammenhangmit den Vorwürfen zum Thema Verfassungsfeindlichkeiteine grundsätzliche Bemerkung über politische Werte in
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Birgit Homburger
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diesem Land gemacht. Ich habe an keiner Stelle behaup-tet, dass ein Kollege dieses Hauses das gesagt habe.
– Herr Poß, ich habe nicht den Eindruck erweckt, dassein Mitglied dieses Hauses das gesagt habe.
Es ist im Zusammenhang mit einer Laudatio auf eineJournalistin bei der Verleihung eines Kultur- und Frie-denspreises von einem Ex-Stern-Journalisten, von HerrnKromschröder, genau dieser Satz gesagt worden:Man trifft sie ja gerade jetzt vermehrt, die Nazis imNadelstreifen, die Sarrazins und Westerwelles …
– Herr Beck, dem ist in dieser Veranstaltung offensicht-lich nicht widersprochen worden.
Der Weser-Kurier hat das einfach so übernommen undunwidersprochen abgedruckt.
Ich habe nur auf Folgendes aufmerksam gemacht:Wenn Demokraten solchen Sätzen in solchen Reden undsolchen Veröffentlichungen nicht gemeinsam widerspre-chen,
dann ist das ein Verlust der politischen Kultur inDeutschland. Dabei bleibe ich.
Das Wort hat nun Volker Kauder für die CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Frau Künast, was Schwarz-Gelb macht, wasSchwarz-Gelb will, das weiß ich auch nicht.
– Bleiben Sie mal ganz ruhig! – Aber ich weiß, dassChristlich-Liberal für dieses Land etwas Richtigesmacht.
Das ist die Zukunft in unserem Land. Wir machen einePolitik, die von Werten geleitet ist, und deswegen redenwir von „christlich“ und „liberal“, Frau Künast. Wir las-sen uns nicht in irgendein Farbgemenge einbinden, vondem Sie glauben, es uns aufmalen zu können.Mir ist in der letzten Zeit aufgefallen, dass in der Op-position ganz bewusst bestimmte Dinge betrieben wer-den. Die Menschen in diesem Land haben Sorgen. Siefragen: Wie geht es weiter?
In meine Sprechstunde kommen Menschen, die wissenwollen: Wird aus Kurzarbeit Arbeitslosigkeit, oder wirdaus Kurzarbeit Arbeit? Darauf hat die Bundeskanzlerinheute in ihrer Regierungserklärung klare Antworten ge-geben.
Da wurde das christlich-liberale Konzept dieser Koali-tion deutlich.
Anstatt darauf zu reagieren, erlebe ich bei Ihnen Dinge,die ich nur als schäbig bezeichnen kann.
Lassen Sie den Bundespräsidenten aus der Tagespolitikheraus! Es ist schäbig, ihn aufzufordern, sich für die An-liegen der Opposition einzusetzen. Gott sei Dank machter dies nicht.
Frau Künast, wir alle wissen, dass es eines derschlimmsten Verbrechen ist, wenn Kinder missbrauchtwerden, vor allem in Einrichtungen, in die Eltern undKinder besonderes Vertrauen haben, dass sie geschütztsind. Es ist richtig, dass die Geschehnisse der Vergan-genheit aufgeklärt werden, und es ist auch richtig, dassüberlegt wird, was gemacht werden kann, damit dies inZukunft nicht mehr passiert. Aber was mich schon be-troffen gemacht hat – Frau Künast, ich dürfte erwarten,dass Sie mir nicht den Rücken zukehren, wenn es umsolche Sachen geht –, war, dass es offensichtlich einigenvon Ihnen nicht um diese Frage geht, sondern um eineAbrechnung mit der Kirche. Dies werden wir nicht zu-lassen.
Ich bekomme Berichte, auch aus meiner Heimat, dasses in katholischen, in evangelischen, in freien Einrich-tungen so etwas gegeben hat. Ich frage mich nicht, wo eswar, sondern ich sage: Jeder Einzelfall ist furchtbar. Wirmüssen aufklären. Die Wahrheit muss auf den Tisch,aber nicht um der Anklage willen, sondern um in Zu-kunft so etwas zu verhindern.
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Volker Kauder
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Das ist es, was die Menschen erwarten: Antworten aufdie konkreten Herausforderungen
und nicht ideologische Auseinandersetzungen.Die Antwort dieser Regierungskoalition auf dieFrage, wie es weitergeht in unserem Land, damit Per-spektiven eröffnet werden, ist ganz klar: Wir müssen da-für sorgen, dass es Wachstum in unserem Land gibt.
Wachstum in unserem Land heißt: neue Chancen. Es istunbestritten, wie mir auch aus der Opposition gesagtwurde, dass wir nicht auf dem aktuellen Niveau bleibenkönnen und wollen, sondern dass wir, wenn wir wiederin die Situation des Jahres 2008 kommen wollen,Wachstum brauchen. Ohne Wachstum werden wir ausKurzarbeitern keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mer machen, die eine Perspektive haben. Deshalb ist esnotwendig, alles dafür zu tun und dafür zu sorgen – dieswird mit diesem Bundeshaushalt auch gemacht –, dassWachstum möglich wird.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Hendricks?
Bitte.
Herr Kollege Kauder, ich bitte um Entschuldigung,
Sie sind jetzt schon bei einem anderen Thema angelangt.
Ich will noch einmal auf den vorherigen Punkt zurück-
kommen: Worin liegt eigentlich der wesentliche Unter-
schied, wenn einerseits der Kollege Oppermann den
Bundespräsidenten um etwas bittet und andererseits die
Frau Bundeskanzlerin den Papst um etwas bittet?
Wenn Sie diesen Unterschied nicht verstehen, dannsollten Sie wirklich einmal zu mir zur Nachhilfe kom-men. Diese Nachhilfe will ich Ihnen gerne geben.
Es ist ganz klar und deutlich festgelegt, welche Rolle derBundespräsident in unserem Land hat. Er hat nicht dieAufgabe, Helfer der Opposition in tagespolitischen Aus-einandersetzungen zu sein. Das ist der Unterschied zwi-schen dem, was Frau Merkel und Herr Oppermann ge-macht haben.
Wir waren bei dem Thema, wie wir Wachstum her-vorrufen. Wachstum wird dadurch erreicht, dass wir Ar-beitsplätze schaffen und erhalten. Dafür wird mit diesemBundeshaushalt die Voraussetzung geschaffen. Es wirdein Zuschuss an die Bundesagentur gegeben, der es er-möglicht, die Beiträge, die wiederum der Bundesagenturzugutekommen, stabil zu halten. Damit sorgen wir dafür,dass Menschen in Arbeit bleiben können. Dafür werden13 Milliarden Euro ausgegeben. In diesem Bundeshaus-halt werden auch die Voraussetzungen dafür geschaffen,dass ein entsprechender Bundeszuschuss im Gesund-heitsbereich geleistet wird. Die Beiträge bei der Arbeits-losenversicherung bleiben in diesem Nochkrisenjahr bei2,8 Prozent. Das entlastet Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer und eröffnet der Wirtschaft Chancen. Diesist eben nur durch diesen Bundeshaushalt und durch diePolitik dieser Regierungskoalition möglich geworden.
Wir eröffnen natürlich auch Perspektiven für diejeni-gen, die Löhne und Gehälter im unteren oder mittlerenEinkommensbereich beziehen, und vor allem für unsereFamilien. Ich muss Ihnen eines sagen: Es war immerPolitik christlich-demokratischer und christlich-sozialerDemokraten, vielfach in Koalition mit der FDP, sich umdie zu kümmern, die Hilfe brauchen bzw. sich aus eige-ner Kraft nicht helfen können. Die allermeisten sozialenGesetze sind unter der Regierungsverantwortung derUnion in diesem Land entstanden, nicht unter der derGrünen. Das wird auch in Zukunft so bleiben.Die Menschen fragen mich doch nicht: Was tut ihr da-für, dass es mir mit Hartz IV möglichst gut geht? Siefragen vielmehr: Was tut ihr dafür, damit ich ausHartz IV wieder in normale Arbeit hineinkommen kann? –Dafür müssen wir etwas tun.
Es gehört zum christlich-liberalen Denken, dass man sel-ber für sich sorgen kann, dass man nicht auf die Hilfevon Ämtern angewiesen ist, dass man nicht als Bittstel-ler auftreten muss; denn das hat etwas mit der Würde desEinzelnen zu tun. Deswegen reden wir darüber, was wirtun können, damit an der Schnittstelle von Hartz IV undnormaler Arbeit immer häufiger Menschen ihrer Würdeentsprechend wieder in Arbeit kommen und nicht inHartz IV bleiben müssen.
Deswegen werden wir natürlich auch über die Frage re-den: Wie kann Hinzuverdienst neu organisiert werden?
Das ist keine ganz einfache Aufgabe. Es geht nämlich nichtausschließlich darum, ob den Menschen statt 100 Euro150 Euro bleiben; denn dann werden die Arbeitsverhält-nisse danach organisiert. Vielmehr ist die Frage zu stel-len: Wie kann der Anreiz größer werden? Darauf werdenwir eine Antwort geben.In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Gysi, habenwir auch Fälle wie den des Mädchens, den Sie angespro-chen haben, im Auge. In ordnungspolitischer Hinsicht istes außerordentlich problematisch, hier einen Hinzuver-dienst in einer bestimmten Größenordnung für zulässigzu erklären, in anderen Fällen aber nicht. Ich möchte,dass ein junger Mensch, der in einer Familie lebt, die
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Volker Kauder
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Hartz IV bekommt, und der nichts dafür kann, dass es soist, die Erfahrung machen kann, dass es sich lohnt, zu ar-beiten.
Hinter dem Ziel, jungen Menschen eine solche positiveErfahrung zu ermöglichen, muss die Ordnungspolitikzurücktreten. Wir werden noch vor der nächsten Som-merpause dazu eine Regelung finden.
In diesem Haushalt bildet sich auch an einem anderenThema eine neue Politik ab, nämlich am Thema Afgha-nistan. Wir machen Politik in Verantwortung für dieEntwicklung in Afghanistan. Das hat wieder etwas mitdem christlich-liberalen Wertekorsett zu tun. Wir wollenmit unserer Arbeit in Afghanistan dafür sorgen, dass dieMenschen in Frieden und Freiheit leben können und dasssie nicht von Terroristen unterdrückt werden. Die Frei-heit, sich selber um seine Anliegen kümmern zu können,ist ein wesentliches Element der Würde des Einzelnen,die wir in Afghanistan für alle Afghaninnen und Afgha-nen durchsetzen wollen.
Deswegen sind wir dort aktiv. Wir wollen noch mehr da-für tun, dass die afghanische Regierung in eigener Ver-antwortung die Sicherheit in diesem Land gewährleistenkann. Dabei hat die Entwicklungszusammenarbeit einebesondere Bedeutung. Ich bin dankbar dafür, dass daraufein Schwerpunkt gelegt worden ist. Aber eines ist auchklar – das muss immer wieder gesagt werden –: Ohnedie Sicherheit durch die Bundeswehr und andere Ein-richtungen wäre die von uns gewünschte Entwicklung indiesem Umfang gar nicht möglich. Entwicklung undneue Chancen in Afghanistan und das Sicherheitsgerüstdurch die Bundeswehr sind zwei Seiten derselben Me-daille.
Dafür haben wir die Voraussetzungen geschaffen.Ich habe vor zwei Monaten an diesem Platz davon ge-sprochen, dass zur Entwicklungszusammenarbeit undzur Außen- und Sicherheitspolitik auch das Thema Reli-gionsfreiheit gehört. Wir machen uns Sorgen darüber,dass die Christen die am stärksten verfolgte Glaubens-gruppe sind. Ich bin außerordentlich dankbar, dass derBundesaußenminister vor dem Menschenrechtsrat inGenf vor einigen Tagen genau diesen Punkt aufgegriffenund erklärt hat, dass Religionsfreiheit ein Teil unsererwertegeleiteten Politik ist. Er hat in diesem Zusammen-hang auf die Lage der Christen hingewiesen. Das verste-hen wir unter einer wertegeleiteten Außenpolitik.
Wenn wir über die Entwicklung unseres Landes re-den, dann schauen wir einen Tag vor dem 20. Jahrestagder ersten freien Volkskammerwahlen natürlich auch aufdie Entwicklung in den neuen Ländern. Wir sehen,dass sich dort unheimlich viel getan hat. In einer groß-artigen Gemeinschaftsleistung von West und Ost bzw.von Ost und West haben wir in den vergangenen 20 Jah-ren dafür gesorgt, dass dieses Land zusammenwächst.Da ist noch einiges zu tun – überhaupt keine Frage. Esgeht natürlich darum, durch Arbeitsplätze Chancen zuschaffen. Es geht auch darum, entsprechende Prozessevoranzutreiben.Ich bin froh über diese gute Entwicklung. Sie hat na-türlich auch etwas mit uns, mit der Union, zu tun. UnserWahlbündnis hat damals 48 Prozent der Stimmen be-kommen. Die Menschen haben sich dann für die deut-sche Einheit entschieden. Sie haben sich auch deswegenfür die deutsche Einheit entschieden, weil einer ihr Ver-trauen gewonnen hat. Deswegen will ich heute sagen:Herzlichen Dank, Helmut Kohl, dem Kanzler der Ein-heit, der bald seinen 80. Geburtstag feiert.
Wir haben in den neuen Ländern neue Entwicklungenvorangebracht, und das wird auch in Zukunft der Fallsein. Das Deutsche BiomasseForschungsZentrum ist inLeipzig, also in den neuen Ländern, angesiedelt. Wirsorgen dafür, dass die Energiegewinnung aus Kohle inden neuen Ländern durch moderne Technologien wiedas CCS-Verfahren möglich wird.Wir haben gesagt, wir steigen in das Zeitalter dererneuerbaren Energien ein. Das machen wir. Das be-deutet aber, dass das Geld, das wir von den Menschen– dieses Geld kommt nicht vom Staat – zur Förderungerneuerbarer Energien verlangen, in einem ausgewoge-nen Verhältnis zum Ergebnis stehen muss.
Deshalb ordnen wir die Solarförderung neu. Wenn ichdurch das Land fahre, habe ich manchmal den Eindruck,dass die Meinung vorherrscht, die Bundesregierung unddiese Koalition wolle die Solarförderung auf null setzen.Absoluter Quatsch! Wir wollen nur, dass nicht 80 Pro-zent der Förderung in eine Energie gehen, die nur einenAnteil von 1 oder 2 Prozent hat. Wir müssen bei derEnergieversorgung breit aufgestellt sein; dafür sorgenwir. Die Solarenergie wird sich auch in Zukunft rechnen.
Frau Künast, ich finde es ein bisschen billig, dass Siehier nur fordern, die Entwicklung bei den erneuerbarenEnergien solle vorangehen. Selbst wenn in einigen Jah-ren die erneuerbaren Energien einen Anteil von 40 Pro-zent haben – was mehr als eine Verdopplung bedeutet –,ist unbestritten, dass noch eine Lücke in der Versorgungder Menschen und der Wirtschaft mit Strom bleibt. Es istdoch richtig, ja notwendig, dass die Bundesregierung einSzenarium rechnen lässt, das aufzeigt, wie es weitergeht,wenn die erneuerbaren Energien einen bestimmten Anteil
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Volker Kauder
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– das können beispielsweise 40 Prozent sein – haben. Esgehört zur Wahrhaftigkeit, zu sagen: Wir werden nochauf absehbare Zeit auf einen Energiemix angewiesensein. Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie. Ge-nauso brauchen wir noch die Kohlekraftwerke. Wie langdie Brücke wird, hängt von den verschiedenen Szenarienab. Aber in der Auseinandersetzung so zu tun, als obman auf absehbare Zeit auf Kohle und Kernenergie ver-zichten kann, ist unwahrhaftig und nicht anständig.
Sie können sich hier nicht einfach hinstellen und sotun, als wenn Sie das, was in der Endlagerfrage jetzt ge-macht wird, nichts angehe.
Ich kann nur sagen: Was Rot und Grün gemacht haben,ist verantwortungslos. Sie haben immer gegen jede Formvon Endlagerung polemisiert. Aber wer aus der Kern-kraft aussteigen will, der braucht ein Endlager. Sie tunso, als wäre die Beantwortung dieser Frage bei dem vonIhnen geforderten Ausstieg aus der Kernenergie nichtmehr notwendig. Sie ist aber zwingend nötig. Bei Ihnengibt es in der Energiefrage nur Ideologie und keine wirk-liche Erkenntnis.
Wir werden uns dieser schwierigen Aufgabe stellen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich willnoch etwas anderes sagen. Mir macht die Art und Weisedes Umgangs miteinander Sorge. Ich bin wirklich nichtzart besaitet.
Ich bin nicht zart besaitet; das weiß jeder.
Ich selbst war über ein Jahrzehnt lang Generalsekretärund habe ausgeteilt und hingenommen. Aber ich sage Ih-nen: Das hat alles irgendwo eine Grenze.
Ich bin sehr dafür, dass man auch einmal pointiert for-muliert. Ich bin sehr dafür, dass man in der Sache hartmiteinander umgeht. Aber was ich in den letzten Tagenan Attacken auf Außenminister Guido Westerwelle er-lebt habe, ist nicht akzeptabel.
Wenn wir bei abgeschalteten Kameras beieinanderste-hen, höre ich aus allen Fraktionen, aus allen Parteien dieKlage darüber, welches Bild wir in der Öffentlichkeit ab-geben und wie die Menschen über uns reden.
Wenn wir aber nicht mit etwas mehr Respekt übereinan-der und über unsere Arbeit hier im Bundestag reden,braucht sich niemand zu wundern, wenn die Menschenso über uns reden.
Deswegen erwarte ich ein bisschen mehr Grips und In-telligenz.
Es darf nicht nach dem Motto gehen: Die absoluteFrechheit siegt. – Das gilt für diejenigen auf der linkenSeite dieses Hauses in besonderer Weise, damit das aucheinmal ausgesprochen ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Bun-desregierung zeigt mit dem vorliegenden Bundeshaus-halt, dass sie den Menschen auf ihre konkreten FragenAntworten gibt, dass sie ihre Sorgen und Ängste ernstnimmt. Wir sorgen dafür, dass es in diesem Land voran-geht. Wir wissen, dass die Bewältigung der Krise nichtin einem Jahr möglich ist. Wir wissen, dass wir dafür ei-nen längeren Atem brauchen. Diesen Atem haben wir.Mit diesem Haushalt müssen wir noch einmal auf die Fi-nanz- und Wirtschaftskrise reagieren.Ab dem nächsten Haushalt müssen wir die Schulden-bremse berücksichtigen. Dann wird es im Hinblick aufdie Beiträge der Opposition in der Haushaltsdebattehochinteressant werden, zu sehen, ob Sie wissen, dassdie Schuldenbremse bedeutet, dass wir nicht Milliardenmehr, sondern mindestens 10 Milliarden Euro wenigerals in diesem Haushalt ausgeben können.
Ich kann Ihnen sagen: Wir nehmen diese Verantwor-tung ernst. Das, was ich von Ihnen gehört habe, lässtmich aber daran zweifeln, dass Sie diesen Weg mit unsmitgehen.Herzlichen Dank.
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Das Wort hat nun der Abgeordnete Bernd Scheelen
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe hier eineEinladung für den 22. April 2010. An diesem Tag wirddem Kollegen Kauder der Titel des Botschafters des Bie-res 2010 zuerkannt. Es ist eben deutlich geworden, wa-rum Sie diesen Titel verdient haben, Herr KollegeKauder.
Das deutsche Bier unterliegt dem Reinheitsgebot. Ichfände es besser, wenn auch Sie Ihre Reden vorher einemReinheitsgebot unterziehen würden; denn ich finde esunverschämt und frech von Ihnen, zu behaupten, die Op-position in ihrer Gänze würde die Kirchen bekämpfen.Für die SPD-Fraktion weise ich diesen Vorwurf ent-schieden zurück.
– Sie haben die Opposition in Gänze angesprochen. Fürdie SPD-Fraktion habe ich diesen Vorwurf zurückgewie-sen. Wir wissen um die Bedeutung der Kirchen, aberman wird über Strukturen in Kirchen und weltlichenEinrichtungen doch wohl noch diskutieren dürfen.Herr Kauder, ich habe volles Verständnis dafür, dassSie das Thema Schwarz-Gelb so vehement in den Vor-dergrund stellen; denn schwarz-gelb ist die Farbkombi-nation der Giftfässer mit Atommüll.
Dass Sie damit nicht in einen Topf geworfen werdenwollen, kann ich verstehen, aber Ihr verzweifelter Ver-such, schwarz-gelb durch die Formulierung christlich-li-beral zu ersetzen, wird nicht funktionieren.
Es hat sich bei den Menschen festgesetzt: Schwarz-gelbist mittlerweile ein Etikett für Pleiten, Pech und Pannen.
Es geht heute darum, nach 140 Tagen Schwarz-GelbBilanz zu ziehen. Die 100-Tage-Bilanz ist noch nicht solange her. Deswegen darf ich Ihnen ein Zitat der Leipzi-ger Volkszeitung vortragen, die zur 100-Tage-Bilanz vonSchwarz-Gelb geschrieben hat: Die Bilanz hat „Stärkenund Schwächen“. Sie führt weiter aus: „Schwarz-Gelbhat schwach angefangen und dann stark nachgelassen.“
Es ist ein vernichtendes Urteil, das die Presse und dieMenschen in Deutschland über Sie gefällt haben.Betrachtet man die ersten 140 Tage schwarz-gelbesKabinett Merkel, dann stellt man sich die Frage: Was istin den 140 Tagen passiert? Was haben Sie bisher bewegt?Was haben Sie auf die Schiene gesetzt? Immerhin sind15 Minister am Werke und etliche Dutzend Staatssekre-täre. Was ist in diesem Hohen Hause in den 140 Tagen he-rausgekommen? Ganze zwei Gesetze. Was für ein Auf-wand für zwei Gesetze! Hinzu kommt, dass das zweiGesetze sind, die Sie besser hätten sein lassen. Das wärefür die Republik deutlich besser gewesen;
denn mit diesen Gesetzen verteilen Sie Steuergeschenkeauf Pump und treiben damit die Schuldenstände auf neueRekordhöhen.Gestern hatte Kollege Barthle – er telefoniert gerade –auch noch die Frechheit, sich hier hinzustellen und dasGanze als ein Gesamtkunstwerk zu preisen. Er sagte:Der Haushalt sei ein Gesamtkunstwerk.
Ich habe mir einmal die Mühe gemacht und im Brock-haus nachgeschlagen, was ein Gesamtkunstwerk ist. Da-rüber gibt es lange Abhandlungen. Ein Beispiel wurdegenannt: Eine politische Utopie könne ein Gesamtkunst-werk sein. Der Haushalt, den Sie vorlegen, ist keine poli-tische Utopie, sondern eine politische Bankrotterklä-rung.
Sie treiben mit diesem Haushalt nicht nur die Bundes-schulden in die Höhe, Sie ruinieren gleichzeitig auchnoch die Länderhaushalte und vor allen Dingen dieKommunalhaushalte. Die Städte und Gemeinden sindin einer schwierigen Situation. Das wird von Dr. GerdLandsberg – er ist der Hauptgeschäftsführer des Deut-schen Städte- und Gemeindebundes – wie folgt zusam-mengefasst: Die Lage der Kommunen ist nicht schlecht;sie ist katastrophal. Er hat recht. Christian Ude, derOberbürgermeister von München, sagt: Unsere Städtebluten aus. Die Oberbürgermeisterin von Frankfurt/Mainund Präsidentin des Deutschen Städtetages sagt: DieStädte liegen auf der Intensivstation. Das sind Äußerun-gen von wichtigen Kommunalpolitikern, nachdem diebeiden Gesetze von Ihnen mit schwarz-gelber Mehrheitdurch den Bundestag gebracht wurden, die dazu führen,dass den Kommunen in diesem Jahr und auch in denkommenden Jahren deutlich weniger Geld zur Verfü-gung steht.Zum sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz.Die Kanzlerin hat vorhin ausgeführt, dieses Gesetz würdeden Namen zu Recht tragen. Das Gesetz trägt den Namennicht zu Recht. Das Einzige, was beschleunigt wird, istdas Wachstum der Schulden. Es ist ein Schuldenwachs-tumsbeschleunigungsgesetz.
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2740 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Bernd Scheelen
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Das sind für die Kommunen jedes Jahr 1,6 MilliardenEuro an Mindereinnahmen. Wenn man davon ausgeht,dass die Länder ihren Anteil an den Defiziten ebenfallsweitergeben, dann sind es 2,5 Milliarden Euro. Dasselbegilt für das Gesetz, das Sie zur Entlastung von Unterneh-men gemacht haben, damit diese ihre Gewinne nunleichter ins Ausland verlagern können. Hier geht es umweitere 700 Millionen Euro minus. Das macht unter demStrich 2,5 bis 3 Milliarden Euro, die die Kommunen al-lein durch Ihre aktuelle Gesetzgebung weniger zur Ver-fügung haben, und das in einer Situation, in der es denKommunen eh schlecht geht; denn sie leiden natürlichwie alle staatlichen Ebenen unter der Finanz- und Wirt-schaftskrise. Das, was weniger zu Buche schlägt, sorgtdafür, dass aus dem positiven Saldo der Kommunen vonknapp 8 Milliarden Euro in 2008 in diesem Jahr ein De-fizit von 12 Milliarden Euro wird. Das ist nur zur Hälfteder wirtschaftlichen Situation geschuldet. Der Rest istdurch Gesetzgebung staatlich verordnet. Daran müssenwir arbeiten. Da muss angesetzt werden. Da müssen wirden Kommunen Beistand leisten.
Statt 8,5 Milliarden Euro für das sogenannte Wachs-tumsbeschleunigungsgesetz auszugeben, hätten Sie bes-ser ein Konjunkturpaket III aufgelegt und damit dasfortgesetzt, was wir mit dem Konjunkturpaket II begon-nen haben. Geben Sie das Geld den Kommunen. Die le-gen es sinnvoll an. Die sorgen für Wachstum vor Ort.Die sorgen dafür, dass Kindertagesstätten gebaut werdenkönnen, dass Schulen und Hochschulen energetisch sa-niert werden können. Da ist das Geld deutlich besser an-gelegt als auf den Konten von Hotelbesitzern und rei-chen Erben.
Die Geschenke, die Sie verteilen, müssen die Men-schen in Städten, Gemeinden und Kreisen bezahlen. Dasist die große Ungerechtigkeit. Wenn demnächst, in Berg-kamen zum Beispiel, die Menschen in ihr Schwimmbadgehen, werden sie zwar froh sein, dass sie noch eines ha-ben, aber sie werden, da die Wassertemperatur deutlichabgesenkt ist, hautnah spüren, wie kalt Ihre Politik denKommunen gegenüber ist.
In Oberhausen werden die jungen Menschen verstehen,was für eine Politik Sie betreiben, wenn die Stadtverwal-tung ihnen sagt: Wir können euch nicht mehr ausbilden.Das ist uns verboten worden, weil wir pleite sind. – InWuppertal wird das Schauspielhaus sehr wahrscheinlichgeschlossen. Das Wuppertaler Schauspiel hat Weltruhmerlangt durch Namen wie Pina Bausch. Der kulturelleAbstieg in Wuppertal ist Folge Ihrer Politik.Aber ich habe auch ein positives Beispiel gefunden:In der Gemeinde Güntersleben – das ist eine kleine Ge-meinde mit etwa 4 000 Einwohnern in der Nähe vonWürzburg – hat es am Wochenende einen Einbruch insRathaus gegeben. 3 500 Euro sind aus der Rathauskassegestohlen worden. Jetzt ist auch diese Gemeinde pleite.
Die Kommunen, meine sehr geehrten Damen undHerren, sind das Fundament der Demokratie und nichtdas Kellergeschoss. Wenn das Fundament Risse be-kommt, dann bekommt auch das Haus Risse, und dieMenschen, die darin wohnen, bekommen Angst.
Die Bundeskanzlerin hat die Vertreter der kommunalenSpitzenverbände zu sich ins Kanzleramt gebeten. Nach-her war zu lesen, es sei ein anregender Gedankenaus-tausch gewesen. Das ist nicht das, was die Kommunenbrauchen. Die Kommunen brauchen Hilfe. Sie brauchenkeine Kaffeekränzchen.
Ein letztes Wort zu Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, undzur Gewerbesteuer, die Sie abschaffen wollen. Das istIhr ganz persönlicher Wortbruch. Sie haben vor demDeutschen Städtetag in Bochum und anschließend vordem Kongress der deutschen Kommunen Folgendes ge-sagt – das darf ich noch eben verlesen –:Das, was ich Ihnen heute zusagen kann, ist, dasswir keinem Druck nachgeben werden, wenn es umdie Frage geht, ob wir an die Gewerbesteuereinnah-men herangehen werden.Das war in Bochum, am 13. Mai 2009. Am 26. Mai2009 haben Sie in Berlin gesagt:Ich habe auf dem Deutschen Städtetag eine Zusagegemacht, die wir auch halten werden. Die Gewerbe-steuer bleibt unangetastet.Das ist Wortbruch. Über Ihrer Koalitionsvereinbarungsollte nicht wie im ersten Satz des Johannesevangeliums„Am Anfang war das Wort“, sondern „Am Anfang warder Wortbruch“ stehen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Hans-Peter Friedrich für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die christlich-liberale Koalition legt in derschwersten Krise, die die globalisierte Weltwirtschaftbisher mitgemacht hat, einen Haushaltsentwurf vor.Es ist schon darauf hingewiesen worden: Die Men-schen in diesem Lande machen sich Sorgen, viele um ih-ren Arbeitsplatz, viele um die Zukunft ihrer Kinder. Ichglaube, es ist unsere gemeinsame Aufgabe in diesem
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Dr. Hans-Peter Friedrich
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Hause, dafür zu sorgen, dass das Vertrauen der Men-schen in unser wirtschaftliches und politisches Systemsowie in die Handlungsfähigkeit all derjenigen, die sichim politischen Bereich bemühen, erhalten bleibt. Deswe-gen fordere ich Sie von der Opposition auf, persönlicheDiffamierungen gegenüber Mitgliedern der Bundesre-gierung zu unterlassen.
Es besteht kein Zweifel: Wir hatten vor einigen Jah-ren noch die Hoffnung, dass wir im Jahr 2011, vielleichtsogar im Jahr 2010, einen ausgeglichenen Haushalt er-reichen könnten. Wir hatten in der Föderalismuskom-mission – Herr Kollege Poß, die FDP war beteiligt – da-mals diese Vorstellung. 2008 wurde durch die Krisealles anders. Alles war Makulatur. Die Zahlen habennicht mehr gestimmt; denn die Steuereinnahmen sindeingebrochen, die Ausgaben für Arbeitslosigkeit sindgestiegen, und Konjunkturpakete und Wachstumsbe-schleunigungsgesetze mussten finanziert werden.In dieser Situation stellt sich die Frage nach unserenGrundsätzen. Unsere Grundsätze, mit denen wir Politikgestalten wollen, um das Land aus der Krise zu führen,heißen: Wir wollen das Potenzial unseres Volkes aus-schöpfen. Wir wollen das Potenzial unserer Wirtschaftnutzen. Wir wollen die Substanz erhalten. Wir wollendie Menschen dazu ermutigen, gemeinsam anzupacken,um aus dieser Krise herauszukommen.Wir haben einen Haushalt vorgelegt, der eine Balanceschafft zwischen einer Entlastung der Bürger – erste Steu-ersenkungen haben wir zu Beginn dieses Jahres durchge-führt; insgesamt sollen die Bürger fast 25 MilliardenEuro mehr in den Taschen haben – und der Möglichkeitfür öffentliche Investitionen. Auch das ist in diesemHaushalt realisiert worden. Im Übrigen, Herr KollegeScheelen, sind wir mit den Kommunen im Gespräch.Wir haben eine Kommission für eine Gemeindefinanzre-form eingesetzt, weil wir die schwierige Situation unse-rer Kommunen sehen und diese Schwierigkeiten ge-meinsam mit den Kommunen lösen wollen.
Ich danke den Haushältern dafür, dass sie einen wei-teren wichtigen Schwerpunkt in diesem Haushalt gesetzthaben. Sie haben klargemacht: Wir wollen und werdensparen. Vielen Dank den Haushältern für die Arbeit, diesie in den letzten Wochen oft in nächtelanger Arbeit leis-ten mussten!
Das hebt sich von den vielen unrealistischen Forderun-gen in Milliardenhöhe, die von roter und grüner Seite ge-stellt werden, wohltuend ab.
80 Milliarden Euro Neuverschuldung, das sind im-merhin 5 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes, alsoall dessen, was in diesem Land produziert wird. Das istnicht wenig und vor allem mehr als das,
was im Stabilitätspakt der Länder, die der Eurozone an-gehören, vorgesehen ist.
Ein Blick auf unsere internationalen Partner und Freundezeigt, dass es den anderen noch schlechter geht: Netto-neuverschuldung in Frankreich 8,2 Prozent, in Großbri-tannien 12,9 Prozent und in den USA 13 Prozent – inDeutschland 5 Prozent.
So schlecht stehen wir also nicht da.Die wichtigste Botschaft für die Menschen ist, dassder Arbeitsmarkt stabil bleibt.
Ich möchte an dieser Stelle einen ganz herzlichen Dankan die Tarifpartner richten, die bisher verhandelt habenund deutlich gemacht haben: Die Sicherung von Be-schäftigung und Arbeitsplätzen steht jetzt an allerersterStelle vor allen anderen Forderungen.
Aber, meine Damen und Herren, die Krise ist nichtvorbei. Eines steht schon heute fest: Wir werden Jahrebrauchen, um auf das Produktionsniveau von 2007, alsoder Zeit vor der Krise, zurückzukommen. Das RWI hatheute Vormittag die jüngsten Konjunkturprognosen nachunten korrigiert. Es wird nicht einfach werden. Deswe-gen ist es wichtig, dass wir die Leitlinien der christlich-liberalen Politik noch einmal deutlich machen.Erstens. Die Kraft dieses Volkes und dieser Wirtschaftliegt im Mittelstand. Wir unterscheiden uns in dieserFrage von einigen anderen Ländern, zum Beispiel vonunseren Freunden in Frankreich, die auf Großstrukturen,auf Großindustrie setzen. Deswegen sind wir sehr skep-tisch, wenn es darum geht, eine Wirtschaftsregierung aufeuropäischer Ebene zu installieren. Wir sagen: Wir las-sen uns von europäischer Ebene nicht die Großstruktu-ren der anderen Länder aufdrücken. Wir in Deutschlandsind seit vielen Jahrzehnten mit unserer Struktur erfolg-reich und brauchen keine Belehrung von anderen.
Ich will die Bundesregierung in ihrer Ablehnung undkritischen Haltung gegenüber der EU-Strategie 2020 be-stärken, die ebenfalls darauf abzielt, wirtschaftspoliti-sche, finanzpolitische, bildungspolitische und sozialpoli-
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tische Gleichmacherei in Europa zu betreiben. UnserWiderstand dagegen ist sicher, und wir unterstützen dieBundesregierung in ihren Bemühungen.Die zweite Leitlinie, die für uns von größter Bedeu-tung ist: Die Menschen haben auch deswegen Vertrauenin diesen Staat und in dieses Land, weil sie Vertrauen indie Stabilität unserer Währung haben. Das ist die zen-trale Herausforderung, der wir uns stellen: die Stabilitätunserer Währung aufrechtzuerhalten. Denn ein schwa-cher Euro hilft nicht, vor allem führt er nicht zu mehrWettbewerbsfähigkeit.Wer auch immer das Märchen erzählt, die Schwächedes Euro gegenüber dem Dollar sei gar nicht so schlecht,weil sie zu Konjunkturimpulsen führe, dem sage ich: Ja,das ist richtig, aber nur für eine sehr kurze Frist. AufDauer schadet das der Wettbewerbsfähigkeit, weil nurwenig später Öl und alle anderen Rohstoffe, die wir fürdie Produktion brauchen, teurer werden und letzten En-des eine Spirale der Inflation, auch im Innern, in Ganggesetzt wird. Diese Inflation zu verhindern und sie schonim Ansatz zu bekämpfen, das ist für uns das wichtigsteThema. Denn Inflation bedeutet Enteignung unsererBürger, und dabei werden wir nicht mitmachen.
Unsere dritte Leitlinie lautet schließlich: Die Sozial-abgaben auf Löhne und Gehälter in diesem Land dürfennicht steigen. Wir haben mit dem Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetz in der vorletzten Woche eine wich-tige Weichenstellung vorgenommen. Ich denke, die Leit-linien für die nächsten Jahre müssen lauten: keine Erhö-hung der Sozialabgaben zulasten der Bevölkerung, mehrNetto vom Brutto – das lässt sich an genau dieser Stellerealisieren – und keine Erhöhung der Lohnnebenkostenzulasten von Beschäftigung in diesem Land. Es kannund darf nicht sein, dass in jeder für die Sozialsystemeschwierigen Situation Beschäftigung vernichtet und eineSpirale nach unten, zulasten der Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer sowie der Wirtschaft, in Gang gesetztwird.Die vierte wichtige Leitlinie: Wir bekennen uns zursozialen Marktwirtschaft als der Wirtschaftsordnung derFreiheit. In diesem Zusammenhang ist der Fokus nichtnur auf die Leistungsfähigkeit des Einzelnen zu legen,sondern auch auf die soziale Verantwortung. Die Sozial-staatsdebatte wurde in den letzten Wochen und Monateneröffnet, nicht zuletzt auch durch das Urteil des Bundes-verfassungsgerichts zu Hartz IV.Wir haben aufgrund dieses Urteils ein Problem, dasuns immer wieder, auch in der Sozialstaatsdebatte, be-gegnet. Ich hoffe, dass sich alle Fraktionen dieses Hau-ses einig sind, dass derjenige, der arbeitet, mehr habenmuss als derjenige, der nicht arbeitet; ich hoffe, dass we-nigstens in diesem Punkt Konsens besteht.
Wenn das so selbstverständlich ist, sehen wir an dieserStelle ein großes Dilemma, in dem wir stehen. Es istnämlich so, dass ein Hartz-IV-Empfänger die volle De-ckung des Bedarfs seines Kindes aus staatlichen Mittelnbekommt, während derjenige, der arbeiten geht, nur ei-nen Zuschuss in Form von Kindergeld bekommt.
Meine Damen und Herren, je mehr Kinder in einerFamilie sind, desto weiter entwickelt sich dieser Abstandbeim Einkommen auseinander, und zwar zulasten derje-nigen, die arbeiten, bzw. zugunsten derjenigen, die nichtarbeiten.
Um aus dieser Situation herauszukommen, gibt es nureine einzige Möglichkeit – sie ist heute schon angespro-chen worden –:
Wir müssen mehr Leistungen für alle Kinder, vor al-lem im Bildungsbereich, zur Verfügung stellen. Wir wol-len nicht nur über die Kinder von Hartz-IV-Empfängernreden, sondern wir müssen über alle Kinder reden.
Wir sind es allen Kindern schuldig, optimale Vorausset-zungen für Bildung zu schaffen.
Dazu gehört, dass die Kinder eine ordentliche Ernäh-rung bekommen, dass sie sich bewegen, dass sie einemusikalische Ausbildung angeboten bekommen unddass sie individuell gefördert werden. Wenn wir esschaffen, an dieser wichtigen Schnittstelle zwischen Bil-dungspolitik – in Klammern: Ländersache – und Sozial-und Gesellschaftspolitik – in Klammern: Aufgabe desBundes – ein wichtiges Zeichen zu setzen, indem wirmehr Geld für unsere Kinder, und zwar für alle Kinder,zur Verfügung stellen, wird es uns auch gelingen, dasProblem des Lohnabstands bzw. des Abstands zwischenden Sätzen für Kinder aus Hartz-IV-Familien und denZuschüssen für Kinder aus Arbeitnehmerfamilien zuverringern. Mir scheint, das ist ein entscheidender Punkt,über den wir in den nächsten Monaten diskutieren müs-sen.Meine Damen und Herren, wenn Sie gestern einenBlick in die Zeitungen geworfen haben, mussten Sie ver-muten, sich in einer verkehrten Welt zu befinden:Deutschland wird beschuldigt, an der Schuldenkrise inEuropa schuld zu sein, weil die Deutschen mehr arbei-ten, fleißiger sind, weniger ausgeben, mehr sparen.
Europa insgesamt wird nicht wettbewerbsfähiger, Eu-ropa insgesamt steht nicht besser da, wenn den Stärks-
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ten, nämlich den Deutschen, verordnet wird: Ihr dürftnicht mehr fleißig sein, ihr dürft nicht mehr sparsamsein. Deswegen rufen wir den Europäern zu, dass wir dieLinie, die wir in Deutschland fahren, unsere erfolgreichePolitik, auch in dieser Frage fortsetzen werden.
Lassen Sie mich ein letztes Wort zu all denen sagen,die auf schamlose Weise in den Wohlstand der Men-schen in ganz Europa hineingegriffen haben, nämlich zuden Finanzspekulanten an den Märkten.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende. – Wir werden uns von den Lob-
byisten der Finanzbranche – europa- und weltweit –
nicht in die Knie zwingen lassen.
Wir sagen den Lobbyisten: Wir werden all denen Fesseln
anlegen, die in der Vergangenheit zulasten der Bevölke-
rung in Europa und in der Welt geaast haben. Notfalls
werden wir auch nicht davor zurückschrecken, die soge-
nannten innovativen Produkte, die letzten Endes nur zur
Spekulation und zum Zocken dienen,
zu verbieten.
Meine Damen und Herren, diese Regierung sieht die
großen Herausforderungen, und sie packt diese Heraus-
forderungen an. Der Haushalt, der vorgelegt wurde, be-
weist das.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Petra Merkel für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kultur ist nicht alles;aber ohne Kultur ist alles nichts – das merken im Augen-blick viele Kommunen, deren Steuereinnahmen dras-tisch zurückgehen. Wir aus dem Kulturbereich habenden Eindruck, dass in erster Linie sofort an der Kulturgespart wird.Die SPD-Fraktion hat sich überlegt, wie man von derBundesebene Kommunen unterstützen kann. Ich habeim Haushaltsausschuss den Antrag gestellt, die Mittelfür die Kulturstiftung des Bundes um 2 Millionen Eurozu erhöhen, um kleine Projekte in der Fläche zu organi-sieren. Dadurch würden die Kommunen unterstützt.Diese Chance wurde vertan, weil die Regierungsfraktio-nen, Schwarz-Gelb, Nein gesagt haben. Das ist schade;denn das wäre ein Ansatz gewesen, wie wir ein wenighätten unterstützen können.Einige der Ideen, die die schwarz-gelbe Koalition ein-gebracht hat, haben wir zum Teil unterstützt. Die Ideensind da; allerdings fehlen häufig entsprechende Konzep-tionen. Ich will das Zeitzeugenbüro und die Begeg-nungsstätte der Bundesstiftung zur Aufarbeitung derSED-Diktatur, ein Projekt von 600 000 Euro, anspre-chen. Das ist eine gute Idee; aber das Konzept mussnachgeliefert werden. Hier wäre eine Sperre angebrachtgewesen, wie sie in einem anderen Haushalt – bei Arbeitund Soziales – verhängt worden ist. Hier ist wegen derschwarz-gelben Politikerinnen und Politiker eine solcheSperre gar nicht erst eingerichtet worden. Wir brauchenaber, wie gesagt, ein Konzept für dieses Projekt, bevorGeld fließt.Ebenso ist es bei der kulturellen Vermittlung: DerAnsatz ist gut; aber es fehlt auch hier ein klares Konzept.Das ist schade; denn das hätten wir gut hinbekommenkönnen.Ich will zu einem Punkt kommen, der uns von der Op-position geärgert hat. Nicht nur mich, sondern auchStaatsminister Neumann hat der Vorstoß seiner Partei-oder Parlamentskollegen überrascht, ja, überfahren, dieMittel für die Rundfunk-Orchester und -Chöre GmbH,roc, zu kürzen. Das haben wir durch eine vereinte Ak-tion im Ausschuss verhindern können. Es war schließ-lich gerade ein gutes Verhandlungsergebnis mit einerleichten Erhöhung der Mittel für die roc erreicht worden.Dadurch konnte etwas befriedet werden, was jahrelangschwierig war. Da rumst es jetzt. Wir waren alle ziem-lich unglücklich, auch Staatsminister Neumann. We-nigstens konnten wir verhindern, dass die schwarz-gelbeKoalition die Mittel kürzt. Stattdessen ist erst einmaleine Sperre verhängt worden. Jetzt sind Sie an der Reihe,Herr Staatsminister. Sie müssen klarstellen, wie es mitder roc weitergehen soll. Sie müssen klarstellen, ob dieExistenz der Orchester aufs Spiel gesetzt werden sollund die Chöre den Bach heruntergehen sollen. Ich sageIhnen: Das wäre ein Armutszeugnis. Viele haben mir zu-gestimmt.Ja, die roc ist eine ungewöhnliche Konstruktion, si-cherlich auch dem Mauerfall geschuldet. Sie ist ein Teilder Geschichte dieser Stadt und dieses Landes. Aller-dings sind Veränderungen nicht tabu; das haben wir auchin vorherigen Zeiten immer gesagt. Ich finde aber, esmuss jetzt politisch klargestellt werden, was passierensoll. Deswegen erwarte ich von Ihnen, Herr Staatsminis-ter Neumann, dass Sie sich vehement gegen die unsinni-gen Pläne stellen, mit der die vier Klangkörper in ihrerExistenz gefährdet werden. Dabei haben Sie unsere Un-terstützung.
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Petra Merkel
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Ich komme zu einem anderen Thema. Ein großesPotenzial in der Bundesrepublik hat der Bereich derFilmförderung. Immerhin umfasst dieser Bereich über100 Millionen Euro. Die Filmförderung hat viele Im-pulse gesetzt. Es wird immer deutlicher, dass viele wich-tige internationale und nationale Produktionen und Ko-produktionen in Deutschland entstehen. Dadurch werdenArbeitsplätze geschaffen und Impulse gesetzt. Es trans-portiert auch ein positives Bild von Deutschland nachaußen.Die Berlinale zeigt jedes Jahr aufs Neue, dass Gla-mour in der Hauptstadt Berlin eine Sogwirkung hat, abernicht nur für die Stadt, sondern auch für die Bundesrepu-blik insgesamt; denn der rote Teppich, auf dem sich dieSchauspielerinnen und Schauspieler, die Producer, dieRegisseure und die Drehbuchautoren bewegen, die Sto-rys, die die Illustrierten schreiben, sind eben nur ein Teil.Die Filmförderung bedeutet auch Arbeitsplätze fürDeutschland. Die Filmwirtschaft ist ein großer wichtigerTeil der Kreativwirtschaft und ständig im Wachsen be-griffen. Die Mittel hierfür sind gut angelegtes Geld.Wir haben auch einen neuen Schwerpunkt unterstützt.Er betrifft viele von uns, auch Sie, liebe Kolleginnen undKollegen: In den Wahlkreisen gibt es viele kleine Kinos.Ihnen steht die Digitalisierung ins Haus. Sie können sieaber nicht umsetzen, weil dafür einfach die Mittel feh-len. Es ist gelungen, für dieses Jahr 4 Millionen Euround noch einmal 2,5 Millionen Euro für die beidennächsten Jahre einzustellen. Wir hätten uns zwar 7 Mil-lionen Euro gewünscht, aber sei es drum. Richtig ist: Eswird mit der Digitalisierung begonnen werden können.Allerdings fehlt auch dort ein Konzept. Dazu brau-chen wir den Bund. In dem entsprechenden Haushaltsind dafür die Mittel eingestellt. Hinzu müssen ein Bei-trag der Länder und ein Beitrag der Branche kommen.Das würde die kleinen Kinos wirklich unterstützen. Kino-ketten können die Digitalisierung alleine finanzieren.Kleine Kinos, Programmkinos brauchen hier unsere Un-terstützung.
Herr Staatsminister, ich möchte Sie bitten, den Wirt-schaftsminister davon zu überzeugen, dass er Fördergel-der aus seinem Etat bereitstellt. Das wäre eine wahreMittelstandsförderung und wäre in dieser gemeinsamenKonstellation eine sinnvolle Aktion.
Die Fraktion der SPD wird in Kürze einen Antrag in die-ser Richtung vorlegen.Zum Schluss möchte ich für eine gute konstruktiveZusammenarbeit ganz herzlichen Dank sagen. Bei unsallen gibt es unterschiedliche Ansätze, aber im Kulturbe-reich funktioniert die Zusammenarbeit in der Regel nochimmer gut.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Wolfgang Börnsen für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Nach Ihrer Rede, Frau Merkel, glaube ich schon, dasswir diese Dinge gemeinsam voranbringen. Kultur schafftLebensfreude. Sie ist sinnerfüllend. Kultur brauchen wir.Auch in dieser Legislaturperiode gehören Kultur undMedien weiter zum Etat des Bundeskanzleramtes. Siesind damit Chefsache. So sollte es bleiben.
Weniger Wachstum, weniger Steuern und wenigerfreie öffentliche Mittel bedeuten auch für die Kulturneue Herausforderungen. Nicht Klagen helfen, sondernneue Konzepte! Die Finanznot ist besonders bei denStädten und Gemeinden dramatisch groß. Die von derBundesregierung jetzt beschlossene Gemeindefinanz-kommission will eine grundlegende Verbesserung derkommunalen Haushalte erreichen. Das hilft der Daseins-vorsorge vor Ort und gewährt gleichzeitig Mittel fürKultur und Bildung. Diese Regierungsentscheidung ver-dient die Unterstützung des gesamten Parlamentes, weilsie Investitionen für die Kultur ebenso gewährleistet wieArbeitsplatzsicherheit für Kulturschaffende.Mit dem Wissen um diese Reformperspektive appel-liere ich an alle Verantwortlichen von Flensburg bisKonstanz, bei der Kultur jetzt nicht zu kürzen. Wer nichtwill, dass aus der wirtschaftlichen eine gesellschaftlicheKrise wird, der muss das Gegenteil tun, nämlich die Kul-tur jetzt stärken.
In einer Epoche zunehmender Globalisierung wird durchsie Orientierung für den Menschen und ein Zusammen-halt unserer Bürgergesellschaft gestiftet.Seit der Schaffung des Grundgesetzes vor 60 Jahrennach einer menschenverachtenden NS-Diktatur prakti-zieren wir in Deutschland-West ein Kulturverständnismit den Elementen Freiheit, Vitalität und Vielfalt. Seitjetzt 20 Jahren gilt diese Ausrichtung auch für Deutsch-land-Ost. In den 40 Jahren DDR war es anders. Da galtdie Weisung Otto Grotewohls, der auf den Tag genau vor59 Jahren, am 17. März 1951, erklärte:Literatur und bildende Künste sind der Politikuntergeordnet … Die Idee der Kunst muss derMarschrichtung des politischen Kampfes folgen.Diese Art von Bevormundung gibt es nicht mehr, und siedarf es in Zukunft auch nicht mehr geben.
Die letzten fünf Jahre waren mit die besten Kultur-jahre für Deutschland. Daran haben alle Fraktionen ihrenAnteil. Fast 6 Milliarden Euro sind durch den Bund ini-
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Wolfgang Börnsen
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tiiert worden. Allein 2010 werden es 1,2 Milliarden Eurosein. So hoch war der Etat noch nie. Das bedeutet eineSteigerung in fünf Jahren um über 12 Prozent und isteine Erfolgsgeschichte, an der einer unserer Kollegen ei-nen besonders hohen Anteil hat, nämlich StaatsministerBernd Neumann, ein Christdemokrat.
Doch auch Kürzungen hat der Haushaltsausschussvorgenommen, so unter anderem bei der Kulturstiftungund bei der Deutschen Welle – mit Skepsis in Bezug aufderen Ausgabenpolitik. So geht das nicht. Im Fachaus-schuss müssen wir uns damit dringend auseinanderset-zen.Bei der Kulturförderung durch private Hände liegtDeutschland gemeinsam mit der Schweiz an der Spitze.Allein Unternehmen bei uns geben jährlich 350 MillionenEuro für das Kultursponsoring aus. Die christlichen Kir-chen sind mit 3 Milliarden Euro dabei, und 16 000 Stif-tungen sorgen mit Fördergeldern in Höhe von 4 Milliar-den Euro auch für die Kultur. Das sind Beiträge, dieAusdruck eines vorbildlichen Bürgerengagements sind.Wir sollten das im besten Sinne unterstützen.
Erfolgversprechend ist auch die Kultur- und Kreativ-wirtschaft, die mit 830 000 Arbeitsplätzen ein Arbeits-und Wachstumsmotor ersten Ranges ist. Wir werden ihrweiter eine Zukunft geben.Das gilt auch für die Breitenkultur. Wir als Unionwollen Kultur für alle und Kultur von allen gefördertwissen. Hoch-, Breiten- und Soziokultur: Alle drei ha-ben einen Anspruch auf Anerkennung und Förderung.Die Kultur gibt es nicht nur in den großen Häusern.Auch alle nicht professionellen Initiativen – Kultur aufdem Lande, die kulturelle Bildung – dürfen nicht zu kurzkommen. Sie alle sind im Kulturhaushalt berücksichtigt;er ist entsprechend ausgerichtet. So muss es auch blei-ben.Wir sind in Europa mit Gesamtausgaben von 12 Mil-liarden Euro an der Spitze bei den Investitionen in dieKultur. Das ist ein Wort. Wir sind ein Kulturland, undwir wollen das auch in Zukunft bleiben.Herzlichen Dank.
Jetzt hat Kollegin Lukrezia Jochimsen für die Frak-
tion Die Linke das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Herr Kollege Börnsen, ja, das ist weiß Gott dieParole der Stunde: die Kultur jetzt stärken. – Wie siehtaber die Umsetzung dieser Parole in der Wirklichkeit un-seres Landes im Moment eigentlich aus?Wegsehen und Weghören: Das sind Haltungen, durchdie einer demokratischen Gesellschaft ein schwererSchaden zugefügt wird. Auf Regierungsebene und aufnationaler Ebene wird in Sachen Kultur im Moment aberweggesehen und weggehört, und das, obwohl uns jedenTag neue Hilferufe aus den Kommunen erreichen: Re-korddefizite, Schulden, Sparpläne und die Folgen für dieKultur. Vorgestern ging es um die Theaterschließungenim Ruhrgebiet, gestern um das Verschwinden kleiner Bi-bliotheken und heute um Museen, die ihre Öffnungszei-ten verkürzen müssen.Was macht die Regierung? Die Regierung hat eineKommission zur Erarbeitung von Vorschlägen zur Neu-ordnung der Gemeindefinanzierung eingesetzt – derKollege Börnsen hat sie uns gerade in warmen Wortengeschildert –: die Gemeindefinanzkommission. Waswird dieser Kommission von vornherein aufgetragen?Ihre Aufgabe ist es,… darauf zu achten, Aufkommens- und Lastenver-schiebungen insbesondere zwischen dem Bund aufder einen und Ländern und Kommunen auf der an-deren Seite zu vermeiden.Das heißt aber, dass alles bleibt, wie es ist. Es wird alsoweggesehen und weggehört. Wer die Finanzgrundlagender Kommunen prinzipiell verändern will – das wollenzum Beispiel wir von der Linksfraktion –,
darf auf die Ergebnisse dieser Gemeindekommissionnicht warten und muss einen anderen Weg einschlagen.Für wen die Kultur in einem umfassenden Sinn zurDaseinsvorsorge gehört – dazu gehören wir auch –, darferst recht nicht auf diese Kommission setzen. Wer jetztnicht wegsehen und weghören will, muss etwas anderestun und jetzt helfen.
Im Art. 104 b des Grundgesetzes heißt es, der Bundkann … im Falle von Naturkatastrophen oder au-ßergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kon-trolle des Staates entziehen und die staatlicheFinanzlage erheblich beeinträchtigen, auch ohneGesetzgebungsbefugnisse Finanzhilfen gewähren.Von dieser außergewöhnlichen Notsituation ausgehendfordert die Fraktion Die Linke ein Sofortprogramm desBundes in Höhe von 1 Milliarde Euro für den Erhalt un-serer kulturellen Infrastruktur.
Allen Kritikern halte ich entgegen: Wenn Sie diesenWeg für nicht gangbar halten, dann machen Sie etwasBesseres. Aber machen Sie etwas! Sagen Sie nicht im-mer nur, was Sie nicht können, sondern fangen Sie end-
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Dr. Lukrezia Jochimsen
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lich an, mit Ländern und Kommunen darüber zu verhan-deln, was möglich ist. Irgendetwas muss schließlichmöglich sein. Denn wir müssen aus dieser Situation he-rauskommen. Speisen Sie die Bürgerinnen und Bürger,die um ihre Theater, Museen, Büchereien, Mal- und Mu-sikschulen kämpfen, nicht einfach mit Hinweisen auf in-vestive Maßnahmen ab. Neue Theater und neue Museensind schön, aber lebendige Kultur sind sie nur dann,wenn Menschen in ihnen Kultur für Alt und Jung, fürArm und Reich schaffen können. Dies zu gewährleisten,verlangt wirkliche Investition.
Die Linksfraktion fordert eine grundlegend verän-derte Finanzierung unserer ausgeraubten Kommunen.Wir brauchen außerdem Überlegungen dazu, was eigent-lich zu den Pflichtaufgaben und zu den freiwilligenAufgaben einer Kommune gehört. Wieso gehörenBibliotheken nicht zu den Pflichtaufgaben einer Kom-mune? Diese Frage konnte mir noch nie jemand wirklichbeantworten.
Wir plädieren an dieser Stelle im Übrigen für mehr di-rekte Demokratie und wirkliche Selbstverwaltung inden Kommunen. Durch Bürgerbefragung und Bürgerbe-teiligung sollen Bürger mitentscheiden können, was imDorf, in der Kleinstadt oder im Stadtteil gebraucht wird.Überall vor Ort mehren sich die Proteste gegen den Kul-turabbau. Überall erkennen die Menschen – gerade in Zei-ten des derzeit drohenden Verlusts –, wie wichtig Kulturfür sie und ihre Kinder ist. Es waren verschiedene Bun-desregierungen, die die Kommunen in diese Not ge-bracht haben. Insofern ist nun der Bund in der Verant-wortung. Er darf die Kultur insgesamt nicht durcheinfaches Wegsehen und Weghören beliebig zur Disposi-tion stellen.Danke schön.
Das Wort hat nun Reiner Deutschmann für die FDP-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Altbundespräsident Richard vonWeizsäcker hat über die Kultur gesagt:Unsere Kultur ist gewachsen wie ein kräftiger, viel-gestaltiger Mischwald. Er leistet seinen Beitrag zurlebensnotwendigen Frischluft.Damit spricht er aus, was für uns alle eigentlich selbst-verständlich sein sollte. Leider muss aber gerade dieKultur immer wieder um ihre Finanzierungsgrundlagenkämpfen. Sie muss gestärkt werden. Deshalb sollte dieKultur zur Pflichtaufgabe der Länder und Kommu-nen werden, wie es in Sachsen der Fall ist.
Wer die Axt an die Wurzeln der Kultur anlegt, riskiertdauerhafte Schäden für unsere gesellschaftliche undwirtschaftliche Entwicklung. Ich bin deshalb froh, dasses der Koalition gelungen ist, einen soliden und verläss-lichen Bundeskulturetat vorzulegen.
Der Etat des BKM steigt in diesem Jahr noch einmaldeutlich, und das, obwohl wir uns in einer der stärkstenWirtschaftskrisen befinden, die unser Land in den letzten60 Jahren bewältigen musste.Dieser Etat ist ein starkes Signal an die Kulturschaf-fenden sowie an alle Bürgerinnen und Bürger. Auch inZeiten knapper Kassen erweist sich der Bund als verläss-licher Partner. Kulturförderung hat für uns Liberalehöchste Priorität.
Aus diesem Grund sind wir besonders stolz, dass es unsquasi in letzter Minute gelungen ist, zusätzlich rund5 Millionen Euro bereitzustellen. Damit wächst der Kul-turetat gegenüber dem Vorjahr um insgesamt 22 Millio-nen Euro. Das entspricht einer Steigerung von 2 Prozent.Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Koalitionsver-trag haben Union und FDP die Aufarbeitung der SED-Diktatur zu einem Aufgabenschwerpunkt der 17. Wahl-periode gemacht. Gerade im 20. Jubiläumsjahr der fried-lichen Revolution und des Mauerfalls dürfen die Folgender SED-Diktatur nicht verharmlost oder vergessen wer-den.
Mit der Einrichtung eines Zeitzeugenbüros und einerBegegnungsstätte zur Aufarbeitung der DDR-Diktatursetzt die Koalition diese Vorgabe gleich mit dem erstenHaushalt dieser Legislaturperiode um.
In beiden Einrichtungen investieren wir 600 000 Euro.Das ist gut angelegtes Geld. Gerade für junge Leute istes wichtig, mit Zeitzeugen ins Gespräch zu kommen.Das ist effizienter als vier Wochen Geschichtsunterrichtim Klassenzimmer.Auch die Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefäng-nis in Berlin-Hohenschönhausen erhält in diesem Jahreine höhere Zuwendung, um ihre hervorragende Arbeitnoch besser fortführen zu können.
„Kein Geschichtsbuch der Welt hätte uns so viel zeigenkönnen wie Sie in diesen zwei Stunden“, schreibenSchüler aus Baden-Württemberg. Die Mitarbeiter derGedenkstätte beweisen seit Jahren, wie Öffentlichkeits-arbeit erfolgreich betrieben werden kann. EhemaligeHäftlinge führen die Besucher durch die Gedenkstätte.Dieser Kontakt am Originalschauplatz lässt die Besuchernicht kalt. Die Förderung solcher Einrichtungen wie der
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2747
Reiner Deutschmann
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in Hohenschönhausen ist ein wichtiger Punkt, um etwasgegen gefährliches Halbwissen und Ostalgiewellen zutun.
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, unsereDenkmäler brauchen unsere Unterstützung. Trotz gro-ßer Anstrengungen von Kommunen, Ländern und Bundsind viele bauliche Zeugnisse der Geschichte vom Ver-fall bedroht. Wir haben uns erfolgreich dafür eingesetzt,dass die Mittel für die Restaurierung von unbeweglichenKulturdenkmälern von nationaler Bedeutung um3 Millionen Euro auf 17,3 Millionen Euro erhöht wer-den. Damit leistet der Bund einen wichtigen Beitrag zurSanierung und Substanzerhaltung von Baudenkmälernwie auch von historischen Parks und Gärten.
Gerade kleine und finanzschwache Kommunen könnendurch diese Mittel das eine oder andere Kleinod vor demvölligen Verfall retten. Aufgrund der nationalen Bedeu-tung unterstützt die Koalition auch den Wiederaufbaudes Kölner Stadtarchivs mit 1 Million Euro.
Ebenso liegt uns die freie Theaterszene sehr am Her-zen. Freie Theater setzen neue Maßstäbe und halten mitihrer Experimentierfreude den kulturellen Nährbodenfruchtbar. Sie sind ein besonderer Hort kreativer Kraftund nutzen die Sprache jüngerer Menschen, die wir ge-rade im Rahmen der kulturellen Bildung für Kunst undKultur interessieren wollen. Diese Theater haben abergewöhnlich eine äußerst dünne Finanzdecke und werdenhauptsächlich von ehrenamtlichem Engagement getra-gen.Allein in Niedersachsen bieten die freien Theateretwa viermal so viele Aufführungen für Kinder und Ju-gendliche pro Jahr an wie die Stadt- und Staatstheater underreichen doppelt so viele Zuschauer. Deswegen ist es nurkonsequent, wenn der Bundesverband Freier Theatererstmalig Gelder für seine Arbeit erhält.
Auch die uns sehr wichtige Initiative Kultur- und Krea-tivwirtschaft erhält einen höheren Zuschuss. Deutsch-land begreift sich als Kulturnation. Auch im Auslandwerden wir gerade wegen unserer Kulturdichte ge-schätzt. Jeder in die Kultur investierte Euro zahlt sichauf anderen Ebenen doppelt und dreifach aus. Unserchristlich-liberaler Kulturhaushalt trägt dieser TatsacheRechnung.Ich danke insbesondere Herrn StaatsministerNeumann und allen, die positiv an diesem Haushalt mit-gewirkt haben.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Tabea Rößner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dawir hier die ganze Woche über Zahlen diskutieren, habeauch ich eine mitgebracht: 15. 15 Pressemitteilungen ha-ben die Fraktionen von CDU/CSU und FDP gestern ver-sandt. Insgesamt 2 054 waren es im vergangenen Jahr.Offensichtlich haben Sie ein großes Vertrauen in die Me-dien und darin, dass diese Ihre Botschaften an die Bürge-rinnen und Bürger weitertragen.
Umso erstaunlicher ist es, dass Ihnen die Medien jenseitsIhrer Pressearbeit so wenige Anstrengungen wert sind.Die Heimat all Ihrer Pressemitteilungen ist in Not, undSie schauen tatenlos zu.
Wir brauchen aber ein breites Angebot an unabhän-gigen Medien; denn dies ist ein wesentlicher Grundpfei-ler unserer Demokratie. Wir Grüne wollen mündige Bür-gerinnen und Bürger, die teilhaben können an dieserDemokratie.
Auch deshalb brauchen wir einen leichten Zugang zu In-formationen, ohne Einschränkungen oder Barrieren, on-line wie offline. Der schnelle Zugang oder überhaupt einZugang zum Internet fehlt aber in ganzen Landstri-chen. Wenn Sie, Herr Brüderle, die Verlegung modernerKabelleitungen feiern, bringt das nur wenig, wenn dieLeitungen nicht bis an die Häuser reichen. Das ist dannso wie eine ICE-Strecke ohne Bahnhöfe: Man kann nichtzusteigen und verpasst den Anschluss.
Ein weiteres zentrales Anliegen muss uns dieMedienkompetenz sein. Da müssen wir bei Kindernund Jugendlichen anfangen. Zwar finden sich über denHaushalt verteilt einige Projekte zur Medienkompetenz,die gefördert werden. Aber das sind zumeist nur großeVorzeigeprojekte. Das ist uns zu wenig. Wo bleibt dieFörderung von kleinen Initiativen, die Kindern, Jugend-lichen und Erwachsenen die digitale Welt erklären? Wirhaben verstärkte Maßnahmen unter einem solchenHaushaltstitel gefordert, aber ohne Erfolg. Obwohl derMedienbereich sowieso schon mit einem sehr schmalenBudget ausgestattet ist, wird ausgerechnet hier noch wei-ter gespart.Kreativität fehlt Ihnen auch bei der Lösung der Pres-sekrise. Die Verlegerlobby hat Ihnen das Leistungs-schutzrecht in den Koalitionsvertrag diktiert. Doch wiees aussehen soll, weiß keiner so genau. Offenbar wissen
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2748 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Tabea Rößner
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Sie nicht einmal, sehr geehrte Damen und Herren vonder Koalition, ob Sie es denn überhaupt noch wollen.
Selbst wenn es diesen Verlegerschutz geben sollte, wirder die Presse nicht retten. Nicht ein Tropfen und auchnicht ein Tröpfchen, sondern höchstens ein Nanotröpf-chen auf den heißen Stein wäre das. Die Presse stirbt,und Sie schauen zu.Unsere Demokratie braucht starke, unabhängige Me-dien. Sie informieren, sie kritisieren, und sie tragen zurgesellschaftlichen Debatte bei. Unabhängige Mediensind kein Luxus, den wir uns leisten. Sie sind geistigesund gesellschaftliches Grundnahrungsmittel. Ihre Glaub-würdigkeit ist das Fundament, auf das sie bauen. DiesesFundament dürfen wir nicht unterhöhlen, wie es im FallBrender beim ZDF geschehen ist.
Mit dieser Personalentscheidung wurde offensichtlich,dass der Staat hier auch auf das Programm zugreift. Dasaber widerspricht der Rundfunkfreiheit, die im Grundge-setz verankert ist, fundamental.
Was haben Ministerpräsidenten, Staatssekretäre und Ver-treter der Bundesregierung im Fernsehrat des ZDF zusuchen? Ich meine: nichts.
Herr Neumann, wenn Sie schon als RegierungsvertreterMitglied im Verwaltungsrat sind, dann schauen Sie nichttatenlos zu, wenn ein unabhängiger Journalist gegangenwird.
Auch wenn der Rundfunk Ländersache ist, stehen wirBundestagsabgeordnete hier in der Pflicht, und zwar inder Pflicht, die Verfassung zu wahren. Wir haben dieMöglichkeit, einen Normenkontrollantrag zu stellen.Wir Grüne wollen, dass der ZDF-Staatsvertrag durchdas Bundesverfassungsgericht überprüft wird. Jeder vonIhnen kann sich diesem Antrag anschließen und zeigen,dass ihm die Unabhängigkeit der Medien etwas wert ist.Ich lade Sie alle ein, den Antrag zu unterschreiben. Sosenden wir gemeinsam ein starkes Signal nach draußen,für einen starken und für einen unabhängigen Rundfunk.Vielen Dank.
Frau Kollegin Rößner, das war Ihre erste Rede im
Deutschen Bundestag. Unsere herzliche Gratulation und
alle guten Wünsche für die weitere Arbeit!
Nun hat Kollege Siegmund Ehrmann als letzter Red-
ner in dieser Debatte das Wort für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inder Tat gibt es im Bereich der Kultur- und Medienpolitikzwischen den Fraktionen große Schnittmengen. So be-grüßen wir ausdrücklich, dass sich eine Enquete-Kom-mission – deren Einrichtung haben wir mitgetragen –,mit Fragen des Internets und der digitalen Welt aus-einandersetzen wird. Nun kann man sicherlich noch ei-nige Zeit auf Handlungsempfehlungen warten. Es gibtaber schon heute in einigen Punkten insbesondere kul-turpolitische Herausforderungen, zum Beispiel wie diekulturelle Vielfalt im Internet und der freie Zugang zuden Informationen gesichert werden können.Eine Antwort, die wir im Bereich der Kulturpolitikgeben, ist die Deutsche Digitale Bibliothek. ObwohlEnde des Jahres ein Verwaltungsabkommen zwischendem Bund und den Ländern abgeschlossen wurde, wo-nach bis zum Jahr 2013 erhebliche Mittel, etwa 10 Mil-lionen Euro, dort eingebracht werden sollen, habe ich er-hebliche Kritik an den Strukturen, in denen dieserProzess abläuft. Es gibt keine eindeutig geklärten Ver-antwortlichkeiten, es gibt keine klare Steuerung diesesProzesses, es gibt kein Konzept, in dem Prioritäten oderFinanzierungsbedarfe dargestellt worden sind. Das istein erheblicher Mangel. Nun mag man wie die Linkenbeantragen, zusätzliches Geld dort hineinzupumpen,aber Voraussetzung für uns ist, dass wir zunächst dieZiele und die Schwerpunkte eindeutig definieren.
Deshalb fordern wir, dass die Gremien klare Verant-wortungsstrukturen erhalten und ein nationaler Digitali-sierungsrat eingerichtet wird, der eine steuernde Funk-tion und die Aufgabe haben muss, eine nationaleDigitalisierungsstrategie zu entwickeln.Das zweite Thema ist hier schon von anderen ange-sprochen worden. Ich will auf die kommunale Finanz-krise und insbesondere auf deren Auswirkungen auf dieKulturpolitik eingehen. Der Bund trägt etwa 10 Prozentder öffentlichen Kulturausgaben, die Länder tragen ge-meinsam mit den Kommunen 90 Prozent. In Nordrhein-Westfalen tragen die Kommunen aus traditionellenGründen allein 80 Prozent der Ausgaben. Insofern sinddie Auswirkungen der abenteuerlichen Steuerpolitik ne-ben den ohnehin zu bewältigenden Auswirkungen derFinanzkrise gerade für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen, aber nicht nur dort, gravierend.Was kann der Bund tun? Wir haben den Antrag ge-stellt – eine schmale Idee, die aber immerhin gute Ef-fekte hat –, die Bundeskulturstiftung mit mehr Mittelnauszustatten. Darüber ist berichtet worden. Ein weitererPunkt ist – das ist ein Ansatz vorausschauender und ge-staltender Kulturpolitik –, Erfahrungen, die wir mit deröffentlichen Kulturförderung durch den Bund in Ost-deutschland gemacht haben, auf Westdeutschland zuübertragen. Im Osten unseres Landes haben wir mit dem
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2749
Siegmund Ehrmann
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Blaubuch ein Instrument, mit dem wir gemeinsam mitallen Akteuren die Projekte von nationaler Bedeutungidentifiziert haben. Muss denn erst in Köln das Stadtar-chiv zusammenbrechen, damit wir erkennen, dass diesesArchiv in Köln ebenfalls ein besonderes nationales kul-turelles Erbe ist?
Nun haben wir uns als Bund gemeinsam mit der Kom-mune Gott sei Dank in die Stiftung eingebracht. Der Mi-nisterpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen hat ex-trem lange gebraucht, ebenfalls Verantwortung zuübernehmen. Aus diesem Beispiel leiten wir die Forde-rung ab, die Kulturförderpolitik des Bundes weiterzuent-wickeln und die Idee des Blaubuches nicht auf Ost-deutschland zu beschränken, sondern die Identifikationbesonders förderwürdiger kultureller Güter auch in denwestdeutschen Ländern vorzunehmen. Dies wäre eineMöglichkeit, die Kommunen zu entlasten.
Im Ergebnis heißt das: Sowohl bei der Digitalisie-rungspolitik als auch bei der Weiterentwicklung der Kul-turförderung durch den Bund vermisse ich die Gestal-tungsverantwortung dieser Regierungskoalition und desStaatsministers. Wir haben Anregungen gegeben. Wirerwarten, dass Sie sich mit diesen qualifiziert auseinan-dersetzen.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 04, Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt, in der
Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Linken auf
Drucksache 17/1023? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des
Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abge-
lehnt.
Wir kommen damit zur namentlichen Abstimmung
über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-
sehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den
Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die
Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.1)
1) Ergebnis Seite 2752 C
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten,
Platz zu nehmen, damit wir uns auf die weiteren Bera-
tungen konzentrieren können. Ich bitte Sie, die Gesprä-
che einzustellen oder sie vor dem Saal zu führen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt I.10 auf:
Einzelplan 05
Auswärtiges Amt
– Drucksachen 17/605, 17/623 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Klaus Brandner
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden. Dann können wir so ver-
fahren.
Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile als erstem
Redner in dieser Debatte das Wort dem Kollegen Klaus
Brandner, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beratenheute mit dem Einzelplan des Auswärtigen Amtes einenHaushalt, in dem es zumeist nicht um die ganz großenZahlen geht. Mit seinen rund 3,2 Milliarden Euro machtdieser Etat 1 Prozent des Gesamthaushalts aus. Doch dieAusgaben, die mit diesem 1 Prozent bestritten werdenkönnen und müssen, haben es in sich.Bevor ich zu den Einzelheiten komme, möchte ichmich bei den Mitberichterstattern der einzelnen Fraktio-nen ganz herzlich bedanken. Die Zusammenarbeit warinsbesondere für jemanden, der zum ersten Mal dieseAufgabe wahrgenommen hat, sehr angenehm. Ichmöchte auch meinen Dank gegenüber dem AuswärtigenAmt für zuverlässige, konstruktive und offene Zusam-menarbeit aussprechen. Ich denke, Herr Minister, Siewerden das Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus-richten.
Nun zurück zum Haushalt: Angesichts zahlreicher in-ternationaler und immer differenzierterer Entwicklungensieht sich das Auswärtige Amt großen Herausforderun-gen und einer wachsenden Verantwortung gegenüber.Unter Herausforderungen verstehe ich nach wie vor dieAuswirkungen der Globalisierung in all ihren positiven,aber auch negativen Facetten. Besorgniserregend sindauch die Entwicklungen im Bereich der zerfallendenStaaten. Ich denke dabei zum Beispiel konkret an Soma-lia, Sudan und die Elfenbeinküste, in denen Unsicher-heit, Gewalt, Willkür und Hunger herrschen und in de-nen sich die besten Bedingungen für internationalenTerrorismus und für organisierte Kriminalität finden.
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Klaus Brandner
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Gerade in den letzten Wochen und Monaten habenNaturkatastrophen wie Erdbeben, Tropenstürme, Un-wetter und Überschwemmungen viele Tote gefordertund verheerende Zerstörungen verursacht. Da könnenwir, meine Damen und Herren, nicht am Fernseher taten-los zusehen. Da sind wir, die wohlhabenden Industrie-staaten, gefordert. Auch hier trägt das Auswärtige AmtVerantwortung und hat diese, wie ich meine, vorbildlichwahrgenommen.
Wenn ich an all diese Herausforderungen denke, mitdenen das Auswärtige Amt konfrontiert ist, dann beru-higt mich, dass sich der Regierungsentwurf für denHaushalt dieses Jahres im Großen und Ganzen an denbewährten Leitlinien, die der damalige AußenministerFrank-Walter Steinmeier aufgestellt hat, orientiert.Kontinuität in der Außenpolitik – das bedeutet für unsSozialdemokraten vorausschauende Friedenspolitik.Dazu gehören vor allem eine wirksame zivile Friedens-prävention und ein effektives ziviles Konfliktmanage-ment auf internationaler Ebene. Das war stets der Dreh-und Angelpunkt guter deutscher Außenpolitik.
Dazu gehören aber auch Abrüstung, Rüstungskontrolleund Zusammenarbeit beim Thema Nichtverbreitung –Themen, die angesichts der aktuellen Herausforderun-gen immer wichtiger werden. Nicht zuletzt brauchen wirauch verlässliche Partner, die uns bei unseren Aufgabenvor Ort helfen, die uns bei dem Aufbau von Strukturen,dem Erstellen von Expertisen und dem Vorantreiben vongesellschaftlichen Maßnahmen unterstützen. Das sindzum Beispiel das Zentrum für Internationale Frie-denseinsätze und die politischen Stiftungen.Für mich ist es deshalb unverständlich, dass in all die-sen Themenbereichen Mittelkürzungen geplant oder vor-gesehen waren. Heute bin ich dankbar, dass es in weitenTeilen nicht dazu gekommen ist. Ich freue mich, dassalle Fraktionen des Deutschen Bundestages von ihremBudgetrecht Gebrauch gemacht haben, um gemeinsameine Absenkung des Etats für die politischen Stiftungenzu verhindern. Ihre Arbeit ist uns wichtig. Wir wollen sieanerkennen. Es war wichtig und gut, dass wir gemein-sam so entschieden haben.
Mit der Rücknahme der Kürzungen ist es unsererAuffassung nach auf lange Sicht aber nicht getan. Wirsind der Meinung, dass eine Verstetigung dieses Ansat-zes erforderlich ist. Die Unsicherheit bei den Stiftungenmuss reduziert werden. Ich werbe dafür, dass dieser An-satz in unser aller Interesse in der mittelfristigen Finanz-planung des Auswärtigen Amtes verstetigt wird, um dasAuf und Ab und damit die Unsicherheit endlich zu been-den.
Ich begrüße auch, dass die angekündigten Pläne zurKürzung von Mitteln zur Abrüstung, Rüstungskon-trolle und Nichtverbreitungszusammenarbeit nicht indie Tat umgesetzt werden. Stattdessen sind Sie auch hierden Leitlinien der Vorgängerregierung gefolgt und blei-ben bei den 8,5 Millionen Euro Aufwuchs, die bereits imersten Regierungsentwurf enthalten waren. Das ist eingutes Zeichen angesichts der enormen Herausforderun-gen, denen wir uns auf internationaler Ebene stellenmüssen.Selbstverständlich kann ich in einer Rede zum Haus-halt des Auswärtigen Amtes nicht unsere wichtige Auf-gabe und schwierige Verantwortung in Afghanistan undfür die afghanische Bevölkerung außen vor lassen. Ichbegrüße daher ausdrücklich die zusätzlichen Mittel, dieim Zuge der Verlängerung des Afghanistan-Mandats zurVerfügung gestellt wurden. Das hatten wir zur Bedin-gung für unsere Zustimmung gemacht; denn auch ange-sichts der Situation in Afghanistan darf sich der Haushaltdes Auswärtigen Amtes nicht ausschließlich auf einThema oder eine Region konzentrieren; vielmehr mussauch im Haushalt Sorge dafür getragen werden, dass wirweiterhin weltweit handlungsfähig sind. Das wäre ohnedie zusätzlichen Mittel nicht möglich gewesen. Uns wares wichtig, dass die für Afghanistan notwendigen zusätz-lichen Mittel nicht zulasten anderer Haushaltstitel gin-gen. Das ist gelungen, meine Damen und Herren.
Bis dahin zeichnet sich der Haushaltsentwurf durcheine große Kontinuität aus. Doch wo angesichts der zen-tralen Aufgaben, die ich vorhin angesprochen habe,ebenfalls Kontinuität notwendig gewesen wäre, setzenSie den Rotstift an. Die Fraktionen der CDU/CSU undder FDP schleifen die Mittel für zivile Krisenpräven-tion und ziviles Konfliktmanagement sowie für dasZentrum für Internationale Friedenseinsätze. Siewollen mit diesen Mitteln, so sagen Sie, unter anderemdie Unterhaltung der Seemannsmissionen sowie dieKriegsgräberfürsorge, -pflege und -instandhaltung unter-stützen. Das alles ist löblich, und dagegen kann man imKern nichts haben. Aber ich meine, genau an dieserStelle hätten Sie das liberale Sparbuch zücken sollen,statt es nach der Wahl sang- und klanglos in Aktenber-gen verschwinden zu lassen. Sie hätten es genau hier guteinsetzen können, um für dieses wichtige Themenfeldausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen.
Sparen ja, aber nicht zulasten wichtiger Maßnahmenfür den Friedenserhalt; das ist aus meiner Sicht und ausSicht unserer Fraktion ein wichtiges Anliegen.Zur Arbeit des Auswärtigen Amtes gehört auch dieAuswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Auch in die-sem Punkt setzt die jetzige Regierung im Großen undGanzen auf Kontinuität und den von Frank-WalterSteinmeier eingeschlagenen Weg, der fortgesetzt werdensoll. Ich beziehe mich dabei unter anderem auf Aussagenv
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Klaus Brandner
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Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik hilft unssomit in der langfristigen Perspektive, wichtige au-ßenpolitische Ziele zu verwirklichen. Hierzu zählenKrisenprävention durch das Schlagen von Brückenzwischen Kulturen und Zivilisationen, die Stärkungder Menschenrechte, die Förderung von Freiheitund Rechtsstaat sowie eine erfolgreiche Außenwirt-schaftspolitik.
Ich möchte mich diesen Worten gerne anschließen.Obwohl der Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bil-dungspolitik auch im heute zu beratenden Haushalt wie-der 22,6 Prozent des gesamten Einzelplans ausmacht,wird an einer empfindlichen Stelle deutlich gekürzt. Zu-erst will ich aber die positiven Aspekte nennen: die Me-dienförderung, um zum Beispiel die Aktivitäten derDeutschen Welle zu unterstützen, „kulturweit“, den Frei-willigendienst, der das bürgerschaftliche Engagementunterstützt, die PASCH-Initiative – Schulen: Partner derZukunft –, also den Austausch der Schulen, sowie dieProgrammarbeit, mit der unter anderem die Fortsetzungder Filmfestspiele in Oberhausen und der Literaturwerk-statt in Berlin finanziert werden kann. All das gibt derjetzige Haushalt her.Zurück zu den Kürzungen. Ich spreche konkret vonden Kürzungen bei den Stipendien, bei Austauschmaß-nahmen und bei Beihilfen für Nachwuchswissenschaft-ler, für Studierende und Hochschulpraktikanten aus demAusland. Hier sollen beinahe 10 Prozent – oder um es inabsoluten Zahlen auszudrücken: circa 13 Millionen Euro –eingespart werden. Das halten wir nicht für richtig.Wi
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bildung ist eine der mächtigsten Abwehrkräfte ge-gen den Terrorismus der Fundamentalisten. …Denn nur wer internationale Wissensstandards teilt,hat auch Zugang zu weltweiten politischen undwirtschaftlichen Entwicklungen und zu der Vielfaltvon Kunst und Kultur. Nur wer mehrdimensionalesWissen besitzt und über den Tellerrand schaut, kannsein Land nach außen öffnen und nach innen einen.Das ist gut gesagt. „Gut gebrüllt, Löwe!“, möchte mansagen. Doch leider wurde es nicht umgesetzt. Den mäch-tigen und gewichtigen Worten sind leider nur schlanke,unterernährte Taten gefolgt. Das ist aus unserer Sicht eingroßer Fehler, der hier begangen wird. Ich meine, ermüsste dringend korrigiert werden.Lieber Herr Koppelin, Sie setzen sich ansonsten soengagiert für dieses Thema ein. An dieser Stelle wäredas Liberale Sparbuch eine gute Sache gewesen. EineAussage Ihrerseits, wie man das, was man im Wahl-kampf versprochen hat, auch tatsächlich umsetzt, wärewünschenswert. Man hätte eingesparte Mittel nutzenkönnen, um diesem wichtigen Themenbereich die ihmangemessene Bedeutung zu geben.Meine Damen und Herren, was wir vor uns liegen ha-ben, ist ein Übergangshaushalt, der auf der einen Seitevon sinnvollen Elementen der Vorgängerregierung undauf der anderen Seite von nicht schlüssigen Einsparun-gen geprägt ist. Der Haushalt hat noch kein klares Profil.Daher kann ich es gut verstehen, wenn der Bundesau-ßenminister auf der Suche nach einem eigenen Profil dieWelt bereist. Auf Ihren Reisen, Herr Bundesaußenminis-ter, hört man, dass Sie in vielen Fällen einen Strategie-wechsel anstreben, dass Sie Neuanfänge initiieren undgemeinsame Werte neu entdecken wollen. Nach meinemEindruck ist dies eine große Ankündigung, die bishermit noch wenig Gehalt versehen worden ist. Sie werdennachher dazu noch Stellung nehmen können.Ich möchte beispielsweise an Ihre Brasilienreise er-innern. Es wurde der Eindruck vermittelt, es sei ein ver-nachlässigtes Land; es sei ein Land, das mehr Zuwen-dung braucht und mit dem wir eine gemeinsameStrategie verabreden müssten. Ich finde, das war vielAnkündigung. Wenn man sich die Berichte des Auswär-tigen Amtes anschaut – das gilt auch für den aktuellstenaus dem Februar 2010 –, dann sieht man, dass die bilate-ralen Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilienauf einem ganz hervorragenden Stand sind.Brasilien ist Deutschlands einziger bilateraler strate-gischer Partner in Südamerika und damit für uns daswichtigste Land in dieser Region. In dem Bericht heißtes dazu:Die deutsch-brasilianischen Beziehungen sind poli-tisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich, kulturell undgesellschaftlich breit verankert. Mit keinem ande-ren lateinamerikanischen Land pflegt Deutschlandeine so breite und tiefe Kooperation.Ich selbst habe dieses Land in anderer Funktion mehr-fach bereist. Ich weiß von der dichten Frequenz der Be-suche hochrangiger deutscher Politiker in den letztenJahren: Bundespräsident Köhler im März 2007 und Bun-deskanzlerin Merkel im Jahr 2008. Im letzten Jahr warStaatspräsident Lula da Silva im Rahmen eines Staatsbe-suchs in Deutschland. Es ist also ein Land, mit dem wirengste Beziehungen haben und zu dem man die Bezie-hungen weiter pflegen sollte. Man sollte aber nicht denEindruck vermitteln, als gebe es hier einen riesigenNachholbedarf.Insofern bedarf es auch keiner neuen Strategie und kei-ner neuen Aktivität. Die Rede war Ausdruck einer ge-wissen Ankündigungsaktivität, aber der Inhalt fehltnoch. Daran müssen Sie aus meiner Sicht noch arbeiten.
Im Übrigen halte ich die Aktivitäten, die Sie mit derAußenwirtschaftspolitik verbinden, grundsätzlich fürrichtig. Aber ich frage mich, was eigentlich neu daranist. Sie kündigen nicht nur etwas Neues an, dessen Inhaltnoch völlig unbekannt ist. Ich vermisse auch, dass Siebei Ihren jetzigen Reisen Zeichen setzen, dass Sie nichtnur als Unterstützer ökonomischer Interessen unterwegssind, sondern auch die soziale Dimension der Globalisie-
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2752 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Klaus Brandner
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Günter Baumann Alexander Funk Dr. Franz Josef Jung Patricia LipsManfred Behrens
Dr. Christoph BergnerPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerGitta ConnemannLeo DautzenbergAlexander DobrindtThomas DörflingerDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerMichael GlosJosef GöppelUte GranoldReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersDr. Karl-Theodor Freiherrzu GuttenbergOlav GuttingFlorian HahnHolger HaibachDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbSteffen KampeterAlois KarlBernhard KasterVolker Kauder
Dr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterEckart von KlaedenVolkmar KleinJürgen KlimkeJulia KlöcknerAxel KnoerigJens KoeppenManfred KolbeDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykThomas KossendeyMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsDr. Michael LutherKarin MaagDr. Thomas de MaizièreHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Dr. Michael MeisterDr. Angela MerkelMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Nadine Müller
Dr. Philipp MurmannBernd Neumann
Michaela NollDr. Georg NüßleinFranz ObermeierEduard OswaldErnst-Reinhard Beck
Ingo Gädechens Andreas Jung Dr. Jan-Marco Luczakrung und ihre ökologischen Hhaben.
nn Sie auf solchen Reisencksichtigen würden, der fürind in der Wirtschaftsdele-rbeitnehmervertreter? Ausitnehmervertreter genausoreter. Wo sind auf solchenchen Mittelstands? der SPD)chen unsere Unterstützung, zu können. Wo bleiben dieie Menschenrechtsaktivis-inhaltlich eine größere Be-es gut, wenn Sie mithelfenMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserErich G. FritzDr. Michael FuchsHans-Joachim Fuchtelwürden, dass wir mehr Sozialferenten an den Botschaften e
titutionell eine bessere Un-ufmerksamkeit. der SPD)asselfeldt: Einzelplan 04 zurück undriftführerinnen und Schrift-er namentlichen Abstim-, den Haushalt der Bundes-eskanzleramtes, bekannt:it Ja haben gestimmt 322,8, keine Enthaltungen. Derommen.Dr. Martina KrogmannRüdiger KruseBettina KudlaDr. Hermann KuesGünter LachDr. Karl A. Lamers
Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeDr. Max LehmerPaul LehriederDr. Ursula von der LeyenIngbert LiebingMatthias LietzDr. Carsten Linnemann
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2753
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
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Henning OtteDr. Michael PaulRita PawelskiUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaChristoph PolandRuprecht PolenzEckhard PolsLucia PuttrichDaniela RaabThomas RachelDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckErwin RüddelAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Annette SchavanDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Detlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnCarola StaucheErika SteinbachDieter StierGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Peter TauberAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzVolkmar Vogel
Stefanie VogelsangAndrea Astrid VoßhoffDr. Johann WadephulMarco WanderwitzKai WegnerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannPeter WichtelAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar WöhrlDr. Matthias ZimmerWolfgang ZöllerWilli ZylajewFDPChristian AhrendtChristine Aschenberg-DugnusDaniel Bahr
Florian BernschneiderSebastian BlumenthalClaudia BögelNicole Bracht-BendtKlaus BreilRainer BrüderleAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherMarco BuschmannSylvia CanelHelga DaubReiner DeutschmannDr. Bijan Djir-SaraiPatrick DöringMechthild DyckmansRainer ErdelJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickePaul K. FriedhoffDr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannHeinz GolombeckMiriam GrußJoachim Günther
Dr. Christel Happach-KasanHeinz-Peter HausteinManuel HöferlinElke HoffBirgit HomburgerDr. Werner HoyerHeiner KampMichael KauchDr. Lutz KnopekPascal KoberDr. Heinrich L. KolbHellmut KönigshausGudrun KoppDr. h. c. Jürgen KoppelinSebastian KörberPatrick Kurth
Heinz LanfermannSibylle LaurischkHarald LeibrechtSabine Leutheusser-SchnarrenbergerLars LindemannChristian LindnerMichael Link
Dr. Erwin LotterOliver LuksicHorst MeierhoferPatrick MeinhardtGabriele MolitorJan MückePetra Müller
Burkhardt Müller-SönksenDr. Martin Neumann
Dirk NiebelHans-Joachim Otto
Cornelia PieperGisela PiltzDr. Birgit ReinemundDr. Peter RöhlingerDr. Stefan RuppertBjörn SängerFrank SchäfflerChristoph SchnurrJimmy SchulzMarina SchusterDr. Erik SchweickertWerner SimmlingJudith SkudelnyDr. Hermann Otto SolmsJoachim SpatzDr. Max StadlerTorsten Heiko StaffeldtDr. Rainer StinnerCarl-Ludwig ThieleStephan ThomaeFlorian ToncarSerkan TörenJohannes Vogel
Dr. Daniel VolkDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff
NeinSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelSören BartolBärbel BasSabine BätzingDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Gerd BollmannKlaus BrandnerWilli BraseBernhard Brinkmann
Edelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertPetra CroneDr. Peter DanckertMartin DörmannElvira Drobinski-WeißGarrelt DuinSebastian EdathySiegmund EhrmannDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeDagmar FreitagPeter FriedrichMichael GerdesMartin GersterIris GleickeGünter GloserUlrike GottschalckAngelika Graf
Michael GroschekMichael GroßWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannMichael Hartmann
Hubertus Heil
Rolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Frank Hofmann
Dr. Eva HöglChristel HummeJosip JuratovicOliver KaczmarekJohannes KahrsDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberLars KlingbeilHans-Ulrich KloseDr. Bärbel KoflerDaniela Kolbe
Nicolette KresslAngelika Krüger-LeißnerUte KumpfChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisPetra Merkel
Ullrich MeßmerDr. Matthias MierschFranz MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea Nahles
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2754 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
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Anton SchaafBernd ScheelenEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeDr. Petra SitteKersten SteinkeRenate KünastMarkus KurthMarianne Schieder
Werner Schieder
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Carsten Schneider
Olaf ScholzOttmar SchreinerSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeDr. Angelica Schwall-DürenDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzStefan SchwartzeDr. Carsten SielingSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackDr. h. c. Wolfgang ThierseFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitUte VogtDr. Marlies VolkmerAndrea WickleinHeidemarie Wieczorek-ZeulNun hat Herr Bundesminidas Wort.
Bundesminister des Aus-sehr geehrten Damen undg soll zunächst und haupt-ort kommen, daher stehenBevor ich zu der Friedens- Anliegen komme, das unsch beschäftigen wird, willn machen.Sabine StüberAlexander SüßmairDr. Kirsten TackmannFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerSahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergJörn WunderlichSabine ZimmermannBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderAlexander BondeEkin DeligözKatja DörnerHans-Josef FellDr. Thomas GambkeKai GehringKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannBettina HerlitziusErstens möchte ich mich bbei dem gesamten Haushaltsdanken. Ich danke Ihnen,Brandner, Herr Koppelin, HeIch möchte mich ausdrücklicsamten Auswärtigen Amtes fmenarbeit bedanken.Zweitens, Frau Kollegin Kgen Ihre Rede – wie die gesaverfolgt. Sie haben uns alsauch mich mit kritischem Umehr um den skandalösen Atungsexporte zu kümmern. Iwiedergeben, was am 15. MMonika LazarNicole MaischAgnes MalczakJerzy MontagKerstin Müller
Beate Müller-GemmekeIngrid NestleDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffDr. Hermann OttLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Krista SagerManuel SarrazinChristine ScheelDr. Frithjof SchmidtDorothea SteinerDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselDaniela WagnerWolfgang WielandDr. Valerie WilmsJosef Philip Winklerei den Berichterstattern undausschuss sehr herzlich be-Herr Frankenhauser, Herrrr Kindler und Herr Leutert.h auch im Namen des ge-ür die vorzügliche Zusam-ünast, habe ich heute Mor-mte Debatte – aufmerksamneue Bundesregierung undnterton aufgefordert, michnstieg der deutschen Rüs-ch möchte zunächst einmalärz 2010 von dem InstitutDietmar NietanManfred NinkThomas OppermannHolger OrtelAydan ÖzoğuzHeinz PaulaJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMechthild RawertGerold ReichenbachDr. Carola ReimannSönke RixRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Waltraud Wolff
Uta ZapfDagmar ZieglerManfred ZöllmerBrigitte ZypriesDIE LINKEJan van AkenAgnes AlpersDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmSteffen BockhahnChristine BuchholzUlrich MaurerDorothée MenznerCornelia MöhringNiema MovassatWolfgang NeškovićThomas NordPetra PauJens PetermannRichard PitterleYvonne PloetzIngrid RemmersPaul Schäfer
Michael SchlechtDr. Herbert SchuiDr. Ilja SeifertKathrin Senger-SchäferRaju SharmaWinfried HermannPriska Hinz
Ulrike HöfkenBärbel HöhnIngrid HönlingerUwe KekeritzKatja KeulMemet KilicSven-Christian KindlerMaria Anna Klein-SchmeinkUte KoczyTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerAgnes KrumwiedeFritz KuhnStephan Kühn
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2755
Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
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SIPRI in Stockholm, das das herausgefunden und kriti-siert hat, dazu gesagt worden ist, weil hier der Eindruckerweckt wird, als hätte diese neue Bundesregierung inden letzten Wochen ganz schnell noch ein paar U-Bootegebaut und in die Welt exportiert. Ich zitiere aus einerMeldung dazu:Wenig Verständnis zeigte der Brite für die Kritikvon Grünen-Chefin Claudia Roth am Anstieg derdeutschen Rüstungsexporte:– Jetzt kommt das wörtliche Zitat. –„Die meisten Verträge, die diese Verdoppelung be-wirkt haben, wurden ja während der rot-grünen Re-gierungszeit abgeschlossen.“
Drittens, Frau Kollegin Künast, haben Sie mir vorge-worfen, ich hätte Brasilien nicht entdeckt.
– Dann haben Sie es eben festgestellt. Ich glaube, das isteine historische Tatsache, auf die wir uns zwanglos ver-ständigen können.
Ich möchte Ihnen Folgendes dazu sagen: Brasilienwurde vom Portugiesen Cabral entdeckt. Er reiste mit13 Schiffen. Man wusste in Portugal also schon vor500 Jahren, dass Delegationen zur Wahrnehmung der ei-genen Landesinteressen gelegentlich hilfreich sind.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischen-frage?Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Nein, ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage.Ich komme zu einem vierten Punkt, auf den ich in-haltlich eingehen möchte. Zunächst zu Ihnen, Herr Kol-lege Brandner. Sie haben völlig zu Recht darauf hinge-wiesen, dass die auswärtige Politik und auch dieserHaushalt wesentlich von Kontinuität geprägt sind. Dabeibleibt es auch.
Es geht hierbei nicht um einen Übergangsetat, sondernich habe bereits in der letzten Legislaturperiode – ichwerde das als Bundesminister künftig auch in dieser Le-gislaturperiode tun – immer wieder ausdrücklich gewür-digt, dass insbesondere unter BundesaußenministerSteinmeier ein Aufwuchs in der Auswärtigen Kultur-und Bildungspolitik möglich geworden ist.
Davon werde ich nichts zurückzunehmen. Ich habe dieAbsicht, diese Politik fortzusetzen. Ich bitte Sie – bei al-ler Kritik in anderen Bereichen – um Ihre Unterstützung,weil die Stunde kommen wird, in der ich im Haushalts-ausschuss um die Auswärtige Kultur- und Bildungspoli-tik werde ringen müssen.
Das sage ich an die Adresse aller, weil ich glaube, dasses die beste Visitenkarte für unser Land ist, wenn wirAuswärtige Kultur- und Bildungspolitik fördern.
Das ist keine Attacke, sondern es ist ein Angebot, dasich Ihnen unterbreiten möchte, weil ich glaube, dass einüberparteiliches Interesse daran in diesem Hohen Hausevorhanden ist.Schließlich möchte ich einige Bemerkungen zu einemKernanliegen machen. Es gibt noch vieles zu bespre-chen. Vieles haben wir bereits im Auswärtigen Aus-schuss besprochen. Wir werden in der nächsten Wocheüber den Europäischen Auswärtigen Dienst sprechen,der aufgebaut werden muss. Sie wissen, dass noch eineMenge zu tun ist, damit in diesem Bereich die deutschenInteressen wahrgenommen werden können und vor allenDingen dafür gesorgt wird, dass wir einen guten, schlag-kräftigen und handlungsfähigen Europäischen Auswärti-gen Dienst bekommen. Ich kann Ihnen ankündigen: Dagibt es noch manches zu tun.Es gibt Bereiche der Wirtschaftsförderung, über diewir hier im Hohen Hause noch kontrovers diskutierenwerden. Ich hoffe allerdings, dass wir in einem Bereicheine Gemeinsamkeit haben. Bisher war es ein Kernbe-standteil deutscher Außenpolitik, dass deutsche Außen-politik Friedenspolitik ist.
– Ich sage: Friedenspolitik ist. Ich glaube, anders als Sie,Herr Kollege Gehrcke: Wenn deutsche Außenpolitik inden vergangenen Jahrzehnten keine Friedenspolitik ge-wesen wäre, dann hätten wir das Glück der deutschenEinheit niemals erlebt. Davon bin ich fest überzeugt.
Es geht nicht darum, wer was gemacht hat: WillyBrandt, Walter Scheel, Helmut Kohl oder Hans-DietrichGenscher. Das ist eine gemeinsame Auffassung.Ich möchte Sie warnen: Wenn wir nicht aufpassen,werden wir ein Jahrzehnt bekommen, das nicht ein Jahr-zehnt der Abrüstung wird, sondern ein Jahrzehnt derAufrüstung werden kann.
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2756 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
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Ich glaube, dass wir uns über dieses Problem in diesemHause – nicht heute, aber in vielen Fachdebatten – nochdetailliert unterhalten müssen.
Das ist in Wahrheit die Gefahr, die vor uns liegt, nämlichdass wir nicht ein Jahrzehnt der Abrüstung erleben wer-den – wie es durch eine bemerkenswerte, hoffnungsvolleRede von Präsident Obama in Prag eigentlich ermöglichtworden wäre –, sondern dass wir in diesem Jahrzehnt er-leben, dass durch Staaten, die wir nicht auf dem Schirmhatten, plötzlich die nukleare Verbreitung die Regelwird.Wir reden zu Recht über Menschenrechte. Das habeich getan, und das wissen Sie und Ihre Kollegen, die beiden Reisen dabei gewesen sind. Wir reden beispiels-weise über die Menschenrechtslage im Iran. Ich möchteSie darum bitten, dass wir uns alle gemeinsam an denKern des Problems erinnern. Es geht beim Thema Iran– ich sage das deshalb, weil das derzeit in New York beiden Vereinten Nationen verhandelt wird – um das zen-trale Problem: Wenn wir es zulassen, dass sich ein Staatdie Option der atomaren Bewaffnung verschafft, nichtmit der Völkergemeinschaft kooperiert und nicht fürTransparenz sorgt, dann ist es eine Frage der Zeit, bissich noch mehrere andere Staaten dieser Region – ichsage Ihnen voraus: mehrere andere Staaten in der Welt –in den nächsten zehn Jahren atomar bewaffnen werden.Nukleare Nichtverbreitung hat schon immer zweiKomponenten gehabt. Zum einen galt es, diejenigen, dieAtomwaffen haben wollen, davon abzubringen, dass siesich diese illegal beschaffen. Zum anderen gibt es eineVerpflichtung der Atomstaaten, abzurüsten, übrigensohne dass konventionelle Kriege leichter geführt werdenkönnen. Ich sage Ihnen voraus: Das wird – hoffentlich –jenseits der ganzen tagespolitischen Hektik und jenseitsall dessen, was man in einer Demokratie kontrovers be-raten muss, ein gemeinsames Kernanliegen sein. Da-rüber mache ich mir große Sorgen. Da gibt es Rück-schritte, die man sehen muss, und zwar, was den Iranangeht, sehr sorgenvoll, was die Frage des Nahen Ostensangeht, sehr sorgenvoll, vor allem wenn man sich an-sieht, dass jüngst, in der letzten Woche, die Siedlungs-politik mal eben fortgesetzt wurde. Es hat keinen Sinn,darum herumzureden – jeder weiß, dass wir Freunde Is-raels sind –: Wer zu einem Friedensprozess kommenmöchte, muss auch bereit sein, die internationale Forde-rung nach einem Stopp der Siedlungspolitik zu erfüllen.Das ist die Voraussetzung dafür, dass das gelingen kann.Ich sage das beiden Seiten. Das ist die neue Dimension.Das ist immer unsere Maßgabe gewesen: Wenn manin diesem Hohen Hause etwas anspricht, ist das nicht im-mer Kritik am Vorgänger oder gleich eine Attacke ge-genüber jemandem, der das bisher vielleicht nicht ge-macht hat. Nein, die Herausforderung, die auf derTagesordnung steht, ist neu. Ich glaube, deutsche Au-ßenpolitik hat zwei Markenzeichen: Abrüstung und Frie-denspolitik. Das wollte ich zu dieser Generaldebatteheute beitragen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Gehrcke
für die Fraktion Die Linke.
Danke sehr. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ich will den Ball, den der Außenministergespielt hat, gleich aufnehmen: Wir lehnen den Haushaltdes Auswärtigen Amtes ab, weil wir als Linke nie einemHaushalt zustimmen werden, der Kriegspolitik beinhal-tet.
Wir werden uns an keiner Koalition beteiligen, die daszu tun beabsichtigt, und wir werden einem solchenHaushalt nicht zustimmen. Das ist eben die Differenz.Ich hätte mich gefreut, wenn in Ihrem Koalitionsvertragder Satz gestanden hätte: Deutsche Außenpolitik mussFriedenspolitik werden. Sie ist es nicht. Sie ist es struk-turell und faktisch nicht. Wir befinden uns in Afghanis-tan in einem Krieg. Das wird keiner hier ableugnen kön-nen. Das tut nicht einmal mehr zu Guttenberg.
Wir befanden uns, was die Geschichte angeht, auch inJugoslawien im Krieg – auch das darf hier nicht verges-sen werden –, und wir haben zumindest indirekt denKrieg der USA im Irak mit vielem gefördert, was nichtunserer Verfassung entspricht. Deutsche Außenpolitikmuss Friedenspolitik werden. Das muss auch das Credodieses Parlamentes sein.
Ich will hinzufügen: Wir stimmen auch deshalb nichtzu, weil die ganze Richtung der Außenpolitik aus unse-rer Sicht falsch ist. Ich will Ihnen das an einigen Beispie-len deutlich machen. Ich finde, das ist eine eigenartigeMischung von Kollegen, die in der Bundesregierung dieinternationale Politik dominieren oder bestimmen:Wir haben einen Entwicklungshilfeminister, Fall-schirmspringer, der eigentlich furchtbar gerne Verteidi-gungsminister werden möchte
und deswegen Entwicklungspolitik und Bundeswehrpo-litik noch enger verbinden will – zulasten der Entwick-lungspolitik.
Wir haben einen Verteidigungsminister, Gebirgsjä-ger, der furchtbar gerne Außenminister werden möchte.Er darf sich jetzt nicht zu viel zur Außenpolitik äußern,weil er den Untersuchungsausschuss zu Kunduz am Hals
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2757
Wolfgang Gehrcke
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hat. Er versucht aber immer wieder, zu dokumentieren– jetzt ist er gerade nicht anwesend –, dass er eigentlichder bessere Außenminister wäre.
Wir haben einen Außenminister, FDP-Vorsitzender,der die gesellschaftliche Stabilität im eigenen Landdurch leichtfertige Reden und durch eine falsche Politikgefährdet.
Wer die gesellschaftliche Stabilität in Deutschland ge-fährdet, kann international nicht glaubwürdig für globalesoziale Gerechtigkeit eintreten. Das ist einfach so. Dasfällt auf einen zurück, Herr Westerwelle.
Gestatten Sie, dass ich ein sehr persönliches Wortdazu sage: Sie sind ein Politiker des raschen Erfolges,
des schnellen Wortes.
Manchmal gefällt es einem, manchmal nicht. Sie sindein Politiker, der nicht in langen Wellen, nicht in langenLinien denkt.
Ein Außenminister muss eigentlich in langen politischenLinien denken und auf das Geschäft des Tages zugunstender Außenpolitik verzichten.
Das schlägt irgendwann durch.Sie haben hier als Beispiel genannt, wer Brasilienentdeckt hat. Sie haben sich mit Delegation in diese Tra-dition gestellt. Wissen Sie eigentlich, dass Sie sich in dieTradition der kolonialen Ausbeutung und Unterdrü-ckung gestellt haben?
Das kommt davon, wenn man nicht nachdenkt. Schnel-les Wort, schnelle Mark, um ein Geschäft zu machen.
Ich sage das ganz absichtlich hier so, auch vor dem Hin-tergrund Ihrer Reise. Ich habe mich oftmals wie auf ei-ner Tupperparty gefühlt,
auf der die deutsche Industrie ihre Produkte anpreist unddafür die Vermittlung des Bundesaußenministers be-nutzt. Den SPD-Kollegen möchte ich sagen, dass es beiSteinmeier auch so war. Ich habe mich geschämt, denAußenminister und seine Begleitung in Vietnam mit Re-klametüten von METRO herumlaufen zu sehen. Dasmacht Westerwelle nicht. Er geht zu VW und signiert ei-nen Pick-up. Wir hatten einen Autokanzler, jetzt habenwir einen Autoaußenminister. Das macht die Sache nichtbesser. Ich finde, es entspricht nicht der Würde diesesHauses und der deutschen Außenpolitik, sich für dieVerkaufsstrategie der deutschen Industrie zur Verfügungzu stellen.
Ich möchte etwas anderes. Ich nenne Ihnen jetzt ei-nige Beispiele. Bis zur Londoner Konferenz war Afgha-nistan Ihr Hitthema. Danach habe ich Sie nicht mehrüber Afghanistan und den Friedensprozess reden hören.Schnelle Mark, schnelles Thema, Thema war abgehakt.Aber die Politik ist nicht zu Ende. Wir müssten jetzt denFrieden afghanisieren und nicht die Afghanisierung desKrieges fortsetzen.
Sie haben hier Rot-Grün und Frau Künast – das hatmir Spaß gemacht – bei der Frage der Rüstungsexportekritisiert. Aber wissen Sie, Herr Westerwelle, es machtdie heutige Situation nicht besser, dass auch Rot-Grünund Schwarz-Rot diese verhängnisvolle Politik eingelei-tet, durchgesetzt und möglich gemacht haben. Das machtes nicht besser. Diese Politik bleibt falsch und schlecht.
Wenn Sie bei der Frage der Rüstungsexporte im Prinzipsagen, dass Sie eine falsche Politik fortgesetzt haben, hatdas keinen Sinn. Sie hätten diese falsche Politik korrigie-ren müssen. Man hätte von diesem Pult aus deutlich ma-chen müssen: Wir wollen raus aus dem Geschäft mitdem Tode.Sie sollten darüber nachdenken, ob wir uns auf Dauerdiese doppelten Standards in der Politik leisten kön-nen. Ein bisschen salopp gesagt: Wer Krümmel nichtvom Netz nehmen will, wird anderen bei der Frage derNutzung der Atomenergie schlecht Ratschläge gebenkönnen. Deutschland brilliert in der Welt mit doppeltenStandards; aber dies schadet uns irgendwann.Ich möchte stattdessen eine beharrliche, langfristige,durchdachte, gründliche und auf Diplomatie setzendeAußenpolitik. Ich möchte gern, dass Sie verstehen, dasses keinen Sinn hat, gegenüber dem Iran weiter aufSanktionen zu setzen. Das sagen Ihnen alle Leute, diesich dort auskennen. Man muss den Iran, gerade wennman verhindern will, dass er sich Atomwaffen zulegt,beharrlich in die Staatengemeinschaft zurückführen. Dasheißt, man sollte nicht auf Sanktionen setzen, sondernauf Diplomatie, auf Debatten und auf Auseinanderset-zungen bauen. Sie verlieren einen Partner nach dem an-deren, wenn Sie nur auf Sanktionen setzen.
Ich finde, langfristig gesehen kann man im Nahost-konflikt nur durch ganz konsequente Diplomatie etwasbewegen. Sie sind viel herumgereist in der Welt. Daswerfe ich Ihnen gar nicht vor; das ist Ihre Aufgabe alsAußenminister.
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2758 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Wolfgang Gehrcke
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– Hier wird gesagt, da habe er Glück gehabt. Wenn Siemöchten, werfe ich Ihnen das auch vor; aber lassen wirdas. Ich werfe Ihnen das nicht vor.Ich möchte gern wissen: Was machen Sie in Bezugauf Länder wie Syrien? Syrien ist ein Schlüsselland,wenn man den Nahostkonflikt lösen möchte.
– Ja, das wissen auch Sie. – Welche Politik betreiben Siein der Auseinandersetzung mit der israelischen Regie-rung? Ich habe vernommen, dass Sie den Siedlungsbaukritisiert haben. Man muss klipp und klar sagen: Werden Siedlungsbau fortsetzt, dem darf man keine Waffenliefern.
Sie bilden deutsche Bundeswehrpiloten in Israel anDrohnen aus, die in Afghanistan eingesetzt werden sol-len. So einen Schwachsinn kann doch keiner ernsthaftals Politik bezeichnen. Es wäre richtig, zu sagen: Wirliefern in ein Land, das eine solche Politik betreibt, nichtweiter Waffen. Das hätte politische Wirksamkeit.
Herr Außenminister, ich möchte gerne, dass mannicht nur, wie es im Koalitionsvertrag steht, Außenpoli-tik macht, um Deutschlands Platz auf dem Weltmarkt zuverbessern. Ich möchte vier Eckpfeiler verankert sehen:erstens sich konsequent für das Völkerrecht einzusetzen,also eine Völkerrechtspartei zu sein, zweitens weltweiteine Partei der sozialen Gerechtigkeit zu werden, drit-tens auf Abrüstung zu setzen – hier haben Sie recht –und viertens mehr Demokratie in die Außenpolitik zubringen. Deutsche Außenpolitik muss Friedenspolitikwerden. Das ist die Zielrichtung der Partei und FraktionDie Linke.Herzlichen Dank.
Nun hat das Wort der Kollege Herbert Frankenhauser
für die CDU/CSU-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnenund Kollegen! Ich möchte ein Angebot wiederholen, dasich bereits im Haushaltsausschuss gemacht habe. Vorabmöchte ich allerdings feststellen: Man hat nicht den Ein-druck, hier in der Haushaltsdebatte zu sein – ich bittedeswegen, nicht zu erschrecken, wenn ich als Haushälterhernach etwas detaillierter über den Haushalt sprechenwerde –, sondern ich habe eher den Eindruck, hier han-delt es sich um eine Reisedebatte.Ich wiederhole, wie gesagt, mein Angebot. Ichglaube, ich bin der dienstälteste Berichterstatter für denBereich des Auswärtigen Amtes. Ich habe viele Außen-minister sozusagen haushalterisch begleiten dürfen. Andiesem reichhaltigen Fundus, was Amtsausstattung, Rei-sen und Delegationen anbelangt, und zwar in Bezug aufAußenminister jedweder Couleur, würde ich gerne alleKolleginnen und Kollegen teilhaben lassen. Ich stehe beiBedarf immer gerne zu detaillierten Auskünften bereit.
Ich bedanke mich zunächst bei Herrn Dr. Morhardund seinen Mitarbeitern aus dem Auswärtigen Amt fürdie hervorragende Unterstützung, nicht nur während derHaushaltswochen, sondern auch über das ganze Jahr hin-weg. Ich bedanke mich bei meinen Kolleginnen undKollegen für die sehr harmonische Zusammenarbeit inden Berichterstattergesprächen. Ich bedanke mich auchbei Ihnen, Herr Minister, dass Sie in Bezug auf das Mit-arbeiterbeurteilungssystem bereits erste Schritte ein-geleitet haben – das ist den Mitarbeitern im AuswärtigenAmt ein sehr wichtiges Anliegen – und dass Sie Ihre Be-reitschaft erklärt haben, sich für mehr Gegenseitigkeits-abkommen mit anderen Staaten hinsichtlich der Berufs-tätigkeit von Partnerinnen und Partnern, die imauswärtigen Dienst tätig sind, einzusetzen.Der Staatshaushalt– so sagte es der berühmte Kabarettist Werner Finck –ist ein Haushalt, in dem alle essen möchten, aberniemand das Geschirr spülen will.Das ist wohl richtig. Trotzdem haben wir unsere Arbeiterledigt. Der erste Regierungsentwurf war schon ganzordentlich, Herr Kollege Brandner. Der zweite war ei-gentlich ganz gut. Aber den Feinschliff haben die parla-mentarischen Beratungen gebracht, wobei sich die Op-position nicht so sehr mit Ruhm bekleckert hat.Herr Kollege Brandner, ich wusste nicht: Ist IhreRede mehr Zustimmung oder mehr Ablehnung? Wennwir Ihren Vorschlägen gefolgt wären, hätten wir nocheine Unterdeckung in Höhe von 2,362 Millionen Eurozu verzeichnen. Bis jetzt ist unbekannt, woher dieser Be-trag kommen soll. Auch wir könnten umfangreicheWünsche äußern. Ein Außenminister namens JoschkaFischer hat einmal gesagt: Ohne Moos nichts los.Ganz abenteuerlich wird es bei den Grünen. Die Grü-nen haben einen Wunschkatalog aufgestellt, der sageund schreibe 283 Millionen Euro erfordern würde. Siehaben aber keinen einzigen Vorschlag gemacht, woherdieses Geld kommen soll.
– Die ist nirgendwo gestanden, jedenfalls nicht in denÄnderungsanträgen, die Sie in den Haushaltsausschusseingebracht haben. Vielleicht haben Sie die in einemRucksack mit sich herumgetragen;
das mag sein. Bei uns ist jedenfalls nichts angekommen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2759
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Herr Kollege Frankenhauser, gestatten Sie denn eine
Zwischenfrage des Kollegen Kindler?
Bitte.
Kollege Frankenhauser, würden Sie mir zustimmen,
dass man im Haushalt Prioritäten setzen kann, dass
man gerade bei ziviler Krisenprävention, bei den Mitteln
für Afghanistan und bei anderen Punkten, wo wir deut-
sche Friedenspolitik umsetzen wollen, Aufwüchse vor-
sehen kann, auch um die ODA-Quote zu erfüllen?
Wir Grünen schlagen als Gegenfinanzierung vor
– ich habe das im Haushaltsausschuss gesagt; Sie erinnern
sich vielleicht an die Debatte mit Jürgen Koppelin –, auf
Flugtickets eine Abgabe zu erheben, wie es in Frank-
reich gemacht wird, wie es in Großbritannien gemacht
wird, wie es in den Niederlanden gemacht wird. Das
würde über 2 Milliarden Euro im Jahr einbringen; das
wäre eine ausreichende Gegenfinanzierung. Stimmen
Sie mir zu, dass diese Debatte im Haushaltsausschuss so
war und dass wir damit eine solide Gegenfinanzierung
vorgestellt haben?
Ich stimme Ihnen zu, dass wir eine Debatte hatten. Ob
die solide war, will ich bezweifeln.
Gehen Sie einmal zum Bäcker, verlangen Sie fünf
Semmeln und sagen: Ich habe eine gute Idee; ich komme
in zwei Jahren vorbei und bezahle sie Ihnen. Ich will da-
mit sagen: Das ist ja alles wunderschön; aber man muss
im Haushalt konkrete Deckungsvorschläge machen, man
kann nicht mit theoretischen Zahlen hantieren.
So kann man keine solide Haushaltspolitik machen.
Kollege Frankenhauser, es gibt eine weitere Bitte
nach einer Zwischenfrage, und zwar vom Herrn Kolle-
gen Brandner.
Bitte, gerne, immer.
Herr Kollege Brandner, bitte.
Sehr geehrter Herr Kollege Frankenhauser, zuallererst
möchte ich bestätigen, dass die Beratungen, wie ich
schon angesprochen habe, wirklich sehr harmonisch und
von dem Willen geprägt waren, Einvernehmen zu erzie-
len.
Bezüglich der Datenlage, wie Sie sie dargestellt ha-
ben – dass bei der Gegenfinanzierung, wenn ich das
richtig gehört habe, 2,3 Millionen Euro fehlen würden –,
vermute ich, dass Sie oder Ihr Büro oder Ihre Aktenlage
nicht alles ganz richtig erfasst haben.
Wir haben mehr als eine einzelne Gegenfinanzierung
vorgeschlagen. Ich kann Ihnen das gerne noch einmal
unterlegen.
– Es ist schon wichtig, dass, wenn hier etwas festgestellt
wird, darauf geantwortet wird. Wenn Sie das beunruhigt,
können wir das auch auf andere Art und Weise machen.
Es liegt mir daran, dass deutlich wird: Bei diesen Be-
ratungen ist es der SPD-Fraktion darum gegangen, eine
Unterfinanzierung zu verhindern und eine sachlich bezo-
gene Gegenfinanzierung der Forderungen vorzuschla-
gen. Ich bin gerne bereit, die entsprechenden Unterlagen
vorzulegen.
Ich werte das als wohlgemeinte Frage und bin gernebereit, Ihnen Ihre Absicht zu bestätigen. Alles anderekönnen wir gerne noch persönlich klären, KollegeBrandner.Jetzt weise ich noch auf ein paar wesentliche Verän-derungen hin, die wir im Rahmen der Haushaltsberatun-gen vorgenommen haben: Wir haben zum Beispiel dieMittel für die Programmarbeit, also für Kulturpolitik, um2,48 Millionen Euro erhöht. Wir haben die Mittel für denStabilitätspakt für Afghanistan um 90 Millionen Euro er-höht, den Titel für Menschenrechte um 1,5 MillionenEuro und die Mittel für Minenräumung um 1 MillionenEuro. Wir haben den Titel für den Volksbund DeutscheKriegsgräberfürsorge noch einmal um 300 000 Euro ver-stärkt, die dafür gedacht sind, dass wir gemeinsam mitdem VDK beginnen, den Opfern nationalsozialistischerGewalttaten, zum Beispiel in der Ukraine, eine letzte,würdige Ruhestätte zu verschaffen. Ich halte das fürdringend geboten. Wir wollen diese Aufgabe jetzt in An-griff nehmen.
Wir haben den Titel für Schulen im Ausland um5 Millionen Euro erhöht, weil wir darin, unsere Schulenim Ausland zu verstärken, eine ganz wichtige Aufgabesehen.
Bei dieser Gelegenheit begrüße ich die zahlreich anwe-senden Vertreter des Bundesrates.
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2760 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Herbert Frankenhauser
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Ich möchte noch einmal den Appell an die Bundesländerrichten – ich bitte auch die Bundesregierung, die ja mitden Bundesländern ständig Gespräche führt, noch ein-mal darauf hinzuwirken –, bei der bisherigen Regelung,dass die Lehrer an Auslandsschulen kofinanziert wer-den, zu bleiben. Würde die Kofinanzierung abgeschafft,müssten wir circa 200 Lehrkräfte aus dem Ausland ab-ziehen, weil wir sie mit den bisherigen Mitteln nicht fi-nanzieren könnten. Ich denke, alle Kolleginnen und Kol-legen, quer durch alle Fraktionen, wären gut beraten,dieses Ansinnen zu unterstützen und bei ihrem jeweili-gen Landeskulturminister vorstellig zu werden, dass eres bei der bisherigen Regelung, die sich bewährt hat, be-lassen möge.
Wir haben den Titel „Afghanistan“ um 90 MillionenEuro auf nunmehr 180,7 Millionen Euro im Bereich desAuswärtigen Amtes erhöht. Davon gehen 35 MillionenEuro in die Verstärkung des Polizeiaufbaus, 35 Millio-nen Euro in schnell wirkende Stabilisierungsprojekte imNorden Afghanistans, 10 Millionen Euro in eine Beteili-gung am Reintegrationsfonds und 10 Millionen Euro inden Verwaltungs- und Justizaufbau.Ich nehme immer gern die Gelegenheit wahr, HerrAußenminister, liebe Kolleginnen und Kollegen, einpaar kritische Worte zum Thema Europa zu sagen. Ichmöchte als Erstes wiederholen, was ich leider schon ver-gebens angesprochen habe. Ich denke, man muss überdie Visumpraxis, wie wir sie handhaben, noch einmalintensiv nachdenken. Es kann meines Erachtens nichtangehen, dass unser Konsulat in Sankt Petersburg etwa40 000 Visa im Jahr ausstellt, die Finnen – übrigens einSchengen-Staat – etwa 150 000 Visa.Ich als Haushälter sehe einfach nicht den sicherheits-politischen Sinn – oder mir fehlt die Erkenntnis –, was esbringen soll, wenn Russen oder Esten mit einem finni-schen Visum in Deutschland einreisen, aber das deutscheKonsulat ein Visum nur in einem sehr langwierigen Pro-zess ausstellen kann. Wenn das nicht EU-weit geregeltwerden kann, was offensichtlich der Fall ist, sollten wiruns national etwas überlegen, damit nicht Geschäftsleute– natürlich finde ich es gut, wenn diese nach Deutsch-land reisen – zuerst zu den Finnen gehen müssen, damitsie etwas unkomplizierter zu einem Visum kommen.
Dann habe ich bislang immer gehört, mit dem Ver-trag von Lissabon, der nun beschlossen ist, werde allesviel besser und einfacher werden. Die erste Erkenntnis,die ich inzwischen gewonnen habe, ist, dass allerortennach mehr Personal gerufen wird. Als Begründung wirdder Vertrag von Lissabon genannt. Wir haben zwar überden Einzelplan 05 gesprochen, aber es zieht sich durchalle Einzelpläne. Alle Ministerien erklären: Wegen desVertrags von Lissabon brauchen wir mehr Personal,nicht zuletzt deswegen, weil wir den Bundestag besserunterrichten müssen. Ich möchte anmahnen, dass sichdie Bundesregierung auf ein vernünftiges und personal-sparendes Verfahren einigt, in dem der Bundestag aus-reichend informiert wird.Ein besonderes Anliegen ist auch immer die Haus-haltsführung und die Mittelverwendung der Europäi-schen Union. Es beginnt damit, dass zurzeit der Postendes Generaldirektors bei der AntibetrugsbehördeOLAF anscheinend nicht rechtmäßig besetzt ist. Deswe-gen sind mehrere hundert Betrugsverfahren in Gefahr, zukippen. Ich denke, bei den Milliardenbeträgen, die in derEU rechtswidrig erschlichen werden, überwiegend durchmehr oder weniger angesehene Mitgliedstaaten, musseine funktionierende Antibetrugsbehörde vorhandensein.Es geht zum Beispiel nicht an, dass etwa die EU derTürkei 700 Millionen Euro jährlich zur Vorbereitung derAufnahme in die EU zukommen lässt, aber der Europäi-sche Rechnungshof erklärt, dass bei über der Hälfte desGeldes nicht nachkontrolliert werden kann, wo es gelan-det ist. Wir sind es auch den deutschen Steuerzahlernschuldig, gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass mitdem Geld der Steuerzahler auch auf europäischer Ebenesorgfältig umgegangen wird.
Eine besondere Blüte scheint sich bei dem neuenEuropäischen Auswärtigen Dienst zu ergeben. So wiees aussieht, ist eine geschätzte Baroness dabei, einen Be-hördenapparat mit 7 000 bis 8 000 Mitarbeitern aufzu-bauen. Es ist aber noch nicht geregelt, welche Kompe-tenz die Behörde der Baroness als solche haben wird. Esgibt auch noch keinen Organisationsplan. Man weiß ei-gentlich gar nicht, was diese 7 000 bis 8 000 Mitarbeitertun sollen. Ich könnte es mir als zweckmäßig vorstellen,dass man diese offenen Fragen klärt, bevor man nun ei-nen zweiten Riesenapparat in Brüssel aufbaut.Ich erwarte zu gegebener Zeit auch eine Äußerungvon Ihnen, verehrter Herr Außenminister, dahin gehend,dass es nicht eine reine Parallelinstitution geben wird. Esgibt schon erste Stimmen, die sagen: Gerade weil derEuropäische Auswärtige Dienst so stark und so bedeu-tend werden soll, müssen die nationalen AuswärtigenDienste zusätzlich gestärkt werden. Ich glaube also, auchim Hinblick auf die noch anstehenden Konsolidierungenunserer öffentlichen Haushalte muss hier eine Doppel-funktion vermieden werden.
Zum Schluss habe ich noch eine Bitte bzw. Anregung,Herr Außenminister. Mir fällt auf, dass wir weltweit Jahrfür Jahr leider sehr viele Katastrophenfälle zu beklagenhaben. Wir basteln uns jetzt einen Europäischen Aus-wärtigen Dienst, haben x Kommissionen und was weißich noch alles. Mir fehlt ein europäischer Katastro-phenhilfsdienst.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2761
Herbert Frankenhauser
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Ich halte es für ein humanistisches, zivilisiertes Mittel-europa für nicht hinnehmbar, dass zuerst einmal 10 oder14 Tage vergehen, bis sich irgendein Mitgliedstaat da-rauf besinnt, dass man nach Erdbeben möglicherweiseschweres Gerät braucht, er aber nicht weiß, wie man dasdorthin bringen kann.
Ich denke, es wäre eine wirklich lohnenswerte Auf-gabe – auch für die Europäische Union –, eine zivileHilfsorganisation zu gründen und einen zivilen Einsatz-plan zu erstellen, um bei solchen Katastrophen den be-troffenen Menschen schneller helfen zu können.Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Westerwelle, Sie sind jetzt seit fünf Monaten im Amt des
Außenministers, wenn ich richtig gerechnet habe, und
meines Erachtens ist noch immer völlig unklar, wohin
die deutsche Außenpolitik steuert. Auch in Ihrem Bei-
trag heute haben Sie meines Erachtens nichts Vorwärts-
weisendes dazu beigetragen.
Ich will heute hier darüber reden; denn bei der Haus-
haltsdebatte geht es auch um eine Generaldebatte über
die deutsche Außenpolitik und darum, wohin sie steuert.
Es wird viel über Sie persönlich geschrieben und viel
über Sie geredet. Das haben Sie mit Ihren – ich möchte
sagen – diffamierenden Sprüchen zu Hartz IV erreicht.
Das sieht die Kanzlerin ja wohl auch so.
Was aber ist Ihre Linie in der Außenpolitik? Das ist
bis heute nicht erkennbar. Wie denn auch? Sie verzetteln
sich in diversen Rollen als Parteivorsitzender, als eifriger
Spendensammler, als hartzpolitischer Sprecher der Frak-
tion, und Sie tanzen auf vielen Hochzeiten. Dabei bleibt
die Außenpolitik eben auf der Strecke.
Ich sage: Sie haben bis heute keinen Kompass; Sie
wissen nicht, was Sie mit diesem Amt wollen. Da Sie
Ihre Rolle als Außenminister bis heute nicht gefunden
haben, frage ich mich wirklich: Wie wollen Sie denn
dann Deutschlands Rolle in der Welt bestimmen? Das
wird nicht gehen.
Frau Kollegin Müller, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Koppelin?
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Bitte schön.
Danke, Frau Kollegin. – Da Sie gerade so schön inFahrt sind, darf ich Sie einmal etwas fragen. Ich habehier ein Programm, wonach Ihr Parteivorsitzender, HerrÖzdemir, in Begleitung von Frau Vollmer und anderengestern in China gewesen ist. In der Zeit von 15 Uhr bis17 Uhr war gestern ein Gespräch in der internationalenAbteilung beim Zentralkomitee der KommunistischenPartei Chinas vorgesehen, und das Arbeitsgespräch liefunter dem Motto „Zusammenarbeit zwischen den beidenParteien“.Ich darf einmal fragen: Ist das Ihre Richtung? Ist da-bei schon etwas herausgekommen?
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Ich weiß jetzt nicht, was daran lustig ist; ich kann Ih-nen dazu nichts sagen.
Ich finde es völlig normal, dass man solche Gesprächeführt.
Sie brauchen uns in der Debatte jetzt auch nicht mit Zwi-schenfragen zu nerven, mit denen Sie ablenken, und mitdieser Frage wollten Sie ablenken.
– Ich habe nichts dagegen, und Sie werden das auch tun.Es wird erwartet, dass der Außenminister Deutsch-lands Rolle in der Welt definiert: in Afghanistan, imNahen Osten, im Iran, in Europa und in Amerika. Zu al-ledem sagen Sie nichts, oder es kommen nur dünneSchlagworte.
Ich möchte einmal einige Überschriften zitieren: „DerMann ohne Antworten“, „Minister für Freundschaft“,„Westerwelles Stilbrüche“. Heute titelt die FTD, die nunwirklich nicht ein linksliberales Blatt ist – ich möchtenicht den ganzen Kommentar vorlesen; am Ende ist ernämlich wirklich vernichtend –: „Möllemann derZweite“.
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2762 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Kerstin Müller
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Soll ich vorlesen, was dort steht?
Fragen Sie lieber nicht.Sie empören sich darüber, dass sich die Öffentlichkeitnur noch für die Reisebegleitung und nicht mehr für dieInhalte interessiert. Sie sagen: Das ist eine Kampagneder Opposition. Die FDP stellt sich hier heute Morgenals Opfer hin. Aber täuschen Sie sich nicht. Die Bürge-rinnen und Bürger stellen diese Fragen nämlich auch.Das ist an den Umfragewerten zu erkennen. Ich binjetzt seit 15 Jahren in diesem Parlament. Es hat immerSchwierigkeiten gegeben, manchmal auch bei den Au-ßenministern. Aber noch nie ist ein Außenminister imersten halben Jahr seiner Amtszeit in den Umfragewer-ten so abgestürzt. Ich werde jetzt nicht auf Ihre Zustim-mungsquote eingehen.
– Hören Sie mir bitte zu. Nur noch 26 Prozent der be-fragten Bürger sind der Ansicht, dass Herr WesterwelleDeutschland als Außenminister gut vertritt. 77 Prozent– dazu gehören auch die Anhänger der FDP – sind derMeinung, dass Joschka Fischer seine Sache gut gemachthat. 70 Prozent sind der Ansicht, dass Herr Steinmeier esgut gemacht hat. Das ist der Unterschied. Sie stürzen ab.
Man traut Ihnen nicht mehr zu, dass Sie das Amt des Au-ßenministers seriös ausüben.Hören Sie auf, das Ganze als Majestätsbeleidigung zusehen.
– Es geht sehr wohl um Inhalte. Es geht nämlich umdas Amt des Außenministers, das von Herrn Westerwellebeschädigt wird. Es geht darum, dass das die Mehrheitder Deutschen so sieht. Es geht darum, dass HerrWesterwelle nicht in der Lage ist, Deutschlands Rolle inder Welt zu bestimmen,
weil er sich mit Parteispenden, parteitaktischen Ge-schichten und in seinen Rollen hier zu Hause verzettelthat und weil er nicht zwischen persönlichen, dienstli-chen und parteitaktischen Dingen trennen kann.
Niemand hat etwas dagegen, dass Außenpolitik auchAußenwirtschaftspolitik ist. Alle vorherigen Außenmi-nister haben Delegationen auf ihre Reisen mitgenom-men; das gilt auch für andere Minister. Darum geht esaber nicht. Es geht vielmehr um die Kriterien für die ein-zelnen Teilnehmer an den Delegationen. Wieso liegt eszum Beispiel im deutschen Interesse, den UnternehmerBoersch auf eine Dienstreise mitzunehmen, der ein Un-ternehmen mit Sitz in der Schweiz hat, das in Deutsch-land bis heute keinen Euro Steuern bezahlt hat? Wiesonimmt man ihn mit? Weil er ein guter Freund des HerrnWesterwelle ist? Welche großen deutschen Interessenvertritt eine Frau Schlinkert,
ihres Zeichens Mitglied im Kulturausschuss der StadtBonn? Warum wurde sie mitgenommen? Man wird be-stimmt nichts zu ihr finden, das belegt, dass sie etwasmit deutscher Außenpolitik zu tun hat oder ihre Mit-nahme von deutschem außenpolitischen Interesse war.Sie behaupten aber, dass Sie die Leute deshalb mitneh-men. Hier haben Sie wohl eher ein persönliches Verspre-chen auf Staatskosten eingelöst, oder nicht?Ich sage Ihnen, Herr Außenminister: Sie allein habenes in der Hand, dem Deutschen Bundestag und der Öf-fentlichkeit darzulegen, was die Kriterien für die Mit-nahme auf eine solche Reise sind. Sie haben es in derHand, zu erklären, dass diese Reisen keine FDP-Be-triebsausflüge sind und nicht FDP-Spender bevorzugteingeladen werden oder gar Vertreter bestimmter Fir-men, weil Ihr Bruder an einer dieser Firmen Anteile hat.Wir und die Öffentlichkeit erwarten, dass diese Fragenbeantwortet werden. Sie allein tragen die Verantwortung.Schieben Sie sie nicht auf andere. Sie haben es in derHand, dass dieses Amt nicht weiter beschädigt, sondernin Würde ausgeführt wird.
Jetzt komme ich zur Außenpolitik.
Ich möchte vor allem auf die Lateinamerikareise zusprechen kommen. Das war ein großartiger Erfolg. Sollich Ihnen einmal erzählen, wie die Journalisten das se-hen? Ich habe wirklich versucht, herauszufinden, wie dieBilanz dieser wichtigen Lateinamerikareise aussah. HerrWesterwelle fand alles „ganz außerordentlich“. Er fandes „sehr schön“, und er fand es „enorm“. Er fand, dass esvon „großer strategischer Bedeutung“ war. Aber selbstden Gastgebern soll wohl schleierhaft geblieben sein,worin denn der deutsche Außenminister ihre strategischeBedeutung sieht.Ich zitiere einmal die mitfahrenden Journalisten, diesich mit den Inhalten dieser Reise beschäftigt haben. Siesagen, dass Herr Westerwelle „in immer gleichen Wor-ten so gut wie nichts sagt“ – dies stammt aus der Süd-deutschen Zeitung –, dass die „Pose das Programm er-setzt hat“ und dass „der Meister der Schlagworte“unterwegs gewesen ist. Das ist die Bilanz Ihrer Latein-amerikareise. Ich finde nicht, dass man darauf unbedingtstolz sein kann. Das ist auch nicht verwunderlich. ÜberIhr Amtsverständnis konnte man in einem Interview inder BamS nachlesen, in dem Sie gesagt haben: „Ich willmir nicht ein paar schöne Jahre im Auswärtigen Amtmachen und die Welt kennenlernen.“ – Ich finde, genau
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2763
Kerstin Müller
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das spiegelt Ihr Verständnis von Außenpolitik wider. Sieverstehen Außenpolitik eher als Touristikunternehmenoder sehen sich bestenfalls als Handlungsreisender,wenn Sie zum Beispiel die Interessen der deutschenAtomindustrie in Brasilien vertreten. Ich meine: Das istdefinitiv zu wenig.
Ein deutscher Außenminister ist kein Handlungsreisen-der. Sie aber haben eine Hermesbürgschaft für Angra 3in Aussicht gestellt, obwohl das AKW in einem Erdbe-bengebiet gebaut werden soll und obwohl Brasilien nichtbereit ist, das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrver-trag zu unterzeichnen,
wofür wir aber dem Iran gegenüber massiv eintreten.Das ist außenpolitisch unverantwortlich und enthält we-nig Substanz.
Ich kann andere Themen nennen, zum Beispiel dasThema Nahost, das für die deutsche Außenpolitik vonzentraler Bedeutung ist. Man spricht von der schlimms-ten Krise in den Beziehungen zwischen Israel und denUSA. Das kann ich verstehen; denn das, was die israeli-sche Regierung gemacht hat, ist ein Affront. Die neuenSiedlungen in Ostjerusalem sind ein Hindernis für denFrieden. Israel muss diesen neuen Siedlungsbau zurück-nehmen.
Ich frage mich allerdings, wo der deutsche Außenmi-nister bei diesem zentralen Thema ist. Ich habe recher-chiert: Es gibt nichts außer einer dürftigen Pressemittei-lung. Stattdessen wird die Kanzlerin zitiert. DieKanzlerin und der Verteidigungsminister – das sehen dieBürgerinnen und Bürger übrigens in Umfragengenauso – machen Außenpolitik. Sie bestimmen, was inAfghanistan, im Iran, in Nahost und im Libanon passiert.Ein anderes Beispiel: Gerade war der libanesischeMinisterpräsident Hariri in Deutschland. Wir haben ihngestern getroffen. Die Kanzlerin hat sehr klar gesagt,dass sie alles dafür tun wird, damit die UNIFIL-Missionfortgesetzt wird. Auf meine Frage nach den Folgen unse-res möglichen Rückzugs – das ist die Position der FDP –hat Ministerpräsident Hariri sehr deutlich gesagt, dassdies ein sehr negatives Signal wäre; denn die UNIFIL-Mission hat den Libanon in die stabilste Situation seit40 Jahren gebracht. Wenn gerade die Deutschen ausstei-gen, die den stärksten Beitrag unter den Europäern lie-fern, wäre dies ein negatives Signal. Sie würden sich da-mit quasi von den P5-plus-1 verabschieden und ihreentscheidende Rolle im Nahen Osten verlieren.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit. Sie
ist überschritten.
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Ich komme zum Schluss. – Was macht der deutsche
Außenminister? In der erwähnten Pressemitteilung äu-
ßert er sich gar nicht zu diesem Thema. Auch heute war
nichts dazu zu hören. Liegt das daran, dass Sie in partei-
politische Debatten verstrickt sind, und warum haben
Sie das Ganze nicht schon in der letzten Diskussion um
UNIFIL abgeräumt? Deswegen sind Sie nicht sprachfä-
hig, und die Kanzlerin bestimmt die Politik.
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Jetzt komme ich zum Schluss. – Sie haben es in der
Hand. Schaffen Sie hier Klarheit! Wenn Sie das nicht tun
und kein Interesse haben, dann sind Sie dieses Amtes
nicht würdig.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer Stinner
für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Haushaltsdebatte ist traditionell eine Debatte überdie Grundzüge der Außenpolitik. Das sollte sie auchsein.Der Außenminister hat in wenigen Worten einige we-sentliche außenpolitische Leitlinien dargelegt. Aber erhat auch schon in den fünf Monaten seit seinem Amtsan-tritt deutlich gemacht, wohin die Reise geht. Die Opposi-tion hat Kritik geäußert. Das ist ihr gutes Recht.Herr Brandner, Ihre Rede würde ich eher als Kompli-ment an die Bundesregierung verstehen. Sie haben ge-sagt, dass alles in die richtige Richtung gehe, und zweioder drei Kritikpunkte angeführt. Das mussten Sie fürIhre sozialdemokratischen Seelen tun. Das verstehe ich.Aber im Wesentlichen haben Sie die Bundesregierungunterstützt.Herr Gehrcke, Sie haben sich am Außenminister ab-gearbeitet und vor allen Dingen die langen Linien ver-misst. Ich kann Ihnen nur gratulieren; denn Sie zeigenüberdeutlich, wohin lange Linien führen. Sie sind seit40 bis 50 Jahren konsequent auf der falschen Seite deut-scher Politik. Das ist konsequent.
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Dr. Rainer Stinner
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Sie haben eine lange Linie langfristig verfolgt. Das istallerdings richtig.Frau Müller hat den Anschein erweckt, als würde sieüber Inhalte sprechen, konnte aber der übergroßen Ver-suchung nicht widerstehen. Sehr geehrte Frau Müller,Sie haben sich dann doch wieder in eine Schlamm-schlacht hineinbegeben.Ich habe heute ziemlich viel Papier dabei. Ich habeeine Auflistung sämtlicher Reisen von AußenministerFischer und Außenminister Steinmeier sowie sämtlicherSpender dabei, die ich im Einzelnen vortragen könnte.Das mache ich aber nicht, sondern beschränke mich aufden Hinweis, dass 2004 Herr Fischer einen Unternehmermitgenommen hat, der vorher eine Spende gezahlt hat.Ich nenne den Namen ausdrücklich nicht, weil ich Spen-den nicht für falsch halte. Sie haben das auch gemacht,und es ist völliger Unsinn, uns das vorzuwerfen.
Herr Kollege Stinner, gestatten Sie eine Zwischen-
frage von Herrn Nouripour?
Von Herrn Nouripour? Das ist gut.
Herr Kollege Nouripour.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege
Stinner, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
nicht nur die Grünen Kritik äußern? Sie kennen be-
stimmt den Vizeministerpräsidenten des Landes Hessen,
Jörg-Uwe Hahn.
Er ist Parteivorsitzender der FDP in Hessen. Er hat ges-
tern – das ist heute in der Frankfurter Rundschau nach-
zulesen – auf die Nachfrage einer Zehntklässlerin: „Was
würden Sie tun, Herr Hahn, wenn Sie Guido
Westerwelle wären?“ geantwortet: „Ich würde mich zu-
rückziehen, mir selbst eine Auszeit geben.“ Sind Sie
nicht stolz darauf, dass Sie noch solch weise Mitglieder
in Ihrer Partei haben?
Nein, darauf bin ich gar nicht stolz. Ich kann mir nicht
vorstellen, dass der stellvertretende Ministerpräsident ei-
nes Bundeslandes allen Ernstes erwartet, dass der Bun-
desaußenminister 14 Tage lang nichts tut. Ich glaube
daher nicht, dass gemeint war, dass der Bundesaußenmi-
nister sein Amt nicht mehr ausüben soll. So können Sie
uns nicht kommen. Ich weiß, dass nicht nur die Grünen,
sondern auch andere Kritik geübt haben. Ich weiß aber
auch – ich kann Ihnen eine entsprechende Liste vorlegen –,
wer welche Reisebegleiter in den letzten Jahren mitge-
nommen hat. Das betrifft sowohl den Außenminister der
Grünen als auch der SPD. Ich könnte Ihnen die Namen
nennen. Aber wollen wir uns angesichts der Probleme
auf der Welt allen Ernstes auf ein solches Niveau in der
Haushaltsdebatte begeben? Wenn Sie das wollen: Ich bin
bereit dazu, halte es aber für außerordentlich schädlich
und dumm, so etwas zu tun.
Herr Kollege, mir liegen noch zwei Bitten nach einer
Zwischenfrage vor, und zwar vom Kollegen Koppelin
und vom Kollegen Ströbele. Wollen Sie beide Zwischen-
fragen zulassen?
Ja. Wenn ich die Zwischenfrage von Herrn Koppelin
zulasse, dann muss ich auch Herrn Ströbele die Chance
geben, eine zu stellen.
Herr Koppelin, bitte sehr.
Es passt vielleicht ganz gut, dass der Kollege Ströbele
nach mir eine Zwischenfrage stellt.
Herr Stinner, können Sie sich daran erinnern – da es
aktuell um Personalien geht –, dass in den Planungsstab
des Auswärtigen Amtes, als Joschka Fischer Außenmi-
nister wurde, ein Herr Schmierer kam, der Pol Pot und
die Roten Khmer, die für die massenhafte Tötung von
Kambodschanern verantwortlich sind, bejubelt hat, und
wissen Sie noch, dass wir das kritisiert haben und die
Grünen das trotzdem akzeptiert haben?
Herr Koppelin, ich kann mich daran erinnern, insbe-
sondere daran, dass wir das damals nachhaltig kritisiert
haben, und zwar völlig zu Recht. Ich bleibe bei dieser
Kritik noch heute.
Herr Ströbele.
Herr Stinner, Außenminister Westerwelle hat eineStaatsministerin im Auswärtigen Amt, die aus Ihren Rei-hen kommt. Sie heißt Cornelia Pieper. Wir hatten vor einpaar Tagen das Vergnügen einer öffentlichen Diskussionüber die Reisen des Außenministers und die Auswahlseiner Reisebegleiter. Sie hat in ihrer Not – so bewerteich das – gesagt, dass ich die Einzelheiten am Mittwochin der Debatte im Deutschen Bundestag erfahren werde,dann werde der Außenminister selber dazu Stellung neh-men, insbesondere zu den Kriterien der Auswahl seiner
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2765
Hans-Christian Ströbele
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Reisebegleiter. – Nun bin ich heute Morgen früh aufge-standen und hierher gekommen
und warte schon den ganzen Vormittag, ob die Bundes-kanzlerin oder Herr Westerwelle mir Aufklärung gibt.Ich hätte gerne Aufklärung darüber – das ist eine nor-male Frage eines Oppositionsabgeordneten –: Nach wel-chen Kriterien wählt der Außenminister seine Begleiteraus, und spielen dabei insbesondere persönliche Kon-takte, Freundschaften, Spenden oder was auch immereine Rolle? Sind Sie bereit, das zu beantworten oder Ih-ren Außenminister aufzufordern, das zu tun?
Herr Ströbele, ich benötige jetzt mein Papier mit den
Namen der Reisebegleiter ehemaliger Außenminister
tatsächlich, obwohl ich das nicht wollte. Aber Sie als
Opposition zwingen mich dazu. Ich kann Ihnen bestäti-
gen, sehr geehrter Herr Ströbele, dass Außenminister
Steinmeier elfmal – ich betone: elfmal – von einem
SPD-nahen Verleger begleitet worden ist.
– Ich möchte die Frage so beantworten, wie ich es will.
Falls Sie von Ihrer Fraktion einmal Redezeit bekämen,
könnten Sie hier vorne auch so agieren, wie Sie wollten.
Sehr geehrter Herr Ströbele, ich kann Ihnen bestäti-
gen, dass Außenminister Steinmeier elfmal den SPD-na-
hen Unternehmer P. mitgenommen hat und zu diesem
Unternehmer private Beziehungen pflegt; denn die bei-
den bilden eine Wohngemeinschaft. Man könnte also
flapsig sagen: Wohngemeinschafts-Buddys wurden mit
auf Auslandsreisen genommen. Darüber können wir
noch detailliert diskutieren. Ich kann Ihnen jetzt nur sa-
gen, dass das Auswärtige Amt sehr sorgfältig und sauber
plant, wie solche Reisen zusammengestellt werden. Das
war bei Herrn Fischer und Herrn Steinmeier so, und das
wird auch bei Herrn Westerwelle so sein.
Ich darf Ihnen, sehr geehrter Herr Ströbele, auch sa-
gen, dass bei der Reise nach Tokio und Peking, an der
neben Kollegen Ihrer Fraktion auch ich teilgenommen
habe, ein Herr dabei gewesen war, der in den letzten Jah-
ren der SPD und der CDU, nicht aber der FDP gespendet
hat. Auch das nur zur Information. Das heißt, dass hier
nicht nach solchen Kriterien ausgesucht worden ist.
Vielmehr legt das Auswärtige Amt eine Liste vor, aus
der ausgewählt wird. Das war bei Fischer so, das wird
bei Steinmeier so gewesen sein, und das ist bei Herrn
Westerwelle ganz genauso. Diese Praxis wird das Au-
ßenministerium fortsetzen. Sie können sicher sein, dass
dabei die verschiedenen Interessen ausgewogen zur Gel-
tung kommen.
Herr Kollege Stinner, Herr Beck möchte eine Zwi-
schenfrage stellen.
Sie wollen noch mehr haben? Sie können noch mehr
bekommen, bitte schön.
Herr Kollege, Sie scheinen zumindest dem Begehren
der Transparenz nicht völlig fernzustehen. Das ist auch
gut. Wir Parlamentarier sollten, egal welche Farbe die
Regierung hat, gemeinsam auf unsere Kontrollrechte
achten. Nun gibt es nicht nur Fragen zu den Delegations-
reisen, sondern auch Fragen zu den Berliner Abenden
des Auswärtigen Amtes in der Villa Borsig.
– Darf ich meine Frage stellen? – Der Außenminister hat
sich meines Wissens auf Nachfragen im Haushaltsaus-
schuss geweigert, die Gäste zu nennen. Ich will gar nicht
sagen, dass da irgendetwas schiefläuft, aber ich kann das
nicht nachprüfen, wenn man dem Parlament die Aus-
kunft verweigert.
Ich fand die Begründung, dass die Privatsphäre der
Gäste berührt sei, wenn man offenlegt, wer an einer offi-
ziellen Veranstaltung des Auswärtigen Amtes teilnimmt,
besonders beeindruckend. Nun ist das Auswärtige Amt
bekanntermaßen kein Geheimdienst, und es gab wahr-
scheinlich auch keine vertraulichen Gespräche mit ande-
ren Regierungen. Ich hätte Verständnis dafür, dass man
über solche Gespräche nicht alles sagen kann. Unterstüt-
zen Sie das Anliegen unserer Fraktion, dass diese Gäste-
listen offengelegt werden und dabei transparent gemacht
wird,
ob die Gäste Förderer und Spender der FDP oder Perso-
nen mit einem außenpolitischen Zusammenhang sind,
bei denen es einen Sinn ergibt, dass sie an den Berliner
Abenden des Auswärtigen Amtes teilnehmen?
Sehr geehrter Herr Kollege Beck, zunächst einmalzeigen Sie und Ihre Kollegen, die dieses Thema hochzie-hen, was von den ersten Kollegen, die hier gesprochenhaben, nicht gemacht worden ist, dass Sie offensichtlichinhaltlich an der Politik des Außenministers nichts aus-zusetzen haben. Das nehme ich als großes Komplimentfür die Außenpolitik. Herzlichen Dank dafür. Das zeigt,dass Sie inhaltlich nichts auf der Pfanne haben.
Wenn Sie als Parlamentarischer Geschäftsführer einerFraktion, die auch schon einige Jahre Regierungsverant-wortung getragen hat – hoffentlich so bald nicht wieder –,
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Dr. Rainer Stinner
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hier bemängeln, dass der Außenminister und Vizekanz-ler der Bundesrepublik Deutschland auch eine gesell-schaftliche Funktion wahrnimmt, indem er gesellschaft-lich relevante Personen aus allen Kreisen einlädt,
und das kritisieren, dann haben Sie ein Verständnis vonrepräsentativer Demokratie, das ich in keiner Weisenachvollziehen kann.Herzlichen Dank.
Ich bin gerne bereit, weitere Mitreisende von SPD-Ministern und Ministern der Grünen zu nennen. Falls Sieaber keine weiteren Zwischenfragen haben, würde ich inden restlichen Minuten gerne einiges zum Inhalt sagen;denn das sollte der Kern unserer Debatte sein. Wenn Siedas nicht wollen, dann zeigen Sie, dass Sie inhaltlichkein Interesse haben.Der Außenminister hat zu Beginn seiner Amtszeitsehr deutlich gemacht, dass er sich einerseits in der Kon-tinuität deutscher Außenpolitik sieht und andererseitseigene Akzente setzen wird. Wir brechen uns keinen Za-cken aus der Krone, wenn wir uns zu der Kontinuität derdeutschen Außen- und Sicherheitspolitik bekennen.Dazu gehören viele FDP-Minister, zu der gehören aberauch andere Minister wie Herr Fischer und auch HerrSteinmeier. Herr Westerwelle stellt sich ausdrücklich indiese Kontinuität. Wir haben auch an dem Haushalt ge-sehen, sehr geehrter Herr Brandner, dass Kontinuitätherrscht. Das haben Sie uns bestätigt. Herzlichen Dankfür die große Übereinstimmung, die wir hier haben.Herr Westerwelle hat aber auch gesagt, dass er eigeneAkzente setzt, wie es jeder Minister tut. Er hat damitsehr früh angefangen und in den ersten Tagen seinerAmtszeit zuerst eine Reise nach Polen und dann einenach Brüssel zur nationalen Regierung angetreten. DieRegierung in Brüssel hat neun Jahre lang keinen lebendi-gen deutschen Außenminister mehr gesehen. Er hat da-mit dokumentiert, dass wir das, was wir sagen, ernstnehmen, dass wir zwar zu den Großen in Europa gehö-ren, aber mit den kleinen und mittleren Staaten auf Au-genhöhe verhandeln. Es war ein deutliches Zeichen, daser hier gesetzt hat.
Ferner hat er die beiden Begriffe Werte und Interes-sen in einer neuen Weise intoniert. Wie Kollegen von Ih-nen habe ich an der Reise nach Peking und Tokio teilge-nommen. Die nicht verletzende, aber sehr offene unddeutliche Weise, in der der Minister in Peking sowohldie Menschenrechtsproblematik in China angesprochenhat als auch für die deutschen wirtschaftlichen Interessenund damit für die Sicherung von Arbeitsplätzen inDeutschland eingetreten ist, hat auch anderen Respektabgerungen. Nach Abschluss der Reise haben mir Kolle-gen der Oppositionsfraktionen – um niemandem zuschaden, möchte ich jetzt keine Namen nennen – gesagt,dass sie sehr beeindruckend fanden, wie sich der Minis-ter präsentiert hat. Wenn der Minister so weitermache,dann werde das eine ganz hervorragende Amtszeit. Ichwiederhole: Das haben Oppositionsabgeordnete gesagt.Ich nenne keine Namen, um keine Parteiausschlüsse zuprovozieren; schließlich sind einige unserer Parteien im-mer sehr schnell damit.
Frau Müller, ich habe nicht das geringste Verständnisdafür, dass Sie sagen: Auch beim Thema Afghanistanhat der Außenminister nichts Neues eingebracht. Dievorherigen Regierungen haben nach bestem Wissen undGewissen etwas Gutes und Richtiges versucht. Die Vor-gängerregierung hat das Thema „vernetzte Sicherheit“wie eine Monstranz vor sich her getragen. Unter der jet-zigen Regierung mit diesem Außenminister ist es erst-mals gelungen, dass Deutschland international Akzentesetzt – das haben wir immer gefordert –: Die Konferenzin London ist von Deutschland angeschoben, moderiertund getrieben worden; das war deutsche Außenpolitik.Auch das Ergebnis kann sich sehen lassen; das werdenSie gar nicht abstreiten können. Damit sind die ProblemeAfghanistans zwar nicht auf einen Schlag gelöst, aber esist eine bestimmte Richtung eingeschlagen worden: Erst-mals hat die NATO eine gemeinsame Strategie verabre-det, und gleichzeitig ist ein Weg aufgezeigt worden, wiewir das Land eines Tages verlassen werden können. Dasist neu.Ich bezweifele gar nicht, dass Sie das Gleiche woll-ten. Nur, meine Damen und Herren, der beste Beweis fürdas Wollen ist das Tun – und Sie haben das Notwendigenicht getan, während es die neue Bundesregierung unterFührung des Außenministers getan hat. Das ist ein nach-haltiger neuer Akzent. Man kann gar nicht energisch ge-nug darauf hinweisen, dass es eine neue Qualität deut-scher Außenpolitik ist.
Ich komme auf das Thema Abrüstung zu sprechen.Frau Müller, auch beim schlechtesten Willen – den ichIhnen sonst nicht unterstelle; aber Ihre heutige Rede deu-tet darauf hin, dass Sie vielleicht auch da ein bisschenabgerutscht sind – können Sie nicht bezweifeln, dass derAußenminister bezüglich der Abrüstung neue, energi-sche Akzente gesetzt hat. Auf dieses wichtige Thema hater auch heute trotz seiner kurzen Redezeit ausdrücklichhingewiesen. Es ist eine glückliche Fügung, dass wirjetzt im Einklang mit unseren amerikanischen Verbünde-ten sind. Die Bundesregierung wird dieses Thema unterFührung des Außenministers weiterhin energisch behan-deln. Er hat dabei unsere große Unterstützung.
Ihre Kritik war nicht inhaltlicher Art. Auf die vonHerrn Gehrcke skizzierten langen Linien bin ich einge-gangen. Frau Müller, Sie haben der Versuchung nichtwiderstanden, hier auf die Pauke zu hauen. Ihre Kritik istinhaltlich nicht fundiert. Die Außenpolitik hat nach140 Tagen Fahrt aufgenommen. Die Leitlinien sind ge-
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Dr. Rainer Stinner
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setzt. Diese Bundesregierung unter Führung des Außen-ministers wird sich auf die Koalitionsfraktionen – auf je-den Fall auf meine Fraktion, aber, wie ich weiß, auch aufdie Unionsfraktion – stützen können, sodass wir diesesachorientierte, wertegeleitete, interessengeleitete deut-sche Außenpolitik erfolgreich fortsetzen werden. Dafürwerden wir sorgen. Egal was für einen Tanz Sie anstel-len: Sie werden uns von diesem richtigen Weg nicht ab-bringen.
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich nun
dem Kollegen Koppelin.
Der Kollege Volker Beck hat in einer Zwischenfrage
behauptet, der Bundesaußenminister habe sich im Haus-
haltsausschuss geweigert, zu ermöglichen, dass Listen
eingesehen werden, aus denen hervorgeht, wer Gast in
der Villa Borsig gewesen ist. Der Sachverhalt ist fol-
gendermaßen – ich bin Mitglied im Haushaltsausschuss,
Sie nicht, Herr Kollege Beck –: Zwei Kollegen aus dem
Haushaltsausschuss – einer ist Mitglied Ihrer Fraktion –
haben entsprechende Listen eingesehen
– meinetwegen haben sie nur eine Liste eingesehen; da-
rüber streite ich mich mit Ihnen gar nicht –, auf denen
steht, wer in die Villa Borsig eingeladen war. Diese Liste
hat sich anschließend in den Medien wiedergefunden,
mit Namensnennung und Abqualifizierung dieser Gäste.
Es wurde zum Beispiel geschrieben, das seien B-Promis
gewesen. Unter den Gästen waren Botschafter. In den
Medien sind übrigens auch Botschafter genannt worden,
die gar nicht dabei waren; auch das muss man einmal zur
Kenntnis nehmen.
Wenn der Bundesaußenminister Gäste einlädt, dann
kann es nicht angehen, dass diese anschließend in den
Medien persönlich abqualifiziert werden, weil Kollegen
aus dem Ausschuss eine entsprechende Liste einsehen
konnten. Insofern unterstütze ich, dass der Bundes-
außenminister gesagt hat: Zukünftig gibt es keine Ein-
sicht mehr in eine solche Liste. In diesem Fall hat es aber
Einsicht gegeben; er hat sich dem vorher nicht verwei-
gert. Das sei zur Klarstellung gesagt. Diejenigen, die das
in die Medien getragen haben und die Gäste abqualifi-
ziert haben, haben selber Schuld, wenn sie zukünftig
diese Listen nicht mehr einsehen können.
Normalerweise antwortet auf die Kurzintervention
der Redner. Nachdem Sie aber persönlich auf Einlassun-
gen in Ihrer Zwischenfrage angesprochen wurden, gebe
ich Ihnen das Wort, Herr Beck.
Unsere Anfrage an diese Listen verbindet sich mitkeiner Bewertung, sondern es geht hier um Transpa-renz.
– Ja, es geht hier um Transparenz.Natürlich kann Transparenz dazu führen, dass die Öf-fentlichkeit kontrovers über Dinge, die bekannt werden,diskutiert. Ich meine, dass es auch völlig in Ordnunggeht, dass darüber geredet wird, wer bei solchen Veran-staltungen eingeladen wird. Hier handelt eine Regie-rungsstelle als Exekutive. Es wäre nicht in Ordnung,wenn darüber geredet würde, wer sich mit wem auf pri-vaten Partys des Außenministers oder welcher Personauch immer trifft. Aber wenn etwas vom Steuerzahlerbezahlt wird, wenn es um die offiziellen Kontakte desAuswärtigen Amtes geht, dann hat die Öffentlichkeitauch einen Anspruch.
Es reicht nicht, dass diskrete Einsichtnahme gewährtwird; vielmehr kann man sich dazu bekennen. Ich sagegar nicht, dass da irgendetwas schief ist; aber wir habendas Recht, so etwas zu erfahren und dann zu bewerten,ob das in Ordnung ist oder nicht.Ich maße mir kein Urteil an, wenn ich die entspre-chenden Informationen nicht habe. Aber es gibt ebenentsprechende Berichte, bei denen man das Gefühl hat,die Zusammenstellung sei in besonderer Weise und viel-leicht nicht ganz sachgerecht mit Blick auf das Auswär-tige Amt erfolgt. Es mag so sein, es mag sich auch ganzanders verhalten. Wissen und beurteilen kann man dasnur, wenn man die Informationen offenlegt. Deshalb for-dere ich den Außenminister auf, hier Transparenz waltenzu lassen und uns auch zu sagen, wer welche Leute fürDelegationsreisen vorgeschlagen hat und welches Bera-tungsergebnis am Ende für die Zusammenstellung derDelegation herausgekommen ist. Diese Vorgänge müs-sen transparent gemacht werden.Sie, Herr Außenminister, haben sich beschwert, dassangeblich eine Kampagne gegen Sie laufe. Ich glaube,die Kampagne hat nur ein Feuer: Das ist die mangelndeTransparenz des Auswärtigen Amtes bei diesen Vorgän-gen und nicht der böse Wille von Leuten, die Fragen ha-ben.
Fragen, mit Verlaub, sind keine Majestätsbeleidigung,sondern das gute Recht des Parlamentes. Das Interpella-tionsrecht und das Haushaltsrecht sind unsere höchstenGüter. Sie machen viel von dem aus, was das Parlamentleisten kann.
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2768 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Volker Beck
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Diese Aufgabe werden wir auch weiter wahrnehmen unduns da, mit Verlaub, den Schneid nicht abkaufen lassen.
Wir fahren in der Debatte nun fort. Ich erteile das
Wort dem Kollegen Rolf Mützenich für die SPD-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die eine oder andere Diskussion, die wir hier gerade ge-führt haben, entspricht nicht meiner Debattenkultur.
Zugleich finde ich aber auch, dass Sie, Herr Außen-minister, heute eine Chance verpasst haben. Sie hättenauf die Nachfragen, die in den letzten Tagen gestelltworden sind, durchaus antworten können. Sie hättenauch genug Redezeit gehabt, insbesondere weil ichglaube, dass die drei Punkte, die Sie angeführt haben,Sie nicht so stark bedrängt haben, dass Sie nicht auf diedrängenden Fragen, die in den letzten Tagen immer wie-der gestellt worden sind, hätten antworten können.
Ich fand auch manches bizarr, insbesondere, dass Sieam Sonntag gesagt haben, Ihnen werde man den Schneidnicht abkaufen. Ich will Ihnen den Schneid nicht abkau-fen. Darauf kommt es gar nicht an. Ich hätte auch diesenDuktus nicht gewählt. Der entscheidende Punkt ist docheinfach, dass in den letzten Wochen und Monaten soviele unterschiedliche Fragen mit Ihnen, aber auch mitdem Amt in Verbindung gebracht worden sind, dassdiese Diskussion notwendig gewesen ist und die offenenFragen sozusagen nach Antworten schreien. Ich glaube,Sie hätten heute antworten sollen. Ich habe das erwartet.Ich hätte es auch deswegen besser gefunden, weil ichglaube, dass diese Empörungsrituale, die Sie in den letz-ten Tagen immer wieder aufzuführen versucht haben,letztendlich wieder auf Sie zurückfallen werden.Sie haben sich darüber beschwert, dass die Opposi-tion eine entsprechende Debatte geführt hat, als Sie imAusland gewesen sind. Ich hätte mich zuerst einmal anmeinen Koalitionspartner gewandt und gefragt, wasdenn in den Generalsekretär Dobrindt gefahren sei, als erüber die „Abwrackprämie für Taliban“ gesprochen hat,als es um die Afghanistanstrategie ging, als er Sie in dieTürkei begleitet hat und Aussagen getätigt hat, die vonuns mit Sicherheit niemals gekommen wären. Ich wärealso vorsichtig bei diesen Fragen.Nun wollen zum Beispiel Herr Lindner und Ihre Frak-tionsvorsitzende Ihnen beispringen, indem sie sagen, dasalles schade der Demokratie bzw. der politischen Kultur.Aber, Herr Außenminister, wo kommen wir hin, wennSie die Ordnung des Staates so mit Ihrer Person identifi-zieren, dass Sie auch die Kritik, die an Ihnen persönlichgeübt wird, mit Ihrem Amt verbinden?
Ich muss Ihnen sagen: Wenn etwas der Demokratie ge-schadet hat, dann waren es die Parteispenden und eineHaushaltspolitik, die sich möglicherweise von diesenParteispenden abgeleitet hat. Das müssen Sie verantwor-ten. Ich finde, das schadet der Demokratie mehr als dieFrage nach Aufklärung und Transparenz in diesem Bun-destag.
Herr Außenminister, ich hatte Ihnen in der Debatte,die wir anlässlich der Einbringung des Haushalts geführthaben, Kooperation angeboten. Das finde ich auch wei-terhin richtig. Wir haben dies auch im Falle Afghanis-tans getan. Es wird in den nächsten Wochen und Mona-ten sicherlich genügend Themen geben, bei denen dieOpposition, zumindest die SPD-Fraktion, mit Ihnen inein Gespräch inhaltlicher Art eintreten will. Aber dazumöchten wir wissen: Wo wollen Sie eigentlich hin mitdieser Außenpolitik? Eine Antwort auf diese Frage hat inden letzten 140 Tagen gefehlt.Ich war zum Beispiel wirklich enttäuscht, dass Sie esnicht geschafft haben, der neuen europäischen Außen-ministerin – Herr Stinner und Herr Frankenhauser, Siehaben eben darüber gesprochen – einmal beizuspringen.Was macht diese Kollegin in den letzten Tagen durch?Sie wird auf europäischer Ebene sozusagen gemobbt,weil sie es beispielsweise nicht schafft, am Wochenendedrei Termine wahrzunehmen, und stattdessen bei ihrerFamilie sein will. Ich finde, es gehört, auch innerhalbEuropas, zum guten Ton, sich vor diese Institution zustellen und den Europäischen Auswärtigen Dienst zu un-terstützen.
Ein anderer Punkt ist von Kollegin Müller angespro-chen worden. Ich finde es erschreckend, dass Sie, der Siesich damals in der Opposition gegen UNIFIL ausgespro-chen haben, es heute nicht schaffen, über Ihren Schattenzu springen und in der Funktion des Außenministersdem libanesischen Ministerpräsidenten gegenüberzutre-ten und ihm zu sagen, dass wir darüber noch einmalnachdenken und unter Umständen nach der Sommer-pause ein erneutes Mandat dafür einbringen. Denn der li-banesische Ministerpräsident hat doch, als er hier zu Be-such war, händeringend darum gefleht, dass Deutschlandsich nicht aus dem Mandat verabschiedet, weil er Angsthat, dass dann der Nahostprozess, von dem man nichtmehr wirklich sprechen kann, nicht mehr für Libanongilt. Auch das haben Sie nicht getan. Ich würde mir wün-schen, Sie wären an dieser Stelle wirklich Außenminis-ter.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2769
Dr. Rolf Mützenich
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Sie haben es der Kanzlerin überlassen, den Siedlungs-bau zu kritisieren. Ich fand das, was Sie heute hierzu ge-sagt haben, wachswindelweich; das sage ich an beideParteien gerichtet. Ich meine, man muss ganz offen ge-genüber der israelischen Regierung zum Ausdruck brin-gen, dass die Palästinensische Autonomiebehörde nir-gendwo baut, sondern im Grunde genommen darangehindert wird, ihre Arbeit zu tun. Das sind Dinge, dieein deutscher Außenminister ansprechen muss und auchdarf, insbesondere in der konkreten Verantwortung ge-genüber Israel. Auch dazu habe ich heute kein Wort ge-hört.
Dann rühmen Sie sich immer, Sie wären sozusagender Erfinder von Abrüstung und Rüstungskontrolle.Herr Außenminister, Sie wissen, dass wir zurzeit über ei-nen gemeinsamen Antrag zu Abrüstung und Rüstungs-kontrolle verhandeln, weil uns viel daran liegt, dass dieÜberprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag inNew York ein Erfolg wird. Ich finde es richtig, dass derBundestag sich hierzu zusammensetzt. Aber ich sage Ih-nen: Es ist zu wenig, zum Beispiel nur den Abzug dertaktischen Atomwaffen zu fordern, wenn man nichtgleichzeitig mit seinen europäischen Kollegen darüberspricht. Denn sonst sagen vielleicht plötzlich andere Re-gierungen: Wenn die Atomwaffen aus Deutschland ver-schwinden, nehmen wir die ganz gerne. – Das gehörtnicht zu einer klugen Abrüstung und Rüstungskontrolle,sondern das verlagert nur das Problem.
Deswegen wäre ich Ihnen wirklich dankbar, wenn SieManns genug wären, diese Diskussion auch auf die euro-päische und die NATO-Ebene zu verlagern.Der zweite Punkt im Zusammenhang mit Abrüstungund Rüstungskontrolle betrifft den immer noch ausste-henden Vertrag zwischen den USA und Russland überden Abbau strategischer Atomwaffen. Ich glaube, diebrauchen ein bisschen Feuer bei dieser Diskussion bzw.Unterstützung. Ich sage Ihnen: Wir bauen ein riesengro-ßes Problem auf, wenn wir die Raketenabwehr nicht mitAbrüstung und Rüstungskontrolle verbinden. Dies zutun, ist eine ganz wichtige Aufgabe. Die Frage, wie mandas erreichen kann, beantworten Sie in Ihrer Funktionals deutscher Außenminister aber nicht.Der letzte Punkt. Die konventionelle Abrüstung undRüstungskontrolle stehen vor einer großen Herausforde-rung. Wir von der SPD haben Ihnen angeboten, den ange-passten Vertrag im Deutschen Bundestag sofort zu ratifi-zieren, wenn Sie ihn vorlegen. Dadurch könnte man zueiner weiterführenden Diskussion kommen. Diese Auf-gabe haben Sie zu erfüllen. Auch die Fragen zu derdeutsch-russischen Modernisierungspartnerschaft schreiendanach, dass sich der Außenminister damit beschäftigt.Ich glaube, Ihr Problem ist, dass Sie nach 140 Tagennoch immer nicht im Amt angekommen sind. Ihr Augen-merk gilt zuerst Ihnen selbst und dann der Außenpolitik.Ich glaube, das ist die falsche Reihenfolge.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Philipp Mißfelder für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Zunächst einmal möchte ich in dieser De-batte die Gelegenheit nutzen, mich bei denjenigen zu be-danken, die neben dem Bundesaußenminister und nebenden Abgeordneten die Außenpolitik Deutschlands reprä-sentieren. Das sind unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter im diplomatischen Korps und unsere vielen Ortskräfte,die wir weltweit beschäftigen. Insgesamt repräsentieren12 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Bundesrepu-blik Deutschland in der Welt. Ihnen spreche ich meinenherzlichen Dank für ihre vorzügliche Arbeit aus, die sie inschwierigen Situationen wie in Chile, Haiti, Afghanistanund anderswo, aber auch auf Positionen, wo deutsche In-teressen gewahrt werden müssen, wie zum Beispiel inNachbarländern, leisten.Mein Dank geht auch an diejenigen, die sie dabei be-gleiten: an die Ehemänner und Ehefrauen, an die Partne-rinnen und Partner. Sie alle tragen dazu bei, dass das An-sehen Deutschlands überall in der Welt sehr gut ist.Auch dafür einen herzlichen Dank.
Ich möchte in dieser Debatte die Gelegenheit nutzen,auf ein paar grundsätzliche Fragen der Außenpolitik ein-zugehen. Es geht in diesem Zusammenhang auch um dieFrage, mit welcher Zielsetzung wir Außenpolitik für un-ser Land betreiben.Die Außenpolitik muss erstens den Interessen derMenschen in unserem Land dienen. Sie muss zweitensdie europäische Dimension bei allen Fragen umfassen.Drittens muss deutsche Außenpolitik – das hat der Bun-desaußenminister bei jeder sich bietenden Gelegenheit invorzüglicher Weise deutlich gemacht – auch Friedenspo-litik sein. Dieser Grundsatz bestimmt das Handeln derbürgerlichen Koalition. Es ist wichtig, dies noch deutli-cher herauszustellen. Wir sollten uns daher diesen Debat-ten am heutigen Tage stellen und uns nicht in Nebenge-fechten verzetteln, was der Bedeutung der Außenpolitikin keiner Weise angemessen wäre.
Der Kollege Frankenhauser hat bereits darauf hinge-wiesen, dass es sich mit 3,2 Milliarden Euro Ausgabenum einen sehr großen Etat handelt. Das Durchschnitts-einkommen eines Arbeitnehmers in Deutschland beträgtrund 3 000 Euro brutto. Der Etat entspricht also umge-
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rechnet einer Arbeitsleistung von 1 064 605 Monaten.Wenn man für ein Erwerbsleben 35 Jahre veranschlagt,dann kann man sagen, dass das gesamte Erwerbslebenvon rund 2 500 Arbeitnehmern benötigt wird, um diesenEtat zu erwirtschaften. Die Bürgerinnen und Bürger fra-gen sich also zu Recht, wie wir dieses Geld für die Inte-ressenvertretung unseres Landes im Ausland ausgebenund für welche Ziele wir im Ausland einstehen.Deshalb muss jeder Cent des Haushaltes, über den wirheute beraten, begründet werden. Die Ausgaben werdendurch die Professionalität des Dienstes, die unser Aus-wärtiges Amt auszeichnet, und durch die weltweit er-brachten Serviceleistungen gerechtfertigt. Dazu zählenReisehinweise, die Hilfe beim Verlust des Passes oderdie extrem professionelle und weltweit gerühmte Arbeitdes Krisenstabes im Auswärtigen Amt, der immer dann,wenn Deutsche im Ausland in Gefahr sind, sehr gute Ar-beit leistet.Darüber hinaus muss deutlich gemacht werden, dass esneben dieser professionellen tagtäglichen Arbeit großeLinien gibt, die von dieser Regierung verfolgt werdenund die wir hier im Parlament politisch unterstützen,heute durch unsere Zustimmung zum Haushalt. Dazu ge-hört zum Beispiel die Außenwirtschaft. Wenn man sieht,dass in den vergangenen Jahren nahezu jeder fünfte Ar-beitsplatz in Deutschland vom Export abhängig gewesenist, dann liegt es doch auf der Hand, dass sich der Außen-minister für die deutsche Wirtschaft im Ausland stark-macht und damit unsere außenwirtschaftliche Positionstärkt. Ich glaube, man kann schon nach dieser kurzen Re-gierungszeit sagen, dass dies bislang ein voller Erfolg ist.
Vor diesem Hintergrund möchte ich dem Außenminis-ter ausdrücklich zu seiner Südamerikareise gratulieren.Wir können uns nun dem zuwenden, was auf dieser Reisepassiert ist. Wenige Stunden vor Abreise veröffentlichtedas Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel einenArtikel, in dem die Position Deutschlands in Brasilienmassiv kritisiert worden ist. Die beiden Autoren kamenzu dem Ergebnis, dass uns andere europäische Länder denRang in Brasilien schon längst abgelaufen hätten. Alleindurch Ihre Reisetätigkeit in Südamerika haben wir diesenWettbewerbsnachteil wieder aufgeholt, und das wird all-seits gerühmt. Deshalb danke ich Ihnen für Ihr Engage-ment in Brasilien, um dieses wichtige Land ganz aus-drücklich zu nennen.
Uns geht es bei der Beschreibung unserer politischenLinien in den nächsten Monaten darum, uns den drän-genden politischen Fragen zu stellen. Der Außenministerhat sehr nachdrücklich unterstrichen, welche Themenihm wichtig sind. Ich möchte für unsere Fraktion einpaar Ergänzungen vornehmen, die in unserem besonde-ren Interesse, aber auch in dem unseres Koalitionspart-ners liegen.Wir haben uns in gemeinsamen Gesprächen darumbemüht, die drängenden Fragen auch von parlamentari-scher Seite her zu begleiten. Dabei geht es uns besondersum die zukünftige Sicherheitsarchitektur in Europa undum die Zukunft der NATO. Ich möchte noch einmal dieAusgabe des Spiegel, der aus bekannten Gründen nichtmeine Lieblingszeitschrift ist, aus der vergangenen Wo-che heranziehen. Volker Rühe, Klaus Naumann, FrankElbe und Ulrich Weisser haben in einem Spiegel-Aufsatzsehr deutlich Position dazu bezogen, was die Zukunftder NATO ist und was die – ich sage das sehr bewusst –Nachbarschaftspolitik gegenüber Russland in den nächs-ten Jahren dominieren soll. Unsere Aufgabe, die des Par-laments und insbesondere die der Koalitionsfraktionen,muss es sein, sich der Frage nach der Zukunft der NATOauch unter dem Gesichtspunkt zu stellen, inwiefern wirdazu beitragen können, dass die Tür zwischen derNATO und Russland etwas weiter geöffnet werdenkann, als es momentan der Fall ist.Wie dringend das ist, zeigen die außenpolitischenDiskussionen, die in den vergangenen Monaten unserenAlltag geprägt haben, die Themen, die wir hier allwö-chentlich diskutieren. Es geht dabei zum Beispiel um dieSicherheit in Afghanistan, wo wir dringend auf die Ko-operation Russlands angewiesen sind. Natürlich gilt dasnicht im militärischen Sinne, weil es naheliegt, dass sichRussland in dieser Hinsicht nicht engagieren will unddies auch zukünftig nicht tun wird. Vielmehr geht es,wenn man politische Lösungen in dieser Region errei-chen will, um die Frage, wie es gelingen kann, Russlandbzw. die sich verändernde russische Politik stärker ein-zubeziehen. Insofern schlage ich vor, dass wir alle unsdieser Frage deutlich intensiver zuwenden und denNATO-Reformprozess unter diesem Gesichtspunkt stär-ker in den Blick nehmen.Nun möchte ich Russland und China nicht in einemAtemzug nennen; denn die Länder sind so unterschied-lich, wie sie nur sein können, obwohl sie direkt nebenei-nanderliegen. Bei all den Fragen, die uns in den nächstenMonaten beschäftigen werden, müssen wir aber Folgen-des sehen: Wenn es uns nicht gelingt, Russland und Chinagemeinsam international stärker in die Verantwortung zunehmen, wird uns weder eine Lösung für Afghanistanleichtfallen noch werden wir die Probleme mit dem Iranlösen können. Deshalb muss aus dem Parlament der nach-drückliche Appell kommen, mit China, was die Sicher-heitsstrukturen im Nahen Osten, aber auch was diekonkrete Situation im Iran angeht, stärker zusammenzu-arbeiten, als das bisher der Fall war. Ich sehe gute Chan-cen. Ich begrüße es deshalb ausdrücklich, wenn wir allezur Verfügung stehenden Gesprächskanäle nutzen undversuchen, mit denjenigen in China ins Gespräch zu kom-men, die dort Politik gestalten. Das wird in groben Zügenvon allen Parteien so gesehen. Ich glaube, dass uns geradeunser großes Ansehen, das wir durch unser dauerhaftesEngagement in China genießen, nutzen kann und wir dasstärker ausspielen müssen.In den nächsten Jahren der Regierungszeit sollte un-sere Position sein, dass die beiden Schwerpunkte – dasVerhältnis zu Russland und das Verhältnis zu China –eine größere Rolle spielen als in den vergangenen Jah-ren. Vor allem muss das unter einem eher politischenGesichtspunkt betrachtet werden, als das früher unterGerhard Schröder der Fall war, bei dem der Verdacht na-
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helag, dass eine Anschlussverwendung vielleicht einegrößere Rolle gespielt hat als die politische Zielsetzung.Ich glaube, die Prognose wagen zu können, dass dasVerhältnis zwischen den USA und China, das als G-2-Prozess beschrieben wird, schon in den nächsten dreiJahren in eine entscheidende Phase kommen wird. Manmuss in diesem Zusammenhang fragen, welche RolleDeutschland in diesem Prozess spielen soll und wie esvor dem Hintergrund der europäischen Dimension unterHinzuziehung der Deutschen und insbesondere derEuropäer insgesamt gelingen kann, einen besseren Aus-gleich zwischen diesen beiden Polen zu schaffen und zuerreichen, dass europäische Politik, europäische Maß-stäbe und letztendlich auch europäische Interessen stär-ker berücksichtigt werden.
Die besondere Rolle Europas kommt dabei nicht nurbei Themen wie Klimaschutz – das ist offensichtlich –oder internationale Finanzpolitik – darüber diskutierenwir derzeit sehr intensiv –, bei denen das Verhältnis zwi-schen China und den USA von Bedeutung ist, zum Aus-druck, sondern betrifft auch Teile der Außenpolitik, diein unseren alltäglichen Debatten unterrepräsentiert sind.Ich möchte einen Kollegen ganz ausdrücklich nament-lich erwähnen, der gestern bei uns in der Fraktion mit Un-terstützung unserer Fraktionsführung und auch mit Unter-stützung des Bundesentwicklungsministers eine sehr guteVeranstaltung durchgeführt hat: Kollege Hartwig Fischerhat gestern dafür gesorgt, dass Afrika unter einem be-sonderen Gesichtspunkt betrachtet wurde, nämlich nichtnur als Zuwendungsempfänger, nicht nur als ein Konti-nent, der Hilfe braucht, sondern auch als realer Partner,den man bei wirtschaftlichen Fragen und der zukünfti-gen wirtschaftlichen Entwicklung unterstützen kann.Lieber Kollege Fischer, der gestrige Abend war ein vol-ler Erfolg.
Selbst wenn das kein Thema ist, das hier alle in Aufre-gung versetzt, glaube ich, dass, wenn wir über die Inte-ressen Europas – gerade auch im Wettlauf mit China – inAfrika diskutieren, die wirtschaftliche Zusammenarbeitmit Afrika eine zentrale Rolle spielt.Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort der Kol-
lege Andrej Hunko.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das istmeine erste Rede hier im Deutschen Bundestag. Ichmuss sagen: Herr Westerwelle, ich bin konsterniert, wiewenig inhaltliche Anknüpfungspunkte Ihr Redebeitraglieferte.
Ich werde überwiegend zur Europapolitik sprechen.Es gibt eine Reihe von Entwicklungen, die wir als Linkemit großer Sorge und auch kritisch sehen. Zum einenwäre der Umgang mit Griechenland zu nennen. DesWeiteren wäre das Stockholmer Programm zu nennen,das die innere Aufrüstung der Europäischen Union vo-rantreibt. Es wäre der Europäische Auswärtige Dienst zunennen, der heute bereits angesprochen wurde. Das Be-sondere an diesem Dienst ist, dass verschiedene Berei-che, die in Deutschland aus gutem Grund getrennt sind– Entwicklungshilfe, auswärtige Politik, Militär- und Si-cherheitspolitik –, in einem mächtigen Apparat mit8 000 Beschäftigten zusammengefasst werden. Damitsoll – so sagen Sie, Herr Westerwelle – ein schlagkräfti-ger Auswärtiger Dienst errichtet werden. Ich frage mich:Wer soll da geschlagen werden?
Ich werde jetzt überwiegend über Island sprechen.Demnächst laufen wahrscheinlich die Beitrittsverhand-lungen an. Ich war in der letzten Woche mit einer Dele-gation des EU-Ausschusses in Island, in Reykjavik. Vorwenigen Tagen haben in Island fast 94 Prozent der Be-völkerung in einem Referendum einen Gesetzentwurf ab-gelehnt, der die Übernahme der Schulden der privatenIcesave-Bank durch die öffentlichen Haushalte vorsieht.Das Gesetz hätte jede isländische Familie mit 48 000 Eurobelastet. Die Isländerinnen und Isländer haben sehr deut-lich zum Ausdruck gebracht: Wir zahlen nicht für dieseKrise. Wir zahlen nicht für die Krise der Banken undSpekulanten. Wir Linke begrüßen das außerordentlich.
Da fragt man sich doch: Wieso gibt es in Deutschlandeigentlich nicht wie in Island Referenden über grundle-gende Fragen, zum Beispiel über das Bankenrettungs-paket, das die öffentlichen Haushalte auf Jahre mit500 Milliarden Euro belasten wird?
Diese Belastung werden Sie der Bevölkerung wahr-scheinlich erst nach der Wahl in Nordrhein-Westfalenpräsentieren. Deshalb rufe ich dazu auf und unterstützees, dass die Menschen in Nordrhein-Westfalen, in Essen,am kommenden Samstag auf die Straße gehen unter demMotto: Wir zahlen nicht für eure Krise!
Island hat im Juli letzten Jahres einen Antrag auf Bei-tritt in die Europäische Union gestellt. Am 24. Februarhat die Europäische Kommission der Aufnahme vonBeitrittsverhandlungen zugestimmt. Eine mögliche Be-schlussfassung des Rates am 25. März soll jetzt verzö-gert werden, weil die britische und die niederländischeRegierung die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen alsHebel für die Verhandlungen über die Icesave-Schuldenbenutzen möchten. In der Delegation waren wir uns in
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Andrej Konstantin Hunko
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Island parteiübergreifend einig, dass die Icesave-Fragevon der Frage der Beitrittsperspektive zu trennen ist,dass die Icesave-Frage eine bilaterale bzw. trilateraleFrage ist. Deshalb ist es für mich völlig unverständlich,warum die Regierungsfraktionen den Beitritt jetzt offen-sichtlich doch verzögern wollen, wie gestern im EU-Ausschuss deutlich wurde. Das riecht doch sehr danach,dass ein entsprechender Druck aufgebaut worden ist.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Linke hatdurch die Klage gegen den Lissabon-Vertrag vor demBundesverfassungsgericht erwirkt, dass der Bundestagin EU-Fragen gestärkt wurde und bei wichtigen Ent-scheidungen beteiligt werden muss. Die Bundesregie-rung muss ihre Verpflichtungen endlich ernst nehmenund ein Einvernehmen mit dem Bundestag herstellen. Esist aber nicht hinnehmbar – das passiert gerade –, wenndie gestärkten parlamentarischen Rechte als Vorwandgenommen werden, um die Aufnahme von Beitrittsver-handlungen zu verzögern. Es ist möglich, unter Einhal-tung aller parlamentarischen Spielregeln bis zum25. März 2010, also bis zum nächsten EU-Ratsgipfel, zueiner Entscheidung zu kommen. Ich fordere Sie auf, dieszu tun.
Im Zusammenhang mit Island stimmt mich eines be-denklich: Da ist die Rede von geostrategischen Interes-sen der Europäischen Union in der Arktis. Die EU wollebei dem großen Spiel dabei sein, wie es der schwedischeAußenminister Carl Bildt in Brüssel formulierte. Auchder SPD-Antrag geht leider in diese Richtung. Die Mit-gliedschaft Islands soll der EU das Tor zur Arktis öffnen.Wir wissen, dass in der Arktis die größten unberührtenÖl- und Gasreserven lagern. Wir jedoch wollen nicht,dass sich die EU an einem imperialen Wettlauf um dieletzten Öl- und Gasvorkommen der Welt beteiligt. Esmüssen endlich einmal andere Wege gegangen werdenals bei den großen rohstoffreichen Gebieten im 19. und20. Jahrhundert.
Deshalb sind wir für ein Moratorium bezüglich der Res-sourcenausbeutung der Arktis. Es ist wichtig, endlichvollständig von der Abhängigkeit fossiler Energieträgerwegzukommen und vollständig auf erneuerbare Ener-gien umzustellen.
Die Krise in Island ist nur eine besonders kon-zentrierte Form der allgemeinen Krise des finanzmarkt-getriebenen Kapitalismus. Die Kontrolle über dieFinanzmärkte ist überall ausgehebelt worden, in Island,in Deutschland, in den USA, in der EU, und zwar maß-geblich in den 1990er- und 2000er-Jahren. Es kann abernicht sein, dass jetzt ein kleines Land über Gebühr belas-tet wird.Völlig unerträglich ist, dass Großbritannien – übri-gens unter sozialdemokratischer Regierung –
Island zusammen mit al-Qaida und anderen auf die Ter-rorliste gesetzt hat, um die isländischen Vermögen ein-zufrieren. Das muss man sich einmal vorstellen.
Das ist ein erschreckendes Beispiel dafür, wie beliebigdie sogenannten Antiterrorgesetze eingesetzt werdenkönnen. So etwas darf nicht sein.
Die isländische Regierung hat nach dem Finanzcrashim September 2008 rigide Kapitalverkehrskontrolleneingeführt. Das hatte zwar positive Auswirkungen aufdie Wirtschaft. Jetzt sollen sie aber im Zusammenhangmit den Beitrittsverhandlungen aufgehoben werden. Ichzitiere aus dem Kommissionsbericht:Hier muss Island durch Liberalisierungsmaßnah-men die Vereinbarkeit mit dem Grundsatz desfreien Kapitalverkehrs gewährleisten.Es kann doch nicht sein, dass Kapitalverkehrskontrol-len im Zuge von Beitrittsverhandlungen mit dem Hin-weis auf den Lissabon-Vertrag oder die daraus folgendenGrundlagenverträge wieder aufgehoben werden müssenund der Zustand, wie er vor der Krise war, wiederherge-stellt wird. Wenn eine sinnvolle Beschränkung des Kapi-talverkehrs im Widerspruch zum Lissabon-Vertrag steht,dann muss der Vertrag geändert werden.
Ich komme zum Schluss. Die Stimmung in der islän-dischen Bevölkerung im Hinblick auf einen Beitritt zurEU war lange positiv. In den letzten Monaten ist dieseStimmung dramatisch umgeschlagen. Zurzeit lehnenmehr als zwei Drittel einen Beitritt ab. Die Gründe habeich angedeutet; ich will sie nicht noch einmal aufführen.Die Linke begrüßt die Aufnahme von Beitrittsverhand-lungen. Mein Eindruck ist jedoch, dass sich hier nichtnur Island, zum Beispiel in der Walfangpolitik, ändernmuss, sondern vor allen Dingen auch die Politik derEuropäischen Union. Die letzte Entscheidung – das kön-nen wir von Island lernen – trifft in Island der Souverän,die Bevölkerung.Danke.
Herr Kollege Hunko, das war Ihre erste Rede imDeutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch dazu,verbunden mit den besten Wünschen.
Das Wort hat nun der Kollege Sven-Christian Kindlerfür die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ichzum Außenetat komme, möchte ich kurz auf die aktuelleDebatte eingehen, weil ich glaube, dass es wichtig ist,
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dass in diesem Hohen Hause darüber diskutiert wird.Herr Außenminister, Sie werfen den Medien und Oppo-sitionsparteien unappetitliche Angriffe und Diffamie-rung vor. Aber dass die politische Debatte jetzt an einemTiefpunkt angekommen ist, ist meiner Ansicht nachgrößtenteils Ihrem Handeln geschuldet; darauf kommeich jetzt zu sprechen. Ich halte es für einen Tiefpunkt derpolitischen Kultur, wenn der FDP-Generalsekretär unddie Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag Nach-fragen und berechtigte Kritik von Oppositionsparteienund Medien als demokratieschädlich darstellen,
während Sie sich weiterhin weigern, nach Haushalts-recht Auskünfte zum Beispiel dazuzugeben, wann Siewen in der Villa Borsig auf Staatskosten getroffen bzw.mit wem sie dort gefeiert haben.
Dieses Recht auf kritische Nachfrage ist ein demokrati-sches Recht, auf das wir stolz sein sollten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Frankenhauser?
Gerne.
Bitte.
Herr Kollege, wie beurteilen Sie die Tatsache, dassein ehemaliger Außenminister namens Fischer
die Offenlegung a) seiner Begleiter bei Auslandsreisenund b) von Einladungen zu Treffen, die er als Außen-minister zum Beispiel in der Villa Borsig veranstaltethat, einem Mitglied des Haushaltsausschusses komplettverweigert hat?
Das Haushaltsrecht gilt für alle Außenminister. Wirals Parlamentarier müssen uns konsequent dafür einset-zen, dass unsere Rechte gewahrt werden. Das gilt fürAußenminister Fischer, für Außenminister Steinmeier,aber auch für Sie, Herr Außenminister Westerwelle.
Im Übrigen betrifft das ein Recht, von dem Sie hier undda in den vergangenen Jahren regen Gebrauch gemachthaben. Wenn wir die Regierung in ihrer Amtsführungaus Rücksicht auf die Demokratie nicht mehr hinterfra-gen dürfen, dann sieht es für unsere Demokratie dunkelaus.
Wenn Sie, Herr Westerwelle, dies wirklich fordern, sindSie im Ausland dann noch ein Vertreter eines freien Lan-des, einer lebendigen Demokratie mit einer vitalen Op-position?
Das müssen Sie sich fragen.Nun beklagen Sie sich, dass die Erfolge Ihrer Süd-amerikareise aufgrund der angeblich ungerechtfertigtenKritik in Deutschland gar nicht deutlich wurden. Wirkönnen ja einmal über die Südamerikareise reden unddarüber, was dabei herausgekommen ist. Ich nehme an,die Umbenennung des AA in „Ministerium für auswär-tige Atompolitik“ steht kurz bevor.
Sehen wir uns doch einmal an, was in Brasilien pas-siert ist. Das Atomkraftwerk Angra 3 wird weitergebaut.Herr Westerwelle hat eine Hermesbürgschaft zugesagt,
unabhängig davon, dass das AKW in einem Erdbeben-gebiet gebaut wird, unabhängig davon, dass Brasilienkeine unabhängige Atomaufsicht hat, unabhängig davon,dass Brasilien nicht das Zusatzprotokoll zum Atomwaf-fensperrvertrag unterzeichnet hat.
Das alles ist Ihnen offensichtlich total egal und zeugtvon einer wirtschaftsfreundlichen Atomaußenpolitik.
Sie haben angedeutet, wie gefährlich angeblich einelinke Mehrheit für die politische Kultur in Deutschlandsei. Wir wissen nun, wie gefährlich eine schwarz-gelbeMehrheit für Mensch und Natur weltweit ist.
Man muss sich einmal klarmachen: Sie fordern, dassin Deutschland stationierte Atomwaffen abgezogen wer-
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den, und im gleichen Atemzug fordern Sie, Atomkraft-werke in einem Erdbebengebiet in Brasilien zu bauen, ineinem Land, das das Zusatzprotokoll zum Atomwaffen-sperrvertrag nicht unterzeichnet hat. Ich finde, das isteine schizophrene Haltung.
Die Inkonsequenz und Inkonsistenz Ihrer Politikschlägt sich auch im Haushalt nieder. Nehmen wir zumBeispiel die Mittel für die Entwicklungszusammen-arbeit. Deutschland hat sich verpflichtet, die ODA-Quote einzuhalten, in diesem Jahr also mindestens0,51 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die interna-tionale Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen.Dieses Versprechen findet weder in Ihrem Etat noch inanderen Etats seinen Niederschlag. Hier wird internatio-nale Solidarität gepredigt, aber in spätrömischer Deka-denz gelebt.
Das wird auch deutlich, wenn man sich den Haushaltdes Auswärtigen Amtes ansieht. Die Floskeln zur ver-netzten Sicherheit aus dem Koalitionsvertrag bleibeneine Worthülse. Anstatt die zivilen Handlungsfelder aus-zubauen und den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention,Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ weiter aus-zubauen, werden die Mittel um fast 10 Prozent gesenkt.Damit wird eindeutig demonstriert, dass die zivile Säuleweiterhin die entscheidende Schwachstelle der interna-tionalen Friedensbemühungen Deutschlands ist. Wirleisten uns immer noch einen Verteidigungshaushalt miteinem Volumen von über 30 Milliarden Euro, aber fürzivile Maßnahmen zur Krisenprävention sind uns schon130 Millionen Euro zu viel. Damit muss Schluss sein.Der Fokus deutscher Außenpolitik muss auf ziviler Kri-senprävention und Friedenssicherung und darf nicht aufMilitärfixierung liegen.
Es ist aber nicht so, dass Sie nur die ODA-Quote nichterfüllen. Die Bundesregierung kommt auch weiteren in-ternationalen Verpflichtungen nicht nach. Die Bundesre-gierung hält nicht einmal die bescheidenen Zusagen vonKopenhagen ein. Sie haben versprochen, für den interna-tionalen Klimaschutz 420 Millionen Euro zur Verfügungzu stellen, stellen jetzt aber nur 70 Millionen Euro zu-sätzlich bereit. Das sind billige Taschenspielertricks. Dasist ein klarer Bruch des Kopenhagen-Versprechens, unddas ist eine Blamage für die Bundesrepublik auf dem in-ternationalen Klimaparkett.
Das ist Ihre Art, Außenpolitik zu machen, HerrWesterwelle: Internationale Zusagen werden gebrochen,die Mittel für Zukunftsinvestitionen wie Krisenpräven-tion werden gekürzt, und das Auswärtige Amt wird zumMinisterium für auswärtige Atompolitik umfunktioniert.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Marina Schuster für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Bevor ich zum Haushalt komme, muss ich etwas zur Süd-amerikareise sagen, und zwar zu ihrem Inhalt. Auch ichgehörte der Delegation an. Deswegen kann ich ganzsachlich und ruhig über die Ergebnisse dieser Reise be-richten.Zunächst einmal möchte ich feststellen: Es gab an-scheinend zwei Reisen, nämlich eine Reise, die in denMedien und in Berlin stattgefunden hat, und die Reise,die tatsächlich stattgefunden hat. Frau Kollegin Müller,ich fände es sehr gut, wenn Sie sich nicht nur auf Presse-berichte oder -kommentare berufen würden, sondernauch das Gespräch mit dem Kollegen Josef Winkler, derebenfalls Teil dieser Delegation war, suchen würden.
Er könnte Ihnen nämlich berichten, welche Gesprächewir Parlamentarier geführt haben und welche Ergebnissedabei herausgekommen sind.Der Kollege Gehrcke, der auch mit dabei war, hat kri-tisiert, dass wir Volkswagen besucht haben.
Herr Gehrcke, Volkswagen ist dort der größte Arbeitge-ber und hat den UN Global Compact unterzeichnet. Ichdenke, ein Arbeitgeber, der den UN Global Compact un-terzeichnet hat und anwendet, kann eine Vorbildfunktionfür die Region haben. Das sollte auch in Ihrem Interesseliegen.
In Argentinien ist nicht nur das VW-Werk besichtigtworden. Nein, es wurde auch ein Wissenschaftstunneleingeweiht. Ich denke, es ist eine sehr gute Idee, hier aufeine Wissenschaftskooperation mit dem Max-Planck-In-stitut zu setzen. Davon profitieren beide Seiten. Geradein Argentinien gibt es sehr viele Nobelpreisträger.
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Marina Schuster
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Herr Kindler, Sie haben Brasilien angesprochen. InBrasilien hatten wir ein Gespräch mit Stiftungsvertre-tern. Bei diesem Gespräch sind zum Beispiel die Stau-dammprojekte von Herrn Lula angesprochen worden.Die Grünen können gegen Atomkraft sein; aber dannmüssen sie auch erklären, wie man die Rechte der indi-genen Völker und die Natur schützen kann, wenn soviele neue Staudämme gebaut werden. Das gehört zudieser Debatte dazu.
Wenn Sie sich mit dem Kollegen Winkler zusammenset-zen würden, würden Sie auch erfahren, wie vielfältig dieProjekte in den Bereichen der erneuerbaren Energien,der Biodiversität und des Klimawandels sind. Da sindunsere Durchführungsorganisationen der GTZ schon tä-tig, und das begrüßen wir; denn auch das liegt in unse-rem gemeinsamen Interesse.Wenn ich noch auf einen Punkt der Reise kommendarf, der heute noch gar nicht angesprochen worden ist:Uruguay. In Uruguay war das letzte Mal vor 25 Jahrenein deutscher Außenminister zu Gast. Vielleicht könnenSie sich ja darüber freuen, dass die Initiative ergriffenworden ist, Lateinamerika wieder ganz oben auf dieAgenda zu setzen. Wir achten bei unserer neuen Latein-amerika-Strategie darauf, nicht nur auf die Großen zuschauen, sondern auch vermeintlich kleinen Ländern mitRespekt gegenüberzutreten.
Ich möchte noch zwei konkrete Punkte zum Haushaltanbringen; beide betreffen den Bereich Menschen-rechte. Ich freue mich als mittelfränkische Abgeordneteganz besonders, dass es gelungen ist, im Haushalt500 000 Euro für die Einrichtung eines Instituts zurDurchsetzung der Nürnberger Prinzipien zum Völker-strafrecht bereitzustellen. Das ist eine sehr gute Nach-richt. Wir haben im Koalitionsvertrag niedergeschrieben,dass wir dieses Institut einrichten wollen, das mit seinerExpertise viel zur Weiterentwicklung des Völkerstraf-rechts beitragen kann. Ich denke, das ist ein Anliegen,das wir alle unterstützen können.
Der zweite Punkt. Es ist uns trotz der angespanntenHaushaltslage gelungen, die Mittel zur Förderung derMenschenrechte im Vergleich zum Vorjahr um1,5 Millionen Euro zu erhöhen. Das fällt unter den Haus-haltsposten Demokratisierungshilfe. Dass wir konkretMittel im Haushalt bereitstellen – dafür bin ich denHaushaltspolitikern beider Koalitionsfraktionen dank-bar –, ist ein wichtiges Signal, dass es uns nicht nur beiBesuchen und in Reden darum geht, die Menschenrechtezum Thema zu machen.Mein letzter Punkt. Ich bin auch Mitglied der Parla-mentarischen Versammlung des Europarates. Was unsbesonders am Herzen liegt, ist, den Schutz der Men-schenrechte in internationalen Systemen zu stärken. Einwesentlicher Anker ist der Europäische Gerichtshoffür Menschenrechte. Ich freue mich, dass FrauLeutheusser-Schnarrenberger mit ihren Vorschlägen dieReform des EGMR vorantreibt. Denn wir sehen, dass dieZunahme der Zahl der eingereichten Beschwerden einestarke Überlastung des EGMR verursacht hat. Diese Zu-nahme ist einerseits ein Ausdruck der Akzeptanz desEGMR bei der europäischen Bevölkerung; andererseitsmacht diese Zunahme es notwendig, dass wir denEGMR wieder arbeitsfähig machen. Ich freue mich, dassdie Ministerin persönlich diese Vorschläge unterstützt.Ich denke, wir haben einen Haushalt vorgelegt, derauch im Interesse der Opposition ist. Ich werbe sehrherzlich um Zustimmung.
Das Wort hat der Kollege Michael Roth für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister Westerwelle, bei Ihrem Amtsantritt habenSie erklärt, Ihr Anspruch sei, nicht nur Bundesministerdes Auswärtigen zu sein, sondern ebenso Bundesminis-ter für Europa. Das haben Sie in der Ihnen eigenen laut-sprecherischen Attitüde vorgetragen. An diesen Ansprü-chen, an diesen Worten, sehr geehrter Herr Minister,müssen Sie sich nun vor dem Parlament messen lassen,müssen Rechenschaft ablegen.Ich kann für meine Fraktion nach 140 Tagen nur fest-stellen: Ihre bisherige Europapolitik ist ideenlos, und sieist konzeptlos. Ich kenne kein Projekt – – Ach ja, doch,ein Projekt fällt mir ein: die Förderung der deutschenSprache, Motto „Deutsch – Sprache der Ideen“.
Gegen dieses Motto spricht überhaupt nichts. Aber auchdie schönste Sprache hilft nichts, lieber Herr Minister,wenn es an den entsprechenden Ideen gebricht. GehenSie hier bitte, Herr Westerwelle, mit gutem Beispiel vo-ran.Was mich aber viel mehr stört, ist diese Attitüde, so-wohl global als auch auf europäischer Ebene im deut-schen Interesse auftreten zu wollen. Es ist noch gar nichtso lange her, dass ein Bundeskanzler und ein Bundes-außenminister formuliert haben: Das, was im guten eu-ropäischen Interesse ist, was Europa insgesamt voran-bringt, das bringt auch Deutschland voran und ist gut fürDeutschland. – Diese Sätze eines Bundeskanzlers, dernicht unbedingt der SPD angehört hat, der aber sicher-lich Europa maßgeblich mitgestaltet hat, würde ich mir
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2776 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Michael Roth
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auch von Ihnen einmal wünschen, Herr MinisterWesterwelle.
Was hat Ihre bisherige Amtszeit in der Europapolitikgeprägt? Kompetenzgerangel zwischen Bundeskanzler-amt und Auswärtigem Amt. Wer hat hier eigentlich dieHosen an?
Wer hat das maßgebliche Wort zu sprechen? Ich möchteIhnen empfehlen, Herr Westerwelle, einfach einmalselbstbewusst mit Ideen und konkreten Vorschlägen indie Debatte einzutreten und nicht kleinkariert irgendwel-che Kompetenzdiskussionen zu führen.
Ein anderer Punkt sind die Kontroversen. Es geht beiIhnen in jedem Politikbereich wie bei den Kesselflickernzu. Sie streiten sich wie ein wild gewordener Hühner-haufen.
Das ist auch bei der Frage des Türkeibeitritts so. Ichdarf Sie, Herr Minister, mit Genehmigung der Präsiden-tin zitieren:Ich sage es Ihnen ganz klar: Was die EU und dieTürkei vereinbart haben, gilt. Es gilt auch für dieseBundesregierung. Dafür stehe ich ein. … Ich binhier nicht als Tourist in kurzen Hosen unterwegs,sondern als deutscher Außenminister. Das, was ichsage, zählt.Wir alle wissen: Die CSU ist gegen eine Vollmitglied-schaft der Türkei. Die CDU will eine sogenannte strate-gische Partnerschaft. Der schon eben genannte General-sekretär der CSU, Dobrindt, hat erklärt, dass das, wasAußenminister Westerwelle in der Türkei gesagt habe,nicht den Positionen der Koalition entspreche. Daraufhat wiederum Ihr Staatsminister gesagt, das Maß des Er-träglichen beim Generalsekretär sei deutlich überschrit-ten, CSU-Chef Horst Westerwelle – Entschuldigung,Horst Seehofer –
müsse seine Mannschaft endlich zur Ordnung rufen.Herr Minister Westerwelle, Sie mögen keine kurzenHosen tragen. Sie tragen vielleicht auch keine langenHosen. Sie haben in der Europapolitik einfach nicht dieHosen an. Sie müssen einmal innerhalb der Koalitions-fraktionen, aber auch innerhalb der Regierung einenKlärungsprozess herbeiführen.
Ich habe heute nur wenig zu den Themen gehört, dieEuropa zurzeit bewegen. Vor allem ein Thema ist ent-scheidend: die Bewältigung der Wirtschafts- undFinanzkrise in Griechenland. Hier ist Häme völlig fehlam Platze. Wir sitzen nämlich alle in einem Boot.
Was will die Bundesregierung? Was wollen Sie, HerrMinister? Sie hatten heute Gelegenheit, auch hierzu einpaar Ausführungen zu machen. Ich habe dazu klare Aus-sagen genauso vermisst wie bei Ihrem Antrittsbesuchbeim Europaausschuss. Außer wolkigen Bemerkungen,da müsse man etwas tun, das sei ganz schwierig, habeich von Ihnen nichts vernommen.Was mich daran ärgert, ist, dass nur wenige Tage spä-ter ein Rat in Brüssel weitreichende Maßnahmen gegen-über Griechenland beschlossen hat. Ich erwarte von Ih-nen als Europaminister der Bundesregierung, dass Sieauch den Kolleginnen und Kollegen im Europaaus-schuss, wenn konkrete Fragen gestellt werden, entspre-chende Auskünfte erteilen: Mit welchen Erwartungen,mit welchen Forderungen, mit welchen Maßnahmen undmit welchen Ideen geht die Bundesregierung in eineRatssitzung? Hier haben Sie, Herr Minister Westerwelle,Ihre Hausaufgaben bislang nicht erledigt.
Wir müssen aus dieser schweren Krise, die nicht nurGriechenland alleine betrifft, lernen. Wir müssen jetztendlich entscheiden und handeln. Wenn Solidarität in derEuropäischen Union nicht nur etwas für Sonntagsreden,sondern auch etwas für konkretes Handeln im politi-schen Alltag ist, dann erwarte ich jetzt von Ihnen ent-sprechende Ideen und Konzepte, wie Sie verhindernwollen, dass aus dem griechischen Flächenbrand ein eu-ropäischer Flächenbrand wird. Wir brauchen nicht mehrRenationalisierung, sondern wir brauchen eine gemein-same Wirtschaftspolitik. Wir haben einen gemeinsa-men Währungsraum. Aber das, was schon seit dem Ver-trag von Maastricht in den maßgeblichen Verträgensteht, nämlich eine Europäische Wirtschafts- und Wäh-rungsunion, ist bislang überhaupt nicht mit Leben erfülltworden. Wir brauchen mehr Abstimmung, wir brauchenmehr Verbindlichkeit. Aber auch hier gebricht es der Ko-alition ja an jeder klaren Position.Finanzminister Schäuble hat den, wie ich finde, prü-fenswerten Vorschlag unterbreitet, einen europäischenWährungsfonds zu etablieren. Dazu hört man von Ih-nen überhaupt nichts, und die Union erklärt gleich, dassei ein Vorschlag, der mit ihr nicht abgesprochen sei, undsie würde ihn ablehnen. Zumindest hat das Herr Kauder,der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, so erklärt,wenn denn das, was heute Morgen in den Medien stand,wirklich stimmt.So kann man Europapolitik nicht gestalten. Man mussauch einmal eine Idee mutig nach vorne bringen, manmuss sich um Bündnispartnerinnen und Bündnispartnerin der Europäischen Union bemühen, und man darfkeine Eitelkeiten pflegen. Hier erwarte ich von derUnion und von der FDP, aber vor allem auch von derBundesregierung klare Aussagen.
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Michael Roth
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Wir brauchen eine Wirtschafts-, Fiskal- und Lohn-politik, durch die auch die Beschäftigung in den Blickgenommen wird. Es gibt hier doch durchaus Ansätze aufeuropäischer Ebene, aufgrund deren wir sagen können:Wir wollen und können voneinander lernen. – Einer die-ser Beiträge wären Mindestlöhne. Mindestlöhne werdenvon vielen gefordert. Mindestlöhne wären eine nationaleLösung für ein europäisches Problem, aber auch hiergibt es überhaupt keinen klaren Ansatz von Ihnen.
Insofern erwarte ich von Ihnen nicht nur flotte Sprü-che. Ich erwarte von Ihnen konkrete Taten; das hat dieEuropäische Union bitter nötig. Sie sind weit hinter denMöglichkeiten in Bezug auf die Europapolitik der Bun-desrepublik Deutschland zurückgeblieben. Hier solltenSie einmal ein bisschen Tempo vorgeben. Sie haben dieMöglichkeiten dazu. Bitte nutzen Sie sie auch!Danke schön.
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
Michael Stübgen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Nein, ich werde nicht groß auf die Rede vonHerrn Kollegen Roth eingehen; denn ich möchte etwaszu Europa sagen.Ich möchte aber an etwas erinnern: Es scheint leidersehr lange her zu sein, dass ich zu einer Zeit, als es einenAußenminister gab, der Joseph Fischer hieß,
in diesem Hause geredet habe und wir die grundlegen-den Linien der Europapolitik nach innen und nach außengemeinsam getragen haben. Sie sollten sich überlegen,ob es dem Einfluss Deutschlands in der EuropäischenUnion dienlich ist, wenn wir damit anfangen, uns hier inder Art und Weise zu verhalten, wie Sie das getan haben,nämlich mit persönlichen Angriffen gegen den Außen-minister vorzugehen, mit dessen Haltung und Einstel-lung man nicht in jedem Fall einverstanden sein muss.Wenn Sie glauben, dass uns das hilft, dann sind Sie aufdem Holzweg. Die Koalition wird auf dem richtigenWeg bleiben.
Ich möchte darauf eingehen, dass wir in der Europäi-schen Union zurzeit eine sehr große Unruhe haben. Wirbefinden uns – das muss man leider feststellen – in derschwersten Krise seit Bestehen der Europäischen Wäh-rungsunion überhaupt. Diese Krise hat mittlerweile einbesorgniserregendes Ausmaß angenommen.In dieser Krise merken wir auch, dass man viele Äu-ßerungen und Vorschläge – manchmal ist das gut – nichtallzu ernst nehmen sollte, auch wenn sie von einer fran-zösischen Finanzministerin kommen. Man sollte hinhö-ren, was sie gesagt hat, aber auch zur Kenntnis nehmen,dass einen Tag später sie ja auch gesagt hat, sie habe esnicht so gemeint.Der öffentliche Fokus und der mediale Fokus richtensich vor allem auf Griechenland. Allerdings wird durchdiese Fokussierung sowohl das Ausmaß der Krise, in derwir uns befinden, als auch deren komplexe Ursachen-struktur verkannt.Ich möchte einige der wesentlichen Ursachen fürdiese Krise benennen und vorweg eindeutig sagen: Nachmeiner festen Überzeugung war die Europäische Wirt-schafts- und Währungsunion und war die Einführungdes Euro richtig, und dieses Projekt ist auch weiterhinrichtig.Der Euro hat sich in den letzten Jahren zu einer stabi-len Währung entwickelt. Er war einer der Ursachen fürdas europaweite Wachstum in der Mitte dieses Jahr-zehnts. Wir müssen aber auch feststellen, dass der Euroin seiner jetzigen Struktur nicht ausreichend krisenfestist. Man kann sagen, dass er bei gutem Wetter funktio-niert, wenn also die Weltfinanzmärkte funktionieren, eszu Wachstum kommt und sich Wechselkursschwankun-gen in Grenzen halten. Kommt es aber zu einer solchenWeltfinanzkrise, wie wir sie jetzt haben, kommt derEuro-Raum ins Trudeln.Warum ist das so? Was Griechenland und auch wei-tere Länder betrifft, ist es leider Tatsache, dass in derEuropäischen Union alle Kontrollgremien und Kontroll-strukturen über viele Jahre hinweg versagt haben. Diesgilt sowohl für die Europäische Kommission als auch fürdie Räte, die Euro-Gruppe, Eurostat, die EuropäischeZentralbank und auch die nationalen Parlamente. Es kamnicht deswegen zur Krise, weil die Kontrollregeln nichtausreichen. Das Hauptproblem ist vielmehr, dass die Re-geln, die wir uns im Stabilitäts- und Wachstumspakt be-wusst auferlegt haben, nicht rechtzeitig und nicht nach-haltig angewandt worden sind.Wo sind in dieser Situation die Lösungsansätze zu su-chen? Was müssen wir auf langfristige Sicht tun? Einesist überdeutlich: Wir müssen in den Mitgliedsländern derEuropäischen Union und zuvörderst in den Ländern derEuro-Gruppe die Budgetdisziplin herstellen. Nach dem,was wir jetzt wissen, geht es nicht einfach um die Wie-derherstellung der Budgetdisziplin. Wir müssen sie viel-mehr herstellen. Dazu gibt es keine Alternative.
Es ist nicht so – das höre ich gelegentlich –, dassder Maastricht-Stabilitätspakt und die dazugehörigenMaastricht-Stabilitätskriterien die Ursache für die Krisesind. Es ist dagegen so, dass nachhaltiges Verstoßen ge-gen diese Kriterien die Krise heraufbeschworen hat. Esist schon jetzt überdeutlich: Länder mit einer nachhaltig
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Michael Stübgen
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orientierten Haushaltspolitik meistern die jetzige Krisebesser als andere.Welches Krisenmanagement könnte aktuell am bestenfunktionieren? Ein kurzer Blick in die Geschichte kannan dieser Stelle hilfreich sein. Vor gut eineinhalb Jahren,im Herbst 2008, hatten wir diese Situation schon einmal– es handelte sich damals aber nicht um Euro-Länder –,als Lettland, Ungarn und Rumänien kurz vor der Zah-lungsunfähigkeit standen. Damals konnte kurzfristig undsehr schnell ein kombiniertes Unterstützungspaket vomInternationalen Währungsfonds, von der EuropäischenInvestitionsbank und der Europäischen Entwicklungs-bank geschnürt werden. Mit diesem Maßnahmenpaketkonnte die Zahlungsunfähigkeit in allen drei Ländern ab-gewendet werden. Bis heute sind diese Maßnahmen er-folgreich.Es ist aber wichtig, Folgendes festzustellen: Es funktio-niert nur deshalb, weil die betroffenen Länder nachhaltigeMaßnahmen ergriffen haben, um ihre Haushaltspolitik,Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik zu reformieren. Fürdie Euro-Länder sind vergleichbare Maßnahmen nichtmöglich. Ob es sich nun um Euro-Länder oder Mit-gliedsländer der Europäischen Union handelt: DieNothilfe als Ultima Ratio für ein Mitgliedsland derEuropäischen Union zählt für mich zum Besitzstand derEuropäischen Union. Ich betone aber: Es ist eine UltimaRatio, die nur anzuwenden ist, wenn alle anderen Maß-nahmen mindestens kurzfristig versagt haben.Ich halte es für absolut richtig, wie sich die Bundes-regierung in dieser Frage verhält; das ist auch der einzigmögliche Weg. Griechenland muss die eingeleitetenReformen umsetzen. Es können der Internationale Wäh-rungsfonds und die Mitgliedsländer der EU nur bei dro-hender Zahlungsunfähigkeit helfen, und auch dann nurals Not- und Übergangshilfe. Selbst dann muss absolutgesichert sein, dass Griechenland weiterhin Anstrengun-gen unternimmt, um die Versäumnisse der letzten Jahr-zehnte aufzuarbeiten.Es ist kein Zufall, dass Deutschland in dieser Krisebisher halbwegs klargekommen ist. Wir wissen – geradebei diesem Haushalt bzw. seiner Verschuldung haben wirdie Debatte gehabt –: Das ist alles nicht üppig, auch wirverletzen das Maastricht-Kriterium. Aber im europäi-schen Vergleich kommen wir verhältnismäßig gut klar.Ich sehe den Grund darin, dass die BundesrepublikDeutschland in den letzten zehn Jahren angefangen hat,schwierige Reformen im Sozialbereich, bei den Renten,den Steuern etc. umzusetzen. Fast alle Fraktionen in die-sem Haus haben eine lebhafte Erinnerung daran. Denndiese Reformen waren zum einen extrem schwierig undzum anderen extrem unpopulär. Es gibt aber keinen ver-antwortungsvollen Weg, der daran vorbeiführen könnte,für kein Land. Das muss man auch Griechenland, Portu-gal, Spanien und Großbritannien deutlich sagen.Lassen Sie mich noch hinzufügen, dass ich – das willich unumwunden zugeben – zurzeit noch nicht vollstän-dig davon überzeugt bin, dass die Einrichtung eineseuropäischen Währungsfonds langfristig der richtigeLösungsansatz ist, um zukünftige Krisen zu verhindernoder besser meistern zu können.
Ich sehe das Hauptproblem nicht darin, dass eine weitereVertragsreform von allen Mitgliedsländern ratifiziertwerden muss und deshalb etwas länger dauern würde.Wenn der Vertrag geändert werden muss, dann müssenwir das eben angehen. Ich kann mir aber derzeit keineStruktur eines europäischen Währungsfonds vorstellen,die weiterhin sicherstellen würde, dass die absolute Un-abhängigkeit der Europäischen Zentralbank in ihrerZins- und Wechselkurspolitik nicht, wenn auch mögli-cherweise nur indirekt, geschwächt würde.Frankreich hat für solch einen Weg traditionell vielübrig. Wir wissen eindeutig, dass ein Eingriff in die Un-abhängigkeit der Wechselkurspolitik einen Holzweg dar-stellt. Deswegen werden wir uns immer gegen eine sol-che Gefährdung stemmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube – daskann man jetzt noch nicht endgültig feststellen –, es wirdfür die nächsten Jahren weniger notwendig sein, Rege-lungen und europäische Verträge zu ändern. Was wir än-dern müssen, ist der Umgang mit den vorhandenen Re-gelungen und Gremien.Ich möchte versuchen, als Schlusssatz frei nach Kantzu formulieren, wie er es in seiner Schrift Beantwortungder Frage: Was ist Aufklärung? gut ausgedrückt hat:
Die Ursache unserer Krise ist nicht der Mangel an Re-geln, sondern der Mangel an Mut, sie anzuwenden. Dasmuss sich in der Europäischen Union in Zukunft ändern.Dann werden wir solche Krisen nicht mehr zu beklagenhaben.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Ute Granold für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lassen Sie mich heute als Mitglied des Ausschusses fürMenschenrechte und humanitäre Hilfe den Akzent aufden Bereich der Menschenrechte in der deutschen Au-ßenpolitik setzen. Deutsche Außenpolitik ist neben derFriedenspolitik das Politikfeld für den Einsatz für Men-
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Ute Granold
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schenrechte. Das haben wir im Koalitionsvertrag ganzklar festgelegt und geregelt. Insofern gibt es sowohl ei-nen Kompass als auch ein Steuern auf ein bestimmtesZiel hin.Die Bundeskanzlerin hat in der letzten Legislatur-periode die wertegebundene Außenpolitik als Akzent ge-setzt. Das wird jetzt kontinuierlich fortgesetzt. Dafürsind wir sehr dankbar. Deutschland genießt diesbezüg-lich ein großes Ansehen in der Welt.Herr Minister, Sie waren vor zwei Wochen beimMenschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf undhaben dort für Deutschland gesprochen. Sie haben fürdiese Rede über den Kurs der deutschen Außenpolitikzugunsten der Menschenrechtspolitik großes Lob erfah-ren. Sie haben viele Gespräche geführt. Eine Delegationaus dem Menschenrechtsausschuss war eine Woche spä-ter in Genf und hat davon erfahren. Wir sind sehr dank-bar für diese klare Position und die nochmalige Beto-nung des Auftrags zur Förderung der Menschenrechte.Wir haben für den Einsatz, aber auch für die finanzielleUnterstützung Deutschlands für die Einhaltung und För-derung der Menschenrechte in der Welt Anerkennung er-fahren. Dafür sind wir dankbar.
Die Menschenrechte sind universell, unteilbar undunveräußerlich. Sie sind Ausdruck der unantastbarenWürde der Menschen. Auf dieser Grundüberzeugung ba-siert unser politisches Handeln in Deutschland und in derWelt. Wir sehen es als eine Verpflichtung an, Menschen-rechtsverletzungen über Ländergrenzen hinweg anzu-sprechen und deren Einhaltung einzufordern. Es reichtnicht aus, dass in manchen Staaten dieser Welt die Men-schenrechte zwar in der Verfassung und den Gesetzenverankert sind, sie aber nur auf dem Papier stehen undnicht geachtet werden.Lassen Sie mich als Beispiele den Iran und – für denBereich der Religionsfreiheit – die Türkei nennen. HerrMinister, Sie haben den Iran bereits angesprochen, al-lerdings in einem ganz anderen Kontext. Ich möchte aufdie Bürger-, Freiheits- und Menschenrechte zu sprechenkommen. Auf den ersten Blick könnte man sich mit dendortigen Regelungen einverstanden erklären, da die Frei-heits- und Bürgerrechte in der iranischen Verfassungverankert sind. Der erste Blick täuscht aber. Auf denzweiten Blick liest man den Satz: Alle Gesetze, auch dieVerfassung, müssen im Einklang mit den islamischenPrinzipien stehen. – Das heißt konkret Folter, Todes-strafe, Misshandlung und Steinigung, auch von Minder-jährigen. In diesem Staat herrscht großes Elend, auchwenn es um die Gleichberechtigung geht.Die Menschenrechte dürfen aber nicht relativiert wer-den, auch nicht wegen vermeintlich religiöser oder kul-tureller Besonderheiten. Wir sind der Bundesregierungdankbar, dass sie nun entschieden hat, im Rahmen einerEinzelfallprüfung iranische Dissidenten aufzunehmen.Sie gibt damit der iranischen Opposition das Zeichen,dass wir auf der Seite derer stehen, die unterdrückt wer-den und deren Menschenrechte mit Füßen getreten wer-den.
Ein anderes Beispiel ist die Türkei; sie wurde eben-falls bereits in einem anderen Kontext angesprochen.Derzeit wird in der Türkei über einen neuen Verfas-sungsentwurf debattiert. Bürgerrechte und Grundfreihei-ten sollen gestärkt werden. Die Menschenwürde soll alsKernbegriff Eingang in die Verfassung finden. Die inter-nationalen Menschenrechtskonventionen sollen Vorrangvor den türkischen Gesetzen haben. Nun ist in der Türkeiein heftiger Streit entbrannt. Auf der einen Seite gibt esdie Tendenz hin zur Säkularisierung, auf der anderenSeite die Tendenz hin zur Islamisierung mit der Gefahr,dass die Scharia Einzug in die Gesetzgebung hält. Diejüngsten EU-Fortschrittsberichte bezüglich der Türkeistimmen einen zurückhaltend, wenn man sich nur dieEntwicklung der Religionsfreiheit in der Türkei an-schaut. Darum ist es nicht zum Besten bestellt. Ichmöchte als Beispiel das Kloster Mor Gabriel nennen. Esist mit rund 1 600 Jahren eines der ältesten Klöster derChristenheit. Nun droht die Enteignung. Erzbischof Ak-tas ist zurzeit in Deutschland und hat gesagt, bis zumletzten Atemzug werde diese Wiege der Christenheitverteidigt, und wir alle sollten an seiner Seite stehen.
An dieser Stelle möchte ich auch die Pauluskirche inTarsus und das Priesterseminar auf Chalki, das seit 30Jahren geschlossen ist – das macht es unmöglich, Nach-wuchs auszubilden –, in Erinnerung rufen.Die Religionsfreiheit ist für uns ein sehr hohes Gut.Sie ist für uns in Deutschland selbstverständlich, viel-leicht zu selbstverständlich. Wir dürfen nicht vergessen,dass es in vielen Teilen der Welt keine Religionsfreiheitgibt und die Menschen wegen ihrer Religion verfolgtund auch getötet werden. Das dürfen wir nicht schwei-gend hinnehmen. Es gibt insgesamt 2,1 MilliardenChristen auf der Welt. 80 Prozent der religiös Verfolgtenweltweit sind Christen. Sie werden misshandelt und ge-tötet; ihre Häuser werden zerstört. Der sogenannteOpen-Doors-Weltverfolgungsindex führt die Länder auf,in denen die Menschen am schlimmsten verfolgt wer-den. Darunter sind Nordkorea, der Iran, Saudi-Arabien,Somalia, Ägypten und der Irak. Auf die Situation in denletzten beiden Ländern möchte ich genauer eingehen.In Ägypten wurden Anfang Januar sechs Christenund ein muslimischer Wachmann während eines Gottes-dienstes in einer Kirche ermordet. In diesem Land wer-den seit vielen Jahren schwerste Delikte gegen Christenbegangen.Im Vorfeld der Wahlen im Irak wurden Christen um-gebracht, Häuser von Christen in Brand gesteckt undBomben gelegt. Die dort lebenden Christen fordern Soli-darität. Das sollte für uns eine Selbstverständlichkeitsein; denn auch dort liegen die Wurzeln unseres Glau-bens. Wenn hier Solidarität eingefordert wird, müssenwir sie auch zeigen. Die Bundesregierung hat in der letz-ten Wahlperiode dank der Initiative der Menschenrecht-ler entschieden, irakische Flüchtlinge aufzunehmen.
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Ute Granold
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Letztendlich handelte es sich um eine europäische Soli-daritätsaktion. Wir Deutsche haben unsere Hausaufga-ben gemacht und 2 500 irakische Flüchtlinge, davon1 100 Christen, aufgenommen. Unser Fraktionsvorsit-zender Volker Kauder hat angekündigt, die Aufnahmeweiterer Flüchtlinge zu prüfen, da die Integration derhier Aufgenommenen sehr gut verläuft. Sehr vieleFlüchtlinge befinden sich noch in Syrien und Jordanien.Diesen Menschen muss Beistand geleistet werden.
Wie zerstörerisch religiöser Fanatismus sein kann,sieht man in Nigeria. Das gilt auch für die Situation derChristen und übrigens auch der Muslime in Indien, woReligionsfreiheit zwar im Gesetz steht, aber nicht geach-tet wird.Lassen Sie mich zum Schluss sagen, dass die Koali-tion den Antrag „Menschenrechte weltweit schützen“eingebracht hat, über den wir nächste Woche in diesemHause debattieren werden. Für uns steht immer auf derAgenda, dass wir uns für die Menschenrechte einsetzen.Dazu gehört auch die Situation in China und in anderenRegionen der Welt. Für uns ist die Religionsfreiheit einganz wichtiges Menschenrecht, und deshalb habe ichmeinen Fokus daraufgelegt.Ich danke dem Außenminister und der Bundesregie-rung für die wertegebundene Außenpolitik, für ihrenEinsatz für die Wahrung der Menschenrechte und für dieFriedenspolitik.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Rüdiger Kruse für die Uni-
onsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Der Kollege von den Linken hatte vorhin dielangen Linien vermisst. Lange Linien sind meistensnicht so spannend, weil sie nicht diese Ausschläge ha-ben. Natürlich gibt es diese langen Linien. Außer den in-ternationalen Missionen, an denen wir beteiligt sind unddie meistens mit Afghanistan oder Fragen finanzpoliti-scher Art verbunden sind, gibt es auch unsere Präsenz imAusland, die der Kulturpolitik zuzuordnen ist. Das ist soeine lange Linie. Um an das anzuschließen, was meineVorrednerin zum Thema Menschenrechte gesagt hat: Esgibt auch ein Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe. Esliegt oberhalb der Menschenrechte, für deren Einhaltungwir meistens kämpfen müssen, aber es ist ein sehr wich-tiges. In sehr vielen Ländern stillt unser Beitrag, den wirzum Beispiel über das Goethe-Institut und andere Ein-richtungen leisten, einen Hunger, der hier in Deutsch-land vielleicht gar nicht mehr so groß ist. Es ist ein Hun-ger auf andere Kulturen, auf Anregungen, auf etwas, wasneugierig macht.Ich frage gerne Besuchergruppen, wie hoch der Anteilder Mittel für Kultur im Haushalt der Bundesrepublikist. Die Schätzungen liegen regelmäßig bei etwa20 Prozent. Diese Zahl ist richtig, wenn das Aufregungs-potenzial, das Kultur hat, gemeint ist; aber der finan-zielle Anteil beträgt 0,4 Prozent. Über Kultur kann manwunderbar streiten, und Kultur regt zum Nachdenken an.Man kann sich fragen, was eine Ausstellung meinethal-ben in China mit Bildern aus der Zeit der europäischenAufklärung nützt. Sie regt zum Nachdenken an. Kunstbegeistert, irritiert, oder sie provoziert. Das liegt imAuge des Betrachters. Das heißt, wir setzen etwas in Be-wegung, und gleichzeitig machen wir neugierig auf dasLand, aus dem die Kunst kommt. Das ist unsere Visiten-karte; das ist, wenn man so will, der Trailer zu einemFilm. Wenn der Trailer gut ist, dann schaue ich mir auchden ganzen Film Deutschland an, und wenn er richtiggut ist, auch den zweiten und dritten Teil. Wir interessie-ren mit ganz wenig Aufwand Menschen für unser Land.Das ist für mich sehr wichtig. Es ist schön, wenn jemandsagt, dass Deutschland für den schicken ICE oder auchfür Windräder steht, oder wenn jemand die guten deut-schen Autos anführt. Aber viel interessanter und blei-bender ist die Wirkung, die wir durch Kultur erzielen.Nun kann man im Ausland natürlich nicht für eine Sa-che werben, die es im Inland gar nicht mehr gibt. Dannkönnten höchstens kulturelle Ruinen besucht werden.Deswegen korrespondiert der Kulturanteil im Haushaltdes auswärtigen Bereichs mit dem Kulturanteil im Haus-halt des innerdeutschen Bereichs. Mit diesem vorgeleg-ten Haushalt sind wir nicht der Versuchung erlegen, ei-nem allgemeinen Trend entsprechend Kultur als Luxus,der in der Krise verzichtbar ist, zu kennzeichnen, son-dern wir haben ganz klar gesagt, dass wir die Weiterent-wicklung von Kultur fortschreiben wollen. Das machenwir auch im Haushalt deutlich. Wir haben nicht brutalgekürzt. Dieser Versuchung sind wir nicht erlegen. Ichglaube, das ist wichtig. Im Zusammenhang mit demEinzelplan 04 sind die Kommunen angesprochen wor-den. Gerade in diesen Bereichen darf man nicht sparen.Es lohnt sich unwahrscheinlich, Investitionen in Kulturzu tätigen.Ich bin sehr froh, dass die Themen „kulturelle Ent-wicklung“ und „kulturelle Botschaft im Ausland“ vomAuswärtigen Amt, das jetzt unter einer anderen Führungsteht – offensichtlich gibt es jetzt jemanden, der nichtnur kellnern will, sondern auch einmal kocht –, aufrecht-erhalten und ganz bewusst gesetzt werden.Vor dem Hin-tergrund der fortschreitenden Integration dieser Welt, derfortschreitenden Globalisierung werden wir in dennächsten Jahren wesentliche Beiträge über kulturelle Im-pulse leisten können. Das sind Dinge, die die Menschender verschiedenen Länder einander näherbringen. Auchwenn es ein bisschen abgegrast klingt: Wenn man einLand näher kennengelernt hat, dann ist es viel schwieri-ger, in einen Konflikt mit diesem Land zu kommen. –Das zu erkennen, ist die Aufgabe. Ich hoffe, Herr Minis-ter, dass Sie sich dieser Aufgabe mit viel Macht und In-tensität – dies lässt der Haushaltsentwurf erkennen –stellen.Herzlichen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2781
Rüdiger Kruse
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den
Einzelplan 05, Auswärtiges Amt, in der Ausschussfas-
sung. – Wer stimmt für den Einzelplan 05 in der Aus-
schussfassung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der Uni-
onsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen
der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.11 auf:
Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung
– Drucksachen 17/613, 17/623 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Klaus-Peter Willsch
Bernhard Brinkmann
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
Zum Einzelplan 14 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der Ab-
geordneten Klaus-Peter Willsch und Dr. h. c. Jürgen
Koppelin vor. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag
der Fraktion Die Linke vor, über den wir am Freitag
nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Bernhard Brinkmann für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Bei der ersten Lesung des Einzelplans 14 am20. Januar 2010 habe ich von gleicher Stelle ausgeführt,dass der Regierungsentwurf des Verteidigungshaushaltsauf den ersten Blick stabil und solide erscheint. Nachden Beratungen im Ausschuss und den Ergebnissen ausder Bereinigungssitzung kann man das allerdings nichtmehr behaupten. In zu vielen Punkten bleibt der obersteGrundsatz der Haushaltswahrheit und -klarheit leider aufder Strecke.
Angesichts der Rednerliste sei mir ein kurzer Einwurfgestattet: Ich vermisse auf der Rednerliste den Namendes Ministers der Verteidigung, Herrn Freiherr zuGuttenberg.
Man kann nur spekulieren – vielleicht wird diese Speku-lation im Laufe der Debatte aufgehoben –: Darf er nicht?Will er nicht? Möchte er nicht? – Schauen wir einmal,was die Koalition zu dieser Angelegenheit sagen wird.Im Rahmen der Haushaltsberatungen ist deutlich ge-worden, dass 90 Prozent des investiven Anteils durchGroßvorhaben über Jahre gebunden sind, sodass für dienächsten Jahre finanzielle Handlungsspielräume fürNeues so gut wie nicht mehr vorhanden sind. Das un-fassbare Durcheinander bei der Beschaffung des Flug-zeugs A400M erreicht heute durch einen kurzfristig ein-gereichten Antrag der Koalition anscheinend eine neueGrößenordnung, man könnte fast sagen: den absolutenHöhepunkt. Man muss sich einmal vor Augen führen,wie die Koalition in dieser Frage in der Bereinigungssit-zung mit Ihnen, Herr Minister, umgegangen ist – ich willganz deutlich sagen, dass die Bundeswehr dieses Flug-zeug braucht; die SPD-Fraktion steht nach wie vor zudiesem Beschaffungsvorhaben –; das schreit zum Him-mel.
Da wird über Nacht ein Kürzungsvorschlag in Höhevon 100 Millionen Euro durchgesetzt – ohne Begrün-dung –, obwohl jeder wusste, dass in 2010 aufgrund desbestehenden Vertrages selbst vor der jüngst erfolgten Ei-nigung mit EADS 250 Millionen Euro fällig gewordenwären. Damit das geheilt und das Projekt insgesamt ge-rettet werden kann, herrschte hier gestern hektische Be-triebsamkeit. Der Kollege Willsch, der Kollege Kalb undder Kollege Koppelin waren mehrfach mit dem Ministerim Plenarbereich unterwegs.
Andere wurden nicht dazugebeten, obwohl es einedurchaus übliche und sehr faire Praxis ist, dass alle Be-richterstatter des Einzelplans über Veränderungen infor-miert werden. Aber nun kommt es: Kurz vor der ab-schließenden Beratung legt die Koalition einen Antragvor – dass darüber abgestimmt wird, hat die Frau Präsi-dentin eben angekündigt – über eine Verpflichtungser-mächtigung für den A400M in Höhe von 500 MillionenEuro. Wie sieht es da mit dem Einhalten des hehrenGrundsatzes eines jeden Haushälters der Haushaltswahr-heit und -klarheit aus, Herr Minister? Die Koalitions-fraktionen – das sage ich in aller Deutlichkeit – tanzenIhnen auf der Nase herum. Sie haben letztendlich durchdiese Vorgehensweise wie bei vielen anderen Einzelplä-nen auch mehr als deutlich gemacht, dass diese Koali-tion nicht regierungsfähig ist.
Die SPD-Fraktion steht mit dieser Äußerung zur Re-gierungsfähigkeit nicht alleine da. Ich gehe einmal da-
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Bernhard Brinkmann
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von aus, dass auch Sie sich Umfragen und Bewertungenanschauen. Über 70 Prozent der deutschen Bevölkerung– das ist eine deutliche Mehrheit – sind ebenfalls dieserAuffassung; sie sagen: Die können das nicht. – Das istauch so; aber Sie sind nicht bereit, den ersten Schritt zutun, um das zu verändern.
Einsicht wäre der erste Schritt auf dem Weg der Besse-rung. Sie aber halten an diesem totalen Durcheinanderfest.Es kommt aber noch schlimmer.
Der Kollege Kahrs hat in der Bereinigungssitzung denMinister und den Staatssekretär gefragt, wie sie dieseüber Nacht ausgeheckten Kürzungen bewerten. Antwortdes Ministers darauf: Dazu bin ich nicht in der Lage. –Wie sollen dann aber Haushälter eine Entscheidung hin-sichtlich von Beschaffungsmaßnahmen für den Schutzunserer Soldatinnen und Soldaten und auch für die ge-fährlichen Auslandseinsätze treffen? Weder die Verteidi-gungspolitiker noch die zuständigen Berichterstatter derOpposition wurden über diese – ich muss es wiederholenund möchte es deutlich betonen – über Nacht ausgeheck-ten Kürzungen informiert.So geht man im parlamentarischen Beratungsverfah-ren nicht miteinander um. So ist man auch nach 1998nicht mit den Berichterstattern des Einzelplans 14 undaller anderen Einzelpläne umgegangen. Das ist unfairund macht nur ganz deutlich, dass die FDP wieder ein-mal versucht, ein bisschen Profil zu gewinnen und eineGegenfinanzierung für die 1 Milliarde Euro hinzube-kommen, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, ausdem Hotelfenster geworfen haben. Wie durchsichtig dasist, wird daran deutlich, dass die DEHOGA heute erklärthat, dass ihre Mitgliedsunternehmen bereit sind, im Ge-genzug für dieses Steuergeschenk in Höhe von 1 Mil-liarde Euro vielleicht 400 Millionen Euro zu investieren.Wo bleiben die anderen 600 Millionen Euro? Sie sindwohl als reines Klientelgeschenk der Regierung und derKoalitionsfraktionen anzusehen.Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Ko-alition, Sie müssen den Soldatinnen und Soldaten erklä-ren, warum ab dem Haushaltsjahr 2010 – in den Folge-jahren wird der Spielraum ja noch enger – die unbedingtnotwendigen Finanzmittel für Schutz und Ausrüstungnicht mehr zur Verfügung stehen.Gestatten Sie mir noch zwei kurze Anmerkungen.Gestern Abend war die Jubiläumsfeier des Verbandesder Reservisten. Dort gab der Minister bekannt, dass erdie im Koalitionsvertrag festgelegte Verkürzung desWehrdienstes auf den 1. Oktober vorziehen will. Damitwerden Sie bestimmten Fragen nicht gerecht und verab-schieden Sie sich endgültig von einer sicherheitspoliti-schen Begründung für die Aufrechterhaltung der Wehr-pflicht. Sie sagen auch nicht, wie Sie die in vielenBereichen daraus resultierenden Herausforderungen fi-nanzieren wollen. Bei der von Ihnen vorgesehenen Ver-kürzung der Wehrpflicht auf sechs Monate wird der Auf-wand für die Ausbildung von Personal, für Material undInfrastruktur in keinem Verhältnis mehr zum Ergebnisstehen. Ich habe bis zum jetzigen Zeitpunkt auch nichtsdazu von Ihnen gehört, Herr Minister, wie Sie das in derkünftigen Haushaltsplanung darstellen wollen und wieSie das finanzieren wollen.Lassen Sie mich noch ein paar kurze Anmerkungenzu Lagerhaltung, ÖPP und Privatisierung machen.
Ich sage für die SPD-Fraktion ganz deutlich, dass die imMinisterium zurzeit angestellten Vergleichsberechnun-gen transparent erfolgen müssen und dass man auch dieberechtigten Sorgen und Nöte der Beschäftigten ernstnehmen muss. Private Dienstleister sind nämlich nichtgenerell besser und kostengünstiger. Stichworte wieBundeswehr-Fuhrpark, BWI oder auch Entwicklungenin anderen von PPP geprägten Bereichen sind der besteBeweis dafür.Es gibt natürlich nicht nur Kritik, sondern durchausauch erfreuliche Dinge, die ich kurz erwähnen möchte,nämlich die Baumaßnahmen im Rahmen des Konjunk-turpakets II und das Zentrum für die Traumabehandlungder vom Einsatz zurückkehrenden Soldatinnen und Sol-daten, das übrigens auf einen Antrag der Arbeitsgruppe„Sicherheit“ der SPD-Fraktion zurückgeht.
Wir brauchen weiterhin eine junge, leistungsstarkeArmee. Diese muss, um eine gewisse Attraktivität zuentfalten, gut ausgerüstet sein. Hierzu hat der Wehrbe-auftragte in seinem Bericht sehr viele, durchaus nach-vollziehbare und kritische Anmerkungen gemacht, diewir in unseren weiteren Beratungen berücksichtigenmüssen.Zum Schluss meiner Ausführungen darf ich allen Sol-datinnen und Soldaten und dem zivilen Personal denDank, die Anerkennung und den Respekt der SPD-Frak-tion aussprechen. Das gilt insbesondere für die Teile derBundeswehr, die einen gefährlichen und schwierigenAuslandseinsatz zu bewältigen haben. Herzlichen Dankauch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Minis-teriums, die uns bei den Berichterstattergesprächen stetsdie gewünschten Informationen zur Verfügung gestellthaben. Die Zusammenarbeit hat sich bisher ausgespro-chen angenehm dargestellt.Wir lehnen den Einzelplan 14 ab und werden auch derheute Mittag kurzfristig von Ihnen eingereichten Ver-pflichtungsermächtigung über 500 Millionen Euro un-sere Zustimmung nicht geben.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Kollege Klaus-Peter Willsch von
der Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Meine sehr verehr-ten Damen und Herren! Herr Minister! Zunächst einmal,Kollege Brinkmann, finde ich, dass der Ton, den Sie indiese Debatte, die wir gemeinsam führen, hineingebrachthaben,
der Debatte nicht gerecht wird.
Ich finde es auch nicht schön, dass Sie einvernehmlichbeschlossene Maßnahmen – unterstützt von einer breitenFachpolitik, auch aus der CDU/CSU – wie das Zentrum,das sich um posttraumatische Belastungsstörungen küm-mern soll, mit einem Parteilabel zu versehen versuchen.Das halte ich nicht für sehr anständig; denn dieser Be-schluss entsprach dem Anliegen all derer, die verant-wortlich mit der Bundeswehr umgehen.
Das sollte hier auch so gesagt werden. Wir sollten dieSoldaten gerade bei diesem Thema nicht politisch einsei-tig instrumentalisieren.
Der Minister ist der Meinung, dass die Haushaltsbera-tungen die Stunde des Parlaments sind. Er hatte bei Ein-bringung des Haushalts die Gelegenheit genutzt, zumHaushalt seines Ministeriums zu sprechen. Ich bin demMinister dankbar, dass er in dieser Debatte meiner Frak-tion seine Redezeit zur Verfügung gestellt hat. Das isteine Reverenz gegenüber dem Parlament.
Ich möchte mich aber nicht nur dafür, sondern auch fürdie angenehme und zufriedenstellende Zusammenarbeitmit dem Verteidigungsministerium bedanken. Es gab mitden Staatssekretären und den Mitarbeitern des Hauseseine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Rahmen derHaushaltsberatungen.Etwa jeder zweite Bundesbürger spricht sich füreine aktive Außen- und Sicherheitspolitik aus …Das Vertrauen in die Bundeswehr ist außerordent-lich groß … Die Bundesbürger vertrauen der Bun-deswehr, weil sie davon überzeugt sind, dass dieStreitkräfte dazu beitragen, Frieden, Schutz undFreiheit für Deutschland zu wahren.Das habe nicht ich mir ausgedacht, sondern das ist dasErgebnis einer Studie des Sozialwissenschaftlichen In-stituts der Bundeswehr zum Thema „Sicherheits- undverteidigungspolitisches Meinungsklima in der Bundes-republik Deutschland“, die im Januar veröffentlichtwurde. Das ist ein gutes Zeugnis für unsere Bundeswehr.Wir sollten unseren Soldaten im Einsatz, aber auch denMitarbeitern der Bundeswehr auf allen anderen Dienst-posten für den aufopferungsvollen und schweren Dienstdanken, den sie für unser Land leisten.
Ich habe bereits bei der ersten Lesung im Januar zumAusdruck gebracht:Wenn wir Soldaten in Einsätze schicken, dann müs-sen wir sie so ausrüsten, dass sie unter größtmögli-chem Schutz und mit höchstmöglicher Wirksamkeitihren gefährlichen Auftrag erfüllen können.Das ist die Verantwortung des Parlaments, und zu dieserVerantwortung stehen wir. Das haben wir auch bei die-sen Haushaltsberatungen unter Beweis gestellt. DerBundeshaushalt steht unter einem gewaltigen Spardruck.Wir alle wissen das. Trotzdem ist es uns gelungen– wenn auch nicht völlig unbeschadet –, mit Einsparun-gen von lediglich 32 Millionen Euro unterm Strich he-rauszukommen. Es ist notwendig, der Öffentlichkeit zusagen, dass Sicherheit und Freiheit ihren Preis haben.Ich will gleichwohl kurz illustrieren, bei welchenMaßnahmen wir Kürzungen vorgenommen haben. Wirmeinen, dass wir bei der Nachwuchswerbung mit10 Millionen Euro weniger auskommen. Wir als Abge-ordnete können in unseren Wahlkreisen für den zivilenArbeitgeber Bundeswehr Werbung machen. Wir sind,weil in der Fläche breit aufgestellt, am besten dafür ge-eignet, unserem Minister zivile Mitarbeiter zuzuführen.Wir glauben, dass man bei Baumaßnahmen, bei ver-mischten Verwaltungsausgaben, bei Mieten und Pachtenmit 15,2 Millionen Euro weniger auskommt. Ohne dieweitere Ausrüstung mit dem Eurofighter infrage zu stel-len, glauben wir, dass wir bei der Waffenentwicklungmit 5 Millionen Euro weniger auskommen. – Das allessind Kürzungen, die die christlich-liberale Koalition un-ter Beachtung ihrer Verantwortung für den Gesamthaus-halt vorgenommen hat. Natürlich wissen wir, dass sichdas Ministerium über diese Kürzungen nicht freut. Werfreut sich schon, wenn in seinem Bereich Mittel gekürztwerden? Wir glauben aber, dass das Haus diese Vorga-ben wird umsetzen können.Lassen Sie mich noch zu dem Thema „öffentlicheEntwicklungszusammenarbeit und ODA-Mittel“ im Be-reich des Einzelplans 14 einige Bemerkungen machen.2008 war das letzte abgerechnete Jahr. In dem Jahrhaben wir aus dem Einzelplan 14 lediglich 8,2 MillionenEuro ODA-fähige Mittel erbracht. Das sind Mittel, diezwar aus dem Verteidigungshaushalt bezahlt werden, dieaber als Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit ge-wertet werden. Wenn wir uns die Zahlen für 2010 an-schauen, so kommen wir auf einen Betrag von 12,8 Mil-lionen Euro. Sie wissen alle – die ODA-Quote ist schonmehrfach angesprochen worden –, dass das, was dort füreinen späteren Zeitpunkt in Aussicht gestellt wird, heutenoch nicht erreicht wird. Wir sollten aber wenigstens dieMittel zusammenrechnen, die wir für diesen Bereich
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Klaus-Peter Willsch
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schon jetzt zur Verfügung stellen, damit die Zahlen nichtschlechter aussehen, als sie in Wirklichkeit sind.Wir haben im Einzelplan 14 einen Bereich mit einemVolumen von 56,3 Millionen Euro, der streitig gestelltist, weil das BMZ sagt, dass es sich nicht um ODA-Mit-tel handelt. Ich glaube, an dieser Stelle müssen wir zuNeubewertungen kommen und müssen deutlich machen,dass das, was wir in diesem Bereich tun, der Entwick-lung Afghanistans dient. Es geht mir nicht darum, hierbilligen Beifall für die damit erreichte Verbesserung beider Quotenerfüllung zu bekommen, sondern es geht mirum die Anerkennung der Soldaten, die dort ihren Diensttun. Sie sollen entsprechende öffentliche Wertschätzungerfahren, indem ihnen sozusagen testiert wird, dass sieeinen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Landesleisten.
Da wir beim Thema Quote sind: Häufig wird überQuoten bei der Entwicklungszusammenarbeit und überdas 10-Prozent-Ziel bei den Bildungs- und Forschungs-ausgaben gesprochen. Quotale Bindungen sind Haushäl-tern ein Graus. Aber wenn wir schon über quotale Bin-dungen reden, dann müssen wir das auch vollständig tun.In der NATO ist man schon vor mehreren Jahren über-eingekommen, einen Anteil der Verteidigungsausga-ben am BIP von 2 Prozent anzustreben. Das erreichenwir nicht; wir sind in einem Bereich von 1,3 Prozent bis1,4 Prozent. Die einzigen, die dieses Ziel erreichen, sinddie Amerikaner, die Engländer und die Franzosen, diesogar darüber liegen.
– Stimmt, das waren Einmalerscheinungen. Ob das beiden Griechen allerdings nur auf Sollzahlen beruht oderob das Geld wirklich schon geflossen ist, ist aber frag-lich. Darüber kennen wir ja auch Geschichten.
Das ist eine beachtliche Quote, wenn wir uns als Indus-triestaaten miteinander vergleichen und überlegen, wel-cher Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP sinnvollund notwendig ist. Das müssen wir mit im Blick behal-ten.
Kollege Willsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Kahrs?
Natürlich.
Herr Kollege, ich höre Ihre Rede, und Sie sagen viele
gefällige Dinge. Aber wenn man sich anschaut, was Sie
im Verteidigungshaushalt gemacht haben, wird deutlich,
dass es nicht auf die Streichungen in Höhe von 1 Mil-
lion, 2 Millionen oder 5 Millionen Euro, die Sie eben ge-
nannt haben, ankommt. Ich würde es begrüßen, wenn
Sie einmal die Streichung von 200 Millionen Euro im
investiven Bereich begründen würden. 100 Millionen
Euro beim A400M, NH-90, Tiger, Quartiermeistermate-
rial und alles, was dazugehört, die globale Minderaus-
gabe von 200 Millionen Euro, die 57 Millionen Euro fle-
xibilisierte Mittel: Ich würde einfach gerne einmal die
Begründung dafür hören.
Im Ausschuss selbst wollten Sie die Begründung
nicht geben. Ihr Minister konnte sie nicht geben, weil er
erst Stunden vorher erfahren hat, was Sie gestrichen ha-
ben. Ihr Staatssekretär muss jetzt 450 Millionen Euro in
einem Haushalt, der bereits läuft, zusammensuchen. Das
heißt, dass große Sparmaßnahmen auf die Truppe zu-
kommen. Neben all den netten Dingen, die Sie bisher er-
wähnt haben, könnten Sie auch einmal zum Kern kom-
men und dies begründen.
Lieber Kollege Kahrs, ich bedanke mich für die lo-benden Worte bezüglich meines Beitrags. Die Fachdis-kussion werden wir jetzt sicherlich nicht mehr im Detailnachholen können. Wir haben uns die einzelnen Be-schaffungsmaßnahmen angeschaut und uns überlegt, wowir parlamentarisch nachsteuern können – ich erinnereSie an unseren Antrag in Sachen MEADS –, indem wiruns in Betracht kommende Alternativen anschauen, dieden gleichen Zweck erfüllen können und bei denen wirder Auffassung sind, dass noch genügend Zeit ist. Dashaben wir gemacht. Das ist ein verantwortlicher Um-gang mit dem Haushalt.Hinsichtlich des A400M bin ich Ihnen in der Tat nocheine Begründung unseres Antrags schuldig; auch derKollege Brinkmann hat danach gefragt. Diese will ichjetzt gerne nachtragen. Ich will Ihnen aber nicht zumu-ten, die ganze Zeit stehen zu müssen, wenn ich jetztnoch einmal zum A400M komme.
Die Beratung über den A400M ist mit Blick auf dieTechnik der Haushaltsaufstellung nach der Bereini-gungssitzung in ein Stadium gekommen, in dem wir, umden Kredit über die KfW ausreichen zu können, eine Er-mächtigung im Haushalt brauchen; das wissen Sie, HerrKollege Brinkmann. Deshalb haben wir nach einem Weggesucht und haben das mit dem gemeinsamen Antragmeines Kollegen Dr. Koppelin und mir als Verpflich-tungsermächtigung noch in den Haushalt 2010 hineinge-bracht.Zur Erläuterung: Mit den 2 Milliarden Euro haben wirüberhaupt nichts zu tun; das wissen Sie alle.
Dafür erwarten wir eine Lösung, die nicht haushalts-wirksam wird. Wir haben darüber hinaus die 1,5 Milliar-
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Klaus-Peter Willsch
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den Euro, die die sieben Bestellernationen dem Herstel-ler als Kreditmittel zur Verfügung stellen sollen. UnserAnteil daran beträgt 500 Millionen Euro. Diese soll dieKfW verzinst und rückzahlbar ausreichen. Weil jetztaber noch kein Vertrag da ist und die Konditionen nochnicht ausgehandelt sind und feststehen, war das BMF derAuffassung, wir müssten den vollen Betrag ansetzen.Wir sind der festen Überzeugung, dass das nicht fälligwerden wird.
Das Ganze wurde in hervorragender Weise ausgehan-delt. Viele hatten einen schlimmeren Ausgang dieserVerhandlungen erwartet.
Kollege Willsch, der Kollege Kahrs hat offensichtlich
noch eine Nachfrage.
Lassen Sie mich das bitte im Zusammenhang darstel-
len. – Sie haben schon bei der ersten Lesung gesagt, dass
wir auf jeden Fall weitermachen müssen, und damit die
Verhandlungsposition nicht gerade erleichtert. Dass wir
dieses gute Ergebnis erreichen können, indem die KfW
angewiesen werden kann, diesen Kredit auszureichen, ist
Gegenstand und Notwendigkeit des Antrags, den ich
hier einbringe und den ich Ihrer Zustimmung empfehle.
Herr Kollege Willsch, können Sie mir bitte sagen, ob
Sie die Frage noch zulassen oder nicht; denn ich kann
diese Zeit nicht an Ihre Redezeit hängen.
Ich möchte meinen Gedanken im Zusammenhang
ausführen. Ich bitte um Verständnis.
Gut.
Das Thema A400M macht zugleich deutlich, dass im
Einzelplan 14 Belastungen vorgesehen sind, die nicht al-
lein verteidigungspolitisch motiviert sind. Keiner hat
dieses Thema rein militärisch diskutiert, es wurde auch
immer industriepolitisch diskutiert. Das gibt es auch in
anderen Bereichen. Der Bericht von SIPRI über unsere
Erfolge an der Exportfront ist schon mehrfach angespro-
chen worden. Wir können stolz darauf sein, weil unsere
Spitzentechnologie weltweit, gerade bei unseren NATO-
Partnern, nachgefragt wird. Das sichert 77 000 Arbeits-
plätze in diesem Bereich.
Wenn technologische Fähigkeiten der Ingenieurs-
kunst erhalten werden sollen, dann muss es Aufträge ge-
ben.
Wenn das die Bundeswehr allein machen soll, dann wer-
den wir sozusagen als industriepolitischer Einzelplan
missbraucht. Als wichtiger Punkt ist festzuhalten: Wir
können mit diesen Gütern auch dafür sorgen, dass Hoch-
technologieunternehmen im Bereich Luft- und Raum-
fahrt in unserem Land eine gute Zukunft haben und nicht
nur uns, sondern auch Partnern ihre hervorragenden Pro-
dukte zur Verfügung stellen können.
Lassen Sie mich schließen, indem ich bekenne: Das,
was wir mit der Fassung in der Nacht der Bereinigungs-
sitzung beschlossen haben, hat schon Auswirkungen ge-
zeigt. Sie alle kennen die Aussagen des Inspekteurs des
Heeres. Das betrifft auch mich persönlich: Ich bin Flak-
panzerkommandant.
Es nimmt einen schon mit, wenn man liest, dass der Ge-
pard außer Dienst gestellt wird; aber es zeigt zugleich,
dass wir mit solchen Vorgaben das Problem in die
Truppe verlegen, wenn wir fragen: Wo könnt ihr mithel-
fen, dass wir diese haushaltspolitisch schwierigen Zeiten
meistern?
Kollege Willsch, ich verrate Ihnen ein Geheimnis. Sie
haben gleich die Möglichkeit, weiter zu reden, da es
nach Ihrer Rede eine Kurzintervention gibt. Aber jetzt
bitte ich Sie, mein Signal zu beachten, und Ihre Rede zu
beenden.
Ich verneige mich vor Ihnen und Ihrem Hausrecht
und schließe mit folgendem Satz ab: Die Bundeswehr,
das Verteidigungsministerium und die Truppe können
sich auf die CDU/CSU-Fraktion verlassen. Wir werden
im Haushaltsausschuss für die Truppe möglich machen,
was geht.
Danke schön.
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Kahrs das
Wort.
Herr Kollege Willsch, Sie haben eben davon gespro-chen, dass Sie es bedauern, was der Inspekteur Heer ver-fügt hat, nämlich dass die Geparden, Marder und vieleandere Fahrzeuge stillgelegt worden sind. Das liegt da-ran, dass Sie die Politik machen, die Sie machen. Wennman den Haushalt betrachtet, muss man feststellen, dass
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Johannes Kahrs
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Sie über 450 Millionen Euro aus einem laufenden Etatgestrichen haben, die in diesem Jahr eingespart werdenmüssen. Von den 250 Millionen Euro, die in diesem Jahrfür den A400M vorgesehen waren, haben Sie 100 Mil-lionen Euro gestrichen. Es gibt aber eine vertraglicheBindung, das heißt, die Mittel werden anderswo imHaushalt erwirtschaftet werden müssen. Sie haben30 Millionen Euro beim Tiger eingespart. Auch hier gibtes vertragliche Verpflichtungen, sodass die Mittel wo-anders eingespart werden müssen. Beim NH-90 gilt dasGleiche: Sie werden die Mittel im laufenden Etat einspa-ren müssen.Das ist in keiner Sitzung des Verteidigungsausschus-ses, bei keinem Berichterstattergespräch und auch vorhernie diskutiert worden. Das heißt, auch Ihr Minister haterst Stunden vorher erfahren, was Sie in jener Nacht vonMittwoch auf Donnerstag ausgeheckt haben. Die Truppewird das jetzt im laufenden Jahr erdulden müssen. Keinanderer Etat ist so geschröpft worden wie der Verteidi-gungsetat. Das heißt, auf der einen Seite schicken wirSoldaten nach Afghanistan, auf der anderen Seite wirdder Etat brutal zusammengestrichen. Wir alle kennen dieMängel bei der Bundeswehr. Wir wissen um die Pro-bleme bei Infrastruktur und Beschaffung. Als schwarz-gelbe Koalition streichen Sie Ihrem Minister 450 Millio-nen Euro aus dem laufenden Haushalt und begründendas hier nicht einmal.Sie haben über den A400M und die 500 MillionenEuro VE gesprochen. Hier geht es aber um die 450 Mil-lionen Euro, die Sie real gestrichen haben. Dafür habeich keine Begründung gehört. Glauben Sie, dass Sie die30 Millionen Euro für den Tiger nicht brauchen? Glau-ben Sie, dass Sie die 100 Millionen Euro für denA400M, die vertraglich gebunden sind, nicht brauchen?Es wäre schön, wenn einer die Streichung einmal be-gründen würde, damit die Truppe weiß, warum sie imlaufenden Jahr das Geld nicht hat. Der Haushalt ist groß– das wissen wir alle –, aber der disponible Teil ist sehrklein. Sie werden dieses Geld bei der Truppe im laufen-den Jahr – wir haben ja schon März – zusammensparenmüssen.Die Auswirkungen werden jeden Soldaten treffen,werden die Truppe generell treffen. Das sind die Solda-ten, über die wir große Reden gehalten haben, die Sienach Afghanistan schicken. Das sind die Soldaten, aufdie Sie immer wieder Lobeshymnen singen. Deren Geldwird jetzt von Schwarz-Gelb gegen den Willen des Mi-nisters und des Ministeriums zusammengestrichen. Da-für stehen Sie als Berichterstatter. Ich finde, man könntedas hier, vor dem Parlament, zumindest einmal begrün-den. Das gebietet der Anstand. Wir Sozialdemokratenhaben diese Kürzung abgelehnt. Wir halten das für unan-ständig und falsch.Vielen Dank.
Kollege Willsch, möchten Sie antworten? – Bitte.
Herr Kollege Kahrs, es ist Ihnen sicher nicht entgan-
gen, dass wir für den einsatzbedingten Mehrbedarf für
Afghanistan 437 Millionen Euro zusätzlich zur Verfü-
gung gestellt haben. Sie versuchen, aus dem Thema Ho-
nig zu saugen und einen anderen Eindruck zu vermitteln;
aber Sie wissen natürlich, dass für sehr viele Mittel im
Einzelplan 14 gegenseitige Deckungsfähigkeiten beste-
hen, sodass es bei der Truppe bleibt, die Vorgaben, die
der Haushaltsausschuss gemacht hat, zu realisieren.
Ich betone einmal mehr: Der optimale Schutz und die
optimale Ausrüstung der Truppe im Einsatz bleiben für
uns im Fokus. Wenn wir bei langfristigen Beschaffungs-
vorhaben auf die Bremse treten oder sagen: „Das muss
anders gemacht werden“, dann hat das mit dem Einsatz
unmittelbar nichts zu tun.
Das Wort hat die Kollegin Inge Höger für die Fraktion
Die Linke.
Frau Präsidentin! Herr Minister! Meine Damen undHerren! Das Geschäft mit der Rüstung blüht. Die Zahlendes Friedensforschungsinstituts SIPRI wurden heute ver-schiedentlich genannt. SIPRI warnt ganz entschiedenvor weltweitem Wettrüsten. Deutschland ist zum dritt-größten Rüstungsexporteur aufgestiegen. Rot-Grün hatdie Türen geöffnet, aber unter der Großen Koalition ha-ben sich die Rüstungsexporte nahezu verdoppelt.Mit den Ausgaben für das eigene Militär liegtDeutschland auf Platz 6 weltweit, also in den Topten.Deutsche Waffen in alle Welt, das scheint die Devise derhiesigen Rüstungsindustrie zu sein. Nicht nur die Bun-deswehr wird aufgerüstet. Auch NATO-Länder und EU-Verbündete werden mit Waffen beliefert. Die meistendieser Länder sind in Kriege verwickelt. Selbst armeLänder in Afrika, Lateinamerika oder Asien dürfen sichimmer wieder über Rüstungslieferungen aus Deutsch-land freuen.In ihrem Koalitionsvertrag behauptet die schwarz-gelbe Regierung – Herr Westerwelle hat das heute auchnoch einmal betont –, die Koalition wolle Frieden in derWelt schaffen und dazu beitragen. Wie soll das aber mitimmer mehr Waffen und immer neuen Rüstungsexportengehen?
Frieden schaffen kann man nur ohne Waffen. Auchwenn immer wieder versucht wird, den Eindruck vonEinsparungen beim Militär zu suggerieren, kann hiernicht von einem Sparhaushalt die Rede sein. Oberfläch-lich betrachtet haben Sie den Verteidigungshaushalt umklägliche 0,1 Prozent gekürzt. Die Linke sieht wesent-lich mehr Einsparmöglichkeiten. Vorschläge für die
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Inge Höger
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Kürzung um insgesamt 4 Milliarden Euro haben wir inunserem Antrag aufgelistet.Doch diese Regierung hat offensichtlich kein Inte-resse daran, beim Militär zu sparen.
Selbst bei den behaupteten Sparbemühungen im Promil-lebereich wird die Öffentlichkeit getäuscht; denn nichtalle Militärausgaben sind tatsächlich im Einzelplan 14aufgelistet. Ein treffenderes Bild bekommt man, wennman sich die Meldung an die NATO-Verbündeten an-schaut. Nach NATO-Kriterien planen Sie Militärausga-ben in Höhe von 34 Milliarden Euro. Das ist gegenüber2009 ein Anstieg um 600 Millionen Euro. Das wird ge-genüber den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern ver-schleiert. Hören Sie auf mit diesen Täuschungsmanö-vern, und beginnen Sie mit wirklicher Abrüstung. Dalassen sich Milliarden sparen.
Unter Sparen versteht die Linke keine Umschichtungim Militärhaushalt, wie dies in den letzten Jahren ge-macht wurde. Durch Standortschließungen und den Ab-bau der Zahl ziviler Beschäftigter wurde an einzelnenStellen Geld gespart, aber die frei werdenden Mittelwurden dann in die Aufrüstung und Umstrukturierungder Bundeswehr investiert. Die Umschichtungen dientenund dienen dem Umbau der Bundeswehr von einer Ver-teidigungsarmee zu einer Armee im Einsatz. Der Ver-teidigungshaushalt ist der drittgrößte Einzelhaushalt.Statt abzurüsten, rüsten Sie die Bundeswehr für welt-weite Kriegs- und Besatzungseinsätze auf. Das gehtnicht zum Nulltarif.
Genau diese Bundeswehr als Interventions- und Besat-zungsarmee sollte Deutschland sich sparen. Die Linkevertritt einen strikten Antikriegskurs. Auslandseinsätzekönnen wir sowohl den Menschen in den betroffenenRegionen als auch den Bundeswehrsoldaten ersparen.
Hören Sie endlich auf, Deutschland am Hindukuschoder am Horn von Afrika zu verteidigen. Nehmen Siedas Grundgesetz ernst. Reduzieren Sie die Aufgaben derBundeswehr auf einen strikt territorial definierten Vertei-digungsbegriff. Dann können Sie wirklich sparen.
Wenn die Bundeswehr nicht mehr weltweit zum Ein-satz kommen soll, braucht sie auch keine teuren Trans-portflugzeuge. Die Bundesregierung könnte sich dasganze Dilemma um den Pannenflieger Airbus A400Msparen. Bereits jetzt sind für die Beschaffung dieses Mi-litärtransporters etwa 10 Milliarden Euro eingeplant.Das entspricht etwa dem deutschen Entwicklungshilfe-etat der letzten beiden Jahre zusammen. Doch das Flug-zeug wird die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler wahr-scheinlich noch deutlich teurer zu stehen kommen. Ei-gentlich müsste die Firma EADS aufgrund der starkenLieferverzögerung Strafzahlungen an die Bundesregie-rung leisten; aber Sie verzichten auf Ihre Ansprüche.Weitere Zahlungen wurden zugesagt. Die verschiedenenBestellerländer haben sich bereit erklärt, insgesamt3,5 Milliarden Euro zusätzlich zu zahlen; 1,5 MilliardenEuro davon gibt es eventuell zurück. Wann? Wenn sichder Airbus als Exportschlager herausstellt. Das ist ausSicht der Linken pervers.
Die Firma Airbus rechnet damit, auf dem Weltmarktbis zu 500 dieser Militärflugzeuge verkaufen zu können.Um die Aufrüstung der deutschen und französischen Ar-mee mit Transportflugzeugen irgendwie finanzierbar zuhalten, wird die weltweite Aufrüstung bewusst vorange-trieben. Dabei wäre die Lösung ganz einfach: Die Bun-desregierung hat aufgrund der LieferverzögerungenKündigungsrecht. Sie könnten also ganz einfach aus die-sem Vertrag aussteigen. Dann wäre das Projekt zwarwahrscheinlich am Ende, aber das wäre auch gut so. Be-enden Sie diesen Wahnsinn. Deutschland braucht denA400M nicht.
Gleiches gilt für viele andere Rüstungsvorhaben.Auch der neue Schützenpanzer Puma soll zu einemExportschlager werden wie das Vorgängermodell Leo-pard 2, das bereits in alle Welt verkauft wurde. Der Ein-kauf von 410 Hightechschützenpanzern Puma wird ein-schließlich der Bewaffnung etwa 5 Milliarden Eurokosten. Diese 5 Milliarden Euro würden reichen, um al-len Menschen in Afghanistan fünf Jahre lang eine medi-zinische Grundversorgung zukommen zu lassen. Auchdieser große Auftrag reicht den Produzenten Rheinme-tall und Krauss-Maffei Wegmann nicht. Der Auftrag derBundeswehr ist lediglich ein Türöffner für den lukrati-ven Weltmarkt. In fast allen Fällen gibt es einen Zusam-menhang zwischen der Rüstungsproduktion für die Bun-deswehr und der Rüstungsproduktion für den Export.Hohe Stückzahlen machen die Produktion von Panzernund U-Booten lukrativer. Hier komme ich auf die bereitserwähnte Warnung von SIPRI vor einem neuen weltwei-ten Wettrüsten zurück. Die neue Aufrüstungsspirale drehtsich bereits.Mit diesem Haushalt wird die Grundlage für Aus-landseinsätze der Bundeswehr gelegt. Wir haben es hiermit einer Mogelpackung zu tun. Allein der ISAF-Einsatzin Afghanistan wird im laufenden Jahr mehr als 1 Milliar-de Euro verschlingen. Im Haushalt wird aber so getan, alsob alle Auslandseinsätze zusammen, ob auf dem Balkan,in Afghanistan und am Horn von Afrika, nur 600 Millio-nen Euro kosten würden. Auch hier gibt es natürlich einesehr einfache Möglichkeit, mit diesem Geld auszukom-men: Verzichten Sie auf die Aufstockung des ISAF-Man-dates. Schicken Sie keine weiteren Soldatinnen und Sol-daten nach Afghanistan. Lassen Sie die Soldaten, die vorOrt sind, ihre Koffer packen. Beenden Sie den Einsatz derBundeswehr in Afghanistan.
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2788 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Inge Höger
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Die NATO, mit ihr auch die Bundeswehr, kann undwird diesen Krieg nicht gewinnen; immer mehr Militärssagen Ihnen das. Das Militär trägt nur zur Eskalation derSituation bei. Ziehen Sie deshalb den längst fälligenSchlussstrich unter diese unrühmliche Geschichte undholen Sie die Bundeswehr aus Afghanistan heraus.
Völlig pervers ist auch die Tatsache, dass Kriegsein-sätze inzwischen zu einem Verkaufsargument für deut-sche Rüstungsgüter geworden sind. Was sich im Einsatzbewährt hat, verkauft sich auf den internationalen Rüs-tungsmärkten offensichtlich besser. Während die Zivil-bevölkerung und auch die Soldatinnen und Soldaten denPreis für Kriege bezahlen müssen, profitiert die Rüs-tungsindustrie gleich doppelt: von der Nachfrage derBundeswehr und von besseren Exportchancen. DieseForm der Exportförderung muss sofort aufhören.
Das Geschäft mit dem Krieg läuft gut. Die Rüstungs-industrie ist kaum von der Krise bedroht. Die Verträgesind langfristig, und Krieg hat offensichtlich wiederKonjunktur. Zusätzlich profitiert die Rüstungsindustrieauch vom Konjunkturpaket. Im laufenden Jahr werdenneben Kasernensanierung und militärischer EDV bei-nahe 200 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket fürRüstung zur Verfügung stehen, und das zusätzlich zumVerteidigungshaushalt. Profiteure dieses makabren Kon-junkturpaketes aus Panzern und Maschinenpistolen sindunter anderem Heckler & Koch, EADS, Krauss-MaffeiWegmann und Rheinmetall.Bitte kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Arbeits-platzargument. Wollen Sie wirklich das Sterben vonMenschen in anderen Teilen der Welt mit dem Erhaltvon Arbeitsplätzen in unserem Land rechtfertigen?
Außerdem sind Arbeitsplätze in der Rüstungsindustriehoch subventioniert. Mit dem finanziellen Aufwand füreinen Arbeitsplatz in der Rüstungsindustrie könnten Sievier bis fünf gut bezahlte Arbeitsplätze im Bildungswe-sen oder im Gesundheitsbereich finanzieren.
Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge sind aufjeden Fall sinnvoller und in diesem Land notwendiger.Schon die rot-grüne Bundesregierung erklärte vor ei-nigen Jahren stolz, der Einzelplan 14 sei zu einem Ein-satzhaushalt geworden. Schwarz-Gelb hat diese unsägli-che Tradition mit dem vorliegenden Haushalt fortgesetzt.Aber eine Frage bleibt noch offen. Da diese Regierungnun zugibt, sich in Afghanistan im Krieg zu befinden,frage ich Sie: Warum nennen Sie diesen Haushalt nichtganz offen und ehrlich einen Kriegshaushalt? Oder ist dasfür Sie zu viel Klartext? Doch egal wie Sie ihn nennen,die Linke kann und wird diesem Aufrüstungs- undKriegshaushalt nicht zustimmen. Wir sagen Nein.
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege
Dr. h. c. Jürgen Koppelin das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Man muss wirklich geduldig sein, um so eine Rede wieeben ertragen zu können.
Ich will dazu nur Folgendes sagen: Eine Feuerversiche-rung kündigt man auch nicht, nur weil es seit Jahrennicht gebrannt hat;
das sei Ihnen ins Stammbuch geschrieben. In AnbetrachtIhres Verhältnisses zur Bundeswehr rate ich Ihnen: Be-suchen Sie unsere Soldatinnen und Soldaten einmal undreden Sie mit ihnen.
Ich glaube, dann kommen Sie zu anderen Erkenntnissen.
Lassen Sie mich als Hauptberichterstatter erst einmaletwas Positives sagen. Hier werden die unterschiedli-chen Auffassungen der Fraktionen vorgetragen; das istin einer solchen Debatte völlig in Ordnung.
Insgesamt ist allerdings festzustellen – das wurde in denBerichterstattergesprächen, bei denen Sie ja nicht dabeiwaren, deutlich –, dass alle Fraktionen zur Bundeswehrstehen und der Auffassung sind: Wir brauchen einemoderne und leistungsfähige Bundeswehr. Ich finde,das sollten unsere Soldaten wissen; denn das ist trotz al-ler Unterschiede, die es gibt, ausgesprochen positiv.Dass wir über einzelne Details streiten, hat also nichtsmit unseren Soldatinnen und Soldaten oder mit der Bun-deswehr zu tun.Alle Fraktionen – natürlich außer den Linken – wis-sen, dass wir unsere Bundeswehr immer wieder befähi-gen müssen, in Krisensituationen für die Friedenssiche-rung und im Sinne der Humanität eingesetzt zu werden,auch im Interesse und im Auftrag der Völkergemein-schaft; diesen Aspekt haben Sie in Ihrem Redebeitragvergessen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2789
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
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Auch ich möchte an dieser Stelle unseren Soldatinnenund Soldaten, die im Auslandseinsatz sind, unseren Re-spekt bekunden für ihren Einsatz, der nicht einfach ist.
Wir müssen – ich sage das wie meine Vorredner, außernatürlich denen von den Linken – diesen Respekt immerwieder bekunden; denn die Soldatinnen und Soldatensind draußen im Einsatz, weil wir hier im DeutschenBundestag das so entschieden haben.
Daher verfolgen wir sehr intensiv, wie es unseren Solda-tinnen und Soldaten geht, auch menschlich; ich kommegleich noch darauf zurück.Ich möchte auch den Bundeswehrangehörigen im In-land, den Soldatinnen und Soldaten, aber auch den Zivil-angehörigen, unseren Dank aussprechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns beiden Haushaltsberatungen intensiv mit der Situation derSoldatinnen und Soldaten der Bundeswehr – im Auslandwie im Inland – beschäftigt. Ich finde es nicht nur inte-ressant und völlig in Ordnung, sondern auch sehr richtig,dass der Wehrbeauftragte für unsere Soldaten in Aus-landseinsätzen mehr menschliche Unterstützung einge-fordert hat. Nach den Berichterstattergesprächen kannich nur sagen: Alle Fraktionen hier – außer den Linken;die haben sich daran nicht beteiligt – sind der Auffas-sung: Wir müssen da etwas tun. Vor allem müssen wiruns um die Soldatinnen und Soldaten kümmern, die vomAuslandseinsatz zurückkehren. Einen Einsatz in Afgha-nistan steckt man nicht so einfach weg, der bleibt man-chen präsent, sodass sie Betreuung benötigen.
Kollege Koppelin, gestatten Sie dem Kollegen
Nouripour eine Frage?
Ja, selbstverständlich.
Herr Kollege Koppelin, wir schließen uns Ihren lo-
benden Worten für den Wehrbeauftragten ausdrücklich
an. Wir müssen anerkennen, dass der Kollege Polenz
diese Worte längst aufgegriffen hat. Auch er hat den
Wehrbeauftragten gelobt und dafür plädiert, dass Herr
Robbe wegen seiner Kompetenz und wegen der Leis-
tung, die er erbracht hat – alle Fraktionen sehen das –,
doch im Amt bleiben möge. Könnten Sie uns erklären,
warum Ihre Fraktion das anders sieht?
Ich glaube, dass Sie diese Frage nicht bei der Debatteüber den Etat des Verteidigungsministers, sondern beider Debatte über den Etat des Deutschen Bundestageshätten stellen sollen; denn der Wehrbeauftragte gehörtzum Deutschen Bundestag, er untersteht dem Bundes-tagspräsidenten. Da hätte Ihre Frage hingehört.
Sie sollten sich ein Vorbild nehmen am amtierendenWehrbeauftragten, der das in einer entsprechendenWeise honorig kommentiert hat; vielleicht lernen Sievon ihm noch etwas.
Wir haben in unserem Berichterstattergespräch auchdie Mängel im Sanitätswesen angesprochen. Da ist et-was, was einen bei der Bundeswehr, egal wer Minister ist,sehr ärgert – das muss ich hier einmal deutlich sagen –: Eswird oft sehr spät gehandelt, und viele Probleme – das hatauch der Wehrbeauftragte so gesehen – werden schönge-redet. Man muss sich einmal die Frage stellen: Warumwird bei der Bundeswehr – wir haben das bei unseren Be-richterstattergesprächen gemerkt – so vieles schöngere-det? Jeder meldet nach oben: Es ist alles bestens. – DieSoldaten haben anscheinend den Eindruck: Wer sich die-sem System nicht anpasst, muss eventuell mit Schwierig-keiten rechnen; vielleicht fällt sogar die Beurteilung et-was schlechter aus.
Herr Bundesverteidigungsminister, ich kann Sie nurbitten: Sagen Sie der Truppe sehr deutlich: Jeder Soldatmuss die Möglichkeit haben, Mängel beim Namen zunennen und dies weiterzugeben.
Ohne ins Detail zu gehen, Herr Minister, sage ichauch: Jeder Soldat sollte nicht nur die Möglichkeit ha-ben, sich an den Wehrbeauftragten zu wenden, sondernauch direkt an Sie.
Wenn ich schon dabei bin, Herr Minister: Vielleichtgilt das auch für Truppenbesuche. Ich weiß, wie so et-was abläuft; ich habe schon an solchen Veranstaltungenteilgenommen. Es sollte nicht nur alles positiv, imNATO-olivgrünen Bereich gesehen werden – vor allemwenn man mit Pressetrupp da ist, kommt kaum Kritik –,man sollte auch einmal hinter die Kulissen schauen.Ich muss einen Punkt ansprechen, der mich immerwieder ärgert – ich spreche diesen Punkt seit Jahren an;ich mache diesen Etat ja nun schon seit vielen Jahren –:In Zeitschriften wie Bundeswehr aktuell wird immer al-les positiv dargestellt. Auch in der Ausgabe vom 22. Fe-bruar über das Sanitätswesen ist alles nur positiv darge-stellt. Wer den Bericht des Wehrbeauftragten liest, weiß,
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Dr. h. c. Jürgen Koppelin
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dass es tatsächlich etwas anders ist. Vielleicht sollte soeine Zeitschrift, die an die Soldatinnen und Soldaten ver-teilt wird, auch einmal kritische Dinge aufgreifen. Ichglaube, dass täte unseren Soldatinnen und Soldaten gut.Das wäre mein Wunsch an Ihr Haus, Herr Minister: dassdiese Zeitung nicht nur mit Fotos des Ministers oder derStaatssekretäre dekoriert wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Haushaltsbera-tungen haben gezeigt, dass die Koalitionsfraktionen dieBeschaffungsmaßnahmen wie angekündigt auf denPrüfstand stellen. Die meisten Beschaffungsmaßnah-men, über die wir reden und mit denen wir uns teilweiseherumschleppen und bei denen wir Mühe haben, die Fi-nanzierung sicherzustellen, kommen noch aus rot-grünerZeit. Ich nenne einige Beispiele:Da gibt es das MEADS, das taktische Luftverteidi-gungssystem. Damit plagen wir uns seit Jahren herum.Das war ein Produkt aus rot-grüner Regierungszeit. Ichweiß allerdings, dass damals die Haushaltspolitiker unddie Verteidigungspolitiker der Grünen gegen dieses Pro-jekt waren. Wir haben hier Debatten gehabt. Wir als FDPhaben auch Anträge gestellt. Ich muss dem einen oderanderen, der neu im Parlament ist, vielleicht einmal sa-gen, wie das damals ablief. Die Abgeordneten waren da-gegen. Dann gab es einen Rüffel von Gerhard Schröder,und es tagte der Parteirat in der Besetzung Roth, Höhn,Bütikofer, Volker Beck und Trittin. Es wurde beschlos-sen: MEADS wird angeschafft. Das machen wir. – So istdas damals gelaufen. Heute plagen wir uns damit herum.Wir wollen aus MEADS aussteigen. Ich freue mich,dass ich hier sagen kann: Auch der Bundesminister derVerteidigung, der Herr zu Guttenberg, sieht dieses Pro-jekt kritisch. Wir wollen daraus aussteigen. Vielleichtfreut das die Grünen, dass es nach so vielen Jahren dazukommt. Allerdings ist viel Geld verbrannt worden.Das Transportflugzeug A400M ist ebenfalls ein Pro-dukt aus rot-grüner Regierungszeit, mit dem wir unsjetzt beschäftigen müssen. Hätten Sie die Verträge dochbloß besser formuliert!
Ich erinnere mich an heftigste Debatten hier im Parla-ment. Ich bin von Anfang an dabei gewesen. KollegeBonde, da waren Sie noch gar nicht im Parlament. CDU/CSU und FDP gingen sogar zum Verfassungsgericht,weil dieser Vertrag Mist war. Jetzt plagen wir uns immernoch damit herum.
Das ist die Krux. Sie haben am Anfang 90 Flugzeuge be-stellt; die Grünen haben die Hand dafür gehoben. Dannkam Gott sei Dank der Verteidigungsminister Struck, derden Scharping ablöste und sagte: Das können wir garnicht bezahlen.
Da kam es zur Bestellung von 60 Flugzeugen. Wir alsFDP haben immer gesagt, dass 50 völlig reichen. DerRechnungshof hat 40 Stück für völlig ausreichend gehal-ten.Wir wollen das Transportflugzeug, aber den Schla-massel, den wir jetzt damit haben, haben Sie uns einge-brockt.
Wir versuchen jetzt, den Schaden zu begrenzen, auch fürden deutschen Steuerzahler. Hier wurde kritisiert, dasswir, der Kollege Willsch und ich, heute einen Ände-rungsantrag dazu eingebracht haben. Das hat mit Haus-haltswahrheit und -klarheit zu tun. Deswegen musstenwir diesen Änderungsantrag einbringen. Das werden Sievielleicht nicht verstehen, weil Sie sich nicht mehr so in-tensiv damit beschäftigen; Sie sind eben nicht mehr inder Regierung, und das ist auch okay so. Wir mussten sovorgehen. Das hat mit Haushaltswahrheit und -klarheitzu tun.Ich nenne das nächste Projekt, das IT-Projekt Herku-les, ebenfalls ein großes Projekt aus rot-grüner Regie-rungszeit, ein Milliardenprojekt, das kaum noch in denGriff zu bekommen ist. Ich sage hier klar: Auch das hatuns Rot-Grün in dieser Form eingebrockt. Milliarden hatdas schon gekostet. Ich sage für die FDP: Mehr Geldgibt es dafür nicht. Wir haben schon so viel Geld hinein-gesteckt; mehr gibt es nicht.So sind wir weiter bereit, alles auf den Prüfstand zustellen. Es geht immer nach folgenden Kriterien: Was istdas Beste für unsere Soldaten? Brauchen wir das für denEinsatz der Bundeswehr? Danach geht es. Alles anderezählt nicht.Die Zwischenfragen des Kollegen Kahrs haben michnun wirklich gewundert; er weiß es ja besser. Im Haus-haltsausschuss lobt er die FDP sogar und sagt: Was ihralles von eurem Liberalen Sparbuch durchgesetzt habt!– Das ist auch so; das kann man nachlesen. Es kam nichtüberraschend. Kollege Kahrs, Sie zitieren doch sonst im-mer das Liberale Sparbuch. Darin standen all die An-träge. Nun haben wir das umgesetzt, und nun jammernSie. – Nein, Kollege Kahrs; Sie haben genug gefragt.Auch im Ausschuss haben Sie lange gesprochen. Damitmachen wir heute ausnahmsweise einmal Schluss.Wir wollen Folgendes: Unsere Soldaten bekommenalles, was für den Einsatz notwendig ist. Dafür wollenwir die finanziellen Mittel effektiv einsetzen.Ich sage zum Schluss, auch als Hauptberichterstatter:Mein Eindruck war, dass alle Fraktionen das Beste fürunsere Soldatinnen und Soldaten wollen. Darauf bin ich,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2791
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
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auch als Demokrat in diesem Parlament, trotz aller Kon-troversen stolz.
Nun wäre meine Redezeit eigentlich fast zu Ende,aber ich habe noch etwas zu sagen. Meine Kollegin ElkeHoff ist heute Morgen erkrankt. Ich wünsche ihr von hieraus alles Gute und übermittle die besten Genesungswün-sche. Sie hat mir ihren Redeentwurf gegeben. Ich hoffe,dass ich noch ein bisschen daraus vortragen kann. Es ist,wie gesagt, jetzt also nicht meine Rede, sondern die derKollegin Elke Hoff.
– Nein. Wenn eine Kollegin kurzfristig wirklich schwererkrankt ist und ihren Redeentwurf weitergibt, dannsollte man so fair sein, zu akzeptieren, dass das jemandvorträgt.
Die Kollegin Elke Hoff begrüßt ausdrücklich, dass esUmschichtungen im Haushalt gegeben hat. Sie hat sichintensiv mit dem Thema der posttraumatischen Belas-tungsstörungen unserer Soldaten befasst. Wir solltenendlich ein echtes Behandlungszentrum bekommen. Dasist ein Schwerpunkt ihrer Arbeit gewesen. Ich kann nursagen: Alle Achtung! Wir bekommen das jetzt hin. DieKollegin Hoff hat sich genauso intensiv für die Sonder-programme zur Kasernensanierung West eingesetzt. DieVerbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Dienstwar ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit meiner Kolle-gin. Ich kann nur sagen: Wir haben das mit dem Haus-halt durchgesetzt, und ich bin sehr froh darüber.Genauso froh bin ich darüber, dass sich im Haushaltdie neue Afghanistan-Strategie der Bundesregierungwiederfindet. Das hat mir in der außenpolitischen De-batte heute, in der in Bezug auf den Außenminister he-rumgenölt wurde, wie der Norddeutsche sagt, ein biss-chen gefehlt; das sage ich ganz offen. Endlich gibt es imBereich Afghanistan neue Aktivitäten. Andere Regie-rungen vor uns haben das nicht geschafft. Das hat derAußenminister gemacht, und das macht diese Regierung.Darauf bin ich als jemand, der den Einsatz sonst immersehr kritisch gesehen hat, ein bisschen stolz.Genauso stolz bin ich darauf, dass uns jetzt ein At-traktivitätskonzept vorgelegt wurde; auch das finde ichin Ordnung.
Herr Minister, wir verlangen und wünschen, dass das zü-gig umgesetzt wird. Auch das ist ein Wunsch meinerKollegin Elke Hoff.Ich komme zu W6. Sie kennen die Vorstellung derFreien Demokraten. Wir sind der Meinung – daran hal-ten wir politisch auch fest –, dass die Wehrpflicht abge-schafft gehört. Die Wehrpflicht hat ausgedient. Hier ha-ben wir uns in der Koalition nicht durchgesetzt. Jetztgibt es den W6-Kompromiss.
Im Interesse der Wehrpflichtigen und der Bundeswehrwollen wir das nun so sinnvoll wie möglich ausgestalten.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage an dieserStelle – das ist auch immer das Anliegen meiner Kolle-gin Hoff gewesen, und das bleibt es auch weiterhin –:Vorrang haben die Soldatinnen und Soldaten, die Ange-hörigen der Bundeswehr, auch die Zivilangehörigen, obsie hier im Inland sind, oder ob sie im Ausland sind.Ich kann aus Zeitgründen nicht mehr alles vortragen,was mir die Kollegin Hoff in ihrer Rede vorgelegt hat,
aber es ist vielleicht eine ganz gute Gelegenheit, meinerKollegin Hoff einmal ganz herzlich für ihren Einsatz fürdie Bundeswehr zu danken. Sie ist eine unglaublichengagierte Anwältin für unsere Bundeswehr, und dafürhat sie unseren großen Dank verdient.Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
Kollege Koppelin, ich habe mir fest vorgenommen,
nachzuforschen, ob es das schon einmal gegeben hat,
dass zwei Reden in einer Rede gehalten wurden.
Jetzt hat der Kollege Alexander Bonde für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich darf der Kollegin Hoff im Namen meiner Fraktionganz herzliche Gesundheitswünsche ausrichten. RichtenSie ihr aus: Ihre Reden gefallen uns allerdings besser,wenn sie sie vorträgt, als wenn der Kollege Koppelin ausihnen zitiert.
Ich will vorneweg sagen, dass ich irritiert darüber bin,dass wir in dieser Debatte eine Besonderheit erleben, dieich bei Haushaltsberatungen noch nicht erlebt habe,
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2792 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Alexander Bonde
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nämlich dass die Bundesregierung in der Schlussbera-tung eines Haushaltes kneift.
Die Bundesregierung ergreift das Wort nicht und äußertsich nicht zu Veränderungen in ihrem Haushalt, und dasin der außergewöhnlichen Situation, dass es in diesemHaushalt durch den Antrag der Koalitionsfraktionen umkurz vor zwölf zu einer Veränderung bei den Ver-pflichtungsermächtigungen im Umfang von 500 Mil-lionen Euro gekommen ist.Herr Minister, ich fordere Sie auf: Nehmen Sie zudiesem Haushalt Stellung! Stellen Sie sich hier vorne hinund erklären Sie dem Parlament und den Steuerzahlerin-nen und Steuerzahlern, welche Veränderungen in diesemEinzelplan Sie aufgrund Ihrer Verhandlungen mit Airbusüber den A400M last minute zu verantworten haben.
Es geht nicht, hinten auf der Bank zu sitzen und zuschweigen. Das, was hier als Verbeugung vor dem Parla-ment bezeichnet wird, ist kein Verbeugen, sondern einWegducken. Das ist Ihnen nicht angemessen, Herr Mi-nister.
Wir reden hier über einen Haushalt, der sehr durchunterschiedliche Entscheidungen geprägt ist. DieserA400M ist eines der großen Rüstungsprojekte. Hinsicht-lich dieses Projekts hat Herr Koppelin hier eine interes-sante Geschichtsklitterung versucht. Das ist ein Projekt,für das es einen klaren Vertrag gibt und das in der Amts-zeit des Vorgängers von Herrn zu Guttenberg aus demRuder gelaufen ist. Das kreide ich Herrn zu Guttenbergnicht an.Obwohl es einen klaren Vertrag, klare Leistungsbe-schreibungen und einen klaren Preis gab, sagt das Unter-nehmen jetzt: Es ist jetzt irgendwie nicht so, dass wir lie-fern können. – Es hält die Hand auf und sagt: Kohle her!Man könnte denken, dass die Bundesregierung sagt:Vertrag ist Vertrag. – Das ist aber eine Bundesregierung– und das liegt jetzt im Verantwortungsbereich des Mi-nisters –, die sich auf Verhandlungen eingelassen hat –und die der Industrie, die ausweislich der Gutachten, dieder Minister selber in Auftrag hat geben lassen, ge-pfuscht hat und alleine verantwortlich ist für massiveKostensteigerung und für ein Fehlmanagement im ge-samten Projekt, jetzt zusätzliche Milliarden Euro hinter-herwirft. Ich finde schon, dass Sie das erklären müssen.Man kann nicht einfach schweigend auf der Bank sitzen.
Ich möchte einmal erwähnen, was Sie alles verabredethaben: Zusatzkosten bzw. Minderleistungen von 2 Mil-liarden Euro bedeuten für Deutschland Kosten in Höhevon 667 Millionen Euro. Ein Exportkredit über 1,5 Mil-liarden Euro bedeutet für Deutschland Kosten in Höhevon 500 Millionen Euro. An dieser Stelle ist es spannend,dass das Bundesfinanzministerium, vertreten durch denStaatssekretär, schreibt, essehe … eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass derBund bei Absicherung eines bedingt rückzahlbarenKredits in Anspruch genommen wird.Das heißt, nach Einschätzung der Bundesregierung ge-hen Sie mit diesen 500 Millionen Euro ein massives Ri-siko für den Bundeshaushalt ein. Gleichzeitig erklärenSie uns aber seit Wochen, dass das alles schon irgendwiekostenneutral zu machen sei. Jetzt, wo die Mehrkostenfür die Steuerzahler auf dem Tisch liegen, sitzen Sie dorthinten und trauen sich nicht, nach vorne zu treten unduns zu sagen, dass Sie dem Unternehmen bewusst Sub-ventionen zahlen und die Steuerzahlerinnen und Steuer-zahler wieder einmal das Säckel aufmachen müssen,ohne etwas dafür zu bekommen.
Es geht noch weiter. Sie sagen nämlich auch nicht,dass Sie auf milliardenschwere Vertragsstrafen verzich-ten, die Deutschland aufgrund des wasserdichten Ver-trags zustünden, den Sie jetzt ohne Not ändern. Sieerklären nicht, dass die sogenannte Preisgleitklausel ge-ändert wird, dass also die Firma aufgrund Ihrer neuenVereinbarung in den künftigen Jahren zusätzliche Preis-steigerungen auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahlerabwälzen kann.Sie ziehen außerdem Vorauszahlungen vor. Das be-deutet, dass der Bund zusätzlich millionenschwere Zins-verluste erleidet, wobei die Sanktionsmöglichkeiten imZuge der nächsten Fehl- oder Schlechtleistungen nochgeringer sind. Sie müssten sich dann erneut von derIndustrie erpressen lassen. Ich finde, dass das einordnungspolitisches Versagen ist. Der OrdnungspolitikerGuttenberg duckt sich nach einem solchen Verhand-lungsergebnis zu Recht. Er sagt nichts dazu, weil das mitIhrer wirtschaftspolitischen Ansage überhaupt nichtsmehr zu tun hat.Es hat auch mit der Ansage der Bundesregierung andie Vereinigten Staaten in Sachen WTO und unfairenSubventionen der amerikanischen Luftfahrtfahrtindus-trie gegenüber der europäischen Luftfahrtindustrie nichtszu tun. Sie vollziehen hier genau dasselbe!
Es spricht auch nicht für die handwerklichen Fähig-keiten der Bundesregierung, dass Sie wochenlang nichteinmal gemerkt haben, dass Sie Verpflichtungsermächti-gungen brauchen. Dieses ganze Schauspiel hat deutlichgemacht, dass diese Regierung sich nicht traut, den Leu-ten reinen Wein einzuschenken. Herr Minister, Sie sindTeil dieses Problems.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2793
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Das Wort hat der Kollege Henning Otte für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushalt
2010 stellt eine finanzpolitische Herausforderung dar.
Das gilt insbesondere für den Einzelplan 14, also den
Verteidigungshaushalt. Dieser Haushalt steht im Be-
wusstsein der Auswirkungen der internationalen Wirt-
schafts- und Finanzkrise, der notwendigen Haushalts-
konsolidierung und der anstehenden Schuldenbremse. Er
steht aber vor allem in dem Bewusstsein, unseren Solda-
tinnen und Soldaten alle notwendigen Mittel und Leis-
tungen zur Verfügung zu stellen, die sie zur Erfüllung ih-
res Auftrages benötigen. Diese Verpflichtung ist für die
christlich-liberale Koalition eine Selbstverständlichkeit.
Trotz der Einsparungen in Höhe von 32 Millionen
Euro gegenüber dem Regierungsentwurf ist es der Re-
gierungskoalition gelungen, die notwendigen Investitio-
nen und Versorgungsleistungen für unsere Bundeswehr
sicherzustellen und zu verbessern. Wir sind überzeugt,
dass unsere Bundeswehr ein verlässlicher und attraktiver
Arbeitgeber bleiben muss. Für die CDU/CSU-Fraktion
steht das Wohl unserer Soldatinnen und Soldaten sowie
der zivilen Mitarbeiter, denen wir für ihren Dienst und
Einsatz im Inland und Ausland danken, im Zentrum ih-
rer Verteidigungspolitik.
Kollege Otte, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kahrs?
Nein. Ich möchte erst einmal fortfahren.Mit der richtigen Schwerpunktbildung der Mittelver-wendung in Höhe von 31,1 Milliarden Euro werden diewichtigsten Zukunftsprojekte bei Personal, Ausrüstungund Unterbringung realisiert. Mit dem neuen Schützen-panzer Puma, der erstmalig in diesem Etat veranschlagtwurde, verfügt das Heer in der Zukunft über ein leis-tungsfähiges und hochgeschütztes Gefechtsfahrzeug fürden Einsatz in allen denkbaren Szenarien.Mit dem A400M steht unserer Armee zukünftig einneues Transportflugzeug zur Verfügung. Es war richtig,dass wir auf der Erfüllung dieses Vertrages bestanden ha-ben. Ich verstehe die Aufregung insbesondere der Frak-tion der Grünen nicht. Alle Daten sind zeitgerecht in denHaushalt eingebracht. Haushaltsklarheit und -wahrheitsind gegeben, was von besonderer Bedeutung ist, wennman den Haushalt mit den Haushaltsberatungen unterRot-Grün und Minister Eichel vergleicht.
Wesentliche Großprojekte, die Sie vertraglich abge-schlossen haben, binden uns und erschweren unsereHaushaltsfindung.
15 Milliarden Euro fließen insgesamt als Aufträge in dieIndustrie. 75 Prozent davon werden an mittelständischeUnternehmen weitergereicht. Auch dies ist ein Beitragzur Stabilisierung und Sicherung von Arbeitsplätzen inDeutschland.Für die CDU/CSU als Mittelstandspartei ist dies vonbesonderer Bedeutung. Die Wirtschaft muss jedoch allesdaransetzen, dass die Auslieferungen zeitgemäß erfolgenund ein verzögerter Zulauf wie beim NH90 unterbleibt.Verträge müssen eingehalten werden. Unsere Truppebraucht die neuen Systeme, und unsere Industriepartnermüssen in der Lage sein, diese Systeme zu liefern. Wirwerden als CDU/CSU-Fraktion nicht nachlassen, dieAuslieferung der Systeme und damit auch die Vertrags-erfüllung einzufordern.Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Vertreter einesWahlkreises mit mehreren Bundeswehrstandorten weißich sehr genau um die Empfindungen, Sorgen und Nöteunserer Soldaten. Meiner Fraktion war es daher sehrwichtig, dass der Problematik der posttraumatischenBelastungsstörung endlich konkret mit der Einrichtungeines Zentrums für PTBS begegnet wird. Wir sehen dasauch als Ausdruck von Fürsorge und Verantwortung ge-genüber unseren Einsatzkräften.Verehrter Kollege Brinkmann, lassen Sie sich von Ih-ren Kollegen aus dem Verteidigungsausschuss aufklären:Dies war ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen. Esist nicht angemessen, das jetzt parteipolitisch aus-schlachten zu wollen.
Wir müssen die Bundeswehr in die Lage versetzen,eine moderne und familiengerechte Arbeitswelt zu schaf-fen. Auch die Bundeswehr muss die Vereinbarkeit vonDienst und Familie so gestalten, dass sie als Arbeitgeberinsbesondere für junge Menschen attraktiv bleibt. DieNachwuchsgewinnung insbesondere unter Berücksich-tigung der Umgestaltung auf W6 ist ein Schlüsselaspektfür die Zukunft unserer Truppe.Der Antrag der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion aufErarbeitung einer Organisationsstruktur ist ein weitererrichtiger Baustein zur stetigen Modernisierung und Effi-zienzsteigerung unserer Bundeswehr.Eine verlässliche Verteidigungs- und Sicherheitspoli-tik, welche die innere und äußere Sicherheit Deutsch-
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2794 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Henning Otte
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lands gewährleistet, kostet Geld. Sie ist nicht zum Null-tarif zu bekommen.Die Ausführungen von Frau Höger von der FraktionDie Linke finde ich sehr erschreckend. Mit Ihrer Einstel-lung, Frau Höger, und Ihrem Selbstverständnis, auch un-serer Bundeswehr gegenüber, sollten Sie sich fragen, obSie als Mitglied des Verteidigungsausschusses überhauptdem Wohl unserer Soldatinnen und Soldaten dienen kön-nen.
Nach Art. 87 a Grundgesetz ergeben sich die Stärkeund die Grundzüge der Organisation der Streitkräfte ausdem Haushaltsplan. Daraus ergibt sich die Verpflich-tung, die Streitkräfte so auszurüsten, dass sie ihre Pflich-ten effektiv wahrnehmen können.Als Reaktion auf die aktuelle fiskalische Lage hat derInspekteur des Heeres das System Gepard aus der Ver-wendung genommen. Kollege Willsch hat darauf hinge-wiesen. Flugstundenobergrenzen wurden abgesenkt. Da-mit wird deutlich, dass unsere Bundeswehr zielgerichteteinen Beitrag zur Einsparung vornimmt.Es wird aber auch deutlich, dass wesentliche Einspa-rungen im Verteidigungsetat nur noch dann möglich sind,wenn wir in die Substanz eingreifen. Als Parlament müs-sen wir sicherstellen, dass unsere Bundeswehr erstens ih-ren verteidigungspolitischen Auftrag erfüllen kann,
– auch am Hindukusch –, zweitens die Verpflichtungenim Bündnis wahrnehmen kann, drittens den Transforma-tionsprozess fortführen kann, viertens den besten Schutzfür Leib und Leben unserer Soldaten insbesondere imEinsatz zur Verfügung hat und fünftens weiterhin ein at-traktiver Arbeitgeber für Wehrdienstleistende, Zeit- undBerufssoldaten und zivile Mitarbeiter bleibt.Unter Berücksichtigung dieser Aufgaben stelle ichzusammenfassend fest: Die im Haushalt 2010 der Bun-deswehr zur Verfügung gestellten Mittel können nur alsknapp bezeichnet werden. Sie verpflichten das Bundes-ministerium der Verteidigung und die Politik zu einerklaren Priorisierung der Projekte. Von höchster Priori-tät sind dabei die einsatzrelevanten Belange. Ich erwarte,dass das Ministerium den Konsolidierungsbeitrag so um-setzt, dass die Einsparungen auf keinen Fall die sich imEinsatz befindenden Soldaten treffen. Sie brauchen diegesamtverfügbare Unterstützung des BMVg und diesesHauses. Wer Soldaten in den Einsatz entsendet, muss ih-nen auch die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen.Das ist eine klare Haltung der CDU/CSU-Bundestags-fraktion.
Ich bin Ihnen, sehr geehrter Herr Minister zuGuttenberg, sehr dankbar dafür, dass Sie als Verteidi-gungsminister zu jeder Zeit hinter unseren Soldaten ste-hen. Unsere Soldaten leisten täglich einen schwierigenund gefährlichen Dienst zum Wohle Deutschlands. Sieverdienen den Rückhalt des gesamten Deutschen Bun-destages.Vielen Dank.
Bevor ich das Wort zu einer Kurzintervention erteile,
möchte ich aus § 27 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung
zitieren, damit wir dann eine Verabredung für den weite-
ren Verlauf unserer Debatte haben:
Im Anschluss an einen Debattenbeitrag kann der
Präsident
– ich füge hinzu: die Präsidentin –
das Wort zu einer Zwischenbemerkung von höchs-
tens drei Minuten erteilen; der Redner darf hierauf
noch einmal antworten.
Das heißt – das entspricht auch unserer Praxis und Ver-
abredung –, es gibt kein Grundrecht auf Kurzinterventio-
nen, wenn Zwischenfragen durch den Redner nicht er-
laubt werden.
Kollege Kahrs, ich erteile Ihnen daher heute das letzte
Mal das Wort zu einer Kurzintervention im Verlauf die-
ser Debatte.
Man muss zumindest darauf erwidern, wenn hier einbisschen geschwindelt wird. – Den Kollegen JürgenKoppelin lasse ich dabei heute einmal aus, auch wenn erder Schuldige ist.Der Kollege von der CDU/CSU hat gesagt – jeden-falls habe ich ihn so verstanden –, man habe nur um23 Millionen Euro abgesenkt, und das sei halb soschlimm. Wir haben in diesem Parlament 226 MillionenEuro im Einzelplan on top für den Afghanistan-Einsatzbeschlossen. Dann hat die Koalition, und zwar die Haus-hälter, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ohne Wissendes Ministeriums, des Ministers, des Staatssekretärs undder Berichterstatter im Verteidigungsausschuss beschlos-sen, diese Summe zu streichen, und hat das in der Berei-nigungssitzung gegen die Stimmen der SPD zulasten derTruppe durchgesetzt. Dass Sie das eine mit dem anderenverrechnen, ist ein bisschen unredlich. Die Truppe hätteauf jeden Fall die Gelder, die für den Einsatz in Afgha-nistan bestimmt waren, bekommen.Sie haben die 450 Millionen Euro herausgenommen,die der Minister bzw. der Staatssekretär aus dem laufen-den Haushalt einsparen muss. Sie sollten als Haushälterdann zumindest das, was Sie gegen die eigenen Fachpo-litiker von CDU/CSU und FDP beschlossen haben, ehr-lich eingestehen. Hier sind gegen jede Gepflogenheit450 Millionen Euro aus dem laufenden Etat des Bundes-ministeriums der Verteidigung gestrichen worden. DerMinister konnte dazu gar nicht Stellung nehmen, weil er
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2795
Johannes Kahrs
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nicht wusste, wie er damit umgehen soll. Er kannschließlich nicht in laufende Verträge eingreifen.Herr Otte hat eben beklagt, dass Fahrzeuge vom TypGepard und Marder stillgelegt werden müssen. Das istwirklich nicht schön. Aber das hat damit gar nichts zutun. Die 450 Millionen Euro kommen nun on top. Das,was da gewesen ist, ist noch gar nichts im Vergleich zudem, was jetzt kommt. Herr Otte, Sie haben das nicht zuverantworten, wohl aber die Kollegen im Haushaltsaus-schuss, die das unabgestimmt beschlossen haben. Ichfinde, man muss deshalb zumindest im Parlament sagen,warum man Geld aus laufenden Verträgen streicht, wohlwissend, dass es nicht geht.Wir alle haben doch den Wehrbeauftragten gehört.Wir wissen um die Mängel bei der Sanitätstruppe. Wiesollen die behoben werden, wenn nicht durch Geld? DasGeld ist gestrichen worden, die Bundeswehr ist ge-schröpft worden, das Elend in diesem Jahr wird groß,und Sie werden das erklären müssen, obwohl ich zugebe,dass die Kollegen im Verteidigungsausschuss dafür nichtzuständig waren und es nicht zu verantworten haben.Trotzdem werden Sie das in Ihrer Partei und Ihrer Koali-tion klären müssen. So kann man weder mit der Opposi-tion noch mit der Bundeswehr umgehen, vor allen Din-gen nicht, wenn man ständig die Soldaten und ihrenEinsatz lobt. Wenn man ihnen gleichzeitig das Geldwegnimmt, das notwendig wäre, damit sie ihren Einsatzvernünftig durchführen können, ist das unredlich.
Bitte.
Kollege Kahrs, ich verwahre mich gegen den Vor-
wurf, geschwindelt zu haben. Ich glaube, ich habe sehr
offen gesagt, dass Einsparungen vollzogen worden sind
und dass diese uns Verteidigungspolitikern das Leben
nicht leichter machen. Ich weise aber auch darauf hin,
dass Verteidigungspolitik insbesondere im Selbstver-
ständnis des Verteidigungsausschusses eine gemeinsame
Aufgabe ist. Ich habe ganz klar gesagt, dass wir eine
Priorisierung verlangen und dass die einsatzrelevanten
Belange zuallererst zufriedengestellt werden müssen.
Die zusätzlichen 437 Millionen Euro für den einsatzbe-
dingten Sofortbedarf sind ein Ausdruck davon.
Das Wort hat der Kollege Rainer Arnold für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Bisher haben alle Minister und Ministerinnen der Bun-desregierung hier in den Haushaltsberatungen das Wortergriffen. Sie, Herr Minister zu Guttenberg, pflegen dasImage, jemand zu sein, der gern Klartext redet.
Es gäbe viele Themen, die schwierig und ernst sind– Wehrpflicht, Haushalt, Bericht des Wehrbeauftragtenund manches andere mehr –, über die Sie heute redenkönnten. Immer wenn es ernst und schwierig ist, wenn esnicht darum geht, Überschriften zu produzieren, sonderndarum, substanzielle Debatten zu führen, dann tauchenSie ab. Das tun Sie auch heute Nachmittag. Das finde ichdeshalb sehr schlimm, weil wir spüren – der Bericht desWehrbeauftragten sagt das deutlich –, dass die Fragen inder Truppe sehr ernsthafte und drängende sind. Es gibtauch Verunsicherungen in der Truppe. Die Bundes-wehr bräuchte jetzt einen Minister, der in einer solchenSituation auch vor diesem Haus Orientierung gibt, statt zuirritieren. Das ist das Problem im Augenblick. Es ist nichtin Ordnung, dass Sie, Herr Minister, heute kneifen. Somuss das zwangsläufig interpretiert werden.Lassen Sie mich zum ersten ernsten Thema kommen:zum Haushalt. Dazu wurde schon viel gesagt. Herr Kol-lege Otte, ich erinnere mich noch gut an Rot-Grün undIhre Kritik daran, wie knapp der Bundeswehretat ist. Wirhaben zusammen vier Jahre Verantwortung getragen,und wir waren uns immer einig: Dieser Bundeswehretatist auf Kante genäht. Das heißt, sobald man hier weitereStellschrauben anzieht, geht es an die Substanz.
Wir waren uns einig in den letzten Jahren, dass das nichtsolide sein kann.Wir erinnern uns, wie Peter Struck mit solchen The-men umgegangen ist. Ich bekenne mich ausdrücklichdazu. Bei knappen Kassen werden die Bäume sicherlichnicht in den Himmel wachsen. Das gilt auch für denBundeswehretat. Dass aber in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, ohne Absprache mit den Fachpolitikern
und ohne dass der Minister einbezogen wird, 456 Millio-nen Euro bei einer Armee im Einsatz einfach ratzfatzweggestrichen werden, dass Verpflichtungsermächtigun-gen erst vor wenigen Stunden nach einem mehr oder we-niger giftigen Schriftverkehr zwischen zwei Staatssekre-tären geklärt wurden und die jetzt auch noch auf denEinzelplan 14 gelegt wurden, das hätten unsere Haushäl-ter – das sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegenvor allem von der CDU – mit uns Fachpolitikern nichtgemacht, weil wir anders miteinander umgehen, undauch mit Minister Struck hätte das kein Parlamentariergemacht.
Nun werden hier merkwürdige Beispiele genannt.Das finde ich schon bemerkenswert. Herr Koppelin, Siesagen, für Herkules gebe es nicht mehr Geld, aber Siewollten, dass die Soldaten alles haben, was sie brauchen.Wenn Sie Herkules nicht seriös aufs Gleis setzen, dann
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2796 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Rainer Arnold
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gehen Sie zu den Soldaten und sagen ihnen, dass sie keinTelefon, keinen Computer und kein Netzwerk mehr ha-ben! Das ist die Konsequenz. Dass Herkules mehr Geldbraucht, hat – das werden Sie feststellen, wenn Sie sichwirklich damit befassen – in erster Linie etwas damit zutun, dass es bei der Bundeswehr eine desolate Infrastruk-tur gab – das ist unstrittig –, die Rot-Grün übernommenhat, ja dass nicht einmal geklärt werden konnte, welchetechnische Infrastruktur im EDV-Bereich bei der Bun-deswehr vorhanden ist. Das stellt man erst jetzt peu àpeu fest. Dies ist die Wahrheit; dies sind die Fakten.
Kollege Arnold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Koppelin?
Sehr gerne.
Herr Kollege Arnold, ist Ihnen der Beschluss aus der
Zeit der Großen Koalition bekannt? Initiator war der
Kollege Kahrs; alle Fraktionen im Haushaltsausschuss
haben zugestimmt. Es ging um die Bonizahlungen bei
Herkules und um ein paar andere Punkte. Im Haushalts-
ausschuss wurde der Beschluss gefasst: Wenn die Dinge
nicht geklärt werden, steigen wir aus Herkules aus. Da-
ran halte ich mich nur.
Diese Bonizahlungen sind geklärt.
– Langsam. – Wo der Kollege Kahrs recht hat, hat er
recht.
Ein Management muss eigentlich daran gemessen
werden, ob die Telefone und die Computer an den Ar-
beitsplätzen möglichst gut funktionieren. Dafür sollen
Manager Boni bekommen und nicht für einen betriebs-
wirtschaftlichen Ertrag, der umso höher ist, je weniger
sie liefern. Kahrs hat recht: Diese Art Bonizahlungen ist
völlig inakzeptabel.
Das habe ich als Verteidigungspolitiker übrigens erst vor
wenigen Tagen wieder mit Vertretern des Managements
besprochen. Sie sagten: Es gibt nicht mehr Geld. Ich
sage Ihnen: Ohne mehr Geld im IT-Bereich – egal wohin
es fließt – werden die Soldaten nicht das haben, was sie
brauchen.
Herr Kollege Otte – Sie sind doch Fachpolitiker –, die
Reduzierung der Flugstunden als ruhmreiche Einspa-
rung zu bezeichnen, ist abenteuerlich. Nach NATO-Stan-
dards sind wir schon jetzt zahlenmäßig an der Grenze.
Im Hinblick auf einen verantwortbaren Umfang an
Übungsmöglichkeiten für Piloten gibt es keinen Spiel-
raum nach unten mehr; schließlich geht es um eine Ar-
mee im Einsatz, die in Kunduz mit ihren Hubschraubern
im Staub landen muss und mehr üben müsste als in der
Vergangenheit. Ihre Auffassung kann also wirklich nicht
richtig sein.
Was wir bei dieser Kürzungsorgie erleben, ist ein Vor-
geschmack auf die FDP-Ideologie – das wird in den
nächsten Jahren noch deutlicher werden –: Steuersen-
kungen zugunsten weniger – das ist klar –, ein schwa-
cher Staat. Das bedeutet weniger Kitaplätze und weniger
Polizisten auf den Straßen. Die Soldaten in der Bundes-
wehr wissen natürlich, dass schwacher Staat darüber hi-
naus bedeutet: weniger Verantwortung für die Frauen
und Männer, die bei der Bundeswehr ihren Dienst tun.
Eines ist klar: Mit diesem Haushalt, Herr Minister,
übernehmen Sie die Verantwortung für Mängel wie die
fehlenden geschützten Fahrzeuge, die fehlenden War-
tungsstunden, die fehlenden Flugstunden, die fehlenden
Übungsmöglichkeiten. Dies muss man ganz deutlich sa-
gen.
Lassen Sie mich ein weiteres Thema ansprechen. Es
ist eine Debatte über die Wehrpflicht aufgeflammt. Der
Minister hat die Randbemerkung gemacht, dass die Ver-
kürzung der Wehrpflicht rückwirkend ab Oktober gelten
soll. Eine Debatte darüber, was das wirklich bedeutet,
wird aber nicht geführt, weder hier noch im Verteidi-
gungsausschuss. So dürfen wir mit diesem Thema nicht
umgehen.
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Otte zulassen?
Gerne.
Bitte schön.
Lieber Kollege Arnold, Sie haben den Brief des In-
spekteurs des Heeres gelesen. Stimmen Sie mit mir über-
ein, dass sich die Flugstunden auf die BO und auf die
Bell, die nicht im Einsatz sind, und nicht auf die CH be-
zogen haben?
Es gilt für alle Flugzeugtypen, Herr Kollege, dass siesich nach NATO-Standards im Grenzbereich befinden.Das gilt für die CH-53, für die BO und für die Bell. Esgilt für die geflügelten Flugzeuge. Es ist ganz klar: DieReduzierung des Haushalts – der größte Teil entfällt aufPersonalkosten; man ist an laufende Verträge gebunden –geht zwangsläufig zulasten der Betriebskosten, und dieFlugstunden sind ein wichtiger Faktor bei den Betriebs-
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kosten. 456 Millionen Euro weniger nehmen den Pilotenzusätzliche Möglichkeiten, schränken sie also ein. Ichbitte Sie, das Problem nicht schönzureden. Das ist einernstes Problem.
Lassen Sie mich auf die Wehrpflicht zurückkommen.Herr Minister zu Guttenberg sagte dazu, die Oppositionhabe kein Konzept.
Ich möchte auf drei Probleme hinweisen:Erstens. Mit Ihrem Ansatz, die Wehrpflicht auf sechsMonate zu reduzieren und eine achtwöchige Schnell-bleiche durchzuführen, lösen Sie keines der Probleme,die mit der Wehrpflicht verbunden sind. Ein einfachesWeiter-so bei der Wehrpflicht ist nicht angesagt. Danngäbe es Probleme, zum Beispiel mit der Dienstgerechtig-keit. Minister Jung hatte zu Recht Angst vor dem Verfas-sungsgericht und hat deshalb viel mehr Wehrpflichtigeeingezogen, als eigentlich geplant war. Sie erhöhen dieseZahl gar nicht signifikant. Dieses Problem lösen Sie alsonicht wirklich.Zweitens. Natürlich empfinden die jungen Menschen– ihre Lebenswelt hat sich stark verändert, was Ausbil-dungs- und Studienplätze sowie die Berufswelt insge-samt angeht – die Einzugspraxis als nicht gerecht, son-dern als eher zufällig. Das ist ein ernsthaftes Problem.Das dritte Problem ist die Frage der Legitimität derWehrpflicht. Sie begründet sich laut unserer Verfassungausschließlich aus der Verteidigung des Landes, zwarnicht unbedingt an den Grenzen, aber es muss sich ebenum Verteidigung des Landes handeln. Davon ist dochstringent abzuleiten, dass es bei dem, was Wehrpflich-tige bei der Bundeswehr in der Grundausbildung lernenund was sie da nachher tun, um soldatische Fähigkeitenund Fertigkeiten im engeren Sinne gehen muss. Jetzt er-zählen Sie mir einmal, wie diese in acht Wochen vermit-telt werden sollen. Es wird vielmehr so sein, dass diejungen Männer nachher in die Schreibstuben geschicktwerden, um Fotokopierer und Laptops zu bedienen, oderals Pkw-Fahrer den Oberst durchs Gelände fahren oderim Lager als Logistiker arbeiten. Das werden deren Auf-gaben sein. Das heißt, Sie nehmen, wenn Sie diesen Wegeinschlagen, den Menschen, die die Wehrpflicht aus gu-ten Gründen für angesagt und richtig halten, gute Argu-mente weg.Sie sagen, es gebe keine Alternative. Sozialdemokra-ten haben eine Alternative vorgelegt. Wir wollen bei dergesellschaftlich richtigen Ansage bleiben: Man kannnicht alles kaufen, und die Wahrnehmung von Verant-wortung für Sicherheit in unserem Land ist eine gemein-schaftliche Aufgabe. Deshalb halte ich die Wehrpflichtfür richtig. Lassen Sie uns zugleich jedoch die Freiwilli-gendienste insgesamt in allen Bereichen so attraktiv ge-stalten, dass auch die Bundeswehr genügend junge Men-schen findet, die bereit sind, neun, zwölf oder wie vieleMonate auch immer zur Bundeswehr zu kommen, unddort gerne ihren Dienst leisten. Wenn wir das gut ma-chen, wird das auch gelingen.Schließlich verspielen Sie auch eine Chance. Ichglaube, die Wehrpflicht braucht einen breiten gesell-schaftlichen Konsens. Das ist ganz wichtig. Deshalbmöchte ich Ihnen dringend raten: Bevor Sie diesenMurks, der auf die Kappe der FDP geht, jetzt auch nochöffentlich verteidigen und als gut darstellen, gehen Sielieber auf die Opposition, vor allen Dingen auf die So-zialdemokraten, die eine ernsthafte Alternative ent-wickelt haben, zu und lassen Sie uns nach einem Wegsuchen, der die gute Idee der Wehrpflicht mit den Anfor-derungen aufgrund der Veränderungen in der Sicher-heitspolitik kompatibel macht. Wir sind dazu bereit.
Das nächste ernsthafte Thema, bei dem ich eigentlichgehofft hatte, heute etwas dazu zu hören, ist nach wievor das Thema Kunduz. Wir wollen das hier nicht ver-tiefen. Aber eines möchte ich schon noch einmal in Erin-nerung rufen, Herr Minister. Die Kanzlerin hat in ihrerRegierungserklärung gesagt:Die lückenlose Aufklärung des Vorfalls … ist fürmich und die ganze Bundesregierung ein Gebot derSelbstverständlichkeit. Die Bundeswehr wird mitallen zur Verfügung stehenden Kräften genau dazubeitragen.Wenige Tage nach diesem Abwurf der Bomben hat dieBundesregierung die interne Aufklärung des Vorfalls ge-stoppt unter Berufung auf die Argumentation, es gebe jadie NATO- und ISAF-Untersuchungen. Diese ISAF-Un-tersuchung liegt jetzt seit viereinhalb Monaten auf demTisch. Sie haben weder weitere eigene nationale Unter-suchungen in Auftrag gegeben, noch hat die Bundes-regierung den Vorfall so aufgearbeitet, dass sie der deut-schen Öffentlichkeit sagen kann, wie sie ihn nunbewertet. Das ist ein schweres Versäumnis. Sie haltendie Zusage, dass das aufgeklärt wird, nicht ein.
Die Erfüllung dieser Zusage kann man nicht einfach demUntersuchungsausschuss übertragen.
Das ist nicht die Aufgabe des Ausschusses. Er hat dieAufgabe, die Regierung zu kontrollieren. Diese Aufgabenehmen wir im Ausschuss sehr ernst. Darüber werdenwir im Ausschuss miteinander noch spannende Gesprä-che führen.Die Bundesregierung muss der deutschen Öffentlich-keit sagen, was richtig gelaufen ist, was falsch gelaufenist, und vor allen Dingen, welche Konsequenzen darausgezogen werden.
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Rainer Arnold
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Was um Himmels willen lernt man daraus, wenn so et-was Tragisches passiert? Solange Sie keine Antwortenauf diese Fragen geben, müssen wir doch davon ausge-hen, dass solche tragischen Ereignisse immer wiederpassieren können. Deshalb bitten wir Sie dringend: Klä-ren Sie hier auf!Lassen Sie mich am Ende noch einmal den Wehrbe-auftragten erwähnen. Es gibt, wie ich glaube, zunächsteinmal wirklich keinen Grund, jetzt einen neuen Wehr-beauftragten zu berufen.
Das Parlament hat in den letzten Jahren diesem Wehrbe-auftragten vertraut; das ist überhaupt keine Frage. Er hatin seinem letzten Jahresbericht auf etwas Wichtiges hin-gewiesen, nämlich darauf, dass der Beruf des Soldatenkein Job und kein Beruf wie jeder andere ist und dass dieSoldaten Respekt und Anerkennung verdienen. Das istüberhaupt kein Thema. Ich glaube, wir Parlamentariermüssen alle miteinander aufpassen, dass wir diese Ver-unsicherung bei der Truppe, die daher kommt, dass siedas Gefühl hat, sie würde nicht genügend Anerkennungfinden, nicht noch durch unsere eigene Argumentationverstärken. Wir sollten auch nicht immer gleich derPresse auf den Leim gehen, die entsprechende Artikelschreiben will. Fakt ist: Die Verunsicherung in der Bun-deswehr ist da, und wir dürfen sie nicht negieren.Wir müssen aber auch den Soldaten ein paar Dingesagen. Das Erste ist: Kritik am Minister, an der politi-schen Verantwortlichkeit, ist weder Majestätsbeleidi-gung noch Kritik an den Soldaten.
Das Zweite ist ebenso wichtig: Wenn in Deutschlandviele Menschen den Einsatz in Afghanistan kritisch be-werten, ist das ein Zeichen von demokratischer Kultur.Das heißt noch lange nicht, dass die Menschen der Bun-deswehr nicht vertrauen. Sie vertrauen ihr trotzdem. AlleUmfragen bestätigen dies. Bundeswehr, Polizei und Feu-erwehr genießen die höchste Anerkennung in der deut-schen Gesellschaft, und das ist gut so. Darauf können dieSoldaten und auch das deutsche Parlament stolz sein.
Herr Kollege!
Ich komme zum Ende. – Ich füge als Randbemerkung
hinzu: Journalisten und Parlamentarier liegen in diesem
Ranking ganz weit hinten. Das ist sicherlich nicht immer
gerecht.
Meine Bitte ist also: Wir müssen mithelfen, die Zwei-
fel, die Verunsicherungen bei den Bundeswehrsoldaten
zu zerstreuen –
Herr Kollege!
– ja, ich bin fertig –,
Gut.
– indem man ihnen sagt: Eurer Arbeit gebühren unser
Dank und unsere Anerkennung.
Herzlichen Dank.
Michael Brand ist der nächste Redner für die Unions-
fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Es ist jedem hier im Haus wie auch allen, dieuns zuschauen, sehr bewusst, dass der Haushalt 2010 einbesonders schwieriger in einem besonders schwierigenJahr ist. Ich sage das auch im Hinblick auf manche Zwi-schenfragen, Kurzinterventionen und sonstige Äußerun-gen hier im Plenum: Der Haushalt erfüllt die Grund-pflicht, die Bundeswehr mit den notwendigen Mittelnauszustatten, und zwar im Sinne der Sicherheit unsererSoldatinnen und Soldaten und im Übrigen auch der Si-cherheit unseres Landes.Lieber Herr Kollege Arnold, lieber Herr KollegeKahrs, ich sage Ihnen sehr klar: Unterlassen Sie IhreKrokodilstränen! Denn eins ist wahr: Das Geld istknapp. Die SPD hat selbst Einsparungen gefordert.
Lieber Herr Kollege Arnold, das, was Sie gerade überVerunsicherungen gesagt haben, will ich Ihnen gerne zu-rückgeben. Sie versuchen hier, Verunsicherung zu schü-ren, indem Sie erstens dem Minister unterstellen, erwolle sich wegducken. Zweitens war Ihre Strategie inden vergangenen Wochen im Untersuchungsausschuss,einen Minister, der erfolgreich ist, der nah bei den Solda-ten ist, verantwortlich zu machen für Ereignisse, die vorseiner Amtszeit lagen. Hören Sie damit auf, denn damitverunsichern Sie Soldaten!
Zu den generellen Rahmenbedingungen ist bereitsviel gesagt worden. Zum Verteidigungshaushalt bleibtals zentrale Botschaft festzuhalten: Der Verteidigungs-etat ist so sparsam wie möglich und stellt Mittel bereit,wo es nötig ist.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2799
Michael Brand
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Ich würde in den nächsten Minuten gerne auf einigePunkte eingehen, an denen der Minister in den letztenTagen und Wochen erfolgreich gearbeitet und bei denener gute Ergebnisse erzielt hat. Beim Haushalt 2010 gehtes natürlich auch um die Frage: Wie wird eigentlich dernächste Haushalt, der Haushalt 2011, in schwieriger Zeitaussehen? Deswegen müssen Prioritäten gesetzt werden,wie Kollege Otte zu Recht gesagt hat.Der erste Punkt ist die Transformation einer Armeeim Einsatz. Die Bundeswehr ist seit langem eine Armeeim Einsatz und im Umbruch. Die Transformation derBundeswehr bleibt ein komplexer Prozess. Wir als CDU/CSU begrüßen nachdrücklich, dass der Bundesverteidi-gungsminister die Diskussion über die zukünftige Struk-tur der deutschen Streitkräfte eingeleitet hat, um Effi-zienz und Einsatzfähigkeit der Bundeswehr für dieZukunft zu sichern. Wir wissen um die Bedeutung dereingesetzten Strukturkommission, und wir bleiben alsCDU/CSU, Kollege Nouripour, offen für eine sehr inten-sive Erörterung der Struktur mit allen, die sich der Si-cherheit des Landes und der Einsatzfähigkeit der Bun-deswehr verpflichtet fühlen.
– Herr Kollege Kahrs, manchmal nutzt es auch, zuzuhö-ren statt nur zu rufen.
Der zweite Punkt ist die Wehrpflicht als Anker. Beider Umsetzung der sechsmonatigen Wehrpflicht könnenwir erste Vorschläge verzeichnen – einige waren ja ges-tern Abend beim Reservistenverband –, was wir sehr be-grüßen. Wehrpflichtige sollen eine moderne, intensiveund in einem guten Sinne spannende, das heißt inhalts-reiche, Grundausbildung durchlaufen.
Skeptikern, Herr Kahrs, kann mitgeteilt werden: Das hatnichts mit Intensivpraktikum oder Abenteuer zu tun,sondern mit einer intensiven und fordernden Grundaus-bildung für einen sehr verantwortlichen Dienst.
Zehntausende junger Menschen, denen dieser Dienst je-des Jahr abverlangt wird, können sich sicher sein, dasssie mit ihrem Dienst und mit dieser Ausbildung einensehr wichtigen Beitrag zur Sicherheit unseres Landesleisten. Wir als CDU/CSU bleiben dabei: An der Wehr-pflicht wird nicht gerüttelt. Sie ist und bleibt ein legiti-mer und moderner Anker der Bundeswehr in der Bevöl-kerung.
Der dritte Punkt ist das Thema Beschaffung. Zu die-sem Themenbereich ist festzuhalten, dass wir natürlichwissen, dass in Zeiten knapper Kassen nicht jede Be-schaffung möglich ist, die auch wünschenswert wäre.Allerdings – auch das gehört dazu – gilt nach wie vor derGrundsatz: Was die Bundeswehr im Einsatz braucht, dasmuss sie und das wird sie auch weiterhin erhalten. Dasswir durch vordringliche Beschaffungsmaßnahmen diepassive Schutzfähigkeit unserer Truppe in Afghanistan– Stichwort ist hier der Dingo; der Wehrbeauftragte hatdazu einiges in seinem Bericht gesagt – während des lau-fenden Einsatzes kontinuierlich steigern, ist dabei eineunabdingbare Notwendigkeit.Ich will zum vierten Punkt, zum Thema Afghanistankommen. Lassen Sie mich wegen der Bedeutung diesesThemas einige Anmerkungen machen.
Ich möchte zunächst festhalten: Wir tragen als CDU/CSU gemeinsam mit der großen Mehrheit des Hausesdie Londoner Strategie der Verstärkung militärischer undziviler Anstrengungen in Afghanistan voll mit. Dazu– lieber Herr Kollege Kahrs, nicht umdrehen und rufen,sondern zuhören – zählt auch der zusätzliche Kostenan-teil, den die Aufstockung unserer Maßnahmen im Vertei-digungsetat ausmacht.
Hier verwenden wir Steuergelder dazu, den Frieden inAfghanistan zu erreichen und die Übergabe der Verant-wortung für Afghanistan an die Afghanen abzusichern.Das ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass wir nachdieser Übergabe unsere Truppen endlich abziehen kön-nen. Diesen Abzug wollen wir allerdings nicht über-stürzt, sondern koordiniert und ehrenhaft vollziehen. Dasheißt, wir wollen die Sicherheit der afghanischen Zivil-bevölkerung in den Händen gut ausgebildeter afghani-scher Sicherheitskräfte wissen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie micheine weitere offene Bemerkung zu diesem nach wie vorsehr wichtigen Thema deutscher Sicherheitspolitik ma-chen. Dass der Afghanistaneinsatz in vieler Hinsichtmehr Opfer gekostet hat, als dies zu Beginn abzusehenwar, ist inzwischen allen klar geworden. Das gilt es, of-fen anzusprechen. Ich sage dies auch als Abgeordneteraus einem Wahlkreis, der zu Hause mit den Eltern vonVerwundeten und Gefallenen dieses Einsatzes gespro-chen hat. Dass die Menschen in unserem Land die Lagein Afghanistan als Krieg empfinden, kann ich gut nach-vollziehen. Wenn hier jetzt ein völkerrechtlich andererBegriff verwendet wird, ändert dies an der Einschätzungder Menschen nichts. Wenn es also so ist, dass die Men-schen die Bundeswehr in Afghanistan im Krieg sehen,wie sie es sagen, dann hat dies für uns klare Konsequen-zen.Eine Konsequenz ist, dass wir den Bürgern dieNotwendigkeit eines militärischen Einsatzes und dasInteresse unseres eigenen Landes an diesem Einsatzüberzeugend erklären müssen. Ich bin dem Bundesver-teidigungsminister sehr dankbar, dass er diese Aufgabein vorderster Front übernimmt. Aber es ist auch die Auf-
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gabe des Parlamentes. Es geht für uns nicht nur darum,die Herzen und Köpfe der Afghanen vor Ort zu gewin-nen, wie es die Strategie der Londoner Konferenz undder ISAF vor Ort ist. Es geht auch jeden Tag darum, dieZustimmung der Menschen hier zu Hause für einen Ein-satz und zur Rückenstärkung für unsere Soldaten zu ge-winnen. Auch ist die Initiative des Bundestages zurNachbetreuung von kriegstraumatisierten Angehörigender Bundeswehr ein klares Indiz dafür, dass wir längstbei einer realistischen Bewertung dessen angekommensind, was sich in Afghanistan abspielt.
Herr Brand, möchten Sie eine Zwischenfrage von
Herrn Nouripour zulassen?
Zu ihm will ich jetzt kommen. Deswegen muss er lei-
der zuhören. Er hat vorhin den Wehrbeauftragten ange-
sprochen. In diesem Zusammenhang will ich sehr deut-
lich machen, dass alle Fraktionen diesen Weg nicht nur
beschritten haben, sondern stark unterstützen. Das gilt
auch für den Wehrbeauftragten.
Lieber Kollege Nouripour, wir sollten nicht das kleine
Karo ins Spiel bringen, wenn es um das Amt des Wehr-
beauftragten geht. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich
sagen, dass der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundes-
tages, Herr Robbe, seinen Job ordentlich und gut ge-
macht hat. Ich denke, das kann man unumwunden so sa-
gen. Lieber Herr Robbe, ich bin Ihnen sehr dankbar für
das, was Sie in den letzten Jahren geleistet haben und
was Sie in dieser Woche angesprochen haben.
– Nur die Schlussfolgerungen, Herr Kollege Nouripour,
sind andere.
Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss.
Es geht um das Thema Afghanistan. Der Deutsche
Bundestag insgesamt ist stolz auf die Frauen und Män-
ner, die in den Dörfern und Städten Afghanistans den zi-
vilen Kräften mit ihrem Einsatz Schutz bieten und damit
die zivile Entwicklung überhaupt erst möglich machen.
Ich empfehle den Linken, bei dieser Passage besonders
gut zuzuhören. Wir stehen hinter jedem Euro, den wir
für die Frauen und Männer in diesem schweren und ver-
antwortungsvollen Einsatz bereitstellen. Das wird auch
unter schwierigen Rahmenbedingungen für den Haushalt
2011 gelten.
In diesem Sinne wünsche ich den Soldatinnen und Sol-
daten allzeit gute Hand, Sicherheit im Einsatz und im-
mer eine gesunde Rückkehr.
Vielen Dank.
Omid Nouripour ist der nächste Redner für Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir füh-ren in dieser Woche eine relativ deprimierende Diskus-sion; es geht um den Haushaltsentwurf. Da erfreut mansich natürlich an jeder guten Nachricht, und eine guteNachricht, die mich wirklich sehr gefreut hat, habe ichtatsächlich im Einzelplan 14 gefunden. Wir hatten imVerteidigungsausschuss die seltene Situation, dass alleFraktionen Anträge zu posttraumatischen Belastungs-störungen eingebracht haben. Ich bin sehr froh undglücklich und werte es als Zeichen des Dankes und derAnerkennung für die Arbeit, die die Soldatinnen undSoldaten leisten, dass alle Fraktionen allen Anträgen zu-gestimmt haben. Das ist ein sehr richtiges Signal. Mögedas so weitergehen.
Allerdings habe ich eine zweite Stelle im Einzel-plan 14, bei der ich mich hätte freuen können, nicht ge-funden. Wir haben jetzt eine neue Koalition, die am An-fang große Versprechungen gemacht hat, insbesondereder Minister. Die Stichworte sind bekannt: große Bun-deswehrreform, Verkürzung des Wehrdienstes, bessereAusstattung – das ist schon mehrfach genannt worden –,Transparenz und eine klare Sprache. Es ist aber nur einesklar: Das alles gibt es zumindest derzeit noch nicht. HerrMinister, Sie wissen, dass wir keine Probleme damit ha-ben, Sie zu loben, wenn Sie Gutes tun. Aber bisherkenne ich nur Ankündigungen. Sie sind der Ankündi-gungsminister in diesem Kabinett. Konkretes gibt es bis-her nicht viel.
Beispiel Bundeswehrreform. Im Koalitionsvertragsteht, dass es Strukturveränderungen in Organisation,Führung und Verwaltung geben wird; das ist recht um-fangreich. Sie haben gesagt, dass es keine Tabus gebenwird. Im Koalitionsvertrag steht, dass Vorschläge dazubis Ende 2010 kommen werden. Ich habe im Februarnachgefragt, wie es denn aussieht. Die Antwort des Hau-ses entsprach dem Text aus dem Koalitionsvertrag, nurein bisschen umgeschrieben. Wenn Sie Ihren Zeitplantatsächlich einhalten wollen, werden Sie Ende diesesJahres erheblich ins Schwitzen kommen und noch eini-ges an Tempo zulegen müssen, Herr Minister.Beispiel Verkürzung der Wehrpflicht auf sechs Mo-nate. Das ist besonders spannend, und zwar nicht nur,weil wir Grüne der Meinung sind, dass die Wehrpflicht
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Omid Nouripour
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abgeschafft gehört, weil sie mit den Sicherheitsanforde-rungen des 21. Jahrhunderts und mit Wehrgerechtigkeitüberhaupt nichts mehr zu tun hat, sondern vor allem des-wegen, weil das so, wie Sie es machen wollen, über-haupt keinen Sinn ergibt.
Frau Hoff hat in einer Diskussion sinngemäß erklärt:Ihr müsst das verstehen. Wir konnten uns nicht durchset-zen. Also haben wir das Modell gewählt, das am ehestendazu führt, dass die Union begreift, dass die Wehrpflichtkeinen Sinn mehr hat. Dann wird sie am Ende ohnehinabgeschafft werden. – Das ist Subversion, und Subver-sion gehört nicht auf die Regierungsbank.
Herr Minister, Sie haben am Anfang dieser Woche an-gekündigt, das Konzept sei fertig und werde kommen.Heute haben Sie gesagt, die Einführung von W6 werdeauf Oktober vorgezogen. Um 14.30 Uhr hat der Presse-sprecher des Bundesministeriums für Familie, Senioren,Frauen und Jugend gesagt, das sei nicht abgesprochenund noch nicht ausgemacht.Sie haben nebenbei außerdem erklärt, das Konzeptkomme aus Ihrem Hause und Sie seien enttäuscht, dassdie Bundestagsfraktionen nicht daran mitgearbeitet hät-ten. Ein paar Tage vorher haben Sie das Angebot ge-macht, dass wir uns mit dem Generalinspekteur über ge-nau diese Frage unterhalten können. Wir haben diesesAngebot dankend angenommen. Das Gespräch fand ges-tern statt und war sehr offen und konstruktiv. HerzlichenDank dafür. Ich weiß nicht, wann wir das hätten einbrin-gen sollen, was Sie von uns eingefordert haben. Sie ha-ben quasi zeitgleich gesagt: Bringt euch ein! Das Kon-zept ist fertig. Ihr habt euch nicht eingebracht. DasKonzept kommt.Das Konzept ist nicht da. Ich habe das Konzept nicht,das Parlament hat das Konzept nicht, und ich bin sehrgespannt, wie Sie das mit dem 1. Oktober 2010 hinbe-kommen wollen. Jedenfalls hat das mit Transparenz undKlarheit nichts zu tun.
Es hat auch nichts mit Informationspolitik zu tun,wenn es in Afghanistan eine Task Force 47 gibt, von derwir aus der Presse erfahren, es dann eine Unterrichtunggibt, in der uns erläutert wird, was dort eigentlich ge-schieht, dann über die Presse neue Details bekannt wer-den und es eine neue Unterrichtung gibt, in der uns be-stätigt wird, was in der Presse steht. Es ist eigentlich nurein hinter den Ankündigungen in der Presse Herrennen.Auch das hat mit Transparenz und Klarheit nichts mehrzu tun.Zur Beschaffung hat Kollege Bonde einiges gesagt.Herr Kollege Brand, Ihr Hinweis, dass wir alles für dieSoldatinnen und Soldaten tun müssen, damit diese effi-zient arbeiten können, ist richtig. Ich will nur darauf hin-weisen, dass die knapp 40 ausgemusterten Schutzfahr-zeuge vom Typ Dingo in Afghanistan bisher nicht ersetztworden sind, weil die Mittel fehlen. Jetzt überlegen Sieeinmal, wie viele Hundert Dingos man von den Zusatz-kosten, die für den A400M ausgegeben worden sind,hätte beschaffen können. Was derzeit passiert, hat mitdem Konzept „Vom Einsatz her denken“, mit einer ange-messenen Beschaffung von Material für Soldatinnen undSoldaten und deren Schutz nichts zu tun.
Herr Robbe hat einen Bericht vorgelegt, in dem erviele Mängel genannt hat. Einige Mängel liegen schonlänger vor – das ist bedauerlich –, aber ich bin sehr froh,dass Sie beharrlich geblieben sind und nicht aufgegebenhaben. Es fehlen Ärzte und Piloten. Es gibt einiges zutun. Herr Minister, wir würden uns wahnsinnig freuen,und wir versprechen weiterhin jede Unterstützung, wennSie sich dieser Themen annehmen. Wenn Sie nicht nurAnkündigungen machen, sondern auch konkrete Schrittevornehmen, dann haben Sie uns auf Ihrer Seite. Sonstkönnen wir nur feststellen, dass es bei Ankündigungenbleibt. Das hat mit Klarheit und Transparenz nichts zutun.Herzlichen Dank.
Thomas Silberhorn hat das Wort für die CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Verteidigungshaushalt bestimmt maßgeb-lich mit, wie wirksam wir unseren internationalen Ver-pflichtungen nachkommen können. Die Bundeswehrkann nur so leistungsfähig sein, wie es der Haushalt zu-lässt. Der Haushalt 2010 ist absolut auf Kante genäht.
Wir sind mittlerweile an einem kritischen Punkt ange-langt, an dem wir uns ernsthaft die grundsätzliche Fragestellen müssen, welche verteidigungspolitischen Zielewir künftig verfolgen wollen und welche Streitkräfte wirdazu brauchen.Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Jedemdieser Auslandseinsätze liegt ein Mandat des DeutschenBundestages zugrunde. Die Soldatinnen und Soldatensind deshalb in den Einsätzen, weil wir sie dorthin ent-senden. Deswegen ist es unsere Verantwortung, dafür zusorgen, dass sie bestmöglich ausgerüstet und ausgestattetsind.Nicht nur mit Blick auf den vorliegenden Haushaltstellt sich die Frage, ob diese Entwicklung hin zu einerArmee im Einsatz mit all den damit verbundenen Konse-quenzen tatsächlich schon vollzogen worden ist. Ausrüs-tung und Ausstattung der Bundeswehr müssen sich anden Einsatzerfordernissen orientieren und nicht umge-
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Thomas Silberhorn
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kehrt. Anders würden wir unserer Verantwortung alsParlamentarier für die Soldatinnen und Soldaten im Aus-landseinsatz nicht gerecht.Eine Lehre aus den bisherigen Auslandseinsätzen derBundeswehr ist, dass die Aufgabe, in instabilen Regio-nen selbsttragende Sicherheitsstrukturen zu schaffen,an Bedeutung gewinnt. Das gilt für die Piratenbekämp-fung am Horn von Afrika und ebenso für Afghanistan.Ich meine, dass wir eine echte Fähigkeitslücke haben.Die Ausbildung lokaler Polizeikräfte vor Ort gehörtnicht zu den Kernkompetenzen der Feldjäger der Bun-deswehr, und internationale Polizeieinheiten sind oftnicht robust genug ausgestattet, um gegen Aufständischeund Terroristen vorzugehen.Viele unserer Partnerstaaten in der EuropäischenUnion lösen diese Aufgabe mit Gendarmerieeinheiten.Nicht, dass ich danach rufen wollte, aber wir müssenernsthaft überlegen, Fähigkeiten vorzuhalten, um Aufga-ben einer Gendarmerie erfüllen zu können. Ob das eineSpezialeinheit der Bundespolizei sein sollte oder ob mandie Funktion der Feldjäger erweitern sollte, mag dahin-gestellt sein. Wir müssen uns der Aufgabe als solcher an-nehmen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass jede Ent-sendung von Militär und von Polizei ins Ausland durchden Deutschen Bundestag mandatiert werden sollte.Auch darüber sollten wir nochmals nachdenken.Ich begrüße es, dass die Bundesanwaltschaft vor we-nigen Tagen zu dem Zwischenergebnis gelangt ist, dasses sich in Afghanistan um einen nicht internationalen be-waffneten Konflikt im Sinne des Völkerstrafgesetz-buches handelt. Die Generalbundesanwaltschaft teilt da-mit die Bewertung, die bereits Bundesminister zuGuttenberg und die Bundesregierung vorgenommen ha-ben. Damit müssen Angehörige der Bundeswehr, die imAuslandseinsatz unsere Aufträge ausführen, nicht längerbefürchten, dass ihr Verhalten in bewaffneten Konfliktenauf der Grundlage des deutschen Strafgesetzbuches be-urteilt wird. Für genau diesen Zweck gibt es das Völker-strafgesetzbuch. Es ist gut, dass es jetzt zur Anwendungkommen kann.Ich glaube auch, dass es ein wichtiger Fortschrittwäre, wenn wir unseren Koalitionsauftrag dahin gehenderfüllen würden, eine zentrale Zuständigkeit der Justizzu schaffen, um Straftaten von Soldaten im Auslandsein-satz zu verfolgen. Das müssen wir zeitnah angehen. Eskann nicht angehen, dass bei Ermittlungen gegen Solda-ten viel Zeit verstreicht und sich Strafverfolgungsbehör-den monatelang in komplizierte militärische Sach-verhalte einarbeiten müssen. Ich weise darauf hin, dassBayern diesbezüglich vorangegangen ist
und zum 1. März dieses Jahres die Staatsanwaltschaft inKempten mit der Wahrnehmung aller Strafverfolgungs-verfahren gegen Soldaten im Auslandseinsatz beauftragtworden ist. Nachahmung ist empfohlen.Lassen Sie mich zur Debatte über die WehrpflichtStellung nehmen. Die Verkürzung der Wehrdienstzeitvon neun auf sechs Monate ist ein zentrales Vorhabenaus unserem Koalitionsvertrag. Wir halten an der allge-meinen Wehrpflicht fest, weil sie die gesellschaftlicheVerankerung der Bundeswehr sicherstellt und weil es sogelingt, qualifizierten Nachwuchs für die Bundeswehrzu gewinnen. Bereits heute werden über 40 Prozent derBerufs- und Zeitsoldaten durch den Wehrdienst für dieBundeswehr gewonnen. Das streben wir auch für densechsmonatigen Wehrdienst an.
Wir werden hinsichtlich der Wehrgerechtigkeit übri-gens eine spürbar bessere Situation bekommen; denn wirwerden mit W6 mehr Wehrpflichtige einziehen können.Auch die demografische Entwicklung wird die Situationbei der Wehrgerechtigkeit deutlich verbessern. Ziel musses sein, den Wehrdienst so auszugestalten, dass er für dieBundeswehr, aber auch für die Wehrpflichtigen ein ech-ter Gewinn ist. Ich möchte einige Kriterien dafür nen-nen.Ich glaube, dass es besonders wichtig ist, dass dieserWehrdienst in der Truppe stattfindet und nicht in sepa-raten Einheiten. Wir müssen nach der Grundausbildungdafür sorgen, dass die Wehrdienstleistenden in einerFunktion bei der Truppe eingesetzt werden.
Ich würde es begrüßen, wenn es gelänge, mehr berufs-relevante Elemente in die Ausbildung zu übernehmen.
Ich rege an – ich bitte die Kolleginnen und Kollegenaus meiner Fraktion um Nachsicht, weil das eine sehrpersönliche Bemerkung ist, die nicht abgestimmt ist –,die Situation der Wehrdienstleistenden, die zum 1. Julieines Jahres eingezogen werden, nochmals zu überden-ken. Nach sechs Monaten beenden sie ihren Wehrdienst,also zum Ende des Jahres, und haben dann gegebenen-falls, wenn sie erst zum Wintersemester ein Studiumaufnehmen können, eine neunmonatige Wartezeit zuüberbrücken. Natürlich kann man denen anbieten, frei-willig länger zu dienen. Ich glaube aber, dass es einesinnvolle Lösung wäre – das würde ich bevorzugen –, indiesen Fällen den Wehrdienst zu splitten: im ersten Jahreine dreimonatige Grundausbildung,
die die Aufnahme des Studiums noch im gleichen Jahrermöglicht, und in den Semesterferien des nächsten Jah-res die zweite Hälfte.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2803
Thomas Silberhorn
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Wenn wir mehr Flexibilität im Interesse der Wehr-dienstleistenden schaffen können, dann sollten wir auchden Mut aufbringen, mehr Flexibilität für die Zivil-dienstleistenden zu schaffen; denn es liegt im Interesseder Zivildienstleistenden, die den Wehrdienst nicht ab-leisten wollen, angemessene Beschäftigungsverhält-nisse zu bekommen. Deswegen plädiere ich dafür, dasswir die Option schaffen, den Zivildienst auf zwölf Mo-nate zu verlängern.
Wenn wir bedenken, dass wir viele Freiwilligen-dienste haben, bei denen junge Leute von sich aus einJahr im Freiwilligen Sozialen Jahr oder im FreiwilligenÖkologischen Jahr verbringen, dann ist es, glaube ich,angebracht, diese Freiwilligendienste besser auf den zi-vilen Ersatzdienst anzurechnen.
Ich denke insbesondere an unser Programm „weltwärts“auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit.
Wenn man ein weitgefasstes Sicherheitsverständnis ver-tritt, dann ist auch eine Tätigkeit in der Entwicklungs-politik in unserem sicherheitspolitischen Interesse. Des-wegen plädiere ich dafür, diese Dienste beim Zivildienst,beim Wehrdienst besser als bisher anzuerkennen.
Herr Bundesminister, wenn es gelingt, dass die Neu-ordnung, die Umstellung auf einen sechsmonatigenWehrdienst, zeitgleich vonstatten gehen kann mit derWehrstrukturkommission, die jetzt ihre Arbeit aufnimmtund bis Ende des Jahres Vorschläge vorlegen soll, dannwird ein stimmiges Konzept daraus,
an dessen Umsetzung man sich zu Beginn des nächstenJahres machen kann. Also zeitgleich: Wehrstrukturkom-mission und sechsmonatiger Wehrdienst. Ich glaube, daswäre der richtige Weg.
Wir haben noch einige Wochen darüber zu diskutie-ren. Aber ich glaube, wir werden sehr zügig zu Lösun-gen kommen.
Ich freue mich, dass der Bundesminister die nötigen Ini-tiativen ergriffen hat, um zügig zu Lösungen zu kom-men, die im Interesse der Zivil- und Wehrdienstleisten-den liegen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14,Bundesministerium der Verteidigung, in der Ausschuss-fassung.Hierzu liegen Änderungsanträge vor. Über diese stim-men wir zuerst ab. Wer stimmt für den Änderungsantragder Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1024? – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantragist abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringendeFraktion. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sichenthalten. Alle anderen haben dagegen gestimmt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der FraktionDie Linke auf Drucksache 17/1025? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Dieser Änderungsantrag istebenfalls abgelehnt. Zugestimmt hat die einbringendeFraktion. Alle übrigen haben dagegen gestimmt. Enthal-tungen gab es keine.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Abgeordne-ten Klaus-Peter Willsch und Dr. h. c. Jürgen Koppelin aufDrucksache 17/1076? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Damit ist der Änderungsantrag angenommenbei Zustimmung durch den größten Teil der Koalitions-fraktionen. Dagegen haben die Oppositionsfraktionengestimmt. Es gab eine Enthaltung.Wer stimmt für den Einzelplan 14 in der Ausschuss-fassung mit der soeben beschlossenen Änderung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Ein-zelplan 14 angenommen bei Zustimmung durch die Ko-alitionsfraktionen und Ablehnung durch die Opposi-tionsfraktionen.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte III a bis c auf:a) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurAbschaffung des Finanzplanungsrates– Drucksache 17/983 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss
RechtsausschussAusschuss für Arbeit und Sozialesb) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKEMenschenrechte in Kolumbien auf die Agendasetzen – Freihandelsabkommen EU-Kolum-bien stoppen– Drucksache 17/1015 –
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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Auswärtiger AusschussAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionc) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKEDen Schienenverkehr als sichere Verkehrs-form erhalten und stärken– Drucksache 17/1016 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieHierbei handelt es sich um Überweisungen im ver-einfachten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen. Damit sind Sie einverstanden? – Dann sinddie Überweisungen so beschlossen.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte IV a bis l auf.Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zudenen keine Aussprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt IV a:Beratung der Ersten Beschlussempfehlung desWahlprüfungsausschusseszu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahlder Abgeordneten des Europäischen Parla-ments aus der Bundesrepublik Deutschlandam 7. Juni 2009– Drucksache 17/1000 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Wolfgang GötzerBernhard KasterMichaela NollMichael Hartmann
Christian Lange
Stephan ThomaeDr. Dagmar EnkelmannIngrid HönlingerWer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-lung ist einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkte IV b bis l. Wir kommen zu denBeschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.Tagesordnungspunkt IV b:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 50 zu Petitionen– Drucksache 17/909 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 50 ist einstimmig ange-nommen.Tagesordnungspunkt IV c:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 51 zu Petitionen– Drucksache 17/910 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 51 ist ebenfalls einstim-mig angenommen.Tagesordnungspunkt IV d:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 52 zu Petitionen– Drucksache 17/911 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 52 ist angenommen beiZustimmung durch CDU/CSU, SPD und FDP. Dagegenhat die Fraktion Die Linke gestimmt. Bündnis 90/DieGrünen haben sich enthalten.Tagesordnungspunkt IV e:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 53 zu Petitionen– Drucksache 17/912 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 53 ist einstimmig ange-nommen.Tagesordnungspunkt IV f:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 54 zu Petitionen– Drucksache 17/913 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 54 ist angenommen beiZustimmung durch CDU/CSU, FDP und SPD. Bünd-nis 90/Die Grünen stimmten dagegen. Die Linke hat sichenthalten.Tagesordnungspunkt IV g:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 55 zu Petitionen– Drucksache 17/914 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zu-stimmung durch CDU/CSU, FDP, SPD und die Linke.Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen gestimmt.Tagesordnungspunkt IV h:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 56 zu Petitionen– Drucksache 17/915 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zu-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2805
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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stimmung durch CDU/CSU, FDP, SPD, Bündnis 90/DieGrünen. Die Fraktion Die Linke hat dagegen gestimmt.Tagesordnungspunkt IV i:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 57 zu Petitionen– Drucksache 17/916 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zu-stimmung durch CDU/CSU, FDP und SPD. Dagegen ha-ben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke gestimmt.Enthaltungen gab es keine.Tagesordnungspunkt IV j:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 58 zu Petitionen– Drucksache 17/917 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zu-stimmung durch die Koalitionsfraktionen und die Linke.Bündnis 90/Die Grünen und SPD haben dagegen ge-stimmt.Tagesordnungspunkt IV k:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 59 zu Petitionen– Drucksache 17/918 –Wer stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – DieSammelübersicht ist angenommen bei Zustimmungdurch CDU/CSU, SPD und FDP. Dagegen haben dieLinke und Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. Enthaltun-gen gab es keine.Tagesordnungspunkt IV l:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 60 zu Petitionen– Drucksache 17/919 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zu-stimmung durch die Koalitionsfraktionen und Gegen-stimmen durch die Oppositionsfraktionen. Enthaltungengab es keine.Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt I.12 auf:Einzelplan 23Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung– Drucksachen 17/619, 17/623 –Berichterstattung:Abgeordnete Volkmar KleinLothar Binding
Dr. h. c. Jürgen KoppelinDr. Dietmar BartschPriska Hinz
Hierzu liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion DieLinke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Au-ßerdem liegt je ein Entschließungsantrag der FraktionDie Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor;darüber werden wir am Freitag nach der Schlussabstim-mung befinden.Es ist verabredet, hierzu eineinhalb Stunden zu debat-tieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist dasso beschlossen.Ich gebe das Wort der Kollegin Bärbel Kofler für dieSPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zuerst einpositives Moment: Das Volumen dieses Haushalts, denwir in zweiter und dritter Lesung beraten, ist immerhinum 180 Millionen Euro größer als das Volumen der be-schämenden Vorlage, die wir im Januar dieses Jahresvom Kabinett erhalten haben. Trotzdem ist das kein Er-folg für die Entwicklungszusammenarbeit als Ganzes.Ich höre schon jetzt die Töne, die später kommen wer-den: Aufgrund der Finanzkrise war leider nicht mehrmöglich und leider nicht mehr drin.Bei dieser Gelegenheit möchte ich daran erinnern,dass die Finanzkrise bei den Haushaltsberatungen imletzten Jahr bereits in vollem Gange war. Damals ist esuns immerhin gelungen, für diesen Haushalt einen Auf-wuchs in Höhe von 600 Millionen Euro zu erreichen;das ist dreimal so viel wie das, was uns jetzt vorliegt. Vordiesem Hintergrund finde ich das Gesamtergebnis derBeratungen und die Zahlen, mit denen wir es zu tun ha-ben, traurig und bescheiden.
Dieser Haushalt, der ja wahrscheinlich von der Mehr-heit des Hauses verabschiedet werden wird, belegt eines:Deutschland verabschiedet sich aus der Rolle eineszuverlässigen Partners in der Entwicklungszusammen-arbeit, aber auch darüber hinaus. Wir sind internationaleVerpflichtungen eingegangen. Vom 0,51-Prozent-Zielredet schon niemand mehr. Der Minister hat davon so-wieso nie geredet.Wir als SPD-Fraktion haben Vorschläge gemacht, wieman dieses Ziel erreichen kann. Wir haben auch Gegen-finanzierungsvorschläge vorgelegt. Es wurde eine sinn-lose Debatte vom Zaun gebrochen, ob im Jahre 2015 das0,7-Prozent-Ziel erreicht werden könnte. Auch wennvonseiten des Ministeriums noch eine PM nachgeschicktund zu erklären versucht wurde, das alles sei nicht so ge-meint gewesen, wie es im Interview gestanden habe,sage ich Ihnen: Das verunsichert Partner und trägt nichtdazu bei, dass andere Länder uns weiter als Vorreiter undals verlässlichen Partner ansehen.
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2806 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Dr. Bärbel Kofler
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Ein Auf und Ab gab es auch beim Global Fund. Wirerinnern uns: Ursprünglich wollte die Regierung, wollteMinister Niebel dort kürzen. Auf Druck der Opposition,insbesondere auf Druck der Kollegin Karin Roth ausmeiner Fraktion, und auf Druck aus der Öffentlichkeitwurde diese Kürzung zurückgenommen. Gott sei Dank;das ist gut. Aber was soll dieses Hin und Her, was solldiese Verunsicherung internationaler Partner und inter-nationaler Institutionen?
Hinzu kommt das Drama um die Mittel für den Klima-schutz. Die Kanzlerin hat im Dezember letzten Jahres– zu diesem Zeitpunkt hätte man über die Finanzkriseschon nachdenken können – in Kopenhagen zugesagt, indiesem Jahr für internationalen Klimaschutz 420 Millio-nen Euro bereitzustellen. Das ist zwar eine bescheideneZusage; aber es wäre ein wichtiger Beitrag gewesen. Wersich diesen Haushalt daraufhin anschaute, musste imEinzelplan 23 – wirtschaftliche Zusammenarbeit – wie imEinzelplan 16 – Umwelt – lange suchen. Kurz vor knapp,kurz vor der Bereinigungssitzung, findet sich plötzlich einneuer Titel Klimaschutzmaßnahmen in den Entwick-lungsländern.
Nur stehen da nicht 420 Millionen Euro, wie es dieKanzlerin im Dezember versprochen hat. In den beidengenannten Etats finden sich jeweils nur 35 MillionenEuro, und es ist nur den Haushältern von SPD undBündnis 90/Grüne zu verdanken – sie haben in der Be-reinigungssitzung einen gemeinsamen Entschließungs-antrag eingebracht –, dass nicht auch hier Taschenspie-lertricks versucht worden sind und diese 35 MillionenEuro für den Umweltetat gerettet werden konnten unddamit auch, gleichgezogen, für das BMZ eingestellt wer-den mussten.
Ich kann mir schon vorstellen, was uns der Ministererzählen wird: Für den internationalen Klimaschutzseien noch ganz viele Mittel in anderen Titeln des Ein-zelplans 23 versteckt.
Man könnte das überschreiben mit dem schönen Sprich-wort: Alter Wein in neuen Schläuchen. Natürlich enthältder Einzelplan 23 seit Jahren viele klimarelevante Ti-tel. Man denke zum Beispiel an die Sonderfazilität „Ini-tiative Klima- und Umweltschutz“: Bis 2011 sollen für2,4 Milliarden Euro zinsverbilligte Darlehen ausgegebenwerden. Oder man denke an die 4E-Fazilität, die Sonder-fazilität für erneuerbare Energien und Energieeffizienz.All diese Titel wurden über Jahre hinweg im Haushaltaufgebaut. Hier zu versuchen, Mittel aus der finanziellenZusammenarbeit oder aus der technischen Zusammenar-beit zu Mitteln für den Klimaschutz umzuetikettieren,dafür ist „alter Wein in neuen Schläuchen“ ja noch billiggesagt. Das sind buchhalterische Taschenspielertricks,die eines transparenten Haushalts nicht würdig sind.
Was Transparenz im Haushalt angeht, muss man sichauch den Umgang mit dem Thema Haiti anschauen.Wir, aber auch die Haushälter der SPD-Fraktion habenim Ausschuss gefordert, einen Sondertitel für den Wie-deraufbau Haitis aufzulegen. Wie man der Presse ent-nehmen konnte, fand auch der Minister diese Idee nichtschlecht. Das Spannende ist nur, dass im Haushaltsaus-schuss die Haushälter der Koalitionsfraktionen nichtsdergleichen unternommen haben. Auch hier wird wiederversucht, ein bisschen zu tricksen: Da gibt es die Not-und Übergangshilfe. Sie wird zwar nicht mit mehr Geldausgestattet; aber es dürfen Mittel davon für Haiti ver-wendet werden. Man darf auch Mittel verrechnen mitder finanziellen Zusammenarbeit. Die bekommt aberauch nicht die entsprechenden Mittel, vor allem be-kommt sie keine Planungssicherheit für den Aufwuchsder nächsten Jahre, nein, da werden bei den Verpflich-tungsermächtigungen, die ja die eigentliche Planung dar-stellen, noch 40 Millionen gestrichen.Was Ende März bei der Geberkonferenz für Haiti he-rauskommen wird, kann man nur vermuten. Das bishe-rige Gebaren bei der Einhaltung internationaler Zusagenlässt nichts Gutes erahnen. Auch hier wurde viel ange-kündigt, aber nur wenig umgesetzt, und das Wenige istvöllig intransparent.Ich habe vorhin bei der Debatte über den Verteidi-gungshaushalt zugehört. Der letzte Redner der Union hatnoch einmal die Bedeutung der Freiwilligendienste he-rausgestellt. Dem kann man sich nur anschließen. Aberwarum werden in diesem Haushalt dann gerade im Ein-zelplan 23 die Mittel für den Freiwilligendienst „welt-wärts“ gekürzt? Warum werden verlässliche Zusagen,die man jungen Menschen gegeben hat, die sich engagie-ren wollen, nicht eingehalten? Warum schürt man auchhier Misstrauen bei den Partnern, mit denen man zusam-menarbeitet und auf deren Entgegenkommen man ange-wiesen ist? Hier gilt wieder: keine Verlässlichkeit, keineRuhe in der Planung, keine Solidität.
Wir als Sozialdemokraten haben Anträge gestellt,nämlich für einen vernünftigen Aufwuchs, um das0,51-Prozent-Ziel zu erreichen. Wir haben Gegenfinan-zierungsvorschläge gemacht. Darauf wird der KollegeBinding sicherlich eingehen.Einen Satz zur Finanztransaktionsteuer muss ich andieser Stelle schon noch loswerden. Wenn fast 70 000Bürger eine Steuer gegen Armut für ein richtiges Kon-zept halten, dann vergeben wir hier eine Chance, wennwir nicht auf eine Finanztransaktionsteuer im internatio-nalen Rahmen drängen. Dazu ist von diesem Ministerleider nichts zu erwarten. Dazu ist auch von dieser Re-
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Dr. Bärbel Kofler
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gierung nichts zu erwarten. Deshalb ist eine Finanzie-rung für eine moderne Entwicklungspolitik, die Struk-turpolitik ist und deshalb entsprechende Mittel braucht,nicht zu sehen.
Frau Kollegin, ich möchte Ihnen nur sagen, dass die
Redezeit bereits abgelaufen ist.
Ich komme zu meinem letzten Satz. – Was nicht pas-
siert, ist Strukturpolitik in der Entwicklungspolitik. Sie
haben sich von allen inhaltlichen Themen, die wir in der
Großen Koalition gesetzt haben, verabschiedet. Ein Bei-
spiel: soziale Sicherungssysteme in den Entwicklungs-
ländern: abgelehnt von den Haushältern, auch denen der
CDU/CSU.
Dieser Haushalt ist kein Haushalt der Nachhaltigkeit,
kein Haushalt der internationalen Verlässlichkeit. Was
Sie hier in den letzten sechs Monaten abgeliefert haben,
ist für Deutschlands Auftreten im internationalen Rah-
men beschämend. Hier erwarten wir deutlich mehr.
Harald Leibrecht hat das Wort für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen! Liebe Kol-leginnen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Wenn wir heute abschließend über den Einzelplan 23 de-battieren, müssen wir uns vor Augen halten, dass wir indiesem Jahr in der Tat noch in wirtschaftlich schwierigerSituation sind und uns in einer Übergangsphase befin-den. Wir alle wünschen uns mehr Geld für die Entwick-lungspolitik – ohne Frage –, aber wir dürfen diese ge-samtwirtschaftlichen Realitäten nicht aus den Augenverlieren.
Trotz der angespannten Haushaltslage konnten wir dasVolumen des Einzelplans 23 im Vergleich zu 2009 umimmerhin 250 Millionen Euro auf insgesamt 6,1 Milliar-den Euro erhöhen. Das, Frau Kofler, ist keine beschä-mende Zahl. Es ist sehr viel Geld, das wir für diesen Be-reich einsetzen. Es ist vor allem Geld des Steuerzahlers,und das sollten wir sehr viel mehr respektieren.
Das möchte ich an dieser Stelle auch direkt einmalbetonen: Ich bin froh darüber, dass der Haushalt desBMZ auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wächst.Wir alle wissen, denke ich, dass noch mehr Anstrengun-gen nötig sein werden, um den Entwicklungsländerneine Perspektive zu geben. Diese Anstrengungen solltenvor allem Wirksamkeit zeigen, damit wir ihnen langfris-tige und nachhaltige Perspektiven bieten können.Ich möchte auch direkt auf das eingehen, was imLaufe unserer Haushaltsberatungen von der Oppositionan zum Teil fast schon populistischen und aus meinerSicht teilweise unseriösen Forderungen nach mehr undimmer noch mehr Geld vorgetragen wurde. Nehmen wirdoch gerade einmal das Beispiel Haiti, Frau Kofler. Die15 Millionen Euro Soforthilfe wurden von der Opposi-tion beinahe ignoriert, fast schon schlechtgeredet.
Dass zu einem späteren Zeitpunkt mehr Geld zur Verfü-gung gestellt werden würde, war von Anfang an klar. Dawird auch noch einiges geschehen.
Ohne jeglichen Anhaltspunkt wurden von der Opposi-tionsseite irgendwelche Zahlen in den Raum geworfen.Immer mehr sollte es sein. Dass es aber nach der erstenNothilfe im Sinne einer wirkungsvollen Wiederaufbau-und Entwicklungszusammenarbeit erst einmal notwendigist, eine entsprechende Bestandsaufnahme zu machen,wurde im Wettlauf um die höchsten Geldforderungen hiervöllig ausgeblendet. Ich empfand diese Zahlenspiele alsin höchstem Maße unseriös und gegenüber den Menschenin Haiti unverantwortlich.
Das Land muss zunächst in die Lage versetzt werden,die internationale Hilfe, die von allen Seiten kommt, zuabsorbieren. Dabei geht es gerade in einem Not leiden-den Land wie Haiti darum, die zahlreichen internationa-len Hilfsprojekte und -initiativen aufeinander abzustim-men.Es können nicht einfach nur pauschal Geldsummeneingefordert werden, bevor klar ist, welche Wiederauf-bauhilfe und -maßnahmen in den nächsten Monaten dortnotwendig sein werden. Diese Maßnahmen müssen dannauch, wie gesagt, richtig koordiniert werden. Dies gehörtauch zu einer seriösen Entwicklungs- und Haushaltspoli-tik, der wir uns natürlich verpflichtet fühlen.
Mit Blick auf die heutige Debatte habe ich mir dieBMZ-Haushalte der letzten Jahre wieder einmal angese-hen. Wir hören derzeit ja viel davon, dass Deutschlandseine Verpflichtungen zur Erfüllung der ODA-Quote un-ter der neuen Bundesregierung nun ignorieren würde.Vor fünf Jahren lag die ODA-Quote bei 0,35 Prozent,wofür sich Frau Wieczorek-Zeul ja gerne immer lobenließ. In den Folgejahren wurde es gerade einmal ge-
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2808 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Harald Leibrecht
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schafft, die Quote ein bisschen auf 0,38 Prozent zu erhö-hen. Dass dem neuen Minister jetzt vorgeworfen wird,dass er das 0,51-Prozent-Ziel verfehlt, finde ich eine ver-fehlte Argumentation der Opposition.
Wir hätten den Etat des BMZ in diesem Jahr um über3 Milliarden Euro, also um rund 50 Prozent, erhöhenmüssen, um diese 0,51 Prozent zu erreichen.
Doch elf Jahre Entwicklungspolitik der SPD haben die-ses Ziel in weite Ferne rücken lassen, und das ist der ei-gentliche Skandal.
In der letzten Legislaturperiode waren das BMZ unddas Finanzministerium ja SPD-geführt. Die ODA-Quotedroht seitdem fast zu stagnieren. In Ihrem Haushaltsent-wurf vom letzten Herbst wurden gerade einmal 23 Mil-lionen Euro mehr für Entwicklungszusammenarbeit vor-gesehen. Mit dem jetzt beschlossenen Haushalt übertref-fen wir Ihren Haushalt immerhin um 230 MillionenEuro. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.Entscheidend ist letztlich aber, dass die Gelder auchFrüchte tragen, und dies wird nur geschehen, wenn sierichtig verwendet werden. Daher muss das BMZ so auf-gestellt werden, dass eine verstärkte bilaterale, zielge-richtete Entwicklungszusammenarbeit möglich ist.In wirtschaftlich schwierigen Zeiten können wir esuns eben nicht erlauben, die Kontrolle über einen Groß-teil der Gelder, die wir in die Entwicklungszusammenar-beit fließen lassen, aus der Hand zu geben. Das sind wirdem Steuerzahler schuldig, aber vor allem auch denMenschen in den Entwicklungsländern, die auf eine effi-ziente Unterstützung von unserer Seite hoffen.Ich danke Ihnen.
Heike Hänsel hat das Wort für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Herr Leibrecht, die Bundesregierung erreicht mit diesemHaushalt nicht das für 2010 vorgegebene Zwischenziel,die Ausgaben für Entwicklungshilfe auf 0,51 Prozentdes Bruttonationalprodukts – das ist die sogenannteODA-Quote – zu erhöhen.
Es wäre finanziell aber durchaus möglich,
und das können Sie, Herr Leibrecht, in einem sehr gutenAntrag der Linksfraktion nachlesen.
Wir zeigen Ihnen, dass es finanziell möglich ist, dieODA-Quote in diesem Haushalt zu erreichen.
Ihnen fehlt aber der politische Wille dazu, und das ist dasEntscheidende.
Sie sind nicht bereit, 2 Milliarden Euro mehr für dieweltweite Entwicklungshilfe auszugeben, aber Sie sindjederzeit bereit, in diesen Haushalt zum Beispiel mehrals 7 Milliarden Euro für neue Rüstungsprojekte einzu-stellen.
Damit steht diese Ausgabenpolitik der Bundesregie-rung auch im krassen Widerspruch zur Bevölkerung. DieMenschen in diesem Land sind nämlich viel mehr dazubereit, Geld für Entwicklungshilfe auszugeben. Das ha-ben sie durch Spenden in dreistelliger Millionenhöhebei den Spendensammlungen für die Tsunamiopfer undauch jetzt wieder bei den Spenden für die Hilfe der Erd-bebenopfer in Haiti eindrücklich gezeigt.In meinem Wahlkreis Tübingen sammeln zum Bei-spiel Künstlergruppen und Schulklassen mühsam fürHaiti,
währenddessen die Bundesregierung nicht bereit ist, ei-nen Sondertitel für die mittelfristige Hilfe für Haiti ein-zustellen. Das sind nicht nur Forderungen der Opposition,sondern die Vereinten Nationen haben die Industriestaa-ten aufgefordert, deutlich mehr Geld als bisher für Haitizur Verfügung zu stellen.
Sie ignorieren diese Aufforderungen.
Ich halte es übrigens für ein persönliches Armuts-zeugnis des Ministers, dass er diese Forderungen gegen-über seinen Haushältern nicht hat durchsetzen können.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2809
Heike Hänsel
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Damit komme ich zu Ihrer Hauptbotschaft, die Sie,Herr Niebel, recht häufig zum Besten geben. Sie sagen,dass Ihre Entwicklungshilfe werteorientiert und interes-sengeleitet sei. Ich frage mich allerdings, von welchenWerten und welchen Interessen Sie sprechen. Mit diesemHaushalt zeigt die Bundesregierung nämlich, dass Frie-denspolitik, weltweite Armutsbekämpfung, Klima-schutz, soziale Entwicklung, globale Gerechtigkeit undsomit der Wert der menschlichen Solidarität nichtoberste Priorität Ihrer Politik sind. Stattdessen geht esIhnen ganz offensichtlich um deutsche Wirtschaftsinte-ressen, die Sie möglichst ungehindert durchsetzen wol-len. Sie propagieren – so habe ich es auch auf der letztenReise nach Vietnam erleben können – die freie Markt-wirtschaft als Grundlage freier Gesellschaften. Sie wol-len also Freiheit für Konzerne, Freihandel und Markt-liberalisierung. All das hat allerdings in vielen Länderndes Südens nicht zu mehr sozialer Entwicklung geführt,sondern – ganz im Gegenteil – zu mehr Armut, mehrHunger und mehr Umweltzerstörung. Da frage ich mich:Ist das Ihre Vorstellung von freien Gesellschaften?
Bezüglich Ihrer Werte, Herr Niebel, möchte ich aufIhre jüngst stark kritisierte Personalpolitik eingehen.Dabei geht es mir jetzt allerdings weniger um die Klien-telpolitik nach dem FDP-Parteibuch. Die Einstellungnach Parteibuch haben Rot-Grün und Schwarz-Rotschließlich genauso betrieben. Mir geht es vielmehr umdie inhaltliche Ausrichtung einiger Personalentscheidun-gen. Konkret betrifft das Ihre neuen Abteilungsleiter imMinisterium. Als Erstes möchte ich Herrn Harald Kleinnennen,
der lange Zeit bei der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung gearbeitet hat. Dieser hat im letzten Jahr denPutsch gegen den demokratisch gewählten PräsidentenZelaya gerechtfertigt und die damit einhergehendenMenschenrechtsverletzungen mehr als verharmlost.Soviel zu Ihren Wertevorstellungen von Demokratie,Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten.Ich halte es ebenfalls für einen Skandal, dass HaraldKlein jetzt Ansprechpartner für internationale Beziehun-gen und für Menschenrechtsfragen ist. Vor zehn Tagenhaben wir Menschenrechtsaktivisten aus Honduras nachBerlin eingeladen. Sie haben sich auch mit dem BMZgetroffen und im Ministerium ebendiesem Harald Kleinüber aktuelle politische Morde, Folterungen und Verhaf-tungen berichtet. Diese Aktivisten sind ein enormesRisiko eingegangen, indem sie hierher gekommen sindund davon berichtet haben. Trotzdem wurden sie abervon einem Mitarbeiter der Friedrich-Naumann-Stiftungnamentlich in einer Zeitung in Honduras genannt unddenunziert, sie würden die jetzige sogenannte gewählteRegierung schlechtmachen. Das ist eine konkrete Ge-fährdung von Menschenrechtsaktivisten. Herr Niebel,ich möchte von Ihnen die Auskunft bekommen, ob kon-krete Informationen aus dem Ministerium von HaraldKlein an die Friedrich-Naumann-Stiftung in Hondurasweitergeleitet wurden.
Sollte diesen beiden mutigen Menschenrechtsaktivistenetwas zustoßen, werde ich auch die FDP dafür verant-wortlich machen.
Ich möchte noch eine zweite Personalie ansprechen.Diese betrifft ebenfalls einen Abteilungsleiter, und zwarden ehemaligen Oberst Herrn Eggelmeyer.
Ich frage mich, was ein Oberst im Ministerium fürEntwicklungszusammenarbeit verloren hat. In meinenAugen hat er dort gar nichts verloren. Das führt zu einerstrukturellen Militarisierung der Entwicklungszusam-menarbeit. Sie wollen die zivil-militärische Zusam-menarbeit ausbauen, Herr Niebel. Dazu kann ich Ihnennur sagen: Es gibt immer mehr Hilfsorganisationen, diedas kritisieren. Ich möchte aus der heutigen Pressemit-teilung der Organisation Ärzte ohne Grenzen zitieren, inder steht:Die internationale humanitäre HilfsorganisationÄRZTE OHNE GRENZEN weist die Äußerung desNATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussenaufs Schärfste zurück, wonach Nichtregierungsor-ganisationen die weiche Komponente militärischerStrategien darstellen sollten … Äußerungen wiediese kreieren ein zusätzliches Risiko für unsere Pa-tienten und unsere Mitarbeiter …
Wir schließen uns dieser Kritik vorbehaltlos an undlehnen eine zivil-militärische Zusammenarbeit ab. Wirsehen, dass Sie, Herr Niebel, das Entwicklungsministe-rium für die systematische Begleitung der wirtschaftli-chen und militärischen deutschen Expansion umbauenwollen. Sie können mit unserem massiven Widerstandrechnen.
Volkmar Klein hat das Wort für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Als Allererstes möchte ich betonen, dass dieWortwahl und der Inhalt dessen, was wir gerade gehörthaben, einem Parlament nicht angemessen sind. Es isteine Schande, so mit dem Minister und dem Ministeriumumzugehen.
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2810 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Volkmar Klein
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Wenn ich gewusst hätte, was Frau Kofler eben sagenwollte, dann hätte ich sie vielleicht eingeladen, diePlenardebatte gestern aufmerksam zu verfolgen. Da wa-ren nämlich von der Opposition ganz andere Töne zu hö-ren. Die Opposition hat über die massive Neuverschul-dung geschimpft. Der Kollege Bonde hat sogar vonblinder Schuldenmacherei gesprochen.Deswegen hatte ich ein flaues Gefühl, heute Abendausgerechnet den Einzelplan 23 zu vertreten, dessenMittel im Rahmen der Haushaltsplanberatungen sogarnoch deutlich erhöht werden konnten und der somit mit-ten im Zentrum der beißenden Kritik des gestrigen Tagessteht.
Aber wir stehen dazu. Der Haushalt mit einer Neuver-schuldung von 80,2 Milliarden Euro ist leider alternativ-los. Wir haben die Ausgaben gegenüber dem Entwurfdeutlich gekürzt, aber trotz aller Kritik an der Neuver-schuldung sind weitere Einsparungen nicht möglich.Sonst würden wir die wirtschaftliche Entwicklung wie-der abwürgen. Deswegen ist dieser Haushalt die richtigeAntwort auf die aktuellen Probleme.
Die im Einzelplan 23 – Bundesministerium für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – vorge-sehene Ausgabensteigerung ist trotz des generell von unsgemeinsam so empfundenen Sparzwanges die richtigeAntwort auf die aktuellen Fragen im Sinne der Zukunftunseres Landes. Wir werden mit diesem Haushalt unse-rer internationalen Verantwortung gerecht.
Erstens – das scheint mir entscheidend zu sein – tun wiretwas. Wir geben viel Geld aus, und zwar mehr Geld, alsursprünglich von der Regierung geplant, weil dies auchethisch geboten ist.
Es ist ein Gebot christlicher Nächstenliebe, sich für an-dere Menschen einzusetzen. Unsere Verantwortung en-det nicht an den Grenzen.Zweitens finde ich es ausgesprochen schön, dass inunserem Land sehr viele Menschen genau das zu ihrempersönlichen Anliegen machen und sich in Kirchen, Ini-tiativen und Verbänden für Menschen in der Dritten Weltengagieren. Ihnen möchte ich an dieser Stelle ganz herz-lich für ihr vorbildliches Engagement danken, auf daswir stolz sein können.
Auch als Bundesrepublik Deutschland ist es richtig,sich massiv – stärker, als ursprünglich von der Regie-rung geplant – einzubringen, weil auch dies im deut-schen Interesse ist. Hilfestellungen, aus der Armut he-rauszukommen, schaffen in den betreffenden LändernStabilität, von der auch wir am Ende etwas haben. Dasreduziert Migrationsdruck und Sicherheitsprobleme.Deswegen ist es richtig, dass wir jetzt einen Haushaltbeschließen wollen und auch werden, der mit fast6,1 Milliarden Euro so groß ist wie noch nie. Er weist256 Millionen Euro mehr auf als im Haushalt 2009. Dasist vor allem auch deutlich mehr, als ursprünglich im Re-gierungsentwurf geplant war.Ich will noch einmal die Relationen in Erinnerungrufen. Wir haben aus guten Gründen im Gesamthaushalt5,9 Milliarden Euro gespart und Ausgaben gekürzt. Daswerden wir jetzt beschließen.
Wir haben trotz dieser Kürzung um 5,9 Milliarden Euroinsgesamt einen Aufwuchs um 189 Millionen Euro imEinzelplan 23.
Ich will eine weitere Zahl, die dem einen oder ande-ren mit Sicherheit auch nicht gefallen wird, in Erinne-rung rufen. Es gab schon einmal einen Haushaltsentwurfder Bundesregierung für das Jahr 2010. Er stammt ausdem Sommer des letzten Jahres. Damals hieß die Minis-terin Wieczorek-Zeul. Im Vergleich zum Haushalt 2009– Frau Wieczorek-Zeul, das können Sie sicherlich bestä-tigen – war damals ebenfalls ein Aufwuchs geplant, undzwar in Höhe von etwas über 20 Millionen Euro. Dassah der Regierungsentwurf aus dem letzten Jahr vor.Nun haben wir einen Aufwuchs in Höhe von256 Millionen Euro. Das ist elfmal mehr als von der ehe-maligen Ministerin geplant. Deshalb habe ich überhauptkein Verständnis für den Protest der SPD.
Entschuldigung, Herr Kollege, möchten Sie eine Zwi-
schenfrage von Herrn Movassat zulassen?
Bitte schön.
Herr Willsch, Sie haben darauf verwiesen, dass wir ineiner Wirtschafts- und Finanzkrise sind und Haushalts-probleme haben.
– Entschuldigung, Herr Klein, mir lag die falsche Listevor.
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Niema Movassat
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Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Groß-britannien trotz Schuldenproblematik und Finanzkrisees geschafft hat, mit seinem aktuellen Haushalt das Zwi-schenziel von 0,56 Prozent zu übertreffen? Wie stehenSie dazu?
Lieber Herr Kollege, Ihre Desorientierung zeigt sich
schon daran, dass Sie mich nicht mit meinem Namen an-
gesprochen haben.
– Ich glaube, das ist als Antwort ausreichend; denn wir
reden hier über Deutschland. Ich habe gerade gesagt,
was eine Regierung damals vorgelegt hat – die ehemali-
gen Regierungsmitglieder sitzen nun ganz still und wer-
den sich wohl auch nicht zu Wort melden – und dass wir
einen elfmal höheren Aufwuchs beschließen.
Ich möchte unterstreichen – das mag dem einen oder
anderen als Petitesse erscheinen –, dass wir an der Sache
interessiert sind und mehr Geld für wichtige Projekte
ausgeben wollen – deswegen dieser erhebliche Auf-
wuchs –, während wir gleichzeitig im Vergleich zum
Entwurf der Regierung die Mittel für die Öffentlichkeits-
arbeit um 2 Prozent reduziert haben. Uns geht es um die
Sache und nicht um Schaufensterdekoration.
Herr Kollege, auch Herr Binding will Ihnen eine Zwi-
schenfrage stellen. Wollen Sie diese auch noch zulassen?
Ja, das ist ein vernünftiger Kollege.
Bitte.
Lieber Kollege Klein, du hast vorhin die SPD ange-
griffen und behauptet, wir hätten zuerst gesagt, keine
Neuverschuldung, und nun sähen wir das ganz anders;
das sei ein gewisser Widerspruch. Des Weiteren hast du
gesagt, der jetzigen Regierung und Koalition gehe es nur
um die Sache. Ein sehr umfänglicher Antrag der SPD-
Fraktion sieht Ausgaben in Höhe von 1,2 Milliarden
Euro für ganz wichtige Bereiche wie den Friedensdienst,
die Sozialstruktur, politische Stiftungen, das Welternäh-
rungsprogramm usw. vor. Nun kommt das Interessante:
Es ist uns gelungen, diesen Vorschlag seriös zu decken,
und zwar mit Mitteln aus nur zwei Titeln. Es besteht also
nicht die Notwendigkeit Schulden zu machen oder neue
Steuern einzuführen. Das eine ist § 1 des Außensteuer-
gesetzes; darüber haben wir lang geredet. Es geht hier
um die Funktionsverlagerung, die ökonomisch äußerst
problematische Folgen für die Steuereinnahmen in
Deutschland hat. Das andere ist – das ist ein bisschen un-
ser Dauerbrenner; es handelt sich um einen seriösen Vor-
schlag, weil die Mittel nur einmal verwendet werden,
und das noch nicht einmal vollständig – der Steuernach-
lass für Hotelkonzerne in einer Größenordnung von
500 Millionen Euro.
– Sie können ruhig Buch führen. Dieser Vorschlag ist se-
riös gedeckt. Weil Sie ihn immer abgelehnt haben, ist er
als Deckung noch vorhanden und seriös durchgerechnet.
Wir können Ihnen das jederzeit zur Verfügung stellen.
Weil Sie sehr ernsthaft gesagt haben, Ihnen gehe es
um die Sache, lautet meine Frage: Ist es Ihnen bei der
Priorisierung tatsächlich wichtiger, einem Hotelkonzern
Steuern zu erlassen, als die eben von mir vorgetragenen
Maßnahmen in der Entwicklungspolitik voranzubrin-
gen?
Lieber Kollege Binding, Sie können sich sicherlichnoch ganz genau an die umfangreichen Diskussionenüber das Wachstumsbeschleunigungsgesetz erinnern.Wie Sie wissen, ist das nur einer von vielen Punkten, derdazu beiträgt, die wirtschaftliche Belebung in unseremLand nach vorne zu bringen.Das, was wir in den letzten Monaten erlebt haben, un-terstreicht den Erfolg dieser Strategie. Insofern muss ichden Vorschlag, den wir im Haushaltsausschuss diskutierthaben, eher unter der Rubrik „Mut nach Kassenschluss“einsortieren. Es bleibt dabei, was ich eben gesagt habe:Im letzten Jahr, als die frühere Ministerin die Möglich-keit hatte, wurde nichts getan, aber jetzt werden großeForderungen erhoben. Das ist nicht glaubwürdig.
Jetzt möchte ich zu meinem Konzept zurückkommen.Ich will vier Punkte, die uns wichtig sind, nennen. Ers-tens. Für das Klima wird natürlich sehr viel getan. Ichmeine nicht nur die 35 Millionen Euro, die im Laufe derBeratungen zusätzlich hinzugekommen sind, sondernauch der bereits bestehende Titel „Entwicklungswichtigemultilaterale Hilfen zum weltweiten Umweltschutz, zurErhaltung der Biodiversität und zum Klimaschutz“ istnicht nur ein bisschen aufgestockt worden, sondern mitzusätzlichen 78 Millionen Euro mehr als verdoppeltworden. Darüber hinaus – das wissen wir doch alle – istin den TZ- und FZ-Titeln einiges für den Klimaschutzenthalten. So zu tun, als ob das Umweltministerium garkeine Rolle spielen würde, geht nun völlig an der Sachevorbei.Ich finde es wichtig – das ist der zweite Punkt –, dasswir mit 120 Millionen Euro zusätzlich für die Entwick-lungszusammenarbeit mit Afghanistan dokumentieren,dass es eben nicht unser Anliegen ist, militärisch für eineLösung in Afghanistan zu sorgen, sondern dass wir na-türlich wissen und auch untermauern, dass wir eine sichselbst tragende Sicherheit brauchen. Dafür sind derartigeProjekte der Kern. Deswegen ist es richtig, dort120 Millionen Euro zusätzlich neben allen anderen Ein-zelplänen hineinzupacken. Das haben wir mit einemseparaten Antrag getan und intensiv diskutiert.
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Volkmar Klein
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Drittens. Noch ein Satz zu Haiti. Es wird hier so ge-tan, als ob für Haiti kein Geld da wäre. Es gibt aber imHaushaltsplan den Haushaltstitel „Entwicklungsorien-tierte Not- und Übergangshilfe“. Der ist mit129 Millionen Euro ausgestattet und ganz anders als diemeisten anderen Titel im Einzelplan 23 nicht durch Ver-pflichtungsermächtigungen vorbelastet. Vielmehr ma-chen Verpflichtungsermächtigungen an diesen 129 Mil-lionen Euro im Haushaltsjahr 2010 nur 22,5 MillionenEuro aus. Der Rest ist natürlich für derartige Katastro-phen verfügbar. Das haben wir unterstrichen. Um trotz-dem Bedenken zu zerstreuen, ob das Geld am Endereicht, haben wir einseitige Verstärkungsvermerke durchFZ und TZ ausgebracht. Das wird sicher alle Zweifel,die bestehen könnten, beseitigen.Der vierte Punkt, der mir wichtig ist: Träger wie Kir-chen, Stiftungen, Genossenschaften und andere privateTräger stellen die Pluralität und den Reichtum unsererGesellschaft dar. Deswegen ist es richtig, diese Träger inder Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen. Diesewollen wir weiter fördern, und das haben wir durch er-höhte Verpflichtungsermächtigungen im Laufe derHaushaltsberatungen für diesen Bereich getan.Der Einzelplan 23 umfasst also 6,1 Milliarden Euro.Das ist der höchste Betrag, den es je gab. Ich denke, dasswir diesen hohen Betrag guten Gewissens vertreten kön-nen, trotz der berechtigten Kritik der Opposition an derGesamtverschuldung. Aber die Kritik – das hören wirjetzt – zielt nicht nur auf die Gesamtverschuldung unddie Neuverschuldung, sondern auch auf die angeblich zuniedrigen Ausgaben für diesen Etat. Das eine passt mitdem anderen nicht ganz zusammen. Wer auf der einenSeite Kritik an der Verschuldung übt, aber auf der ande-ren Seite die Ausgaben erhöhen will, befindet sich in ei-nem Widerspruch. Das sollte man normalerweise bereitsals Kind gelernt haben, das mit dem Taschengeld umzu-gehen hat. Dieses Versäumnis müsste nachgeholt wer-den. Sich über beides aufzuregen, hat mit Entwicklungs-politik nichts zu tun. Das ist eher Entrüstungspolitik.Wenn sich der eine oder andere als entrüstungspoliti-scher Sprecher seiner Fraktion hier bewerben will, dannkann er das tun.Ich habe den Eindruck, dass wir mit diesem Haus-haltsplan ein Dokument deutscher Zukunftsverantwor-tung vorgelegt haben. Das sollten wir nicht kritisieren,und darüber sollten wir nicht lamentieren. Wir solltendas eher feiern. Herr Minister Niebel macht gute Arbeit,und er verdient die breite Unterstützung eigentlich desgesamten Hauses.
Das Wort hat jetzt Priska Hinz für Bündnis 90/Die Grünen.Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Be-ginn der Haushaltsberatungen konnte man noch daraufhoffen, dass sich die Koalition auf die internationalenVerpflichtungen besinnt, die die Regierung eingegangenist. Wir hatten Hoffnung, dass sie sich an die Koalitions-vereinbarung hält und dass sie in dem Punkt, dass das0,7-Prozent-Ziel erreicht werden muss, kein Papiertigerbleibt. Natürlich hatten wir die Hoffnung, dass die Zusa-gen von Kopenhagen eingehalten werden. Jetzt, bei derVerabschiedung dieses Einzelplans, müssen wir feststel-len: Alle Zusagen sind gebrochen worden. Sie begehendamit einen Wortbruch, dass Sie das 0,51-Prozent-Zielschlicht und einfach nicht erreichen.
Schwarz-Gelb wird laut Ministerium von Herrn Niebelmit diesem Haushalt höchstens 0,40 Prozent des Brutto-inlandsprodukts für Entwicklungshilfe ausgeben. HerrKlein, wir sind damit im unteren Drittel der DAC-Län-der Europas –
vielleicht wussten Sie das eben nicht; wahrscheinlich ha-ben Sie deswegen die Frage nicht beantworten können –,und das, obwohl die anderen Länder von der Wirt-schaftskrise genauso betroffen sind wie Deutschland.
Deutschland ist immer noch ein finanz- und wirtschafts-starkes Land; deswegen ist das Verfehlen dieses Ziels einArmutszeugnis für diese Regierung.
Jetzt ist schon fast erklärt, warum sich Herr Niebel solangsam aus der Verantwortung stiehlt. Nur so ist dasGerede zu verstehen, der effiziente Mitteleinsatz seiwichtiger, als irgendeine Quote zu erreichen.
Wer oder was hindert Sie eigentlich daran, viel Geld indie Hand zu nehmen und dieses Geld effektiv und sinn-voll auszugeben?
Niemand, also wir jedenfalls nicht!
Im Gegenteil: Wir haben entsprechende Vorschläge ge-macht. Sie haben es geschafft, den Haushaltstitel „Be-obachtung und Überprüfung der deutschen entwick-lungspolitischen Zusammenarbeit“ um die Hälfte zukürzen. Sie wollen anscheinend gar nicht wissen, wie ef-fektiv Ihre Mittel eingesetzt werden. Das ist ein zweitesArmutszeugnis.
Hinter Ihren Ausflüchten steckt etwas anderes. Siewissen schon jetzt: Das 0,7-Prozent-Ziel können Sienicht erreichen. Deswegen muss man schon einmal an-
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Priska Hinz
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fangen, das Ganze schönzureden. Das ist das Problem.2015 – wahrscheinlich werden Sie dann nicht mehr re-gieren; wir arbeiten jedenfalls darauf hin – geht es nachdem Motto: Nach mir die Sintflut; die neue Regierungsoll doch sehen, wo sie bleibt. Herr Klein, das dient we-der den internationalen noch den deutschen Interessen –ich erinnere an die globalen Verpflichtungen, die wireingegangen sind und die Sie hier vorhin so schön zitierthaben –, im Gegenteil. Es hilft weder Deutschland nochder Welt insgesamt, wenn wir unsere Verpflichtungennicht einhalten und nicht global dafür sorgen, dass Ar-mut erfolgreich bekämpft wird, dass es mehr Sicherheitgibt und dass der Klimaschutz verbessert wird.
Zum zweiten Wortbruch. Bundeskanzlerin Merkel hatin Kopenhagen jährlich 420 Millionen Euro zugesagt.70 Millionen Euro sind in diesen Haushalt eingestellt;35 Millionen Euro entfallen auf den Haushalt des BMUund 35 Millionen Euro auf den Haushalt des BMZ. Na-türlich wurde erst einmal versucht, diese Mittel dadurchaufzubringen, dass man in einem anderen Topf streicht,dass man also einfach umschichtet. Daraufhin musste esim Haushaltsausschuss eine Krisensitzung geben,
weil wir Ihnen diese Peinlichkeit vor Augen geführt ha-ben, in die Frau Merkel und ihre Regierung kommen,wenn sie diese Zusage noch nicht einmal in Ansätzeneinhalten.In diesem Haushalt werden also 70 Millionen Eurobereitgestellt; aber das wird Ihnen nicht helfen. Auf deminternationalen Parkett ist Bundeskanzlerin Merkel mitihrer Koalition im Hinblick auf Glaubwürdigkeit undAnsehen gesunken, und das, wie ich finde, zu Recht.
Stichwort: Glaubwürdigkeit, Ansehen und Durch-setzungsfähigkeit des neuen Entwicklungshilfeminis-ters.
– Entwicklungsminister. Danke schön! –Zu Recht leidet Ihr Ansehen darunter, dass Ihre Parteidas Ressort abschaffen wollte.
– Das müssen Sie sich schon anhören! – Statt peinlichePersonalpolitik zu betreiben, müssten Sie, Herr Minister,da Sie ja unter besonderer kritischer Beobachtung ste-hen, jetzt sehr viel Elan dahin gehend entwickeln, das0,7-Prozent-Ziel on the long way zu erreichen,
und sich kräftig dafür einsetzen, dass ein entsprechen-der Aufwuchs bei diesem Haushalt in Höhe von über2 Milliarden Euro geschieht.Was machen Sie? Sie besitzen noch nicht einmalDurchsetzungsfähigkeit in Ihren eigenen Reihen. Ichglaube, das ist wahrscheinlich dieser langjährigen Forde-rung, das Entwicklungsministerium abzuschaffen, ge-schuldet. Weder ist Ihr Wunsch aufgenommen worden,einen eigenständigen Haushaltstitel für Haiti einzurich-ten,
noch ist Ihrem Wunsch entsprochen worden, die Unter-stützung für UN-Programme nicht zu kürzen. Hier gabes ja den ausdrücklichen Hinweis: Das gibt Probleme imHinblick auf einen eigenen Sitz im Sicherheitsrat. Siekönnen sich nicht durchsetzen, nicht einmal bei Ihren ei-genen Leuten. Wie soll das denn erst werden, wenn Siediese Aufgabe auf dem internationalen Parkett wahrneh-men sollen?
Ich sage Ihnen: So wird das nichts mit Ansehen undGlaubwürdigkeit im Amt und der Durchsetzung der Ent-wicklungsinteressen.Wenn Sie schon keine Steigerung der Barmittel errei-chen konnten, dann hätten Sie sich wenigstens um inno-vative Finanzierungsinstrumente kümmern sollen, wiewir sie unter anderem vorgeschlagen haben, und dannsollten Sie sich auch nicht gegen eine Finanztransak-tionsteuer aussprechen, wie unter anderem wir sie zurFinanzierung von Entwicklungszusammenarbeit einfüh-ren wollen.
Herr Klein, uns können Sie nicht vorwerfen, dass wirnur vom Sparen reden, aber in Wirklichkeit mehr ausge-ben wollten. Wenn man unsere Vorschläge verwirklichenwürde, bliebe man 7 Milliarden Euro unter dem Neuver-schuldungsbetrag, mit dem die Regierung plant und dendie Koalitionsfraktionen beschließen wollen. Zugleichhaben wir Vorschläge gemacht, wie wir 2,2 MilliardenEuro in Form von Barmitteln und zinsvergünstigten Kre-diten für die Entwicklungszusammenarbeit auf den Wegbringen können.
Das ist der richtige Weg; denn so könnten wir das 0,51-Prozent-Ziel in diesem Jahr tatsächlich erreichen.
Ich möchte noch auf einen Punkt zu sprechen kom-men: In den ganzen Diskussionen um den Haushalt desBMZ, bei denen Sie ja immer von einem angeblich soriesengroßen Aufwuchs sprechen,
wurde überhaupt nicht bemerkt, dass Sie die Verpflich-tungsermächtigungen um 10 Prozent kürzen. Das
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Priska Hinz
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heißt, Verpflichtungen in Höhe von 400 Millionen Eurokönnen nicht rechtlich bindend eingegangen werden.Diese Kürzung ist insgesamt größer als der Aufwuchs inHöhe von 189 Millionen Euro, den Sie hier immer sopreisen. Deswegen ist festzuhalten: Es handelt sich ein-mal mehr nicht um ein Nullsummenspiel, sondern um ei-nen Rückgang der Mittel für die Entwicklungszusam-menarbeit. Das sollten Sie sich hinter die Ohrenschreiben. Das ist ein Armutszeugnis für diese Koalition.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie ha-ben einen Haushalt mit Rekordverschuldung vorgelegt.Sie schaffen es aber nicht, zwei zentrale internationaleZusagen Deutschlands einzuhalten. Das ist bitter für dieEntwicklungsländer, bitter für den Klimaschutz, bitterfür das Ansehen und das Gewicht Deutschlands auf derinternationalen Bühne. Meine Damen und Herren vonSchwarz-Gelb, Sie können es einfach nicht!Danke schön.
Der Kollege Dr. Christian Ruck hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Ich beginne mit dem, was uns alle eint: Für unsalle ist Entwicklungspolitik ein zentrales Element für dieZukunftssicherung auf unserem Planeten. Deswegen istunser Entwicklungshaushalt auch ein Kernelement fürDeutschlands globale Verantwortung in der Welt. Wennman so will, ist der Entwicklungshaushalt das Aushän-geschild dafür, wie unser Land Solidarität und Verant-wortung in der Welt ausübt. Diese globale Verantwor-tung besteht zum Beispiel in der Prävention von Krisen,in der Prävention von Migration, in der Bekämpfung vonArmut und Unterdrückung und in der Sicherung des bio-logischen und kulturellen Erbes der Welt.Ich möchte zu den Zahlenspielereien eines ganz klarsagen: Wir sind inzwischen der zweitgrößte Geber vonEntwicklungshilfe in der ganzen Welt. Das ist eine Leis-tung, die wir von niemandem kleinreden lassen werden.
Als zweitgrößter Geber tragen wir öffentlich Verantwor-tung und sind öffentlich der Solidarität verpflichtet. Daswird auch in den kommenden Jahren so bleiben.Wir müssen allerdings auch immer wieder betonen:Entwicklungspolitik ist nicht nur im Interesse unsererPartner, sondern auch im vitalen deutschen Interesse,und zwar nicht nur aus Sicherheitsgründen. Vielmehr istder BMZ-Haushalt der zweitgrößte Investitionshaushaltder Bundesrepublik Deutschland und sichert mehrereHunderttausend Arbeitsplätze in unserem eigenen Land.Deswegen ist der Haushalt des BMZ auch ein wichtigesInstrument bei der Bekämpfung der derzeitigen globalenKrise, und zwar sowohl in Deutschland als auch interna-tional.Zur Kritik der Opposition möchte ich eines sagen– ich sage das immer wieder mit Freude und auch im In-teresse unseres ehemaligen Koalitionspartners, der sichnicht immer von seinen eigenen Erfolgen distanzierensollte –: Unter Bundeskanzlerin Angela Merkel ist derEntwicklungshaushalt in den letzten vier Jahren um50 Prozent angewachsen, und die Ausgaben für Klima-schutz, Hungerbekämpfung und die Bewahrung derSchöpfung sind stets gestiegen.
Eine Steigerung um 50 Prozent hat nie ein anderer Haus-halt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschlandgeschafft. Deswegen, Frau Wieczorek-Zeul, habe ich Ih-nen immer unterstellt, dass Sie sehr froh waren – zuRecht –, als Bundeskanzler Schröder endlich durch Bun-deskanzlerin Angela Merkel ersetzt worden ist.
Die christlich-liberale Koalition hat dafür gesorgt,dass – das ist schon angesprochen worden – 2010 einEntwurf des Haushalts vorgelegt wurde, der eine Steige-rung von 256 Millionen Euro gegenüber dem Haushalt2009 aufweist. Ich verstehe eines nicht, Frau Kofler: Siemüssen doch, wenn Sie mit den Zahlen spielen, erken-nen, wie groß der Aufwuchs gegenüber dem letzten Ent-wurf unserer gemeinsamen Regierung war. Unser letztergemeinsamer Haushalt hat einen Aufwuchs von genau23 Millionen Euro vorgesehen. Jetzt ist die Steigerungelfmal so hoch. Deswegen fassen Sie sich am besten anIhre eigene Nase. Wir sind jedenfalls ohne Sie um dasElffache weitergekommen, als wir es mit Ihnen wären.
– Herr Binding, ich bin Ihrer Meinung: Wir sollten seriösbleiben. Ich gehe davon aus, dass wir auf diese 23 Mil-lionen Euro noch etwas draufgesattelt hätten. Aber trotz-dem verwahre ich mich gegen die ungerechtfertigte Kri-tik, dass wir in dieser schwierigen Lage überhaupt nichtsgeleistet hätten. Ich verwahre mich auch gegen die Be-hauptung, dass der letzte Haushalt so toll gewesen wäre.Ich glaube, unsere Haushälter und unsere Arbeitsgrup-pen haben hier ganze Arbeit geleistet. Das ist ein guterStart für die neue Koalition.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2815
Dr. Christian Ruck
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Eines muss man doch auch einmal sagen: Erst mitdem Amtsantritt der Kanzlerin haben die vitalen Zu-kunftsfragen der Menschheit, nämlich Klima, Umweltund Entwicklungspolitik, auch international wieder dennötigen Rückenwind bekommen, Frau Koczy. Jedersieht doch, wie riskant zum Beispiel Ankündigungen voroder nach Kopenhagen sind. Ebenso sieht jeder, dass essehr riskant ist, auf internationalem Parkett mit einer sol-chen Vorlage aufzutreten, wie es die Kanzlerin und dieseBundesregierung getan haben. Wenn man aber nicht al-les erfüllt, dann schreit die Opposition sofort, dass manhinter den Erwartungen zurückgeblieben ist.
Deshalb frage ich Sie: Welche Erwartungen hatten Siefrüher? Was Sie von den Grünen damals im BMZ zurZeit der rot-grünen Regierung gemacht haben, war allesandere als grüne Politik. Sie haben vielmehr eine mick-rige Leistung abgeliefert.
Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ichmöchte auf Ihren Fraktionsvorsitzenden Steinmeier zu-rückkommen. Zwar will ich seine Rede nicht in Gänzekommentieren, aber ich finde, dass er an einer Stelle et-was sehr Wichtiges gesagt hat. Er hat nämlich gesagt,dass auch die Sozialdemokraten nicht so tun, als befän-den wir uns nicht in der schwersten Krise seit Bestehender Bundesrepublik Deutschland.
Ich sage ganz ehrlich, dass es überhaupt nichts schönzu-reden gibt. Wir werden Schwierigkeiten haben, in dennächsten Jahren unsere selbst gesteckten Ziele zu errei-chen, weil uns die Krise unsere eigenen Pläne ziemlichverhagelt hat.
Ich sage an dieser Stelle aber auch: Wir werden diesePläne nicht aufgeben. Sie stehen im Koalitionsvertrag.Wir werden versuchen, durch mehr Fantasie die notwen-digen Mittel aufzubringen. Das ist weiterhin unser Zielfür 2015.Ich möchte noch ein paar strukturelle Dinge zur Dis-kussion stellen. Es war uns ein großes Anliegen, dass wirin diesem Haushalt neue Akzente bzw. Akzente – dassage ich an die Adresse unseres ehemaligen Koalitions-partners –, die wir uns damals gemeinsam vorgenommenhatten, setzen. Ich verstehe die diesbezüglich geäußerteKritik nicht. Ich halte es nicht für besonders gelungen,dass man nach vier Jahren guter Zusammenarbeit inner-halb von drei Monaten alles vergisst, was man einmalgemeinsam machen wollte.Im Haushalt der neuen Koalition ist eine neue Ent-wicklungsoffensive zu Afghanistan gestartet worden.Wir haben die Mittel für die ländliche Entwicklung deut-lich erhöht. Wir haben die Mittel für Bildung und Aus-bildung und für die nachhaltige Wirtschaftsentwicklungebenfalls deutlich erhöht. Wir unterstützen mehr denn jedie Arbeit der Nichtregierungsorganisationen, der Kir-chen und Stiftungen. Vor allem fördern wir – diesesThema liegt mir sehr am Herzen – die Biodiversität undden Klimaschutz.Für die ländliche Entwicklung haben wir 500 Millio-nen Euro veranschlagt. Bei der Bildung als Schlüssel zurSelbstbestimmung wurden die Mittel auf 200 MillionenEuro fast verdoppelt. Bei der nachhaltigen Wirtschafts-entwicklung ist es ganz wichtig – auch das war einmalein gemeinsames Anliegen –, dass wir den Aufbau desprivaten Sektors und des Mittelstandes tatkräftig unter-stützen. Das kann zum Beispiel durch Mikrofinanzierun-gen, aber auch durch umfangreiche Infrastrukturmaß-nahmen, die für den Aufbau der Privatwirtschaftgenauso wichtig sind, geschehen.Hinsichtlich des Umwelt- und Ressourcenschutzesgibt es ja die tollsten Kapriolen. Als damals die Grünendie Regierungsverantwortung verloren hatten und wir indie Regierung eingetreten sind, waren gerade einmal25 Millionen Euro für die Erhaltung der Schöpfung, alsofür die Biodiversität, im Haushalt eingestellt. FrauWieczorek-Zeul, ich weiß das deswegen noch so genau,weil wir uns damals gefragt haben, was wir mit diesemPlafond bewirken können. Jetzt wird in diesem Haushaltmehr als das Zehnfache dafür eingestellt.
Ich möchte Sie daher fragen: Was haben Sie während Ih-rer Regierungszeit in diesem Bereich zustande gebracht?
Wir haben für Umwelt- und Ressourcenschutz fast1 Milliarde Euro im BMZ-Haushalt eingestellt. Wir ha-ben zum Beispiel auch die Mittel, die wir für die GlobalEnvironmental Facility bereitstellen, um fast 100 Pro-zent erhöht, Frau Koczy. Es macht nichts, wenn Sie daseine oder andere nicht mitbekommen haben. Darum sageich es hier. Aber ich bitte darum, dass Sie das entspre-chend würdigen.Anhand dieser Zahlen sieht man: Wir halten unserWort in Bezug auf die Fast-Start-Initiative, die in Kopen-hagen verabredet worden ist. Es sind genau 350 Mil-lionen Euro dafür eingestellt, die schon veranschlagtworden waren. Obendrauf kommen noch einmal 70 Mil-lionen Euro.Lassen Sie mich noch etwas zu einem sehr aktuellenThema sagen, nämlich zu Haiti. Man kann sicher da-rüber diskutieren, ob man hier oder da noch mehr hättemachen können. Aber die entscheidende Frage ist docheine andere: Es gibt Situationen, in denen mehr Hilfekeinen Sinn hat. Wir müssen vielmehr längerfristigerdenken.
– Genau. – Wir müssen uns fragen, warum Haiti in ei-nem so katastrophalen Zustand war, dass es mit dieser
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2816 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Dr. Christian Ruck
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Krise überhaupt nicht zurechtgekommen ist. Das führtmich wieder zu einer Steigerung, und zwar der Steige-rung der Mittel zum Beispiel für Stiftungen und Kirchenum 63 Millionen Euro. Wir müssen uns im Zusammen-hang mit den entwicklungspolitischen Mitteln auch mitfragilen Staaten, mit Staaten, die am Rande des Zusam-menbruchs stehen und weiße Flecken der Ordnung aufdiesem Planeten sind, stärker auseinandersetzen. Das istvor allem eine Aufgabe für die Stiftungen und die Kir-chen, die auch in einem Terrain arbeiten können, in demdie bilaterale Zusammenarbeit nicht funktionieren kann,weil es keinen demokratisch legitimierten Ansprechpart-ner gibt. Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, daeinige entscheidende Weichen zu stellen.Wir werden die Entwicklungspolitik auch in dennächsten Jahren sowohl qualitativ als auch quantitativvoranbringen. Wir werden das Schritt für Schritt und mitFantasie tun. Nur so werden wir die globalen Herausfor-derungen meistern können.Vielen Dank.
Der Kollege Dr. Sascha Raabe hat das Wort für die
Fraktion der SPD.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Lieber Herr Ruck, lieber Herr Klein, Sieversuchen hier, den kümmerlichen Aufwuchs diesesHaushaltes
mit einem vermeintlichen Entwurf aus dem letzten Jahrzu vergleichen, der nie in das Parlament – dann könnenwir das Parlament auch auflösen – eingebracht wordenist. Man kann aber nur das vergleichen, was vergleichbarist. Das war ein überrollter Haushalt, der vor der Bun-destagswahl nicht mehr in das Parlament eingebrachtwurde.Fakt ist, dass wir in den letzten beiden Jahren einenAufwuchs von über 14 Prozent hatten. Jetzt kommen Siemit nur knapp 4 Prozent daher und wollen kaschieren,dass der Entwicklungsminister und die Kanzlerin einVersprechen bzw. eine Zusage an die ärmsten Menschendieser Welt nicht eingehalten haben. Das werden wirnicht durchgehen lassen. Dieser Haushalt ist und bleibteine Schande für Deutschlands Ansehen in der Welt undein Schlag ins Gesicht der Ärmsten der Armen.
Ich kritisiere jetzt bewusst die Kanzlerin. Von Ihnen,Herr Entwicklungsminister – das habe ich schon bei derEinbringung des Haushalts gesagt –, bin ich nicht ent-täuscht; denn von Ihnen habe ich nichts anderes erwar-tet. Sie wollten das Ministerium abschaffen. Sie habennoch vor einem Jahr gesagt, Entwicklungshilfe fürAfrika sei verpulvertes Steuergeld, dafür solle man lie-ber deutsche Lehrer einstellen. Von Ihnen habe ich garnicht erwartet, dass Sie für einen großen Etat kämpfen.Aber dass sich die Bundeskanzlerin, die sich bei je-dem Kirchentag und bei jedem internationalen Auftrittmit Künstlern wie Bono immer wieder hat feiern lassenund gesagt hat, sie stehe zu dem Ziel der ODA-Quotevon 0,51 Prozent im Jahre 2010, jetzt klammheimlichaus der Verantwortung davongestohlen hat, ist unerhört.Sie hat schon in Kopenhagen in Bezug auf den Klima-schutz Ankündigungen gemacht, die sie nicht hält, undjetzt geschieht das Gleiche bei der Entwicklungszusam-menarbeit. Das ist Kontinuität in der Lüge. WennPinocchio eine Schwester hätte, dann würde sie Angelaheißen.
Wenn wir wollen, dass die Entwicklungsländer unsbeim Klimaschutz und bei internationalen Verhandlun-gen vertrauen, dann müssen wir ihnen die Mittel zur Ver-fügung stellen, die wir ihnen zum Teil schon seit den70er-Jahren versprochen haben. Nichts davon ist zu se-hen. Was 2015 angesichts dessen, dass der Entwick-lungsminister die Finanztransaktionsteuer ablehnt,
geschehen soll, ist mir schleierhaft.Herr Minister Niebel, jetzt komme ich zu Ihnen. Wirwaren letzte Woche gemeinsam auf Dienstreise in Viet-nam und Kambodscha. Vielleicht sagen Sie im An-schluss in Ihrer Rede auch noch etwas dazu. Ich willaber schon einmal den ersten Teil des Reiseberichts lie-fern. Der Fairness halber ist zu sagen: Die Länder unddie Programmpunkte waren gut ausgewählt. Wir habenuns vom zivilen Friedensdienst über die Förderung derländlichen Entwicklung, eine nachhaltige Wirtschafts-entwicklung und die Gesundheit bis hin zu den Frauen-rechten vieles angeschaut; das alles war in Ordnung.Auch die Gespräche mit den politischen Entscheidungs-trägern von Regierung und Parlament waren gut. Sie ha-ben in Ihren einleitenden Sätzen durchaus die richtigenWorte gewählt. Sie haben immer darauf hingewiesen,dass gute Regierungsführung in den Partnerländernwichtig ist, und das unterstütze ich. Die Themen Men-schenrechte, Demokratie, Rechtstaatlichkeit und derKampf gegen die Korruption haben wir zu Recht ge-meinsam angesprochen; denn die Mittel aus der Ent-wicklungszusammenarbeit sollen bei den Ärmsten an-kommen und nicht in den Taschen der Regierenden undEliten landen.Sie haben ausgeführt, dass Sie das in Kambodschanoch prominenter als in Vietnam angesprochen haben,weil sich Kambodscha als Demokratie versteht. Sie be-gründen das damit, dass Kambodscha einen höherenAnspruch als Vietnam habe, das sowieso nur ein Einpar-teiensystem habe und in dem keine freien Wahlen statt-finden würden. Man kann dieser Logik folgen. Wennman ihr aber folgt, dann muss man auch berücksichtigen,dass es in Kambodscha nach dem Terror der RotenKhmer und der Besetzung durch Vietnam erst seit 1993freie Wahlen gibt. Es ist eine sehr junge Demokratie, diesich erst in der 4. Legislaturperiode befindet. Wir habenzu Recht trotzdem gemahnt und den Finger gehoben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2817
Dr. Sascha Raabe
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Allerdings frage ich mich, was passiert, wenn unsereGesprächspartner, die wir zu einem Gegenbesuch einge-laden haben, nach Deutschland kommen und zu Rechtdie Erwartungshaltung haben, dass ein demokratischerStaat wie die Bundesrepublik Deutschland, die seit 1949besteht und sich in der 17. Legislaturperiode befindet,eine lupenreine Demokratie mit guter Regierungsfüh-rung sein müsste. Herr Niebel, Sie werden mir zustim-men, dass in Deutschland, in einem etablierten, jahr-zehntelang währenden demokratischen Staat und einerreichen Nation, die sich einen öffentlichen Dienst etc.leisten kann, ein höherer Maßstab als in Kambodschaangelegt werden muss. Wenn das aber so ist, wie soll ichdann meinem kambodschanischen Parlamentskollegenerklären, warum unser Entwicklungsminister Niebel inseinem Ministerium fast alle wichtigen Leitungsfunktio-nen mit Parteifreunden besetzt hat und sogar extra eineneue Abteilung zur Versorgung von FDP-Parteifunktio-nären geschaffen hat?
Was soll ich meinem kambodschanischen Parlaments-kollegen erklären, wenn er mich fragt, welche Einflüssein Deutschland von außen auf die Gesetzgebung möglichsind und wie sich die Parteien finanzieren?
Wie soll ich ihm erklären, dass die RegierungsparteiFDP 1,1 Millionen Euro von der Hotellobby gespendetbekommen hat – die höchste Spende ihrer Geschichte –und CDU und CSU zusammen 800 000 Euro bekommenhaben und sie danach ein Gesetz auf den Weg gebrachthaben, mit dem den Hotellobbyisten über 1 MilliardeEuro geschenkt wurde? Ich kann es nicht erklären.
Ich kann dies vor allen Dingen nicht mit guter Regie-rungsführung erklären. In jedem anderen Land der Weltwürde man ein solches Vorgehen in die Nähe von Kor-ruption rücken.Wenn mich mein kambodschanischer Kollege fragt,was man denn in Deutschland tun muss, um als Unter-nehmer einem Ministerpräsidenten ein wichtiges Anlie-gen vorzutragen, dann kann ich ihm sagen: Du hast zweiMöglichkeiten. Du kannst entweder beim Büro des Mi-nisters um einen Termin bitten. Vielleicht hast du Glückund kannst einen Staatssekretär sprechen. Wenn du ganzviel Glück hast, kannst du nach vielen Monaten auch denMinisterpräsidenten sprechen. Oder du zahlst 6 000 Euroan die Parteikasse der CDU, dann bekommst du spätes-tens beim nächsten Parteitag ganz sicher die Möglichkeitzu einem Gespräch mit dem Ministerpräsidenten.
Ich möchte nicht missverstanden werden: Natürlichsind die Zustände in Kambodscha mit denen in Deutsch-land nicht vergleichbar.
Herr Raabe.
Aber wir müssen einen höheren Maßstab an uns anle-
gen. Wenn wir gegenüber unseren Partnerländern glaub-
würdig sein wollen und dort eine gute Regierungsfüh-
rung einfordern, –
Herr Raabe!
– dann müssen wir vor unserer eigenen Haustür kehren.
Mein letzter Satz konkret zum Haushalt. Wir befinden
über den Personalplan und die Finanzierung der Stellen
im Ministerium.
Herr Raabe, wenn Sie noch innerhalb Ihrer Redezeit
gewesen wären, dann hätte ich Sie gefragt, ob Sie eine
Zwischenfrage zulassen wollen. Sie sind aber so weit au-
ßerhalb Ihrer Redezeit, dass ich das nicht mehr fragen
kann. Ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.
Ich komme zum Ende. – Damit kein falscher Ein-
druck entsteht: Ich würde gerne den Mitteln für den Per-
sonaletat des Ministeriums zustimmen, weil es dort viele
gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt. Aber was die
unzähligen Versorgungsposten für Parteifreunde auf Lei-
tungsebene angeht, sage ich: Wir machen da nicht mit.
Der Fisch stinkt vom Kopf her. Schon allein deshalb
werden wir dem Haushalt nicht zustimmen. In diesem
Sinne können Sie auf unsere Ablehnung zählen.
Ich würde mir wünschen, Herr Minister, dass wir in
Deutschland dafür sorgen, dass gute Voraussetzungen
bezüglich unserer Glaubwürdigkeit herrschen, bevor wir
das nächste Mal zusammen ins Ausland reisen. Wir in
Deutschland müssen mit gutem Beispiel vorangehen und
für eine saubere Trennung von Partei- und Regierungs-
ämtern sorgen.
Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention Barbara Hendricks.
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Herr Kollege, Sie haben darüber gesprochen, wie man
an Termine für ein Gespräch mit einem Ministerpräsi-
denten kommt. Ich darf Sie kurz darauf aufmerksam ma-
chen, dass zum Beispiel der Ministerpräsident des Lan-
des Rheinland-Pfalz, Herr Kurt Beck, alle vier Wochen
eine Bürgersprechstunde abhält, zu der jeder hinkommen
kann.
Frau Kollegin, nur ganz kurz: Sie wissen natürlich,
dass ich den Ministerpräsidenten von Nordrhein-West-
falen, Herrn Rüttgers, gemeint habe. Als Sozialdemokrat
kann ich sagen, dass wir da ein anderes Verständnis ha-
ben. Ich war einmal Bürgermeister, und auch ich habe
eine offene Sprechstunde angeboten. Ich glaube, das ist
der richtige Weg. Ich werde meinem kambodschani-
schen Parlamentskollegen sagen, dass wir Politiker auch
ohne Parteispenden gerne für Gespräche mit Bürgern,
mit Menschenrechtlern und selbstverständlich auch mit
Unternehmern zur Verfügung stehen.
Das Wort hat der Bundesminister Dirk Niebel.
Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung:Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Zuallererst möchte ich den Kolleginnen undKollegen des Haushaltsausschusses, insbesondere FrauHinz, Herrn Klein, Herrn Binding, Herrn Koppelin undnicht zuletzt Herrn Bartsch, danken für die kooperativeZusammenarbeit und für das Verständnis, das dafürsorgte, dass es in der Bereinigungssitzung insbesonderezu früher Morgenstunde noch bestimmte, wichtige Ent-scheidungen gegeben hat. Allerdings würde ich mirwünschen, dass die Erinnerung an die Zeit in politischenJugendorganisationen, wo die wichtigsten Entscheidun-gen auch immer erst morgens getroffen wurden, in Zu-kunft aus dem Haushaltsausschuss verbannt wird. Wirkönnten eigentlich schon drei Stunden früher fertig wer-den, wenn ich das so ehrlich sagen darf.
Nichtsdestotrotz waren die letzten Entscheidungendie besten. Ich bin sehr dankbar dafür, dass sich in die-sem Haushalt ein Politikwechsel in der Entwicklungs-politik widerspiegelt. Es ist der ausdrückliche Anspruchdieser neuen Bundesregierung, Dinge anders zu machen.Wir setzen andere Schwerpunkte. Dies können Sie indiesem Haushalt erkennen.Wir setzen ganz bewusst auf eine Stärkung derZivilgesellschaft. Wir stärken die Kirchen, die Nicht-regierungsorganisationen und – das sage ich ganz aus-drücklich – alle politischen Stiftungen, weil wir der fes-ten Überzeugung sind, dass in vielen Ländern, in denenman aus guten Gründen vielleicht nicht auf bilateralerEbene arbeiten sollte, die politischen Stiftungen, die Kir-chen, aber auch NGOs Zugänge haben und Strukturenschaffen können, die in der Zeit nach einer Diktatur viel-leicht dazu beitragen können, dass sich die Gesellschaftweiterentwickeln kann. Auch das ist ein Grund, warumgerade hier ein Aufwuchs stattfinden soll. Dieses Instru-ment sollte man intensiver nutzen.
Diese Bundesregierung stärkt ausdrücklich auch dieZusammenarbeit mit der mittelständischen deutschenWirtschaft, in diesem Fall mit zusätzlich 10 MillionenEuro.
– Sie können gerne Zwischenfragen stellen, insbeson-dere zum Personal. Ich habe die Lebensläufe der Mit-arbeiter dabei, die Sie hier so schändlich angegriffen ha-ben, ohne dass sie sich verteidigen konnten, meine liebeFrau Kollegin.
Wir setzen ausdrücklich auch auf das Engagement derdeutschen Wirtschaft, weil es unser Ziel ist, unsere Part-nerländer dahin gehend zu entwickeln, dass sie im Ideal-fall nicht mehr auf unsere Hilfe angewiesen sind. Dasheißt, wir verlagern den Schwerpunkt in Richtung derFörderung des Wirtschaftswachstums in unseren Part-nerländern, damit sich dort eine eigenständige Wirt-schaft entwickeln kann. Die Chance auf ein eigenesEinkommen ist ein wesentlich besserer Beitrag zur Ar-mutsbekämpfung als jede noch so gut gemeinte Hilfe-leistung durch das Verteilen von irgendwelchen Wohl-taten.
Wir wollen, dass unsere Entwicklungspolitik weltweitsichtbarer wird, nicht nur, weil wir glauben, dass unsereBürgerinnen und Bürger, die unser Engagement durchSteuern zu finanzieren haben, einen Anspruch darauf ha-ben, dass man unser Engagement nachvollziehen kann,sondern auch, weil wir wissen, dass wir durch Wirksam-keit und Sichtbarkeit immer wieder die Zustimmung derMenschen in unserem Land gewinnen müssen, damit wirviel Geld in die Entwicklungszusammenarbeit investie-ren können. Nicht jeder erkennt sofort, dass vieles auchim deutschen Interesse ist.Ich wundere mich über manche Diskussionsbeiträge,die hier geboten wurden, insbesondere von Ihnen, HerrRaabe. Sie waren einmal Bürgermeister. Gehen Sie ein-mal in eine Gemeinde, einen Kreis, eine Stadt und erzäh-len Sie dort von diesem vermeintlich schändlichen, ge-ringen Aufwuchs von 256 Millionen Euro. Erzählen Siedas einmal einem Kommunalpolitiker, der nicht weiß,wie er die Löcher zu Hause schließen soll.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2819
Bundesminister Dirk Niebel
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Wir müssen wirksam, sichtbar, erfolgreich und effizientsein, damit uns die Bürgerinnen und Bürger immer wie-der ihr Vertrauen geben, wenn wir zusätzliche Steuermit-tel im Bereich der Entwicklungspolitik einsetzen.
Herr Niebel, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Raabe zulassen?
Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:
Ja, aber selbstverständlich.
Herr Niebel, nur ganz kurz, weil Sie sagten, dass ich
als Bürgermeister wissen müsste, was 256 Millionen
Euro bedeuten: Sie werden bitte zur Kenntnis nehmen,
dass ich Bürgermeister einer Gemeinde mit 12 000 Ein-
wohnern gewesen bin. Es gibt auf der Welt 3 Milliarden
hungernde Menschen: 2 Milliarden leben von weniger
als 2 Dollar und 1 Milliarde von weniger als 1 Dollar pro
Tag. 256 Millionen Euro, bezogen auf 3 Milliarden Men-
schen, bedeutet etwas anderes, als dies für 12 000 Ein-
wohner der Fall wäre. Wenn Sie aber meiner Heimat-
gemeinde 256 Millionen Euro zur Verfügung stellen,
nehme ich diese sehr gerne an.
Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:
Lieber Kollege Raabe, würde ich nur 256 Millionen
Euro im Haushalt des Bundesministeriums für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung haben,
würde ich Ihnen voll und ganz zustimmen. Sie überse-
hen, dass dieser Haushalt das erste Mal in der Ge-
schichte der Bundesrepublik bei 6,1 Milliarden Euro an-
gelangt ist. Das ist ein Erfolgsergebnis, das es hier noch
nie gegeben hat. – Vielen Dank.
Daran kann ich nahtlos anschließen. Kollege Ruck hat
es angesprochen: Unabhängig von unserem Haushalt,
unabhängig von der ODA-Quote und Sonstigem muss
man zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesrepublik
Deutschland in der Entwicklungszusammenarbeit der
zweitgrößte Zahler weltweit ist. Wir sind stolz darauf,
dass wir diese Leistung erbringen können.
Betrachtet man zusätzlich die Hilfen der Europäischen
Union – von all dem, was dort finanziert wird, zahlen
wir gute 20 Prozent –, sind wir sogar der weltgrößte
Zahler in der Entwicklungszusammenarbeit. Das ist eine
hervorragende Leistung der Bürgerinnen und Bürger der
Bundesrepublik Deutschland, auf die sie stolz sein kön-
nen.
Weil manche nicht lesen können oder wollen, möchte
ich aus dem Hamburger Abendblatt vom 6. März dieses
Jahres zitieren. Die Frage des Abendblattes an mich lau-
tete:
Rücken Sie langsam vom 0,7-Prozent-Ziel ab?
Meine Antwort war:
Die Bundesregierung hält ausdrücklich an diesem
Ziel fest. Es wird nur sehr sportlich, es zu erreichen.
Wer die Daten kennt, weiß, dass das stimmt. Wir hal-
ten an dem Ziel fest. Es steht im Koalitionsvertrag, und
die Bundeskanzlerin hat es in der Regierungserklärung
gesagt. Aber es wird sportlich, es zu erreichen. 2008 lag
die ODA-Quote bei 0,38 Prozent. Wir haben jetzt der
OECD den vorläufigen Wert für 2009 gemeldet. Die
ODA-Quote ist auf 0,35 Prozent gesunken. Das habe
nicht ich in den zwei Monaten meiner Amtszeit erreicht;
da können Sie sicher sein.
– Nein, so gut bin ich nicht, dass ich so etwas in zwei
Monaten erreiche, nicht einmal wenn es mein Ziel wäre;
aber dies ist ausdrücklich nicht mein Ziel.
Wir werden mit diesem Haushalt, der hier heute vor-
liegt, in diesem Jahr eine Quote von ungefähr 0,4 Pro-
zent, vielleicht 0,41 Prozent, erreichen. Das ist vor dem
Hintergrund einer schwierigen wirtschaftlichen Situation
eine enorme Leistung.
Auch aus diesem Grund danke ich dem Haushaltsaus-
schuss für das Entgegenkommen bei den Beratungen.
Der Etat spiegelt eine Strategieänderung in Bezug auf
Afghanistan wider. Wir verlagern den Schwerpunkt in
Afghanistan ausdrücklich und eindeutig auf den zivilen
Aufbau.
– Kollege Binding hat eine Frage.
Möchten Sie diese zulassen?
Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:
Ja, natürlich. Wenn Sie die Uhr wieder anhalten, Frau
Präsidentin, sogar sehr gerne.
Ich bin da sehr zuvorkommend.
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2820 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
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Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung:Nicht immer, manchmal läuft die Uhr ein bisschenweiter, Frau Koczy.
Ich habe eine Frage zu der jetzt überraschend niedri-
ger als bisher geschätzt ausgefallenen ODA-Quote. Ich
wollte fragen, ob ein Zusammenhang besteht zwischen
den möglicherweise zeitlich anders strukturierten Vor-
finanzierungen seitens der KfW und den Verzögerungen
bei den Schuldenerlassen für Länder in Afrika. Hätte
man diese beiden Aufgaben, die ich jetzt angesprochen
habe, wie sonst üblich noch im letzten Jahr vollzogen
– das war am Anfang Ihrer Amtszeit –, würde die ODA-
Quote dann anders aussehen?
Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:
Es ist richtig, dass der IWF-Schuldenerlass für Libe-
ria, den übrigens nicht mein Haus verhandelt, sondern
das Finanzministerium – ich sage das der guten Ordnung
halber, weil in der Frage ein leiser Vorwurf lag –, ins
Stocken geraten ist und nicht planmäßig vorangekom-
men ist. Wenn das alles planmäßig hätte durchgeführt
werden können, wären wir wahrscheinlich auf dem glei-
chen Niveau wie 2008, also bei 0,38 Prozent. Fakt ist,
dass die erste Meldung an die OECD – es wird natürlich
noch eine abschließende geben, die alle Details enthält –
0,35 Prozent lautet. Das ist ein Absinken gegenüber dem
Vorjahr. Das ist keine gute Entwicklung. Ich sage noch
einmal ausdrücklich: Bei allem, was Sie mir zutrauen
– das meiste schätze ich als positiv ein –: Das habe ich in
zwei Monaten wirklich nicht geschafft, selbst wenn ich
es gewollt hätte, und ich habe es ausdrücklich nicht ge-
wollt.
Dieser Haushalt spiegelt eine Strategieänderung in
Bezug auf Afghanistan wider. Das Schwergewicht wird
auf den zivilen Aufbau gelegt.
Wir haben durch die Bereitstellung von zusätzlich
70 Millionen Euro – 35 Millionen Euro beim BMU und
35 Millionen Euro beim BMZ – unsere Verpflichtungen,
die sich aus der Konferenz von Kopenhagen ergeben, er-
füllt. Mit den bereits vorher im Regierungsentwurf ein-
gestellten 350 Millionen Euro in den Einzelplänen der
beiden Ressorts werden die vorgesehenen 420 Millionen
Euro erreicht.
Ich bin ausdrücklich stolz darauf, dass in diesem
Haushalt netto 15,5 neue Stellen geschaffen worden
sind. Denn das war lange überfällig, nachdem in den ver-
gangenen Jahren immer nur Geld in diesen Etat gepumpt
wurde, aber nicht die Fähigkeit vorhanden war, dieses
Geld bilateral einzusetzen. Dies ist jetzt möglich.
Besonders freue ich mich, dass bei den vier Stellen im
einfachen Dienst morgens kurz nach 2 Uhr die kw-Ver-
merke endgültig gestrichen worden sind. Das tut dem
Haus gut. Weil das dem Haus guttut, wundere ich mich
sehr, dass mich nach allen öffentlichen, auch hier geführ-
ten Angriffen kein Vertreter der Opposition auf die Le-
bensläufe meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ange-
sprochen hat. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
sind nämlich hochkompetent und haben es nicht nötig,
hier beschimpft und erniedrigt zu werden.
Meine Redezeit ist vorbei. Sie haben jetzt die letzte Ge-
legenheit, dazu eine Zwischenfrage zu stellen. Ich habe
die Lebensläufe hier. Es handelt sich, wie gesagt, um
hochkompetente Leute, hervorragend motiviert und üb-
rigens längst nicht alle Mitglied der FDP. Wenn Sie aber
weiterhin so argumentieren, werden sich viele von ihnen
überlegen, ob sie zu uns kommen.
Vielen Dank.
Der Kollege Niema Movassat hat jetzt für die Frak-
tion Die Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!„Dabei sein ist alles“ scheint das Motto des Entwick-lungshaushaltes zu sein, jedenfalls dann, wenn man sich,wie Minister Niebel, der Freizeitsprache bedient und dasZiel, die Ausgaben für Entwicklungshilfe bis 2015 auf0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu steigern,als „sehr sportlich“ bezeichnet. Das Thema ist viel zuernst für eine solch saloppe Wortwahl.
Rund 1 Milliarde Menschen weltweit hungern, fast5 Millionen sterben jährlich an Malaria und Tuberku-lose. Die 0,7 Prozent sind ein Mindestversprechen an dieÄrmsten der Armen. Wenn man bedenkt, dass täglich8 000 Kinder unter fünf Jahren verhungern, ist es gera-dezu kriminell, diese Zusage nicht einzuhalten.
Andere Länder sind verantwortungsvoller. So über-treffen Schweden, Dänemark und die Niederlande diesesZiel schon jetzt. Doch Deutschland ist Meister der An-kündigungen, nicht der Taten. So wird mit diesem Haus-halt nicht einmal die 0,51-Prozent-Marke für 2010 alsZwischenziel erreicht, sondern es sind nur etwa 0,4 Pro-zent. Dies hat die OECD jüngst kritisiert. Das ist eineSchande für CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP; denn kei-ner von Ihnen hat sich in Regierungsverantwortung umdie versprochene Steigerung der Entwicklungshilfe ge-schert.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2821
Niema Movassat
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Aber es kommt noch dicker. Selbst die mageren0,4 Prozent werden nicht nur für Entwicklungsprojekteausgegeben. Ein Unding ist die Anrechnung der Klima-schutzmaßnahmen. Der Klimawandel liegt vor allem inder Verantwortung der Industrienationen. Klimageldersind Wiedergutmachung, keine Entwicklungshilfe.
Aber auch damit nicht genug. Entschuldung, Kostenfür Abschiebungen und für die Unterkünfte der Soldatenin Afghanistan, all dies verkaufen Sie den Menschen alsEntwicklungshilfe und hübschen somit Ihre Bilanz auf.Dabei ist das 0,7-Prozent-Ziel ohne Zahlentricks erreich-bar. Wer Bürgschaften in Höhe von 480 Milliarden Eurofür Banken aufbringt und 10 Milliarden Euro in den Kaufvon A400M-Militärtransportern investiert, der kann sichauch mehr Entwicklungshilfe leisten. Allein mit den Ein-nahmen aus einer Finanztransaktionsteuer und einerFlugticketabgabe, deren Einführung wir hier beantragthaben, wäre die Finanzierung möglich.
Herr Minister, wir können gerne über Volumen und/oderWirksamkeit der Entwicklungshilfe diskutieren. Für dieLinke ist klar: Wir brauchen eine Steigerung bei beidem.Was denn sonst?Nötiger ist indes eine Diskussion über die neue Marsch-richtung im Ministerium. Diese lautet nämlich, dasssich der Einsatz in Entwicklungsländern vor allem fürdeutsche Unternehmen lohnen soll. So wollen Sie, HerrNiebel, den Etat Ihres Hauses künftig weniger über in-ternationale Organisationen als vielmehr über nationaleProjekte steuern.
Dabei geht es letztlich darum, deutsche Firmen stärkeram Entwicklungsgeschäft teilhaben zu lassen.
Kompetenz und Effektivität spielen eine untergeordneteRolle. Das Hissen der deutschen Fahne oder aber dieNähe zur FDP sind maßgeblich.Ein Beispiel gibt der Spiegel. Die ConsultingfirmaTellSell, die FDP-Großveranstaltungen mitfinanziert undin deren Beirat Herr Koppelin, stellvertretender Vorsit-zender der FDP-Fraktion, sitzt, will Beratungsaufträgevon der GTZ ergattern. Das wird nicht allzu schwer wer-den, da Herr Koppelin gleichzeitig im Aufsichtsrat derGTZ sitzt. Zudem hat an dem Gespräch zwischen Tell-Sell und der GTZ Herr Beerfeltz, FDP-Staatssekretär imEntwicklungsministerium, teilgenommen. Hier soll alsoein Unternehmen, welches mit der FDP personell und fi-nanziell verbandelt ist, ein Stück vom Kuchen abbekom-men. Dabei wird es anscheinend auch von Ihrem Minis-terium unterstützt. So bleibt alles in der FDP-Familie.
Entwicklungspolitik soll also noch mehr zum Türöff-ner für Interessen der deutschen Wirtschaft werden. Ar-mutsbekämpfung sieht anders aus: Sie orientiert sich anden Bedürfnissen der Menschen in den Partnerländern,nicht an den Bedürfnissen des Gebers. Unter Ihnen, HerrNiebel, steht die deutsche Entwicklungspolitik heuteKopf.
Im Rahmen der Neuausrichtung des Ministeriums er-leben wir ferner eine strukturelle Militarisierung derEntwicklungspolitik.
– Das müssen Sie sich schon anhören! – Ein Oberst derBundeswehr wird in die Führung des Hauses berufen.Jetzt sollen Nichtregierungsorganisationen in Afghanis-tan nur dann Geld erhalten, wenn sie bereit sind, mit derBundeswehr zusammenzuarbeiten, um sie – Zitat Minis-ter Niebel – zivil zu flankieren.Ein aktuelles Thema ist die Reform der Institutionender Entwicklungszusammenarbeit. Für die Linke machtsich die Handlungsfähigkeit der deutschen Entwick-lungspolitik nicht an Institutionen fest. Wir braucheneine neue politische Ausrichtung, statt dass nur über dasWie der Fusion diskutiert wird. Vor allem müssen wirbasisorientierte Projekte, die eine nachhaltige Entwick-lung ermöglichen, stärken.Ich komme zum Schluss. Sie, Herr Niebel, degradie-ren das Entwicklungsministerium zum internationalagierenden Lobbyverein für Interessen der deutschenWirtschaft und zur zivilen Begleithilfe für Bundeswehr-einsätze. Das wird die Linke nicht akzeptieren.Danke schön für die Aufmerksamkeit.
Für die Unionsfraktion spricht der Kollege Holger
Haibach.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habemir heute Morgen überlegt, was man nach einer so lan-gen Debatte noch sieben Minuten lang sagen soll. Inzwi-schen frage ich mich, ob sieben Minuten ausreichen, umden hanebüchenen Unsinn, der hier erzählt worden ist,auszumerzen.
All diejenigen, die hier markige Worte gefunden ha-ben, sollten sich einmal überlegen, ob sie unseremThema, das ein wichtiges Thema ist, mit markigen Wor-
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2822 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Holger Haibach
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ten einen Gefallen tun. Ich glaube, wir alle – nicht nurwir, die wir die Regierung tragen, sondern auch die Op-position – haben eine Verantwortung dafür, ob unserPolitikfeld ernst genommen wird. Das dokumentiert sichauch in der Sprache. Da haben Sie unserer Sache garan-tiert keinen Gefallen getan.
Herr Movassat und die Kollegin Hänsel haben vormir gesprochen; daher fange ich bei der Linksfraktionan. Sie haben die saloppe Wortwahl des Ministers, dasZiel, auf eine ODA-Quote von 0,7 Prozent des BIP zukommen, sei ein sehr sportliches Ziel, kritisiert. Ichfinde es interessant, mit welcher Wortwahl Sie hier ange-treten sind. Was musste ich da alles hören: militärischeExpansionspolitik,
wirtschaftliche Expansionspolitik,
Interessenvertretungsverein deutscher Wirtschaft. Ja, meineHerren! Sie sind rhetorisch in einer Zeit stehen geblieben,die länger vorbei ist als der Fall der Mauer. Sie solltensich einmal überlegen, ob Sie, gerade was die Entwick-lungspolitik angeht, weiter bei Marx und Lenin bleibenoder endlich in der Realität ankommen wollen. Viel Spaßdabei!
Inhaltlich haben Sie, außer dass Sie Mitarbeiter desBMZ beschimpft haben, und abgesehen davon, dass Sieden Minister kritisiert haben, nichts, aber auch gar nichtsKonstruktives zur Debatte beigetragen. Es hätte genü-gend Gründe gegeben, etwas Konstruktives dazu beizu-tragen.
Sie wollen – das gilt für manche andere in diesemHaus auch – nicht einsehen, dass man, wenn man Ent-wicklungspolitik richtig machen will, einen ganzheitli-chen Ansatz braucht. So schrecklich Sie die Wirtschaftfinden mögen, am Ende werden Sie einsehen müssen,dass man die Wirtschaft braucht. Eine Zusammenarbeitmit der Wirtschaft bietet genauso wie eine Zusammenar-beit mit Nichtregierungsorganisationen, genauso wieeine Zusammenarbeit mit Stiftungen, genauso wie eineZusammenarbeit mit staatlichen Entwicklungsorganisa-tionen, genauso wie eine Zusammenarbeit mit den Kir-chen einen Zugang, den die Politik allein nicht bietenkann. Das müssten Sie endlich anerkennen! Aber dazusind Sie offensichtlich nicht willens oder in der Lage.Anders kann ich die Aussagen, die hier getroffen wordensind, jedenfalls nicht verstehen.
Damit bin ich bei einem weiteren Punkt. Hier ist vieldarüber diskutiert worden, welche Zahlen zu welchemEtat richtig gewesen sind. Solche Zahlenspiele sindhochinteressant, und jeder – ob er in der Opposition istoder in der Regierung sitzt – stellt sie an; aber man mussdoch zugeben: Vieles kann man auf die eine oder auf dieandere Weise interpretieren.Mich stört, dass der Aspekt, dass es bei der Verwen-dung der Mittel auch um Effizienz geht – der Ministerhat darauf hingewiesen, und auch viele von uns habendas angesprochen –, nonchalant als Ausweichdiskussiondargestellt worden ist, dass man gesagt hat: Das spielt jaeigentlich keine Rolle.Gerade wenn ich mir Afghanistan anschaue – um nurein Beispiel zu nehmen –, dann komme ich zu demSchluss, dass Effizienz von höchster Wichtigkeit ist.Wenn wir die Mittel für Afghanistan verdoppeln, ist esdoch in hohem Maße notwendig, auch für die Legitima-tion von Entwicklungszusammenarbeit in unserem eige-nen Land, dafür zu sorgen, dass die Mittel tatsächlich ab-fließen, dass sie sinnvoll verwendet werden und inAfghanistan die Friedensdividende bewirken, die wirbrauchen. Dafür bedarf es der richtigen Maßnahmen.Deshalb ist Effizienzkontrolle gerade an einem solchenPunkt extrem wichtig. Man darf das nicht einfach beisei-teschieben.
Genau das Gleiche ließe sich mit großer Berechtigungauch über die Mittel für Klimaschutz und für andere Be-reiche sagen. Der Kollege Ruck hat zu Recht auf dasBeispiel Haiti hingewiesen. Es bedarf wirklich eineslängerfristigen Ansatzes, wenn wir auf Haiti erfolgreichsein wollen. Der Unterschied zwischen der Katastropheauf Haiti und anderen Katastrophen ist nun einmal der,dass der Staat Haiti schon vorher kaum vorhanden war,dass es nach der Katastrophe keine UN-Mission mehrgab und dass der Staat quasi keine funktionierendenStrukturen mehr hatte. Dort geht es also um „build backbetter“, also darum, diesem Staat so zu helfen, dass ernach dem Wiederaufbau besser als vorher ist. Dabeispielt Geld eine wichtige Rolle, aber Strukturen sindmindestens genauso wichtig: Wie stellt man einen Be-bauungsplan so auf, dass die Gebäude dann auch eini-germaßen erdbebensicher sind? Man kann Katastrophennicht verhindern, aber dafür sorgen, dass die Dinge ins-gesamt besser gemacht werden. Da haben wir eine großeExpertise. Das ist unabhängig von Geld. Das ist eineganz wichtige Aufgabe, die wir an der Stelle haben.Ich will noch etwas dazu sagen, dass wir – angeblich –zwiespältig reden, was die Freiwilligendienste betrifft;Frau Kofler hat das erwähnt. Manchmal hilft ja Nachfra-gen beim Herausfinden der Wahrheit, Frau Kollegin. Wirhaben das getan, und ich finde das Ergebnis ganz span-nend. Der Mittelabfluss bei „weltwärts“ betrug im letztenJahr 27 Millionen Euro. Wir stellen nach dem vorliegen-den Haushaltsentwurf 29 Millionen Euro zur Verfügung.Das heißt, die Mittel werden vermutlich ausreichen. Wiedas im nächsten Jahr aussieht, werden wir uns in Ruhe an-schauen müssen. Es geht also gar nicht darum, dass ir-gendjemand „weltwärts“ nicht schätzt – ich halte dasdurchaus für ein vernünftiges und gutes Projekt –, aberwir müssen die Mittel ein bisschen an dem orientieren,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2823
Holger Haibach
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was tatsächlich notwendig ist und was tatsächlich abge-flossen ist.
Damit bin ich beim allerletzten Punkt, den ich gernnoch ansprechen würde, nämlich bei dem Moralapostelder SPD, dem heiligen Sascha Raabe,
der die Moral wie eine Monstranz vor sich her getragenhat. Man fragt sich, ob der Kollege katholisch ist undgern an Prozessionen teilnimmt. Es war wirklich ganzinteressant. Er hat auch Pinocchio bemüht und was da al-les war. Ich stimme ihm darin zu, dass Glaubwürdigkeitin der Politik ein hohes Gut ist. Aber dann, lieber HerrKollege Raabe, muss man bei sich selber anfangen.Der Kollege Raabe hat, wie viele von uns das ab undzu tun, in seinem Wahlkreis eine Schule besucht undüber Entwicklungspolitik gesprochen. Der Hanauer An-zeiger vom 25. Februar 2010, aus dem ich mit Genehmi-gung der Frau Präsidentin gern zitieren möchte, berichtetüber einige sehr interessante Aussagen des KollegenRaabe. Der Kollege Raabe erzählt also etwas über seineArbeit als entwicklungspolitischer Sprecher. Er sagt, wasalles notwendig ist, dass es genügend Reichtum und Le-bensmittel gibt, dass kein Kind auf dieser Erde verhun-gern muss usw. usf. Dann heißt es:Besonders hart kritisierte der Bundestagsabgeord-nete in diesem Zusammenhang die neue Bundesre-gierung, die ganz entgegen ihres Versprechens dieEntwicklungshilfe gekürzt hatte.Das behauptet nicht mal Ihre eigene Truppe, Herr Kol-lege! Kein Mensch behauptet heute, dass wir die Ent-wicklungshilfe gekürzt haben. Damit haben Sie derGlaubwürdigkeit von Politik insgesamt und auch demPolitikfeld keinen Gefallen getan. Wenn Sie ein anstän-diger Mensch wären, würden Sie das zurücknehmen.Herzlichen Dank.
Zu einer Kurzintervention der angesprochene Kollege
Raabe.
Nur ganz kurz. Herr Kollege Haibach, ich habe das in
der Schule so gesagt, wie ich es auch hier gesagt habe,
und dazu stehe ich. Versprochen waren im Prinzip plus
1,7 Milliarden Euro im Einzelplan 23, 3 Milliarden Euro
insgesamt, um auf 0,51 Prozent zu kommen. Ich habe da
gesagt, dass es schäbig ist, dass dieses Versprechen ge-
brochen wurde. Wenn ein Journalist dort das etwas ver-
kürzt, darf man, so glaube ich, einem Kollegen in diesem
Hause das nicht vorwerfen.
Ich glaube aber schon, dass man Folgendes sagen
kann: 256 Millionen Euro sollen am Ende ein Aufwuchs
sein. Dabei hat die Kanzlerin doch 1,7 Milliarden Euro
versprochen. Sie hat das noch im Wahlkampf 2009 und
auf dem Kirchentag versprochen. Sie hat das im Bundes-
tag vor uns allen versprochen. Ich kann fünf oder sechs
Passagen vortragen, in denen die Kanzlerin gesagt hat:
Ich weiß ganz genau, was es bedeutet, wenn ich sage,
dass ich verspreche, dass ich im Jahr 2010 0,51 Prozent
für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stellen
will. – Deshalb muss man weiterhin den Finger in diese
Wunde legen. Das ist ein Skandal, und dabei bleibe ich.
Herr Haibach.
Herr Kollege Raabe, ich bin ja nur Altphilologe und
Historiker und kein Mathematiker, aber ein Aufwuchs
von 256 Millionen Euro bleibt ein Aufwuchs von
256 Millionen Euro. Da können Sie so lange irgendwel-
che Dinge bemühen, wie Sie sie gerade eben bemüht ha-
ben, aber es bleibt ein Aufwuchs. Deswegen ist die Aus-
sage, die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit
seien als Ganzes gekürzt worden, einfach nicht richtig.
Sie zitieren auch oft genug aus Zeitungen, ohne hin-
terher klar sagen zu können: Das ist tatsächlich alles so
gesagt worden; das ist tatsächlich alles so gewesen. – Ich
verlasse mich erst einmal darauf, dass die Presse in
Deutschland das Richtige berichtet, und ich verlasse
mich darauf, dass Sie das so gesagt haben. Sie haben es
jetzt richtiggestellt.
Das macht die Tatsache, dass Sie etwas behaupten,
was nicht stimmt, an und für sich aber nicht besser.
256 Millionen Euro Aufwuchs bleiben 256 Millionen
Euro Aufwuchs. Da nützt auch keine – wie soll ich das
sagen? – intelligente und fantasiereiche Mathematik. Ich
glaube, hier müssen wir schon bei der Wahrheit bleiben.
Ich denke, es ist richtig, dass man das an dieser Stelle
sagt; denn es geht darum, dass wir in den Wahlkreisen
genauso glaubwürdig bleiben, wie wir das auch in Berlin
sein sollten, da Glaubwürdigkeit – darin sind wir uns ja
wohl einig – das größte Gut ist, das wir in der Politik ha-
ben.
Das Wort hat der Kollege Lothar Binding für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr verehrte Damen und Herren! Erste Vorbemerkung.Auch ich möchte zunächst meinen Dank zum Ausdruckbringen. Priska Hinz hat unsere Berichterstattergesprä-che sehr gut organisiert. Ich möchte mich auch beimBMZ für die stets gute Information bedanken.Vielleicht kann ich das Lob auch ein bisschen mit ei-ner subtilen Kritik verknüpfen. Wenn die Politik so gutwäre wie die Atmosphäre in den Gesprächen und die In-formation aus dem BMZ, dann wäre das eine super Poli-tik. Das muss ich wirklich sagen.
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Lothar Binding
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Zweite Vorbemerkung. Vorhin hat jemand gesagt: Wirhaben einen guten Ruf in der Welt im Hinblick auf un-sere Entwicklungszusammenarbeit. – Das stimmt. Wennwir ganz ehrlich sind, dann wissen wir: Ein guter Ruf istmeistens dem Blick zurück geschuldet. – Die Leute fra-gen: Wie war das eigentlich bisher? – Deshalb kann manwirklich sagen: Wir haben einen sehr guten Ruf. UnsereSorge ist aber ein klein wenig, dass der Ruf möglicher-weise nicht so bleiben wird, wenn wir nicht sehr aufpas-sen.
Meine letzte Vorbemerkung mache ich zum Stichwort„Effizienz“. Natürlich ist ein effizienter Einsatz der Mit-tel immer gut, aber Sie müssen mir zugestehen, dass eineffizienter Einsatz von mehr Mitteln besser ist als eineffizienter Einsatz von weniger Mitteln, und wir sind da-für, mehr Mittel effizient einzusetzen.
Dirk Niebel sagt oft, Zahlen spielten nicht die großeRolle, und die ODA-Quote sei vielleicht nicht das Ent-scheidende. Dem stimme ich zu, und ich frage: Was isteigentlich das Entscheidende? Mit Blick auf die Regie-rung möchte ich diesem Parlament sagen, dass die Kanz-lerin, der Außenminister, der Minister für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung und auch der Vertei-digungsminister das Bild Deutschlands in der Welt be-stimmen. Ich finde, darauf müssen wir ein bisschen ge-nauer gucken.Welchen Eindruck können die Menschen andererLänder von Deutschland haben, wenn dieser Eindruckmaßgeblich durch das Verhalten dieser Regierungsmit-glieder dominiert und definiert wird? Um nur ein paarcharakteristische Dinge als Beispiele zu nennen: Wel-ches Bild haben andere Menschen von unserer Kultur?Ist sie anspruchsvoll? Ist sie ansprechend? Welchen Ein-druck haben sie von unseren demokratischen Grundprin-zipien? Funktioniert das hier? Haben wir einen gutenParlamentarismus? Wie geht unser Volk zum Beispielmit der Not, dem Hunger und den Krankheiten andererVölker um? Wie hält unser Volk die Versprechen, die esmacht? – Ich glaube, unser Bild jenseits der Zahlen istim Moment eher verheerend.
Wir haben einen Außenminister, der im Grunde nichterklären kann, wen er warum mit auf Reisen nimmt – mög-licherweise auch seinen Freund, der sich aber nicht imRahmen des Beiprogramms betätigt und Deutschland re-präsentiert, sondern eigenen Geschäften nachgeht.Oder schauen wir auf die Kanzlerin.
Sie verspricht international 420 Millionen Euro. Dasfand ich sehr gut, weil das ein absolut gutes Versprechenist. Denn mit 420 Millionen Euro, die wir für andereLänder ausgeben, können wir ökologisch viel mehr er-reichen als mit der gleichen Summe in Deutschland. Dasist also ein sehr gutes Versprechen. Enttäuschung gab esaber dennoch. Denn was soll das Ausland von uns den-ken, wenn die Kanzlerin selbstsicher auftritt und etwasvertritt, was im Haushalt dann aber plötzlich nicht mehrabgebildet wird? Das halte ich für sehr gefährlich.
Jetzt möchte ich eine Sache ansprechen, die zu einemDauerstreit zwischen Dirk Niebel und mir geworden ist,und zwar meine ich die Privatisierung von Minister-ämtern. Herr Westerwelle privatisiert sein Ministeramtund vernachlässigt seine gesellschaftlichen Aufgaben.Nachdem ich den Witz mit der Mütze gemacht habe– ich habe es gar nicht lange ausgehalten –,
hat Dirk Niebel mir erklärt, dass es erstens der falscheTyp war und er sie zweitens wieder tragen wird. Ich sageaber: Das darf nicht seine private Entscheidung sein.Dirk, du hast uns in Afrika mit einer Brille und einemHut repräsentiert, der aus einer Szene stammt, von derich nicht möchte, dass sie uns im Ausland vertritt. Dasist keine persönliche Sache. Es stellt sich nämlich dieFrage, mit welcher Reputation du uns auf internationalerEbene vertrittst. Es ist irgendwie sehr merkwürdig, wennmich jemand anspricht und sagt: Dein Minister hat eineverspiegelte Brille. Das tragen bei uns Leute in ganz an-deren Vierteln. – Ich möchte so nicht vertreten werdenund kenne viele Deutsche, die das auch nicht möchten.
Ich möchte noch eine Sache zur Harmonisierung undKoordination der Geberländer sagen; das ist nämlichsehr wichtig. Ich finde es sehr gut, dass jetzt der Versuchgemacht wird, die GTZ, InWEnt und den DED zu inte-grieren. Das halte ich für einen sehr guten Weg. Manmuss vielleicht noch einmal daran erinnern, dass dieSPD-Fraktion 2007 auf einem sehr guten Weg war, dieseIntegration auf diesem Gebiet, der TZ, unter Einschlussder finanziellen Zusammenarbeit voranzutreiben, sieaber leider durch andere im Parlament blockiert wurde.Die meisten können sich erinnern, wie die Situation inder Koalition damals war. Wir glauben trotzdem, dassdiese kleine Lösung heute besser ist, als gar keine Lö-sung anzustreben. Vielleicht wäre es eine gute Idee, dieLänder zu fragen. Denn der Kollegen Laschet von derCDU sagt: Minister Niebel soll sich nicht so weit vorwa-gen. – Es ist interessant, die Länder zu fragen, da sechsvon ihnen an InWEnt beteiligt sind. Das ist eine kompli-zierte Sache.Um es nicht selber sagen zu müssen, möchte ich nunetwas zitieren; das ist mein letzter kleiner Block. Es gehtum das Personal. Professor Rauch, Professor für Geogra-fie an der FU in Berlin, sagt:Das Fatale an dem radikalen Personalwechsel ander Spitze des BMZ ist, dass unter der neuen Füh-rungsriege keine kompetenten und engagierten An-
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Lothar Binding
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wälte des entwicklungspolitischen Anliegens mehrsind. Von einem aufgeklärten Eigeninteresse an ei-ner gerechteren Welt ist nichts mehr zu spüren.
Deshalb habe ich den Minister nach seiner Personal-entwicklung gefragt. Er hat zunächst ein bisschen falschverstanden, was ich damit meine, und deshalb drei Ein-stellungsvoraussetzungen genannt. Dazu möchte ich sa-gen: Erfahrung beim Militär, guter Freund und FDP-Af-finität waren nicht dabei.Vielen Dank.
Der Abgeordnete Niebel erhält das Wort zu einer Kurz-
intervention.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Da hier mehrfach
die entwicklungspolitische Kompetenz der von mir ein-
gestellten Kolleginnen und Kollegen bestritten worden
ist, möchte ich einige wenige Daten aus deren Lebens-
läufen zum Besten geben:
Derjenige, der die Einheit für die Durchführung der
Organisationsreform leitet, war von 2004 bis 2010
selbstständiger Berater bei InWEnt, CIM, GTZ und
sonstigen. Von 2006 bis 2010 war er Trainer bei InWEnt.
Von 1998 bis 2003 war er Regierungsberater für Politik-
und Verwaltungsreformprozesse in Äthiopien. Von 1993
bis 1996 war er Regierungsberater für Politik und Ver-
waltungsreformprozesse in Ecuador.
Der völlig unbekannte und entwicklungspolitisch un-
bedarfte Abteilungsleiter 2 war nicht nur Mitarbeiter des
Instituts für Entwicklungspolitik und Entwicklungsfor-
schung der Universität Bochum, sondern ab 1988 auch
entsandter Projektleiter einer politischen Stiftung, zu-
nächst in Peru, dann in Kolumbien. Er war auch für wei-
tere Länder zuständig. Ab 1996 war er Leiter des Regio-
nalbüros Mittel-, Südost- und Osteuropa. Von 2002 bis
2007 war er Leiter der Programme in Lateinamerika.
Danach war er in der Zentrale der Stiftung für das ge-
samte Auslandsportfolio zuständig.
Herr Kollege Niebel!
Ich habe noch eine Minute, Frau Präsidentin.
Nein, Herr Kollege Niebel. Ich muss Sie deswegen
unterbrechen, weil ich Ihnen als Abgeordneten das Wort
zu einer Kurzintervention erteilen kann. Was Sie aber
jetzt machen, ist, Personalbögen des Ministeriums zu
verlesen.
Frau Präsidentin, als Abgeordneter ist es meine Auf-
gabe, dafür zu sorgen, dass unbescholtene Menschen in
diesem Haus nicht ohne Widerspruch beschimpft wer-
den.
Als Abgeordneter ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen,
dass Bürgerinnen und Bürger, wenn sie in diesem Haus
um ihre Rechte gebracht, erniedrigt und gedemütigt wer-
den, einen Fürsprecher haben. Dieser Fürsprecher bin
ich als Abgeordneter des Deutschen Bundestages.
Herr Kollege Niebel, da Sie in dieser Debatte als Mi-
nister Redezeit hatten, hätten Sie das selbstverständlich
tun können. Insofern habe ich den Eindruck, dem ich
gerne Ausdruck verleihen möchte, dass Sie möglicher-
weise hier nicht als Abgeordneter, sondern als Minister
sprechen, zumal Sie von den „von mir eingestellten Kol-
legen“ gesprochen haben. Insofern habe ich den Ein-
druck, dass Ihre Kurzintervention eher in Ihrer Funktion
als Minister getätigt wird –
Frau Präsidentin, ich könnte als Minister das Wort er-
greifen.
– darf ich ausreden? – als in Ihrer Funktion als Abge-
ordneter. Sie können als Minister jederzeit das Wort er-
greifen. Im Moment sind Sie aber bei der Kurzinterven-
tion eines Abgeordneten. Diese können Sie auch gerne
in der einen Minute zu Ende bringen.
Das werde ich auch tun, zumal Ihr Eindruck trügt,
Frau Präsidentin.
Der Abteilungsleiter 1 war Leiter der Grundsatzabtei-
lung eines Landeswirtschaftsministeriums, Leiter der
Zentralabteilung und Abteilungsleiter Mittelstand.
Dann muss ich Sie unterbrechen, wenn Sie weiter
fortfahren mit der Verlesung der Personalentwicklung
von Kolleginnen und Kollegen, die Sie in Ihrem Minis-
terium eingestellt haben.
Das wurde doch hinterfragt. Die Menschen sind jahier als inkompetent beschimpft worden.
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Dirk Niebel
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Aber wenn es Ihnen lieber ist, Frau Präsidentin, dannwerde ich meine Tätigkeit als Vertreter der Bürger, fürdie ich hier spreche, einstellen und als Regierungsmit-glied das Wort ergreifen. Das verlängert die Debatte.Falls die anderen daran Freude haben, mache ich dasgerne.
Das können Sie gerne machen. Wenn Sie als Minister
das Wort ergreifen wollen, dann können Sie das jederzeit
tun.
Ja, dann melde ich mich eben zu Wort, Frau Präsiden-
tin.
Bitte schön.
Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:
Vorhin hätte ich Fragen zugelassen, die aber nicht ge-
stellt wurden. Deswegen kann ich relativ zügig zum Ab-
schluss kommen. Es fehlen nur noch zwei Personen.
Ein weiterer Abteilungsleiter, der angeblich inkompe-
tent ist, arbeitet seit 1989 beim BMZ in allen möglichen
Referaten und ist jetzt Leiter der neu gegründeten Abtei-
lung geworden.
Der Letzte, der vermeintlich militaristische Oberst im
Generalstab außer Diensten, war die letzten zwölf Jahre
lang außen- und sicherheitspolitischer Berater der FDP-
Bundestagsfraktion, in seiner aktiven Dienstzeit abge-
ordnet zu internationalen Stäben, unter anderem in den
Vereinten Nationen. Er diente drei Jahre lang im Pla-
nungsstab des Auswärtigen Amtes und zwischenzeitlich
mehrere Jahre im Bundesministerium der Verteidigung
in den verschiedensten Verwendungen.
Wenn das Inkompetenz ist, dann würde ich mir wün-
schen, dass mehr dieser inkompetenten Menschen in vie-
len Verwaltungen tätig sind.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Jürgen Klimke für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, herzlichen Dank für die eindrucksvollen
Einblicke in die Lebensläufe Ihrer neuen Mitarbeiter.
Das war unter dem Gesichtspunkt „Erfahrung und Kom-
petenz“ sehr bemerkenswert.
Bemerkenswert finde ich vor allen Dingen, wie Sie
für Ihre Mitarbeiter kämpfen und sich vor sie stellen.
Herzlichen Dank dafür!
Weniger bemerkenswert als orientierungslos fand ich
das, was wir in den letzten Wochen lesen konnten und
teilweise auch heute gehört haben. Lassen Sie mich zi-
tieren: „Entwicklungspolitik mit der Abrissbirne“, „Ver-
sorgung von Parteisoldaten“,
„Entmachtung der GTZ“ oder das leidige Zitat von der
Abschaffung des Ministeriums durch den jetzigen Mi-
nister. Meine Damen und Herren von der Opposition,
diese Platte hat nicht einen kleinen, sondern einen ganz
dicken Sprung. Sie schaden damit nicht nur sich selbst,
sondern vor allen Dingen dem Ansehen der Entwick-
lungspolitik und den Menschen, die von der Zusammen-
arbeit mit uns, mit Deutschland, profitieren und in dieser
Zusammenarbeit teilweise die einzige Perspektive und
Hilfestellung sehen. Das können wir überhaupt nicht ak-
zeptieren.
Im Übrigen sehen dies auch wirklich profilierte Ent-
wicklungspolitiker in Deutschland so, die an einer ehrli-
chen Weiterentwicklung dieses Feldes interessiert sind.
Ich
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gefällt mir einfach nicht, wenn alle auf Niebeleindreschen und dabei unterschlagen wird, dass derMann entschlossen etwas anpackt, was wir schon1998 unter Rot-Grün und später in der Großen Ko-alition wollten, aber nie geschafft haben.
Ich kann Uschi Eid nur unterstützen. Gleiches gilt fürihre Aussage, dass die Besetzung des Ministerpostenskeine skandalöse Fehlbesetzung ist. Für sie ist dieserVorwurf einfach Unfug. Ich empfehle den Grünen, sichin stärkerem Maße der Entwicklungskompetenz vonUschi Eid zu bedienen und sich darauf zu besinnen.
Die Regierungskoalition jedenfalls legt – wir habendas heute schon mehrfach gehört – die Hände nicht inden Schoß, sondern nimmt den Gestaltungsauftrag an.Ziel ist, unsere Entwicklungsinstrumente in den Organi-sationen, was Effektivität, Koordination und Kohärenz
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Jürgen Klimke
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angeht, so einzusetzen, dass die Hilfe zur Selbsthilfe inunseren Partnerländern besser gelingen kann. Dieser An-satz wird auch im Koalitionsvertrag aufgegriffen. Ich bindem Minister dankbar, dass er mit viel Reformeifer– auch gegen Widerstände – Neues beginnt. Wir betreteneffiziente, kohärente Wege im Rahmen der Vorfeldorga-nisationen, bei dem Vorhaben, das BMZ gegenüber an-deren Bundesministerien zu stärken, im Rahmen derkonditionierten Budgethilfe und der Spezialisierung aufdie Kernsektoren zur Erreichung der Millenniumszieleund bei der Verstärkung der Kohärenz zwischen Bundes-regierung, Bundesländern und der EU, aber auch bei derErklärung der Sinnhaftigkeit von Entwicklungspolitikgegenüber den Bürgern und den Steuerzahlern gerade ineiner Zeit der wirtschaftlichen Krise sowie bei der För-derung der lokalen Wirtschaft in unseren Partnerländerndurch deutsches Mittelstands-Know-how, das dorthinübertragen wird.Der Weg, der derzeit in den Vorfeldorganisationenbeschritten wird, ist richtig. Endlich wird hier die Lei-tungsfunktion des BMZ gestärkt. Die drei zusammenzu-legenden Vorfeldorganisationen InWEnt, GTZ und DEDwerden gleichberechtigt in die Fusionsprozesse einbe-zogen. Der geplante Umbau wird endlich die Doppel-strukturen abbauen und dem deutschen Entwicklungs-auftritt im Ausland unter dem Slogan „One face to thecustomer“ gerecht werden. Dabei ist es angemessen,dass das Ministerium künftig die Qualität der GTZ-Ar-beit kontrolliert. Die neue technische Durchführungsor-ganisation muss zuvorderst den entwicklungspolitischenLeitlinien der Bundesregierung und somit auch der Füh-rung des BMZ unterliegen. Diesem Ziel fühlt sich dieUnionsfraktion verpflichtet.Die Vorhaben des BMZ, die sich aus der Paris-Dekla-ration oder aus den Beschlüssen in Akkra ergeben, dür-fen nicht von anderen Bundesministerien unterlaufenwerden. Das BMZ hat sich im Namen der gesamtenBundesregierung verpflichtet. Dies gilt somit auch fürdie anderen Ministerien. Daher ist es gut, dass MinisterNiebel hier anpackt und sicherstellen will, dass die Län-derliste, die das BMZ beschlossen hat, auch für die ande-ren Ministerien Gültigkeit hat. Wir haben in mehrerenFällen festgestellt, dass das bislang nicht funktioniert. Esfunktioniert wunderbar in Indonesien; aber auf den Phi-lippinen macht das Umweltministerium eine sehr viel ei-genständigere Politik, als dies gemäß der Zusammen-arbeit innerhalb der Ministerien „erlaubt“ ist. Wir sageneindeutig: Diese Entwicklung muss gestoppt werden, dasie die Axt an die Existenzberechtigung des BMZ legt.Ich denke, dass hier nicht nur eine Pflicht der anderenMinisterien zur Information des BMZ über ihre Arbeitim Ausland notwendig ist, sondern dass auch die Leit-linie der Länderliste anerkannt werden muss. Vor allenDingen muss sehr viel mehr Kohärenz und Zusammen-arbeit erfolgen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Lassen Sie mich zum Abschluss sagen, dass die
Reform der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
im Bereich des 0,7-Prozent-Ziels völlig richtig ist. Wir
brauchen aber auch mehr Gelder für die öffentliche Ent-
wicklungshilfe, wir brauchen vor allen Dingen eine stra-
tegische Weiterentwicklung. Diese Weiterentwicklung
ist Minister Niebel hervorragend angegangen.
Herr Kollege!
Wir danken ihm dafür. Er hat die Unterstützung der
CDU/CSU-Fraktion.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Sascha Raabe für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister, ich glaube, es ist mehr als gerechtfertigt,dass sich das Parlament, das über den Haushalt unddamit über die Mittel für das Personal entscheiden muss,darüber Gedanken macht, wie Spitzenpositionen imHaus besetzt werden. Weil Sie aus den Lebensläufen vonMitarbeitern des Ministeriums zitiert haben, will ich ausdem Brief des Personalrats des Bundesministeriumsfür wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-lung vom 11. Januar 2010 zitieren. Da heißt es:Leider müssen wir feststellen, dass Schlüsselposi-tionen im Hause, die für die künftige Gestaltung derdeutschen Entwicklungspolitik von strategischerBedeutung sind, zunehmend handverlesen externbesetzt werden. Wir halten bei nunmehr zehn exter-nen Besetzungen in wenigen Wochen die Grenzefür erreicht.Weiter heißt es:Externe Besetzungen ganz ohne Ausschreibungoder interne Besetzungen ohne Berücksichtigungqualifizierter Bewerbungen widersprechen demGrundsatz der Besetzung öffentlicher Ämter nachLeistung, Eignung und Befähigung und gefährdendaher auch die selbstgesteckten Ziele der Leitung,die anstehenden großen entwicklungspolitischenHerausforderungen erfolgreich anzugehen.Herr Minister, ich schließe mich der Kritik des Personal-rats vollumfänglich an.In Kambodscha haben Sie ein bisschen ironisch ge-sagt, als uns einer der Minister gegenübersaß: So vieleStaatssekretäre wie Sie hätte ich auch gerne. – Sie habensogar eine neue Abteilung gegründet. Sie blähen denApparat auf, um Parteifreunde zu versorgen. Sie habenaus dem Lebenslauf von Oberst Eggelmeyer zitiert. Esist keine Parteipolitik, wenn ich den Entwicklungsexper-
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Dr. Sascha Raabe
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ten Franz Nuscheler, den wir alle hier seit Jahrzehntenkennen, zitiere. Er kritisiert, dass Minister Niebel einezunehmende Militarisierung der Entwicklungspolitiknun auch personell vollendet.
Der Professor sagt, er sei einfach entsetzt über den Fall.Mit dieser Entscheidung verliere die Entwicklungspoli-tik den Rückhalt in der Zivilbevölkerung. Dies sei einimmenser Kollateralschaden. Vorhin hat der KollegeBinding Professor Rauch zitiert. Das sind keine eingetra-genen Parteigenossen;
das sind objektive Vertreter der Zivilgesellschaft und derWissenschaft.Sie haben den Mitarbeiter Tom Pätz genannt. Ichkann mir nur ein Bild über die Mitarbeiter, die Sie einge-stellt haben, machen, die ich im Ausschuss kennenge-lernt habe. Sie haben den Lebenslauf zitiert. In demLebenslauf steht nicht, dass dieser Kollege jemals eineFusion verantwortlich geleitet hat und dass er sich damitauskennt. Das ist jemand, der in Bonn auf lokaler EbeneAgenda-21-Prozesse moderiert hat.
Er hat uns im Ausschuss gesagt, es tue ihm leid, dass erunsere Fragen nicht beantworten könne, weil er erst seitwenigen Wochen diese Aufgabe habe. Er hat gesagt, erspreche jetzt zum ersten Mal mit dem Personalrat. Meis-tens hat er um Verständnis gebeten, weil er erst seit we-nigen Wochen mit dieser Aufgabe betraut sei.Für ein so großes Projekt brauchen Sie erfahreneLeute. Wir haben den Mut gehabt, auch wenn es amEnde aus Gründen, die wir nicht zu verantworten haben,nicht geklappt hat. Sie müssen die finanzielle und dietechnische Zusammenarbeit zusammenlegen, aber siedürfen nicht eine Minireform im technischen Bereichmit jemandem an der Spitze durchführen, der in ersterLinie das FDP-Parteibuch hat, der aber keinerlei Qualifi-kation oder Erfahrung hat, eine so große Herausforde-rung zu stemmen. In diesem Sinne bleiben wir bei unse-rer Kritik. Wir wollen, dass Qualifikation vor Parteibuchgeht.
Die Kollegin Heike Hänsel hat das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Herr Minister Niebel, ich möchte gern kurz auf
Ihren Einwurf reagieren. Ich habe nicht die Inkompetenz
Ihrer Mitarbeiter kritisiert. Meine Kritik bezog sich auch
nicht auf deren Parteibuch. Meine Kritik bezieht sich
vielmehr auf Ihre Personalpolitik. Ich kritisiere vor al-
lem die zweifelhafte Kompetenz Ihres Abteilungsleiters
Harald Klein, der sich in Publikationen der Friedrich-
Naumann-Stiftung, also öffentlich, dezidiert über den
Putsch in Honduras geäußert hat. Er hat diesen Putsch
indirekt gerechtfertigt, und er hat die Kritik an den Men-
schenrechtsverletzungen der jetzigen Regierung ver-
harmlost.
Wie fatal das ist, zeigt folgender Vorgang: Zwei Men-
schenrechtsaktivisten aus Honduras sind hierher gekom-
men – sie sind ein Risiko eingegangen –, um Kritik an
der dortigen Regierung zu üben. Sie sind ausgerechnet
an Ihren Abteilungsleiter Klein geraten, um mit ihm über
die Situation in Honduras zu sprechen. Noch nicht ein-
mal eine Woche nach diesem Gespräch hat Herr Lüth
– ein Kollege von Herrn Klein, mit dem er zusammen
bei der Friedrich-Naumann-Stiftung publiziert hat – ge-
genüber einer Tageszeitung in Honduras diese beiden
Menschenrechtsaktivisten namentlich genannt und er-
klärt, sie reisten durch die Welt und diskreditierten die
jetzige Regierung. Das gefährdet diese beiden Aktivis-
ten. Das finde ich unverantwortlich. Da frage ich mich
natürlich: Welche Rolle spielt dabei Herr Klein?
Ich halte es nicht für akzeptabel, im Entwicklungs-
ministerium einen Oberst einzustellen; dabei ist es egal,
dass er vorher im Auswärtigen Amt beschäftigt war. Ich
halte das für falsch. Ich bin für eine strikte Trennung
zwischen Zivilem und Militärischem. Eine militärische
Ausbildung ist etwas anderes als eine zivile Ausbildung;
das geht in eine ganz andere Richtung. Die Einstellung
dieses Obersts lehne ich inhaltlich ab. Insofern finde ich
es nicht in Ordnung, wenn Sie hier die Biografien Ihrer
Mitarbeiter – ich denke dabei auch an den Datenschutz –
in die Öffentlichkeit zerren. Es geht um die politische
Einstellung Ihrer Mitarbeiter, nicht um detaillierte bio-
grafische Daten.
Das Wort hat der Kollege Volkmar Klein.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! In der Sache ist an sich längst alles gesagt. Ichmuss ehrlich sagen: Ich bin über diese Debatte ein biss-chen irritiert. Obwohl hier und da aufgeregte Worte ge-fallen sind und es zu Konfrontationen gekommen ist,hatte ich den Eindruck, dass uns die gemeinsame Moti-vation und das gemeinsame Ziel einen. Insofern hättenversöhnlichere Töne die Diskussion prägen können. Estut mir ein bisschen leid, dass wir in diesen persönlichgeprägten Diskussionsstil verfallen sind, zumal uns ebengesagt worden ist – das ist für diejenigen wichtig, diesich vorher vielleicht nicht ausreichend informierenkonnten oder wollten –, dass qualifizierte Personen vor-handen sind.Zurückweisen möchte ich den zuletzt vorgetragenenAnwurf bezüglich eines Obersts im Ministerium. Ichglaube, wir können hier nicht den Stab über irgendwel-che Lebensläufe brechen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2829
Volkmar Klein
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Wir sollten nicht plötzlich so tun, als wären Menschenaufgrund eines vorher ausgeübten Berufes für andereAufgaben disqualifiziert. Wenn ich es richtig verstandenhabe, ist diese Person nicht als Oberst, sondern als Mit-arbeiter im Ministerium beschäftigt. Wir sollten allge-mein etwas abrüsten; das ist vielleicht das richtige Stich-wort.
Ganz abgesehen davon habe ich mitbekommen, dasses in diesem Ministerium schon in der VergangenheitDifferenzen mit dem Personalrat über die persönlicheQualifikation neuer Mitarbeiter gegeben hat; der FallMikota wurde schon genannt. Ich glaube, dass es das im-mer wieder geben wird, aber dass es einfach unangemes-sen ist, die Lebensgeschichte dieser Menschen im Ple-num des Deutschen Bundestages schon ein bisschen inden Schmutz zu ziehen.
Ich würde mir wünschen, dass wir das in Zukunft unter-lassen.Die Auffassung, dass es eine weitere Strukturreformauch im Ministerium geben muss bzw. geben sollte,scheint mir bisher Allgemeingut bei allen hier gewesenzu sein. Von diesem Plan sollte sich der Minister durchdiese Diskussion nicht abbringen lassen.Herzlichen Dank.
Die Kollegin Ute Koczy hat das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich wünschte mir, wir hätten diese neue
Runde nicht eröffnen müssen. Es hätte doch sicherlich
elegantere Methoden gegeben, um eine solche Debatte
zu führen.
Ich bin der Meinung, dass es, Herr Minister, vielleicht
nicht ganz so hilfreich war, die Rollen zu wechseln und
etwas vorzulesen, was vielleicht in eine etwas kleinere
Runde gehört hätte. Vielleicht hätten Sie anbieten kön-
nen – das wäre mein Vorschlag gewesen –, in einer klei-
neren Runde mit den Obleuten und den Haushaltsbe-
richterstattern, wenn es gewünscht worden wäre, ein
Gespräch zu führen, als hier diese Debatte in diese Rich-
tung zu lenken.
– Ich meinte jetzt nicht den Ausschuss, Herr Leibrecht.
– Herr Kollege! – Ich bin der Meinung, dass eine solche
Debatte über Personal und über Personalführung nicht
in dieser Form hier ausgebreitet werden sollte.
Es sind viele daran beteiligt gewesen, dass wir hier nicht
günstig dabei weggekommen sind.
Ich fand es, ehrlich gesagt, nicht in Ordnung, dass die
Frau Präsidentin deutlich machen musste, dass sich doch
bitte alle an die Art der Geschäftsführung, die es hier im
Parlament gibt, halten sollten, nämlich zum Kern der
Debatte zu reden, statt sich auf Nebengleise zu begeben
und dies dann auch noch zu vertiefen.
Das hat letztlich dazu beigetragen, dass das Thema ver-
fehlt wurde.
Danke für die Aufmerksamkeit.
Der Kollege Michael Link hat das Wort für die FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Ich gebe der Kollegin recht: Die in-haltliche Debatte ist hier ohne Zweifel insgesamt die we-sentlich wichtigere; denn für die inhaltliche Debatte sindwir auch gewählt. Diese Regierung und gerade dieserMinister vertreten inhaltlich genau das, wofür wir imletzten September gewählt wurden. Wenn aber in denletzten Wochen die ganze Debatte eine für die jetzt ein-gestellten Mitarbeiter wirklich diffamierende und belei-digende Tonart angenommen hat, dann ist es doch mehrals verständlich, wenn der Kollege Niebel das richtig-stellen möchte.
Es sind im Übrigen die gerade erwähnten Mitarbeitervorher gefragt worden, ob sie einverstanden sind, dass,wenn auch hier im Plenum weiterhin Kritik geübt wird,weitere Sachinformationen über ihre Personen gegebenwerden. Ich glaube, es ist sehr beruhigend, vor der Öf-fentlichkeit feststellen zu können, dass hier hochkompe-tente, leistungsfähige und eben nicht nach Parteibuchausgesuchte Mitarbeiter eingestellt worden sind.
Dass Handlungsbedarf auf der Leitungsebene desMinisteriums bestand, ist wohl klar. Ich möchte nur dieKollegen von der SPD daran erinnern, dass nach meinerInformation Ministerin Wieczorek-Zeul, als sie ihr Amtantrat, außer einem einzigen alle Abteilungsleiter in deneinstweiligen Ruhestand versetzt hat. Das zeigt dochauch, in welch unterschiedlicher Art und Weise man ineiner solchen Situation vorgehen kann.
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2830 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010
Michael Link
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Ich stelle fest: Es handelt sich hier um hochqualifi-zierte, über jeden Verdacht erhabene Mitarbeiter.
Wenn wir so weit kommen, dass es jemandem, der ein-mal als Zeitsoldat bei der Bundeswehr gedient hat – wirhaben gerade den Einzelplan 14 behandelt –, zum Be-rufsverbot beim BMZ gereicht, dann ist etwas falsch inunserem Land.
Ich bitte die Opposition, sich nicht auf der einen Seitein Krokodilstränen und Bemerkungen über den Dienstunserer Soldaten, den wir sonst bei jeder Gelegenheit be-klatschen, zu ergehen, dann aber, wenn sie nach ihrerDienstzeit in anderen Bereichen der Wirtschaft oder Ver-waltung Dienst tun wollen, so zu tun, als ob das nichtmehr aller Ehren wert sei.
Wir als FDP-Fraktion danken der Bundesregierung undinsbesondere Bundesminister Niebel für die Arbeit, dieer im Ministerium macht, und wir vertrauen voll undganz auf seine Personalauswahl.
Damit schließe ich die Aussprache.
Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 18. März 2010,
9 Uhr, ein.
Genießen Sie die gewonnenen Einsichten und den
restlichen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.