Rede:
ID1703000200

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 6
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. die: 1
    5. Frau: 1
    6. Bundeskanzlerin.\n: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/30 2705 B Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . Bernd Scheelen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Drucksachen 17/605, 17/623) . . . . . . . . . Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Herbert Frankenhauser (CDU/CSU) . . . . . . . Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 2705 D 2711 A 2720 A 2725 A 2730 B 2734 C 2734 D 2735 B 2736 B 2739 A 2749 C 2749 C 2754 B 2756 C 2758 B 2759 A 2759 B 2761 A 2761 C 2763 D Deutscher B Stenografisc 30. Sit Berlin, Mittwoch, d I n h a Tagesordnungspunkt I (Fortsetzung): a) Zweite Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2010 (Haushaltsgesetz 2010) (Drucksachen 17/200, 17/201) . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung des Haushaltsaus- schusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 2009 bis 2013 (Drucksachen 16/13601, 17/626) . . . . . . . 9 Einzelplan 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt (Drucksachen 17/604, 17/623) . . . . . . . . . 2705 A 2705 B Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . . . Petra Merkel (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 2740 D 2743 B undestag her Bericht zung en 17. März 2010 l t : Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . Reiner Deutschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegmund Ehrmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Einzelplan 05 Auswärtiges Amt 2744 C 2745 C 2746 B 2747 C 2748 C 2749 B 2752 C Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . 2764 B 2764 C II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Andrej Konstantin Hunko (DIE LINKE) . . . . Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Frankenhauser (CDU/CSU) . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . . . Michael Stübgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Rüdiger Kruse (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11 Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung (Drucksachen 17/613, 17/623) . . . . . . . . . Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD) . . . Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2764 D 2765 C 2767 A 2767 C 2768 A 2769 C 2771 B 2772 D 2773 B 2774 C 2775 C 2777 A 2778 D 2780 B 2781 A 2781 B 2783 A 2784 B 2785 D 2786 C 2786 C 2788 C 2789 B 2791 D 2793 A 2794 D 2795 B 2795 B 2796 A 2796 D 2798 C 2800 C 2801 D Tagesordnungspunkt III: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Abschaffung des Finanzpla- nungsrates (Drucksache 17/983) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Fraktion DIE LINKE: Men- schenrechte in Kolumbien auf die Agenda setzen – Freihandelsabkommen EU-Ko- lumbien stoppen (Drucksache 17/1015) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Fraktion DIE LINKE: Den Schie- nenverkehr als sichere Verkehrsform er- halten und stärken (Drucksache 17/1016) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt IV: a) Erste Beschlussempfehlung des Wahlprü- fungsausschusses: zu Einsprüchen ge- gen die Gültigkeit der Wahl der Abge- ordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland am 7. Juni 2009 (Drucksache 17/1000) . . . . . . . . . . . . . . . b) – l) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59 und 60 zu Peti- tionen (Drucksachen 17/909, 17/910, 17/911, 17/912, 17/913, 17/914, 17/915, 17/916, 17/917, 17/918, 17/919) . . . . . . . . . . . . . . 12 Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Drucksachen 17/619, 17/623) . . . . . . . . . Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Volkmar Klein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Niebel, Bundesminister BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2803 D 2803 D 2804 A 2804 A 2804 B 2805 B 2805 C 2807 B 2808 B 2809 D 2810 D 2811 B 2812 B 2814 B 2816 A 2818 A 2818 A 2818 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 III Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Dirk Niebel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Niebel, Bundesminister BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Volkmar Klein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Link (Heilbronn) (FDP) . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 2819 B 2820 A 2820 C 2821 D 2823 B 2823 C 2823 D 2825 A 2826 A 2826 C 2827 C 2828 B 2828 D 2829 B 2829 D 2830 D 2831 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2705 (A) (C) (D)(B) 30. Sit Berlin, Mittwoch, d Beginn: 9
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2831 (A) (C) (D)(B) Anlage zum Stenografischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Barchmann, Heinz- Joachim SPD 17.03.2010 Bellmann, Veronika CDU/CSU 17.03.2010 Brinkhaus, Ralph CDU/CSU 17.03.2010 Burchardt, Ulla SPD 17.03.2010 Cramon-Taubadel, Viola von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.03.2010 Götz, Peter CDU/CSU 17.03.2010 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 17.03.2010 Golze, Diana DIE LINKE 17.03.2010 Körper, Fritz Rudolf SPD 17.03.2010 Kramme, Anette SPD 17.03.2010 Möller, Kornelia DIE LINKE 17.03.2010 Pflug, Johannes SPD 17.03.2010 Roth (Esslingen), Karin SPD 17.03.2010 Schäfer (Bochum), Axel SPD 17.03.2010 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 17.03.2010 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.03.2010 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Hempelmann, Rolf SPD 17.03.2010 Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.03.2010 Koch, Harald DIE LINKE 17.03.2010 Dr. Steffel, Frank CDU/CSU 17.03.2010 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.03.2010 Werner, Katrin DIE LINKE 17.03.2010 30. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 Inhalt: Redetext Anlage zum Stenografischen Bericht Anlage
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Frank-Walter Steinmeier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

    Herren! Frau Bundeskanzlerin, wir haben nicht nur Ver-
    ständnis für die Abwesenheit des Bundesfinanzminis-
    ters, sondern wir wünschen ihm auch raschen Fortschritt
    beim Heilungsprozess. Gute Besserung, Herr Schäuble,
    wünscht Ihnen die gesamte SPD-Fraktion!


    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


    Haushaltsdebatten sind besondere Debatten, selten in

    text
    Moll geführt und nie nur Debatten über Zahlenkolonnen.
    Da steht die Regierung auf dem Prüfstand, und das tut
    not, weil – mit Blick auf das, was wir in den nächsten
    Jahren zu bestehen haben – die Herausforderungen in
    der Tat gewaltig sind. Die Zweifel der Menschen in
    Deutschland, dass wir das schaffen, wachsen doch täg-
    lich; das ist doch zu spüren. Wir stecken in der tiefsten
    Wirtschaftskrise seit 1949. Das Wirtschaftswachstum
    verlagert sich in andere Teile der Welt, nach Asien etwa,
    weit weg von Europa und von Deutschland. Das Ge-
    wicht Europas in der Welt wird kleiner, und hier wach-
    sen sogar die Gegensätze zwischen den Eurostaaten.
    Viele Menschen in Deutschland fragen sich mittlerweile,

    tand hier wohl erhalten bleibt. Das alles ist
    g. Aber noch schlimmer ist: Ausgerechnet

    litik vorangehen müsste, wo Politik Ver-
    en müsste, da hat Deutschland eine Regie-
    hlungen des
    17/604 und

    ob der Wohls
    schlimm genu
    jetzt, wo Po
    trauen schaff

    rung, die nicht regiert, die keine gemeinsame Idee und





    Dr. Frank-Walter Steinmeier


    (A) (C)



    (D)(B)

    keinen gemeinsamen Willen hat. Jeder kämpft gegen je-
    den in dieser Regierung. Sie streiten sich wie die Kessel-
    flicker. Es gibt keinen, der Ordnung schafft. So schlecht
    wurde Deutschland seit Jahrzehnten nicht regiert. Wir
    verlieren Tag für Tag an Boden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Viele, die Sie gewählt haben, sind nicht nur enttäuscht
    – diese Briefe bekommen nicht nur wir von der SPD-
    Fraktion –, sondern auch entsetzt. Nach 140 Tagen Re-
    gierung haben Sie doch im Grunde genommen Ihren
    Vertrauensvorschuss schon verspielt. Das kleinkarierte
    Gezänk, das wir jeden Tag hören, geht den Menschen
    doch auf die Nerven. Die Menschen in Deutschland wis-
    sen schon jetzt, nach 140 Tagen, nicht, wovor sie eigent-
    lich Angst haben sollen: dass diese Regierung sich auf-
    löst oder dass sie im Amt bleibt. Das Schlimmste ist:
    Selbst das ist den Menschen schon egal.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Jetzt sehr ernsthaft: Glauben Sie nicht, dass Sie mit
    der SPD eine Oppositionsfraktion haben, die da scha-
    denfroh in der Ecke steht – nicht, wenn es um die Zu-
    kunft des größten Landes in Europa geht. Wir wissen,
    Deutschland regieren, das ist kein Spiel, der Kabinetts-
    saal ist kein Abenteuerspielplatz, eine Regierung ist
    keine Selbsterfahrungsgruppe. Spielen Sie nicht mit der
    Verantwortung, die Sie für dieses Land übernommen
    haben! Nehmen Sie diese Verantwortung endlich an!


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    So wie bisher, Frau Merkel, schafft diese Regierung
    kein Vertrauen, sie zerstört Vertrauen. So kann das
    nicht weitergehen. Wer soll denn in Deutschland an die
    Regierung glauben, wenn sie nach 140 Tagen ein so
    schwaches Bild abgibt? Wer soll denn glauben, dass
    diese Regierung in der Lage ist, die Macht von Banken
    und Börsen tatsächlich einzuschränken? Wer soll denn
    glauben, dass diese Regierung Wege aus der Krise be-
    schreibt? Wer soll denn glauben, dass diese Regierung
    Zukunft gestaltet angesichts des schwierigen Jahrzehnts,
    das auf uns zukommt?


    (Beifall bei der SPD)


    Meine Damen und Herren, Sie regieren noch kein hal-
    bes Jahr, und niemand glaubt Ihnen das, nicht einmal die
    eigene Wählerschaft. Das kann Sie doch nicht kaltlassen.
    Darüber kann man doch nicht mit Schulterzucken hin-
    weggehen. Das geht einfach nicht. So kann das nicht
    weitergehen!


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir sind hier doch nicht im Boxklub!)


    – Seien Sie vorsichtig, es geht hier nicht nur um Regie-
    rung, sondern es ist ein bisschen mehr, was da bedroht
    ist. Da kommt ein bisschen mehr als nur Vertrauen in die
    Regierung ins Rutschen.

    Viele sagen doch: Die Orientierung fehlt, Werte sind
    verloren gegangen. Wenn da etwas dran ist, meine Da-
    men und Herren, dann sind diese Werte vermutlich nicht
    in der Wohnküche von Arbeitslosen verloren gegangen.
    Werte erodieren nicht von unten, sondern sie erodieren
    meistens von oben. Das war schon im späten Rom so,
    Herr Westerwelle. Dekadenz war leistungsloser Wohl-
    stand saturierter Oberschichten. So war das.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Nun weiß auch ich, nicht alles, was hinkt, ist ein Ver-
    gleich, Herr Westerwelle. Aber wenn ich schon Verglei-
    che anstelle, dann hätte ich an Ihrer Stelle in den Ver-
    gleich Gier, Unvernunft, Verantwortungslosigkeit und
    Leichtfertigkeit einiger internationaler Finanzmanager in
    den Topetagen einbezogen. Je skrupelloser, je erfolgrei-
    cher – das war doch die Maxime, die einige vorgelebt
    haben. Das zerstört Werte. Das zerstört Vertrauen. Wenn
    das Vertrauen in die Gültigkeit von Regeln, wenn das
    Vertrauen in die Gültigkeit von Standards verloren geht,
    wenn da einige glauben, sich über andere stellen zu kön-
    nen, dann sinkt eben auch das Vertrauen in Politik. Dann
    sinkt das Vertrauen in Demokratie. Das geht nicht nur
    die Regierung an. Darum kümmern auch wir uns, meine
    Damen und Herren.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben jedenfalls un-
    sere Verantwortung angenommen mit einer kritischen
    und – das gebe ich zu –, wo nötig, auch scharfen Opposi-
    tionsarbeit. Wir haben die Verantwortung aus den elf
    Jahren, an denen wir an der Regierung in diesem Land
    beteiligt waren, nicht vergessen. Wir haben das gezeigt,
    etwa bei der Debatte und bei der Abstimmung über den
    Afghanistaneinsatz. Wir zeigen das bei den Gesprächen,
    die wir zurzeit über die Zukunft der Jobcenter führen.
    Wir haben Verantwortung gezeigt. Aber, Frau Merkel,
    ich frage Sie nach Ihrer Verantwortung. Sie sind verant-
    wortlich dafür, dass die Regierung ihre Aufgaben zum
    überwiegenden Teil nicht erfüllt. Es ist kaum zu ertra-
    gen, dass Sie den Eindruck erwecken, als hätten Sie da-
    mit nichts zu tun, als wäre Ihnen auch manches peinlich,
    was der eine oder andere Minister da öffentlich äußert.


    (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür muss man Verständnis haben!)


    Diese schwarz-gelbe Koalition, Frau Merkel, ist Ihre
    Koalition. Sie haben diese Koalition gewollt. Das war
    vor sechs Monaten Ihre Liebesheirat. Wir sagen Ihnen
    heute: Sie stehen vor den Trümmern einer zerrütteten
    Ehe. Das ist die ganze Wahrheit. Jeder sieht das.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)






    Dr. Frank-Walter Steinmeier


    (A) (C)



    (D)(B)

    Wenn ich mit dem einen oder anderen von Ihnen über
    die Flure gehe, dann sagt mir mancher: Herr Steinmeier,
    Sie hatten doch damals bei Rot-Grün 1998 auch
    schlechte Presse. – Ich erinnere mich sehr gut: Ja, auch
    wir hatten schlechte Presse. Aber ich würde nie sagen,
    dass schlechte oder gute Presse der Maßstab von Poli-
    tik sein darf. Rot-Grün wurde 1998 kritisiert, weil sie
    sich zu viel vorgenommen haben, zu schnell vorgenom-
    men haben, gleichzeitig gehandelt haben.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind ein Traumtänzer!)


    – Passen Sie auf! – Vieles haben Sie jetzt übernommen.

    Ich erinnere an den Streit um die Energiewende. Wo
    standen Sie bei der Einführung der Ökosteuer? Wo stan-
    den Sie beim Erneuerbare-Energien-Gesetz? Wo standen
    Sie beim Ausstieg aus der Atomenergie?


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das alles fand im ersten Jahr statt, begleitet durch die
    Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes und durch
    Initiativen zur Veränderung im Verhältnis der Ge-
    schlechter.

    Dieses Problem haben Sie nicht: zu viel, zu schnell
    und gleichzeitig. Sie haben ein anderes Problem:


    (Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!)


    Diese schwarz-gelbe Regierung hat kein einziges ge-
    meinsames Projekt, das überzeugt.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Die Union beschimpft die Liberalen als Traumtänzer.
    Die FDP erwidert der Union: Wenn ihr heimlich weiter
    Große Koalition macht, was wollt ihr dann mit uns? –
    Frau Merkel, was soll denn daraus werden? Wenn sogar
    die Beteiligten dieser Koalition die Koalition für einen
    Irrtum halten, dann ist das eben ein schrecklicher Irrtum
    für Deutschland.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das für einen Irrtum zu halten, ist ein Irrtum, genau!)


    Jetzt diskutieren wir einen Haushalt mit über
    80 Milliarden Euro Neuverschuldung. Jeder dritte Euro
    dieses Haushaltes ist schuldenfinanziert. Das ist einsa-
    mer Rekord. Das ist natürlich auch eine Folge der Fi-
    nanzkrise. Das – jetzt hören Sie zu – legen wir nicht vor-
    dergründig Ihnen oder dem Finanzminister Herrn
    Schäuble zur Last. Aber die ganze Wahrheit ist doch:
    Die Steuerzahler werden jetzt für die Gier von Banken
    und Hedgefonds zur Kasse gebeten, jeder in Deutsch-
    land mit mindestens 2 500 Euro.


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben es doch eingeführt!)

    Das ist das himmelschreiend Ungerechte. Wenn Politik
    verlorenes Vertrauen wirklich wieder zurückholen will
    – das ist auch Ihre Aufgabe, meine Damen und Herren –,
    dann müssen Sie eben jetzt als Regierung handeln. Stop-
    pen Sie das Tun der Finanzjongleure, die sich ein ums
    andere Mal auf Kosten des Gemeinwohls bereichern!


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Sorgen Sie dafür, dass das internationale Börsenkasino
    nicht weitermacht wie bisher! Sorgen Sie dafür, dass die
    Banken das billige Geld aus den Rettungspaketen an un-
    sere Mittelständler geben und nicht schon wieder für
    Zockereien missbrauchen!


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Frau Merkel, Sie haben viel geredet, aber geändert hat
    sich nichts. Das ist das, was zu beklagen ist. In der Gro-
    ßen Koalition haben wir, haben Sozialdemokraten Sie
    bei der Regulierung der Finanzmärkte gedrängt. Die
    Union hat damals auf der Bremse gestanden, und mit der
    FDP steht jetzt die gesamte Regierungsbank auf der
    Bremse. Die Banken und die Finanzmarktlobby – wir
    hören das bis nach Berlin – atmen erleichtert auf in die-
    sen Tagen. Warum das so ist, haben wir in den letzten
    Monaten oft genug gesehen: Da entwirft Gordon Brown
    in Großbritannien den Vorschlag, die Hälfte der Banker-
    boni als Steuern abzukassieren, was Frau Merkel für
    eine „charmante Idee“ hält. Aber was passiert dann?


    (Caren Marks [SPD]: Nichts! Wie immer!)


    Nichts. Dann haben wir über die Börsen- und Finanz-
    marktabgabe diskutiert. Was passierte? Weit weggescho-
    ben in die Prüfungsschleifen der G-20-Welt, vertagt – so
    würde man sagen – ad calendas graecas. Aber ich gebe
    zu: Das geht in diesen Tagen schwer über die Lippen.

    Banken und Hedgefonds haben den griechischen
    Staat mit spekulativen Kreditausfallversicherungen fast
    in den Ruin getrieben. Das hat Griechenland und – wer
    weiß – am Ende vielleicht auch den Steuerzahler in Eu-
    ropa Hunderte von Millionen Euro gekostet. Was sagt
    diese Regierung? Was sagt die Bundeskanzlerin? Das
    muss man untersuchen. – Nein, Frau Merkel, Taten sind
    jetzt gefragt. Die Krise geht weiter, solange es keine
    Ordnung auf den internationalen Finanzmärkten gibt.
    Legen Sie deshalb die Hedgefonds an die Kette! Bringen
    Sie Ratingagenturen unter Aufsicht! Verbieten Sie Leer-
    verkäufe und den spekulativen Handel mit Kreditausfall-
    versicherungen! Das muss mindestens sein in dieser Si-
    tuation.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Der Steuerzahler jedenfalls – darüber müssen wir uns
    in diesem Haus einig sein – darf nicht weiter die Zeche
    für Zocker und Spekulanten zahlen. Dafür zu sorgen, ist
    jetzt Aufgabe dieser Regierung. Wenn Sie dafür keine
    Mehrheit in der Koalition haben: Ich bin mir sicher, in
    diesem Hause haben Sie sie, Frau Merkel.


    (Beifall bei der SPD)






    Dr. Frank-Walter Steinmeier


    (A) (C)



    (D)(B)

    Ich spreche über Vertrauen. Wer Vertrauen zurückho-
    len will, der muss mit Blick auf diesen Haushalt und mit
    Blick auf eine Rekordverschuldung von 80 Milliarden
    Euro beim Sparen bei sich selbst anfangen. Diese Regie-
    rung macht das Gegenteil. Herr Fricke, Sie haben ges-
    tern hier gesprochen. Ich habe in früheren Jahren viele
    Gespräche mit Herrn Koppelin, dem für mich damals zu-
    ständigen Haushälter, und mit Herrn Westerwelle ge-
    führt. Wie haben Sie sich über jede neue Stelle aufge-
    regt, als Sie noch in der Opposition waren. Wie oft
    haben Sie von diesem Pult aus mit Ihrem dickleibigen
    liberalen Sparbuch gewedelt. 400 Sparvorschläge ha-
    ben Sie uns von diesem Rednerpult aus angekündigt.
    Das war Ihr gutes Recht. Womit Sie nicht gerechnet ha-
    ben: Das weckt Erwartungen. Jetzt sind Sie an der Re-
    gierung und nichts davon ist verwirklicht.


    (Widerspruch bei der FDP – Jörg van Essen [FDP]: Stimmt gar nicht! Das ist doch Unsinn!)


    Stattdessen 985 neue Beamtenstellen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Das ist falsch! Das stimmt nicht! Wir bauen Stellen ab! Sie sollten in den Haushalt hineinschauen! Lesen macht schlauer!)


    Sie suchen offenbar noch nach einer Überschrift für das
    schwarz-gelbe Projekt. Mir fällt nur eine Überschrift für
    dieses Projekt ein, eine Überschrift, die sich aufdrängt.
    Sie lautet „Mehr Bürokratie wagen“. Das ist Ihre Parole.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Der Finanzminister hat 417 neue Stellen. Herr
    Röttgen lässt für 2 Millionen Euro seine neue Chefetage
    planen, so habe ich gelesen. Gleichzeitig sperrt diese Re-
    gierung 900 Millionen Euro für die Qualifizierung von
    Arbeitslosen. Sie predigen öffentlich Wasser und trinken
    heimlich Wein. Sie aasen und denen, die Arbeit suchen,
    nehmen Sie das Geld weg. Das sind die Prioritäten die-
    ser Regierung.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Herr Westerwelle, ich habe Sie auf dem Parteitag der
    FDP in Siegen beobachtet. Ich habe auf der großen Lein-
    wand im Hintergrund den Slogan gesehen „Aufstieg
    durch Leistung“. Aufstieg durch Arbeit, Aufstieg durch
    Bildung und Aufstieg durch Leistung: Das sagen wir So-
    zialdemokraten nicht nur, dafür machen wir seit 150 Jah-
    ren Politik.


    (Beifall bei der SPD)


    Wir ziehen daraus möglicherweise sehr unterschiedliche
    Schlussfolgerungen. Wir sagen nämlich zusätzlich: Je-
    der, der jeden Tag zur Arbeit geht, muss von seinem
    Lohn verdammt noch mal auch leben und seine Familie
    ernähren können. Er muss herauskommen aus Armut
    und aus der Abhängigkeit vom Staat. Sie von der FDP
    und auch Teile der Union finden sich eben mit Billiglöh-
    nen ab. Der eine oder andere hält sie sogar für notwen-
    dig. Ich habe es im Koalitionsvertrag gelesen. Da sagen
    Sie: Sittenwidrige Löhne sind die Untergrenze. Sie wis-
    sen, was das im Klartext nach der geltenden Rechtspre-
    chung bedeutet. Das bedeutet 4 Euro die Stunde, und das
    bedeutet weiterhin, dass der Rest bis zur Grundsicherung
    vom Steuerzahler draufgelegt werden muss. Das ist Ihre
    Politik. Das bedeutet für die Menschen: den ganzen Tag
    arbeiten und am Ende doch keine Chance haben, aus der
    Abhängigkeit herauszukommen, also keine Unabhängig-
    keit vom staatlichen Tropf. Sie reden über den Preis der
    Arbeit, und wir reden über den Wert von Arbeit.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wer den Wert von Arbeit nicht respektiert, wer ihn miss-
    achtet, der greift das Wertegerüst einer auf Arbeit ge-
    gründeten Gesellschaft an. Deshalb war das Wort von
    der römischen Dekadenz, das Sie, Herr Westerwelle, den
    Arbeitslosen hinterhergerufen haben, nicht nur zynisch,
    sondern auch leichtfertig und gefährlich. Und ich be-
    haupte, Sie wissen das.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Ach! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Deshalb macht er es ja!)


    Wenn Ihnen an Aufstieg durch Arbeit oder Aufstieg
    durch Leistung wirklich etwas liegt, dann schaffen Sie
    die Voraussetzungen dafür, dass in diesem Lande endlich
    Mindestlöhne eingeführt werden und dass wir mehr Ar-
    beitsvermittler bei den Arbeitsagenturen bekommen.
    Schaffen Sie Perspektiven und Beschäftigungsmöglich-
    keiten für Langzeitarbeitslose, statt sie zu beschimpfen.
    Deutschland muss kein Land der Billiglöhne bleiben und
    werden. Dafür werden wir kämpfen, und zwar auch in
    der Kommission für Mindestlöhne.


    (Beifall bei der SPD – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das hätten Sie machen sollen, als Sie an der Regierung waren!)


    Wir alle wollen, dass Arbeit sich lohnt, dass Leistung
    sich lohnt, aber eben nicht nur für Hotelbesitzer und an-
    dere, sondern auch für diejenigen, die wirklich zu den
    Leistungsträgern in diesem Lande gehören, zum Beispiel
    für die Pflegekräfte, die schwer arbeiten müssen und oft
    sittenwidrig schlecht bezahlt werden. Sie haben mindes-
    tens den Mindestlohn verdient, diesen aber ganz be-
    stimmt. Da sind Union und FDP merkwürdig zurückhal-
    tend, da eiern sie herum. Sie haben diese Aufgabe an
    eine Kommission weitergegeben und schauen mit ver-
    schränkten Armen zu, wie die Sache zurzeit nicht voran-
    kommt.

    Frau Merkel, Frau von der Leyen, Frau Schröder, tun
    Sie das Nötige, damit sich Leistung für diejenigen wie-
    der lohnt, die die wirklichen Leistungsträger unseres
    Landes sind, die jeden Tag Alte und Kranke füttern, wa-
    schen und ihnen Zuwendung geben.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Sie sollten den Mut haben, zu sagen: Es geht nicht, diese
    Menschen mit einem Stundenlohn von 4 Euro abzuspei-





    Dr. Frank-Walter Steinmeier


    (A) (C)



    (D)(B)

    sen, und wenn die Kommission anders entscheiden wird,
    dann nehmen wir das nicht hin.

    Sie appellieren alle an das Gute im Menschen, an die
    menschliche Gesellschaft.


    (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut die FDP wirklich nicht!)


    Dagegen habe ich wirklich nichts; viele tun das zu
    Recht. Aber das Missverständnis in dieser Regierung ist:
    Sie haben nicht zu appellieren, Sie haben zu entscheiden.
    Das tun Sie seit Wochen nicht, auch hier nicht, und des-
    halb sind Sie die größte Nichtregierungsorganisation
    dieses Landes!


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Genauso halten Sie es in der Gesundheitspolitik. Je-
    der darf sich da im Augenblick einmal mit neuen Ideen
    ausprobieren, als hätten wir gerade in diesem Bereich
    nichts zu verlieren. Ich jedenfalls bin der Meinung, dass
    wir im europäischen Vergleich immer noch die beste me-
    dizinische Versorgung in diesem Land haben. Wir haben
    das Vertrauen der Menschen darauf, dass jeder Zugang
    zu dieser medizinischen Versorgung hat. Wir haben Ver-
    trauen darauf, dass in Deutschland die Kosten für eine
    hochklassige medizinische Versorgung fair verteilt wer-
    den. Das ist nicht wenig. Aber als wäre das nichts, darf
    jeder in der Regierung in diesem Bereich herumdilettie-
    ren. Mit solch einer Politik untergraben Sie das Ver-
    trauen der deutschen Bevölkerung.

    Wer in einer solchen Situation auf nichts anderes
    kommt, als vorzuschlagen, die Beiträge der Arbeitgeber
    einzufrieren, der weiß ganz genau, was er tut. Das heißt
    nämlich, dass alle Kostensteigerungen infolge des medi-
    zinischen Fortschritts, neuer Behandlungsmethoden und
    steigender Medikamentenpreise in Zukunft einseitig auf
    den Schultern der Versicherten ruhen. Das bricht mit
    dem Solidaritätsprinzip im Gesundheitswesen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörg van Essen [FDP]: Nichts verstanden! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Quatsch!)


    – Sie wissen das. – Das bricht mit dem guten Prinzip
    „Menschen für Menschen“, das uns in 60 Jahren Nach-
    kriegszeit in der Gesundheitspolitik stark gemacht hat.
    Sie opfern das einem Wahlversprechen. So darf man in
    Deutschland nicht Politik machen, vor allem nicht in
    diesem sensibelsten Bereich der Gesellschaft.


    (Beifall bei der SPD)


    Ich bin nicht an der Regierung, ich darf appellieren,
    und ich appelliere an Sie: Behalten Sie erstens die Ar-
    beitgeber in der Verantwortung


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)


    und fahren Sie zweitens das Gesundheitssystem durch
    die Einführung der Kopfpauschale nicht gegen die
    Wand. Dieses System ist ungerecht, das wissen Sie, und
    der Sozialausgleich ist unfinanzierbar. Aber was noch
    viel schlimmer ist: Sie wollen bis zu 30 Millionen Men-
    schen in den Sozialausgleich schicken, 30 Millionen
    Krankenversicherte zu Bittstellern machen, mit umfang-
    reichen Fragenkatalogen, Formularen und – wer hätte es
    gedacht – mit noch mehr Bürokratie.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich verspreche Ihnen: Das wird Ihnen nicht gelingen.
    Der Protest ist gewaltig, und wir haben die Bürger auf
    unserer Seite. Wir werden das verhindern.


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist eine falsche Behauptung!)


    Die Regierung hat nicht nur keine Antworten. Da, wo
    sie Antworten gibt, hat sie falsche Antworten. Sie ver-
    weigert sich den wirklich wichtigen Fragen. Die Men-
    schen stellen sich nicht die Frage: Kommen die mit-
    einander klar? Das interessiert die Menschen nicht. Die
    Menschen interessiert die Frage: Woher kommt in
    Deutschland der Wohlstand von morgen? Dazu habe ich
    von dieser Regierung noch kein vernünftiges Wort ge-
    hört, geschweige denn ein durchdachtes Konzept gese-
    hen. Das, was ich gesehen habe, ist ein Gesetz, das einen
    falschen Namen trägt. Mit dem Wachstumsbeschleuni-
    gungsgesetz wächst nichts, außer den Schulden. Sie hö-
    ren doch die Hilferufe der Bürgermeister und Oberbür-
    germeister. Sie haben das zur Kenntnis genommen und
    – wie ich den Zeitungen entnommen habe – mit Betrof-
    fenheit quittiert, mehr aber auch nicht. Zu den Einnah-
    meverlusten, die die Städte und Gemeinden haben – in
    diesem Jahr sind es bereits mehr als 10 Milliarden Euro –,
    legen Sie noch eins obendrauf. Sie helfen ihnen nicht. Im
    Gegenteil: Sie nehmen ihnen noch einmal etwas weg:
    1,6 Milliarden Euro allein durch das Wachstumsbe-
    schleunigungsgesetz und zusätzlich durch die veränderte
    steuerliche Berechnung bei Leasing und Funktions-
    verlagerung ins Ausland. Bei zukünftigen Einkommen-
    steuersenkungen können noch weitere Einnahmeverluste
    in Milliardenhöhe hinzukommen. Das geht so nicht! So
    können wir die Kommunen in Deutschland nicht alleine
    lassen. Mit uns geht das nicht.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Was ist mit dem Bürgerentlastungsgesetz?)


    Was ich nun sage, Frau Merkel, meine ich in der Tat
    sehr ernst:


    (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Jetzt wird es endlich spannend! – Hermann Gröhe [CDU/ CSU]: Sie meinen mal etwas ernst?!)


    Hören Sie genau zu. Wenn das so weitergeht – Sie ahnen
    das doch selbst auf der Seite der Opposition –,


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf: Opposition?)


    dann sind wir dabei, unsere Zukunft zu verlieren. Die In-
    vestitionen rutschen ab und der private Konsum stag-
    niert. Im letzten Aufschwung waren wir in Deutschland
    die Lokomotive in Europa. Wir haben den Zug in
    Europa gezogen, andere folgten dem. Jetzt fallen wir





    Dr. Frank-Walter Steinmeier


    (A) (C)



    (D)(B)

    aus. So sehr berechtigt es ist, dass wir sorgenvoll nach
    Griechenland blicken, so wissen wir auch, dass das, was
    sich in diesem Lande tut, für das Wachstum in Europa
    viel wichtiger ist als die Haushaltskrise und die Schwä-
    che Griechenlands.

    Wenn wir über unseren Tellerrand blicken, dann se-
    hen wir, dass sich Nordamerika erholt und Asien wächst.
    China ist Exportweltmeister. Deutschland und Europa
    fallen zurück. Wenn wir nicht aufpassen, wird uns der
    Boden unter den Füßen weggezogen, und dann haben
    unsere Kinder nicht dieselben Chancen wie wir. Das,
    meine Damen und Herren, Frau Merkel, ist das zentrale
    Problem. Kümmern Sie sich in dieser Regierung endlich
    darum! Legen Sie eine Innovationsstrategie vor, eine
    Strategie für die Leit- und Zukunftsbranchen dieses Lan-
    des, eine Strategie, wie Arbeit von morgen entsteht, eine
    Energiestrategie, mit der Sie sich nicht zum Handlanger
    der Atomwirtschaft in diesem Land machen,


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    eine Strategie, die den Ausbau der erneuerbaren Ener-
    gien beschleunigt statt zu gefährden. Das müssen die
    Prioritäten dieser Regierung sein.

    Ich füge hinzu: Rufen Sie bitte auch Ihren Wirtschafts-
    minister Herrn Brüderle zur Ordnung, der in Zeiten
    höchster Not – ich habe eben die Gründe beschrieben –
    mit einem Entflechtungsgesetz durchs Land zieht. Das
    ist gut und schön, aber was das Gesetz angeht, so verrät
    er keinem, auch nicht auf Nachfrage, was und vor allem
    wer gemeint ist. Herr Brüderle, wenn Sie die Post mei-
    nen, dann lassen Sie uns in diesem Haus doch über die
    Zukunft der Post streiten, aber laufen Sie nicht mit Über-
    schriften von Gesetzgebungsvorhaben durch die Ge-
    gend; denn keiner weiß, was die Anstrengung in diesem
    Bereich im Augenblick soll.


    (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Wir wollen die Sozis und die Linken entflechten!)


    – Herr Kauder, wissen Sie, wenn Sie das karikieren,
    dann frage ich mich: Warum treibt es Sie eigentlich nicht
    um – das werden Sie wie ich am Wochenende in den
    Zeitungen gelesen haben –, dass Vattenfall sein Energie-
    netz, sein Leitungsnetz verkaufen will? Warum treibt Sie
    das nicht um? Ich sage es Ihnen: Weil Sie nicht sehen,
    dass wir mit solchen Entscheidungen einzelner Unter-
    nehmen ein gutes Stück Zukunft in diesem Lande verlie-
    ren.


    (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Weil die EU es verlangt hat!)


    Ich habe mir in der Großen Koalition manchmal den
    Mund fusselig geredet – Sie wissen das, Sie können sich
    erinnern –, dass wir den Verkauf der Energienetze nicht
    einfach tatenlos hinnehmen dürfen,


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie haben doch zugestimmt in Europa als Außenminister! Also, so ein Unsinn!)

    dass wir sie in einer deutschen Netzgesellschaft unter
    Beteiligung des Bundes bündeln müssen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich schaue auf Peer Steinbrück: Auch der Finanz-
    minister – das ist ja keine Selbstverständlichkeit – war
    damals dieser Meinung. Wir haben beide gesehen: Das
    ist nicht irgendetwas. Das sind die Lebensadern einer in-
    dustriell geprägten Volkswirtschaft, über die wir da re-
    den, und die dürfen wir nicht einfach irgendwelchen in-
    ternationalen Finanzmarktinvestoren überlassen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Die Energiepolitiker unter Ihnen wissen das doch:
    Wenn die Integration der erneuerbaren Energien in das
    Leitungsnetz wirklich gelingen soll, dann brauchen wir
    dort Investitionen, und wir brauchen den Antrieb von In-
    genieuren, um den Übergang von den bestehenden Net-
    zen zu intelligenten Netzen, zu Smart Grids der nächsten
    Generation, wirklich zu schaffen. In der Großen Koali-
    tion war die Union dagegen. In dieser Koalition herrscht
    bei dem Thema „deutsche Netzgesellschaft“ gemein-
    schaftliches Desinteresse. Ich sage Ihnen: Auch Unter-
    lassen gestaltet Wirklichkeit neu. Sie werden das am
    Ende bitter bereuen. Eines wissen Sie doch ganz genau:
    Irgendwelche Finanzinvestoren aus dem Vereinigten Kö-
    nigreich, aus den USA oder aus Singapur werden sich
    nicht um die Zukunftsfähigkeit des deutschen Energie-
    netzes kümmern. Das glauben Sie doch selbst nicht. Sie
    tun nichts. Vom Schulterzucken müssten Sie inzwischen
    Muskelkater haben, Herr Brüderle.


    (Beifall bei der SPD)


    Das, was Deutschland jetzt braucht, ist eine kraftvolle
    Regierung, die dieses Land erneuert, deren wirtschafts-
    politische Fantasie zu mehr reicht als nur dazu, zu sagen:
    Steuersenkungen, Steuersenkungen, Steuersenkungen.
    Deutschland braucht eine Regierung, die Investitionen
    organisiert, die Zukunft baut, eine Regierung, die die
    ganze Gesellschaft im Blick hat und nicht nur die eigene
    Klientel. Davon ist diese schwarz-gelbe Regierung mei-
    lenweit entfernt. Das ist das Verhängnis dieser Zeit.


    (Beifall bei der SPD)


    Ich komme zum Schluss und sage: Frau Merkel, Herr
    Westerwelle, ich bin mir inzwischen ganz sicher, dass
    die Mehrheit der Menschen in Deutschland sagt: Diese
    Regierung hat Deutschland nicht gewollt. Und ich sage:
    Eine solche Regierung hat Deutschland auch nicht ver-
    dient.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich fordere Sie auf: Tun Sie endlich Ihre Pflicht! Brin-
    gen Sie Ordnung in den Laden! Nehmen Sie endlich Ihre
    Verantwortung wahr! Es ist jetzt wirklich Ihre Verant-
    wortung, Frau Merkel.

    Herzlichen Dank.





    Dr. Frank-Walter Steinmeier


    (A) (C)



    (D)(B)


    (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Seit fünf Jahren schon!)




Rede von Dr. Norbert Lammert
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

Das Wort hat die Frau Bundeskanzlerin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Angela Merkel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

    Steinmeier, vorweg eine Bemerkung: Die Opposition
    und speziell die SPD könnte dem gesellschaftlichen
    Klima im Lande einen guten Dienst erweisen – vielleicht
    könnten Sie ganz persönlich dafür sorgen –, wenn unse-
    rem Staatsoberhaupt, dem Bundespräsidenten, der not-
    wendige Respekt entgegengebracht wird. Das fordern
    wir.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Wir beraten heute den Haushalt, der die größte Neu-
    verschuldung des Bundes in der 60-jährigen Geschichte
    der Bundesrepublik Deutschland aufweist. 80,2 Milliar-
    den Euro Schulden bei einem Gesamtumfang des Bun-
    deshaushaltes von knapp 320 Milliarden Euro,


    (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Plus Ihre Schattenhaushalte! 130 Milliarden!)


    das bedeutet 25 Prozent Schulden, das bedeutet, jeder
    vierte Euro, den wir in diesem Jahr ausgeben, ist nicht
    durch die Einnahmen gedeckt.


    (Zuruf von der SPD: Ihr macht noch mehr Schulden!)


    Diese 80 Milliarden Euro Schulden sind genau das Dop-
    pelte der bisher höchsten Neuverschuldung des Bundes
    aus dem Jahre 1996 infolge der deutschen Einheit. Da-
    mals waren es 40 Milliarden Euro. 80 Milliarden Euro
    Schulden, das bedeutet 1 000 Euro pro Einwohner der
    Bundesrepublik Deutschland; hinzu kommen 460 Euro
    Zinsen. Das heißt, 11,5 Prozent des Bundeshaushaltes,
    ungefähr jeder zehnte Euro, muss bereits für Zinszahlun-
    gen aufgebracht werden.

    Ich sage ganz deutlich – genauso wie der Finanz-
    minister gestern –: Mit Recht machen sich die Menschen
    Gedanken über die Verschuldung. Mit Recht fragen sie
    uns alle, wenn wir in unseren Wahlkreisen sind: Was
    wird daraus? Wie werdet ihr das lösen?


    (Christoph Strässer [SPD]: Ja, wie? – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fragen wir uns auch!)


    Ich glaube, das eint uns in diesem Hause. Was uns nicht
    eint und worüber wir ja heute sprechen


    (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    – bleiben Sie doch ganz ruhig und gelassen –, sind die
    Fragen: Was tun wir, und wie tun wir es?

    (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Genau! Erklären Sie das mal!)


    Die Bundesregierung hat sich dennoch dazu entschlos-
    sen. Ich möchte mich bei den Abgeordneten der Koali-
    tionsfraktionen ganz besonders bedanken, dass sie das
    mitgetragen haben, sodass wir heute in den Grundzügen
    den Haushalt so verabschieden, wie ihn die Regierung
    vorgelegt hat.

    Ich sage im Übrigen an die SPD: Dieser Haushalt
    wird gegenüber dem Haushalt, den wir damals in der
    Großen Koalition beraten haben, drei Monate früher be-
    raten. Das zeigt, wie handlungsfähig diese Regierung
    und diese christlich-liberale Koalition in einer schwieri-
    gen Situation sind.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rekordverschuldung Handlungsfähigkeit zu nennen, ist schon frech!)


    Wenn wir uns die Struktur dieses Haushaltes an-
    schauen – auch da will ich gar nicht drum herumreden –,
    dann sehen wir, dass dieser Haushalt über 9 Prozent grö-
    ßer ist, als es in normalen Zeiten der Fall wäre. Etwa
    54 Prozent dieses Haushaltes sind Sozialausgaben. Er-
    innern wir uns: 1980 wurden 16 Prozent des Bundes-
    haushaltes für Soziales ausgegeben, 1991 20 Prozent, im
    Jahre 2000 33 Prozent. In diesem Jahr sind es 54 Pro-
    zent. Das beinhaltet etwa 80 Milliarden Euro für Rente,
    40 Milliarden Euro für das Arbeitslosengeld II und – wir
    haben etwas ganz Besonderes gemacht; das weist schon
    darauf hin, warum wir einen solchen Haushalt verab-
    schieden – auch immense Zuschüsse an die Bundesagen-
    tur für Arbeit und an den Gesundheitsfonds; diese führen
    uns genau dazu, warum wir einen solchen Haushalt ver-
    abschieden.

    Wir verabschieden einen solchen Haushalt nur aus ei-
    ner einzigen Tatsache heraus: In diesem Jahr müssen wir
    weiter eine Krise bekämpfen, die uns im vergangenen
    Jahr einen Wirtschaftseinbruch von 5 Prozent gebracht
    hat. Das sind 88 Milliarden Euro weniger Produktion in
    Deutschland, weniger Bruttoinlandsprodukt. Einen sol-
    chen Einbruch haben wir noch nie gesehen. Wir wollen
    Fehler aus der Geschichte nicht wiederholen und ver-
    nünftig darauf antworten, sodass Wachstum wieder in
    Gang kommen kann. Das ist die tiefere Ursache dieses
    Haushaltes. Dazu stehen wir aus voller Überzeugung,
    weil es für die Menschen in diesem Lande richtig ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch selber nicht!)


    Keiner von uns hat Erfahrungen mit einem solch dra-
    matischen Wirtschaftseinbruch. Die Krise hat vor 18 Mo-
    naten mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers
    begonnen. Wir können heute sagen, dass wir in diesen
    18 Monaten Wichtiges geschafft haben. Wir haben die
    Banken und den Finanzsektor stabilisieren können. Mit
    den 400 Milliarden Euro Garantien und den 80 Milliar-
    den Euro Rekapitalisierung ist das gelungen. Heute
    haben wir noch etwa 145 Milliarden Euro Liquiditäts-
    garantien – bei den Garantien gab es übrigens keine Aus-





    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    fälle –, und wir haben 28 Milliarden Euro Eigenkapital-
    hilfen.


    (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und 32 Milliarden Euro Schulden aus der Rettung, die Sie nicht erwähnen!)


    Das wird sich noch lange in die Zukunft ziehen, so
    lange, bis wir absehen können, was für einen Verlust das
    für den Steuerzahler bedeutet. Die Hilfen sind gut ange-
    nommen worden, und sie sind weltweit koordiniert ge-
    geben worden. Das hat zu einer Stabilisierung geführt.

    Mindestens genauso wichtig: Der Einbruch der Real-
    wirtschaft ist durch das, was wir machen, in seinen
    Auswirkungen gedämpft worden, nämlich durch das
    100-Milliarden-Euro-Konjunkturpaket für 2009 und
    2010 und ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das
    seinen Namen zu Recht hat,


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schuldenbeschleunigungsgesetz!)


    mit 8,5 Milliarden Euro Entlastung für Familien und vie-
    les andere.


    (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Außer Schulden nichts verschuldet!)


    Die Steuersenkungen haben wir zum Teil gemein-
    sam und zum Teil nach kontroversen Diskussionen be-
    schlossen. Wir haben für eine Entlastung von über
    20 Milliarden Euro gesorgt. Wir wissen aus den Erfah-
    rungen: 90 Prozent davon gehen in den Konsum der
    Menschen, und das ist genau der Beitrag, den wir leisten,
    um die Binnenwirtschaft nicht einbrechen zu lassen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Wir machen das, was uns die Ökonomen sagen: Wir
    lassen die automatischen Stabilisatoren wirken – das
    heißt auf gut Deutsch, die Lohnzusatzkosten steigen
    nicht an –, und wir haben die Darlehen sowohl für das
    Gesundheitssystem als auch für die Bundesagentur in
    Zuschüsse umgewandelt, was uns ein besseres Funda-
    ment im Hinblick auf die weitere Beitragsentwicklung
    gibt. Wir haben, damals noch gemeinsam, auch die Ren-
    tengarantie beschlossen, eine wichtige Maßnahme, wie
    sich jetzt herausstellt. Denn zum ersten Mal in der Ge-
    schichte der Bundesrepublik Deutschland sind die Brut-
    tolöhne im letzten Jahr gesunken.


    (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Woran das wohl liegt?)


    Hier möchte ich an das anknüpfen, was neben all den
    Maßnahmen, die wir ergriffen haben, in den letzten
    18 Monaten vielleicht das Allerwichtigste war: dass die
    Menschen gezeigt haben, was in diesem Lande steckt,
    dass Unternehmer genauso wie Arbeitnehmerinnen und
    Arbeitnehmer Verantwortung gezeigt, die Maßnahmen
    der Regierung angenommen und selbst Lohnzurückhal-
    tung geübt haben. Es war gut, dass wir für eine Flexibili-
    sierung des Arbeitsmarktes mit Arbeitszeitkonten und
    vielem anderen gesorgt haben; von all diesen Instrumen-
    ten wurde Gebrauch gemacht. Wir haben deshalb die
    Kurzarbeit aus voller Überzeugung bis 2011 verlängert.
    Wir sagen: Wir müssen in dieser Situation zusammenste-
    hen. Das zeigen die moderaten Tarifabschlüsse, das zei-
    gen unsere Maßnahmen, und so werden wir auch weiter
    durch diese Krise gehen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Das hat Wirkung gezeigt. Wenn wir uns einmal an-
    schauen, wie sich die Arbeitslosigkeit im europäischen
    Vergleich entwickelt hat, so sehen wir, dass die Arbeits-
    losigkeit bei uns im Jahre 2009 gegenüber 2008 um
    4,4 Prozent gestiegen ist, im EU-Durchschnitt allerdings
    um 36 Prozent. In Frankreich zum Beispiel ist sie um
    30 Prozent gestiegen, in den Vereinigten Staaten von
    Amerika um 70 Prozent.

    Das vielleicht Schönste ist, dass die Jugendarbeitslo-
    sigkeit bei uns um 11 Prozent gesunken ist, während sie
    im Mittel der Europäischen Union um 28 Prozent gestie-
    gen ist, in Spanien zum Beispiel um 86 Prozent. Das ist
    nichts, worauf man sich ausruhen kann. Aber das ist
    schon etwas, worauf man auch ein Stück stolz sein kann,
    und zwar wir alle gemeinsam.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Wir haben wieder leichte Wachstumsraten. Der Bin-
    nenkonsum ist im letzten Jahr nicht eingebrochen: plus
    0,2 Prozent.


    (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Auf das vergangene Jahr sind wir auch stolz!)


    In diesem Jahr sehen wir einen leichten Einbruch. War-
    ten wir aber erst einmal ab. Den Prognosen kann man ja
    auch nicht so richtig trauen. Wir konnten bislang Insol-
    venzen vermeiden. Es wird nicht einfach; aber es ist
    richtig, diesen Kurs weiter zu verfolgen.

    In den nächsten Jahren kommt eine riesige Aufgabe
    auf uns zu, eine Herkulesaufgabe. Wir müssen eigentlich
    Unvereinbares zusammenbringen: den Haushalt konsoli-
    dieren, aber zugleich Wachstum schaffen, und das Ganze
    in dem Umfeld einer Gesellschaft, deren Altersaufbau
    sich dramatisch verändert.

    Wir brauchen neues Denken, um diese großen He-
    rausforderungen bewältigen zu können.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine geistig-moralische Wende, neues Denken, ja!)


    Dazu ist die christlich-liberale Koalition bereit.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Als Erstes brauchen wir eine kluge Exitstrategie aus den
    Konjunkturprogrammen, die wir aufgelegt haben. Wir
    müssen in den nächsten Jahren – auch wegen der Schul-
    denbremse, die Deutschland als weltweit einziges Land
    eingeführt hat, mitten in der Krise – auf Konsolidie-
    rungskurs gehen.





    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)


    (Bettina Hagedorn [SPD]: Davon merken wir nichts! – Thomas Oppermann [SPD]: Mit dem Liberalen Sparbuch!)


    Wir haben schwierige Sparmaßnahmen vor uns. Ein
    strukturelles Defizit von etwa 67 Milliarden Euro wird
    in den Jahren 2011 bis 2015 abzubauen sein, damit die
    Neuverschuldung im Bundeshaushalt ab 2016 bei höchs-
    tens 10 Milliarden Euro liegt. Das heißt, wir müssen pro
    Jahr ein Defizit von 10 Milliarden Euro abbauen.


    (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Erläutern Sie einmal in Ihrem Wahlkreis, wie Sie das machen wollen!)


    Das Kabinett wird sich dieser Aufgabe stellen, und ich
    sage dem Bundesfinanzminister Unterstützung zu. Wir
    wissen, was das bedeutet. Die Erstanmeldungen für den
    Haushalt 2011 sind noch nicht so, dass wir sagen könn-
    ten: Wir haben es schon geschafft, die 10 Milliarden
    Euro einzusparen. Die Bundesregierung verpflichtet sich
    hier aber gegenüber dem Parlament, ihren Beitrag zu
    leisten.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Bei der Analyse dürften wir uns einig sein, darüber
    brauchen wir nicht mehr zu streiten. Jetzt kommen wir
    zu der Frage: Wie schaffen wir das? Neben einer klugen
    Exitstrategie brauchen wir eine kluge Wachstumsstrate-
    gie. Die Erfahrungen der Jahre 2005 bis 2009 zeigen
    doch: Die beste Wachstumsstrategie ist, möglichst viele
    Arbeitsplätze zu schaffen. Wann immer wir mehr Ar-
    beit haben, wann immer die Zahl der Arbeitslosen um
    100 000 sinkt, werden die Sozialsysteme und der Bun-
    deshaushalt um 2 Milliarden Euro entlastet. Deshalb gilt
    es, Arbeit zu schaffen und möglichst viel Beschäftigung
    hinzubekommen. Nicht nur entlastet das den Bundes-
    haushalt, sondern Arbeit ermöglicht den Menschen auch
    Teilhabe und gesellschaftliches Mitbestimmen und ist le-
    benserfüllend.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Das bedeutet, in Deutschland möglichst viel qualifizierte
    Arbeit bereitzustellen, um aus der Arbeitslosigkeit he-
    rauszukommen.

    Schauen wir uns die heutige Situation einmal an:
    5 Millionen Menschen beziehen Arbeitslosengeld II.
    Das kostet den Bundeshaushalt, wie gesagt, 40 Milliar-
    den Euro. Durch die Kosten für die Unterkunft entsteht
    den Kommunen eine Belastung von 11 Milliarden Euro.
    Wenn wir es schaffen, dass mehr und mehr Menschen
    aus dieser Situation herauskommen, dann haben wir et-
    was erreicht.


    (Bettina Hagedorn [SPD]: Das schaffen Sie nicht mit Ihrer Politik! – Roland Claus [DIE LINKE]: Warum tun Sie dann nichts?)


    – Schauen wir uns einmal an, was Sie vorschlagen: Die
    sozialdemokratische Fraktion und der ehemalige Kanz-
    leramtsminister Steinmeier sind, muss man sagen, in ei-
    nem wundersamen Wandel begriffen.

    (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das stimmt!)


    Es waren einmal 5 Millionen Arbeitslose. Sie haben Re-
    formen durchgeführt; wir haben diese Reformen im Bun-
    desrat unterstützt. Diese Reformen haben, zusammen mit
    anderen Reformen, dazu geführt, dass die Zahl der
    Arbeitslosen in den Jahren darauf unter 3 Millionen ge-
    fallen ist.


    (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Mehr Armut! Mehr befristete Beschäftigung! Mehr Leiharbeit!)


    Sie haben sich nie überlegt, warum das so gekommen ist.
    Ihre Wahrnehmung war immer geteilt:


    (Zuruf von der SPD: Was?)


    Sie waren zwar froh, dass die Zahl der Arbeitslosen
    sank; aber Sie haben Ihren Leuten nie erklärt, wie das
    kommen konnte.


    (Thomas Oppermann [SPD]: Durch Ihren Beitrag ganz bestimmt nicht! – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Wenn wir lange überlegt hätten, wäre das nicht zustande gekommen!)


    Die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosen-
    hilfe ist eine Härte, ja. Aber gleichzeitig hat diese Maß-
    nahme natürlich Möglichkeiten geschaffen, dass viele
    Menschen wieder eine Arbeit aufgenommen haben.


    (Zuruf von der SPD: Das war doch unsere Idee!)


    Weil Sie das alles niemals Ihren eigenen Leuten er-
    klärt haben, müssen Sie jetzt die Rolle rückwärts
    machen und wollen allen Ernstes behaupten: Wer Ar-
    beitslosengeld II bekommen will, braucht keine Vermö-
    gensprüfung mehr zu durchlaufen. Ich glaube, da sind
    Sie auf einem falschen Trip. Ich zumindest bin davon
    überzeugt, dass das falsch ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie haben es doch durchlöchert!)


    – Da nützt auch das Schreien nichts.

    Der nächste Punkt wird sein, dass Sie die Rente mit 67
    rückgängig machen müssen, weil aufgrund Ihrer fal-
    schen Konzepte die Möglichkeiten zur Vermittlung von
    älteren Arbeitnehmern schlechter werden.


    (Thomas Oppermann [SPD]: Wir regieren schon?)


    – Ich habe Sie nicht gebeten, ein Konzept vorzulegen.
    Sie hätten ja bei dem bleiben können, was Sie immer ge-
    sagt haben.


    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Jetzt sage ich Ihnen, was wir wollen. Von den heute
    5 Millionen Arbeitslosengeld-II-Empfängern sind unge-
    fähr 1,4 Millionen zusätzlich zu den Leistungen aus
    Hartz IV erwerbstätig. Von diesen 1,4 Millionen Men-
    schen befindet sich die übergroße Mehrzahl in Beschäf-





    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    tigungsverhältnissen unter oder bis 200 Euro. Die Zahl
    derer, die darüber hinaus dazuverdienen, wird immer ge-
    ringer. Das heißt doch nichts anderes, als dass es eine
    Barriere beim Hinzuverdienst gibt.


    (Zuruf von der SPD: Wir sind doch nicht in der Schule!)


    Am Anfang ist die Abzugsrate gleich null; man kann
    hinzuverdienen. Über diesen Betrag von 200 Euro hi-
    naus ist die Abzugsrate so hoch, dass es bei Verdiensten
    über 150 Euro praktisch überhaupt keinen Unterschied
    mehr macht,


    (Thomas Oppermann [SPD]: Sind Sie sicher, dass Ihnen Ihre Leute folgen können?)


    insbesondere bei Familien mit mehreren Kindern, ob sie
    etwas verdienen oder ob sie nichts verdienen und
    Hartz IV bekommen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Sie haben Ihre Leute nicht überzeugt!)


    Deshalb haben wir gesagt: Wir müssen die Hinzuver-
    dienstgrenzen verändern, und zwar so, dass sie einen
    Anreiz bieten, in Arbeit zu kommen. Wir sind der Mei-
    nung: Diejenigen, die sowohl Arbeitslosengeld II bezie-
    hen als auch etwas hinzuverdienen, sind auf einem bes-
    seren Weg, eine Arbeit zu finden, als die, die gar nichts
    hinzuverdienen. Das ist unser Ansatz.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie verstehen es nicht!)


    Man kann den Unterschied ganz klar benennen. Wir
    wollen den Menschen helfen. Dafür sind die Eingliede-
    rungstitel und viele andere Instrumente in der Bundes-
    agentur geschaffen worden.


    (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Sie sperren!)


    – Sie sagen wenigstens „sperren“.


    (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 900 Millionen!)


    Manch einer sagt einfach nur „kürzen“.


    (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sperre plus Zeit ist Kürzung!)


    Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales wird ein
    Programm vorlegen. Dann werden die Mittel entsperrt
    und stehen zur Verfügung. Das ist überhaupt kein Pro-
    blem. Wir müssen dafür sorgen, dass mit dem Geld, das
    wir für die ausgeben, die Arbeitslosengeld II beziehen,
    und sie in Beschäftigung bringen soll, wirkliche Folge-
    beschäftigung entsteht, anstatt einen öffentlichen Ar-
    beitsmarkt zu manifestieren und zu zementieren, der uns
    am Schluss nur etwas kostet und nichts bringt. Es ist der
    Mühe wert, dass man das versucht.


    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich spreche darüber so ausführlich, weil sich genau
    hier unterschiedliches Denken im Hause manifestiert.


    (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das stimmt! – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Dumpinglohn! – Joachim Poß [SPD]: Miss Dumpinglohn!)


    Wenn wir die Struktur dieses Bundeshaushaltes mittel-
    fristig ändern, wird das dazu führen, dass wir die Ren-
    tenzuschüsse und die Gesundheitskosten, die wir als
    Steuermittel im Wesentlichen für die Kinder in das Ge-
    sundheitssystem gegeben haben, nicht kürzen.


    (Thomas Oppermann [SPD]: In die Kopfpauschale! Nicht für die Kinder!)


    Dann werden wir sehen, dass mehr Menschen in Arbeit
    kommen und von diesem Block der 40 Milliarden Euro
    weniger ausgegeben werden muss, weil diese Menschen
    wieder Arbeit haben.


    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)


    Auf diesem Feld können wir etwas tun. Im Übrigen
    freuen sich darüber auch die Kommunen; denn sie ge-
    ben 11 Milliarden Euro für die Kosten der Unterkunft
    aus. Jeder Euro, den sie nicht ausgeben, ist für sie eine
    massive Entlastung.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Das war die Erklärung von Miss Dumpinglohn!)


    Wenn Menschen arbeiten, dann geht es darum, dass
    sich Leistung lohnt.

    Deshalb ist unser Ansatz, bei dem sogenannten Mittel-
    standsbauch, also bei der stärksten Steigerung der Pro-
    gression, und bei der kalten Progression im steuerlichen
    Bereich für eine Entlastung zu sorgen. Es wird einfacher,
    niedriger und vor allen Dingen gerechter, damit sich
    Leistung in diesem Lande lohnt.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie haben noch gar nicht gesagt, was Sie wollen! Wann kommt denn da was?)


    Es geht natürlich um qualifizierte Arbeitsplätze. Des-
    halb haben wir in der Koalition – das spiegelt sich ja im
    Haushalt wider – einen Schwerpunkt bei Forschung und
    Bildung gesetzt, weil das die Zukunft ist. Deshalb sagen
    wir: Wir werden die Elektromobilität fördern. Am
    3. Mai 2010 wird der Kongress mit allen Akteuren statt-
    finden, damit wir eine Chance für den Technologiestand-
    ort Deutschland entwickeln.


    (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Ein Kongress! – Thomas Oppermann [SPD]: Ein Kongress! Ein Zwischengipfel! Ein Arbeitskreis! – Joachim Poß [SPD]: Nur Kommissionen, kein Regieren!)


    Deshalb werden wir auch ein neues Energiekonzept
    entwickeln.


    (Joachim Poß [SPD]: „Wir kündigen an“!)






    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    Wir sind in dieser Frage einer Meinung darin, dass es da-
    rum geht, ein Zeitalter der regenerativen Energien zu
    erreichen. Eigentlich müssten wir aber auch einer
    Meinung darüber sein, dass wir den Industriestandort
    Deutschland erhalten wollen, und das heißt immer Dreier-
    lei: Energie muss bezahlbar sein, Energie muss sicher
    sein, und Energie muss umweltverträglich sein. Das wer-
    den wir zusammenbringen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Deshalb sagen wir: Die Kernenergie ist eine Brücken-
    technologie, aber die Länge der Brücke richtet sich da-
    nach, dass wir diese drei Dinge miteinander verbinden
    können.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Herr Steinmeier, ich bin schon ein bisschen erstaunt.
    Die deutschen Stromversorgungsnetze haben sich nun
    60 Jahre lang in privater Hand befunden. Jetzt ist es so,
    dass das Eigentum auch aufgrund von Anordnungen der
    Europäischen Union von Vattenfall, einem Unterneh-
    men, das schwedischer Natur ist, hin zu einem belgi-
    schen Unternehmen wandert, das schon eine Vielzahl
    von Stromnetzen betreibt und von dem nichts Ehrenrüh-
    riges bekannt ist. Das ist genauso wie bei anderen, die
    ihr Elektronetz an ein niederländisches Staatsunterneh-
    men verkauft haben. Sind wir nun in einem europäischen
    Binnenmarkt, oder sind wir es nicht? Polemisieren wir
    gegen belgische Firmen, nur weil sie keine deutschen
    sind, oder machen wir das nicht?


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Darum geht es doch nicht!)


    Von der Idee einer Reverstaatlichung des deutschen
    Stromnetzes halte ich ehrlich gesagt gar nichts. Wir müs-
    sen natürlich vernünftige Ausbaubedingungen erreichen.


    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)


    Dafür müssen wir vernünftige Investitionsbedingungen
    schaffen und dafür sorgen, dass man eine Hochspan-
    nungsleitung bauen kann, ohne dass das Genehmigen
    zehn Jahre dauert und ohne dass die Erdkabel so viel
    Geld verschlingen, dass man überhaupt nicht mehr zu
    Potte kommt.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Das sind die wichtigen Aufgaben, aber das hängt nun
    wirklich nicht davon ab, ob das Unternehmen schwe-
    disch oder belgisch ist, sondern das hängt von ganz an-
    deren Dingen ab.

    Wir werden die Gesundheitsforschung weiter nach
    vorne bringen. Wir haben bereits ein Zentrum für De-
    menzkranke in Bonn gegründet. Eine wissenschaftliche
    Bündelung aller – –


    (Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


    – Ich weiß nicht, ob Herr Müntefering da ist. Er hatte
    wenigstens, als wir noch gemeinsam regiert haben, so
    viel Vernunft, zu sagen, dass wir Leuchttürme brauchen.

    (Joachim Poß [SPD]: Wir haben doch gar nichts gesagt jetzt!)


    – Nein, nein, Sie müssen einfach einmal in die Reihe
    hinter sich schauen. Es sind nicht alle so vernünftig wie
    Sie, Herr Poß.


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)


    Ich verstehe Sie ja. Das ist ein Zentrum in Bonn und des-
    halb in Nordrhein-Westfalen. – Wir brauchen also
    Leuchttürme, mit denen den Menschen gezeigt wird,
    wofür Forschung und Entwicklung gut sind, und bei ei-
    ner alternden Gesellschaft ist es allemal gut, wenn
    Deutschland im Gesundheitsbereich eine Spitzenposi-
    tion auf der Welt hat. Wir haben auch das Zeug dazu,
    und die Bundesregierung fördert das.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Natürlich ist es wichtig, dass unsere Unternehmen mit
    Krediten versorgt werden – insbesondere der Mittel-
    stand. Deshalb gibt es die Kreditversorgung über den
    Wirtschaftsfonds, und deshalb haben wir auch – der
    Bundeswirtschaftsminister hat das getan – einen Kredit-
    mediator eingesetzt, der seine Arbeit aufgenommen hat.


    (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein schönes Pöstchen!)


    – Sie wissen, dass bei solchen Dingen gilt: Wenn Sie sie
    gemacht hätten, dann fänden Sie es ganz toll, weil wir
    sie machen, finden Sie es einfach nicht toll. Der Kredit-
    mediator wird seine Arbeit machen, der Mittelstand wird
    es ihm danken.


    (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Steuerzahler auch, der es finanzieren soll!)


    Wir sprechen wieder darüber, wenn sich die Sache gut
    entwickelt hat.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Klingt nicht sehr überzeugend!)


    Ich sage Ihnen auch: Wir werden eine Politik fördern,
    mit der die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gestärkt
    wird. Ich glaube nicht, dass wir in der Europäischen
    Union, wenn wir über eine Wirtschaftsregierung reden,
    was ich für richtig halte, die Diskussion so führen soll-
    ten, dass man sich danach richtet, wer am langsamsten
    ist, sondern beim Benchmarking muss geschaut werden,
    wer am schnellsten und am besten ist.

    Ich sage auch ganz deutlich, wo Deutschland Schwä-
    chen hat. Wir haben von der OECD eine hohe Abgaben-
    last im Niedriglohnbereich attestiert bekommen. Da ha-
    ben wir Schwächen. Darüber müssen wir nachdenken.
    Aber wir werden unsere Stärken nicht aufgeben, weil
    von unseren Exportgütern mehr gekauft wird als von de-
    nen anderer Länder. Das wäre die falsche europäische
    Antwort auf die Wettbewerbsfähigkeit unseres Konti-
    nents.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lieber handeln statt diskutieren!)






    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    Sicherlich ist die schwierigste Herausforderung, vor
    der wir stehen, die Veränderung des Altersaufbaus. Am
    Ende des Jahrzehnts, das jetzt begonnen hat, wird es
    3 Millionen mehr ältere Beschäftigte geben. Die Zahl
    der Beschäftigten im Verhältnis zu Rentnern und Kin-
    dern wird sich dramatisch verändern, und zwar von
    heute 65 Rentnern und Kindern im Verhältnis zu 100 Be-
    schäftigten auf 84 Rentner und Kinder im Verhältnis zu
    100 Beschäftigten. Das alles muss erarbeitet werden.
    Außerdem wird die Zahl der Schulabgänger sinken. Des-
    halb ist es so wichtig, dass das Thema des Zusammen-
    halts unserer Gesellschaft ganz oben auf der Tagesord-
    nung steht.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht ja den Schuldenberg so gefährlich!)


    Ich habe mir im Allensbacher Jahrbuch angesehen,
    was die Menschen auf die Frage, was sie unter einer
    gerechten Gesellschaft verstehen – wir sind uns, glaube
    ich, einig, dass Gerechtigkeit die Voraussetzung für den
    Zusammenhalt ist – und ob es ihrer Meinung nach in der
    Wirtschaft gerecht zugeht, antworten. In den letzten Jah-
    ren ist eine erschütternde Entwicklung zu erkennen. In
    den neuen Bundesländern war es leider immer so, dass
    eine übergroße Mehrheit gesagt hat: In der Wirtschaft
    geht es nicht gerecht zu.


    (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist Erfahrung!)


    Das hat sich in 20 Jahren eigentlich nicht geändert. In
    den alten Bundesländern gab es über viele Jahrzehnte ein
    Auf und Ab. Es herrschte aber immer ein ungefährer
    Gleichstand zwischen „gerecht“ und „nicht gerecht“.

    Seit den Jahren 2004 bzw. 2005 und ganz besonders
    seit der Finanzkrise hat sich der Abstand zwischen den-
    jenigen, die sagen, dass es in der Wirtschaft gerecht zu-
    geht, und denjenigen, die sagen, es gehe ungerecht zu,
    auf 58 Prozent vergrößert. Wenn die Akzeptanz der so-
    zialen Marktwirtschaft erhalten werden soll, dann muss
    diese Lücke wieder geschlossen werden, sowohl in Ost-
    deutschland als auch in Westdeutschland. Das ist meine
    feste Überzeugung.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Wenn man die Menschen fragt, was sie für gerecht hal-
    ten, dann sagen sie als Erstes – und zwar mit weitem Ab-
    stand; es sind insgesamt 83 Prozent –: gleiche Chancen
    für gute Schulbildung. Die Bildung ist das Thema, das
    die Menschen am meisten berührt. Als Zweites, auch das
    ist interessant, sagen sie – zu etwas über 60 Prozent –:


    (Joachim Poß [SPD]: Da ist Lohndumping die richtige Frage!)


    dass der Staat für ein Existenzminimum sorgt und nie-
    mand in Not gerät. Ungefähr genauso viele Menschen
    sind der Meinung, dass Leistung sich lohnen muss. Das
    heißt: Wer mehr leistet, muss auch mehr davon haben.
    Das sind die zwei Seiten der Medaille.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Mit diesen drei Prioritäten – Arbeitsmarkt, Grund-
    sicherung und Bildung – reagiert die christlich-liberale
    Koalition also ganz gezielt auf die Wünsche der Men-
    schen. Daran werden wir weiter arbeiten. Das ist es, was
    uns interessiert.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Lohndumper!)


    Wir werden natürlich auch das Bundesverfassungs-
    gerichtsurteil zu den Hartz-IV-Sätzen umsetzen. Da-
    rüber möchte ich heute aber nicht weiter sprechen.


    (Widerspruch bei der LINKEN)


    Das ist einfach nicht möglich, weil die Statistiken noch
    nicht ausgewertet sind. Ich möchte wiederholen, was die
    Bundesministerin gesagt hat: Klar ist schon heute, dass
    wir für die Bildung der Kinder mehr Geld ausgeben wer-
    den. Wir werden es aber so tun, dass es bei den Kindern
    ankommt. Sachleistungen sind also nicht ausgeschlos-
    sen. Denn wir wollen, dass das Geld den Kindern zugu-
    tekommt. Genau darauf werden wir hinarbeiten.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Um das 7-Prozent-Ziel für die Bildung zu erreichen,
    haben wir den Ländern bereits in Aussicht gestellt, dass
    wir seitens des Bundes bis 2015 die Lücke von mindes-
    tens 13 Milliarden Euro mit einer Quote von 40 Prozent
    füllen werden; normalerweise geben wir 10 Prozent da-
    für aus. Wir sagen aber: Es ist ein so wichtiges gesamt-
    gesellschaftliches Anliegen, dass der Bund bereit ist,
    sich an dieser Stelle mehr zu engagieren und die Bil-
    dungspolitik im ganzen Land dadurch zu verbessern.


    (Zuruf von der SPD: Wie denn konkret?)


    Wir werden den Nationalen Integrationsplan weiter-
    entwickeln. Wir haben bereits gezeigt, dass wir für die
    Familien etwas tun. Der Ausbau der Kleinkinderbetreu-
    ung wird weitergehen. Das Kindergeld und die Kinder-
    freibeträge sind erhöht worden. Deshalb ist das eine ver-
    nünftige Sache.

    Außerdem werden wir auch über die Vorschläge der
    Bundesfamilienministerin zu reden haben, was Pflegezeit
    anbelangt. Denn das Thema Pflege wird uns in der nächs-
    ten Zeit in besonderer Weise beschäftigen. Es ist etwas,
    was die Menschen zutiefst bewegt. Ich sage Ihnen – ich
    habe darüber auch mit den Arbeitgebern gesprochen –:
    Wir sollten hier wirklich neues Denken anwenden. Es
    wird in Zukunft schwierig sein, qualifizierte Arbeitskräfte
    zu bekommen. Das wird sich über die nächsten Jahre in
    ganz anderer Weise entwickeln. Die Bereitschaft der Un-
    ternehmen, freiwillig etwas zu tun, wird an vielen Stellen
    wachsen, weil man Beruf und Familien viel besser ver-
    binden muss.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas zu den
    schrecklichen Fällen von sexuellem Missbrauch sagen,
    von denen wir jeden Tag hören und von denen wir erfah-
    ren. Ich glaube, wir sind uns alle einig: Sexueller Miss-
    brauch an Kindern und an Schutzbefohlenen ist ein ver-
    abscheuungswürdiges Verbrechen. Es gibt nur eine





    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    Möglichkeit, dass unsere Gesellschaft mit diesen Fällen
    klarkommt: Das ist Wahrheit und Klarheit über alles,
    was passiert ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich glaube, jedem ist bewusst, dass das Leben der
    Menschen, die so etwas erlebt haben, anders verläuft, als
    wenn sie das in jungen Jahren nicht erlebt hätten. Das
    begleitet sie ein ganzes Leben. Völlige Wiedergutma-
    chung wird und kann es nicht geben. Es hat keinen Sinn,
    es auf eine Gruppe zu beschränken, auch wenn uns die
    ersten Fälle sozusagen aus dem katholischen Bereich zu
    Ohren gekommen sind. Es ist etwas, das sich in vielen
    Bereichen der Gesellschaft ereignet hat, und es ist vor al-
    len Dingen auch etwas, das sich heute teilweise in ande-
    rer Form, aber mit gleichen Folgen weiter ereignet.

    Deshalb bin ich froh, dass die drei Ministerinnen Frau
    Leutheusser-Schnarrenberger, Kristina Schröder und
    Annette Schavan gemeinsam ein Gesprächsforum mit
    den Betroffenen bilden, mit denjenigen, von denen diese
    Fälle bekannt werden, und dass man sowohl in die Ver-
    gangenheit als auch in die Zukunft blickt.

    Aber lassen Sie uns die Sache nicht zu einfach ma-
    chen. Man muss über Verjährung sprechen. Man kann
    über Entschädigung sprechen.


    (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann über Entschuldigung sprechen! Mit dem Papst zum Beispiel!)


    Aber insgesamt kommt es darauf an – das ist eine Be-
    währungsprobe für unsere ganze Gesellschaft –, dass
    Menschen, die so etwas erfahren haben, sich in dieser
    Gesellschaft wieder anerkannt und aufgehoben fühlen
    und wenigstens das Stück Wiedergutmachung bekom-
    men, was man im Nachhinein noch schaffen kann.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Meine Damen und Herren, wenn wir über die Verän-
    derung des Altersaufbaus unserer Gesellschaft sprechen,
    dann sind die sozialen Sicherungssysteme sicherlich der
    Punkt, an dem die größte politische Arbeit zu leisten ist.
    Mit der Rente haben wir Zukunftsvorsorge getroffen. Da
    wird die politische Kraft darin bestehen, alle Faktoren,
    die die demografische Veränderung widerspiegeln, auch
    in den nächsten Jahren umzusetzen. Es ist nicht einfach,
    wenn die Rentnerinnen und Rentner in diesem Jahr eine
    Nullrunde haben.


    (Zuruf von der LINKEN: Wohl wahr!)


    Das trifft die Menschen zwar nicht einfach so – eigent-
    lich wäre es weniger gewesen –, aber trotzdem ist auch
    eine Nullrunde nicht einfach. Umso zufriedener bin ich,
    dass auch die Tarifabschlüsse moderat waren, weil wir
    daran sehen, dass es insgesamt eine schwierige Zeit ist.


    (Joachim Poß [SPD]: Das ist aber eine krause Logik!)

    Ich sage Ihnen auch ganz klar: Wir werden uns auch
    melden, wenn Unternehmensführer sich in einer solchen
    Zeit zum Teil in absurder Art Gehaltssteigerungen gön-
    nen, die von keinem anderen in dieser Gesellschaft nach-
    vollzogen werden können.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Deshalb ist vielleicht der Gesundheitsbereich derje-
    nige, in dem die meiste Arbeit zu leisten ist. Ich habe ei-
    gentlich nur eine Bitte, nämlich dass Sie von der Opposi-
    tion wenigstens nicht dauernd Dinge behaupten, die
    einfach nicht stimmen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Es ist nicht fair, einfach irgendetwas zu behaupten.


    (Bettina Hagedorn [SPD]: Was denn?)


    Die kostenlose Mitversicherung der Ehepartner wird
    weiter gewährleistet sein. Die Versicherung der Kinder
    wird, wenn Sie es so rechnen, inzwischen im Wesentli-
    chen aus dem Steuertopf bezahlt. Wir waren uns doch ei-
    nig, dass der steuerliche Ausgleich gerechter ist als der
    soziale Ausgleich über Beiträge. Das wissen Sie doch al-
    les.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Warum soll für einen Erwachsenen falsch sein, was für
    ein Kind richtig ist?

    Gerade die SPD müsste doch sagen: Diejenigen, die
    viel verdienen, müssen das meiste zum Sozialausgleich
    in einem so sensiblen Bereich wie dem Gesundheitswe-
    sen beitragen. Das tun Sie aber nicht.


    (Widerspruch bei der SPD)


    Sie fangen an, auf eine ganz unverantwortliche Weise ir-
    gendetwas zu behaupten, was überhaupt nicht stimmt. Es
    gibt heute einen Sozialausgleich im Gesundheitssystem,
    und der erfolgt automatisch. Es wird auch später einen
    Sozialausgleich im Gesundheitssystem geben. Es geht
    im Augenblick nur um die Aufwüchse.


    (Zurufe von der SPD)


    – Hören Sie zu! – In jeder Legislaturperiode – das war
    bei Ihnen so, das war bei uns so, und das wird auch wei-
    ter so sein – steigen die Beiträge, wenn wir es geschickt
    machen, um ungefähr 1 Prozentpunkt und sonst um
    1,5 Prozentpunkte. Sie haben keine Antwort auf die
    Frage, was man tun kann, um fortwährend steigende
    Lohnzusatzkosten zu vermeiden.


    (Thomas Oppermann [SPD]: Bürgerversicherung! Ist doch klar!)


    – Herr Oppermann, Sie sind viel zu intelligent, um nicht
    zu wissen, dass auch eine Bürgerversicherung einen Ar-
    beitgeberanteil benötigt, der dann dauernd steigt und die
    Lohnzusatzkosten erhöht.

    Wenn Sie nicht wollen, dass über den Druck der Wirt-
    schaftlichkeit – weil die Gesundheitskosten an die Ar-
    beitskosten gekoppelt sind – nicht mehr jeder Mensch





    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    die Gesundheitsversorgung bekommt, die er eigentlich
    bekommen müsste, dann müssen Sie eine Entkopplung
    von den Lohnkosten für die Aufwüchse, die sich im Ge-
    sundheitswesen ergeben, hinbekommen. Ich sage: für
    die Aufwüchse!


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Es ist immer schade, wenn sich Illusionen zerstreuen.
    Auf jeden Fall wird es dann genauso einen sozialen Aus-
    gleich geben. Die Aufwüchse werden von den Arbeits-
    kosten entkoppelt. Das ist ein richtiger Schritt dieser Ko-
    alition. Dabei werden wir den Gesundheitsminister
    unterstützen, sofern er überhaupt Unterstützung braucht.
    Er ist ja in seinen eigenen Aussagen ganz selbstständig.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Es ist richtig, dass die Gesundheitskommission heute
    ihre Arbeit aufnimmt.

    Genauso ist es richtig, dass der Bundesfinanzminister
    eine Gruppe zur Zukunft der Kommunalfinanzen, an
    der Sie über Ihre Länder Gott sei Dank mitarbeiten, ein-
    gerichtet hat. Es reicht doch nicht, einen Schutzschirm
    für die Kommunen aufzubauen, wie Sie es fordern. Das
    ist vielleicht etwas, das den Kommunen in einer Krise
    hilft. Aber langfristig sind die Kommunen in einem Zu-
    stand, wo die Finanzierung nicht auf Nachhaltigkeit be-
    ruht. Zwischen 2000 und 2008 sind in den Kommunen
    die Sozialausgaben um 50 Prozent gestiegen und die
    Baukosten um 20 Prozent eingebrochen. Dieser Weg
    muss umgekehrt werden. Da brauchen wir eine Trend-
    wende. Ansonsten wird es keine kommunale Politik
    mehr geben, die selbsttätig arbeiten kann und an der sich
    die Menschen aus Lust ehrenamtlich beteiligen. Wir
    wollen das. Deshalb stellen wir uns dieser Aufgabe. Man
    kann nicht vom ersten Tag an sagen, was alles nicht geht,
    sondern man muss überlegen, was geht; denn die Kom-
    munen sind die Grundlage des Lebens der Menschen in
    diesem Land.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Natürlich dürfen wir uns nicht nur um den Zusam-
    menhalt kümmern, sondern müssen auch zur Kenntnis
    nehmen, dass die Globalisierung fortschreitet und dass
    wir unsere Art, zu leben, die soziale Marktwirtschaft und
    ihre Prinzipien, nur durchsetzen können, wenn es uns ge-
    lingt, die Globalisierung menschlich zu gestalten. Da
    sind allen voran die Finanzmarktregeln nach den Exzes-
    sen auf den Finanzmärkten zu nennen. Ich will hier in
    Erinnerung rufen: Einiges ist geschehen. Es hat keinen
    Sinn, dauernd so zu tun, als ob gar nichts geschehen
    wäre. Wir haben verbesserte Vorschriften über die Ei-
    genkapitalbasis der Banken. Wir haben einen Kabinetts-
    beschluss zu den Ratingagenturen, der jetzt beraten wird
    und mit dem eine europäische Richtlinie umgesetzt wird.
    Es wird klargestellt, dass Unternehmen nicht mehr
    gleichzeitig beraten und Produkte bewerten dürfen; das
    ist dringend notwendig.

    Wir haben eine neue Bankenaufsicht – die Verhand-
    lungen darüber sind in Europa weit fortgeschritten –, mit
    der systemische Risiken europaweit besser überwacht
    werden können. Wir werden im Sommer einen Vor-
    schlag vorlegen, aus dem hervorgeht, wie die Aufsichts-
    funktionen in Deutschland gebündelt werden können.
    Wir wissen heute, dass es wichtig ist, dass Emittenten
    bei besonders riskanten Produkten, zum Beispiel bei
    Verbriefungen, einen Teil des Risikos in der eigenen Bi-
    lanz behalten müssen. Wir haben auch für die Entloh-
    nung von Bankern neue Regeln aufgestellt, die dem-
    nächst im Kabinett beraten werden. Wir werden in
    baldiger Zukunft einen Kabinettsbeschluss fassen, aus
    dem hervorgeht, wie wir es schaffen, die Abwicklung
    und Restrukturierung von Banken sicherzustellen, damit
    nicht wieder der Effekt eintritt, dass der Staat die Banken
    retten muss, wenn sie in eine Krise geraten. Die Banken
    sollen das selbst tun. BMJ und BMF arbeiten daran. Wir
    werden – das wurde in der G-20-Gruppe verabredet – im
    Juni Vorschläge vom IWF zur Beantwortung der Frage
    bekommen, wie man die Banken besser an den Kosten,
    die sie verursacht haben, beteiligen kann.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Auf diese Vorschläge warten wir, weil wir das internatio-
    nal so verabredet haben. Es ergibt nämlich keinen Sinn,
    wenn wir in Deutschland so tun, als könnten wir das
    irgendwie erreichen. Sie haben heute Herrn Brown zi-
    tiert. Ich arbeite gut mit Gordon Brown zusammen, aber
    seine einmalige Besteuerung von Boni war nur halb so
    sinnvoll wie die Hedgefondsregulierungen, die wir ge-
    rade beraten und denen Großbritannien jetzt zustimmen
    sollte. Darum müssen wir kämpfen, und dafür erwarte
    ich Unterstützung.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Wir haben gesehen, dass wir in dieser Krise nicht nur
    Banken retten müssen, sondern dass jetzt auch im Euro-
    Raum eine schwierige Situation eingetreten ist, was Grie-
    chenland anbelangt. Es war richtig, dass sowohl Nicolas
    Sarkozy als auch der Ministerpräsident Papandreou, Jean-
    Claude Juncker und ich die Kommission aufgefordert
    haben – das geht nur europaweit –, die Finanzrichtlinie
    so zu ändern, dass die sogenannten nackten Credit De-
    fault Swaps, bei denen man Wetten auf etwas abschlie-
    ßen kann, das man nicht besitzt, verboten werden.
    Wolfgang Schäuble hat gestern zu den Leerverkäufen
    gesprochen. Das können wir aber nicht alleine machen.
    Wir sind in der Europäischen Union, und das fällt in de-
    ren Kompetenz. Ich denke, die Signale aus der Kommis-
    sion, dass dort etwas gemacht wird, sind richtig.

    Das darf uns aber nicht vergessen lassen, dass die grie-
    chische Lage nicht durch die Spekulanten hervorgerufen
    wurde – sie wird durch die Spekulanten verstärkt –, son-
    dern dass sie durch die langjährige Verletzung des Stabi-
    litäts- und Wachstumspakts hervorgerufen wurde.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Deshalb steht der Euro vor seiner stärksten Herausforde-
    rung, die er je zu bewältigen hatte.


    (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Karamanlis!)


    – Ich kann auch sagen, dass die Regierung Karamanlis
    daran beteiligt war. Auch deren Vorgängerregierung war





    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    schon daran beteiligt. Das hilft uns doch jetzt nicht. Wir
    müssen mit der Sache fertig werden. –


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Die Antwort können wir nur mit Blick auf die langfris-
    tige Stabilität des Euro finden. Da ist die schnelle Soli-
    daritätsleistung mit Sicherheit nicht die richtige Ant-
    wort, sondern die richtige Antwort heißt, die Sache bei
    der Wurzel anzupacken und die Probleme vernünftig zu
    lösen. Deshalb gibt es keine Alternative zu dem griechi-
    schen Sparprogramm und weiteren Anstrengungen in
    den nächsten Jahren. Ich finde es gut und richtig, und die
    griechische Regierung hat großen Mut bewiesen, jetzt
    4 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt einzusparen, um
    das Defizit in einem ersten Schritt zu senken. Die
    Märkte haben das durchaus goutiert.

    Wir müssen immer im Auge haben, dass Europa auf
    der einen Seite eine Friedensgemeinschaft ist. Deshalb
    kann in einem gemeinsamen Währungsraum – das gilt
    für alle Mitgliedstaaten, aber für die im Euro-Raum ver-
    sammelten besonders – kein Land völlig alleine gelassen
    werden. Deshalb haben wir auf dem Rat gesagt: Wir ste-
    hen natürlich insgesamt für die Stabilität des Euro ein.
    Wir können doch nicht zusehen, wie der Euro-Raum und
    damit auch unsere Grundlagen insgesamt instabil wer-
    den. Europa ist aber nicht nur eine Friedensgemein-
    schaft, sondern auch eine Stabilitätsgemeinschaft. Des-
    halb kann es nicht sein, dass wir einfach mit
    freundschaftlichen Bekundungen darüber hinweggehen,
    sondern die Erholung muss, wie ich es schon gesagt
    habe, von Griechenland ausgehen. Alles, was überhaupt
    gedacht wird, muss darauf ausgerichtet sein, dass wir
    nicht vorschnelle Hilfen leisten, sondern dass wir dafür
    Sorge tragen, dass das Ganze wieder in Ordnung kommt.
    Alles andere wäre fatal.

    Europa ist auch eine Rechtsgemeinschaft. In dieser
    Rechtsgemeinschaft gibt es einen Vertrag. Deshalb ha-
    ben die Finanzminister richtigerweise gesagt, dass alles,
    was wir tun, dem europäischen Recht und – das haben
    sie mit Bedacht hinzugefügt – dem nationalen Recht ent-
    sprechen muss; denn wir haben ganz klare Gegebenhei-
    ten, die festlegen, was man überhaupt in einer Notsitua-
    tion tun kann und was nicht. Deshalb sage ich ganz klar,
    dass nichts gemacht werden kann, was gegen nationales
    Recht verstößt. Da sind uns Grenzen auferlegt.

    Wir denken auch für die Zukunft; denn Europa ist un-
    sere eigene Zukunft. Deshalb hat Wolfgang Schäuble
    nicht für Griechenland Vorschläge gemacht, aber
    Wolfgang Schäuble hat Vorschläge gemacht, damit man
    eventuell den IWF nicht in allen Situationen rufen muss –
    was jetzt vielleicht der Ausweg sein müsste, wenn man
    etwas täte. Aber ich sage hier nichts darüber hinaus. Er
    hat Vorschläge gemacht, dass wir für die Zukunft ein
    Vertragswerk bekommen, aufgrund dessen es als Ultima
    Ratio sogar möglich ist, ein Land aus dem Euro-Raum
    auszuschließen, wenn es die Bedingungen langfristig
    immer wieder nicht erfüllt. Sonst kann man nicht zusam-
    menarbeiten.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Heute haben wir eben nicht das richtige Instrumenta-
    rium. Wir haben nicht gedacht, dass wir im Euro-Raum
    in eine Situation kommen, in der ein Land vielleicht vor
    der Zahlungsunfähigkeit steht. Die Antwort hieß damals:
    Die schärfste Sanktion ist, dass das Land Geld an die
    Kommission zahlen muss. Ein Land, das kein Geld hat,
    kann auch kein Geld an die Kommission zahlen, oder
    wir führen die Zahlungsunfähigkeit noch besonders be-
    schleunigt herbei; das wäre ja schwachsinnig. Es ist rich-
    tig, dass wir darüber hinausdenken und fragen: Wie
    müssten wir die Verträge entwickeln, damit man mit ei-
    ner solchen Situation umgehen kann? Auch bei Grie-
    chenland muss jetzt gelten, dass die Stabilitätsgemein-
    schaft im Vordergrund steht und dass wir nicht eine
    vorschnelle Hilfe leisten, die uns langfristig überhaupt
    nicht weiterbringt, sondern den Euro immer weiter
    schwächt.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Meine Damen und Herren, Europa gestalten heißt
    eben auch: Wirtschaftsregierung – ja, und zwar mit an-
    spruchsvollen Zielen und nicht mit der Frage „Wie kön-
    nen wir alle gemeinsam diese anspruchsvollen Ziele
    vielleicht nicht durchsetzen?“.

    Außerdem heißt es: Protektionismus vermeiden. Ich
    könnte hier viel dazu sagen. In den letzten Monaten hat
    der Protektionismus weltweit zugenommen. Wir sind
    mit der Doha-Runde nicht weitergekommen. Für eine
    Exportnation wie Deutschland ist das jedoch zwingend
    notwendig.

    Wir brauchen Datenschutz. Globale Digitalisierung
    ist gut. Wir brauchen aber auch den Schutz und müssen
    den Bürgerinnen und Bürgern sagen, dass die Dinge
    nicht so sind, dass Menschen auf ihre eigenen Daten gar
    keinen Zugriff haben.

    Wir müssen natürlich auch viele außenpolitische Pro-
    bleme, über die ich heute aus Zeitgründen nicht reden
    kann, in den Griff bekommen.

    Meine Damen und Herren, Deutschland ist eine tole-
    rante, eine offene Gesellschaft. Der Economist – nicht
    gerade eine Zeitung, die Deutschland immer nur in den
    höchsten Tönen lobt – hat über Deutschland in der ver-
    gangenen Woche geschrieben, dass es ein nicht nur le-
    benswertes, sondern auch ein liebenswertes und durch-
    aus auch reformfreudiges Land ist.


    (Beifall des Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP])


    Ich glaube, dass wir auf dieses Land stolz sein können,
    und das ganz besonders mit Blick auf das, was morgen
    hier in diesem Hohen Hause stattfindet, nämlich die Er-
    innerung an den 20. Jahrestag der ersten freien Wahl
    zur Volkskammer. Mit diesem Tag, dem 18. März
    1990, ist der Einigungsprozess sozusagen unumkehrbar
    geworden. Das war ein tolles Gefühl, nach Jahrzehnten
    zum ersten Mal frei wählen zu können. Davon haben da-
    mals auch 93 Prozent der Menschen in der DDR Ge-
    brauch gemacht. Auch das zeigt, wie sehr man sich da-
    rauf gefreut hat.





    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    Meine Damen und Herren, aufgrund dieser Erfahrung
    der letzten 20 Jahre bin ich optimistisch, dass wir es
    schaffen können, die Etappe, die jetzt Ost und West, das
    ganze Deutschland, gemeinsam in einem vereinten Eu-
    ropa zu gehen haben, zu einem Erfolg zu machen, über
    den unsere Enkel eines Tages einmal sagen: Mensch, das
    haben die in schwieriger Zeit gut gemacht. Aber wenn
    wir nicht zu einem Punkt kommen, an dem es uns ge-
    lingt, über notwendige Veränderungen und Weiterent-
    wicklungen in diesem Land so zu sprechen, wie es die
    Verantwortung gebietet, dann werden wir das nicht
    schaffen. Ich sage Ihnen: Die christlich-liberale Koali-
    tion ist zu dieser verantwortlichen Diskussion bereit.


    (Thomas Oppermann [SPD]: Seit wann?)


    Wir gehen mit Mut an die Arbeit.

    Herzlichen Dank.


    (Lang anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)