Protokoll:
17030

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 30

  • date_rangeDatum: 17. März 2010

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: None Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 19:51 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/30 2705 B Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . Bernd Scheelen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Drucksachen 17/605, 17/623) . . . . . . . . . Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Herbert Frankenhauser (CDU/CSU) . . . . . . . Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 2705 D 2711 A 2720 A 2725 A 2730 B 2734 C 2734 D 2735 B 2736 B 2739 A 2749 C 2749 C 2754 B 2756 C 2758 B 2759 A 2759 B 2761 A 2761 C 2763 D Deutscher B Stenografisc 30. Sit Berlin, Mittwoch, d I n h a Tagesordnungspunkt I (Fortsetzung): a) Zweite Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2010 (Haushaltsgesetz 2010) (Drucksachen 17/200, 17/201) . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung des Haushaltsaus- schusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 2009 bis 2013 (Drucksachen 16/13601, 17/626) . . . . . . . 9 Einzelplan 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt (Drucksachen 17/604, 17/623) . . . . . . . . . 2705 A 2705 B Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . . . Petra Merkel (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 2740 D 2743 B undestag her Bericht zung en 17. März 2010 l t : Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . Reiner Deutschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegmund Ehrmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Einzelplan 05 Auswärtiges Amt 2744 C 2745 C 2746 B 2747 C 2748 C 2749 B 2752 C Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . 2764 B 2764 C II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Andrej Konstantin Hunko (DIE LINKE) . . . . Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Frankenhauser (CDU/CSU) . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . . . Michael Stübgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Rüdiger Kruse (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11 Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung (Drucksachen 17/613, 17/623) . . . . . . . . . Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD) . . . Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2764 D 2765 C 2767 A 2767 C 2768 A 2769 C 2771 B 2772 D 2773 B 2774 C 2775 C 2777 A 2778 D 2780 B 2781 A 2781 B 2783 A 2784 B 2785 D 2786 C 2786 C 2788 C 2789 B 2791 D 2793 A 2794 D 2795 B 2795 B 2796 A 2796 D 2798 C 2800 C 2801 D Tagesordnungspunkt III: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Abschaffung des Finanzpla- nungsrates (Drucksache 17/983) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Fraktion DIE LINKE: Men- schenrechte in Kolumbien auf die Agenda setzen – Freihandelsabkommen EU-Ko- lumbien stoppen (Drucksache 17/1015) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Fraktion DIE LINKE: Den Schie- nenverkehr als sichere Verkehrsform er- halten und stärken (Drucksache 17/1016) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt IV: a) Erste Beschlussempfehlung des Wahlprü- fungsausschusses: zu Einsprüchen ge- gen die Gültigkeit der Wahl der Abge- ordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland am 7. Juni 2009 (Drucksache 17/1000) . . . . . . . . . . . . . . . b) – l) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59 und 60 zu Peti- tionen (Drucksachen 17/909, 17/910, 17/911, 17/912, 17/913, 17/914, 17/915, 17/916, 17/917, 17/918, 17/919) . . . . . . . . . . . . . . 12 Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Drucksachen 17/619, 17/623) . . . . . . . . . Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Volkmar Klein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Niebel, Bundesminister BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2803 D 2803 D 2804 A 2804 A 2804 B 2805 B 2805 C 2807 B 2808 B 2809 D 2810 D 2811 B 2812 B 2814 B 2816 A 2818 A 2818 A 2818 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 III Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Dirk Niebel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Niebel, Bundesminister BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Volkmar Klein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Link (Heilbronn) (FDP) . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 2819 B 2820 A 2820 C 2821 D 2823 B 2823 C 2823 D 2825 A 2826 A 2826 C 2827 C 2828 B 2828 D 2829 B 2829 D 2830 D 2831 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2705 (A) (C) (D)(B) 30. Sit Berlin, Mittwoch, d Beginn: 9
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2831 (A) (C) (D)(B) Anlage zum Stenografischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Barchmann, Heinz- Joachim SPD 17.03.2010 Bellmann, Veronika CDU/CSU 17.03.2010 Brinkhaus, Ralph CDU/CSU 17.03.2010 Burchardt, Ulla SPD 17.03.2010 Cramon-Taubadel, Viola von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.03.2010 Götz, Peter CDU/CSU 17.03.2010 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 17.03.2010 Golze, Diana DIE LINKE 17.03.2010 Körper, Fritz Rudolf SPD 17.03.2010 Kramme, Anette SPD 17.03.2010 Möller, Kornelia DIE LINKE 17.03.2010 Pflug, Johannes SPD 17.03.2010 Roth (Esslingen), Karin SPD 17.03.2010 Schäfer (Bochum), Axel SPD 17.03.2010 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 17.03.2010 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.03.2010 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Hempelmann, Rolf SPD 17.03.2010 Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.03.2010 Koch, Harald DIE LINKE 17.03.2010 Dr. Steffel, Frank CDU/CSU 17.03.2010 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.03.2010 Werner, Katrin DIE LINKE 17.03.2010 30. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 Inhalt: Redetext Anlage zum Stenografischen Bericht Anlage
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703000000

Die Sitzung ist eröffnet.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nehmen Sie bitte Platz.

Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord-
nungspunkt I – fort:

a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2010 (Haushaltsgesetz 2010)


– Drucksachen 17/200, 17/201 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-
haltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unterrich-
tung durch die Bundesregierung

Finanzplan des Bundes 2009 bis 2013

– Drucksachen 16/13601, 17/626 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider (Erfurt)

Otto Fricke
Roland Claus

Rede
Alexander Bonde

Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt I.9 auf:

Einzelplan 04
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt

– Drucksachen 17/604, 17/623 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Rüdiger Kruse
Petra Merkel (Berlin)

Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz (Herborn)


Dazu liegen Ihnen die Beschlussempfe
Haushaltsausschusses auf den Drucksachen
17/623 vor.
zung

en 17. März 2010

.00 Uhr

Es gibt einen Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke zu diesem Einzelplan, über den wir später nament-
lich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache dreieinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es
dazu Einwände? – Das ist offenkundig nicht der Fall.
Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Kollegen Dr. Frank-Walter Steinmeier für
die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Rede ID: ID1703000100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Bundeskanzlerin, wir haben nicht nur Ver-
ständnis für die Abwesenheit des Bundesfinanzminis-
ters, sondern wir wünschen ihm auch raschen Fortschritt
beim Heilungsprozess. Gute Besserung, Herr Schäuble,
wünscht Ihnen die gesamte SPD-Fraktion!


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Haushaltsdebatten sind besondere Debatten, selten in

text
Moll geführt und nie nur Debatten über Zahlenkolonnen.
Da steht die Regierung auf dem Prüfstand, und das tut
not, weil – mit Blick auf das, was wir in den nächsten
Jahren zu bestehen haben – die Herausforderungen in
der Tat gewaltig sind. Die Zweifel der Menschen in
Deutschland, dass wir das schaffen, wachsen doch täg-
lich; das ist doch zu spüren. Wir stecken in der tiefsten
Wirtschaftskrise seit 1949. Das Wirtschaftswachstum
verlagert sich in andere Teile der Welt, nach Asien etwa,
weit weg von Europa und von Deutschland. Das Ge-
wicht Europas in der Welt wird kleiner, und hier wach-
sen sogar die Gegensätze zwischen den Eurostaaten.
Viele Menschen in Deutschland fragen sich mittlerweile,

tand hier wohl erhalten bleibt. Das alles ist
g. Aber noch schlimmer ist: Ausgerechnet

litik vorangehen müsste, wo Politik Ver-
en müsste, da hat Deutschland eine Regie-
hlungen des
17/604 und

ob der Wohls
schlimm genu
jetzt, wo Po
trauen schaff

rung, die nicht regiert, die keine gemeinsame Idee und





Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) (C)



(D)(B)

keinen gemeinsamen Willen hat. Jeder kämpft gegen je-
den in dieser Regierung. Sie streiten sich wie die Kessel-
flicker. Es gibt keinen, der Ordnung schafft. So schlecht
wurde Deutschland seit Jahrzehnten nicht regiert. Wir
verlieren Tag für Tag an Boden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Viele, die Sie gewählt haben, sind nicht nur enttäuscht
– diese Briefe bekommen nicht nur wir von der SPD-
Fraktion –, sondern auch entsetzt. Nach 140 Tagen Re-
gierung haben Sie doch im Grunde genommen Ihren
Vertrauensvorschuss schon verspielt. Das kleinkarierte
Gezänk, das wir jeden Tag hören, geht den Menschen
doch auf die Nerven. Die Menschen in Deutschland wis-
sen schon jetzt, nach 140 Tagen, nicht, wovor sie eigent-
lich Angst haben sollen: dass diese Regierung sich auf-
löst oder dass sie im Amt bleibt. Das Schlimmste ist:
Selbst das ist den Menschen schon egal.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt sehr ernsthaft: Glauben Sie nicht, dass Sie mit
der SPD eine Oppositionsfraktion haben, die da scha-
denfroh in der Ecke steht – nicht, wenn es um die Zu-
kunft des größten Landes in Europa geht. Wir wissen,
Deutschland regieren, das ist kein Spiel, der Kabinetts-
saal ist kein Abenteuerspielplatz, eine Regierung ist
keine Selbsterfahrungsgruppe. Spielen Sie nicht mit der
Verantwortung, die Sie für dieses Land übernommen
haben! Nehmen Sie diese Verantwortung endlich an!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


So wie bisher, Frau Merkel, schafft diese Regierung
kein Vertrauen, sie zerstört Vertrauen. So kann das
nicht weitergehen. Wer soll denn in Deutschland an die
Regierung glauben, wenn sie nach 140 Tagen ein so
schwaches Bild abgibt? Wer soll denn glauben, dass
diese Regierung in der Lage ist, die Macht von Banken
und Börsen tatsächlich einzuschränken? Wer soll denn
glauben, dass diese Regierung Wege aus der Krise be-
schreibt? Wer soll denn glauben, dass diese Regierung
Zukunft gestaltet angesichts des schwierigen Jahrzehnts,
das auf uns zukommt?


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, Sie regieren noch kein hal-
bes Jahr, und niemand glaubt Ihnen das, nicht einmal die
eigene Wählerschaft. Das kann Sie doch nicht kaltlassen.
Darüber kann man doch nicht mit Schulterzucken hin-
weggehen. Das geht einfach nicht. So kann das nicht
weitergehen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir sind hier doch nicht im Boxklub!)


– Seien Sie vorsichtig, es geht hier nicht nur um Regie-
rung, sondern es ist ein bisschen mehr, was da bedroht
ist. Da kommt ein bisschen mehr als nur Vertrauen in die
Regierung ins Rutschen.

Viele sagen doch: Die Orientierung fehlt, Werte sind
verloren gegangen. Wenn da etwas dran ist, meine Da-
men und Herren, dann sind diese Werte vermutlich nicht
in der Wohnküche von Arbeitslosen verloren gegangen.
Werte erodieren nicht von unten, sondern sie erodieren
meistens von oben. Das war schon im späten Rom so,
Herr Westerwelle. Dekadenz war leistungsloser Wohl-
stand saturierter Oberschichten. So war das.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nun weiß auch ich, nicht alles, was hinkt, ist ein Ver-
gleich, Herr Westerwelle. Aber wenn ich schon Verglei-
che anstelle, dann hätte ich an Ihrer Stelle in den Ver-
gleich Gier, Unvernunft, Verantwortungslosigkeit und
Leichtfertigkeit einiger internationaler Finanzmanager in
den Topetagen einbezogen. Je skrupelloser, je erfolgrei-
cher – das war doch die Maxime, die einige vorgelebt
haben. Das zerstört Werte. Das zerstört Vertrauen. Wenn
das Vertrauen in die Gültigkeit von Regeln, wenn das
Vertrauen in die Gültigkeit von Standards verloren geht,
wenn da einige glauben, sich über andere stellen zu kön-
nen, dann sinkt eben auch das Vertrauen in Politik. Dann
sinkt das Vertrauen in Demokratie. Das geht nicht nur
die Regierung an. Darum kümmern auch wir uns, meine
Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben jedenfalls un-
sere Verantwortung angenommen mit einer kritischen
und – das gebe ich zu –, wo nötig, auch scharfen Opposi-
tionsarbeit. Wir haben die Verantwortung aus den elf
Jahren, an denen wir an der Regierung in diesem Land
beteiligt waren, nicht vergessen. Wir haben das gezeigt,
etwa bei der Debatte und bei der Abstimmung über den
Afghanistaneinsatz. Wir zeigen das bei den Gesprächen,
die wir zurzeit über die Zukunft der Jobcenter führen.
Wir haben Verantwortung gezeigt. Aber, Frau Merkel,
ich frage Sie nach Ihrer Verantwortung. Sie sind verant-
wortlich dafür, dass die Regierung ihre Aufgaben zum
überwiegenden Teil nicht erfüllt. Es ist kaum zu ertra-
gen, dass Sie den Eindruck erwecken, als hätten Sie da-
mit nichts zu tun, als wäre Ihnen auch manches peinlich,
was der eine oder andere Minister da öffentlich äußert.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür muss man Verständnis haben!)


Diese schwarz-gelbe Koalition, Frau Merkel, ist Ihre
Koalition. Sie haben diese Koalition gewollt. Das war
vor sechs Monaten Ihre Liebesheirat. Wir sagen Ihnen
heute: Sie stehen vor den Trümmern einer zerrütteten
Ehe. Das ist die ganze Wahrheit. Jeder sieht das.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) (C)



(D)(B)

Wenn ich mit dem einen oder anderen von Ihnen über
die Flure gehe, dann sagt mir mancher: Herr Steinmeier,
Sie hatten doch damals bei Rot-Grün 1998 auch
schlechte Presse. – Ich erinnere mich sehr gut: Ja, auch
wir hatten schlechte Presse. Aber ich würde nie sagen,
dass schlechte oder gute Presse der Maßstab von Poli-
tik sein darf. Rot-Grün wurde 1998 kritisiert, weil sie
sich zu viel vorgenommen haben, zu schnell vorgenom-
men haben, gleichzeitig gehandelt haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind ein Traumtänzer!)


– Passen Sie auf! – Vieles haben Sie jetzt übernommen.

Ich erinnere an den Streit um die Energiewende. Wo
standen Sie bei der Einführung der Ökosteuer? Wo stan-
den Sie beim Erneuerbare-Energien-Gesetz? Wo standen
Sie beim Ausstieg aus der Atomenergie?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das alles fand im ersten Jahr statt, begleitet durch die
Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes und durch
Initiativen zur Veränderung im Verhältnis der Ge-
schlechter.

Dieses Problem haben Sie nicht: zu viel, zu schnell
und gleichzeitig. Sie haben ein anderes Problem:


(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!)


Diese schwarz-gelbe Regierung hat kein einziges ge-
meinsames Projekt, das überzeugt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Union beschimpft die Liberalen als Traumtänzer.
Die FDP erwidert der Union: Wenn ihr heimlich weiter
Große Koalition macht, was wollt ihr dann mit uns? –
Frau Merkel, was soll denn daraus werden? Wenn sogar
die Beteiligten dieser Koalition die Koalition für einen
Irrtum halten, dann ist das eben ein schrecklicher Irrtum
für Deutschland.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das für einen Irrtum zu halten, ist ein Irrtum, genau!)


Jetzt diskutieren wir einen Haushalt mit über
80 Milliarden Euro Neuverschuldung. Jeder dritte Euro
dieses Haushaltes ist schuldenfinanziert. Das ist einsa-
mer Rekord. Das ist natürlich auch eine Folge der Fi-
nanzkrise. Das – jetzt hören Sie zu – legen wir nicht vor-
dergründig Ihnen oder dem Finanzminister Herrn
Schäuble zur Last. Aber die ganze Wahrheit ist doch:
Die Steuerzahler werden jetzt für die Gier von Banken
und Hedgefonds zur Kasse gebeten, jeder in Deutsch-
land mit mindestens 2 500 Euro.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben es doch eingeführt!)

Das ist das himmelschreiend Ungerechte. Wenn Politik
verlorenes Vertrauen wirklich wieder zurückholen will
– das ist auch Ihre Aufgabe, meine Damen und Herren –,
dann müssen Sie eben jetzt als Regierung handeln. Stop-
pen Sie das Tun der Finanzjongleure, die sich ein ums
andere Mal auf Kosten des Gemeinwohls bereichern!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sorgen Sie dafür, dass das internationale Börsenkasino
nicht weitermacht wie bisher! Sorgen Sie dafür, dass die
Banken das billige Geld aus den Rettungspaketen an un-
sere Mittelständler geben und nicht schon wieder für
Zockereien missbrauchen!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Merkel, Sie haben viel geredet, aber geändert hat
sich nichts. Das ist das, was zu beklagen ist. In der Gro-
ßen Koalition haben wir, haben Sozialdemokraten Sie
bei der Regulierung der Finanzmärkte gedrängt. Die
Union hat damals auf der Bremse gestanden, und mit der
FDP steht jetzt die gesamte Regierungsbank auf der
Bremse. Die Banken und die Finanzmarktlobby – wir
hören das bis nach Berlin – atmen erleichtert auf in die-
sen Tagen. Warum das so ist, haben wir in den letzten
Monaten oft genug gesehen: Da entwirft Gordon Brown
in Großbritannien den Vorschlag, die Hälfte der Banker-
boni als Steuern abzukassieren, was Frau Merkel für
eine „charmante Idee“ hält. Aber was passiert dann?


(Caren Marks [SPD]: Nichts! Wie immer!)


Nichts. Dann haben wir über die Börsen- und Finanz-
marktabgabe diskutiert. Was passierte? Weit weggescho-
ben in die Prüfungsschleifen der G-20-Welt, vertagt – so
würde man sagen – ad calendas graecas. Aber ich gebe
zu: Das geht in diesen Tagen schwer über die Lippen.

Banken und Hedgefonds haben den griechischen
Staat mit spekulativen Kreditausfallversicherungen fast
in den Ruin getrieben. Das hat Griechenland und – wer
weiß – am Ende vielleicht auch den Steuerzahler in Eu-
ropa Hunderte von Millionen Euro gekostet. Was sagt
diese Regierung? Was sagt die Bundeskanzlerin? Das
muss man untersuchen. – Nein, Frau Merkel, Taten sind
jetzt gefragt. Die Krise geht weiter, solange es keine
Ordnung auf den internationalen Finanzmärkten gibt.
Legen Sie deshalb die Hedgefonds an die Kette! Bringen
Sie Ratingagenturen unter Aufsicht! Verbieten Sie Leer-
verkäufe und den spekulativen Handel mit Kreditausfall-
versicherungen! Das muss mindestens sein in dieser Si-
tuation.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Steuerzahler jedenfalls – darüber müssen wir uns
in diesem Haus einig sein – darf nicht weiter die Zeche
für Zocker und Spekulanten zahlen. Dafür zu sorgen, ist
jetzt Aufgabe dieser Regierung. Wenn Sie dafür keine
Mehrheit in der Koalition haben: Ich bin mir sicher, in
diesem Hause haben Sie sie, Frau Merkel.


(Beifall bei der SPD)






Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) (C)



(D)(B)

Ich spreche über Vertrauen. Wer Vertrauen zurückho-
len will, der muss mit Blick auf diesen Haushalt und mit
Blick auf eine Rekordverschuldung von 80 Milliarden
Euro beim Sparen bei sich selbst anfangen. Diese Regie-
rung macht das Gegenteil. Herr Fricke, Sie haben ges-
tern hier gesprochen. Ich habe in früheren Jahren viele
Gespräche mit Herrn Koppelin, dem für mich damals zu-
ständigen Haushälter, und mit Herrn Westerwelle ge-
führt. Wie haben Sie sich über jede neue Stelle aufge-
regt, als Sie noch in der Opposition waren. Wie oft
haben Sie von diesem Pult aus mit Ihrem dickleibigen
liberalen Sparbuch gewedelt. 400 Sparvorschläge ha-
ben Sie uns von diesem Rednerpult aus angekündigt.
Das war Ihr gutes Recht. Womit Sie nicht gerechnet ha-
ben: Das weckt Erwartungen. Jetzt sind Sie an der Re-
gierung und nichts davon ist verwirklicht.


(Widerspruch bei der FDP – Jörg van Essen [FDP]: Stimmt gar nicht! Das ist doch Unsinn!)


Stattdessen 985 neue Beamtenstellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Das ist falsch! Das stimmt nicht! Wir bauen Stellen ab! Sie sollten in den Haushalt hineinschauen! Lesen macht schlauer!)


Sie suchen offenbar noch nach einer Überschrift für das
schwarz-gelbe Projekt. Mir fällt nur eine Überschrift für
dieses Projekt ein, eine Überschrift, die sich aufdrängt.
Sie lautet „Mehr Bürokratie wagen“. Das ist Ihre Parole.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Finanzminister hat 417 neue Stellen. Herr
Röttgen lässt für 2 Millionen Euro seine neue Chefetage
planen, so habe ich gelesen. Gleichzeitig sperrt diese Re-
gierung 900 Millionen Euro für die Qualifizierung von
Arbeitslosen. Sie predigen öffentlich Wasser und trinken
heimlich Wein. Sie aasen und denen, die Arbeit suchen,
nehmen Sie das Geld weg. Das sind die Prioritäten die-
ser Regierung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Westerwelle, ich habe Sie auf dem Parteitag der
FDP in Siegen beobachtet. Ich habe auf der großen Lein-
wand im Hintergrund den Slogan gesehen „Aufstieg
durch Leistung“. Aufstieg durch Arbeit, Aufstieg durch
Bildung und Aufstieg durch Leistung: Das sagen wir So-
zialdemokraten nicht nur, dafür machen wir seit 150 Jah-
ren Politik.


(Beifall bei der SPD)


Wir ziehen daraus möglicherweise sehr unterschiedliche
Schlussfolgerungen. Wir sagen nämlich zusätzlich: Je-
der, der jeden Tag zur Arbeit geht, muss von seinem
Lohn verdammt noch mal auch leben und seine Familie
ernähren können. Er muss herauskommen aus Armut
und aus der Abhängigkeit vom Staat. Sie von der FDP
und auch Teile der Union finden sich eben mit Billiglöh-
nen ab. Der eine oder andere hält sie sogar für notwen-
dig. Ich habe es im Koalitionsvertrag gelesen. Da sagen
Sie: Sittenwidrige Löhne sind die Untergrenze. Sie wis-
sen, was das im Klartext nach der geltenden Rechtspre-
chung bedeutet. Das bedeutet 4 Euro die Stunde, und das
bedeutet weiterhin, dass der Rest bis zur Grundsicherung
vom Steuerzahler draufgelegt werden muss. Das ist Ihre
Politik. Das bedeutet für die Menschen: den ganzen Tag
arbeiten und am Ende doch keine Chance haben, aus der
Abhängigkeit herauszukommen, also keine Unabhängig-
keit vom staatlichen Tropf. Sie reden über den Preis der
Arbeit, und wir reden über den Wert von Arbeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer den Wert von Arbeit nicht respektiert, wer ihn miss-
achtet, der greift das Wertegerüst einer auf Arbeit ge-
gründeten Gesellschaft an. Deshalb war das Wort von
der römischen Dekadenz, das Sie, Herr Westerwelle, den
Arbeitslosen hinterhergerufen haben, nicht nur zynisch,
sondern auch leichtfertig und gefährlich. Und ich be-
haupte, Sie wissen das.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Ach! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Deshalb macht er es ja!)


Wenn Ihnen an Aufstieg durch Arbeit oder Aufstieg
durch Leistung wirklich etwas liegt, dann schaffen Sie
die Voraussetzungen dafür, dass in diesem Lande endlich
Mindestlöhne eingeführt werden und dass wir mehr Ar-
beitsvermittler bei den Arbeitsagenturen bekommen.
Schaffen Sie Perspektiven und Beschäftigungsmöglich-
keiten für Langzeitarbeitslose, statt sie zu beschimpfen.
Deutschland muss kein Land der Billiglöhne bleiben und
werden. Dafür werden wir kämpfen, und zwar auch in
der Kommission für Mindestlöhne.


(Beifall bei der SPD – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das hätten Sie machen sollen, als Sie an der Regierung waren!)


Wir alle wollen, dass Arbeit sich lohnt, dass Leistung
sich lohnt, aber eben nicht nur für Hotelbesitzer und an-
dere, sondern auch für diejenigen, die wirklich zu den
Leistungsträgern in diesem Lande gehören, zum Beispiel
für die Pflegekräfte, die schwer arbeiten müssen und oft
sittenwidrig schlecht bezahlt werden. Sie haben mindes-
tens den Mindestlohn verdient, diesen aber ganz be-
stimmt. Da sind Union und FDP merkwürdig zurückhal-
tend, da eiern sie herum. Sie haben diese Aufgabe an
eine Kommission weitergegeben und schauen mit ver-
schränkten Armen zu, wie die Sache zurzeit nicht voran-
kommt.

Frau Merkel, Frau von der Leyen, Frau Schröder, tun
Sie das Nötige, damit sich Leistung für diejenigen wie-
der lohnt, die die wirklichen Leistungsträger unseres
Landes sind, die jeden Tag Alte und Kranke füttern, wa-
schen und ihnen Zuwendung geben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie sollten den Mut haben, zu sagen: Es geht nicht, diese
Menschen mit einem Stundenlohn von 4 Euro abzuspei-





Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) (C)



(D)(B)

sen, und wenn die Kommission anders entscheiden wird,
dann nehmen wir das nicht hin.

Sie appellieren alle an das Gute im Menschen, an die
menschliche Gesellschaft.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut die FDP wirklich nicht!)


Dagegen habe ich wirklich nichts; viele tun das zu
Recht. Aber das Missverständnis in dieser Regierung ist:
Sie haben nicht zu appellieren, Sie haben zu entscheiden.
Das tun Sie seit Wochen nicht, auch hier nicht, und des-
halb sind Sie die größte Nichtregierungsorganisation
dieses Landes!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Genauso halten Sie es in der Gesundheitspolitik. Je-
der darf sich da im Augenblick einmal mit neuen Ideen
ausprobieren, als hätten wir gerade in diesem Bereich
nichts zu verlieren. Ich jedenfalls bin der Meinung, dass
wir im europäischen Vergleich immer noch die beste me-
dizinische Versorgung in diesem Land haben. Wir haben
das Vertrauen der Menschen darauf, dass jeder Zugang
zu dieser medizinischen Versorgung hat. Wir haben Ver-
trauen darauf, dass in Deutschland die Kosten für eine
hochklassige medizinische Versorgung fair verteilt wer-
den. Das ist nicht wenig. Aber als wäre das nichts, darf
jeder in der Regierung in diesem Bereich herumdilettie-
ren. Mit solch einer Politik untergraben Sie das Ver-
trauen der deutschen Bevölkerung.

Wer in einer solchen Situation auf nichts anderes
kommt, als vorzuschlagen, die Beiträge der Arbeitgeber
einzufrieren, der weiß ganz genau, was er tut. Das heißt
nämlich, dass alle Kostensteigerungen infolge des medi-
zinischen Fortschritts, neuer Behandlungsmethoden und
steigender Medikamentenpreise in Zukunft einseitig auf
den Schultern der Versicherten ruhen. Das bricht mit
dem Solidaritätsprinzip im Gesundheitswesen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörg van Essen [FDP]: Nichts verstanden! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Quatsch!)


– Sie wissen das. – Das bricht mit dem guten Prinzip
„Menschen für Menschen“, das uns in 60 Jahren Nach-
kriegszeit in der Gesundheitspolitik stark gemacht hat.
Sie opfern das einem Wahlversprechen. So darf man in
Deutschland nicht Politik machen, vor allem nicht in
diesem sensibelsten Bereich der Gesellschaft.


(Beifall bei der SPD)


Ich bin nicht an der Regierung, ich darf appellieren,
und ich appelliere an Sie: Behalten Sie erstens die Ar-
beitgeber in der Verantwortung


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


und fahren Sie zweitens das Gesundheitssystem durch
die Einführung der Kopfpauschale nicht gegen die
Wand. Dieses System ist ungerecht, das wissen Sie, und
der Sozialausgleich ist unfinanzierbar. Aber was noch
viel schlimmer ist: Sie wollen bis zu 30 Millionen Men-
schen in den Sozialausgleich schicken, 30 Millionen
Krankenversicherte zu Bittstellern machen, mit umfang-
reichen Fragenkatalogen, Formularen und – wer hätte es
gedacht – mit noch mehr Bürokratie.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich verspreche Ihnen: Das wird Ihnen nicht gelingen.
Der Protest ist gewaltig, und wir haben die Bürger auf
unserer Seite. Wir werden das verhindern.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist eine falsche Behauptung!)


Die Regierung hat nicht nur keine Antworten. Da, wo
sie Antworten gibt, hat sie falsche Antworten. Sie ver-
weigert sich den wirklich wichtigen Fragen. Die Men-
schen stellen sich nicht die Frage: Kommen die mit-
einander klar? Das interessiert die Menschen nicht. Die
Menschen interessiert die Frage: Woher kommt in
Deutschland der Wohlstand von morgen? Dazu habe ich
von dieser Regierung noch kein vernünftiges Wort ge-
hört, geschweige denn ein durchdachtes Konzept gese-
hen. Das, was ich gesehen habe, ist ein Gesetz, das einen
falschen Namen trägt. Mit dem Wachstumsbeschleuni-
gungsgesetz wächst nichts, außer den Schulden. Sie hö-
ren doch die Hilferufe der Bürgermeister und Oberbür-
germeister. Sie haben das zur Kenntnis genommen und
– wie ich den Zeitungen entnommen habe – mit Betrof-
fenheit quittiert, mehr aber auch nicht. Zu den Einnah-
meverlusten, die die Städte und Gemeinden haben – in
diesem Jahr sind es bereits mehr als 10 Milliarden Euro –,
legen Sie noch eins obendrauf. Sie helfen ihnen nicht. Im
Gegenteil: Sie nehmen ihnen noch einmal etwas weg:
1,6 Milliarden Euro allein durch das Wachstumsbe-
schleunigungsgesetz und zusätzlich durch die veränderte
steuerliche Berechnung bei Leasing und Funktions-
verlagerung ins Ausland. Bei zukünftigen Einkommen-
steuersenkungen können noch weitere Einnahmeverluste
in Milliardenhöhe hinzukommen. Das geht so nicht! So
können wir die Kommunen in Deutschland nicht alleine
lassen. Mit uns geht das nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Was ist mit dem Bürgerentlastungsgesetz?)


Was ich nun sage, Frau Merkel, meine ich in der Tat
sehr ernst:


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Jetzt wird es endlich spannend! – Hermann Gröhe [CDU/ CSU]: Sie meinen mal etwas ernst?!)


Hören Sie genau zu. Wenn das so weitergeht – Sie ahnen
das doch selbst auf der Seite der Opposition –,


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf: Opposition?)


dann sind wir dabei, unsere Zukunft zu verlieren. Die In-
vestitionen rutschen ab und der private Konsum stag-
niert. Im letzten Aufschwung waren wir in Deutschland
die Lokomotive in Europa. Wir haben den Zug in
Europa gezogen, andere folgten dem. Jetzt fallen wir





Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) (C)



(D)(B)

aus. So sehr berechtigt es ist, dass wir sorgenvoll nach
Griechenland blicken, so wissen wir auch, dass das, was
sich in diesem Lande tut, für das Wachstum in Europa
viel wichtiger ist als die Haushaltskrise und die Schwä-
che Griechenlands.

Wenn wir über unseren Tellerrand blicken, dann se-
hen wir, dass sich Nordamerika erholt und Asien wächst.
China ist Exportweltmeister. Deutschland und Europa
fallen zurück. Wenn wir nicht aufpassen, wird uns der
Boden unter den Füßen weggezogen, und dann haben
unsere Kinder nicht dieselben Chancen wie wir. Das,
meine Damen und Herren, Frau Merkel, ist das zentrale
Problem. Kümmern Sie sich in dieser Regierung endlich
darum! Legen Sie eine Innovationsstrategie vor, eine
Strategie für die Leit- und Zukunftsbranchen dieses Lan-
des, eine Strategie, wie Arbeit von morgen entsteht, eine
Energiestrategie, mit der Sie sich nicht zum Handlanger
der Atomwirtschaft in diesem Land machen,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


eine Strategie, die den Ausbau der erneuerbaren Ener-
gien beschleunigt statt zu gefährden. Das müssen die
Prioritäten dieser Regierung sein.

Ich füge hinzu: Rufen Sie bitte auch Ihren Wirtschafts-
minister Herrn Brüderle zur Ordnung, der in Zeiten
höchster Not – ich habe eben die Gründe beschrieben –
mit einem Entflechtungsgesetz durchs Land zieht. Das
ist gut und schön, aber was das Gesetz angeht, so verrät
er keinem, auch nicht auf Nachfrage, was und vor allem
wer gemeint ist. Herr Brüderle, wenn Sie die Post mei-
nen, dann lassen Sie uns in diesem Haus doch über die
Zukunft der Post streiten, aber laufen Sie nicht mit Über-
schriften von Gesetzgebungsvorhaben durch die Ge-
gend; denn keiner weiß, was die Anstrengung in diesem
Bereich im Augenblick soll.


(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Wir wollen die Sozis und die Linken entflechten!)


– Herr Kauder, wissen Sie, wenn Sie das karikieren,
dann frage ich mich: Warum treibt es Sie eigentlich nicht
um – das werden Sie wie ich am Wochenende in den
Zeitungen gelesen haben –, dass Vattenfall sein Energie-
netz, sein Leitungsnetz verkaufen will? Warum treibt Sie
das nicht um? Ich sage es Ihnen: Weil Sie nicht sehen,
dass wir mit solchen Entscheidungen einzelner Unter-
nehmen ein gutes Stück Zukunft in diesem Lande verlie-
ren.


(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Weil die EU es verlangt hat!)


Ich habe mir in der Großen Koalition manchmal den
Mund fusselig geredet – Sie wissen das, Sie können sich
erinnern –, dass wir den Verkauf der Energienetze nicht
einfach tatenlos hinnehmen dürfen,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie haben doch zugestimmt in Europa als Außenminister! Also, so ein Unsinn!)

dass wir sie in einer deutschen Netzgesellschaft unter
Beteiligung des Bundes bündeln müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich schaue auf Peer Steinbrück: Auch der Finanz-
minister – das ist ja keine Selbstverständlichkeit – war
damals dieser Meinung. Wir haben beide gesehen: Das
ist nicht irgendetwas. Das sind die Lebensadern einer in-
dustriell geprägten Volkswirtschaft, über die wir da re-
den, und die dürfen wir nicht einfach irgendwelchen in-
ternationalen Finanzmarktinvestoren überlassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Energiepolitiker unter Ihnen wissen das doch:
Wenn die Integration der erneuerbaren Energien in das
Leitungsnetz wirklich gelingen soll, dann brauchen wir
dort Investitionen, und wir brauchen den Antrieb von In-
genieuren, um den Übergang von den bestehenden Net-
zen zu intelligenten Netzen, zu Smart Grids der nächsten
Generation, wirklich zu schaffen. In der Großen Koali-
tion war die Union dagegen. In dieser Koalition herrscht
bei dem Thema „deutsche Netzgesellschaft“ gemein-
schaftliches Desinteresse. Ich sage Ihnen: Auch Unter-
lassen gestaltet Wirklichkeit neu. Sie werden das am
Ende bitter bereuen. Eines wissen Sie doch ganz genau:
Irgendwelche Finanzinvestoren aus dem Vereinigten Kö-
nigreich, aus den USA oder aus Singapur werden sich
nicht um die Zukunftsfähigkeit des deutschen Energie-
netzes kümmern. Das glauben Sie doch selbst nicht. Sie
tun nichts. Vom Schulterzucken müssten Sie inzwischen
Muskelkater haben, Herr Brüderle.


(Beifall bei der SPD)


Das, was Deutschland jetzt braucht, ist eine kraftvolle
Regierung, die dieses Land erneuert, deren wirtschafts-
politische Fantasie zu mehr reicht als nur dazu, zu sagen:
Steuersenkungen, Steuersenkungen, Steuersenkungen.
Deutschland braucht eine Regierung, die Investitionen
organisiert, die Zukunft baut, eine Regierung, die die
ganze Gesellschaft im Blick hat und nicht nur die eigene
Klientel. Davon ist diese schwarz-gelbe Regierung mei-
lenweit entfernt. Das ist das Verhängnis dieser Zeit.


(Beifall bei der SPD)


Ich komme zum Schluss und sage: Frau Merkel, Herr
Westerwelle, ich bin mir inzwischen ganz sicher, dass
die Mehrheit der Menschen in Deutschland sagt: Diese
Regierung hat Deutschland nicht gewollt. Und ich sage:
Eine solche Regierung hat Deutschland auch nicht ver-
dient.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich fordere Sie auf: Tun Sie endlich Ihre Pflicht! Brin-
gen Sie Ordnung in den Laden! Nehmen Sie endlich Ihre
Verantwortung wahr! Es ist jetzt wirklich Ihre Verant-
wortung, Frau Merkel.

Herzlichen Dank.





Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) (C)



(D)(B)


(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Seit fünf Jahren schon!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703000200

Das Wort hat die Frau Bundeskanzlerin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1703000300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

Steinmeier, vorweg eine Bemerkung: Die Opposition
und speziell die SPD könnte dem gesellschaftlichen
Klima im Lande einen guten Dienst erweisen – vielleicht
könnten Sie ganz persönlich dafür sorgen –, wenn unse-
rem Staatsoberhaupt, dem Bundespräsidenten, der not-
wendige Respekt entgegengebracht wird. Das fordern
wir.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir beraten heute den Haushalt, der die größte Neu-
verschuldung des Bundes in der 60-jährigen Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland aufweist. 80,2 Milliar-
den Euro Schulden bei einem Gesamtumfang des Bun-
deshaushaltes von knapp 320 Milliarden Euro,


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Plus Ihre Schattenhaushalte! 130 Milliarden!)


das bedeutet 25 Prozent Schulden, das bedeutet, jeder
vierte Euro, den wir in diesem Jahr ausgeben, ist nicht
durch die Einnahmen gedeckt.


(Zuruf von der SPD: Ihr macht noch mehr Schulden!)


Diese 80 Milliarden Euro Schulden sind genau das Dop-
pelte der bisher höchsten Neuverschuldung des Bundes
aus dem Jahre 1996 infolge der deutschen Einheit. Da-
mals waren es 40 Milliarden Euro. 80 Milliarden Euro
Schulden, das bedeutet 1 000 Euro pro Einwohner der
Bundesrepublik Deutschland; hinzu kommen 460 Euro
Zinsen. Das heißt, 11,5 Prozent des Bundeshaushaltes,
ungefähr jeder zehnte Euro, muss bereits für Zinszahlun-
gen aufgebracht werden.

Ich sage ganz deutlich – genauso wie der Finanz-
minister gestern –: Mit Recht machen sich die Menschen
Gedanken über die Verschuldung. Mit Recht fragen sie
uns alle, wenn wir in unseren Wahlkreisen sind: Was
wird daraus? Wie werdet ihr das lösen?


(Christoph Strässer [SPD]: Ja, wie? – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fragen wir uns auch!)


Ich glaube, das eint uns in diesem Hause. Was uns nicht
eint und worüber wir ja heute sprechen


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


– bleiben Sie doch ganz ruhig und gelassen –, sind die
Fragen: Was tun wir, und wie tun wir es?

(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Genau! Erklären Sie das mal!)


Die Bundesregierung hat sich dennoch dazu entschlos-
sen. Ich möchte mich bei den Abgeordneten der Koali-
tionsfraktionen ganz besonders bedanken, dass sie das
mitgetragen haben, sodass wir heute in den Grundzügen
den Haushalt so verabschieden, wie ihn die Regierung
vorgelegt hat.

Ich sage im Übrigen an die SPD: Dieser Haushalt
wird gegenüber dem Haushalt, den wir damals in der
Großen Koalition beraten haben, drei Monate früher be-
raten. Das zeigt, wie handlungsfähig diese Regierung
und diese christlich-liberale Koalition in einer schwieri-
gen Situation sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rekordverschuldung Handlungsfähigkeit zu nennen, ist schon frech!)


Wenn wir uns die Struktur dieses Haushaltes an-
schauen – auch da will ich gar nicht drum herumreden –,
dann sehen wir, dass dieser Haushalt über 9 Prozent grö-
ßer ist, als es in normalen Zeiten der Fall wäre. Etwa
54 Prozent dieses Haushaltes sind Sozialausgaben. Er-
innern wir uns: 1980 wurden 16 Prozent des Bundes-
haushaltes für Soziales ausgegeben, 1991 20 Prozent, im
Jahre 2000 33 Prozent. In diesem Jahr sind es 54 Pro-
zent. Das beinhaltet etwa 80 Milliarden Euro für Rente,
40 Milliarden Euro für das Arbeitslosengeld II und – wir
haben etwas ganz Besonderes gemacht; das weist schon
darauf hin, warum wir einen solchen Haushalt verab-
schieden – auch immense Zuschüsse an die Bundesagen-
tur für Arbeit und an den Gesundheitsfonds; diese führen
uns genau dazu, warum wir einen solchen Haushalt ver-
abschieden.

Wir verabschieden einen solchen Haushalt nur aus ei-
ner einzigen Tatsache heraus: In diesem Jahr müssen wir
weiter eine Krise bekämpfen, die uns im vergangenen
Jahr einen Wirtschaftseinbruch von 5 Prozent gebracht
hat. Das sind 88 Milliarden Euro weniger Produktion in
Deutschland, weniger Bruttoinlandsprodukt. Einen sol-
chen Einbruch haben wir noch nie gesehen. Wir wollen
Fehler aus der Geschichte nicht wiederholen und ver-
nünftig darauf antworten, sodass Wachstum wieder in
Gang kommen kann. Das ist die tiefere Ursache dieses
Haushaltes. Dazu stehen wir aus voller Überzeugung,
weil es für die Menschen in diesem Lande richtig ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch selber nicht!)


Keiner von uns hat Erfahrungen mit einem solch dra-
matischen Wirtschaftseinbruch. Die Krise hat vor 18 Mo-
naten mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers
begonnen. Wir können heute sagen, dass wir in diesen
18 Monaten Wichtiges geschafft haben. Wir haben die
Banken und den Finanzsektor stabilisieren können. Mit
den 400 Milliarden Euro Garantien und den 80 Milliar-
den Euro Rekapitalisierung ist das gelungen. Heute
haben wir noch etwa 145 Milliarden Euro Liquiditäts-
garantien – bei den Garantien gab es übrigens keine Aus-





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

fälle –, und wir haben 28 Milliarden Euro Eigenkapital-
hilfen.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und 32 Milliarden Euro Schulden aus der Rettung, die Sie nicht erwähnen!)


Das wird sich noch lange in die Zukunft ziehen, so
lange, bis wir absehen können, was für einen Verlust das
für den Steuerzahler bedeutet. Die Hilfen sind gut ange-
nommen worden, und sie sind weltweit koordiniert ge-
geben worden. Das hat zu einer Stabilisierung geführt.

Mindestens genauso wichtig: Der Einbruch der Real-
wirtschaft ist durch das, was wir machen, in seinen
Auswirkungen gedämpft worden, nämlich durch das
100-Milliarden-Euro-Konjunkturpaket für 2009 und
2010 und ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das
seinen Namen zu Recht hat,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schuldenbeschleunigungsgesetz!)


mit 8,5 Milliarden Euro Entlastung für Familien und vie-
les andere.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Außer Schulden nichts verschuldet!)


Die Steuersenkungen haben wir zum Teil gemein-
sam und zum Teil nach kontroversen Diskussionen be-
schlossen. Wir haben für eine Entlastung von über
20 Milliarden Euro gesorgt. Wir wissen aus den Erfah-
rungen: 90 Prozent davon gehen in den Konsum der
Menschen, und das ist genau der Beitrag, den wir leisten,
um die Binnenwirtschaft nicht einbrechen zu lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir machen das, was uns die Ökonomen sagen: Wir
lassen die automatischen Stabilisatoren wirken – das
heißt auf gut Deutsch, die Lohnzusatzkosten steigen
nicht an –, und wir haben die Darlehen sowohl für das
Gesundheitssystem als auch für die Bundesagentur in
Zuschüsse umgewandelt, was uns ein besseres Funda-
ment im Hinblick auf die weitere Beitragsentwicklung
gibt. Wir haben, damals noch gemeinsam, auch die Ren-
tengarantie beschlossen, eine wichtige Maßnahme, wie
sich jetzt herausstellt. Denn zum ersten Mal in der Ge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland sind die Brut-
tolöhne im letzten Jahr gesunken.


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Woran das wohl liegt?)


Hier möchte ich an das anknüpfen, was neben all den
Maßnahmen, die wir ergriffen haben, in den letzten
18 Monaten vielleicht das Allerwichtigste war: dass die
Menschen gezeigt haben, was in diesem Lande steckt,
dass Unternehmer genauso wie Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer Verantwortung gezeigt, die Maßnahmen
der Regierung angenommen und selbst Lohnzurückhal-
tung geübt haben. Es war gut, dass wir für eine Flexibili-
sierung des Arbeitsmarktes mit Arbeitszeitkonten und
vielem anderen gesorgt haben; von all diesen Instrumen-
ten wurde Gebrauch gemacht. Wir haben deshalb die
Kurzarbeit aus voller Überzeugung bis 2011 verlängert.
Wir sagen: Wir müssen in dieser Situation zusammenste-
hen. Das zeigen die moderaten Tarifabschlüsse, das zei-
gen unsere Maßnahmen, und so werden wir auch weiter
durch diese Krise gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das hat Wirkung gezeigt. Wenn wir uns einmal an-
schauen, wie sich die Arbeitslosigkeit im europäischen
Vergleich entwickelt hat, so sehen wir, dass die Arbeits-
losigkeit bei uns im Jahre 2009 gegenüber 2008 um
4,4 Prozent gestiegen ist, im EU-Durchschnitt allerdings
um 36 Prozent. In Frankreich zum Beispiel ist sie um
30 Prozent gestiegen, in den Vereinigten Staaten von
Amerika um 70 Prozent.

Das vielleicht Schönste ist, dass die Jugendarbeitslo-
sigkeit bei uns um 11 Prozent gesunken ist, während sie
im Mittel der Europäischen Union um 28 Prozent gestie-
gen ist, in Spanien zum Beispiel um 86 Prozent. Das ist
nichts, worauf man sich ausruhen kann. Aber das ist
schon etwas, worauf man auch ein Stück stolz sein kann,
und zwar wir alle gemeinsam.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben wieder leichte Wachstumsraten. Der Bin-
nenkonsum ist im letzten Jahr nicht eingebrochen: plus
0,2 Prozent.


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Auf das vergangene Jahr sind wir auch stolz!)


In diesem Jahr sehen wir einen leichten Einbruch. War-
ten wir aber erst einmal ab. Den Prognosen kann man ja
auch nicht so richtig trauen. Wir konnten bislang Insol-
venzen vermeiden. Es wird nicht einfach; aber es ist
richtig, diesen Kurs weiter zu verfolgen.

In den nächsten Jahren kommt eine riesige Aufgabe
auf uns zu, eine Herkulesaufgabe. Wir müssen eigentlich
Unvereinbares zusammenbringen: den Haushalt konsoli-
dieren, aber zugleich Wachstum schaffen, und das Ganze
in dem Umfeld einer Gesellschaft, deren Altersaufbau
sich dramatisch verändert.

Wir brauchen neues Denken, um diese großen He-
rausforderungen bewältigen zu können.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine geistig-moralische Wende, neues Denken, ja!)


Dazu ist die christlich-liberale Koalition bereit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Als Erstes brauchen wir eine kluge Exitstrategie aus den
Konjunkturprogrammen, die wir aufgelegt haben. Wir
müssen in den nächsten Jahren – auch wegen der Schul-
denbremse, die Deutschland als weltweit einziges Land
eingeführt hat, mitten in der Krise – auf Konsolidie-
rungskurs gehen.





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)


(Bettina Hagedorn [SPD]: Davon merken wir nichts! – Thomas Oppermann [SPD]: Mit dem Liberalen Sparbuch!)


Wir haben schwierige Sparmaßnahmen vor uns. Ein
strukturelles Defizit von etwa 67 Milliarden Euro wird
in den Jahren 2011 bis 2015 abzubauen sein, damit die
Neuverschuldung im Bundeshaushalt ab 2016 bei höchs-
tens 10 Milliarden Euro liegt. Das heißt, wir müssen pro
Jahr ein Defizit von 10 Milliarden Euro abbauen.


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Erläutern Sie einmal in Ihrem Wahlkreis, wie Sie das machen wollen!)


Das Kabinett wird sich dieser Aufgabe stellen, und ich
sage dem Bundesfinanzminister Unterstützung zu. Wir
wissen, was das bedeutet. Die Erstanmeldungen für den
Haushalt 2011 sind noch nicht so, dass wir sagen könn-
ten: Wir haben es schon geschafft, die 10 Milliarden
Euro einzusparen. Die Bundesregierung verpflichtet sich
hier aber gegenüber dem Parlament, ihren Beitrag zu
leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Bei der Analyse dürften wir uns einig sein, darüber
brauchen wir nicht mehr zu streiten. Jetzt kommen wir
zu der Frage: Wie schaffen wir das? Neben einer klugen
Exitstrategie brauchen wir eine kluge Wachstumsstrate-
gie. Die Erfahrungen der Jahre 2005 bis 2009 zeigen
doch: Die beste Wachstumsstrategie ist, möglichst viele
Arbeitsplätze zu schaffen. Wann immer wir mehr Ar-
beit haben, wann immer die Zahl der Arbeitslosen um
100 000 sinkt, werden die Sozialsysteme und der Bun-
deshaushalt um 2 Milliarden Euro entlastet. Deshalb gilt
es, Arbeit zu schaffen und möglichst viel Beschäftigung
hinzubekommen. Nicht nur entlastet das den Bundes-
haushalt, sondern Arbeit ermöglicht den Menschen auch
Teilhabe und gesellschaftliches Mitbestimmen und ist le-
benserfüllend.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das bedeutet, in Deutschland möglichst viel qualifizierte
Arbeit bereitzustellen, um aus der Arbeitslosigkeit he-
rauszukommen.

Schauen wir uns die heutige Situation einmal an:
5 Millionen Menschen beziehen Arbeitslosengeld II.
Das kostet den Bundeshaushalt, wie gesagt, 40 Milliar-
den Euro. Durch die Kosten für die Unterkunft entsteht
den Kommunen eine Belastung von 11 Milliarden Euro.
Wenn wir es schaffen, dass mehr und mehr Menschen
aus dieser Situation herauskommen, dann haben wir et-
was erreicht.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Das schaffen Sie nicht mit Ihrer Politik! – Roland Claus [DIE LINKE]: Warum tun Sie dann nichts?)


– Schauen wir uns einmal an, was Sie vorschlagen: Die
sozialdemokratische Fraktion und der ehemalige Kanz-
leramtsminister Steinmeier sind, muss man sagen, in ei-
nem wundersamen Wandel begriffen.

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das stimmt!)


Es waren einmal 5 Millionen Arbeitslose. Sie haben Re-
formen durchgeführt; wir haben diese Reformen im Bun-
desrat unterstützt. Diese Reformen haben, zusammen mit
anderen Reformen, dazu geführt, dass die Zahl der
Arbeitslosen in den Jahren darauf unter 3 Millionen ge-
fallen ist.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Mehr Armut! Mehr befristete Beschäftigung! Mehr Leiharbeit!)


Sie haben sich nie überlegt, warum das so gekommen ist.
Ihre Wahrnehmung war immer geteilt:


(Zuruf von der SPD: Was?)


Sie waren zwar froh, dass die Zahl der Arbeitslosen
sank; aber Sie haben Ihren Leuten nie erklärt, wie das
kommen konnte.


(Thomas Oppermann [SPD]: Durch Ihren Beitrag ganz bestimmt nicht! – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Wenn wir lange überlegt hätten, wäre das nicht zustande gekommen!)


Die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosen-
hilfe ist eine Härte, ja. Aber gleichzeitig hat diese Maß-
nahme natürlich Möglichkeiten geschaffen, dass viele
Menschen wieder eine Arbeit aufgenommen haben.


(Zuruf von der SPD: Das war doch unsere Idee!)


Weil Sie das alles niemals Ihren eigenen Leuten er-
klärt haben, müssen Sie jetzt die Rolle rückwärts
machen und wollen allen Ernstes behaupten: Wer Ar-
beitslosengeld II bekommen will, braucht keine Vermö-
gensprüfung mehr zu durchlaufen. Ich glaube, da sind
Sie auf einem falschen Trip. Ich zumindest bin davon
überzeugt, dass das falsch ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie haben es doch durchlöchert!)


– Da nützt auch das Schreien nichts.

Der nächste Punkt wird sein, dass Sie die Rente mit 67
rückgängig machen müssen, weil aufgrund Ihrer fal-
schen Konzepte die Möglichkeiten zur Vermittlung von
älteren Arbeitnehmern schlechter werden.


(Thomas Oppermann [SPD]: Wir regieren schon?)


– Ich habe Sie nicht gebeten, ein Konzept vorzulegen.
Sie hätten ja bei dem bleiben können, was Sie immer ge-
sagt haben.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Jetzt sage ich Ihnen, was wir wollen. Von den heute
5 Millionen Arbeitslosengeld-II-Empfängern sind unge-
fähr 1,4 Millionen zusätzlich zu den Leistungen aus
Hartz IV erwerbstätig. Von diesen 1,4 Millionen Men-
schen befindet sich die übergroße Mehrzahl in Beschäf-





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

tigungsverhältnissen unter oder bis 200 Euro. Die Zahl
derer, die darüber hinaus dazuverdienen, wird immer ge-
ringer. Das heißt doch nichts anderes, als dass es eine
Barriere beim Hinzuverdienst gibt.


(Zuruf von der SPD: Wir sind doch nicht in der Schule!)


Am Anfang ist die Abzugsrate gleich null; man kann
hinzuverdienen. Über diesen Betrag von 200 Euro hi-
naus ist die Abzugsrate so hoch, dass es bei Verdiensten
über 150 Euro praktisch überhaupt keinen Unterschied
mehr macht,


(Thomas Oppermann [SPD]: Sind Sie sicher, dass Ihnen Ihre Leute folgen können?)


insbesondere bei Familien mit mehreren Kindern, ob sie
etwas verdienen oder ob sie nichts verdienen und
Hartz IV bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Sie haben Ihre Leute nicht überzeugt!)


Deshalb haben wir gesagt: Wir müssen die Hinzuver-
dienstgrenzen verändern, und zwar so, dass sie einen
Anreiz bieten, in Arbeit zu kommen. Wir sind der Mei-
nung: Diejenigen, die sowohl Arbeitslosengeld II bezie-
hen als auch etwas hinzuverdienen, sind auf einem bes-
seren Weg, eine Arbeit zu finden, als die, die gar nichts
hinzuverdienen. Das ist unser Ansatz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie verstehen es nicht!)


Man kann den Unterschied ganz klar benennen. Wir
wollen den Menschen helfen. Dafür sind die Eingliede-
rungstitel und viele andere Instrumente in der Bundes-
agentur geschaffen worden.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Sie sperren!)


– Sie sagen wenigstens „sperren“.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 900 Millionen!)


Manch einer sagt einfach nur „kürzen“.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sperre plus Zeit ist Kürzung!)


Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales wird ein
Programm vorlegen. Dann werden die Mittel entsperrt
und stehen zur Verfügung. Das ist überhaupt kein Pro-
blem. Wir müssen dafür sorgen, dass mit dem Geld, das
wir für die ausgeben, die Arbeitslosengeld II beziehen,
und sie in Beschäftigung bringen soll, wirkliche Folge-
beschäftigung entsteht, anstatt einen öffentlichen Ar-
beitsmarkt zu manifestieren und zu zementieren, der uns
am Schluss nur etwas kostet und nichts bringt. Es ist der
Mühe wert, dass man das versucht.


(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich spreche darüber so ausführlich, weil sich genau
hier unterschiedliches Denken im Hause manifestiert.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das stimmt! – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Dumpinglohn! – Joachim Poß [SPD]: Miss Dumpinglohn!)


Wenn wir die Struktur dieses Bundeshaushaltes mittel-
fristig ändern, wird das dazu führen, dass wir die Ren-
tenzuschüsse und die Gesundheitskosten, die wir als
Steuermittel im Wesentlichen für die Kinder in das Ge-
sundheitssystem gegeben haben, nicht kürzen.


(Thomas Oppermann [SPD]: In die Kopfpauschale! Nicht für die Kinder!)


Dann werden wir sehen, dass mehr Menschen in Arbeit
kommen und von diesem Block der 40 Milliarden Euro
weniger ausgegeben werden muss, weil diese Menschen
wieder Arbeit haben.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Auf diesem Feld können wir etwas tun. Im Übrigen
freuen sich darüber auch die Kommunen; denn sie ge-
ben 11 Milliarden Euro für die Kosten der Unterkunft
aus. Jeder Euro, den sie nicht ausgeben, ist für sie eine
massive Entlastung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Das war die Erklärung von Miss Dumpinglohn!)


Wenn Menschen arbeiten, dann geht es darum, dass
sich Leistung lohnt.

Deshalb ist unser Ansatz, bei dem sogenannten Mittel-
standsbauch, also bei der stärksten Steigerung der Pro-
gression, und bei der kalten Progression im steuerlichen
Bereich für eine Entlastung zu sorgen. Es wird einfacher,
niedriger und vor allen Dingen gerechter, damit sich
Leistung in diesem Lande lohnt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie haben noch gar nicht gesagt, was Sie wollen! Wann kommt denn da was?)


Es geht natürlich um qualifizierte Arbeitsplätze. Des-
halb haben wir in der Koalition – das spiegelt sich ja im
Haushalt wider – einen Schwerpunkt bei Forschung und
Bildung gesetzt, weil das die Zukunft ist. Deshalb sagen
wir: Wir werden die Elektromobilität fördern. Am
3. Mai 2010 wird der Kongress mit allen Akteuren statt-
finden, damit wir eine Chance für den Technologiestand-
ort Deutschland entwickeln.


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Ein Kongress! – Thomas Oppermann [SPD]: Ein Kongress! Ein Zwischengipfel! Ein Arbeitskreis! – Joachim Poß [SPD]: Nur Kommissionen, kein Regieren!)


Deshalb werden wir auch ein neues Energiekonzept
entwickeln.


(Joachim Poß [SPD]: „Wir kündigen an“!)






Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

Wir sind in dieser Frage einer Meinung darin, dass es da-
rum geht, ein Zeitalter der regenerativen Energien zu
erreichen. Eigentlich müssten wir aber auch einer
Meinung darüber sein, dass wir den Industriestandort
Deutschland erhalten wollen, und das heißt immer Dreier-
lei: Energie muss bezahlbar sein, Energie muss sicher
sein, und Energie muss umweltverträglich sein. Das wer-
den wir zusammenbringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb sagen wir: Die Kernenergie ist eine Brücken-
technologie, aber die Länge der Brücke richtet sich da-
nach, dass wir diese drei Dinge miteinander verbinden
können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Herr Steinmeier, ich bin schon ein bisschen erstaunt.
Die deutschen Stromversorgungsnetze haben sich nun
60 Jahre lang in privater Hand befunden. Jetzt ist es so,
dass das Eigentum auch aufgrund von Anordnungen der
Europäischen Union von Vattenfall, einem Unterneh-
men, das schwedischer Natur ist, hin zu einem belgi-
schen Unternehmen wandert, das schon eine Vielzahl
von Stromnetzen betreibt und von dem nichts Ehrenrüh-
riges bekannt ist. Das ist genauso wie bei anderen, die
ihr Elektronetz an ein niederländisches Staatsunterneh-
men verkauft haben. Sind wir nun in einem europäischen
Binnenmarkt, oder sind wir es nicht? Polemisieren wir
gegen belgische Firmen, nur weil sie keine deutschen
sind, oder machen wir das nicht?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Darum geht es doch nicht!)


Von der Idee einer Reverstaatlichung des deutschen
Stromnetzes halte ich ehrlich gesagt gar nichts. Wir müs-
sen natürlich vernünftige Ausbaubedingungen erreichen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Dafür müssen wir vernünftige Investitionsbedingungen
schaffen und dafür sorgen, dass man eine Hochspan-
nungsleitung bauen kann, ohne dass das Genehmigen
zehn Jahre dauert und ohne dass die Erdkabel so viel
Geld verschlingen, dass man überhaupt nicht mehr zu
Potte kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das sind die wichtigen Aufgaben, aber das hängt nun
wirklich nicht davon ab, ob das Unternehmen schwe-
disch oder belgisch ist, sondern das hängt von ganz an-
deren Dingen ab.

Wir werden die Gesundheitsforschung weiter nach
vorne bringen. Wir haben bereits ein Zentrum für De-
menzkranke in Bonn gegründet. Eine wissenschaftliche
Bündelung aller – –


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


– Ich weiß nicht, ob Herr Müntefering da ist. Er hatte
wenigstens, als wir noch gemeinsam regiert haben, so
viel Vernunft, zu sagen, dass wir Leuchttürme brauchen.

(Joachim Poß [SPD]: Wir haben doch gar nichts gesagt jetzt!)


– Nein, nein, Sie müssen einfach einmal in die Reihe
hinter sich schauen. Es sind nicht alle so vernünftig wie
Sie, Herr Poß.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich verstehe Sie ja. Das ist ein Zentrum in Bonn und des-
halb in Nordrhein-Westfalen. – Wir brauchen also
Leuchttürme, mit denen den Menschen gezeigt wird,
wofür Forschung und Entwicklung gut sind, und bei ei-
ner alternden Gesellschaft ist es allemal gut, wenn
Deutschland im Gesundheitsbereich eine Spitzenposi-
tion auf der Welt hat. Wir haben auch das Zeug dazu,
und die Bundesregierung fördert das.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Natürlich ist es wichtig, dass unsere Unternehmen mit
Krediten versorgt werden – insbesondere der Mittel-
stand. Deshalb gibt es die Kreditversorgung über den
Wirtschaftsfonds, und deshalb haben wir auch – der
Bundeswirtschaftsminister hat das getan – einen Kredit-
mediator eingesetzt, der seine Arbeit aufgenommen hat.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein schönes Pöstchen!)


– Sie wissen, dass bei solchen Dingen gilt: Wenn Sie sie
gemacht hätten, dann fänden Sie es ganz toll, weil wir
sie machen, finden Sie es einfach nicht toll. Der Kredit-
mediator wird seine Arbeit machen, der Mittelstand wird
es ihm danken.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Steuerzahler auch, der es finanzieren soll!)


Wir sprechen wieder darüber, wenn sich die Sache gut
entwickelt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Klingt nicht sehr überzeugend!)


Ich sage Ihnen auch: Wir werden eine Politik fördern,
mit der die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gestärkt
wird. Ich glaube nicht, dass wir in der Europäischen
Union, wenn wir über eine Wirtschaftsregierung reden,
was ich für richtig halte, die Diskussion so führen soll-
ten, dass man sich danach richtet, wer am langsamsten
ist, sondern beim Benchmarking muss geschaut werden,
wer am schnellsten und am besten ist.

Ich sage auch ganz deutlich, wo Deutschland Schwä-
chen hat. Wir haben von der OECD eine hohe Abgaben-
last im Niedriglohnbereich attestiert bekommen. Da ha-
ben wir Schwächen. Darüber müssen wir nachdenken.
Aber wir werden unsere Stärken nicht aufgeben, weil
von unseren Exportgütern mehr gekauft wird als von de-
nen anderer Länder. Das wäre die falsche europäische
Antwort auf die Wettbewerbsfähigkeit unseres Konti-
nents.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lieber handeln statt diskutieren!)






Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

Sicherlich ist die schwierigste Herausforderung, vor
der wir stehen, die Veränderung des Altersaufbaus. Am
Ende des Jahrzehnts, das jetzt begonnen hat, wird es
3 Millionen mehr ältere Beschäftigte geben. Die Zahl
der Beschäftigten im Verhältnis zu Rentnern und Kin-
dern wird sich dramatisch verändern, und zwar von
heute 65 Rentnern und Kindern im Verhältnis zu 100 Be-
schäftigten auf 84 Rentner und Kinder im Verhältnis zu
100 Beschäftigten. Das alles muss erarbeitet werden.
Außerdem wird die Zahl der Schulabgänger sinken. Des-
halb ist es so wichtig, dass das Thema des Zusammen-
halts unserer Gesellschaft ganz oben auf der Tagesord-
nung steht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht ja den Schuldenberg so gefährlich!)


Ich habe mir im Allensbacher Jahrbuch angesehen,
was die Menschen auf die Frage, was sie unter einer
gerechten Gesellschaft verstehen – wir sind uns, glaube
ich, einig, dass Gerechtigkeit die Voraussetzung für den
Zusammenhalt ist – und ob es ihrer Meinung nach in der
Wirtschaft gerecht zugeht, antworten. In den letzten Jah-
ren ist eine erschütternde Entwicklung zu erkennen. In
den neuen Bundesländern war es leider immer so, dass
eine übergroße Mehrheit gesagt hat: In der Wirtschaft
geht es nicht gerecht zu.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist Erfahrung!)


Das hat sich in 20 Jahren eigentlich nicht geändert. In
den alten Bundesländern gab es über viele Jahrzehnte ein
Auf und Ab. Es herrschte aber immer ein ungefährer
Gleichstand zwischen „gerecht“ und „nicht gerecht“.

Seit den Jahren 2004 bzw. 2005 und ganz besonders
seit der Finanzkrise hat sich der Abstand zwischen den-
jenigen, die sagen, dass es in der Wirtschaft gerecht zu-
geht, und denjenigen, die sagen, es gehe ungerecht zu,
auf 58 Prozent vergrößert. Wenn die Akzeptanz der so-
zialen Marktwirtschaft erhalten werden soll, dann muss
diese Lücke wieder geschlossen werden, sowohl in Ost-
deutschland als auch in Westdeutschland. Das ist meine
feste Überzeugung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn man die Menschen fragt, was sie für gerecht hal-
ten, dann sagen sie als Erstes – und zwar mit weitem Ab-
stand; es sind insgesamt 83 Prozent –: gleiche Chancen
für gute Schulbildung. Die Bildung ist das Thema, das
die Menschen am meisten berührt. Als Zweites, auch das
ist interessant, sagen sie – zu etwas über 60 Prozent –:


(Joachim Poß [SPD]: Da ist Lohndumping die richtige Frage!)


dass der Staat für ein Existenzminimum sorgt und nie-
mand in Not gerät. Ungefähr genauso viele Menschen
sind der Meinung, dass Leistung sich lohnen muss. Das
heißt: Wer mehr leistet, muss auch mehr davon haben.
Das sind die zwei Seiten der Medaille.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mit diesen drei Prioritäten – Arbeitsmarkt, Grund-
sicherung und Bildung – reagiert die christlich-liberale
Koalition also ganz gezielt auf die Wünsche der Men-
schen. Daran werden wir weiter arbeiten. Das ist es, was
uns interessiert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Lohndumper!)


Wir werden natürlich auch das Bundesverfassungs-
gerichtsurteil zu den Hartz-IV-Sätzen umsetzen. Da-
rüber möchte ich heute aber nicht weiter sprechen.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Das ist einfach nicht möglich, weil die Statistiken noch
nicht ausgewertet sind. Ich möchte wiederholen, was die
Bundesministerin gesagt hat: Klar ist schon heute, dass
wir für die Bildung der Kinder mehr Geld ausgeben wer-
den. Wir werden es aber so tun, dass es bei den Kindern
ankommt. Sachleistungen sind also nicht ausgeschlos-
sen. Denn wir wollen, dass das Geld den Kindern zugu-
tekommt. Genau darauf werden wir hinarbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Um das 7-Prozent-Ziel für die Bildung zu erreichen,
haben wir den Ländern bereits in Aussicht gestellt, dass
wir seitens des Bundes bis 2015 die Lücke von mindes-
tens 13 Milliarden Euro mit einer Quote von 40 Prozent
füllen werden; normalerweise geben wir 10 Prozent da-
für aus. Wir sagen aber: Es ist ein so wichtiges gesamt-
gesellschaftliches Anliegen, dass der Bund bereit ist,
sich an dieser Stelle mehr zu engagieren und die Bil-
dungspolitik im ganzen Land dadurch zu verbessern.


(Zuruf von der SPD: Wie denn konkret?)


Wir werden den Nationalen Integrationsplan weiter-
entwickeln. Wir haben bereits gezeigt, dass wir für die
Familien etwas tun. Der Ausbau der Kleinkinderbetreu-
ung wird weitergehen. Das Kindergeld und die Kinder-
freibeträge sind erhöht worden. Deshalb ist das eine ver-
nünftige Sache.

Außerdem werden wir auch über die Vorschläge der
Bundesfamilienministerin zu reden haben, was Pflegezeit
anbelangt. Denn das Thema Pflege wird uns in der nächs-
ten Zeit in besonderer Weise beschäftigen. Es ist etwas,
was die Menschen zutiefst bewegt. Ich sage Ihnen – ich
habe darüber auch mit den Arbeitgebern gesprochen –:
Wir sollten hier wirklich neues Denken anwenden. Es
wird in Zukunft schwierig sein, qualifizierte Arbeitskräfte
zu bekommen. Das wird sich über die nächsten Jahre in
ganz anderer Weise entwickeln. Die Bereitschaft der Un-
ternehmen, freiwillig etwas zu tun, wird an vielen Stellen
wachsen, weil man Beruf und Familien viel besser ver-
binden muss.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas zu den
schrecklichen Fällen von sexuellem Missbrauch sagen,
von denen wir jeden Tag hören und von denen wir erfah-
ren. Ich glaube, wir sind uns alle einig: Sexueller Miss-
brauch an Kindern und an Schutzbefohlenen ist ein ver-
abscheuungswürdiges Verbrechen. Es gibt nur eine





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

Möglichkeit, dass unsere Gesellschaft mit diesen Fällen
klarkommt: Das ist Wahrheit und Klarheit über alles,
was passiert ist.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, jedem ist bewusst, dass das Leben der
Menschen, die so etwas erlebt haben, anders verläuft, als
wenn sie das in jungen Jahren nicht erlebt hätten. Das
begleitet sie ein ganzes Leben. Völlige Wiedergutma-
chung wird und kann es nicht geben. Es hat keinen Sinn,
es auf eine Gruppe zu beschränken, auch wenn uns die
ersten Fälle sozusagen aus dem katholischen Bereich zu
Ohren gekommen sind. Es ist etwas, das sich in vielen
Bereichen der Gesellschaft ereignet hat, und es ist vor al-
len Dingen auch etwas, das sich heute teilweise in ande-
rer Form, aber mit gleichen Folgen weiter ereignet.

Deshalb bin ich froh, dass die drei Ministerinnen Frau
Leutheusser-Schnarrenberger, Kristina Schröder und
Annette Schavan gemeinsam ein Gesprächsforum mit
den Betroffenen bilden, mit denjenigen, von denen diese
Fälle bekannt werden, und dass man sowohl in die Ver-
gangenheit als auch in die Zukunft blickt.

Aber lassen Sie uns die Sache nicht zu einfach ma-
chen. Man muss über Verjährung sprechen. Man kann
über Entschädigung sprechen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann über Entschuldigung sprechen! Mit dem Papst zum Beispiel!)


Aber insgesamt kommt es darauf an – das ist eine Be-
währungsprobe für unsere ganze Gesellschaft –, dass
Menschen, die so etwas erfahren haben, sich in dieser
Gesellschaft wieder anerkannt und aufgehoben fühlen
und wenigstens das Stück Wiedergutmachung bekom-
men, was man im Nachhinein noch schaffen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wenn wir über die Verän-
derung des Altersaufbaus unserer Gesellschaft sprechen,
dann sind die sozialen Sicherungssysteme sicherlich der
Punkt, an dem die größte politische Arbeit zu leisten ist.
Mit der Rente haben wir Zukunftsvorsorge getroffen. Da
wird die politische Kraft darin bestehen, alle Faktoren,
die die demografische Veränderung widerspiegeln, auch
in den nächsten Jahren umzusetzen. Es ist nicht einfach,
wenn die Rentnerinnen und Rentner in diesem Jahr eine
Nullrunde haben.


(Zuruf von der LINKEN: Wohl wahr!)


Das trifft die Menschen zwar nicht einfach so – eigent-
lich wäre es weniger gewesen –, aber trotzdem ist auch
eine Nullrunde nicht einfach. Umso zufriedener bin ich,
dass auch die Tarifabschlüsse moderat waren, weil wir
daran sehen, dass es insgesamt eine schwierige Zeit ist.


(Joachim Poß [SPD]: Das ist aber eine krause Logik!)

Ich sage Ihnen auch ganz klar: Wir werden uns auch
melden, wenn Unternehmensführer sich in einer solchen
Zeit zum Teil in absurder Art Gehaltssteigerungen gön-
nen, die von keinem anderen in dieser Gesellschaft nach-
vollzogen werden können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deshalb ist vielleicht der Gesundheitsbereich derje-
nige, in dem die meiste Arbeit zu leisten ist. Ich habe ei-
gentlich nur eine Bitte, nämlich dass Sie von der Opposi-
tion wenigstens nicht dauernd Dinge behaupten, die
einfach nicht stimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es ist nicht fair, einfach irgendetwas zu behaupten.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Was denn?)


Die kostenlose Mitversicherung der Ehepartner wird
weiter gewährleistet sein. Die Versicherung der Kinder
wird, wenn Sie es so rechnen, inzwischen im Wesentli-
chen aus dem Steuertopf bezahlt. Wir waren uns doch ei-
nig, dass der steuerliche Ausgleich gerechter ist als der
soziale Ausgleich über Beiträge. Das wissen Sie doch al-
les.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Warum soll für einen Erwachsenen falsch sein, was für
ein Kind richtig ist?

Gerade die SPD müsste doch sagen: Diejenigen, die
viel verdienen, müssen das meiste zum Sozialausgleich
in einem so sensiblen Bereich wie dem Gesundheitswe-
sen beitragen. Das tun Sie aber nicht.


(Widerspruch bei der SPD)


Sie fangen an, auf eine ganz unverantwortliche Weise ir-
gendetwas zu behaupten, was überhaupt nicht stimmt. Es
gibt heute einen Sozialausgleich im Gesundheitssystem,
und der erfolgt automatisch. Es wird auch später einen
Sozialausgleich im Gesundheitssystem geben. Es geht
im Augenblick nur um die Aufwüchse.


(Zurufe von der SPD)


– Hören Sie zu! – In jeder Legislaturperiode – das war
bei Ihnen so, das war bei uns so, und das wird auch wei-
ter so sein – steigen die Beiträge, wenn wir es geschickt
machen, um ungefähr 1 Prozentpunkt und sonst um
1,5 Prozentpunkte. Sie haben keine Antwort auf die
Frage, was man tun kann, um fortwährend steigende
Lohnzusatzkosten zu vermeiden.


(Thomas Oppermann [SPD]: Bürgerversicherung! Ist doch klar!)


– Herr Oppermann, Sie sind viel zu intelligent, um nicht
zu wissen, dass auch eine Bürgerversicherung einen Ar-
beitgeberanteil benötigt, der dann dauernd steigt und die
Lohnzusatzkosten erhöht.

Wenn Sie nicht wollen, dass über den Druck der Wirt-
schaftlichkeit – weil die Gesundheitskosten an die Ar-
beitskosten gekoppelt sind – nicht mehr jeder Mensch





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

die Gesundheitsversorgung bekommt, die er eigentlich
bekommen müsste, dann müssen Sie eine Entkopplung
von den Lohnkosten für die Aufwüchse, die sich im Ge-
sundheitswesen ergeben, hinbekommen. Ich sage: für
die Aufwüchse!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist immer schade, wenn sich Illusionen zerstreuen.
Auf jeden Fall wird es dann genauso einen sozialen Aus-
gleich geben. Die Aufwüchse werden von den Arbeits-
kosten entkoppelt. Das ist ein richtiger Schritt dieser Ko-
alition. Dabei werden wir den Gesundheitsminister
unterstützen, sofern er überhaupt Unterstützung braucht.
Er ist ja in seinen eigenen Aussagen ganz selbstständig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es ist richtig, dass die Gesundheitskommission heute
ihre Arbeit aufnimmt.

Genauso ist es richtig, dass der Bundesfinanzminister
eine Gruppe zur Zukunft der Kommunalfinanzen, an
der Sie über Ihre Länder Gott sei Dank mitarbeiten, ein-
gerichtet hat. Es reicht doch nicht, einen Schutzschirm
für die Kommunen aufzubauen, wie Sie es fordern. Das
ist vielleicht etwas, das den Kommunen in einer Krise
hilft. Aber langfristig sind die Kommunen in einem Zu-
stand, wo die Finanzierung nicht auf Nachhaltigkeit be-
ruht. Zwischen 2000 und 2008 sind in den Kommunen
die Sozialausgaben um 50 Prozent gestiegen und die
Baukosten um 20 Prozent eingebrochen. Dieser Weg
muss umgekehrt werden. Da brauchen wir eine Trend-
wende. Ansonsten wird es keine kommunale Politik
mehr geben, die selbsttätig arbeiten kann und an der sich
die Menschen aus Lust ehrenamtlich beteiligen. Wir
wollen das. Deshalb stellen wir uns dieser Aufgabe. Man
kann nicht vom ersten Tag an sagen, was alles nicht geht,
sondern man muss überlegen, was geht; denn die Kom-
munen sind die Grundlage des Lebens der Menschen in
diesem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Natürlich dürfen wir uns nicht nur um den Zusam-
menhalt kümmern, sondern müssen auch zur Kenntnis
nehmen, dass die Globalisierung fortschreitet und dass
wir unsere Art, zu leben, die soziale Marktwirtschaft und
ihre Prinzipien, nur durchsetzen können, wenn es uns ge-
lingt, die Globalisierung menschlich zu gestalten. Da
sind allen voran die Finanzmarktregeln nach den Exzes-
sen auf den Finanzmärkten zu nennen. Ich will hier in
Erinnerung rufen: Einiges ist geschehen. Es hat keinen
Sinn, dauernd so zu tun, als ob gar nichts geschehen
wäre. Wir haben verbesserte Vorschriften über die Ei-
genkapitalbasis der Banken. Wir haben einen Kabinetts-
beschluss zu den Ratingagenturen, der jetzt beraten wird
und mit dem eine europäische Richtlinie umgesetzt wird.
Es wird klargestellt, dass Unternehmen nicht mehr
gleichzeitig beraten und Produkte bewerten dürfen; das
ist dringend notwendig.

Wir haben eine neue Bankenaufsicht – die Verhand-
lungen darüber sind in Europa weit fortgeschritten –, mit
der systemische Risiken europaweit besser überwacht
werden können. Wir werden im Sommer einen Vor-
schlag vorlegen, aus dem hervorgeht, wie die Aufsichts-
funktionen in Deutschland gebündelt werden können.
Wir wissen heute, dass es wichtig ist, dass Emittenten
bei besonders riskanten Produkten, zum Beispiel bei
Verbriefungen, einen Teil des Risikos in der eigenen Bi-
lanz behalten müssen. Wir haben auch für die Entloh-
nung von Bankern neue Regeln aufgestellt, die dem-
nächst im Kabinett beraten werden. Wir werden in
baldiger Zukunft einen Kabinettsbeschluss fassen, aus
dem hervorgeht, wie wir es schaffen, die Abwicklung
und Restrukturierung von Banken sicherzustellen, damit
nicht wieder der Effekt eintritt, dass der Staat die Banken
retten muss, wenn sie in eine Krise geraten. Die Banken
sollen das selbst tun. BMJ und BMF arbeiten daran. Wir
werden – das wurde in der G-20-Gruppe verabredet – im
Juni Vorschläge vom IWF zur Beantwortung der Frage
bekommen, wie man die Banken besser an den Kosten,
die sie verursacht haben, beteiligen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auf diese Vorschläge warten wir, weil wir das internatio-
nal so verabredet haben. Es ergibt nämlich keinen Sinn,
wenn wir in Deutschland so tun, als könnten wir das
irgendwie erreichen. Sie haben heute Herrn Brown zi-
tiert. Ich arbeite gut mit Gordon Brown zusammen, aber
seine einmalige Besteuerung von Boni war nur halb so
sinnvoll wie die Hedgefondsregulierungen, die wir ge-
rade beraten und denen Großbritannien jetzt zustimmen
sollte. Darum müssen wir kämpfen, und dafür erwarte
ich Unterstützung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben gesehen, dass wir in dieser Krise nicht nur
Banken retten müssen, sondern dass jetzt auch im Euro-
Raum eine schwierige Situation eingetreten ist, was Grie-
chenland anbelangt. Es war richtig, dass sowohl Nicolas
Sarkozy als auch der Ministerpräsident Papandreou, Jean-
Claude Juncker und ich die Kommission aufgefordert
haben – das geht nur europaweit –, die Finanzrichtlinie
so zu ändern, dass die sogenannten nackten Credit De-
fault Swaps, bei denen man Wetten auf etwas abschlie-
ßen kann, das man nicht besitzt, verboten werden.
Wolfgang Schäuble hat gestern zu den Leerverkäufen
gesprochen. Das können wir aber nicht alleine machen.
Wir sind in der Europäischen Union, und das fällt in de-
ren Kompetenz. Ich denke, die Signale aus der Kommis-
sion, dass dort etwas gemacht wird, sind richtig.

Das darf uns aber nicht vergessen lassen, dass die grie-
chische Lage nicht durch die Spekulanten hervorgerufen
wurde – sie wird durch die Spekulanten verstärkt –, son-
dern dass sie durch die langjährige Verletzung des Stabi-
litäts- und Wachstumspakts hervorgerufen wurde.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb steht der Euro vor seiner stärksten Herausforde-
rung, die er je zu bewältigen hatte.


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Karamanlis!)


– Ich kann auch sagen, dass die Regierung Karamanlis
daran beteiligt war. Auch deren Vorgängerregierung war





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

schon daran beteiligt. Das hilft uns doch jetzt nicht. Wir
müssen mit der Sache fertig werden. –


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Antwort können wir nur mit Blick auf die langfris-
tige Stabilität des Euro finden. Da ist die schnelle Soli-
daritätsleistung mit Sicherheit nicht die richtige Ant-
wort, sondern die richtige Antwort heißt, die Sache bei
der Wurzel anzupacken und die Probleme vernünftig zu
lösen. Deshalb gibt es keine Alternative zu dem griechi-
schen Sparprogramm und weiteren Anstrengungen in
den nächsten Jahren. Ich finde es gut und richtig, und die
griechische Regierung hat großen Mut bewiesen, jetzt
4 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt einzusparen, um
das Defizit in einem ersten Schritt zu senken. Die
Märkte haben das durchaus goutiert.

Wir müssen immer im Auge haben, dass Europa auf
der einen Seite eine Friedensgemeinschaft ist. Deshalb
kann in einem gemeinsamen Währungsraum – das gilt
für alle Mitgliedstaaten, aber für die im Euro-Raum ver-
sammelten besonders – kein Land völlig alleine gelassen
werden. Deshalb haben wir auf dem Rat gesagt: Wir ste-
hen natürlich insgesamt für die Stabilität des Euro ein.
Wir können doch nicht zusehen, wie der Euro-Raum und
damit auch unsere Grundlagen insgesamt instabil wer-
den. Europa ist aber nicht nur eine Friedensgemein-
schaft, sondern auch eine Stabilitätsgemeinschaft. Des-
halb kann es nicht sein, dass wir einfach mit
freundschaftlichen Bekundungen darüber hinweggehen,
sondern die Erholung muss, wie ich es schon gesagt
habe, von Griechenland ausgehen. Alles, was überhaupt
gedacht wird, muss darauf ausgerichtet sein, dass wir
nicht vorschnelle Hilfen leisten, sondern dass wir dafür
Sorge tragen, dass das Ganze wieder in Ordnung kommt.
Alles andere wäre fatal.

Europa ist auch eine Rechtsgemeinschaft. In dieser
Rechtsgemeinschaft gibt es einen Vertrag. Deshalb ha-
ben die Finanzminister richtigerweise gesagt, dass alles,
was wir tun, dem europäischen Recht und – das haben
sie mit Bedacht hinzugefügt – dem nationalen Recht ent-
sprechen muss; denn wir haben ganz klare Gegebenhei-
ten, die festlegen, was man überhaupt in einer Notsitua-
tion tun kann und was nicht. Deshalb sage ich ganz klar,
dass nichts gemacht werden kann, was gegen nationales
Recht verstößt. Da sind uns Grenzen auferlegt.

Wir denken auch für die Zukunft; denn Europa ist un-
sere eigene Zukunft. Deshalb hat Wolfgang Schäuble
nicht für Griechenland Vorschläge gemacht, aber
Wolfgang Schäuble hat Vorschläge gemacht, damit man
eventuell den IWF nicht in allen Situationen rufen muss –
was jetzt vielleicht der Ausweg sein müsste, wenn man
etwas täte. Aber ich sage hier nichts darüber hinaus. Er
hat Vorschläge gemacht, dass wir für die Zukunft ein
Vertragswerk bekommen, aufgrund dessen es als Ultima
Ratio sogar möglich ist, ein Land aus dem Euro-Raum
auszuschließen, wenn es die Bedingungen langfristig
immer wieder nicht erfüllt. Sonst kann man nicht zusam-
menarbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Heute haben wir eben nicht das richtige Instrumenta-
rium. Wir haben nicht gedacht, dass wir im Euro-Raum
in eine Situation kommen, in der ein Land vielleicht vor
der Zahlungsunfähigkeit steht. Die Antwort hieß damals:
Die schärfste Sanktion ist, dass das Land Geld an die
Kommission zahlen muss. Ein Land, das kein Geld hat,
kann auch kein Geld an die Kommission zahlen, oder
wir führen die Zahlungsunfähigkeit noch besonders be-
schleunigt herbei; das wäre ja schwachsinnig. Es ist rich-
tig, dass wir darüber hinausdenken und fragen: Wie
müssten wir die Verträge entwickeln, damit man mit ei-
ner solchen Situation umgehen kann? Auch bei Grie-
chenland muss jetzt gelten, dass die Stabilitätsgemein-
schaft im Vordergrund steht und dass wir nicht eine
vorschnelle Hilfe leisten, die uns langfristig überhaupt
nicht weiterbringt, sondern den Euro immer weiter
schwächt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, Europa gestalten heißt
eben auch: Wirtschaftsregierung – ja, und zwar mit an-
spruchsvollen Zielen und nicht mit der Frage „Wie kön-
nen wir alle gemeinsam diese anspruchsvollen Ziele
vielleicht nicht durchsetzen?“.

Außerdem heißt es: Protektionismus vermeiden. Ich
könnte hier viel dazu sagen. In den letzten Monaten hat
der Protektionismus weltweit zugenommen. Wir sind
mit der Doha-Runde nicht weitergekommen. Für eine
Exportnation wie Deutschland ist das jedoch zwingend
notwendig.

Wir brauchen Datenschutz. Globale Digitalisierung
ist gut. Wir brauchen aber auch den Schutz und müssen
den Bürgerinnen und Bürgern sagen, dass die Dinge
nicht so sind, dass Menschen auf ihre eigenen Daten gar
keinen Zugriff haben.

Wir müssen natürlich auch viele außenpolitische Pro-
bleme, über die ich heute aus Zeitgründen nicht reden
kann, in den Griff bekommen.

Meine Damen und Herren, Deutschland ist eine tole-
rante, eine offene Gesellschaft. Der Economist – nicht
gerade eine Zeitung, die Deutschland immer nur in den
höchsten Tönen lobt – hat über Deutschland in der ver-
gangenen Woche geschrieben, dass es ein nicht nur le-
benswertes, sondern auch ein liebenswertes und durch-
aus auch reformfreudiges Land ist.


(Beifall des Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP])


Ich glaube, dass wir auf dieses Land stolz sein können,
und das ganz besonders mit Blick auf das, was morgen
hier in diesem Hohen Hause stattfindet, nämlich die Er-
innerung an den 20. Jahrestag der ersten freien Wahl
zur Volkskammer. Mit diesem Tag, dem 18. März
1990, ist der Einigungsprozess sozusagen unumkehrbar
geworden. Das war ein tolles Gefühl, nach Jahrzehnten
zum ersten Mal frei wählen zu können. Davon haben da-
mals auch 93 Prozent der Menschen in der DDR Ge-
brauch gemacht. Auch das zeigt, wie sehr man sich da-
rauf gefreut hat.





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

Meine Damen und Herren, aufgrund dieser Erfahrung
der letzten 20 Jahre bin ich optimistisch, dass wir es
schaffen können, die Etappe, die jetzt Ost und West, das
ganze Deutschland, gemeinsam in einem vereinten Eu-
ropa zu gehen haben, zu einem Erfolg zu machen, über
den unsere Enkel eines Tages einmal sagen: Mensch, das
haben die in schwieriger Zeit gut gemacht. Aber wenn
wir nicht zu einem Punkt kommen, an dem es uns ge-
lingt, über notwendige Veränderungen und Weiterent-
wicklungen in diesem Land so zu sprechen, wie es die
Verantwortung gebietet, dann werden wir das nicht
schaffen. Ich sage Ihnen: Die christlich-liberale Koali-
tion ist zu dieser verantwortlichen Diskussion bereit.


(Thomas Oppermann [SPD]: Seit wann?)


Wir gehen mit Mut an die Arbeit.

Herzlichen Dank.


(Lang anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703000400

Das Wort erhält nun der Kollege Gregor Gysi für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703000500

Herr Bundestagspräsident! Meine sehr verehrten Da-

men und Herren! Ich habe bei Ihrer Rede sehr genau zu-
gehört, Frau Bundeskanzlerin Merkel, aber alles, was
Sie gesagt haben, ändert nichts daran, dass sich Ihre
Bundesregierung doch in einem ziemlich erbärmlichen
Zustand befindet, wie ich versuchen werde, Ihnen zu zei-
gen.


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Ich räume ja ein, auch Teile der Opposition befinden
sich in keinem guten Zustand. Aber damit meine ich kei-
nesfalls die Linke. Wir haben zwar auch einige Pro-
bleme, aber im Vergleich zu den anderen sind wir doch
topfit. Es ist alles relativ, wie Sie wissen.


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der SPD)


Die Grünen wechseln gerade in das sogenannte bür-
gerliche Lager. Wir haben das in Hamburg erlebt. Wir
haben das im Saarland erlebt. Sie kündigen das schon für
NRW an. Für die Bundesebene kann man auch damit
rechnen.


(Widerspruch des Abg. Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Hören Sie einmal zu! – Beim Saarland kommt noch
eine sehr unappetitliche Käuflichkeit durch die FDP
dazu. Das sollten Sie einmal aufarbeiten, finde ich.


(Beifall bei der LINKEN – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Räumen Sie erst einmal mit Ihren schwarzen Kassen auf!)

Die SPD ist dabei, ihren Standort zu suchen. Sie hat
ihn noch nicht gefunden. Immerhin beginnen Sie von der
SPD jetzt damit, Hartz IV zu überwinden. Sie kritisieren
jetzt prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Nur muss man
hinzufügen: Hartz IV ist vollständig und die prekäre Be-
schäftigung in diesem Umfang durch eine Bundesregie-
rung von SPD und Grünen eingeführt worden, also zu
Ihrer Regierungszeit. Das heißt, bei SPD und Grünen er-
leben wir Folgendes: Sie leiten unsoziale Prozesse als
Regierung ein, um danach zu sich selbst in Opposition
zu treten. Das ist gar kein so seltener Vorgang. Trotzdem
muss die SPD – das will ich gerne animierend sagen –
diesen Weg weiter gehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Sozialdemokratische Politik bedeutet meines Erach-
tens, dass Hartz IV überwunden wird, dass prekäre Be-
schäftigung überwunden wird, dass man dagegen ist,
Rente erst ab 67 Jahren zu zahlen, dass man endlich da-
für eintritt, die Bundeswehr unverzüglich aus Afghanis-
tan abzuziehen. Sozialdemokratische Politiker müssten
für Steuergerechtigkeit streiten, das heißt auch für eine
Millionärssteuer, für eine Börsenumsatzsteuer, für einen
höheren Spitzensteuersatz. Aber von alledem ist die SPD
doch noch meilenweit entfernt. Ich wünsche Ihnen je-
doch Erfolg auf diesem Weg, wenn Sie ihn denn gehen
wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Frau Kraft in NRW scheint allerdings einen anderen
Weg zu gehen. Sie hat ja nun den Vorschlag erfunden,
dass Langzeitarbeitslose ehrenamtlich tätig sein sollen.
Ich frage mich: Warum immer diese Hartz-IV-Logik?
Warum kann man Arbeit nicht einfach bezahlen? Warum
muss man die Leute so demütigen? Ich kann das über-
haupt nicht nachvollziehen, was dort passiert.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber zu Hartz IV äußere ich mich noch später.

Herr Steinmeier, ich habe Ihrer Rede ja sehr genau zu-
gehört. Ich muss zugeben, das hat mir auch Spaß ge-
macht, auch aufgrund Ihrer Rhetorik. Nur eines muss ich
Ihnen auch sagen: Ich hätte eine solche Rede so gerne
einmal von Ihnen als Kanzleramtschef unter Kanzler
Schröder hier im Bundestag gehört, nicht erst heute. Das
hätte die Regierungspolitik sicherlich wesentlich verän-
dert.


(Beifall bei der LINKEN)


Es geht ja eigentlich um die Bundesregierung.


(Zuruf von der SPD: Ja, wollte ich gerade sagen!)


Da ist alles noch viel schlimmer. Lassen Sie mich zu-
nächst einmal etwas zu den Rüstungsexporten sagen.
Frau Bundeskanzlerin Merkel, seit 2005 hat Deutschland
seine Rüstungsexporte verdoppelt. Wir stehen jetzt an
dritter Stelle weltweit. Mehr Rüstungsgüter verkaufen
nur die USA und Russland. Dann folgt Deutschland.
Darf ich daran erinnern, dass der schlimmste Krieg des
letzten Jahrhunderts von Deutschland ausging? Was ist
denn eigentlich so schlimm daran, wenn wir einmal als





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

Erster die Schlussfolgerung ziehen, zu sagen: „Wir wol-
len an Krieg nicht mehr verdienen, wir verbieten Rüs-
tungsexporte“? Was wäre daran so schlimm?


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn wir so viele Waffen verkaufen, Frau Bundeskanz-
lerin, können Sie überhaupt nicht einschätzen, wann und
wo und wie sie eingesetzt werden. Ich sage Ihnen: Ich
bin der festen Überzeugung, Kriege hören nicht auf, so-
lange so viel an Kriegen verdient wird. Das muss unter-
bunden werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun haben wir einen Bundesaußenminister, der auch
FDP-Vorsitzender ist und nie genau weiß, wie er mit den
Rollen umgehen soll. Ich lasse jetzt einmal Ihre Be-
schimpfung der Arbeitslosen weg, Herr Westerwelle, zu-
mal ich sowieso meine, es gibt keine Arbeitslose und
keinen Arbeitslosen, die bzw. der je auf die Idee käme,
FDP zu wählen. Aber damit rechnen Sie ja auch nicht.


(Zuruf von der FDP: Das ist ein Unsinn!)


– Nein, nein, hören Sie zu! – Aber ich sage Ihnen auch:
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die FDP
wählen, passen in eine Telefonzelle.

Aber davon einmal ganz abgesehen: Die FDP versucht
etwas Neues, nämlich eine Lobbyistenpartei hoffähig zu
machen. Was Sie mit den Hoteliers und der Dankesspende
von Mövenpick gemacht haben, was Sie mit den Ge-
schenken an die Pharmaindustrie vorhaben und wie die
Gästeliste von Bundesaußenminister Westerwelle bei
seinen Reisen aussieht, das alles spricht dafür, dass man
versucht, eine Lobbyistenpartei salonfähig zu machen.

Frau Bundeskanzlerin Merkel, Sie sagen dazu in der
Regel nichts. Sie halten sich zurück, vergessen aber, dass
Sie dafür mithaften.


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Beispiel in Bezug auf die Gästeliste könnten Sie Ih-
rem Bundesaußenminister die Sache erleichtern, indem
Sie eine kleine Dienstanweisung erlassen, in der steht,
wen man mitnehmen darf und wen nicht. Wenn Sie es
nicht schaffen, helfe ich Ihnen gerne. Ich will nur sagen:
Das ist zu leisten.

Im Kern geht es um eine ganz andere Frage: Wollen
wir eine „Berlusconisierung“ der Politik in Deutschland
oder wollen wir die nicht? Wir sind strikt dagegen. Also
tun Sie etwas dagegen!


(Beifall bei der LINKEN)


Bundesminister zu Guttenberg hat zunächst erklärt,
dass der entsetzliche Luftangriff auf Kunduz mit vielen
toten Zivilisten, darunter auch vielen Kindern, angemes-
sen gewesen sei. Dann hat er seinen Generalinspekteur
und den Staatssekretär entlassen, weil sie ihn falsch in-
formiert hätten. Dann hat er gesagt, der Angriff sei doch
nicht angemessen gewesen, sondern unangemessen.
Jetzt nimmt er die beiden Entlassenen wieder in Schutz.
Ich verstehe überhaupt nicht, was in Ihnen vorgeht, Herr
zu Guttenberg. Ihnen fehlt eine notwendige Erkenntnis:
dass es von Anfang an falsch war, die Bundeswehr in
Afghanistan einzusetzen. Das sollten Sie endlich einmal
zugeben, und das muss korrigiert werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Frau Bundeskanzlerin, Sie haben zu Griechenland
gesprochen. Da wundert mich eines: Wir verlangen von
Griechenland einen knallharten Sparkurs, den wir für
Deutschland ablehnen. Denn das ist Brüning’sche Poli-
tik, und Sie wissen, dass Reichskanzler Brüning
Deutschland in die größte Katastrophe geführt hat. Wa-
rum verlangen wir eine solche Politik von Griechenland?
Jetzt gehen die Menschen dort auf die Straße, und zwar,
wie ich finde, völlig zu Recht. Es ist doch nicht hin-
nehmbar, dass Sozialleistungen, Renten, Löhne usw. ge-
kürzt werden,


(Beifall bei der LINKEN)


aber die Banker, die die ganze Krise verursacht haben,
überhaupt nicht zur Verantwortung gezogen werden. Da
stehen wir an der Seite der Bevölkerung Griechenlands.


(Beifall bei der LINKEN)


Sehen Sie sich das einmal an: Die Großbanken zo-
cken jetzt schon wieder mit Wetten auf die Schulden
Griechenlands. Sie machen schon wieder Leerverkäufe.
Nachdem die Leerverkäufe in Deutschland zwischen-
zeitlich verboten waren, sind sie nun wieder erlaubt.
Jetzt hat Bundesminister Schäuble gesagt, er will sie
vielleicht doch wieder verbieten. Machen Sie es doch
endlich! Wir brauchen keine Leerverkäufe; das ist nichts
anderes als Spekulation.


(Beifall bei der LINKEN)


Dann geht es um eine Abgabe der Banken, weil diese
direkt und indirekt eine Menge davon hatten, dass der
Staat Rettungsaktionen gestartet hat. Warum führen Sie
die Abgabe nicht ein? Sie sagen heute, Frau Bundes-
kanzlerin Merkel, das könne Deutschland nicht allein
machen, sondern nur die EU als Ganzes. Wirklich? Wa-
rum hat Schweden das dann allein gekonnt? Denn
Schweden, ebenfalls Mitglied der EU, hat eine solche
Abgabe schon eingeführt. Warum kann in diesem Fall
nicht Deutschland einmal als Vorbild vorangehen? Im
Übrigen plant auch der Präsident der Vereinigten Staaten
von Amerika, Obama, eine solche Abgabe in den USA.


(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Plant!)


Nun folgen Sie doch wenigstens Obama in dieser Frage,
wenn Sie uns schon nicht folgen; das ist doch nicht zu
viel verlangt.


(Beifall bei der LINKEN)


Ackermann bekommt jetzt wieder ein Gehalt von
10 Millionen Euro ausgezahlt. Ich gönne ihm das ja;
aber wissen Sie, was das Problem daran ist? Das haben
die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gezahlt. Wissen
Sie auch, warum? Die Deutsche Bank hatte eine Milliar-
denforderung gegenüber HRE. Wäre HRE in die Insol-
venz gegangen, hätte die Deutsche Bank keinen Gewinn
gemacht; ganz im Gegenteil, sie hätte schwere Verluste
zu verzeichnen. Jetzt ist HRE verstaatlicht worden; das
heißt, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben die





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

Forderung übernommen und an die Deutsche Bank ge-
zahlt. Davon bekommt Ackermann jetzt 10 Millionen
Euro, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aber
nichts. Das ist die Ungerechtigkeit, die wir kritisieren
und gegen die Sie nichts machen.


(Beifall bei der LINKEN)


Deutschland ist inzwischen der größte Niedrig- und
Dumpinglohnsektor aller Industriestaaten. Ein Viertel
der Beschäftigten, sagt das Statistische Bundesamt, ar-
beitet in Deutschland zu Niedriglohn. Damit hängt zu-
sammen, dass unsere Exporte billiger sind und die grie-
chischen teurer. Jetzt gibt es zwei Wege: Der eine Weg
ist, dass die Griechen ihre Löhne noch weiter senken,
und der andere Weg ist, dass wir unsere Löhne erhöhen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)


Genau dagegen wehren Sie sich. Sie tun ja so, als ob die
Gesellschaft unterginge, wenn wir das machten, was
schon 20 Mitgliedsländer der Europäischen Union getan
haben, nämlich einen flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohn einzuführen. Genau den brauchen wir
aber.


(Beifall bei der LINKEN)


Davon hätten nicht nur die Griechinnen und Grie-
chen, sondern auch unsere Beschäftigten etwas. Davon
hätten auch – deshalb verstehe ich die FDP nicht – das
Handwerk und die kleinen und mittleren Unternehmen
etwas, die von der Binnenwirtschaft leben. Sie brauchen
eine erhöhte Kaufkraft. Aber Sie verhindern dies.
Eigentlich sind wir die Partei der kleinen und mittleren
Unternehmen und nicht Sie. Sie tun bloß so als ob.


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch des Abg. Jörg van Essen [FDP])


– Herr van Essen, wenn Sie mir das nicht glauben, dann
glauben Sie es doch wenigstens dem Direktor des arbeit-
gebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael
Hüther. Auch er schlägt jetzt einen flächendeckenden
gesetzlichen Mindestlohn vor. Er ist noch nicht bei der
Höhe von 10 Euro, die wir vorschlagen, angekommen.
Aber abgesehen davon kann man sagen, dass er immer-
hin diesen Weg vorschlägt.

Frau Bundeskanzlerin, ich habe mich gewundert, dass
Sie von Chancengleichheit geredet haben. – Wo ist sie
eigentlich? Ich sehe, dass sie im Moment ihre Staats-
sekretäre betreut. Auch das ist nötig.


(Heiterkeit bei der LINKEN)


Ich habe mich, wie gesagt, gewundert, dass Sie, Frau
Bundeskanzlerin, von Chancengleichheit in der Bildung
gesprochen haben. Überall dort, wo die Union regiert,
werden die Kinder in der Grundschule nach der vierten
Klasse getrennt. Wer Kinder nach der vierten Klasse
trennt, der macht nichts anderes als soziale Ausgren-
zung.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der FDP)

– Einen Moment, Herr Lindner. Hören Sie zu! Frau
Merkel und ich sind auf eine Gemeinschaftsschule ge-
gangen. Ganz so blöde sind wir beide doch nicht gewor-
den. Oder wollen Sie das Gegenteil behaupten?


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Man kann nur sehen, wie sich das unterschiedlich auswirkt!)


Ihre Position kann ich überhaupt nicht akzeptieren.

Ich komme jetzt zu einem anderen Thema. Ob nun
SPD oder die Union regiert, es ist immer dasselbe:
Meine Partei wird vom Bundesamt für Verfassungs-
schutz beobachtet.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das ist bei Ihnen auch nötig!)


Ich kann Ihnen sagen, woran das liegt. Das liegt daran,
dass die Mitarbeiter dieses Amtes vom Grundgesetz
keine Ahnung haben.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ja vergleichsweise harmlos zu dem, was die Bunte macht!)


Aber wenn Sie das wollen, Herr Kauder, dann versuche
ich, denen das Grundgesetz beizubringen. Wenn diese
das Grundgesetz endlich verstehen würden, dann müss-
ten sie sich eher um Sie und auch um die SPD kümmern.


(Beifall bei der LINKEN)


Denn eines muss ich Ihnen sagen: Während der Großen
Koalition sind so viele verfassungswidrige Gesetze
verabschiedet worden wie noch nie zuvor in der Ge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland. Dazu haben
Sie einen Hang.


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt nenne ich Ihnen die Beispiele. Der Bundespräsi-
dent hat zwei Gesetze, nämlich das Gesetz zur Privati-
sierung der Flugsicherung und das Gesetz zur Reduzie-
rung des Verbraucherschutzes, nicht unterzeichnet, weil
sie offensichtlich – nicht nur verdeckt – grundgesetzwid-
rig waren.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Was hat das mit dem Verfassungsschutz zu tun?)


Dann haben Sie eine Neuregelung zur Kilometerpau-
schale verabschiedet. Wir haben Ihnen gesagt, das ist
grundgesetzwidrig. Sie beide haben uns das selbstver-
ständlich nicht geglaubt. Aber das Bundesverfassungs-
gericht hat uns recht gegeben. Dann haben Sie die Ge-
setze zum Vertrag von Lissabon gemacht. Wir haben
Ihnen gesagt, sie sind grundgesetzwidrig. Sie haben uns
das selbstverständlich nicht geglaubt. Aber das Bundes-
verfassungsgericht hat uns recht gegeben. Dann haben
Sie ein Vorratsdatenspeicherungsgesetz gemacht. Wir
haben Ihnen gesagt, es ist grundgesetzwidrig. Sie haben
uns das selbstverständlich nicht geglaubt. Aber das Bun-
desverfassungsgericht hat uns recht gegeben. Das Glei-
che wird übrigens mit dem Internetzensurgesetz passie-
ren.





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

Dann haben Sie – Sie von der Union waren nur indi-
rekt beteiligt – ein Hartz-IV-Gesetz beschlossen. Wir ha-
ben Ihnen gleich gesagt, das ist grundgesetzwidrig. Sie
haben es uns nicht geglaubt. Das Bundesverfassungsge-
richt hat es bestätigt. Glauben Sie mir: Von den Linken
können Sie in Bezug auf das Grundgesetz eine Menge
lernen.


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU)


Passen Sie auf, jetzt kommt der Höhepunkt. Obwohl
das Bundesverfassungsgericht so entschieden hat, tönt
die FDP, dass sie die Aufhebung des Gesetzes nutzen
will, um die Leistungen für Hartz-IV-Empfängerinnen
und Hartz-IV-Empfänger zu kürzen.


(Zuruf von der FDP: Lüge!)


Zum Teil tönen da noch andere mit. Ich sage Ihnen: Das
ist ein Skandal. Es dauert leider lange, bis das Bundes-
verfassungsgericht das aufheben würde. Verabschieden
Sie kein neues verfassungswidriges Gesetz! Fragen Sie
uns! Wir sagen Ihnen, was im Grundgesetz steht.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn wir schon bei Hartz IV sind: Sie, Frau Merkel,
sagen, Sie wollen den Zuverdienst erhöhen. Wissen Sie,
was Sie da anrichten? Sie sagen damit doch permanent,
die Leute sollen faktisch unentlohnt für einen kleinen
Zuschuss arbeiten. Davon haben nur die Unternehmen
etwas. Ich habe Ihnen schon von dem Mann erzählt, der
fünf Monate unentgeltlich ein Praktikum gemacht hat.
Das nutzt natürlich diesem Unternehmen. Wollen Sie
denn das Lohndumping immer weiter vorantreiben? Wa-
rum können wir nicht einmal einen anderen Weg gehen:
den Hartz-IV-Regelsatz wenigstens auf 500 Euro erhö-
hen, eine Kindergrundsicherung machen und die demüti-
genden Sanktionen streichen?

Dann sollten wir neu nachdenken und Arbeit statt Ar-
beitslosigkeit bezahlen.

Im Vergleich mit Frankreich, Großbritannien und
Skandinavien haben wir den kleinsten öffentlichen
Dienst. Das spüren übrigens auch die Kommunen; da
geht es um Lehrerinnen und Lehrer, um Kindergärtnerin-
nen und Kindergärtner und ganz viel sonstiges Personal.
Es geht auch um die Justiz und um die Polizei.


(Widerspruch des Abg. Volker Kauder [CDU/ CSU])


– Herr Kauder, wenn ich heute beim Verwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg eine Klage einreiche, dann be-
komme ich den ersten Termin in zwei Jahren. Das finden
Sie normal?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer regiert denn da?)


Wir brauchen in diesem Bereich mehr Beschäftigte;
denn die Qualität der Rechtsprechung hängt auch davon
ab, dass sie zügig erfolgt und die Leute relativ schnell
wissen, ob sie recht oder unrecht hatten.


(Beifall bei der LINKEN – Otto Fricke [FDP]: Nur, dass das Ländersache ist!)

Da müssen wir neu nachdenken. Wir müssen den öf-
fentlichen Dienst erweitern, und wir brauchen einen öf-
fentlich geförderten Beschäftigungssektor, wie es ihn in
Berlin gibt und wie er in Brandenburg geplant ist. In
Berlin gibt es schon 7 600 entsprechende Stellen. Diese
Leute verdienen wieder Geld, sie zahlen wieder Lohn-
steuer und Beiträge in die Sozialkassen ein. Außerdem
sparen wir auf der anderen Seite die Auszahlung von
Hartz IV. Was ist denn daran so schlimm? Sie machen
etwas Vernünftiges und werden dafür bezahlt. Das ist der
richtige Weg und nicht die Bezahlung von Arbeitslosig-
keit. Es gibt doch andere Möglichkeiten.


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt lassen Sie mich noch auf einen speziellen Fall
eingehen, der mich – und eigentlich auch Sie, Herr
Kauder – seit August 2009 beschäftigt und uns alle dem-
nächst beschäftigen wird. Herr Kauder und ich waren
zusammen mit Herrn Wowereit von der SPD, mit Herrn
Brüderle von der FDP und mit Herrn Kuhn von den Grü-
nen bei Hart aber fair. Da trat eine Mutter auf, die sagte,
dass sie nur teilzeitbeschäftigt ist und zusätzlich
Hartz IV bezieht. Ihre Tochter hatte in den Ferien gear-
beitet und sich mit dem verdienten Geld einen Traum er-
füllt und eine Gitarre gekauft. Der Mutter wurde das
Geld dann wieder abgezogen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie schon dreimal erzählt!)


Alle, die in der Sendung anwesend waren, haben gesagt
– auch Sie, Herr Kauder –, dass das korrigiert werden
muss. Wir haben dann im September, noch in der vori-
gen Legislaturperiode, die Korrektur beantragt. Sie,
meine Damen und Herren von der SPD, haben diesen
Antrag zusammen mit der CDU/CSU abgelehnt.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist die Wahrheit!)


Die Grünen haben zugestimmt, wir haben zugestimmt,
und die FDP hat sich der Stimme enthalten.

Jetzt haben Sie von der SPD einen entsprechenden
Antrag eingebracht. Ich sage Ihnen heute schon, was
passieren wird: Wir werden zustimmen, die Grünen wer-
den zustimmen, die Union wird dagegenstimmen, und
auch die FDP wird dagegenstimmen. Damit machen Sie
Politik unmöglich. Was sagen Sie denn den Leuten? Als
Sie in der Regierungsmehrheit waren, haben Sie dage-
gengestimmt. Wenn Sie aber in der Opposition, in der
Minderheit, sind, stimmen Sie dafür. Die FDP hat sich in
der Opposition der Stimme enthalten und stimmt in der
Regierung dagegen. Was sollen die Leute damit anfan-
gen?

Herr Lindner hat nun in einer neuen Sendung gesagt,
das werde bis Ende des Jahres geregelt werden. Herr
Lindner, warum bis Ende des Jahres? Die nächsten Som-
merferien kommen im Juli. Lassen Sie uns das doch vor-
her regeln, damit die Kinder diesbezüglich vor den Som-
merferien Bescheid wissen.


(Beifall bei der LINKEN)






Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt, es sei Ihnen
gelungen, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Sie hätten
aber auch sagen müssen, wodurch. Es ist geschehen, in-
dem die prekäre Beschäftigung in einem Maße ausge-
baut worden ist, das für diese Gesellschaft von größtem
Nachteil ist. Bei der Vollzeitbeschäftigung gibt es
1,4 Millionen Stellen weniger. Bei der Teilzeitbeschäfti-
gung gibt es inzwischen 5 Millionen Stellen, bei Mini-
jobs 7,1 Millionen. Die Mehrfachbeschäftigung hat sich
verdoppelt, und die Zahl befristeter Beschäftigungsver-
hältnisse ist – das wurde gestern in der Tagesschau ge-
meldet – auf 2,7 Millionen gestiegen.

Dann gibt es noch die Aufstockerinnen und Aufsto-
cker, die Sie alle loben. Aufstockung ist doch aber eine
Zumutung. Da arbeitet jemand Vollzeit, verdient aber so
wenig, dass er nicht davon leben kann, und dann kommt
der Staat und übernimmt den Rest. Das ist ein Skandal.
Wenn der Staat den Rest übernimmt, verführt das die
Unternehmen doch dazu, ganz niedrige Löhne zu zahlen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn jemand vollzeitbeschäftigt ist, dann hat er An-
spruch auf einen Lohn, von dem er in Würde leben kann.
Das ist unser Standpunkt.

Wir haben, wie Sie gesagt haben, mit über 80 Milliar-
den Euro die höchste Neuverschuldung, die es je gab.
Sie haben 900 Millionen Euro für die Bundesagentur für
Arbeit erst einmal gesperrt. Jetzt sagen Sie, diese Mittel
würden wieder zur Verfügung gestellt. Aber erst einmal
sind sie gesperrt. Wenn sie gesperrt blieben, hieße das,
dass ein Drittel der Jobcenter handlungsunfähig wäre
und 10 000 Leute entlassen werden müssten. Was sind
da Ihre Pläne?

Herr Bundesminister Rösler will jetzt zusätzlich eine
Kopfpauschale von 29 Euro einführen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht!)


Sie behaupten im Ernst, das Ganze sei aufgrund eines
Steuerzuschusses sozial gerecht, wobei ich jetzt gar
nichts dazu sagen möchte, dass Sie den Spitzensteuer-
satz ständig senken. Aber ernsthaft zu glauben, dass eine
Friseuse und Herr Ackermann das Gleiche für die Ge-
sundheit bezahlen sollten, ist völlig absurd.


(Zuruf des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ CSU])


– Ja, das ist Ihre Idee. Für mich ist es aber ein völlig ab-
surder Gedanke.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun machen Sie mit der geplanten Einführung einer
Pauschale von monatlich 29 Euro einen ersten Schritt.
Aber bitte fügen Sie hinzu, dass Sie den Arbeitnehmer-
beitrag für Zahnersatz und Krankenhauskosten in Höhe
von 0,9 Prozent des Einkommens streichen wollen.
Stattdessen wollen Sie die 29 Euro kassieren. Das be-
deutet für jemanden, der 1 500 Euro im Monat verdient,
dass er rund 10 Euro mehr zahlen muss. Jemand, der
3 700 Euro im Monat verdient, muss 5 Euro weniger
zahlen. Es ist die alte Leier: Immer wieder wird eine
Umverteilung von unten nach oben organisiert. Etwas
anderes kennen Sie nicht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist ein Zeichen der Entsolidarisierung. Mir ist es
wichtig, hinzuzufügen: Natürlich brauchen wir eine Bür-
gerversicherung, weil dann jede und jeder seinem Ein-
kommen entsprechend herangezogen wird. Nur das ist
gerecht und nichts anderes.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Bundesminister Rösler, zu Ihrem Vorhaben, die
Arzneimittelpreise zu senken: Sie wissen doch selbst,
dass das ein Schuss nach hinten ist; das kann nicht funk-
tionieren. Warum organisieren Sie nicht einfach eine
Preiskontrolle und eine Festlegung der Preise durch den
Staat, damit die Konzerne zwar einen angemessenen Ge-
winn erzielen, aber keine riesigen Profite machen kön-
nen? Was wäre daran so schlimm? Jetzt sagen Sie, die
gesetzlichen Krankenkassen sollen im Nachhinein mit
der Pharmaindustrie verhandeln. Dabei sind die Kran-
kenkassen in einer viel schwächeren Position als die
Pharmaindustrie, sodass nichts dabei herauskommt, au-
ßer dass die Pharmaindustrie nach wie vor die vollstän-
dige Preisdominanz hat.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Frau Bundeskanzlerin, Sie haben darauf hingewiesen,
dass sich morgen der 18. März 1990 zum 20. Mal jährt.
Das stimmt.


(Heiterkeit bei der LINKEN)


Ich habe ein paar Fragen an Sie: Frau Bundeskanzlerin,
wann bekommen die Rentnerinnen und Rentner im Os-
ten endlich für die gleiche Lebensleistung die gleiche
Rente wie die Rentnerinnen und Rentner im Westen?
Wann beantworten Sie uns diese Frage?


(Beifall bei der LINKEN)


Wann, Frau Bundeskanzlerin, bekommt man im Osten
den gleichen Lohn für gleiche Arbeit und die gleiche Ar-
beitszeit? Wann beantworten Sie uns diese Frage?


(Beifall bei der LINKEN)


Wann, Frau Bundeskanzlerin, ist die Arbeitslosigkeit im
Osten nicht mehr doppelt so hoch wie im Westen? Wann,
Frau Bundeskanzlerin, verhindern wir, dass der Osten
den Westen nach unten zieht, wie das heute der Fall sein
soll? Wann hört es auf, dass der Osten die Begründung
– dies ist eine falsche Begründung – für den Sozialabbau
im Westen ist? Wer ein vereintes Deutschland will, muss
gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West herstellen
und aufhören, Ost und West gegeneinander auszuspie-
len.


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Schluss sage ich Ihnen: Wenn wir in dieser Ge-
sellschaft soziale Gerechtigkeit wollen, kommen wir um
Steuergerechtigkeit nicht umhin. Wer nicht den Mut hat,





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

Steuergerechtigkeit herzustellen, der wird niemals in der
Lage sein, soziale Gerechtigkeit herzustellen, sondern er
wird immer nur begründen, weshalb dies nicht gehe und
was alles dagegenspreche, und das zerstört diese Gesell-
schaft. Es gab noch nie so viele Außenstehende wie jetzt.
Es gab noch nie so viel Armut in Deutschland wie jetzt.
Wenn Sie daran weiter arbeiten, dann zerstören Sie die
eigenen Grundlagen, auf die Sie bauen.

Frau Bundeskanzlerin, Sie werden verstehen: Wir
können dem Etat Ihres Bundeskanzleramts beim besten
Willen nicht zustimmen. Ich kann es nicht ändern.


(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703000600

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Birgit

Homburger.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1703000700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

beraten in dieser Woche den Bundeshaushalt 2010. Die-
ser Bundeshaushalt ist ein Dokument der Handlungsfä-
higkeit und auch der Entschlossenheit dieser Koalition.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unentschlossenheit! – Thomas Oppermann [SPD]: 80 Milliarden Schulden!)


Wir haben eben von Herrn Steinmeier und Herrn Gysi
gehört, was wir alles falsch machen. Ich möchte Ihnen
von der SPD deutlich machen, was Ihre Politik von un-
serer Politik unterscheidet.


(Joachim Poß [SPD]: Ach! Das ist jetzt spannend!)


Sie haben einen Rettungsschirm für Banken auf den Weg
gebracht. Sie haben Steuergelder für General Motors
ausgegeben, und Sie haben eine Abwrackprämie für alte
Autos eingeführt. Wir spannen jetzt einen Arbeitnehmer-
schutzschirm, wir entlasten die Bürgerinnen und Bürger,
und wir tätigen mehr Investitionen im Bereich Bildung
und Forschung. Das ist der Unterschied, der diese Koali-
tion ausmacht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Auch wenn dieser Haushalt noch ein Stück weit ge-
prägt ist von einer Übergangsstruktur, ist es doch so,
dass man ihm im Kern schon ansieht, dass er eine andere
Schwerpunktsetzung hat,


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehr Schulden ist euer Schwerpunkt!)


dass für uns die Menschen im Mittelpunkt stehen, Herr
Bonde. Das zeigt sich zunächst an dem, was wir im Ja-
nuar auf den Weg gebracht haben, am Familienförde-
rungsgesetz, an der Entlastung der Bürgerinnen und Bür-
ger, vor allem der Familien in diesem Land. Endlich
haben die Familien wieder mehr Geld in der Tasche.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Herr Bonde, wir haben Impulse für mehr Wachs-
tum und Beschäftigung gegeben, indem wir Fehler bei
der Gewerbesteuer und der Erbschaftsteuer korrigiert ha-
ben. Ich sage Ihnen eines: Das Sozialste, was man über-
haupt tun kann, ist, dafür zu sorgen, dass Menschen eine
Chance auf Arbeit haben. Wenn wir das wollen, dann
müssen wir auch dafür sorgen, dass die Entlastungen, die
wir im steuerlichen Bereich vorgenommen haben, nicht
durch höhere Beiträge zu den Sozialversicherungen wie-
der aufgefressen werden. Deshalb haben wir den Zu-
schuss zur Krankenversicherung erhöht und einen Zu-
schuss zur Arbeitslosenversicherung vorgesehen. Das
alles bedeutet nichts anderes, als dass wir die Lohnzu-
satzkosten stabil halten. Das ist ein Schutzschirm für die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und bedeutet ein
Mehr an Chancen auf Arbeitsplätze in diesem Land. Das
haben wir hier im Deutschen Bundestag verabschiedet.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir haben einen neuen Schwerpunkt bei Bildung
und Forschung gesetzt. Das wird schon im Haushalt
2010 sichtbar: 750 Millionen Euro zusätzlich für Bil-
dung und Forschung. In Summe haben wir uns vorge-
nommen, 12 Milliarden Euro mehr in diesen Bereich zu
investieren. Wir wollen in die Köpfe, in die Chancen der
jungen Generation investieren. Wir werden noch in die-
sem Jahr den Start des Stipendienprogramms haben. Ich
sage auch ganz deutlich: Wir werden mehr tun im Be-
reich Forschung. Das ist dringend notwendig, auch im
Hinblick auf die Energiepolitik. Hier ist heute zu Recht
gesagt worden, dass wir das Zeitalter der regenerativen
Energien erreichen wollen. Wir werden alles tun, damit
die notwendige Forschung, beispielsweise im Bereich
Speichertechnologien, durchgeführt wird, damit wir die-
ses Ziel erreichen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Herr Steinmeier, Sie haben uns vorhin vorgeworfen,
wir hätten in diesem Haushalt nicht genügend gekürzt.
Unsere Haushaltspolitiker haben in diesem Parlament
310 Kürzungsvorschläge vorgelegt. Wir haben 500 Mil-
lionen Euro zusätzlich bei der Verwaltung eingespart.
Ich möchte Sie an dieser Stelle einfach nur bitten, sich
diesen Haushalt noch einmal genau anzuschauen. Ich
kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass Sie hier einen
falschen Vorwurf in den Raum stellen wollten, was Sie
vorhin aber getan haben, als Sie behaupteten, wir wür-
den über 900 zusätzliche Stellen schaffen. In Summe
werden wir am Ende des Jahres 2010 – auch das muss
die Öffentlichkeit erfahren –, weil wir in anderen Berei-
chen Stellen streichen, 581 Stellen weniger haben. Das
heißt, wir sparen. Zusätzlich haben wir eine 1-prozentige
Kürzung in diesem Haushalt für die Zukunft beschlos-
sen. Das ist die Wahrheit und nicht das, was von Ihnen,
Herr Steinmeier, erzählt worden ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Struck’schen Bundeswehrabbau rechnet ihr euch schön!)


Die Nettokreditaufnahme wurde angesprochen. Ja,
die ist verdammt hoch. Auch wir würden uns wünschen,





Birgit Homburger


(A) (C)



(D)(B)

das wäre anders. Die Bundeskanzlerin hat das Nötige
dazu schon gesagt. Ich möchte aber trotzdem deutlich
machen, dass wir im Rahmen der Haushaltsberatungen
im Vergleich zum ersten Entwurf noch einmal 6 Mil-
liarden Euro zusätzlich eingespart haben.

Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Die FDP hat
in ihrer Zeit in der Opposition hier im Deutschen Bun-
destag regelmäßig ein Sparbuch vorgelegt. Sie, meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Oppo-
sition, haben hier nur Wunschlisten vorgelegt. In Summe
haben Sie 56 Milliarden Euro Mehrausgaben beantragt.
Das, was Sie hier vorschlagen, ist keine verantwortliche
Politik.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


– Lieber Herr Bonde, Sie fordern die Wahrheit ein.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Die Wahrheit ist, dass die Grünen zusätzliche Ausgaben
in Höhe von 14 Milliarden Euro beantragt haben. Wür-
den wir Ihren Vorschlägen folgen, dann hätten wir am
Ende eine Neuverschuldung von 100 Milliarden Euro;
das schlagen Sie vor.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unfug! 7,5 Milliarden Euro weniger Neuverschuldung haben wir euch vorgeschlagen!)


Die Linken haben zusätzliche Ausgaben in Höhe von
41 Milliarden Euro beantragt. Ich wiederhole es: 41 Mil-
liarden Euro. Daneben sehen die zusätzlichen Ausgaben
in Höhe von 840 Millionen Euro, die die SPD beantragt
hat, bescheiden aus. Aber das war natürlich vor den
Hartz-IV-Beschlüssen. Verantwortliche Haushaltspolitik
machen in diesem Hause genau zwei Fraktionen: die
FDP und die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das ist ja unglaublich!)


Herr Steinmeier, Sie haben hier Krokodilstränen über
den Zustand der Finanzen der Kommunen geweint.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Krokodilstränen?)


An dieser Stelle möchte ich Ihnen sagen: Das beschäftigt
uns alle. Ich unterstelle das jedem in diesem Haus. Aller-
dings wissen wir alle, dass das Problem der kommunalen
Finanzen vor allen Dingen darin liegt, dass sie extrem
konjunkturabhängig sind.


(Joachim Poß [SPD]: Das ist Quatsch! Wir haben sie stabiler gemacht!)


Wir haben seit Jahren immer wieder deutlich gemacht,
dass wir hier eine Veränderung, eine Stabilisierung der
Finanzierung der Kommunen brauchen.


(Joachim Poß [SPD]: Sie machen genau das Gegenteil!)

Sie haben elf Jahre lang regiert, Herr Poß – schreien Sie
hier nicht einfach nur dazwischen –, und Sie haben sich
überhaupt nicht um die Kommunen gekümmert.


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Das ist unglaublich! Sie müssen sich der Aufgabe stellen!)


Wir haben jetzt eine Regierungskommission eingesetzt
und werden uns dieser Aufgabe stellen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Unglaublich!)


Die Sozialstaatsdebatte, die wir auch in diesem Hause
führen, geht von einem Urteil des Bundesverfassungsge-
richts aus.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703000800

Frau Kollegin Homburger, lassen Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Hagedorn zu?


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1703000900

Ich bin mit meiner Rede schon ein Stück weiter. Ich

möchte an dieser Stelle meinen Gedanken fortführen.

Wie gesagt, wir haben, ausgehend von einem Bundes-
verfassungsgerichtsurteil, eine Sozialstaatsdebatte ange-
stoßen. Jetzt möchte ich Herrn Gysi direkt ansprechen,
weil er hier Unwahrheiten verbreitet:


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Das machen Sie!)


Das Bundesverfassungsgericht hat ein Urteil gespro-
chen, und es hat mitnichten die Erhöhung der Regelsätze
bei Hartz IV gefordert.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Hat er nicht behauptet!)


Im Gegenteil: Es hat deutlich gesagt, dass das, was dort
von der Gemeinschaft geleistet wird, nicht evident unzu-
reichend sei. Allerdings haben die SPD, Sie und auch die
Grünen sofort – die Begründung in Karlsruhe war noch
nicht abgeschlossen – höhere Regelsätze bei Hartz IV
gefordert.


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das haben wir schon vorher gefordert!)


Im Gegenzug wird uns vorgeworfen – gerade eben
wieder von Herrn Gysi von diesem Pult aus –, wir woll-
ten eine Senkung der Regelsätze. Ich halte in diesem Ho-
hen Hause auch für die Öffentlichkeit fest: Keiner aus
der FDP-Bundestagsfraktion will eine Absenkung der
Regelsätze von Hartz IV. Wir wollen eine neue Balance
des Sozialstaats. Dafür werden wir uns einsetzen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Herr Lindner hat in meinem Beisein etwas anderes gesagt!)


Wenn die Aussage: „Wer arbeitet, muss mehr haben
als der, der nicht arbeitet“, eine solche Selbstverständ-
lichkeit ist – so wird es hier immer wieder vorgetragen –,
dann frage ich mich, warum so viele Menschen in die-





Birgit Homburger


(A) (C)



(D)(B)

sem Land denken, dass es richtig ist, dass wir über genau
diese Frage diskutieren und Veränderungen herbeiführen
wollen. Die Menschen haben ein gutes Gespür dafür,
dass an dieser Stelle etwas nicht stimmt.


(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Richtig! Die Löhne sind zu niedrig!)


Ich frage Sie: Wenn es eine solche Selbstverständlichkeit
ist, warum gibt es dann diese massiven Angriffe? Herr
Steinmeier, Sie sind beispielsweise in einer Meldung der
dpa zitiert worden, laut der Sie gesagt haben:

Westerwelle verfalle immer stärker in einen „ag-
gressiven Rechtspopulismus“, …

Ich kann Ihnen, lieber Herr Steinmeier, nur sagen:
Wenn Sie da richtig zitiert worden sind – das ist ein Zitat
vom 23. Februar dieses Jahres aus einer Meldung der
dpa –, wenn die SPD Leistungsgerechtigkeit inzwischen
als Rechtspopulismus betrachtet, dann sind Sie ver-
dammt weit von den Menschen entfernt und vor allen
Dingen auf dem Weg weit nach links.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will eine Bemerkung zu dem Vorwurf der Ver-
fassungsfeindlichkeit machen, der von mehreren ge-
genüber der FDP erhoben worden ist.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: In welchem Zusammenhang?)


– Vor allen Dingen im Zusammenhang mit Hartz IV und
mit den Aussagen von Herrn Westerwelle. – Dazu hat
sich auch Herr Gabriel geäußert.


(Jörg van Essen [FDP]: Wo ist er eigentlich?)


Herr Steinmeier, vielleicht können Sie einmal erklären,
wo Herr Gabriel ist. Auf allen Kanälen pöbelt er durch
die Gegend, seine Präsenz hier im Parlament: Fehlan-
zeige. Ich frage mich: Hängt das mit dem Verhältnis zwi-
schen Ihnen beiden zusammen, oder ist das schlicht
Missachtung des Parlaments, was Herr Gabriel da be-
treibt?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Gabriel ist wenigstens nicht verfassungsfeindlich!)


Herr Gabriel hat am 9. März im WDR, damit Sie
gleich nicht nachfragen müssen, Herr Steinmeier, erklärt
– ich zitiere –:

Herr Westerwelle handelt verfassungswidrig, ja
verfassungsfeindlich.

Zitat Ende. Weiterhin hat er über die FDP gesagt – in ei-
nem Wortlautinterview in der Leipziger Volkszeitung
nachzulesen –:

… die sind jung, … gnadenlos, … und sie sind
verfassungsfeindlich …

Zitat Ende.


(Jörg van Essen [FDP]: Pfui! – Weitere Zurufe von der FDP: Unglaublich! – Unerhört!)

Sehr geehrter Herr Steinmeier, Sie haben vorhin gesagt,
wir sollten aufpassen, dass nicht Werte verloren gehen.
Ich glaube, Sie haben allen Grund, in Ihrer Partei aufzu-
passen, dass Sie sich nicht daran beteiligen, dass Werte
in diesem Land verloren gehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wer mit einer Partei koaliert, die in einigen Ländern
und auch im Bund vom Verfassungsschutz überwacht
wird,


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Was ein großer Skandal ist! – Jörg van Essen [FDP]: Aus gutem Grunde! – Joachim Poß [SPD]: Wovon reden Sie denn da?)


und wer zukünftig offensichtlich auch in Nordrhein-
Westfalen eine solche Koalition anbahnen will – das ist
ja im Augenblick zu beobachten –,


(Joachim Poß [SPD]: Das ist doch Stuss!)


der sollte einer Partei, die unzweifelhaft auf dem Boden
des Grundgesetzes steht,


(Joachim Poß [SPD]: Das gilt aber nicht für jede Äußerung!)


einer Partei, die die Bundesjustizministerin stellt, einer
Partei, die beim Bundesverfassungsgericht gerade meh-
rere Klagen gewonnen und recht bekommen hat, nicht
unterstellen, sie sei verfassungsfeindlich. Ich fordere Sie
auf, zur sachlichen Auseinandersetzung zurückzukehren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Sie haben ein gestörtes Verhältnis zum Sozialstaat!)


Eine letzte Bemerkung in diesem Zusammenhang. Ich
war entsetzt, als ich feststellen musste, was alles in die-
sem Land inzwischen ohne öffentlichen Aufschrei hin-
genommen wird.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen wir bei der Neuverschuldung auch so!)


Auf einer Veranstaltung ist eine Laudatio auf eine Jour-
nalistin gehalten worden. In dieser Laudatio wurde der
Satz gesagt – ich zitiere –:

Man trifft sie ja gerade jetzt vermehrt, die Nazis im
Nadelstreifen, die Sarrazins, die Westerwelles …


(Jörg van Essen [FDP]: Unglaublich! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn das gesagt?)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muss
Ihnen ganz ehrlich sagen: Dass ein solches Zitat in einer
öffentlichen Veranstaltung ungerügt bleibt, dass es auch
noch in einer Zeitung abgedruckt wird, das geht gegen
jegliches Gefühl der Demokratie.


(Joachim Poß [SPD]: Worüber reden Sie denn jetzt? – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn das gesagt?)






Birgit Homburger


(A) (C)



(D)(B)

Ich erwarte, dass wir von der persönlichen Diffamierung
wegkommen, dass wir die politische Kultur in diesem
Lande gemeinsam bewahren,


(Bettina Hagedorn [SPD]: Wer hat das gesagt, Frau Homburger?)


dass es in einem solchen Fall einen Aufschrei der Demo-
kraten gibt und wir gemeinsam die Verfassung verteidi-
gen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das denn gesagt?)


Das erwarte ich von allen Mitgliedern dieses Hauses. Ich
erwarte, dass auch Sie dagegen aufstehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Ich mache noch einige wenige Bemerkungen zum
Thema Hartz IV; dieses Thema wurde schon angespro-
chen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1703001000

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Beck?


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1703001100

Nein, Herr Kollege. Ich würde gerne weitermachen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen wissen, von wem das Zitat ist! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sagen Sie doch endlich mal, wer das gesagt hat! – Joachim Poß [SPD]: Sie müssen Ross und Reiter nennen! – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie uns doch, von wem das Zitat ist!)


– Ja, das werde ich gerne tun.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na los! Das ist ja wohl ein Hammer! – Joachim Poß [SPD]: Ross und Reiter nennen! – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Sie kaufen uns den Schneid nicht ab! – Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte noch einige Bemerkungen zu der Hartz-IV-
Debatte machen, die wir in diesem Hause geführt haben
und die wir weiterhin führen müssen. Ich sage zunächst
einmal: Wir haben zwischenzeitlich umgesetzt, was wir
angekündigt haben: Wir haben dafür gesorgt, dass derje-
nige, der Hartz IV bezieht und mehr tut, auch mehr Geld
behalten darf. Wir haben das Schonvermögen von
250 Euro auf 750 Euro pro Lebensjahr verdreifacht. Wir
wollen die Hinzuverdienstmöglichkeiten verbessern.
Wir wollen, dass die Sozialversicherungsbeiträge im un-
teren Einkommensbereich nur langsam ansteigen. Damit
tun wir etwas für diese Menschen.

Herr Scholz hat am Montag dieser Woche das Kon-
zept der SPD vorgestellt. Herr Scholz, warum sind Sie
mit diesen Ideen nicht im letzten Jahr gekommen, als Sie
als Bundesarbeitsminister Verantwortung für diesen Be-
reich getragen haben? Wenn man erkannt hat, dass man
etwas ändern muss, muss man die Änderungen auf den
Weg bringen, wenn man Verantwortung hat. Das haben
Sie nicht getan. Was Sie jetzt vorschlagen, ist eine Gene-
ralrevision der rot-grünen Arbeitsmarktpolitik.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Das stimmt ja gar nicht! Das ist absurd, was Sie da erzählen!)


Sie wollen rückwärts in die Zukunft gehen. Sie schla-
gen unter anderem vor, staatlich finanziert einen zweiten
Arbeitsmarkt von 200 000 Arbeitsplätzen aufzubauen.
Das würde nichts anderes bedeuten, als dass Sie zusätzli-
che Kosten von über 3 Milliarden Euro irgendwo im
Haushalt unterbringen müssten.


(Bettina Hagedorn [SPD]: In einem zweiten Arbeitsmarkt ist das Geld besser angelegt als bei den Hoteliers!)


Damit verbunden ist ein Zweites: Sie haben die Men-
schen offensichtlich aufgegeben. Eine solche Politik ma-
chen wir nicht mit. Wir wollen eine Politik, die den
Menschen Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt, auf so-
zialversicherungspflichtige Beschäftigung eröffnet.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie wollen, dass nicht für 12, sondern für 24 Monate
Arbeitslosengeld I gezahlt wird. Sie lassen unbeantwor-
tet, wie Sie die damit einhergehende Erhöhung der Zu-
satzkosten in der Arbeitslosenversicherung finanzieren
wollen. Ihr Vorschlag hätte nichts anderes zur Folge, als
dass Arbeit wieder teurer würde. Eine Politik für Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer sieht anders aus als das,
was Sie vorschlagen, meine sehr verehrten Damen und
Herren. Was Sie zu Hartz IV vorschlagen, das ist kein
sozialpolitisches Konzept, das ist eine koalitionspoliti-
sche Offenbarung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für uns stehen bei der Neuregelung von Hartz IV die
Kinder im Mittelpunkt.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Ach!)


– Frau Kollegin, die FDP hat schon in den letzten Jahren
gesagt, dass der Satz für Kinder nicht vom Regelsatz für
Erwachsene abgeleitet werden kann. Kinder sind eigene
Persönlichkeiten mit eigenen Bedürfnissen. Das Bundes-
verfassungsgericht hat das noch einmal deutlich ge-
macht. Es hat uns den Auftrag gegeben, das neu zu re-
geln. Diese Neuregelung ist notwendig, weil Ihr Gesetz
nicht bestehen konnte. Wir werden diese Neuregelung
vornehmen. Es geht uns darum, mehr Chancengerechtig-
keit am Start zu erreichen. Bildung ist nun einmal der
Schlüssel zu sozialem Aufstieg. Wir wollen Hartz-IV-
Karrieren vermeiden.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Und das wollen Sie machen, indem Sie 900 Millionen Euro für Eingliederungsmaßnahmen sperren?)






Birgit Homburger


(A) (C)



(D)(B)

Wir wollen alles dafür tun, dass die Hilfe für Kinder
auch bei den Kindern ankommt. Deshalb wollen wir
nicht nur Geld, sondern auch Sachleistungen wie Bil-
dungsgutscheine geben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen: Natür-
lich bleibt die Entlastung der Mittelschicht auf der
Agenda. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Das eine ge-
hört zum anderen: Denen zu helfen, die Hilfe benötigen,
gehört genauso auf die Agenda, wie denen zu helfen, die
das erwirtschaften, was dann verteilt wird. Deswegen
wollen wir gerade für die Mittelschicht Entlastungen auf
den Weg bringen.


(Joachim Poß [SPD]: Genau genommen für den Schweizer Mittelstand!)


Wir haben uns vorgenommen, das Steuerrecht zu ver-
einfachen. Das ist ein zentrales Anliegen vieler Bürge-
rinnen und Bürger. Wir wollen, dass die Steuern bei un-
teren und mittleren Einkommen weiter gesenkt werden.
Wir werden uns die Spielräume dafür im nächsten Haus-
halt hart erarbeiten müssen. Aber wir wollen Impulse ge-
ben gegen Schwarzarbeit, Impulse für mehr Leistungs-
gerechtigkeit und nicht zuletzt für mehr Fairness des
Staates im Umgang mit seinen Bürgerinnen und Bür-
gern.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Herr Steinmeier, wenn Sie die Gesundheitsreform
kritisieren, dann will ich Ihnen deutlich sagen: Sie haben
unser Modell in keiner Weise verstanden.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie haben doch noch gar nichts vorgelegt! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke, Sie machen eine Kommission!)


Wir wollen Politik für die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer machen. Deswegen haben wir vorgeschla-
gen, dass ein einkommensunabhängiger Arbeitnehmer-
beitrag erhoben wird – mit einem sozialen Ausgleich.

Wir wollen, dass die Lohnzusatzkosten nicht weiter stei-
gen. Das, was Sie in der Vergangenheit vorgeschlagen
haben, hat zu mehr Bürokratie geführt. Es hat zu Ein-
schränkungen der Wahlfreiheit geführt. Es hat das Arzt-
Patienten-Verhältnis belastet. Das, was diese Koalition
jetzt macht, sehr verehrter Herr Steinmeier, bedeutet
mehr Solidarität und auch mehr Gerechtigkeit,


(Widerspruch bei der SPD)


weil nach unserer Auffassung Gerechtigkeit nicht an der
Beitragsbemessungsgrenze aufhört, sondern alle umfas-
sen muss. Deshalb wollen wir den Sozialausgleich über
das Steuersystem.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlich beschäftigt sich diese Koalition in erhebli-
cher Art und Weise auch mit der Finanzmarktkrise.
Wir versuchen, einerseits die Folgen der Finanzmarkt-
krise abzumildern, andererseits aber auch dazu beizutra-
gen, dass so etwas nicht wieder passieren kann. Jetzt ist
die Frage: Wie kann man das aufarbeiten? In Düsseldorf
beginnt – das ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbe-
achtet geblieben – der erste Prozess gegen den Manager
einer Bank. Wenn jemand schuldhaft gehandelt hat, dann
soll Schadensersatz geltend gemacht werden können.


(Joachim Poß [SPD]: Das gibt das geltende Recht her! Das geht schon nach geltendem Recht!)


Deswegen überlegen wir, beispielsweise die zivilrechtli-
che Verjährungsfrist zu verlängern, weil wir mehr Zeit
brauchen, um eine entsprechende Prüfung vornehmen zu
können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen diejenigen zur Verantwortung ziehen, die
tatsächlich Verantwortung getragen haben. Das ist der
Kern der Sache. Herr Steinmeier, wenn Sie sich hier hin-
stellen und sagen, wir sollen Hedgefonds verbieten und
Ratingagenturen an die Kette legen, dann nehmen wir
das zur Kenntnis. Aber wer hat denn elf Jahre lang den
Bundesfinanzminister gestellt? Wer hat denn die Hedge-
fonds eingeführt? Sie waren das; Ihre Regierung war
das, Herr Steinmeier.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Wir sollen die Ratingagenturen eingeführt haben? Das ist doch gaga! – Joachim Poß [SPD]: Sie waren doch mehr dafür als wir!)


Sie haben das zugelassen. Sie hätten das, was Sie jetzt
aus der Opposition heraus fordern, in den letzten Jahren
korrigieren können, wenn Sie es denn angegangen wä-
ren.

Der Kern des Problems ist, dass wir Verantwortung
und Haftung zusammenbringen müssen. Das bedeutet,
dass wir dem Prinzip des ehrbaren Kaufmanns wieder
Geltung verschaffen müssen. Wir als FDP und ebenso
die CDU/CSU haben uns über viele Jahre immer wieder
für die Familienunternehmen in diesem Land eingesetzt,
weil wir wissen, dass dort Haftung und Verantwortung,
das Tragen des Risikos in einer Hand liegen und dass
man hier mit Risiken anders umgeht als in anderen Be-
reichen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Wir wollen hier Änderungen. Managerboni müssen
sich stärker an der langfristigen Entwicklung orientieren.
Die Vergütung muss vor allen Dingen so gestaltet sein,
dass es im Verlustfall auch Abzüge gibt, nicht nur Boni.
Wir wollen mehr Transparenz und Verständlichkeit der
Finanzprodukte. Wir wollen, dass Regeln endlich einge-
halten werden. Es ist nicht so, dass es für den Finanz-
markt keine Regeln gibt. Es ist jedoch so, dass Sie die
Aufsicht zersplittert haben. Wir haben jetzt gemeinsam
beschlossen, dass die Bankenaufsicht in einer Hand zu-
sammengeführt wird: bei der unabhängigen Bundes-
bank.





Birgit Homburger


(A) (C)



(D)(B)


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Banker können es ja nicht gewesen sein, oder?)


Damit garantieren wir, dass Regeln zukünftig eingehal-
ten werden und dass jemand darüber wacht, der davon
Ahnung hat. Das ist das Ziel dieser Koalition.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden in diesem Hause weiter über das Thema
Bürgerrechte zu sprechen haben. Das Bundesverfas-
sungsgericht hat uns gerade einen weiteren Auftrag zum
Thema Vorratsdatenspeicherung erteilt. Es hat nämlich
festgestellt, dass die Vorratsdatenspeicherung in der Art
und Weise, wie sie vorgenommen wurde, verfassungs-
widrig und nichtig ist, dass die Datensammelwut unver-
hältnismäßig ist. Es waren erneut Liberale, die den
Schutz der Freiheit und der Bürgerrechte beim Bundes-
verfassungsgericht erstritten haben.


(Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: Steuer-CD!)


Es ist festzuhalten, dass es keinen Sicherheitsgewinn
geben wird, wenn man die Daten von 80 Millionen
Deutschen systematisch zu erfassen gedenkt, allerdings
dabei den Blick für konkrete Gefahren verliert. Die Be-
drohung der Freiheit ist durch die Einschränkung der
Freiheit nicht zu bewältigen. Deshalb werden wir ge-
meinsam in dieser Koalition für Deutschland eine neue
Balance zwischen Freiheit und Sicherheit finden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen eine Politik für die Bürger machen. Wir
wollen einen fairen Umgang des Staates mit den Bür-
gern. Wir setzen dabei auf den mündigen Bürger und
wollen eben keinen Vormundschaftsstaat mit Rundum-
betreuung. Wir wollen mehr Chancen auf Bildung und
Aufstieg, und wir wollen die Kraft der Freiheit zum
Wohle dieses Landes nutzen.

Wir arbeiten an einem neuen Aufbruch für Deutsch-
land, und egal, ob Sie mitmachen oder sich dagegenstel-
len: Wir werden es für unser Land schaffen.


(Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1703001200

Das Wort hat nun Renate Künast für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703001300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt, hier

und heute sollte es eigentlich um die Zukunft der Men-
schen in diesem Land und um die Zukunft Deutschlands
gehen. Das ist Ihr erster Haushalt in einer schwarz-gel-
ben Regierung, Frau Bundeskanzlerin. – Wahrscheinlich
hat sie schon das Weite gesucht.

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, sie redet da hinten mit Ramsauer!)


– Es wäre ja auch nicht schlecht, wenn sie auf der Regie-
rungsbank sitzen würde.


(Joachim Poß [SPD]: Ramsauer ist in Sonderbehandlung!)


Das ist der erste Haushalt einer neuen Bundesregierung,
und an dieser Stelle schauen wir einmal ganz genau, was
dieser Haushalt bringt und ob Sie den Mut und die Kraft
haben, die Ziele zu zeigen, also zu zeigen, wo der Weg
in Deutschland hinführen soll. Das wäre ja eigentlich
Ihre Aufgabe, Frau Merkel.

Nachdem ich hineingeschaut und Ihre Rede heute ge-
hört habe, sage ich Ihnen ganz klar: Sie haben in Ihrer
Erklärung vorhin erneut nicht begründet, was den Sinn
Ihrer Kanzlerschaft ausmachen soll.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie reden über neues Denken, aber welches neue Denken
soll das denn eigentlich sein? Welches Ziel und welche
Leitbilder haben Sie?

Sie wollten hier zum Sozialen reden. Das haben wir
nicht vergessen, Frau Merkel, weil wir ja nicht an retro-
grader Amnesie leiden. Sie haben vor Wochen, als Ihr
Vizekanzler mit der Sozialhetzedebatte begonnen hat,
gesagt, diese Debatte werde hier im März bei der Haus-
haltsberatung geführt. Sie haben an dieser Stelle aber
faktisch kein einziges Wort der Klarheit und der Stel-
lungnahme dazu gesagt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Da hat einer suggeriert, er habe Tabus brechen wol-
len, obwohl man wirklich sagen muss: Seit Jahren disku-
tiert fast das ganze Land über die Frage, wie der Sozial-
staat am besten organisiert werden soll – nur eben noch
nicht auf dem Niveau von Guido Westerwelle.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wo waren Ihre Aussagen dazu, wie es denn nun gehen
soll? Sie schweigen weiter.

Wo waren Ihre Klarheit hinsichtlich der Reisetätigkeit
des Bundesaußenministers und Ihre Aussage dazu? Es
hat mich schon verwundert, dass Sie an dieser Stelle, da
Sie doch über neues Denken reden, nichts dazu sagen,
was eigentlich die kulturelle Anmutung einer Regie-
rungstätigkeit sein soll. Ist es okay, dass jemand wie
Herr Lindner sagt, Spitzenpolitiker hätten halt Netz-
werke, die sie pflegen? Warum haben Sie an der Stelle
nicht klar gesagt: Das können Sie gerne tun, aber nicht
als Mitglied dieser Bundesregierung, und hier haben Sie
sich aus den Netzwerken Ihrer Finanzbeschaffungspartei
herauszuhalten?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)






Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)

Es ist atemberaubend, wie er sein Parteibüro leerge-
fegt, Staatsposten besetzt und vermehrt und Reisegrup-
pen zusammengestellt hat. Am Ende war ich einen Au-
genblick lang gewillt, zu glauben, er habe Brasilien
entdeckt.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das hat er aber nicht. Man hätte jedoch den Eindruck ha-
ben können, als habe es die WTO-Gespräche usw. gar
nicht gegeben. Ich kann Ihnen aber versichern – ich habe
es nachgesehen –: Es war ein Portugiese, der 1500 süd-
lich von Salvador da Bahia als erster Ausländer brasilia-
nischen Boden betrat.

Da wir schon bei dieser Geschichte sind: Sie haben
kein Wort dazu gesagt, was eine ordentliche rechtliche
Kultur ist, Frau Merkel. Wie stellt man Delegationen zu-
sammen? Wie vertritt man die Interessen Deutschlands?
Stattdessen hat gestern Herr Brüderle angekündigt – für
die, die es nicht wissen: Er ist Bundeswirtschaftsminister –,
eine Außenwirtschaftsoffensive zu starten. Dies wolle er
vornehmlich mit Delegationsreisen tun. Ich sehe nicht
ein, warum wir das Gleiche zweimal bezahlen sollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wie wäre es denn gewesen, wenn an der Stelle der
Bundesaußenminister etwas gegen die Zunahme von
Rüstungsexporten und gegen die Konzentration auf das
Wirtschaftliche statt auf das Ethische bei den Rüstungs-
exporten gesagt und getan hätte?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie wäre es denn gewesen, Herr Westerwelle, statt
Zusagen nicht einzuhalten – ich will nur die 420 Millio-
nen Euro, die in Kopenhagen zusätzlich versprochen
wurden, erwähnen –, wenn Sie dafür gekämpft hätten,
dass das in diesem Haushalt umgesetzt wird? Dann hätte
man klar sagen können: Jetzt geht es los. Auf diese
Weise wären Sie vielleicht Ihrem Ziel und unser aller
Ziel näher gekommen, einen Sitz für Deutschland im
UN-Sicherheitsrat zu erhalten. Sie bekommen dafür
doch keine Unterstützung, wenn Sie Zusagen nicht ein-
halten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wie wäre es mit weiteren Aktivitäten in Bezug auf die
UN und Afghanistan? Wie wäre es mit ein bisschen Eu-
ropapolitik? Wie wäre es mit Aussagen dazu, wie wir
mit einem EU-Währungsfonds umgehen? Was sagen wir
zu Griechenland? Frau Merkel, ich habe mich wirklich
gefragt: Ist es schon so weit gekommen, dass Sie sich
nicht einmal mehr trauen, ein klares Wort zu Ihrem Vize-
kanzler und seiner Politik zu sprechen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben auch nicht gesagt, wie es mit dem Thema
Steuersenkungen weitergehen soll. Sie reden hier über
kommunale Finanzen. Klar ist aber: Beides geht nicht.
Man kann nicht die Steuern senken und gleichzeitig be-
haupten, die Kommunen hätten genug Geld, um ihren
Aufgaben in der Daseinsvorsorge nachzukommen. Das
passt nicht zusammen. Wo war hier das klare Wort der
Bundeskanzlerin?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es kam gar nichts, und ich weiß auch, warum. Sie haben
mal wieder einen Arbeitskreis gegründet, in dem es
– mal wieder – um die FDP geht, die die Gewerbesteuer
und damit die Finanzgrundlagen für die Kommunen ei-
gentlich abschaffen will.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zum Thema Gesundheit. Frau Merkel, Sie haben uns
ein paar Anpassungsprobleme erklärt. Das Anpassungs-
problem ist heute aber schon so groß – so hat es die
AOK gestern mitgeteilt –, dass wir im nächsten Jahr zu-
sätzliche Probleme im Umfang von 11,6 Milliarden Euro
bekommen werden. Sie haben über Anpassung geredet,
aber nicht über die Grundstruktur. Die Zukunft dieses
Landes wird jetzt organisiert, Frau Merkel. Man muss
jetzt sagen, wo es langgehen soll und wie die Leitbilder
aussehen sollen.

Sie haben ebenfalls nicht gesagt, ob es die Bürgerver-
sicherung, die solidarische Versicherung oder wirklich
eine Kopfpauschale geben wird. An dieser Stelle haben
Sie keine Klarheit geschaffen. Frau Homburger, das
glaubt kein Mensch: Angesichts eines so verschuldeten
Haushalts wollen Sie mit einer Kopfpauschale – ob sie
klein ist oder später immer größer wird – alle Probleme
aus dem Bundeshaushalt heraus lösen. Mit einem so ver-
schuldeten Haushalt geht das aber nicht. Sie müssen ran
an Ihre Klientel und Ihre Lobbyisten. Sie müssen Men-
schen haben, die sich für andere Menschen einsetzen.
Das Problem ist doch: Wer soll das bezahlen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie reden über Schulden im Haushalt, und zwar nach
dem Motto: Wenn es wieder zu mehr Wachstum kommt,
dann wird es schon gehen. So viel können wir aber nicht
wachsen, wie es nötig wäre, damit sich wieder etwas tut.
Wir haben einen Haushalt mit einer Neuverschuldung
von 130 Milliarden Euro. Wer soll das bezahlen? Sie ha-
ben mit diesem Haushalt eine Neuverschuldung ohne
jegliche Rendite für die Zukunft organisiert. Wer soll das
bezahlen, Frau Merkel? Darüber haben Sie kein Wort
verloren.

Sie sagen, dass wir mehr Wachstum und mehr qualifi-
zierte Leute brauchen. In diesem Land haben wir aber
einen Mangel an Fachkräften. Dies ist nicht nur auf
fehlende Qualifizierung, sondern auch darauf zurückzu-
führen, dass durch den Geburtenrückgang immer weni-
ger Jugendliche einen Schulabschluss machen. Diese
wenigen Schulabgänger bekommen dann aber nur Pre-
kariatsjobs. Das soll Ihre Neuverschuldung bezahlen?
Das funktioniert doch nicht, schon gar nicht mit Ihrer be-
absichtigten Steuersenkung.





Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie sprachen über Wissen und Bildung. Wie wollen
Sie das aber finanzieren, Frau Merkel? Das sind ein paar
Brosamen in diesem Haushalt, mehr aber auch nicht.

Zu den Konsequenzen aus Kopenhagen haben Sie
– so mein Eindruck – ebenfalls kein Wort gesagt.

Sprechen wir doch einmal über das Problem, das uns
derzeit beschäftigt: Herrn Minister Guttenberg und
Afghanistan. Auch dazu haben Sie kein Wort gesagt. Wir
haben einen Verteidigungsminister. Das ist ein nicht un-
wichtiges Ressort; man denkt zwar immer, man könne es
an die Seite schieben, es gibt aber schon Gründe dafür,
ein Verteidigungsministerium zu haben. Dieser Minister
schritt richtig schneidig ins Ministerium hinein. Jetzt
aber sehen wir einen Hochdekorierten nach dem anderen
wieder herausschreiten. Ich formuliere das auf nette
Weise und erwähne den neuesten Vorfall gar nicht erst.
Ich frage aber: Ist das motivierende Politik? Selbst wenn
sich der Brigadegeneral im Ton vergriffen hat, fragt man
sich trotzdem langsam: Hält Herr Guttenberg die Truppe
im Ernstfall eigentlich noch zusammen? Sie wundern
sich vielleicht, warum jemand von den Grünen diese
Frage stellt. An Ihrem Schweigen merke ich aber, dass
Sie es sich auch fragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Bei manchen Aussagen ist man einfach sprachlos!)


Ein anderes sehr ernstes Thema – Sie haben es ange-
sprochen, Frau Merkel – ist der Missbrauch von Kin-
dern in katholischen Einrichtungen, in einem Chor, in
staatlichen Schulen und in privaten Schulen. Ich muss
ehrlich sagen, dass ich entgeistert war, wie spät diese
Regierung reagiert hat, und ich war und bin entgeistert
darüber, dass sich unter Ihrer Ägide, Frau Merkel, drei
Ministerinnen über runde Tische gestritten haben. Das
ist der Verletztheit der betroffenen Menschen nicht ange-
messen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich glaube, dass der CDU das C im Wege steht, viel-
leicht auch manche Auseinandersetzung, die Sie in der
Vergangenheit mit der katholischen Kirche hatten, zum
Beispiel über die Stammzellenforschung, oder die öf-
fentlich geäußerte Kritik auf einer Pressekonferenz von
Frau Merkel.

Wir wollen wissen, wer in dieser Regierung die Auf-
gabe übernimmt, sich rückhaltlos für die Schutzbefohle-
nen, für die Kinder in diesem Lande, einzusetzen. Wer
sorgt dafür, dass es eine unabhängige Aufklärung durch
Dritte gibt? Man darf sich nicht auf den Föderalismus
beziehen und auf die Länder verweisen, die für die Schu-
len zuständig sind. Ich will nicht hören, dass das Staats-
kirchenrecht uns irgendwelche Probleme bereitet. Ein
Kind muss ohne Wenn und Aber den Schutz der gesam-
ten Gesellschaft erfahren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Weil Frau Merkel gestern den Papst gelobt hat, will
ich auch sagen: Es sind die Kinder, die den besonderen
Schutz der Gesellschaft brauchen, und nicht der Papst.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Es wird ja immer dümmer!)


– Ich weiß, was Ihnen unter den Stühlen brennt. Ich kann
es gerne wiederholen: Es sind die Kinder und nicht der
Papst. Denn es kommt jetzt nicht darauf an, ihn zu loben,
dass er etwas richtig gemacht habe. Selbst der Bund der
Deutschen Katholischen Jugend spricht von der schwers-
ten Krise der katholischen Kirche. Wieso loben wir jetzt
den Papst?

Fangen wir besser an, das zu machen, was Aufgabe
einer Bundesregierung ist, nämlich dafür Sorge zu tra-
gen, dass es Entschuldigungen gibt, dass eine unabhän-
gige Untersuchung durchgeführt wird und dass auch bei
verjährten Fällen öffentlich wird, was war. Das sind wir
den Opfern, die heute noch leiden, schuldig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sorgen wir dafür, dass es einen Fonds gibt, aus dem man
eine Entschädigung für die Vorfälle in der Vergangenheit
oder eine finanzielle Unterstützung erhalten kann.

Das sind einige Punkte, die Sie heute nicht angespro-
chen haben, Frau Merkel, oder die Sie aus meiner Sicht
zumindest unbefriedigend oder ein bisschen halbgar an-
gegangen sind. Das ganze Durcheinander in dieser Bun-
desregierung haben Sie, Frau Merkel, zu verantworten.
Man kann in diesem Lande kaum erklären, wofür diese
Regierung eigentlich steht. Ich weiß aber eines: Sie ma-
chen Ihre Hausaufgaben nicht, was die zentralen Aufga-
ben angeht. Auf dieser Regierung liegt ein dunkler
Schatten von Ideenlosigkeit und Klientelpolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hier und heute müsste dieser Haushalt zeigen, wohin
die Reise in Zukunft gehen sollte. Er müsste zeigen, dass
wir uns anstrengen, jetzt wirklich etwas anders zu ma-
chen. Aber Sie können und wollen das nicht.

Jetzt wären die richtigen ökologischen Weichenstel-
lungen notwendig, statt die Kosten den nachfolgenden
Generationen oder anderen Menschen auf diesem Glo-
bus zuzuschieben. Jetzt geht es darum, die blockierte
Gesellschaft aufzulösen und die soziale Spaltung unseres
Landes zu bekämpfen, statt für Mövenpick den Haushalt
auszuwringen und Steuersenkungen für Reiche durchzu-
führen.

Jetzt ginge es darum, eine vernünftige Energiepolitik
zu machen und einen richtigen Innovationsschub auszu-
lösen, statt Investoren, Industrie und Mittelstand erst ein-
mal wieder monatelang hängen zu lassen.





Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Jetzt ginge es darum, die Endlagerfrage, die sich nun
einmal stellt, offen, transparent und vergleichend zu lö-
sen, statt sie, wie es Herr Röttgen macht, nach altem
Recht zu regeln. Sie kommen mit dem Bergrecht von
1983. Wenn ich in der Universität fragen würde, ob die
Studenten noch nach diesem Recht studieren, dann wür-
den sie mich entgeistert angucken und mir erklären: Es
gibt eine Regelung von 1990. Wir studieren das neue
Recht, nicht das alte. – Aber der Bundesumweltminister
verwendet das alte Recht, weil es die geringste Bürger-
beteiligung vorsieht. Das ist im Jahr 2010 nicht würdig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Gorleben war ein Ort schwarz-gelber Willkür unter
der Regierung Kohl in der Frage, wie entschieden und
was umgesetzt wurde. Gorleben ist politisch für ein End-
lager verbrannt. Wir brauchen endlich eine offene und
vergleichende Suche mit einer ordentlichen Bürgerbetei-
ligung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jetzt ginge es um Dinge, die Kosten und Gesundheits-
schäden auslösen. Ein Beispiel sind die Laufzeiten der
AKWs. Man sollte nicht über Laufzeitverlängerung re-
den. Herr Röttgen, Sie haben hier schon schöne, grüne
Reden gehalten. Sie wurden immer wohlklingender. Bei
Ihnen fällt mir der Satz mit dem Bettvorleger ein, Herr
Röttgen: Als grüner Tiger gestartet, als schwarzer Bett-
vorleger gelandet. – Das ist die Wahrheit Ihrer Energie-
und Klimapolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jetzt müsste es darum gehen, eine gute Verkehrspoli-
tik für Stadt und Land zu machen. Das Wettrennen um
die Neuerfindung des Autos ist eröffnet. Frau Merkel
macht sicherlich irgendwann wieder einmal einen run-
den Tisch oder führt ein Gespräch. Aber wo ist das Kon-
zept, das einen Stundentakt für den öffentlichen Verkehr
vorsieht und ihm Vorrang einräumt, und zwar hier in
Deutschland und nicht irgendwo anders? Wo ist das
Konzept, das das Auto in modernster Form durch An-
reizprogramme im Haushalt oder eine andere Kfz-Steuer
fördert? Sie organisieren in diesem Haushalt keine Zu-
kunft. Sie führen nur hin und wieder Gespräche, damit
Sie schöne Zeitungsfotos bekommen. Das ist aber für die
Zukunft dieses Landes nicht genug.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie machen 130 Milliarden Euro neue Schulden ohne ir-
gendeine Rendite auf die Zukunft.

Ich will Ihnen sagen, was man eigentlich machen
müsste. Man müsste mit Mut und Visionen losgehen,
Entscheidungen gegen alte Lobbys treffen und sozusa-
gen durch Mauern laufen. Man wird das sicherlich nicht
mit ein, zwei Maßnahmen erreichen. Aber man müsste
gezielt vorgehen und Einsparungen im Haushalt vorneh-
men und gleichzeitig sozial und ökologisch intelligente
Investitionen tätigen. Das tun Sie nicht. Sie haben mit
dem vorliegenden Haushalt vielmehr einen Verschiebe-
bahnhof für alte Lobby- und Klientelinteressen geschaf-
fen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frau Homburger, wir haben uns der Mühe unterzo-
gen, alles durchzurechnen. Diejenigen, die rechnen kön-
nen, kommen zu dem Ergebnis, dass unser Vorschlag im
Vergleich zu Ihrem Haushaltsentwurf zu einer um
7,5 Milliarden Euro geringeren Verschuldung führte. So
viel Zeit muss sein. Ich weiß nicht, ob Herr Koppelin Sie
immer falsch informiert. Das mag sein.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schauen wir uns die drei Bereiche Einsparen, Einnah-
men und Ausgaben an. Was hieße es, wenn wir eine Re-
gierung hätten, die wirklich Mut hätte und sich nicht un-
tereinander kloppte und nicht das Theaterstück „Kasper
und das Krokodil“ aufführte? Ich weiß nicht, wer wer ist.
Aber diese ewige Klopperei hinter dem Vorhang sieht
man schon.

Schauen wir uns an, wie Einsparungen vorgenom-
men werden könnten. Denken Sie an Generationenge-
rechtigkeit! Denken Sie an das Klima, über das Sie so oft
reden! Warum, bitte schön, fangen wir nicht mit dem
Umbau hin zu einer ökologischen Dienstwagensteuer an,
die dazu führt, dass nicht jedes Auto steuerlich voll ab-
gesetzt werden kann, statt tonnenschwere Dienstwagen
zu subventionieren? Oder die Ökosteuer. Warum gibt es
Ausnahmen für die Zementindustrie? Zement ist kein
global gehandeltes Produkt. Solche unsinnigen Ausnah-
men wollen wir streichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Oder die Kohlesubventionen. Wir dürfen nicht länger
klimaschädliche Technologien mit Milliarden fördern.
Oder die in die Milliarden gehenden Forschungsgelder
für die Raumfahrt. Was wollen wir eigentlich auf dem
Mond? Ich sage Ihnen ganz klar: Auch dieses Programm
können Sie streichen. Wir Deutsche wollen nicht die
Letzten auf dem Mond, sondern die Ersten sein, die mit
einem Elektroauto von Berlin nach München fahren,
ohne zwischendurch Strom zu tanken. Das wäre die
technologische Entwicklung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schauen wir uns das Thema Einnahmen genau an.
Sie sind für eine Rekordverschuldung verantwortlich
und machen sich nicht die Mühe, die Stärkeren mehr
Lasten tragen zu lassen und diejenigen, die an den
Finanzmärkten profitiert haben, ein Stück weit zahlen zu
lassen; denn Sie haben kein Leitbild und wissen nicht,
wie Sie sich die Zukunft dieses Landes vorzustellen ha-
ben. Dazu haben Sie keinen Mut. Sie müssen den Spit-
zensteuersatz auf 45 Prozent anheben. Sie brauchen eine
Vermögensabgabe zur Deckung der Schulden aus der
Finanzkrise. Es muss Schluss mit dem Gehälterwahn-
sinn sein. Man muss den Unternehmen sagen: Nur bis





Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)

500 000 Euro darfst du das Gehalt von deinen Betriebs-
kosten abziehen. Ansonsten musst du dich vor deinen
Aktionären rechtfertigen, dass die Ausschüttungen ge-
ringer sind. Du kannst nicht auf Kosten des Steuerzah-
lers leben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wie wäre es zum Beispiel mit einer Finanzumsatz-
steuer?

Eines muss ich Ihnen, Frau Merkel, wirklich ankrei-
den. Sie enttäuschen mich, weil Sie in der letzten Legis-
laturperiode mit einem roten Anorak vor einem Glet-
scher gestanden und gesagt haben, jetzt gehe es um das
Klima. Wo sind eigentlich die Investitionen in das Öko-
logische? Wo zeigt sich an diesem Haushalt Jahre nach
Ihren Aussagen eigentlich, wie man in Zukunft wirklich
gute Klimaschutzpolitik macht und ökologische Inves-
titionen tätigt? Wir schlagen einen Klimaschutzfinanz-
plan vor; das heißt neue Jobs durch Investitionen in
Höhe von zusätzlich 4 Milliarden Euro, einen Energie-
sparfonds und ein Anreizprogramm für Elektroautos.
Wir schlagen enorme Investitionen in moderne Energie-
netze vor. Es reicht doch nicht, hier darüber zu schwa-
dronieren, dass man irgendwann im Zeitalter der erneu-
erbaren Energien ankommen sollte, sondern man muss
in diesem Haushalt die Weichen dafür stellen, und die
Weichen stellt man mit Geld für das Neue und nicht für
alte Privilegien.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben keinerlei gezielte Investitionen für neue
Jobs und Maßnahmen zur Schaffung von sozialer
Gerechtigkeit vorgeschlagen. Dabei sagen Sie selber:
Bildung ist der Rohstoff der Zukunft. – Wir wollen mehr
Betreuungsplätze. Wir müssen die Kommunen finanziell
entlasten, damit sie ihren Aufgaben im sozialen Bereich
nachkommen können. Deshalb fordern wir, einen höhe-
ren Anteil an den Kosten für die Unterkunft zu überneh-
men und die Kommunen dadurch zu entlasten. Zum So-
zialen gehört auch Würde, und das heißt, die Hartz-IV-
Sätze auf 420 Euro anzuheben, damit man davon leben
kann. Einer der Kerngedanken, neben der Bildung und
dem sozialen Bereich, ist: gute Löhne, damit sich Arbeit
wieder lohnt, nicht Zuverdienst, damit man in den Grau-
zonen bleiben kann. – Wir brauchen gute Mindestlöhne,
wir brauchen Zuschüsse für die Lohnnebenkosten der
Geringverdiener, und wir brauchen Qualifizierung, aber
keinen Zuverdienst.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Schon gar nicht brauchen wir Ihre Sperre an dieser
Stelle, die dazu führt, dass viele Langzeitarbeitslose mit
multiplen Problemen auf der Straße bleiben.

Elf Jahre haben Sie sich auf diese Regierung vorbe-
reitet. Das Fazit ist: Schwarz-Gelb ist nicht die Zukunft
dieses Landes. Schwarz-Gelb ist immer nur für einige
Auserwählte; aber für die Mehrheit der Kinder und Er-
wachsenen dieses Landes ist Schwarz-Gelb eine Politik
der leeren Hände.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1703001400

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält Kollege

Volker Beck.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703001500

Frau Kollegin Homburger, Sie haben vorhin ein Zitat

verwendet, in dem Herr Sarrazin und Herr Westerwelle
als Nazis in Nadelstreifen bezeichnet werden. Das ist
eine Formulierung, die natürlich völlig inakzeptabel ist.
Sie haben dabei den Eindruck erweckt, als ob irgendje-
mand auf dieser Seite des Hauses die Verantwortung für
diese Aussage zu tragen hätte. So können wir miteinan-
der nicht umgehen. Sie haben keine Zwischenfrage zu-
gelassen, obwohl viele Kollegen wissen wollten, von
wem das Zitat eigentlich stammt. Deshalb stelle ich Ih-
nen jetzt die Frage: Wer aus diesem Hohen Hause hat
diese Aussage getätigt? Oder: Von wem haben Sie dieses
Zitat? Es ist inakzeptabel – darüber sind wir uns einig –;
aber Sie sollten nicht den Eindruck erwecken, so etwas
sei hier von Kolleginnen und Kollegen gesagt worden,
wenn Sie das nicht belegen können.


(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])


Ich habe den Verdacht, dass es die Argumentations-
strategie Ihrer Partei in den letzten Tagen ist, gegen
Popanze zu argumentieren, um berechtigte Kritik an an-
deren Dingen abzuwehren. Jetzt wird so getan, als ob die
politische Kultur von der Opposition dadurch beschädigt
wird, dass sie berechtigte Fragen hinsichtlich des Amts-
verständnisses des Bundesaußenministers und anderer
Kabinettsmitglieder hat. Das reiht sich in die Aussage
des Kollegen Altmaier von heute Morgen in Phoenix
ein, der Minister sei nicht kriminell. Auch das hat nie-
mand behauptet. Herr Westerwelle verteidigt sich selber
mit dem Hinweis, er werde auch in Zukunft Wirtschafts-
vertreter auf seine Auslandsreisen mitnehmen. Niemand
hat bestritten, dass das jeder Außenminister der Bundes-
republik Deutschland tun kann.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Nennen Sie hier bitte Ross und Reiter! Sagen Sie, wo-
her Sie dieses Zitat haben, oder korrigieren Sie den Ein-
druck, vonseiten der Opposition sei jemals eine solche
Äußerung über den Bundesaußenminister gefallen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1703001600

Kollegin Homburger, bitte.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1703001700

Herr Kollege Beck, ich habe hier im Zusammenhang

mit den Vorwürfen zum Thema Verfassungsfeindlichkeit
eine grundsätzliche Bemerkung über politische Werte in





Birgit Homburger


(A) (C)



(D)(B)

diesem Land gemacht. Ich habe an keiner Stelle behaup-
tet, dass ein Kollege dieses Hauses das gesagt habe.


(Joachim Poß [SPD]: Sie haben den Eindruck erweckt!)


– Herr Poß, ich habe nicht den Eindruck erweckt, dass
ein Mitglied dieses Hauses das gesagt habe.


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Natürlich!)


Es ist im Zusammenhang mit einer Laudatio auf eine
Journalistin bei der Verleihung eines Kultur- und Frie-
denspreises von einem Ex-Stern-Journalisten, von Herrn
Kromschröder, genau dieser Satz gesagt worden:

Man trifft sie ja gerade jetzt vermehrt, die Nazis im
Nadelstreifen, die Sarrazins und Westerwelles …


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben wir damit zu tun?)


– Herr Beck, dem ist in dieser Veranstaltung offensicht-
lich nicht widersprochen worden.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wären Sie mal hingegangen zu dieser Veranstaltung!)


Der Weser-Kurier hat das einfach so übernommen und
unwidersprochen abgedruckt.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pressefreiheit!)


Ich habe nur auf Folgendes aufmerksam gemacht:
Wenn Demokraten solchen Sätzen in solchen Reden und
solchen Veröffentlichungen nicht gemeinsam widerspre-
chen,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie empfindlich!)


dann ist das ein Verlust der politischen Kultur in
Deutschland. Dabei bleibe ich.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Homburger, unanständig!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1703001800

Das Wort hat nun Volker Kauder für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1703001900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Künast, was Schwarz-Gelb macht, was
Schwarz-Gelb will, das weiß ich auch nicht.


(Lachen und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


– Bleiben Sie mal ganz ruhig! – Aber ich weiß, dass
Christlich-Liberal für dieses Land etwas Richtiges
macht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Umetikettieren nützt nichts!)


Das ist die Zukunft in unserem Land. Wir machen eine
Politik, die von Werten geleitet ist, und deswegen reden
wir von „christlich“ und „liberal“, Frau Künast. Wir las-
sen uns nicht in irgendein Farbgemenge einbinden, von
dem Sie glauben, es uns aufmalen zu können.

Mir ist in der letzten Zeit aufgefallen, dass in der Op-
position ganz bewusst bestimmte Dinge betrieben wer-
den. Die Menschen in diesem Land haben Sorgen. Sie
fragen: Wie geht es weiter?


(Zuruf von der SPD: Ja, mit dieser Regierung!)


In meine Sprechstunde kommen Menschen, die wissen
wollen: Wird aus Kurzarbeit Arbeitslosigkeit, oder wird
aus Kurzarbeit Arbeit? Darauf hat die Bundeskanzlerin
heute in ihrer Regierungserklärung klare Antworten ge-
geben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Da wurde das christlich-liberale Konzept dieser Koali-
tion deutlich.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Konzept war: mehr Schulden! Außer „mehr Schulden“ habt ihr nichts gesagt!)


Anstatt darauf zu reagieren, erlebe ich bei Ihnen Dinge,
die ich nur als schäbig bezeichnen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie den Bundespräsidenten aus der Tagespolitik
heraus! Es ist schäbig, ihn aufzufordern, sich für die An-
liegen der Opposition einzusetzen. Gott sei Dank macht
er dies nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Frau Künast, wir alle wissen, dass es eines der
schlimmsten Verbrechen ist, wenn Kinder missbraucht
werden, vor allem in Einrichtungen, in die Eltern und
Kinder besonderes Vertrauen haben, dass sie geschützt
sind. Es ist richtig, dass die Geschehnisse der Vergan-
genheit aufgeklärt werden, und es ist auch richtig, dass
überlegt wird, was gemacht werden kann, damit dies in
Zukunft nicht mehr passiert. Aber was mich schon be-
troffen gemacht hat – Frau Künast, ich dürfte erwarten,
dass Sie mir nicht den Rücken zukehren, wenn es um
solche Sachen geht –, war, dass es offensichtlich einigen
von Ihnen nicht um diese Frage geht, sondern um eine
Abrechnung mit der Kirche. Dies werden wir nicht zu-
lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich bekomme Berichte, auch aus meiner Heimat, dass
es in katholischen, in evangelischen, in freien Einrich-
tungen so etwas gegeben hat. Ich frage mich nicht, wo es
war, sondern ich sage: Jeder Einzelfall ist furchtbar. Wir
müssen aufklären. Die Wahrheit muss auf den Tisch,
aber nicht um der Anklage willen, sondern um in Zu-
kunft so etwas zu verhindern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)

Das ist es, was die Menschen erwarten: Antworten auf
die konkreten Herausforderungen


(Zuruf von der SPD: Genau!)


und nicht ideologische Auseinandersetzungen.

Die Antwort dieser Regierungskoalition auf die
Frage, wie es weitergeht in unserem Land, damit Per-
spektiven eröffnet werden, ist ganz klar: Wir müssen da-
für sorgen, dass es Wachstum in unserem Land gibt.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viel haben Sie denn?)


Wachstum in unserem Land heißt: neue Chancen. Es ist
unbestritten, wie mir auch aus der Opposition gesagt
wurde, dass wir nicht auf dem aktuellen Niveau bleiben
können und wollen, sondern dass wir, wenn wir wieder
in die Situation des Jahres 2008 kommen wollen,
Wachstum brauchen. Ohne Wachstum werden wir aus
Kurzarbeitern keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer machen, die eine Perspektive haben. Deshalb ist es
notwendig, alles dafür zu tun und dafür zu sorgen – dies
wird mit diesem Bundeshaushalt auch gemacht –, dass
Wachstum möglich wird.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1703002000

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Hendricks?


Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1703002100

Bitte.


Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1703002200

Herr Kollege Kauder, ich bitte um Entschuldigung,

Sie sind jetzt schon bei einem anderen Thema angelangt.
Ich will noch einmal auf den vorherigen Punkt zurück-
kommen: Worin liegt eigentlich der wesentliche Unter-
schied, wenn einerseits der Kollege Oppermann den
Bundespräsidenten um etwas bittet und andererseits die
Frau Bundeskanzlerin den Papst um etwas bittet?


Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1703002300

Wenn Sie diesen Unterschied nicht verstehen, dann

sollten Sie wirklich einmal zu mir zur Nachhilfe kom-
men. Diese Nachhilfe will ich Ihnen gerne geben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist ganz klar und deutlich festgelegt, welche Rolle der
Bundespräsident in unserem Land hat. Er hat nicht die
Aufgabe, Helfer der Opposition in tagespolitischen Aus-
einandersetzungen zu sein. Das ist der Unterschied zwi-
schen dem, was Frau Merkel und Herr Oppermann ge-
macht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir waren bei dem Thema, wie wir Wachstum her-
vorrufen. Wachstum wird dadurch erreicht, dass wir Ar-
beitsplätze schaffen und erhalten. Dafür wird mit diesem
Bundeshaushalt die Voraussetzung geschaffen. Es wird
ein Zuschuss an die Bundesagentur gegeben, der es er-
möglicht, die Beiträge, die wiederum der Bundesagentur
zugutekommen, stabil zu halten. Damit sorgen wir dafür,
dass Menschen in Arbeit bleiben können. Dafür werden
13 Milliarden Euro ausgegeben. In diesem Bundeshaus-
halt werden auch die Voraussetzungen dafür geschaffen,
dass ein entsprechender Bundeszuschuss im Gesund-
heitsbereich geleistet wird. Die Beiträge bei der Arbeits-
losenversicherung bleiben in diesem Nochkrisenjahr bei
2,8 Prozent. Das entlastet Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer und eröffnet der Wirtschaft Chancen. Dies
ist eben nur durch diesen Bundeshaushalt und durch die
Politik dieser Regierungskoalition möglich geworden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir eröffnen natürlich auch Perspektiven für diejeni-
gen, die Löhne und Gehälter im unteren oder mittleren
Einkommensbereich beziehen, und vor allem für unsere
Familien. Ich muss Ihnen eines sagen: Es war immer
Politik christlich-demokratischer und christlich-sozialer
Demokraten, vielfach in Koalition mit der FDP, sich um
die zu kümmern, die Hilfe brauchen bzw. sich aus eige-
ner Kraft nicht helfen können. Die allermeisten sozialen
Gesetze sind unter der Regierungsverantwortung der
Union in diesem Land entstanden, nicht unter der der
Grünen. Das wird auch in Zukunft so bleiben.

Die Menschen fragen mich doch nicht: Was tut ihr da-
für, dass es mir mit Hartz IV möglichst gut geht? Sie
fragen vielmehr: Was tut ihr dafür, damit ich aus
Hartz IV wieder in normale Arbeit hineinkommen kann? –
Dafür müssen wir etwas tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es gehört zum christlich-liberalen Denken, dass man sel-
ber für sich sorgen kann, dass man nicht auf die Hilfe
von Ämtern angewiesen ist, dass man nicht als Bittstel-
ler auftreten muss; denn das hat etwas mit der Würde des
Einzelnen zu tun. Deswegen reden wir darüber, was wir
tun können, damit an der Schnittstelle von Hartz IV und
normaler Arbeit immer häufiger Menschen ihrer Würde
entsprechend wieder in Arbeit kommen und nicht in
Hartz IV bleiben müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bettina Hagedorn [SPD]: Deswegen die 900-Millionen-Euro-Sperre!)


Deswegen werden wir natürlich auch über die Frage re-
den: Wie kann Hinzuverdienst neu organisiert werden?


(Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist die falsche Frage!)


Das ist keine ganz einfache Aufgabe. Es geht nämlich nicht
ausschließlich darum, ob den Menschen statt 100 Euro
150 Euro bleiben; denn dann werden die Arbeitsverhält-
nisse danach organisiert. Vielmehr ist die Frage zu stel-
len: Wie kann der Anreiz größer werden? Darauf werden
wir eine Antwort geben.

In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Gysi, haben
wir auch Fälle wie den des Mädchens, den Sie angespro-
chen haben, im Auge. In ordnungspolitischer Hinsicht ist
es außerordentlich problematisch, hier einen Hinzuver-
dienst in einer bestimmten Größenordnung für zulässig
zu erklären, in anderen Fällen aber nicht. Ich möchte,
dass ein junger Mensch, der in einer Familie lebt, die





Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)

Hartz IV bekommt, und der nichts dafür kann, dass es so
ist, die Erfahrung machen kann, dass es sich lohnt, zu ar-
beiten.


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Dann mach! Mach! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Dann muss man doch was tun!)


Hinter dem Ziel, jungen Menschen eine solche positive
Erfahrung zu ermöglichen, muss die Ordnungspolitik
zurücktreten. Wir werden noch vor der nächsten Som-
merpause dazu eine Regelung finden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wir nehmen Sie beim Wort!)


In diesem Haushalt bildet sich auch an einem anderen
Thema eine neue Politik ab, nämlich am Thema Afgha-
nistan. Wir machen Politik in Verantwortung für die
Entwicklung in Afghanistan. Das hat wieder etwas mit
dem christlich-liberalen Wertekorsett zu tun. Wir wollen
mit unserer Arbeit in Afghanistan dafür sorgen, dass die
Menschen in Frieden und Freiheit leben können und dass
sie nicht von Terroristen unterdrückt werden. Die Frei-
heit, sich selber um seine Anliegen kümmern zu können,
ist ein wesentliches Element der Würde des Einzelnen,
die wir in Afghanistan für alle Afghaninnen und Afgha-
nen durchsetzen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen sind wir dort aktiv. Wir wollen noch mehr da-
für tun, dass die afghanische Regierung in eigener Ver-
antwortung die Sicherheit in diesem Land gewährleisten
kann. Dabei hat die Entwicklungszusammenarbeit eine
besondere Bedeutung. Ich bin dankbar dafür, dass darauf
ein Schwerpunkt gelegt worden ist. Aber eines ist auch
klar – das muss immer wieder gesagt werden –: Ohne
die Sicherheit durch die Bundeswehr und andere Ein-
richtungen wäre die von uns gewünschte Entwicklung in
diesem Umfang gar nicht möglich. Entwicklung und
neue Chancen in Afghanistan und das Sicherheitsgerüst
durch die Bundeswehr sind zwei Seiten derselben Me-
daille.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dafür haben wir die Voraussetzungen geschaffen.

Ich habe vor zwei Monaten an diesem Platz davon ge-
sprochen, dass zur Entwicklungszusammenarbeit und
zur Außen- und Sicherheitspolitik auch das Thema Reli-
gionsfreiheit gehört. Wir machen uns Sorgen darüber,
dass die Christen die am stärksten verfolgte Glaubens-
gruppe sind. Ich bin außerordentlich dankbar, dass der
Bundesaußenminister vor dem Menschenrechtsrat in
Genf vor einigen Tagen genau diesen Punkt aufgegriffen
und erklärt hat, dass Religionsfreiheit ein Teil unserer
wertegeleiteten Politik ist. Er hat in diesem Zusammen-
hang auf die Lage der Christen hingewiesen. Das verste-
hen wir unter einer wertegeleiteten Außenpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn wir über die Entwicklung unseres Landes re-
den, dann schauen wir einen Tag vor dem 20. Jahrestag
der ersten freien Volkskammerwahlen natürlich auch auf
die Entwicklung in den neuen Ländern. Wir sehen,
dass sich dort unheimlich viel getan hat. In einer groß-
artigen Gemeinschaftsleistung von West und Ost bzw.
von Ost und West haben wir in den vergangenen 20 Jah-
ren dafür gesorgt, dass dieses Land zusammenwächst.
Da ist noch einiges zu tun – überhaupt keine Frage. Es
geht natürlich darum, durch Arbeitsplätze Chancen zu
schaffen. Es geht auch darum, entsprechende Prozesse
voranzutreiben.

Ich bin froh über diese gute Entwicklung. Sie hat na-
türlich auch etwas mit uns, mit der Union, zu tun. Unser
Wahlbündnis hat damals 48 Prozent der Stimmen be-
kommen. Die Menschen haben sich dann für die deut-
sche Einheit entschieden. Sie haben sich auch deswegen
für die deutsche Einheit entschieden, weil einer ihr Ver-
trauen gewonnen hat. Deswegen will ich heute sagen:
Herzlichen Dank, Helmut Kohl, dem Kanzler der Ein-
heit, der bald seinen 80. Geburtstag feiert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben in den neuen Ländern neue Entwicklungen
vorangebracht, und das wird auch in Zukunft der Fall
sein. Das Deutsche BiomasseForschungsZentrum ist in
Leipzig, also in den neuen Ländern, angesiedelt. Wir
sorgen dafür, dass die Energiegewinnung aus Kohle in
den neuen Ländern durch moderne Technologien wie
das CCS-Verfahren möglich wird.

Wir haben gesagt, wir steigen in das Zeitalter der
erneuerbaren Energien ein. Das machen wir. Das be-
deutet aber, dass das Geld, das wir von den Menschen
– dieses Geld kommt nicht vom Staat – zur Förderung
erneuerbarer Energien verlangen, in einem ausgewoge-
nen Verhältnis zum Ergebnis stehen muss.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb ordnen wir die Solarförderung neu. Wenn ich
durch das Land fahre, habe ich manchmal den Eindruck,
dass die Meinung vorherrscht, die Bundesregierung und
diese Koalition wolle die Solarförderung auf null setzen.
Absoluter Quatsch! Wir wollen nur, dass nicht 80 Pro-
zent der Förderung in eine Energie gehen, die nur einen
Anteil von 1 oder 2 Prozent hat. Wir müssen bei der
Energieversorgung breit aufgestellt sein; dafür sorgen
wir. Die Solarenergie wird sich auch in Zukunft rechnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Er lobt gar nicht den Umweltminister!)


Frau Künast, ich finde es ein bisschen billig, dass Sie
hier nur fordern, die Entwicklung bei den erneuerbaren
Energien solle vorangehen. Selbst wenn in einigen Jah-
ren die erneuerbaren Energien einen Anteil von 40 Pro-
zent haben – was mehr als eine Verdopplung bedeutet –,
ist unbestritten, dass noch eine Lücke in der Versorgung
der Menschen und der Wirtschaft mit Strom bleibt. Es ist
doch richtig, ja notwendig, dass die Bundesregierung ein
Szenarium rechnen lässt, das aufzeigt, wie es weitergeht,
wenn die erneuerbaren Energien einen bestimmten Anteil





Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)

– das können beispielsweise 40 Prozent sein – haben. Es
gehört zur Wahrhaftigkeit, zu sagen: Wir werden noch
auf absehbare Zeit auf einen Energiemix angewiesen
sein. Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie. Ge-
nauso brauchen wir noch die Kohlekraftwerke. Wie lang
die Brücke wird, hängt von den verschiedenen Szenarien
ab. Aber in der Auseinandersetzung so zu tun, als ob
man auf absehbare Zeit auf Kohle und Kernenergie ver-
zichten kann, ist unwahrhaftig und nicht anständig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie können sich hier nicht einfach hinstellen und so
tun, als wenn Sie das, was in der Endlagerfrage jetzt ge-
macht wird, nichts angehe.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte?)


Ich kann nur sagen: Was Rot und Grün gemacht haben,
ist verantwortungslos. Sie haben immer gegen jede Form
von Endlagerung polemisiert. Aber wer aus der Kern-
kraft aussteigen will, der braucht ein Endlager. Sie tun
so, als wäre die Beantwortung dieser Frage bei dem von
Ihnen geforderten Ausstieg aus der Kernenergie nicht
mehr notwendig. Sie ist aber zwingend nötig. Bei Ihnen
gibt es in der Energiefrage nur Ideologie und keine wirk-
liche Erkenntnis.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das ist christlich? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lasst uns doch einfach in Baden-Württemberg Standorte untersuchen!)


Wir werden uns dieser schwierigen Aufgabe stellen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will
noch etwas anderes sagen. Mir macht die Art und Weise
des Umgangs miteinander Sorge. Ich bin wirklich nicht
zart besaitet.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Da hat er recht!)


Ich bin nicht zart besaitet; das weiß jeder.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt auch in der Wiederholung!)


Ich selbst war über ein Jahrzehnt lang Generalsekretär
und habe ausgeteilt und hingenommen. Aber ich sage Ih-
nen: Das hat alles irgendwo eine Grenze.


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das stimmt!)


Ich bin sehr dafür, dass man auch einmal pointiert for-
muliert. Ich bin sehr dafür, dass man in der Sache hart
miteinander umgeht. Aber was ich in den letzten Tagen
an Attacken auf Außenminister Guido Westerwelle er-
lebt habe, ist nicht akzeptabel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wer hat denn angefangen?)

Wenn wir bei abgeschalteten Kameras beieinanderste-
hen, höre ich aus allen Fraktionen, aus allen Parteien die
Klage darüber, welches Bild wir in der Öffentlichkeit ab-
geben und wie die Menschen über uns reden.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben! Genau!)


Wenn wir aber nicht mit etwas mehr Respekt übereinan-
der und über unsere Arbeit hier im Bundestag reden,
braucht sich niemand zu wundern, wenn die Menschen
so über uns reden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Haltet den Dieb!)


Deswegen erwarte ich ein bisschen mehr Grips und In-
telligenz.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dafür müsste man ein bisschen Intelligenz haben!)


Es darf nicht nach dem Motto gehen: Die absolute
Frechheit siegt. – Das gilt für diejenigen auf der linken
Seite dieses Hauses in besonderer Weise, damit das auch
einmal ausgesprochen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Bun-
desregierung zeigt mit dem vorliegenden Bundeshaus-
halt, dass sie den Menschen auf ihre konkreten Fragen
Antworten gibt, dass sie ihre Sorgen und Ängste ernst
nimmt. Wir sorgen dafür, dass es in diesem Land voran-
geht. Wir wissen, dass die Bewältigung der Krise nicht
in einem Jahr möglich ist. Wir wissen, dass wir dafür ei-
nen längeren Atem brauchen. Diesen Atem haben wir.
Mit diesem Haushalt müssen wir noch einmal auf die Fi-
nanz- und Wirtschaftskrise reagieren.

Ab dem nächsten Haushalt müssen wir die Schulden-
bremse berücksichtigen. Dann wird es im Hinblick auf
die Beiträge der Opposition in der Haushaltsdebatte
hochinteressant werden, zu sehen, ob Sie wissen, dass
die Schuldenbremse bedeutet, dass wir nicht Milliarden
mehr, sondern mindestens 10 Milliarden Euro weniger
als in diesem Haushalt ausgeben können.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber erst noch mal Schulden machen! Wir sollen dann Ihr Neuschuldenproblem lösen!)


Ich kann Ihnen sagen: Wir nehmen diese Verantwor-
tung ernst. Das, was ich von Ihnen gehört habe, lässt
mich aber daran zweifeln, dass Sie diesen Weg mit uns
mitgehen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bettina Hagedorn [SPD]: Und das machen Sie mit Steuersenkungen?)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1703002400

Das Wort hat nun der Abgeordnete Bernd Scheelen

für die SPD-Fraktion.


Bernd Scheelen (SPD):
Rede ID: ID1703002500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe hier eine
Einladung für den 22. April 2010. An diesem Tag wird
dem Kollegen Kauder der Titel des Botschafters des Bie-
res 2010 zuerkannt. Es ist eben deutlich geworden, wa-
rum Sie diesen Titel verdient haben, Herr Kollege
Kauder.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das deutsche Bier unterliegt dem Reinheitsgebot. Ich
fände es besser, wenn auch Sie Ihre Reden vorher einem
Reinheitsgebot unterziehen würden; denn ich finde es
unverschämt und frech von Ihnen, zu behaupten, die Op-
position in ihrer Gänze würde die Kirchen bekämpfen.
Für die SPD-Fraktion weise ich diesen Vorwurf ent-
schieden zurück.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Das hat er gar nicht gesagt! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ich habe Frau Künast angesprochen!)


– Sie haben die Opposition in Gänze angesprochen. Für
die SPD-Fraktion habe ich diesen Vorwurf zurückgewie-
sen. Wir wissen um die Bedeutung der Kirchen, aber
man wird über Strukturen in Kirchen und weltlichen
Einrichtungen doch wohl noch diskutieren dürfen.

Herr Kauder, ich habe volles Verständnis dafür, dass
Sie das Thema Schwarz-Gelb so vehement in den Vor-
dergrund stellen; denn schwarz-gelb ist die Farbkombi-
nation der Giftfässer mit Atommüll.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Lars Lindemann [FDP]: Wissen Sie, dass darauf alles Rot geschrieben wird?)


Dass Sie damit nicht in einen Topf geworfen werden
wollen, kann ich verstehen, aber Ihr verzweifelter Ver-
such, schwarz-gelb durch die Formulierung christlich-li-
beral zu ersetzen, wird nicht funktionieren.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Es hat sich bei den Menschen festgesetzt: Schwarz-gelb
ist mittlerweile ein Etikett für Pleiten, Pech und Pannen.


(Beifall bei der SPD)


Es geht heute darum, nach 140 Tagen Schwarz-Gelb
Bilanz zu ziehen. Die 100-Tage-Bilanz ist noch nicht so
lange her. Deswegen darf ich Ihnen ein Zitat der Leipzi-
ger Volkszeitung vortragen, die zur 100-Tage-Bilanz von
Schwarz-Gelb geschrieben hat: Die Bilanz hat „Stärken
und Schwächen“. Sie führt weiter aus: „Schwarz-Gelb
hat schwach angefangen und dann stark nachgelassen.“


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist ein vernichtendes Urteil, das die Presse und die
Menschen in Deutschland über Sie gefällt haben.

Betrachtet man die ersten 140 Tage schwarz-gelbes
Kabinett Merkel, dann stellt man sich die Frage: Was ist
in den 140 Tagen passiert? Was haben Sie bisher bewegt?
Was haben Sie auf die Schiene gesetzt? Immerhin sind
15 Minister am Werke und etliche Dutzend Staatssekre-
täre. Was ist in diesem Hohen Hause in den 140 Tagen he-
rausgekommen? Ganze zwei Gesetze. Was für ein Auf-
wand für zwei Gesetze! Hinzu kommt, dass das zwei
Gesetze sind, die Sie besser hätten sein lassen. Das wäre
für die Republik deutlich besser gewesen;


(Beifall bei der SPD)


denn mit diesen Gesetzen verteilen Sie Steuergeschenke
auf Pump und treiben damit die Schuldenstände auf neue
Rekordhöhen.

Gestern hatte Kollege Barthle – er telefoniert gerade –
auch noch die Frechheit, sich hier hinzustellen und das
Ganze als ein Gesamtkunstwerk zu preisen. Er sagte:
Der Haushalt sei ein Gesamtkunstwerk.


(Lachen bei der SPD – Nicolette Kressl [SPD]: Das war peinlich!)


Ich habe mir einmal die Mühe gemacht und im Brock-
haus nachgeschlagen, was ein Gesamtkunstwerk ist. Da-
rüber gibt es lange Abhandlungen. Ein Beispiel wurde
genannt: Eine politische Utopie könne ein Gesamtkunst-
werk sein. Der Haushalt, den Sie vorlegen, ist keine poli-
tische Utopie, sondern eine politische Bankrotterklä-
rung.


(Beifall bei der SPD)


Sie treiben mit diesem Haushalt nicht nur die Bundes-
schulden in die Höhe, Sie ruinieren gleichzeitig auch
noch die Länderhaushalte und vor allen Dingen die
Kommunalhaushalte. Die Städte und Gemeinden sind
in einer schwierigen Situation. Das wird von Dr. Gerd
Landsberg – er ist der Hauptgeschäftsführer des Deut-
schen Städte- und Gemeindebundes – wie folgt zusam-
mengefasst: Die Lage der Kommunen ist nicht schlecht;
sie ist katastrophal. Er hat recht. Christian Ude, der
Oberbürgermeister von München, sagt: Unsere Städte
bluten aus. Die Oberbürgermeisterin von Frankfurt/Main
und Präsidentin des Deutschen Städtetages sagt: Die
Städte liegen auf der Intensivstation. Das sind Äußerun-
gen von wichtigen Kommunalpolitikern, nachdem die
beiden Gesetze von Ihnen mit schwarz-gelber Mehrheit
durch den Bundestag gebracht wurden, die dazu führen,
dass den Kommunen in diesem Jahr und auch in den
kommenden Jahren deutlich weniger Geld zur Verfü-
gung steht.

Zum sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz.
Die Kanzlerin hat vorhin ausgeführt, dieses Gesetz würde
den Namen zu Recht tragen. Das Gesetz trägt den Namen
nicht zu Recht. Das Einzige, was beschleunigt wird, ist
das Wachstum der Schulden. Es ist ein Schuldenwachs-
tumsbeschleunigungsgesetz.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)






Bernd Scheelen


(A) (C)



(D)(B)

Das sind für die Kommunen jedes Jahr 1,6 Milliarden
Euro an Mindereinnahmen. Wenn man davon ausgeht,
dass die Länder ihren Anteil an den Defiziten ebenfalls
weitergeben, dann sind es 2,5 Milliarden Euro. Dasselbe
gilt für das Gesetz, das Sie zur Entlastung von Unterneh-
men gemacht haben, damit diese ihre Gewinne nun
leichter ins Ausland verlagern können. Hier geht es um
weitere 700 Millionen Euro minus. Das macht unter dem
Strich 2,5 bis 3 Milliarden Euro, die die Kommunen al-
lein durch Ihre aktuelle Gesetzgebung weniger zur Ver-
fügung haben, und das in einer Situation, in der es den
Kommunen eh schlecht geht; denn sie leiden natürlich
wie alle staatlichen Ebenen unter der Finanz- und Wirt-
schaftskrise. Das, was weniger zu Buche schlägt, sorgt
dafür, dass aus dem positiven Saldo der Kommunen von
knapp 8 Milliarden Euro in 2008 in diesem Jahr ein De-
fizit von 12 Milliarden Euro wird. Das ist nur zur Hälfte
der wirtschaftlichen Situation geschuldet. Der Rest ist
durch Gesetzgebung staatlich verordnet. Daran müssen
wir arbeiten. Da muss angesetzt werden. Da müssen wir
den Kommunen Beistand leisten.


(Beifall bei der SPD)


Statt 8,5 Milliarden Euro für das sogenannte Wachs-
tumsbeschleunigungsgesetz auszugeben, hätten Sie bes-
ser ein Konjunkturpaket III aufgelegt und damit das
fortgesetzt, was wir mit dem Konjunkturpaket II begon-
nen haben. Geben Sie das Geld den Kommunen. Die le-
gen es sinnvoll an. Die sorgen für Wachstum vor Ort.
Die sorgen dafür, dass Kindertagesstätten gebaut werden
können, dass Schulen und Hochschulen energetisch sa-
niert werden können. Da ist das Geld deutlich besser an-
gelegt als auf den Konten von Hotelbesitzern und rei-
chen Erben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Geschenke, die Sie verteilen, müssen die Men-
schen in Städten, Gemeinden und Kreisen bezahlen. Das
ist die große Ungerechtigkeit. Wenn demnächst, in Berg-
kamen zum Beispiel, die Menschen in ihr Schwimmbad
gehen, werden sie zwar froh sein, dass sie noch eines ha-
ben, aber sie werden, da die Wassertemperatur deutlich
abgesenkt ist, hautnah spüren, wie kalt Ihre Politik den
Kommunen gegenüber ist.


(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Es soll doch gar nicht geheizt werden! Wegen Öko!)


In Oberhausen werden die jungen Menschen verstehen,
was für eine Politik Sie betreiben, wenn die Stadtverwal-
tung ihnen sagt: Wir können euch nicht mehr ausbilden.
Das ist uns verboten worden, weil wir pleite sind. – In
Wuppertal wird das Schauspielhaus sehr wahrscheinlich
geschlossen. Das Wuppertaler Schauspiel hat Weltruhm
erlangt durch Namen wie Pina Bausch. Der kulturelle
Abstieg in Wuppertal ist Folge Ihrer Politik.

Aber ich habe auch ein positives Beispiel gefunden:
In der Gemeinde Güntersleben – das ist eine kleine Ge-
meinde mit etwa 4 000 Einwohnern in der Nähe von
Würzburg – hat es am Wochenende einen Einbruch ins
Rathaus gegeben. 3 500 Euro sind aus der Rathauskasse
gestohlen worden. Jetzt ist auch diese Gemeinde pleite.


(Birgit Homburger [FDP]: Wir waren es nicht!)


Die Kommunen, meine sehr geehrten Damen und
Herren, sind das Fundament der Demokratie und nicht
das Kellergeschoss. Wenn das Fundament Risse be-
kommt, dann bekommt auch das Haus Risse, und die
Menschen, die darin wohnen, bekommen Angst.


(Lars Lindemann [FDP]: Mein Gott! Wie verzweifelt muss man in Ihrer Fraktion sein!)


Die Bundeskanzlerin hat die Vertreter der kommunalen
Spitzenverbände zu sich ins Kanzleramt gebeten. Nach-
her war zu lesen, es sei ein anregender Gedankenaus-
tausch gewesen. Das ist nicht das, was die Kommunen
brauchen. Die Kommunen brauchen Hilfe. Sie brauchen
keine Kaffeekränzchen.


(Beifall bei der SPD)


Ein letztes Wort zu Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, und
zur Gewerbesteuer, die Sie abschaffen wollen. Das ist
Ihr ganz persönlicher Wortbruch. Sie haben vor dem
Deutschen Städtetag in Bochum und anschließend vor
dem Kongress der deutschen Kommunen Folgendes ge-
sagt – das darf ich noch eben verlesen –:

Das, was ich Ihnen heute zusagen kann, ist, dass
wir keinem Druck nachgeben werden, wenn es um
die Frage geht, ob wir an die Gewerbesteuereinnah-
men herangehen werden.

Das war in Bochum, am 13. Mai 2009. Am 26. Mai
2009 haben Sie in Berlin gesagt:

Ich habe auf dem Deutschen Städtetag eine Zusage
gemacht, die wir auch halten werden. Die Gewerbe-
steuer bleibt unangetastet.

Das ist Wortbruch. Über Ihrer Koalitionsvereinbarung
sollte nicht wie im ersten Satz des Johannesevangeliums
„Am Anfang war das Wort“, sondern „Am Anfang war
der Wortbruch“ stehen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1703002600

Das Wort hat nun Hans-Peter Friedrich für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1703002700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die christlich-liberale Koalition legt in der
schwersten Krise, die die globalisierte Weltwirtschaft
bisher mitgemacht hat, einen Haushaltsentwurf vor.

Es ist schon darauf hingewiesen worden: Die Men-
schen in diesem Lande machen sich Sorgen, viele um ih-
ren Arbeitsplatz, viele um die Zukunft ihrer Kinder. Ich
glaube, es ist unsere gemeinsame Aufgabe in diesem





Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)



(A) (C)



(D)(B)

Hause, dafür zu sorgen, dass das Vertrauen der Men-
schen in unser wirtschaftliches und politisches System
sowie in die Handlungsfähigkeit all derjenigen, die sich
im politischen Bereich bemühen, erhalten bleibt. Deswe-
gen fordere ich Sie von der Opposition auf, persönliche
Diffamierungen gegenüber Mitgliedern der Bundesre-
gierung zu unterlassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es besteht kein Zweifel: Wir hatten vor einigen Jah-
ren noch die Hoffnung, dass wir im Jahr 2011, vielleicht
sogar im Jahr 2010, einen ausgeglichenen Haushalt er-
reichen könnten. Wir hatten in der Föderalismuskom-
mission – Herr Kollege Poß, die FDP war beteiligt – da-
mals diese Vorstellung. 2008 wurde durch die Krise
alles anders. Alles war Makulatur. Die Zahlen haben
nicht mehr gestimmt; denn die Steuereinnahmen sind
eingebrochen, die Ausgaben für Arbeitslosigkeit sind
gestiegen, und Konjunkturpakete und Wachstumsbe-
schleunigungsgesetze mussten finanziert werden.

In dieser Situation stellt sich die Frage nach unseren
Grundsätzen. Unsere Grundsätze, mit denen wir Politik
gestalten wollen, um das Land aus der Krise zu führen,
heißen: Wir wollen das Potenzial unseres Volkes aus-
schöpfen. Wir wollen das Potenzial unserer Wirtschaft
nutzen. Wir wollen die Substanz erhalten. Wir wollen
die Menschen dazu ermutigen, gemeinsam anzupacken,
um aus dieser Krise herauszukommen.

Wir haben einen Haushalt vorgelegt, der eine Balance
schafft zwischen einer Entlastung der Bürger – erste Steu-
ersenkungen haben wir zu Beginn dieses Jahres durchge-
führt; insgesamt sollen die Bürger fast 25 Milliarden
Euro mehr in den Taschen haben – und der Möglichkeit
für öffentliche Investitionen. Auch das ist in diesem
Haushalt realisiert worden. Im Übrigen, Herr Kollege
Scheelen, sind wir mit den Kommunen im Gespräch.
Wir haben eine Kommission für eine Gemeindefinanzre-
form eingesetzt, weil wir die schwierige Situation unse-
rer Kommunen sehen und diese Schwierigkeiten ge-
meinsam mit den Kommunen lösen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Da muss man helfen und nicht noch verschärfen!)


Ich danke den Haushältern dafür, dass sie einen wei-
teren wichtigen Schwerpunkt in diesem Haushalt gesetzt
haben. Sie haben klargemacht: Wir wollen und werden
sparen. Vielen Dank den Haushältern für die Arbeit, die
sie in den letzten Wochen oft in nächtelanger Arbeit leis-
ten mussten!


(Bettina Hagedorn [SPD]: Aber unterhalb ihrer Möglichkeiten geblieben!)


Das hebt sich von den vielen unrealistischen Forderun-
gen in Milliardenhöhe, die von roter und grüner Seite ge-
stellt werden, wohltuend ab.


(Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: So ein Quatsch! Stimmt überhaupt nicht! – Bettina Hagedorn [SPD]: Wir sind solider als Sie!)

80 Milliarden Euro Neuverschuldung, das sind im-
merhin 5 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes, also
all dessen, was in diesem Land produziert wird. Das ist
nicht wenig und vor allem mehr als das,


(Joachim Poß [SPD]: Wir sind doch hier nicht bei Seehofer!)


was im Stabilitätspakt der Länder, die der Eurozone an-
gehören, vorgesehen ist.


(Joachim Poß [SPD]: Wir sind hier nicht bei Seehofer!)


Ein Blick auf unsere internationalen Partner und Freunde
zeigt, dass es den anderen noch schlechter geht: Netto-
neuverschuldung in Frankreich 8,2 Prozent, in Großbri-
tannien 12,9 Prozent und in den USA 13 Prozent – in
Deutschland 5 Prozent.


(Ute Kumpf [SPD]: Wir hatten gute Konjunkturpakete! – Joachim Poß [SPD]: Ja, Große Koalition! Konjunkturpakete!)


So schlecht stehen wir also nicht da.

Die wichtigste Botschaft für die Menschen ist, dass
der Arbeitsmarkt stabil bleibt.


(Joachim Poß [SPD]: Kurzarbeitergeld!)


Ich möchte an dieser Stelle einen ganz herzlichen Dank
an die Tarifpartner richten, die bisher verhandelt haben
und deutlich gemacht haben: Die Sicherung von Be-
schäftigung und Arbeitsplätzen steht jetzt an allererster
Stelle vor allen anderen Forderungen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Joachim Poß [SPD])


Aber, meine Damen und Herren, die Krise ist nicht
vorbei. Eines steht schon heute fest: Wir werden Jahre
brauchen, um auf das Produktionsniveau von 2007, also
der Zeit vor der Krise, zurückzukommen. Das RWI hat
heute Vormittag die jüngsten Konjunkturprognosen nach
unten korrigiert. Es wird nicht einfach werden. Deswe-
gen ist es wichtig, dass wir die Leitlinien der christlich-
liberalen Politik noch einmal deutlich machen.

Erstens. Die Kraft dieses Volkes und dieser Wirtschaft
liegt im Mittelstand. Wir unterscheiden uns in dieser
Frage von einigen anderen Ländern, zum Beispiel von
unseren Freunden in Frankreich, die auf Großstrukturen,
auf Großindustrie setzen. Deswegen sind wir sehr skep-
tisch, wenn es darum geht, eine Wirtschaftsregierung auf
europäischer Ebene zu installieren. Wir sagen: Wir las-
sen uns von europäischer Ebene nicht die Großstruktu-
ren der anderen Länder aufdrücken. Wir in Deutschland
sind seit vielen Jahrzehnten mit unserer Struktur erfolg-
reich und brauchen keine Belehrung von anderen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Auch richtig!)


Ich will die Bundesregierung in ihrer Ablehnung und
kritischen Haltung gegenüber der EU-Strategie 2020 be-
stärken, die ebenfalls darauf abzielt, wirtschaftspoliti-
sche, finanzpolitische, bildungspolitische und sozialpoli-





Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)



(A) (C)



(D)(B)

tische Gleichmacherei in Europa zu betreiben. Unser
Widerstand dagegen ist sicher, und wir unterstützen die
Bundesregierung in ihren Bemühungen.

Die zweite Leitlinie, die für uns von größter Bedeu-
tung ist: Die Menschen haben auch deswegen Vertrauen
in diesen Staat und in dieses Land, weil sie Vertrauen in
die Stabilität unserer Währung haben. Das ist die zen-
trale Herausforderung, der wir uns stellen: die Stabilität
unserer Währung aufrechtzuerhalten. Denn ein schwa-
cher Euro hilft nicht, vor allem führt er nicht zu mehr
Wettbewerbsfähigkeit.

Wer auch immer das Märchen erzählt, die Schwäche
des Euro gegenüber dem Dollar sei gar nicht so schlecht,
weil sie zu Konjunkturimpulsen führe, dem sage ich: Ja,
das ist richtig, aber nur für eine sehr kurze Frist. Auf
Dauer schadet das der Wettbewerbsfähigkeit, weil nur
wenig später Öl und alle anderen Rohstoffe, die wir für
die Produktion brauchen, teurer werden und letzten En-
des eine Spirale der Inflation, auch im Innern, in Gang
gesetzt wird. Diese Inflation zu verhindern und sie schon
im Ansatz zu bekämpfen, das ist für uns das wichtigste
Thema. Denn Inflation bedeutet Enteignung unserer
Bürger, und dabei werden wir nicht mitmachen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Unsere dritte Leitlinie lautet schließlich: Die Sozial-
abgaben auf Löhne und Gehälter in diesem Land dürfen
nicht steigen. Wir haben mit dem Sozialversicherungs-
Stabilisierungsgesetz in der vorletzten Woche eine wich-
tige Weichenstellung vorgenommen. Ich denke, die Leit-
linien für die nächsten Jahre müssen lauten: keine Erhö-
hung der Sozialabgaben zulasten der Bevölkerung, mehr
Netto vom Brutto – das lässt sich an genau dieser Stelle
realisieren – und keine Erhöhung der Lohnnebenkosten
zulasten von Beschäftigung in diesem Land. Es kann
und darf nicht sein, dass in jeder für die Sozialsysteme
schwierigen Situation Beschäftigung vernichtet und eine
Spirale nach unten, zulasten der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer sowie der Wirtschaft, in Gang gesetzt
wird.

Die vierte wichtige Leitlinie: Wir bekennen uns zur
sozialen Marktwirtschaft als der Wirtschaftsordnung der
Freiheit. In diesem Zusammenhang ist der Fokus nicht
nur auf die Leistungsfähigkeit des Einzelnen zu legen,
sondern auch auf die soziale Verantwortung. Die Sozial-
staatsdebatte wurde in den letzten Wochen und Monaten
eröffnet, nicht zuletzt auch durch das Urteil des Bundes-
verfassungsgerichts zu Hartz IV.

Wir haben aufgrund dieses Urteils ein Problem, das
uns immer wieder, auch in der Sozialstaatsdebatte, be-
gegnet. Ich hoffe, dass sich alle Fraktionen dieses Hau-
ses einig sind, dass derjenige, der arbeitet, mehr haben
muss als derjenige, der nicht arbeitet; ich hoffe, dass we-
nigstens in diesem Punkt Konsens besteht.


(Joachim Poß [SPD]: Eine Banalität! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon heute Gesetz!)


Wenn das so selbstverständlich ist, sehen wir an dieser
Stelle ein großes Dilemma, in dem wir stehen. Es ist
nämlich so, dass ein Hartz-IV-Empfänger die volle De-
ckung des Bedarfs seines Kindes aus staatlichen Mitteln
bekommt, während derjenige, der arbeiten geht, nur ei-
nen Zuschuss in Form von Kindergeld bekommt.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das Bundesverfassungsgericht hat doch gesagt, dass das so nicht ist! Was Sie sagen, stimmt doch gar nicht!)


Meine Damen und Herren, je mehr Kinder in einer
Familie sind, desto weiter entwickelt sich dieser Abstand
beim Einkommen auseinander, und zwar zulasten derje-
nigen, die arbeiten, bzw. zugunsten derjenigen, die nicht
arbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Weil die Löhne zu niedrig sind!)


Um aus dieser Situation herauszukommen, gibt es nur
eine einzige Möglichkeit – sie ist heute schon angespro-
chen worden –:


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Mindestlohn!)


Wir müssen mehr Leistungen für alle Kinder, vor al-
lem im Bildungsbereich, zur Verfügung stellen. Wir wol-
len nicht nur über die Kinder von Hartz-IV-Empfängern
reden, sondern wir müssen über alle Kinder reden.


(Joachim Poß [SPD]: Machen wir doch!)


Wir sind es allen Kindern schuldig, optimale Vorausset-
zungen für Bildung zu schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dazu gehört, dass die Kinder eine ordentliche Ernäh-
rung bekommen, dass sie sich bewegen, dass sie eine
musikalische Ausbildung angeboten bekommen und
dass sie individuell gefördert werden. Wenn wir es
schaffen, an dieser wichtigen Schnittstelle zwischen Bil-
dungspolitik – in Klammern: Ländersache – und Sozial-
und Gesellschaftspolitik – in Klammern: Aufgabe des
Bundes – ein wichtiges Zeichen zu setzen, indem wir
mehr Geld für unsere Kinder, und zwar für alle Kinder,
zur Verfügung stellen, wird es uns auch gelingen, das
Problem des Lohnabstands bzw. des Abstands zwischen
den Sätzen für Kinder aus Hartz-IV-Familien und den
Zuschüssen für Kinder aus Arbeitnehmerfamilien zu
verringern. Mir scheint, das ist ein entscheidender Punkt,
über den wir in den nächsten Monaten diskutieren müs-
sen.

Meine Damen und Herren, wenn Sie gestern einen
Blick in die Zeitungen geworfen haben, mussten Sie ver-
muten, sich in einer verkehrten Welt zu befinden:
Deutschland wird beschuldigt, an der Schuldenkrise in
Europa schuld zu sein, weil die Deutschen mehr arbei-
ten, fleißiger sind, weniger ausgeben, mehr sparen.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wo haben Sie denn das gelesen? – Joachim Poß [SPD]: Kein Anlass zu Chauvinismus!)


Europa insgesamt wird nicht wettbewerbsfähiger, Eu-
ropa insgesamt steht nicht besser da, wenn den Stärks-





Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)



(A) (C)



(D)(B)

ten, nämlich den Deutschen, verordnet wird: Ihr dürft
nicht mehr fleißig sein, ihr dürft nicht mehr sparsam
sein. Deswegen rufen wir den Europäern zu, dass wir die
Linie, die wir in Deutschland fahren, unsere erfolgreiche
Politik, auch in dieser Frage fortsetzen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Lassen Sie mich ein letztes Wort zu all denen sagen,
die auf schamlose Weise in den Wohlstand der Men-
schen in ganz Europa hineingegriffen haben, nämlich zu
den Finanzspekulanten an den Märkten.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1703002800

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.


Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1703002900

Ich komme zum Ende. – Wir werden uns von den Lob-

byisten der Finanzbranche – europa- und weltweit –
nicht in die Knie zwingen lassen.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Dann müsst ihr etwas mehr tun!)


Wir sagen den Lobbyisten: Wir werden all denen Fesseln
anlegen, die in der Vergangenheit zulasten der Bevölke-
rung in Europa und in der Welt geaast haben. Notfalls
werden wir auch nicht davor zurückschrecken, die soge-
nannten innovativen Produkte, die letzten Endes nur zur
Spekulation und zum Zocken dienen,


(Joachim Poß [SPD]: Ja!)


zu verbieten.


(Joachim Poß [SPD]: Sie sind doch nicht einer Meinung mit der FDP! Was sagt denn Herr Westerwelle dazu? – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Wir werden Sie an Ihren Taten messen!)


Meine Damen und Herren, diese Regierung sieht die
großen Herausforderungen, und sie packt diese Heraus-
forderungen an. Der Haushalt, der vorgelegt wurde, be-
weist das.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1703003000

Das Wort hat nun Petra Merkel für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Petra Merkel (SPD):
Rede ID: ID1703003100

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kultur ist nicht alles;
aber ohne Kultur ist alles nichts – das merken im Augen-
blick viele Kommunen, deren Steuereinnahmen dras-
tisch zurückgehen. Wir aus dem Kulturbereich haben
den Eindruck, dass in erster Linie sofort an der Kultur
gespart wird.
Die SPD-Fraktion hat sich überlegt, wie man von der
Bundesebene Kommunen unterstützen kann. Ich habe
im Haushaltsausschuss den Antrag gestellt, die Mittel
für die Kulturstiftung des Bundes um 2 Millionen Euro
zu erhöhen, um kleine Projekte in der Fläche zu organi-
sieren. Dadurch würden die Kommunen unterstützt.
Diese Chance wurde vertan, weil die Regierungsfraktio-
nen, Schwarz-Gelb, Nein gesagt haben. Das ist schade;
denn das wäre ein Ansatz gewesen, wie wir ein wenig
hätten unterstützen können.

Einige der Ideen, die die schwarz-gelbe Koalition ein-
gebracht hat, haben wir zum Teil unterstützt. Die Ideen
sind da; allerdings fehlen häufig entsprechende Konzep-
tionen. Ich will das Zeitzeugenbüro und die Begeg-
nungsstätte der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der
SED-Diktatur, ein Projekt von 600 000 Euro, anspre-
chen. Das ist eine gute Idee; aber das Konzept muss
nachgeliefert werden. Hier wäre eine Sperre angebracht
gewesen, wie sie in einem anderen Haushalt – bei Arbeit
und Soziales – verhängt worden ist. Hier ist wegen der
schwarz-gelben Politikerinnen und Politiker eine solche
Sperre gar nicht erst eingerichtet worden. Wir brauchen
aber, wie gesagt, ein Konzept für dieses Projekt, bevor
Geld fließt.

Ebenso ist es bei der kulturellen Vermittlung: Der
Ansatz ist gut; aber es fehlt auch hier ein klares Konzept.
Das ist schade; denn das hätten wir gut hinbekommen
können.

Ich will zu einem Punkt kommen, der uns von der Op-
position geärgert hat. Nicht nur mich, sondern auch
Staatsminister Neumann hat der Vorstoß seiner Partei-
oder Parlamentskollegen überrascht, ja, überfahren, die
Mittel für die Rundfunk-Orchester und -Chöre GmbH,
roc, zu kürzen. Das haben wir durch eine vereinte Ak-
tion im Ausschuss verhindern können. Es war schließ-
lich gerade ein gutes Verhandlungsergebnis mit einer
leichten Erhöhung der Mittel für die roc erreicht worden.
Dadurch konnte etwas befriedet werden, was jahrelang
schwierig war. Da rumst es jetzt. Wir waren alle ziem-
lich unglücklich, auch Staatsminister Neumann. We-
nigstens konnten wir verhindern, dass die schwarz-gelbe
Koalition die Mittel kürzt. Stattdessen ist erst einmal
eine Sperre verhängt worden. Jetzt sind Sie an der Reihe,
Herr Staatsminister. Sie müssen klarstellen, wie es mit
der roc weitergehen soll. Sie müssen klarstellen, ob die
Existenz der Orchester aufs Spiel gesetzt werden soll
und die Chöre den Bach heruntergehen sollen. Ich sage
Ihnen: Das wäre ein Armutszeugnis. Viele haben mir zu-
gestimmt.

Ja, die roc ist eine ungewöhnliche Konstruktion, si-
cherlich auch dem Mauerfall geschuldet. Sie ist ein Teil
der Geschichte dieser Stadt und dieses Landes. Aller-
dings sind Veränderungen nicht tabu; das haben wir auch
in vorherigen Zeiten immer gesagt. Ich finde aber, es
muss jetzt politisch klargestellt werden, was passieren
soll. Deswegen erwarte ich von Ihnen, Herr Staatsminis-
ter Neumann, dass Sie sich vehement gegen die unsinni-
gen Pläne stellen, mit der die vier Klangkörper in ihrer
Existenz gefährdet werden. Dabei haben Sie unsere Un-
terstützung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)






Petra Merkel (Berlin)



(A) (C)



(D)(B)

Ich komme zu einem anderen Thema. Ein großes
Potenzial in der Bundesrepublik hat der Bereich der
Filmförderung. Immerhin umfasst dieser Bereich über
100 Millionen Euro. Die Filmförderung hat viele Im-
pulse gesetzt. Es wird immer deutlicher, dass viele wich-
tige internationale und nationale Produktionen und Ko-
produktionen in Deutschland entstehen. Dadurch werden
Arbeitsplätze geschaffen und Impulse gesetzt. Es trans-
portiert auch ein positives Bild von Deutschland nach
außen.

Die Berlinale zeigt jedes Jahr aufs Neue, dass Gla-
mour in der Hauptstadt Berlin eine Sogwirkung hat, aber
nicht nur für die Stadt, sondern auch für die Bundesrepu-
blik insgesamt; denn der rote Teppich, auf dem sich die
Schauspielerinnen und Schauspieler, die Producer, die
Regisseure und die Drehbuchautoren bewegen, die Sto-
rys, die die Illustrierten schreiben, sind eben nur ein Teil.
Die Filmförderung bedeutet auch Arbeitsplätze für
Deutschland. Die Filmwirtschaft ist ein großer wichtiger
Teil der Kreativwirtschaft und ständig im Wachsen be-
griffen. Die Mittel hierfür sind gut angelegtes Geld.

Wir haben auch einen neuen Schwerpunkt unterstützt.
Er betrifft viele von uns, auch Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen: In den Wahlkreisen gibt es viele kleine Kinos.
Ihnen steht die Digitalisierung ins Haus. Sie können sie
aber nicht umsetzen, weil dafür einfach die Mittel feh-
len. Es ist gelungen, für dieses Jahr 4 Millionen Euro
und noch einmal 2,5 Millionen Euro für die beiden
nächsten Jahre einzustellen. Wir hätten uns zwar 7 Mil-
lionen Euro gewünscht, aber sei es drum. Richtig ist: Es
wird mit der Digitalisierung begonnen werden können.

Allerdings fehlt auch dort ein Konzept. Dazu brau-
chen wir den Bund. In dem entsprechenden Haushalt
sind dafür die Mittel eingestellt. Hinzu müssen ein Bei-
trag der Länder und ein Beitrag der Branche kommen.
Das würde die kleinen Kinos wirklich unterstützen. Kino-
ketten können die Digitalisierung alleine finanzieren.
Kleine Kinos, Programmkinos brauchen hier unsere Un-
terstützung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Staatsminister, ich möchte Sie bitten, den Wirt-
schaftsminister davon zu überzeugen, dass er Fördergel-
der aus seinem Etat bereitstellt. Das wäre eine wahre
Mittelstandsförderung und wäre in dieser gemeinsamen
Konstellation eine sinnvolle Aktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Fraktion der SPD wird in Kürze einen Antrag in die-
ser Richtung vorlegen.

Zum Schluss möchte ich für eine gute konstruktive
Zusammenarbeit ganz herzlichen Dank sagen. Bei uns
allen gibt es unterschiedliche Ansätze, aber im Kulturbe-
reich funktioniert die Zusammenarbeit in der Regel noch
immer gut.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1703003200

Das Wort hat nun Wolfgang Börnsen für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1703003300

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Nach Ihrer Rede, Frau Merkel, glaube ich schon, dass
wir diese Dinge gemeinsam voranbringen. Kultur schafft
Lebensfreude. Sie ist sinnerfüllend. Kultur brauchen wir.
Auch in dieser Legislaturperiode gehören Kultur und
Medien weiter zum Etat des Bundeskanzleramtes. Sie
sind damit Chefsache. So sollte es bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Weniger Wachstum, weniger Steuern und weniger
freie öffentliche Mittel bedeuten auch für die Kultur
neue Herausforderungen. Nicht Klagen helfen, sondern
neue Konzepte! Die Finanznot ist besonders bei den
Städten und Gemeinden dramatisch groß. Die von der
Bundesregierung jetzt beschlossene Gemeindefinanz-
kommission will eine grundlegende Verbesserung der
kommunalen Haushalte erreichen. Das hilft der Daseins-
vorsorge vor Ort und gewährt gleichzeitig Mittel für
Kultur und Bildung. Diese Regierungsentscheidung ver-
dient die Unterstützung des gesamten Parlamentes, weil
sie Investitionen für die Kultur ebenso gewährleistet wie
Arbeitsplatzsicherheit für Kulturschaffende.

Mit dem Wissen um diese Reformperspektive appel-
liere ich an alle Verantwortlichen von Flensburg bis
Konstanz, bei der Kultur jetzt nicht zu kürzen. Wer nicht
will, dass aus der wirtschaftlichen eine gesellschaftliche
Krise wird, der muss das Gegenteil tun, nämlich die Kul-
tur jetzt stärken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


In einer Epoche zunehmender Globalisierung wird durch
sie Orientierung für den Menschen und ein Zusammen-
halt unserer Bürgergesellschaft gestiftet.

Seit der Schaffung des Grundgesetzes vor 60 Jahren
nach einer menschenverachtenden NS-Diktatur prakti-
zieren wir in Deutschland-West ein Kulturverständnis
mit den Elementen Freiheit, Vitalität und Vielfalt. Seit
jetzt 20 Jahren gilt diese Ausrichtung auch für Deutsch-
land-Ost. In den 40 Jahren DDR war es anders. Da galt
die Weisung Otto Grotewohls, der auf den Tag genau vor
59 Jahren, am 17. März 1951, erklärte:

Literatur und bildende Künste sind der Politik
untergeordnet … Die Idee der Kunst muss der
Marschrichtung des politischen Kampfes folgen.

Diese Art von Bevormundung gibt es nicht mehr, und sie
darf es in Zukunft auch nicht mehr geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die letzten fünf Jahre waren mit die besten Kultur-
jahre für Deutschland. Daran haben alle Fraktionen ihren
Anteil. Fast 6 Milliarden Euro sind durch den Bund ini-





Wolfgang Börnsen (Bönstrup)



(A) (C)



(D)(B)

tiiert worden. Allein 2010 werden es 1,2 Milliarden Euro
sein. So hoch war der Etat noch nie. Das bedeutet eine
Steigerung in fünf Jahren um über 12 Prozent und ist
eine Erfolgsgeschichte, an der einer unserer Kollegen ei-
nen besonders hohen Anteil hat, nämlich Staatsminister
Bernd Neumann, ein Christdemokrat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, dass er es dazusagt!)


Doch auch Kürzungen hat der Haushaltsausschuss
vorgenommen, so unter anderem bei der Kulturstiftung
und bei der Deutschen Welle – mit Skepsis in Bezug auf
deren Ausgabenpolitik. So geht das nicht. Im Fachaus-
schuss müssen wir uns damit dringend auseinanderset-
zen.

Bei der Kulturförderung durch private Hände liegt
Deutschland gemeinsam mit der Schweiz an der Spitze.
Allein Unternehmen bei uns geben jährlich 350 Millionen
Euro für das Kultursponsoring aus. Die christlichen Kir-
chen sind mit 3 Milliarden Euro dabei, und 16 000 Stif-
tungen sorgen mit Fördergeldern in Höhe von 4 Milliar-
den Euro auch für die Kultur. Das sind Beiträge, die
Ausdruck eines vorbildlichen Bürgerengagements sind.
Wir sollten das im besten Sinne unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Erfolgversprechend ist auch die Kultur- und Kreativ-
wirtschaft, die mit 830 000 Arbeitsplätzen ein Arbeits-
und Wachstumsmotor ersten Ranges ist. Wir werden ihr
weiter eine Zukunft geben.

Das gilt auch für die Breitenkultur. Wir als Union
wollen Kultur für alle und Kultur von allen gefördert
wissen. Hoch-, Breiten- und Soziokultur: Alle drei ha-
ben einen Anspruch auf Anerkennung und Förderung.

Die Kultur gibt es nicht nur in den großen Häusern.
Auch alle nicht professionellen Initiativen – Kultur auf
dem Lande, die kulturelle Bildung – dürfen nicht zu kurz
kommen. Sie alle sind im Kulturhaushalt berücksichtigt;
er ist entsprechend ausgerichtet. So muss es auch blei-
ben.

Wir sind in Europa mit Gesamtausgaben von 12 Mil-
liarden Euro an der Spitze bei den Investitionen in die
Kultur. Das ist ein Wort. Wir sind ein Kulturland, und
wir wollen das auch in Zukunft bleiben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1703003400

Jetzt hat Kollegin Lukrezia Jochimsen für die Frak-

tion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)


Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703003500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Herr Kollege Börnsen, ja, das ist weiß Gott die
Parole der Stunde: die Kultur jetzt stärken. – Wie sieht
aber die Umsetzung dieser Parole in der Wirklichkeit un-
seres Landes im Moment eigentlich aus?

Wegsehen und Weghören: Das sind Haltungen, durch
die einer demokratischen Gesellschaft ein schwerer
Schaden zugefügt wird. Auf Regierungsebene und auf
nationaler Ebene wird in Sachen Kultur im Moment aber
weggesehen und weggehört, und das, obwohl uns jeden
Tag neue Hilferufe aus den Kommunen erreichen: Re-
korddefizite, Schulden, Sparpläne und die Folgen für die
Kultur. Vorgestern ging es um die Theaterschließungen
im Ruhrgebiet, gestern um das Verschwinden kleiner Bi-
bliotheken und heute um Museen, die ihre Öffnungszei-
ten verkürzen müssen.

Was macht die Regierung? Die Regierung hat eine
Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen zur Neu-
ordnung der Gemeindefinanzierung eingesetzt – der
Kollege Börnsen hat sie uns gerade in warmen Worten
geschildert –: die Gemeindefinanzkommission. Was
wird dieser Kommission von vornherein aufgetragen?
Ihre Aufgabe ist es,

… darauf zu achten, Aufkommens- und Lastenver-
schiebungen insbesondere zwischen dem Bund auf
der einen und Ländern und Kommunen auf der an-
deren Seite zu vermeiden.

Das heißt aber, dass alles bleibt, wie es ist. Es wird also
weggesehen und weggehört. Wer die Finanzgrundlagen
der Kommunen prinzipiell verändern will – das wollen
zum Beispiel wir von der Linksfraktion –,


(Beifall bei der LINKEN)


darf auf die Ergebnisse dieser Gemeindekommission
nicht warten und muss einen anderen Weg einschlagen.
Für wen die Kultur in einem umfassenden Sinn zur
Daseinsvorsorge gehört – dazu gehören wir auch –, darf
erst recht nicht auf diese Kommission setzen. Wer jetzt
nicht wegsehen und weghören will, muss etwas anderes
tun und jetzt helfen.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Art. 104 b des Grundgesetzes heißt es, der Bund

kann … im Falle von Naturkatastrophen oder au-
ßergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kon-
trolle des Staates entziehen und die staatliche
Finanzlage erheblich beeinträchtigen, auch ohne
Gesetzgebungsbefugnisse Finanzhilfen gewähren.

Von dieser außergewöhnlichen Notsituation ausgehend
fordert die Fraktion Die Linke ein Sofortprogramm des
Bundes in Höhe von 1 Milliarde Euro für den Erhalt un-
serer kulturellen Infrastruktur.


(Beifall bei der LINKEN)


Allen Kritikern halte ich entgegen: Wenn Sie diesen
Weg für nicht gangbar halten, dann machen Sie etwas
Besseres. Aber machen Sie etwas! Sagen Sie nicht im-
mer nur, was Sie nicht können, sondern fangen Sie end-





Dr. Lukrezia Jochimsen


(A) (C)



(D)(B)

lich an, mit Ländern und Kommunen darüber zu verhan-
deln, was möglich ist. Irgendetwas muss schließlich
möglich sein. Denn wir müssen aus dieser Situation he-
rauskommen. Speisen Sie die Bürgerinnen und Bürger,
die um ihre Theater, Museen, Büchereien, Mal- und Mu-
sikschulen kämpfen, nicht einfach mit Hinweisen auf in-
vestive Maßnahmen ab. Neue Theater und neue Museen
sind schön, aber lebendige Kultur sind sie nur dann,
wenn Menschen in ihnen Kultur für Alt und Jung, für
Arm und Reich schaffen können. Dies zu gewährleisten,
verlangt wirkliche Investition.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linksfraktion fordert eine grundlegend verän-
derte Finanzierung unserer ausgeraubten Kommunen.
Wir brauchen außerdem Überlegungen dazu, was eigent-
lich zu den Pflichtaufgaben und zu den freiwilligen
Aufgaben einer Kommune gehört. Wieso gehören
Bibliotheken nicht zu den Pflichtaufgaben einer Kom-
mune? Diese Frage konnte mir noch nie jemand wirklich
beantworten.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir plädieren an dieser Stelle im Übrigen für mehr di-
rekte Demokratie und wirkliche Selbstverwaltung in
den Kommunen. Durch Bürgerbefragung und Bürgerbe-
teiligung sollen Bürger mitentscheiden können, was im
Dorf, in der Kleinstadt oder im Stadtteil gebraucht wird.
Überall vor Ort mehren sich die Proteste gegen den Kul-
turabbau. Überall erkennen die Menschen – gerade in Zei-
ten des derzeit drohenden Verlusts –, wie wichtig Kultur
für sie und ihre Kinder ist. Es waren verschiedene Bun-
desregierungen, die die Kommunen in diese Not ge-
bracht haben. Insofern ist nun der Bund in der Verant-
wortung. Er darf die Kultur insgesamt nicht durch
einfaches Wegsehen und Weghören beliebig zur Disposi-
tion stellen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1703003600

Das Wort hat nun Reiner Deutschmann für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Reiner Deutschmann (FDP):
Rede ID: ID1703003700

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Altbundespräsident Richard von
Weizsäcker hat über die Kultur gesagt:

Unsere Kultur ist gewachsen wie ein kräftiger, viel-
gestaltiger Mischwald. Er leistet seinen Beitrag zur
lebensnotwendigen Frischluft.

Damit spricht er aus, was für uns alle eigentlich selbst-
verständlich sein sollte. Leider muss aber gerade die
Kultur immer wieder um ihre Finanzierungsgrundlagen
kämpfen. Sie muss gestärkt werden. Deshalb sollte die
Kultur zur Pflichtaufgabe der Länder und Kommu-
nen werden, wie es in Sachsen der Fall ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wer die Axt an die Wurzeln der Kultur anlegt, riskiert
dauerhafte Schäden für unsere gesellschaftliche und
wirtschaftliche Entwicklung. Ich bin deshalb froh, dass
es der Koalition gelungen ist, einen soliden und verläss-
lichen Bundeskulturetat vorzulegen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Etat des BKM steigt in diesem Jahr noch einmal
deutlich, und das, obwohl wir uns in einer der stärksten
Wirtschaftskrisen befinden, die unser Land in den letzten
60 Jahren bewältigen musste.

Dieser Etat ist ein starkes Signal an die Kulturschaf-
fenden sowie an alle Bürgerinnen und Bürger. Auch in
Zeiten knapper Kassen erweist sich der Bund als verläss-
licher Partner. Kulturförderung hat für uns Liberale
höchste Priorität.


(Beifall bei der FDP)


Aus diesem Grund sind wir besonders stolz, dass es uns
quasi in letzter Minute gelungen ist, zusätzlich rund
5 Millionen Euro bereitzustellen. Damit wächst der Kul-
turetat gegenüber dem Vorjahr um insgesamt 22 Millio-
nen Euro. Das entspricht einer Steigerung von 2 Prozent.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Koalitionsver-
trag haben Union und FDP die Aufarbeitung der SED-
Diktatur zu einem Aufgabenschwerpunkt der 17. Wahl-
periode gemacht. Gerade im 20. Jubiläumsjahr der fried-
lichen Revolution und des Mauerfalls dürfen die Folgen
der SED-Diktatur nicht verharmlost oder vergessen wer-
den.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit der Einrichtung eines Zeitzeugenbüros und einer
Begegnungsstätte zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur
setzt die Koalition diese Vorgabe gleich mit dem ersten
Haushalt dieser Legislaturperiode um.


(Beifall bei der FDP)


In beiden Einrichtungen investieren wir 600 000 Euro.
Das ist gut angelegtes Geld. Gerade für junge Leute ist
es wichtig, mit Zeitzeugen ins Gespräch zu kommen.
Das ist effizienter als vier Wochen Geschichtsunterricht
im Klassenzimmer.

Auch die Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefäng-
nis in Berlin-Hohenschönhausen erhält in diesem Jahr
eine höhere Zuwendung, um ihre hervorragende Arbeit
noch besser fortführen zu können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


„Kein Geschichtsbuch der Welt hätte uns so viel zeigen
können wie Sie in diesen zwei Stunden“, schreiben
Schüler aus Baden-Württemberg. Die Mitarbeiter der
Gedenkstätte beweisen seit Jahren, wie Öffentlichkeits-
arbeit erfolgreich betrieben werden kann. Ehemalige
Häftlinge führen die Besucher durch die Gedenkstätte.
Dieser Kontakt am Originalschauplatz lässt die Besucher
nicht kalt. Die Förderung solcher Einrichtungen wie der





Reiner Deutschmann


(A) (C)



(D)(B)

in Hohenschönhausen ist ein wichtiger Punkt, um etwas
gegen gefährliches Halbwissen und Ostalgiewellen zu
tun.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, unsere
Denkmäler brauchen unsere Unterstützung. Trotz gro-
ßer Anstrengungen von Kommunen, Ländern und Bund
sind viele bauliche Zeugnisse der Geschichte vom Ver-
fall bedroht. Wir haben uns erfolgreich dafür eingesetzt,
dass die Mittel für die Restaurierung von unbeweglichen
Kulturdenkmälern von nationaler Bedeutung um
3 Millionen Euro auf 17,3 Millionen Euro erhöht wer-
den. Damit leistet der Bund einen wichtigen Beitrag zur
Sanierung und Substanzerhaltung von Baudenkmälern
wie auch von historischen Parks und Gärten.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ CSU und der SPD)


Gerade kleine und finanzschwache Kommunen können
durch diese Mittel das eine oder andere Kleinod vor dem
völligen Verfall retten. Aufgrund der nationalen Bedeu-
tung unterstützt die Koalition auch den Wiederaufbau
des Kölner Stadtarchivs mit 1 Million Euro.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ebenso liegt uns die freie Theaterszene sehr am Her-
zen. Freie Theater setzen neue Maßstäbe und halten mit
ihrer Experimentierfreude den kulturellen Nährboden
fruchtbar. Sie sind ein besonderer Hort kreativer Kraft
und nutzen die Sprache jüngerer Menschen, die wir ge-
rade im Rahmen der kulturellen Bildung für Kunst und
Kultur interessieren wollen. Diese Theater haben aber
gewöhnlich eine äußerst dünne Finanzdecke und werden
hauptsächlich von ehrenamtlichem Engagement getra-
gen.

Allein in Niedersachsen bieten die freien Theater
etwa viermal so viele Aufführungen für Kinder und Ju-
gendliche pro Jahr an wie die Stadt- und Staatstheater und
erreichen doppelt so viele Zuschauer. Deswegen ist es nur
konsequent, wenn der Bundesverband Freier Theater
erstmalig Gelder für seine Arbeit erhält.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch die uns sehr wichtige Initiative Kultur- und Krea-
tivwirtschaft erhält einen höheren Zuschuss. Deutsch-
land begreift sich als Kulturnation. Auch im Ausland
werden wir gerade wegen unserer Kulturdichte ge-
schätzt. Jeder in die Kultur investierte Euro zahlt sich
auf anderen Ebenen doppelt und dreifach aus. Unser
christlich-liberaler Kulturhaushalt trägt dieser Tatsache
Rechnung.

Ich danke insbesondere Herrn Staatsminister
Neumann und allen, die positiv an diesem Haushalt mit-
gewirkt haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1703003800

Das Wort hat nun Tabea Rößner für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703003900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da

wir hier die ganze Woche über Zahlen diskutieren, habe
auch ich eine mitgebracht: 15. 15 Pressemitteilungen ha-
ben die Fraktionen von CDU/CSU und FDP gestern ver-
sandt. Insgesamt 2 054 waren es im vergangenen Jahr.
Offensichtlich haben Sie ein großes Vertrauen in die Me-
dien und darin, dass diese Ihre Botschaften an die Bürge-
rinnen und Bürger weitertragen.


(Zuruf von der FDP: Ja!)


Umso erstaunlicher ist es, dass Ihnen die Medien jenseits
Ihrer Pressearbeit so wenige Anstrengungen wert sind.
Die Heimat all Ihrer Pressemitteilungen ist in Not, und
Sie schauen tatenlos zu.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen aber ein breites Angebot an unabhän-
gigen Medien; denn dies ist ein wesentlicher Grundpfei-
ler unserer Demokratie. Wir Grüne wollen mündige Bür-
gerinnen und Bürger, die teilhaben können an dieser
Demokratie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch deshalb brauchen wir einen leichten Zugang zu In-
formationen, ohne Einschränkungen oder Barrieren, on-
line wie offline. Der schnelle Zugang oder überhaupt ein
Zugang zum Internet fehlt aber in ganzen Landstri-
chen. Wenn Sie, Herr Brüderle, die Verlegung moderner
Kabelleitungen feiern, bringt das nur wenig, wenn die
Leitungen nicht bis an die Häuser reichen. Das ist dann
so wie eine ICE-Strecke ohne Bahnhöfe: Man kann nicht
zusteigen und verpasst den Anschluss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein weiteres zentrales Anliegen muss uns die
Medienkompetenz sein. Da müssen wir bei Kindern
und Jugendlichen anfangen. Zwar finden sich über den
Haushalt verteilt einige Projekte zur Medienkompetenz,
die gefördert werden. Aber das sind zumeist nur große
Vorzeigeprojekte. Das ist uns zu wenig. Wo bleibt die
Förderung von kleinen Initiativen, die Kindern, Jugend-
lichen und Erwachsenen die digitale Welt erklären? Wir
haben verstärkte Maßnahmen unter einem solchen
Haushaltstitel gefordert, aber ohne Erfolg. Obwohl der
Medienbereich sowieso schon mit einem sehr schmalen
Budget ausgestattet ist, wird ausgerechnet hier noch wei-
ter gespart.

Kreativität fehlt Ihnen auch bei der Lösung der Pres-
sekrise. Die Verlegerlobby hat Ihnen das Leistungs-
schutzrecht in den Koalitionsvertrag diktiert. Doch wie
es aussehen soll, weiß keiner so genau. Offenbar wissen





Tabea Rößner


(A) (C)



(D)(B)

Sie nicht einmal, sehr geehrte Damen und Herren von
der Koalition, ob Sie es denn überhaupt noch wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Selbst wenn es diesen Verlegerschutz geben sollte, wird
er die Presse nicht retten. Nicht ein Tropfen und auch
nicht ein Tröpfchen, sondern höchstens ein Nanotröpf-
chen auf den heißen Stein wäre das. Die Presse stirbt,
und Sie schauen zu.

Unsere Demokratie braucht starke, unabhängige Me-
dien. Sie informieren, sie kritisieren, und sie tragen zur
gesellschaftlichen Debatte bei. Unabhängige Medien
sind kein Luxus, den wir uns leisten. Sie sind geistiges
und gesellschaftliches Grundnahrungsmittel. Ihre Glaub-
würdigkeit ist das Fundament, auf das sie bauen. Dieses
Fundament dürfen wir nicht unterhöhlen, wie es im Fall
Brender beim ZDF geschehen ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit dieser Personalentscheidung wurde offensichtlich,
dass der Staat hier auch auf das Programm zugreift. Das
aber widerspricht der Rundfunkfreiheit, die im Grundge-
setz verankert ist, fundamental.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Was haben Ministerpräsidenten, Staatssekretäre und Ver-
treter der Bundesregierung im Fernsehrat des ZDF zu
suchen? Ich meine: nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Neumann, wenn Sie schon als Regierungsvertreter
Mitglied im Verwaltungsrat sind, dann schauen Sie nicht
tatenlos zu, wenn ein unabhängiger Journalist gegangen
wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch wenn der Rundfunk Ländersache ist, stehen wir
Bundestagsabgeordnete hier in der Pflicht, und zwar in
der Pflicht, die Verfassung zu wahren. Wir haben die
Möglichkeit, einen Normenkontrollantrag zu stellen.
Wir Grüne wollen, dass der ZDF-Staatsvertrag durch
das Bundesverfassungsgericht überprüft wird. Jeder von
Ihnen kann sich diesem Antrag anschließen und zeigen,
dass ihm die Unabhängigkeit der Medien etwas wert ist.
Ich lade Sie alle ein, den Antrag zu unterschreiben. So
senden wir gemeinsam ein starkes Signal nach draußen,
für einen starken und für einen unabhängigen Rundfunk.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1703004000

Frau Kollegin Rößner, das war Ihre erste Rede im

Deutschen Bundestag. Unsere herzliche Gratulation und
alle guten Wünsche für die weitere Arbeit!


(Beifall)

Nun hat Kollege Siegmund Ehrmann als letzter Red-
ner in dieser Debatte das Wort für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Siegmund Ehrmann (SPD):
Rede ID: ID1703004100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

der Tat gibt es im Bereich der Kultur- und Medienpolitik
zwischen den Fraktionen große Schnittmengen. So be-
grüßen wir ausdrücklich, dass sich eine Enquete-Kom-
mission – deren Einrichtung haben wir mitgetragen –,
mit Fragen des Internets und der digitalen Welt aus-
einandersetzen wird. Nun kann man sicherlich noch ei-
nige Zeit auf Handlungsempfehlungen warten. Es gibt
aber schon heute in einigen Punkten insbesondere kul-
turpolitische Herausforderungen, zum Beispiel wie die
kulturelle Vielfalt im Internet und der freie Zugang zu
den Informationen gesichert werden können.

Eine Antwort, die wir im Bereich der Kulturpolitik
geben, ist die Deutsche Digitale Bibliothek. Obwohl
Ende des Jahres ein Verwaltungsabkommen zwischen
dem Bund und den Ländern abgeschlossen wurde, wo-
nach bis zum Jahr 2013 erhebliche Mittel, etwa 10 Mil-
lionen Euro, dort eingebracht werden sollen, habe ich er-
hebliche Kritik an den Strukturen, in denen dieser
Prozess abläuft. Es gibt keine eindeutig geklärten Ver-
antwortlichkeiten, es gibt keine klare Steuerung dieses
Prozesses, es gibt kein Konzept, in dem Prioritäten oder
Finanzierungsbedarfe dargestellt worden sind. Das ist
ein erheblicher Mangel. Nun mag man wie die Linken
beantragen, zusätzliches Geld dort hineinzupumpen,
aber Voraussetzung für uns ist, dass wir zunächst die
Ziele und die Schwerpunkte eindeutig definieren.


(Beifall bei der SPD)


Deshalb fordern wir, dass die Gremien klare Verant-
wortungsstrukturen erhalten und ein nationaler Digitali-
sierungsrat eingerichtet wird, der eine steuernde Funk-
tion und die Aufgabe haben muss, eine nationale
Digitalisierungsstrategie zu entwickeln.

Das zweite Thema ist hier schon von anderen ange-
sprochen worden. Ich will auf die kommunale Finanz-
krise und insbesondere auf deren Auswirkungen auf die
Kulturpolitik eingehen. Der Bund trägt etwa 10 Prozent
der öffentlichen Kulturausgaben, die Länder tragen ge-
meinsam mit den Kommunen 90 Prozent. In Nordrhein-
Westfalen tragen die Kommunen aus traditionellen
Gründen allein 80 Prozent der Ausgaben. Insofern sind
die Auswirkungen der abenteuerlichen Steuerpolitik ne-
ben den ohnehin zu bewältigenden Auswirkungen der
Finanzkrise gerade für die Kommunen in Nordrhein-
Westfalen, aber nicht nur dort, gravierend.

Was kann der Bund tun? Wir haben den Antrag ge-
stellt – eine schmale Idee, die aber immerhin gute Ef-
fekte hat –, die Bundeskulturstiftung mit mehr Mitteln
auszustatten. Darüber ist berichtet worden. Ein weiterer
Punkt ist – das ist ein Ansatz vorausschauender und ge-
staltender Kulturpolitik –, Erfahrungen, die wir mit der
öffentlichen Kulturförderung durch den Bund in Ost-
deutschland gemacht haben, auf Westdeutschland zu
übertragen. Im Osten unseres Landes haben wir mit dem





Siegmund Ehrmann


(A) (C)



(D)(B)

Blaubuch ein Instrument, mit dem wir gemeinsam mit
allen Akteuren die Projekte von nationaler Bedeutung
identifiziert haben. Muss denn erst in Köln das Stadtar-
chiv zusammenbrechen, damit wir erkennen, dass dieses
Archiv in Köln ebenfalls ein besonderes nationales kul-
turelles Erbe ist?


(Beifall bei der SPD)


Nun haben wir uns als Bund gemeinsam mit der Kom-
mune Gott sei Dank in die Stiftung eingebracht. Der Mi-
nisterpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen hat ex-
trem lange gebraucht, ebenfalls Verantwortung zu
übernehmen. Aus diesem Beispiel leiten wir die Forde-
rung ab, die Kulturförderpolitik des Bundes weiterzuent-
wickeln und die Idee des Blaubuches nicht auf Ost-
deutschland zu beschränken, sondern die Identifikation
besonders förderwürdiger kultureller Güter auch in den
westdeutschen Ländern vorzunehmen. Dies wäre eine
Möglichkeit, die Kommunen zu entlasten.


(Beifall bei der SPD)


Im Ergebnis heißt das: Sowohl bei der Digitalisie-
rungspolitik als auch bei der Weiterentwicklung der Kul-
turförderung durch den Bund vermisse ich die Gestal-
tungsverantwortung dieser Regierungskoalition und des
Staatsministers. Wir haben Anregungen gegeben. Wir
erwarten, dass Sie sich mit diesen qualifiziert auseinan-
dersetzen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1703004200

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 04, Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt, in der
Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Linken auf
Drucksache 17/1023? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des
Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abge-
lehnt.

Wir kommen damit zur namentlichen Abstimmung
über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-
sehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den
Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die
Abstimmung.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703004300

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine

Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.1)

1) Ergebnis Seite 2752 C
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten,
Platz zu nehmen, damit wir uns auf die weiteren Bera-
tungen konzentrieren können. Ich bitte Sie, die Gesprä-
che einzustellen oder sie vor dem Saal zu führen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt I.10 auf:

Einzelplan 05
Auswärtiges Amt

– Drucksachen 17/605, 17/623 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Klaus Brandner
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden. Dann können wir so ver-
fahren.

Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile als erstem
Redner in dieser Debatte das Wort dem Kollegen Klaus
Brandner, SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1703004400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten
heute mit dem Einzelplan des Auswärtigen Amtes einen
Haushalt, in dem es zumeist nicht um die ganz großen
Zahlen geht. Mit seinen rund 3,2 Milliarden Euro macht
dieser Etat 1 Prozent des Gesamthaushalts aus. Doch die
Ausgaben, die mit diesem 1 Prozent bestritten werden
können und müssen, haben es in sich.

Bevor ich zu den Einzelheiten komme, möchte ich
mich bei den Mitberichterstattern der einzelnen Fraktio-
nen ganz herzlich bedanken. Die Zusammenarbeit war
insbesondere für jemanden, der zum ersten Mal diese
Aufgabe wahrgenommen hat, sehr angenehm. Ich
möchte auch meinen Dank gegenüber dem Auswärtigen
Amt für zuverlässige, konstruktive und offene Zusam-
menarbeit aussprechen. Ich denke, Herr Minister, Sie
werden das Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus-
richten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun zurück zum Haushalt: Angesichts zahlreicher in-
ternationaler und immer differenzierterer Entwicklungen
sieht sich das Auswärtige Amt großen Herausforderun-
gen und einer wachsenden Verantwortung gegenüber.
Unter Herausforderungen verstehe ich nach wie vor die
Auswirkungen der Globalisierung in all ihren positiven,
aber auch negativen Facetten. Besorgniserregend sind
auch die Entwicklungen im Bereich der zerfallenden
Staaten. Ich denke dabei zum Beispiel konkret an Soma-
lia, Sudan und die Elfenbeinküste, in denen Unsicher-
heit, Gewalt, Willkür und Hunger herrschen und in de-
nen sich die besten Bedingungen für internationalen
Terrorismus und für organisierte Kriminalität finden.





Klaus Brandner


(A) (C)



(D)(B)

Gerade in den letzten Wochen und Monaten haben
Naturkatastrophen wie Erdbeben, Tropenstürme, Un-
wetter und Überschwemmungen viele Tote gefordert
und verheerende Zerstörungen verursacht. Da können
wir, meine Damen und Herren, nicht am Fernseher taten-
los zusehen. Da sind wir, die wohlhabenden Industrie-
staaten, gefordert. Auch hier trägt das Auswärtige Amt
Verantwortung und hat diese, wie ich meine, vorbildlich
wahrgenommen.


(Beifall bei der SPD)


Wenn ich an all diese Herausforderungen denke, mit
denen das Auswärtige Amt konfrontiert ist, dann beru-
higt mich, dass sich der Regierungsentwurf für den
Haushalt dieses Jahres im Großen und Ganzen an den
bewährten Leitlinien, die der damalige Außenminister
Frank-Walter Steinmeier aufgestellt hat, orientiert.

Kontinuität in der Außenpolitik – das bedeutet für uns
Sozialdemokraten vorausschauende Friedenspolitik.
Dazu gehören vor allem eine wirksame zivile Friedens-
prävention und ein effektives ziviles Konfliktmanage-
ment auf internationaler Ebene. Das war stets der Dreh-
und Angelpunkt guter deutscher Außenpolitik.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – SvenChristian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird aber jetzt um 10 Prozent gekürzt!)


Dazu gehören aber auch Abrüstung, Rüstungskontrolle
und Zusammenarbeit beim Thema Nichtverbreitung –
Themen, die angesichts der aktuellen Herausforderun-
gen immer wichtiger werden. Nicht zuletzt brauchen wir
auch verlässliche Partner, die uns bei unseren Aufgaben
vor Ort helfen, die uns bei dem Aufbau von Strukturen,
dem Erstellen von Expertisen und dem Vorantreiben von
gesellschaftlichen Maßnahmen unterstützen. Das sind
zum Beispiel das Zentrum für Internationale Frie-
denseinsätze und die politischen Stiftungen.

Für mich ist es deshalb unverständlich, dass in all die-
sen Themenbereichen Mittelkürzungen geplant oder vor-
gesehen waren. Heute bin ich dankbar, dass es in weiten
Teilen nicht dazu gekommen ist. Ich freue mich, dass
alle Fraktionen des Deutschen Bundestages von ihrem
Budgetrecht Gebrauch gemacht haben, um gemeinsam
eine Absenkung des Etats für die politischen Stiftungen
zu verhindern. Ihre Arbeit ist uns wichtig. Wir wollen sie
anerkennen. Es war wichtig und gut, dass wir gemein-
sam so entschieden haben.


(Beifall bei der SPD)


Mit der Rücknahme der Kürzungen ist es unserer
Auffassung nach auf lange Sicht aber nicht getan. Wir
sind der Meinung, dass eine Verstetigung dieses Ansat-
zes erforderlich ist. Die Unsicherheit bei den Stiftungen
muss reduziert werden. Ich werbe dafür, dass dieser An-
satz in unser aller Interesse in der mittelfristigen Finanz-
planung des Auswärtigen Amtes verstetigt wird, um das
Auf und Ab und damit die Unsicherheit endlich zu been-
den.


(Beifall bei der SPD)

Ich begrüße auch, dass die angekündigten Pläne zur
Kürzung von Mitteln zur Abrüstung, Rüstungskon-
trolle und Nichtverbreitungszusammenarbeit nicht in
die Tat umgesetzt werden. Stattdessen sind Sie auch hier
den Leitlinien der Vorgängerregierung gefolgt und blei-
ben bei den 8,5 Millionen Euro Aufwuchs, die bereits im
ersten Regierungsentwurf enthalten waren. Das ist ein
gutes Zeichen angesichts der enormen Herausforderun-
gen, denen wir uns auf internationaler Ebene stellen
müssen.

Selbstverständlich kann ich in einer Rede zum Haus-
halt des Auswärtigen Amtes nicht unsere wichtige Auf-
gabe und schwierige Verantwortung in Afghanistan und
für die afghanische Bevölkerung außen vor lassen. Ich
begrüße daher ausdrücklich die zusätzlichen Mittel, die
im Zuge der Verlängerung des Afghanistan-Mandats zur
Verfügung gestellt wurden. Das hatten wir zur Bedin-
gung für unsere Zustimmung gemacht; denn auch ange-
sichts der Situation in Afghanistan darf sich der Haushalt
des Auswärtigen Amtes nicht ausschließlich auf ein
Thema oder eine Region konzentrieren; vielmehr muss
auch im Haushalt Sorge dafür getragen werden, dass wir
weiterhin weltweit handlungsfähig sind. Das wäre ohne
die zusätzlichen Mittel nicht möglich gewesen. Uns war
es wichtig, dass die für Afghanistan notwendigen zusätz-
lichen Mittel nicht zulasten anderer Haushaltstitel gin-
gen. Das ist gelungen, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD)


Bis dahin zeichnet sich der Haushaltsentwurf durch
eine große Kontinuität aus. Doch wo angesichts der zen-
tralen Aufgaben, die ich vorhin angesprochen habe,
ebenfalls Kontinuität notwendig gewesen wäre, setzen
Sie den Rotstift an. Die Fraktionen der CDU/CSU und
der FDP schleifen die Mittel für zivile Krisenpräven-
tion und ziviles Konfliktmanagement sowie für das
Zentrum für Internationale Friedenseinsätze. Sie
wollen mit diesen Mitteln, so sagen Sie, unter anderem
die Unterhaltung der Seemannsmissionen sowie die
Kriegsgräberfürsorge, -pflege und -instandhaltung unter-
stützen. Das alles ist löblich, und dagegen kann man im
Kern nichts haben. Aber ich meine, genau an dieser
Stelle hätten Sie das liberale Sparbuch zücken sollen,
statt es nach der Wahl sang- und klanglos in Aktenber-
gen verschwinden zu lassen. Sie hätten es genau hier gut
einsetzen können, um für dieses wichtige Themenfeld
ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen.


(Beifall bei der SPD)


Sparen ja, aber nicht zulasten wichtiger Maßnahmen
für den Friedenserhalt; das ist aus meiner Sicht und aus
Sicht unserer Fraktion ein wichtiges Anliegen.

Zur Arbeit des Auswärtigen Amtes gehört auch die
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Auch in die-
sem Punkt setzt die jetzige Regierung im Großen und
Ganzen auf Kontinuität und den von Frank-Walter
Steinmeier eingeschlagenen Weg, der fortgesetzt werden
soll. Ich beziehe mich dabei unter anderem auf Aussagen
v
Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1703004500






Klaus Brandner


(A) (C)



(D)(B)

Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik hilft uns
somit in der langfristigen Perspektive, wichtige au-
ßenpolitische Ziele zu verwirklichen. Hierzu zählen
Krisenprävention durch das Schlagen von Brücken
zwischen Kulturen und Zivilisationen, die Stärkung
der Menschenrechte, die Förderung von Freiheit
und Rechtsstaat sowie eine erfolgreiche Außenwirt-
schaftspolitik.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Da hat er recht, der Herr Hoyer!)


Ich möchte mich diesen Worten gerne anschließen.
Obwohl der Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bil-
dungspolitik auch im heute zu beratenden Haushalt wie-
der 22,6 Prozent des gesamten Einzelplans ausmacht,
wird an einer empfindlichen Stelle deutlich gekürzt. Zu-
erst will ich aber die positiven Aspekte nennen: die Me-
dienförderung, um zum Beispiel die Aktivitäten der
Deutschen Welle zu unterstützen, „kulturweit“, den Frei-
willigendienst, der das bürgerschaftliche Engagement
unterstützt, die PASCH-Initiative – Schulen: Partner der
Zukunft –, also den Austausch der Schulen, sowie die
Programmarbeit, mit der unter anderem die Fortsetzung
der Filmfestspiele in Oberhausen und der Literaturwerk-
statt in Berlin finanziert werden kann. All das gibt der
jetzige Haushalt her.

Zurück zu den Kürzungen. Ich spreche konkret von
den Kürzungen bei den Stipendien, bei Austauschmaß-
nahmen und bei Beihilfen für Nachwuchswissenschaft-
ler, für Studierende und Hochschulpraktikanten aus dem
Ausland. Hier sollen beinahe 10 Prozent – oder um es in
absoluten Zahlen auszudrücken: circa 13 Millionen Euro –
eingespart werden. Das halten wir nicht für richtig.

Wi
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1703004600


Bildung ist eine der mächtigsten Abwehrkräfte ge-
gen den Terrorismus der Fundamentalisten. …
Denn nur wer internationale Wissensstandards teilt,
hat auch Zugang zu weltweiten politischen und
wirtschaftlichen Entwicklungen und zu der Vielfalt
von Kunst und Kultur. Nur wer mehrdimensionales
Wissen besitzt und über den Tellerrand schaut, kann
sein Land nach außen öffnen und nach innen einen.

Das ist gut gesagt. „Gut gebrüllt, Löwe!“, möchte man
sagen. Doch leider wurde es nicht umgesetzt. Den mäch-
tigen und gewichtigen Worten sind leider nur schlanke,
unterernährte Taten gefolgt. Das ist aus unserer Sicht ein
großer Fehler, der hier begangen wird. Ich meine, er
müsste dringend korrigiert werden.

Lieber Herr Koppelin, Sie setzen sich ansonsten so
engagiert für dieses Thema ein. An dieser Stelle wäre
das Liberale Sparbuch eine gute Sache gewesen. Eine
Aussage Ihrerseits, wie man das, was man im Wahl-
kampf versprochen hat, auch tatsächlich umsetzt, wäre
wünschenswert. Man hätte eingesparte Mittel nutzen
können, um diesem wichtigen Themenbereich die ihm
angemessene Bedeutung zu geben.
Meine Damen und Herren, was wir vor uns liegen ha-
ben, ist ein Übergangshaushalt, der auf der einen Seite
von sinnvollen Elementen der Vorgängerregierung und
auf der anderen Seite von nicht schlüssigen Einsparun-
gen geprägt ist. Der Haushalt hat noch kein klares Profil.
Daher kann ich es gut verstehen, wenn der Bundesau-
ßenminister auf der Suche nach einem eigenen Profil die
Welt bereist. Auf Ihren Reisen, Herr Bundesaußenminis-
ter, hört man, dass Sie in vielen Fällen einen Strategie-
wechsel anstreben, dass Sie Neuanfänge initiieren und
gemeinsame Werte neu entdecken wollen. Nach meinem
Eindruck ist dies eine große Ankündigung, die bisher
mit noch wenig Gehalt versehen worden ist. Sie werden
nachher dazu noch Stellung nehmen können.

Ich möchte beispielsweise an Ihre Brasilienreise er-
innern. Es wurde der Eindruck vermittelt, es sei ein ver-
nachlässigtes Land; es sei ein Land, das mehr Zuwen-
dung braucht und mit dem wir eine gemeinsame
Strategie verabreden müssten. Ich finde, das war viel
Ankündigung. Wenn man sich die Berichte des Auswär-
tigen Amtes anschaut – das gilt auch für den aktuellsten
aus dem Februar 2010 –, dann sieht man, dass die bilate-
ralen Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilien
auf einem ganz hervorragenden Stand sind.

Brasilien ist Deutschlands einziger bilateraler strate-
gischer Partner in Südamerika und damit für uns das
wichtigste Land in dieser Region. In dem Bericht heißt
es dazu:

Die deutsch-brasilianischen Beziehungen sind poli-
tisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich, kulturell und
gesellschaftlich breit verankert. Mit keinem ande-
ren lateinamerikanischen Land pflegt Deutschland
eine so breite und tiefe Kooperation.

Ich selbst habe dieses Land in anderer Funktion mehr-
fach bereist. Ich weiß von der dichten Frequenz der Be-
suche hochrangiger deutscher Politiker in den letzten
Jahren: Bundespräsident Köhler im März 2007 und Bun-
deskanzlerin Merkel im Jahr 2008. Im letzten Jahr war
Staatspräsident Lula da Silva im Rahmen eines Staatsbe-
suchs in Deutschland. Es ist also ein Land, mit dem wir
engste Beziehungen haben und zu dem man die Bezie-
hungen weiter pflegen sollte. Man sollte aber nicht den
Eindruck vermitteln, als gebe es hier einen riesigen
Nachholbedarf.

Insofern bedarf es auch keiner neuen Strategie und kei-
ner neuen Aktivität. Die Rede war Ausdruck einer ge-
wissen Ankündigungsaktivität, aber der Inhalt fehlt
noch. Daran müssen Sie aus meiner Sicht noch arbeiten.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Im Übrigen halte ich die Aktivitäten, die Sie mit der
Außenwirtschaftspolitik verbinden, grundsätzlich für
richtig. Aber ich frage mich, was eigentlich neu daran
ist. Sie kündigen nicht nur etwas Neues an, dessen Inhalt
noch völlig unbekannt ist. Ich vermisse auch, dass Sie
bei Ihren jetzigen Reisen Zeichen setzen, dass Sie nicht
nur als Unterstützer ökonomischer Interessen unterwegs
sind, sondern auch die soziale Dimension der Globalisie-





Klaus Brandner


(A) (C)



(D)(B)


Günter Baumann Alexander Funk Dr. Franz Josef Jung Patricia Lips
Manfred Behrens (Börde)

Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger

Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr

zu Guttenberg
Olav Gutting
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder

(Villingen Schwenningen)

Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings

Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Nadine Müller (St. Wendel)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Ernst-Reinhard Beck

(Reutlingen)


Ingo Gädechens Andreas Jung (Konstanz) Dr. Jan-Marco Luczak
rung und ihre ökologischen H
haben.


(Beifall der Abg. Deshalb wäre es gut, we auch den Personenkreis berü solche Themen spricht. Wo s gation zum Beispiel die A meiner Sicht gehören Arbe dazu wie Unternehmensvert Reisen die Vertreter des typis (Beifall bei Gerade die Handwerker brau um im Ausland tätig werden Umweltorganisationen und d ten? Um diesem Thema auch deutung beizumessen, wäre Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 589; davon ja: 322 nein: 267 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle erausforderungen im Blick Uta Zapf [SPD])


nn Sie auf solchen Reisen
cksichtigen würden, der für
ind in der Wirtschaftsdele-
rbeitnehmervertreter? Aus
itnehmervertreter genauso

reter. Wo sind auf solchen
chen Mittelstands?

der SPD)

chen unsere Unterstützung,
zu können. Wo bleiben die
ie Menschenrechtsaktivis-

inhaltlich eine größere Be-
es gut, wenn Sie mithelfen

Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
würden, dass wir mehr Sozial
ferenten an den Botschaften e


(Beifall der Abg. U damit diese Themen auch ins terstützung erfahren. Herzlichen Dank für Ihre A (Beifall bei Vizepräsidentin Gerda H Ich komme zunächst zum gebe Ihnen das von den Sch führern ermittelte Ergebnis d mung über den Einzelplan 04 kanzlerin und des Bund abgegebene Stimmen 590. M mit Nein haben gestimmt 26 Einzelplan 04 ist damit angen Dr. Matthias Heider Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dr. Dieter Jasper referentinnen und Sozialretablieren können, ta Zapf [SPD])


titutionell eine bessere Un-

ufmerksamkeit.

der SPD)

asselfeldt:
Einzelplan 04 zurück und
riftführerinnen und Schrift-
er namentlichen Abstim-
, den Haushalt der Bundes-
eskanzleramtes, bekannt:
it Ja haben gestimmt 322,

8, keine Enthaltungen. Der
ommen.

Dr. Martina Krogmann
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann





Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) (C)



(D)(B)

Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Lucia Puttrich
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Erika Steinbach
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

FDP

Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Lars Lindemann
Christian Lindner
Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Heiko Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


Nein

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles





Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) (C)



(D)(B)


Anton Schaaf
Bernd Scheelen

Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge

Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke

Renate Künast
Markus Kurth
Marianne Schieder

(Schwandorf)


Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul

Nun hat Herr Bundesmini
das Wort.


(Beifall bei der FDP Dr. Guido Westerwelle, wärtigen: Frau Präsidentin! Meine Herren! In der letzten Lesun sächlich das Parlament zu W mir nur wenige Minuten zu. politik und einem wichtigen alle hier in diesem Hause no ich aber drei Vorbemerkunge Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Konstantin Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze ster Dr. Guido Westerwelle und der CDU/CSU)


Bundesminister des Aus-

sehr geehrten Damen und
g soll zunächst und haupt-
ort kommen, daher stehen
Bevor ich zu der Friedens-
Anliegen komme, das uns
ch beschäftigen wird, will

n machen.
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius

Erstens möchte ich mich b
bei dem gesamten Haushalts
danken. Ich danke Ihnen,
Brandner, Herr Koppelin, He
Ich möchte mich ausdrücklic
samten Auswärtigen Amtes f
menarbeit bedanken.

Zweitens, Frau Kollegin K
gen Ihre Rede – wie die gesa
verfolgt. Sie haben uns als
auch mich mit kritischem U
mehr um den skandalösen A
tungsexporte zu kümmern. I
wiedergeben, was am 15. M
Monika Lazar
Nicole Maisch
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Christine Scheel
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

ei den Berichterstattern und
ausschuss sehr herzlich be-
Herr Frankenhauser, Herr
rr Kindler und Herr Leutert.
h auch im Namen des ge-
ür die vorzügliche Zusam-

ünast, habe ich heute Mor-
mte Debatte – aufmerksam
neue Bundesregierung und
nterton aufgefordert, mich
nstieg der deutschen Rüs-
ch möchte zunächst einmal
ärz 2010 von dem Institut
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)


Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma

Winfried Hermann
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Anna Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn





Bundesminister Dr. Guido Westerwelle


(A) (C)



(D)(B)

SIPRI in Stockholm, das das herausgefunden und kriti-
siert hat, dazu gesagt worden ist, weil hier der Eindruck
erweckt wird, als hätte diese neue Bundesregierung in
den letzten Wochen ganz schnell noch ein paar U-Boote
gebaut und in die Welt exportiert. Ich zitiere aus einer
Meldung dazu:

Wenig Verständnis zeigte der Brite für die Kritik
von Grünen-Chefin Claudia Roth am Anstieg der
deutschen Rüstungsexporte:

– Jetzt kommt das wörtliche Zitat. –

„Die meisten Verträge, die diese Verdoppelung be-
wirkt haben, wurden ja während der rot-grünen Re-
gierungszeit abgeschlossen.“


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was tun Sie nun?)


Drittens, Frau Kollegin Künast, haben Sie mir vorge-
worfen, ich hätte Brasilien nicht entdeckt.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war kein Vorwurf! Das war eine Feststellung!)


– Dann haben Sie es eben festgestellt. Ich glaube, das ist
eine historische Tatsache, auf die wir uns zwanglos ver-
ständigen können.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist schon mal was!)


Ich möchte Ihnen Folgendes dazu sagen: Brasilien
wurde vom Portugiesen Cabral entdeckt. Er reiste mit
13 Schiffen. Man wusste in Portugal also schon vor
500 Jahren, dass Delegationen zur Wahrnehmung der ei-
genen Landesinteressen gelegentlich hilfreich sind.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das waren Versorgungsschiffe und keine Delegationen!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703004700

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischen-

frage?

Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:

Nein, ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage.

Ich komme zu einem vierten Punkt, auf den ich in-
haltlich eingehen möchte. Zunächst zu Ihnen, Herr Kol-
lege Brandner. Sie haben völlig zu Recht darauf hinge-
wiesen, dass die auswärtige Politik und auch dieser
Haushalt wesentlich von Kontinuität geprägt sind. Dabei
bleibt es auch.


(Ute Kumpf [SPD]: Mister Ellenbogen!)


Es geht hierbei nicht um einen Übergangsetat, sondern
ich habe bereits in der letzten Legislaturperiode – ich
werde das als Bundesminister künftig auch in dieser Le-
gislaturperiode tun – immer wieder ausdrücklich gewür-
digt, dass insbesondere unter Bundesaußenminister
Steinmeier ein Aufwuchs in der Auswärtigen Kultur-
und Bildungspolitik möglich geworden ist.


(Beifall des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])


Davon werde ich nichts zurückzunehmen. Ich habe die
Absicht, diese Politik fortzusetzen. Ich bitte Sie – bei al-
ler Kritik in anderen Bereichen – um Ihre Unterstützung,
weil die Stunde kommen wird, in der ich im Haushalts-
ausschuss um die Auswärtige Kultur- und Bildungspoli-
tik werde ringen müssen.


(Herbert Frankenhauser [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


Das sage ich an die Adresse aller, weil ich glaube, dass
es die beste Visitenkarte für unser Land ist, wenn wir
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik fördern.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist keine Attacke, sondern es ist ein Angebot, das
ich Ihnen unterbreiten möchte, weil ich glaube, dass ein
überparteiliches Interesse daran in diesem Hohen Hause
vorhanden ist.

Schließlich möchte ich einige Bemerkungen zu einem
Kernanliegen machen. Es gibt noch vieles zu bespre-
chen. Vieles haben wir bereits im Auswärtigen Aus-
schuss besprochen. Wir werden in der nächsten Woche
über den Europäischen Auswärtigen Dienst sprechen,
der aufgebaut werden muss. Sie wissen, dass noch eine
Menge zu tun ist, damit in diesem Bereich die deutschen
Interessen wahrgenommen werden können und vor allen
Dingen dafür gesorgt wird, dass wir einen guten, schlag-
kräftigen und handlungsfähigen Europäischen Auswärti-
gen Dienst bekommen. Ich kann Ihnen ankündigen: Da
gibt es noch manches zu tun.

Es gibt Bereiche der Wirtschaftsförderung, über die
wir hier im Hohen Hause noch kontrovers diskutieren
werden. Ich hoffe allerdings, dass wir in einem Bereich
eine Gemeinsamkeit haben. Bisher war es ein Kernbe-
standteil deutscher Außenpolitik, dass deutsche Außen-
politik Friedenspolitik ist.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Werden muss!)


– Ich sage: Friedenspolitik ist. Ich glaube, anders als Sie,
Herr Kollege Gehrcke: Wenn deutsche Außenpolitik in
den vergangenen Jahrzehnten keine Friedenspolitik ge-
wesen wäre, dann hätten wir das Glück der deutschen
Einheit niemals erlebt. Davon bin ich fest überzeugt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Es geht nicht darum, wer was gemacht hat: Willy
Brandt, Walter Scheel, Helmut Kohl oder Hans-Dietrich
Genscher. Das ist eine gemeinsame Auffassung.

Ich möchte Sie warnen: Wenn wir nicht aufpassen,
werden wir ein Jahrzehnt bekommen, das nicht ein Jahr-
zehnt der Abrüstung wird, sondern ein Jahrzehnt der
Aufrüstung werden kann.





Bundesminister Dr. Guido Westerwelle


(A) (C)



(D)(B)


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Ich glaube, dass wir uns über dieses Problem in diesem
Hause – nicht heute, aber in vielen Fachdebatten – noch
detailliert unterhalten müssen.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da hat er recht!)


Das ist in Wahrheit die Gefahr, die vor uns liegt, nämlich
dass wir nicht ein Jahrzehnt der Abrüstung erleben wer-
den – wie es durch eine bemerkenswerte, hoffnungsvolle
Rede von Präsident Obama in Prag eigentlich ermöglicht
worden wäre –, sondern dass wir in diesem Jahrzehnt er-
leben, dass durch Staaten, die wir nicht auf dem Schirm
hatten, plötzlich die nukleare Verbreitung die Regel
wird.

Wir reden zu Recht über Menschenrechte. Das habe
ich getan, und das wissen Sie und Ihre Kollegen, die bei
den Reisen dabei gewesen sind. Wir reden beispiels-
weise über die Menschenrechtslage im Iran. Ich möchte
Sie darum bitten, dass wir uns alle gemeinsam an den
Kern des Problems erinnern. Es geht beim Thema Iran
– ich sage das deshalb, weil das derzeit in New York bei
den Vereinten Nationen verhandelt wird – um das zen-
trale Problem: Wenn wir es zulassen, dass sich ein Staat
die Option der atomaren Bewaffnung verschafft, nicht
mit der Völkergemeinschaft kooperiert und nicht für
Transparenz sorgt, dann ist es eine Frage der Zeit, bis
sich noch mehrere andere Staaten dieser Region – ich
sage Ihnen voraus: mehrere andere Staaten in der Welt –
in den nächsten zehn Jahren atomar bewaffnen werden.

Nukleare Nichtverbreitung hat schon immer zwei
Komponenten gehabt. Zum einen galt es, diejenigen, die
Atomwaffen haben wollen, davon abzubringen, dass sie
sich diese illegal beschaffen. Zum anderen gibt es eine
Verpflichtung der Atomstaaten, abzurüsten, übrigens
ohne dass konventionelle Kriege leichter geführt werden
können. Ich sage Ihnen voraus: Das wird – hoffentlich –
jenseits der ganzen tagespolitischen Hektik und jenseits
all dessen, was man in einer Demokratie kontrovers be-
raten muss, ein gemeinsames Kernanliegen sein. Da-
rüber mache ich mir große Sorgen. Da gibt es Rück-
schritte, die man sehen muss, und zwar, was den Iran
angeht, sehr sorgenvoll, was die Frage des Nahen Ostens
angeht, sehr sorgenvoll, vor allem wenn man sich an-
sieht, dass jüngst, in der letzten Woche, die Siedlungs-
politik mal eben fortgesetzt wurde. Es hat keinen Sinn,
darum herumzureden – jeder weiß, dass wir Freunde Is-
raels sind –: Wer zu einem Friedensprozess kommen
möchte, muss auch bereit sein, die internationale Forde-
rung nach einem Stopp der Siedlungspolitik zu erfüllen.
Das ist die Voraussetzung dafür, dass das gelingen kann.
Ich sage das beiden Seiten. Das ist die neue Dimension.

Das ist immer unsere Maßgabe gewesen: Wenn man
in diesem Hohen Hause etwas anspricht, ist das nicht im-
mer Kritik am Vorgänger oder gleich eine Attacke ge-
genüber jemandem, der das bisher vielleicht nicht ge-
macht hat. Nein, die Herausforderung, die auf der
Tagesordnung steht, ist neu. Ich glaube, deutsche Au-
ßenpolitik hat zwei Markenzeichen: Abrüstung und Frie-
denspolitik. Das wollte ich zu dieser Generaldebatte
heute beitragen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703004800

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Gehrcke

für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703004900

Danke sehr. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ich will den Ball, den der Außenminister
gespielt hat, gleich aufnehmen: Wir lehnen den Haushalt
des Auswärtigen Amtes ab, weil wir als Linke nie einem
Haushalt zustimmen werden, der Kriegspolitik beinhal-
tet.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir werden uns an keiner Koalition beteiligen, die das
zu tun beabsichtigt, und wir werden einem solchen
Haushalt nicht zustimmen. Das ist eben die Differenz.
Ich hätte mich gefreut, wenn in Ihrem Koalitionsvertrag
der Satz gestanden hätte: Deutsche Außenpolitik muss
Friedenspolitik werden. Sie ist es nicht. Sie ist es struk-
turell und faktisch nicht. Wir befinden uns in Afghanis-
tan in einem Krieg. Das wird keiner hier ableugnen kön-
nen. Das tut nicht einmal mehr zu Guttenberg.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir befanden uns, was die Geschichte angeht, auch in
Jugoslawien im Krieg – auch das darf hier nicht verges-
sen werden –, und wir haben zumindest indirekt den
Krieg der USA im Irak mit vielem gefördert, was nicht
unserer Verfassung entspricht. Deutsche Außenpolitik
muss Friedenspolitik werden. Das muss auch das Credo
dieses Parlamentes sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will hinzufügen: Wir stimmen auch deshalb nicht
zu, weil die ganze Richtung der Außenpolitik aus unse-
rer Sicht falsch ist. Ich will Ihnen das an einigen Beispie-
len deutlich machen. Ich finde, das ist eine eigenartige
Mischung von Kollegen, die in der Bundesregierung die
internationale Politik dominieren oder bestimmen:

Wir haben einen Entwicklungshilfeminister, Fall-
schirmspringer, der eigentlich furchtbar gerne Verteidi-
gungsminister werden möchte


(Ute Kumpf [SPD]: Vielleicht wird er das ja noch!)


und deswegen Entwicklungspolitik und Bundeswehrpo-
litik noch enger verbinden will – zulasten der Entwick-
lungspolitik.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben einen Verteidigungsminister, Gebirgsjä-
ger, der furchtbar gerne Außenminister werden möchte.
Er darf sich jetzt nicht zu viel zur Außenpolitik äußern,
weil er den Untersuchungsausschuss zu Kunduz am Hals





Wolfgang Gehrcke


(A) (C)



(D)(B)

hat. Er versucht aber immer wieder, zu dokumentieren
– jetzt ist er gerade nicht anwesend –, dass er eigentlich
der bessere Außenminister wäre.


(Ute Kumpf [SPD]: Vielleicht wird er das auch noch!)


Wir haben einen Außenminister, FDP-Vorsitzender,
der die gesellschaftliche Stabilität im eigenen Land
durch leichtfertige Reden und durch eine falsche Politik
gefährdet.


(Beifall bei der LINKEN)


Wer die gesellschaftliche Stabilität in Deutschland ge-
fährdet, kann international nicht glaubwürdig für globale
soziale Gerechtigkeit eintreten. Das ist einfach so. Das
fällt auf einen zurück, Herr Westerwelle.


(Beifall bei der LINKEN)


Gestatten Sie, dass ich ein sehr persönliches Wort
dazu sage: Sie sind ein Politiker des raschen Erfolges,


(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Elf Jahre!)


des schnellen Wortes.


(Ute Kumpf [SPD]: Des Ellenbogens!)


Manchmal gefällt es einem, manchmal nicht. Sie sind
ein Politiker, der nicht in langen Wellen, nicht in langen
Linien denkt.


(Ute Kumpf [SPD]: Nur an sich denkt!)


Ein Außenminister muss eigentlich in langen politischen
Linien denken und auf das Geschäft des Tages zugunsten
der Außenpolitik verzichten.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das schlägt irgendwann durch.

Sie haben hier als Beispiel genannt, wer Brasilien
entdeckt hat. Sie haben sich mit Delegation in diese Tra-
dition gestellt. Wissen Sie eigentlich, dass Sie sich in die
Tradition der kolonialen Ausbeutung und Unterdrü-
ckung gestellt haben?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das kommt davon, wenn man nicht nachdenkt. Schnel-
les Wort, schnelle Mark, um ein Geschäft zu machen.


(Ute Kumpf [SPD]: Falsche Bilder!)


Ich sage das ganz absichtlich hier so, auch vor dem Hin-
tergrund Ihrer Reise. Ich habe mich oftmals wie auf ei-
ner Tupperparty gefühlt,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


auf der die deutsche Industrie ihre Produkte anpreist und
dafür die Vermittlung des Bundesaußenministers be-
nutzt. Den SPD-Kollegen möchte ich sagen, dass es bei
Steinmeier auch so war. Ich habe mich geschämt, den
Außenminister und seine Begleitung in Vietnam mit Re-
klametüten von METRO herumlaufen zu sehen. Das
macht Westerwelle nicht. Er geht zu VW und signiert ei-
nen Pick-up. Wir hatten einen Autokanzler, jetzt haben
wir einen Autoaußenminister. Das macht die Sache nicht
besser. Ich finde, es entspricht nicht der Würde dieses
Hauses und der deutschen Außenpolitik, sich für die
Verkaufsstrategie der deutschen Industrie zur Verfügung
zu stellen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte etwas anderes. Ich nenne Ihnen jetzt ei-
nige Beispiele. Bis zur Londoner Konferenz war Afgha-
nistan Ihr Hitthema. Danach habe ich Sie nicht mehr
über Afghanistan und den Friedensprozess reden hören.
Schnelle Mark, schnelles Thema, Thema war abgehakt.
Aber die Politik ist nicht zu Ende. Wir müssten jetzt den
Frieden afghanisieren und nicht die Afghanisierung des
Krieges fortsetzen.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie haben hier Rot-Grün und Frau Künast – das hat
mir Spaß gemacht – bei der Frage der Rüstungsexporte
kritisiert. Aber wissen Sie, Herr Westerwelle, es macht
die heutige Situation nicht besser, dass auch Rot-Grün
und Schwarz-Rot diese verhängnisvolle Politik eingelei-
tet, durchgesetzt und möglich gemacht haben. Das macht
es nicht besser. Diese Politik bleibt falsch und schlecht.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie bei der Frage der Rüstungsexporte im Prinzip
sagen, dass Sie eine falsche Politik fortgesetzt haben, hat
das keinen Sinn. Sie hätten diese falsche Politik korrigie-
ren müssen. Man hätte von diesem Pult aus deutlich ma-
chen müssen: Wir wollen raus aus dem Geschäft mit
dem Tode.

Sie sollten darüber nachdenken, ob wir uns auf Dauer
diese doppelten Standards in der Politik leisten kön-
nen. Ein bisschen salopp gesagt: Wer Krümmel nicht
vom Netz nehmen will, wird anderen bei der Frage der
Nutzung der Atomenergie schlecht Ratschläge geben
können. Deutschland brilliert in der Welt mit doppelten
Standards; aber dies schadet uns irgendwann.

Ich möchte stattdessen eine beharrliche, langfristige,
durchdachte, gründliche und auf Diplomatie setzende
Außenpolitik. Ich möchte gern, dass Sie verstehen, dass
es keinen Sinn hat, gegenüber dem Iran weiter auf
Sanktionen zu setzen. Das sagen Ihnen alle Leute, die
sich dort auskennen. Man muss den Iran, gerade wenn
man verhindern will, dass er sich Atomwaffen zulegt,
beharrlich in die Staatengemeinschaft zurückführen. Das
heißt, man sollte nicht auf Sanktionen setzen, sondern
auf Diplomatie, auf Debatten und auf Auseinanderset-
zungen bauen. Sie verlieren einen Partner nach dem an-
deren, wenn Sie nur auf Sanktionen setzen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich finde, langfristig gesehen kann man im Nahost-
konflikt nur durch ganz konsequente Diplomatie etwas
bewegen. Sie sind viel herumgereist in der Welt. Das
werfe ich Ihnen gar nicht vor; das ist Ihre Aufgabe als
Außenminister.





Wolfgang Gehrcke


(A) (C)



(D)(B)


(Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär: Da hat er aber Glück gehabt!)


– Hier wird gesagt, da habe er Glück gehabt. Wenn Sie
möchten, werfe ich Ihnen das auch vor; aber lassen wir
das. Ich werfe Ihnen das nicht vor.

Ich möchte gern wissen: Was machen Sie in Bezug
auf Länder wie Syrien? Syrien ist ein Schlüsselland,
wenn man den Nahostkonflikt lösen möchte.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ach nee!)


– Ja, das wissen auch Sie. – Welche Politik betreiben Sie
in der Auseinandersetzung mit der israelischen Regie-
rung? Ich habe vernommen, dass Sie den Siedlungsbau
kritisiert haben. Man muss klipp und klar sagen: Wer
den Siedlungsbau fortsetzt, dem darf man keine Waffen
liefern.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie bilden deutsche Bundeswehrpiloten in Israel an
Drohnen aus, die in Afghanistan eingesetzt werden sol-
len. So einen Schwachsinn kann doch keiner ernsthaft
als Politik bezeichnen. Es wäre richtig, zu sagen: Wir
liefern in ein Land, das eine solche Politik betreibt, nicht
weiter Waffen. Das hätte politische Wirksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Außenminister, ich möchte gerne, dass man
nicht nur, wie es im Koalitionsvertrag steht, Außenpoli-
tik macht, um Deutschlands Platz auf dem Weltmarkt zu
verbessern. Ich möchte vier Eckpfeiler verankert sehen:
erstens sich konsequent für das Völkerrecht einzusetzen,
also eine Völkerrechtspartei zu sein, zweitens weltweit
eine Partei der sozialen Gerechtigkeit zu werden, drit-
tens auf Abrüstung zu setzen – hier haben Sie recht –
und viertens mehr Demokratie in die Außenpolitik zu
bringen. Deutsche Außenpolitik muss Friedenspolitik
werden. Das ist die Zielrichtung der Partei und Fraktion
Die Linke.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703005000

Nun hat das Wort der Kollege Herbert Frankenhauser

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Herbert Frankenhauser (CSU):
Rede ID: ID1703005100

Verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen

und Kollegen! Ich möchte ein Angebot wiederholen, das
ich bereits im Haushaltsausschuss gemacht habe. Vorab
möchte ich allerdings feststellen: Man hat nicht den Ein-
druck, hier in der Haushaltsdebatte zu sein – ich bitte
deswegen, nicht zu erschrecken, wenn ich als Haushälter
hernach etwas detaillierter über den Haushalt sprechen
werde –, sondern ich habe eher den Eindruck, hier han-
delt es sich um eine Reisedebatte.

Ich wiederhole, wie gesagt, mein Angebot. Ich
glaube, ich bin der dienstälteste Berichterstatter für den
Bereich des Auswärtigen Amtes. Ich habe viele Außen-
minister sozusagen haushalterisch begleiten dürfen. An
diesem reichhaltigen Fundus, was Amtsausstattung, Rei-
sen und Delegationen anbelangt, und zwar in Bezug auf
Außenminister jedweder Couleur, würde ich gerne alle
Kolleginnen und Kollegen teilhaben lassen. Ich stehe bei
Bedarf immer gerne zu detaillierten Auskünften bereit.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich bedanke mich zunächst bei Herrn Dr. Morhard
und seinen Mitarbeitern aus dem Auswärtigen Amt für
die hervorragende Unterstützung, nicht nur während der
Haushaltswochen, sondern auch über das ganze Jahr hin-
weg. Ich bedanke mich bei meinen Kolleginnen und
Kollegen für die sehr harmonische Zusammenarbeit in
den Berichterstattergesprächen. Ich bedanke mich auch
bei Ihnen, Herr Minister, dass Sie in Bezug auf das Mit-
arbeiterbeurteilungssystem bereits erste Schritte ein-
geleitet haben – das ist den Mitarbeitern im Auswärtigen
Amt ein sehr wichtiges Anliegen – und dass Sie Ihre Be-
reitschaft erklärt haben, sich für mehr Gegenseitigkeits-
abkommen mit anderen Staaten hinsichtlich der Berufs-
tätigkeit von Partnerinnen und Partnern, die im
auswärtigen Dienst tätig sind, einzusetzen.

Der Staatshaushalt

– so sagte es der berühmte Kabarettist Werner Finck –

ist ein Haushalt, in dem alle essen möchten, aber
niemand das Geschirr spülen will.

Das ist wohl richtig. Trotzdem haben wir unsere Arbeit
erledigt. Der erste Regierungsentwurf war schon ganz
ordentlich, Herr Kollege Brandner. Der zweite war ei-
gentlich ganz gut. Aber den Feinschliff haben die parla-
mentarischen Beratungen gebracht, wobei sich die Op-
position nicht so sehr mit Ruhm bekleckert hat.

Herr Kollege Brandner, ich wusste nicht: Ist Ihre
Rede mehr Zustimmung oder mehr Ablehnung? Wenn
wir Ihren Vorschlägen gefolgt wären, hätten wir noch
eine Unterdeckung in Höhe von 2,362 Millionen Euro
zu verzeichnen. Bis jetzt ist unbekannt, woher dieser Be-
trag kommen soll. Auch wir könnten umfangreiche
Wünsche äußern. Ein Außenminister namens Joschka
Fischer hat einmal gesagt: Ohne Moos nichts los.

Ganz abenteuerlich wird es bei den Grünen. Die Grü-
nen haben einen Wunschkatalog aufgestellt, der sage
und schreibe 283 Millionen Euro erfordern würde. Sie
haben aber keinen einzigen Vorschlag gemacht, woher
dieses Geld kommen soll.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Wir haben eine Gegenfinanzierung!)


– Die ist nirgendwo gestanden, jedenfalls nicht in den
Änderungsanträgen, die Sie in den Haushaltsausschuss
eingebracht haben. Vielleicht haben Sie die in einem
Rucksack mit sich herumgetragen;


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


das mag sein. Bei uns ist jedenfalls nichts angekommen.






(A) (C)



(D)(B)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703005200

Herr Kollege Frankenhauser, gestatten Sie denn eine

Zwischenfrage des Kollegen Kindler?


Herbert Frankenhauser (CSU):
Rede ID: ID1703005300

Bitte.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kollege Frankenhauser, würden Sie mir zustimmen,
dass man im Haushalt Prioritäten setzen kann, dass
man gerade bei ziviler Krisenprävention, bei den Mitteln
für Afghanistan und bei anderen Punkten, wo wir deut-
sche Friedenspolitik umsetzen wollen, Aufwüchse vor-
sehen kann, auch um die ODA-Quote zu erfüllen?

Wir Grünen schlagen als Gegenfinanzierung vor
– ich habe das im Haushaltsausschuss gesagt; Sie erinnern
sich vielleicht an die Debatte mit Jürgen Koppelin –, auf
Flugtickets eine Abgabe zu erheben, wie es in Frank-
reich gemacht wird, wie es in Großbritannien gemacht
wird, wie es in den Niederlanden gemacht wird. Das
würde über 2 Milliarden Euro im Jahr einbringen; das
wäre eine ausreichende Gegenfinanzierung. Stimmen
Sie mir zu, dass diese Debatte im Haushaltsausschuss so
war und dass wir damit eine solide Gegenfinanzierung
vorgestellt haben?


Herbert Frankenhauser (CSU):
Rede ID: ID1703005400

Ich stimme Ihnen zu, dass wir eine Debatte hatten. Ob

die solide war, will ich bezweifeln.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Gehen Sie einmal zum Bäcker, verlangen Sie fünf
Semmeln und sagen: Ich habe eine gute Idee; ich komme
in zwei Jahren vorbei und bezahle sie Ihnen. Ich will da-
mit sagen: Das ist ja alles wunderschön; aber man muss
im Haushalt konkrete Deckungsvorschläge machen, man
kann nicht mit theoretischen Zahlen hantieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir gemacht!)


So kann man keine solide Haushaltspolitik machen.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703005500

Kollege Frankenhauser, es gibt eine weitere Bitte

nach einer Zwischenfrage, und zwar vom Herrn Kolle-
gen Brandner.


Herbert Frankenhauser (CSU):
Rede ID: ID1703005600

Bitte, gerne, immer.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703005700

Herr Kollege Brandner, bitte.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1703005800

Sehr geehrter Herr Kollege Frankenhauser, zuallererst

möchte ich bestätigen, dass die Beratungen, wie ich
schon angesprochen habe, wirklich sehr harmonisch und
von dem Willen geprägt waren, Einvernehmen zu erzie-
len.

Bezüglich der Datenlage, wie Sie sie dargestellt ha-
ben – dass bei der Gegenfinanzierung, wenn ich das
richtig gehört habe, 2,3 Millionen Euro fehlen würden –,
vermute ich, dass Sie oder Ihr Büro oder Ihre Aktenlage
nicht alles ganz richtig erfasst haben.


(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ CSU]: Ist das jetzt die Frage?)


Wir haben mehr als eine einzelne Gegenfinanzierung
vorgeschlagen. Ich kann Ihnen das gerne noch einmal
unterlegen.


(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ CSU]: Kommt jetzt noch die Frage?)


– Es ist schon wichtig, dass, wenn hier etwas festgestellt
wird, darauf geantwortet wird. Wenn Sie das beunruhigt,
können wir das auch auf andere Art und Weise machen.

Es liegt mir daran, dass deutlich wird: Bei diesen Be-
ratungen ist es der SPD-Fraktion darum gegangen, eine
Unterfinanzierung zu verhindern und eine sachlich bezo-
gene Gegenfinanzierung der Forderungen vorzuschla-
gen. Ich bin gerne bereit, die entsprechenden Unterlagen
vorzulegen.


(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Die Frage ist, ob das sachlich war!)



Herbert Frankenhauser (CSU):
Rede ID: ID1703005900

Ich werte das als wohlgemeinte Frage und bin gerne

bereit, Ihnen Ihre Absicht zu bestätigen. Alles andere
können wir gerne noch persönlich klären, Kollege
Brandner.

Jetzt weise ich noch auf ein paar wesentliche Verän-
derungen hin, die wir im Rahmen der Haushaltsberatun-
gen vorgenommen haben: Wir haben zum Beispiel die
Mittel für die Programmarbeit, also für Kulturpolitik, um
2,48 Millionen Euro erhöht. Wir haben die Mittel für den
Stabilitätspakt für Afghanistan um 90 Millionen Euro er-
höht, den Titel für Menschenrechte um 1,5 Millionen
Euro und die Mittel für Minenräumung um 1 Millionen
Euro. Wir haben den Titel für den Volksbund Deutsche
Kriegsgräberfürsorge noch einmal um 300 000 Euro ver-
stärkt, die dafür gedacht sind, dass wir gemeinsam mit
dem VDK beginnen, den Opfern nationalsozialistischer
Gewalttaten, zum Beispiel in der Ukraine, eine letzte,
würdige Ruhestätte zu verschaffen. Ich halte das für
dringend geboten. Wir wollen diese Aufgabe jetzt in An-
griff nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben den Titel für Schulen im Ausland um
5 Millionen Euro erhöht, weil wir darin, unsere Schulen
im Ausland zu verstärken, eine ganz wichtige Aufgabe
sehen.


(Beifall des Abg. Harald Leibrecht [FDP])


Bei dieser Gelegenheit begrüße ich die zahlreich anwe-
senden Vertreter des Bundesrates.





Herbert Frankenhauser


(A) (C)



(D)(B)


(Auf der Bundesratsbank ist niemand zugegen – Heiterkeit und Beifall)


Ich möchte noch einmal den Appell an die Bundesländer
richten – ich bitte auch die Bundesregierung, die ja mit
den Bundesländern ständig Gespräche führt, noch ein-
mal darauf hinzuwirken –, bei der bisherigen Regelung,
dass die Lehrer an Auslandsschulen kofinanziert wer-
den, zu bleiben. Würde die Kofinanzierung abgeschafft,
müssten wir circa 200 Lehrkräfte aus dem Ausland ab-
ziehen, weil wir sie mit den bisherigen Mitteln nicht fi-
nanzieren könnten. Ich denke, alle Kolleginnen und Kol-
legen, quer durch alle Fraktionen, wären gut beraten,
dieses Ansinnen zu unterstützen und bei ihrem jeweili-
gen Landeskulturminister vorstellig zu werden, dass er
es bei der bisherigen Regelung, die sich bewährt hat, be-
lassen möge.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben den Titel „Afghanistan“ um 90 Millionen
Euro auf nunmehr 180,7 Millionen Euro im Bereich des
Auswärtigen Amtes erhöht. Davon gehen 35 Millionen
Euro in die Verstärkung des Polizeiaufbaus, 35 Millio-
nen Euro in schnell wirkende Stabilisierungsprojekte im
Norden Afghanistans, 10 Millionen Euro in eine Beteili-
gung am Reintegrationsfonds und 10 Millionen Euro in
den Verwaltungs- und Justizaufbau.

Ich nehme immer gern die Gelegenheit wahr, Herr
Außenminister, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein
paar kritische Worte zum Thema Europa zu sagen. Ich
möchte als Erstes wiederholen, was ich leider schon ver-
gebens angesprochen habe. Ich denke, man muss über
die Visumpraxis, wie wir sie handhaben, noch einmal
intensiv nachdenken. Es kann meines Erachtens nicht
angehen, dass unser Konsulat in Sankt Petersburg etwa
40 000 Visa im Jahr ausstellt, die Finnen – übrigens ein
Schengen-Staat – etwa 150 000 Visa.

Ich als Haushälter sehe einfach nicht den sicherheits-
politischen Sinn – oder mir fehlt die Erkenntnis –, was es
bringen soll, wenn Russen oder Esten mit einem finni-
schen Visum in Deutschland einreisen, aber das deutsche
Konsulat ein Visum nur in einem sehr langwierigen Pro-
zess ausstellen kann. Wenn das nicht EU-weit geregelt
werden kann, was offensichtlich der Fall ist, sollten wir
uns national etwas überlegen, damit nicht Geschäftsleute
– natürlich finde ich es gut, wenn diese nach Deutsch-
land reisen – zuerst zu den Finnen gehen müssen, damit
sie etwas unkomplizierter zu einem Visum kommen.


(Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Recht hat er!)


Dann habe ich bislang immer gehört, mit dem Ver-
trag von Lissabon, der nun beschlossen ist, werde alles
viel besser und einfacher werden. Die erste Erkenntnis,
die ich inzwischen gewonnen habe, ist, dass allerorten
nach mehr Personal gerufen wird. Als Begründung wird
der Vertrag von Lissabon genannt. Wir haben zwar über
den Einzelplan 05 gesprochen, aber es zieht sich durch
alle Einzelpläne. Alle Ministerien erklären: Wegen des
Vertrags von Lissabon brauchen wir mehr Personal,
nicht zuletzt deswegen, weil wir den Bundestag besser
unterrichten müssen. Ich möchte anmahnen, dass sich
die Bundesregierung auf ein vernünftiges und personal-
sparendes Verfahren einigt, in dem der Bundestag aus-
reichend informiert wird.

Ein besonderes Anliegen ist auch immer die Haus-
haltsführung und die Mittelverwendung der Europäi-
schen Union. Es beginnt damit, dass zurzeit der Posten
des Generaldirektors bei der Antibetrugsbehörde
OLAF anscheinend nicht rechtmäßig besetzt ist. Deswe-
gen sind mehrere hundert Betrugsverfahren in Gefahr, zu
kippen. Ich denke, bei den Milliardenbeträgen, die in der
EU rechtswidrig erschlichen werden, überwiegend durch
mehr oder weniger angesehene Mitgliedstaaten, muss
eine funktionierende Antibetrugsbehörde vorhanden
sein.

Es geht zum Beispiel nicht an, dass etwa die EU der
Türkei 700 Millionen Euro jährlich zur Vorbereitung der
Aufnahme in die EU zukommen lässt, aber der Europäi-
sche Rechnungshof erklärt, dass bei über der Hälfte des
Geldes nicht nachkontrolliert werden kann, wo es gelan-
det ist. Wir sind es auch den deutschen Steuerzahlern
schuldig, gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass mit
dem Geld der Steuerzahler auch auf europäischer Ebene
sorgfältig umgegangen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Eine besondere Blüte scheint sich bei dem neuen
Europäischen Auswärtigen Dienst zu ergeben. So wie
es aussieht, ist eine geschätzte Baroness dabei, einen Be-
hördenapparat mit 7 000 bis 8 000 Mitarbeitern aufzu-
bauen. Es ist aber noch nicht geregelt, welche Kompe-
tenz die Behörde der Baroness als solche haben wird. Es
gibt auch noch keinen Organisationsplan. Man weiß ei-
gentlich gar nicht, was diese 7 000 bis 8 000 Mitarbeiter
tun sollen. Ich könnte es mir als zweckmäßig vorstellen,
dass man diese offenen Fragen klärt, bevor man nun ei-
nen zweiten Riesenapparat in Brüssel aufbaut.

Ich erwarte zu gegebener Zeit auch eine Äußerung
von Ihnen, verehrter Herr Außenminister, dahin gehend,
dass es nicht eine reine Parallelinstitution geben wird. Es
gibt schon erste Stimmen, die sagen: Gerade weil der
Europäische Auswärtige Dienst so stark und so bedeu-
tend werden soll, müssen die nationalen Auswärtigen
Dienste zusätzlich gestärkt werden. Ich glaube also, auch
im Hinblick auf die noch anstehenden Konsolidierungen
unserer öffentlichen Haushalte muss hier eine Doppel-
funktion vermieden werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP])


Zum Schluss habe ich noch eine Bitte bzw. Anregung,
Herr Außenminister. Mir fällt auf, dass wir weltweit Jahr
für Jahr leider sehr viele Katastrophenfälle zu beklagen
haben. Wir basteln uns jetzt einen Europäischen Aus-
wärtigen Dienst, haben x Kommissionen und was weiß
ich noch alles. Mir fehlt ein europäischer Katastro-
phenhilfsdienst.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Genau das machen wir!)






Herbert Frankenhauser


(A) (C)



(D)(B)

Ich halte es für ein humanistisches, zivilisiertes Mittel-
europa für nicht hinnehmbar, dass zuerst einmal 10 oder
14 Tage vergehen, bis sich irgendein Mitgliedstaat da-
rauf besinnt, dass man nach Erdbeben möglicherweise
schweres Gerät braucht, er aber nicht weiß, wie man das
dorthin bringen kann.


(Beifall der Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP] und Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Ich denke, es wäre eine wirklich lohnenswerte Auf-
gabe – auch für die Europäische Union –, eine zivile
Hilfsorganisation zu gründen und einen zivilen Einsatz-
plan zu erstellen, um bei solchen Katastrophen den be-
troffenen Menschen schneller helfen zu können.

Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703006000

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Westerwelle, Sie sind jetzt seit fünf Monaten im Amt des
Außenministers, wenn ich richtig gerechnet habe, und
meines Erachtens ist noch immer völlig unklar, wohin
die deutsche Außenpolitik steuert. Auch in Ihrem Bei-
trag heute haben Sie meines Erachtens nichts Vorwärts-
weisendes dazu beigetragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Roth [Heringen] [SPD])


Ich will heute hier darüber reden; denn bei der Haus-
haltsdebatte geht es auch um eine Generaldebatte über
die deutsche Außenpolitik und darum, wohin sie steuert.

Es wird viel über Sie persönlich geschrieben und viel
über Sie geredet. Das haben Sie mit Ihren – ich möchte
sagen – diffamierenden Sprüchen zu Hartz IV erreicht.
Das sieht die Kanzlerin ja wohl auch so.

Was aber ist Ihre Linie in der Außenpolitik? Das ist
bis heute nicht erkennbar. Wie denn auch? Sie verzetteln
sich in diversen Rollen als Parteivorsitzender, als eifriger
Spendensammler, als hartzpolitischer Sprecher der Frak-
tion, und Sie tanzen auf vielen Hochzeiten. Dabei bleibt
die Außenpolitik eben auf der Strecke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage: Sie haben bis heute keinen Kompass; Sie
wissen nicht, was Sie mit diesem Amt wollen. Da Sie
Ihre Rolle als Außenminister bis heute nicht gefunden
haben, frage ich mich wirklich: Wie wollen Sie denn
dann Deutschlands Rolle in der Welt bestimmen? Das
wird nicht gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703006100

Frau Kollegin Müller, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Koppelin?

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Bitte schön.


(Ute Kumpf [SPD]: Wenn es sein muss!)



Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1703006200

Danke, Frau Kollegin. – Da Sie gerade so schön in

Fahrt sind, darf ich Sie einmal etwas fragen. Ich habe
hier ein Programm, wonach Ihr Parteivorsitzender, Herr
Özdemir, in Begleitung von Frau Vollmer und anderen
gestern in China gewesen ist. In der Zeit von 15 Uhr bis
17 Uhr war gestern ein Gespräch in der internationalen
Abteilung beim Zentralkomitee der Kommunistischen
Partei Chinas vorgesehen, und das Arbeitsgespräch lief
unter dem Motto „Zusammenarbeit zwischen den beiden
Parteien“.

Ich darf einmal fragen: Ist das Ihre Richtung? Ist da-
bei schon etwas herausgekommen?


(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)


Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Ich weiß jetzt nicht, was daran lustig ist; ich kann Ih-
nen dazu nichts sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Ich finde es völlig normal, dass man solche Gespräche
führt.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, natürlich gibt es Gespräche!)


Sie brauchen uns in der Debatte jetzt auch nicht mit Zwi-
schenfragen zu nerven, mit denen Sie ablenken, und mit
dieser Frage wollten Sie ablenken.


(Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zurufe von der FDP: Das war zum Thema! – Wir stellen auch weiterhin Zwischenfragen!)


– Ich habe nichts dagegen, und Sie werden das auch tun.

Es wird erwartet, dass der Außenminister Deutsch-
lands Rolle in der Welt definiert: in Afghanistan, im
Nahen Osten, im Iran, in Europa und in Amerika. Zu al-
ledem sagen Sie nichts, oder es kommen nur dünne
Schlagworte.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte einmal einige Überschriften zitieren: „Der
Mann ohne Antworten“, „Minister für Freundschaft“,
„Westerwelles Stilbrüche“. Heute titelt die FTD, die nun
wirklich nicht ein linksliberales Blatt ist – ich möchte
nicht den ganzen Kommentar vorlesen; am Ende ist er
nämlich wirklich vernichtend –: „Möllemann der
Zweite“.


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Pfui!)






Kerstin Müller (Köln)



(A) (C)



(D)(B)

Soll ich vorlesen, was dort steht?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Fragen Sie lieber nicht.

Sie empören sich darüber, dass sich die Öffentlichkeit
nur noch für die Reisebegleitung und nicht mehr für die
Inhalte interessiert. Sie sagen: Das ist eine Kampagne
der Opposition. Die FDP stellt sich hier heute Morgen
als Opfer hin. Aber täuschen Sie sich nicht. Die Bürge-
rinnen und Bürger stellen diese Fragen nämlich auch.
Das ist an den Umfragewerten zu erkennen. Ich bin
jetzt seit 15 Jahren in diesem Parlament. Es hat immer
Schwierigkeiten gegeben, manchmal auch bei den Au-
ßenministern. Aber noch nie ist ein Außenminister im
ersten halben Jahr seiner Amtszeit in den Umfragewer-
ten so abgestürzt. Ich werde jetzt nicht auf Ihre Zustim-
mungsquote eingehen.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das bringt doch inhaltlich gar nichts!)


– Hören Sie mir bitte zu. Nur noch 26 Prozent der be-
fragten Bürger sind der Ansicht, dass Herr Westerwelle
Deutschland als Außenminister gut vertritt. 77 Prozent
– dazu gehören auch die Anhänger der FDP – sind der
Meinung, dass Joschka Fischer seine Sache gut gemacht
hat. 70 Prozent sind der Ansicht, dass Herr Steinmeier es
gut gemacht hat. Das ist der Unterschied. Sie stürzen ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Man traut Ihnen nicht mehr zu, dass Sie das Amt des Au-
ßenministers seriös ausüben.

Hören Sie auf, das Ganze als Majestätsbeleidigung zu
sehen.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Es geht um die rote Linie!)


– Es geht sehr wohl um Inhalte. Es geht nämlich um
das Amt des Außenministers, das von Herrn Westerwelle
beschädigt wird. Es geht darum, dass das die Mehrheit
der Deutschen so sieht. Es geht darum, dass Herr
Westerwelle nicht in der Lage ist, Deutschlands Rolle in
der Welt zu bestimmen,


(Widerspruch bei der FDP)


weil er sich mit Parteispenden, parteitaktischen Ge-
schichten und in seinen Rollen hier zu Hause verzettelt
hat und weil er nicht zwischen persönlichen, dienstli-
chen und parteitaktischen Dingen trennen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Niemand hat etwas dagegen, dass Außenpolitik auch
Außenwirtschaftspolitik ist. Alle vorherigen Außenmi-
nister haben Delegationen auf ihre Reisen mitgenom-
men; das gilt auch für andere Minister. Darum geht es
aber nicht. Es geht vielmehr um die Kriterien für die ein-
zelnen Teilnehmer an den Delegationen. Wieso liegt es
zum Beispiel im deutschen Interesse, den Unternehmer
Boersch auf eine Dienstreise mitzunehmen, der ein Un-
ternehmen mit Sitz in der Schweiz hat, das in Deutsch-
land bis heute keinen Euro Steuern bezahlt hat? Wieso
nimmt man ihn mit? Weil er ein guter Freund des Herrn
Westerwelle ist? Welche großen deutschen Interessen
vertritt eine Frau Schlinkert,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist das eigentlich?)


ihres Zeichens Mitglied im Kulturausschuss der Stadt
Bonn? Warum wurde sie mitgenommen? Man wird be-
stimmt nichts zu ihr finden, das belegt, dass sie etwas
mit deutscher Außenpolitik zu tun hat oder ihre Mit-
nahme von deutschem außenpolitischen Interesse war.
Sie behaupten aber, dass Sie die Leute deshalb mitneh-
men. Hier haben Sie wohl eher ein persönliches Verspre-
chen auf Staatskosten eingelöst, oder nicht?

Ich sage Ihnen, Herr Außenminister: Sie allein haben
es in der Hand, dem Deutschen Bundestag und der Öf-
fentlichkeit darzulegen, was die Kriterien für die Mit-
nahme auf eine solche Reise sind. Sie haben es in der
Hand, zu erklären, dass diese Reisen keine FDP-Be-
triebsausflüge sind und nicht FDP-Spender bevorzugt
eingeladen werden oder gar Vertreter bestimmter Fir-
men, weil Ihr Bruder an einer dieser Firmen Anteile hat.
Wir und die Öffentlichkeit erwarten, dass diese Fragen
beantwortet werden. Sie allein tragen die Verantwortung.
Schieben Sie sie nicht auf andere. Sie haben es in der
Hand, dass dieses Amt nicht weiter beschädigt, sondern
in Würde ausgeführt wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Wirres Zeug reden Sie hier!)


Jetzt komme ich zur Außenpolitik.


(Beifall bei der FDP)


Ich möchte vor allem auf die Lateinamerikareise zu
sprechen kommen. Das war ein großartiger Erfolg. Soll
ich Ihnen einmal erzählen, wie die Journalisten das se-
hen? Ich habe wirklich versucht, herauszufinden, wie die
Bilanz dieser wichtigen Lateinamerikareise aussah. Herr
Westerwelle fand alles „ganz außerordentlich“. Er fand
es „sehr schön“, und er fand es „enorm“. Er fand, dass es
von „großer strategischer Bedeutung“ war. Aber selbst
den Gastgebern soll wohl schleierhaft geblieben sein,
worin denn der deutsche Außenminister ihre strategische
Bedeutung sieht.

Ich zitiere einmal die mitfahrenden Journalisten, die
sich mit den Inhalten dieser Reise beschäftigt haben. Sie
sagen, dass Herr Westerwelle „in immer gleichen Wor-
ten so gut wie nichts sagt“ – dies stammt aus der Süd-
deutschen Zeitung –, dass die „Pose das Programm er-
setzt hat“ und dass „der Meister der Schlagworte“
unterwegs gewesen ist. Das ist die Bilanz Ihrer Latein-
amerikareise. Ich finde nicht, dass man darauf unbedingt
stolz sein kann. Das ist auch nicht verwunderlich. Über
Ihr Amtsverständnis konnte man in einem Interview in
der BamS nachlesen, in dem Sie gesagt haben: „Ich will
mir nicht ein paar schöne Jahre im Auswärtigen Amt
machen und die Welt kennenlernen.“ – Ich finde, genau





Kerstin Müller (Köln)



(A) (C)



(D)(B)

das spiegelt Ihr Verständnis von Außenpolitik wider. Sie
verstehen Außenpolitik eher als Touristikunternehmen
oder sehen sich bestenfalls als Handlungsreisender,
wenn Sie zum Beispiel die Interessen der deutschen
Atomindustrie in Brasilien vertreten. Ich meine: Das ist
definitiv zu wenig.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Oh!)


Ein deutscher Außenminister ist kein Handlungsreisen-
der. Sie aber haben eine Hermesbürgschaft für Angra 3
in Aussicht gestellt, obwohl das AKW in einem Erdbe-
bengebiet gebaut werden soll und obwohl Brasilien nicht
bereit ist, das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrver-
trag zu unterzeichnen,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


wofür wir aber dem Iran gegenüber massiv eintreten.
Das ist außenpolitisch unverantwortlich und enthält we-
nig Substanz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich kann andere Themen nennen, zum Beispiel das
Thema Nahost, das für die deutsche Außenpolitik von
zentraler Bedeutung ist. Man spricht von der schlimms-
ten Krise in den Beziehungen zwischen Israel und den
USA. Das kann ich verstehen; denn das, was die israeli-
sche Regierung gemacht hat, ist ein Affront. Die neuen
Siedlungen in Ostjerusalem sind ein Hindernis für den
Frieden. Israel muss diesen neuen Siedlungsbau zurück-
nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich frage mich allerdings, wo der deutsche Außenmi-
nister bei diesem zentralen Thema ist. Ich habe recher-
chiert: Es gibt nichts außer einer dürftigen Pressemittei-
lung. Stattdessen wird die Kanzlerin zitiert. Die
Kanzlerin und der Verteidigungsminister – das sehen die
Bürgerinnen und Bürger übrigens in Umfragen
genauso – machen Außenpolitik. Sie bestimmen, was in
Afghanistan, im Iran, in Nahost und im Libanon passiert.

Ein anderes Beispiel: Gerade war der libanesische
Ministerpräsident Hariri in Deutschland. Wir haben ihn
gestern getroffen. Die Kanzlerin hat sehr klar gesagt,
dass sie alles dafür tun wird, damit die UNIFIL-Mission
fortgesetzt wird. Auf meine Frage nach den Folgen unse-
res möglichen Rückzugs – das ist die Position der FDP –
hat Ministerpräsident Hariri sehr deutlich gesagt, dass
dies ein sehr negatives Signal wäre; denn die UNIFIL-
Mission hat den Libanon in die stabilste Situation seit
40 Jahren gebracht. Wenn gerade die Deutschen ausstei-
gen, die den stärksten Beitrag unter den Europäern lie-
fern, wäre dies ein negatives Signal. Sie würden sich da-
mit quasi von den P5-plus-1 verabschieden und ihre
entscheidende Rolle im Nahen Osten verlieren.

Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703006300

Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit. Sie

ist überschritten.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Ich komme zum Schluss. – Was macht der deutsche
Außenminister? In der erwähnten Pressemitteilung äu-
ßert er sich gar nicht zu diesem Thema. Auch heute war
nichts dazu zu hören. Liegt das daran, dass Sie in partei-
politische Debatten verstrickt sind, und warum haben
Sie das Ganze nicht schon in der letzten Diskussion um
UNIFIL abgeräumt? Deswegen sind Sie nicht sprachfä-
hig, und die Kanzlerin bestimmt die Politik.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703006400

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Redezeit.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Jetzt komme ich zum Schluss. – Sie haben es in der
Hand. Schaffen Sie hier Klarheit! Wenn Sie das nicht tun
und kein Interesse haben, dann sind Sie dieses Amtes
nicht würdig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703006500

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer Stinner

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1703006600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Haushaltsdebatte ist traditionell eine Debatte über
die Grundzüge der Außenpolitik. Das sollte sie auch
sein.

Der Außenminister hat in wenigen Worten einige we-
sentliche außenpolitische Leitlinien dargelegt. Aber er
hat auch schon in den fünf Monaten seit seinem Amtsan-
tritt deutlich gemacht, wohin die Reise geht. Die Opposi-
tion hat Kritik geäußert. Das ist ihr gutes Recht.

Herr Brandner, Ihre Rede würde ich eher als Kompli-
ment an die Bundesregierung verstehen. Sie haben ge-
sagt, dass alles in die richtige Richtung gehe, und zwei
oder drei Kritikpunkte angeführt. Das mussten Sie für
Ihre sozialdemokratischen Seelen tun. Das verstehe ich.
Aber im Wesentlichen haben Sie die Bundesregierung
unterstützt.

Herr Gehrcke, Sie haben sich am Außenminister ab-
gearbeitet und vor allen Dingen die langen Linien ver-
misst. Ich kann Ihnen nur gratulieren; denn Sie zeigen
überdeutlich, wohin lange Linien führen. Sie sind seit
40 bis 50 Jahren konsequent auf der falschen Seite deut-
scher Politik. Das ist konsequent.





Dr. Rainer Stinner


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben eine lange Linie langfristig verfolgt. Das ist
allerdings richtig.

Frau Müller hat den Anschein erweckt, als würde sie
über Inhalte sprechen, konnte aber der übergroßen Ver-
suchung nicht widerstehen. Sehr geehrte Frau Müller,
Sie haben sich dann doch wieder in eine Schlamm-
schlacht hineinbegeben.

Ich habe heute ziemlich viel Papier dabei. Ich habe
eine Auflistung sämtlicher Reisen von Außenminister
Fischer und Außenminister Steinmeier sowie sämtlicher
Spender dabei, die ich im Einzelnen vortragen könnte.
Das mache ich aber nicht, sondern beschränke mich auf
den Hinweis, dass 2004 Herr Fischer einen Unternehmer
mitgenommen hat, der vorher eine Spende gezahlt hat.
Ich nenne den Namen ausdrücklich nicht, weil ich Spen-
den nicht für falsch halte. Sie haben das auch gemacht,
und es ist völliger Unsinn, uns das vorzuwerfen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703006700

Herr Kollege Stinner, gestatten Sie eine Zwischen-

frage von Herrn Nouripour?


Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1703006800

Von Herrn Nouripour? Das ist gut.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703006900

Herr Kollege Nouripour.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703007000

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege

Stinner, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
nicht nur die Grünen Kritik äußern? Sie kennen be-
stimmt den Vizeministerpräsidenten des Landes Hessen,
Jörg-Uwe Hahn.

Er ist Parteivorsitzender der FDP in Hessen. Er hat ges-
tern – das ist heute in der Frankfurter Rundschau nach-
zulesen – auf die Nachfrage einer Zehntklässlerin: „Was
würden Sie tun, Herr Hahn, wenn Sie Guido
Westerwelle wären?“ geantwortet: „Ich würde mich zu-
rückziehen, mir selbst eine Auszeit geben.“ Sind Sie
nicht stolz darauf, dass Sie noch solch weise Mitglieder
in Ihrer Partei haben?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1703007100

Nein, darauf bin ich gar nicht stolz. Ich kann mir nicht

vorstellen, dass der stellvertretende Ministerpräsident ei-
nes Bundeslandes allen Ernstes erwartet, dass der Bun-
desaußenminister 14 Tage lang nichts tut. Ich glaube
daher nicht, dass gemeint war, dass der Bundesaußenmi-
nister sein Amt nicht mehr ausüben soll. So können Sie
uns nicht kommen. Ich weiß, dass nicht nur die Grünen,
sondern auch andere Kritik geübt haben. Ich weiß aber
auch – ich kann Ihnen eine entsprechende Liste vorlegen –,
wer welche Reisebegleiter in den letzten Jahren mitge-
nommen hat. Das betrifft sowohl den Außenminister der
Grünen als auch der SPD. Ich könnte Ihnen die Namen
nennen. Aber wollen wir uns angesichts der Probleme
auf der Welt allen Ernstes auf ein solches Niveau in der
Haushaltsdebatte begeben? Wenn Sie das wollen: Ich bin
bereit dazu, halte es aber für außerordentlich schädlich
und dumm, so etwas zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703007200

Herr Kollege, mir liegen noch zwei Bitten nach einer

Zwischenfrage vor, und zwar vom Kollegen Koppelin
und vom Kollegen Ströbele. Wollen Sie beide Zwischen-
fragen zulassen?


Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1703007300

Ja. Wenn ich die Zwischenfrage von Herrn Koppelin

zulasse, dann muss ich auch Herrn Ströbele die Chance
geben, eine zu stellen.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703007400

Herr Koppelin, bitte sehr.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1703007500

Es passt vielleicht ganz gut, dass der Kollege Ströbele

nach mir eine Zwischenfrage stellt.

Herr Stinner, können Sie sich daran erinnern – da es
aktuell um Personalien geht –, dass in den Planungsstab
des Auswärtigen Amtes, als Joschka Fischer Außenmi-
nister wurde, ein Herr Schmierer kam, der Pol Pot und
die Roten Khmer, die für die massenhafte Tötung von
Kambodschanern verantwortlich sind, bejubelt hat, und
wissen Sie noch, dass wir das kritisiert haben und die
Grünen das trotzdem akzeptiert haben?


Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1703007600

Herr Koppelin, ich kann mich daran erinnern, insbe-

sondere daran, dass wir das damals nachhaltig kritisiert
haben, und zwar völlig zu Recht. Ich bleibe bei dieser
Kritik noch heute.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703007700

Herr Ströbele.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Stinner, Außenminister Westerwelle hat eine
Staatsministerin im Auswärtigen Amt, die aus Ihren Rei-
hen kommt. Sie heißt Cornelia Pieper. Wir hatten vor ein
paar Tagen das Vergnügen einer öffentlichen Diskussion
über die Reisen des Außenministers und die Auswahl
seiner Reisebegleiter. Sie hat in ihrer Not – so bewerte
ich das – gesagt, dass ich die Einzelheiten am Mittwoch
in der Debatte im Deutschen Bundestag erfahren werde,
dann werde der Außenminister selber dazu Stellung neh-
men, insbesondere zu den Kriterien der Auswahl seiner





Hans-Christian Ströbele


(A) (C)



(D)(B)

Reisebegleiter. – Nun bin ich heute Morgen früh aufge-
standen und hierher gekommen


(Lachen bei der FDP)


und warte schon den ganzen Vormittag, ob die Bundes-
kanzlerin oder Herr Westerwelle mir Aufklärung gibt.
Ich hätte gerne Aufklärung darüber – das ist eine nor-
male Frage eines Oppositionsabgeordneten –: Nach wel-
chen Kriterien wählt der Außenminister seine Begleiter
aus, und spielen dabei insbesondere persönliche Kon-
takte, Freundschaften, Spenden oder was auch immer
eine Rolle? Sind Sie bereit, das zu beantworten oder Ih-
ren Außenminister aufzufordern, das zu tun?


Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1703007800

Herr Ströbele, ich benötige jetzt mein Papier mit den

Namen der Reisebegleiter ehemaliger Außenminister
tatsächlich, obwohl ich das nicht wollte. Aber Sie als
Opposition zwingen mich dazu. Ich kann Ihnen bestäti-
gen, sehr geehrter Herr Ströbele, dass Außenminister
Steinmeier elfmal – ich betone: elfmal – von einem
SPD-nahen Verleger begleitet worden ist.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat nach Westerwelle gefragt!)


– Ich möchte die Frage so beantworten, wie ich es will.
Falls Sie von Ihrer Fraktion einmal Redezeit bekämen,
könnten Sie hier vorne auch so agieren, wie Sie wollten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sehr geehrter Herr Ströbele, ich kann Ihnen bestäti-
gen, dass Außenminister Steinmeier elfmal den SPD-na-
hen Unternehmer P. mitgenommen hat und zu diesem
Unternehmer private Beziehungen pflegt; denn die bei-
den bilden eine Wohngemeinschaft. Man könnte also
flapsig sagen: Wohngemeinschafts-Buddys wurden mit
auf Auslandsreisen genommen. Darüber können wir
noch detailliert diskutieren. Ich kann Ihnen jetzt nur sa-
gen, dass das Auswärtige Amt sehr sorgfältig und sauber
plant, wie solche Reisen zusammengestellt werden. Das
war bei Herrn Fischer und Herrn Steinmeier so, und das
wird auch bei Herrn Westerwelle so sein.

Ich darf Ihnen, sehr geehrter Herr Ströbele, auch sa-
gen, dass bei der Reise nach Tokio und Peking, an der
neben Kollegen Ihrer Fraktion auch ich teilgenommen
habe, ein Herr dabei gewesen war, der in den letzten Jah-
ren der SPD und der CDU, nicht aber der FDP gespendet
hat. Auch das nur zur Information. Das heißt, dass hier
nicht nach solchen Kriterien ausgesucht worden ist.
Vielmehr legt das Auswärtige Amt eine Liste vor, aus
der ausgewählt wird. Das war bei Fischer so, das wird
bei Steinmeier so gewesen sein, und das ist bei Herrn
Westerwelle ganz genauso. Diese Praxis wird das Au-
ßenministerium fortsetzen. Sie können sicher sein, dass
dabei die verschiedenen Interessen ausgewogen zur Gel-
tung kommen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703007900

Herr Kollege Stinner, Herr Beck möchte eine Zwi-

schenfrage stellen.


Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1703008000

Sie wollen noch mehr haben? Sie können noch mehr

bekommen, bitte schön.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703008100

Herr Kollege, Sie scheinen zumindest dem Begehren

der Transparenz nicht völlig fernzustehen. Das ist auch
gut. Wir Parlamentarier sollten, egal welche Farbe die
Regierung hat, gemeinsam auf unsere Kontrollrechte
achten. Nun gibt es nicht nur Fragen zu den Delegations-
reisen, sondern auch Fragen zu den Berliner Abenden
des Auswärtigen Amtes in der Villa Borsig.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Sehr gute Frage!)


– Darf ich meine Frage stellen? – Der Außenminister hat
sich meines Wissens auf Nachfragen im Haushaltsaus-
schuss geweigert, die Gäste zu nennen. Ich will gar nicht
sagen, dass da irgendetwas schiefläuft, aber ich kann das
nicht nachprüfen, wenn man dem Parlament die Aus-
kunft verweigert.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das stimmt aber nicht!)


Ich fand die Begründung, dass die Privatsphäre der
Gäste berührt sei, wenn man offenlegt, wer an einer offi-
ziellen Veranstaltung des Auswärtigen Amtes teilnimmt,
besonders beeindruckend. Nun ist das Auswärtige Amt
bekanntermaßen kein Geheimdienst, und es gab wahr-
scheinlich auch keine vertraulichen Gespräche mit ande-
ren Regierungen. Ich hätte Verständnis dafür, dass man
über solche Gespräche nicht alles sagen kann. Unterstüt-
zen Sie das Anliegen unserer Fraktion, dass diese Gäste-
listen offengelegt werden und dabei transparent gemacht
wird,


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Haben sie doch!)


ob die Gäste Förderer und Spender der FDP oder Perso-
nen mit einem außenpolitischen Zusammenhang sind,
bei denen es einen Sinn ergibt, dass sie an den Berliner
Abenden des Auswärtigen Amtes teilnehmen?


Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1703008200

Sehr geehrter Herr Kollege Beck, zunächst einmal

zeigen Sie und Ihre Kollegen, die dieses Thema hochzie-
hen, was von den ersten Kollegen, die hier gesprochen
haben, nicht gemacht worden ist, dass Sie offensichtlich
inhaltlich an der Politik des Außenministers nichts aus-
zusetzen haben. Das nehme ich als großes Kompliment
für die Außenpolitik. Herzlichen Dank dafür. Das zeigt,
dass Sie inhaltlich nichts auf der Pfanne haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn Sie als Parlamentarischer Geschäftsführer einer
Fraktion, die auch schon einige Jahre Regierungsverant-
wortung getragen hat – hoffentlich so bald nicht wieder –,





Dr. Rainer Stinner


(A) (C)



(D)(B)

hier bemängeln, dass der Außenminister und Vizekanz-
ler der Bundesrepublik Deutschland auch eine gesell-
schaftliche Funktion wahrnimmt, indem er gesellschaft-
lich relevante Personen aus allen Kreisen einlädt,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum kann man sich nicht offen dazu bekennen?)


und das kritisieren, dann haben Sie ein Verständnis von
repräsentativer Demokratie, das ich in keiner Weise
nachvollziehen kann.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP)


Ich bin gerne bereit, weitere Mitreisende von SPD-
Ministern und Ministern der Grünen zu nennen. Falls Sie
aber keine weiteren Zwischenfragen haben, würde ich in
den restlichen Minuten gerne einiges zum Inhalt sagen;
denn das sollte der Kern unserer Debatte sein. Wenn Sie
das nicht wollen, dann zeigen Sie, dass Sie inhaltlich
kein Interesse haben.

Der Außenminister hat zu Beginn seiner Amtszeit
sehr deutlich gemacht, dass er sich einerseits in der Kon-
tinuität deutscher Außenpolitik sieht und andererseits
eigene Akzente setzen wird. Wir brechen uns keinen Za-
cken aus der Krone, wenn wir uns zu der Kontinuität der
deutschen Außen- und Sicherheitspolitik bekennen.
Dazu gehören viele FDP-Minister, zu der gehören aber
auch andere Minister wie Herr Fischer und auch Herr
Steinmeier. Herr Westerwelle stellt sich ausdrücklich in
diese Kontinuität. Wir haben auch an dem Haushalt ge-
sehen, sehr geehrter Herr Brandner, dass Kontinuität
herrscht. Das haben Sie uns bestätigt. Herzlichen Dank
für die große Übereinstimmung, die wir hier haben.

Herr Westerwelle hat aber auch gesagt, dass er eigene
Akzente setzt, wie es jeder Minister tut. Er hat damit
sehr früh angefangen und in den ersten Tagen seiner
Amtszeit zuerst eine Reise nach Polen und dann eine
nach Brüssel zur nationalen Regierung angetreten. Die
Regierung in Brüssel hat neun Jahre lang keinen lebendi-
gen deutschen Außenminister mehr gesehen. Er hat da-
mit dokumentiert, dass wir das, was wir sagen, ernst
nehmen, dass wir zwar zu den Großen in Europa gehö-
ren, aber mit den kleinen und mittleren Staaten auf Au-
genhöhe verhandeln. Es war ein deutliches Zeichen, das
er hier gesetzt hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ferner hat er die beiden Begriffe Werte und Interes-
sen in einer neuen Weise intoniert. Wie Kollegen von Ih-
nen habe ich an der Reise nach Peking und Tokio teilge-
nommen. Die nicht verletzende, aber sehr offene und
deutliche Weise, in der der Minister in Peking sowohl
die Menschenrechtsproblematik in China angesprochen
hat als auch für die deutschen wirtschaftlichen Interessen
und damit für die Sicherung von Arbeitsplätzen in
Deutschland eingetreten ist, hat auch anderen Respekt
abgerungen. Nach Abschluss der Reise haben mir Kolle-
gen der Oppositionsfraktionen – um niemandem zu
schaden, möchte ich jetzt keine Namen nennen – gesagt,
dass sie sehr beeindruckend fanden, wie sich der Minis-
ter präsentiert hat. Wenn der Minister so weitermache,
dann werde das eine ganz hervorragende Amtszeit. Ich
wiederhole: Das haben Oppositionsabgeordnete gesagt.
Ich nenne keine Namen, um keine Parteiausschlüsse zu
provozieren; schließlich sind einige unserer Parteien im-
mer sehr schnell damit.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – SvenChristian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So etwas kann sich jeder ausdenken!)


Frau Müller, ich habe nicht das geringste Verständnis
dafür, dass Sie sagen: Auch beim Thema Afghanistan
hat der Außenminister nichts Neues eingebracht. Die
vorherigen Regierungen haben nach bestem Wissen und
Gewissen etwas Gutes und Richtiges versucht. Die Vor-
gängerregierung hat das Thema „vernetzte Sicherheit“
wie eine Monstranz vor sich her getragen. Unter der jet-
zigen Regierung mit diesem Außenminister ist es erst-
mals gelungen, dass Deutschland international Akzente
setzt – das haben wir immer gefordert –: Die Konferenz
in London ist von Deutschland angeschoben, moderiert
und getrieben worden; das war deutsche Außenpolitik.
Auch das Ergebnis kann sich sehen lassen; das werden
Sie gar nicht abstreiten können. Damit sind die Probleme
Afghanistans zwar nicht auf einen Schlag gelöst, aber es
ist eine bestimmte Richtung eingeschlagen worden: Erst-
mals hat die NATO eine gemeinsame Strategie verabre-
det, und gleichzeitig ist ein Weg aufgezeigt worden, wie
wir das Land eines Tages verlassen werden können. Das
ist neu.

Ich bezweifele gar nicht, dass Sie das Gleiche woll-
ten. Nur, meine Damen und Herren, der beste Beweis für
das Wollen ist das Tun – und Sie haben das Notwendige
nicht getan, während es die neue Bundesregierung unter
Führung des Außenministers getan hat. Das ist ein nach-
haltiger neuer Akzent. Man kann gar nicht energisch ge-
nug darauf hinweisen, dass es eine neue Qualität deut-
scher Außenpolitik ist.


(Beifall bei der FDP)


Ich komme auf das Thema Abrüstung zu sprechen.
Frau Müller, auch beim schlechtesten Willen – den ich
Ihnen sonst nicht unterstelle; aber Ihre heutige Rede deu-
tet darauf hin, dass Sie vielleicht auch da ein bisschen
abgerutscht sind – können Sie nicht bezweifeln, dass der
Außenminister bezüglich der Abrüstung neue, energi-
sche Akzente gesetzt hat. Auf dieses wichtige Thema hat
er auch heute trotz seiner kurzen Redezeit ausdrücklich
hingewiesen. Es ist eine glückliche Fügung, dass wir
jetzt im Einklang mit unseren amerikanischen Verbünde-
ten sind. Die Bundesregierung wird dieses Thema unter
Führung des Außenministers weiterhin energisch behan-
deln. Er hat dabei unsere große Unterstützung.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Ihre Kritik war nicht inhaltlicher Art. Auf die von
Herrn Gehrcke skizzierten langen Linien bin ich einge-
gangen. Frau Müller, Sie haben der Versuchung nicht
widerstanden, hier auf die Pauke zu hauen. Ihre Kritik ist
inhaltlich nicht fundiert. Die Außenpolitik hat nach
140 Tagen Fahrt aufgenommen. Die Leitlinien sind ge-





Dr. Rainer Stinner


(A) (C)



(D)(B)

setzt. Diese Bundesregierung unter Führung des Außen-
ministers wird sich auf die Koalitionsfraktionen – auf je-
den Fall auf meine Fraktion, aber, wie ich weiß, auch auf
die Unionsfraktion – stützen können, sodass wir diese
sachorientierte, wertegeleitete, interessengeleitete deut-
sche Außenpolitik erfolgreich fortsetzen werden. Dafür
werden wir sorgen. Egal was für einen Tanz Sie anstel-
len: Sie werden uns von diesem richtigen Weg nicht ab-
bringen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie mauern doch bei den Informationen!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703008300

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich nun

dem Kollegen Koppelin.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1703008400

Der Kollege Volker Beck hat in einer Zwischenfrage

behauptet, der Bundesaußenminister habe sich im Haus-
haltsausschuss geweigert, zu ermöglichen, dass Listen
eingesehen werden, aus denen hervorgeht, wer Gast in
der Villa Borsig gewesen ist. Der Sachverhalt ist fol-
gendermaßen – ich bin Mitglied im Haushaltsausschuss,
Sie nicht, Herr Kollege Beck –: Zwei Kollegen aus dem
Haushaltsausschuss – einer ist Mitglied Ihrer Fraktion –
haben entsprechende Listen eingesehen


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eine einzige Liste!)


– meinetwegen haben sie nur eine Liste eingesehen; da-
rüber streite ich mich mit Ihnen gar nicht –, auf denen
steht, wer in die Villa Borsig eingeladen war. Diese Liste
hat sich anschließend in den Medien wiedergefunden,
mit Namensnennung und Abqualifizierung dieser Gäste.
Es wurde zum Beispiel geschrieben, das seien B-Promis
gewesen. Unter den Gästen waren Botschafter. In den
Medien sind übrigens auch Botschafter genannt worden,
die gar nicht dabei waren; auch das muss man einmal zur
Kenntnis nehmen.

Wenn der Bundesaußenminister Gäste einlädt, dann
kann es nicht angehen, dass diese anschließend in den
Medien persönlich abqualifiziert werden, weil Kollegen
aus dem Ausschuss eine entsprechende Liste einsehen
konnten. Insofern unterstütze ich, dass der Bundes-
außenminister gesagt hat: Zukünftig gibt es keine Ein-
sicht mehr in eine solche Liste. In diesem Fall hat es aber
Einsicht gegeben; er hat sich dem vorher nicht verwei-
gert. Das sei zur Klarstellung gesagt. Diejenigen, die das
in die Medien getragen haben und die Gäste abqualifi-
ziert haben, haben selber Schuld, wenn sie zukünftig
diese Listen nicht mehr einsehen können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: So ist es!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703008500

Normalerweise antwortet auf die Kurzintervention

der Redner. Nachdem Sie aber persönlich auf Einlassun-
gen in Ihrer Zwischenfrage angesprochen wurden, gebe
ich Ihnen das Wort, Herr Beck.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703008600

Unsere Anfrage an diese Listen verbindet sich mit

keiner Bewertung, sondern es geht hier um Transpa-
renz.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Gäste abqualifizieren!)


– Ja, es geht hier um Transparenz.

Natürlich kann Transparenz dazu führen, dass die Öf-
fentlichkeit kontrovers über Dinge, die bekannt werden,
diskutiert. Ich meine, dass es auch völlig in Ordnung
geht, dass darüber geredet wird, wer bei solchen Veran-
staltungen eingeladen wird. Hier handelt eine Regie-
rungsstelle als Exekutive. Es wäre nicht in Ordnung,
wenn darüber geredet würde, wer sich mit wem auf pri-
vaten Partys des Außenministers oder welcher Person
auch immer trifft. Aber wenn etwas vom Steuerzahler
bezahlt wird, wenn es um die offiziellen Kontakte des
Auswärtigen Amtes geht, dann hat die Öffentlichkeit
auch einen Anspruch.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Der Rechnungshof prüft! – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Rechnungshof!)


Es reicht nicht, dass diskrete Einsichtnahme gewährt
wird; vielmehr kann man sich dazu bekennen. Ich sage
gar nicht, dass da irgendetwas schief ist; aber wir haben
das Recht, so etwas zu erfahren und dann zu bewerten,
ob das in Ordnung ist oder nicht.

Ich maße mir kein Urteil an, wenn ich die entspre-
chenden Informationen nicht habe. Aber es gibt eben
entsprechende Berichte, bei denen man das Gefühl hat,
die Zusammenstellung sei in besonderer Weise und viel-
leicht nicht ganz sachgerecht mit Blick auf das Auswär-
tige Amt erfolgt. Es mag so sein, es mag sich auch ganz
anders verhalten. Wissen und beurteilen kann man das
nur, wenn man die Informationen offenlegt. Deshalb for-
dere ich den Außenminister auf, hier Transparenz walten
zu lassen und uns auch zu sagen, wer welche Leute für
Delegationsreisen vorgeschlagen hat und welches Bera-
tungsergebnis am Ende für die Zusammenstellung der
Delegation herausgekommen ist. Diese Vorgänge müs-
sen transparent gemacht werden.

Sie, Herr Außenminister, haben sich beschwert, dass
angeblich eine Kampagne gegen Sie laufe. Ich glaube,
die Kampagne hat nur ein Feuer: Das ist die mangelnde
Transparenz des Auswärtigen Amtes bei diesen Vorgän-
gen und nicht der böse Wille von Leuten, die Fragen ha-
ben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Fragen, mit Verlaub, sind keine Majestätsbeleidigung,
sondern das gute Recht des Parlamentes. Das Interpella-
tionsrecht und das Haushaltsrecht sind unsere höchsten
Güter. Sie machen viel von dem aus, was das Parlament
leisten kann.





Volker Beck (Köln)



(A) (C)



(D)(B)


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Gäste abqualifizieren!)


Diese Aufgabe werden wir auch weiter wahrnehmen und
uns da, mit Verlaub, den Schneid nicht abkaufen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Rainer Stinner [FDP]: Ich möchte gerne antworten!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703008700

Wir fahren in der Debatte nun fort. Ich erteile das

Wort dem Kollegen Rolf Mützenich für die SPD-Frak-
tion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1703008800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die eine oder andere Diskussion, die wir hier gerade ge-
führt haben, entspricht nicht meiner Debattenkultur.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Zugleich finde ich aber auch, dass Sie, Herr Außen-
minister, heute eine Chance verpasst haben. Sie hätten
auf die Nachfragen, die in den letzten Tagen gestellt
worden sind, durchaus antworten können. Sie hätten
auch genug Redezeit gehabt, insbesondere weil ich
glaube, dass die drei Punkte, die Sie angeführt haben,
Sie nicht so stark bedrängt haben, dass Sie nicht auf die
drängenden Fragen, die in den letzten Tagen immer wie-
der gestellt worden sind, hätten antworten können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich fand auch manches bizarr, insbesondere, dass Sie
am Sonntag gesagt haben, Ihnen werde man den Schneid
nicht abkaufen. Ich will Ihnen den Schneid nicht abkau-
fen. Darauf kommt es gar nicht an. Ich hätte auch diesen
Duktus nicht gewählt. Der entscheidende Punkt ist doch
einfach, dass in den letzten Wochen und Monaten so
viele unterschiedliche Fragen mit Ihnen, aber auch mit
dem Amt in Verbindung gebracht worden sind, dass
diese Diskussion notwendig gewesen ist und die offenen
Fragen sozusagen nach Antworten schreien. Ich glaube,
Sie hätten heute antworten sollen. Ich habe das erwartet.
Ich hätte es auch deswegen besser gefunden, weil ich
glaube, dass diese Empörungsrituale, die Sie in den letz-
ten Tagen immer wieder aufzuführen versucht haben,
letztendlich wieder auf Sie zurückfallen werden.

Sie haben sich darüber beschwert, dass die Opposi-
tion eine entsprechende Debatte geführt hat, als Sie im
Ausland gewesen sind. Ich hätte mich zuerst einmal an
meinen Koalitionspartner gewandt und gefragt, was
denn in den Generalsekretär Dobrindt gefahren sei, als er
über die „Abwrackprämie für Taliban“ gesprochen hat,
als es um die Afghanistanstrategie ging, als er Sie in die
Türkei begleitet hat und Aussagen getätigt hat, die von
uns mit Sicherheit niemals gekommen wären. Ich wäre
also vorsichtig bei diesen Fragen.

Nun wollen zum Beispiel Herr Lindner und Ihre Frak-
tionsvorsitzende Ihnen beispringen, indem sie sagen, das
alles schade der Demokratie bzw. der politischen Kultur.
Aber, Herr Außenminister, wo kommen wir hin, wenn
Sie die Ordnung des Staates so mit Ihrer Person identifi-
zieren, dass Sie auch die Kritik, die an Ihnen persönlich
geübt wird, mit Ihrem Amt verbinden?


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich muss Ihnen sagen: Wenn etwas der Demokratie ge-
schadet hat, dann waren es die Parteispenden und eine
Haushaltspolitik, die sich möglicherweise von diesen
Parteispenden abgeleitet hat. Das müssen Sie verantwor-
ten. Ich finde, das schadet der Demokratie mehr als die
Frage nach Aufklärung und Transparenz in diesem Bun-
destag.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Außenminister, ich hatte Ihnen in der Debatte,
die wir anlässlich der Einbringung des Haushalts geführt
haben, Kooperation angeboten. Das finde ich auch wei-
terhin richtig. Wir haben dies auch im Falle Afghanis-
tans getan. Es wird in den nächsten Wochen und Mona-
ten sicherlich genügend Themen geben, bei denen die
Opposition, zumindest die SPD-Fraktion, mit Ihnen in
ein Gespräch inhaltlicher Art eintreten will. Aber dazu
möchten wir wissen: Wo wollen Sie eigentlich hin mit
dieser Außenpolitik? Eine Antwort auf diese Frage hat in
den letzten 140 Tagen gefehlt.

Ich war zum Beispiel wirklich enttäuscht, dass Sie es
nicht geschafft haben, der neuen europäischen Außen-
ministerin – Herr Stinner und Herr Frankenhauser, Sie
haben eben darüber gesprochen – einmal beizuspringen.
Was macht diese Kollegin in den letzten Tagen durch?
Sie wird auf europäischer Ebene sozusagen gemobbt,
weil sie es beispielsweise nicht schafft, am Wochenende
drei Termine wahrzunehmen, und stattdessen bei ihrer
Familie sein will. Ich finde, es gehört, auch innerhalb
Europas, zum guten Ton, sich vor diese Institution zu
stellen und den Europäischen Auswärtigen Dienst zu un-
terstützen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein anderer Punkt ist von Kollegin Müller angespro-
chen worden. Ich finde es erschreckend, dass Sie, der Sie
sich damals in der Opposition gegen UNIFIL ausgespro-
chen haben, es heute nicht schaffen, über Ihren Schatten
zu springen und in der Funktion des Außenministers
dem libanesischen Ministerpräsidenten gegenüberzutre-
ten und ihm zu sagen, dass wir darüber noch einmal
nachdenken und unter Umständen nach der Sommer-
pause ein erneutes Mandat dafür einbringen. Denn der li-
banesische Ministerpräsident hat doch, als er hier zu Be-
such war, händeringend darum gefleht, dass Deutschland
sich nicht aus dem Mandat verabschiedet, weil er Angst
hat, dass dann der Nahostprozess, von dem man nicht
mehr wirklich sprechen kann, nicht mehr für Libanon
gilt. Auch das haben Sie nicht getan. Ich würde mir wün-
schen, Sie wären an dieser Stelle wirklich Außenminis-
ter.





Dr. Rolf Mützenich


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben es der Kanzlerin überlassen, den Siedlungs-
bau zu kritisieren. Ich fand das, was Sie heute hierzu ge-
sagt haben, wachswindelweich; das sage ich an beide
Parteien gerichtet. Ich meine, man muss ganz offen ge-
genüber der israelischen Regierung zum Ausdruck brin-
gen, dass die Palästinensische Autonomiebehörde nir-
gendwo baut, sondern im Grunde genommen daran
gehindert wird, ihre Arbeit zu tun. Das sind Dinge, die
ein deutscher Außenminister ansprechen muss und auch
darf, insbesondere in der konkreten Verantwortung ge-
genüber Israel. Auch dazu habe ich heute kein Wort ge-
hört.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dann rühmen Sie sich immer, Sie wären sozusagen
der Erfinder von Abrüstung und Rüstungskontrolle.
Herr Außenminister, Sie wissen, dass wir zurzeit über ei-
nen gemeinsamen Antrag zu Abrüstung und Rüstungs-
kontrolle verhandeln, weil uns viel daran liegt, dass die
Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag in
New York ein Erfolg wird. Ich finde es richtig, dass der
Bundestag sich hierzu zusammensetzt. Aber ich sage Ih-
nen: Es ist zu wenig, zum Beispiel nur den Abzug der
taktischen Atomwaffen zu fordern, wenn man nicht
gleichzeitig mit seinen europäischen Kollegen darüber
spricht. Denn sonst sagen vielleicht plötzlich andere Re-
gierungen: Wenn die Atomwaffen aus Deutschland ver-
schwinden, nehmen wir die ganz gerne. – Das gehört
nicht zu einer klugen Abrüstung und Rüstungskontrolle,
sondern das verlagert nur das Problem.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen wäre ich Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie
Manns genug wären, diese Diskussion auch auf die euro-
päische und die NATO-Ebene zu verlagern.

Der zweite Punkt im Zusammenhang mit Abrüstung
und Rüstungskontrolle betrifft den immer noch ausste-
henden Vertrag zwischen den USA und Russland über
den Abbau strategischer Atomwaffen. Ich glaube, die
brauchen ein bisschen Feuer bei dieser Diskussion bzw.
Unterstützung. Ich sage Ihnen: Wir bauen ein riesengro-
ßes Problem auf, wenn wir die Raketenabwehr nicht mit
Abrüstung und Rüstungskontrolle verbinden. Dies zu
tun, ist eine ganz wichtige Aufgabe. Die Frage, wie man
das erreichen kann, beantworten Sie in Ihrer Funktion
als deutscher Außenminister aber nicht.

Der letzte Punkt. Die konventionelle Abrüstung und
Rüstungskontrolle stehen vor einer großen Herausforde-
rung. Wir von der SPD haben Ihnen angeboten, den ange-
passten Vertrag im Deutschen Bundestag sofort zu ratifi-
zieren, wenn Sie ihn vorlegen. Dadurch könnte man zu
einer weiterführenden Diskussion kommen. Diese Auf-
gabe haben Sie zu erfüllen. Auch die Fragen zu der
deutsch-russischen Modernisierungspartnerschaft schreien
danach, dass sich der Außenminister damit beschäftigt.

Ich glaube, Ihr Problem ist, dass Sie nach 140 Tagen
noch immer nicht im Amt angekommen sind. Ihr Augen-
merk gilt zuerst Ihnen selbst und dann der Außenpolitik.
Ich glaube, das ist die falsche Reihenfolge.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703008900

Nächster Redner ist der Kollege Philipp Mißfelder für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1703009000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich in dieser De-
batte die Gelegenheit nutzen, mich bei denjenigen zu be-
danken, die neben dem Bundesaußenminister und neben
den Abgeordneten die Außenpolitik Deutschlands reprä-
sentieren. Das sind unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter im diplomatischen Korps und unsere vielen Ortskräfte,
die wir weltweit beschäftigen. Insgesamt repräsentieren
12 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Bundesrepu-
blik Deutschland in der Welt. Ihnen spreche ich meinen
herzlichen Dank für ihre vorzügliche Arbeit aus, die sie in
schwierigen Situationen wie in Chile, Haiti, Afghanistan
und anderswo, aber auch auf Positionen, wo deutsche In-
teressen gewahrt werden müssen, wie zum Beispiel in
Nachbarländern, leisten.

Mein Dank geht auch an diejenigen, die sie dabei be-
gleiten: an die Ehemänner und Ehefrauen, an die Partne-
rinnen und Partner. Sie alle tragen dazu bei, dass das An-
sehen Deutschlands überall in der Welt sehr gut ist.
Auch dafür einen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte in dieser Debatte die Gelegenheit nutzen,
auf ein paar grundsätzliche Fragen der Außenpolitik ein-
zugehen. Es geht in diesem Zusammenhang auch um die
Frage, mit welcher Zielsetzung wir Außenpolitik für un-
ser Land betreiben.

Die Außenpolitik muss erstens den Interessen der
Menschen in unserem Land dienen. Sie muss zweitens
die europäische Dimension bei allen Fragen umfassen.
Drittens muss deutsche Außenpolitik – das hat der Bun-
desaußenminister bei jeder sich bietenden Gelegenheit in
vorzüglicher Weise deutlich gemacht – auch Friedenspo-
litik sein. Dieser Grundsatz bestimmt das Handeln der
bürgerlichen Koalition. Es ist wichtig, dies noch deutli-
cher herauszustellen. Wir sollten uns daher diesen Debat-
ten am heutigen Tage stellen und uns nicht in Nebenge-
fechten verzetteln, was der Bedeutung der Außenpolitik
in keiner Weise angemessen wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Kollege Frankenhauser hat bereits darauf hinge-
wiesen, dass es sich mit 3,2 Milliarden Euro Ausgaben
um einen sehr großen Etat handelt. Das Durchschnitts-
einkommen eines Arbeitnehmers in Deutschland beträgt
rund 3 000 Euro brutto. Der Etat entspricht also umge-





Philipp Mißfelder


(A) (C)



(D)(B)

rechnet einer Arbeitsleistung von 1 064 605 Monaten.
Wenn man für ein Erwerbsleben 35 Jahre veranschlagt,
dann kann man sagen, dass das gesamte Erwerbsleben
von rund 2 500 Arbeitnehmern benötigt wird, um diesen
Etat zu erwirtschaften. Die Bürgerinnen und Bürger fra-
gen sich also zu Recht, wie wir dieses Geld für die Inte-
ressenvertretung unseres Landes im Ausland ausgeben
und für welche Ziele wir im Ausland einstehen.

Deshalb muss jeder Cent des Haushaltes, über den wir
heute beraten, begründet werden. Die Ausgaben werden
durch die Professionalität des Dienstes, die unser Aus-
wärtiges Amt auszeichnet, und durch die weltweit er-
brachten Serviceleistungen gerechtfertigt. Dazu zählen
Reisehinweise, die Hilfe beim Verlust des Passes oder
die extrem professionelle und weltweit gerühmte Arbeit
des Krisenstabes im Auswärtigen Amt, der immer dann,
wenn Deutsche im Ausland in Gefahr sind, sehr gute Ar-
beit leistet.

Darüber hinaus muss deutlich gemacht werden, dass es
neben dieser professionellen tagtäglichen Arbeit große
Linien gibt, die von dieser Regierung verfolgt werden
und die wir hier im Parlament politisch unterstützen,
heute durch unsere Zustimmung zum Haushalt. Dazu ge-
hört zum Beispiel die Außenwirtschaft. Wenn man sieht,
dass in den vergangenen Jahren nahezu jeder fünfte Ar-
beitsplatz in Deutschland vom Export abhängig gewesen
ist, dann liegt es doch auf der Hand, dass sich der Außen-
minister für die deutsche Wirtschaft im Ausland stark-
macht und damit unsere außenwirtschaftliche Position
stärkt. Ich glaube, man kann schon nach dieser kurzen Re-
gierungszeit sagen, dass dies bislang ein voller Erfolg ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Vor diesem Hintergrund möchte ich dem Außenminis-
ter ausdrücklich zu seiner Südamerikareise gratulieren.
Wir können uns nun dem zuwenden, was auf dieser Reise
passiert ist. Wenige Stunden vor Abreise veröffentlichte
das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel einen
Artikel, in dem die Position Deutschlands in Brasilien
massiv kritisiert worden ist. Die beiden Autoren kamen
zu dem Ergebnis, dass uns andere europäische Länder den
Rang in Brasilien schon längst abgelaufen hätten. Allein
durch Ihre Reisetätigkeit in Südamerika haben wir diesen
Wettbewerbsnachteil wieder aufgeholt, und das wird all-
seits gerühmt. Deshalb danke ich Ihnen für Ihr Engage-
ment in Brasilien, um dieses wichtige Land ganz aus-
drücklich zu nennen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Uns geht es bei der Beschreibung unserer politischen
Linien in den nächsten Monaten darum, uns den drän-
genden politischen Fragen zu stellen. Der Außenminister
hat sehr nachdrücklich unterstrichen, welche Themen
ihm wichtig sind. Ich möchte für unsere Fraktion ein
paar Ergänzungen vornehmen, die in unserem besonde-
ren Interesse, aber auch in dem unseres Koalitionspart-
ners liegen.

Wir haben uns in gemeinsamen Gesprächen darum
bemüht, die drängenden Fragen auch von parlamentari-
scher Seite her zu begleiten. Dabei geht es uns besonders
um die zukünftige Sicherheitsarchitektur in Europa und
um die Zukunft der NATO. Ich möchte noch einmal die
Ausgabe des Spiegel, der aus bekannten Gründen nicht
meine Lieblingszeitschrift ist, aus der vergangenen Wo-
che heranziehen. Volker Rühe, Klaus Naumann, Frank
Elbe und Ulrich Weisser haben in einem Spiegel-Aufsatz
sehr deutlich Position dazu bezogen, was die Zukunft
der NATO ist und was die – ich sage das sehr bewusst –
Nachbarschaftspolitik gegenüber Russland in den nächs-
ten Jahren dominieren soll. Unsere Aufgabe, die des Par-
laments und insbesondere die der Koalitionsfraktionen,
muss es sein, sich der Frage nach der Zukunft der NATO
auch unter dem Gesichtspunkt zu stellen, inwiefern wir
dazu beitragen können, dass die Tür zwischen der
NATO und Russland etwas weiter geöffnet werden
kann, als es momentan der Fall ist.

Wie dringend das ist, zeigen die außenpolitischen
Diskussionen, die in den vergangenen Monaten unseren
Alltag geprägt haben, die Themen, die wir hier allwö-
chentlich diskutieren. Es geht dabei zum Beispiel um die
Sicherheit in Afghanistan, wo wir dringend auf die Ko-
operation Russlands angewiesen sind. Natürlich gilt das
nicht im militärischen Sinne, weil es naheliegt, dass sich
Russland in dieser Hinsicht nicht engagieren will und
dies auch zukünftig nicht tun wird. Vielmehr geht es,
wenn man politische Lösungen in dieser Region errei-
chen will, um die Frage, wie es gelingen kann, Russland
bzw. die sich verändernde russische Politik stärker ein-
zubeziehen. Insofern schlage ich vor, dass wir alle uns
dieser Frage deutlich intensiver zuwenden und den
NATO-Reformprozess unter diesem Gesichtspunkt stär-
ker in den Blick nehmen.

Nun möchte ich Russland und China nicht in einem
Atemzug nennen; denn die Länder sind so unterschied-
lich, wie sie nur sein können, obwohl sie direkt nebenei-
nanderliegen. Bei all den Fragen, die uns in den nächsten
Monaten beschäftigen werden, müssen wir aber Folgen-
des sehen: Wenn es uns nicht gelingt, Russland und China
gemeinsam international stärker in die Verantwortung zu
nehmen, wird uns weder eine Lösung für Afghanistan
leichtfallen noch werden wir die Probleme mit dem Iran
lösen können. Deshalb muss aus dem Parlament der nach-
drückliche Appell kommen, mit China, was die Sicher-
heitsstrukturen im Nahen Osten, aber auch was die
konkrete Situation im Iran angeht, stärker zusammenzu-
arbeiten, als das bisher der Fall war. Ich sehe gute Chan-
cen. Ich begrüße es deshalb ausdrücklich, wenn wir alle
zur Verfügung stehenden Gesprächskanäle nutzen und
versuchen, mit denjenigen in China ins Gespräch zu kom-
men, die dort Politik gestalten. Das wird in groben Zügen
von allen Parteien so gesehen. Ich glaube, dass uns gerade
unser großes Ansehen, das wir durch unser dauerhaftes
Engagement in China genießen, nutzen kann und wir das
stärker ausspielen müssen.

In den nächsten Jahren der Regierungszeit sollte un-
sere Position sein, dass die beiden Schwerpunkte – das
Verhältnis zu Russland und das Verhältnis zu China –
eine größere Rolle spielen als in den vergangenen Jah-
ren. Vor allem muss das unter einem eher politischen
Gesichtspunkt betrachtet werden, als das früher unter
Gerhard Schröder der Fall war, bei dem der Verdacht na-





Philipp Mißfelder


(A) (C)



(D)(B)

helag, dass eine Anschlussverwendung vielleicht eine
größere Rolle gespielt hat als die politische Zielsetzung.

Ich glaube, die Prognose wagen zu können, dass das
Verhältnis zwischen den USA und China, das als G-2-
Prozess beschrieben wird, schon in den nächsten drei
Jahren in eine entscheidende Phase kommen wird. Man
muss in diesem Zusammenhang fragen, welche Rolle
Deutschland in diesem Prozess spielen soll und wie es
vor dem Hintergrund der europäischen Dimension unter
Hinzuziehung der Deutschen und insbesondere der
Europäer insgesamt gelingen kann, einen besseren Aus-
gleich zwischen diesen beiden Polen zu schaffen und zu
erreichen, dass europäische Politik, europäische Maß-
stäbe und letztendlich auch europäische Interessen stär-
ker berücksichtigt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die besondere Rolle Europas kommt dabei nicht nur
bei Themen wie Klimaschutz – das ist offensichtlich –
oder internationale Finanzpolitik – darüber diskutieren
wir derzeit sehr intensiv –, bei denen das Verhältnis zwi-
schen China und den USA von Bedeutung ist, zum Aus-
druck, sondern betrifft auch Teile der Außenpolitik, die
in unseren alltäglichen Debatten unterrepräsentiert sind.
Ich möchte einen Kollegen ganz ausdrücklich nament-
lich erwähnen, der gestern bei uns in der Fraktion mit Un-
terstützung unserer Fraktionsführung und auch mit Unter-
stützung des Bundesentwicklungsministers eine sehr gute
Veranstaltung durchgeführt hat: Kollege Hartwig Fischer
hat gestern dafür gesorgt, dass Afrika unter einem be-
sonderen Gesichtspunkt betrachtet wurde, nämlich nicht
nur als Zuwendungsempfänger, nicht nur als ein Konti-
nent, der Hilfe braucht, sondern auch als realer Partner,
den man bei wirtschaftlichen Fragen und der zukünfti-
gen wirtschaftlichen Entwicklung unterstützen kann.
Lieber Kollege Fischer, der gestrige Abend war ein vol-
ler Erfolg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Selbst wenn das kein Thema ist, das hier alle in Aufre-
gung versetzt, glaube ich, dass, wenn wir über die Inte-
ressen Europas – gerade auch im Wettlauf mit China – in
Afrika diskutieren, die wirtschaftliche Zusammenarbeit
mit Afrika eine zentrale Rolle spielt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703009100

Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort der Kol-

lege Andrej Hunko.


(Beifall bei der LINKEN)



Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703009200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist

meine erste Rede hier im Deutschen Bundestag. Ich
muss sagen: Herr Westerwelle, ich bin konsterniert, wie
wenig inhaltliche Anknüpfungspunkte Ihr Redebeitrag
lieferte.


(Beifall bei der LINKEN)

Ich werde überwiegend zur Europapolitik sprechen.
Es gibt eine Reihe von Entwicklungen, die wir als Linke
mit großer Sorge und auch kritisch sehen. Zum einen
wäre der Umgang mit Griechenland zu nennen. Des
Weiteren wäre das Stockholmer Programm zu nennen,
das die innere Aufrüstung der Europäischen Union vo-
rantreibt. Es wäre der Europäische Auswärtige Dienst zu
nennen, der heute bereits angesprochen wurde. Das Be-
sondere an diesem Dienst ist, dass verschiedene Berei-
che, die in Deutschland aus gutem Grund getrennt sind
– Entwicklungshilfe, auswärtige Politik, Militär- und Si-
cherheitspolitik –, in einem mächtigen Apparat mit
8 000 Beschäftigten zusammengefasst werden. Damit
soll – so sagen Sie, Herr Westerwelle – ein schlagkräfti-
ger Auswärtiger Dienst errichtet werden. Ich frage mich:
Wer soll da geschlagen werden?


(Beifall bei der LINKEN)


Ich werde jetzt überwiegend über Island sprechen.
Demnächst laufen wahrscheinlich die Beitrittsverhand-
lungen an. Ich war in der letzten Woche mit einer Dele-
gation des EU-Ausschusses in Island, in Reykjavik. Vor
wenigen Tagen haben in Island fast 94 Prozent der Be-
völkerung in einem Referendum einen Gesetzentwurf ab-
gelehnt, der die Übernahme der Schulden der privaten
Icesave-Bank durch die öffentlichen Haushalte vorsieht.
Das Gesetz hätte jede isländische Familie mit 48 000 Euro
belastet. Die Isländerinnen und Isländer haben sehr deut-
lich zum Ausdruck gebracht: Wir zahlen nicht für diese
Krise. Wir zahlen nicht für die Krise der Banken und
Spekulanten. Wir Linke begrüßen das außerordentlich.


(Beifall bei der LINKEN – Herbert Frankenhauser [CDU/CSU]: Da sind aber Anleger auch betroffen!)


Da fragt man sich doch: Wieso gibt es in Deutschland
eigentlich nicht wie in Island Referenden über grundle-
gende Fragen, zum Beispiel über das Bankenrettungs-
paket, das die öffentlichen Haushalte auf Jahre mit
500 Milliarden Euro belasten wird?


(Beifall bei der LINKEN – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil wir keinen Volksentscheid in Deutschland haben!)


Diese Belastung werden Sie der Bevölkerung wahr-
scheinlich erst nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen
präsentieren. Deshalb rufe ich dazu auf und unterstütze
es, dass die Menschen in Nordrhein-Westfalen, in Essen,
am kommenden Samstag auf die Straße gehen unter dem
Motto: Wir zahlen nicht für eure Krise!


(Beifall bei der LINKEN)


Island hat im Juli letzten Jahres einen Antrag auf Bei-
tritt in die Europäische Union gestellt. Am 24. Februar
hat die Europäische Kommission der Aufnahme von
Beitrittsverhandlungen zugestimmt. Eine mögliche Be-
schlussfassung des Rates am 25. März soll jetzt verzö-
gert werden, weil die britische und die niederländische
Regierung die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen als
Hebel für die Verhandlungen über die Icesave-Schulden
benutzen möchten. In der Delegation waren wir uns in





Andrej Konstantin Hunko


(A) (C)



(D)(B)

Island parteiübergreifend einig, dass die Icesave-Frage
von der Frage der Beitrittsperspektive zu trennen ist,
dass die Icesave-Frage eine bilaterale bzw. trilaterale
Frage ist. Deshalb ist es für mich völlig unverständlich,
warum die Regierungsfraktionen den Beitritt jetzt offen-
sichtlich doch verzögern wollen, wie gestern im EU-
Ausschuss deutlich wurde. Das riecht doch sehr danach,
dass ein entsprechender Druck aufgebaut worden ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Linke hat
durch die Klage gegen den Lissabon-Vertrag vor dem
Bundesverfassungsgericht erwirkt, dass der Bundestag
in EU-Fragen gestärkt wurde und bei wichtigen Ent-
scheidungen beteiligt werden muss. Die Bundesregie-
rung muss ihre Verpflichtungen endlich ernst nehmen
und ein Einvernehmen mit dem Bundestag herstellen. Es
ist aber nicht hinnehmbar – das passiert gerade –, wenn
die gestärkten parlamentarischen Rechte als Vorwand
genommen werden, um die Aufnahme von Beitrittsver-
handlungen zu verzögern. Es ist möglich, unter Einhal-
tung aller parlamentarischen Spielregeln bis zum
25. März 2010, also bis zum nächsten EU-Ratsgipfel, zu
einer Entscheidung zu kommen. Ich fordere Sie auf, dies
zu tun.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Zusammenhang mit Island stimmt mich eines be-
denklich: Da ist die Rede von geostrategischen Interes-
sen der Europäischen Union in der Arktis. Die EU wolle
bei dem großen Spiel dabei sein, wie es der schwedische
Außenminister Carl Bildt in Brüssel formulierte. Auch
der SPD-Antrag geht leider in diese Richtung. Die Mit-
gliedschaft Islands soll der EU das Tor zur Arktis öffnen.
Wir wissen, dass in der Arktis die größten unberührten
Öl- und Gasreserven lagern. Wir jedoch wollen nicht,
dass sich die EU an einem imperialen Wettlauf um die
letzten Öl- und Gasvorkommen der Welt beteiligt. Es
müssen endlich einmal andere Wege gegangen werden
als bei den großen rohstoffreichen Gebieten im 19. und
20. Jahrhundert.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb sind wir für ein Moratorium bezüglich der Res-
sourcenausbeutung der Arktis. Es ist wichtig, endlich
vollständig von der Abhängigkeit fossiler Energieträger
wegzukommen und vollständig auf erneuerbare Ener-
gien umzustellen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Krise in Island ist nur eine besonders kon-
zentrierte Form der allgemeinen Krise des finanzmarkt-
getriebenen Kapitalismus. Die Kontrolle über die
Finanzmärkte ist überall ausgehebelt worden, in Island,
in Deutschland, in den USA, in der EU, und zwar maß-
geblich in den 1990er- und 2000er-Jahren. Es kann aber
nicht sein, dass jetzt ein kleines Land über Gebühr belas-
tet wird.

Völlig unerträglich ist, dass Großbritannien – übri-
gens unter sozialdemokratischer Regierung –


(Zuruf von der SPD: Das musste jetzt sein!)

Island zusammen mit al-Qaida und anderen auf die Ter-
rorliste gesetzt hat, um die isländischen Vermögen ein-
zufrieren. Das muss man sich einmal vorstellen.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ja!)


Das ist ein erschreckendes Beispiel dafür, wie beliebig
die sogenannten Antiterrorgesetze eingesetzt werden
können. So etwas darf nicht sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Die isländische Regierung hat nach dem Finanzcrash
im September 2008 rigide Kapitalverkehrskontrollen
eingeführt. Das hatte zwar positive Auswirkungen auf
die Wirtschaft. Jetzt sollen sie aber im Zusammenhang
mit den Beitrittsverhandlungen aufgehoben werden. Ich
zitiere aus dem Kommissionsbericht:

Hier muss Island durch Liberalisierungsmaßnah-
men die Vereinbarkeit mit dem Grundsatz des
freien Kapitalverkehrs gewährleisten.

Es kann doch nicht sein, dass Kapitalverkehrskontrol-
len im Zuge von Beitrittsverhandlungen mit dem Hin-
weis auf den Lissabon-Vertrag oder die daraus folgenden
Grundlagenverträge wieder aufgehoben werden müssen
und der Zustand, wie er vor der Krise war, wiederherge-
stellt wird. Wenn eine sinnvolle Beschränkung des Kapi-
talverkehrs im Widerspruch zum Lissabon-Vertrag steht,
dann muss der Vertrag geändert werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich komme zum Schluss. Die Stimmung in der islän-
dischen Bevölkerung im Hinblick auf einen Beitritt zur
EU war lange positiv. In den letzten Monaten ist diese
Stimmung dramatisch umgeschlagen. Zurzeit lehnen
mehr als zwei Drittel einen Beitritt ab. Die Gründe habe
ich angedeutet; ich will sie nicht noch einmal aufführen.
Die Linke begrüßt die Aufnahme von Beitrittsverhand-
lungen. Mein Eindruck ist jedoch, dass sich hier nicht
nur Island, zum Beispiel in der Walfangpolitik, ändern
muss, sondern vor allen Dingen auch die Politik der
Europäischen Union. Die letzte Entscheidung – das kön-
nen wir von Island lernen – trifft in Island der Souverän,
die Bevölkerung.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703009300

Herr Kollege Hunko, das war Ihre erste Rede im

Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch dazu,
verbunden mit den besten Wünschen.


(Beifall)


Das Wort hat nun der Kollege Sven-Christian Kindler
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich
zum Außenetat komme, möchte ich kurz auf die aktuelle
Debatte eingehen, weil ich glaube, dass es wichtig ist,





Sven-Christian Kindler


(A) (C)



(D)(B)

dass in diesem Hohen Hause darüber diskutiert wird.
Herr Außenminister, Sie werfen den Medien und Oppo-
sitionsparteien unappetitliche Angriffe und Diffamie-
rung vor. Aber dass die politische Debatte jetzt an einem
Tiefpunkt angekommen ist, ist meiner Ansicht nach
größtenteils Ihrem Handeln geschuldet; darauf komme
ich jetzt zu sprechen. Ich halte es für einen Tiefpunkt der
politischen Kultur, wenn der FDP-Generalsekretär und
die Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag Nach-
fragen und berechtigte Kritik von Oppositionsparteien
und Medien als demokratieschädlich darstellen,


(Christian Lindner [FDP]: Das war nicht so!)


während Sie sich weiterhin weigern, nach Haushalts-
recht Auskünfte zum Beispiel dazuzugeben, wann Sie
wen in der Villa Borsig auf Staatskosten getroffen bzw.
mit wem sie dort gefeiert haben.


(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen: „Gefeiert haben“! – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: „Gefeiert“!)


Dieses Recht auf kritische Nachfrage ist ein demokrati-
sches Recht, auf das wir stolz sein sollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: Sie fragen nicht, sondern Sie unterstellen!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703009400

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Frankenhauser?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gerne.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1703009500

Bitte.


Herbert Frankenhauser (CSU):
Rede ID: ID1703009600

Herr Kollege, wie beurteilen Sie die Tatsache, dass

ein ehemaliger Außenminister namens Fischer


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Joseph!)


die Offenlegung a) seiner Begleiter bei Auslandsreisen
und b) von Einladungen zu Treffen, die er als Außen-
minister zum Beispiel in der Villa Borsig veranstaltet
hat, einem Mitglied des Haushaltsausschusses komplett
verweigert hat?


(Zurufe von der FDP: Aha!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Haushaltsrecht gilt für alle Außenminister. Wir
als Parlamentarier müssen uns konsequent dafür einset-
zen, dass unsere Rechte gewahrt werden. Das gilt für
Außenminister Fischer, für Außenminister Steinmeier,
aber auch für Sie, Herr Außenminister Westerwelle.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Übrigens auch bei den Rüstungsexporten, Herr Westerwelle!)


Im Übrigen betrifft das ein Recht, von dem Sie hier und
da in den vergangenen Jahren regen Gebrauch gemacht
haben. Wenn wir die Regierung in ihrer Amtsführung
aus Rücksicht auf die Demokratie nicht mehr hinterfra-
gen dürfen, dann sieht es für unsere Demokratie dunkel
aus.


(Christian Lindner [FDP]: Das ist doch Unsinn!)


Wenn Sie, Herr Westerwelle, dies wirklich fordern, sind
Sie im Ausland dann noch ein Vertreter eines freien Lan-
des, einer lebendigen Demokratie mit einer vitalen Op-
position?


(Christian Lindner [FDP]: Das ist absurd!)


Das müssen Sie sich fragen.

Nun beklagen Sie sich, dass die Erfolge Ihrer Süd-
amerikareise aufgrund der angeblich ungerechtfertigten
Kritik in Deutschland gar nicht deutlich wurden. Wir
können ja einmal über die Südamerikareise reden und
darüber, was dabei herausgekommen ist. Ich nehme an,
die Umbenennung des AA in „Ministerium für auswär-
tige Atompolitik“ steht kurz bevor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und bei der FDP – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Blöder geht es nicht!)


Sehen wir uns doch einmal an, was in Brasilien pas-
siert ist. Das Atomkraftwerk Angra 3 wird weitergebaut.
Herr Westerwelle hat eine Hermesbürgschaft zugesagt,


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es nämlich!)


unabhängig davon, dass das AKW in einem Erdbeben-
gebiet gebaut wird, unabhängig davon, dass Brasilien
keine unabhängige Atomaufsicht hat, unabhängig davon,
dass Brasilien nicht das Zusatzprotokoll zum Atomwaf-
fensperrvertrag unterzeichnet hat.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Tiefer geht es vom Niveau her wirklich nicht!)


Das alles ist Ihnen offensichtlich total egal und zeugt
von einer wirtschaftsfreundlichen Atomaußenpolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Mein Gott!)


Sie haben angedeutet, wie gefährlich angeblich eine
linke Mehrheit für die politische Kultur in Deutschland
sei. Wir wissen nun, wie gefährlich eine schwarz-gelbe
Mehrheit für Mensch und Natur weltweit ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zurufe von der FDP: Oh! Oh!)


Man muss sich einmal klarmachen: Sie fordern, dass
in Deutschland stationierte Atomwaffen abgezogen wer-





Sven-Christian Kindler


(A) (C)



(D)(B)

den, und im gleichen Atemzug fordern Sie, Atomkraft-
werke in einem Erdbebengebiet in Brasilien zu bauen, in
einem Land, das das Zusatzprotokoll zum Atomwaffen-
sperrvertrag nicht unterzeichnet hat. Ich finde, das ist
eine schizophrene Haltung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das ist nicht glaubwürdig!)


Die Inkonsequenz und Inkonsistenz Ihrer Politik
schlägt sich auch im Haushalt nieder. Nehmen wir zum
Beispiel die Mittel für die Entwicklungszusammen-
arbeit. Deutschland hat sich verpflichtet, die ODA-
Quote einzuhalten, in diesem Jahr also mindestens
0,51 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die interna-
tionale Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen.
Dieses Versprechen findet weder in Ihrem Etat noch in
anderen Etats seinen Niederschlag. Hier wird internatio-
nale Solidarität gepredigt, aber in spätrömischer Deka-
denz gelebt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das wird auch deutlich, wenn man sich den Haushalt
des Auswärtigen Amtes ansieht. Die Floskeln zur ver-
netzten Sicherheit aus dem Koalitionsvertrag bleiben
eine Worthülse. Anstatt die zivilen Handlungsfelder aus-
zubauen und den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention,
Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ weiter aus-
zubauen, werden die Mittel um fast 10 Prozent gesenkt.
Damit wird eindeutig demonstriert, dass die zivile Säule
weiterhin die entscheidende Schwachstelle der interna-
tionalen Friedensbemühungen Deutschlands ist. Wir
leisten uns immer noch einen Verteidigungshaushalt mit
einem Volumen von über 30 Milliarden Euro, aber für
zivile Maßnahmen zur Krisenprävention sind uns schon
130 Millionen Euro zu viel. Damit muss Schluss sein.
Der Fokus deutscher Außenpolitik muss auf ziviler Kri-
senprävention und Friedenssicherung und darf nicht auf
Militärfixierung liegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Blabla!)


Es ist aber nicht so, dass Sie nur die ODA-Quote nicht
erfüllen. Die Bundesregierung kommt auch weiteren in-
ternationalen Verpflichtungen nicht nach. Die Bundesre-
gierung hält nicht einmal die bescheidenen Zusagen von
Kopenhagen ein. Sie haben versprochen, für den interna-
tionalen Klimaschutz 420 Millionen Euro zur Verfügung
zu stellen, stellen jetzt aber nur 70 Millionen Euro zu-
sätzlich bereit. Das sind billige Taschenspielertricks. Das
ist ein klarer Bruch des Kopenhagen-Versprechens, und
das ist eine Blamage für die Bundesrepublik auf dem in-
ternationalen Klimaparkett.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist Ihre Art, Außenpolitik zu machen, Herr
Westerwelle: Internationale Zusagen werden gebrochen,
die Mittel für Zukunftsinvestitionen wie Krisenpräven-
tion werden gekürzt, und das Auswärtige Amt wird zum
Ministerium für auswärtige Atompolitik umfunktioniert.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das waren aber schwere Geschütze, Herr Kollege! Meine Güte!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703009700

Das Wort hat die Kollegin Marina Schuster für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Marina Schuster (FDP):
Rede ID: ID1703009800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bevor ich zum Haushalt komme, muss ich etwas zur Süd-
amerikareise sagen, und zwar zu ihrem Inhalt. Auch ich
gehörte der Delegation an. Deswegen kann ich ganz
sachlich und ruhig über die Ergebnisse dieser Reise be-
richten.

Zunächst einmal möchte ich feststellen: Es gab an-
scheinend zwei Reisen, nämlich eine Reise, die in den
Medien und in Berlin stattgefunden hat, und die Reise,
die tatsächlich stattgefunden hat. Frau Kollegin Müller,
ich fände es sehr gut, wenn Sie sich nicht nur auf Presse-
berichte oder -kommentare berufen würden, sondern
auch das Gespräch mit dem Kollegen Josef Winkler, der
ebenfalls Teil dieser Delegation war, suchen würden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Hört! Hört!)


Er könnte Ihnen nämlich berichten, welche Gespräche
wir Parlamentarier geführt haben und welche Ergebnisse
dabei herausgekommen sind.

Der Kollege Gehrcke, der auch mit dabei war, hat kri-
tisiert, dass wir Volkswagen besucht haben.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ich habe die Show von Westerwelle kritisiert!)


Herr Gehrcke, Volkswagen ist dort der größte Arbeitge-
ber und hat den UN Global Compact unterzeichnet. Ich
denke, ein Arbeitgeber, der den UN Global Compact un-
terzeichnet hat und anwendet, kann eine Vorbildfunktion
für die Region haben. Das sollte auch in Ihrem Interesse
liegen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


In Argentinien ist nicht nur das VW-Werk besichtigt
worden. Nein, es wurde auch ein Wissenschaftstunnel
eingeweiht. Ich denke, es ist eine sehr gute Idee, hier auf
eine Wissenschaftskooperation mit dem Max-Planck-In-
stitut zu setzen. Davon profitieren beide Seiten. Gerade
in Argentinien gibt es sehr viele Nobelpreisträger.





Marina Schuster


(A) (C)



(D)(B)

Herr Kindler, Sie haben Brasilien angesprochen. In
Brasilien hatten wir ein Gespräch mit Stiftungsvertre-
tern. Bei diesem Gespräch sind zum Beispiel die Stau-
dammprojekte von Herrn Lula angesprochen worden.
Die Grünen können gegen Atomkraft sein; aber dann
müssen sie auch erklären, wie man die Rechte der indi-
genen Völker und die Natur schützen kann, wenn so
viele neue Staudämme gebaut werden. Das gehört zu
dieser Debatte dazu.


(Beifall bei der FDP – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon mal was von erneuerbaren Energien gehört? Erneuerbare Energien kann man auch in Brasilien fördern!)


Wenn Sie sich mit dem Kollegen Winkler zusammenset-
zen würden, würden Sie auch erfahren, wie vielfältig die
Projekte in den Bereichen der erneuerbaren Energien,
der Biodiversität und des Klimawandels sind. Da sind
unsere Durchführungsorganisationen der GTZ schon tä-
tig, und das begrüßen wir; denn auch das liegt in unse-
rem gemeinsamen Interesse.

Wenn ich noch auf einen Punkt der Reise kommen
darf, der heute noch gar nicht angesprochen worden ist:
Uruguay. In Uruguay war das letzte Mal vor 25 Jahren
ein deutscher Außenminister zu Gast. Vielleicht können
Sie sich ja darüber freuen, dass die Initiative ergriffen
worden ist, Lateinamerika wieder ganz oben auf die
Agenda zu setzen. Wir achten bei unserer neuen Latein-
amerika-Strategie darauf, nicht nur auf die Großen zu
schauen, sondern auch vermeintlich kleinen Ländern mit
Respekt gegenüberzutreten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte noch zwei konkrete Punkte zum Haushalt
anbringen; beide betreffen den Bereich Menschen-
rechte. Ich freue mich als mittelfränkische Abgeordnete
ganz besonders, dass es gelungen ist, im Haushalt
500 000 Euro für die Einrichtung eines Instituts zur
Durchsetzung der Nürnberger Prinzipien zum Völker-
strafrecht bereitzustellen. Das ist eine sehr gute Nach-
richt. Wir haben im Koalitionsvertrag niedergeschrieben,
dass wir dieses Institut einrichten wollen, das mit seiner
Expertise viel zur Weiterentwicklung des Völkerstraf-
rechts beitragen kann. Ich denke, das ist ein Anliegen,
das wir alle unterstützen können.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Der zweite Punkt. Es ist uns trotz der angespannten
Haushaltslage gelungen, die Mittel zur Förderung der
Menschenrechte im Vergleich zum Vorjahr um
1,5 Millionen Euro zu erhöhen. Das fällt unter den Haus-
haltsposten Demokratisierungshilfe. Dass wir konkret
Mittel im Haushalt bereitstellen – dafür bin ich den
Haushaltspolitikern beider Koalitionsfraktionen dank-
bar –, ist ein wichtiges Signal, dass es uns nicht nur bei
Besuchen und in Reden darum geht, die Menschenrechte
zum Thema zu machen.
Mein letzter Punkt. Ich bin auch Mitglied der Parla-
mentarischen Versammlung des Europarates. Was uns
besonders am Herzen liegt, ist, den Schutz der Men-
schenrechte in internationalen Systemen zu stärken. Ein
wesentlicher Anker ist der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte. Ich freue mich, dass Frau
Leutheusser-Schnarrenberger mit ihren Vorschlägen die
Reform des EGMR vorantreibt. Denn wir sehen, dass die
Zunahme der Zahl der eingereichten Beschwerden eine
starke Überlastung des EGMR verursacht hat. Diese Zu-
nahme ist einerseits ein Ausdruck der Akzeptanz des
EGMR bei der europäischen Bevölkerung; andererseits
macht diese Zunahme es notwendig, dass wir den
EGMR wieder arbeitsfähig machen. Ich freue mich, dass
die Ministerin persönlich diese Vorschläge unterstützt.

Ich denke, wir haben einen Haushalt vorgelegt, der
auch im Interesse der Opposition ist. Ich werbe sehr
herzlich um Zustimmung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703009900

Das Wort hat der Kollege Michael Roth für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1703010000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Minister Westerwelle, bei Ihrem Amtsantritt haben
Sie erklärt, Ihr Anspruch sei, nicht nur Bundesminister
des Auswärtigen zu sein, sondern ebenso Bundesminis-
ter für Europa. Das haben Sie in der Ihnen eigenen laut-
sprecherischen Attitüde vorgetragen. An diesen Ansprü-
chen, an diesen Worten, sehr geehrter Herr Minister,
müssen Sie sich nun vor dem Parlament messen lassen,
müssen Rechenschaft ablegen.

Ich kann für meine Fraktion nach 140 Tagen nur fest-
stellen: Ihre bisherige Europapolitik ist ideenlos, und sie
ist konzeptlos. Ich kenne kein Projekt – – Ach ja, doch,
ein Projekt fällt mir ein: die Förderung der deutschen
Sprache, Motto „Deutsch – Sprache der Ideen“.


(Zuruf von der FDP: Ja!)


Gegen dieses Motto spricht überhaupt nichts. Aber auch
die schönste Sprache hilft nichts, lieber Herr Minister,
wenn es an den entsprechenden Ideen gebricht. Gehen
Sie hier bitte, Herr Westerwelle, mit gutem Beispiel vo-
ran.

Was mich aber viel mehr stört, ist diese Attitüde, so-
wohl global als auch auf europäischer Ebene im deut-
schen Interesse auftreten zu wollen. Es ist noch gar nicht
so lange her, dass ein Bundeskanzler und ein Bundes-
außenminister formuliert haben: Das, was im guten eu-
ropäischen Interesse ist, was Europa insgesamt voran-
bringt, das bringt auch Deutschland voran und ist gut für
Deutschland. – Diese Sätze eines Bundeskanzlers, der
nicht unbedingt der SPD angehört hat, der aber sicher-
lich Europa maßgeblich mitgestaltet hat, würde ich mir





Michael Roth (Heringen)



(A) (C)



(D)(B)

auch von Ihnen einmal wünschen, Herr Minister
Westerwelle.


(Beifall bei der SPD)


Was hat Ihre bisherige Amtszeit in der Europapolitik
geprägt? Kompetenzgerangel zwischen Bundeskanzler-
amt und Auswärtigem Amt. Wer hat hier eigentlich die
Hosen an?


(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Wirklich beide!)


Wer hat das maßgebliche Wort zu sprechen? Ich möchte
Ihnen empfehlen, Herr Westerwelle, einfach einmal
selbstbewusst mit Ideen und konkreten Vorschlägen in
die Debatte einzutreten und nicht kleinkariert irgendwel-
che Kompetenzdiskussionen zu führen.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sie verschleudern Ihre Redezeit!)


Ein anderer Punkt sind die Kontroversen. Es geht bei
Ihnen in jedem Politikbereich wie bei den Kesselflickern
zu. Sie streiten sich wie ein wild gewordener Hühner-
haufen.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sagen Sie doch mal was zum Thema!)


Das ist auch bei der Frage des Türkeibeitritts so. Ich
darf Sie, Herr Minister, mit Genehmigung der Präsiden-
tin zitieren:

Ich sage es Ihnen ganz klar: Was die EU und die
Türkei vereinbart haben, gilt. Es gilt auch für diese
Bundesregierung. Dafür stehe ich ein. … Ich bin
hier nicht als Tourist in kurzen Hosen unterwegs,
sondern als deutscher Außenminister. Das, was ich
sage, zählt.

Wir alle wissen: Die CSU ist gegen eine Vollmitglied-
schaft der Türkei. Die CDU will eine sogenannte strate-
gische Partnerschaft. Der schon eben genannte General-
sekretär der CSU, Dobrindt, hat erklärt, dass das, was
Außenminister Westerwelle in der Türkei gesagt habe,
nicht den Positionen der Koalition entspreche. Darauf
hat wiederum Ihr Staatsminister gesagt, das Maß des Er-
träglichen beim Generalsekretär sei deutlich überschrit-
ten, CSU-Chef Horst Westerwelle – Entschuldigung,
Horst Seehofer –


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


müsse seine Mannschaft endlich zur Ordnung rufen.

Herr Minister Westerwelle, Sie mögen keine kurzen
Hosen tragen. Sie tragen vielleicht auch keine langen
Hosen. Sie haben in der Europapolitik einfach nicht die
Hosen an. Sie müssen einmal innerhalb der Koalitions-
fraktionen, aber auch innerhalb der Regierung einen
Klärungsprozess herbeiführen.


(Herbert Frankenhauser [CDU/CSU]: Haben Sie ihn schon ohne Hosen gesehen?)


Ich habe heute nur wenig zu den Themen gehört, die
Europa zurzeit bewegen. Vor allem ein Thema ist ent-
scheidend: die Bewältigung der Wirtschafts- und
Finanzkrise in Griechenland. Hier ist Häme völlig fehl
am Platze. Wir sitzen nämlich alle in einem Boot.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Was will die Bundesregierung? Was wollen Sie, Herr
Minister? Sie hatten heute Gelegenheit, auch hierzu ein
paar Ausführungen zu machen. Ich habe dazu klare Aus-
sagen genauso vermisst wie bei Ihrem Antrittsbesuch
beim Europaausschuss. Außer wolkigen Bemerkungen,
da müsse man etwas tun, das sei ganz schwierig, habe
ich von Ihnen nichts vernommen.

Was mich daran ärgert, ist, dass nur wenige Tage spä-
ter ein Rat in Brüssel weitreichende Maßnahmen gegen-
über Griechenland beschlossen hat. Ich erwarte von Ih-
nen als Europaminister der Bundesregierung, dass Sie
auch den Kolleginnen und Kollegen im Europaaus-
schuss, wenn konkrete Fragen gestellt werden, entspre-
chende Auskünfte erteilen: Mit welchen Erwartungen,
mit welchen Forderungen, mit welchen Maßnahmen und
mit welchen Ideen geht die Bundesregierung in eine
Ratssitzung? Hier haben Sie, Herr Minister Westerwelle,
Ihre Hausaufgaben bislang nicht erledigt.


(Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Er wusste es nicht!)


Wir müssen aus dieser schweren Krise, die nicht nur
Griechenland alleine betrifft, lernen. Wir müssen jetzt
endlich entscheiden und handeln. Wenn Solidarität in der
Europäischen Union nicht nur etwas für Sonntagsreden,
sondern auch etwas für konkretes Handeln im politi-
schen Alltag ist, dann erwarte ich jetzt von Ihnen ent-
sprechende Ideen und Konzepte, wie Sie verhindern
wollen, dass aus dem griechischen Flächenbrand ein eu-
ropäischer Flächenbrand wird. Wir brauchen nicht mehr
Renationalisierung, sondern wir brauchen eine gemein-
same Wirtschaftspolitik. Wir haben einen gemeinsa-
men Währungsraum. Aber das, was schon seit dem Ver-
trag von Maastricht in den maßgeblichen Verträgen
steht, nämlich eine Europäische Wirtschafts- und Wäh-
rungsunion, ist bislang überhaupt nicht mit Leben erfüllt
worden. Wir brauchen mehr Abstimmung, wir brauchen
mehr Verbindlichkeit. Aber auch hier gebricht es der Ko-
alition ja an jeder klaren Position.

Finanzminister Schäuble hat den, wie ich finde, prü-
fenswerten Vorschlag unterbreitet, einen europäischen
Währungsfonds zu etablieren. Dazu hört man von Ih-
nen überhaupt nichts, und die Union erklärt gleich, das
sei ein Vorschlag, der mit ihr nicht abgesprochen sei, und
sie würde ihn ablehnen. Zumindest hat das Herr Kauder,
der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, so erklärt,
wenn denn das, was heute Morgen in den Medien stand,
wirklich stimmt.

So kann man Europapolitik nicht gestalten. Man muss
auch einmal eine Idee mutig nach vorne bringen, man
muss sich um Bündnispartnerinnen und Bündnispartner
in der Europäischen Union bemühen, und man darf
keine Eitelkeiten pflegen. Hier erwarte ich von der
Union und von der FDP, aber vor allem auch von der
Bundesregierung klare Aussagen.





Michael Roth (Heringen)



(A) (C)



(D)(B)

Wir brauchen eine Wirtschafts-, Fiskal- und Lohn-
politik, durch die auch die Beschäftigung in den Blick
genommen wird. Es gibt hier doch durchaus Ansätze auf
europäischer Ebene, aufgrund deren wir sagen können:
Wir wollen und können voneinander lernen. – Einer die-
ser Beiträge wären Mindestlöhne. Mindestlöhne werden
von vielen gefordert. Mindestlöhne wären eine nationale
Lösung für ein europäisches Problem, aber auch hier
gibt es überhaupt keinen klaren Ansatz von Ihnen.


(Beifall bei der SPD)


Insofern erwarte ich von Ihnen nicht nur flotte Sprü-
che. Ich erwarte von Ihnen konkrete Taten; das hat die
Europäische Union bitter nötig. Sie sind weit hinter den
Möglichkeiten in Bezug auf die Europapolitik der Bun-
desrepublik Deutschland zurückgeblieben. Hier sollten
Sie einmal ein bisschen Tempo vorgeben. Sie haben die
Möglichkeiten dazu. Bitte nutzen Sie sie auch!

Danke schön.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703010100

Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege

Michael Stübgen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Michael Stübgen (CDU):
Rede ID: ID1703010200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Nein, ich werde nicht groß auf die Rede von
Herrn Kollegen Roth eingehen; denn ich möchte etwas
zu Europa sagen.

Ich möchte aber an etwas erinnern: Es scheint leider
sehr lange her zu sein, dass ich zu einer Zeit, als es einen
Außenminister gab, der Joseph Fischer hieß,


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guter Mann!)


in diesem Hause geredet habe und wir die grundlegen-
den Linien der Europapolitik nach innen und nach außen
gemeinsam getragen haben. Sie sollten sich überlegen,
ob es dem Einfluss Deutschlands in der Europäischen
Union dienlich ist, wenn wir damit anfangen, uns hier in
der Art und Weise zu verhalten, wie Sie das getan haben,
nämlich mit persönlichen Angriffen gegen den Außen-
minister vorzugehen, mit dessen Haltung und Einstel-
lung man nicht in jedem Fall einverstanden sein muss.
Wenn Sie glauben, dass uns das hilft, dann sind Sie auf
dem Holzweg. Die Koalition wird auf dem richtigen
Weg bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Roth [Heringen] [SPD]: Dürfen wir jetzt noch nicht mal mehr im Bundestag Kritik an einem Minister üben?)


Ich möchte darauf eingehen, dass wir in der Europäi-
schen Union zurzeit eine sehr große Unruhe haben. Wir
befinden uns – das muss man leider feststellen – in der
schwersten Krise seit Bestehen der Europäischen Wäh-
rungsunion überhaupt. Diese Krise hat mittlerweile ein
besorgniserregendes Ausmaß angenommen.

In dieser Krise merken wir auch, dass man viele Äu-
ßerungen und Vorschläge – manchmal ist das gut – nicht
allzu ernst nehmen sollte, auch wenn sie von einer fran-
zösischen Finanzministerin kommen. Man sollte hinhö-
ren, was sie gesagt hat, aber auch zur Kenntnis nehmen,
dass einen Tag später sie ja auch gesagt hat, sie habe es
nicht so gemeint.

Der öffentliche Fokus und der mediale Fokus richten
sich vor allem auf Griechenland. Allerdings wird durch
diese Fokussierung sowohl das Ausmaß der Krise, in der
wir uns befinden, als auch deren komplexe Ursachen-
struktur verkannt.

Ich möchte einige der wesentlichen Ursachen für
diese Krise benennen und vorweg eindeutig sagen: Nach
meiner festen Überzeugung war die Europäische Wirt-
schafts- und Währungsunion und war die Einführung
des Euro richtig, und dieses Projekt ist auch weiterhin
richtig.

Der Euro hat sich in den letzten Jahren zu einer stabi-
len Währung entwickelt. Er war einer der Ursachen für
das europaweite Wachstum in der Mitte dieses Jahr-
zehnts. Wir müssen aber auch feststellen, dass der Euro
in seiner jetzigen Struktur nicht ausreichend krisenfest
ist. Man kann sagen, dass er bei gutem Wetter funktio-
niert, wenn also die Weltfinanzmärkte funktionieren, es
zu Wachstum kommt und sich Wechselkursschwankun-
gen in Grenzen halten. Kommt es aber zu einer solchen
Weltfinanzkrise, wie wir sie jetzt haben, kommt der
Euro-Raum ins Trudeln.

Warum ist das so? Was Griechenland und auch wei-
tere Länder betrifft, ist es leider Tatsache, dass in der
Europäischen Union alle Kontrollgremien und Kontroll-
strukturen über viele Jahre hinweg versagt haben. Dies
gilt sowohl für die Europäische Kommission als auch für
die Räte, die Euro-Gruppe, Eurostat, die Europäische
Zentralbank und auch die nationalen Parlamente. Es kam
nicht deswegen zur Krise, weil die Kontrollregeln nicht
ausreichen. Das Hauptproblem ist vielmehr, dass die Re-
geln, die wir uns im Stabilitäts- und Wachstumspakt be-
wusst auferlegt haben, nicht rechtzeitig und nicht nach-
haltig angewandt worden sind.

Wo sind in dieser Situation die Lösungsansätze zu su-
chen? Was müssen wir auf langfristige Sicht tun? Eines
ist überdeutlich: Wir müssen in den Mitgliedsländern der
Europäischen Union und zuvörderst in den Ländern der
Euro-Gruppe die Budgetdisziplin herstellen. Nach dem,
was wir jetzt wissen, geht es nicht einfach um die Wie-
derherstellung der Budgetdisziplin. Wir müssen sie viel-
mehr herstellen. Dazu gibt es keine Alternative.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist nicht so – das höre ich gelegentlich –, dass
der Maastricht-Stabilitätspakt und die dazugehörigen
Maastricht-Stabilitätskriterien die Ursache für die Krise
sind. Es ist dagegen so, dass nachhaltiges Verstoßen ge-
gen diese Kriterien die Krise heraufbeschworen hat. Es
ist schon jetzt überdeutlich: Länder mit einer nachhaltig





Michael Stübgen


(A) (C)



(D)(B)

orientierten Haushaltspolitik meistern die jetzige Krise
besser als andere.

Welches Krisenmanagement könnte aktuell am besten
funktionieren? Ein kurzer Blick in die Geschichte kann
an dieser Stelle hilfreich sein. Vor gut eineinhalb Jahren,
im Herbst 2008, hatten wir diese Situation schon einmal
– es handelte sich damals aber nicht um Euro-Länder –,
als Lettland, Ungarn und Rumänien kurz vor der Zah-
lungsunfähigkeit standen. Damals konnte kurzfristig und
sehr schnell ein kombiniertes Unterstützungspaket vom
Internationalen Währungsfonds, von der Europäischen
Investitionsbank und der Europäischen Entwicklungs-
bank geschnürt werden. Mit diesem Maßnahmenpaket
konnte die Zahlungsunfähigkeit in allen drei Ländern ab-
gewendet werden. Bis heute sind diese Maßnahmen er-
folgreich.

Es ist aber wichtig, Folgendes festzustellen: Es funktio-
niert nur deshalb, weil die betroffenen Länder nachhaltige
Maßnahmen ergriffen haben, um ihre Haushaltspolitik,
Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik zu reformieren. Für
die Euro-Länder sind vergleichbare Maßnahmen nicht
möglich. Ob es sich nun um Euro-Länder oder Mit-
gliedsländer der Europäischen Union handelt: Die
Nothilfe als Ultima Ratio für ein Mitgliedsland der
Europäischen Union zählt für mich zum Besitzstand der
Europäischen Union. Ich betone aber: Es ist eine Ultima
Ratio, die nur anzuwenden ist, wenn alle anderen Maß-
nahmen mindestens kurzfristig versagt haben.

Ich halte es für absolut richtig, wie sich die Bundes-
regierung in dieser Frage verhält; das ist auch der einzig
mögliche Weg. Griechenland muss die eingeleiteten
Reformen umsetzen. Es können der Internationale Wäh-
rungsfonds und die Mitgliedsländer der EU nur bei dro-
hender Zahlungsunfähigkeit helfen, und auch dann nur
als Not- und Übergangshilfe. Selbst dann muss absolut
gesichert sein, dass Griechenland weiterhin Anstrengun-
gen unternimmt, um die Versäumnisse der letzten Jahr-
zehnte aufzuarbeiten.

Es ist kein Zufall, dass Deutschland in dieser Krise
bisher halbwegs klargekommen ist. Wir wissen – gerade
bei diesem Haushalt bzw. seiner Verschuldung haben wir
die Debatte gehabt –: Das ist alles nicht üppig, auch wir
verletzen das Maastricht-Kriterium. Aber im europäi-
schen Vergleich kommen wir verhältnismäßig gut klar.

Ich sehe den Grund darin, dass die Bundesrepublik
Deutschland in den letzten zehn Jahren angefangen hat,
schwierige Reformen im Sozialbereich, bei den Renten,
den Steuern etc. umzusetzen. Fast alle Fraktionen in die-
sem Haus haben eine lebhafte Erinnerung daran. Denn
diese Reformen waren zum einen extrem schwierig und
zum anderen extrem unpopulär. Es gibt aber keinen ver-
antwortungsvollen Weg, der daran vorbeiführen könnte,
für kein Land. Das muss man auch Griechenland, Portu-
gal, Spanien und Großbritannien deutlich sagen.

Lassen Sie mich noch hinzufügen, dass ich – das will
ich unumwunden zugeben – zurzeit noch nicht vollstän-
dig davon überzeugt bin, dass die Einrichtung eines
europäischen Währungsfonds langfristig der richtige
Lösungsansatz ist, um zukünftige Krisen zu verhindern
oder besser meistern zu können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sehe das Hauptproblem nicht darin, dass eine weitere
Vertragsreform von allen Mitgliedsländern ratifiziert
werden muss und deshalb etwas länger dauern würde.
Wenn der Vertrag geändert werden muss, dann müssen
wir das eben angehen. Ich kann mir aber derzeit keine
Struktur eines europäischen Währungsfonds vorstellen,
die weiterhin sicherstellen würde, dass die absolute Un-
abhängigkeit der Europäischen Zentralbank in ihrer
Zins- und Wechselkurspolitik nicht, wenn auch mögli-
cherweise nur indirekt, geschwächt würde.

Frankreich hat für solch einen Weg traditionell viel
übrig. Wir wissen eindeutig, dass ein Eingriff in die Un-
abhängigkeit der Wechselkurspolitik einen Holzweg dar-
stellt. Deswegen werden wir uns immer gegen eine sol-
che Gefährdung stemmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube – das
kann man jetzt noch nicht endgültig feststellen –, es wird
für die nächsten Jahren weniger notwendig sein, Rege-
lungen und europäische Verträge zu ändern. Was wir än-
dern müssen, ist der Umgang mit den vorhandenen Re-
gelungen und Gremien.

Ich möchte versuchen, als Schlusssatz frei nach Kant
zu formulieren, wie er es in seiner Schrift Beantwortung
der Frage: Was ist Aufklärung? gut ausgedrückt hat:


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Übernehmen Sie sich nicht!)


Die Ursache unserer Krise ist nicht der Mangel an Re-
geln, sondern der Mangel an Mut, sie anzuwenden. Das
muss sich in der Europäischen Union in Zukunft ändern.
Dann werden wir solche Krisen nicht mehr zu beklagen
haben.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Das reicht nicht, Herr Stübgen! Wir brauchen neue Regeln! – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ich sagte: Übernehmen Sie sich nicht!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703010300

Das Wort hat die Kollegin Ute Granold für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ute Granold (CDU):
Rede ID: ID1703010400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lassen Sie mich heute als Mitglied des Ausschusses für
Menschenrechte und humanitäre Hilfe den Akzent auf
den Bereich der Menschenrechte in der deutschen Au-
ßenpolitik setzen. Deutsche Außenpolitik ist neben der
Friedenspolitik das Politikfeld für den Einsatz für Men-





Ute Granold


(A) (C)



(D)(B)

schenrechte. Das haben wir im Koalitionsvertrag ganz
klar festgelegt und geregelt. Insofern gibt es sowohl ei-
nen Kompass als auch ein Steuern auf ein bestimmtes
Ziel hin.

Die Bundeskanzlerin hat in der letzten Legislatur-
periode die wertegebundene Außenpolitik als Akzent ge-
setzt. Das wird jetzt kontinuierlich fortgesetzt. Dafür
sind wir sehr dankbar. Deutschland genießt diesbezüg-
lich ein großes Ansehen in der Welt.

Herr Minister, Sie waren vor zwei Wochen beim
Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf und
haben dort für Deutschland gesprochen. Sie haben für
diese Rede über den Kurs der deutschen Außenpolitik
zugunsten der Menschenrechtspolitik großes Lob erfah-
ren. Sie haben viele Gespräche geführt. Eine Delegation
aus dem Menschenrechtsausschuss war eine Woche spä-
ter in Genf und hat davon erfahren. Wir sind sehr dank-
bar für diese klare Position und die nochmalige Beto-
nung des Auftrags zur Förderung der Menschenrechte.
Wir haben für den Einsatz, aber auch für die finanzielle
Unterstützung Deutschlands für die Einhaltung und För-
derung der Menschenrechte in der Welt Anerkennung er-
fahren. Dafür sind wir dankbar.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Menschenrechte sind universell, unteilbar und
unveräußerlich. Sie sind Ausdruck der unantastbaren
Würde der Menschen. Auf dieser Grundüberzeugung ba-
siert unser politisches Handeln in Deutschland und in der
Welt. Wir sehen es als eine Verpflichtung an, Menschen-
rechtsverletzungen über Ländergrenzen hinweg anzu-
sprechen und deren Einhaltung einzufordern. Es reicht
nicht aus, dass in manchen Staaten dieser Welt die Men-
schenrechte zwar in der Verfassung und den Gesetzen
verankert sind, sie aber nur auf dem Papier stehen und
nicht geachtet werden.

Lassen Sie mich als Beispiele den Iran und – für den
Bereich der Religionsfreiheit – die Türkei nennen. Herr
Minister, Sie haben den Iran bereits angesprochen, al-
lerdings in einem ganz anderen Kontext. Ich möchte auf
die Bürger-, Freiheits- und Menschenrechte zu sprechen
kommen. Auf den ersten Blick könnte man sich mit den
dortigen Regelungen einverstanden erklären, da die Frei-
heits- und Bürgerrechte in der iranischen Verfassung
verankert sind. Der erste Blick täuscht aber. Auf den
zweiten Blick liest man den Satz: Alle Gesetze, auch die
Verfassung, müssen im Einklang mit den islamischen
Prinzipien stehen. – Das heißt konkret Folter, Todes-
strafe, Misshandlung und Steinigung, auch von Minder-
jährigen. In diesem Staat herrscht großes Elend, auch
wenn es um die Gleichberechtigung geht.

Die Menschenrechte dürfen aber nicht relativiert wer-
den, auch nicht wegen vermeintlich religiöser oder kul-
tureller Besonderheiten. Wir sind der Bundesregierung
dankbar, dass sie nun entschieden hat, im Rahmen einer
Einzelfallprüfung iranische Dissidenten aufzunehmen.
Sie gibt damit der iranischen Opposition das Zeichen,
dass wir auf der Seite derer stehen, die unterdrückt wer-
den und deren Menschenrechte mit Füßen getreten wer-
den.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein anderes Beispiel ist die Türkei; sie wurde eben-
falls bereits in einem anderen Kontext angesprochen.
Derzeit wird in der Türkei über einen neuen Verfas-
sungsentwurf debattiert. Bürgerrechte und Grundfreihei-
ten sollen gestärkt werden. Die Menschenwürde soll als
Kernbegriff Eingang in die Verfassung finden. Die inter-
nationalen Menschenrechtskonventionen sollen Vorrang
vor den türkischen Gesetzen haben. Nun ist in der Türkei
ein heftiger Streit entbrannt. Auf der einen Seite gibt es
die Tendenz hin zur Säkularisierung, auf der anderen
Seite die Tendenz hin zur Islamisierung mit der Gefahr,
dass die Scharia Einzug in die Gesetzgebung hält. Die
jüngsten EU-Fortschrittsberichte bezüglich der Türkei
stimmen einen zurückhaltend, wenn man sich nur die
Entwicklung der Religionsfreiheit in der Türkei an-
schaut. Darum ist es nicht zum Besten bestellt. Ich
möchte als Beispiel das Kloster Mor Gabriel nennen. Es
ist mit rund 1 600 Jahren eines der ältesten Klöster der
Christenheit. Nun droht die Enteignung. Erzbischof Ak-
tas ist zurzeit in Deutschland und hat gesagt, bis zum
letzten Atemzug werde diese Wiege der Christenheit
verteidigt, und wir alle sollten an seiner Seite stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


An dieser Stelle möchte ich auch die Pauluskirche in
Tarsus und das Priesterseminar auf Chalki, das seit 30
Jahren geschlossen ist – das macht es unmöglich, Nach-
wuchs auszubilden –, in Erinnerung rufen.

Die Religionsfreiheit ist für uns ein sehr hohes Gut.
Sie ist für uns in Deutschland selbstverständlich, viel-
leicht zu selbstverständlich. Wir dürfen nicht vergessen,
dass es in vielen Teilen der Welt keine Religionsfreiheit
gibt und die Menschen wegen ihrer Religion verfolgt
und auch getötet werden. Das dürfen wir nicht schwei-
gend hinnehmen. Es gibt insgesamt 2,1 Milliarden
Christen auf der Welt. 80 Prozent der religiös Verfolgten
weltweit sind Christen. Sie werden misshandelt und ge-
tötet; ihre Häuser werden zerstört. Der sogenannte
Open-Doors-Weltverfolgungsindex führt die Länder auf,
in denen die Menschen am schlimmsten verfolgt wer-
den. Darunter sind Nordkorea, der Iran, Saudi-Arabien,
Somalia, Ägypten und der Irak. Auf die Situation in den
letzten beiden Ländern möchte ich genauer eingehen.

In Ägypten wurden Anfang Januar sechs Christen
und ein muslimischer Wachmann während eines Gottes-
dienstes in einer Kirche ermordet. In diesem Land wer-
den seit vielen Jahren schwerste Delikte gegen Christen
begangen.

Im Vorfeld der Wahlen im Irak wurden Christen um-
gebracht, Häuser von Christen in Brand gesteckt und
Bomben gelegt. Die dort lebenden Christen fordern Soli-
darität. Das sollte für uns eine Selbstverständlichkeit
sein; denn auch dort liegen die Wurzeln unseres Glau-
bens. Wenn hier Solidarität eingefordert wird, müssen
wir sie auch zeigen. Die Bundesregierung hat in der letz-
ten Wahlperiode dank der Initiative der Menschenrecht-
ler entschieden, irakische Flüchtlinge aufzunehmen.





Ute Granold


(A) (C)



(D)(B)

Letztendlich handelte es sich um eine europäische Soli-
daritätsaktion. Wir Deutsche haben unsere Hausaufga-
ben gemacht und 2 500 irakische Flüchtlinge, davon
1 100 Christen, aufgenommen. Unser Fraktionsvorsit-
zender Volker Kauder hat angekündigt, die Aufnahme
weiterer Flüchtlinge zu prüfen, da die Integration der
hier Aufgenommenen sehr gut verläuft. Sehr viele
Flüchtlinge befinden sich noch in Syrien und Jordanien.
Diesen Menschen muss Beistand geleistet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wie zerstörerisch religiöser Fanatismus sein kann,
sieht man in Nigeria. Das gilt auch für die Situation der
Christen und übrigens auch der Muslime in Indien, wo
Religionsfreiheit zwar im Gesetz steht, aber nicht geach-
tet wird.

Lassen Sie mich zum Schluss sagen, dass die Koali-
tion den Antrag „Menschenrechte weltweit schützen“
eingebracht hat, über den wir nächste Woche in diesem
Hause debattieren werden. Für uns steht immer auf der
Agenda, dass wir uns für die Menschenrechte einsetzen.
Dazu gehört auch die Situation in China und in anderen
Regionen der Welt. Für uns ist die Religionsfreiheit ein
ganz wichtiges Menschenrecht, und deshalb habe ich
meinen Fokus daraufgelegt.

Ich danke dem Außenminister und der Bundesregie-
rung für die wertegebundene Außenpolitik, für ihren
Einsatz für die Wahrung der Menschenrechte und für die
Friedenspolitik.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703010500

Das Wort hat der Kollege Rüdiger Kruse für die Uni-

onsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rüdiger Kruse (CDU):
Rede ID: ID1703010600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Der Kollege von den Linken hatte vorhin die
langen Linien vermisst. Lange Linien sind meistens
nicht so spannend, weil sie nicht diese Ausschläge ha-
ben. Natürlich gibt es diese langen Linien. Außer den in-
ternationalen Missionen, an denen wir beteiligt sind und
die meistens mit Afghanistan oder Fragen finanzpoliti-
scher Art verbunden sind, gibt es auch unsere Präsenz im
Ausland, die der Kulturpolitik zuzuordnen ist. Das ist so
eine lange Linie. Um an das anzuschließen, was meine
Vorrednerin zum Thema Menschenrechte gesagt hat: Es
gibt auch ein Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe. Es
liegt oberhalb der Menschenrechte, für deren Einhaltung
wir meistens kämpfen müssen, aber es ist ein sehr wich-
tiges. In sehr vielen Ländern stillt unser Beitrag, den wir
zum Beispiel über das Goethe-Institut und andere Ein-
richtungen leisten, einen Hunger, der hier in Deutsch-
land vielleicht gar nicht mehr so groß ist. Es ist ein Hun-
ger auf andere Kulturen, auf Anregungen, auf etwas, was
neugierig macht.
Ich frage gerne Besuchergruppen, wie hoch der Anteil
der Mittel für Kultur im Haushalt der Bundesrepublik
ist. Die Schätzungen liegen regelmäßig bei etwa
20 Prozent. Diese Zahl ist richtig, wenn das Aufregungs-
potenzial, das Kultur hat, gemeint ist; aber der finan-
zielle Anteil beträgt 0,4 Prozent. Über Kultur kann man
wunderbar streiten, und Kultur regt zum Nachdenken an.
Man kann sich fragen, was eine Ausstellung meinethal-
ben in China mit Bildern aus der Zeit der europäischen
Aufklärung nützt. Sie regt zum Nachdenken an. Kunst
begeistert, irritiert, oder sie provoziert. Das liegt im
Auge des Betrachters. Das heißt, wir setzen etwas in Be-
wegung, und gleichzeitig machen wir neugierig auf das
Land, aus dem die Kunst kommt. Das ist unsere Visiten-
karte; das ist, wenn man so will, der Trailer zu einem
Film. Wenn der Trailer gut ist, dann schaue ich mir auch
den ganzen Film Deutschland an, und wenn er richtig
gut ist, auch den zweiten und dritten Teil. Wir interessie-
ren mit ganz wenig Aufwand Menschen für unser Land.
Das ist für mich sehr wichtig. Es ist schön, wenn jemand
sagt, dass Deutschland für den schicken ICE oder auch
für Windräder steht, oder wenn jemand die guten deut-
schen Autos anführt. Aber viel interessanter und blei-
bender ist die Wirkung, die wir durch Kultur erzielen.

Nun kann man im Ausland natürlich nicht für eine Sa-
che werben, die es im Inland gar nicht mehr gibt. Dann
könnten höchstens kulturelle Ruinen besucht werden.
Deswegen korrespondiert der Kulturanteil im Haushalt
des auswärtigen Bereichs mit dem Kulturanteil im Haus-
halt des innerdeutschen Bereichs. Mit diesem vorgeleg-
ten Haushalt sind wir nicht der Versuchung erlegen, ei-
nem allgemeinen Trend entsprechend Kultur als Luxus,
der in der Krise verzichtbar ist, zu kennzeichnen, son-
dern wir haben ganz klar gesagt, dass wir die Weiterent-
wicklung von Kultur fortschreiben wollen. Das machen
wir auch im Haushalt deutlich. Wir haben nicht brutal
gekürzt. Dieser Versuchung sind wir nicht erlegen. Ich
glaube, das ist wichtig. Im Zusammenhang mit dem
Einzelplan 04 sind die Kommunen angesprochen wor-
den. Gerade in diesen Bereichen darf man nicht sparen.
Es lohnt sich unwahrscheinlich, Investitionen in Kultur
zu tätigen.

Ich bin sehr froh, dass die Themen „kulturelle Ent-
wicklung“ und „kulturelle Botschaft im Ausland“ vom
Auswärtigen Amt, das jetzt unter einer anderen Führung
steht – offensichtlich gibt es jetzt jemanden, der nicht
nur kellnern will, sondern auch einmal kocht –, aufrecht-
erhalten und ganz bewusst gesetzt werden.Vor dem Hin-
tergrund der fortschreitenden Integration dieser Welt, der
fortschreitenden Globalisierung werden wir in den
nächsten Jahren wesentliche Beiträge über kulturelle Im-
pulse leisten können. Das sind Dinge, die die Menschen
der verschiedenen Länder einander näherbringen. Auch
wenn es ein bisschen abgegrast klingt: Wenn man ein
Land näher kennengelernt hat, dann ist es viel schwieri-
ger, in einen Konflikt mit diesem Land zu kommen. –
Das zu erkennen, ist die Aufgabe. Ich hoffe, Herr Minis-
ter, dass Sie sich dieser Aufgabe mit viel Macht und In-
tensität – dies lässt der Haushaltsentwurf erkennen –
stellen.

Herzlichen Dank.





Rüdiger Kruse


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Johannes Kahrs [SPD])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703010700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den
Einzelplan 05, Auswärtiges Amt, in der Ausschussfas-
sung. – Wer stimmt für den Einzelplan 05 in der Aus-
schussfassung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der Uni-
onsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen
der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.11 auf:

Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung

– Drucksachen 17/613, 17/623 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Klaus-Peter Willsch
Bernhard Brinkmann (Hildesheim)

Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde

Zum Einzelplan 14 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der Ab-
geordneten Klaus-Peter Willsch und Dr. h. c. Jürgen
Koppelin vor. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag
der Fraktion Die Linke vor, über den wir am Freitag
nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Bernhard Brinkmann für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Bernhard Brinkmann (SPD):
Rede ID: ID1703010800

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Bei der ersten Lesung des Einzelplans 14 am
20. Januar 2010 habe ich von gleicher Stelle ausgeführt,
dass der Regierungsentwurf des Verteidigungshaushalts
auf den ersten Blick stabil und solide erscheint. Nach
den Beratungen im Ausschuss und den Ergebnissen aus
der Bereinigungssitzung kann man das allerdings nicht
mehr behaupten. In zu vielen Punkten bleibt der oberste
Grundsatz der Haushaltswahrheit und -klarheit leider auf
der Strecke.


(Beifall bei der SPD)


Angesichts der Rednerliste sei mir ein kurzer Einwurf
gestattet: Ich vermisse auf der Rednerliste den Namen
des Ministers der Verteidigung, Herrn Freiherr zu
Guttenberg.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Schützengraben!)


Man kann nur spekulieren – vielleicht wird diese Speku-
lation im Laufe der Debatte aufgehoben –: Darf er nicht?
Will er nicht? Möchte er nicht? – Schauen wir einmal,
was die Koalition zu dieser Angelegenheit sagen wird.

Im Rahmen der Haushaltsberatungen ist deutlich ge-
worden, dass 90 Prozent des investiven Anteils durch
Großvorhaben über Jahre gebunden sind, sodass für die
nächsten Jahre finanzielle Handlungsspielräume für
Neues so gut wie nicht mehr vorhanden sind. Das un-
fassbare Durcheinander bei der Beschaffung des Flug-
zeugs A400M erreicht heute durch einen kurzfristig ein-
gereichten Antrag der Koalition anscheinend eine neue
Größenordnung, man könnte fast sagen: den absoluten
Höhepunkt. Man muss sich einmal vor Augen führen,
wie die Koalition in dieser Frage in der Bereinigungssit-
zung mit Ihnen, Herr Minister, umgegangen ist – ich will
ganz deutlich sagen, dass die Bundeswehr dieses Flug-
zeug braucht; die SPD-Fraktion steht nach wie vor zu
diesem Beschaffungsvorhaben –; das schreit zum Him-
mel.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Da wird über Nacht ein Kürzungsvorschlag in Höhe
von 100 Millionen Euro durchgesetzt – ohne Begrün-
dung –, obwohl jeder wusste, dass in 2010 aufgrund des
bestehenden Vertrages selbst vor der jüngst erfolgten Ei-
nigung mit EADS 250 Millionen Euro fällig geworden
wären. Damit das geheilt und das Projekt insgesamt ge-
rettet werden kann, herrschte hier gestern hektische Be-
triebsamkeit. Der Kollege Willsch, der Kollege Kalb und
der Kollege Koppelin waren mehrfach mit dem Minister
im Plenarbereich unterwegs.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: So was!)


Andere wurden nicht dazugebeten, obwohl es eine
durchaus übliche und sehr faire Praxis ist, dass alle Be-
richterstatter des Einzelplans über Veränderungen infor-
miert werden. Aber nun kommt es: Kurz vor der ab-
schließenden Beratung legt die Koalition einen Antrag
vor – dass darüber abgestimmt wird, hat die Frau Präsi-
dentin eben angekündigt – über eine Verpflichtungser-
mächtigung für den A400M in Höhe von 500 Millionen
Euro. Wie sieht es da mit dem Einhalten des hehren
Grundsatzes eines jeden Haushälters der Haushaltswahr-
heit und -klarheit aus, Herr Minister? Die Koalitions-
fraktionen – das sage ich in aller Deutlichkeit – tanzen
Ihnen auf der Nase herum. Sie haben letztendlich durch
diese Vorgehensweise wie bei vielen anderen Einzelplä-
nen auch mehr als deutlich gemacht, dass diese Koali-
tion nicht regierungsfähig ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist aber ein Trugschluss!)


Die SPD-Fraktion steht mit dieser Äußerung zur Re-
gierungsfähigkeit nicht alleine da. Ich gehe einmal da-





Bernhard Brinkmann (Hildesheim)



(A) (C)



(D)(B)

von aus, dass auch Sie sich Umfragen und Bewertungen
anschauen. Über 70 Prozent der deutschen Bevölkerung
– das ist eine deutliche Mehrheit – sind ebenfalls dieser
Auffassung; sie sagen: Die können das nicht. – Das ist
auch so; aber Sie sind nicht bereit, den ersten Schritt zu
tun, um das zu verändern.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wie ist es bei euch? Abgewählt!)


Einsicht wäre der erste Schritt auf dem Weg der Besse-
rung. Sie aber halten an diesem totalen Durcheinander
fest.

Es kommt aber noch schlimmer.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Noch schlimmer?)


Der Kollege Kahrs hat in der Bereinigungssitzung den
Minister und den Staatssekretär gefragt, wie sie diese
über Nacht ausgeheckten Kürzungen bewerten. Antwort
des Ministers darauf: Dazu bin ich nicht in der Lage. –
Wie sollen dann aber Haushälter eine Entscheidung hin-
sichtlich von Beschaffungsmaßnahmen für den Schutz
unserer Soldatinnen und Soldaten und auch für die ge-
fährlichen Auslandseinsätze treffen? Weder die Verteidi-
gungspolitiker noch die zuständigen Berichterstatter der
Opposition wurden über diese – ich muss es wiederholen
und möchte es deutlich betonen – über Nacht ausgeheck-
ten Kürzungen informiert.

So geht man im parlamentarischen Beratungsverfah-
ren nicht miteinander um. So ist man auch nach 1998
nicht mit den Berichterstattern des Einzelplans 14 und
aller anderen Einzelpläne umgegangen. Das ist unfair
und macht nur ganz deutlich, dass die FDP wieder ein-
mal versucht, ein bisschen Profil zu gewinnen und eine
Gegenfinanzierung für die 1 Milliarde Euro hinzube-
kommen, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus
dem Hotelfenster geworfen haben. Wie durchsichtig das
ist, wird daran deutlich, dass die DEHOGA heute erklärt
hat, dass ihre Mitgliedsunternehmen bereit sind, im Ge-
genzug für dieses Steuergeschenk in Höhe von 1 Mil-
liarde Euro vielleicht 400 Millionen Euro zu investieren.
Wo bleiben die anderen 600 Millionen Euro? Sie sind
wohl als reines Klientelgeschenk der Regierung und der
Koalitionsfraktionen anzusehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Ko-
alition, Sie müssen den Soldatinnen und Soldaten erklä-
ren, warum ab dem Haushaltsjahr 2010 – in den Folge-
jahren wird der Spielraum ja noch enger – die unbedingt
notwendigen Finanzmittel für Schutz und Ausrüstung
nicht mehr zur Verfügung stehen.

Gestatten Sie mir noch zwei kurze Anmerkungen.
Gestern Abend war die Jubiläumsfeier des Verbandes
der Reservisten. Dort gab der Minister bekannt, dass er
die im Koalitionsvertrag festgelegte Verkürzung des
Wehrdienstes auf den 1. Oktober vorziehen will. Damit
werden Sie bestimmten Fragen nicht gerecht und verab-
schieden Sie sich endgültig von einer sicherheitspoliti-
schen Begründung für die Aufrechterhaltung der Wehr-
pflicht. Sie sagen auch nicht, wie Sie die in vielen
Bereichen daraus resultierenden Herausforderungen fi-
nanzieren wollen. Bei der von Ihnen vorgesehenen Ver-
kürzung der Wehrpflicht auf sechs Monate wird der Auf-
wand für die Ausbildung von Personal, für Material und
Infrastruktur in keinem Verhältnis mehr zum Ergebnis
stehen. Ich habe bis zum jetzigen Zeitpunkt auch nichts
dazu von Ihnen gehört, Herr Minister, wie Sie das in der
künftigen Haushaltsplanung darstellen wollen und wie
Sie das finanzieren wollen.

Lassen Sie mich noch ein paar kurze Anmerkungen
zu Lagerhaltung, ÖPP und Privatisierung machen.


(Henning Otte [CDU/CSU]: Jetzt kommt er mal zum Thema!)


Ich sage für die SPD-Fraktion ganz deutlich, dass die im
Ministerium zurzeit angestellten Vergleichsberechnun-
gen transparent erfolgen müssen und dass man auch die
berechtigten Sorgen und Nöte der Beschäftigten ernst
nehmen muss. Private Dienstleister sind nämlich nicht
generell besser und kostengünstiger. Stichworte wie
Bundeswehr-Fuhrpark, BWI oder auch Entwicklungen
in anderen von PPP geprägten Bereichen sind der beste
Beweis dafür.

Es gibt natürlich nicht nur Kritik, sondern durchaus
auch erfreuliche Dinge, die ich kurz erwähnen möchte,
nämlich die Baumaßnahmen im Rahmen des Konjunk-
turpakets II und das Zentrum für die Traumabehandlung
der vom Einsatz zurückkehrenden Soldatinnen und Sol-
daten, das übrigens auf einen Antrag der Arbeitsgruppe
„Sicherheit“ der SPD-Fraktion zurückgeht.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Wir brauchen weiterhin eine junge, leistungsstarke
Armee. Diese muss, um eine gewisse Attraktivität zu
entfalten, gut ausgerüstet sein. Hierzu hat der Wehrbe-
auftragte in seinem Bericht sehr viele, durchaus nach-
vollziehbare und kritische Anmerkungen gemacht, die
wir in unseren weiteren Beratungen berücksichtigen
müssen.

Zum Schluss meiner Ausführungen darf ich allen Sol-
datinnen und Soldaten und dem zivilen Personal den
Dank, die Anerkennung und den Respekt der SPD-Frak-
tion aussprechen. Das gilt insbesondere für die Teile der
Bundeswehr, die einen gefährlichen und schwierigen
Auslandseinsatz zu bewältigen haben. Herzlichen Dank
auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Minis-
teriums, die uns bei den Berichterstattergesprächen stets
die gewünschten Informationen zur Verfügung gestellt
haben. Die Zusammenarbeit hat sich bisher ausgespro-
chen angenehm dargestellt.

Wir lehnen den Einzelplan 14 ab und werden auch der
heute Mittag kurzfristig von Ihnen eingereichten Ver-
pflichtungsermächtigung über 500 Millionen Euro un-
sere Zustimmung nicht geben.


(Henning Otte [CDU/CSU]: Kein Geld für die Soldaten! So stellen Sie sich das vor!)


Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703010900

Das Wort hat der Kollege Klaus-Peter Willsch von

der Unionsfraktion.


Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1703011000

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Meine sehr verehr-

ten Damen und Herren! Herr Minister! Zunächst einmal,
Kollege Brinkmann, finde ich, dass der Ton, den Sie in
diese Debatte, die wir gemeinsam führen, hineingebracht
haben,


(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Der Ton war sehr sachlich, Herr Kollege!)


der Debatte nicht gerecht wird.


(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Wenn es so ruhig bleibt, können Sie zufrieden sein!)


Ich finde es auch nicht schön, dass Sie einvernehmlich
beschlossene Maßnahmen – unterstützt von einer breiten
Fachpolitik, auch aus der CDU/CSU – wie das Zentrum,
das sich um posttraumatische Belastungsstörungen küm-
mern soll, mit einem Parteilabel zu versehen versuchen.
Das halte ich nicht für sehr anständig; denn dieser Be-
schluss entsprach dem Anliegen all derer, die verant-
wortlich mit der Bundeswehr umgehen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)


Das sollte hier auch so gesagt werden. Wir sollten die
Soldaten gerade bei diesem Thema nicht politisch einsei-
tig instrumentalisieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Minister ist der Meinung, dass die Haushaltsbera-
tungen die Stunde des Parlaments sind. Er hatte bei Ein-
bringung des Haushalts die Gelegenheit genutzt, zum
Haushalt seines Ministeriums zu sprechen. Ich bin dem
Minister dankbar, dass er in dieser Debatte meiner Frak-
tion seine Redezeit zur Verfügung gestellt hat. Das ist
eine Reverenz gegenüber dem Parlament.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Das gab es noch nie, dass da einer kneift! Das hat mit Reverenz nichts zu tun! Das ist eine Brüskierung des Parlaments!)


Ich möchte mich aber nicht nur dafür, sondern auch für
die angenehme und zufriedenstellende Zusammenarbeit
mit dem Verteidigungsministerium bedanken. Es gab mit
den Staatssekretären und den Mitarbeitern des Hauses
eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Rahmen der
Haushaltsberatungen.

Etwa jeder zweite Bundesbürger spricht sich für
eine aktive Außen- und Sicherheitspolitik aus …
Das Vertrauen in die Bundeswehr ist außerordent-
lich groß … Die Bundesbürger vertrauen der Bun-
deswehr, weil sie davon überzeugt sind, dass die
Streitkräfte dazu beitragen, Frieden, Schutz und
Freiheit für Deutschland zu wahren.

Das habe nicht ich mir ausgedacht, sondern das ist das
Ergebnis einer Studie des Sozialwissenschaftlichen In-
stituts der Bundeswehr zum Thema „Sicherheits- und
verteidigungspolitisches Meinungsklima in der Bundes-
republik Deutschland“, die im Januar veröffentlicht
wurde. Das ist ein gutes Zeugnis für unsere Bundeswehr.
Wir sollten unseren Soldaten im Einsatz, aber auch den
Mitarbeitern der Bundeswehr auf allen anderen Dienst-
posten für den aufopferungsvollen und schweren Dienst
danken, den sie für unser Land leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich habe bereits bei der ersten Lesung im Januar zum
Ausdruck gebracht:

Wenn wir Soldaten in Einsätze schicken, dann müs-
sen wir sie so ausrüsten, dass sie unter größtmögli-
chem Schutz und mit höchstmöglicher Wirksamkeit
ihren gefährlichen Auftrag erfüllen können.

Das ist die Verantwortung des Parlaments, und zu dieser
Verantwortung stehen wir. Das haben wir auch bei die-
sen Haushaltsberatungen unter Beweis gestellt. Der
Bundeshaushalt steht unter einem gewaltigen Spardruck.
Wir alle wissen das. Trotzdem ist es uns gelungen
– wenn auch nicht völlig unbeschadet –, mit Einsparun-
gen von lediglich 32 Millionen Euro unterm Strich he-
rauszukommen. Es ist notwendig, der Öffentlichkeit zu
sagen, dass Sicherheit und Freiheit ihren Preis haben.

Ich will gleichwohl kurz illustrieren, bei welchen
Maßnahmen wir Kürzungen vorgenommen haben. Wir
meinen, dass wir bei der Nachwuchswerbung mit
10 Millionen Euro weniger auskommen. Wir als Abge-
ordnete können in unseren Wahlkreisen für den zivilen
Arbeitgeber Bundeswehr Werbung machen. Wir sind,
weil in der Fläche breit aufgestellt, am besten dafür ge-
eignet, unserem Minister zivile Mitarbeiter zuzuführen.
Wir glauben, dass man bei Baumaßnahmen, bei ver-
mischten Verwaltungsausgaben, bei Mieten und Pachten
mit 15,2 Millionen Euro weniger auskommt. Ohne die
weitere Ausrüstung mit dem Eurofighter infrage zu stel-
len, glauben wir, dass wir bei der Waffenentwicklung
mit 5 Millionen Euro weniger auskommen. – Das alles
sind Kürzungen, die die christlich-liberale Koalition un-
ter Beachtung ihrer Verantwortung für den Gesamthaus-
halt vorgenommen hat. Natürlich wissen wir, dass sich
das Ministerium über diese Kürzungen nicht freut. Wer
freut sich schon, wenn in seinem Bereich Mittel gekürzt
werden? Wir glauben aber, dass das Haus diese Vorga-
ben wird umsetzen können.

Lassen Sie mich noch zu dem Thema „öffentliche
Entwicklungszusammenarbeit und ODA-Mittel“ im Be-
reich des Einzelplans 14 einige Bemerkungen machen.
2008 war das letzte abgerechnete Jahr. In dem Jahr
haben wir aus dem Einzelplan 14 lediglich 8,2 Millionen
Euro ODA-fähige Mittel erbracht. Das sind Mittel, die
zwar aus dem Verteidigungshaushalt bezahlt werden, die
aber als Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit ge-
wertet werden. Wenn wir uns die Zahlen für 2010 an-
schauen, so kommen wir auf einen Betrag von 12,8 Mil-
lionen Euro. Sie wissen alle – die ODA-Quote ist schon
mehrfach angesprochen worden –, dass das, was dort für
einen späteren Zeitpunkt in Aussicht gestellt wird, heute
noch nicht erreicht wird. Wir sollten aber wenigstens die
Mittel zusammenrechnen, die wir für diesen Bereich





Klaus-Peter Willsch


(A) (C)



(D)(B)

schon jetzt zur Verfügung stellen, damit die Zahlen nicht
schlechter aussehen, als sie in Wirklichkeit sind.

Wir haben im Einzelplan 14 einen Bereich mit einem
Volumen von 56,3 Millionen Euro, der streitig gestellt
ist, weil das BMZ sagt, dass es sich nicht um ODA-Mit-
tel handelt. Ich glaube, an dieser Stelle müssen wir zu
Neubewertungen kommen und müssen deutlich machen,
dass das, was wir in diesem Bereich tun, der Entwick-
lung Afghanistans dient. Es geht mir nicht darum, hier
billigen Beifall für die damit erreichte Verbesserung bei
der Quotenerfüllung zu bekommen, sondern es geht mir
um die Anerkennung der Soldaten, die dort ihren Dienst
tun. Sie sollen entsprechende öffentliche Wertschätzung
erfahren, indem ihnen sozusagen testiert wird, dass sie
einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Landes
leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Sehr guter Vorschlag!)


Da wir beim Thema Quote sind: Häufig wird über
Quoten bei der Entwicklungszusammenarbeit und über
das 10-Prozent-Ziel bei den Bildungs- und Forschungs-
ausgaben gesprochen. Quotale Bindungen sind Haushäl-
tern ein Graus. Aber wenn wir schon über quotale Bin-
dungen reden, dann müssen wir das auch vollständig tun.
In der NATO ist man schon vor mehreren Jahren über-
eingekommen, einen Anteil der Verteidigungsausga-
ben am BIP von 2 Prozent anzustreben. Das erreichen
wir nicht; wir sind in einem Bereich von 1,3 Prozent bis
1,4 Prozent. Die einzigen, die dieses Ziel erreichen, sind
die Amerikaner, die Engländer und die Franzosen, die
sogar darüber liegen.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Griechen! Und da sehen Sie mal, wozu das führt!)


– Stimmt, das waren Einmalerscheinungen. Ob das bei
den Griechen allerdings nur auf Sollzahlen beruht oder
ob das Geld wirklich schon geflossen ist, ist aber frag-
lich. Darüber kennen wir ja auch Geschichten.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit zehn Jahren kontinuierlich über 4 Prozent!)


Das ist eine beachtliche Quote, wenn wir uns als Indus-
triestaaten miteinander vergleichen und überlegen, wel-
cher Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP sinnvoll
und notwendig ist. Das müssen wir mit im Blick behal-
ten.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703011100

Kollege Willsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Kahrs?


Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1703011200

Natürlich.


Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1703011300

Herr Kollege, ich höre Ihre Rede, und Sie sagen viele

gefällige Dinge. Aber wenn man sich anschaut, was Sie
im Verteidigungshaushalt gemacht haben, wird deutlich,
dass es nicht auf die Streichungen in Höhe von 1 Mil-
lion, 2 Millionen oder 5 Millionen Euro, die Sie eben ge-
nannt haben, ankommt. Ich würde es begrüßen, wenn
Sie einmal die Streichung von 200 Millionen Euro im
investiven Bereich begründen würden. 100 Millionen
Euro beim A400M, NH-90, Tiger, Quartiermeistermate-
rial und alles, was dazugehört, die globale Minderaus-
gabe von 200 Millionen Euro, die 57 Millionen Euro fle-
xibilisierte Mittel: Ich würde einfach gerne einmal die
Begründung dafür hören.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Hat er doch gemacht!)


Im Ausschuss selbst wollten Sie die Begründung
nicht geben. Ihr Minister konnte sie nicht geben, weil er
erst Stunden vorher erfahren hat, was Sie gestrichen ha-
ben. Ihr Staatssekretär muss jetzt 450 Millionen Euro in
einem Haushalt, der bereits läuft, zusammensuchen. Das
heißt, dass große Sparmaßnahmen auf die Truppe zu-
kommen. Neben all den netten Dingen, die Sie bisher er-
wähnt haben, könnten Sie auch einmal zum Kern kom-
men und dies begründen.


Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1703011400

Lieber Kollege Kahrs, ich bedanke mich für die lo-

benden Worte bezüglich meines Beitrags. Die Fachdis-
kussion werden wir jetzt sicherlich nicht mehr im Detail
nachholen können. Wir haben uns die einzelnen Be-
schaffungsmaßnahmen angeschaut und uns überlegt, wo
wir parlamentarisch nachsteuern können – ich erinnere
Sie an unseren Antrag in Sachen MEADS –, indem wir
uns in Betracht kommende Alternativen anschauen, die
den gleichen Zweck erfüllen können und bei denen wir
der Auffassung sind, dass noch genügend Zeit ist. Das
haben wir gemacht. Das ist ein verantwortlicher Um-
gang mit dem Haushalt.

Hinsichtlich des A400M bin ich Ihnen in der Tat noch
eine Begründung unseres Antrags schuldig; auch der
Kollege Brinkmann hat danach gefragt. Diese will ich
jetzt gerne nachtragen. Ich will Ihnen aber nicht zumu-
ten, die ganze Zeit stehen zu müssen, wenn ich jetzt
noch einmal zum A400M komme.


(Abg. Johannes Kahrs [SPD] nimmt Platz)


Die Beratung über den A400M ist mit Blick auf die
Technik der Haushaltsaufstellung nach der Bereini-
gungssitzung in ein Stadium gekommen, in dem wir, um
den Kredit über die KfW ausreichen zu können, eine Er-
mächtigung im Haushalt brauchen; das wissen Sie, Herr
Kollege Brinkmann. Deshalb haben wir nach einem Weg
gesucht und haben das mit dem gemeinsamen Antrag
meines Kollegen Dr. Koppelin und mir als Verpflich-
tungsermächtigung noch in den Haushalt 2010 hineinge-
bracht.

Zur Erläuterung: Mit den 2 Milliarden Euro haben wir
überhaupt nichts zu tun; das wissen Sie alle.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich mal gespannt!)


Dafür erwarten wir eine Lösung, die nicht haushalts-
wirksam wird. Wir haben darüber hinaus die 1,5 Milliar-





Klaus-Peter Willsch


(A) (C)



(D)(B)

den Euro, die die sieben Bestellernationen dem Herstel-
ler als Kreditmittel zur Verfügung stellen sollen. Unser
Anteil daran beträgt 500 Millionen Euro. Diese soll die
KfW verzinst und rückzahlbar ausreichen. Weil jetzt
aber noch kein Vertrag da ist und die Konditionen noch
nicht ausgehandelt sind und feststehen, war das BMF der
Auffassung, wir müssten den vollen Betrag ansetzen.
Wir sind der festen Überzeugung, dass das nicht fällig
werden wird.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sieht Ihr Finanzminister anders! – Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Sie hätten ganz in Ruhe beraten können!)


Das Ganze wurde in hervorragender Weise ausgehan-
delt. Viele hatten einen schlimmeren Ausgang dieser
Verhandlungen erwartet.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703011500

Kollege Willsch, der Kollege Kahrs hat offensichtlich

noch eine Nachfrage.


Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1703011600

Lassen Sie mich das bitte im Zusammenhang darstel-

len. – Sie haben schon bei der ersten Lesung gesagt, dass
wir auf jeden Fall weitermachen müssen, und damit die
Verhandlungsposition nicht gerade erleichtert. Dass wir
dieses gute Ergebnis erreichen können, indem die KfW
angewiesen werden kann, diesen Kredit auszureichen, ist
Gegenstand und Notwendigkeit des Antrags, den ich
hier einbringe und den ich Ihrer Zustimmung empfehle.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703011700

Herr Kollege Willsch, können Sie mir bitte sagen, ob

Sie die Frage noch zulassen oder nicht; denn ich kann
diese Zeit nicht an Ihre Redezeit hängen.


Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1703011800

Ich möchte meinen Gedanken im Zusammenhang

ausführen. Ich bitte um Verständnis.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703011900

Gut.


Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1703012000

Das Thema A400M macht zugleich deutlich, dass im

Einzelplan 14 Belastungen vorgesehen sind, die nicht al-
lein verteidigungspolitisch motiviert sind. Keiner hat
dieses Thema rein militärisch diskutiert, es wurde auch
immer industriepolitisch diskutiert. Das gibt es auch in
anderen Bereichen. Der Bericht von SIPRI über unsere
Erfolge an der Exportfront ist schon mehrfach angespro-
chen worden. Wir können stolz darauf sein, weil unsere
Spitzentechnologie weltweit, gerade bei unseren NATO-
Partnern, nachgefragt wird. Das sichert 77 000 Arbeits-
plätze in diesem Bereich.

Wenn technologische Fähigkeiten der Ingenieurs-
kunst erhalten werden sollen, dann muss es Aufträge ge-
ben.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ja, Krieg führen!)


Wenn das die Bundeswehr allein machen soll, dann wer-
den wir sozusagen als industriepolitischer Einzelplan
missbraucht. Als wichtiger Punkt ist festzuhalten: Wir
können mit diesen Gütern auch dafür sorgen, dass Hoch-
technologieunternehmen im Bereich Luft- und Raum-
fahrt in unserem Land eine gute Zukunft haben und nicht
nur uns, sondern auch Partnern ihre hervorragenden Pro-
dukte zur Verfügung stellen können.


(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Darum habt ihr 100 Millionen gekürzt! Unglaublich!)


Lassen Sie mich schließen, indem ich bekenne: Das,
was wir mit der Fassung in der Nacht der Bereinigungs-
sitzung beschlossen haben, hat schon Auswirkungen ge-
zeigt. Sie alle kennen die Aussagen des Inspekteurs des
Heeres. Das betrifft auch mich persönlich: Ich bin Flak-
panzerkommandant.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das merkt man!)


Es nimmt einen schon mit, wenn man liest, dass der Ge-
pard außer Dienst gestellt wird; aber es zeigt zugleich,
dass wir mit solchen Vorgaben das Problem in die
Truppe verlegen, wenn wir fragen: Wo könnt ihr mithel-
fen, dass wir diese haushaltspolitisch schwierigen Zeiten
meistern?


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703012100

Kollege Willsch, ich verrate Ihnen ein Geheimnis. Sie

haben gleich die Möglichkeit, weiter zu reden, da es
nach Ihrer Rede eine Kurzintervention gibt. Aber jetzt
bitte ich Sie, mein Signal zu beachten, und Ihre Rede zu
beenden.


Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1703012200

Ich verneige mich vor Ihnen und Ihrem Hausrecht


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)


und schließe mit folgendem Satz ab: Die Bundeswehr,
das Verteidigungsministerium und die Truppe können
sich auf die CDU/CSU-Fraktion verlassen. Wir werden
im Haushaltsausschuss für die Truppe möglich machen,
was geht.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703012300

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Kahrs das

Wort.


Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1703012400

Herr Kollege Willsch, Sie haben eben davon gespro-

chen, dass Sie es bedauern, was der Inspekteur Heer ver-
fügt hat, nämlich dass die Geparden, Marder und viele
andere Fahrzeuge stillgelegt worden sind. Das liegt da-
ran, dass Sie die Politik machen, die Sie machen. Wenn
man den Haushalt betrachtet, muss man feststellen, dass





Johannes Kahrs


(A) (C)



(D)(B)

Sie über 450 Millionen Euro aus einem laufenden Etat
gestrichen haben, die in diesem Jahr eingespart werden
müssen. Von den 250 Millionen Euro, die in diesem Jahr
für den A400M vorgesehen waren, haben Sie 100 Mil-
lionen Euro gestrichen. Es gibt aber eine vertragliche
Bindung, das heißt, die Mittel werden anderswo im
Haushalt erwirtschaftet werden müssen. Sie haben
30 Millionen Euro beim Tiger eingespart. Auch hier gibt
es vertragliche Verpflichtungen, sodass die Mittel wo-
anders eingespart werden müssen. Beim NH-90 gilt das
Gleiche: Sie werden die Mittel im laufenden Etat einspa-
ren müssen.

Das ist in keiner Sitzung des Verteidigungsausschus-
ses, bei keinem Berichterstattergespräch und auch vorher
nie diskutiert worden. Das heißt, auch Ihr Minister hat
erst Stunden vorher erfahren, was Sie in jener Nacht von
Mittwoch auf Donnerstag ausgeheckt haben. Die Truppe
wird das jetzt im laufenden Jahr erdulden müssen. Kein
anderer Etat ist so geschröpft worden wie der Verteidi-
gungsetat. Das heißt, auf der einen Seite schicken wir
Soldaten nach Afghanistan, auf der anderen Seite wird
der Etat brutal zusammengestrichen. Wir alle kennen die
Mängel bei der Bundeswehr. Wir wissen um die Pro-
bleme bei Infrastruktur und Beschaffung. Als schwarz-
gelbe Koalition streichen Sie Ihrem Minister 450 Millio-
nen Euro aus dem laufenden Haushalt und begründen
das hier nicht einmal.

Sie haben über den A400M und die 500 Millionen
Euro VE gesprochen. Hier geht es aber um die 450 Mil-
lionen Euro, die Sie real gestrichen haben. Dafür habe
ich keine Begründung gehört. Glauben Sie, dass Sie die
30 Millionen Euro für den Tiger nicht brauchen? Glau-
ben Sie, dass Sie die 100 Millionen Euro für den
A400M, die vertraglich gebunden sind, nicht brauchen?

Es wäre schön, wenn einer die Streichung einmal be-
gründen würde, damit die Truppe weiß, warum sie im
laufenden Jahr das Geld nicht hat. Der Haushalt ist groß
– das wissen wir alle –, aber der disponible Teil ist sehr
klein. Sie werden dieses Geld bei der Truppe im laufen-
den Jahr – wir haben ja schon März – zusammensparen
müssen.

Die Auswirkungen werden jeden Soldaten treffen,
werden die Truppe generell treffen. Das sind die Solda-
ten, über die wir große Reden gehalten haben, die Sie
nach Afghanistan schicken. Das sind die Soldaten, auf
die Sie immer wieder Lobeshymnen singen. Deren Geld
wird jetzt von Schwarz-Gelb gegen den Willen des Mi-
nisters und des Ministeriums zusammengestrichen. Da-
für stehen Sie als Berichterstatter. Ich finde, man könnte
das hier, vor dem Parlament, zumindest einmal begrün-
den. Das gebietet der Anstand. Wir Sozialdemokraten
haben diese Kürzung abgelehnt. Wir halten das für unan-
ständig und falsch.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703012500

Kollege Willsch, möchten Sie antworten? – Bitte.

Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1703012600

Herr Kollege Kahrs, es ist Ihnen sicher nicht entgan-

gen, dass wir für den einsatzbedingten Mehrbedarf für
Afghanistan 437 Millionen Euro zusätzlich zur Verfü-
gung gestellt haben. Sie versuchen, aus dem Thema Ho-
nig zu saugen und einen anderen Eindruck zu vermitteln;
aber Sie wissen natürlich, dass für sehr viele Mittel im
Einzelplan 14 gegenseitige Deckungsfähigkeiten beste-
hen, sodass es bei der Truppe bleibt, die Vorgaben, die
der Haushaltsausschuss gemacht hat, zu realisieren.

Ich betone einmal mehr: Der optimale Schutz und die
optimale Ausrüstung der Truppe im Einsatz bleiben für
uns im Fokus. Wenn wir bei langfristigen Beschaffungs-
vorhaben auf die Bremse treten oder sagen: „Das muss
anders gemacht werden“, dann hat das mit dem Einsatz
unmittelbar nichts zu tun.


(Rainer Arnold [SPD]: Da gibt es doch Verträge, die gelten!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703012700

Das Wort hat die Kollegin Inge Höger für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703012800

Frau Präsidentin! Herr Minister! Meine Damen und

Herren! Das Geschäft mit der Rüstung blüht. Die Zahlen
des Friedensforschungsinstituts SIPRI wurden heute ver-
schiedentlich genannt. SIPRI warnt ganz entschieden
vor weltweitem Wettrüsten. Deutschland ist zum dritt-
größten Rüstungsexporteur aufgestiegen. Rot-Grün hat
die Türen geöffnet, aber unter der Großen Koalition ha-
ben sich die Rüstungsexporte nahezu verdoppelt.

Mit den Ausgaben für das eigene Militär liegt
Deutschland auf Platz 6 weltweit, also in den Topten.
Deutsche Waffen in alle Welt, das scheint die Devise der
hiesigen Rüstungsindustrie zu sein. Nicht nur die Bun-
deswehr wird aufgerüstet. Auch NATO-Länder und EU-
Verbündete werden mit Waffen beliefert. Die meisten
dieser Länder sind in Kriege verwickelt. Selbst arme
Länder in Afrika, Lateinamerika oder Asien dürfen sich
immer wieder über Rüstungslieferungen aus Deutsch-
land freuen.

In ihrem Koalitionsvertrag behauptet die schwarz-
gelbe Regierung – Herr Westerwelle hat das heute auch
noch einmal betont –, die Koalition wolle Frieden in der
Welt schaffen und dazu beitragen. Wie soll das aber mit
immer mehr Waffen und immer neuen Rüstungsexporten
gehen?


(Beifall bei der LINKEN)


Frieden schaffen kann man nur ohne Waffen. Auch
wenn immer wieder versucht wird, den Eindruck von
Einsparungen beim Militär zu suggerieren, kann hier
nicht von einem Sparhaushalt die Rede sein. Oberfläch-
lich betrachtet haben Sie den Verteidigungshaushalt um
klägliche 0,1 Prozent gekürzt. Die Linke sieht wesent-
lich mehr Einsparmöglichkeiten. Vorschläge für die





Inge Höger


(A) (C)



(D)(B)

Kürzung um insgesamt 4 Milliarden Euro haben wir in
unserem Antrag aufgelistet.

Doch diese Regierung hat offensichtlich kein Inte-
resse daran, beim Militär zu sparen.


(Beifall bei der LINKEN)


Selbst bei den behaupteten Sparbemühungen im Promil-
lebereich wird die Öffentlichkeit getäuscht; denn nicht
alle Militärausgaben sind tatsächlich im Einzelplan 14
aufgelistet. Ein treffenderes Bild bekommt man, wenn
man sich die Meldung an die NATO-Verbündeten an-
schaut. Nach NATO-Kriterien planen Sie Militärausga-
ben in Höhe von 34 Milliarden Euro. Das ist gegenüber
2009 ein Anstieg um 600 Millionen Euro. Das wird ge-
genüber den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern ver-
schleiert. Hören Sie auf mit diesen Täuschungsmanö-
vern, und beginnen Sie mit wirklicher Abrüstung. Da
lassen sich Milliarden sparen.


(Beifall bei der LINKEN)


Unter Sparen versteht die Linke keine Umschichtung
im Militärhaushalt, wie dies in den letzten Jahren ge-
macht wurde. Durch Standortschließungen und den Ab-
bau der Zahl ziviler Beschäftigter wurde an einzelnen
Stellen Geld gespart, aber die frei werdenden Mittel
wurden dann in die Aufrüstung und Umstrukturierung
der Bundeswehr investiert. Die Umschichtungen dienten
und dienen dem Umbau der Bundeswehr von einer Ver-
teidigungsarmee zu einer Armee im Einsatz. Der Ver-
teidigungshaushalt ist der drittgrößte Einzelhaushalt.
Statt abzurüsten, rüsten Sie die Bundeswehr für welt-
weite Kriegs- und Besatzungseinsätze auf. Das geht
nicht zum Nulltarif.


(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Humanitäre Hilfe!)


Genau diese Bundeswehr als Interventions- und Besat-
zungsarmee sollte Deutschland sich sparen. Die Linke
vertritt einen strikten Antikriegskurs. Auslandseinsätze
können wir sowohl den Menschen in den betroffenen
Regionen als auch den Bundeswehrsoldaten ersparen.


(Beifall bei der LINKEN)


Hören Sie endlich auf, Deutschland am Hindukusch
oder am Horn von Afrika zu verteidigen. Nehmen Sie
das Grundgesetz ernst. Reduzieren Sie die Aufgaben der
Bundeswehr auf einen strikt territorial definierten Vertei-
digungsbegriff. Dann können Sie wirklich sparen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn die Bundeswehr nicht mehr weltweit zum Ein-
satz kommen soll, braucht sie auch keine teuren Trans-
portflugzeuge. Die Bundesregierung könnte sich das
ganze Dilemma um den Pannenflieger Airbus A400M
sparen. Bereits jetzt sind für die Beschaffung dieses Mi-
litärtransporters etwa 10 Milliarden Euro eingeplant.
Das entspricht etwa dem deutschen Entwicklungshilfe-
etat der letzten beiden Jahre zusammen. Doch das Flug-
zeug wird die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler wahr-
scheinlich noch deutlich teurer zu stehen kommen. Ei-
gentlich müsste die Firma EADS aufgrund der starken
Lieferverzögerung Strafzahlungen an die Bundesregie-
rung leisten; aber Sie verzichten auf Ihre Ansprüche.
Weitere Zahlungen wurden zugesagt. Die verschiedenen
Bestellerländer haben sich bereit erklärt, insgesamt
3,5 Milliarden Euro zusätzlich zu zahlen; 1,5 Milliarden
Euro davon gibt es eventuell zurück. Wann? Wenn sich
der Airbus als Exportschlager herausstellt. Das ist aus
Sicht der Linken pervers.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist ein Transportflugzeug!)


Die Firma Airbus rechnet damit, auf dem Weltmarkt
bis zu 500 dieser Militärflugzeuge verkaufen zu können.
Um die Aufrüstung der deutschen und französischen Ar-
mee mit Transportflugzeugen irgendwie finanzierbar zu
halten, wird die weltweite Aufrüstung bewusst vorange-
trieben. Dabei wäre die Lösung ganz einfach: Die Bun-
desregierung hat aufgrund der Lieferverzögerungen
Kündigungsrecht. Sie könnten also ganz einfach aus die-
sem Vertrag aussteigen. Dann wäre das Projekt zwar
wahrscheinlich am Ende, aber das wäre auch gut so. Be-
enden Sie diesen Wahnsinn. Deutschland braucht den
A400M nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Gleiches gilt für viele andere Rüstungsvorhaben.
Auch der neue Schützenpanzer Puma soll zu einem
Exportschlager werden wie das Vorgängermodell Leo-
pard 2, das bereits in alle Welt verkauft wurde. Der Ein-
kauf von 410 Hightechschützenpanzern Puma wird ein-
schließlich der Bewaffnung etwa 5 Milliarden Euro
kosten. Diese 5 Milliarden Euro würden reichen, um al-
len Menschen in Afghanistan fünf Jahre lang eine medi-
zinische Grundversorgung zukommen zu lassen. Auch
dieser große Auftrag reicht den Produzenten Rheinme-
tall und Krauss-Maffei Wegmann nicht. Der Auftrag der
Bundeswehr ist lediglich ein Türöffner für den lukrati-
ven Weltmarkt. In fast allen Fällen gibt es einen Zusam-
menhang zwischen der Rüstungsproduktion für die Bun-
deswehr und der Rüstungsproduktion für den Export.
Hohe Stückzahlen machen die Produktion von Panzern
und U-Booten lukrativer. Hier komme ich auf die bereits
erwähnte Warnung von SIPRI vor einem neuen weltwei-
ten Wettrüsten zurück. Die neue Aufrüstungsspirale dreht
sich bereits.

Mit diesem Haushalt wird die Grundlage für Aus-
landseinsätze der Bundeswehr gelegt. Wir haben es hier
mit einer Mogelpackung zu tun. Allein der ISAF-Einsatz
in Afghanistan wird im laufenden Jahr mehr als 1 Milliar-
de Euro verschlingen. Im Haushalt wird aber so getan, als
ob alle Auslandseinsätze zusammen, ob auf dem Balkan,
in Afghanistan und am Horn von Afrika, nur 600 Millio-
nen Euro kosten würden. Auch hier gibt es natürlich eine
sehr einfache Möglichkeit, mit diesem Geld auszukom-
men: Verzichten Sie auf die Aufstockung des ISAF-Man-
dates. Schicken Sie keine weiteren Soldatinnen und Sol-
daten nach Afghanistan. Lassen Sie die Soldaten, die vor
Ort sind, ihre Koffer packen. Beenden Sie den Einsatz der
Bundeswehr in Afghanistan.





Inge Höger


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Dann ermöglichen Sie ein Massaker!)


Die NATO, mit ihr auch die Bundeswehr, kann und
wird diesen Krieg nicht gewinnen; immer mehr Militärs
sagen Ihnen das. Das Militär trägt nur zur Eskalation der
Situation bei. Ziehen Sie deshalb den längst fälligen
Schlussstrich unter diese unrühmliche Geschichte und
holen Sie die Bundeswehr aus Afghanistan heraus.


(Beifall bei der LINKEN)


Völlig pervers ist auch die Tatsache, dass Kriegsein-
sätze inzwischen zu einem Verkaufsargument für deut-
sche Rüstungsgüter geworden sind. Was sich im Einsatz
bewährt hat, verkauft sich auf den internationalen Rüs-
tungsmärkten offensichtlich besser. Während die Zivil-
bevölkerung und auch die Soldatinnen und Soldaten den
Preis für Kriege bezahlen müssen, profitiert die Rüs-
tungsindustrie gleich doppelt: von der Nachfrage der
Bundeswehr und von besseren Exportchancen. Diese
Form der Exportförderung muss sofort aufhören.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Geschäft mit dem Krieg läuft gut. Die Rüstungs-
industrie ist kaum von der Krise bedroht. Die Verträge
sind langfristig, und Krieg hat offensichtlich wieder
Konjunktur. Zusätzlich profitiert die Rüstungsindustrie
auch vom Konjunkturpaket. Im laufenden Jahr werden
neben Kasernensanierung und militärischer EDV bei-
nahe 200 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket für
Rüstung zur Verfügung stehen, und das zusätzlich zum
Verteidigungshaushalt. Profiteure dieses makabren Kon-
junkturpaketes aus Panzern und Maschinenpistolen sind
unter anderem Heckler & Koch, EADS, Krauss-Maffei
Wegmann und Rheinmetall.

Bitte kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Arbeits-
platzargument. Wollen Sie wirklich das Sterben von
Menschen in anderen Teilen der Welt mit dem Erhalt
von Arbeitsplätzen in unserem Land rechtfertigen?


(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Nein! Natürlich nicht! – Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: Das ist einfach unanständig!)


Außerdem sind Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie
hoch subventioniert. Mit dem finanziellen Aufwand für
einen Arbeitsplatz in der Rüstungsindustrie könnten Sie
vier bis fünf gut bezahlte Arbeitsplätze im Bildungswe-
sen oder im Gesundheitsbereich finanzieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge sind auf
jeden Fall sinnvoller und in diesem Land notwendiger.

Schon die rot-grüne Bundesregierung erklärte vor ei-
nigen Jahren stolz, der Einzelplan 14 sei zu einem Ein-
satzhaushalt geworden. Schwarz-Gelb hat diese unsägli-
che Tradition mit dem vorliegenden Haushalt fortgesetzt.
Aber eine Frage bleibt noch offen. Da diese Regierung
nun zugibt, sich in Afghanistan im Krieg zu befinden,
frage ich Sie: Warum nennen Sie diesen Haushalt nicht
ganz offen und ehrlich einen Kriegshaushalt? Oder ist das
für Sie zu viel Klartext? Doch egal wie Sie ihn nennen,
die Linke kann und wird diesem Aufrüstungs- und
Kriegshaushalt nicht zustimmen. Wir sagen Nein.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Wer hat Ihnen diesen Unsinn bloß aufgeschrieben?)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703012900

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege

Dr. h. c. Jürgen Koppelin das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1703013000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Man muss wirklich geduldig sein, um so eine Rede wie
eben ertragen zu können.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist wahr! – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Was meinen Sie, was wir für Geduld mitbringen müssen!)


Ich will dazu nur Folgendes sagen: Eine Feuerversiche-
rung kündigt man auch nicht, nur weil es seit Jahren
nicht gebrannt hat;


(Inge Höger [DIE LINKE]: Sie könnten damit viel Geld sparen!)


das sei Ihnen ins Stammbuch geschrieben. In Anbetracht
Ihres Verhältnisses zur Bundeswehr rate ich Ihnen: Be-
suchen Sie unsere Soldatinnen und Soldaten einmal und
reden Sie mit ihnen.


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das haben wir ja gerade gemacht!)


Ich glaube, dann kommen Sie zu anderen Erkenntnissen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich als Hauptberichterstatter erst einmal
etwas Positives sagen. Hier werden die unterschiedli-
chen Auffassungen der Fraktionen vorgetragen; das ist
in einer solchen Debatte völlig in Ordnung.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das nennt man Demokratie!)


Insgesamt ist allerdings festzustellen – das wurde in den
Berichterstattergesprächen, bei denen Sie ja nicht dabei
waren, deutlich –, dass alle Fraktionen zur Bundeswehr
stehen und der Auffassung sind: Wir brauchen eine
moderne und leistungsfähige Bundeswehr. Ich finde,
das sollten unsere Soldaten wissen; denn das ist trotz al-
ler Unterschiede, die es gibt, ausgesprochen positiv.
Dass wir über einzelne Details streiten, hat also nichts
mit unseren Soldatinnen und Soldaten oder mit der Bun-
deswehr zu tun.

Alle Fraktionen – natürlich außer den Linken – wis-
sen, dass wir unsere Bundeswehr immer wieder befähi-
gen müssen, in Krisensituationen für die Friedenssiche-
rung und im Sinne der Humanität eingesetzt zu werden,
auch im Interesse und im Auftrag der Völkergemein-
schaft; diesen Aspekt haben Sie in Ihrem Redebeitrag
vergessen.





Dr. h. c. Jürgen Koppelin


(A) (C)



(D)(B)

Auch ich möchte an dieser Stelle unseren Soldatinnen
und Soldaten, die im Auslandseinsatz sind, unseren Re-
spekt bekunden für ihren Einsatz, der nicht einfach ist.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen – ich sage das wie meine Vorredner, außer
natürlich denen von den Linken – diesen Respekt immer
wieder bekunden; denn die Soldatinnen und Soldaten
sind draußen im Einsatz, weil wir hier im Deutschen
Bundestag das so entschieden haben.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Weil Sie keine Friedenspolitik machen können!)


Daher verfolgen wir sehr intensiv, wie es unseren Solda-
tinnen und Soldaten geht, auch menschlich; ich komme
gleich noch darauf zurück.

Ich möchte auch den Bundeswehrangehörigen im In-
land, den Soldatinnen und Soldaten, aber auch den Zivil-
angehörigen, unseren Dank aussprechen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns bei
den Haushaltsberatungen intensiv mit der Situation der
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr – im Ausland
wie im Inland – beschäftigt. Ich finde es nicht nur inte-
ressant und völlig in Ordnung, sondern auch sehr richtig,
dass der Wehrbeauftragte für unsere Soldaten in Aus-
landseinsätzen mehr menschliche Unterstützung einge-
fordert hat. Nach den Berichterstattergesprächen kann
ich nur sagen: Alle Fraktionen hier – außer den Linken;
die haben sich daran nicht beteiligt – sind der Auffas-
sung: Wir müssen da etwas tun. Vor allem müssen wir
uns um die Soldatinnen und Soldaten kümmern, die vom
Auslandseinsatz zurückkehren. Einen Einsatz in Afgha-
nistan steckt man nicht so einfach weg, der bleibt man-
chen präsent, sodass sie Betreuung benötigen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703013100

Kollege Koppelin, gestatten Sie dem Kollegen

Nouripour eine Frage?


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1703013200

Ja, selbstverständlich.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703013300

Herr Kollege Koppelin, wir schließen uns Ihren lo-

benden Worten für den Wehrbeauftragten ausdrücklich
an. Wir müssen anerkennen, dass der Kollege Polenz
diese Worte längst aufgegriffen hat. Auch er hat den
Wehrbeauftragten gelobt und dafür plädiert, dass Herr
Robbe wegen seiner Kompetenz und wegen der Leis-
tung, die er erbracht hat – alle Fraktionen sehen das –,
doch im Amt bleiben möge. Könnten Sie uns erklären,
warum Ihre Fraktion das anders sieht?

Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1703013400

Ich glaube, dass Sie diese Frage nicht bei der Debatte

über den Etat des Verteidigungsministers, sondern bei
der Debatte über den Etat des Deutschen Bundestages
hätten stellen sollen; denn der Wehrbeauftragte gehört
zum Deutschen Bundestag, er untersteht dem Bundes-
tagspräsidenten. Da hätte Ihre Frage hingehört.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätte auch Ihr Lob dorthin gehört!)


Sie sollten sich ein Vorbild nehmen am amtierenden
Wehrbeauftragten, der das in einer entsprechenden
Weise honorig kommentiert hat; vielleicht lernen Sie
von ihm noch etwas.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben in unserem Berichterstattergespräch auch
die Mängel im Sanitätswesen angesprochen. Da ist et-
was, was einen bei der Bundeswehr, egal wer Minister ist,
sehr ärgert – das muss ich hier einmal deutlich sagen –: Es
wird oft sehr spät gehandelt, und viele Probleme – das hat
auch der Wehrbeauftragte so gesehen – werden schönge-
redet. Man muss sich einmal die Frage stellen: Warum
wird bei der Bundeswehr – wir haben das bei unseren Be-
richterstattergesprächen gemerkt – so vieles schöngere-
det? Jeder meldet nach oben: Es ist alles bestens. – Die
Soldaten haben anscheinend den Eindruck: Wer sich die-
sem System nicht anpasst, muss eventuell mit Schwierig-
keiten rechnen; vielleicht fällt sogar die Beurteilung et-
was schlechter aus.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind ja Zustände fast wie in der FDP!)


Herr Bundesverteidigungsminister, ich kann Sie nur
bitten: Sagen Sie der Truppe sehr deutlich: Jeder Soldat
muss die Möglichkeit haben, Mängel beim Namen zu
nennen und dies weiterzugeben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ohne ins Detail zu gehen, Herr Minister, sage ich
auch: Jeder Soldat sollte nicht nur die Möglichkeit ha-
ben, sich an den Wehrbeauftragten zu wenden, sondern
auch direkt an Sie.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Wenn ich schon dabei bin, Herr Minister: Vielleicht
gilt das auch für Truppenbesuche. Ich weiß, wie so et-
was abläuft; ich habe schon an solchen Veranstaltungen
teilgenommen. Es sollte nicht nur alles positiv, im
NATO-olivgrünen Bereich gesehen werden – vor allem
wenn man mit Pressetrupp da ist, kommt kaum Kritik –,
man sollte auch einmal hinter die Kulissen schauen.

Ich muss einen Punkt ansprechen, der mich immer
wieder ärgert – ich spreche diesen Punkt seit Jahren an;
ich mache diesen Etat ja nun schon seit vielen Jahren –:
In Zeitschriften wie Bundeswehr aktuell wird immer al-
les positiv dargestellt. Auch in der Ausgabe vom 22. Fe-
bruar über das Sanitätswesen ist alles nur positiv darge-
stellt. Wer den Bericht des Wehrbeauftragten liest, weiß,





Dr. h. c. Jürgen Koppelin


(A) (C)



(D)(B)

dass es tatsächlich etwas anders ist. Vielleicht sollte so
eine Zeitschrift, die an die Soldatinnen und Soldaten ver-
teilt wird, auch einmal kritische Dinge aufgreifen. Ich
glaube, dass täte unseren Soldatinnen und Soldaten gut.
Das wäre mein Wunsch an Ihr Haus, Herr Minister: dass
diese Zeitung nicht nur mit Fotos des Ministers oder der
Staatssekretäre dekoriert wird.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Haushaltsbera-
tungen haben gezeigt, dass die Koalitionsfraktionen die
Beschaffungsmaßnahmen wie angekündigt auf den
Prüfstand stellen. Die meisten Beschaffungsmaßnah-
men, über die wir reden und mit denen wir uns teilweise
herumschleppen und bei denen wir Mühe haben, die Fi-
nanzierung sicherzustellen, kommen noch aus rot-grüner
Zeit. Ich nenne einige Beispiele:

Da gibt es das MEADS, das taktische Luftverteidi-
gungssystem. Damit plagen wir uns seit Jahren herum.
Das war ein Produkt aus rot-grüner Regierungszeit. Ich
weiß allerdings, dass damals die Haushaltspolitiker und
die Verteidigungspolitiker der Grünen gegen dieses Pro-
jekt waren. Wir haben hier Debatten gehabt. Wir als FDP
haben auch Anträge gestellt. Ich muss dem einen oder
anderen, der neu im Parlament ist, vielleicht einmal sa-
gen, wie das damals ablief. Die Abgeordneten waren da-
gegen. Dann gab es einen Rüffel von Gerhard Schröder,
und es tagte der Parteirat in der Besetzung Roth, Höhn,
Bütikofer, Volker Beck und Trittin. Es wurde beschlos-
sen: MEADS wird angeschafft. Das machen wir. – So ist
das damals gelaufen. Heute plagen wir uns damit herum.

Wir wollen aus MEADS aussteigen. Ich freue mich,
dass ich hier sagen kann: Auch der Bundesminister der
Verteidigung, der Herr zu Guttenberg, sieht dieses Pro-
jekt kritisch. Wir wollen daraus aussteigen. Vielleicht
freut das die Grünen, dass es nach so vielen Jahren dazu
kommt. Allerdings ist viel Geld verbrannt worden.

Das Transportflugzeug A400M ist ebenfalls ein Pro-
dukt aus rot-grüner Regierungszeit, mit dem wir uns
jetzt beschäftigen müssen. Hätten Sie die Verträge doch
bloß besser formuliert!


(Beifall bei der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Vertrag war gut!)


Ich erinnere mich an heftigste Debatten hier im Parla-
ment. Ich bin von Anfang an dabei gewesen. Kollege
Bonde, da waren Sie noch gar nicht im Parlament. CDU/
CSU und FDP gingen sogar zum Verfassungsgericht,
weil dieser Vertrag Mist war. Jetzt plagen wir uns immer
noch damit herum.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Haushalt von Scharping war Mist! Deshalb haben die Grünen mitgeklagt!)


Das ist die Krux. Sie haben am Anfang 90 Flugzeuge be-
stellt; die Grünen haben die Hand dafür gehoben. Dann
kam Gott sei Dank der Verteidigungsminister Struck, der
den Scharping ablöste und sagte: Das können wir gar
nicht bezahlen.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben! Sehen Sie!)


Da kam es zur Bestellung von 60 Flugzeugen. Wir als
FDP haben immer gesagt, dass 50 völlig reichen. Der
Rechnungshof hat 40 Stück für völlig ausreichend gehal-
ten.

Wir wollen das Transportflugzeug, aber den Schla-
massel, den wir jetzt damit haben, haben Sie uns einge-
brockt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch! Sie lassen sich doch Geld aus der Nase ziehen, und zwar ohne vertragliche Grundlage!)


Wir versuchen jetzt, den Schaden zu begrenzen, auch für
den deutschen Steuerzahler. Hier wurde kritisiert, dass
wir, der Kollege Willsch und ich, heute einen Ände-
rungsantrag dazu eingebracht haben. Das hat mit Haus-
haltswahrheit und -klarheit zu tun. Deswegen mussten
wir diesen Änderungsantrag einbringen. Das werden Sie
vielleicht nicht verstehen, weil Sie sich nicht mehr so in-
tensiv damit beschäftigen; Sie sind eben nicht mehr in
der Regierung, und das ist auch okay so. Wir mussten so
vorgehen. Das hat mit Haushaltswahrheit und -klarheit
zu tun.

Ich nenne das nächste Projekt, das IT-Projekt Herku-
les, ebenfalls ein großes Projekt aus rot-grüner Regie-
rungszeit, ein Milliardenprojekt, das kaum noch in den
Griff zu bekommen ist. Ich sage hier klar: Auch das hat
uns Rot-Grün in dieser Form eingebrockt. Milliarden hat
das schon gekostet. Ich sage für die FDP: Mehr Geld
gibt es dafür nicht. Wir haben schon so viel Geld hinein-
gesteckt; mehr gibt es nicht.

So sind wir weiter bereit, alles auf den Prüfstand zu
stellen. Es geht immer nach folgenden Kriterien: Was ist
das Beste für unsere Soldaten? Brauchen wir das für den
Einsatz der Bundeswehr? Danach geht es. Alles andere
zählt nicht.

Die Zwischenfragen des Kollegen Kahrs haben mich
nun wirklich gewundert; er weiß es ja besser. Im Haus-
haltsausschuss lobt er die FDP sogar und sagt: Was ihr
alles von eurem Liberalen Sparbuch durchgesetzt habt!
– Das ist auch so; das kann man nachlesen. Es kam nicht
überraschend. Kollege Kahrs, Sie zitieren doch sonst im-
mer das Liberale Sparbuch. Darin standen all die An-
träge. Nun haben wir das umgesetzt, und nun jammern
Sie. – Nein, Kollege Kahrs; Sie haben genug gefragt.
Auch im Ausschuss haben Sie lange gesprochen. Damit
machen wir heute ausnahmsweise einmal Schluss.

Wir wollen Folgendes: Unsere Soldaten bekommen
alles, was für den Einsatz notwendig ist. Dafür wollen
wir die finanziellen Mittel effektiv einsetzen.

Ich sage zum Schluss, auch als Hauptberichterstatter:
Mein Eindruck war, dass alle Fraktionen das Beste für
unsere Soldatinnen und Soldaten wollen. Darauf bin ich,





Dr. h. c. Jürgen Koppelin


(A) (C)



(D)(B)

auch als Demokrat in diesem Parlament, trotz aller Kon-
troversen stolz.


(Beifall bei der FDP)


Nun wäre meine Redezeit eigentlich fast zu Ende,
aber ich habe noch etwas zu sagen. Meine Kollegin Elke
Hoff ist heute Morgen erkrankt. Ich wünsche ihr von hier
aus alles Gute und übermittle die besten Genesungswün-
sche. Sie hat mir ihren Redeentwurf gegeben. Ich hoffe,
dass ich noch ein bisschen daraus vortragen kann. Es ist,
wie gesagt, jetzt also nicht meine Rede, sondern die der
Kollegin Elke Hoff.


(Heiterkeit – Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Gib die Rede zu Protokoll! Das ist besser!)


– Nein. Wenn eine Kollegin kurzfristig wirklich schwer
erkrankt ist und ihren Redeentwurf weitergibt, dann
sollte man so fair sein, zu akzeptieren, dass das jemand
vorträgt.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Ich habe ja nur einen Vorschlag gemacht! Du musst den Vorschlag ja nicht annehmen!)


Die Kollegin Elke Hoff begrüßt ausdrücklich, dass es
Umschichtungen im Haushalt gegeben hat. Sie hat sich
intensiv mit dem Thema der posttraumatischen Belas-
tungsstörungen unserer Soldaten befasst. Wir sollten
endlich ein echtes Behandlungszentrum bekommen. Das
ist ein Schwerpunkt ihrer Arbeit gewesen. Ich kann nur
sagen: Alle Achtung! Wir bekommen das jetzt hin. Die
Kollegin Hoff hat sich genauso intensiv für die Sonder-
programme zur Kasernensanierung West eingesetzt. Die
Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst
war ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit meiner Kolle-
gin. Ich kann nur sagen: Wir haben das mit dem Haus-
halt durchgesetzt, und ich bin sehr froh darüber.

Genauso froh bin ich darüber, dass sich im Haushalt
die neue Afghanistan-Strategie der Bundesregierung
wiederfindet. Das hat mir in der außenpolitischen De-
batte heute, in der in Bezug auf den Außenminister he-
rumgenölt wurde, wie der Norddeutsche sagt, ein biss-
chen gefehlt; das sage ich ganz offen. Endlich gibt es im
Bereich Afghanistan neue Aktivitäten. Andere Regie-
rungen vor uns haben das nicht geschafft. Das hat der
Außenminister gemacht, und das macht diese Regierung.
Darauf bin ich als jemand, der den Einsatz sonst immer
sehr kritisch gesehen hat, ein bisschen stolz.

Genauso stolz bin ich darauf, dass uns jetzt ein At-
traktivitätskonzept vorgelegt wurde; auch das finde ich
in Ordnung.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagt das Frau Hoff?)


Herr Minister, wir verlangen und wünschen, dass das zü-
gig umgesetzt wird. Auch das ist ein Wunsch meiner
Kollegin Elke Hoff.

Ich komme zu W6. Sie kennen die Vorstellung der
Freien Demokraten. Wir sind der Meinung – daran hal-
ten wir politisch auch fest –, dass die Wehrpflicht abge-
schafft gehört. Die Wehrpflicht hat ausgedient. Hier ha-
ben wir uns in der Koalition nicht durchgesetzt. Jetzt
gibt es den W6-Kompromiss.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles teurer und schlechter!)


Im Interesse der Wehrpflichtigen und der Bundeswehr
wollen wir das nun so sinnvoll wie möglich ausgestalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage an dieser
Stelle – das ist auch immer das Anliegen meiner Kolle-
gin Hoff gewesen, und das bleibt es auch weiterhin –:
Vorrang haben die Soldatinnen und Soldaten, die Ange-
hörigen der Bundeswehr, auch die Zivilangehörigen, ob
sie hier im Inland sind, oder ob sie im Ausland sind.

Ich kann aus Zeitgründen nicht mehr alles vortragen,
was mir die Kollegin Hoff in ihrer Rede vorgelegt hat,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Da steht alles drin!)


aber es ist vielleicht eine ganz gute Gelegenheit, meiner
Kollegin Hoff einmal ganz herzlich für ihren Einsatz für
die Bundeswehr zu danken. Sie ist eine unglaublich
engagierte Anwältin für unsere Bundeswehr, und dafür
hat sie unseren großen Dank verdient.

Herzlichen Dank für Ihre Geduld.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703013500

Kollege Koppelin, ich habe mir fest vorgenommen,

nachzuforschen, ob es das schon einmal gegeben hat,
dass zwei Reden in einer Rede gehalten wurden.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Jetzt hat der Kollege Alexander Bonde für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


(Zuruf von der SPD: Auf sie mit Gebrüll!)



Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703013600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich darf der Kollegin Hoff im Namen meiner Fraktion
ganz herzliche Gesundheitswünsche ausrichten. Richten
Sie ihr aus: Ihre Reden gefallen uns allerdings besser,
wenn sie sie vorträgt, als wenn der Kollege Koppelin aus
ihnen zitiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Kein Widerspruch! – Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Wenn wir uns auf „Genesungswünsche“ verständigen können, schließen wir uns dem uneingeschränkt an!)


Ich will vorneweg sagen, dass ich irritiert darüber bin,
dass wir in dieser Debatte eine Besonderheit erleben, die
ich bei Haushaltsberatungen noch nicht erlebt habe,





Alexander Bonde


(A) (C)



(D)(B)

nämlich dass die Bundesregierung in der Schlussbera-
tung eines Haushaltes kneift.


(Iris Gleicke [SPD]: Sie hat nichts zu sagen!)


Die Bundesregierung ergreift das Wort nicht und äußert
sich nicht zu Veränderungen in ihrem Haushalt, und das
in der außergewöhnlichen Situation, dass es in diesem
Haushalt durch den Antrag der Koalitionsfraktionen um
kurz vor zwölf zu einer Veränderung bei den Ver-
pflichtungsermächtigungen im Umfang von 500 Mil-
lionen Euro gekommen ist.

Herr Minister, ich fordere Sie auf: Nehmen Sie zu
diesem Haushalt Stellung! Stellen Sie sich hier vorne hin
und erklären Sie dem Parlament und den Steuerzahlerin-
nen und Steuerzahlern, welche Veränderungen in diesem
Einzelplan Sie aufgrund Ihrer Verhandlungen mit Airbus
über den A400M last minute zu verantworten haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht nicht, hinten auf der Bank zu sitzen und zu
schweigen. Das, was hier als Verbeugung vor dem Parla-
ment bezeichnet wird, ist kein Verbeugen, sondern ein
Wegducken. Das ist Ihnen nicht angemessen, Herr Mi-
nister.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir reden hier über einen Haushalt, der sehr durch
unterschiedliche Entscheidungen geprägt ist. Dieser
A400M ist eines der großen Rüstungsprojekte. Hinsicht-
lich dieses Projekts hat Herr Koppelin hier eine interes-
sante Geschichtsklitterung versucht. Das ist ein Projekt,
für das es einen klaren Vertrag gibt und das in der Amts-
zeit des Vorgängers von Herrn zu Guttenberg aus dem
Ruder gelaufen ist. Das kreide ich Herrn zu Guttenberg
nicht an.

Obwohl es einen klaren Vertrag, klare Leistungsbe-
schreibungen und einen klaren Preis gab, sagt das Unter-
nehmen jetzt: Es ist jetzt irgendwie nicht so, dass wir lie-
fern können. – Es hält die Hand auf und sagt: Kohle her!

Man könnte denken, dass die Bundesregierung sagt:
Vertrag ist Vertrag. – Das ist aber eine Bundesregierung
– und das liegt jetzt im Verantwortungsbereich des Mi-
nisters –, die sich auf Verhandlungen eingelassen hat –
und die der Industrie, die ausweislich der Gutachten, die
der Minister selber in Auftrag hat geben lassen, ge-
pfuscht hat und alleine verantwortlich ist für massive
Kostensteigerung und für ein Fehlmanagement im ge-
samten Projekt, jetzt zusätzliche Milliarden Euro hinter-
herwirft. Ich finde schon, dass Sie das erklären müssen.
Man kann nicht einfach schweigend auf der Bank sitzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte einmal erwähnen, was Sie alles verabredet
haben: Zusatzkosten bzw. Minderleistungen von 2 Mil-
liarden Euro bedeuten für Deutschland Kosten in Höhe
von 667 Millionen Euro. Ein Exportkredit über 1,5 Mil-
liarden Euro bedeutet für Deutschland Kosten in Höhe
von 500 Millionen Euro. An dieser Stelle ist es spannend,
dass das Bundesfinanzministerium, vertreten durch den
Staatssekretär, schreibt, es

sehe … eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der
Bund bei Absicherung eines bedingt rückzahlbaren
Kredits in Anspruch genommen wird.

Das heißt, nach Einschätzung der Bundesregierung ge-
hen Sie mit diesen 500 Millionen Euro ein massives Ri-
siko für den Bundeshaushalt ein. Gleichzeitig erklären
Sie uns aber seit Wochen, dass das alles schon irgendwie
kostenneutral zu machen sei. Jetzt, wo die Mehrkosten
für die Steuerzahler auf dem Tisch liegen, sitzen Sie dort
hinten und trauen sich nicht, nach vorne zu treten und
uns zu sagen, dass Sie dem Unternehmen bewusst Sub-
ventionen zahlen und die Steuerzahlerinnen und Steuer-
zahler wieder einmal das Säckel aufmachen müssen,
ohne etwas dafür zu bekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es geht noch weiter. Sie sagen nämlich auch nicht,
dass Sie auf milliardenschwere Vertragsstrafen verzich-
ten, die Deutschland aufgrund des wasserdichten Ver-
trags zustünden, den Sie jetzt ohne Not ändern. Sie
erklären nicht, dass die sogenannte Preisgleitklausel ge-
ändert wird, dass also die Firma aufgrund Ihrer neuen
Vereinbarung in den künftigen Jahren zusätzliche Preis-
steigerungen auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
abwälzen kann.

Sie ziehen außerdem Vorauszahlungen vor. Das be-
deutet, dass der Bund zusätzlich millionenschwere Zins-
verluste erleidet, wobei die Sanktionsmöglichkeiten im
Zuge der nächsten Fehl- oder Schlechtleistungen noch
geringer sind. Sie müssten sich dann erneut von der
Industrie erpressen lassen. Ich finde, dass das ein
ordnungspolitisches Versagen ist. Der Ordnungspolitiker
Guttenberg duckt sich nach einem solchen Verhand-
lungsergebnis zu Recht. Er sagt nichts dazu, weil das mit
Ihrer wirtschaftspolitischen Ansage überhaupt nichts
mehr zu tun hat.

Es hat auch mit der Ansage der Bundesregierung an
die Vereinigten Staaten in Sachen WTO und unfairen
Subventionen der amerikanischen Luftfahrtfahrtindus-
trie gegenüber der europäischen Luftfahrtindustrie nichts
zu tun. Sie vollziehen hier genau dasselbe!


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Es spricht auch nicht für die handwerklichen Fähig-
keiten der Bundesregierung, dass Sie wochenlang nicht
einmal gemerkt haben, dass Sie Verpflichtungsermächti-
gungen brauchen. Dieses ganze Schauspiel hat deutlich
gemacht, dass diese Regierung sich nicht traut, den Leu-
ten reinen Wein einzuschenken. Herr Minister, Sie sind
Teil dieses Problems.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703013700

Das Wort hat der Kollege Henning Otte für die

Unionsfraktion.


Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1703013800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushalt
2010 stellt eine finanzpolitische Herausforderung dar.
Das gilt insbesondere für den Einzelplan 14, also den
Verteidigungshaushalt. Dieser Haushalt steht im Be-
wusstsein der Auswirkungen der internationalen Wirt-
schafts- und Finanzkrise, der notwendigen Haushalts-
konsolidierung und der anstehenden Schuldenbremse. Er
steht aber vor allem in dem Bewusstsein, unseren Solda-
tinnen und Soldaten alle notwendigen Mittel und Leis-
tungen zur Verfügung zu stellen, die sie zur Erfüllung ih-
res Auftrages benötigen. Diese Verpflichtung ist für die
christlich-liberale Koalition eine Selbstverständlichkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Trotz der Einsparungen in Höhe von 32 Millionen
Euro gegenüber dem Regierungsentwurf ist es der Re-
gierungskoalition gelungen, die notwendigen Investitio-
nen und Versorgungsleistungen für unsere Bundeswehr
sicherzustellen und zu verbessern. Wir sind überzeugt,
dass unsere Bundeswehr ein verlässlicher und attraktiver
Arbeitgeber bleiben muss. Für die CDU/CSU-Fraktion
steht das Wohl unserer Soldatinnen und Soldaten sowie
der zivilen Mitarbeiter, denen wir für ihren Dienst und
Einsatz im Inland und Ausland danken, im Zentrum ih-
rer Verteidigungspolitik.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703013900

Kollege Otte, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Kahrs?


Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1703014000

Nein. Ich möchte erst einmal fortfahren.

Mit der richtigen Schwerpunktbildung der Mittelver-
wendung in Höhe von 31,1 Milliarden Euro werden die
wichtigsten Zukunftsprojekte bei Personal, Ausrüstung
und Unterbringung realisiert. Mit dem neuen Schützen-
panzer Puma, der erstmalig in diesem Etat veranschlagt
wurde, verfügt das Heer in der Zukunft über ein leis-
tungsfähiges und hochgeschütztes Gefechtsfahrzeug für
den Einsatz in allen denkbaren Szenarien.

Mit dem A400M steht unserer Armee zukünftig ein
neues Transportflugzeug zur Verfügung. Es war richtig,
dass wir auf der Erfüllung dieses Vertrages bestanden ha-
ben. Ich verstehe die Aufregung insbesondere der Frak-
tion der Grünen nicht. Alle Daten sind zeitgerecht in den
Haushalt eingebracht. Haushaltsklarheit und -wahrheit
sind gegeben, was von besonderer Bedeutung ist, wenn
man den Haushalt mit den Haushaltsberatungen unter
Rot-Grün und Minister Eichel vergleicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie haben 100 Millionen Kürzungen erklärt, und jetzt wächst alles auf! Verpflichtungsermächtigungen, die Sie nicht gegeben haben! Was erzählen Sie eigentlich?)


Wesentliche Großprojekte, die Sie vertraglich abge-
schlossen haben, binden uns und erschweren unsere
Haushaltsfindung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


15 Milliarden Euro fließen insgesamt als Aufträge in die
Industrie. 75 Prozent davon werden an mittelständische
Unternehmen weitergereicht. Auch dies ist ein Beitrag
zur Stabilisierung und Sicherung von Arbeitsplätzen in
Deutschland.

Für die CDU/CSU als Mittelstandspartei ist dies von
besonderer Bedeutung. Die Wirtschaft muss jedoch alles
daransetzen, dass die Auslieferungen zeitgemäß erfolgen
und ein verzögerter Zulauf wie beim NH90 unterbleibt.
Verträge müssen eingehalten werden. Unsere Truppe
braucht die neuen Systeme, und unsere Industriepartner
müssen in der Lage sein, diese Systeme zu liefern. Wir
werden als CDU/CSU-Fraktion nicht nachlassen, die
Auslieferung der Systeme und damit auch die Vertrags-
erfüllung einzufordern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Vertreter eines
Wahlkreises mit mehreren Bundeswehrstandorten weiß
ich sehr genau um die Empfindungen, Sorgen und Nöte
unserer Soldaten. Meiner Fraktion war es daher sehr
wichtig, dass der Problematik der posttraumatischen
Belastungsstörung endlich konkret mit der Einrichtung
eines Zentrums für PTBS begegnet wird. Wir sehen das
auch als Ausdruck von Fürsorge und Verantwortung ge-
genüber unseren Einsatzkräften.

Verehrter Kollege Brinkmann, lassen Sie sich von Ih-
ren Kollegen aus dem Verteidigungsausschuss aufklären:
Dies war ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen. Es
ist nicht angemessen, das jetzt parteipolitisch aus-
schlachten zu wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Das habe ich auch nicht getan, Herr Otte! Da müssen Sie etwas Falsches gehört haben! Das ist Ihre Interpretation, und die ist falsch! Das Zuhören müssen Sie noch ein bisschen üben!)


Wir müssen die Bundeswehr in die Lage versetzen,
eine moderne und familiengerechte Arbeitswelt zu schaf-
fen. Auch die Bundeswehr muss die Vereinbarkeit von
Dienst und Familie so gestalten, dass sie als Arbeitgeber
insbesondere für junge Menschen attraktiv bleibt. Die
Nachwuchsgewinnung insbesondere unter Berücksich-
tigung der Umgestaltung auf W6 ist ein Schlüsselaspekt
für die Zukunft unserer Truppe.

Der Antrag der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion auf
Erarbeitung einer Organisationsstruktur ist ein weiterer
richtiger Baustein zur stetigen Modernisierung und Effi-
zienzsteigerung unserer Bundeswehr.

Eine verlässliche Verteidigungs- und Sicherheitspoli-
tik, welche die innere und äußere Sicherheit Deutsch-





Henning Otte


(A) (C)



(D)(B)

lands gewährleistet, kostet Geld. Sie ist nicht zum Null-
tarif zu bekommen.

Die Ausführungen von Frau Höger von der Fraktion
Die Linke finde ich sehr erschreckend. Mit Ihrer Einstel-
lung, Frau Höger, und Ihrem Selbstverständnis, auch un-
serer Bundeswehr gegenüber, sollten Sie sich fragen, ob
Sie als Mitglied des Verteidigungsausschusses überhaupt
dem Wohl unserer Soldatinnen und Soldaten dienen kön-
nen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei der LINKEN)


Nach Art. 87 a Grundgesetz ergeben sich die Stärke
und die Grundzüge der Organisation der Streitkräfte aus
dem Haushaltsplan. Daraus ergibt sich die Verpflich-
tung, die Streitkräfte so auszurüsten, dass sie ihre Pflich-
ten effektiv wahrnehmen können.

Als Reaktion auf die aktuelle fiskalische Lage hat der
Inspekteur des Heeres das System Gepard aus der Ver-
wendung genommen. Kollege Willsch hat darauf hinge-
wiesen. Flugstundenobergrenzen wurden abgesenkt. Da-
mit wird deutlich, dass unsere Bundeswehr zielgerichtet
einen Beitrag zur Einsparung vornimmt.

Es wird aber auch deutlich, dass wesentliche Einspa-
rungen im Verteidigungsetat nur noch dann möglich sind,
wenn wir in die Substanz eingreifen. Als Parlament müs-
sen wir sicherstellen, dass unsere Bundeswehr erstens ih-
ren verteidigungspolitischen Auftrag erfüllen kann,


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Am Hindukusch?)


– auch am Hindukusch –, zweitens die Verpflichtungen
im Bündnis wahrnehmen kann, drittens den Transforma-
tionsprozess fortführen kann, viertens den besten Schutz
für Leib und Leben unserer Soldaten insbesondere im
Einsatz zur Verfügung hat und fünftens weiterhin ein at-
traktiver Arbeitgeber für Wehrdienstleistende, Zeit- und
Berufssoldaten und zivile Mitarbeiter bleibt.

Unter Berücksichtigung dieser Aufgaben stelle ich
zusammenfassend fest: Die im Haushalt 2010 der Bun-
deswehr zur Verfügung gestellten Mittel können nur als
knapp bezeichnet werden. Sie verpflichten das Bundes-
ministerium der Verteidigung und die Politik zu einer
klaren Priorisierung der Projekte. Von höchster Priori-
tät sind dabei die einsatzrelevanten Belange. Ich erwarte,
dass das Ministerium den Konsolidierungsbeitrag so um-
setzt, dass die Einsparungen auf keinen Fall die sich im
Einsatz befindenden Soldaten treffen. Sie brauchen die
gesamtverfügbare Unterstützung des BMVg und dieses
Hauses. Wer Soldaten in den Einsatz entsendet, muss ih-
nen auch die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen.
Das ist eine klare Haltung der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich bin Ihnen, sehr geehrter Herr Minister zu
Guttenberg, sehr dankbar dafür, dass Sie als Verteidi-
gungsminister zu jeder Zeit hinter unseren Soldaten ste-
hen. Unsere Soldaten leisten täglich einen schwierigen
und gefährlichen Dienst zum Wohle Deutschlands. Sie
verdienen den Rückhalt des gesamten Deutschen Bun-
destages.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703014100

Bevor ich das Wort zu einer Kurzintervention erteile,

möchte ich aus § 27 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung
zitieren, damit wir dann eine Verabredung für den weite-
ren Verlauf unserer Debatte haben:

Im Anschluss an einen Debattenbeitrag kann der
Präsident

– ich füge hinzu: die Präsidentin –

das Wort zu einer Zwischenbemerkung von höchs-
tens drei Minuten erteilen; der Redner darf hierauf
noch einmal antworten.

Das heißt – das entspricht auch unserer Praxis und Ver-
abredung –, es gibt kein Grundrecht auf Kurzinterventio-
nen, wenn Zwischenfragen durch den Redner nicht er-
laubt werden.

Kollege Kahrs, ich erteile Ihnen daher heute das letzte
Mal das Wort zu einer Kurzintervention im Verlauf die-
ser Debatte.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Die SPD muss ihm doch den Etat zurückgeben!)



Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1703014200

Man muss zumindest darauf erwidern, wenn hier ein

bisschen geschwindelt wird. – Den Kollegen Jürgen
Koppelin lasse ich dabei heute einmal aus, auch wenn er
der Schuldige ist.

Der Kollege von der CDU/CSU hat gesagt – jeden-
falls habe ich ihn so verstanden –, man habe nur um
23 Millionen Euro abgesenkt, und das sei halb so
schlimm. Wir haben in diesem Parlament 226 Millionen
Euro im Einzelplan on top für den Afghanistan-Einsatz
beschlossen. Dann hat die Koalition, und zwar die Haus-
hälter, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ohne Wissen
des Ministeriums, des Ministers, des Staatssekretärs und
der Berichterstatter im Verteidigungsausschuss beschlos-
sen, diese Summe zu streichen, und hat das in der Berei-
nigungssitzung gegen die Stimmen der SPD zulasten der
Truppe durchgesetzt. Dass Sie das eine mit dem anderen
verrechnen, ist ein bisschen unredlich. Die Truppe hätte
auf jeden Fall die Gelder, die für den Einsatz in Afgha-
nistan bestimmt waren, bekommen.

Sie haben die 450 Millionen Euro herausgenommen,
die der Minister bzw. der Staatssekretär aus dem laufen-
den Haushalt einsparen muss. Sie sollten als Haushälter
dann zumindest das, was Sie gegen die eigenen Fachpo-
litiker von CDU/CSU und FDP beschlossen haben, ehr-
lich eingestehen. Hier sind gegen jede Gepflogenheit
450 Millionen Euro aus dem laufenden Etat des Bundes-
ministeriums der Verteidigung gestrichen worden. Der
Minister konnte dazu gar nicht Stellung nehmen, weil er





Johannes Kahrs


(A) (C)



(D)(B)

nicht wusste, wie er damit umgehen soll. Er kann
schließlich nicht in laufende Verträge eingreifen.

Herr Otte hat eben beklagt, dass Fahrzeuge vom Typ
Gepard und Marder stillgelegt werden müssen. Das ist
wirklich nicht schön. Aber das hat damit gar nichts zu
tun. Die 450 Millionen Euro kommen nun on top. Das,
was da gewesen ist, ist noch gar nichts im Vergleich zu
dem, was jetzt kommt. Herr Otte, Sie haben das nicht zu
verantworten, wohl aber die Kollegen im Haushaltsaus-
schuss, die das unabgestimmt beschlossen haben. Ich
finde, man muss deshalb zumindest im Parlament sagen,
warum man Geld aus laufenden Verträgen streicht, wohl
wissend, dass es nicht geht.

Wir alle haben doch den Wehrbeauftragten gehört.
Wir wissen um die Mängel bei der Sanitätstruppe. Wie
sollen die behoben werden, wenn nicht durch Geld? Das
Geld ist gestrichen worden, die Bundeswehr ist ge-
schröpft worden, das Elend in diesem Jahr wird groß,
und Sie werden das erklären müssen, obwohl ich zugebe,
dass die Kollegen im Verteidigungsausschuss dafür nicht
zuständig waren und es nicht zu verantworten haben.
Trotzdem werden Sie das in Ihrer Partei und Ihrer Koali-
tion klären müssen. So kann man weder mit der Opposi-
tion noch mit der Bundeswehr umgehen, vor allen Din-
gen nicht, wenn man ständig die Soldaten und ihren
Einsatz lobt. Wenn man ihnen gleichzeitig das Geld
wegnimmt, das notwendig wäre, damit sie ihren Einsatz
vernünftig durchführen können, ist das unredlich.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703014300

Bitte.


Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1703014400

Kollege Kahrs, ich verwahre mich gegen den Vor-

wurf, geschwindelt zu haben. Ich glaube, ich habe sehr
offen gesagt, dass Einsparungen vollzogen worden sind
und dass diese uns Verteidigungspolitikern das Leben
nicht leichter machen. Ich weise aber auch darauf hin,
dass Verteidigungspolitik insbesondere im Selbstver-
ständnis des Verteidigungsausschusses eine gemeinsame
Aufgabe ist. Ich habe ganz klar gesagt, dass wir eine
Priorisierung verlangen und dass die einsatzrelevanten
Belange zuallererst zufriedengestellt werden müssen.
Die zusätzlichen 437 Millionen Euro für den einsatzbe-
dingten Sofortbedarf sind ein Ausdruck davon.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703014500

Das Wort hat der Kollege Rainer Arnold für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1703014600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bisher haben alle Minister und Ministerinnen der Bun-
desregierung hier in den Haushaltsberatungen das Wort
ergriffen. Sie, Herr Minister zu Guttenberg, pflegen das
Image, jemand zu sein, der gern Klartext redet.

(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kann man „Klartext schweigen“ hinzufügen!)


Es gäbe viele Themen, die schwierig und ernst sind
– Wehrpflicht, Haushalt, Bericht des Wehrbeauftragten
und manches andere mehr –, über die Sie heute reden
könnten. Immer wenn es ernst und schwierig ist, wenn es
nicht darum geht, Überschriften zu produzieren, sondern
darum, substanzielle Debatten zu führen, dann tauchen
Sie ab. Das tun Sie auch heute Nachmittag. Das finde ich
deshalb sehr schlimm, weil wir spüren – der Bericht des
Wehrbeauftragten sagt das deutlich –, dass die Fragen in
der Truppe sehr ernsthafte und drängende sind. Es gibt
auch Verunsicherungen in der Truppe. Die Bundes-
wehr bräuchte jetzt einen Minister, der in einer solchen
Situation auch vor diesem Haus Orientierung gibt, statt zu
irritieren. Das ist das Problem im Augenblick. Es ist nicht
in Ordnung, dass Sie, Herr Minister, heute kneifen. So
muss das zwangsläufig interpretiert werden.

Lassen Sie mich zum ersten ernsten Thema kommen:
zum Haushalt. Dazu wurde schon viel gesagt. Herr Kol-
lege Otte, ich erinnere mich noch gut an Rot-Grün und
Ihre Kritik daran, wie knapp der Bundeswehretat ist. Wir
haben zusammen vier Jahre Verantwortung getragen,
und wir waren uns immer einig: Dieser Bundeswehretat
ist auf Kante genäht. Das heißt, sobald man hier weitere
Stellschrauben anzieht, geht es an die Substanz.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wieso hat denn die SPD Kürzungsanträge eingebracht?)


Wir waren uns einig in den letzten Jahren, dass das nicht
solide sein kann.

Wir erinnern uns, wie Peter Struck mit solchen The-
men umgegangen ist. Ich bekenne mich ausdrücklich
dazu. Bei knappen Kassen werden die Bäume sicherlich
nicht in den Himmel wachsen. Das gilt auch für den
Bundeswehretat. Dass aber in einer Nacht-und-Nebel-
Aktion, ohne Absprache mit den Fachpolitikern


(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Genau das ist der Punkt!)


und ohne dass der Minister einbezogen wird, 456 Millio-
nen Euro bei einer Armee im Einsatz einfach ratzfatz
weggestrichen werden, dass Verpflichtungsermächtigun-
gen erst vor wenigen Stunden nach einem mehr oder we-
niger giftigen Schriftverkehr zwischen zwei Staatssekre-
tären geklärt wurden und die jetzt auch noch auf den
Einzelplan 14 gelegt wurden, das hätten unsere Haushäl-
ter – das sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen
vor allem von der CDU – mit uns Fachpolitikern nicht
gemacht, weil wir anders miteinander umgehen, und
auch mit Minister Struck hätte das kein Parlamentarier
gemacht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun werden hier merkwürdige Beispiele genannt.
Das finde ich schon bemerkenswert. Herr Koppelin, Sie
sagen, für Herkules gebe es nicht mehr Geld, aber Sie
wollten, dass die Soldaten alles haben, was sie brauchen.
Wenn Sie Herkules nicht seriös aufs Gleis setzen, dann





Rainer Arnold


(A) (C)



(D)(B)

gehen Sie zu den Soldaten und sagen ihnen, dass sie kein
Telefon, keinen Computer und kein Netzwerk mehr ha-
ben! Das ist die Konsequenz. Dass Herkules mehr Geld
braucht, hat – das werden Sie feststellen, wenn Sie sich
wirklich damit befassen – in erster Linie etwas damit zu
tun, dass es bei der Bundeswehr eine desolate Infrastruk-
tur gab – das ist unstrittig –, die Rot-Grün übernommen
hat, ja dass nicht einmal geklärt werden konnte, welche
technische Infrastruktur im EDV-Bereich bei der Bun-
deswehr vorhanden ist. Das stellt man erst jetzt peu à
peu fest. Dies ist die Wahrheit; dies sind die Fakten.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703014700

Kollege Arnold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Koppelin?


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1703014800

Sehr gerne.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1703014900

Herr Kollege Arnold, ist Ihnen der Beschluss aus der

Zeit der Großen Koalition bekannt? Initiator war der
Kollege Kahrs; alle Fraktionen im Haushaltsausschuss
haben zugestimmt. Es ging um die Bonizahlungen bei
Herkules und um ein paar andere Punkte. Im Haushalts-
ausschuss wurde der Beschluss gefasst: Wenn die Dinge
nicht geklärt werden, steigen wir aus Herkules aus. Da-
ran halte ich mich nur.


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1703015000

Diese Bonizahlungen sind geklärt.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Nein, sie sind nicht geklärt!)


– Langsam. – Wo der Kollege Kahrs recht hat, hat er
recht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ein Management muss eigentlich daran gemessen
werden, ob die Telefone und die Computer an den Ar-
beitsplätzen möglichst gut funktionieren. Dafür sollen
Manager Boni bekommen und nicht für einen betriebs-
wirtschaftlichen Ertrag, der umso höher ist, je weniger
sie liefern. Kahrs hat recht: Diese Art Bonizahlungen ist
völlig inakzeptabel.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Einstimmig!)


Das habe ich als Verteidigungspolitiker übrigens erst vor
wenigen Tagen wieder mit Vertretern des Managements
besprochen. Sie sagten: Es gibt nicht mehr Geld. Ich
sage Ihnen: Ohne mehr Geld im IT-Bereich – egal wohin
es fließt – werden die Soldaten nicht das haben, was sie
brauchen.


(Beifall bei der SPD)


Herr Kollege Otte – Sie sind doch Fachpolitiker –, die
Reduzierung der Flugstunden als ruhmreiche Einspa-
rung zu bezeichnen, ist abenteuerlich. Nach NATO-Stan-
dards sind wir schon jetzt zahlenmäßig an der Grenze.
Im Hinblick auf einen verantwortbaren Umfang an
Übungsmöglichkeiten für Piloten gibt es keinen Spiel-
raum nach unten mehr; schließlich geht es um eine Ar-
mee im Einsatz, die in Kunduz mit ihren Hubschraubern
im Staub landen muss und mehr üben müsste als in der
Vergangenheit. Ihre Auffassung kann also wirklich nicht
richtig sein.

Was wir bei dieser Kürzungsorgie erleben, ist ein Vor-
geschmack auf die FDP-Ideologie – das wird in den
nächsten Jahren noch deutlicher werden –: Steuersen-
kungen zugunsten weniger – das ist klar –, ein schwa-
cher Staat. Das bedeutet weniger Kitaplätze und weniger
Polizisten auf den Straßen. Die Soldaten in der Bundes-
wehr wissen natürlich, dass schwacher Staat darüber hi-
naus bedeutet: weniger Verantwortung für die Frauen
und Männer, die bei der Bundeswehr ihren Dienst tun.


(Beifall bei der SPD)


Eines ist klar: Mit diesem Haushalt, Herr Minister,
übernehmen Sie die Verantwortung für Mängel wie die
fehlenden geschützten Fahrzeuge, die fehlenden War-
tungsstunden, die fehlenden Flugstunden, die fehlenden
Übungsmöglichkeiten. Dies muss man ganz deutlich sa-
gen.

Lassen Sie mich ein weiteres Thema ansprechen. Es
ist eine Debatte über die Wehrpflicht aufgeflammt. Der
Minister hat die Randbemerkung gemacht, dass die Ver-
kürzung der Wehrpflicht rückwirkend ab Oktober gelten
soll. Eine Debatte darüber, was das wirklich bedeutet,
wird aber nicht geführt, weder hier noch im Verteidi-
gungsausschuss. So dürfen wir mit diesem Thema nicht
umgehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703015100

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Otte zulassen?


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1703015200

Gerne.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703015300

Bitte schön.


Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1703015400

Lieber Kollege Arnold, Sie haben den Brief des In-

spekteurs des Heeres gelesen. Stimmen Sie mit mir über-
ein, dass sich die Flugstunden auf die BO und auf die
Bell, die nicht im Einsatz sind, und nicht auf die CH be-
zogen haben?


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1703015500

Es gilt für alle Flugzeugtypen, Herr Kollege, dass sie

sich nach NATO-Standards im Grenzbereich befinden.
Das gilt für die CH-53, für die BO und für die Bell. Es
gilt für die geflügelten Flugzeuge. Es ist ganz klar: Die
Reduzierung des Haushalts – der größte Teil entfällt auf
Personalkosten; man ist an laufende Verträge gebunden –
geht zwangsläufig zulasten der Betriebskosten, und die
Flugstunden sind ein wichtiger Faktor bei den Betriebs-





Rainer Arnold


(A) (C)



(D)(B)

kosten. 456 Millionen Euro weniger nehmen den Piloten
zusätzliche Möglichkeiten, schränken sie also ein. Ich
bitte Sie, das Problem nicht schönzureden. Das ist ein
ernstes Problem.


(Beifall bei der SPD)


Lassen Sie mich auf die Wehrpflicht zurückkommen.
Herr Minister zu Guttenberg sagte dazu, die Opposition
habe kein Konzept.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Da hat er recht!)


Ich möchte auf drei Probleme hinweisen:

Erstens. Mit Ihrem Ansatz, die Wehrpflicht auf sechs
Monate zu reduzieren und eine achtwöchige Schnell-
bleiche durchzuführen, lösen Sie keines der Probleme,
die mit der Wehrpflicht verbunden sind. Ein einfaches
Weiter-so bei der Wehrpflicht ist nicht angesagt. Dann
gäbe es Probleme, zum Beispiel mit der Dienstgerechtig-
keit. Minister Jung hatte zu Recht Angst vor dem Verfas-
sungsgericht und hat deshalb viel mehr Wehrpflichtige
eingezogen, als eigentlich geplant war. Sie erhöhen diese
Zahl gar nicht signifikant. Dieses Problem lösen Sie also
nicht wirklich.

Zweitens. Natürlich empfinden die jungen Menschen
– ihre Lebenswelt hat sich stark verändert, was Ausbil-
dungs- und Studienplätze sowie die Berufswelt insge-
samt angeht – die Einzugspraxis als nicht gerecht, son-
dern als eher zufällig. Das ist ein ernsthaftes Problem.

Das dritte Problem ist die Frage der Legitimität der
Wehrpflicht. Sie begründet sich laut unserer Verfassung
ausschließlich aus der Verteidigung des Landes, zwar
nicht unbedingt an den Grenzen, aber es muss sich eben
um Verteidigung des Landes handeln. Davon ist doch
stringent abzuleiten, dass es bei dem, was Wehrpflich-
tige bei der Bundeswehr in der Grundausbildung lernen
und was sie da nachher tun, um soldatische Fähigkeiten
und Fertigkeiten im engeren Sinne gehen muss. Jetzt er-
zählen Sie mir einmal, wie diese in acht Wochen vermit-
telt werden sollen. Es wird vielmehr so sein, dass die
jungen Männer nachher in die Schreibstuben geschickt
werden, um Fotokopierer und Laptops zu bedienen, oder
als Pkw-Fahrer den Oberst durchs Gelände fahren oder
im Lager als Logistiker arbeiten. Das werden deren Auf-
gaben sein. Das heißt, Sie nehmen, wenn Sie diesen Weg
einschlagen, den Menschen, die die Wehrpflicht aus gu-
ten Gründen für angesagt und richtig halten, gute Argu-
mente weg.

Sie sagen, es gebe keine Alternative. Sozialdemokra-
ten haben eine Alternative vorgelegt. Wir wollen bei der
gesellschaftlich richtigen Ansage bleiben: Man kann
nicht alles kaufen, und die Wahrnehmung von Verant-
wortung für Sicherheit in unserem Land ist eine gemein-
schaftliche Aufgabe. Deshalb halte ich die Wehrpflicht
für richtig. Lassen Sie uns zugleich jedoch die Freiwilli-
gendienste insgesamt in allen Bereichen so attraktiv ge-
stalten, dass auch die Bundeswehr genügend junge Men-
schen findet, die bereit sind, neun, zwölf oder wie viele
Monate auch immer zur Bundeswehr zu kommen, und
dort gerne ihren Dienst leisten. Wenn wir das gut ma-
chen, wird das auch gelingen.

Schließlich verspielen Sie auch eine Chance. Ich
glaube, die Wehrpflicht braucht einen breiten gesell-
schaftlichen Konsens. Das ist ganz wichtig. Deshalb
möchte ich Ihnen dringend raten: Bevor Sie diesen
Murks, der auf die Kappe der FDP geht, jetzt auch noch
öffentlich verteidigen und als gut darstellen, gehen Sie
lieber auf die Opposition, vor allen Dingen auf die So-
zialdemokraten, die eine ernsthafte Alternative ent-
wickelt haben, zu und lassen Sie uns nach einem Weg
suchen, der die gute Idee der Wehrpflicht mit den Anfor-
derungen aufgrund der Veränderungen in der Sicher-
heitspolitik kompatibel macht. Wir sind dazu bereit.


(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das nächste ernsthafte Thema, bei dem ich eigentlich
gehofft hatte, heute etwas dazu zu hören, ist nach wie
vor das Thema Kunduz. Wir wollen das hier nicht ver-
tiefen. Aber eines möchte ich schon noch einmal in Erin-
nerung rufen, Herr Minister. Die Kanzlerin hat in ihrer
Regierungserklärung gesagt:

Die lückenlose Aufklärung des Vorfalls … ist für
mich und die ganze Bundesregierung ein Gebot der
Selbstverständlichkeit. Die Bundeswehr wird mit
allen zur Verfügung stehenden Kräften genau dazu
beitragen.

Wenige Tage nach diesem Abwurf der Bomben hat die
Bundesregierung die interne Aufklärung des Vorfalls ge-
stoppt unter Berufung auf die Argumentation, es gebe ja
die NATO- und ISAF-Untersuchungen. Diese ISAF-Un-
tersuchung liegt jetzt seit viereinhalb Monaten auf dem
Tisch. Sie haben weder weitere eigene nationale Unter-
suchungen in Auftrag gegeben, noch hat die Bundes-
regierung den Vorfall so aufgearbeitet, dass sie der deut-
schen Öffentlichkeit sagen kann, wie sie ihn nun
bewertet. Das ist ein schweres Versäumnis. Sie halten
die Zusage, dass das aufgeklärt wird, nicht ein.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Erfüllung dieser Zusage kann man nicht einfach dem
Untersuchungsausschuss übertragen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wer wollte den denn?)


Das ist nicht die Aufgabe des Ausschusses. Er hat die
Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren. Diese Aufgabe
nehmen wir im Ausschuss sehr ernst. Darüber werden
wir im Ausschuss miteinander noch spannende Gesprä-
che führen.

Die Bundesregierung muss der deutschen Öffentlich-
keit sagen, was richtig gelaufen ist, was falsch gelaufen
ist, und vor allen Dingen, welche Konsequenzen daraus
gezogen werden.





Rainer Arnold


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Was um Himmels willen lernt man daraus, wenn so et-
was Tragisches passiert? Solange Sie keine Antworten
auf diese Fragen geben, müssen wir doch davon ausge-
hen, dass solche tragischen Ereignisse immer wieder
passieren können. Deshalb bitten wir Sie dringend: Klä-
ren Sie hier auf!

Lassen Sie mich am Ende noch einmal den Wehrbe-
auftragten erwähnen. Es gibt, wie ich glaube, zunächst
einmal wirklich keinen Grund, jetzt einen neuen Wehr-
beauftragten zu berufen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Parlament hat in den letzten Jahren diesem Wehrbe-
auftragten vertraut; das ist überhaupt keine Frage. Er hat
in seinem letzten Jahresbericht auf etwas Wichtiges hin-
gewiesen, nämlich darauf, dass der Beruf des Soldaten
kein Job und kein Beruf wie jeder andere ist und dass die
Soldaten Respekt und Anerkennung verdienen. Das ist
überhaupt kein Thema. Ich glaube, wir Parlamentarier
müssen alle miteinander aufpassen, dass wir diese Ver-
unsicherung bei der Truppe, die daher kommt, dass sie
das Gefühl hat, sie würde nicht genügend Anerkennung
finden, nicht noch durch unsere eigene Argumentation
verstärken. Wir sollten auch nicht immer gleich der
Presse auf den Leim gehen, die entsprechende Artikel
schreiben will. Fakt ist: Die Verunsicherung in der Bun-
deswehr ist da, und wir dürfen sie nicht negieren.

Wir müssen aber auch den Soldaten ein paar Dinge
sagen. Das Erste ist: Kritik am Minister, an der politi-
schen Verantwortlichkeit, ist weder Majestätsbeleidi-
gung noch Kritik an den Soldaten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Wer sagt denn das?)


Das Zweite ist ebenso wichtig: Wenn in Deutschland
viele Menschen den Einsatz in Afghanistan kritisch be-
werten, ist das ein Zeichen von demokratischer Kultur.
Das heißt noch lange nicht, dass die Menschen der Bun-
deswehr nicht vertrauen. Sie vertrauen ihr trotzdem. Alle
Umfragen bestätigen dies. Bundeswehr, Polizei und Feu-
erwehr genießen die höchste Anerkennung in der deut-
schen Gesellschaft, und das ist gut so. Darauf können die
Soldaten und auch das deutsche Parlament stolz sein.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703015600

Herr Kollege!


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1703015700

Ich komme zum Ende. – Ich füge als Randbemerkung

hinzu: Journalisten und Parlamentarier liegen in diesem
Ranking ganz weit hinten. Das ist sicherlich nicht immer
gerecht.

Meine Bitte ist also: Wir müssen mithelfen, die Zwei-
fel, die Verunsicherungen bei den Bundeswehrsoldaten
zu zerstreuen –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703015800

Herr Kollege!


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1703015900

– ja, ich bin fertig –,


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703016000

Gut.


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1703016100

– indem man ihnen sagt: Eurer Arbeit gebühren unser

Dank und unsere Anerkennung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703016200

Michael Brand ist der nächste Redner für die Unions-

fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Michael Brand (CDU):
Rede ID: ID1703016300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es ist jedem hier im Haus wie auch allen, die
uns zuschauen, sehr bewusst, dass der Haushalt 2010 ein
besonders schwieriger in einem besonders schwierigen
Jahr ist. Ich sage das auch im Hinblick auf manche Zwi-
schenfragen, Kurzinterventionen und sonstige Äußerun-
gen hier im Plenum: Der Haushalt erfüllt die Grund-
pflicht, die Bundeswehr mit den notwendigen Mitteln
auszustatten, und zwar im Sinne der Sicherheit unserer
Soldatinnen und Soldaten und im Übrigen auch der Si-
cherheit unseres Landes.

Lieber Herr Kollege Arnold, lieber Herr Kollege
Kahrs, ich sage Ihnen sehr klar: Unterlassen Sie Ihre
Krokodilstränen! Denn eins ist wahr: Das Geld ist
knapp. Die SPD hat selbst Einsparungen gefordert.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es! Darüber schweigen die!)


Lieber Herr Kollege Arnold, das, was Sie gerade über
Verunsicherungen gesagt haben, will ich Ihnen gerne zu-
rückgeben. Sie versuchen hier, Verunsicherung zu schü-
ren, indem Sie erstens dem Minister unterstellen, er
wolle sich wegducken. Zweitens war Ihre Strategie in
den vergangenen Wochen im Untersuchungsausschuss,
einen Minister, der erfolgreich ist, der nah bei den Solda-
ten ist, verantwortlich zu machen für Ereignisse, die vor
seiner Amtszeit lagen. Hören Sie damit auf, denn damit
verunsichern Sie Soldaten!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann er doch auch selber sagen!)


Zu den generellen Rahmenbedingungen ist bereits
viel gesagt worden. Zum Verteidigungshaushalt bleibt
als zentrale Botschaft festzuhalten: Der Verteidigungs-
etat ist so sparsam wie möglich und stellt Mittel bereit,
wo es nötig ist.





Michael Brand


(A) (C)



(D)(B)

Ich würde in den nächsten Minuten gerne auf einige
Punkte eingehen, an denen der Minister in den letzten
Tagen und Wochen erfolgreich gearbeitet und bei denen
er gute Ergebnisse erzielt hat. Beim Haushalt 2010 geht
es natürlich auch um die Frage: Wie wird eigentlich der
nächste Haushalt, der Haushalt 2011, in schwieriger Zeit
aussehen? Deswegen müssen Prioritäten gesetzt werden,
wie Kollege Otte zu Recht gesagt hat.

Der erste Punkt ist die Transformation einer Armee
im Einsatz. Die Bundeswehr ist seit langem eine Armee
im Einsatz und im Umbruch. Die Transformation der
Bundeswehr bleibt ein komplexer Prozess. Wir als CDU/
CSU begrüßen nachdrücklich, dass der Bundesverteidi-
gungsminister die Diskussion über die zukünftige Struk-
tur der deutschen Streitkräfte eingeleitet hat, um Effi-
zienz und Einsatzfähigkeit der Bundeswehr für die
Zukunft zu sichern. Wir wissen um die Bedeutung der
eingesetzten Strukturkommission, und wir bleiben als
CDU/CSU, Kollege Nouripour, offen für eine sehr inten-
sive Erörterung der Struktur mit allen, die sich der Si-
cherheit des Landes und der Einsatzfähigkeit der Bun-
deswehr verpflichtet fühlen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Aber kürzen bei den Soldaten um 450 Millionen! Unsäglich!)


– Herr Kollege Kahrs, manchmal nutzt es auch, zuzuhö-
ren statt nur zu rufen.


(Karin Strenz [CDU/CSU]: Das nützt bei dem nichts mehr!)


Der zweite Punkt ist die Wehrpflicht als Anker. Bei
der Umsetzung der sechsmonatigen Wehrpflicht können
wir erste Vorschläge verzeichnen – einige waren ja ges-
tern Abend beim Reservistenverband –, was wir sehr be-
grüßen. Wehrpflichtige sollen eine moderne, intensive
und in einem guten Sinne spannende, das heißt inhalts-
reiche, Grundausbildung durchlaufen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Sechs Monate sind zu kurz!)


Skeptikern, Herr Kahrs, kann mitgeteilt werden: Das hat
nichts mit Intensivpraktikum oder Abenteuer zu tun,
sondern mit einer intensiven und fordernden Grundaus-
bildung für einen sehr verantwortlichen Dienst.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist einfach zu kurz und unsinnig! Unverantwortlich!)


Zehntausende junger Menschen, denen dieser Dienst je-
des Jahr abverlangt wird, können sich sicher sein, dass
sie mit ihrem Dienst und mit dieser Ausbildung einen
sehr wichtigen Beitrag zur Sicherheit unseres Landes
leisten. Wir als CDU/CSU bleiben dabei: An der Wehr-
pflicht wird nicht gerüttelt. Sie ist und bleibt ein legiti-
mer und moderner Anker der Bundeswehr in der Bevöl-
kerung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch Unsinn!)


Der dritte Punkt ist das Thema Beschaffung. Zu die-
sem Themenbereich ist festzuhalten, dass wir natürlich
wissen, dass in Zeiten knapper Kassen nicht jede Be-
schaffung möglich ist, die auch wünschenswert wäre.
Allerdings – auch das gehört dazu – gilt nach wie vor der
Grundsatz: Was die Bundeswehr im Einsatz braucht, das
muss sie und das wird sie auch weiterhin erhalten. Dass
wir durch vordringliche Beschaffungsmaßnahmen die
passive Schutzfähigkeit unserer Truppe in Afghanistan
– Stichwort ist hier der Dingo; der Wehrbeauftragte hat
dazu einiges in seinem Bericht gesagt – während des lau-
fenden Einsatzes kontinuierlich steigern, ist dabei eine
unabdingbare Notwendigkeit.

Ich will zum vierten Punkt, zum Thema Afghanistan
kommen. Lassen Sie mich wegen der Bedeutung dieses
Themas einige Anmerkungen machen.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist so bedeutend, dass die Kanzlerin heute Morgen kein Wort dazu gesagt hat!)


Ich möchte zunächst festhalten: Wir tragen als CDU/
CSU gemeinsam mit der großen Mehrheit des Hauses
die Londoner Strategie der Verstärkung militärischer und
ziviler Anstrengungen in Afghanistan voll mit. Dazu
– lieber Herr Kollege Kahrs, nicht umdrehen und rufen,
sondern zuhören – zählt auch der zusätzliche Kostenan-
teil, den die Aufstockung unserer Maßnahmen im Vertei-
digungsetat ausmacht.


(Johannes Kahrs [SPD]: Dem haben wir zugestimmt!)


Hier verwenden wir Steuergelder dazu, den Frieden in
Afghanistan zu erreichen und die Übergabe der Verant-
wortung für Afghanistan an die Afghanen abzusichern.
Das ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass wir nach
dieser Übergabe unsere Truppen endlich abziehen kön-
nen. Diesen Abzug wollen wir allerdings nicht über-
stürzt, sondern koordiniert und ehrenhaft vollziehen. Das
heißt, wir wollen die Sicherheit der afghanischen Zivil-
bevölkerung in den Händen gut ausgebildeter afghani-
scher Sicherheitskräfte wissen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
eine weitere offene Bemerkung zu diesem nach wie vor
sehr wichtigen Thema deutscher Sicherheitspolitik ma-
chen. Dass der Afghanistaneinsatz in vieler Hinsicht
mehr Opfer gekostet hat, als dies zu Beginn abzusehen
war, ist inzwischen allen klar geworden. Das gilt es, of-
fen anzusprechen. Ich sage dies auch als Abgeordneter
aus einem Wahlkreis, der zu Hause mit den Eltern von
Verwundeten und Gefallenen dieses Einsatzes gespro-
chen hat. Dass die Menschen in unserem Land die Lage
in Afghanistan als Krieg empfinden, kann ich gut nach-
vollziehen. Wenn hier jetzt ein völkerrechtlich anderer
Begriff verwendet wird, ändert dies an der Einschätzung
der Menschen nichts. Wenn es also so ist, dass die Men-
schen die Bundeswehr in Afghanistan im Krieg sehen,
wie sie es sagen, dann hat dies für uns klare Konsequen-
zen.

Eine Konsequenz ist, dass wir den Bürgern die
Notwendigkeit eines militärischen Einsatzes und das
Interesse unseres eigenen Landes an diesem Einsatz
überzeugend erklären müssen. Ich bin dem Bundesver-
teidigungsminister sehr dankbar, dass er diese Aufgabe
in vorderster Front übernimmt. Aber es ist auch die Auf-





Michael Brand


(A) (C)



(D)(B)

gabe des Parlamentes. Es geht für uns nicht nur darum,
die Herzen und Köpfe der Afghanen vor Ort zu gewin-
nen, wie es die Strategie der Londoner Konferenz und
der ISAF vor Ort ist. Es geht auch jeden Tag darum, die
Zustimmung der Menschen hier zu Hause für einen Ein-
satz und zur Rückenstärkung für unsere Soldaten zu ge-
winnen. Auch ist die Initiative des Bundestages zur
Nachbetreuung von kriegstraumatisierten Angehörigen
der Bundeswehr ein klares Indiz dafür, dass wir längst
bei einer realistischen Bewertung dessen angekommen
sind, was sich in Afghanistan abspielt.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703016400

Herr Brand, möchten Sie eine Zwischenfrage von

Herrn Nouripour zulassen?


Michael Brand (CDU):
Rede ID: ID1703016500

Zu ihm will ich jetzt kommen. Deswegen muss er lei-

der zuhören. Er hat vorhin den Wehrbeauftragten ange-
sprochen. In diesem Zusammenhang will ich sehr deut-
lich machen, dass alle Fraktionen diesen Weg nicht nur
beschritten haben, sondern stark unterstützen. Das gilt
auch für den Wehrbeauftragten.

Lieber Kollege Nouripour, wir sollten nicht das kleine
Karo ins Spiel bringen, wenn es um das Amt des Wehr-
beauftragten geht. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich
sagen, dass der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundes-
tages, Herr Robbe, seinen Job ordentlich und gut ge-
macht hat. Ich denke, das kann man unumwunden so sa-
gen. Lieber Herr Robbe, ich bin Ihnen sehr dankbar für
das, was Sie in den letzten Jahren geleistet haben und
was Sie in dieser Woche angesprochen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber?)


– Nur die Schlussfolgerungen, Herr Kollege Nouripour,
sind andere.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703016600

Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.


Michael Brand (CDU):
Rede ID: ID1703016700

Ich komme zum Schluss.

Es geht um das Thema Afghanistan. Der Deutsche
Bundestag insgesamt ist stolz auf die Frauen und Män-
ner, die in den Dörfern und Städten Afghanistans den zi-
vilen Kräften mit ihrem Einsatz Schutz bieten und damit
die zivile Entwicklung überhaupt erst möglich machen.
Ich empfehle den Linken, bei dieser Passage besonders
gut zuzuhören. Wir stehen hinter jedem Euro, den wir
für die Frauen und Männer in diesem schweren und ver-
antwortungsvollen Einsatz bereitstellen. Das wird auch
unter schwierigen Rahmenbedingungen für den Haushalt
2011 gelten.


(Johannes Kahrs [SPD]: Vielleicht kürzen Sie dann nicht ganz so viel Geld!)

In diesem Sinne wünsche ich den Soldatinnen und Sol-
daten allzeit gute Hand, Sicherheit im Einsatz und im-
mer eine gesunde Rückkehr.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703016800

Omid Nouripour ist der nächste Redner für Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703016900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir füh-

ren in dieser Woche eine relativ deprimierende Diskus-
sion; es geht um den Haushaltsentwurf. Da erfreut man
sich natürlich an jeder guten Nachricht, und eine gute
Nachricht, die mich wirklich sehr gefreut hat, habe ich
tatsächlich im Einzelplan 14 gefunden. Wir hatten im
Verteidigungsausschuss die seltene Situation, dass alle
Fraktionen Anträge zu posttraumatischen Belastungs-
störungen eingebracht haben. Ich bin sehr froh und
glücklich und werte es als Zeichen des Dankes und der
Anerkennung für die Arbeit, die die Soldatinnen und
Soldaten leisten, dass alle Fraktionen allen Anträgen zu-
gestimmt haben. Das ist ein sehr richtiges Signal. Möge
das so weitergehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Allerdings habe ich eine zweite Stelle im Einzel-
plan 14, bei der ich mich hätte freuen können, nicht ge-
funden. Wir haben jetzt eine neue Koalition, die am An-
fang große Versprechungen gemacht hat, insbesondere
der Minister. Die Stichworte sind bekannt: große Bun-
deswehrreform, Verkürzung des Wehrdienstes, bessere
Ausstattung – das ist schon mehrfach genannt worden –,
Transparenz und eine klare Sprache. Es ist aber nur eines
klar: Das alles gibt es zumindest derzeit noch nicht. Herr
Minister, Sie wissen, dass wir keine Probleme damit ha-
ben, Sie zu loben, wenn Sie Gutes tun. Aber bisher
kenne ich nur Ankündigungen. Sie sind der Ankündi-
gungsminister in diesem Kabinett. Konkretes gibt es bis-
her nicht viel.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Beispiel Bundeswehrreform. Im Koalitionsvertrag
steht, dass es Strukturveränderungen in Organisation,
Führung und Verwaltung geben wird; das ist recht um-
fangreich. Sie haben gesagt, dass es keine Tabus geben
wird. Im Koalitionsvertrag steht, dass Vorschläge dazu
bis Ende 2010 kommen werden. Ich habe im Februar
nachgefragt, wie es denn aussieht. Die Antwort des Hau-
ses entsprach dem Text aus dem Koalitionsvertrag, nur
ein bisschen umgeschrieben. Wenn Sie Ihren Zeitplan
tatsächlich einhalten wollen, werden Sie Ende dieses
Jahres erheblich ins Schwitzen kommen und noch eini-
ges an Tempo zulegen müssen, Herr Minister.

Beispiel Verkürzung der Wehrpflicht auf sechs Mo-
nate. Das ist besonders spannend, und zwar nicht nur,
weil wir Grüne der Meinung sind, dass die Wehrpflicht





Omid Nouripour


(A) (C)



(D)(B)

abgeschafft gehört, weil sie mit den Sicherheitsanforde-
rungen des 21. Jahrhunderts und mit Wehrgerechtigkeit
überhaupt nichts mehr zu tun hat, sondern vor allem des-
wegen, weil das so, wie Sie es machen wollen, über-
haupt keinen Sinn ergibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Hoff hat in einer Diskussion sinngemäß erklärt:
Ihr müsst das verstehen. Wir konnten uns nicht durchset-
zen. Also haben wir das Modell gewählt, das am ehesten
dazu führt, dass die Union begreift, dass die Wehrpflicht
keinen Sinn mehr hat. Dann wird sie am Ende ohnehin
abgeschafft werden. – Das ist Subversion, und Subver-
sion gehört nicht auf die Regierungsbank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Johannes Kahrs [SPD])


Herr Minister, Sie haben am Anfang dieser Woche an-
gekündigt, das Konzept sei fertig und werde kommen.
Heute haben Sie gesagt, die Einführung von W6 werde
auf Oktober vorgezogen. Um 14.30 Uhr hat der Presse-
sprecher des Bundesministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend gesagt, das sei nicht abgesprochen
und noch nicht ausgemacht.

Sie haben nebenbei außerdem erklärt, das Konzept
komme aus Ihrem Hause und Sie seien enttäuscht, dass
die Bundestagsfraktionen nicht daran mitgearbeitet hät-
ten. Ein paar Tage vorher haben Sie das Angebot ge-
macht, dass wir uns mit dem Generalinspekteur über ge-
nau diese Frage unterhalten können. Wir haben dieses
Angebot dankend angenommen. Das Gespräch fand ges-
tern statt und war sehr offen und konstruktiv. Herzlichen
Dank dafür. Ich weiß nicht, wann wir das hätten einbrin-
gen sollen, was Sie von uns eingefordert haben. Sie ha-
ben quasi zeitgleich gesagt: Bringt euch ein! Das Kon-
zept ist fertig. Ihr habt euch nicht eingebracht. Das
Konzept kommt.

Das Konzept ist nicht da. Ich habe das Konzept nicht,
das Parlament hat das Konzept nicht, und ich bin sehr
gespannt, wie Sie das mit dem 1. Oktober 2010 hinbe-
kommen wollen. Jedenfalls hat das mit Transparenz und
Klarheit nichts zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es hat auch nichts mit Informationspolitik zu tun,
wenn es in Afghanistan eine Task Force 47 gibt, von der
wir aus der Presse erfahren, es dann eine Unterrichtung
gibt, in der uns erläutert wird, was dort eigentlich ge-
schieht, dann über die Presse neue Details bekannt wer-
den und es eine neue Unterrichtung gibt, in der uns be-
stätigt wird, was in der Presse steht. Es ist eigentlich nur
ein hinter den Ankündigungen in der Presse Herrennen.
Auch das hat mit Transparenz und Klarheit nichts mehr
zu tun.

Zur Beschaffung hat Kollege Bonde einiges gesagt.
Herr Kollege Brand, Ihr Hinweis, dass wir alles für die
Soldatinnen und Soldaten tun müssen, damit diese effi-
zient arbeiten können, ist richtig. Ich will nur darauf hin-
weisen, dass die knapp 40 ausgemusterten Schutzfahr-
zeuge vom Typ Dingo in Afghanistan bisher nicht ersetzt
worden sind, weil die Mittel fehlen. Jetzt überlegen Sie
einmal, wie viele Hundert Dingos man von den Zusatz-
kosten, die für den A400M ausgegeben worden sind,
hätte beschaffen können. Was derzeit passiert, hat mit
dem Konzept „Vom Einsatz her denken“, mit einer ange-
messenen Beschaffung von Material für Soldatinnen und
Soldaten und deren Schutz nichts zu tun.


(Zuruf von der FDP: Wollt ihr den Transporter?)


Herr Robbe hat einen Bericht vorgelegt, in dem er
viele Mängel genannt hat. Einige Mängel liegen schon
länger vor – das ist bedauerlich –, aber ich bin sehr froh,
dass Sie beharrlich geblieben sind und nicht aufgegeben
haben. Es fehlen Ärzte und Piloten. Es gibt einiges zu
tun. Herr Minister, wir würden uns wahnsinnig freuen,
und wir versprechen weiterhin jede Unterstützung, wenn
Sie sich dieser Themen annehmen. Wenn Sie nicht nur
Ankündigungen machen, sondern auch konkrete Schritte
vornehmen, dann haben Sie uns auf Ihrer Seite. Sonst
können wir nur feststellen, dass es bei Ankündigungen
bleibt. Das hat mit Klarheit und Transparenz nichts zu
tun.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703017000

Thomas Silberhorn hat das Wort für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1703017100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Verteidigungshaushalt bestimmt maßgeb-
lich mit, wie wirksam wir unseren internationalen Ver-
pflichtungen nachkommen können. Die Bundeswehr
kann nur so leistungsfähig sein, wie es der Haushalt zu-
lässt. Der Haushalt 2010 ist absolut auf Kante genäht.


(Johannes Kahrs [SPD]: Von euch selber!)


Wir sind mittlerweile an einem kritischen Punkt ange-
langt, an dem wir uns ernsthaft die grundsätzliche Frage
stellen müssen, welche verteidigungspolitischen Ziele
wir künftig verfolgen wollen und welche Streitkräfte wir
dazu brauchen.

Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Jedem
dieser Auslandseinsätze liegt ein Mandat des Deutschen
Bundestages zugrunde. Die Soldatinnen und Soldaten
sind deshalb in den Einsätzen, weil wir sie dorthin ent-
senden. Deswegen ist es unsere Verantwortung, dafür zu
sorgen, dass sie bestmöglich ausgerüstet und ausgestattet
sind.

Nicht nur mit Blick auf den vorliegenden Haushalt
stellt sich die Frage, ob diese Entwicklung hin zu einer
Armee im Einsatz mit all den damit verbundenen Konse-
quenzen tatsächlich schon vollzogen worden ist. Ausrüs-
tung und Ausstattung der Bundeswehr müssen sich an
den Einsatzerfordernissen orientieren und nicht umge-





Thomas Silberhorn


(A) (C)



(D)(B)

kehrt. Anders würden wir unserer Verantwortung als
Parlamentarier für die Soldatinnen und Soldaten im Aus-
landseinsatz nicht gerecht.

Eine Lehre aus den bisherigen Auslandseinsätzen der
Bundeswehr ist, dass die Aufgabe, in instabilen Regio-
nen selbsttragende Sicherheitsstrukturen zu schaffen,
an Bedeutung gewinnt. Das gilt für die Piratenbekämp-
fung am Horn von Afrika und ebenso für Afghanistan.
Ich meine, dass wir eine echte Fähigkeitslücke haben.
Die Ausbildung lokaler Polizeikräfte vor Ort gehört
nicht zu den Kernkompetenzen der Feldjäger der Bun-
deswehr, und internationale Polizeieinheiten sind oft
nicht robust genug ausgestattet, um gegen Aufständische
und Terroristen vorzugehen.

Viele unserer Partnerstaaten in der Europäischen
Union lösen diese Aufgabe mit Gendarmerieeinheiten.
Nicht, dass ich danach rufen wollte, aber wir müssen
ernsthaft überlegen, Fähigkeiten vorzuhalten, um Aufga-
ben einer Gendarmerie erfüllen zu können. Ob das eine
Spezialeinheit der Bundespolizei sein sollte oder ob man
die Funktion der Feldjäger erweitern sollte, mag dahin-
gestellt sein. Wir müssen uns der Aufgabe als solcher an-
nehmen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass jede Ent-
sendung von Militär und von Polizei ins Ausland durch
den Deutschen Bundestag mandatiert werden sollte.
Auch darüber sollten wir nochmals nachdenken.

Ich begrüße es, dass die Bundesanwaltschaft vor we-
nigen Tagen zu dem Zwischenergebnis gelangt ist, dass
es sich in Afghanistan um einen nicht internationalen be-
waffneten Konflikt im Sinne des Völkerstrafgesetz-
buches handelt. Die Generalbundesanwaltschaft teilt da-
mit die Bewertung, die bereits Bundesminister zu
Guttenberg und die Bundesregierung vorgenommen ha-
ben. Damit müssen Angehörige der Bundeswehr, die im
Auslandseinsatz unsere Aufträge ausführen, nicht länger
befürchten, dass ihr Verhalten in bewaffneten Konflikten
auf der Grundlage des deutschen Strafgesetzbuches be-
urteilt wird. Für genau diesen Zweck gibt es das Völker-
strafgesetzbuch. Es ist gut, dass es jetzt zur Anwendung
kommen kann.

Ich glaube auch, dass es ein wichtiger Fortschritt
wäre, wenn wir unseren Koalitionsauftrag dahin gehend
erfüllen würden, eine zentrale Zuständigkeit der Justiz
zu schaffen, um Straftaten von Soldaten im Auslandsein-
satz zu verfolgen. Das müssen wir zeitnah angehen. Es
kann nicht angehen, dass bei Ermittlungen gegen Solda-
ten viel Zeit verstreicht und sich Strafverfolgungsbehör-
den monatelang in komplizierte militärische Sach-
verhalte einarbeiten müssen. Ich weise darauf hin, dass
Bayern diesbezüglich vorangegangen ist


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist einer der Gründe, warum wir dagegen sind!)


und zum 1. März dieses Jahres die Staatsanwaltschaft in
Kempten mit der Wahrnehmung aller Strafverfolgungs-
verfahren gegen Soldaten im Auslandseinsatz beauftragt
worden ist. Nachahmung ist empfohlen.

Lassen Sie mich zur Debatte über die Wehrpflicht
Stellung nehmen. Die Verkürzung der Wehrdienstzeit
von neun auf sechs Monate ist ein zentrales Vorhaben
aus unserem Koalitionsvertrag. Wir halten an der allge-
meinen Wehrpflicht fest, weil sie die gesellschaftliche
Verankerung der Bundeswehr sicherstellt und weil es so
gelingt, qualifizierten Nachwuchs für die Bundeswehr
zu gewinnen. Bereits heute werden über 40 Prozent der
Berufs- und Zeitsoldaten durch den Wehrdienst für die
Bundeswehr gewonnen. Das streben wir auch für den
sechsmonatigen Wehrdienst an.


(Johannes Kahrs [SPD]: Wie ist das mit der verfassungsmäßigen Grundlage? Hat nichts damit zu tun?)


Wir werden hinsichtlich der Wehrgerechtigkeit übri-
gens eine spürbar bessere Situation bekommen; denn wir
werden mit W6 mehr Wehrpflichtige einziehen können.
Auch die demografische Entwicklung wird die Situation
bei der Wehrgerechtigkeit deutlich verbessern. Ziel muss
es sein, den Wehrdienst so auszugestalten, dass er für die
Bundeswehr, aber auch für die Wehrpflichtigen ein ech-
ter Gewinn ist. Ich möchte einige Kriterien dafür nen-
nen.

Ich glaube, dass es besonders wichtig ist, dass dieser
Wehrdienst in der Truppe stattfindet und nicht in sepa-
raten Einheiten. Wir müssen nach der Grundausbildung
dafür sorgen, dass die Wehrdienstleistenden in einer
Funktion bei der Truppe eingesetzt werden.


(Johannes Kahrs [SPD]: In sechs Monaten! Hurra!)


Ich würde es begrüßen, wenn es gelänge, mehr berufs-
relevante Elemente in die Ausbildung zu übernehmen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Sechs Monate!)


Ich rege an – ich bitte die Kolleginnen und Kollegen
aus meiner Fraktion um Nachsicht, weil das eine sehr
persönliche Bemerkung ist, die nicht abgestimmt ist –,
die Situation der Wehrdienstleistenden, die zum 1. Juli
eines Jahres eingezogen werden, nochmals zu überden-
ken. Nach sechs Monaten beenden sie ihren Wehrdienst,
also zum Ende des Jahres, und haben dann gegebenen-
falls, wenn sie erst zum Wintersemester ein Studium
aufnehmen können, eine neunmonatige Wartezeit zu
überbrücken. Natürlich kann man denen anbieten, frei-
willig länger zu dienen. Ich glaube aber, dass es eine
sinnvolle Lösung wäre – das würde ich bevorzugen –, in
diesen Fällen den Wehrdienst zu splitten: im ersten Jahr
eine dreimonatige Grundausbildung,


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber er ist dann doch nur zwei Monate!)


die die Aufnahme des Studiums noch im gleichen Jahr
ermöglicht, und in den Semesterferien des nächsten Jah-
res die zweite Hälfte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Dann schafft sie doch ab! Dann schafft den ganzen Krempel doch ab! Das ist ja unglaublich! Wir brauchen mindestens neun Monate! Sonst macht das doch keinen Sinn! Das ist doch langsam absurd!)






Thomas Silberhorn


(A) (C)



(D)(B)

Wenn wir mehr Flexibilität im Interesse der Wehr-
dienstleistenden schaffen können, dann sollten wir auch
den Mut aufbringen, mehr Flexibilität für die Zivil-
dienstleistenden zu schaffen; denn es liegt im Interesse
der Zivildienstleistenden, die den Wehrdienst nicht ab-
leisten wollen, angemessene Beschäftigungsverhält-
nisse zu bekommen. Deswegen plädiere ich dafür, dass
wir die Option schaffen, den Zivildienst auf zwölf Mo-
nate zu verlängern.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist kein Wunschkonzert! Das ist Bundeswehr! Wehrpflicht!)


Wenn wir bedenken, dass wir viele Freiwilligen-
dienste haben, bei denen junge Leute von sich aus ein
Jahr im Freiwilligen Sozialen Jahr oder im Freiwilligen
Ökologischen Jahr verbringen, dann ist es, glaube ich,
angebracht, diese Freiwilligendienste besser auf den zi-
vilen Ersatzdienst anzurechnen.


(Johannes Kahrs [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Der soll Zivildienstbeauftragter werden!)


Ich denke insbesondere an unser Programm „weltwärts“
auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da habt ihr doch gerade gekürzt!)


Wenn man ein weitgefasstes Sicherheitsverständnis ver-
tritt, dann ist auch eine Tätigkeit in der Entwicklungs-
politik in unserem sicherheitspolitischen Interesse. Des-
wegen plädiere ich dafür, diese Dienste beim Zivildienst,
beim Wehrdienst besser als bisher anzuerkennen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Deshalb kürzen Sie jetzt die Mittel? – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt habt ihr das Programm gekürzt! Was ist eigentlich Sache? – Johannes Kahrs [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Erkläre ihm doch mal einer die Wehrpflicht!)


Herr Bundesminister, wenn es gelingt, dass die Neu-
ordnung, die Umstellung auf einen sechsmonatigen
Wehrdienst, zeitgleich vonstatten gehen kann mit der
Wehrstrukturkommission, die jetzt ihre Arbeit aufnimmt
und bis Ende des Jahres Vorschläge vorlegen soll, dann
wird ein stimmiges Konzept daraus,


(Johannes Kahrs [SPD]: Was sagt der Generalinspekteur zu so einem Unsinn?)


an dessen Umsetzung man sich zu Beginn des nächsten
Jahres machen kann. Also zeitgleich: Wehrstrukturkom-
mission und sechsmonatiger Wehrdienst. Ich glaube, das
wäre der richtige Weg.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie weiter daran herumstümpern, bringt es auch nichts!)


Wir haben noch einige Wochen darüber zu diskutie-
ren. Aber ich glaube, wir werden sehr zügig zu Lösun-
gen kommen.

(Johannes Kahrs [SPD]: Jetzt zerschießt schon die CSU das Konzept vom CSU-Minister!)


Ich freue mich, dass der Bundesminister die nötigen Ini-
tiativen ergriffen hat, um zügig zu Lösungen zu kom-
men, die im Interesse der Zivil- und Wehrdienstleisten-
den liegen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703017200

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14,
Bundesministerium der Verteidigung, in der Ausschuss-
fassung.

Hierzu liegen Änderungsanträge vor. Über diese stim-
men wir zuerst ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1024? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag
ist abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende
Fraktion. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich
enthalten. Alle anderen haben dagegen gestimmt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 17/1025? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Dieser Änderungsantrag ist
ebenfalls abgelehnt. Zugestimmt hat die einbringende
Fraktion. Alle übrigen haben dagegen gestimmt. Enthal-
tungen gab es keine.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Abgeordne-
ten Klaus-Peter Willsch und Dr. h. c. Jürgen Koppelin auf
Drucksache 17/1076? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Damit ist der Änderungsantrag angenommen
bei Zustimmung durch den größten Teil der Koalitions-
fraktionen. Dagegen haben die Oppositionsfraktionen
gestimmt. Es gab eine Enthaltung.

Wer stimmt für den Einzelplan 14 in der Ausschuss-
fassung mit der soeben beschlossenen Änderung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Ein-
zelplan 14 angenommen bei Zustimmung durch die Ko-
alitionsfraktionen und Ablehnung durch die Opposi-
tionsfraktionen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte III a bis c auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Abschaffung des Finanzplanungsrates

– Drucksache 17/983 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales

b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE

Menschenrechte in Kolumbien auf die Agenda
setzen – Freihandelsabkommen EU-Kolum-
bien stoppen

– Drucksache 17/1015 –





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

c) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE

Den Schienenverkehr als sichere Verkehrs-
form erhalten und stärken
– Drucksache 17/1016 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Hierbei handelt es sich um Überweisungen im ver-
einfachten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Damit sind Sie einverstanden? – Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte IV a bis l auf.
Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt IV a:
Beratung der Ersten Beschlussempfehlung des
Wahlprüfungsausschusses
zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl
der Abgeordneten des Europäischen Parla-
ments aus der Bundesrepublik Deutschland
am 7. Juni 2009
– Drucksache 17/1000 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Wolfgang Götzer
Bernhard Kaster
Michaela Noll
Michael Hartmann (Wackernheim)

Christian Lange (Backnang)

Stephan Thomae
Dr. Dagmar Enkelmann
Ingrid Hönlinger

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkte IV b bis l. Wir kommen zu den
Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt IV b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 50 zu Petitionen
– Drucksache 17/909 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 50 ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt IV c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 51 zu Petitionen
– Drucksache 17/910 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 51 ist ebenfalls einstim-
mig angenommen.

Tagesordnungspunkt IV d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 52 zu Petitionen
– Drucksache 17/911 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 52 ist angenommen bei
Zustimmung durch CDU/CSU, SPD und FDP. Dagegen
hat die Fraktion Die Linke gestimmt. Bündnis 90/Die
Grünen haben sich enthalten.

Tagesordnungspunkt IV e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 53 zu Petitionen
– Drucksache 17/912 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 53 ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt IV f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 54 zu Petitionen
– Drucksache 17/913 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 54 ist angenommen bei
Zustimmung durch CDU/CSU, FDP und SPD. Bünd-
nis 90/Die Grünen stimmten dagegen. Die Linke hat sich
enthalten.

Tagesordnungspunkt IV g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 55 zu Petitionen
– Drucksache 17/914 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zu-
stimmung durch CDU/CSU, FDP, SPD und die Linke.
Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen gestimmt.

Tagesordnungspunkt IV h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 56 zu Petitionen

– Drucksache 17/915 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zu-





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

stimmung durch CDU/CSU, FDP, SPD, Bündnis 90/Die
Grünen. Die Fraktion Die Linke hat dagegen gestimmt.

Tagesordnungspunkt IV i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 57 zu Petitionen

– Drucksache 17/916 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zu-
stimmung durch CDU/CSU, FDP und SPD. Dagegen ha-
ben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke gestimmt.
Enthaltungen gab es keine.

Tagesordnungspunkt IV j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 58 zu Petitionen

– Drucksache 17/917 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zu-
stimmung durch die Koalitionsfraktionen und die Linke.
Bündnis 90/Die Grünen und SPD haben dagegen ge-
stimmt.

Tagesordnungspunkt IV k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 59 zu Petitionen

– Drucksache 17/918 –

Wer stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Die
Sammelübersicht ist angenommen bei Zustimmung
durch CDU/CSU, SPD und FDP. Dagegen haben die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. Enthaltun-
gen gab es keine.

Tagesordnungspunkt IV l:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 60 zu Petitionen

– Drucksache 17/919 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zu-
stimmung durch die Koalitionsfraktionen und Gegen-
stimmen durch die Oppositionsfraktionen. Enthaltungen
gab es keine.

Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt I.12 auf:

Einzelplan 23
Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung

– Drucksachen 17/619, 17/623 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Volkmar Klein
Lothar Binding (Heidelberg)

Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Dr. Dietmar Bartsch
Priska Hinz (Herborn)


Hierzu liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Au-
ßerdem liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor;
darüber werden wir am Freitag nach der Schlussabstim-
mung befinden.

Es ist verabredet, hierzu eineinhalb Stunden zu debat-
tieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das
so beschlossen.

Ich gebe das Wort der Kollegin Bärbel Kofler für die
SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Rede ID: ID1703017300

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zuerst ein
positives Moment: Das Volumen dieses Haushalts, den
wir in zweiter und dritter Lesung beraten, ist immerhin
um 180 Millionen Euro größer als das Volumen der be-
schämenden Vorlage, die wir im Januar dieses Jahres
vom Kabinett erhalten haben. Trotzdem ist das kein Er-
folg für die Entwicklungszusammenarbeit als Ganzes.
Ich höre schon jetzt die Töne, die später kommen wer-
den: Aufgrund der Finanzkrise war leider nicht mehr
möglich und leider nicht mehr drin.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich daran erinnern,
dass die Finanzkrise bei den Haushaltsberatungen im
letzten Jahr bereits in vollem Gange war. Damals ist es
uns immerhin gelungen, für diesen Haushalt einen Auf-
wuchs in Höhe von 600 Millionen Euro zu erreichen;
das ist dreimal so viel wie das, was uns jetzt vorliegt. Vor
diesem Hintergrund finde ich das Gesamtergebnis der
Beratungen und die Zahlen, mit denen wir es zu tun ha-
ben, traurig und bescheiden.


(Beifall bei der SPD)


Dieser Haushalt, der ja wahrscheinlich von der Mehr-
heit des Hauses verabschiedet werden wird, belegt eines:
Deutschland verabschiedet sich aus der Rolle eines
zuverlässigen Partners in der Entwicklungszusammen-
arbeit, aber auch darüber hinaus. Wir sind internationale
Verpflichtungen eingegangen. Vom 0,51-Prozent-Ziel
redet schon niemand mehr. Der Minister hat davon so-
wieso nie geredet.

Wir als SPD-Fraktion haben Vorschläge gemacht, wie
man dieses Ziel erreichen kann. Wir haben auch Gegen-
finanzierungsvorschläge vorgelegt. Es wurde eine sinn-
lose Debatte vom Zaun gebrochen, ob im Jahre 2015 das
0,7-Prozent-Ziel erreicht werden könnte. Auch wenn
vonseiten des Ministeriums noch eine PM nachgeschickt
und zu erklären versucht wurde, das alles sei nicht so ge-
meint gewesen, wie es im Interview gestanden habe,
sage ich Ihnen: Das verunsichert Partner und trägt nicht
dazu bei, dass andere Länder uns weiter als Vorreiter und
als verlässlichen Partner ansehen.





Dr. Bärbel Kofler


(A) (C)



(D)(B)

Ein Auf und Ab gab es auch beim Global Fund. Wir
erinnern uns: Ursprünglich wollte die Regierung, wollte
Minister Niebel dort kürzen. Auf Druck der Opposition,
insbesondere auf Druck der Kollegin Karin Roth aus
meiner Fraktion, und auf Druck aus der Öffentlichkeit
wurde diese Kürzung zurückgenommen. Gott sei Dank;
das ist gut. Aber was soll dieses Hin und Her, was soll
diese Verunsicherung internationaler Partner und inter-
nationaler Institutionen?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Hinzu kommt das Drama um die Mittel für den Klima-
schutz. Die Kanzlerin hat im Dezember letzten Jahres
– zu diesem Zeitpunkt hätte man über die Finanzkrise
schon nachdenken können – in Kopenhagen zugesagt, in
diesem Jahr für internationalen Klimaschutz 420 Millio-
nen Euro bereitzustellen. Das ist zwar eine bescheidene
Zusage; aber es wäre ein wichtiger Beitrag gewesen. Wer
sich diesen Haushalt daraufhin anschaute, musste im
Einzelplan 23 – wirtschaftliche Zusammenarbeit – wie im
Einzelplan 16 – Umwelt – lange suchen. Kurz vor knapp,
kurz vor der Bereinigungssitzung, findet sich plötzlich ein
neuer Titel Klimaschutzmaßnahmen in den Entwick-
lungsländern.


(Heinz-Peter Haustein [FDP]: So sind wir!)


Nur stehen da nicht 420 Millionen Euro, wie es die
Kanzlerin im Dezember versprochen hat. In den beiden
genannten Etats finden sich jeweils nur 35 Millionen
Euro, und es ist nur den Haushältern von SPD und
Bündnis 90/Grüne zu verdanken – sie haben in der Be-
reinigungssitzung einen gemeinsamen Entschließungs-
antrag eingebracht –, dass nicht auch hier Taschenspie-
lertricks versucht worden sind und diese 35 Millionen
Euro für den Umweltetat gerettet werden konnten und
damit auch, gleichgezogen, für das BMZ eingestellt wer-
den mussten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ein Unfug! – Volkmar Klein [CDU/CSU]: Sind wir in einer Karnevalssitzung?)


Ich kann mir schon vorstellen, was uns der Minister
erzählen wird: Für den internationalen Klimaschutz
seien noch ganz viele Mittel in anderen Titeln des Ein-
zelplans 23 versteckt.


(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Und im Einzelplan 16!)


Man könnte das überschreiben mit dem schönen Sprich-
wort: Alter Wein in neuen Schläuchen. Natürlich enthält
der Einzelplan 23 seit Jahren viele klimarelevante Ti-
tel. Man denke zum Beispiel an die Sonderfazilität „Ini-
tiative Klima- und Umweltschutz“: Bis 2011 sollen für
2,4 Milliarden Euro zinsverbilligte Darlehen ausgegeben
werden. Oder man denke an die 4E-Fazilität, die Sonder-
fazilität für erneuerbare Energien und Energieeffizienz.

All diese Titel wurden über Jahre hinweg im Haushalt
aufgebaut. Hier zu versuchen, Mittel aus der finanziellen
Zusammenarbeit oder aus der technischen Zusammenar-
beit zu Mitteln für den Klimaschutz umzuetikettieren,
dafür ist „alter Wein in neuen Schläuchen“ ja noch billig
gesagt. Das sind buchhalterische Taschenspielertricks,
die eines transparenten Haushalts nicht würdig sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was Transparenz im Haushalt angeht, muss man sich
auch den Umgang mit dem Thema Haiti anschauen.
Wir, aber auch die Haushälter der SPD-Fraktion haben
im Ausschuss gefordert, einen Sondertitel für den Wie-
deraufbau Haitis aufzulegen. Wie man der Presse ent-
nehmen konnte, fand auch der Minister diese Idee nicht
schlecht. Das Spannende ist nur, dass im Haushaltsaus-
schuss die Haushälter der Koalitionsfraktionen nichts
dergleichen unternommen haben. Auch hier wird wieder
versucht, ein bisschen zu tricksen: Da gibt es die Not-
und Übergangshilfe. Sie wird zwar nicht mit mehr Geld
ausgestattet; aber es dürfen Mittel davon für Haiti ver-
wendet werden. Man darf auch Mittel verrechnen mit
der finanziellen Zusammenarbeit. Die bekommt aber
auch nicht die entsprechenden Mittel, vor allem be-
kommt sie keine Planungssicherheit für den Aufwuchs
der nächsten Jahre, nein, da werden bei den Verpflich-
tungsermächtigungen, die ja die eigentliche Planung dar-
stellen, noch 40 Millionen gestrichen.

Was Ende März bei der Geberkonferenz für Haiti he-
rauskommen wird, kann man nur vermuten. Das bishe-
rige Gebaren bei der Einhaltung internationaler Zusagen
lässt nichts Gutes erahnen. Auch hier wurde viel ange-
kündigt, aber nur wenig umgesetzt, und das Wenige ist
völlig intransparent.

Ich habe vorhin bei der Debatte über den Verteidi-
gungshaushalt zugehört. Der letzte Redner der Union hat
noch einmal die Bedeutung der Freiwilligendienste he-
rausgestellt. Dem kann man sich nur anschließen. Aber
warum werden in diesem Haushalt dann gerade im Ein-
zelplan 23 die Mittel für den Freiwilligendienst „welt-
wärts“ gekürzt? Warum werden verlässliche Zusagen,
die man jungen Menschen gegeben hat, die sich engagie-
ren wollen, nicht eingehalten? Warum schürt man auch
hier Misstrauen bei den Partnern, mit denen man zusam-
menarbeitet und auf deren Entgegenkommen man ange-
wiesen ist? Hier gilt wieder: keine Verlässlichkeit, keine
Ruhe in der Planung, keine Solidität.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ein großes Rätsel! Inkonsistente Politik ist das!)


Wir als Sozialdemokraten haben Anträge gestellt,
nämlich für einen vernünftigen Aufwuchs, um das
0,51-Prozent-Ziel zu erreichen. Wir haben Gegenfinan-
zierungsvorschläge gemacht. Darauf wird der Kollege
Binding sicherlich eingehen.

Einen Satz zur Finanztransaktionsteuer muss ich an
dieser Stelle schon noch loswerden. Wenn fast 70 000
Bürger eine Steuer gegen Armut für ein richtiges Kon-
zept halten, dann vergeben wir hier eine Chance, wenn
wir nicht auf eine Finanztransaktionsteuer im internatio-
nalen Rahmen drängen. Dazu ist von diesem Minister
leider nichts zu erwarten. Dazu ist auch von dieser Re-





Dr. Bärbel Kofler


(A) (C)



(D)(B)

gierung nichts zu erwarten. Deshalb ist eine Finanzie-
rung für eine moderne Entwicklungspolitik, die Struk-
turpolitik ist und deshalb entsprechende Mittel braucht,
nicht zu sehen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703017400

Frau Kollegin, ich möchte Ihnen nur sagen, dass die

Redezeit bereits abgelaufen ist.


Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Rede ID: ID1703017500

Ich komme zu meinem letzten Satz. – Was nicht pas-

siert, ist Strukturpolitik in der Entwicklungspolitik. Sie
haben sich von allen inhaltlichen Themen, die wir in der
Großen Koalition gesetzt haben, verabschiedet. Ein Bei-
spiel: soziale Sicherungssysteme in den Entwicklungs-
ländern: abgelehnt von den Haushältern, auch denen der
CDU/CSU.


(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Wir haben halt Verantwortung!)


Dieser Haushalt ist kein Haushalt der Nachhaltigkeit,
kein Haushalt der internationalen Verlässlichkeit. Was
Sie hier in den letzten sechs Monaten abgeliefert haben,
ist für Deutschlands Auftreten im internationalen Rah-
men beschämend. Hier erwarten wir deutlich mehr.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703017600

Harald Leibrecht hat das Wort für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Harald Leibrecht (FDP):
Rede ID: ID1703017700

Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen! Liebe Kol-

leginnen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wenn wir heute abschließend über den Einzelplan 23 de-
battieren, müssen wir uns vor Augen halten, dass wir in
diesem Jahr in der Tat noch in wirtschaftlich schwieriger
Situation sind und uns in einer Übergangsphase befin-
den. Wir alle wünschen uns mehr Geld für die Entwick-
lungspolitik – ohne Frage –, aber wir dürfen diese ge-
samtwirtschaftlichen Realitäten nicht aus den Augen
verlieren.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Innovative Finanzierungsinstrumente!)


Trotz der angespannten Haushaltslage konnten wir das
Volumen des Einzelplans 23 im Vergleich zu 2009 um
immerhin 250 Millionen Euro auf insgesamt 6,1 Milliar-
den Euro erhöhen. Das, Frau Kofler, ist keine beschä-
mende Zahl. Es ist sehr viel Geld, das wir für diesen Be-
reich einsetzen. Es ist vor allem Geld des Steuerzahlers,
und das sollten wir sehr viel mehr respektieren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das möchte ich an dieser Stelle auch direkt einmal
betonen: Ich bin froh darüber, dass der Haushalt des
BMZ auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wächst.
Wir alle wissen, denke ich, dass noch mehr Anstrengun-
gen nötig sein werden, um den Entwicklungsländern
eine Perspektive zu geben. Diese Anstrengungen sollten
vor allem Wirksamkeit zeigen, damit wir ihnen langfris-
tige und nachhaltige Perspektiven bieten können.

Ich möchte auch direkt auf das eingehen, was im
Laufe unserer Haushaltsberatungen von der Opposition
an zum Teil fast schon populistischen und aus meiner
Sicht teilweise unseriösen Forderungen nach mehr und
immer noch mehr Geld vorgetragen wurde. Nehmen wir
doch gerade einmal das Beispiel Haiti, Frau Kofler. Die
15 Millionen Euro Soforthilfe wurden von der Opposi-
tion beinahe ignoriert, fast schon schlechtgeredet.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach was! Es hat doch mit Schlechtreden nichts zu tun, wenn es einfach nicht reicht!)


Dass zu einem späteren Zeitpunkt mehr Geld zur Verfü-
gung gestellt werden würde, war von Anfang an klar. Da
wird auch noch einiges geschehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ohne jeglichen Anhaltspunkt wurden von der Opposi-
tionsseite irgendwelche Zahlen in den Raum geworfen.
Immer mehr sollte es sein. Dass es aber nach der ersten
Nothilfe im Sinne einer wirkungsvollen Wiederaufbau-
und Entwicklungszusammenarbeit erst einmal notwendig
ist, eine entsprechende Bestandsaufnahme zu machen,
wurde im Wettlauf um die höchsten Geldforderungen hier
völlig ausgeblendet. Ich empfand diese Zahlenspiele als
in höchstem Maße unseriös und gegenüber den Menschen
in Haiti unverantwortlich.


(Beifall bei der FDP – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!)


Das Land muss zunächst in die Lage versetzt werden,
die internationale Hilfe, die von allen Seiten kommt, zu
absorbieren. Dabei geht es gerade in einem Not leiden-
den Land wie Haiti darum, die zahlreichen internationa-
len Hilfsprojekte und -initiativen aufeinander abzustim-
men.

Es können nicht einfach nur pauschal Geldsummen
eingefordert werden, bevor klar ist, welche Wiederauf-
bauhilfe und -maßnahmen in den nächsten Monaten dort
notwendig sein werden. Diese Maßnahmen müssen dann
auch, wie gesagt, richtig koordiniert werden. Dies gehört
auch zu einer seriösen Entwicklungs- und Haushaltspoli-
tik, der wir uns natürlich verpflichtet fühlen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit Blick auf die heutige Debatte habe ich mir die
BMZ-Haushalte der letzten Jahre wieder einmal angese-
hen. Wir hören derzeit ja viel davon, dass Deutschland
seine Verpflichtungen zur Erfüllung der ODA-Quote un-
ter der neuen Bundesregierung nun ignorieren würde.

Vor fünf Jahren lag die ODA-Quote bei 0,35 Prozent,
wofür sich Frau Wieczorek-Zeul ja gerne immer loben
ließ. In den Folgejahren wurde es gerade einmal ge-





Harald Leibrecht


(A) (C)



(D)(B)

schafft, die Quote ein bisschen auf 0,38 Prozent zu erhö-
hen. Dass dem neuen Minister jetzt vorgeworfen wird,
dass er das 0,51-Prozent-Ziel verfehlt, finde ich eine ver-
fehlte Argumentation der Opposition.


(Beifall bei der FDP – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben gezeigt, wie es geht!)


Wir hätten den Etat des BMZ in diesem Jahr um über
3 Milliarden Euro, also um rund 50 Prozent, erhöhen
müssen, um diese 0,51 Prozent zu erreichen.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! – Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Nein, nicht den Etat des BMZ! Das wissen Sie auch! – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie können nicht rechnen! 2,2 hätten es auch getan!)


Doch elf Jahre Entwicklungspolitik der SPD haben die-
ses Ziel in weite Ferne rücken lassen, und das ist der ei-
gentliche Skandal.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In der letzten Legislaturperiode waren das BMZ und
das Finanzministerium ja SPD-geführt. Die ODA-Quote
droht seitdem fast zu stagnieren. In Ihrem Haushaltsent-
wurf vom letzten Herbst wurden gerade einmal 23 Mil-
lionen Euro mehr für Entwicklungszusammenarbeit vor-
gesehen. Mit dem jetzt beschlossenen Haushalt übertref-
fen wir Ihren Haushalt immerhin um 230 Millionen
Euro. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Entscheidend ist letztlich aber, dass die Gelder auch
Früchte tragen, und dies wird nur geschehen, wenn sie
richtig verwendet werden. Daher muss das BMZ so auf-
gestellt werden, dass eine verstärkte bilaterale, zielge-
richtete Entwicklungszusammenarbeit möglich ist.

In wirtschaftlich schwierigen Zeiten können wir es
uns eben nicht erlauben, die Kontrolle über einen Groß-
teil der Gelder, die wir in die Entwicklungszusammenar-
beit fließen lassen, aus der Hand zu geben. Das sind wir
dem Steuerzahler schuldig, aber vor allem auch den
Menschen in den Entwicklungsländern, die auf eine effi-
ziente Unterstützung von unserer Seite hoffen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Sie verabschieden sich von der Internationalität in der Entwicklungszusammenarbeit!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703017800

Heike Hänsel hat das Wort für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703017900

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Herr Leibrecht, die Bundesregierung erreicht mit diesem
Haushalt nicht das für 2010 vorgegebene Zwischenziel,
die Ausgaben für Entwicklungshilfe auf 0,51 Prozent
des Bruttonationalprodukts – das ist die sogenannte
ODA-Quote – zu erhöhen.


(Harald Leibrecht [FDP]: Das habe ich ja gesagt!)


Es wäre finanziell aber durchaus möglich,


(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Ja, aber mit 3 Milliarden Euro!)


und das können Sie, Herr Leibrecht, in einem sehr guten
Antrag der Linksfraktion nachlesen.


(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Es gibt keine guten Anträge der Linksfraktion!)


Wir zeigen Ihnen, dass es finanziell möglich ist, die
ODA-Quote in diesem Haushalt zu erreichen.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Indem Sie die Bundeswehr totsparen!)


Ihnen fehlt aber der politische Wille dazu, und das ist das
Entscheidende.


(Beifall bei der LINKEN – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sie können auch den SPD-Antrag nehmen! Der ist auch gut!)


Sie sind nicht bereit, 2 Milliarden Euro mehr für die
weltweite Entwicklungshilfe auszugeben, aber Sie sind
jederzeit bereit, in diesen Haushalt zum Beispiel mehr
als 7 Milliarden Euro für neue Rüstungsprojekte einzu-
stellen.


(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Das sind auch Arbeitsplätze!)


Damit steht diese Ausgabenpolitik der Bundesregie-
rung auch im krassen Widerspruch zur Bevölkerung. Die
Menschen in diesem Land sind nämlich viel mehr dazu
bereit, Geld für Entwicklungshilfe auszugeben. Das ha-
ben sie durch Spenden in dreistelliger Millionenhöhe
bei den Spendensammlungen für die Tsunamiopfer und
auch jetzt wieder bei den Spenden für die Hilfe der Erd-
bebenopfer in Haiti eindrücklich gezeigt.

In meinem Wahlkreis Tübingen sammeln zum Bei-
spiel Künstlergruppen und Schulklassen mühsam für
Haiti,


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Nicht nur in Ihrem Wahlkreis!)


währenddessen die Bundesregierung nicht bereit ist, ei-
nen Sondertitel für die mittelfristige Hilfe für Haiti ein-
zustellen. Das sind nicht nur Forderungen der Opposition,
sondern die Vereinten Nationen haben die Industriestaa-
ten aufgefordert, deutlich mehr Geld als bisher für Haiti
zur Verfügung zu stellen.


(Harald Leibrecht [FDP]: Da kommt doch Geld!)


Sie ignorieren diese Aufforderungen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich halte es übrigens für ein persönliches Armuts-
zeugnis des Ministers, dass er diese Forderungen gegen-
über seinen Haushältern nicht hat durchsetzen können.





Heike Hänsel


(A) (C)



(D)(B)

Damit komme ich zu Ihrer Hauptbotschaft, die Sie,
Herr Niebel, recht häufig zum Besten geben. Sie sagen,
dass Ihre Entwicklungshilfe werteorientiert und interes-
sengeleitet sei. Ich frage mich allerdings, von welchen
Werten und welchen Interessen Sie sprechen. Mit diesem
Haushalt zeigt die Bundesregierung nämlich, dass Frie-
denspolitik, weltweite Armutsbekämpfung, Klima-
schutz, soziale Entwicklung, globale Gerechtigkeit und
somit der Wert der menschlichen Solidarität nicht
oberste Priorität Ihrer Politik sind. Stattdessen geht es
Ihnen ganz offensichtlich um deutsche Wirtschaftsinte-
ressen, die Sie möglichst ungehindert durchsetzen wol-
len. Sie propagieren – so habe ich es auch auf der letzten
Reise nach Vietnam erleben können – die freie Markt-
wirtschaft als Grundlage freier Gesellschaften. Sie wol-
len also Freiheit für Konzerne, Freihandel und Markt-
liberalisierung. All das hat allerdings in vielen Ländern
des Südens nicht zu mehr sozialer Entwicklung geführt,
sondern – ganz im Gegenteil – zu mehr Armut, mehr
Hunger und mehr Umweltzerstörung. Da frage ich mich:
Ist das Ihre Vorstellung von freien Gesellschaften?


(Beifall bei der LINKEN – Harald Leibrecht [FDP]: Wir haben das Ministerium die letzten elf Jahre nicht geführt!)


Bezüglich Ihrer Werte, Herr Niebel, möchte ich auf
Ihre jüngst stark kritisierte Personalpolitik eingehen.
Dabei geht es mir jetzt allerdings weniger um die Klien-
telpolitik nach dem FDP-Parteibuch. Die Einstellung
nach Parteibuch haben Rot-Grün und Schwarz-Rot
schließlich genauso betrieben. Mir geht es vielmehr um
die inhaltliche Ausrichtung einiger Personalentscheidun-
gen. Konkret betrifft das Ihre neuen Abteilungsleiter im
Ministerium. Als Erstes möchte ich Herrn Harald Klein
nennen,


(Harald Leibrecht [FDP]: Sehr guter Mann!)


der lange Zeit bei der FDP-nahen Friedrich-Naumann-
Stiftung gearbeitet hat. Dieser hat im letzten Jahr den
Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten
Zelaya gerechtfertigt und die damit einhergehenden
Menschenrechtsverletzungen mehr als verharmlost.
Soviel zu Ihren Wertevorstellungen von Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten.

Ich halte es ebenfalls für einen Skandal, dass Harald
Klein jetzt Ansprechpartner für internationale Beziehun-
gen und für Menschenrechtsfragen ist. Vor zehn Tagen
haben wir Menschenrechtsaktivisten aus Honduras nach
Berlin eingeladen. Sie haben sich auch mit dem BMZ
getroffen und im Ministerium ebendiesem Harald Klein
über aktuelle politische Morde, Folterungen und Verhaf-
tungen berichtet. Diese Aktivisten sind ein enormes
Risiko eingegangen, indem sie hierher gekommen sind
und davon berichtet haben. Trotzdem wurden sie aber
von einem Mitarbeiter der Friedrich-Naumann-Stiftung
namentlich in einer Zeitung in Honduras genannt und
denunziert, sie würden die jetzige sogenannte gewählte
Regierung schlechtmachen. Das ist eine konkrete Ge-
fährdung von Menschenrechtsaktivisten. Herr Niebel,
ich möchte von Ihnen die Auskunft bekommen, ob kon-
krete Informationen aus dem Ministerium von Harald
Klein an die Friedrich-Naumann-Stiftung in Honduras
weitergeleitet wurden.


(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Das ist niveaulos, was Sie hier machen!)


Sollte diesen beiden mutigen Menschenrechtsaktivisten
etwas zustoßen, werde ich auch die FDP dafür verant-
wortlich machen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte noch eine zweite Personalie ansprechen.
Diese betrifft ebenfalls einen Abteilungsleiter, und zwar
den ehemaligen Oberst Herrn Eggelmeyer.


(Harald Leibrecht [FDP]: Auch ein guter Mann! – Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Mann, Mann, Mann!)


Ich frage mich, was ein Oberst im Ministerium für
Entwicklungszusammenarbeit verloren hat. In meinen
Augen hat er dort gar nichts verloren. Das führt zu einer
strukturellen Militarisierung der Entwicklungszusam-
menarbeit. Sie wollen die zivil-militärische Zusam-
menarbeit ausbauen, Herr Niebel. Dazu kann ich Ihnen
nur sagen: Es gibt immer mehr Hilfsorganisationen, die
das kritisieren. Ich möchte aus der heutigen Pressemit-
teilung der Organisation Ärzte ohne Grenzen zitieren, in
der steht:

Die internationale humanitäre Hilfsorganisation
ÄRZTE OHNE GRENZEN weist die Äußerung des
NATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen
aufs Schärfste zurück, wonach Nichtregierungsor-
ganisationen die weiche Komponente militärischer
Strategien darstellen sollten … Äußerungen wie
diese kreieren ein zusätzliches Risiko für unsere Pa-
tienten und unsere Mitarbeiter …


(Beifall bei der LINKEN)


Wir schließen uns dieser Kritik vorbehaltlos an und
lehnen eine zivil-militärische Zusammenarbeit ab. Wir
sehen, dass Sie, Herr Niebel, das Entwicklungsministe-
rium für die systematische Begleitung der wirtschaftli-
chen und militärischen deutschen Expansion umbauen
wollen. Sie können mit unserem massiven Widerstand
rechnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703018000

Volkmar Klein hat das Wort für die CDU/CSU-Frak-

tion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Volkmar Klein (CDU):
Rede ID: ID1703018100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Als Allererstes möchte ich betonen, dass die
Wortwahl und der Inhalt dessen, was wir gerade gehört
haben, einem Parlament nicht angemessen sind. Es ist
eine Schande, so mit dem Minister und dem Ministerium
umzugehen.





Volkmar Klein


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Der sich mit seinem Militärkäppi in Afrika zeigt! Toller Minister!)


Wenn ich gewusst hätte, was Frau Kofler eben sagen
wollte, dann hätte ich sie vielleicht eingeladen, die
Plenardebatte gestern aufmerksam zu verfolgen. Da wa-
ren nämlich von der Opposition ganz andere Töne zu hö-
ren. Die Opposition hat über die massive Neuverschul-
dung geschimpft. Der Kollege Bonde hat sogar von
blinder Schuldenmacherei gesprochen.

Deswegen hatte ich ein flaues Gefühl, heute Abend
ausgerechnet den Einzelplan 23 zu vertreten, dessen
Mittel im Rahmen der Haushaltsplanberatungen sogar
noch deutlich erhöht werden konnten und der somit mit-
ten im Zentrum der beißenden Kritik des gestrigen Tages
steht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Aber wir stehen dazu. Der Haushalt mit einer Neuver-
schuldung von 80,2 Milliarden Euro ist leider alternativ-
los. Wir haben die Ausgaben gegenüber dem Entwurf
deutlich gekürzt, aber trotz aller Kritik an der Neuver-
schuldung sind weitere Einsparungen nicht möglich.
Sonst würden wir die wirtschaftliche Entwicklung wie-
der abwürgen. Deswegen ist dieser Haushalt die richtige
Antwort auf die aktuellen Probleme.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagen die Entwicklungsländer?)


Die im Einzelplan 23 – Bundesministerium für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – vorge-
sehene Ausgabensteigerung ist trotz des generell von uns
gemeinsam so empfundenen Sparzwanges die richtige
Antwort auf die aktuellen Fragen im Sinne der Zukunft
unseres Landes. Wir werden mit diesem Haushalt unse-
rer internationalen Verantwortung gerecht.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Ganz klar nein!)


Erstens – das scheint mir entscheidend zu sein – tun wir
etwas. Wir geben viel Geld aus, und zwar mehr Geld, als
ursprünglich von der Regierung geplant, weil dies auch
ethisch geboten ist.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Almosen sind das! Nichts mit Gerechtigkeit!)


Es ist ein Gebot christlicher Nächstenliebe, sich für an-
dere Menschen einzusetzen. Unsere Verantwortung en-
det nicht an den Grenzen.

Zweitens finde ich es ausgesprochen schön, dass in
unserem Land sehr viele Menschen genau das zu ihrem
persönlichen Anliegen machen und sich in Kirchen, Ini-
tiativen und Verbänden für Menschen in der Dritten Welt
engagieren. Ihnen möchte ich an dieser Stelle ganz herz-
lich für ihr vorbildliches Engagement danken, auf das
wir stolz sein können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auch als Bundesrepublik Deutschland ist es richtig,
sich massiv – stärker, als ursprünglich von der Regie-
rung geplant – einzubringen, weil auch dies im deut-
schen Interesse ist. Hilfestellungen, aus der Armut he-
rauszukommen, schaffen in den betreffenden Ländern
Stabilität, von der auch wir am Ende etwas haben. Das
reduziert Migrationsdruck und Sicherheitsprobleme.

Deswegen ist es richtig, dass wir jetzt einen Haushalt
beschließen wollen und auch werden, der mit fast
6,1 Milliarden Euro so groß ist wie noch nie. Er weist
256 Millionen Euro mehr auf als im Haushalt 2009. Das
ist vor allem auch deutlich mehr, als ursprünglich im Re-
gierungsentwurf geplant war.

Ich will noch einmal die Relationen in Erinnerung
rufen. Wir haben aus guten Gründen im Gesamthaushalt
5,9 Milliarden Euro gespart und Ausgaben gekürzt. Das
werden wir jetzt beschließen.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein, nein! Sie haben Konjunkturverbesserungen eingeplant! Das ist etwas ganz anderes!)


Wir haben trotz dieser Kürzung um 5,9 Milliarden Euro
insgesamt einen Aufwuchs um 189 Millionen Euro im
Einzelplan 23.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich will eine weitere Zahl, die dem einen oder ande-
ren mit Sicherheit auch nicht gefallen wird, in Erinne-
rung rufen. Es gab schon einmal einen Haushaltsentwurf
der Bundesregierung für das Jahr 2010. Er stammt aus
dem Sommer des letzten Jahres. Damals hieß die Minis-
terin Wieczorek-Zeul. Im Vergleich zum Haushalt 2009
– Frau Wieczorek-Zeul, das können Sie sicherlich bestä-
tigen – war damals ebenfalls ein Aufwuchs geplant, und
zwar in Höhe von etwas über 20 Millionen Euro. Das
sah der Regierungsentwurf aus dem letzten Jahr vor.
Nun haben wir einen Aufwuchs in Höhe von
256 Millionen Euro. Das ist elfmal mehr als von der ehe-
maligen Ministerin geplant. Deshalb habe ich überhaupt
kein Verständnis für den Protest der SPD.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703018200

Entschuldigung, Herr Kollege, möchten Sie eine Zwi-

schenfrage von Herrn Movassat zulassen?


Volkmar Klein (CDU):
Rede ID: ID1703018300

Bitte schön.


Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703018400

Herr Willsch, Sie haben darauf verwiesen, dass wir in

einer Wirtschafts- und Finanzkrise sind und Haushalts-
probleme haben.


(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Das ist Herr Klein!)


– Entschuldigung, Herr Klein, mir lag die falsche Liste
vor.





Niema Movassat


(A) (C)



(D)(B)

Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Groß-
britannien trotz Schuldenproblematik und Finanzkrise
es geschafft hat, mit seinem aktuellen Haushalt das Zwi-
schenziel von 0,56 Prozent zu übertreffen? Wie stehen
Sie dazu?


Volkmar Klein (CDU):
Rede ID: ID1703018500

Lieber Herr Kollege, Ihre Desorientierung zeigt sich

schon daran, dass Sie mich nicht mit meinem Namen an-
gesprochen haben.


(Zurufe von der LINKEN: Falsche Antwort!)


– Ich glaube, das ist als Antwort ausreichend; denn wir
reden hier über Deutschland. Ich habe gerade gesagt,
was eine Regierung damals vorgelegt hat – die ehemali-
gen Regierungsmitglieder sitzen nun ganz still und wer-
den sich wohl auch nicht zu Wort melden – und dass wir
einen elfmal höheren Aufwuchs beschließen.

Ich möchte unterstreichen – das mag dem einen oder
anderen als Petitesse erscheinen –, dass wir an der Sache
interessiert sind und mehr Geld für wichtige Projekte
ausgeben wollen – deswegen dieser erhebliche Auf-
wuchs –, während wir gleichzeitig im Vergleich zum
Entwurf der Regierung die Mittel für die Öffentlichkeits-
arbeit um 2 Prozent reduziert haben. Uns geht es um die
Sache und nicht um Schaufensterdekoration.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703018600

Herr Kollege, auch Herr Binding will Ihnen eine Zwi-

schenfrage stellen. Wollen Sie diese auch noch zulassen?


Volkmar Klein (CDU):
Rede ID: ID1703018700

Ja, das ist ein vernünftiger Kollege.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703018800

Bitte.


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1703018900

Lieber Kollege Klein, du hast vorhin die SPD ange-

griffen und behauptet, wir hätten zuerst gesagt, keine
Neuverschuldung, und nun sähen wir das ganz anders;
das sei ein gewisser Widerspruch. Des Weiteren hast du
gesagt, der jetzigen Regierung und Koalition gehe es nur
um die Sache. Ein sehr umfänglicher Antrag der SPD-
Fraktion sieht Ausgaben in Höhe von 1,2 Milliarden
Euro für ganz wichtige Bereiche wie den Friedensdienst,
die Sozialstruktur, politische Stiftungen, das Welternäh-
rungsprogramm usw. vor. Nun kommt das Interessante:
Es ist uns gelungen, diesen Vorschlag seriös zu decken,
und zwar mit Mitteln aus nur zwei Titeln. Es besteht also
nicht die Notwendigkeit Schulden zu machen oder neue
Steuern einzuführen. Das eine ist § 1 des Außensteuer-
gesetzes; darüber haben wir lang geredet. Es geht hier
um die Funktionsverlagerung, die ökonomisch äußerst
problematische Folgen für die Steuereinnahmen in
Deutschland hat. Das andere ist – das ist ein bisschen un-
ser Dauerbrenner; es handelt sich um einen seriösen Vor-
schlag, weil die Mittel nur einmal verwendet werden,
und das noch nicht einmal vollständig – der Steuernach-
lass für Hotelkonzerne in einer Größenordnung von
500 Millionen Euro.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


– Sie können ruhig Buch führen. Dieser Vorschlag ist se-
riös gedeckt. Weil Sie ihn immer abgelehnt haben, ist er
als Deckung noch vorhanden und seriös durchgerechnet.
Wir können Ihnen das jederzeit zur Verfügung stellen.

Weil Sie sehr ernsthaft gesagt haben, Ihnen gehe es
um die Sache, lautet meine Frage: Ist es Ihnen bei der
Priorisierung tatsächlich wichtiger, einem Hotelkonzern
Steuern zu erlassen, als die eben von mir vorgetragenen
Maßnahmen in der Entwicklungspolitik voranzubrin-
gen?


Volkmar Klein (CDU):
Rede ID: ID1703019000

Lieber Kollege Binding, Sie können sich sicherlich

noch ganz genau an die umfangreichen Diskussionen
über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz erinnern.
Wie Sie wissen, ist das nur einer von vielen Punkten, der
dazu beiträgt, die wirtschaftliche Belebung in unserem
Land nach vorne zu bringen.

Das, was wir in den letzten Monaten erlebt haben, un-
terstreicht den Erfolg dieser Strategie. Insofern muss ich
den Vorschlag, den wir im Haushaltsausschuss diskutiert
haben, eher unter der Rubrik „Mut nach Kassenschluss“
einsortieren. Es bleibt dabei, was ich eben gesagt habe:
Im letzten Jahr, als die frühere Ministerin die Möglich-
keit hatte, wurde nichts getan, aber jetzt werden große
Forderungen erhoben. Das ist nicht glaubwürdig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sie wissen, dass das falsch ist, was Sie sagen!)


Jetzt möchte ich zu meinem Konzept zurückkommen.
Ich will vier Punkte, die uns wichtig sind, nennen. Ers-
tens. Für das Klima wird natürlich sehr viel getan. Ich
meine nicht nur die 35 Millionen Euro, die im Laufe der
Beratungen zusätzlich hinzugekommen sind, sondern
auch der bereits bestehende Titel „Entwicklungswichtige
multilaterale Hilfen zum weltweiten Umweltschutz, zur
Erhaltung der Biodiversität und zum Klimaschutz“ ist
nicht nur ein bisschen aufgestockt worden, sondern mit
zusätzlichen 78 Millionen Euro mehr als verdoppelt
worden. Darüber hinaus – das wissen wir doch alle – ist
in den TZ- und FZ-Titeln einiges für den Klimaschutz
enthalten. So zu tun, als ob das Umweltministerium gar
keine Rolle spielen würde, geht nun völlig an der Sache
vorbei.

Ich finde es wichtig – das ist der zweite Punkt –, dass
wir mit 120 Millionen Euro zusätzlich für die Entwick-
lungszusammenarbeit mit Afghanistan dokumentieren,
dass es eben nicht unser Anliegen ist, militärisch für eine
Lösung in Afghanistan zu sorgen, sondern dass wir na-
türlich wissen und auch untermauern, dass wir eine sich
selbst tragende Sicherheit brauchen. Dafür sind derartige
Projekte der Kern. Deswegen ist es richtig, dort
120 Millionen Euro zusätzlich neben allen anderen Ein-
zelplänen hineinzupacken. Das haben wir mit einem
separaten Antrag getan und intensiv diskutiert.





Volkmar Klein


(A) (C)



(D)(B)

Drittens. Noch ein Satz zu Haiti. Es wird hier so ge-
tan, als ob für Haiti kein Geld da wäre. Es gibt aber im
Haushaltsplan den Haushaltstitel „Entwicklungsorien-
tierte Not- und Übergangshilfe“. Der ist mit
129 Millionen Euro ausgestattet und ganz anders als die
meisten anderen Titel im Einzelplan 23 nicht durch Ver-
pflichtungsermächtigungen vorbelastet. Vielmehr ma-
chen Verpflichtungsermächtigungen an diesen 129 Mil-
lionen Euro im Haushaltsjahr 2010 nur 22,5 Millionen
Euro aus. Der Rest ist natürlich für derartige Katastro-
phen verfügbar. Das haben wir unterstrichen. Um trotz-
dem Bedenken zu zerstreuen, ob das Geld am Ende
reicht, haben wir einseitige Verstärkungsvermerke durch
FZ und TZ ausgebracht. Das wird sicher alle Zweifel,
die bestehen könnten, beseitigen.

Der vierte Punkt, der mir wichtig ist: Träger wie Kir-
chen, Stiftungen, Genossenschaften und andere private
Träger stellen die Pluralität und den Reichtum unserer
Gesellschaft dar. Deswegen ist es richtig, diese Träger in
der Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen. Diese
wollen wir weiter fördern, und das haben wir durch er-
höhte Verpflichtungsermächtigungen im Laufe der
Haushaltsberatungen für diesen Bereich getan.

Der Einzelplan 23 umfasst also 6,1 Milliarden Euro.
Das ist der höchste Betrag, den es je gab. Ich denke, dass
wir diesen hohen Betrag guten Gewissens vertreten kön-
nen, trotz der berechtigten Kritik der Opposition an der
Gesamtverschuldung. Aber die Kritik – das hören wir
jetzt – zielt nicht nur auf die Gesamtverschuldung und
die Neuverschuldung, sondern auch auf die angeblich zu
niedrigen Ausgaben für diesen Etat. Das eine passt mit
dem anderen nicht ganz zusammen. Wer auf der einen
Seite Kritik an der Verschuldung übt, aber auf der ande-
ren Seite die Ausgaben erhöhen will, befindet sich in ei-
nem Widerspruch. Das sollte man normalerweise bereits
als Kind gelernt haben, das mit dem Taschengeld umzu-
gehen hat. Dieses Versäumnis müsste nachgeholt wer-
den. Sich über beides aufzuregen, hat mit Entwicklungs-
politik nichts zu tun. Das ist eher Entrüstungspolitik.
Wenn sich der eine oder andere als entrüstungspoliti-
scher Sprecher seiner Fraktion hier bewerben will, dann
kann er das tun.

Ich habe den Eindruck, dass wir mit diesem Haus-
haltsplan ein Dokument deutscher Zukunftsverantwor-
tung vorgelegt haben. Das sollten wir nicht kritisieren,
und darüber sollten wir nicht lamentieren. Wir sollten
das eher feiern. Herr Minister Niebel macht gute Arbeit,
und er verdient die breite Unterstützung eigentlich des
gesamten Hauses.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703019100

Das Wort hat jetzt Priska Hinz für Bündnis 90/

Die Grünen.

Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Be-
ginn der Haushaltsberatungen konnte man noch darauf
hoffen, dass sich die Koalition auf die internationalen
Verpflichtungen besinnt, die die Regierung eingegangen
ist. Wir hatten Hoffnung, dass sie sich an die Koalitions-
vereinbarung hält und dass sie in dem Punkt, dass das
0,7-Prozent-Ziel erreicht werden muss, kein Papiertiger
bleibt. Natürlich hatten wir die Hoffnung, dass die Zusa-
gen von Kopenhagen eingehalten werden. Jetzt, bei der
Verabschiedung dieses Einzelplans, müssen wir feststel-
len: Alle Zusagen sind gebrochen worden. Sie begehen
damit einen Wortbruch, dass Sie das 0,51-Prozent-Ziel
schlicht und einfach nicht erreichen.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Schwarz-Gelb wird laut Ministerium von Herrn Niebel
mit diesem Haushalt höchstens 0,40 Prozent des Brutto-
inlandsprodukts für Entwicklungshilfe ausgeben. Herr
Klein, wir sind damit im unteren Drittel der DAC-Län-
der Europas –


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wie weit war denn Rot-Grün?)


vielleicht wussten Sie das eben nicht; wahrscheinlich ha-
ben Sie deswegen die Frage nicht beantworten können –,
und das, obwohl die anderen Länder von der Wirt-
schaftskrise genauso betroffen sind wie Deutschland.


(Harald Leibrecht [FDP]: Eben nicht!)


Deutschland ist immer noch ein finanz- und wirtschafts-
starkes Land; deswegen ist das Verfehlen dieses Ziels ein
Armutszeugnis für diese Regierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jetzt ist schon fast erklärt, warum sich Herr Niebel so
langsam aus der Verantwortung stiehlt. Nur so ist das
Gerede zu verstehen, der effiziente Mitteleinsatz sei
wichtiger, als irgendeine Quote zu erreichen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Wer oder was hindert Sie eigentlich daran, viel Geld in
die Hand zu nehmen und dieses Geld effektiv und sinn-
voll auszugeben?


(Harald Leibrecht [FDP]: Das machen wir doch jetzt!)


Niemand, also wir jedenfalls nicht!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Im Gegenteil: Wir haben entsprechende Vorschläge ge-
macht. Sie haben es geschafft, den Haushaltstitel „Be-
obachtung und Überprüfung der deutschen entwick-
lungspolitischen Zusammenarbeit“ um die Hälfte zu
kürzen. Sie wollen anscheinend gar nicht wissen, wie ef-
fektiv Ihre Mittel eingesetzt werden. Das ist ein zweites
Armutszeugnis.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hinter Ihren Ausflüchten steckt etwas anderes. Sie
wissen schon jetzt: Das 0,7-Prozent-Ziel können Sie
nicht erreichen. Deswegen muss man schon einmal an-





Priska Hinz (Herborn)



(A) (C)



(D)(B)

fangen, das Ganze schönzureden. Das ist das Problem.
2015 – wahrscheinlich werden Sie dann nicht mehr re-
gieren; wir arbeiten jedenfalls darauf hin – geht es nach
dem Motto: Nach mir die Sintflut; die neue Regierung
soll doch sehen, wo sie bleibt. Herr Klein, das dient we-
der den internationalen noch den deutschen Interessen –
ich erinnere an die globalen Verpflichtungen, die wir
eingegangen sind und die Sie hier vorhin so schön zitiert
haben –, im Gegenteil. Es hilft weder Deutschland noch
der Welt insgesamt, wenn wir unsere Verpflichtungen
nicht einhalten und nicht global dafür sorgen, dass Ar-
mut erfolgreich bekämpft wird, dass es mehr Sicherheit
gibt und dass der Klimaschutz verbessert wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum zweiten Wortbruch. Bundeskanzlerin Merkel hat
in Kopenhagen jährlich 420 Millionen Euro zugesagt.
70 Millionen Euro sind in diesen Haushalt eingestellt;
35 Millionen Euro entfallen auf den Haushalt des BMU
und 35 Millionen Euro auf den Haushalt des BMZ. Na-
türlich wurde erst einmal versucht, diese Mittel dadurch
aufzubringen, dass man in einem anderen Topf streicht,
dass man also einfach umschichtet. Daraufhin musste es
im Haushaltsausschuss eine Krisensitzung geben,


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wer redet denn von Krisensitzung? Sie haben eine Krise!)


weil wir Ihnen diese Peinlichkeit vor Augen geführt ha-
ben, in die Frau Merkel und ihre Regierung kommen,
wenn sie diese Zusage noch nicht einmal in Ansätzen
einhalten.

In diesem Haushalt werden also 70 Millionen Euro
bereitgestellt; aber das wird Ihnen nicht helfen. Auf dem
internationalen Parkett ist Bundeskanzlerin Merkel mit
ihrer Koalition im Hinblick auf Glaubwürdigkeit und
Ansehen gesunken, und das, wie ich finde, zu Recht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Stichwort: Glaubwürdigkeit, Ansehen und Durch-
setzungsfähigkeit des neuen Entwicklungshilfeminis-
ters.


(Harald Leibrecht [FDP]: Ohne „-hilfe-“!)


– Entwicklungsminister. Danke schön! –

Zu Recht leidet Ihr Ansehen darunter, dass Ihre Partei
das Ressort abschaffen wollte.


(Zuruf von der FDP: Stimmt ja gar nicht!)


– Das müssen Sie sich schon anhören! – Statt peinliche
Personalpolitik zu betreiben, müssten Sie, Herr Minister,
da Sie ja unter besonderer kritischer Beobachtung ste-
hen, jetzt sehr viel Elan dahin gehend entwickeln, das
0,7-Prozent-Ziel on the long way zu erreichen,


(Harald Leibrecht [FDP]: Long run!)


und sich kräftig dafür einsetzen, dass ein entsprechen-
der Aufwuchs bei diesem Haushalt in Höhe von über
2 Milliarden Euro geschieht.

Was machen Sie? Sie besitzen noch nicht einmal
Durchsetzungsfähigkeit in Ihren eigenen Reihen. Ich
glaube, das ist wahrscheinlich dieser langjährigen Forde-
rung, das Entwicklungsministerium abzuschaffen, ge-
schuldet. Weder ist Ihr Wunsch aufgenommen worden,
einen eigenständigen Haushaltstitel für Haiti einzurich-
ten,


(Helga Daub [FDP]: Man braucht doch nicht immer einen eigenständigen Titel!)


noch ist Ihrem Wunsch entsprochen worden, die Unter-
stützung für UN-Programme nicht zu kürzen. Hier gab
es ja den ausdrücklichen Hinweis: Das gibt Probleme im
Hinblick auf einen eigenen Sitz im Sicherheitsrat. Sie
können sich nicht durchsetzen, nicht einmal bei Ihren ei-
genen Leuten. Wie soll das denn erst werden, wenn Sie
diese Aufgabe auf dem internationalen Parkett wahrneh-
men sollen?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Harald Leibrecht [FDP]: Das wird er gut machen!)


Ich sage Ihnen: So wird das nichts mit Ansehen und
Glaubwürdigkeit im Amt und der Durchsetzung der Ent-
wicklungsinteressen.

Wenn Sie schon keine Steigerung der Barmittel errei-
chen konnten, dann hätten Sie sich wenigstens um inno-
vative Finanzierungsinstrumente kümmern sollen, wie
wir sie unter anderem vorgeschlagen haben, und dann
sollten Sie sich auch nicht gegen eine Finanztransak-
tionsteuer aussprechen, wie unter anderem wir sie zur
Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit einfüh-
ren wollen.


(Harald Leibrecht [FDP]: Den Bürger noch mehr belasten!)


Herr Klein, uns können Sie nicht vorwerfen, dass wir
nur vom Sparen reden, aber in Wirklichkeit mehr ausge-
ben wollten. Wenn man unsere Vorschläge verwirklichen
würde, bliebe man 7 Milliarden Euro unter dem Neuver-
schuldungsbetrag, mit dem die Regierung plant und den
die Koalitionsfraktionen beschließen wollen. Zugleich
haben wir Vorschläge gemacht, wie wir 2,2 Milliarden
Euro in Form von Barmitteln und zinsvergünstigten Kre-
diten für die Entwicklungszusammenarbeit auf den Weg
bringen können.


(Harald Leibrecht [FDP]: Alles Luftbuchungen!)


Das ist der richtige Weg; denn so könnten wir das 0,51-
Prozent-Ziel in diesem Jahr tatsächlich erreichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch des Abg. Norbert Barthle [CDU/CSU])


Ich möchte noch auf einen Punkt zu sprechen kom-
men: In den ganzen Diskussionen um den Haushalt des
BMZ, bei denen Sie ja immer von einem angeblich so
riesengroßen Aufwuchs sprechen,


(Volkmar Klein [CDU/CSU]: Der ist wirklich so groß!)


wurde überhaupt nicht bemerkt, dass Sie die Verpflich-
tungsermächtigungen um 10 Prozent kürzen. Das





Priska Hinz (Herborn)



(A) (C)



(D)(B)

heißt, Verpflichtungen in Höhe von 400 Millionen Euro
können nicht rechtlich bindend eingegangen werden.
Diese Kürzung ist insgesamt größer als der Aufwuchs in
Höhe von 189 Millionen Euro, den Sie hier immer so
preisen. Deswegen ist festzuhalten: Es handelt sich ein-
mal mehr nicht um ein Nullsummenspiel, sondern um ei-
nen Rückgang der Mittel für die Entwicklungszusam-
menarbeit. Das sollten Sie sich hinter die Ohren
schreiben. Das ist ein Armutszeugnis für diese Koalition.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Machen Sie keine Milchmädchenrechnung auf! Sie verunsichern die Menschen! Das ist doch unredlich!)


Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie ha-
ben einen Haushalt mit Rekordverschuldung vorgelegt.
Sie schaffen es aber nicht, zwei zentrale internationale
Zusagen Deutschlands einzuhalten. Das ist bitter für die
Entwicklungsländer, bitter für den Klimaschutz, bitter
für das Ansehen und das Gewicht Deutschlands auf der
internationalen Bühne. Meine Damen und Herren von
Schwarz-Gelb, Sie können es einfach nicht!

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Leibrecht [FDP]: Und ihr dürft es nicht!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703019200

Der Kollege Dr. Christian Ruck hat jetzt das Wort für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Holger Haibach [CDU/CSU]: Endlich einer, der etwas von der Sache versteht!)



Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1703019300

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Ich beginne mit dem, was uns alle eint: Für uns
alle ist Entwicklungspolitik ein zentrales Element für die
Zukunftssicherung auf unserem Planeten. Deswegen ist
unser Entwicklungshaushalt auch ein Kernelement für
Deutschlands globale Verantwortung in der Welt. Wenn
man so will, ist der Entwicklungshaushalt das Aushän-
geschild dafür, wie unser Land Solidarität und Verant-
wortung in der Welt ausübt. Diese globale Verantwor-
tung besteht zum Beispiel in der Prävention von Krisen,
in der Prävention von Migration, in der Bekämpfung von
Armut und Unterdrückung und in der Sicherung des bio-
logischen und kulturellen Erbes der Welt.

Ich möchte zu den Zahlenspielereien eines ganz klar
sagen: Wir sind inzwischen der zweitgrößte Geber von
Entwicklungshilfe in der ganzen Welt. Das ist eine Leis-
tung, die wir von niemandem kleinreden lassen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Als zweitgrößter Geber tragen wir öffentlich Verantwor-
tung und sind öffentlich der Solidarität verpflichtet. Das
wird auch in den kommenden Jahren so bleiben.
Wir müssen allerdings auch immer wieder betonen:
Entwicklungspolitik ist nicht nur im Interesse unserer
Partner, sondern auch im vitalen deutschen Interesse,
und zwar nicht nur aus Sicherheitsgründen. Vielmehr ist
der BMZ-Haushalt der zweitgrößte Investitionshaushalt
der Bundesrepublik Deutschland und sichert mehrere
Hunderttausend Arbeitsplätze in unserem eigenen Land.
Deswegen ist der Haushalt des BMZ auch ein wichtiges
Instrument bei der Bekämpfung der derzeitigen globalen
Krise, und zwar sowohl in Deutschland als auch interna-
tional.

Zur Kritik der Opposition möchte ich eines sagen
– ich sage das immer wieder mit Freude und auch im In-
teresse unseres ehemaligen Koalitionspartners, der sich
nicht immer von seinen eigenen Erfolgen distanzieren
sollte –: Unter Bundeskanzlerin Angela Merkel ist der
Entwicklungshaushalt in den letzten vier Jahren um
50 Prozent angewachsen, und die Ausgaben für Klima-
schutz, Hungerbekämpfung und die Bewahrung der
Schöpfung sind stets gestiegen.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Sagen Sie das dem Herrn Klein mal!)


Eine Steigerung um 50 Prozent hat nie ein anderer Haus-
halt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
geschafft. Deswegen, Frau Wieczorek-Zeul, habe ich Ih-
nen immer unterstellt, dass Sie sehr froh waren – zu
Recht –, als Bundeskanzler Schröder endlich durch Bun-
deskanzlerin Angela Merkel ersetzt worden ist.


(Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Und wo ist sie jetzt?)


Die christlich-liberale Koalition hat dafür gesorgt,
dass – das ist schon angesprochen worden – 2010 ein
Entwurf des Haushalts vorgelegt wurde, der eine Steige-
rung von 256 Millionen Euro gegenüber dem Haushalt
2009 aufweist. Ich verstehe eines nicht, Frau Kofler: Sie
müssen doch, wenn Sie mit den Zahlen spielen, erken-
nen, wie groß der Aufwuchs gegenüber dem letzten Ent-
wurf unserer gemeinsamen Regierung war. Unser letzter
gemeinsamer Haushalt hat einen Aufwuchs von genau
23 Millionen Euro vorgesehen. Jetzt ist die Steigerung
elfmal so hoch. Deswegen fassen Sie sich am besten an
Ihre eigene Nase. Wir sind jedenfalls ohne Sie um das
Elffache weitergekommen, als wir es mit Ihnen wären.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Man soll nur Vergleichbares miteinander vergleichen! Sie haben schon von einem überrollten Haushalt gehört? Das ist nicht seriös, was Sie gerade machen!)


– Herr Binding, ich bin Ihrer Meinung: Wir sollten seriös
bleiben. Ich gehe davon aus, dass wir auf diese 23 Mil-
lionen Euro noch etwas draufgesattelt hätten. Aber trotz-
dem verwahre ich mich gegen die ungerechtfertigte Kri-
tik, dass wir in dieser schwierigen Lage überhaupt nichts
geleistet hätten. Ich verwahre mich auch gegen die Be-
hauptung, dass der letzte Haushalt so toll gewesen wäre.
Ich glaube, unsere Haushälter und unsere Arbeitsgrup-
pen haben hier ganze Arbeit geleistet. Das ist ein guter
Start für die neue Koalition.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Dr. Christian Ruck


(A) (C)



(D)(B)

Eines muss man doch auch einmal sagen: Erst mit
dem Amtsantritt der Kanzlerin haben die vitalen Zu-
kunftsfragen der Menschheit, nämlich Klima, Umwelt
und Entwicklungspolitik, auch international wieder den
nötigen Rückenwind bekommen, Frau Koczy. Jeder
sieht doch, wie riskant zum Beispiel Ankündigungen vor
oder nach Kopenhagen sind. Ebenso sieht jeder, dass es
sehr riskant ist, auf internationalem Parkett mit einer sol-
chen Vorlage aufzutreten, wie es die Kanzlerin und diese
Bundesregierung getan haben. Wenn man aber nicht al-
les erfüllt, dann schreit die Opposition sofort, dass man
hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind nicht hinter unseren Erwartungen, sondern hinter Ihren Zusagen zurückgeblieben! Das ist absurd!)


Deshalb frage ich Sie: Welche Erwartungen hatten Sie
früher? Was Sie von den Grünen damals im BMZ zur
Zeit der rot-grünen Regierung gemacht haben, war alles
andere als grüne Politik. Sie haben vielmehr eine mick-
rige Leistung abgeliefert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich
möchte auf Ihren Fraktionsvorsitzenden Steinmeier zu-
rückkommen. Zwar will ich seine Rede nicht in Gänze
kommentieren, aber ich finde, dass er an einer Stelle et-
was sehr Wichtiges gesagt hat. Er hat nämlich gesagt,
dass auch die Sozialdemokraten nicht so tun, als befän-
den wir uns nicht in der schwersten Krise seit Bestehen
der Bundesrepublik Deutschland.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber die Entwicklungsländer auch!)


Ich sage ganz ehrlich, dass es überhaupt nichts schönzu-
reden gibt. Wir werden Schwierigkeiten haben, in den
nächsten Jahren unsere selbst gesteckten Ziele zu errei-
chen, weil uns die Krise unsere eigenen Pläne ziemlich
verhagelt hat.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es leider!)


Ich sage an dieser Stelle aber auch: Wir werden diese
Pläne nicht aufgeben. Sie stehen im Koalitionsvertrag.
Wir werden versuchen, durch mehr Fantasie die notwen-
digen Mittel aufzubringen. Das ist weiterhin unser Ziel
für 2015.

Ich möchte noch ein paar strukturelle Dinge zur Dis-
kussion stellen. Es war uns ein großes Anliegen, dass wir
in diesem Haushalt neue Akzente bzw. Akzente – das
sage ich an die Adresse unseres ehemaligen Koalitions-
partners –, die wir uns damals gemeinsam vorgenommen
hatten, setzen. Ich verstehe die diesbezüglich geäußerte
Kritik nicht. Ich halte es nicht für besonders gelungen,
dass man nach vier Jahren guter Zusammenarbeit inner-
halb von drei Monaten alles vergisst, was man einmal
gemeinsam machen wollte.

Im Haushalt der neuen Koalition ist eine neue Ent-
wicklungsoffensive zu Afghanistan gestartet worden.
Wir haben die Mittel für die ländliche Entwicklung deut-
lich erhöht. Wir haben die Mittel für Bildung und Aus-
bildung und für die nachhaltige Wirtschaftsentwicklung
ebenfalls deutlich erhöht. Wir unterstützen mehr denn je
die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen, der Kir-
chen und Stiftungen. Vor allem fördern wir – dieses
Thema liegt mir sehr am Herzen – die Biodiversität und
den Klimaschutz.

Für die ländliche Entwicklung haben wir 500 Millio-
nen Euro veranschlagt. Bei der Bildung als Schlüssel zur
Selbstbestimmung wurden die Mittel auf 200 Millionen
Euro fast verdoppelt. Bei der nachhaltigen Wirtschafts-
entwicklung ist es ganz wichtig – auch das war einmal
ein gemeinsames Anliegen –, dass wir den Aufbau des
privaten Sektors und des Mittelstandes tatkräftig unter-
stützen. Das kann zum Beispiel durch Mikrofinanzierun-
gen, aber auch durch umfangreiche Infrastrukturmaß-
nahmen, die für den Aufbau der Privatwirtschaft
genauso wichtig sind, geschehen.

Hinsichtlich des Umwelt- und Ressourcenschutzes
gibt es ja die tollsten Kapriolen. Als damals die Grünen
die Regierungsverantwortung verloren hatten und wir in
die Regierung eingetreten sind, waren gerade einmal
25 Millionen Euro für die Erhaltung der Schöpfung, also
für die Biodiversität, im Haushalt eingestellt. Frau
Wieczorek-Zeul, ich weiß das deswegen noch so genau,
weil wir uns damals gefragt haben, was wir mit diesem
Plafond bewirken können. Jetzt wird in diesem Haushalt
mehr als das Zehnfache dafür eingestellt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich möchte Sie daher fragen: Was haben Sie während Ih-
rer Regierungszeit in diesem Bereich zustande gebracht?


(Holger Haibach [CDU/CSU]: Da gibt es keine Zwischenrufe!)


Wir haben für Umwelt- und Ressourcenschutz fast
1 Milliarde Euro im BMZ-Haushalt eingestellt. Wir ha-
ben zum Beispiel auch die Mittel, die wir für die Global
Environmental Facility bereitstellen, um fast 100 Pro-
zent erhöht, Frau Koczy. Es macht nichts, wenn Sie das
eine oder andere nicht mitbekommen haben. Darum sage
ich es hier. Aber ich bitte darum, dass Sie das entspre-
chend würdigen.

Anhand dieser Zahlen sieht man: Wir halten unser
Wort in Bezug auf die Fast-Start-Initiative, die in Kopen-
hagen verabredet worden ist. Es sind genau 350 Mil-
lionen Euro dafür eingestellt, die schon veranschlagt
worden waren. Obendrauf kommen noch einmal 70 Mil-
lionen Euro.

Lassen Sie mich noch etwas zu einem sehr aktuellen
Thema sagen, nämlich zu Haiti. Man kann sicher da-
rüber diskutieren, ob man hier oder da noch mehr hätte
machen können. Aber die entscheidende Frage ist doch
eine andere: Es gibt Situationen, in denen mehr Hilfe
keinen Sinn hat. Wir müssen vielmehr längerfristiger
denken.


(Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


– Genau. – Wir müssen uns fragen, warum Haiti in ei-
nem so katastrophalen Zustand war, dass es mit dieser





Dr. Christian Ruck


(A) (C)



(D)(B)

Krise überhaupt nicht zurechtgekommen ist. Das führt
mich wieder zu einer Steigerung, und zwar der Steige-
rung der Mittel zum Beispiel für Stiftungen und Kirchen
um 63 Millionen Euro. Wir müssen uns im Zusammen-
hang mit den entwicklungspolitischen Mitteln auch mit
fragilen Staaten, mit Staaten, die am Rande des Zusam-
menbruchs stehen und weiße Flecken der Ordnung auf
diesem Planeten sind, stärker auseinandersetzen. Das ist
vor allem eine Aufgabe für die Stiftungen und die Kir-
chen, die auch in einem Terrain arbeiten können, in dem
die bilaterale Zusammenarbeit nicht funktionieren kann,
weil es keinen demokratisch legitimierten Ansprechpart-
ner gibt. Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, da
einige entscheidende Weichen zu stellen.

Wir werden die Entwicklungspolitik auch in den
nächsten Jahren sowohl qualitativ als auch quantitativ
voranbringen. Wir werden das Schritt für Schritt und mit
Fantasie tun. Nur so werden wir die globalen Herausfor-
derungen meistern können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703019400

Der Kollege Dr. Sascha Raabe hat das Wort für die

Fraktion der SPD.


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1703019500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Lieber Herr Ruck, lieber Herr Klein, Sie
versuchen hier, den kümmerlichen Aufwuchs dieses
Haushaltes


(Helga Daub [FDP]: Aufwuchs! Aufwuchs!)


mit einem vermeintlichen Entwurf aus dem letzten Jahr
zu vergleichen, der nie in das Parlament – dann können
wir das Parlament auch auflösen – eingebracht worden
ist. Man kann aber nur das vergleichen, was vergleichbar
ist. Das war ein überrollter Haushalt, der vor der Bun-
destagswahl nicht mehr in das Parlament eingebracht
wurde.

Fakt ist, dass wir in den letzten beiden Jahren einen
Aufwuchs von über 14 Prozent hatten. Jetzt kommen Sie
mit nur knapp 4 Prozent daher und wollen kaschieren,
dass der Entwicklungsminister und die Kanzlerin ein
Versprechen bzw. eine Zusage an die ärmsten Menschen
dieser Welt nicht eingehalten haben. Das werden wir
nicht durchgehen lassen. Dieser Haushalt ist und bleibt
eine Schande für Deutschlands Ansehen in der Welt und
ein Schlag ins Gesicht der Ärmsten der Armen.


(Beifall bei der SPD – Harald Leibrecht [FDP]: Sie sprechen hier von Steuergeldern!)


Ich kritisiere jetzt bewusst die Kanzlerin. Von Ihnen,
Herr Entwicklungsminister – das habe ich schon bei der
Einbringung des Haushalts gesagt –, bin ich nicht ent-
täuscht; denn von Ihnen habe ich nichts anderes erwar-
tet. Sie wollten das Ministerium abschaffen. Sie haben
noch vor einem Jahr gesagt, Entwicklungshilfe für
Afrika sei verpulvertes Steuergeld, dafür solle man lie-
ber deutsche Lehrer einstellen. Von Ihnen habe ich gar
nicht erwartet, dass Sie für einen großen Etat kämpfen.

Aber dass sich die Bundeskanzlerin, die sich bei je-
dem Kirchentag und bei jedem internationalen Auftritt
mit Künstlern wie Bono immer wieder hat feiern lassen
und gesagt hat, sie stehe zu dem Ziel der ODA-Quote
von 0,51 Prozent im Jahre 2010, jetzt klammheimlich
aus der Verantwortung davongestohlen hat, ist unerhört.
Sie hat schon in Kopenhagen in Bezug auf den Klima-
schutz Ankündigungen gemacht, die sie nicht hält, und
jetzt geschieht das Gleiche bei der Entwicklungszusam-
menarbeit. Das ist Kontinuität in der Lüge. Wenn
Pinocchio eine Schwester hätte, dann würde sie Angela
heißen.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn wir wollen, dass die Entwicklungsländer uns
beim Klimaschutz und bei internationalen Verhandlun-
gen vertrauen, dann müssen wir ihnen die Mittel zur Ver-
fügung stellen, die wir ihnen zum Teil schon seit den
70er-Jahren versprochen haben. Nichts davon ist zu se-
hen. Was 2015 angesichts dessen, dass der Entwick-
lungsminister die Finanztransaktionsteuer ablehnt,


(Harald Leibrecht [FDP]: Sehr vernünftig!)


geschehen soll, ist mir schleierhaft.

Herr Minister Niebel, jetzt komme ich zu Ihnen. Wir
waren letzte Woche gemeinsam auf Dienstreise in Viet-
nam und Kambodscha. Vielleicht sagen Sie im An-
schluss in Ihrer Rede auch noch etwas dazu. Ich will
aber schon einmal den ersten Teil des Reiseberichts lie-
fern. Der Fairness halber ist zu sagen: Die Länder und
die Programmpunkte waren gut ausgewählt. Wir haben
uns vom zivilen Friedensdienst über die Förderung der
ländlichen Entwicklung, eine nachhaltige Wirtschafts-
entwicklung und die Gesundheit bis hin zu den Frauen-
rechten vieles angeschaut; das alles war in Ordnung.
Auch die Gespräche mit den politischen Entscheidungs-
trägern von Regierung und Parlament waren gut. Sie ha-
ben in Ihren einleitenden Sätzen durchaus die richtigen
Worte gewählt. Sie haben immer darauf hingewiesen,
dass gute Regierungsführung in den Partnerländern
wichtig ist, und das unterstütze ich. Die Themen Men-
schenrechte, Demokratie, Rechtstaatlichkeit und der
Kampf gegen die Korruption haben wir zu Recht ge-
meinsam angesprochen; denn die Mittel aus der Ent-
wicklungszusammenarbeit sollen bei den Ärmsten an-
kommen und nicht in den Taschen der Regierenden und
Eliten landen.

Sie haben ausgeführt, dass Sie das in Kambodscha
noch prominenter als in Vietnam angesprochen haben,
weil sich Kambodscha als Demokratie versteht. Sie be-
gründen das damit, dass Kambodscha einen höheren
Anspruch als Vietnam habe, das sowieso nur ein Einpar-
teiensystem habe und in dem keine freien Wahlen statt-
finden würden. Man kann dieser Logik folgen. Wenn
man ihr aber folgt, dann muss man auch berücksichtigen,
dass es in Kambodscha nach dem Terror der Roten
Khmer und der Besetzung durch Vietnam erst seit 1993
freie Wahlen gibt. Es ist eine sehr junge Demokratie, die
sich erst in der 4. Legislaturperiode befindet. Wir haben
zu Recht trotzdem gemahnt und den Finger gehoben.





Dr. Sascha Raabe


(A) (C)



(D)(B)

Allerdings frage ich mich, was passiert, wenn unsere
Gesprächspartner, die wir zu einem Gegenbesuch einge-
laden haben, nach Deutschland kommen und zu Recht
die Erwartungshaltung haben, dass ein demokratischer
Staat wie die Bundesrepublik Deutschland, die seit 1949
besteht und sich in der 17. Legislaturperiode befindet,
eine lupenreine Demokratie mit guter Regierungsfüh-
rung sein müsste. Herr Niebel, Sie werden mir zustim-
men, dass in Deutschland, in einem etablierten, jahr-
zehntelang währenden demokratischen Staat und einer
reichen Nation, die sich einen öffentlichen Dienst etc.
leisten kann, ein höherer Maßstab als in Kambodscha
angelegt werden muss. Wenn das aber so ist, wie soll ich
dann meinem kambodschanischen Parlamentskollegen
erklären, warum unser Entwicklungsminister Niebel in
seinem Ministerium fast alle wichtigen Leitungsfunktio-
nen mit Parteifreunden besetzt hat und sogar extra eine
neue Abteilung zur Versorgung von FDP-Parteifunktio-
nären geschaffen hat?


(Helga Daub [FDP]: Das kennen wir schon! – Holger Haibach [CDU/CSU]: Die SPD hat das nie gemacht! – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Bei Ihnen hat es das nie gegeben!)


Was soll ich meinem kambodschanischen Parlaments-
kollegen erklären, wenn er mich fragt, welche Einflüsse
in Deutschland von außen auf die Gesetzgebung möglich
sind und wie sich die Parteien finanzieren?


(Harald Leibrecht [FDP]: Da lachen ja die Hühner!)


Wie soll ich ihm erklären, dass die Regierungspartei
FDP 1,1 Millionen Euro von der Hotellobby gespendet
bekommen hat – die höchste Spende ihrer Geschichte –
und CDU und CSU zusammen 800 000 Euro bekommen
haben und sie danach ein Gesetz auf den Weg gebracht
haben, mit dem den Hotellobbyisten über 1 Milliarde
Euro geschenkt wurde? Ich kann es nicht erklären.


(Harald Leibrecht [FDP]: Das müssen Sie auch nicht!)


Ich kann dies vor allen Dingen nicht mit guter Regie-
rungsführung erklären. In jedem anderen Land der Welt
würde man ein solches Vorgehen in die Nähe von Kor-
ruption rücken.

Wenn mich mein kambodschanischer Kollege fragt,
was man denn in Deutschland tun muss, um als Unter-
nehmer einem Ministerpräsidenten ein wichtiges Anlie-
gen vorzutragen, dann kann ich ihm sagen: Du hast zwei
Möglichkeiten. Du kannst entweder beim Büro des Mi-
nisters um einen Termin bitten. Vielleicht hast du Glück
und kannst einen Staatssekretär sprechen. Wenn du ganz
viel Glück hast, kannst du nach vielen Monaten auch den
Ministerpräsidenten sprechen. Oder du zahlst 6 000 Euro
an die Parteikasse der CDU, dann bekommst du spätes-
tens beim nächsten Parteitag ganz sicher die Möglichkeit
zu einem Gespräch mit dem Ministerpräsidenten.


(Helga Daub [FDP]: Sprechen Sie zum Haushalt! – Volkmar Klein [CDU/CSU]: Zum Thema Entwicklungshilfe haben Sie nichts zu sagen?)

Ich möchte nicht missverstanden werden: Natürlich
sind die Zustände in Kambodscha mit denen in Deutsch-
land nicht vergleichbar.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703019600

Herr Raabe.


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1703019700

Aber wir müssen einen höheren Maßstab an uns anle-

gen. Wenn wir gegenüber unseren Partnerländern glaub-
würdig sein wollen und dort eine gute Regierungsfüh-
rung einfordern, –


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703019800

Herr Raabe!


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1703019900

– dann müssen wir vor unserer eigenen Haustür kehren.


(Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Mein letzter Satz konkret zum Haushalt. Wir befinden
über den Personalplan und die Finanzierung der Stellen
im Ministerium.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Ein Raabe macht noch keine Demokratie! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703020000

Herr Raabe, wenn Sie noch innerhalb Ihrer Redezeit

gewesen wären, dann hätte ich Sie gefragt, ob Sie eine
Zwischenfrage zulassen wollen. Sie sind aber so weit au-
ßerhalb Ihrer Redezeit, dass ich das nicht mehr fragen
kann. Ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1703020100

Ich komme zum Ende. – Damit kein falscher Ein-

druck entsteht: Ich würde gerne den Mitteln für den Per-
sonaletat des Ministeriums zustimmen, weil es dort viele
gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt. Aber was die
unzähligen Versorgungsposten für Parteifreunde auf Lei-
tungsebene angeht, sage ich: Wir machen da nicht mit.
Der Fisch stinkt vom Kopf her. Schon allein deshalb
werden wir dem Haushalt nicht zustimmen. In diesem
Sinne können Sie auf unsere Ablehnung zählen.

Ich würde mir wünschen, Herr Minister, dass wir in
Deutschland dafür sorgen, dass gute Voraussetzungen
bezüglich unserer Glaubwürdigkeit herrschen, bevor wir
das nächste Mal zusammen ins Ausland reisen. Wir in
Deutschland müssen mit gutem Beispiel vorangehen und
für eine saubere Trennung von Partei- und Regierungs-
ämtern sorgen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703020200

Zu einer Kurzintervention Barbara Hendricks.






(A) (C)



(D)(B)


Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1703020300

Herr Kollege, Sie haben darüber gesprochen, wie man

an Termine für ein Gespräch mit einem Ministerpräsi-
denten kommt. Ich darf Sie kurz darauf aufmerksam ma-
chen, dass zum Beispiel der Ministerpräsident des Lan-
des Rheinland-Pfalz, Herr Kurt Beck, alle vier Wochen
eine Bürgersprechstunde abhält, zu der jeder hinkommen
kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Holger Haibach [CDU/CSU]: Das ist eine entwicklungspolitisch maßgebliche Aussage! Leute!)



Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1703020400

Frau Kollegin, nur ganz kurz: Sie wissen natürlich,

dass ich den Ministerpräsidenten von Nordrhein-West-
falen, Herrn Rüttgers, gemeint habe. Als Sozialdemokrat
kann ich sagen, dass wir da ein anderes Verständnis ha-
ben. Ich war einmal Bürgermeister, und auch ich habe
eine offene Sprechstunde angeboten. Ich glaube, das ist
der richtige Weg. Ich werde meinem kambodschani-
schen Parlamentskollegen sagen, dass wir Politiker auch
ohne Parteispenden gerne für Gespräche mit Bürgern,
mit Menschenrechtlern und selbstverständlich auch mit
Unternehmern zur Verfügung stehen.


(Volkmar Klein [CDU/CSU]: Und auf diese billige Show sind Sie jetzt auch noch stolz! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Peinlich! Peinlich!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703020500

Das Wort hat der Bundesminister Dirk Niebel.


(Beifall bei der FDP)


Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zuallererst möchte ich den Kolleginnen und
Kollegen des Haushaltsausschusses, insbesondere Frau
Hinz, Herrn Klein, Herrn Binding, Herrn Koppelin und
nicht zuletzt Herrn Bartsch, danken für die kooperative
Zusammenarbeit und für das Verständnis, das dafür
sorgte, dass es in der Bereinigungssitzung insbesondere
zu früher Morgenstunde noch bestimmte, wichtige Ent-
scheidungen gegeben hat. Allerdings würde ich mir
wünschen, dass die Erinnerung an die Zeit in politischen
Jugendorganisationen, wo die wichtigsten Entscheidun-
gen auch immer erst morgens getroffen wurden, in Zu-
kunft aus dem Haushaltsausschuss verbannt wird. Wir
könnten eigentlich schon drei Stunden früher fertig wer-
den, wenn ich das so ehrlich sagen darf.


(Beifall bei der FDP)


Nichtsdestotrotz waren die letzten Entscheidungen
die besten. Ich bin sehr dankbar dafür, dass sich in die-
sem Haushalt ein Politikwechsel in der Entwicklungs-
politik widerspiegelt. Es ist der ausdrückliche Anspruch
dieser neuen Bundesregierung, Dinge anders zu machen.
Wir setzen andere Schwerpunkte. Dies können Sie in
diesem Haushalt erkennen.
Wir setzen ganz bewusst auf eine Stärkung der
Zivilgesellschaft. Wir stärken die Kirchen, die Nicht-
regierungsorganisationen und – das sage ich ganz aus-
drücklich – alle politischen Stiftungen, weil wir der fes-
ten Überzeugung sind, dass in vielen Ländern, in denen
man aus guten Gründen vielleicht nicht auf bilateraler
Ebene arbeiten sollte, die politischen Stiftungen, die Kir-
chen, aber auch NGOs Zugänge haben und Strukturen
schaffen können, die in der Zeit nach einer Diktatur viel-
leicht dazu beitragen können, dass sich die Gesellschaft
weiterentwickeln kann. Auch das ist ein Grund, warum
gerade hier ein Aufwuchs stattfinden soll. Dieses Instru-
ment sollte man intensiver nutzen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Diese Bundesregierung stärkt ausdrücklich auch die
Zusammenarbeit mit der mittelständischen deutschen
Wirtschaft, in diesem Fall mit zusätzlich 10 Millionen
Euro.


(Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


– Sie können gerne Zwischenfragen stellen, insbeson-
dere zum Personal. Ich habe die Lebensläufe der Mit-
arbeiter dabei, die Sie hier so schändlich angegriffen ha-
ben, ohne dass sie sich verteidigen konnten, meine liebe
Frau Kollegin.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir setzen ausdrücklich auch auf das Engagement der
deutschen Wirtschaft, weil es unser Ziel ist, unsere Part-
nerländer dahin gehend zu entwickeln, dass sie im Ideal-
fall nicht mehr auf unsere Hilfe angewiesen sind. Das
heißt, wir verlagern den Schwerpunkt in Richtung der
Förderung des Wirtschaftswachstums in unseren Part-
nerländern, damit sich dort eine eigenständige Wirt-
schaft entwickeln kann. Die Chance auf ein eigenes
Einkommen ist ein wesentlich besserer Beitrag zur Ar-
mutsbekämpfung als jede noch so gut gemeinte Hilfe-
leistung durch das Verteilen von irgendwelchen Wohl-
taten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir wollen, dass unsere Entwicklungspolitik weltweit
sichtbarer wird, nicht nur, weil wir glauben, dass unsere
Bürgerinnen und Bürger, die unser Engagement durch
Steuern zu finanzieren haben, einen Anspruch darauf ha-
ben, dass man unser Engagement nachvollziehen kann,
sondern auch, weil wir wissen, dass wir durch Wirksam-
keit und Sichtbarkeit immer wieder die Zustimmung der
Menschen in unserem Land gewinnen müssen, damit wir
viel Geld in die Entwicklungszusammenarbeit investie-
ren können. Nicht jeder erkennt sofort, dass vieles auch
im deutschen Interesse ist.

Ich wundere mich über manche Diskussionsbeiträge,
die hier geboten wurden, insbesondere von Ihnen, Herr
Raabe. Sie waren einmal Bürgermeister. Gehen Sie ein-
mal in eine Gemeinde, einen Kreis, eine Stadt und erzäh-
len Sie dort von diesem vermeintlich schändlichen, ge-
ringen Aufwuchs von 256 Millionen Euro. Erzählen Sie
das einmal einem Kommunalpolitiker, der nicht weiß,
wie er die Löcher zu Hause schließen soll.





Bundesminister Dirk Niebel


(A) (C)



(D)(B)


(Holger Haibach [CDU/CSU]: Der erzählt noch ganz andere Sachen!)


Wir müssen wirksam, sichtbar, erfolgreich und effizient
sein, damit uns die Bürgerinnen und Bürger immer wie-
der ihr Vertrauen geben, wenn wir zusätzliche Steuermit-
tel im Bereich der Entwicklungspolitik einsetzen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703020600

Herr Niebel, möchten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Raabe zulassen?

Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:

Ja, aber selbstverständlich.


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1703020700

Herr Niebel, nur ganz kurz, weil Sie sagten, dass ich

als Bürgermeister wissen müsste, was 256 Millionen
Euro bedeuten: Sie werden bitte zur Kenntnis nehmen,
dass ich Bürgermeister einer Gemeinde mit 12 000 Ein-
wohnern gewesen bin. Es gibt auf der Welt 3 Milliarden
hungernde Menschen: 2 Milliarden leben von weniger
als 2 Dollar und 1 Milliarde von weniger als 1 Dollar pro
Tag. 256 Millionen Euro, bezogen auf 3 Milliarden Men-
schen, bedeutet etwas anderes, als dies für 12 000 Ein-
wohner der Fall wäre. Wenn Sie aber meiner Heimat-
gemeinde 256 Millionen Euro zur Verfügung stellen,
nehme ich diese sehr gerne an.

Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:

Lieber Kollege Raabe, würde ich nur 256 Millionen
Euro im Haushalt des Bundesministeriums für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung haben,
würde ich Ihnen voll und ganz zustimmen. Sie überse-
hen, dass dieser Haushalt das erste Mal in der Ge-
schichte der Bundesrepublik bei 6,1 Milliarden Euro an-
gelangt ist. Das ist ein Erfolgsergebnis, das es hier noch
nie gegeben hat. – Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Daran kann ich nahtlos anschließen. Kollege Ruck hat
es angesprochen: Unabhängig von unserem Haushalt,
unabhängig von der ODA-Quote und Sonstigem muss
man zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesrepublik
Deutschland in der Entwicklungszusammenarbeit der
zweitgrößte Zahler weltweit ist. Wir sind stolz darauf,
dass wir diese Leistung erbringen können.


(Beifall des Abg. Harald Leibrecht [FDP])


Betrachtet man zusätzlich die Hilfen der Europäischen
Union – von all dem, was dort finanziert wird, zahlen
wir gute 20 Prozent –, sind wir sogar der weltgrößte
Zahler in der Entwicklungszusammenarbeit. Das ist eine
hervorragende Leistung der Bürgerinnen und Bürger der
Bundesrepublik Deutschland, auf die sie stolz sein kön-
nen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Weil manche nicht lesen können oder wollen, möchte
ich aus dem Hamburger Abendblatt vom 6. März dieses
Jahres zitieren. Die Frage des Abendblattes an mich lau-
tete:

Rücken Sie langsam vom 0,7-Prozent-Ziel ab?

Meine Antwort war:

Die Bundesregierung hält ausdrücklich an diesem
Ziel fest. Es wird nur sehr sportlich, es zu erreichen.

Wer die Daten kennt, weiß, dass das stimmt. Wir hal-
ten an dem Ziel fest. Es steht im Koalitionsvertrag, und
die Bundeskanzlerin hat es in der Regierungserklärung
gesagt. Aber es wird sportlich, es zu erreichen. 2008 lag
die ODA-Quote bei 0,38 Prozent. Wir haben jetzt der
OECD den vorläufigen Wert für 2009 gemeldet. Die
ODA-Quote ist auf 0,35 Prozent gesunken. Das habe
nicht ich in den zwei Monaten meiner Amtszeit erreicht;
da können Sie sicher sein.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


– Nein, so gut bin ich nicht, dass ich so etwas in zwei
Monaten erreiche, nicht einmal wenn es mein Ziel wäre;
aber dies ist ausdrücklich nicht mein Ziel.

Wir werden mit diesem Haushalt, der hier heute vor-
liegt, in diesem Jahr eine Quote von ungefähr 0,4 Pro-
zent, vielleicht 0,41 Prozent, erreichen. Das ist vor dem
Hintergrund einer schwierigen wirtschaftlichen Situation
eine enorme Leistung.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein gebrochenes Versprechen!)


Auch aus diesem Grund danke ich dem Haushaltsaus-
schuss für das Entgegenkommen bei den Beratungen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Der Etat spiegelt eine Strategieänderung in Bezug auf
Afghanistan wider. Wir verlagern den Schwerpunkt in
Afghanistan ausdrücklich und eindeutig auf den zivilen
Aufbau.


(Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Kollege Binding hat eine Frage.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703020800

Möchten Sie diese zulassen?

Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:

Ja, natürlich. Wenn Sie die Uhr wieder anhalten, Frau
Präsidentin, sogar sehr gerne.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703020900

Ich bin da sehr zuvorkommend.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist immer so, Herr Niebel!)







(A) (C)



(D)(B)

Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:

Nicht immer, manchmal läuft die Uhr ein bisschen
weiter, Frau Koczy.


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1703021000

Ich habe eine Frage zu der jetzt überraschend niedri-

ger als bisher geschätzt ausgefallenen ODA-Quote. Ich
wollte fragen, ob ein Zusammenhang besteht zwischen
den möglicherweise zeitlich anders strukturierten Vor-
finanzierungen seitens der KfW und den Verzögerungen
bei den Schuldenerlassen für Länder in Afrika. Hätte
man diese beiden Aufgaben, die ich jetzt angesprochen
habe, wie sonst üblich noch im letzten Jahr vollzogen
– das war am Anfang Ihrer Amtszeit –, würde die ODA-
Quote dann anders aussehen?

Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:

Es ist richtig, dass der IWF-Schuldenerlass für Libe-
ria, den übrigens nicht mein Haus verhandelt, sondern
das Finanzministerium – ich sage das der guten Ordnung
halber, weil in der Frage ein leiser Vorwurf lag –, ins
Stocken geraten ist und nicht planmäßig vorangekom-
men ist. Wenn das alles planmäßig hätte durchgeführt
werden können, wären wir wahrscheinlich auf dem glei-
chen Niveau wie 2008, also bei 0,38 Prozent. Fakt ist,
dass die erste Meldung an die OECD – es wird natürlich
noch eine abschließende geben, die alle Details enthält –
0,35 Prozent lautet. Das ist ein Absinken gegenüber dem
Vorjahr. Das ist keine gute Entwicklung. Ich sage noch
einmal ausdrücklich: Bei allem, was Sie mir zutrauen
– das meiste schätze ich als positiv ein –: Das habe ich in
zwei Monaten wirklich nicht geschafft, selbst wenn ich
es gewollt hätte, und ich habe es ausdrücklich nicht ge-
wollt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Vielen Dank für die Antwort! – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat er recht!)


Dieser Haushalt spiegelt eine Strategieänderung in
Bezug auf Afghanistan wider. Das Schwergewicht wird
auf den zivilen Aufbau gelegt.

Wir haben durch die Bereitstellung von zusätzlich
70 Millionen Euro – 35 Millionen Euro beim BMU und
35 Millionen Euro beim BMZ – unsere Verpflichtungen,
die sich aus der Konferenz von Kopenhagen ergeben, er-
füllt. Mit den bereits vorher im Regierungsentwurf ein-
gestellten 350 Millionen Euro in den Einzelplänen der
beiden Ressorts werden die vorgesehenen 420 Millionen
Euro erreicht.

Ich bin ausdrücklich stolz darauf, dass in diesem
Haushalt netto 15,5 neue Stellen geschaffen worden
sind. Denn das war lange überfällig, nachdem in den ver-
gangenen Jahren immer nur Geld in diesen Etat gepumpt
wurde, aber nicht die Fähigkeit vorhanden war, dieses
Geld bilateral einzusetzen. Dies ist jetzt möglich.

Besonders freue ich mich, dass bei den vier Stellen im
einfachen Dienst morgens kurz nach 2 Uhr die kw-Ver-
merke endgültig gestrichen worden sind. Das tut dem
Haus gut. Weil das dem Haus guttut, wundere ich mich
sehr, dass mich nach allen öffentlichen, auch hier geführ-
ten Angriffen kein Vertreter der Opposition auf die Le-
bensläufe meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ange-
sprochen hat. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
sind nämlich hochkompetent und haben es nicht nötig,
hier beschimpft und erniedrigt zu werden.


(Zurufe von der SPD: Oh! Oh!)


Meine Redezeit ist vorbei. Sie haben jetzt die letzte Ge-
legenheit, dazu eine Zwischenfrage zu stellen. Ich habe
die Lebensläufe hier. Es handelt sich, wie gesagt, um
hochkompetente Leute, hervorragend motiviert und üb-
rigens längst nicht alle Mitglied der FDP. Wenn Sie aber
weiterhin so argumentieren, werden sich viele von ihnen
überlegen, ob sie zu uns kommen.

Vielen Dank.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703021100

Der Kollege Niema Movassat hat jetzt für die Frak-

tion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703021200

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

„Dabei sein ist alles“ scheint das Motto des Entwick-
lungshaushaltes zu sein, jedenfalls dann, wenn man sich,
wie Minister Niebel, der Freizeitsprache bedient und das
Ziel, die Ausgaben für Entwicklungshilfe bis 2015 auf
0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu steigern,
als „sehr sportlich“ bezeichnet. Das Thema ist viel zu
ernst für eine solch saloppe Wortwahl.


(Beifall bei der LINKEN)


Rund 1 Milliarde Menschen weltweit hungern, fast
5 Millionen sterben jährlich an Malaria und Tuberku-
lose. Die 0,7 Prozent sind ein Mindestversprechen an die
Ärmsten der Armen. Wenn man bedenkt, dass täglich
8 000 Kinder unter fünf Jahren verhungern, ist es gera-
dezu kriminell, diese Zusage nicht einzuhalten.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Andere Länder sind verantwortungsvoller. So über-
treffen Schweden, Dänemark und die Niederlande dieses
Ziel schon jetzt. Doch Deutschland ist Meister der An-
kündigungen, nicht der Taten. So wird mit diesem Haus-
halt nicht einmal die 0,51-Prozent-Marke für 2010 als
Zwischenziel erreicht, sondern es sind nur etwa 0,4 Pro-
zent. Dies hat die OECD jüngst kritisiert. Das ist eine
Schande für CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP; denn kei-
ner von Ihnen hat sich in Regierungsverantwortung um
die versprochene Steigerung der Entwicklungshilfe ge-
schert.


(Beifall bei der LINKEN)






Niema Movassat


(A) (C)



(D)(B)

Aber es kommt noch dicker. Selbst die mageren
0,4 Prozent werden nicht nur für Entwicklungsprojekte
ausgegeben. Ein Unding ist die Anrechnung der Klima-
schutzmaßnahmen. Der Klimawandel liegt vor allem in
der Verantwortung der Industrienationen. Klimagelder
sind Wiedergutmachung, keine Entwicklungshilfe.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber auch damit nicht genug. Entschuldung, Kosten
für Abschiebungen und für die Unterkünfte der Soldaten
in Afghanistan, all dies verkaufen Sie den Menschen als
Entwicklungshilfe und hübschen somit Ihre Bilanz auf.
Dabei ist das 0,7-Prozent-Ziel ohne Zahlentricks erreich-
bar. Wer Bürgschaften in Höhe von 480 Milliarden Euro
für Banken aufbringt und 10 Milliarden Euro in den Kauf
von A400M-Militärtransportern investiert, der kann sich
auch mehr Entwicklungshilfe leisten. Allein mit den Ein-
nahmen aus einer Finanztransaktionsteuer und einer
Flugticketabgabe, deren Einführung wir hier beantragt
haben, wäre die Finanzierung möglich.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD])


Herr Minister, wir können gerne über Volumen und/oder
Wirksamkeit der Entwicklungshilfe diskutieren. Für die
Linke ist klar: Wir brauchen eine Steigerung bei beidem.
Was denn sonst?

Nötiger ist indes eine Diskussion über die neue Marsch-
richtung im Ministerium. Diese lautet nämlich, dass
sich der Einsatz in Entwicklungsländern vor allem für
deutsche Unternehmen lohnen soll. So wollen Sie, Herr
Niebel, den Etat Ihres Hauses künftig weniger über in-
ternationale Organisationen als vielmehr über nationale
Projekte steuern.


(Harald Leibrecht [FDP]: Richtig!)


Dabei geht es letztlich darum, deutsche Firmen stärker
am Entwicklungsgeschäft teilhaben zu lassen.


(Harald Leibrecht [FDP]: Genau! Was ist daran schlimm?)


Kompetenz und Effektivität spielen eine untergeordnete
Rolle. Das Hissen der deutschen Fahne oder aber die
Nähe zur FDP sind maßgeblich.

Ein Beispiel gibt der Spiegel. Die Consultingfirma
TellSell, die FDP-Großveranstaltungen mitfinanziert und
in deren Beirat Herr Koppelin, stellvertretender Vorsit-
zender der FDP-Fraktion, sitzt, will Beratungsaufträge
von der GTZ ergattern. Das wird nicht allzu schwer wer-
den, da Herr Koppelin gleichzeitig im Aufsichtsrat der
GTZ sitzt. Zudem hat an dem Gespräch zwischen Tell-
Sell und der GTZ Herr Beerfeltz, FDP-Staatssekretär im
Entwicklungsministerium, teilgenommen. Hier soll also
ein Unternehmen, welches mit der FDP personell und fi-
nanziell verbandelt ist, ein Stück vom Kuchen abbekom-
men. Dabei wird es anscheinend auch von Ihrem Minis-
terium unterstützt. So bleibt alles in der FDP-Familie.


(Beifall bei der LINKEN – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Skandal!)

Entwicklungspolitik soll also noch mehr zum Türöff-
ner für Interessen der deutschen Wirtschaft werden. Ar-
mutsbekämpfung sieht anders aus: Sie orientiert sich an
den Bedürfnissen der Menschen in den Partnerländern,
nicht an den Bedürfnissen des Gebers. Unter Ihnen, Herr
Niebel, steht die deutsche Entwicklungspolitik heute
Kopf.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Rahmen der Neuausrichtung des Ministeriums er-
leben wir ferner eine strukturelle Militarisierung der
Entwicklungspolitik.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Oh! – Harald Leibrecht [FDP]: Immer die gleiche Leier!)


– Das müssen Sie sich schon anhören! – Ein Oberst der
Bundeswehr wird in die Führung des Hauses berufen.
Jetzt sollen Nichtregierungsorganisationen in Afghanis-
tan nur dann Geld erhalten, wenn sie bereit sind, mit der
Bundeswehr zusammenzuarbeiten, um sie – Zitat Minis-
ter Niebel – zivil zu flankieren.

Ein aktuelles Thema ist die Reform der Institutionen
der Entwicklungszusammenarbeit. Für die Linke macht
sich die Handlungsfähigkeit der deutschen Entwick-
lungspolitik nicht an Institutionen fest. Wir brauchen
eine neue politische Ausrichtung, statt dass nur über das
Wie der Fusion diskutiert wird. Vor allem müssen wir
basisorientierte Projekte, die eine nachhaltige Entwick-
lung ermöglichen, stärken.

Ich komme zum Schluss. Sie, Herr Niebel, degradie-
ren das Entwicklungsministerium zum international
agierenden Lobbyverein für Interessen der deutschen
Wirtschaft und zur zivilen Begleithilfe für Bundeswehr-
einsätze. Das wird die Linke nicht akzeptieren.

Danke schön für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703021300

Für die Unionsfraktion spricht der Kollege Holger

Haibach.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Holger Haibach (CDU):
Rede ID: ID1703021400

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe
mir heute Morgen überlegt, was man nach einer so lan-
gen Debatte noch sieben Minuten lang sagen soll. Inzwi-
schen frage ich mich, ob sieben Minuten ausreichen, um
den hanebüchenen Unsinn, der hier erzählt worden ist,
auszumerzen.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber jetzt meinen Sie nicht mich!)


All diejenigen, die hier markige Worte gefunden ha-
ben, sollten sich einmal überlegen, ob sie unserem
Thema, das ein wichtiges Thema ist, mit markigen Wor-





Holger Haibach


(A) (C)



(D)(B)

ten einen Gefallen tun. Ich glaube, wir alle – nicht nur
wir, die wir die Regierung tragen, sondern auch die Op-
position – haben eine Verantwortung dafür, ob unser
Politikfeld ernst genommen wird. Das dokumentiert sich
auch in der Sprache. Da haben Sie unserer Sache garan-
tiert keinen Gefallen getan.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Herr Movassat und die Kollegin Hänsel haben vor
mir gesprochen; daher fange ich bei der Linksfraktion
an. Sie haben die saloppe Wortwahl des Ministers, das
Ziel, auf eine ODA-Quote von 0,7 Prozent des BIP zu
kommen, sei ein sehr sportliches Ziel, kritisiert. Ich
finde es interessant, mit welcher Wortwahl Sie hier ange-
treten sind. Was musste ich da alles hören: militärische
Expansionspolitik,


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau! – Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


wirtschaftliche Expansionspolitik,


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!)


Interessenvertretungsverein deutscher Wirtschaft. Ja, meine
Herren! Sie sind rhetorisch in einer Zeit stehen geblieben,
die länger vorbei ist als der Fall der Mauer. Sie sollten
sich einmal überlegen, ob Sie, gerade was die Entwick-
lungspolitik angeht, weiter bei Marx und Lenin bleiben
oder endlich in der Realität ankommen wollen. Viel Spaß
dabei!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Inhaltlich haben Sie, außer dass Sie Mitarbeiter des
BMZ beschimpft haben, und abgesehen davon, dass Sie
den Minister kritisiert haben, nichts, aber auch gar nichts
Konstruktives zur Debatte beigetragen. Es hätte genü-
gend Gründe gegeben, etwas Konstruktives dazu beizu-
tragen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!)


Sie wollen – das gilt für manche andere in diesem
Haus auch – nicht einsehen, dass man, wenn man Ent-
wicklungspolitik richtig machen will, einen ganzheitli-
chen Ansatz braucht. So schrecklich Sie die Wirtschaft
finden mögen, am Ende werden Sie einsehen müssen,
dass man die Wirtschaft braucht. Eine Zusammenarbeit
mit der Wirtschaft bietet genauso wie eine Zusammenar-
beit mit Nichtregierungsorganisationen, genauso wie
eine Zusammenarbeit mit Stiftungen, genauso wie eine
Zusammenarbeit mit staatlichen Entwicklungsorganisa-
tionen, genauso wie eine Zusammenarbeit mit den Kir-
chen einen Zugang, den die Politik allein nicht bieten
kann. Das müssten Sie endlich anerkennen! Aber dazu
sind Sie offensichtlich nicht willens oder in der Lage.
Anders kann ich die Aussagen, die hier getroffen worden
sind, jedenfalls nicht verstehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Damit bin ich bei einem weiteren Punkt. Hier ist viel
darüber diskutiert worden, welche Zahlen zu welchem
Etat richtig gewesen sind. Solche Zahlenspiele sind
hochinteressant, und jeder – ob er in der Opposition ist
oder in der Regierung sitzt – stellt sie an; aber man muss
doch zugeben: Vieles kann man auf die eine oder auf die
andere Weise interpretieren.

Mich stört, dass der Aspekt, dass es bei der Verwen-
dung der Mittel auch um Effizienz geht – der Minister
hat darauf hingewiesen, und auch viele von uns haben
das angesprochen –, nonchalant als Ausweichdiskussion
dargestellt worden ist, dass man gesagt hat: Das spielt ja
eigentlich keine Rolle.

Gerade wenn ich mir Afghanistan anschaue – um nur
ein Beispiel zu nehmen –, dann komme ich zu dem
Schluss, dass Effizienz von höchster Wichtigkeit ist.
Wenn wir die Mittel für Afghanistan verdoppeln, ist es
doch in hohem Maße notwendig, auch für die Legitima-
tion von Entwicklungszusammenarbeit in unserem eige-
nen Land, dafür zu sorgen, dass die Mittel tatsächlich ab-
fließen, dass sie sinnvoll verwendet werden und in
Afghanistan die Friedensdividende bewirken, die wir
brauchen. Dafür bedarf es der richtigen Maßnahmen.
Deshalb ist Effizienzkontrolle gerade an einem solchen
Punkt extrem wichtig. Man darf das nicht einfach beisei-
teschieben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Genau das Gleiche ließe sich mit großer Berechtigung
auch über die Mittel für Klimaschutz und für andere Be-
reiche sagen. Der Kollege Ruck hat zu Recht auf das
Beispiel Haiti hingewiesen. Es bedarf wirklich eines
längerfristigen Ansatzes, wenn wir auf Haiti erfolgreich
sein wollen. Der Unterschied zwischen der Katastrophe
auf Haiti und anderen Katastrophen ist nun einmal der,
dass der Staat Haiti schon vorher kaum vorhanden war,
dass es nach der Katastrophe keine UN-Mission mehr
gab und dass der Staat quasi keine funktionierenden
Strukturen mehr hatte. Dort geht es also um „build back
better“, also darum, diesem Staat so zu helfen, dass er
nach dem Wiederaufbau besser als vorher ist. Dabei
spielt Geld eine wichtige Rolle, aber Strukturen sind
mindestens genauso wichtig: Wie stellt man einen Be-
bauungsplan so auf, dass die Gebäude dann auch eini-
germaßen erdbebensicher sind? Man kann Katastrophen
nicht verhindern, aber dafür sorgen, dass die Dinge ins-
gesamt besser gemacht werden. Da haben wir eine große
Expertise. Das ist unabhängig von Geld. Das ist eine
ganz wichtige Aufgabe, die wir an der Stelle haben.

Ich will noch etwas dazu sagen, dass wir – angeblich –
zwiespältig reden, was die Freiwilligendienste betrifft;
Frau Kofler hat das erwähnt. Manchmal hilft ja Nachfra-
gen beim Herausfinden der Wahrheit, Frau Kollegin. Wir
haben das getan, und ich finde das Ergebnis ganz span-
nend. Der Mittelabfluss bei „weltwärts“ betrug im letzten
Jahr 27 Millionen Euro. Wir stellen nach dem vorliegen-
den Haushaltsentwurf 29 Millionen Euro zur Verfügung.
Das heißt, die Mittel werden vermutlich ausreichen. Wie
das im nächsten Jahr aussieht, werden wir uns in Ruhe an-
schauen müssen. Es geht also gar nicht darum, dass ir-
gendjemand „weltwärts“ nicht schätzt – ich halte das
durchaus für ein vernünftiges und gutes Projekt –, aber
wir müssen die Mittel ein bisschen an dem orientieren,





Holger Haibach


(A) (C)



(D)(B)

was tatsächlich notwendig ist und was tatsächlich abge-
flossen ist.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Evaluation soll Ende 2010 laufen!)


Damit bin ich beim allerletzten Punkt, den ich gern
noch ansprechen würde, nämlich bei dem Moralapostel
der SPD, dem heiligen Sascha Raabe,


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Danke schön!)


der die Moral wie eine Monstranz vor sich her getragen
hat. Man fragt sich, ob der Kollege katholisch ist und
gern an Prozessionen teilnimmt. Es war wirklich ganz
interessant. Er hat auch Pinocchio bemüht und was da al-
les war. Ich stimme ihm darin zu, dass Glaubwürdigkeit
in der Politik ein hohes Gut ist. Aber dann, lieber Herr
Kollege Raabe, muss man bei sich selber anfangen.

Der Kollege Raabe hat, wie viele von uns das ab und
zu tun, in seinem Wahlkreis eine Schule besucht und
über Entwicklungspolitik gesprochen. Der Hanauer An-
zeiger vom 25. Februar 2010, aus dem ich mit Genehmi-
gung der Frau Präsidentin gern zitieren möchte, berichtet
über einige sehr interessante Aussagen des Kollegen
Raabe. Der Kollege Raabe erzählt also etwas über seine
Arbeit als entwicklungspolitischer Sprecher. Er sagt, was
alles notwendig ist, dass es genügend Reichtum und Le-
bensmittel gibt, dass kein Kind auf dieser Erde verhun-
gern muss usw. usf. Dann heißt es:

Besonders hart kritisierte der Bundestagsabgeord-
nete in diesem Zusammenhang die neue Bundesre-
gierung, die ganz entgegen ihres Versprechens die
Entwicklungshilfe gekürzt hatte.

Das behauptet nicht mal Ihre eigene Truppe, Herr Kol-
lege! Kein Mensch behauptet heute, dass wir die Ent-
wicklungshilfe gekürzt haben. Damit haben Sie der
Glaubwürdigkeit von Politik insgesamt und auch dem
Politikfeld keinen Gefallen getan. Wenn Sie ein anstän-
diger Mensch wären, würden Sie das zurücknehmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703021500

Zu einer Kurzintervention der angesprochene Kollege

Raabe.


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1703021600

Nur ganz kurz. Herr Kollege Haibach, ich habe das in

der Schule so gesagt, wie ich es auch hier gesagt habe,
und dazu stehe ich. Versprochen waren im Prinzip plus
1,7 Milliarden Euro im Einzelplan 23, 3 Milliarden Euro
insgesamt, um auf 0,51 Prozent zu kommen. Ich habe da
gesagt, dass es schäbig ist, dass dieses Versprechen ge-
brochen wurde. Wenn ein Journalist dort das etwas ver-
kürzt, darf man, so glaube ich, einem Kollegen in diesem
Hause das nicht vorwerfen.

Ich glaube aber schon, dass man Folgendes sagen
kann: 256 Millionen Euro sollen am Ende ein Aufwuchs
sein. Dabei hat die Kanzlerin doch 1,7 Milliarden Euro
versprochen. Sie hat das noch im Wahlkampf 2009 und
auf dem Kirchentag versprochen. Sie hat das im Bundes-
tag vor uns allen versprochen. Ich kann fünf oder sechs
Passagen vortragen, in denen die Kanzlerin gesagt hat:
Ich weiß ganz genau, was es bedeutet, wenn ich sage,
dass ich verspreche, dass ich im Jahr 2010 0,51 Prozent
für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stellen
will. – Deshalb muss man weiterhin den Finger in diese
Wunde legen. Das ist ein Skandal, und dabei bleibe ich.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703021700

Herr Haibach.


Holger Haibach (CDU):
Rede ID: ID1703021800

Herr Kollege Raabe, ich bin ja nur Altphilologe und

Historiker und kein Mathematiker, aber ein Aufwuchs
von 256 Millionen Euro bleibt ein Aufwuchs von
256 Millionen Euro. Da können Sie so lange irgendwel-
che Dinge bemühen, wie Sie sie gerade eben bemüht ha-
ben, aber es bleibt ein Aufwuchs. Deswegen ist die Aus-
sage, die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit
seien als Ganzes gekürzt worden, einfach nicht richtig.

Sie zitieren auch oft genug aus Zeitungen, ohne hin-
terher klar sagen zu können: Das ist tatsächlich alles so
gesagt worden; das ist tatsächlich alles so gewesen. – Ich
verlasse mich erst einmal darauf, dass die Presse in
Deutschland das Richtige berichtet, und ich verlasse
mich darauf, dass Sie das so gesagt haben. Sie haben es
jetzt richtiggestellt.

Das macht die Tatsache, dass Sie etwas behaupten,
was nicht stimmt, an und für sich aber nicht besser.
256 Millionen Euro Aufwuchs bleiben 256 Millionen
Euro Aufwuchs. Da nützt auch keine – wie soll ich das
sagen? – intelligente und fantasiereiche Mathematik. Ich
glaube, hier müssen wir schon bei der Wahrheit bleiben.


(Beifall des Abg. Harald Leibrecht [FDP])

Ich denke, es ist richtig, dass man das an dieser Stelle

sagt; denn es geht darum, dass wir in den Wahlkreisen
genauso glaubwürdig bleiben, wie wir das auch in Berlin
sein sollten, da Glaubwürdigkeit – darin sind wir uns ja
wohl einig – das größte Gut ist, das wir in der Politik ha-
ben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703021900

Das Wort hat der Kollege Lothar Binding für die

SPD-Fraktion.


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1703022000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr verehrte Damen und Herren! Erste Vorbemerkung.
Auch ich möchte zunächst meinen Dank zum Ausdruck
bringen. Priska Hinz hat unsere Berichterstattergesprä-
che sehr gut organisiert. Ich möchte mich auch beim
BMZ für die stets gute Information bedanken.

Vielleicht kann ich das Lob auch ein bisschen mit ei-
ner subtilen Kritik verknüpfen. Wenn die Politik so gut
wäre wie die Atmosphäre in den Gesprächen und die In-
formation aus dem BMZ, dann wäre das eine super Poli-
tik. Das muss ich wirklich sagen.





Lothar Binding (Heidelberg)



(A) (C)



(D)(B)


(Harald Leibrecht [FDP]: Das war eine gute Verbesserung!)


Zweite Vorbemerkung. Vorhin hat jemand gesagt: Wir
haben einen guten Ruf in der Welt im Hinblick auf un-
sere Entwicklungszusammenarbeit. – Das stimmt. Wenn
wir ganz ehrlich sind, dann wissen wir: Ein guter Ruf ist
meistens dem Blick zurück geschuldet. – Die Leute fra-
gen: Wie war das eigentlich bisher? – Deshalb kann man
wirklich sagen: Wir haben einen sehr guten Ruf. Unsere
Sorge ist aber ein klein wenig, dass der Ruf möglicher-
weise nicht so bleiben wird, wenn wir nicht sehr aufpas-
sen.


(Harald Leibrecht [FDP]: Ach nein!)


Meine letzte Vorbemerkung mache ich zum Stichwort
„Effizienz“. Natürlich ist ein effizienter Einsatz der Mit-
tel immer gut, aber Sie müssen mir zugestehen, dass ein
effizienter Einsatz von mehr Mitteln besser ist als ein
effizienter Einsatz von weniger Mitteln, und wir sind da-
für, mehr Mittel effizient einzusetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dirk Niebel sagt oft, Zahlen spielten nicht die große
Rolle, und die ODA-Quote sei vielleicht nicht das Ent-
scheidende. Dem stimme ich zu, und ich frage: Was ist
eigentlich das Entscheidende? Mit Blick auf die Regie-
rung möchte ich diesem Parlament sagen, dass die Kanz-
lerin, der Außenminister, der Minister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung und auch der Vertei-
digungsminister das Bild Deutschlands in der Welt be-
stimmen. Ich finde, darauf müssen wir ein bisschen ge-
nauer gucken.

Welchen Eindruck können die Menschen anderer
Länder von Deutschland haben, wenn dieser Eindruck
maßgeblich durch das Verhalten dieser Regierungsmit-
glieder dominiert und definiert wird? Um nur ein paar
charakteristische Dinge als Beispiele zu nennen: Wel-
ches Bild haben andere Menschen von unserer Kultur?
Ist sie anspruchsvoll? Ist sie ansprechend? Welchen Ein-
druck haben sie von unseren demokratischen Grundprin-
zipien? Funktioniert das hier? Haben wir einen guten
Parlamentarismus? Wie geht unser Volk zum Beispiel
mit der Not, dem Hunger und den Krankheiten anderer
Völker um? Wie hält unser Volk die Versprechen, die es
macht? – Ich glaube, unser Bild jenseits der Zahlen ist
im Moment eher verheerend.


(Harald Leibrecht [FDP]: Stimmt doch gar nicht!)


Wir haben einen Außenminister, der im Grunde nicht
erklären kann, wen er warum mit auf Reisen nimmt – mög-
licherweise auch seinen Freund, der sich aber nicht im
Rahmen des Beiprogramms betätigt und Deutschland re-
präsentiert, sondern eigenen Geschäften nachgeht.

Oder schauen wir auf die Kanzlerin.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie macht das doch wirklich gut!)


Sie verspricht international 420 Millionen Euro. Das
fand ich sehr gut, weil das ein absolut gutes Versprechen
ist. Denn mit 420 Millionen Euro, die wir für andere
Länder ausgeben, können wir ökologisch viel mehr er-
reichen als mit der gleichen Summe in Deutschland. Das
ist also ein sehr gutes Versprechen. Enttäuschung gab es
aber dennoch. Denn was soll das Ausland von uns den-
ken, wenn die Kanzlerin selbstsicher auftritt und etwas
vertritt, was im Haushalt dann aber plötzlich nicht mehr
abgebildet wird? Das halte ich für sehr gefährlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Jetzt möchte ich eine Sache ansprechen, die zu einem
Dauerstreit zwischen Dirk Niebel und mir geworden ist,
und zwar meine ich die Privatisierung von Minister-
ämtern. Herr Westerwelle privatisiert sein Ministeramt
und vernachlässigt seine gesellschaftlichen Aufgaben.
Nachdem ich den Witz mit der Mütze gemacht habe
– ich habe es gar nicht lange ausgehalten –,


(Harald Leibrecht [FDP]: Das war wirklich ein Witz!)


hat Dirk Niebel mir erklärt, dass es erstens der falsche
Typ war und er sie zweitens wieder tragen wird. Ich sage
aber: Das darf nicht seine private Entscheidung sein.
Dirk, du hast uns in Afrika mit einer Brille und einem
Hut repräsentiert, der aus einer Szene stammt, von der
ich nicht möchte, dass sie uns im Ausland vertritt. Das
ist keine persönliche Sache. Es stellt sich nämlich die
Frage, mit welcher Reputation du uns auf internationaler
Ebene vertrittst. Es ist irgendwie sehr merkwürdig, wenn
mich jemand anspricht und sagt: Dein Minister hat eine
verspiegelte Brille. Das tragen bei uns Leute in ganz an-
deren Vierteln. – Ich möchte so nicht vertreten werden
und kenne viele Deutsche, die das auch nicht möchten.


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte noch eine Sache zur Harmonisierung und
Koordination der Geberländer sagen; das ist nämlich
sehr wichtig. Ich finde es sehr gut, dass jetzt der Versuch
gemacht wird, die GTZ, InWEnt und den DED zu inte-
grieren. Das halte ich für einen sehr guten Weg. Man
muss vielleicht noch einmal daran erinnern, dass die
SPD-Fraktion 2007 auf einem sehr guten Weg war, diese
Integration auf diesem Gebiet, der TZ, unter Einschluss
der finanziellen Zusammenarbeit voranzutreiben, sie
aber leider durch andere im Parlament blockiert wurde.

Die meisten können sich erinnern, wie die Situation in
der Koalition damals war. Wir glauben trotzdem, dass
diese kleine Lösung heute besser ist, als gar keine Lö-
sung anzustreben. Vielleicht wäre es eine gute Idee, die
Länder zu fragen. Denn der Kollegen Laschet von der
CDU sagt: Minister Niebel soll sich nicht so weit vorwa-
gen. – Es ist interessant, die Länder zu fragen, da sechs
von ihnen an InWEnt beteiligt sind. Das ist eine kompli-
zierte Sache.

Um es nicht selber sagen zu müssen, möchte ich nun
etwas zitieren; das ist mein letzter kleiner Block. Es geht
um das Personal. Professor Rauch, Professor für Geogra-
fie an der FU in Berlin, sagt:

Das Fatale an dem radikalen Personalwechsel an
der Spitze des BMZ ist, dass unter der neuen Füh-
rungsriege keine kompetenten und engagierten An-





Lothar Binding (Heidelberg)



(A) (C)



(D)(B)

wälte des entwicklungspolitischen Anliegens mehr
sind. Von einem aufgeklärten Eigeninteresse an ei-
ner gerechteren Welt ist nichts mehr zu spüren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb habe ich den Minister nach seiner Personal-
entwicklung gefragt. Er hat zunächst ein bisschen falsch
verstanden, was ich damit meine, und deshalb drei Ein-
stellungsvoraussetzungen genannt. Dazu möchte ich sa-
gen: Erfahrung beim Militär, guter Freund und FDP-Af-
finität waren nicht dabei.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703022100

Der Abgeordnete Niebel erhält das Wort zu einer Kurz-

intervention.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1703022200

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Da hier mehrfach

die entwicklungspolitische Kompetenz der von mir ein-
gestellten Kolleginnen und Kollegen bestritten worden
ist, möchte ich einige wenige Daten aus deren Lebens-
läufen zum Besten geben:

Derjenige, der die Einheit für die Durchführung der
Organisationsreform leitet, war von 2004 bis 2010
selbstständiger Berater bei InWEnt, CIM, GTZ und
sonstigen. Von 2006 bis 2010 war er Trainer bei InWEnt.
Von 1998 bis 2003 war er Regierungsberater für Politik-
und Verwaltungsreformprozesse in Äthiopien. Von 1993
bis 1996 war er Regierungsberater für Politik und Ver-
waltungsreformprozesse in Ecuador.

Der völlig unbekannte und entwicklungspolitisch un-
bedarfte Abteilungsleiter 2 war nicht nur Mitarbeiter des
Instituts für Entwicklungspolitik und Entwicklungsfor-
schung der Universität Bochum, sondern ab 1988 auch
entsandter Projektleiter einer politischen Stiftung, zu-
nächst in Peru, dann in Kolumbien. Er war auch für wei-
tere Länder zuständig. Ab 1996 war er Leiter des Regio-
nalbüros Mittel-, Südost- und Osteuropa. Von 2002 bis
2007 war er Leiter der Programme in Lateinamerika.
Danach war er in der Zentrale der Stiftung für das ge-
samte Auslandsportfolio zuständig.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703022300

Herr Kollege Niebel!


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1703022400

Ich habe noch eine Minute, Frau Präsidentin.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703022500

Nein, Herr Kollege Niebel. Ich muss Sie deswegen

unterbrechen, weil ich Ihnen als Abgeordneten das Wort
zu einer Kurzintervention erteilen kann. Was Sie aber
jetzt machen, ist, Personalbögen des Ministeriums zu
verlesen.

Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1703022600

Frau Präsidentin, als Abgeordneter ist es meine Auf-

gabe, dafür zu sorgen, dass unbescholtene Menschen in
diesem Haus nicht ohne Widerspruch beschimpft wer-
den.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber diese Daten kennt nur der Minister! Was ist denn das für ein Datenschutzverständnis?)


Als Abgeordneter ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen,
dass Bürgerinnen und Bürger, wenn sie in diesem Haus
um ihre Rechte gebracht, erniedrigt und gedemütigt wer-
den, einen Fürsprecher haben. Dieser Fürsprecher bin
ich als Abgeordneter des Deutschen Bundestages.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703022700

Herr Kollege Niebel, da Sie in dieser Debatte als Mi-

nister Redezeit hatten, hätten Sie das selbstverständlich
tun können. Insofern habe ich den Eindruck, dem ich
gerne Ausdruck verleihen möchte, dass Sie möglicher-
weise hier nicht als Abgeordneter, sondern als Minister
sprechen, zumal Sie von den „von mir eingestellten Kol-
legen“ gesprochen haben. Insofern habe ich den Ein-
druck, dass Ihre Kurzintervention eher in Ihrer Funktion
als Minister getätigt wird –


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1703022800

Frau Präsidentin, ich könnte als Minister das Wort er-

greifen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703022900

– darf ich ausreden? – als in Ihrer Funktion als Abge-

ordneter. Sie können als Minister jederzeit das Wort er-
greifen. Im Moment sind Sie aber bei der Kurzinterven-
tion eines Abgeordneten. Diese können Sie auch gerne
in der einen Minute zu Ende bringen.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1703023000

Das werde ich auch tun, zumal Ihr Eindruck trügt,

Frau Präsidentin.

Der Abteilungsleiter 1 war Leiter der Grundsatzabtei-
lung eines Landeswirtschaftsministeriums, Leiter der
Zentralabteilung und Abteilungsleiter Mittelstand.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703023100

Dann muss ich Sie unterbrechen, wenn Sie weiter

fortfahren mit der Verlesung der Personalentwicklung
von Kolleginnen und Kollegen, die Sie in Ihrem Minis-
terium eingestellt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Das wurde doch hinterfragt!)



Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1703023200

Das wurde doch hinterfragt. Die Menschen sind ja

hier als inkompetent beschimpft worden.





Dirk Niebel


(A) (C)



(D)(B)


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Nein! Als Putschunterstützer, als Putschverharmloser! Darum ging es, nicht um ihre Kompetenz!)


Aber wenn es Ihnen lieber ist, Frau Präsidentin, dann
werde ich meine Tätigkeit als Vertreter der Bürger, für
die ich hier spreche, einstellen und als Regierungsmit-
glied das Wort ergreifen. Das verlängert die Debatte.
Falls die anderen daran Freude haben, mache ich das
gerne.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703023300

Das können Sie gerne machen. Wenn Sie als Minister

das Wort ergreifen wollen, dann können Sie das jederzeit
tun.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1703023400

Ja, dann melde ich mich eben zu Wort, Frau Präsiden-

tin.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703023500

Bitte schön.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ein bisschen Geschäftsordnung wäre nicht schlecht, Herr Minister!)


Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung:

Vorhin hätte ich Fragen zugelassen, die aber nicht ge-
stellt wurden. Deswegen kann ich relativ zügig zum Ab-
schluss kommen. Es fehlen nur noch zwei Personen.

Ein weiterer Abteilungsleiter, der angeblich inkompe-
tent ist, arbeitet seit 1989 beim BMZ in allen möglichen
Referaten und ist jetzt Leiter der neu gegründeten Abtei-
lung geworden.

Der Letzte, der vermeintlich militaristische Oberst im
Generalstab außer Diensten, war die letzten zwölf Jahre
lang außen- und sicherheitspolitischer Berater der FDP-
Bundestagsfraktion, in seiner aktiven Dienstzeit abge-
ordnet zu internationalen Stäben, unter anderem in den
Vereinten Nationen. Er diente drei Jahre lang im Pla-
nungsstab des Auswärtigen Amtes und zwischenzeitlich
mehrere Jahre im Bundesministerium der Verteidigung
in den verschiedensten Verwendungen.

Wenn das Inkompetenz ist, dann würde ich mir wün-
schen, dass mehr dieser inkompetenten Menschen in vie-
len Verwaltungen tätig sind.

Vielen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben eine gute Kameradschaft da!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703023600

Das Wort hat der Kollege Jürgen Klimke für die

CDU/CSU-Fraktion.

Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1703023700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Minister, herzlichen Dank für die eindrucksvollen
Einblicke in die Lebensläufe Ihrer neuen Mitarbeiter.
Das war unter dem Gesichtspunkt „Erfahrung und Kom-
petenz“ sehr bemerkenswert.

Bemerkenswert finde ich vor allen Dingen, wie Sie
für Ihre Mitarbeiter kämpfen und sich vor sie stellen.
Herzlichen Dank dafür!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Weniger bemerkenswert als orientierungslos fand ich
das, was wir in den letzten Wochen lesen konnten und
teilweise auch heute gehört haben. Lassen Sie mich zi-
tieren: „Entwicklungspolitik mit der Abrissbirne“, „Ver-
sorgung von Parteisoldaten“,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch so! Sind das nicht Soldaten?)


„Entmachtung der GTZ“ oder das leidige Zitat von der
Abschaffung des Ministeriums durch den jetzigen Mi-
nister. Meine Damen und Herren von der Opposition,
diese Platte hat nicht einen kleinen, sondern einen ganz
dicken Sprung. Sie schaden damit nicht nur sich selbst,
sondern vor allen Dingen dem Ansehen der Entwick-
lungspolitik und den Menschen, die von der Zusammen-
arbeit mit uns, mit Deutschland, profitieren und in dieser
Zusammenarbeit teilweise die einzige Perspektive und
Hilfestellung sehen. Das können wir überhaupt nicht ak-
zeptieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Im Übrigen sehen dies auch wirklich profilierte Ent-
wicklungspolitiker in Deutschland so, die an einer ehrli-
chen Weiterentwicklung dieses Feldes interessiert sind.
Ich
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1703023800


Es gefällt mir einfach nicht, wenn alle auf Niebel
eindreschen und dabei unterschlagen wird, dass der
Mann entschlossen etwas anpackt, was wir schon
1998 unter Rot-Grün und später in der Großen Ko-
alition wollten, aber nie geschafft haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich kann Uschi Eid nur unterstützen. Gleiches gilt für
ihre Aussage, dass die Besetzung des Ministerpostens
keine skandalöse Fehlbesetzung ist. Für sie ist dieser
Vorwurf einfach Unfug. Ich empfehle den Grünen, sich
in stärkerem Maße der Entwicklungskompetenz von
Uschi Eid zu bedienen und sich darauf zu besinnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Regierungskoalition jedenfalls legt – wir haben
das heute schon mehrfach gehört – die Hände nicht in
den Schoß, sondern nimmt den Gestaltungsauftrag an.
Ziel ist, unsere Entwicklungsinstrumente in den Organi-
sationen, was Effektivität, Koordination und Kohärenz





Jürgen Klimke


(A) (C)



(D)(B)

angeht, so einzusetzen, dass die Hilfe zur Selbsthilfe in
unseren Partnerländern besser gelingen kann. Dieser An-
satz wird auch im Koalitionsvertrag aufgegriffen. Ich bin
dem Minister dankbar, dass er mit viel Reformeifer
– auch gegen Widerstände – Neues beginnt. Wir betreten
effiziente, kohärente Wege im Rahmen der Vorfeldorga-
nisationen, bei dem Vorhaben, das BMZ gegenüber an-
deren Bundesministerien zu stärken, im Rahmen der
konditionierten Budgethilfe und der Spezialisierung auf
die Kernsektoren zur Erreichung der Millenniumsziele
und bei der Verstärkung der Kohärenz zwischen Bundes-
regierung, Bundesländern und der EU, aber auch bei der
Erklärung der Sinnhaftigkeit von Entwicklungspolitik
gegenüber den Bürgern und den Steuerzahlern gerade in
einer Zeit der wirtschaftlichen Krise sowie bei der För-
derung der lokalen Wirtschaft in unseren Partnerländern
durch deutsches Mittelstands-Know-how, das dorthin
übertragen wird.

Der Weg, der derzeit in den Vorfeldorganisationen
beschritten wird, ist richtig. Endlich wird hier die Lei-
tungsfunktion des BMZ gestärkt. Die drei zusammenzu-
legenden Vorfeldorganisationen InWEnt, GTZ und DED
werden gleichberechtigt in die Fusionsprozesse einbe-
zogen. Der geplante Umbau wird endlich die Doppel-
strukturen abbauen und dem deutschen Entwicklungs-
auftritt im Ausland unter dem Slogan „One face to the
customer“ gerecht werden. Dabei ist es angemessen,
dass das Ministerium künftig die Qualität der GTZ-Ar-
beit kontrolliert. Die neue technische Durchführungsor-
ganisation muss zuvorderst den entwicklungspolitischen
Leitlinien der Bundesregierung und somit auch der Füh-
rung des BMZ unterliegen. Diesem Ziel fühlt sich die
Unionsfraktion verpflichtet.

Die Vorhaben des BMZ, die sich aus der Paris-Dekla-
ration oder aus den Beschlüssen in Akkra ergeben, dür-
fen nicht von anderen Bundesministerien unterlaufen
werden. Das BMZ hat sich im Namen der gesamten
Bundesregierung verpflichtet. Dies gilt somit auch für
die anderen Ministerien. Daher ist es gut, dass Minister
Niebel hier anpackt und sicherstellen will, dass die Län-
derliste, die das BMZ beschlossen hat, auch für die ande-
ren Ministerien Gültigkeit hat. Wir haben in mehreren
Fällen festgestellt, dass das bislang nicht funktioniert. Es
funktioniert wunderbar in Indonesien; aber auf den Phi-
lippinen macht das Umweltministerium eine sehr viel ei-
genständigere Politik, als dies gemäß der Zusammen-
arbeit innerhalb der Ministerien „erlaubt“ ist. Wir sagen
eindeutig: Diese Entwicklung muss gestoppt werden, da
sie die Axt an die Existenzberechtigung des BMZ legt.
Ich denke, dass hier nicht nur eine Pflicht der anderen
Ministerien zur Information des BMZ über ihre Arbeit
im Ausland notwendig ist, sondern dass auch die Leit-
linie der Länderliste anerkannt werden muss. Vor allen
Dingen muss sehr viel mehr Kohärenz und Zusammen-
arbeit erfolgen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703023900

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1703024000

Lassen Sie mich zum Abschluss sagen, dass die

Reform der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
im Bereich des 0,7-Prozent-Ziels völlig richtig ist. Wir
brauchen aber auch mehr Gelder für die öffentliche Ent-
wicklungshilfe, wir brauchen vor allen Dingen eine stra-
tegische Weiterentwicklung. Diese Weiterentwicklung
ist Minister Niebel hervorragend angegangen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703024100

Herr Kollege!


Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1703024200

Wir danken ihm dafür. Er hat die Unterstützung der

CDU/CSU-Fraktion.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703024300

Das Wort hat der Kollege Sascha Raabe für die SPD-

Fraktion.


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1703024400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Minister, ich glaube, es ist mehr als gerechtfertigt,
dass sich das Parlament, das über den Haushalt und
damit über die Mittel für das Personal entscheiden muss,
darüber Gedanken macht, wie Spitzenpositionen im
Haus besetzt werden. Weil Sie aus den Lebensläufen von
Mitarbeitern des Ministeriums zitiert haben, will ich aus
dem Brief des Personalrats des Bundesministeriums
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung vom 11. Januar 2010 zitieren. Da heißt es:

Leider müssen wir feststellen, dass Schlüsselposi-
tionen im Hause, die für die künftige Gestaltung der
deutschen Entwicklungspolitik von strategischer
Bedeutung sind, zunehmend handverlesen extern
besetzt werden. Wir halten bei nunmehr zehn exter-
nen Besetzungen in wenigen Wochen die Grenze
für erreicht.

Weiter heißt es:

Externe Besetzungen ganz ohne Ausschreibung
oder interne Besetzungen ohne Berücksichtigung
qualifizierter Bewerbungen widersprechen dem
Grundsatz der Besetzung öffentlicher Ämter nach
Leistung, Eignung und Befähigung und gefährden
daher auch die selbstgesteckten Ziele der Leitung,
die anstehenden großen entwicklungspolitischen
Herausforderungen erfolgreich anzugehen.

Herr Minister, ich schließe mich der Kritik des Personal-
rats vollumfänglich an.

In Kambodscha haben Sie ein bisschen ironisch ge-
sagt, als uns einer der Minister gegenübersaß: So viele
Staatssekretäre wie Sie hätte ich auch gerne. – Sie haben
sogar eine neue Abteilung gegründet. Sie blähen den
Apparat auf, um Parteifreunde zu versorgen. Sie haben
aus dem Lebenslauf von Oberst Eggelmeyer zitiert. Es
ist keine Parteipolitik, wenn ich den Entwicklungsexper-





Dr. Sascha Raabe


(A) (C)



(D)(B)

ten Franz Nuscheler, den wir alle hier seit Jahrzehnten
kennen, zitiere. Er kritisiert, dass Minister Niebel eine
zunehmende Militarisierung der Entwicklungspolitik
nun auch personell vollendet.


(Widerspruch bei der FDP)


Der Professor sagt, er sei einfach entsetzt über den Fall.
Mit dieser Entscheidung verliere die Entwicklungspoli-
tik den Rückhalt in der Zivilbevölkerung. Dies sei ein
immenser Kollateralschaden. Vorhin hat der Kollege
Binding Professor Rauch zitiert. Das sind keine eingetra-
genen Parteigenossen;


(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Vielleicht doch!)


das sind objektive Vertreter der Zivilgesellschaft und der
Wissenschaft.

Sie haben den Mitarbeiter Tom Pätz genannt. Ich
kann mir nur ein Bild über die Mitarbeiter, die Sie einge-
stellt haben, machen, die ich im Ausschuss kennenge-
lernt habe. Sie haben den Lebenslauf zitiert. In dem
Lebenslauf steht nicht, dass dieser Kollege jemals eine
Fusion verantwortlich geleitet hat und dass er sich damit
auskennt. Das ist jemand, der in Bonn auf lokaler Ebene
Agenda-21-Prozesse moderiert hat.


(Harald Leibrecht [FDP]: Stimmt doch gar nicht! Sie wissen doch, dass er hochqualifiziert ist!)


Er hat uns im Ausschuss gesagt, es tue ihm leid, dass er
unsere Fragen nicht beantworten könne, weil er erst seit
wenigen Wochen diese Aufgabe habe. Er hat gesagt, er
spreche jetzt zum ersten Mal mit dem Personalrat. Meis-
tens hat er um Verständnis gebeten, weil er erst seit we-
nigen Wochen mit dieser Aufgabe betraut sei.

Für ein so großes Projekt brauchen Sie erfahrene
Leute. Wir haben den Mut gehabt, auch wenn es am
Ende aus Gründen, die wir nicht zu verantworten haben,
nicht geklappt hat. Sie müssen die finanzielle und die
technische Zusammenarbeit zusammenlegen, aber sie
dürfen nicht eine Minireform im technischen Bereich
mit jemandem an der Spitze durchführen, der in erster
Linie das FDP-Parteibuch hat, der aber keinerlei Qualifi-
kation oder Erfahrung hat, eine so große Herausforde-
rung zu stemmen. In diesem Sinne bleiben wir bei unse-
rer Kritik. Wir wollen, dass Qualifikation vor Parteibuch
geht.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703024500

Die Kollegin Heike Hänsel hat das Wort.


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703024600

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Herr Minister Niebel, ich möchte gern kurz auf
Ihren Einwurf reagieren. Ich habe nicht die Inkompetenz
Ihrer Mitarbeiter kritisiert. Meine Kritik bezog sich auch
nicht auf deren Parteibuch. Meine Kritik bezieht sich
vielmehr auf Ihre Personalpolitik. Ich kritisiere vor al-
lem die zweifelhafte Kompetenz Ihres Abteilungsleiters
Harald Klein, der sich in Publikationen der Friedrich-
Naumann-Stiftung, also öffentlich, dezidiert über den
Putsch in Honduras geäußert hat. Er hat diesen Putsch
indirekt gerechtfertigt, und er hat die Kritik an den Men-
schenrechtsverletzungen der jetzigen Regierung ver-
harmlost.

Wie fatal das ist, zeigt folgender Vorgang: Zwei Men-
schenrechtsaktivisten aus Honduras sind hierher gekom-
men – sie sind ein Risiko eingegangen –, um Kritik an
der dortigen Regierung zu üben. Sie sind ausgerechnet
an Ihren Abteilungsleiter Klein geraten, um mit ihm über
die Situation in Honduras zu sprechen. Noch nicht ein-
mal eine Woche nach diesem Gespräch hat Herr Lüth
– ein Kollege von Herrn Klein, mit dem er zusammen
bei der Friedrich-Naumann-Stiftung publiziert hat – ge-
genüber einer Tageszeitung in Honduras diese beiden
Menschenrechtsaktivisten namentlich genannt und er-
klärt, sie reisten durch die Welt und diskreditierten die
jetzige Regierung. Das gefährdet diese beiden Aktivis-
ten. Das finde ich unverantwortlich. Da frage ich mich
natürlich: Welche Rolle spielt dabei Herr Klein?

Ich halte es nicht für akzeptabel, im Entwicklungs-
ministerium einen Oberst einzustellen; dabei ist es egal,
dass er vorher im Auswärtigen Amt beschäftigt war. Ich
halte das für falsch. Ich bin für eine strikte Trennung
zwischen Zivilem und Militärischem. Eine militärische
Ausbildung ist etwas anderes als eine zivile Ausbildung;
das geht in eine ganz andere Richtung. Die Einstellung
dieses Obersts lehne ich inhaltlich ab. Insofern finde ich
es nicht in Ordnung, wenn Sie hier die Biografien Ihrer
Mitarbeiter – ich denke dabei auch an den Datenschutz –
in die Öffentlichkeit zerren. Es geht um die politische
Einstellung Ihrer Mitarbeiter, nicht um detaillierte bio-
grafische Daten.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703024700

Das Wort hat der Kollege Volkmar Klein.


Volkmar Klein (CDU):
Rede ID: ID1703024800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! In der Sache ist an sich längst alles gesagt. Ich
muss ehrlich sagen: Ich bin über diese Debatte ein biss-
chen irritiert. Obwohl hier und da aufgeregte Worte ge-
fallen sind und es zu Konfrontationen gekommen ist,
hatte ich den Eindruck, dass uns die gemeinsame Moti-
vation und das gemeinsame Ziel einen. Insofern hätten
versöhnlichere Töne die Diskussion prägen können. Es
tut mir ein bisschen leid, dass wir in diesen persönlich
geprägten Diskussionsstil verfallen sind, zumal uns eben
gesagt worden ist – das ist für diejenigen wichtig, die
sich vorher vielleicht nicht ausreichend informieren
konnten oder wollten –, dass qualifizierte Personen vor-
handen sind.

Zurückweisen möchte ich den zuletzt vorgetragenen
Anwurf bezüglich eines Obersts im Ministerium. Ich
glaube, wir können hier nicht den Stab über irgendwel-
che Lebensläufe brechen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Volkmar Klein


(A) (C)



(D)(B)

Wir sollten nicht plötzlich so tun, als wären Menschen
aufgrund eines vorher ausgeübten Berufes für andere
Aufgaben disqualifiziert. Wenn ich es richtig verstanden
habe, ist diese Person nicht als Oberst, sondern als Mit-
arbeiter im Ministerium beschäftigt. Wir sollten allge-
mein etwas abrüsten; das ist vielleicht das richtige Stich-
wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ganz abgesehen davon habe ich mitbekommen, dass
es in diesem Ministerium schon in der Vergangenheit
Differenzen mit dem Personalrat über die persönliche
Qualifikation neuer Mitarbeiter gegeben hat; der Fall
Mikota wurde schon genannt. Ich glaube, dass es das im-
mer wieder geben wird, aber dass es einfach unangemes-
sen ist, die Lebensgeschichte dieser Menschen im Ple-
num des Deutschen Bundestages schon ein bisschen in
den Schmutz zu ziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich würde mir wünschen, dass wir das in Zukunft unter-
lassen.

Die Auffassung, dass es eine weitere Strukturreform
auch im Ministerium geben muss bzw. geben sollte,
scheint mir bisher Allgemeingut bei allen hier gewesen
zu sein. Von diesem Plan sollte sich der Minister durch
diese Diskussion nicht abbringen lassen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703024900

Die Kollegin Ute Koczy hat das Wort.


Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703025000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich wünschte mir, wir hätten diese neue
Runde nicht eröffnen müssen. Es hätte doch sicherlich
elegantere Methoden gegeben, um eine solche Debatte
zu führen.

Ich bin der Meinung, dass es, Herr Minister, vielleicht
nicht ganz so hilfreich war, die Rollen zu wechseln und
etwas vorzulesen, was vielleicht in eine etwas kleinere
Runde gehört hätte. Vielleicht hätten Sie anbieten kön-
nen – das wäre mein Vorschlag gewesen –, in einer klei-
neren Runde mit den Obleuten und den Haushaltsbe-
richterstattern, wenn es gewünscht worden wäre, ein
Gespräch zu führen, als hier diese Debatte in diese Rich-
tung zu lenken.


(Harald Leibrecht [FDP]: Sie wissen ja, wie es im Ausschuss gelaufen ist!)


– Ich meinte jetzt nicht den Ausschuss, Herr Leibrecht.


(Harald Leibrecht [FDP]: Aber Sie wissen, wie es dort gelaufen ist!)


– Herr Kollege! – Ich bin der Meinung, dass eine solche
Debatte über Personal und über Personalführung nicht
in dieser Form hier ausgebreitet werden sollte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es sind viele daran beteiligt gewesen, dass wir hier nicht
günstig dabei weggekommen sind.


(Harald Leibrecht [FDP]: Dann hören Sie endlich auf, die Mitarbeiter zu diskreditieren!)


Ich fand es, ehrlich gesagt, nicht in Ordnung, dass die
Frau Präsidentin deutlich machen musste, dass sich doch
bitte alle an die Art der Geschäftsführung, die es hier im
Parlament gibt, halten sollten, nämlich zum Kern der
Debatte zu reden, statt sich auf Nebengleise zu begeben
und dies dann auch noch zu vertiefen.


(Helga Daub [FDP]: Das gilt aber für alle! – Weiterer Zuruf von der FDP: Ach was!)


Das hat letztlich dazu beigetragen, dass das Thema ver-
fehlt wurde.

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703025100

Der Kollege Michael Link hat das Wort für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Michael Link (FDP):
Rede ID: ID1703025200

Frau Präsidentin! Ich gebe der Kollegin recht: Die in-

haltliche Debatte ist hier ohne Zweifel insgesamt die we-
sentlich wichtigere; denn für die inhaltliche Debatte sind
wir auch gewählt. Diese Regierung und gerade dieser
Minister vertreten inhaltlich genau das, wofür wir im
letzten September gewählt wurden. Wenn aber in den
letzten Wochen die ganze Debatte eine für die jetzt ein-
gestellten Mitarbeiter wirklich diffamierende und belei-
digende Tonart angenommen hat, dann ist es doch mehr
als verständlich, wenn der Kollege Niebel das richtig-
stellen möchte.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Es sind im Übrigen die gerade erwähnten Mitarbeiter
vorher gefragt worden, ob sie einverstanden sind, dass,
wenn auch hier im Plenum weiterhin Kritik geübt wird,
weitere Sachinformationen über ihre Personen gegeben
werden. Ich glaube, es ist sehr beruhigend, vor der Öf-
fentlichkeit feststellen zu können, dass hier hochkompe-
tente, leistungsfähige und eben nicht nach Parteibuch
ausgesuchte Mitarbeiter eingestellt worden sind.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dass Handlungsbedarf auf der Leitungsebene des
Ministeriums bestand, ist wohl klar. Ich möchte nur die
Kollegen von der SPD daran erinnern, dass nach meiner
Information Ministerin Wieczorek-Zeul, als sie ihr Amt
antrat, außer einem einzigen alle Abteilungsleiter in den
einstweiligen Ruhestand versetzt hat. Das zeigt doch
auch, in welch unterschiedlicher Art und Weise man in
einer solchen Situation vorgehen kann.





Michael Link (Heilbronn)



(A) (C)



(D)(B)



(Zuruf von der FDP: Ja oder nein, Frau Wieczorek-Zeul? – Widerspruch der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD])


Ich stelle fest: Es handelt sich hier um hochqualifi-
zierte, über jeden Verdacht erhabene Mitarbeiter.


(Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Mein lieber Gott!)


Wenn wir so weit kommen, dass es jemandem, der ein-
mal als Zeitsoldat bei der Bundeswehr gedient hat – wir
haben gerade den Einzelplan 14 behandelt –, zum Be-
rufsverbot beim BMZ gereicht, dann ist etwas falsch in
unserem Land.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich bitte die Opposition, sich nicht auf der einen Seite
in Krokodilstränen und Bemerkungen über den Dienst
unserer Soldaten, den wir sonst bei jeder Gelegenheit be-
klatschen, zu ergehen, dann aber, wenn sie nach ihrer
Dienstzeit in anderen Bereichen der Wirtschaft oder Ver-
waltung Dienst tun wollen, so zu tun, als ob das nicht
mehr aller Ehren wert sei.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beschimpfen Sie nicht die gesamte Opposition! Ein bisschen mehr Diffe Wir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 23, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in der Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1026? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion. Die Koalitionsfraktionen haben dagegen gestimmt, die Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1030? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt bei Zustimmung durch Bündnis 90/Die Grünen, SPD und die Fraktion Die Linke. Abgelehnt haben ihn die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt jetzt für den Einzelplan 23 in der Ausschussfassung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Einzelplan angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und Ablehnung durch die Oppositionsfraktionen. renzierung ist angesagt!)


Wir als FDP-Fraktion danken der Bundesregierung und
insbesondere Bundesminister Niebel für die Arbeit, die
er im Ministerium macht, und wir vertrauen voll und
ganz auf seine Personalauswahl.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703025300

Damit schließe ich die Aussprache.
Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 18. März 2010,
9 Uhr, ein.

Genießen Sie die gewonnenen Einsichten und den
restlichen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.