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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/30 2705 B Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . Bernd Scheelen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Drucksachen 17/605, 17/623) . . . . . . . . . Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Herbert Frankenhauser (CDU/CSU) . . . . . . . Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 2705 D 2711 A 2720 A 2725 A 2730 B 2734 C 2734 D 2735 B 2736 B 2739 A 2749 C 2749 C 2754 B 2756 C 2758 B 2759 A 2759 B 2761 A 2761 C 2763 D Deutscher B Stenografisc 30. Sit Berlin, Mittwoch, d I n h a Tagesordnungspunkt I (Fortsetzung): a) Zweite Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2010 (Haushaltsgesetz 2010) (Drucksachen 17/200, 17/201) . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung des Haushaltsaus- schusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 2009 bis 2013 (Drucksachen 16/13601, 17/626) . . . . . . . 9 Einzelplan 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt (Drucksachen 17/604, 17/623) . . . . . . . . . 2705 A 2705 B Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . . . Petra Merkel (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 2740 D 2743 B undestag her Bericht zung en 17. März 2010 l t : Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . Reiner Deutschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegmund Ehrmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Einzelplan 05 Auswärtiges Amt 2744 C 2745 C 2746 B 2747 C 2748 C 2749 B 2752 C Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . 2764 B 2764 C II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Andrej Konstantin Hunko (DIE LINKE) . . . . Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Frankenhauser (CDU/CSU) . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . . . Michael Stübgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Rüdiger Kruse (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11 Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung (Drucksachen 17/613, 17/623) . . . . . . . . . Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD) . . . Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2764 D 2765 C 2767 A 2767 C 2768 A 2769 C 2771 B 2772 D 2773 B 2774 C 2775 C 2777 A 2778 D 2780 B 2781 A 2781 B 2783 A 2784 B 2785 D 2786 C 2786 C 2788 C 2789 B 2791 D 2793 A 2794 D 2795 B 2795 B 2796 A 2796 D 2798 C 2800 C 2801 D Tagesordnungspunkt III: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Abschaffung des Finanzpla- nungsrates (Drucksache 17/983) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Fraktion DIE LINKE: Men- schenrechte in Kolumbien auf die Agenda setzen – Freihandelsabkommen EU-Ko- lumbien stoppen (Drucksache 17/1015) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Fraktion DIE LINKE: Den Schie- nenverkehr als sichere Verkehrsform er- halten und stärken (Drucksache 17/1016) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt IV: a) Erste Beschlussempfehlung des Wahlprü- fungsausschusses: zu Einsprüchen ge- gen die Gültigkeit der Wahl der Abge- ordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland am 7. Juni 2009 (Drucksache 17/1000) . . . . . . . . . . . . . . . b) – l) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59 und 60 zu Peti- tionen (Drucksachen 17/909, 17/910, 17/911, 17/912, 17/913, 17/914, 17/915, 17/916, 17/917, 17/918, 17/919) . . . . . . . . . . . . . . 12 Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Drucksachen 17/619, 17/623) . . . . . . . . . Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Volkmar Klein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Niebel, Bundesminister BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2803 D 2803 D 2804 A 2804 A 2804 B 2805 B 2805 C 2807 B 2808 B 2809 D 2810 D 2811 B 2812 B 2814 B 2816 A 2818 A 2818 A 2818 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 III Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Dirk Niebel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Niebel, Bundesminister BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Volkmar Klein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Link (Heilbronn) (FDP) . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 2819 B 2820 A 2820 C 2821 D 2823 B 2823 C 2823 D 2825 A 2826 A 2826 C 2827 C 2828 B 2828 D 2829 B 2829 D 2830 D 2831 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2705 (A) (C) (D)(B) 30. Sit Berlin, Mittwoch, d Beginn: 9
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2831 (A) (C) (D)(B) Anlage zum Stenografischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Barchmann, Heinz- Joachim SPD 17.03.2010 Bellmann, Veronika CDU/CSU 17.03.2010 Brinkhaus, Ralph CDU/CSU 17.03.2010 Burchardt, Ulla SPD 17.03.2010 Cramon-Taubadel, Viola von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.03.2010 Götz, Peter CDU/CSU 17.03.2010 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 17.03.2010 Golze, Diana DIE LINKE 17.03.2010 Körper, Fritz Rudolf SPD 17.03.2010 Kramme, Anette SPD 17.03.2010 Möller, Kornelia DIE LINKE 17.03.2010 Pflug, Johannes SPD 17.03.2010 Roth (Esslingen), Karin SPD 17.03.2010 Schäfer (Bochum), Axel SPD 17.03.2010 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 17.03.2010 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.03.2010 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Hempelmann, Rolf SPD 17.03.2010 Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.03.2010 Koch, Harald DIE LINKE 17.03.2010 Dr. Steffel, Frank CDU/CSU 17.03.2010 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.03.2010 Werner, Katrin DIE LINKE 17.03.2010 30. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 Inhalt: Redetext Anlage zum Stenografischen Bericht Anlage
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Angela Merkel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

    Steinmeier, vorweg eine Bemerkung: Die Opposition
    und speziell die SPD könnte dem gesellschaftlichen
    Klima im Lande einen guten Dienst erweisen – vielleicht
    könnten Sie ganz persönlich dafür sorgen –, wenn unse-
    rem Staatsoberhaupt, dem Bundespräsidenten, der not-
    wendige Respekt entgegengebracht wird. Das fordern
    wir.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Wir beraten heute den Haushalt, der die größte Neu-
    verschuldung des Bundes in der 60-jährigen Geschichte
    der Bundesrepublik Deutschland aufweist. 80,2 Milliar-
    den Euro Schulden bei einem Gesamtumfang des Bun-
    deshaushaltes von knapp 320 Milliarden Euro,


    (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Plus Ihre Schattenhaushalte! 130 Milliarden!)


    das bedeutet 25 Prozent Schulden, das bedeutet, jeder
    vierte Euro, den wir in diesem Jahr ausgeben, ist nicht
    durch die Einnahmen gedeckt.


    (Zuruf von der SPD: Ihr macht noch mehr Schulden!)


    Diese 80 Milliarden Euro Schulden sind genau das Dop-
    pelte der bisher höchsten Neuverschuldung des Bundes
    aus dem Jahre 1996 infolge der deutschen Einheit. Da-
    mals waren es 40 Milliarden Euro. 80 Milliarden Euro
    Schulden, das bedeutet 1 000 Euro pro Einwohner der
    Bundesrepublik Deutschland; hinzu kommen 460 Euro
    Zinsen. Das heißt, 11,5 Prozent des Bundeshaushaltes,
    ungefähr jeder zehnte Euro, muss bereits für Zinszahlun-
    gen aufgebracht werden.

    Ich sage ganz deutlich – genauso wie der Finanz-
    minister gestern –: Mit Recht machen sich die Menschen
    Gedanken über die Verschuldung. Mit Recht fragen sie
    uns alle, wenn wir in unseren Wahlkreisen sind: Was
    wird daraus? Wie werdet ihr das lösen?


    (Christoph Strässer [SPD]: Ja, wie? – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fragen wir uns auch!)


    Ich glaube, das eint uns in diesem Hause. Was uns nicht
    eint und worüber wir ja heute sprechen


    (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    – bleiben Sie doch ganz ruhig und gelassen –, sind die
    Fragen: Was tun wir, und wie tun wir es?

    (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Genau! Erklären Sie das mal!)


    Die Bundesregierung hat sich dennoch dazu entschlos-
    sen. Ich möchte mich bei den Abgeordneten der Koali-
    tionsfraktionen ganz besonders bedanken, dass sie das
    mitgetragen haben, sodass wir heute in den Grundzügen
    den Haushalt so verabschieden, wie ihn die Regierung
    vorgelegt hat.

    Ich sage im Übrigen an die SPD: Dieser Haushalt
    wird gegenüber dem Haushalt, den wir damals in der
    Großen Koalition beraten haben, drei Monate früher be-
    raten. Das zeigt, wie handlungsfähig diese Regierung
    und diese christlich-liberale Koalition in einer schwieri-
    gen Situation sind.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rekordverschuldung Handlungsfähigkeit zu nennen, ist schon frech!)


    Wenn wir uns die Struktur dieses Haushaltes an-
    schauen – auch da will ich gar nicht drum herumreden –,
    dann sehen wir, dass dieser Haushalt über 9 Prozent grö-
    ßer ist, als es in normalen Zeiten der Fall wäre. Etwa
    54 Prozent dieses Haushaltes sind Sozialausgaben. Er-
    innern wir uns: 1980 wurden 16 Prozent des Bundes-
    haushaltes für Soziales ausgegeben, 1991 20 Prozent, im
    Jahre 2000 33 Prozent. In diesem Jahr sind es 54 Pro-
    zent. Das beinhaltet etwa 80 Milliarden Euro für Rente,
    40 Milliarden Euro für das Arbeitslosengeld II und – wir
    haben etwas ganz Besonderes gemacht; das weist schon
    darauf hin, warum wir einen solchen Haushalt verab-
    schieden – auch immense Zuschüsse an die Bundesagen-
    tur für Arbeit und an den Gesundheitsfonds; diese führen
    uns genau dazu, warum wir einen solchen Haushalt ver-
    abschieden.

    Wir verabschieden einen solchen Haushalt nur aus ei-
    ner einzigen Tatsache heraus: In diesem Jahr müssen wir
    weiter eine Krise bekämpfen, die uns im vergangenen
    Jahr einen Wirtschaftseinbruch von 5 Prozent gebracht
    hat. Das sind 88 Milliarden Euro weniger Produktion in
    Deutschland, weniger Bruttoinlandsprodukt. Einen sol-
    chen Einbruch haben wir noch nie gesehen. Wir wollen
    Fehler aus der Geschichte nicht wiederholen und ver-
    nünftig darauf antworten, sodass Wachstum wieder in
    Gang kommen kann. Das ist die tiefere Ursache dieses
    Haushaltes. Dazu stehen wir aus voller Überzeugung,
    weil es für die Menschen in diesem Lande richtig ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch selber nicht!)


    Keiner von uns hat Erfahrungen mit einem solch dra-
    matischen Wirtschaftseinbruch. Die Krise hat vor 18 Mo-
    naten mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers
    begonnen. Wir können heute sagen, dass wir in diesen
    18 Monaten Wichtiges geschafft haben. Wir haben die
    Banken und den Finanzsektor stabilisieren können. Mit
    den 400 Milliarden Euro Garantien und den 80 Milliar-
    den Euro Rekapitalisierung ist das gelungen. Heute
    haben wir noch etwa 145 Milliarden Euro Liquiditäts-
    garantien – bei den Garantien gab es übrigens keine Aus-





    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    fälle –, und wir haben 28 Milliarden Euro Eigenkapital-
    hilfen.


    (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und 32 Milliarden Euro Schulden aus der Rettung, die Sie nicht erwähnen!)


    Das wird sich noch lange in die Zukunft ziehen, so
    lange, bis wir absehen können, was für einen Verlust das
    für den Steuerzahler bedeutet. Die Hilfen sind gut ange-
    nommen worden, und sie sind weltweit koordiniert ge-
    geben worden. Das hat zu einer Stabilisierung geführt.

    Mindestens genauso wichtig: Der Einbruch der Real-
    wirtschaft ist durch das, was wir machen, in seinen
    Auswirkungen gedämpft worden, nämlich durch das
    100-Milliarden-Euro-Konjunkturpaket für 2009 und
    2010 und ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das
    seinen Namen zu Recht hat,


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schuldenbeschleunigungsgesetz!)


    mit 8,5 Milliarden Euro Entlastung für Familien und vie-
    les andere.


    (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Außer Schulden nichts verschuldet!)


    Die Steuersenkungen haben wir zum Teil gemein-
    sam und zum Teil nach kontroversen Diskussionen be-
    schlossen. Wir haben für eine Entlastung von über
    20 Milliarden Euro gesorgt. Wir wissen aus den Erfah-
    rungen: 90 Prozent davon gehen in den Konsum der
    Menschen, und das ist genau der Beitrag, den wir leisten,
    um die Binnenwirtschaft nicht einbrechen zu lassen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Wir machen das, was uns die Ökonomen sagen: Wir
    lassen die automatischen Stabilisatoren wirken – das
    heißt auf gut Deutsch, die Lohnzusatzkosten steigen
    nicht an –, und wir haben die Darlehen sowohl für das
    Gesundheitssystem als auch für die Bundesagentur in
    Zuschüsse umgewandelt, was uns ein besseres Funda-
    ment im Hinblick auf die weitere Beitragsentwicklung
    gibt. Wir haben, damals noch gemeinsam, auch die Ren-
    tengarantie beschlossen, eine wichtige Maßnahme, wie
    sich jetzt herausstellt. Denn zum ersten Mal in der Ge-
    schichte der Bundesrepublik Deutschland sind die Brut-
    tolöhne im letzten Jahr gesunken.


    (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Woran das wohl liegt?)


    Hier möchte ich an das anknüpfen, was neben all den
    Maßnahmen, die wir ergriffen haben, in den letzten
    18 Monaten vielleicht das Allerwichtigste war: dass die
    Menschen gezeigt haben, was in diesem Lande steckt,
    dass Unternehmer genauso wie Arbeitnehmerinnen und
    Arbeitnehmer Verantwortung gezeigt, die Maßnahmen
    der Regierung angenommen und selbst Lohnzurückhal-
    tung geübt haben. Es war gut, dass wir für eine Flexibili-
    sierung des Arbeitsmarktes mit Arbeitszeitkonten und
    vielem anderen gesorgt haben; von all diesen Instrumen-
    ten wurde Gebrauch gemacht. Wir haben deshalb die
    Kurzarbeit aus voller Überzeugung bis 2011 verlängert.
    Wir sagen: Wir müssen in dieser Situation zusammenste-
    hen. Das zeigen die moderaten Tarifabschlüsse, das zei-
    gen unsere Maßnahmen, und so werden wir auch weiter
    durch diese Krise gehen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Das hat Wirkung gezeigt. Wenn wir uns einmal an-
    schauen, wie sich die Arbeitslosigkeit im europäischen
    Vergleich entwickelt hat, so sehen wir, dass die Arbeits-
    losigkeit bei uns im Jahre 2009 gegenüber 2008 um
    4,4 Prozent gestiegen ist, im EU-Durchschnitt allerdings
    um 36 Prozent. In Frankreich zum Beispiel ist sie um
    30 Prozent gestiegen, in den Vereinigten Staaten von
    Amerika um 70 Prozent.

    Das vielleicht Schönste ist, dass die Jugendarbeitslo-
    sigkeit bei uns um 11 Prozent gesunken ist, während sie
    im Mittel der Europäischen Union um 28 Prozent gestie-
    gen ist, in Spanien zum Beispiel um 86 Prozent. Das ist
    nichts, worauf man sich ausruhen kann. Aber das ist
    schon etwas, worauf man auch ein Stück stolz sein kann,
    und zwar wir alle gemeinsam.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Wir haben wieder leichte Wachstumsraten. Der Bin-
    nenkonsum ist im letzten Jahr nicht eingebrochen: plus
    0,2 Prozent.


    (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Auf das vergangene Jahr sind wir auch stolz!)


    In diesem Jahr sehen wir einen leichten Einbruch. War-
    ten wir aber erst einmal ab. Den Prognosen kann man ja
    auch nicht so richtig trauen. Wir konnten bislang Insol-
    venzen vermeiden. Es wird nicht einfach; aber es ist
    richtig, diesen Kurs weiter zu verfolgen.

    In den nächsten Jahren kommt eine riesige Aufgabe
    auf uns zu, eine Herkulesaufgabe. Wir müssen eigentlich
    Unvereinbares zusammenbringen: den Haushalt konsoli-
    dieren, aber zugleich Wachstum schaffen, und das Ganze
    in dem Umfeld einer Gesellschaft, deren Altersaufbau
    sich dramatisch verändert.

    Wir brauchen neues Denken, um diese großen He-
    rausforderungen bewältigen zu können.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine geistig-moralische Wende, neues Denken, ja!)


    Dazu ist die christlich-liberale Koalition bereit.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Als Erstes brauchen wir eine kluge Exitstrategie aus den
    Konjunkturprogrammen, die wir aufgelegt haben. Wir
    müssen in den nächsten Jahren – auch wegen der Schul-
    denbremse, die Deutschland als weltweit einziges Land
    eingeführt hat, mitten in der Krise – auf Konsolidie-
    rungskurs gehen.





    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)


    (Bettina Hagedorn [SPD]: Davon merken wir nichts! – Thomas Oppermann [SPD]: Mit dem Liberalen Sparbuch!)


    Wir haben schwierige Sparmaßnahmen vor uns. Ein
    strukturelles Defizit von etwa 67 Milliarden Euro wird
    in den Jahren 2011 bis 2015 abzubauen sein, damit die
    Neuverschuldung im Bundeshaushalt ab 2016 bei höchs-
    tens 10 Milliarden Euro liegt. Das heißt, wir müssen pro
    Jahr ein Defizit von 10 Milliarden Euro abbauen.


    (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Erläutern Sie einmal in Ihrem Wahlkreis, wie Sie das machen wollen!)


    Das Kabinett wird sich dieser Aufgabe stellen, und ich
    sage dem Bundesfinanzminister Unterstützung zu. Wir
    wissen, was das bedeutet. Die Erstanmeldungen für den
    Haushalt 2011 sind noch nicht so, dass wir sagen könn-
    ten: Wir haben es schon geschafft, die 10 Milliarden
    Euro einzusparen. Die Bundesregierung verpflichtet sich
    hier aber gegenüber dem Parlament, ihren Beitrag zu
    leisten.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Bei der Analyse dürften wir uns einig sein, darüber
    brauchen wir nicht mehr zu streiten. Jetzt kommen wir
    zu der Frage: Wie schaffen wir das? Neben einer klugen
    Exitstrategie brauchen wir eine kluge Wachstumsstrate-
    gie. Die Erfahrungen der Jahre 2005 bis 2009 zeigen
    doch: Die beste Wachstumsstrategie ist, möglichst viele
    Arbeitsplätze zu schaffen. Wann immer wir mehr Ar-
    beit haben, wann immer die Zahl der Arbeitslosen um
    100 000 sinkt, werden die Sozialsysteme und der Bun-
    deshaushalt um 2 Milliarden Euro entlastet. Deshalb gilt
    es, Arbeit zu schaffen und möglichst viel Beschäftigung
    hinzubekommen. Nicht nur entlastet das den Bundes-
    haushalt, sondern Arbeit ermöglicht den Menschen auch
    Teilhabe und gesellschaftliches Mitbestimmen und ist le-
    benserfüllend.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Das bedeutet, in Deutschland möglichst viel qualifizierte
    Arbeit bereitzustellen, um aus der Arbeitslosigkeit he-
    rauszukommen.

    Schauen wir uns die heutige Situation einmal an:
    5 Millionen Menschen beziehen Arbeitslosengeld II.
    Das kostet den Bundeshaushalt, wie gesagt, 40 Milliar-
    den Euro. Durch die Kosten für die Unterkunft entsteht
    den Kommunen eine Belastung von 11 Milliarden Euro.
    Wenn wir es schaffen, dass mehr und mehr Menschen
    aus dieser Situation herauskommen, dann haben wir et-
    was erreicht.


    (Bettina Hagedorn [SPD]: Das schaffen Sie nicht mit Ihrer Politik! – Roland Claus [DIE LINKE]: Warum tun Sie dann nichts?)


    – Schauen wir uns einmal an, was Sie vorschlagen: Die
    sozialdemokratische Fraktion und der ehemalige Kanz-
    leramtsminister Steinmeier sind, muss man sagen, in ei-
    nem wundersamen Wandel begriffen.

    (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das stimmt!)


    Es waren einmal 5 Millionen Arbeitslose. Sie haben Re-
    formen durchgeführt; wir haben diese Reformen im Bun-
    desrat unterstützt. Diese Reformen haben, zusammen mit
    anderen Reformen, dazu geführt, dass die Zahl der
    Arbeitslosen in den Jahren darauf unter 3 Millionen ge-
    fallen ist.


    (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Mehr Armut! Mehr befristete Beschäftigung! Mehr Leiharbeit!)


    Sie haben sich nie überlegt, warum das so gekommen ist.
    Ihre Wahrnehmung war immer geteilt:


    (Zuruf von der SPD: Was?)


    Sie waren zwar froh, dass die Zahl der Arbeitslosen
    sank; aber Sie haben Ihren Leuten nie erklärt, wie das
    kommen konnte.


    (Thomas Oppermann [SPD]: Durch Ihren Beitrag ganz bestimmt nicht! – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Wenn wir lange überlegt hätten, wäre das nicht zustande gekommen!)


    Die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosen-
    hilfe ist eine Härte, ja. Aber gleichzeitig hat diese Maß-
    nahme natürlich Möglichkeiten geschaffen, dass viele
    Menschen wieder eine Arbeit aufgenommen haben.


    (Zuruf von der SPD: Das war doch unsere Idee!)


    Weil Sie das alles niemals Ihren eigenen Leuten er-
    klärt haben, müssen Sie jetzt die Rolle rückwärts
    machen und wollen allen Ernstes behaupten: Wer Ar-
    beitslosengeld II bekommen will, braucht keine Vermö-
    gensprüfung mehr zu durchlaufen. Ich glaube, da sind
    Sie auf einem falschen Trip. Ich zumindest bin davon
    überzeugt, dass das falsch ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie haben es doch durchlöchert!)


    – Da nützt auch das Schreien nichts.

    Der nächste Punkt wird sein, dass Sie die Rente mit 67
    rückgängig machen müssen, weil aufgrund Ihrer fal-
    schen Konzepte die Möglichkeiten zur Vermittlung von
    älteren Arbeitnehmern schlechter werden.


    (Thomas Oppermann [SPD]: Wir regieren schon?)


    – Ich habe Sie nicht gebeten, ein Konzept vorzulegen.
    Sie hätten ja bei dem bleiben können, was Sie immer ge-
    sagt haben.


    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Jetzt sage ich Ihnen, was wir wollen. Von den heute
    5 Millionen Arbeitslosengeld-II-Empfängern sind unge-
    fähr 1,4 Millionen zusätzlich zu den Leistungen aus
    Hartz IV erwerbstätig. Von diesen 1,4 Millionen Men-
    schen befindet sich die übergroße Mehrzahl in Beschäf-





    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    tigungsverhältnissen unter oder bis 200 Euro. Die Zahl
    derer, die darüber hinaus dazuverdienen, wird immer ge-
    ringer. Das heißt doch nichts anderes, als dass es eine
    Barriere beim Hinzuverdienst gibt.


    (Zuruf von der SPD: Wir sind doch nicht in der Schule!)


    Am Anfang ist die Abzugsrate gleich null; man kann
    hinzuverdienen. Über diesen Betrag von 200 Euro hi-
    naus ist die Abzugsrate so hoch, dass es bei Verdiensten
    über 150 Euro praktisch überhaupt keinen Unterschied
    mehr macht,


    (Thomas Oppermann [SPD]: Sind Sie sicher, dass Ihnen Ihre Leute folgen können?)


    insbesondere bei Familien mit mehreren Kindern, ob sie
    etwas verdienen oder ob sie nichts verdienen und
    Hartz IV bekommen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Sie haben Ihre Leute nicht überzeugt!)


    Deshalb haben wir gesagt: Wir müssen die Hinzuver-
    dienstgrenzen verändern, und zwar so, dass sie einen
    Anreiz bieten, in Arbeit zu kommen. Wir sind der Mei-
    nung: Diejenigen, die sowohl Arbeitslosengeld II bezie-
    hen als auch etwas hinzuverdienen, sind auf einem bes-
    seren Weg, eine Arbeit zu finden, als die, die gar nichts
    hinzuverdienen. Das ist unser Ansatz.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie verstehen es nicht!)


    Man kann den Unterschied ganz klar benennen. Wir
    wollen den Menschen helfen. Dafür sind die Eingliede-
    rungstitel und viele andere Instrumente in der Bundes-
    agentur geschaffen worden.


    (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Sie sperren!)


    – Sie sagen wenigstens „sperren“.


    (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 900 Millionen!)


    Manch einer sagt einfach nur „kürzen“.


    (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sperre plus Zeit ist Kürzung!)


    Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales wird ein
    Programm vorlegen. Dann werden die Mittel entsperrt
    und stehen zur Verfügung. Das ist überhaupt kein Pro-
    blem. Wir müssen dafür sorgen, dass mit dem Geld, das
    wir für die ausgeben, die Arbeitslosengeld II beziehen,
    und sie in Beschäftigung bringen soll, wirkliche Folge-
    beschäftigung entsteht, anstatt einen öffentlichen Ar-
    beitsmarkt zu manifestieren und zu zementieren, der uns
    am Schluss nur etwas kostet und nichts bringt. Es ist der
    Mühe wert, dass man das versucht.


    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich spreche darüber so ausführlich, weil sich genau
    hier unterschiedliches Denken im Hause manifestiert.


    (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das stimmt! – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Dumpinglohn! – Joachim Poß [SPD]: Miss Dumpinglohn!)


    Wenn wir die Struktur dieses Bundeshaushaltes mittel-
    fristig ändern, wird das dazu führen, dass wir die Ren-
    tenzuschüsse und die Gesundheitskosten, die wir als
    Steuermittel im Wesentlichen für die Kinder in das Ge-
    sundheitssystem gegeben haben, nicht kürzen.


    (Thomas Oppermann [SPD]: In die Kopfpauschale! Nicht für die Kinder!)


    Dann werden wir sehen, dass mehr Menschen in Arbeit
    kommen und von diesem Block der 40 Milliarden Euro
    weniger ausgegeben werden muss, weil diese Menschen
    wieder Arbeit haben.


    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)


    Auf diesem Feld können wir etwas tun. Im Übrigen
    freuen sich darüber auch die Kommunen; denn sie ge-
    ben 11 Milliarden Euro für die Kosten der Unterkunft
    aus. Jeder Euro, den sie nicht ausgeben, ist für sie eine
    massive Entlastung.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Das war die Erklärung von Miss Dumpinglohn!)


    Wenn Menschen arbeiten, dann geht es darum, dass
    sich Leistung lohnt.

    Deshalb ist unser Ansatz, bei dem sogenannten Mittel-
    standsbauch, also bei der stärksten Steigerung der Pro-
    gression, und bei der kalten Progression im steuerlichen
    Bereich für eine Entlastung zu sorgen. Es wird einfacher,
    niedriger und vor allen Dingen gerechter, damit sich
    Leistung in diesem Lande lohnt.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie haben noch gar nicht gesagt, was Sie wollen! Wann kommt denn da was?)


    Es geht natürlich um qualifizierte Arbeitsplätze. Des-
    halb haben wir in der Koalition – das spiegelt sich ja im
    Haushalt wider – einen Schwerpunkt bei Forschung und
    Bildung gesetzt, weil das die Zukunft ist. Deshalb sagen
    wir: Wir werden die Elektromobilität fördern. Am
    3. Mai 2010 wird der Kongress mit allen Akteuren statt-
    finden, damit wir eine Chance für den Technologiestand-
    ort Deutschland entwickeln.


    (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Ein Kongress! – Thomas Oppermann [SPD]: Ein Kongress! Ein Zwischengipfel! Ein Arbeitskreis! – Joachim Poß [SPD]: Nur Kommissionen, kein Regieren!)


    Deshalb werden wir auch ein neues Energiekonzept
    entwickeln.


    (Joachim Poß [SPD]: „Wir kündigen an“!)






    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    Wir sind in dieser Frage einer Meinung darin, dass es da-
    rum geht, ein Zeitalter der regenerativen Energien zu
    erreichen. Eigentlich müssten wir aber auch einer
    Meinung darüber sein, dass wir den Industriestandort
    Deutschland erhalten wollen, und das heißt immer Dreier-
    lei: Energie muss bezahlbar sein, Energie muss sicher
    sein, und Energie muss umweltverträglich sein. Das wer-
    den wir zusammenbringen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Deshalb sagen wir: Die Kernenergie ist eine Brücken-
    technologie, aber die Länge der Brücke richtet sich da-
    nach, dass wir diese drei Dinge miteinander verbinden
    können.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Herr Steinmeier, ich bin schon ein bisschen erstaunt.
    Die deutschen Stromversorgungsnetze haben sich nun
    60 Jahre lang in privater Hand befunden. Jetzt ist es so,
    dass das Eigentum auch aufgrund von Anordnungen der
    Europäischen Union von Vattenfall, einem Unterneh-
    men, das schwedischer Natur ist, hin zu einem belgi-
    schen Unternehmen wandert, das schon eine Vielzahl
    von Stromnetzen betreibt und von dem nichts Ehrenrüh-
    riges bekannt ist. Das ist genauso wie bei anderen, die
    ihr Elektronetz an ein niederländisches Staatsunterneh-
    men verkauft haben. Sind wir nun in einem europäischen
    Binnenmarkt, oder sind wir es nicht? Polemisieren wir
    gegen belgische Firmen, nur weil sie keine deutschen
    sind, oder machen wir das nicht?


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Darum geht es doch nicht!)


    Von der Idee einer Reverstaatlichung des deutschen
    Stromnetzes halte ich ehrlich gesagt gar nichts. Wir müs-
    sen natürlich vernünftige Ausbaubedingungen erreichen.


    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)


    Dafür müssen wir vernünftige Investitionsbedingungen
    schaffen und dafür sorgen, dass man eine Hochspan-
    nungsleitung bauen kann, ohne dass das Genehmigen
    zehn Jahre dauert und ohne dass die Erdkabel so viel
    Geld verschlingen, dass man überhaupt nicht mehr zu
    Potte kommt.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Das sind die wichtigen Aufgaben, aber das hängt nun
    wirklich nicht davon ab, ob das Unternehmen schwe-
    disch oder belgisch ist, sondern das hängt von ganz an-
    deren Dingen ab.

    Wir werden die Gesundheitsforschung weiter nach
    vorne bringen. Wir haben bereits ein Zentrum für De-
    menzkranke in Bonn gegründet. Eine wissenschaftliche
    Bündelung aller – –


    (Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


    – Ich weiß nicht, ob Herr Müntefering da ist. Er hatte
    wenigstens, als wir noch gemeinsam regiert haben, so
    viel Vernunft, zu sagen, dass wir Leuchttürme brauchen.

    (Joachim Poß [SPD]: Wir haben doch gar nichts gesagt jetzt!)


    – Nein, nein, Sie müssen einfach einmal in die Reihe
    hinter sich schauen. Es sind nicht alle so vernünftig wie
    Sie, Herr Poß.


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)


    Ich verstehe Sie ja. Das ist ein Zentrum in Bonn und des-
    halb in Nordrhein-Westfalen. – Wir brauchen also
    Leuchttürme, mit denen den Menschen gezeigt wird,
    wofür Forschung und Entwicklung gut sind, und bei ei-
    ner alternden Gesellschaft ist es allemal gut, wenn
    Deutschland im Gesundheitsbereich eine Spitzenposi-
    tion auf der Welt hat. Wir haben auch das Zeug dazu,
    und die Bundesregierung fördert das.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Natürlich ist es wichtig, dass unsere Unternehmen mit
    Krediten versorgt werden – insbesondere der Mittel-
    stand. Deshalb gibt es die Kreditversorgung über den
    Wirtschaftsfonds, und deshalb haben wir auch – der
    Bundeswirtschaftsminister hat das getan – einen Kredit-
    mediator eingesetzt, der seine Arbeit aufgenommen hat.


    (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein schönes Pöstchen!)


    – Sie wissen, dass bei solchen Dingen gilt: Wenn Sie sie
    gemacht hätten, dann fänden Sie es ganz toll, weil wir
    sie machen, finden Sie es einfach nicht toll. Der Kredit-
    mediator wird seine Arbeit machen, der Mittelstand wird
    es ihm danken.


    (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Steuerzahler auch, der es finanzieren soll!)


    Wir sprechen wieder darüber, wenn sich die Sache gut
    entwickelt hat.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Klingt nicht sehr überzeugend!)


    Ich sage Ihnen auch: Wir werden eine Politik fördern,
    mit der die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gestärkt
    wird. Ich glaube nicht, dass wir in der Europäischen
    Union, wenn wir über eine Wirtschaftsregierung reden,
    was ich für richtig halte, die Diskussion so führen soll-
    ten, dass man sich danach richtet, wer am langsamsten
    ist, sondern beim Benchmarking muss geschaut werden,
    wer am schnellsten und am besten ist.

    Ich sage auch ganz deutlich, wo Deutschland Schwä-
    chen hat. Wir haben von der OECD eine hohe Abgaben-
    last im Niedriglohnbereich attestiert bekommen. Da ha-
    ben wir Schwächen. Darüber müssen wir nachdenken.
    Aber wir werden unsere Stärken nicht aufgeben, weil
    von unseren Exportgütern mehr gekauft wird als von de-
    nen anderer Länder. Das wäre die falsche europäische
    Antwort auf die Wettbewerbsfähigkeit unseres Konti-
    nents.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lieber handeln statt diskutieren!)






    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    Sicherlich ist die schwierigste Herausforderung, vor
    der wir stehen, die Veränderung des Altersaufbaus. Am
    Ende des Jahrzehnts, das jetzt begonnen hat, wird es
    3 Millionen mehr ältere Beschäftigte geben. Die Zahl
    der Beschäftigten im Verhältnis zu Rentnern und Kin-
    dern wird sich dramatisch verändern, und zwar von
    heute 65 Rentnern und Kindern im Verhältnis zu 100 Be-
    schäftigten auf 84 Rentner und Kinder im Verhältnis zu
    100 Beschäftigten. Das alles muss erarbeitet werden.
    Außerdem wird die Zahl der Schulabgänger sinken. Des-
    halb ist es so wichtig, dass das Thema des Zusammen-
    halts unserer Gesellschaft ganz oben auf der Tagesord-
    nung steht.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht ja den Schuldenberg so gefährlich!)


    Ich habe mir im Allensbacher Jahrbuch angesehen,
    was die Menschen auf die Frage, was sie unter einer
    gerechten Gesellschaft verstehen – wir sind uns, glaube
    ich, einig, dass Gerechtigkeit die Voraussetzung für den
    Zusammenhalt ist – und ob es ihrer Meinung nach in der
    Wirtschaft gerecht zugeht, antworten. In den letzten Jah-
    ren ist eine erschütternde Entwicklung zu erkennen. In
    den neuen Bundesländern war es leider immer so, dass
    eine übergroße Mehrheit gesagt hat: In der Wirtschaft
    geht es nicht gerecht zu.


    (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist Erfahrung!)


    Das hat sich in 20 Jahren eigentlich nicht geändert. In
    den alten Bundesländern gab es über viele Jahrzehnte ein
    Auf und Ab. Es herrschte aber immer ein ungefährer
    Gleichstand zwischen „gerecht“ und „nicht gerecht“.

    Seit den Jahren 2004 bzw. 2005 und ganz besonders
    seit der Finanzkrise hat sich der Abstand zwischen den-
    jenigen, die sagen, dass es in der Wirtschaft gerecht zu-
    geht, und denjenigen, die sagen, es gehe ungerecht zu,
    auf 58 Prozent vergrößert. Wenn die Akzeptanz der so-
    zialen Marktwirtschaft erhalten werden soll, dann muss
    diese Lücke wieder geschlossen werden, sowohl in Ost-
    deutschland als auch in Westdeutschland. Das ist meine
    feste Überzeugung.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Wenn man die Menschen fragt, was sie für gerecht hal-
    ten, dann sagen sie als Erstes – und zwar mit weitem Ab-
    stand; es sind insgesamt 83 Prozent –: gleiche Chancen
    für gute Schulbildung. Die Bildung ist das Thema, das
    die Menschen am meisten berührt. Als Zweites, auch das
    ist interessant, sagen sie – zu etwas über 60 Prozent –:


    (Joachim Poß [SPD]: Da ist Lohndumping die richtige Frage!)


    dass der Staat für ein Existenzminimum sorgt und nie-
    mand in Not gerät. Ungefähr genauso viele Menschen
    sind der Meinung, dass Leistung sich lohnen muss. Das
    heißt: Wer mehr leistet, muss auch mehr davon haben.
    Das sind die zwei Seiten der Medaille.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Mit diesen drei Prioritäten – Arbeitsmarkt, Grund-
    sicherung und Bildung – reagiert die christlich-liberale
    Koalition also ganz gezielt auf die Wünsche der Men-
    schen. Daran werden wir weiter arbeiten. Das ist es, was
    uns interessiert.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Lohndumper!)


    Wir werden natürlich auch das Bundesverfassungs-
    gerichtsurteil zu den Hartz-IV-Sätzen umsetzen. Da-
    rüber möchte ich heute aber nicht weiter sprechen.


    (Widerspruch bei der LINKEN)


    Das ist einfach nicht möglich, weil die Statistiken noch
    nicht ausgewertet sind. Ich möchte wiederholen, was die
    Bundesministerin gesagt hat: Klar ist schon heute, dass
    wir für die Bildung der Kinder mehr Geld ausgeben wer-
    den. Wir werden es aber so tun, dass es bei den Kindern
    ankommt. Sachleistungen sind also nicht ausgeschlos-
    sen. Denn wir wollen, dass das Geld den Kindern zugu-
    tekommt. Genau darauf werden wir hinarbeiten.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Um das 7-Prozent-Ziel für die Bildung zu erreichen,
    haben wir den Ländern bereits in Aussicht gestellt, dass
    wir seitens des Bundes bis 2015 die Lücke von mindes-
    tens 13 Milliarden Euro mit einer Quote von 40 Prozent
    füllen werden; normalerweise geben wir 10 Prozent da-
    für aus. Wir sagen aber: Es ist ein so wichtiges gesamt-
    gesellschaftliches Anliegen, dass der Bund bereit ist,
    sich an dieser Stelle mehr zu engagieren und die Bil-
    dungspolitik im ganzen Land dadurch zu verbessern.


    (Zuruf von der SPD: Wie denn konkret?)


    Wir werden den Nationalen Integrationsplan weiter-
    entwickeln. Wir haben bereits gezeigt, dass wir für die
    Familien etwas tun. Der Ausbau der Kleinkinderbetreu-
    ung wird weitergehen. Das Kindergeld und die Kinder-
    freibeträge sind erhöht worden. Deshalb ist das eine ver-
    nünftige Sache.

    Außerdem werden wir auch über die Vorschläge der
    Bundesfamilienministerin zu reden haben, was Pflegezeit
    anbelangt. Denn das Thema Pflege wird uns in der nächs-
    ten Zeit in besonderer Weise beschäftigen. Es ist etwas,
    was die Menschen zutiefst bewegt. Ich sage Ihnen – ich
    habe darüber auch mit den Arbeitgebern gesprochen –:
    Wir sollten hier wirklich neues Denken anwenden. Es
    wird in Zukunft schwierig sein, qualifizierte Arbeitskräfte
    zu bekommen. Das wird sich über die nächsten Jahre in
    ganz anderer Weise entwickeln. Die Bereitschaft der Un-
    ternehmen, freiwillig etwas zu tun, wird an vielen Stellen
    wachsen, weil man Beruf und Familien viel besser ver-
    binden muss.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas zu den
    schrecklichen Fällen von sexuellem Missbrauch sagen,
    von denen wir jeden Tag hören und von denen wir erfah-
    ren. Ich glaube, wir sind uns alle einig: Sexueller Miss-
    brauch an Kindern und an Schutzbefohlenen ist ein ver-
    abscheuungswürdiges Verbrechen. Es gibt nur eine





    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    Möglichkeit, dass unsere Gesellschaft mit diesen Fällen
    klarkommt: Das ist Wahrheit und Klarheit über alles,
    was passiert ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich glaube, jedem ist bewusst, dass das Leben der
    Menschen, die so etwas erlebt haben, anders verläuft, als
    wenn sie das in jungen Jahren nicht erlebt hätten. Das
    begleitet sie ein ganzes Leben. Völlige Wiedergutma-
    chung wird und kann es nicht geben. Es hat keinen Sinn,
    es auf eine Gruppe zu beschränken, auch wenn uns die
    ersten Fälle sozusagen aus dem katholischen Bereich zu
    Ohren gekommen sind. Es ist etwas, das sich in vielen
    Bereichen der Gesellschaft ereignet hat, und es ist vor al-
    len Dingen auch etwas, das sich heute teilweise in ande-
    rer Form, aber mit gleichen Folgen weiter ereignet.

    Deshalb bin ich froh, dass die drei Ministerinnen Frau
    Leutheusser-Schnarrenberger, Kristina Schröder und
    Annette Schavan gemeinsam ein Gesprächsforum mit
    den Betroffenen bilden, mit denjenigen, von denen diese
    Fälle bekannt werden, und dass man sowohl in die Ver-
    gangenheit als auch in die Zukunft blickt.

    Aber lassen Sie uns die Sache nicht zu einfach ma-
    chen. Man muss über Verjährung sprechen. Man kann
    über Entschädigung sprechen.


    (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann über Entschuldigung sprechen! Mit dem Papst zum Beispiel!)


    Aber insgesamt kommt es darauf an – das ist eine Be-
    währungsprobe für unsere ganze Gesellschaft –, dass
    Menschen, die so etwas erfahren haben, sich in dieser
    Gesellschaft wieder anerkannt und aufgehoben fühlen
    und wenigstens das Stück Wiedergutmachung bekom-
    men, was man im Nachhinein noch schaffen kann.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Meine Damen und Herren, wenn wir über die Verän-
    derung des Altersaufbaus unserer Gesellschaft sprechen,
    dann sind die sozialen Sicherungssysteme sicherlich der
    Punkt, an dem die größte politische Arbeit zu leisten ist.
    Mit der Rente haben wir Zukunftsvorsorge getroffen. Da
    wird die politische Kraft darin bestehen, alle Faktoren,
    die die demografische Veränderung widerspiegeln, auch
    in den nächsten Jahren umzusetzen. Es ist nicht einfach,
    wenn die Rentnerinnen und Rentner in diesem Jahr eine
    Nullrunde haben.


    (Zuruf von der LINKEN: Wohl wahr!)


    Das trifft die Menschen zwar nicht einfach so – eigent-
    lich wäre es weniger gewesen –, aber trotzdem ist auch
    eine Nullrunde nicht einfach. Umso zufriedener bin ich,
    dass auch die Tarifabschlüsse moderat waren, weil wir
    daran sehen, dass es insgesamt eine schwierige Zeit ist.


    (Joachim Poß [SPD]: Das ist aber eine krause Logik!)

    Ich sage Ihnen auch ganz klar: Wir werden uns auch
    melden, wenn Unternehmensführer sich in einer solchen
    Zeit zum Teil in absurder Art Gehaltssteigerungen gön-
    nen, die von keinem anderen in dieser Gesellschaft nach-
    vollzogen werden können.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Deshalb ist vielleicht der Gesundheitsbereich derje-
    nige, in dem die meiste Arbeit zu leisten ist. Ich habe ei-
    gentlich nur eine Bitte, nämlich dass Sie von der Opposi-
    tion wenigstens nicht dauernd Dinge behaupten, die
    einfach nicht stimmen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Es ist nicht fair, einfach irgendetwas zu behaupten.


    (Bettina Hagedorn [SPD]: Was denn?)


    Die kostenlose Mitversicherung der Ehepartner wird
    weiter gewährleistet sein. Die Versicherung der Kinder
    wird, wenn Sie es so rechnen, inzwischen im Wesentli-
    chen aus dem Steuertopf bezahlt. Wir waren uns doch ei-
    nig, dass der steuerliche Ausgleich gerechter ist als der
    soziale Ausgleich über Beiträge. Das wissen Sie doch al-
    les.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Warum soll für einen Erwachsenen falsch sein, was für
    ein Kind richtig ist?

    Gerade die SPD müsste doch sagen: Diejenigen, die
    viel verdienen, müssen das meiste zum Sozialausgleich
    in einem so sensiblen Bereich wie dem Gesundheitswe-
    sen beitragen. Das tun Sie aber nicht.


    (Widerspruch bei der SPD)


    Sie fangen an, auf eine ganz unverantwortliche Weise ir-
    gendetwas zu behaupten, was überhaupt nicht stimmt. Es
    gibt heute einen Sozialausgleich im Gesundheitssystem,
    und der erfolgt automatisch. Es wird auch später einen
    Sozialausgleich im Gesundheitssystem geben. Es geht
    im Augenblick nur um die Aufwüchse.


    (Zurufe von der SPD)


    – Hören Sie zu! – In jeder Legislaturperiode – das war
    bei Ihnen so, das war bei uns so, und das wird auch wei-
    ter so sein – steigen die Beiträge, wenn wir es geschickt
    machen, um ungefähr 1 Prozentpunkt und sonst um
    1,5 Prozentpunkte. Sie haben keine Antwort auf die
    Frage, was man tun kann, um fortwährend steigende
    Lohnzusatzkosten zu vermeiden.


    (Thomas Oppermann [SPD]: Bürgerversicherung! Ist doch klar!)


    – Herr Oppermann, Sie sind viel zu intelligent, um nicht
    zu wissen, dass auch eine Bürgerversicherung einen Ar-
    beitgeberanteil benötigt, der dann dauernd steigt und die
    Lohnzusatzkosten erhöht.

    Wenn Sie nicht wollen, dass über den Druck der Wirt-
    schaftlichkeit – weil die Gesundheitskosten an die Ar-
    beitskosten gekoppelt sind – nicht mehr jeder Mensch





    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    die Gesundheitsversorgung bekommt, die er eigentlich
    bekommen müsste, dann müssen Sie eine Entkopplung
    von den Lohnkosten für die Aufwüchse, die sich im Ge-
    sundheitswesen ergeben, hinbekommen. Ich sage: für
    die Aufwüchse!


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Es ist immer schade, wenn sich Illusionen zerstreuen.
    Auf jeden Fall wird es dann genauso einen sozialen Aus-
    gleich geben. Die Aufwüchse werden von den Arbeits-
    kosten entkoppelt. Das ist ein richtiger Schritt dieser Ko-
    alition. Dabei werden wir den Gesundheitsminister
    unterstützen, sofern er überhaupt Unterstützung braucht.
    Er ist ja in seinen eigenen Aussagen ganz selbstständig.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Es ist richtig, dass die Gesundheitskommission heute
    ihre Arbeit aufnimmt.

    Genauso ist es richtig, dass der Bundesfinanzminister
    eine Gruppe zur Zukunft der Kommunalfinanzen, an
    der Sie über Ihre Länder Gott sei Dank mitarbeiten, ein-
    gerichtet hat. Es reicht doch nicht, einen Schutzschirm
    für die Kommunen aufzubauen, wie Sie es fordern. Das
    ist vielleicht etwas, das den Kommunen in einer Krise
    hilft. Aber langfristig sind die Kommunen in einem Zu-
    stand, wo die Finanzierung nicht auf Nachhaltigkeit be-
    ruht. Zwischen 2000 und 2008 sind in den Kommunen
    die Sozialausgaben um 50 Prozent gestiegen und die
    Baukosten um 20 Prozent eingebrochen. Dieser Weg
    muss umgekehrt werden. Da brauchen wir eine Trend-
    wende. Ansonsten wird es keine kommunale Politik
    mehr geben, die selbsttätig arbeiten kann und an der sich
    die Menschen aus Lust ehrenamtlich beteiligen. Wir
    wollen das. Deshalb stellen wir uns dieser Aufgabe. Man
    kann nicht vom ersten Tag an sagen, was alles nicht geht,
    sondern man muss überlegen, was geht; denn die Kom-
    munen sind die Grundlage des Lebens der Menschen in
    diesem Land.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Natürlich dürfen wir uns nicht nur um den Zusam-
    menhalt kümmern, sondern müssen auch zur Kenntnis
    nehmen, dass die Globalisierung fortschreitet und dass
    wir unsere Art, zu leben, die soziale Marktwirtschaft und
    ihre Prinzipien, nur durchsetzen können, wenn es uns ge-
    lingt, die Globalisierung menschlich zu gestalten. Da
    sind allen voran die Finanzmarktregeln nach den Exzes-
    sen auf den Finanzmärkten zu nennen. Ich will hier in
    Erinnerung rufen: Einiges ist geschehen. Es hat keinen
    Sinn, dauernd so zu tun, als ob gar nichts geschehen
    wäre. Wir haben verbesserte Vorschriften über die Ei-
    genkapitalbasis der Banken. Wir haben einen Kabinetts-
    beschluss zu den Ratingagenturen, der jetzt beraten wird
    und mit dem eine europäische Richtlinie umgesetzt wird.
    Es wird klargestellt, dass Unternehmen nicht mehr
    gleichzeitig beraten und Produkte bewerten dürfen; das
    ist dringend notwendig.

    Wir haben eine neue Bankenaufsicht – die Verhand-
    lungen darüber sind in Europa weit fortgeschritten –, mit
    der systemische Risiken europaweit besser überwacht
    werden können. Wir werden im Sommer einen Vor-
    schlag vorlegen, aus dem hervorgeht, wie die Aufsichts-
    funktionen in Deutschland gebündelt werden können.
    Wir wissen heute, dass es wichtig ist, dass Emittenten
    bei besonders riskanten Produkten, zum Beispiel bei
    Verbriefungen, einen Teil des Risikos in der eigenen Bi-
    lanz behalten müssen. Wir haben auch für die Entloh-
    nung von Bankern neue Regeln aufgestellt, die dem-
    nächst im Kabinett beraten werden. Wir werden in
    baldiger Zukunft einen Kabinettsbeschluss fassen, aus
    dem hervorgeht, wie wir es schaffen, die Abwicklung
    und Restrukturierung von Banken sicherzustellen, damit
    nicht wieder der Effekt eintritt, dass der Staat die Banken
    retten muss, wenn sie in eine Krise geraten. Die Banken
    sollen das selbst tun. BMJ und BMF arbeiten daran. Wir
    werden – das wurde in der G-20-Gruppe verabredet – im
    Juni Vorschläge vom IWF zur Beantwortung der Frage
    bekommen, wie man die Banken besser an den Kosten,
    die sie verursacht haben, beteiligen kann.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Auf diese Vorschläge warten wir, weil wir das internatio-
    nal so verabredet haben. Es ergibt nämlich keinen Sinn,
    wenn wir in Deutschland so tun, als könnten wir das
    irgendwie erreichen. Sie haben heute Herrn Brown zi-
    tiert. Ich arbeite gut mit Gordon Brown zusammen, aber
    seine einmalige Besteuerung von Boni war nur halb so
    sinnvoll wie die Hedgefondsregulierungen, die wir ge-
    rade beraten und denen Großbritannien jetzt zustimmen
    sollte. Darum müssen wir kämpfen, und dafür erwarte
    ich Unterstützung.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Wir haben gesehen, dass wir in dieser Krise nicht nur
    Banken retten müssen, sondern dass jetzt auch im Euro-
    Raum eine schwierige Situation eingetreten ist, was Grie-
    chenland anbelangt. Es war richtig, dass sowohl Nicolas
    Sarkozy als auch der Ministerpräsident Papandreou, Jean-
    Claude Juncker und ich die Kommission aufgefordert
    haben – das geht nur europaweit –, die Finanzrichtlinie
    so zu ändern, dass die sogenannten nackten Credit De-
    fault Swaps, bei denen man Wetten auf etwas abschlie-
    ßen kann, das man nicht besitzt, verboten werden.
    Wolfgang Schäuble hat gestern zu den Leerverkäufen
    gesprochen. Das können wir aber nicht alleine machen.
    Wir sind in der Europäischen Union, und das fällt in de-
    ren Kompetenz. Ich denke, die Signale aus der Kommis-
    sion, dass dort etwas gemacht wird, sind richtig.

    Das darf uns aber nicht vergessen lassen, dass die grie-
    chische Lage nicht durch die Spekulanten hervorgerufen
    wurde – sie wird durch die Spekulanten verstärkt –, son-
    dern dass sie durch die langjährige Verletzung des Stabi-
    litäts- und Wachstumspakts hervorgerufen wurde.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Deshalb steht der Euro vor seiner stärksten Herausforde-
    rung, die er je zu bewältigen hatte.


    (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Karamanlis!)


    – Ich kann auch sagen, dass die Regierung Karamanlis
    daran beteiligt war. Auch deren Vorgängerregierung war





    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    schon daran beteiligt. Das hilft uns doch jetzt nicht. Wir
    müssen mit der Sache fertig werden. –


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Die Antwort können wir nur mit Blick auf die langfris-
    tige Stabilität des Euro finden. Da ist die schnelle Soli-
    daritätsleistung mit Sicherheit nicht die richtige Ant-
    wort, sondern die richtige Antwort heißt, die Sache bei
    der Wurzel anzupacken und die Probleme vernünftig zu
    lösen. Deshalb gibt es keine Alternative zu dem griechi-
    schen Sparprogramm und weiteren Anstrengungen in
    den nächsten Jahren. Ich finde es gut und richtig, und die
    griechische Regierung hat großen Mut bewiesen, jetzt
    4 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt einzusparen, um
    das Defizit in einem ersten Schritt zu senken. Die
    Märkte haben das durchaus goutiert.

    Wir müssen immer im Auge haben, dass Europa auf
    der einen Seite eine Friedensgemeinschaft ist. Deshalb
    kann in einem gemeinsamen Währungsraum – das gilt
    für alle Mitgliedstaaten, aber für die im Euro-Raum ver-
    sammelten besonders – kein Land völlig alleine gelassen
    werden. Deshalb haben wir auf dem Rat gesagt: Wir ste-
    hen natürlich insgesamt für die Stabilität des Euro ein.
    Wir können doch nicht zusehen, wie der Euro-Raum und
    damit auch unsere Grundlagen insgesamt instabil wer-
    den. Europa ist aber nicht nur eine Friedensgemein-
    schaft, sondern auch eine Stabilitätsgemeinschaft. Des-
    halb kann es nicht sein, dass wir einfach mit
    freundschaftlichen Bekundungen darüber hinweggehen,
    sondern die Erholung muss, wie ich es schon gesagt
    habe, von Griechenland ausgehen. Alles, was überhaupt
    gedacht wird, muss darauf ausgerichtet sein, dass wir
    nicht vorschnelle Hilfen leisten, sondern dass wir dafür
    Sorge tragen, dass das Ganze wieder in Ordnung kommt.
    Alles andere wäre fatal.

    Europa ist auch eine Rechtsgemeinschaft. In dieser
    Rechtsgemeinschaft gibt es einen Vertrag. Deshalb ha-
    ben die Finanzminister richtigerweise gesagt, dass alles,
    was wir tun, dem europäischen Recht und – das haben
    sie mit Bedacht hinzugefügt – dem nationalen Recht ent-
    sprechen muss; denn wir haben ganz klare Gegebenhei-
    ten, die festlegen, was man überhaupt in einer Notsitua-
    tion tun kann und was nicht. Deshalb sage ich ganz klar,
    dass nichts gemacht werden kann, was gegen nationales
    Recht verstößt. Da sind uns Grenzen auferlegt.

    Wir denken auch für die Zukunft; denn Europa ist un-
    sere eigene Zukunft. Deshalb hat Wolfgang Schäuble
    nicht für Griechenland Vorschläge gemacht, aber
    Wolfgang Schäuble hat Vorschläge gemacht, damit man
    eventuell den IWF nicht in allen Situationen rufen muss –
    was jetzt vielleicht der Ausweg sein müsste, wenn man
    etwas täte. Aber ich sage hier nichts darüber hinaus. Er
    hat Vorschläge gemacht, dass wir für die Zukunft ein
    Vertragswerk bekommen, aufgrund dessen es als Ultima
    Ratio sogar möglich ist, ein Land aus dem Euro-Raum
    auszuschließen, wenn es die Bedingungen langfristig
    immer wieder nicht erfüllt. Sonst kann man nicht zusam-
    menarbeiten.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Heute haben wir eben nicht das richtige Instrumenta-
    rium. Wir haben nicht gedacht, dass wir im Euro-Raum
    in eine Situation kommen, in der ein Land vielleicht vor
    der Zahlungsunfähigkeit steht. Die Antwort hieß damals:
    Die schärfste Sanktion ist, dass das Land Geld an die
    Kommission zahlen muss. Ein Land, das kein Geld hat,
    kann auch kein Geld an die Kommission zahlen, oder
    wir führen die Zahlungsunfähigkeit noch besonders be-
    schleunigt herbei; das wäre ja schwachsinnig. Es ist rich-
    tig, dass wir darüber hinausdenken und fragen: Wie
    müssten wir die Verträge entwickeln, damit man mit ei-
    ner solchen Situation umgehen kann? Auch bei Grie-
    chenland muss jetzt gelten, dass die Stabilitätsgemein-
    schaft im Vordergrund steht und dass wir nicht eine
    vorschnelle Hilfe leisten, die uns langfristig überhaupt
    nicht weiterbringt, sondern den Euro immer weiter
    schwächt.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Meine Damen und Herren, Europa gestalten heißt
    eben auch: Wirtschaftsregierung – ja, und zwar mit an-
    spruchsvollen Zielen und nicht mit der Frage „Wie kön-
    nen wir alle gemeinsam diese anspruchsvollen Ziele
    vielleicht nicht durchsetzen?“.

    Außerdem heißt es: Protektionismus vermeiden. Ich
    könnte hier viel dazu sagen. In den letzten Monaten hat
    der Protektionismus weltweit zugenommen. Wir sind
    mit der Doha-Runde nicht weitergekommen. Für eine
    Exportnation wie Deutschland ist das jedoch zwingend
    notwendig.

    Wir brauchen Datenschutz. Globale Digitalisierung
    ist gut. Wir brauchen aber auch den Schutz und müssen
    den Bürgerinnen und Bürgern sagen, dass die Dinge
    nicht so sind, dass Menschen auf ihre eigenen Daten gar
    keinen Zugriff haben.

    Wir müssen natürlich auch viele außenpolitische Pro-
    bleme, über die ich heute aus Zeitgründen nicht reden
    kann, in den Griff bekommen.

    Meine Damen und Herren, Deutschland ist eine tole-
    rante, eine offene Gesellschaft. Der Economist – nicht
    gerade eine Zeitung, die Deutschland immer nur in den
    höchsten Tönen lobt – hat über Deutschland in der ver-
    gangenen Woche geschrieben, dass es ein nicht nur le-
    benswertes, sondern auch ein liebenswertes und durch-
    aus auch reformfreudiges Land ist.


    (Beifall des Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP])


    Ich glaube, dass wir auf dieses Land stolz sein können,
    und das ganz besonders mit Blick auf das, was morgen
    hier in diesem Hohen Hause stattfindet, nämlich die Er-
    innerung an den 20. Jahrestag der ersten freien Wahl
    zur Volkskammer. Mit diesem Tag, dem 18. März
    1990, ist der Einigungsprozess sozusagen unumkehrbar
    geworden. Das war ein tolles Gefühl, nach Jahrzehnten
    zum ersten Mal frei wählen zu können. Davon haben da-
    mals auch 93 Prozent der Menschen in der DDR Ge-
    brauch gemacht. Auch das zeigt, wie sehr man sich da-
    rauf gefreut hat.





    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    Meine Damen und Herren, aufgrund dieser Erfahrung
    der letzten 20 Jahre bin ich optimistisch, dass wir es
    schaffen können, die Etappe, die jetzt Ost und West, das
    ganze Deutschland, gemeinsam in einem vereinten Eu-
    ropa zu gehen haben, zu einem Erfolg zu machen, über
    den unsere Enkel eines Tages einmal sagen: Mensch, das
    haben die in schwieriger Zeit gut gemacht. Aber wenn
    wir nicht zu einem Punkt kommen, an dem es uns ge-
    lingt, über notwendige Veränderungen und Weiterent-
    wicklungen in diesem Land so zu sprechen, wie es die
    Verantwortung gebietet, dann werden wir das nicht
    schaffen. Ich sage Ihnen: Die christlich-liberale Koali-
    tion ist zu dieser verantwortlichen Diskussion bereit.


    (Thomas Oppermann [SPD]: Seit wann?)


    Wir gehen mit Mut an die Arbeit.

    Herzlichen Dank.


    (Lang anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




Rede von Dr. Norbert Lammert
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

Das Wort erhält nun der Kollege Gregor Gysi für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gregor Gysi


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)


    Herr Bundestagspräsident! Meine sehr verehrten Da-

    men und Herren! Ich habe bei Ihrer Rede sehr genau zu-
    gehört, Frau Bundeskanzlerin Merkel, aber alles, was
    Sie gesagt haben, ändert nichts daran, dass sich Ihre
    Bundesregierung doch in einem ziemlich erbärmlichen
    Zustand befindet, wie ich versuchen werde, Ihnen zu zei-
    gen.


    (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


    Ich räume ja ein, auch Teile der Opposition befinden
    sich in keinem guten Zustand. Aber damit meine ich kei-
    nesfalls die Linke. Wir haben zwar auch einige Pro-
    bleme, aber im Vergleich zu den anderen sind wir doch
    topfit. Es ist alles relativ, wie Sie wissen.


    (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der SPD)


    Die Grünen wechseln gerade in das sogenannte bür-
    gerliche Lager. Wir haben das in Hamburg erlebt. Wir
    haben das im Saarland erlebt. Sie kündigen das schon für
    NRW an. Für die Bundesebene kann man auch damit
    rechnen.


    (Widerspruch des Abg. Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    – Hören Sie einmal zu! – Beim Saarland kommt noch
    eine sehr unappetitliche Käuflichkeit durch die FDP
    dazu. Das sollten Sie einmal aufarbeiten, finde ich.


    (Beifall bei der LINKEN – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Räumen Sie erst einmal mit Ihren schwarzen Kassen auf!)

    Die SPD ist dabei, ihren Standort zu suchen. Sie hat
    ihn noch nicht gefunden. Immerhin beginnen Sie von der
    SPD jetzt damit, Hartz IV zu überwinden. Sie kritisieren
    jetzt prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Nur muss man
    hinzufügen: Hartz IV ist vollständig und die prekäre Be-
    schäftigung in diesem Umfang durch eine Bundesregie-
    rung von SPD und Grünen eingeführt worden, also zu
    Ihrer Regierungszeit. Das heißt, bei SPD und Grünen er-
    leben wir Folgendes: Sie leiten unsoziale Prozesse als
    Regierung ein, um danach zu sich selbst in Opposition
    zu treten. Das ist gar kein so seltener Vorgang. Trotzdem
    muss die SPD – das will ich gerne animierend sagen –
    diesen Weg weiter gehen.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Sozialdemokratische Politik bedeutet meines Erach-
    tens, dass Hartz IV überwunden wird, dass prekäre Be-
    schäftigung überwunden wird, dass man dagegen ist,
    Rente erst ab 67 Jahren zu zahlen, dass man endlich da-
    für eintritt, die Bundeswehr unverzüglich aus Afghanis-
    tan abzuziehen. Sozialdemokratische Politiker müssten
    für Steuergerechtigkeit streiten, das heißt auch für eine
    Millionärssteuer, für eine Börsenumsatzsteuer, für einen
    höheren Spitzensteuersatz. Aber von alledem ist die SPD
    doch noch meilenweit entfernt. Ich wünsche Ihnen je-
    doch Erfolg auf diesem Weg, wenn Sie ihn denn gehen
    wollen.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Frau Kraft in NRW scheint allerdings einen anderen
    Weg zu gehen. Sie hat ja nun den Vorschlag erfunden,
    dass Langzeitarbeitslose ehrenamtlich tätig sein sollen.
    Ich frage mich: Warum immer diese Hartz-IV-Logik?
    Warum kann man Arbeit nicht einfach bezahlen? Warum
    muss man die Leute so demütigen? Ich kann das über-
    haupt nicht nachvollziehen, was dort passiert.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Aber zu Hartz IV äußere ich mich noch später.

    Herr Steinmeier, ich habe Ihrer Rede ja sehr genau zu-
    gehört. Ich muss zugeben, das hat mir auch Spaß ge-
    macht, auch aufgrund Ihrer Rhetorik. Nur eines muss ich
    Ihnen auch sagen: Ich hätte eine solche Rede so gerne
    einmal von Ihnen als Kanzleramtschef unter Kanzler
    Schröder hier im Bundestag gehört, nicht erst heute. Das
    hätte die Regierungspolitik sicherlich wesentlich verän-
    dert.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Es geht ja eigentlich um die Bundesregierung.


    (Zuruf von der SPD: Ja, wollte ich gerade sagen!)


    Da ist alles noch viel schlimmer. Lassen Sie mich zu-
    nächst einmal etwas zu den Rüstungsexporten sagen.
    Frau Bundeskanzlerin Merkel, seit 2005 hat Deutschland
    seine Rüstungsexporte verdoppelt. Wir stehen jetzt an
    dritter Stelle weltweit. Mehr Rüstungsgüter verkaufen
    nur die USA und Russland. Dann folgt Deutschland.
    Darf ich daran erinnern, dass der schlimmste Krieg des
    letzten Jahrhunderts von Deutschland ausging? Was ist
    denn eigentlich so schlimm daran, wenn wir einmal als





    Dr. Gregor Gysi


    (A) (C)



    (D)(B)

    Erster die Schlussfolgerung ziehen, zu sagen: „Wir wol-
    len an Krieg nicht mehr verdienen, wir verbieten Rüs-
    tungsexporte“? Was wäre daran so schlimm?


    (Beifall bei der LINKEN)


    Wenn wir so viele Waffen verkaufen, Frau Bundeskanz-
    lerin, können Sie überhaupt nicht einschätzen, wann und
    wo und wie sie eingesetzt werden. Ich sage Ihnen: Ich
    bin der festen Überzeugung, Kriege hören nicht auf, so-
    lange so viel an Kriegen verdient wird. Das muss unter-
    bunden werden.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Nun haben wir einen Bundesaußenminister, der auch
    FDP-Vorsitzender ist und nie genau weiß, wie er mit den
    Rollen umgehen soll. Ich lasse jetzt einmal Ihre Be-
    schimpfung der Arbeitslosen weg, Herr Westerwelle, zu-
    mal ich sowieso meine, es gibt keine Arbeitslose und
    keinen Arbeitslosen, die bzw. der je auf die Idee käme,
    FDP zu wählen. Aber damit rechnen Sie ja auch nicht.


    (Zuruf von der FDP: Das ist ein Unsinn!)


    – Nein, nein, hören Sie zu! – Aber ich sage Ihnen auch:
    Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die FDP
    wählen, passen in eine Telefonzelle.

    Aber davon einmal ganz abgesehen: Die FDP versucht
    etwas Neues, nämlich eine Lobbyistenpartei hoffähig zu
    machen. Was Sie mit den Hoteliers und der Dankesspende
    von Mövenpick gemacht haben, was Sie mit den Ge-
    schenken an die Pharmaindustrie vorhaben und wie die
    Gästeliste von Bundesaußenminister Westerwelle bei
    seinen Reisen aussieht, das alles spricht dafür, dass man
    versucht, eine Lobbyistenpartei salonfähig zu machen.

    Frau Bundeskanzlerin Merkel, Sie sagen dazu in der
    Regel nichts. Sie halten sich zurück, vergessen aber, dass
    Sie dafür mithaften.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Zum Beispiel in Bezug auf die Gästeliste könnten Sie Ih-
    rem Bundesaußenminister die Sache erleichtern, indem
    Sie eine kleine Dienstanweisung erlassen, in der steht,
    wen man mitnehmen darf und wen nicht. Wenn Sie es
    nicht schaffen, helfe ich Ihnen gerne. Ich will nur sagen:
    Das ist zu leisten.

    Im Kern geht es um eine ganz andere Frage: Wollen
    wir eine „Berlusconisierung“ der Politik in Deutschland
    oder wollen wir die nicht? Wir sind strikt dagegen. Also
    tun Sie etwas dagegen!


    (Beifall bei der LINKEN)


    Bundesminister zu Guttenberg hat zunächst erklärt,
    dass der entsetzliche Luftangriff auf Kunduz mit vielen
    toten Zivilisten, darunter auch vielen Kindern, angemes-
    sen gewesen sei. Dann hat er seinen Generalinspekteur
    und den Staatssekretär entlassen, weil sie ihn falsch in-
    formiert hätten. Dann hat er gesagt, der Angriff sei doch
    nicht angemessen gewesen, sondern unangemessen.
    Jetzt nimmt er die beiden Entlassenen wieder in Schutz.
    Ich verstehe überhaupt nicht, was in Ihnen vorgeht, Herr
    zu Guttenberg. Ihnen fehlt eine notwendige Erkenntnis:
    dass es von Anfang an falsch war, die Bundeswehr in
    Afghanistan einzusetzen. Das sollten Sie endlich einmal
    zugeben, und das muss korrigiert werden.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Frau Bundeskanzlerin, Sie haben zu Griechenland
    gesprochen. Da wundert mich eines: Wir verlangen von
    Griechenland einen knallharten Sparkurs, den wir für
    Deutschland ablehnen. Denn das ist Brüning’sche Poli-
    tik, und Sie wissen, dass Reichskanzler Brüning
    Deutschland in die größte Katastrophe geführt hat. Wa-
    rum verlangen wir eine solche Politik von Griechenland?
    Jetzt gehen die Menschen dort auf die Straße, und zwar,
    wie ich finde, völlig zu Recht. Es ist doch nicht hin-
    nehmbar, dass Sozialleistungen, Renten, Löhne usw. ge-
    kürzt werden,


    (Beifall bei der LINKEN)


    aber die Banker, die die ganze Krise verursacht haben,
    überhaupt nicht zur Verantwortung gezogen werden. Da
    stehen wir an der Seite der Bevölkerung Griechenlands.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Sehen Sie sich das einmal an: Die Großbanken zo-
    cken jetzt schon wieder mit Wetten auf die Schulden
    Griechenlands. Sie machen schon wieder Leerverkäufe.
    Nachdem die Leerverkäufe in Deutschland zwischen-
    zeitlich verboten waren, sind sie nun wieder erlaubt.
    Jetzt hat Bundesminister Schäuble gesagt, er will sie
    vielleicht doch wieder verbieten. Machen Sie es doch
    endlich! Wir brauchen keine Leerverkäufe; das ist nichts
    anderes als Spekulation.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Dann geht es um eine Abgabe der Banken, weil diese
    direkt und indirekt eine Menge davon hatten, dass der
    Staat Rettungsaktionen gestartet hat. Warum führen Sie
    die Abgabe nicht ein? Sie sagen heute, Frau Bundes-
    kanzlerin Merkel, das könne Deutschland nicht allein
    machen, sondern nur die EU als Ganzes. Wirklich? Wa-
    rum hat Schweden das dann allein gekonnt? Denn
    Schweden, ebenfalls Mitglied der EU, hat eine solche
    Abgabe schon eingeführt. Warum kann in diesem Fall
    nicht Deutschland einmal als Vorbild vorangehen? Im
    Übrigen plant auch der Präsident der Vereinigten Staaten
    von Amerika, Obama, eine solche Abgabe in den USA.


    (Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Plant!)


    Nun folgen Sie doch wenigstens Obama in dieser Frage,
    wenn Sie uns schon nicht folgen; das ist doch nicht zu
    viel verlangt.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Ackermann bekommt jetzt wieder ein Gehalt von
    10 Millionen Euro ausgezahlt. Ich gönne ihm das ja;
    aber wissen Sie, was das Problem daran ist? Das haben
    die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gezahlt. Wissen
    Sie auch, warum? Die Deutsche Bank hatte eine Milliar-
    denforderung gegenüber HRE. Wäre HRE in die Insol-
    venz gegangen, hätte die Deutsche Bank keinen Gewinn
    gemacht; ganz im Gegenteil, sie hätte schwere Verluste
    zu verzeichnen. Jetzt ist HRE verstaatlicht worden; das
    heißt, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben die





    Dr. Gregor Gysi


    (A) (C)



    (D)(B)

    Forderung übernommen und an die Deutsche Bank ge-
    zahlt. Davon bekommt Ackermann jetzt 10 Millionen
    Euro, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aber
    nichts. Das ist die Ungerechtigkeit, die wir kritisieren
    und gegen die Sie nichts machen.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Deutschland ist inzwischen der größte Niedrig- und
    Dumpinglohnsektor aller Industriestaaten. Ein Viertel
    der Beschäftigten, sagt das Statistische Bundesamt, ar-
    beitet in Deutschland zu Niedriglohn. Damit hängt zu-
    sammen, dass unsere Exporte billiger sind und die grie-
    chischen teurer. Jetzt gibt es zwei Wege: Der eine Weg
    ist, dass die Griechen ihre Löhne noch weiter senken,
    und der andere Weg ist, dass wir unsere Löhne erhöhen.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)


    Genau dagegen wehren Sie sich. Sie tun ja so, als ob die
    Gesellschaft unterginge, wenn wir das machten, was
    schon 20 Mitgliedsländer der Europäischen Union getan
    haben, nämlich einen flächendeckenden gesetzlichen
    Mindestlohn einzuführen. Genau den brauchen wir
    aber.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Davon hätten nicht nur die Griechinnen und Grie-
    chen, sondern auch unsere Beschäftigten etwas. Davon
    hätten auch – deshalb verstehe ich die FDP nicht – das
    Handwerk und die kleinen und mittleren Unternehmen
    etwas, die von der Binnenwirtschaft leben. Sie brauchen
    eine erhöhte Kaufkraft. Aber Sie verhindern dies.
    Eigentlich sind wir die Partei der kleinen und mittleren
    Unternehmen und nicht Sie. Sie tun bloß so als ob.


    (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch des Abg. Jörg van Essen [FDP])


    – Herr van Essen, wenn Sie mir das nicht glauben, dann
    glauben Sie es doch wenigstens dem Direktor des arbeit-
    gebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael
    Hüther. Auch er schlägt jetzt einen flächendeckenden
    gesetzlichen Mindestlohn vor. Er ist noch nicht bei der
    Höhe von 10 Euro, die wir vorschlagen, angekommen.
    Aber abgesehen davon kann man sagen, dass er immer-
    hin diesen Weg vorschlägt.

    Frau Bundeskanzlerin, ich habe mich gewundert, dass
    Sie von Chancengleichheit geredet haben. – Wo ist sie
    eigentlich? Ich sehe, dass sie im Moment ihre Staats-
    sekretäre betreut. Auch das ist nötig.


    (Heiterkeit bei der LINKEN)


    Ich habe mich, wie gesagt, gewundert, dass Sie, Frau
    Bundeskanzlerin, von Chancengleichheit in der Bildung
    gesprochen haben. Überall dort, wo die Union regiert,
    werden die Kinder in der Grundschule nach der vierten
    Klasse getrennt. Wer Kinder nach der vierten Klasse
    trennt, der macht nichts anderes als soziale Ausgren-
    zung.


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der FDP)

    – Einen Moment, Herr Lindner. Hören Sie zu! Frau
    Merkel und ich sind auf eine Gemeinschaftsschule ge-
    gangen. Ganz so blöde sind wir beide doch nicht gewor-
    den. Oder wollen Sie das Gegenteil behaupten?


    (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Man kann nur sehen, wie sich das unterschiedlich auswirkt!)


    Ihre Position kann ich überhaupt nicht akzeptieren.

    Ich komme jetzt zu einem anderen Thema. Ob nun
    SPD oder die Union regiert, es ist immer dasselbe:
    Meine Partei wird vom Bundesamt für Verfassungs-
    schutz beobachtet.


    (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das ist bei Ihnen auch nötig!)


    Ich kann Ihnen sagen, woran das liegt. Das liegt daran,
    dass die Mitarbeiter dieses Amtes vom Grundgesetz
    keine Ahnung haben.


    (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ja vergleichsweise harmlos zu dem, was die Bunte macht!)


    Aber wenn Sie das wollen, Herr Kauder, dann versuche
    ich, denen das Grundgesetz beizubringen. Wenn diese
    das Grundgesetz endlich verstehen würden, dann müss-
    ten sie sich eher um Sie und auch um die SPD kümmern.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Denn eines muss ich Ihnen sagen: Während der Großen
    Koalition sind so viele verfassungswidrige Gesetze
    verabschiedet worden wie noch nie zuvor in der Ge-
    schichte der Bundesrepublik Deutschland. Dazu haben
    Sie einen Hang.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Jetzt nenne ich Ihnen die Beispiele. Der Bundespräsi-
    dent hat zwei Gesetze, nämlich das Gesetz zur Privati-
    sierung der Flugsicherung und das Gesetz zur Reduzie-
    rung des Verbraucherschutzes, nicht unterzeichnet, weil
    sie offensichtlich – nicht nur verdeckt – grundgesetzwid-
    rig waren.


    (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Was hat das mit dem Verfassungsschutz zu tun?)


    Dann haben Sie eine Neuregelung zur Kilometerpau-
    schale verabschiedet. Wir haben Ihnen gesagt, das ist
    grundgesetzwidrig. Sie beide haben uns das selbstver-
    ständlich nicht geglaubt. Aber das Bundesverfassungs-
    gericht hat uns recht gegeben. Dann haben Sie die Ge-
    setze zum Vertrag von Lissabon gemacht. Wir haben
    Ihnen gesagt, sie sind grundgesetzwidrig. Sie haben uns
    das selbstverständlich nicht geglaubt. Aber das Bundes-
    verfassungsgericht hat uns recht gegeben. Dann haben
    Sie ein Vorratsdatenspeicherungsgesetz gemacht. Wir
    haben Ihnen gesagt, es ist grundgesetzwidrig. Sie haben
    uns das selbstverständlich nicht geglaubt. Aber das Bun-
    desverfassungsgericht hat uns recht gegeben. Das Glei-
    che wird übrigens mit dem Internetzensurgesetz passie-
    ren.





    Dr. Gregor Gysi


    (A) (C)



    (D)(B)

    Dann haben Sie – Sie von der Union waren nur indi-
    rekt beteiligt – ein Hartz-IV-Gesetz beschlossen. Wir ha-
    ben Ihnen gleich gesagt, das ist grundgesetzwidrig. Sie
    haben es uns nicht geglaubt. Das Bundesverfassungsge-
    richt hat es bestätigt. Glauben Sie mir: Von den Linken
    können Sie in Bezug auf das Grundgesetz eine Menge
    lernen.


    (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU)


    Passen Sie auf, jetzt kommt der Höhepunkt. Obwohl
    das Bundesverfassungsgericht so entschieden hat, tönt
    die FDP, dass sie die Aufhebung des Gesetzes nutzen
    will, um die Leistungen für Hartz-IV-Empfängerinnen
    und Hartz-IV-Empfänger zu kürzen.


    (Zuruf von der FDP: Lüge!)


    Zum Teil tönen da noch andere mit. Ich sage Ihnen: Das
    ist ein Skandal. Es dauert leider lange, bis das Bundes-
    verfassungsgericht das aufheben würde. Verabschieden
    Sie kein neues verfassungswidriges Gesetz! Fragen Sie
    uns! Wir sagen Ihnen, was im Grundgesetz steht.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Wenn wir schon bei Hartz IV sind: Sie, Frau Merkel,
    sagen, Sie wollen den Zuverdienst erhöhen. Wissen Sie,
    was Sie da anrichten? Sie sagen damit doch permanent,
    die Leute sollen faktisch unentlohnt für einen kleinen
    Zuschuss arbeiten. Davon haben nur die Unternehmen
    etwas. Ich habe Ihnen schon von dem Mann erzählt, der
    fünf Monate unentgeltlich ein Praktikum gemacht hat.
    Das nutzt natürlich diesem Unternehmen. Wollen Sie
    denn das Lohndumping immer weiter vorantreiben? Wa-
    rum können wir nicht einmal einen anderen Weg gehen:
    den Hartz-IV-Regelsatz wenigstens auf 500 Euro erhö-
    hen, eine Kindergrundsicherung machen und die demüti-
    genden Sanktionen streichen?

    Dann sollten wir neu nachdenken und Arbeit statt Ar-
    beitslosigkeit bezahlen.

    Im Vergleich mit Frankreich, Großbritannien und
    Skandinavien haben wir den kleinsten öffentlichen
    Dienst. Das spüren übrigens auch die Kommunen; da
    geht es um Lehrerinnen und Lehrer, um Kindergärtnerin-
    nen und Kindergärtner und ganz viel sonstiges Personal.
    Es geht auch um die Justiz und um die Polizei.


    (Widerspruch des Abg. Volker Kauder [CDU/ CSU])


    – Herr Kauder, wenn ich heute beim Verwaltungsgericht
    Berlin-Brandenburg eine Klage einreiche, dann be-
    komme ich den ersten Termin in zwei Jahren. Das finden
    Sie normal?


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer regiert denn da?)


    Wir brauchen in diesem Bereich mehr Beschäftigte;
    denn die Qualität der Rechtsprechung hängt auch davon
    ab, dass sie zügig erfolgt und die Leute relativ schnell
    wissen, ob sie recht oder unrecht hatten.


    (Beifall bei der LINKEN – Otto Fricke [FDP]: Nur, dass das Ländersache ist!)

    Da müssen wir neu nachdenken. Wir müssen den öf-
    fentlichen Dienst erweitern, und wir brauchen einen öf-
    fentlich geförderten Beschäftigungssektor, wie es ihn in
    Berlin gibt und wie er in Brandenburg geplant ist. In
    Berlin gibt es schon 7 600 entsprechende Stellen. Diese
    Leute verdienen wieder Geld, sie zahlen wieder Lohn-
    steuer und Beiträge in die Sozialkassen ein. Außerdem
    sparen wir auf der anderen Seite die Auszahlung von
    Hartz IV. Was ist denn daran so schlimm? Sie machen
    etwas Vernünftiges und werden dafür bezahlt. Das ist der
    richtige Weg und nicht die Bezahlung von Arbeitslosig-
    keit. Es gibt doch andere Möglichkeiten.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Jetzt lassen Sie mich noch auf einen speziellen Fall
    eingehen, der mich – und eigentlich auch Sie, Herr
    Kauder – seit August 2009 beschäftigt und uns alle dem-
    nächst beschäftigen wird. Herr Kauder und ich waren
    zusammen mit Herrn Wowereit von der SPD, mit Herrn
    Brüderle von der FDP und mit Herrn Kuhn von den Grü-
    nen bei Hart aber fair. Da trat eine Mutter auf, die sagte,
    dass sie nur teilzeitbeschäftigt ist und zusätzlich
    Hartz IV bezieht. Ihre Tochter hatte in den Ferien gear-
    beitet und sich mit dem verdienten Geld einen Traum er-
    füllt und eine Gitarre gekauft. Der Mutter wurde das
    Geld dann wieder abgezogen.


    (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie schon dreimal erzählt!)


    Alle, die in der Sendung anwesend waren, haben gesagt
    – auch Sie, Herr Kauder –, dass das korrigiert werden
    muss. Wir haben dann im September, noch in der vori-
    gen Legislaturperiode, die Korrektur beantragt. Sie,
    meine Damen und Herren von der SPD, haben diesen
    Antrag zusammen mit der CDU/CSU abgelehnt.


    (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist die Wahrheit!)


    Die Grünen haben zugestimmt, wir haben zugestimmt,
    und die FDP hat sich der Stimme enthalten.

    Jetzt haben Sie von der SPD einen entsprechenden
    Antrag eingebracht. Ich sage Ihnen heute schon, was
    passieren wird: Wir werden zustimmen, die Grünen wer-
    den zustimmen, die Union wird dagegenstimmen, und
    auch die FDP wird dagegenstimmen. Damit machen Sie
    Politik unmöglich. Was sagen Sie denn den Leuten? Als
    Sie in der Regierungsmehrheit waren, haben Sie dage-
    gengestimmt. Wenn Sie aber in der Opposition, in der
    Minderheit, sind, stimmen Sie dafür. Die FDP hat sich in
    der Opposition der Stimme enthalten und stimmt in der
    Regierung dagegen. Was sollen die Leute damit anfan-
    gen?

    Herr Lindner hat nun in einer neuen Sendung gesagt,
    das werde bis Ende des Jahres geregelt werden. Herr
    Lindner, warum bis Ende des Jahres? Die nächsten Som-
    merferien kommen im Juli. Lassen Sie uns das doch vor-
    her regeln, damit die Kinder diesbezüglich vor den Som-
    merferien Bescheid wissen.


    (Beifall bei der LINKEN)






    Dr. Gregor Gysi


    (A) (C)



    (D)(B)

    Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt, es sei Ihnen
    gelungen, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Sie hätten
    aber auch sagen müssen, wodurch. Es ist geschehen, in-
    dem die prekäre Beschäftigung in einem Maße ausge-
    baut worden ist, das für diese Gesellschaft von größtem
    Nachteil ist. Bei der Vollzeitbeschäftigung gibt es
    1,4 Millionen Stellen weniger. Bei der Teilzeitbeschäfti-
    gung gibt es inzwischen 5 Millionen Stellen, bei Mini-
    jobs 7,1 Millionen. Die Mehrfachbeschäftigung hat sich
    verdoppelt, und die Zahl befristeter Beschäftigungsver-
    hältnisse ist – das wurde gestern in der Tagesschau ge-
    meldet – auf 2,7 Millionen gestiegen.

    Dann gibt es noch die Aufstockerinnen und Aufsto-
    cker, die Sie alle loben. Aufstockung ist doch aber eine
    Zumutung. Da arbeitet jemand Vollzeit, verdient aber so
    wenig, dass er nicht davon leben kann, und dann kommt
    der Staat und übernimmt den Rest. Das ist ein Skandal.
    Wenn der Staat den Rest übernimmt, verführt das die
    Unternehmen doch dazu, ganz niedrige Löhne zu zahlen.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Wenn jemand vollzeitbeschäftigt ist, dann hat er An-
    spruch auf einen Lohn, von dem er in Würde leben kann.
    Das ist unser Standpunkt.

    Wir haben, wie Sie gesagt haben, mit über 80 Milliar-
    den Euro die höchste Neuverschuldung, die es je gab.
    Sie haben 900 Millionen Euro für die Bundesagentur für
    Arbeit erst einmal gesperrt. Jetzt sagen Sie, diese Mittel
    würden wieder zur Verfügung gestellt. Aber erst einmal
    sind sie gesperrt. Wenn sie gesperrt blieben, hieße das,
    dass ein Drittel der Jobcenter handlungsunfähig wäre
    und 10 000 Leute entlassen werden müssten. Was sind
    da Ihre Pläne?

    Herr Bundesminister Rösler will jetzt zusätzlich eine
    Kopfpauschale von 29 Euro einführen.


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht!)


    Sie behaupten im Ernst, das Ganze sei aufgrund eines
    Steuerzuschusses sozial gerecht, wobei ich jetzt gar
    nichts dazu sagen möchte, dass Sie den Spitzensteuer-
    satz ständig senken. Aber ernsthaft zu glauben, dass eine
    Friseuse und Herr Ackermann das Gleiche für die Ge-
    sundheit bezahlen sollten, ist völlig absurd.


    (Zuruf des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ CSU])


    – Ja, das ist Ihre Idee. Für mich ist es aber ein völlig ab-
    surder Gedanke.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Nun machen Sie mit der geplanten Einführung einer
    Pauschale von monatlich 29 Euro einen ersten Schritt.
    Aber bitte fügen Sie hinzu, dass Sie den Arbeitnehmer-
    beitrag für Zahnersatz und Krankenhauskosten in Höhe
    von 0,9 Prozent des Einkommens streichen wollen.
    Stattdessen wollen Sie die 29 Euro kassieren. Das be-
    deutet für jemanden, der 1 500 Euro im Monat verdient,
    dass er rund 10 Euro mehr zahlen muss. Jemand, der
    3 700 Euro im Monat verdient, muss 5 Euro weniger
    zahlen. Es ist die alte Leier: Immer wieder wird eine
    Umverteilung von unten nach oben organisiert. Etwas
    anderes kennen Sie nicht.


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Das ist ein Zeichen der Entsolidarisierung. Mir ist es
    wichtig, hinzuzufügen: Natürlich brauchen wir eine Bür-
    gerversicherung, weil dann jede und jeder seinem Ein-
    kommen entsprechend herangezogen wird. Nur das ist
    gerecht und nichts anderes.


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Herr Bundesminister Rösler, zu Ihrem Vorhaben, die
    Arzneimittelpreise zu senken: Sie wissen doch selbst,
    dass das ein Schuss nach hinten ist; das kann nicht funk-
    tionieren. Warum organisieren Sie nicht einfach eine
    Preiskontrolle und eine Festlegung der Preise durch den
    Staat, damit die Konzerne zwar einen angemessenen Ge-
    winn erzielen, aber keine riesigen Profite machen kön-
    nen? Was wäre daran so schlimm? Jetzt sagen Sie, die
    gesetzlichen Krankenkassen sollen im Nachhinein mit
    der Pharmaindustrie verhandeln. Dabei sind die Kran-
    kenkassen in einer viel schwächeren Position als die
    Pharmaindustrie, sodass nichts dabei herauskommt, au-
    ßer dass die Pharmaindustrie nach wie vor die vollstän-
    dige Preisdominanz hat.


    (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


    Frau Bundeskanzlerin, Sie haben darauf hingewiesen,
    dass sich morgen der 18. März 1990 zum 20. Mal jährt.
    Das stimmt.


    (Heiterkeit bei der LINKEN)


    Ich habe ein paar Fragen an Sie: Frau Bundeskanzlerin,
    wann bekommen die Rentnerinnen und Rentner im Os-
    ten endlich für die gleiche Lebensleistung die gleiche
    Rente wie die Rentnerinnen und Rentner im Westen?
    Wann beantworten Sie uns diese Frage?


    (Beifall bei der LINKEN)


    Wann, Frau Bundeskanzlerin, bekommt man im Osten
    den gleichen Lohn für gleiche Arbeit und die gleiche Ar-
    beitszeit? Wann beantworten Sie uns diese Frage?


    (Beifall bei der LINKEN)


    Wann, Frau Bundeskanzlerin, ist die Arbeitslosigkeit im
    Osten nicht mehr doppelt so hoch wie im Westen? Wann,
    Frau Bundeskanzlerin, verhindern wir, dass der Osten
    den Westen nach unten zieht, wie das heute der Fall sein
    soll? Wann hört es auf, dass der Osten die Begründung
    – dies ist eine falsche Begründung – für den Sozialabbau
    im Westen ist? Wer ein vereintes Deutschland will, muss
    gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West herstellen
    und aufhören, Ost und West gegeneinander auszuspie-
    len.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Zum Schluss sage ich Ihnen: Wenn wir in dieser Ge-
    sellschaft soziale Gerechtigkeit wollen, kommen wir um
    Steuergerechtigkeit nicht umhin. Wer nicht den Mut hat,





    Dr. Gregor Gysi


    (A) (C)



    (D)(B)

    Steuergerechtigkeit herzustellen, der wird niemals in der
    Lage sein, soziale Gerechtigkeit herzustellen, sondern er
    wird immer nur begründen, weshalb dies nicht gehe und
    was alles dagegenspreche, und das zerstört diese Gesell-
    schaft. Es gab noch nie so viele Außenstehende wie jetzt.
    Es gab noch nie so viel Armut in Deutschland wie jetzt.
    Wenn Sie daran weiter arbeiten, dann zerstören Sie die
    eigenen Grundlagen, auf die Sie bauen.

    Frau Bundeskanzlerin, Sie werden verstehen: Wir
    können dem Etat Ihres Bundeskanzleramts beim besten
    Willen nicht zustimmen. Ich kann es nicht ändern.


    (Anhaltender Beifall bei der LINKEN)