Protokoll:
14204

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 204

  • date_rangeDatum: 28. November 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:58 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Änderung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . . 20033 A Begrüßung des Vizepräsidenten des spani- schen Abgeordnetenhauses, Herrn Lopez, und seiner Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20038 C Tagesordnungspunkt I: (Fortsetzung) a) Zweite Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bun- deshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2002 (Haushaltsgesetz 2002) (Drucksachen 14/6800, 14/7537) . . . . 20033 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 2001 bis 2005 (Drucksachen 14/6801, 14/7324, 14/7538) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20033 B 16. Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt (Drucksachen 14/7304, 14/7321) . . . . . . . 20033 B Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 20033 D Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 20038 C Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . . 20048 B Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20053 A Hans-Peter Repnik CDU/CSU . . . . . . . . . 20055 D Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . . 20057 B Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20057 D Dr. Peter Struck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20060 A Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 20064 C Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20073 D Dr. Hermann Otto Solms FDP . . . . . . . . . . . . 20076 D Dr. Gregor Gysi PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20078 C Klaus Hagemann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20080 D Dr. Gregor Gysi PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 20081 D Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 20083 D Lothar Mark SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20085 D Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 20087 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 20088 D Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20089 C 17. Einzelplan 05 Auswärtiges Amt (Drucksachen 14/7305, 14/7321) . . . . . . . 20092 A Steffen Kampeter CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 20092 A Uta Titze-Stecher SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20094 A Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . . . . 20098 B Uta Titze-Stecher SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20099 B Dr. Werner Hoyer FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20099 C Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20102 D Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 20104 D Volkmar Schultz (Köln) SPD . . . . . . . . . . . . . 20106 D Dr. Andreas Schockenhoff CDU/CSU . . . . . . 20108 A Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 20110 A Volker Rühe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 20113 C Plenarprotokoll 14/204 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 204. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001 I n h a l t : Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20116 D Volker Rühe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 20117 B Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . . . . . . 20118 A Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 20119 A Dr. Elke Leonhard SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 20120 C Steffen Kampeter CDU/CSU (zur GO) . . . . . 20121 C 18. Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung (Drucksachen 14/7313, 14/7321) . . . . . . . 20121 D Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 20122 A Volker Kröning SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20124 D Günther Friedrich Nolting FDP . . . . . . . . . . . 20127 A Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20128 C Jürgen Koppelin FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20131 B Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20131 D Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 20132 A Paul Breuer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 20133 B Volker Kröning SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 20134 D Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg 20137 A Helmut Rauber CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 20142 B Hildebrecht Braun (Augsburg) FDP . . . . . . . . 20142 C Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20143 D Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20144 D Manfred Opel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20145 D Kurt J. Rossmanith CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 20147 B Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . 20149 A, B Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20149 D, 20152 C 19. Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Drucksachen 14/7317, 14/7321) . . . . . . . 20154 B Michael von Schmude CDU/CSU . . . . . . . . . 20154 D Dr. Emil Schnell SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20156 C Joachim Günther (Plauen) FDP . . . . . . . . . . . 20159 A Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20160 C Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20162 C Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20163 D Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU . . . . . . . . . 20166 C 28. Einzelplan 16 Bundesministerium für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit (Drucksachen 14/7315, 14/7321) . . . . . . . 20168 B Jochen Borchert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 20168 C Waltraud Lehn SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20170 C Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20173 A Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20175 C Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . 20176 C Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . 20177 C Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 20178 D Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 20180 A Dr. Peter Paziorek CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 20182 C Ulrike Mehl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20185 A Dr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 20187 B Christoph Matschie SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 20189 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20192 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 20193 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001 Vizepräsidentin Anke Fuchs 20192 (C) (D) (A) (B) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001 20193 (C) (D) (A) (B) Altmann (Aurich), BÜNDNIS 90/ 28.11.2001 Gila DIE GRÜNEN Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 28.11.2001 Marieluise DIE GRÜNEN Behrendt, Wolfgang SPD 28.11.2001 Buntenbach, Annelie BÜNDNIS 90/ 28.11.2001 DIE GRÜNEN Follak, Iris SPD 28.11.2001 Frick, Gisela FDP 28.11.2001 Friedrich (Altenburg), SPD 28.11.2001 Peter Girisch, Georg CDU/CSU 28.11.2001 Hauer, Nina SPD 28.11.2001 Heiderich, Helmut CDU/CSU 28.11.2001 Hornung, Siegfried CDU/CSU 28.11.2001 Jünger, Sabine PDS 28.11.2001 Kraus, Rudolf CDU/CSU 28.11.2001 Dr. Küster, Uwe SPD 28.11.2001 Lippmann, Heidi PDS 28.11.2001 Müller (Berlin), PDS 28.11.2001* Manfred Nahles, Andrea SPD 28.11.2001 Roth (Gießen), Adolf CDU/CSU 28.11.2001 Rübenkönig, Gerhard SPD 28.11.2001 Schenk, Christina PDS 28.11.2001 Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 28.11.2001 Schlee, Dietmar CDU/CSU 28.11.2001 Schultz (Everswinkel), SPD 28.11.2001 Reinhard Dr. Freiherr von CDU/CSU 28.11.2001 Stetten, Wolfgang Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 28.11.2001 Dr. Thomae, Dieter FDP 28.11.2001 Wiesehügel, Klaus SPD 28.11.2001 Wolf (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 28.11.2001 Margareta DIE GRÜNEN Dr. Zöpel, Christoph SPD 28.11.2001 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420400000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die Beratung des
Einzelplans 16, Bundesministerium für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit, von Donnerstag auf heute
als letzten Tagesordnungspunkt vorzuziehen.

Des Weiteren wurde vereinbart, die Beratung des Ent-
wurfs eines Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes, die für
Donnerstag vorgesehen war, abzusetzen. Sind Sie damit
einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist
es so beschlossen.

Wir setzen die Haushaltsberatungen – Punkt I – fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2002

(Haushaltsgesetz 2002)

– Drucksachen 14/6800, 14/7537 –

(Erste Beratung 190. Sitzung)


b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2001 bis 2005
– Drucksachen 14/6801, 14/7324, 14/7538 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Christa Luft

Ich rufe dazu Punkt I. 16 auf:
Einzelplan 04
Bundeskanzler und Bundeskanzleramt
– Drucksachen 14/7304, 14/7321 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Hagemann
Manfred Hampel

Lothar Mark
Dr. Elke Leonhard
Dankward Buwitt
Steffen Kampeter
Antje Hermenau
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel

Über Einzelplan 04 werden wir später namentlich ab-
stimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind
für die Aussprache vier Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1420400100
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Jeder, der die Grund-
satzlosigkeit und vor allen Dingen die Machtverliebtheit
der grün lackierten angeblichen Antiatomkraft- und Frie-
densfreunde kennt,


(Unruhe)

der konnte sich über den Ausgang der Vertrauensab-
stimmung in der letzten Sitzungswoche überhaupt nicht
wundern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich zitiere Martin Lambeck, der in der „Bild“-Zeitung

am 16. November dieses Jahres geschrieben hat:
Dies ist die letzte Szene einer Politehe. Es ist längst
eine quälende Beziehung mit kleinlichem Gezänk.
Wenn es Schröder ernst meint mit seiner uneinge-
schränkten Solidarität mit den USA, dann braucht er
eine neue, handlungsfähige Koalition mit starker
Mehrheit. Nicht in seinem, sondern im deutschen In-
teresse.

Ich füge hinzu: Wir brauchen keine andere Koalition,
sondern wir brauchen eine andere Parlamentsmehrheit.
Dafür werden wir kämpfen und antreten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


20033


(C)



(D)



(A)



(B)


204. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001

Beginn: 9.00 Uhr

Das deutsche Interesse wird dadurch ausgewiesen, dass
unser Land eine bessere und handlungsfähigere Regie-
rung bekommen muss.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Herr Bundeskanzler, es trifft sich gut, dass Sie mir ant-
worten wollen. Haben Sie sich schon einmal Gedanken
darüber gemacht, warum Präsident Bush und Vizepräsi-
dent Cheney immer einen großen Bogen um Deutschland
machen?


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Haben Sie das Vertrauen der Grünen etwa dadurch ge-
wonnen, dass Sie gleichzeitig Misstrauen bei der ameri-
kanischen Administration auslösen?

Sie haben sich vor der Vertrauensfrage mit Helmut
Schmidt beraten. Ich glaube, er ist ein kluger Ratgeber.
Hat er Ihnen gesagt, wie lange er damals nach der erpress-
ten Zustimmung noch regiert hat? Solche Zustimmungen
sind nämlich immer erpresste Zustimmungen.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Hat er Ihnen vor allen Dingen auch gesagt, was er an-

schließend dem „Hamburger Abendblatt“ gesagt hat? Er
sagte:

Für mich sind die Grünen nie sonderlich tragfähig
gewesen.

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Das ist nichts Neues!)

So sehe ich sie heute noch.

– Wo Helmut Schmidt Recht hat, hat er Recht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Bundeskanzler, wir konnten Sie beobachten, als
die Gratulanten pflichtgemäß aufmarschiert sind. Sie ha-
ben zu Recht sehr süß-sauer geschaut. Sie hätten es lieber
gehabt, dass das Ganze anders ausgegangen wäre. Denn
dann könnten Sie in diesem Land Reformen machen. Mit
den Grünen wird es eine Agonie der Regierung bis in den
September hin werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Bei den Grünen haben Sie es ja nicht nur mit dem pflege-
leichten Joseph Fischer – dann wäre es leichter –, sondern
auch mit Frau Buntenbach, Frau Vollmer, Herrn Ströbele
und wie sie alle heißen, zu tun.

England, Frankreich, Italien, Polen und Tschechien
helfen den Amerikanern auch mit Soldaten. Rot-Grün
hilft mit Selbstzweifeln, wohlfeilen Ratschlägen und ei-
nem neuen Katalog von Tabus, was Deutschland als
Bündnispartner angeblich nie tun wird.

Darüber diskutieren auch die Medien in diesen Tagen.
Das ist eine sehr ernste Sache. Eine Zeitung schreibt: „In
Somalia wartet man auf deutsche Truppen.“ Auch woan-
ders wird jetzt diskutiert. Die Äußerungen aus dem Irak,
dass man amerikanische oder UN-Kontrolleure ablehnt,
deuten auf eine Verschärfung des Konfliktes hin. Jetzt ist

die Frage: Sind Sie eigentlich mit dieser Parlamentsmehr-
heit noch in der Lage, Ihr gegebenes Wort von der
uneingeschränkten Solidarität mit den USA einzulösen?
Diese Frage ist auch nach der Vertrauensabstimmung un-
gelöst und ungeklärt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Eine andere Frage ist: Sind unsere Streitkräfte, die fi-
nanziell am Krückstock gehen, überhaupt in der Lage, die
Solidarität einzulösen? Müssen wir nicht – auch diese
Frage wird diskutiert – in Zukunft besonders viel Geld für
die Ehre bezahlen, dass unser Außenminister, der bei
der Stange gehalten werden muss, jetzt Gastgeber der
Friedenskonferenz für Afghanistan ist?


(Gernot Erler [SPD]: Was haben Sie denn daran auszusetzen? – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN!)


–Wir diskutieren heute über den Haushalt. Ich kann diese
Unruhe nicht verstehen.

Hier stellt sich vor allen Dingen die Frage: Ist dafür im
Haushalt ausreichend Vorsorge getragen?


(Hans Georg Wagner [SPD]: Natürlich!)

Der Haushalt der Entwicklungsministerin ist unter Ihrer
Regierungszeit immer ein Steinbruch gewesen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Gernot Erler [SPD]: Das hat doch gar nichts miteinander zu tun! Das ist doch Unsinn!)


Es kommt noch hinzu: Neben der Vorsorge, die für
viele wichtige Dinge fehlt, muten Sie – wir werden dage-
gen stimmen – Ihrer rot-grünen Mehrheit zu, einen Haus-
halt zu verabschieden, der falsch angelegt ist und dessen
Grundlagen nicht stimmen. Herr Eichel, Sie kalkulieren
mit einem Wachstum von 1,25 Prozent. Die optimis-
tischsten seriösen Prognosen, die es gibt, liegen bei
0,7 Prozent Wachstum. Das geht natürlich leicht, wenn
der Wirtschaftsminister ausfällt, der früher für die Kon-
junkturzahlen verantwortlich war. Wenn man diesen Be-
reich ins Finanzministerium verlegt, dann bekommt man
für die Haushaltsaufstellung genau die Schätzungen, die
man will, die aber mit Wirklichkeit und Seriosität nichts
zu tun haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt in ihrer Samstags-
ausgabe vom 24. November 2001 unter der Überschrift
„Der hilflose Kanzler“ – ich zitiere –:

Wie lange noch soll das so gehen? Wie lange noch
will die Regierung tatenlos zusehen, wie Deutsch-
land die Kräfte schwinden? Was wiegt ein bisschen
mehr außenpolitisches Gewicht gegen den fort-
schreitenden Verlust von wirtschaftlicher Kraft und
Selbstbewusstsein?
Erstmals seit Jahren wächst die deutsche Volkswirt-
schaft nicht mehr. Sie befindet sich auch nicht in ei-
ner Wachstumspause, wie uns die Regierung weis-
machen will, sondern ist klar auf Schrumpfkurs.




Michael Glos
20034


(C)



(D)



(A)



(B)


Es heißt weiter:
Überall im Land werden die Budgets zusammen-
gestrichen, werden Mitarbeiter entlassen. In der für
Deutschland so wichtigen Exportwirtschaft kommt
Panik auf, am Bau herrscht Endzeitstimmung:
Szenen aus Deutschland vor einem harten Winter.
Bald mehr als vier Millionen Arbeitslose – die Re-
gierung aber betreibt Nabelschau.

Das sind Ihre Arbeitslosen, Herr Bundeskanzler.

(Zurufe von der SPD)


Es ist schon erschreckend, wenn sich die regierungs-
freundliche „Süddeutsche Zeitung“ veranlasst sieht, Ihr
Nichtstun in dieser Art und Weise anzuprangern.

Auch war es sehr peinlich, Herr Bundeskanzler, was
Sie auf dem Nürnberger SPD-Parteitag zum Thema Wirt-
schaft und Arbeitsmarkt gesagt haben.


(Gernot Erler [SPD]: Sie waren doch gar nicht dabei!)


Sie haben gesagt: Wir stehen am Anfang des Reformpro-
zesses; die nötigen Reformen auf dem Arbeitsmarkt wer-
den kommen. – Wann werden sie kommen? Am Sankt-
Nimmerleins-Tag? Warum haben Sie denn alle Reformen,
die wir mit Mühe durchgesetzt haben – das war nicht
leicht –, sofort wieder rückgängig gemacht?


(Lachen bei der SPD)

Warum haben Sie die befristeten Arbeitsverhältnisse ein-
geschränkt? Warum haben Sie einen pauschalen An-
spruch auf Teilzeitarbeit eingeführt?


(Hans Georg Wagner [SPD]: Fragen Sie mal die Wählerinnen und Wähler!)


– Es geht um Arbeitsplätze, nicht um Sprüche. – Die In-
dustrie- und Handelskammern schätzen, dass allein diese
Tatsache den Verlust von 250 000 Arbeitsplätzen in
Deutschland bedeutet.

Warum tragen Sie so viel Unruhe in den Mittelstand?
Der Mittelstand war zu allen Zeiten der Motor des Wachs-
tums. Warum entmutigen Sie? Warum ermutigen Sie
nicht? Vor allen Dingen: Warum machen Sie solche Dinge
wie ein Betriebsverfassungsgesetz, das nur unnötige Kos-
ten verursacht?


(Lachen bei der SPD)

Sie machen es den Unternehmen, insbesondere den klei-
nen Unternehmen, sehr viel schwerer, auf die Arbeits-
marktlage flexibel zu reagieren und Entscheidungen rasch
zu treffen.

Das sind die Probleme, die unser ganzes Land belasten.
Dass diese Probleme die Genossen auf dem SPD-Partei-
tag noch nicht belastet haben, wundert mich überhaupt
nicht.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Nur kein Neid! – Gernot Erler [SPD]: Da war eine sehr gute Stimmung! – Hans Georg Wagner [SPD]: Die Stimmung in Nürnberg war bombig!)


Aber die Probleme unseres Landes sind wichtiger als die
Probleme Ihrer Partei, Herr Bundeskanzler!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es wäre dringend notwendig, dass Deutschland wieder

auf Wachstumskurs kommt. Im zweiten und dritten Quar-
tal dieses Jahres ist die Wirtschaftsleistung Deutschlands
zurückgegangen, also zweimal in Folge; das bedeutet Re-
zession. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Der Ifo-Ge-
schäftsklimaindex ist auf dem tiefsten Stand seit acht Jah-
ren. Herr Bundeskanzler, Sie haben in Nürnberg wieder
den Versuch gemacht, für die deutsche Wirtschaftsmisere
die amerikanische Konjunkturschwäche und die Terror-
anschläge verantwortlich zu machen. Das ist eine faden-
scheinige Behauptung. Ich möchte sie gerne widerlegen,
falls sie überhaupt noch jemand geglaubt hat, außer Ihren
Parteifreunden, die Sie in den Fällen, in denen Sie sie be-
sonders gut an der Nase herumführen wollen – das habe
ich im Fernsehen gesehen –, mit „Liebe Genossinnen und
Genossen!“ anreden.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Deutschland ist beim Wachstum das Schlusslicht in der

Europäischen Union. Die EU-Kommission rechnet mit ei-
nem durchschnittlichen Wachstum in der Europäischen
Union von 1,7 Prozent in diesem und von 1,4 Prozent im
nächsten Jahr. Deutschland wird, wenn es gut geht, höchs-
tens die Hälfte erreichen. Macht es Ihnen Spaß, die rote
Laterne zu tragen? Bei der nächsten EU-Konferenz, die
Sie besuchen, müssen Sie die rote Laterne mitbringen und
damit zeigen, dass Deutschland Schlusslicht ist. Der Mo-
tor des Wachstums ist zum Rücklicht geworden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Deutschen mögen keine Verlierertypen. Sie wollen
– in dieser Beziehung sind unsere Landsleute etwas chau-
vinistisch – Siegertypen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Deutschen möchten, dass Deutschland in der Cham-
pions League spielt. Warum herrschte denn ein solcher
Freudentaumel in unserem Land, als die Qualifikation zur
Fußballweltmeisterschaft endlich erreicht worden war?
Warum ist Schumi so beliebt, Herr Bundeskanzler? Er ist
so beliebt, nicht weil er hinterherfährt, sondern weil er
vorausfährt, weil er der Schnellste und der Dynamischste
ist.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Herr Bundeskanzler, Sie sind ja immer, wenn wichtige
Spiele sind – Sie machen das insbesondere wegen der
Fernsehkameras –, in den Stadien. Dann wissen Sie si-
cherlich auch, dass spätestens dann, wenn man das Tabel-
lenende erreicht hat, der Trainer ausgewechselt wird. Das
werden die Wähler im September des nächsten Jahres tun.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir Deutschen sind zu Recht stolz auf das Wirt-

schaftswunder nach dem Krieg, auf die soziale Markt-
wirtschaft und auf die starke Wirkung, die die soziale




Michael Glos

20035


(C)



(D)



(A)



(B)


Marktwirtschaft entfaltet hat. Wir sind stolz auf unsere
stabile Währung.Wir wollen, dass der Euro genauso sta-
bil wird wie die D-Mark. Die Grundlagen, die Theo
Waigel, Helmut Kohl und alle anderen, die dafür verant-
wortlich waren, gelegt haben, sprechen für eine außeror-
dentlich stabile Währung. Aber wir wissen auch, dass für
einen Waigel-Euro 1,18 US-Dollar an den Devisen-
märkten gezahlt werden mussten, während gestern ein
Schröder-Euro für 88 Cent zu haben war. Die Stabilität
und der Wert einer Währung müssen immer gepflegt
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Jetzt wird das Märchen erzählt – wir werden es an-

schließend wieder hören –, das alles liege am Export.
Auch hier möchte ich noch ein paar Zahlen anführen, ob-
wohl ich weiß, dass Zahlen immer etwas Trockenes sind.

Die Exporte vom Januar bis August 2001 waren präzise
um 5,8 Prozent höher als die vom Januar bis August 2000.
Das sind die Fakten, die Tatsachen. Deswegen kann man
sagen: Die Rezession in Deutschland ist hausgemacht.
Vieles in der deutschen Binnenkonjunktur liegt im Argen.
Warum ist das Wachstum in Frankreich dreimal so hoch
wie das Wachstum in Deutschland?

Seit Jahresbeginn steigt die saisonbereinigte Zahl der
Arbeitslosen in Deutschland an. Im Oktober 2001 waren
114 000 Menschen mehr ohne Arbeit als im Oktober
2000. Insgesamt werden im Durchschnitt des Jahres 2001
immerhin 5,4 Millionen Menschen in Deutschland ohne
Arbeit sein. Davon sind 3,7 Millionen offiziell als Ar-
beitslose registriert; 1,7 Millionen sind in arbeitsmarktpo-
litischen Maßnahmen. Das alles sind Menschen ohne re-
guläre Arbeitsverhältnisse.


(Gernot Erler [SPD]: Sie sollten bei diesem Elend auswandern!)


Die Menschen in Deutschland – Herr Kollege Zwi-
schenrufer, das sollte gerade die sozialdemokratische Par-
tei sorgen – haben wieder Angst um ihre Arbeitsplätze.
Nicht nur die Menschen, die gering qualifiziert und
schlecht ausgebildet sind, haben Angst um die Arbeits-
plätze, sondern heute fürchten auch gut ausgebildete Ab-
solventen sowohl von Lehrverhältnissen als auch von
Hochschulen die Arbeitslosigkeit und finden keine Stellen
mehr. Das sollten wir viel ernster nehmen; vor allen Din-
gen sollten Sie es ernst nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir erleben derzeit beispiellose Entlassungswellen,

die Beschäftigte in großen Unternehmen ebenso wie in
kleinen Betrieben treffen – bei den kleinen Betrieben wird
vieles noch zeitverzögertwirksamwerden –: Siemens baut
17 000 Stellen ab, die Deutsche Bank 10000. Der ZDH
meldet, dass im Laufe des Jahres 2001 rund 200 000 Ar-
beitsverhältnisse im Handwerk verloren gehen. Bei dieser
Lage ist nicht auszuschließen, dass das Weihnachtsge-
schäft für den Einzelhandel ganz trübe wird, mit allen
schlimmen Folgen, die das letztlich hat.

Ich habe vorhin schon einmal zitiert, was Marc Beise
in der „Süddeutschen Zeitung“ geschrieben hat. Der ge-

samte Artikel ist vorlesenswert. Ich möchte nur noch drei
Sätze aus ihm zitieren:

Schröders einziger Beitrag zur Krisenbewältigung ist
die Wortschöpfung von der „ruhigen Hand“, die als
Alibi dient für völlige Bewegungslosigkeit. ... Der
Kanzler will nicht nur nichts tun, er weiß auch nichts
zu tun. Er ist schlicht hilflos.
Die Regierung Schröder hat in der Wirtschaftspolitik
von Anfang an viele Irrtümer begangen, vor allen
Dingen aber einen Kardinalfehler: Sie hat in guten
Zeiten nicht vorgesorgt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD)


Daran sind Sie, Herr Bundeskanzler, nicht allein schuld.
Sie haben zweimal bei der Auswahl Ihres Finanzministers
Pech gehabt. Bei dem ersten Finanzminister – wenn Sie
sich noch erinnern: es war Ihr Parteivorsitzender, Herr
Lafontaine – hat man sich unter „Rotlicht“ noch etwas
Lustiges vorgestellt, nicht die rote Laterne beim Wirt-
schaftswachstum.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

Der zweite Finanzminister, der blanke Hans, hat den
großen Sparminister gespielt. Dieses Märchen verfängt
noch bis heute. Er ist letztlich kläglich gescheitert. Er
wollte als Sparminister Geschichte schreiben und hat ver-
gessen, dass man öffentliche Haushalte nur konsolidie-
ren kann, wenn man auch für Wachstum sorgt.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Das haben Sie doch vorgemacht!)


Bei Ihnen, Herr Eichel, kommt einem nur noch das
Märchen von Hans Guckindieluft in den Sinn. In diesem
Märchen heißt es – ich zitiere immer ganz genau –:

Seht! Nun steht er triefend nass!
Ei! das ist ein schlechter Spaß!

(Susanne Kastner [SPD]: Sie sind auch ein schlechter Spaß, Herr Glos!)

Wasser läuft dem armen Wicht
Aus den Haaren ins Gesicht,
Aus den Kleidern, von den Armen;
Und es friert ihn zum Erbarmen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so wie bei Abgeordneten der FDP)

Das Schlimme ist, Herr Eichel: Deutschland friert mit Ih-
nen. Wir werden zum Ende Ihrer Amtszeit, der Amtszeit
eines selbst ernannten Sparministers, 100 Milliarden DM
mehr Schulden haben als vorher, und das trotz der Tatsa-
che, dass Sie Windfall Profits in Höhe von 100 Milli-
arden DM durch die Versteigerung der UMTS-Lizenzen
hatten.

Herr Bundeskanzler, noch viel schlimmer ist, wie in
unserem Land die Kleinaktionäre von der roten Abzocke
betroffen worden sind.


(Lachen bei der SPD – Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist ja ein Stuss, den Sie erzählen! – Gernot Erler [SPD]: Sie gucken zu viele Horrorfilme, Herr Kollege!)





Michael Glos
20036


(C)



(D)



(A)



(B)


– Ihnen wird das Lachen noch vergehen, Herr Struck.
Nehmen Sie doch die Tatsachen zur Kenntnis: Erstens

haben die Telekommunikationshersteller einen massiven
Einbruch erlitten. Der gesamte Markt ist belastet; sie kön-
nen nicht investieren. In der völlig überteuerten Lizenz-
vergabe liegt der eigentliche Grund für die derzeitige
Baisse in der IT-Branche ganz besonders in Deutschland.

Zweitens gehen den Ländern und den Kommunen
Steuereinnahmen in Milliardenhöhe verloren, weil die Li-
zenzkosten die Gewinne der betroffenen Unternehmen re-
duzieren und die Unternehmungen in die Verlustzone ge-
raten. Über Steuerverbünde wirkt sich das natürlich
besonders negativ bei den Ländern und Kommunen aus,
die aus dem Lizenzverkauf keine einzige Mark erhalten
haben. Das ist für die gesamte derzeitige Wirtschaftslage
und für die Investitionsfähigkeit verheerend. Schauen Sie
sich doch einmal die Haushalte der Gemeinden an.

Drittens – das verstehe ich unter Abzocke – sind die
Börsenwerte der Unternehmen zum Nachteil der Klein-
aktionäre gewaltig nach unten gezogen worden.


(Gernot Erler [SPD]: Vom Bundeskanzler oder was?)


In besonderer Weise wurden von Ihnen die Telekom-Ak-
tionäre geprellt. Beim ersten Börsengang im November
1998 kostete die Telekom-Aktie mit Privatanlegerrabatt
14,32 Euro. Für den Bund handelten damals Helmut Kohl,
Theo Waigel und Wolfgang Bötsch.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Wolfgang Bötsch? Wo ist der Kollege denn?)


Dann begann die Abzocke, Herr Struck. Beim Verkauf
der zweiten Tranche – Sie sollten zuhören – im Juni 1999,
also bereits unter Ihrer Verantwortung und unter der Ver-
antwortung von Herrn Eichel, mussten 39,5 Euro bezahlt
werden.


(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Bei der dritten Tranche allerdings, im Juni 2000, haben

Schröder und Eichel den Bürgern Aktien für 66,5 Euro
aufgeschwatzt und verkaufen lassen. Das ist eine Abzocke
im gewaltigen Umfang.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Jetzt kommt es: Nachdem viele Millionen Klein-
anleger Milliarden dafür ausgegeben haben, hat man ge-
sagt: Die machen wir jetzt vollkommen nass; wir verstei-
gern anschließend die UMTS-Lizenzen. Dafür hat man
100 Milliarden eingenommen. Daraufhin begann die Tal-
fahrt dieser ganzen Branche und auch der Aktien.

Am allerschlimmsten ist es, dass dadurch Kapital – vor
allen Dingen Vertrauenskapital – verspielt worden ist.
Auch das müsste Ihnen Sorge machen. Wenn wir heute
unsere Altersversorgung ein Stück weit auf Aktien auf-
bauen wollen, dann wird den Leuten immer in Erinnerung
sein, was die öffentliche Hand in diesem Punkt mit ihnen
getrieben hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das geht alles auf einen Kapitalisten zurück, nämlich
auf den Bankier Fürstenberg, der früher gesagt hat: Ak-
tionäre sind dumm und frech; dumm, weil sie anderen
Leuten ihr Geld geben, und frech, weil sie auch noch Di-
videnden dafür wollen. – Herr Eichel, so kann man mit
den Leuten nicht umgehen.

Die so genannte größte Steuerreform aller Zeiten hat
sich als Flop erwiesen. Sie ist nur für Konzerne und Steu-
ergestalter in Kapitalgesellschaften gemacht, nicht aber
für den Mittelstand und für die kleinen Leute.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Herr Wirtschaftsminister, es wäre auch Ihre Aufgabe ge-
wesen – Sie sollen ja bereits ein Büro in einem großen
Energiekonzern haben; das ist auch gut so, denn als Wirt-
schaftsminister sind Sie nur schwer tragbar –,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

bei der Steuerreform eine Wächterfunktion wahrzuneh-
men. Sie haben weggeschaut.

Sie haben jetzt einen Energiebericht vorgelegt, der
sehr mutig ist; denn er ist vor allen Dingen realistisch.
Demnach müssen wir in den nächsten 20 Jahren den ge-
waltigen Betrag von 500 Milliarden mehr aufbringen,
wenn wir alle Ziele gleichzeitig erreichen und dabei die
Kernkraftwerke abschalten wollen. Ich glaube, dass das
überhaupt nicht zu leisten ist. Auf diesen Bericht hin wur-
den Sie vom stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-
Fraktion, der ebenso wie Sie Müller heißt – er heißt
Michael, Sie Werner –,


(Gernot Erler [SPD]: Alles Müller oder was? – Heiterkeit bei der SPD)


anschließend geziehen, einen Chaosbericht vorgelegt zu
haben. Es hieß, Sie seien nicht mehr auf der Höhe der Zeit.
Herr Bundeskanzler, dazu kann ich nur sagen: Schöner
Zustand bei euch. Alles Müller oder was?


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Der Ausstieg aus der Kernenergie ist ein klassischer

Vertrag zulasten Dritter. Leidtragende sind die Wirtschaft,
die Verbraucher, die Arbeitnehmer und auch der Klima-
schutz.

Über Herrn Minister Riester muss man vor allem sa-
gen, dass er alle seine Wahlversprechen gebrochen hat.
Zusammen mit Ulla Schmidt sorgt er dafür, dass bei uns
die Sozialversicherungsbeiträge nicht sinken, sondern
ansteigen, nicht wie versprochen 40 Prozent, sondern
mindestens 41,2 Prozent werden es im nächsten Jahr sein.
Außerdem sind die Leute mit der Ökosteuer gleichzeitig
gewaltig abgezockt worden. Wir werden dann am Ende
fünf Stufen Ökosteuer und höhere Sozialversicherungs-
beiträge als vorher haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nirgends
ist die Kostenbelastung der Arbeit so hoch wie in
Deutschland. Das ist unser Problem. Deswegen ist bei uns
der Arbeitsmarkt so besonders schwierig. Deswegen geht
es so langsam bergauf, wenn es besser wird, und so rasch
bergab, wenn es schlechter wird. Sie weigern sich einfach,
diese Probleme zu lösen.




Michael Glos

20037


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie haben in Ihrer Amtszeit sieben Minister ausge-
tauscht.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist das Rotationssystem!)


Wenn man den virtuellen Minister Stollmann noch da-
zurechnet, sind es acht. Wenn man den großmäuligen
Steiner noch dazurechnet, der gemeint hat, mehr zu sein
als ein Minister, sind es schon neun. Sie haben mit Ihren
Neueinkäufen nicht immer Glück gehabt. Frau Künast,
die letzte Neubesetzung, hat sich nicht nur für die Land-
wirtschaft als Flop erwiesen.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Bauernschreck!)


Funke, von dem ich heute gelesen habe, dass er zumindest
noch Weihnachtsgeld bekommt, war der letzte, der ge-
wusst hat, dass ein Eisbein vom Schwein stammt und
nicht das erfrorene Bein eines Polarforschers ist.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn solche Minister handeln, dann ist es nicht ver-

wunderlich, dass für die Verbraucher alles immer teurer
wird und dass bei den Bauern immer weniger in die Ta-
sche kommt. Auch bei den Bauern, die das Handtuch wer-
fen müssen, geht es um Arbeitsplätze, Herr Bundeskanz-
ler. Sie sind nach Ihrem Amtseid verpflichtet, auch für die
zu sorgen, von denen Sie vermuten, dass sie in Ihrer
Wählerschaft nicht so stark vertreten sind.

Ich wollte jetzt eigentlich noch die Leistungen aller
Minister aufzählen. Es lohnt sich nicht. Ich habe zum Teil
sehr intensiv nachgedacht.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist Ihnen doch wesensfremd! Sie können doch gar nicht nachdenken!)


Zu Scharping wäre mir sehr viel eingefallen; aber die
Pietät verbietet mir, darüber zu reden. Der Bundeskanzler
hatte versprochen, sich beim SPD-Parteitag für ihn einzu-
setzen. Jetzt weiß ich nicht, ob er wegen oder trotz dieses
Einsatzes nicht einmal 60 Prozent bekommen hat.

Das ist doch zum Teil eine Chaos-Combo, eine Mann-
schaft, zu der man nur sagen kann: Wie der Herr, so‘s Ge-
scherr.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, wenn Sie nach dem alten Motto,

das da lautet „Unter Blinden ist der Einäugige König“,
brillieren wollen, dann kann ich nur sagen: Auch das eine
Auge ist bereits schwer eingetrübt.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Susanne Kastner [SPD]: Eine Ansammlung von Zitaten ist Ihre Rede!)


Leidtragende sind wir alle. Es ist schade, dass es nicht zu
vorzeitigen Neuwahlen gekommen ist.

Ob Ihre Partei, Herr Bundeskanzler, Sie für all das, was
Sie versprochen haben und was Sie auf dem Parteitag
parteiintern zurückgenommen haben – aus der Resolution
ist die Zahl „unter 3,5 Millionen Arbeitslose“ plötzlich
gestrichen worden –, beim Wort nimmt, weiß ich nicht.

Aber ich verspreche Ihnen: Wir werden dafür sorgen, dass
sich die Wählerinnen und Wähler in Deutschland an die
gegebenen Versprechungen erinnern. Wir werden Sie
– darauf können Sie sich verlassen – an all diesen Ver-
sprechungen messen.

Ich bedanke mich für die Geduld meiner Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420400200
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, unter Leitung von Herrn Lopez, dem Vize-
präsidenten des spanischen Abgeordnetenhauses, be-
suchen in diesen Tagen Parlamentarier der Cortes Ber-
lin. Ich heiße Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen aus
Spanien, im Namen des Deutschen Bundestages herzlich
willkommen.


(Beifall)

Nunmehr erteile ich dem Bundeskanzler Gerhard

Schröder das Wort.


(von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Beifall begrüßt)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte da-
rum gebeten, endlich einmal nach Michel Glos reden zu
dürfen, und hatte gedacht: Da redet der Hauptredner der
Opposition am heutigen Tag und der wird uns alles ent-
gegenhalten, was man sich nur einfallen lassen kann, um
den Haushalt schlecht zu machen.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Die ganze Politik ist schlecht!)


Nun muss ich alle Fragen, die er hätte stellen sollen, mir
selbst stellen und beantworten; denn mehr als ein paar
muntere Bemerkungen, lieber Michel Glos, sind ja nicht
dabei herausgekommen.


(Susanne Kastner [SPD]: Eine Zitatserie!)

Auf diese kann ich aber noch eben antworten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


„Leidtragende sind wir alle“, hat er gesagt. Wie wahr
heute Morgen!


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dann hat er gesagt – das war ja noch das Interessan-
teste –, man müsse den Trainer auswechseln.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja!)

Das mag ja sein, nur: Man kann nur auswechseln, was
man hat.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das müsst ihr doch zugeben: Euer Problem ist, dass ihr
keinen habt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Michael Glos
20038


(C)



(D)



(A)



(B)


Ohne Trainer kann man auch im Fußball nichts bewegen
und erst recht im Staate nicht. Also ist mein guter Rat:
Macht euch auf den Weg, schafft Klarheit, und dann redet
ihr über Trainer-Auswechseln. Sonst glaubt das keiner.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Jetzt habe ich gehört, das Ganze solle – so Michel Glos
gestern – um den 3. März geschehen. Nicht gesagt hat er,
in welchem Jahr.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Darauf warten wir dann noch ein bisschen.
Ich glaube, bevor nicht eine ernsthafte Diskussion über

die wirklich anstehenden Fragen beginnt, haben Sie auch
nicht die Spur einer Chance, irgendetwas zu bewegen, ge-
schweige denn bei den Wahlen im September auch nur
Spuren von Erfolg zu bekommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der ge-
samtwirtschaftlichen Entwicklung hat ein interessantes
Gutachten vorgelegt, ein in Teilen kritisches – das wird
man nicht bestreiten können –, aber eines, das die Grund-
züge der Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bundes-
regierung unterstützt. Es steht unter dem Motto „Für Ste-
tigkeit – gegen Aktionismus“.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Da steht aber viel drin!)


Exakt das ist die Politik, die der Bundesfinanzminister mit
Unterstützung des gesamten Kabinetts in den letzten drei
Jahren gemacht hat, und exakt das ist die Politik, die für
Deutschland notwendig ist und die deshalb auch weiter-
geführt werden wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Worin bestehen die Grundzüge dieser Politik?
Zunächst einmal – das ist gestern vom Bundesfinanzmi-
nister noch einmal deutlich gemacht worden – mussten
wir den Bundeshaushalt konsolidieren. 1,5 Billionen DM
Schulden haben wir von Ihnen übernommen, 82 Milliar-
den DM Zinsen zahlen wir jedes Jahr dafür – ohne Til-
gung, das sage ich für die Häuslebauer, die in Bayern und
in Franken im Besonderen –: Das war die Eröffnungsbi-
lanz. Das konnte doch nicht so weitergehen.

Wir haben gesagt: Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der
nicht nur in der Ökologie einen hohen Stellenwert ver-
dient. Vielmehr muss Nachhaltigkeit, also die Sorge auch
um künftige Generationen, auch die Finanzpolitik beein-
flussen. Wir konsolidieren doch nicht die Haushalte und
wir sparen doch nicht um des Sparens willen, sondern wir
sparen und wir konsolidieren den öffentlichen Haushalt,
weil wir doch nicht das verfrühstücken dürfen, wovon
unsere Kinder und Enkelkinder auch noch etwas haben
wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Politik, die Sie gemacht hatten, durfte nicht so wei-
tergeführt werden, aus Gründen der Nachhaltigkeit, aber
auch aus internationalen Gründen nicht. Ohne den Kon-
solidierungserfolg von Hans Eichel in einer Größenord-
nung von 30 Milliarden hätten wir bereits in diesem Jahr
gegen den von Ihnen doch selber in Europa propagierten
und durchgesetzten Stabilitätspakt – das war ja in Ord-
nung – verstoßen. Wir hätten nämlich ohne diesen Kon-
solidierungserfolg die Maastricht-Kriterien verfehlt. Das
kann doch wohl nicht ernsthaft Ihre Auffassung sein.

Ich habe in Vorschlägen aus der Union, auch von der
Parteivorsitzenden der Union, gelesen, dass man wegen
der Schwäche der Binnenkonjunktur zeitweise in die Ver-
schuldung gehen müsse, dass man weiter Schulden ma-
chen müsse.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Das können die am besten! Die haben da Erfahrung!)


Das wäre doch die Weiterführung einer Politik, die erstens
feindlich gegenüber den Nachkommen und zweitens eu-
ropaunverträglich ist. Es kann doch nicht Ihr Ernst sein,
das vorzuschlagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In der letzten Zeit hat man ja auch wenig davon gehört.
Also ist der Vorschlag, mehr Schulden zu machen, der
mitten aus der Union kam, angesichts der Widerstände in
der Wissenschaft, in der Öffentlichkeit und in der Wirt-
schaft zu den Akten gelegt worden – ich würde sagen:
wieder einmal. Anstelle dessen habe ich nichts gehört.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Schulden hoch, Wachstum runter – das ist Ihr Modell!)


Ich entnehme dem, dass auch Sie inzwischen der Meinung
sind, dass die Politik der Konsolidierung von Hans Eichel
richtig ist und weitergeführt werden muss. Aber wenn Sie
dieser Meinung sind, dann sagen Sie das doch auch,
meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben die Nettoneuverschuldung – sie erhöht den
von Ihnen angerichteten Schuldenberg – kontinuierlich
zurückgeführt. 1997 lag die Nettoneuverschuldung
– noch unter Ihrer Regierung – bei 63,7 Milliarden DM,
1999 bei 51,1 Milliarden DM, 2001 liegt sie bei 43,7 Mil-
liarden DM und 2002 wird sie bei 41,3Milliarden DM lie-
gen. Wir werden den Abbau der Verschuldung, ungeach-
tet der gesamtwirtschaftlichen Schwierigkeiten, in denen
wir uns gegenwärtig ohne Frage befinden, kontinuierlich
vorantreiben. Das sollten Sie nicht kritisieren, sondern
unterstützen. Sie sollten aufhören, den Unsinn zu verbrei-
ten, mit einer höheren Verschuldung sei Staat zu machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Konsequenz der Finanzpolitik von Hans Eichel ist,
dass die Europäische Zentralbank nur auf diese Weise
eine Zinspolitik gestalten kann, die investitions- und da-
mit wachstumsfreundlich ist. Mit der von Ihnen vorge-
schlagenen höheren Verschuldung wären Sie in eine




Bundeskanzler Gerhard Schröder

20039


(C)



(D)



(A)



(B)


Zinsfalle gelaufen. Ich erwarte, dass Sie heute einmal
etwas dazu sagen, meine Damen und Herren von der
Opposition.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Hier ist ein Vortrag über den Wert des Euro im Ver-
gleich zu dem des Dollar gehalten worden. Das ist inte-
ressant. Mit der von Ihnen empfohlenen Politik


(Joachim Poß [SPD]: Dann wäre der Euo noch schwächer!)


– mehr Schulden, was einen geringeren Zinsspielraum für
die Europäische Zentralbank bedeutet hätte – hätten Sie
den Euro wirklich in den Keller getrieben. Das ist die
Wahrheit. Das muss man sagen, wenn man sich über den
Außenwert des Euro unterhält.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Unsinn!)


Zu der Konsolidierungspolitik, die Hans Eichel be-
trieben hat und die er mit Unterstützung des gesamten Ka-
binetts sowie der gesamten Koalition fortführen wird, gibt
es keine vernünftige Alternative. Das ist der Kern des
Sachverständigengutachtens. Offenbar sind Sie dazu
übergegangen, immer nur diejenige Zeile ansatzweise zu
lesen, die Ihnen gerade in Ihren Kram passt. Das Gutach-
ten selbst besagt jedoch eindeutig: Nur die Weiterführung
des Konsolidierungskurses schafft die Möglichkeiten,
Deutschland nach Überwindung der weltwirtschaftlichen
Schwierigkeiten auf einen soliden Wachstumspfad
zurückzuführen. Aus diesem Grund wird an diesem Kurs
nicht gedeutelt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir müssen uns ferner mit der Steuerreform ausei-
nander setzen. Es ist immer wieder gefragt worden: Was
habt ihr denn in den drei Jahren gemacht, um wachstums-
freundliche Politik zu unterstützen?


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Was habt ihr erreicht?)


– Darauf werde ich gleich zu sprechen kommen. Warten
Sie noch einen Moment. – Wenn wir dieser Frage nach-
gehen, sollten wir über alle Stufen der Steuerreform, und
zwar die der Jahre 1999 – das erste Steuerentlastungsge-
setz sollte man nicht vergessen; ich komme gleich darauf
zurück –, 2001, 2003 und 2005, reden.

Worum ging es? Bei der Anlage der Steuerreform ging
es darum, eine sinnvolle Balance zwischen einer vernünf-
tigen, nachfrageorientierten Steuerpolitik auf der einen
Seite und einer ebenso vernünftigen, angebotsorientierten
Steuerpolitik auf der anderen Seite zu finden und im Ge-
setz festzuschreiben, damit sie Wirklichkeit wird. All die-
jenigen, die entweder das eine oder das andere fordern,
befinden sich meiner Meinung nach auf dem Holzweg. Es
geht darum, bei der Angebotspolitik eine Situation zu
schaffen, die die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Un-
ternehmen, speziell der mittelständischen Unternehmen,
stärkt – auch darauf werde ich gleich noch zu sprechen

kommen –, und auf der Nachfrageseite die Binnenkon-
junktur durch Förderung der Nachfrage mithilfe einer
besseren Steuerpolitik zu stabilisieren. Diese beiden
Punkte müssen realisiert werden, wenn man eine Balance
zwischen Angebots- und Nachfrageorientierung herstel-
len möchte.

Wir müssen schauen, ob das von einem Staat, der auch
dafür sorgen muss, dass er die von den Bürgerinnen und
Bürgern eingeforderten Leistungen erfüllen kann, erreicht
worden ist.

Also schauen wir uns doch einmal die einzelnen Stufen
der Steuerreform unter diesem Aspekt an. Was ist ge-
wesen?

Ich beginne mit der Nachfrageseite. Mit dem ersten
Steuerentlastungsgesetz sind 17,5 Milliarden DM an die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zurückgegeben
worden. In der Stufe 2001, die Anfang dieses Jahres in
Kraft getreten ist, sind es 25 Milliarden DM gewesen,
übrigens einschließlich einer Kindergelderhöhung in ei-
ner Größenordnung von 80 DM, nämlich von 220 auf
300 DM – eine gewaltige familienpolitische Leistung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben – sehr konkret gesagt – den Eingangssteuersatz
gesenkt. Wir haben vor allen Dingen diejenigen entlastet,
die über geringere Einkommen verfügen. Wir haben in
dem Maße, in dem das geboten und objektiv möglich ist,
auch beim Spitzensteuersatz etwas gemacht. Das zur
Nachfrageseite.

Was haben wir auf der Angebotsseite gemacht? Wir
haben im ersten Steuerentlastungsgesetz 1999 – das ist
schon wieder vergessen – 4,5 Milliarden DM allein für
den Mittelstand mobilisiert. Damals sind – das hat eine
gewaltiges Geschrei gegeben; auch das ist vergessen wor-
den – die großen Unternehmen, vor allen Dingen die Ver-
sicherungen und Energieversorger, mit 12 Milliarden DM
belastet worden, um die Entlastungen auf der Nachfrage-
seite zu finanzieren.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Da habt ihr geschrieen!)


Das ist alles längst vergessen. Aber es gehört in eine se-
riöse Debatte. Wenn Sie dazu etwas sagen wollen, können
Sie das gerne tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben mit der Stufe 2001 insbesondere den Mittel-
stand noch einmal mit 20 Milliarden DM entlastet.


(Zuruf von der CDU/CSU: Keiner merkt es!)

– Wenn Sie es nicht merken, dann vielleicht auch deswe-
gen, weil Sie gar keine Steuern mehr zahlen, weil Sie ein
Steuerkünstler sind. Das kann ja sein. Das will ich gar
nicht bestreiten.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Oder Schwarzgeldhinterzieher! – Friedrich Merz [CDU/ CSU]: Das ist aber sehr billig, Herr Bundeskanzler!)





Bundeskanzler Gerhard Schröder
20040


(C)



(D)



(A)



(B)


Aber diejenigen, die ihre Steuern gezahlt haben, haben
das sehr wohl gemerkt. Wenn Sie eine seriöse Debatte mit
den Unternehmen, auch mit den seriösen Leuten in den
Unternehmensverbänden, führen, dann wird Ihnen das
auch bestätigt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Die, die Sie kritisieren, sind nicht mehr seriös, oder was?)


Jetzt zu Ihren Einwänden, die ich immer höre. Da wird
gesagt: Ihr habt aber bei der Stufe 2001 das Hauptaugen-
merk auf die Großen gelegt und habt den Mittelstand im
Regen stehen lassen. – Das ist ständig Ihre Klage. Diese
Klage wird so beredt vorgebracht, dass es Sinn macht,
sich einmal mit ihr auseinander zu setzen. Was ist denn
Kern der Steuerpolitik auf der Angebotsseite, also der Un-
ternehmensteuerreform, die wir gemacht haben? Wir ha-
ben gesagt: Wir wollen wegen der internationalen Wett-
bewerbsfähigkeit die Körperschaften auf einen
Steuersatz von 25 Prozent bringen, über die staatlichen
Ebenen hinweg. Das haben wir gemacht. Hinzurechnen
müssen Sie einen durchschnittlichen Gewerbeertragsteu-
ersatz von 12 bis 13 Prozent. Wenn Sie das addieren, kom-
men Sie auf eine Steuerbelastung der Körperschaften,
also der großen Unternehmen, der Aktiengesellschaften,
von zwischen 35 und 38 Prozent. Da beißt die Maus kei-
nen Faden ab; das ist so.

Das Interessante ist nun, dass diese Körperschaftsbe-
steuerung das ist, was die Fachleute eine Definitivbe-
steuerung nennen. Das heißt, die Steuern für diese Unter-
nehmen, jene 35 bis 38 Prozent, werden von der ersten
Mark an fällig, und zwar ohne Begrenzungen. Das ist eine
Definitivbesteuerung; das muss beim Finanzamt abgelie-
fert werden.

Nun gucken wir uns den Mittelstand an, für den Sie
sich angeblich so stark machen. Das sind Personengesell-
schaften; das wissen Sie und wir wissen es auch. Die Per-
sonengesellschaften werden nach Einkommensteuerrecht
besteuert. Für sie gilt gegenwärtig ein Spitzensteuersatz
von 48 Prozent, wie wir alle wissen. Aber Sie berücksich-
tigen nie, dass mit der Unternehmensteuerreform, die wir
gemacht haben – das muss man endlich einmal auch der
Öffentlichkeit deutlich sagen –, ein uralter Traum des Mit-
telstandes realisiert worden ist – was Sie nie geschafft ha-
ben –, nämlich dass die Gewerbeertragsteuer – nachdem
wir die Gewerbekapitalsteuer miteinander abgeschafft ha-
ben; dafür hatten Sie unsere Zustimmung im Bundesrat
nötig und haben sie auch bekommen – bis zu einem Satz
von 360 Punkten voll auf die Einkommensteuer ange-
rechnet werden kann. Wenn Sie also vernünftig rechnen,
dann müssen Sie von jenen 48 Prozent diese durch-
schnittliche Gewerbeertragsteuer abziehen. Dann kom-
men Sie auf ganz andere Steuersätze.

Dann übersehen die Steuerkünstler der Opposition
ständig noch einen Punkt: Bei der Einkommensbesteue-
rung handelt es sich nicht um Definitivbesteuerung, son-
dern um Grenzbesteuerung. Das bedeutet, dass der
Höchstsatz eben nicht von der ersten Mark an fällig ist.
Meine Damen und Herren, wenn Sie dies endlich einmal
zur Kenntnis nehmen würden, wenn sich dieses endlich

einmal in der Öffentlichkeit herumsprechen würde und
wenn dies nicht dauernd von einigen von bestimmten In-
teressen geleiteten Verbänden ins Gegenteil verkehrt
würde, dann hätten Sie keinen Grund mehr, diese Klage
zu führen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Von der Opposition, wiederum auch von der Parteivor-
sitzenden der CDU, hat man in den letzten Wochen den
Hinweis vernommen, man müsse, um die Konjunktur an-
zukurbeln, die Steuerreform 2005 vorziehen. Damit
hatte man sozusagen das Ei des Kolumbus auf finanzpo-
litischem Gebiet entdeckt, von wem auch immer es gelegt
worden ist. Dies wird sich aber nur sehr schwer bewerk-
stelligen lassen. Welche Motive im Übrigen den einen
oder anderen, die in dieser Frage aktiv wurden, auch im-
mer bewogen haben, will ich gar nicht näher untersuchen.
Sie sind ja leise von dieser Forderung weggerobbt.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!)

Das gilt auch für den bayerischen Löwen; das kann man
in diesem Fall jedenfalls so sagen.


(Heiterkeit bei der SPD)

Ursprünglich war ja das Zwillingspaar, sozusagen das

Traumpaar der deutschen Politik, Stoiber und Merkel, der
Meinung, dass sie gemeinsam das Vorziehen der für 2005
vorgesehenen Steuerreform fordern müssten. Inzwischen
ist keine Rede mehr davon. Warum ist davon keine Rede
mehr? Weil das unbezahlbar ist, wie übrigens viele der
Forderungen, die Sie in IhremAntrag für den nächsteWo-
che stattfindenden Parteitag hineingeschrieben haben. Ein
Vorziehen ist deshalb unbezahlbar, weil das etwa 50 Mil-
liarden kostenwürde und diese 50Milliardenweder Kom-
munen noch Länder noch Bund aufbringen können, es sei
denn, Sie wollen das Land weiter verschulden. Das geht
aber nicht und das werden wir in der Tat nicht zulassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In Ihren finanzpolitischen Vorstellungen ist aber auch
nicht die Spur von Seriosität zu erkennen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Weil der Finanzminister Bayerns das seinem Kabinetts-
chef natürlich gesagt hat


(Joachim Poß [SPD]: Aber zu spät!)

und der das jetzt auch weiß, hat er sich seitwärts in die Bü-
sche geschlagen. Ich bin einmal gespannt, was Sie, Frau
Merkel, zu dieser Forderung heute sagen werden und ob
Sie sich noch hier hinstellen und sagen: Ich, Frau Merkel,
möchte, dass die Steuerreform 2005 vorgezogen wird. –
Wenn Sie bei dieser Aussage bleiben, möchte ich von Ih-
nen hören, wie Sie das bezahlen wollen. Wollen Sie mehr
Schulden machen und, wenn ja, in welcher Größenord-
nung? Wenn Sie darauf die Antwort verweigern, nehmen
sie nicht an einer seriösen Debatte teil.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





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Unsere Steuer- und Finanzpolitik hat, was den Stand-
ort Deutschland angeht, positive Folgen gehabt.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Die Zahlen sind unglaublich gut!)


Ich will Ihnen jetzt einmal sagen, wie sich zum Beispiel
die ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland
entwickelt haben, eine Zahl, die Sie uns ja immer vorge-
halten haben.


(Klaus Lennartz [SPD]: So ist es!)

Da sind Sie doch übers Land gezogen und haben behaup-
tet, der entsprechende Saldo sei negativ.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Mein Gott, wir sind Schlusslicht in Europa!)


– Ja, Schlusslicht in Europa haben Sie gesagt. – Soll ich
Ihnen einmal sagen, wie die Entwicklung der ausländi-
schen Direktinvestitionen in den vergangenen beiden Jah-
ren aussieht? In der Summe haben sie sich bis auf einen
Wert von 400 Milliarden DM in Deutschland vervier-
facht. Das nur zu diesem Argument. Sie sollten aufhören,
damit übers Land zu ziehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Sie übers Land gezogen sind, haben Sie auch im-
mer gesagt, dass die Finanzpolitik, die Hans Eichel macht,
Existenzgründungen verhindere. Das ist interessant.
Setzen wir uns damit einmal näher auseinander. Seit 1999
ist die Zahl der Existenzgründungen in Deutschland um
1,2 Millionen gestiegen.


(Zuruf von der FDP: Die Pleiten auch!)

Sie sollten dazu einmal etwas sagen. Die entsprechenden
Zahlen stammen alle aus Europa, auf das Sie sich sonst so
gerne beziehen. Aber dabei nehmen Sie nur die Zahlen,
die in Ihre Oppositionsstrategie à la Sonthofen passen, an-
dere überhaupt nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Im Hinblick auf diese Existenzgründungen ist es so

– das ist sehr interessant für die kommenden Debatten;
dazu möchte ich gerne etwas hören –, dass Deutschland
inzwischen auf einem der wesentlichen Wachstums-
märkte, nämlich auf dem der Biotechnologie, auf Platz
eins, also vor Großbritannien, liegt. Das muss doch damit
zu tun haben, dass wir in den letzten drei Jahren den be-
stehenden Reformstau aufgelöst haben. Das ist auch so;
ich komme darauf noch zurück.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das haben die Sachverständigen aber nicht so gesehen!)


Sie haben gesagt, das merke keiner. Ich kann doch nicht
dafür, dass Sie es nicht merken, weil Sie ständig mit ei-
nem Brett vor dem Kopf herumlaufen. Dann kann es wirk-
lich keiner merken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das haben auch die Sachverständigen anders gesehen!)


Wir können uns gerne über einen anderen Wachstums-
sektor unterhalten, zum Beispiel über den der Informati-
ons- und Kommunikationstechnologie.Als wir ins Amt
kamen, war Deutschland in Bezug auf den Anschluss der
Schulen an das Internet in der Tat Schlusslicht in Europa.
Binnen drei Jahren ist jede Schule, die wollte – es waren
etwa 35 000 –, im Rahmen einer Zusammenarbeit zwi-
schen der Bundesregierung und der einschlägigen Indus-
trie kostenlos an das Internet angeschlossen worden. Das
sind Zukunftsinvestitionen. Das sind Arbeitsplätze von
morgen, weil dadurch Menschen qualifiziert ausgebildet
werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nun möchte ich mich für einen Moment mit der wun-
derbaren Diskussion über die Wachstumsfrage, die Sie
meinen wahlkampfträchtig ausnutzen zu können, ausei-
nander setzen. Ich finde, man sollte einmal Butter bei die
Fische tun, sodass sich ein Bild ergibt, das, Herr Glos,
annähernd der Wirklichkeit entspricht.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Da sind wir aber gespannt!)


Denn Ihres war ein verzeichnetes Bild. Ich sage Ihnen
jetzt einmal etwas zu den Wachstumsraten in Deutschland
in den Jahren 1995 bis 2000:


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Was wächst, ist die Arbeitslosigkeit!)


1995 1,7, dann 0,8, dann 1,4 und 1998 4,4.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Preisstabilität! – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Bei null Inflation!)


Sie sollten die Wachstumsraten in Deutschland einmal
mit denen in den USAvergleichen. Sie werden feststellen,
dass Deutschland in Europa in der Zeit von 1995 bis 2000
entweder auf dem zweiten oder auf dem letzten Platz lag.
Ich komme gleich dazu, zu erklären, warum das so ist. Im
gleichen Zeitraum, also zu Ihrer Regierungszeit, gab es in
den Vereinigten Staaten von Amerika einen wahrhaften
Boom. Die Wachstumszahlen lagen Jahr um Jahr zwi-
schen 4 und 5 Prozent. Wenn man sich nun klar macht, wie
eng die deutsche Wirtschaft mit der amerikanischen ver-
flochten ist, dann weiß man auch, dass Sie zu Zeiten einer
boomenden amerikanischen Wirtschaft, also zu Ihrer Re-
gierungszeit, Schlusslicht in Bezug auf das Wachstum in
Europa waren. Wir befinden uns seit 2000, in einer Zeit,
in der sich die amerikanische Wirtschaft – das ist offiziell
festgestellt worden – in einer Rezession befindet, in der
gleichen Situation. Das ist der Unterschied.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Der Export läuft doch! – Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)


– Sie sollten sich diese Zahlen einmal anschauen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Jetzt fängt er an zu stolpern!)


Sie sollten auch beachten, was dazu der Sachverstän-
digenrat sagt. Er sagt nämlich, dass inzwischen eindeutig
ist, dass wegen der Verflechtung der amerikanischen mit




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der deutschen Wirtschaft die Wirtschaftsschwäche heute
nicht mehr nur durch zurückgehende Quoten beim Export
in die Vereinigten Staaten bedingt ist.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Der Sachverständigenrat schreibt aber noch mehr!)


Unser Problem liegt vielmehr auch darin, dass der Umsatz
deutscher Unternehmen und deren Töchter in den Verei-
nigten Staaten inzwischen sechsmal so hoch ist wie der
Export aus Deutschland in die Vereinigten Staaten. Das
heißt, die Wirtschaft in Deutschland und in den Vereinig-
ten Staaten ist sehr viel mehr miteinander verflochten, als
das jemals der Fall war. Hierin liegt der Grund dafür,
warum sich die Wachstumsschwäche in den Vereinigten
Staaten und auf den Weltmärkten insgesamt sehr viel
deutlicher auf Deutschland niederschlägt, als das bei je-
dem anderen europäischen Land der Fall ist. Wenn Sie mir
nicht glauben, dann sollten Sie diejenigen im Sachver-
ständigenrat fragen, die zu diesen Feststellungen gekom-
men sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Vorsicht, Vorsicht! Die schreiben Ihnen auch noch etwas anderes in Ihr Buch!)


– Sie können das ja alles richtig stellen. Herr Gerhardt, Sie
können gleich darauf antworten, wenn Sie das dürfen.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er darf nicht! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sagen Sie, was die Benchmarking-Gruppe dazu sagt!)


Fest steht erstens, dass es zwischen der Situation in den
Vereinigten Staaten und der in Deutschland eine sehr viel
engere Beziehung als jemals zuvor gibt. Wer das bestrei-
tet, ist entweder böswillig oder hat keine Ahnung. Sie
können sich die Antwort aussuchen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Oh! – Dr. Wolfgang Etwas unter Ihrem Niveau!)

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1420400300

– Man muss dies schon einmal deutlich sagen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Fest steht zweitens, dass unter Ihrer Regierung nied-

rige Wachstumsraten während eines Booms in Amerika
zu verzeichnen waren. Das ist bei uns nicht der Fall. Ich
bitte Sie, sich mit diesen beiden Argumenten ernsthaft
auseinander zu setzen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das kann man nicht! Das geht nicht!)


Ich komme nun zur Erklärung der Wachstums-
schwäche unter Ihrer Regierung im Vergleich zum euro-
päischen Maßstab. Diese Wachstumsschwäche kann man
genauso gut erklären, wie man die heutige erklären kann.
Zunächst einmal muss man sagen, dass es ein großer Un-
sinn ist, Volkswirtschaften wie die von Irland und Portu-
gal mit der deutschen zu vergleichen. Es ist geradezu er-
wünscht – die Kohäsions- und Strukturfonds sind extra
dafür geschaffen worden –, dass die wirtschaftlich
schwächeren europäischen Länder über höhere Wachs-

tumsraten an den europäischen Durchschnitt herangeführt
werden. Das ist ausdrücklich erwünscht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies nicht zu beachten ist der erste Fehler, der gemacht
wird.

Wenn man Deutschland mit den großen europäischen
Ländern vergleicht, die zwar nicht identische, aber doch
ähnliche Volkswirtschaften haben, dann kommt man zu
dem Ergebnis, dass sowohl für die 90er- wie übrigens für
die 80er-Jahre und auch für die jetzige Situation der von
Ihnen vorgetragene Befund richtig ist. Was Sie aber nicht
mitliefern, ist eine Begründung für diesen Befund. Eine
Begründung habe ich bereits genannt.


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Die Arbeitslosigkeit ist höher!)


Ich will aber noch eine zweite Begründung hinzufü-
gen. Anfang der 90er-Jahre, insbesondere in den Jahren
1990/91, sind aufgrund des Baubooms in der ersten Phase
der Wiedervereinigung Kapazitäten in der Bauwirt-
schaft im Westen, aber vor allem im Osten entstanden
– gestern hat Hans Eichel etwas dazu gesagt –, die Mitte
der 90er-Jahre, beginnend mit den Jahren 1994/95, mas-
siv abgebaut werden mussten und jetzt immer noch abge-
baut werden. Genau dieser Abbau der Baukapazitäten hat
den Deutschen einen Wachstumsverlust von rund 0,6 Pro-
zent jährlich eingebracht. Wenn Sie diese Zahl in unsere
Wachstumsraten einrechnen, dann kann man feststellen,
dass wir uns im Durchschnitt des Wachstums der großen
europäischen Länder befinden.

Ich erwarte von der Opposition gar nicht, dass sie die-
ses Argument in der öffentlichen Debatte anführt. Aber
ich denke, in einer seriösen finanz- und wirtschaftspoliti-
schen Diskussion im Deutschen Bundestag gehört dies
dazu. Die Begründungen, die damals, zu Ihrer Zeit, ge-
golten haben, gelten jetzt auch noch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Arbeitsmarkt.

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ja!)


– Ja, natürlich. – Wer bestreitet denn, dass die Lage am Ar-
beitsmarkt unbefriedigend ist? Ich werde das nicht tun.
Warum? Die Arbeitslosigkeit ist in der Tat zu hoch. Ich
bestreite auch nicht, dass wir nach allen Prognosen im
letzten Jahr die begründete Erwartung haben konnten,
dass wir bis zum Ende der Legislaturperiode die Arbeits-
losigkeit auf unter 3,5 Millionen würden drücken können.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das konnten Sie damals schon nicht! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Entschuldigung, ich habe doch noch im Ohr, was damals
gesagt worden ist. Soll ich Ihnen Ihre eigenen Debatten-
beiträgevorlesen?Siehabenmirdochvorgeworfen,dassdas
Ziel von 3,5MillionenArbeitslosen zuwenig ehrgeizig sei.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Das ist es ja auch!)





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– Sehen Sie! – Vor einem Jahr haben alle Institute und alle
Wissenschaftler gesagt: Ihr werdet in 2001 und in 2002
Wachstumsraten von um die 3 Prozent, wenn nicht sogar
darüber, haben.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist auch nicht wahr!)


Sowohl Herr Jagoda als auch andere haben gesagt: Auf
dieser Basis lässt sich die Zahl von 3,5 Millionen im Jah-
resdurchschnitt unterbieten. Alle waren dieser Auffas-
sung. Sie haben gesagt, dass es Ihnen zu wenig war. Ich
war vorsichtig.


(Zuruf von der CDU/CSU: Daran wollten Sie doch gemessen werden!)


– Es ist doch gar keine Frage, dass man daran gemessen
wird. – Die Ursachen für diese Entwicklung haben wir ge-
rade diskutiert.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Liegen alle in Amerika! So ein Unsinn!)


Dass bei veränderten Wachstumsraten auch die Arbeits-
marktziele nicht zu erreichen sind, hat sich in Deutschland
nun wirklich herumgesprochen. Das werden auch Sie
nicht außer Kraft setzen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Zitieren Sie doch mal die Sachverständigen dazu! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das Wachstum ist doch toll, haben wir gerade gehört!)


Fazit: Wir werden für die Erreichung des Ziels ein biss-
chen länger brauchen,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Nein, Sie nicht mehr!)


und zwar wegen der Wachstumsschwäche, die wir gehabt
haben. Wir werden diese Zeit auch bekommen; da seien
Sie ganz sicher.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gerade vor diesem Hintergrund bitte ich, sich zu erin-
nern, wie die Situation bei der Jugendarbeitslosigkeit
aussieht. Seit zwei Jahren haben wir einen Tatbestand, den
Sie vorher nie erreicht haben: dass das Angebot und die
Nachfrage bei den Ausbildungsplätzen gesamtwirtschaft-
lich betrachtet im Gleichgewicht sind;


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: In jedem Jahr vor Ihnen war das so!)


mancherorts ist die Nachfrage sogar geringer als das An-
gebot. Klar, wir haben regionale Probleme, besonders im
Osten. Deswegen sollten Sie auch aufhören, die Pro-
gramme, die wir aufgelegt haben, zu diffamieren, und sich
stattdessen vor Augen führen, dass sie den Jugendlichen
nutzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Nein, so einfach geht es nicht!)


Zur „Schlusslichtdiskussion“: Bei der Reduzierung der
Jugendarbeitslosigkeit liegen wir in Europa an der Spitze.
Nach den Zahlen von Eurostat ist die Jugendarbeitslosig-
keit im europäischen Durchschnitt doppelt so hoch wie in
Deutschland. Auch zu diesem Tatbestand sollte von Ihnen
hier einmal etwas gesagt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU]: Das war schon immer so! Das hat doch nichts mit Ihnen zu tun!)


– Alles, was schlecht ist, hat mit meiner Regierung zu tun,
und alles, was sich gut entwickelt, hat mit Ihnen zu tun.
Das ist wahrscheinlich die Philosophie, nach der Sie le-
ben. Aber so funktioniert das nicht; seien Sie da ganz si-
cher.

Ich komme jetzt dazu, was uns die Opposition zur
Verbesserung der Situation auf diesem Sektor empfiehlt –
zum Beispiel in einem Antrag, den Sie in Dresden be-
schließen können. Hoffentlich kommt es dazu; darauf
freue ich mich schon, weil man sich damit sehr gut aus-
einander setzen kann. Was steht in diesem Antrag? Da
wird unter anderem das Stichwort Flexibilisierung – wun-
derbares Stichwort! – erläutert: Das heißt zum Beispiel,
dass man den Kündigungsschutz abschafft.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist doch Unfug! Wer sagt das denn? Reden Sie doch nicht so daher!)


Da steht also, dass man den Zustand, dessentwegen Sie
abgewählt worden sind, wieder herstellen soll. Dass das
ein Beitrag zur Wiederwahl sein soll, erschließt sich mir
nicht; aber das ist Ihr Problem.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ziemlich billig, Herr Bundeskanzler!)


Sie sagen also, der Kündigungsschutz solle verringert
werden. Das sagen Sie in einer Situation – dazu will ich
etwas hören –, in der Großbetriebe – wie ich finde: ohne
Not – Massenentlassungen ankündigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In dieser Situation fällt der Opposition nichts anderes ein,
als die Sicherheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer weiter zu reduzieren. Sie wollen sie zu Abhängigen
machen! Das ist Ihre Strategie.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ach, du lieber Gott!)


– Wenn nicht, dann müssen Sie das sagen.
IndemAntragstehtweiter,SiewollenbefristeteArbeits-

verträge für, glaube ich, vier Jahre ermöglichen. Das be-
deutet vier Jahre lang alle sechs Monate Unsicherheit.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Auch das ist doch Unsinn! – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Besser als arbeitslos ist es auf jeden Fall! Das sagen auch die Sachverständigen! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Jeder Arbeitslose wäre froh, er hätte so einen Vertrag!)





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Sie werden sich wundern, wenn Sie mit dieser Art von
Propaganda, mit dieser Art von Vorschlägen bei den Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmern ankommen; denn
die Leute, die es trifft und betrifft, brauchen wenigstens
ein bisschen Planbarkeit ihres Lebens. Dafür werden wir
sorgen; seien Sie sicher!


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Auf diese Auseinandersetzung freue ich mich wirklich.
Dann werden wir sehen, was dabei herauskommt.

Übrigens betrifft diese Regelung, bei der Sie die Befris-
tung auf vier Jahre verlängern wollen, doch ein Gesetz,
das Sie nicht verstetigt haben.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Jetzt ist das Gesetz plötzlich in Ordnung oder wie ist das?)


Sie hatten doch damals in Ihrer Zeit nicht einmal den Mut,
eine unbefristete Regelung zu schaffen, sondern haben sie
bis zum 31. Dezember 2000 befristet. Diese Tatsache
scheinen Ihre Freunde aus den Wirtschaftsverbänden aus
den Augen verloren zu haben; aber so war es doch.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie kennen die Gründe genau!)


Erst wir haben für eine sinnvolle Balance zwischen den
Flexibilitätserfordernissen der Unternehmen auf der einen
Seite und den Sicherheitsbedürfnissen der Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer auf der anderen Seite gesorgt,
und zwar auf Dauer.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Und das Ergebnis ist höhere Arbeitslosigkeit!)


So ist das Gesetz zu den befristeten Arbeitsverhältnissen
entstanden.

Sie haben jetzt vor, diese sorgsame Balance zwischen
den Interessen der arbeitenden Menschen und den Inte-
ressen der Unternehmen einseitig aufzulösen, die Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer in den Senkel zu stellen.
Das ist der Inhalt Ihrer Politik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden ja Gelegenheit haben, uns im Wahlkampf und
anderswo darüber sehr intensiv auseinander zu setzen.

Ich komme zu dem nächsten Punkt, den Sie vorschla-
gen, nämlich die Abschaffung des Betriebsverfassungs-
gesetzes. Das ist sehr interessant.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Quatsch!)

– Ja, was denn? Es geht jedenfalls um die Abschaffung des
von uns gemachten Gesetzes. Sie müssen gleich einmal
sagen – darauf bin ich sehr gespannt –, wie Ihres denn aus-
sehen soll.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist eines Bundeskanzlers unwürdig!)


Was bedeutet das denn? Das bedeutet nicht nur, dass Sie
die Beschäftigten in ihren Rechten einschränken wollen.
Nein, meine Damen und Herren, das ist auch ökonomisch
unsinnig; denn es gehört zu den unbezweifelbaren

Standortqualitäten Deutschlands, dass wir ein vernünfti-
ges Mitbestimmungsrecht haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In vielen unternehmerischen Krisen haben die Betriebs-
räte Vorschläge dazu gemacht, wie es wieder aufwärts ge-
hen kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich verstehe auch überhaupt nicht, dass Sie vorschla-
gen, den Rechtsanspruch auf Teilzeitwieder abzuschaf-
fen. Auch hier gibt es eine sinnvolle Balance zwischen
den Betriebsinteressen einerseits und den Interessen ins-
besondere von Frauen andererseits;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Frauen werden nicht mehr eingestellt!)


denn sie sind es, die in einer übergroßen Zahl eine Teil-
zeitbeschäftigung haben wollen und manchmal auch ha-
ben müssen, weil Kinderbetreuungsmöglichkeiten fehlen.

Wir haben gesagt, dass wir diesen Rechtsanspruch
schaffen wollen, damit klar wird, in welche Richtung wir
auf diesem Gebiet wollen und auch müssen. Nur auf diese
Weise lassen sich die Potenziale, vor allen Dingen glän-
zend ausgebildeter Frauen, im Interesse der Wirtschaft
nutzen und lässt sich garantieren, dass die Betroffenen
ihre Möglichkeiten, was ebenso wichtig ist, auch nutzen
können.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ja, das ist zu wenig Bürokratie! – Zuruf von der CDU/ CSU: Zwangsteilzeit!)


– Hören Sie doch auf damit!

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das sieht der Sachverständigenrat wie Herr Schäuble! Hier zitiert er ihn nicht!)


Wir haben für den Rechtsanspruch auf Teilzeit gesorgt,
weil wir das Ziel erreichen wollen. Die Betriebe erhalten
– wenn es aus betrieblichen Gründen nicht geht – das
Recht, zu sagen, dass sie das nicht organisieren können.
Das stellt eine sinnvolle Balance zwischen den betriebli-
chen Interessen einerseits und den Interessen der Be-
schäftigten sowie der Volkswirtschaft andererseits dar.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Was sagt die Benchmarking-Gruppe dazu? – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Alles sehr defensiv!)


Insofern kann ich nicht erkennen, wie Ihre Forderungen,
wenn sie durchgesetzt werden könnten, erstens eine Bes-
serung auf dem Arbeitsmarkt herbeiführen könnten und
zweitens konkret Beschäftigten auch nur Ansätze von
Hilfe geben könnten.

Ich komme zu einer Frage, die sich mit der Perspektive
für dieses Land beschäftigt.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Das ist ein Schauspieler!)


Wir haben früher eine große Diskussion über die Frage
geführt, ob wir zu wenig in Forschung und Entwicklung




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investieren. In der Tat: Zu der Zeit, als Sie das zu verant-
worten hatten, war das so.

Eingangs habe ich aus guten Gründen von Konsolidie-
rung geredet. Einen Bereich haben wir von der Konsoli-
dierung ausgenommen – das entsprach auch der Anlage
unserer Politik –: Seit 1999 ist der Haushalt für Forschung
und Entwicklung unter schwierigsten Bedingungen um
15 Prozent gewachsen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Aber nicht verdoppelt worden! Sie haben versprochen, ihn zu verdoppeln!)


Er ist gewachsen, ohne dass jene 1,3 Milliarden DM ein-
gerechnet worden wären, die wir deshalb ins BAföG ge-
steckt haben, weil wir nicht wollen, dass es von Papas
oder Mamas Geldbeutel abhängt, ob jemand zu Deutsch-
lands höchsten Schulen gehen kann oder nicht. Deshalb
haben wir die BAföG-Reform durchgeführt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die kontinuierliche Erhöhung des Forschungs- und
Entwicklungshaushaltes beginnt sich bereits auszuzahlen.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: In welchem Land leben wir eigentlich?)


Ich habe auf die Biotechnologien hingewiesen. Ich könnte
auch auf Edinburgh, die jüngste Konferenz zur Luft- und
Raumfahrt, hinweisen, auf der sich gezeigt hat, dass nicht
zuletzt durch unsere Anstrengungen Deutschland in die-
sem so wichtigen Bereich inzwischen einen Spitzenplatz
erobert hat.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wenn ich es richtig sehe, sieht Chirac das anders! – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Struck [SPD]: Davon haben Sie doch keine Ahnung!)


– Ich sagte: in der Luft- und Raumfahrttechnologie! Das
ist etwas anderes als der Flugzeugbau. Im Übrigen sieht
Chirac das überhaupt nicht anders. Ich habe gerade mit
ihm darüber gesprochen. Wenn Sie wollen, kann ich Ih-
nen das aber gerne im Privatissimum erklären.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, das, was Sie auf dem Ge-

biet der Bildung, der Weiterbildung und vor allen Dingen
der Zuwanderung aufführen, ist eines der großen Trauer-
spiele in unserem Land, weil es nicht auf die Zukunft un-
seres Landes ausgerichtet ist.

Diejenigen, die um die Situation der Zuwanderung
wissen, sagen: Wir brauchen ein vernünftiges Gesetz zur
Steuerung der Zuwanderung. – Dieses Gesetz muss zwei
Bereiche umfassen. Zum einen geht es um das, was für
uns selbstverständlich ist und bleiben wird – das sehen Sie
vielleicht anders –, nämlich die humanitäre Verpflichtung
gegenüber den Menschen, deren Leib und Leben in ihrem
Heimatland aufgrund von Verfolgung bedroht sind und
die deswegen das Recht auf Asyl haben müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Roland Claus [PDS])


Natürlich muss man hier manchmal auch über Miss-
brauch reden. Der Kern der humanitären Verpflichtung
aber wird nicht angetastet.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das stellt auch niemand infrage!)


– Ich hoffe, dass das niemand tut. Wie Sie wissen, bin ich
immer für Konsens; das wird mir gelegentlich auch vor-
geworfen. Aber wenn wir uns da einig sind, können wir
dies ja gemeinsam umsetzen.

Zum anderen brauchen wir ein Gesetz, das die Zuwan-
derung in einem sinnvollen Maße auch aus wirtschaftli-
chen Erwägungen ermöglicht. Dazu sind Vorschläge ge-
macht worden, zunächst von Frau Süssmuth und ihrer
Kommission und dann vom Bundesinnenminister. Diese
liegen Ihnen vor. Dieses Gesetz entspricht den objektiven
Notwendigkeiten der Entwicklung unserer Wirtschaft.

Ich finde es schon merkwürdig, dass das Hin und Her
zwischen Bayern und den übrigen Teilen der beiden
christlichen Parteien dazu geführt hat, dass ein Gesetz,
das die humanitäre Verpflichtung beinhaltet, was Sie ja
abstrakt bejahen, und im Übrigen den objektiven Not-
wendigkeiten einer zunehmend überalterten Gesellschaft
entspricht, nämlich unserer, durch parteitaktische Win-
kelzüge bei der Aufstellung der Kandidaten kaputtge-
macht wird. Das ist ein Fehler.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das darf so nicht weitergehen. Deswegen sage ich an
die Union gerichtet: Beendet dieses unwürdige Schau-
spiel!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Es besteht die Notwendigkeit der Einigung und es gibt Ei-
nigungsmöglichkeiten. Dazu würde ich jetzt gerne einmal
etwas hören. Das, was Sie jetzt machen, ist nicht gut für
unser Land und die Entwicklung der Wirtschaft in unse-
rem Land.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte noch etwas zu dem sagen, was wir an fa-
milienpolitischen Leistungen erbracht haben. Vonseiten
der Union werden ja uferlose Forderungen gestellt; sie be-
laufen sich auf einen Betrag von Hunderten von Milliar-
den. Wir erinnern uns – vor allem die Bürgerinnen und
Bürger erinnern sich daran –, dass das Bundesverfas-
sungsgericht in Karlsruhe die Familienpolitik, die Sie
über 16 Jahre betrieben haben, für verfassungswidrig er-
klärt hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das war ein schlichter Satz des höchsten deutschen Ge-
richts.

Wir haben diesen schlichten, aber wirksamen Satz vor
die Füße gelegt bekommen und mussten Ihre verfas-
sungswidrige Familienpolitik – das haben Sie bescheinigt




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bekommen – beenden. Das haben wir getan, und zwar
wiederum unter den schwierigen Bedingungen der Kon-
solidierung.

Was haben wir gemacht? Die Kindergelderhöhung
habe ich schon angesprochen. Hans Eichel hat gestern
ausgerechnet, dass die Steigerung des Kindergeldes von
220 DM auf 300 DM für eine Verkäuferin realiter das
13. Monatsgehalt bedeutet. Das ist kein Pappenstiel, son-
dern eine große familienpolitische Leistung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Ausgaben für die Familie sind in der Zeit, seit wir
regieren, von etwa 70 Milliarden DM auf knapp 100 Mil-
liarden DM gestiegen. Darin ist die Erhöhung des Wohn-
geldes mit einem Volumen von 8Milliarden DM, was ins-
besondere Familien mit Kindern zugute kommt, noch
nicht enthalten.

Das ist die Familienpolitik, die uns aus der von Ihnen
verursachten Falle der Verfassungswidrigkeit herausge-
führt hat. Dazu möchte ich gerne etwas hören. Sie aber
stellen nur wohlfeile Forderungen in Höhe von Hunderten
von Milliarden, die niemand finanzieren kann, anstatt zu
sagen, was Sie konkret anders machen wollen. Wenn Sie
den von Ihnen eingeschlagenen Weg weitergehen, nur un-
gedeckte Schecks auf den Tisch zu legen, dann werden Sie
scheitern. Dessen können Sie sicher sein. Wir werden den
Weg weitergehen, den wir in dieser Frage eingeschlagen
haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte abschließend gern noch etwas zur Außen-
und Europapolitik sagen,


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Sagen Sie lieber, wie Sie die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt in Ordnung bringen wollen!)


und zwar insbesondere dazu, was Michael Glos gesagt
hat. Er hatte mir angekündigt, er sei heute relativ freund-
lich. Das war im Kern auch so. Aber in diesem einem
Punkt muss ich mich ernsthaft mit Ihnen auseinander set-
zen. Was Sie dazu gesagt haben, ist gefährlich, weil es so
aufgefasst werden könnte, als ob dieses Land nur darauf
warten würde, irgendwo anders in der Welt – ob nötig oder
nicht – militärisch zu intervenieren.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Ich dachte, Sie sagen etwas zur Telekom!)


Ich hoffe, ich habe Sie richtig verstanden, dass Sie das
nicht meinen, wenn Sie über den Irak und über Somalia
reden.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das habe ich so nicht gesagt!)


– Herr Glos, was Sie sagen, nehme ich sehr ernst. Wenn
Sie sagen, dass das so nicht zu verstehen war, ist das umso
besser.

Mir und dem Außenminister geht es darum, dass wir al-
les tun, damit die Antiterrorkoalition, die in Afghanistan
Erfolg hatte – und an der wir beteiligt sind, und zwar, so

wie wir es versprochen haben und wie es von uns erwar-
tet wird –, aufrechterhalten wird. Wir sollten vorsichtig
sein, auf Kommentare in Magazinen oder Zeitungen, auch
auf Äußerungen des einen oder anderen „Unterstaatsse-
kretärs“ oder von wem auch immer, einzugehen


(Michael Glos [CDU/CSU]: Zöpel oder so!)

– wo auch immer, ob in Deutschland oder anderswo in
der Welt –, die sich jetzt schon mit der Suche nach neuen
Zielen befassen. Insbesondere sollten wir bei einer Dis-
kussion neuer Ziele im Nahen Osten sehr zurückhaltend
sein. Dabei könnte uns mehr um die Ohren fliegen, als je-
der von uns zu tragen in der Lage ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Wir suchen keine Ziele!)


Wir werden das Notwendige tun. Wir werden uns aber
auch vorbehalten, über das Notwendige zu entscheiden,
um es dann zu tun. Da muss sich – so glaube ich – nie-
mand in Deutschland über die Geradlinigkeit der deut-
schen Außenpolitik beklagen. Das tut niemand in
Deutschland und erst recht niemand in den Vereinigten
Staaten; seien Sie dessen sicher. Da müssen Sie sich schon
Stimmen bestellen, wenn Sie kritische Stimmen gegen
uns hören wollten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nun noch eine Bemerkung zur Afghanistan-Konfe-
renz in Bonn. Dazu haben Sie gesagt, dass dafür Geld
ausgegeben wird. Das ist wahr. Für diese Konferenz der
Vereinten Nationen in Deutschland zahlen wir etwa 2Mil-
lionen DM. Meine Damen und Herren, ich glaube, das ist
verdammt gut ausgegebenes Geld.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Ich habe nur gesagt: Hoffentlich ist das Geld auch im Haushalt!)


Das ist deshalb gut ausgegeben, weil wir glauben, dass
nicht zuletzt durch diese Konferenz – ob sie nun schon
eine abschließende ist oder nicht, wird man sehen – das in
Gang gesetzt wird, was man den Post-Taliban-Prozess
nennt, und dass sie eine Perspektive für dieses so sehr ge-
schundene Land Afghanistan bedeuten könnte. Ich muss
Ihnen sagen: Ich bin froh darüber, dass wir gute Gastge-
ber für diese Konferenz sein konnten und die Vereinten
Nationen diese nach Deutschland gegeben haben.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Über die Europapolitik werden wir uns noch vor dem
Gipfel in Laeken unterhalten. Ich denke, das wird eine
Diskussion sein, die von gemeinsamen Grundpositionen
ausgeht – das ist auch in Ordnung so –: Deutschland ist
gleichermaßen an Erweiterung wie an Vertiefung interes-
siert. Deutschland ist daran interessiert, dass die europä-
ischen Institutionen besser funktionieren, als das in der
Vergangenheit gelegentlich der Fall war. Deutschland
wird, was den Konvent, also den Post-Nizza-Prozess




Bundeskanzler Gerhard Schröder

20047


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angeht, sehr darauf achten, dass wir eine starke Kommis-
sion behalten bzw. bekommen, dass das Parlament seine
Kontrollrechte überall wirksam ausüben kann und dass
die Kompetenzabgrenzung zwischen den Nationalstaaten
und Europa sinnvoll gestaltet ist. Darüber hinaus wird es
in diesem Prozess um die Frage gehen, wie das Gesicht
Europas – und nicht nur die Gesichter einzelner National-
staaten – in Zukunft sichtbar gemacht werden kann, wenn
es um Ereignisse wie die in Afghanistan geht.

Für die deutsche Regierung, für den Außenminister
und mich, kann die Antwort auf die Vorgänge in Afghanis-
tan und die Tatsache, dass die Hilfeleistungen, die Bei-
standsverpflichtungen, nicht europäisch erbracht werden
konnten, sondern national erbracht werden mussten, weil
wir in Europa noch nicht so weit sind, nur lauten: nicht
weniger, sondern mehr Integration in Europa!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich abschließend sagen: Wer sich ernst-
haft mit der Finanz- und Wirtschaftspolitik auseinander
setzt,


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sie haben das heute aber nicht getan! – Gegenruf der Abg. Susanne Kastner [SPD]: Was haben Sie denn gemacht?)


der wird sehen, dass es zum Kurs der Konsolidierung, den
wir vorgeschlagen und durchgesetzt haben und der bis
2005 im Gesetzblatt steht, zum Kurs der Stärkung der Fa-
milien, der Investitionen in Forschung und Entwicklung,
in Bildung und Ausbildung, zum Kurs einer vernünftigen,
gesteuerten Zuwanderung, die auch den Interessen der
deutschen Wirtschaft nutzt, keine – ich sollte sagen: keine
vernünftige – Alternative gibt. Wenn Sie eine nennen,
dann sind wir sehr gespannt darauf.

Die Auseinandersetzung jedenfalls, die Sie angekün-
digt haben und die Sie jetzt führen, indem Sie ungedeckte
Schecks im Land verteilen, ist nicht seriös. Deswegen
wird sie nicht ernst genommen werden. In diesem Sinne:
Wir werden Kurs halten. Und Sie werden Ihre Streitereien
um Ihre Kanzlerkandidatur weiter untereinander auszu-
machen haben.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420400400
Ich erteile dem Kolle-
gen Guido Westerwelle, FDP-Fraktion, das Wort.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1420400500
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundes-
kanzler, Sie haben eine Stunde gesprochen. Es war eine
Stunde Defensive.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben eine Stunde lang erzählt, warum alles nicht
so schlimm ist. Sie haben berichtet, welche Schwierig-
keiten es gibt. Sie haben die Opposition kritisiert. Aber
Sie haben keinen Ton dazu gesagt, was Sie im nächsten

Jahr mit dem Haushalt machen wollen, den wir hier
beschließen, um die Arbeitslosigkeit in Deutschland zu
senken.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben auf die Zwischenrufe reagiert, mit zum Teil,
wie ich finde, bemerkenswerten Formulierungen für ei-
nen deutschen Bundeskanzler. Einem Zwischenrufer wer-
fen Sie vor, er habe ein Brett vor dem Kopf. Das alles zeigt
in Wahrheit nur: Bei Ihnen liegen die Nerven blank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Jetzt nämlich passiert Folgendes: Sie werden an dem ge-
messen, was Sie 1998 gesagt haben. Sie haben am
21. September 1998, eine Woche vor der Bundestagswahl,
in einem „Spiegel“-Interview wörtlich erklärt:

Wenn wir es nicht schaffen, die Arbeitslosenquote
signifikant zu senken, dann haben wir es weder ver-
dient, wieder gewählt zu werden, noch werden wir
wieder gewählt.

Sie könnten Recht behalten, Herr Bundeskanzler.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie haben am 10. November 1998 in Ihrer Regierungs-

erklärung gesagt:
Die Bundesregierung ist sich völlig im Klaren darü-
ber, dass sie ihre Wahl wesentlich der Erwartung ver-
dankt, die Arbeitslosigkeit wirksam zurückdrängen
zu können.

Wieder wörtlich Bundeskanzler Gerhard Schröder in sei-
ner ersten Regierungserklärung hier im Hause:

Wir wollen uns jederzeit – nicht erst in vier Jahren –
daran messen lassen, in welchem Maße wir zur
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beitragen.

Herr Bundeskanzler, werfen Sie der Opposition nicht vor,
dass wir Sie an Ihren Worten hier und heute tatsächlich
messen werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Zahlen sprechen nun einmal eine eindeutige Spra-
che. Die Bundesregierung hat gestern – Herr Finanz-
minister Eichel hat es zum ersten Mal getan – davon ge-
sprochen, dass demnächst möglicherweise 4,3 Millionen
Menschen in Deutschland arbeitslos sind. Die Wirt-
schaftsentwicklung in Europa ist ein einziges Desaster,
vor allen Dingen weil die Wirtschaftsentwicklung in
Deutschland so schlecht ist und Deutschland nicht mehr
die Lokomotive der europäischen Volkswirtschaft ist.


(Joachim Poß [SPD]: Wir waren es nie!)

Wir haben eben eine Delegation von Parlamentariern aus
Spanien begrüßt. Dort liegt das Wirtschaftswachstum bei
2,4 Prozent. In Irland liegt das Wirtschaftswachstum so-
gar bei 7 Prozent, in Griechenland bei 3,6 Prozent, in
Großbritannien bei 2,3 Prozent, in Frankreich bei 2,0 Pro-




Bundeskanzler Gerhard Schröder
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zent, in Österreich bei 1,3 Prozent und in Deutschland bei
0,8 Prozent.


(Joachim Poß [SPD]: In welcher Welt leben Sie denn eigentlich? Was ist mit Liechtenstein und Andorra? Sagen Sie dazu etwas!)


Es gab zwar auch früher Zeiten schlechten nationalen
Wirtschaftswachstums. Aber Sie haben es geschafft, dass
Deutschland, das früher wenigstens an der Spitze lag,
wenn es international schlecht lief, mittlerweile beim
Wirtschaftswachstum auf den letzten Platz in Europa ab-
gerutscht ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ein Bundeskanzler, der sich in dieser Debatte mit der Re-
zession auseinander setzen muss, muss uns sagen, was er
machen will, und nicht, was er machen könnte, wollte und
gerne hätte. Herr Bundeskanzler, Sie sind zum Handeln
gewählt, nicht zum Analysieren. Das ist Ihre Aufgabe.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Gelegentlich verweisen Sie auf die wirtschaftliche

Lage in anderen Ländern. Das haben Sie auch heute wie-
der getan. Wir haben uns gemerkt, was Sie dazu gesagt ha-
ben. Sie haben gesagt, dass in Deutschland nicht das ge-
lingen könne, was andere Länder geschafft haben, weil
die Wachstumsperspektiven wegen des Niveaus der dor-
tigen Volkswirtschaften anders seien. An anderer Stelle
haben Sie das Wort von der „gesättigten Volkswirtschaft“
gewählt. Das sagt ausgerechnet der Mann, der im Sommer
dieses Jahres eine Reise durch Ostdeutschland gemacht
hat und dabei Regionen durchquert hat, in denen die
Arbeitslosenquoten bei 20, 30 oder sogar 40 Prozent lie-
gen. Wir sind keine gesättigte Volkswirtschaft, wie Ihnen
ein einziger Blick auf das Desaster bei der wirtschaft-
lichen Entwicklung in Ostdeutschland zeigen müsste,
Herr Bundeskanzler.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Das ist doch nur Polemik!)


Des Weiteren haben Sie genauso wie Ihr Wirtschafts-
minister wieder einmal wortreich erklärt, das mit dem
Wirtschaftswachstum sei gar nicht so schlimm, wenn es
nicht diese böse Bauwirtschaft gebe. Das ist auch eine
interessante Analyse. Den Arbeitslosen ist es eigentlich
relativ egal, welcher Grund in einem volkswirtschaftli-
chen Seminar dafür angeführt wird, dass sie arbeitslos
sind. Sie suchen einfach Arbeit. Ihre Erklärung, das mit
dem Wirtschaftswachstum in Deutschland sei gar nicht so
schlimm, wenn es nicht diese böse Bauwirtschaft gebe,
erinnert mich an den Satz: Wenn wir keine Arbeitslosen-
zahlen hätten, dann gäbe es eigentlich Vollbeschäftigung.


(Heiterkeit bei der FDP)

Sie drücken die Realität weg. Das, was Sie heute als „ru-
hige Hand“ bezeichnen, nannte man früher – bei allem
Respekt, Herr Altbundeskanzler – aussitzen. Dass das bei
Ihnen schon nach drei Jahren losgeht, ist bemerkenswert,
Herr Bundeskanzler.


(Beifall bei der FDP)

Sie haben uns erklärt, dass es für die wirtschaftliche

Lage in Deutschland internationale Gründe gebe. Das

kann ja augenscheinlich nicht stimmen; denn im Zuge
der Globalisierung in der Weltwirtschaft sind alle Länder
in Europa gleichermaßen betroffen. Die Globalisierung
und die schrecklichen Terroranschläge vom 11. Septem-
ber können nicht als Begründung für eine verfehlte na-
tionale Wirtschaftspolitik herhalten. Herr Bundeskanzler,
wenn alle Länder in Europa beim Wirtschaftswachstum
besser dastehen als Deutschland, dann ist das nicht das
Ergebnis irgendeiner internationalen Entwicklung. Das
zeigt vielmehr, dass Sie, Ihre Bundesregierung und Ihre
Koalition mit den Herausforderungen der Weltwirtschaft
schlechter zurechtkommen, als wir damit zurecht-
kommen müssten. Wir reden also über Ihre verfehlte na-
tionale Politik.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Bundeskanzler, Sie tun so, als ob es nicht wichtig,
nicht erheblich sei, wenn Frankreich ein Wachstum von
2,0 Prozent und Österreich ein Wachstum von 1,3 Prozent
– um nur zwei Nachbarländer zu nennen – vorzuweisen
haben, als ob es sich dabei um Entwicklungs- oder
Schwellenländer handele, die im Gegensatz zu Deutsch-
land natürlich noch Wachstumsdynamik hätten. Nein, Sie
haben einfach einen völlig falschen Ansatz in Ihrer Wirt-
schaftspolitik gewählt. Das hängt übrigens damit zusam-
men, dass es in Ihrer Koalition eine interessante Bünde-
lung von Kräften gibt. In Ihrer Koalition kommt nämlich
Folgendes zusammen: Die SPD-Linke, die auf Staats-
wirtschaft setzt, wird gewissermaßen noch durch die Grü-
nen verstärkt, die ebenfalls auf Staatswirtschaft setzen.
Das ist der entscheidende Punkt Ihrer Politik.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Ach, ihr Grünen, entschuldigt bitte, aber ich muss euch
sagen: Eure Grundsätze passen wirklich in einen Finger-
hut. Ihr solltet heute brav sein und schweigen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Auch Sie, Herr Bundeskanzler, der Sie sich in dieser

Koalition so wohl fühlen, sollten – bei allem Respekt –
besser schweigen. Ich habe in der letzten Woche ja auch
genau gehört, dass Herr Kollege Struck lieber mit Frau
Müller und Herrn Schlauch frühstücken möchte. Hat mich
eigentlich jemand gefragt, ob ich schon morgens mit Ih-
nen frühstücken möchte? Da kann ich mir Schöneres vor-
stellen.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch ständig auf der Schleimspur unterwegs!)


Nachdem der Bundeskanzler die Grünen eine Woche
lang hier im Deutschen Bundestag gepiesackt hatte, hat er
sie eine Woche lang auf dem Parteitag der SPD gestrei-
chelt. Herr Bundeskanzler, Sie können diesen grünen
Frosch küssen oder ihn weiter gegen die Wand werfen, es
wird nie ein Prinz daraus. Haken Sie diese Vorstellung ab,
das wird nie passieren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Sie sind die Kröte! Lieber Frosch als Kröte!)





Dr. Guido Westerwelle

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Nein, es ist der falsche Ansatz in der Wirtschaftspoli-
tik, der übrigens in Ihren Ausführungen in bemerkens-
werter Weise zum Ausdruck kommt. Sie haben die Oppo-
sition aufgefordert – allein diese Frage zeugt von
beträchtlicher Hilflosigkeit –, sie solle einmal sagen, was
sie anders machen würde. Wir sagen es Ihnen gern: Wir
möchten, dass die Steuerpolitik bereits zum 1. Januar
nächsten Jahres korrigiert wird, damit es endlich einen
Konjunkturimpuls gibt. Die Steuern müssen gesenkt
und dürfen nicht wie bei der Ökosteuer, der Tabaksteuer
und der Versicherungsteuer durchweg weiter erhöht
werden. Die Behauptung, Steuersenkungspolitik reiße
Haushaltslöcher, wird in allen unseren Nachbarländern
widerlegt. Wer Steuern gesenkt hat, hat heute Haushalts-
überschüsse.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Unsere Nachbarn streiten sich darüber, wie die Über-
schüsse verteilt werden sollen, während Sie den Mangel
verwalten.


(Peter Dreßen [SPD]: Wie finanzieren sie es denn?)


Dazu gibt es übrigens auch bemerkenswerte Vorgänge
in der deutschen Geschichte.


(Hans Eichel, Bundesminister: Keine Ahnung und davon viel!)


– Dass Sie, Herr Minister Eichel, von der Regierungsbank
aus dem Redner zwischenrufen – das ist übrigens auch ein
bemerkenswerter Vorgang –, zeigt, wie blank Ihre Nerven
sind.


(Peter Dreßen [SPD]: Ihre Nerven liegen blank!)


Wir erleben hier einen „Blanke-Nerven-Hans“. Wenn ein
Finanzminister sogar noch von der Regierungsbank Zwi-
schenrufe an die Adresse des Redners richten muss, dann
ist das ein interessanter Vorgang.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, an diesem Wochenende ist leider der frühere Bun-
desfinanzminister Gerhard Stoltenberg verstorben. Er
wird nach meiner Einschätzung zusammen mit Graf
Lambsdorff in die Finanzgeschichte unseres Landes ein-
gehen,


(Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Zweite wegen Steuerhinterziehung, nicht?)


weil er wirklich einmal eine Steuersenkungsreform
durchgesetzt hat. Ich lese Ihnen einmal vor, was tatsäch-
lich gemacht wurde, um die Behauptung zu widerlegen,
so etwas rechne sich nicht. Von Otto Graf Lambsdorff und
Gerhard Stoltenberg sind in den Jahren 1986, 1988 und
1990 die Steuern in einem Volumen gesenkt worden, in
dessen Nähe Sie heute gar nicht kommen: um 10,9 Milli-
arden DM, 13,7 Milliarden DM und 39 Milliarden DM.
Gehen wir nun ganz kurz die Haushaltsentwicklung
durch, die widerlegt, dass Steuersenkungen den Staat
Geld kosteten: Die Gesamteinnahmen aus Steuern betru-
gen 1986 452 Milliarden DM, 1987 468 Milliarden DM,
1988 488 Milliarden DM, 1989 535 Milliarden DM, 1990
567 Milliarden DM.

In jedem Jahr sind die Steuereinnahmen des Staates
durch die Steuersenkungspolitik gesteigert worden. Dies
hat einen einfachen Grund: Sie müssen den Menschen
wieder Lust auf Leistung machen, indem sie von dem,
was sie sich hart erarbeitet haben, mehr übrig behalten.
Dann hat der Staat auch wieder gesunde Finanzen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Den Zusammenhang verstehen die nie!)


Das aber wollen Sie nicht wahrhaben.
Sie haben hier regelmäßig auf die Sachverständigen

Bezug genommen. Die Sachverständigen haben Ihnen
nun weiß Gott andere Noten gegeben, als Sie uns hier
glauben machen wollen. Sie haben Ihnen nämlich vorge-
tragen, dass Sie gerade auf dem Arbeitsmarkt die Struk-
turreformen nicht vorgenommen haben


(Dr. Peter Struck [SPD]: Wo ist Ihr Zettel, Herr Westerwelle?)


und dass sie von Ihnen erwarten, dass Sie auf dem Ar-
beitsmarkt strukturelle Maßnahmen ergreifen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Jetzt ist der Zettel weg! Das ist aber schlecht!)


Das haben Sie nicht getan. Deshalb möchte ich noch ein-
mal wörtlich zitieren, was Ihnen der Sachverständigenrat
aufgeschrieben hat:

Ohne weitergehende Reformen der Arbeitsmarkts-
ordnung wird sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt
nicht nachhaltig bessern, gemessen am Flexibilisie-
rungsbedarf des Arbeitsmarktes ist vonseiten der Po-
litik auch in diesem Jahr zu wenig geschehen.

Das sagt Ihnen der Sachverständigenrat, den Sie die ganze
Zeit über in diese Debatte eingeführt haben. Wenn man
diesen Bericht gelesen hat, so sind die Noten für Sie de-
saströs und nicht gut, wie Sie uns hier glauben machen
wollen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie haben sich bei der Arbeitslosigkeit verschätzt, Sie

haben sich bei der Konjunktur verschätzt, Sie haben sich
bei der Steuerschätzung vertan. Herr Bundeskanzler, die
Prognosen Ihrer Regierung sind unzutreffend. Deshalb ist
es notwendig, dass man sich kurz vor Augen führt, wie die
anderen Volkswirtschaften und Gesellschaften auf die
Herausforderungen nach dem 11. September reagiert ha-
ben. Damit meine ich nicht den Bereich der inneren Si-
cherheit und im Übrigen auch nicht die Reaktionen in der
Außenpolitik – dazu werde ich noch etwas sagen –, son-
dern die ökonomischen Maßnahmen, die aus meiner Sicht
in diesem Zusammenhang angeführt werden müssen. Die
Amerikaner haben unmittelbar nach dem 11. September
genau registriert, dass die weltwirtschaftliche Situation
sehr fragil ist. Obwohl sie ohnehin bei der Steuer- und Ab-
gabenquote deutlich niedriger liegen, als wir es in
Deutschland kennen, haben die Amerikaner die Steuern
weiter gesenkt, und zwar gleich in der ersten Woche, in-
dem der amerikanische Präsident zum Kongress ging und
sich sofort zunächst einmal 40 Milliarden Dollar geneh-
migen ließ. Das war die Antwort der Amerikaner. Sie ha-




Dr. Guido Westerwelle
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ben also nach dem 11. September zur Stabilisierung ihrer
Konjunktur und des Mittelstandes zuallererst die Steuern
gesenkt.

Was war die erste Antwort der deutschen Bundesregie-
rung? – Sie erhöhte die Tabaksteuer und die Versiche-
rungsteuer. Sie wollten uns erzählen, dass mit der Öko-
steuer die Rente gesichert werden solle. Ich halte diese
Erkenntnis für bemerkenswert, zumal Sie gerade daran-
gehen, sogar noch in die Schwankungsreserve bei den
Renten einzugreifen. Ich stelle mir einmal vor, die alte Re-
gierung wäre an die Schwankungsreserve so herangegan-
gen, wie Sie das jetzt tun. Das hätte zu einem Aufstand auf
der linken Seite dieses Hauses geführt, aber davon wollen
Sie auch nichts mehr wissen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die von Ihnen eingeführte Ökosteuer sollte die Rente

sichern. „Rasen für die Rente“ – das haben wir oft genug
gesagt. Dann kam als zweite Antwort „Rauchen für die Si-
cherheit“. Herr Bundesfinanzminister, in Anbetracht der
Unterfinanzierung der Bundeswehr warte ich stündlich
auf Ihren Vorschlag „Trinken für die Truppe“.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr gut! Rotweinsteuer!)


Das kommt nämlich auch noch. Sie werden uns auch noch
erzählen, warum wir diese Steuern erhöhen sollten. Sie
werden damit in die Lage versetzt werden wollen, die
Bundeswehr anständig auszustatten. Um es Ihnen klar
zu sagen: Wenn man in einem Haushalt von 500 Milliar-
den DM nicht einmal mehr in der Lage ist, 3 Milliarden
DM für innere Sicherheit durch Umschichtung zu erwirt-
schaften, dann gibt man seine Bankrotterklärung im Hin-
blick auf die Finanzpolitik zu Protokoll.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hans Georg Wagner [SPD]: Konkreten Vorschlag!)


Nein, Sie haben in der Wirtschaftspolitik eine falsche
Richtung eingeschlagen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Dann sagen Sie einmal die richtige!)


Das ist im Übrigen auch der Punkt, warum Sie meiner
Einschätzung nach am Anfang kommenden Jahres Ihr
Programm beschließen werden. Alles das, was die Oppo-
sition von Ihnen verlangt – das werden Sie ja sehen –,
werden Sie am Anfang des Jahres realisieren. Schon im
Hinblick auf die Wahl und Ihren Wunsch, wiedergewählt
zu werden, werden Sie den innenpolitischen Druck gar
nicht aushalten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau so ist das!)

Sie werden bei den Steuern das tun, was Ihnen die Oppo-
sition vorschlägt, wenn auch vielleicht nicht ganz so weit-
gehend.


(Susanne Kastner [SPD]: Bestimmt warten wir noch darauf!)


Sie werden Maßnahmen zum Abbau der Bürokratie vor-
schlagen, die die FDP und die bürgerliche Opposition


(Widerspruch bei der SPD)


in diesem Hause immer wieder vorgeschlagen haben.
Sie werden dem Bundestag auch im Hinblick auf den
Arbeitsmarkt flexiblere Instrumente vorschlagen. Selbst
wenn Sie all das umsetzen werden, wird das Problem
sein, dass Sie es dann zu spät in Angriff nehmen wer-
den. Sie werden es machen, weil Sie von dem Verlan-
gen, wiedergewählt zu werden, getrieben werden, nicht
aber aus innerer Überzeugung und mit dem Ziel, dass es
diesem Land wieder besser geht. Deutschland hat eine
bessere Regierung als die von Rot-Grün gestellte ver-
dient. Das zeigt die Arbeitsmarktstatistik mehr als deut-
lich.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Stichworte sind oft genug genannt worden. Es geht

um die Abschaffung der 630-Mark-Arbeitsverhältnisse
und die Ausweitung der betrieblichen funktionärischen
Mitbestimmung auch noch auf die kleinen und kleinsten
Betriebe. Das von Ihnen beschlossene Gesetz gegen die
Scheinselbstständigkeit war doch nur ein Gesetz gegen
Existenzgründung. Sie haben alle diese Maßnahmen be-
schlossen.


(Widerspruch bei der SPD)

– Dass Ihnen das nicht gefällt, wundert mich nicht.


(Zuruf von der SPD: Sie gefallen uns nicht! – Heiterkeit bei der SPD)


13 Prozent der Deutschen sind Mitglied einer Gewerk-
schaft. 85 Prozent der SPD-Bundestagsfraktion sind Mit-
glied einer Gewerkschaft. Daraus folgt meines Erachtens
eine zu sehr ferngesteuerte Funktionärspolitik und keine
Politik zum Wohle unseres ganzen Landes.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Übrigens haben Sie immer noch nicht verstanden, dass
die Interessen von Arbeitnehmern und die Interessen von
bestimmten Gewerkschaftsfunktionären nicht überein-
stimmen, wie, nebenbei bemerkt, auch die Interessen von
vielen mittelständischen Betrieben beileibe nicht immer
mit den Interessen von Arbeitgeberfunktionären überein-
stimmen. Sie müssen sich weniger an den Verbänden ori-
entieren, Sie müssen sich mehr an den Menschen orien-
tieren. Lassen Sie den Menschen von dem, was sie sich
hart erarbeitet haben, mehr und dann haben Sie auch bes-
sere Staatsfinanzen. Es kann nämlich nur der Steuern zah-
len, der Arbeit hat. Nichts kommt den Staat so teuer wie
die Verwaltung von Arbeitslosigkeit und Sie machen im
Augenblick nichts anderes als die Verwaltung von Ar-
beitslosigkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hans Georg Wagner [SPD]: So ein Quatsch!)


Was die Bildungspolitik angeht, so stellt sich der Re-
gierungschef hier hin und sagt – das ist schon ein atem-
beraubender Kunstgriff gewesen; denn er hat früher ge-
sagt, man wolle die Bildungsausgaben verdoppeln –: Das
läuft alles gar nicht so schlecht.


(Zuruf von der SPD: Das hat er nicht gesagt!)





Dr. Guido Westerwelle

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Das ist übrigens nicht nur eine Frage der Finanzen, das ist
vor allem, Herr Bundeskanzler, eine Frage der Strukturen.
Wir haben zu viel Staatswirtschaft gerade im Bildungs-
sektor. Heute lesen wir in den Zeitungen, dass die
Landesregierung aus CDU und FDP in Baden-Württem-
berg beschlossen hat, Initiativen zu ergreifen, damit die
zentrale Vergabestelle für Studienplätze abgeschafft wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist die Aufgabe des Staates – das sollten Sie als SPD-
Vorsitzender auch einmal den Landesregierungen, die von
Ihnen geführt werden, vortragen –, dafür zu sorgen, dass
ein junger Mensch einen Studienplatz bekommen kann.
Für Chancengleichheit am Start zu sorgen ist die Aufgabe
des Staates. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, für Er-
gebnisgleichheit am Ziel zu sorgen. Wo jemand studiert,
sollte nicht durch Studentenlandverschickung via ZVS
entschieden werden.


(Jörg Tauss [SPD]: Ländersache!)

Die Studenten sollten sich die Hochschule aussuchen dür-
fen und die Hochschulen sollten sich ihre Studenten aus-
suchen dürfen. Das brächte in der verkrusteten Bildungs-
landschaft den Wettbewerb, den wir brauchen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sagen immer, das sei Ländersache.

(Hans Georg Wagner [SPD]: Natürlich ist es Ländersache!)

So einfach darf man es sich nicht machen. Hier sitzen
keine politischen Eunuchen, sondern hier sitzen Par-
teivorsitzende, die in ihrer eigenen Partei auch einmal ei-
nen Diskussionsprozess voranbringen müssen.

Eine Bildungsministerin,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie heißt die denn?)

die es in Wahrheit bis heute nicht geschafft hat, in der Bil-
dungspolitik geistige Meinungsführerschaft zu überneh-
men, eine Bildungsministerin, die zulässt, dass die Kul-
tusminister zehn Jahre lang über die Rechtschreibreform
diskutieren und sich auch jetzt noch erhebend damit be-
schäftigen,


(Lachen bei der SPD)

eine solche Bildungsministerin hat die Zeichen der Zeit
nicht verstanden. Wir brauchen weniger Kultusminister-
konferenz. Das hätte Ihre Initialzündung sein müssen. Wir
brauchen mehr Wettbewerb zwischen den Ländern. Wir
brauchen eine neue Autonomie der Schulen, der Hoch-
schulen und der berufsbildenden Einrichtungen. Das ist
die Strukturantwort auf die wichtigsten Zukunftsfragen
der Deutschen, nämlich Bildung, Wissenschaft, Ausbil-
dung der jungen Generation. Wer daran spart, spart an der
Zukunft, Herr Bundeskanzler.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Bei der Gesundheitsreform gab es wirklich die abso-

lute Krönung. Da gab es eine Strukturreform im Gesund-

heitswesen, zu der man diese oder jene Meinung haben
kann. Aber dass Sie sich als Bundesregierung dann in Ge-
sprächen mit den Verbänden Ihre Strukturreform mit ei-
nem Scheck von 400 Millionen DM abkaufen lassen, ist
wirklich ein Armutszeugnis für jemanden, der als Demo-
krat eigentlich sagen sollte: Das Primat der Politik gilt in
diesem Hause und auch draußen bei den Verbänden. Das
überzeugt nicht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: BakschischRepublik!)


Die Bilanz, die Sie vorgetragen haben, war aus meiner
Sicht wirklich von großer Nervosität geprägt.


(Lachen bei der SPD – Dr. Peter Struck [SPD]: Wo waren Sie denn?)


Außen hui und innen pfui war das, was Sie als Bilanz
rechtfertigen konnten. Gerade im Hinblick auf die Afgha-
nistan-Konferenz – à la bonne heure! – gibt es nichts zu
kritisieren. Wir Freie Demokraten sagen ausdrücklich:
Dass Sie diese Afghanistan-Konferenz nach Deutschland
geholt haben, verdient unseren Respekt und unsere Aner-
kennung.


(Zuruf von der SPD: Der erste richtige Satz, den Sie sagen!)


Außenpolitisch haben Sie doch in Wahrheit gar kein Pro-
blem mit der Opposition. Außenpolitisch haben Sie ein
Problem mit Ihrer eigenen Koalition. Das ist das eigentli-
che Thema in diesem Hause, Herr Bundeskanzler und
Herr Bundesaußenminister.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir werden in den Bereichen zusammenarbeiten, in

denen es geht. Wir werden uns selbstverständlich der kon-
struktiven Zusammenarbeit nicht verschließen, aber wir
werden nicht vergessen, das anzumahnen, was Sie bei Re-
gierungsantritt versprochen haben. Sie haben verspro-
chen, dass Sie die Arbeitslosigkeit senken wollen. Dieses
Ziel haben Sie nun wirklich absolut nicht erreicht. Ar-
beitslose hoch, Pleiten hoch,


(Hans Georg Wagner [SPD]: FDP runter!)

Wachstumsprognosen nach unten korrigiert, mehr Sozial-
hilfeempfänger, mehr Bürokratie – das ist die innenpoli-
tische Bilanz dieser rot-grünen Regierungskoalition.

Sie mögen sich jetzt noch auf Parteitagen Bussi, Bussi
geben und sich wieder die Ehe versprechen,


(Dr. Peter Struck [SPD]: Das machen wir nicht! Das machen Sie! Damit haben wir nichts zu tun! Bussi, Bussi machen Sie! Das ist ja nun peinlich!)


ich sage Ihnen: Diese Koalition wird im nächsten Jahr ab-
gewählt. Da können Sie ganz sicher sein, meine sehr ge-
ehrten Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1420400600
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rezzo Schlauch, Bündnis 90/Die Grünen.




Dr. Guido Westerwelle
20052


(C)



(D)



(A)



(B)



Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420400700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Westerwelle, Sie haben jetzt 20 Minuten lang


(Gernot Erler [SPD]: Unsinn gesagt!)

geredet, nicht defensiv, aber desaströs.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Desaströs, indem Ihnen nichts anderes einfällt, als den
Standort Deutschland – bei allen Problemen, die wir ha-
ben – in einem Zerrbild zu zeichnen, das mit der Wirk-
lichkeit nichts zu tun hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn Sie daher kommen und sagen, die Amerikaner
hätten die Steuern gesenkt, frage ich: Was denken Sie,
wie gerne wir die Steuern noch weiter gesenkt hätten,
wenn Sie nicht so einen finanzpolitischen Sauladen
hinterlassen hätten, als wir die Regierung übernommen
haben?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Michael Glos [CDU/CSU]: Das nehmen Sie aber sofort zurück! Das ist ja unglaublich!)


An diesem Punkt möchte ich auch noch einmal an Ihre
eigene Adresse fragen: Warum haben Sie es denn nicht ge-
schafft, innerhalb von 29 oder 28 Jahren FDP-Regie-
rungsbeteiligung – bei allen Lobpreisungen, die Sie Ihrem
Finanzminister oder Wirtschaftsminister haben angedei-
hen lassen – den Spitzensteuersatz unter 50 Prozent zu
senken, was wir innerhalb von zwei Jahren gemacht
haben?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Was haben wir denn im Bundesrat gemacht? Sie sind ja ein Schwätzer! Sie Witzbold!)


Es ist sehr wohl richtig, dass wir uns mit problema-
tischen Rahmenbedingungen, mit problematischen wirt-
schaftlichen Daten auseinander zu setzen haben. Wir
haben eine problematische Situation durch den weltwei-
ten Konjunktureinbruch, durch eine Rezession in den
USA, was dazu führt, dass die Investitionstätigkeit ab-
nimmt, der Konsum lahmt und die Arbeitslosenzahlen
steigen. Das ist der Preis einer globalisierten Weltwirt-
schaft. Darum sollten wir überhaupt nicht herumreden,
das ist so.

Die gute Nachricht ist jedoch, dass diese rot-grüne Re-
gierung trotz der problematischen Wirtschafts- und Fi-
nanzlage einen Haushalt für das Jahr 2002 verabschiedet,
der kein Jota von dem eingeschlagenen Konsolidie-
rungskurs abweicht. Dieser Konsolidierungskurs ist die
grundlegende Voraussetzung dafür, dass wir aus der kon-
junkturellen Krise wieder herauskommen. Nur wenn wir
keine weiteren Schulden machen, werden wir auch das
wichtigste Ziel erreichen – deshalb ist Konsolidierung die
Voraussetzung –, nämlich neue und mehr Arbeitsplätze in
Deutschland.

Würden wir auf die sehr widersprüchlichen Vorschläge
der Opposition eingehen, so würde Deutschland – –


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Ich kann aufzählen, warum sie widersprüchlich sind. Ich
weiß nicht, wer die Sendung „Sabine Christiansen“ am
Sonntag gesehen hat. Dort hat mein Freund Fritz Kuhn
begründet, warum ein Vorziehen der Steuerreform Unsinn
ist. Was passierte dann? Herr Stoiber hat ihm plötzlich
Recht gegeben und Frau Merkel ist der Kinnladen herun-
tergefallen. Sie wissen in Ihrem eigenen Laden nicht, was
Sie vorschlagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Würden wir nämlich auf diesen verhängnisvollen Kurs
einer erhöhten Verschuldung wieder eingehen, dann
würden wir von dem von uns eingeschlagenen Kurs ab-
kommen und so wie Sie an den Klippen des Schulden-
berges auflaufen. Das haben wir bei Ihnen zur Genüge
erlebt und wir haben heute noch an diesen Folgen zu
leiden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Verantwortungsvolle Politik heißt: Wir senken die
Nettokreditneuaufnahme gegenüber dem Vorjahr wie-
der um 1,2 Milliarden Euro und verfolgen damit weiter-
hin das Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes bis zum
Jahre 2006. Die Nettoneuverschuldung darf aus vielen
Gründen nicht erhöht werden. Für uns Grüne ist der wich-
tigste Grund dabei immer gewesen, dass – mit der rot-grü-
nen Regierung hat das Gott sei Dank aufgehört – in
Deutschland Politik nicht mehr auf Kosten der zukünfti-
gen Generationen gemacht wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Konjunkturprogramme oder ein Vorziehen der Steu-
erreform bringen uns aber auch in Konflikt mit den
Maastricht-Kriterien. Sie wollen doch nicht ernsthaft
von uns verlangen, dass wir wenige Wochen vor Ein-
führung des Euros einer Politik das Wort reden, die auch
nur den Anschein zulässt, dass Deutschland die Kriterien
nicht einhält.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Der Anschein ist doch da!)


Wenn ein hochmögendes Mitglied dieses Hauses, der
Möchtegernwirtschaftsminister Brüderle, sagt, das sei al-
les nicht so wichtig, dann hat er sich damit selbst diskre-
ditiert und soll als Weinminister nach Rheinland-Pfalz
zurückkehren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Tätä, tätä, tätä!)


Herr Stoiber hat in den letzten Wochen mehrfach die
Forderung verlauten lassen, den Spitzensteuersatz weiter
zu senken. Dem entgegnenwir: Dasmachenwir, und zwar
erfolgreich. Eine Senkung über die in der Steuerreform
vorgesehenen 42 Prozent hinaus bringt zwar einigen






(C)



(D)



(A)



(B)


wenigen etwas mehr Geld in die Tasche; aber es bringt in
der gegenwärtigen Lage überhaupt nichts für die Wirt-
schaft. Eine solche Maßnahme erhöht nicht den Konsum
in der Breite und kostet den Haushalt überverhältnis-
mäßig viel Geld. Als isolierte Maßnahme ist das Popu-
lismus, der letztendlich nur den Wohlhabenden dient.
Das ist mit den Grünen und der rot-grünen Koalition
nicht zu haben.

Der Titel des Jahresgutachtens – darauf hat der
Kanzler schon verwiesen – heißt: „Für Stetigkeit – gegen
Aktionismus“. Dort kann man lesen – das ist sehr
eindeutig; ich würde Ihnen das gerne ins Stammbuch
schreiben –:

Eine auf kurzfristigen Erfolg ausgerichtete aktivis-
tische Konjunkturpolitik, wie sie beispielsweise zu-
sätzliche staatliche Ausgabenprogramme, jedoch
auch das Vorziehen der nächsten Stufe der Steuer-
reform darstellen, birgt Gefahren in der Zukunft, die
die unmittelbar positiven, aber unsicheren Wirkun-
gen überkompensieren können. Bei dadurch wieder
anschwellenden Haushaltsdefiziten würde die müh-
sam gewonnene Glaubwürdigkeit der Nachhaltigkeit
in der Finanzpolitik beschädigt.

Dieser Rat ist eindeutig und wir beherzigen ihn. Die Op-
position sollte noch einmal überlegen, ob sie an diesem
gewichtigen Rat vorbeigehen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Politik muss Verantwortung tragen. Verantwortung
muss aber auch die Wirtschaft tragen. Ein Beispiel aus den
USA zeigt, wie es gehen kann. Das Management von Sun
Microsystems hat gerade einen Brief an die Aktionäre ge-
schrieben. Darin wirbt die Geschäftsleitung bei den Ak-
tionären um Verständnis dafür, dass sie keine Entlassun-
gen vornimmt, auch wenn dies die Gewinnerwartung und
den Kurs der Aktie drückt; denn sie rechnet mit einer Bes-
serung der konjunkturellen Lage und will die bewährte
Belegschaft, das Know-how der Mitarbeiter und das so-
ziale Gefüge nicht auseinander brechen.

Dieses Beispiel sollte auch bei uns in Deutschland
Schule machen;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


denn es liegt im wohlverstandenen Eigeninteresse der
Wirtschaft, ihrer Verantwortung, die sie auch gegenüber
der Gesellschaft hat, gerecht zu werden. Die Regierung
hat mit der Rentenreform, mit der Steuerreform und mit
der Unternehmensteuerreform Vorleistungen erbracht.
Die Gewerkschaften haben jahrelang moderate Ab-
schlüsse ausgehandelt, nicht zuletzt dank dem Bündnis
für Arbeit. Deshalb fordere ich die Unternehmen auf – das
richtet sich insbesondere an die großen Konzerne –: Neh-
men Sie die zahllosen Ankündigungen, Zigtausende von
Mitarbeitern zu entlassen, im eigenen Interesse und im
Interesse des Ganzen zurück.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Sachverständigenrat rechnet ebenfalls für das
nächste Jahr damit,

dass sich die außenwirtschaftliche Lage aufhellt und
vorhandene positive binnenwirtschaftliche Rahmen-
bedingungen wieder Wirkung entfalten.

Wir haben dabei für meine Begriffe und aus grüner Sicht
noch eine Aufgabe vor uns, nämlich die Reform des Ar-
beitsmarktes. Das Job-Aqtiv-Gesetz ist ein guter und rich-
tiger Einstieg, um durch gezieltere Betreuung Zeiten von
Arbeitslosigkeit zu vermindern. Ich kann überhaupt nicht
nachvollziehen, was Sie dagegen haben können, meine
Damen und Herren von der Opposition.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Bundeskanzler, ich glaube, dass wir auf der
Grundlage des von Ihnen zum Kündigungsschutz Gesag-
ten doch noch einige weitere Gedanken ins Auge fassen
sollten. Wir sind darüber in der Koalition im Gespräch.

Erstens. Wir müssen die Teilzeitmauer einreißen. Das
buchstäblich schwarze Beschäftigungsloch oberhalb der
630-DM-Grenze muss verschwinden, sodass sich in die-
sem Sektor beides lohnt: jemandem Arbeit zu geben, aber
auch diese Arbeit anzunehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist zum Beispiel vorstellbar, dass die Sozialabgaben
bei Einkommen von 630 bis 1 800 DM linear ansteigen,
sodass nicht ab der 631.Mark der volle Sozialabgabensatz
zuschlägt.

Zweitens. Es ist an der Zeit, ein flächendeckendes Ein-
stiegsgeld einzuführen, sodass ein Arbeitslosenhilfe- oder
Sozialhilfeempfänger befristet einen möglichen Zu-
verdienst behalten kann, ohne dass dies mit Transferleis-
tungen verrechnet wird, beispielsweise in Höhe von
50 Prozent.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wir sind gespannt, was Herr Struck dazu sagt!)


Drittens. Auch die Entbürokratisierung der 630-DM-
Jobs mit einer einmaligen jährlichen Meldung ist eine
Maßnahme, die für Bewegung auf dem Arbeitsmarkt sor-
gen kann und die insbesondere bürokratische Hürden für
Klein- und Mittelbetriebe wegräumt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Solche Strukturreformen sind der richtige Weg. Wir

können uns auch hier auf die Wirtschaftsweisen stützen,

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Aber nicht auf den Koalitionsvertrag! Mal gucken, was Struck sagt!)


die sagen:
... gerade in der derzeitigen labilen wirtschaft-
lichen Lage stellt das Angehen von notwendigen
Strukturreformen eine Chance dar, die wirtschaft-
lichen Perspektiven zu stabilisieren.

Ich komme zu einem wichtigen gesellschaftspoli-
tischen und strukturpolitischen Punkt, nämlich der Ein-




Rezzo Schlauch
20054


(C)



(D)



(A)



(B)


wanderung. Frau Merkel, angesichts der desolaten Lage,
in der sich die Opposition befindet, kann ich gut nach-
vollziehen, warum Teile der CDU/CSU, allen voran der
Stoßtrupp aus den bayerischen Bergen,


(Michael Glos [CDU/CSU]: Was? Das nehmen Sie sofort zurück!)


wenigstens die Einwanderung als Rettungsanker für den
Wahlkampf behalten wollen. Aber ich sage Ihnen: Hören
Sie auf, Ihr parteitaktisches Kalkül über die Zukunft un-
seres Landes zu stellen!


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Ausgerechnet Sie!)


Die Wirtschaft braucht qualifizierte Arbeitskräfte. Mil-
lionen Menschen, die in unserer Gemeinschaft leben,
brauchen Hilfe und Ansporn zur Integration. Verfolgte
Menschen brauchen die Sicherheit eines demokratischen
Staates, der sie schützt. Sie aber handeln nach dem Motto:
Wer schon keine Antworten auf die drängenden Zu-
kunftsfragen unseres Landes anzubieten hat, der schielt
nach Österreich und nach Dänemark. – Aber bei uns wis-
sen die Leute inzwischen, dass wir immer eine offene Ge-
sellschaft mit Zuwanderung gewesen sind, dass wir das
auch bleiben werden und dass wir dafür allerdings jetzt
die richtigen gesetzlichen Regelungen brauchen. Dies
sieht übrigens auch die Wirtschaft fast unisono so. Bei-
spielsweise sagt BDA-Präsident Hundt:

Wer angesichts dieser Lage eine neue Zuwande-
rungsregelung blockiert, schadet unserem Land.

Frau Merkel und Herr Merz, passen Sie auf, dass das nicht
auf Sie gemünzt ist!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Gott sei Dank gibt es auch vernünftige Stimmen in der
CDU. Ich kann nur hoffen, dass sie sich in der Diskussion
durchsetzen. Bisher jedenfalls ist leider nur deutlich
geworden, dass die Forderungen der Union – wie die
Rücknahme der Anerkennung geschlechtsspezifischer
Verfolgung oder nicht staatlicher Verfolgung oder die
Rücknahme einer vernünftigen Familiennachzugsre-
gelung – keine Angebote sind, sondern nur davon ablen-
ken sollen, dass die CDU ihr Verhältnis zur Einwanderung
nicht geklärt hat.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Möglicherweise gelingt dies ja auf Ihrem kommenden
Parteitag. Dazu wünsche ich Ihnen viel Erfolg. Eine gere-
gelte Einwanderung, die die humanitäre Behandlung von
Flüchtlingen umfasst – unser Modernisierungsprojekt –,
ist unverzichtbar für eine zukunftsfähige Gesellschaft im
21. Jahrhundert. Sie haben immer noch die Wahl, sich in
Ihren ideologischen Spinnweben des letzten Jahrhunderts
zu verfangen oder die Gestaltung der offenen Gesellschaft
mitzutragen.

Meine Damen und Herren, zur Ökologie: Die Ver-
braucherschutzministerin Renate Künast hat das Ökosie-
gel vorgestellt; die Agrarwende macht Fortschritte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Ökosiegel markiert gesetzliche Standards für Pro-
dukte, die weit höher liegen als die, die bei konventionel-
ler Herstellung zugrunde gelegt werden. Die Menschen
können sich in Zukunft darauf verlassen, dass das, was
draufsteht, tatsächlich auch drin ist, das Produkt also nach
allen Regeln der Kunst hergestellt wurde. Das ist gut für
die Landwirtschaft, weil sie so wieder Vertrauen für ihre
Produkte erwerben kann.

Herr Glos, dass nicht alles Gold ist, was glänzt, haben
wir in Baden-Württemberg in den letzten Wochen erle-
ben müssen. Ich glaube, dass unserer Verbraucherschutz-
ministerin in Zukunft eine sehr wichtige Rolle zukommt,
um solche Dinge, wie im Bodenseegebiet, im wichtigsten
Anbaugebiet für Obst in Süddeutschland, geschehen, zu
verhindern,


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sie wissen, dass der Landwirtschaftsminister sofort reagiert hat!)


wo gnadenlos verbotene Pflanzenschutzmittel gespritzt
worden sind und aufgrund eines Schweigekartells zwi-
schen Bauernverband und CDU-Landesregierung die
Verbraucher darüber nicht informiert worden sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU]: Das ist ein unglaublicher Vorgang!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420400800
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Repnik?


Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420400900
Ja,
der Herr Repnik will die Bodenseebauern verteidigen.


(Jörg Tauss [SPD]: Die Spritzerei will er verteidigen!)


Bitte schön.


Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1420401000
Herr Kollege
Schlauch, Sie sprachen soeben von einem Schweigekar-
tell und haben damit den Landwirtschaftsminister von
Baden-Württemberg der Untätigkeit geziehen. Sind Sie
darüber informiert, dass gleich nach der ersten Informa-
tion über den Sachverhalt die baden-württembergische
Landesregierung und der zuständige Minister reagiert ha-
ben, dass den entsprechenden Betrieben sofort die Siegel
aberkannt wurden und diese Produkte vom Markt genom-
men wurden? Sind Sie darüber informiert? Wenn ja,
warum verbreiten Sie hier die Unwahrheit?


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Wie in Philippsburg!)



Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420401100

Meine Kenntnis, Herr Kollege Repnik, stützt sich auf ei-
nen völlig anderen Sachverhalt. Meine Kenntnis geht da-
hin, dass der Landwirtschaftsminister von Baden-Würt-
temberg zwei bis drei Monate über diesen Sachverhalt
informiert war, bevor er die Maßnahmen, von denen Sie
geredet haben, realisiert hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Stimmt nicht!)





Rezzo Schlauch

20055


(C)



(D)



(A)



(B)


Übrigens kennen wir so etwas schon in Baden-Württem-
berg. Auch das Umweltministerium schwieg in Sachen
Philippsburg, bis die Dinge nicht mehr zu verschweigen
waren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


DieAtomrechtsnovelle ist aufdemWeg.MeineDamen
undHerren, Siewissen aber, dasswir es nicht bei demAus-
stieg belassen, sondern der Ausstieg geht einher mit dem
Einstieg in dasZeitalter der regenerativenEnergien und ei-
ner umfassenden Energiewende. Deutschland ist auf
gutemWege, seine Klimaschutzziele zu erreichen, auf de-
ren Einhaltung es sich inzwischen auch völkerrechtlich
verbindlich verpflichtet hat. Erneuerbare-Energien-Ge-
setz, Markteinführungsprogramm, für das alle Fraktionen
gemeinsam dieMittel um 100Millionen Euro aufgestockt
haben,unddiegeplanteKraft-Wärme-Kopplungsregelung
sind notwendige Schritte auf dem richtigenWeg.

Denjenigen, die nach wie vor immer wieder versuchen,
einen Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomie
festzustellen, will ich sagen: Die beschäftigungspoli-
tischen und ökonomischen Effekte einer anspruchsvollen
Klimaschutzpolitik sind beachtlich. Das Basler For-
schungsinstitut Prognos kommt in einer wissenschaftli-
chen Untersuchung zu dem Schluss, dass eine Minderung
der CO2-Emissionen in Deutschland bis zum Jahre 2020um 40 Prozent nicht nur machbar ist, sondern auch noch
200 000 Arbeitsplätze schafft. Von denen profitieren der
Maschinenbau, das Baugewerbe, der öffentliche Per-
sonennahverkehr, die Bahn und die Dienstleister. Dies al-
les sind Zukunftsbereiche der deutschen Wirtschaft. In
diesem Gutachten wird bekräftigt, dass der Klimaschutz,
der Ausstieg aus der Kernenergie und die beschäf-
tigungspolitischen Ziele keine Gegensätze sind, sondern
sich, im Gegenteil, positiv beeinflussen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Rahmen der im Antiterrorpaket vorgesehenen
3Milliarden DM haben wir einen Schwerpunkt auf die zi-
vile Krisenprävention und auf die Entwicklungshilfe ge-
setzt. So haben wir den Haushalt für die Entwicklungs-
hilfe um 200 Millionen Euro aufgestockt. Nach dem
11. September 2001 kann sich niemand mehr darüber hin-
wegtäuschen, dass eine internationale Politik, die sich an
Menschenrechten und Gerechtigkeit orientiert, wichtig
ist und im ureigenen Interesse unseres Landes und Euro-
pas liegt.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Vorher habt ihr ihn dreimal gekürzt!)


Ein Schuldenerlass für die ärmsten Länder wurde auf
deutsche Initiative hin auf dem Kölner Gipfel beschlos-
sen. Zu nennen ist auch die internationale Gesund-
heitspolitik, wie sie der G-8-Gipfel in Bezug auf die
Bekämpfung von Aids beschlossen hat und die von der
Bundesregierung sogleich mit einem namhaften Betrag
unterstützt worden ist. Es gibt Überlegungen für ein in-
ternationales Insolvenzrecht und die Schaffung von mehr
Transparenz auf den Finanzmärkten. – Das alles sind Mo-
saiksteine auf dem Weg zu der einen Welt, die von allen
Staaten und allen Menschen als ihre Welt empfunden wer-
den kann.

Dabei darf es nicht bleiben: Wir Grüne stehen auch für
einen international fairen und freien Handel und dafür,
dass die Chancen der Globalisierung allen und nicht nur
den reichen Industrieländern zugute kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das wird mit Sicherheit für manche Branchen ein
schmerzhafter Prozess, wir müssen Handelsbarrieren für
Produkte aus Entwicklungsländern abbauen. Kein Ent-
wicklungshilfeetat der Welt kann die Effekte erzeugen,
die dadurch geschaffen werden können, dass die Länder
Asiens, Afrikas und Lateinamerikas hier zu fairen Bedin-
gungen mit ihren Produkten handeln können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


In diesen Kontext gehört auch, dass Bundeskanzler
Schröder die Parlamentarische Staatssekretärin Uschi Eid
zur Afrikabeauftragten ernannt hat, mit dem Ziel, einen
Aktionsplan der G-8-Staaten vorzubereiten, der die
„Neue Afrikanische Initiative“ zum wirtschaftlichen Auf-
bau und zur Überwindung von Armut in Afrika unterstüt-
zen soll.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Eine der wenigen guten Maßnahmen!)


Ich wünsche der Bundesregierung auf dem kommenden
G-8-Gipfel in diesem Bereich, in dem wir zum ersten Mal
präventiv tätig werden können, einen guten Erfolg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In diesem Zusammenhang werden wir in diesem Jahr
zusammen mit der Welthungerhilfe FAO ein Programm
ausarbeiten – hierzu stehen 20 Millionen zur Verfügung –,
das dazu dienen wird, den Menschen in den ländlichen
Räumen der armen Länder Hilfe zur Selbsthilfe zu geben.
Dieses Programm wollen wir im nächsten Haushaltsjahr,
also im übernächsten Jahr, in 2003, entsprechend aus-
füllen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das werden wir dann umsetzen!)


– Da bleibt der Wunsch Vater des Gedankens, Herr Kol-
lege Repnik.

Seit einigen Tagen tagt die Afghanistan-Konferenz in
Bonn. Ich verstehe nicht, was der Kollege Glos daran zu
kritteln hat.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Hat er doch nicht! – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Struck [SPD]: Natürlich, klar!)


Es ist ein großes Verdienst der deutschen Außenpolitik,
dass die UN, die USA und die betroffenen Staaten sowie
Gruppen dieses Vertrauen in Deutschland gesetzt haben.
Ich hoffe, dass wir ein guter Gastgeber sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dies ist ein direktes Resultat nicht nur der Haltung der
Bundesregierung, sondern auch der Tatsache, dass sich die
EU-Außenminister frühzeitig Gedanken über den Post-Ta-




Rezzo Schlauch
20056


(C)



(D)



(A)



(B)


liban-Prozess gemacht und ein überzeugendes Gesamt-
konzept vorgelegt haben. Dies ist nur e i n Schritt, aber
ein wichtiger, bei der Bewältigung der schwierigen Auf-
gabe, Afghanistan zu befrieden und als Rückzugsgebiet für
al-Qaida und andere internationale Terroristen ungeeignet
zu machen. Es ist ein eminent wichtiger und ein richtiger
Schritt; denn er bringt das Primat der Politik zurück.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Die Regierung hat in der Außenpolitik ihre Hand-
lungsfähigkeit bewiesen. Sie hat zweitens ihre große
Kompetenz im Bereich der zivilen und politischen Lö-
sungen gezeigt. Außenpolitik setzt die Rahmenbedin-
gungen dafür, dass wir in der Innenpolitik unsere sozial-
ökologischen Reformen weiterführen können und dass
wir die ökologische und die gesellschaftspolitische Er-
neuerung dieses Landes, die Sie jahrelang haben schlei-
fen lassen, unvermindert fortsetzen können. Wenn uns
das gelingt – und es wird dieser Koalition und der rot-
grünen Regierung gelingen –, dann sind all Ihre Äuße-
rungen, die wir heute gehört haben, nur Träume für die
Zukunft.

Herr Kollege Westerwelle, zum Schluss möchte ich Sie
an dieser Stelle fragen, wie Sie sich eigentlich Ihr wider-
sprüchliches Verhalten erklären. Auf der einen Seite wer-
fen Sie uns vor, dass wir staatsfixiert seien. Auf der an-
deren Seite wollen Sie diejenigen, die bei uns die
Verantwortung für die Wirtschafts- und Finanzpolitik ha-
ben, abwerben. Heißt das etwa, dass Sie staatsfixierte
Finanz- und Wirtschaftspolitiker abwerben wollen? Ich
kann mir das nicht vorstellen.

Ein weiterer Widerspruch liegt darin, dass Sie im Bun-
destag auf die Koalition einprügeln. Das ist zwar Ihr gutes
Recht, Herr Westerwelle.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sie sind heute Morgen aber gönnerhaft!)


Aber wenn Sie außerhalb dieses Hauses in jedes Mikro-
fon Bewerbungsreden für die Beteiligung an dieser Re-
gierung halten, dann ist das sehr widersprüchlich. Ich ver-
stehe das nicht.

Wir werden auf jeden Fall unseren Kurs erfolgreich
fortsetzen. Wir werden Sie deshalb bei der Wahl im Sep-
tember nächsten Jahres auf die Plätze verweisen, auf de-
nen Sie jetzt sitzen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU]: Das macht immer noch der Wähler und nicht Sie!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420401200
Das Wort zu einer
Kurzintervention hat der Kollege Westerwelle.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Muss das denn sein?)



Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1420401300
Frau Präsidentin!
Weil Herr Kollege Schlauch zu dem interessanten rheto-

rischen Mittel gegriffen hat, an einen hier Zuhörenden
eine Frage zu richten, möchte ich ihm gerne auf diese
Frage antworten.

Damit kein Missverständnis entsteht, sollen Sie von
mir an dieser Stelle, damit es auch einmal im Protokoll er-
scheint, hören: Wir gehen in keine Regierung – ob ihr um-
fallt oder nicht umfallt –, ohne dass es vorher Wahlen ge-
geben hat. Nach den Wahlen sind wir hoffentlich mit
einem Regierungsauftrag versehen. Das werden wir se-
hen; das wird der Wähler entscheiden. Aber ohne Wahlen
werden wir nicht in die Regierung gehen.

Ich sage noch eines, damit wir uns auch darüber im
Klaren sind: Die Hoffnung, dass Sie in irgendeinem Punkt
standhaft bleiben könnten, haben wir längst aufgegeben.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Widerspruch der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ihre uneingeschränkte Solidarität mit Ihren Dienstwagen
wird sprichwörtlich in Deutschland.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans Georg Wagner [SPD]: Das ist purer Neid!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420401400
Herr Kollege
Schlauch, möchten Sie darauf antworten? – Nein.

Dann hat jetzt der Kollege Roland Claus das Wort für
die PDS-Fraktion.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1420401500
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie
haben zu Beginn Ihrer Rede über die Schwäche der Union
in der Politik insgesamt und in diesem Hause gespottet.
Ich bin der Meinung, dass Ihnen eine Menge Anlass dafür
geboten wurde. Allerdings ist eine solche Argumentation
für Sie nicht ungefährlich. Denn: Wenn selbst eine so
schwache konservative Opposition Ihnen in den Umfra-
gen so dicht auf den Fersen ist, dann spricht das nun wirk-
lich nicht für eine starke Bundesregierung. Das müssen
Sie sich schon vorhalten lassen.


(Beifall bei der PDS)

Eine Woche lang werden uns jetzt von der Regie-

rung Statistiken des Erfolgs präsentiert. Das ist für ei-
nen gelernten DDR-Bürger wie mich ein ziemlich star-
kes Stück. Es gibt nämlich erhebliche Zweifel an
diesen Statistiken. Nehmen wir aber einmal an, Ihre
Statistiken stimmen. Dann müssen Sie sich eine Frage
gefallen lassen: Nach welchem Maßstab bewerten Sie
inzwischen die Leistungen Ihrer Politik? Sie werden
feststellen, dass es ein einziger Maßstab ist, mit dem
sich das alles messen lässt: Sie stellen hier fest und be-
weisen wort- und zahlenreich, es sei alles noch ein biss-
chen besser als bei Kohl. Dazu müssen wir Ihnen aber
sagen: Dann haben Sie vorsätzlich – wenngleich auch
mit dem Versuch, dies in aller Stille zu tun – die Mess-
latte verlegt.


(Beifall bei der PDS)





Rezzo Schlauch

20057


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie wurden 1998 in Regierungsverantwortung ge-
wählt, damit es in Deutschland gerechter zugeht, damit es
vorwärts geht, und nicht nur, damit es ein bisschen anders
wird als bei Kohl.


(Beifall bei der PDS – Wolfgang Weiermann [SPD]: Das müssen ausgerechnet Sie sagen!)


– In der Tat, das müssen Sie sich sagen lassen; denn von
den wirklichen Problemen der Menschen in diesem Lande
sind Sie etwa genauso weit entfernt wie von den eigenen
Wahlversprechen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

So setzen Sie nunmehr auf das letzte Ihnen verbliebene

Positivimage, nämlich die Schulden zu verringern. Das
ist in der Tat ein wichtiges Ziel, aber als alleiniges Ziel ist
es untauglich; denn wer soziale Strukturen, wer gesell-
schaftliche Zusammenhänge kaputtspart, der ist nicht mo-
dern und nicht zukunftsfähig. Lassen Sie sich das noch
einmal gesagt sein.


(Beifall bei der PDS – Peter Dreßen [SPD]: Also Schulden machen oder was?)


– Ich komme an anderer Stelle auf die Einnahmenbilanz
dieses Landes zurück.

Ich will Ihre Schwierigkeiten nicht kleinreden. Aber ei-
nes muss man Ihnen sagen: Sie sind nicht an der eigenen
Courage gescheitert, sondern an dem Mangel an Courage,
die Probleme dieses Landes anzupacken.

Was erwarten Bürgerinnen und Bürger in dieser Situa-
tion? Sie erwarten nicht den Vergleich zu Helmut Kohl im
Jahre 1997. Sie wollen, dass man sich ihrem Lebensalltag
zuwendet und dass sich in diesem Lebensalltag etwas än-
dert. Das trifft sowohl für den Chefarzt zu, der Fragen zur
Gesundheitsreform hat und diese nicht beantwortet be-
kommt, als auch für die Arbeitslose, die gesicherte Arbeit
will und dazu keine Antwort von Ihnen bekommt.

Es ist hier schon mehrfach zitiert worden: An der Ver-
minderung der Arbeitslosigkeit wollten Sie sich jederzeit
messen lassen. Wenn wir Sie daran messen, müssen wir
sagen: Sie haben versagt.


(Beifall bei der PDS)

Herr Bundeskanzler, Sie haben hier die Prognosen aus

dem vergangenen Jahr bemüht, als wären Prognosen so-
zusagen Dinge höherer Gewalt, als hätte das nichts mit Ih-
rer Politik zu tun. So einfach kann man sich das nicht ma-
chen. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

Sie haben eine ganze Reihe, wie ich finde, untauglicher
Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eingesetzt.
Sie haben die Gewerkschaften zur Zurückhaltung in der
Tarifpolitik gedrängt. Sie haben auf ABM-Abbau ge-
drängt und eine unselige Faulenzerdebatte losgetreten.
Sie haben den Einstieg in den Ausstieg aus der gesetzli-
chen Rentenversicherung zu verantworten und Sie reden
permanent über Niedriglohnmodelle. Ich sage Ihnen
dazu: Deutschland braucht keine Niedriglohnmodelle; die
Niedriglohnrealität in diesem Lande ist schon zu viel.


(Beifall bei der PDS)

Mir ist vor einigen Tagen in Sachsen ein junger Mann

begegnet, der jetzt als technischer Zeichner ausgelernt hat

und dem sein Chef einen Nettolohn von 1 200 DM ange-
boten hat.


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist eine Sauerei!)

Wenn dieser junge Mann unsere Debatten im Bundestag
verfolgt, dann kann er nur den Schluss ziehen: Die sitzen
im falschen Film!


(Beifall bei der PDS – Peter Dreßen [SPD]: Deshalb müssen wir Ordnung schaffen, dass die Tarifverträge eingehalten werden!)


Es ist bemerkenswert, wie sich die Christdemokraten
in dieser Situation Mut machen. Ich darf Frau Merkel im
Originalton zitieren. Das klingt so: Wir werden Schröder
das Fürchten lernen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Lehren!)

– Nein, sie hat „lernen“ gesagt, sonst wäre mir das nicht
so aufgefallen.


(Beifall bei der PDS)

Das wird den Kanzler schwer beeindrucken, wird er doch
demnächst Frau Verona F. im Beraterteam der CDU ver-
muten.

Sie haben gesagt, Herr Bundeskanzler, Sie wollten den
Aufbau in den neuen Bundesländern zur Chefsache er-
klären; aber Sie haben nichts Glaubwürdiges geleistet. Sie
machen um Thüringen inzwischen einen großen Bogen,
wahrscheinlich wegen der hohen Cousinendichte, die dort
zu vermuten ist.


(Heiterkeit bei der PDS)

Aber auch in Ihrer heutigen Rede haben Sie, mit Aus-

nahme der schwierigen Situation in der Bauwirtschaft,
nichts, aber auch gar nichts zur Lebenslage in den neuen
Ländern gesagt. Das ist mehr als bedauerlich.


(Beifall bei der PDS)

Ich will hierbei nur auf ein Faktum verweisen: Vor

kurzem führten wir im Bundestag eine Debatte zu Bahn-
unternehmen. Die große Regierungsbank hier im Bundes-
tag war leer. Die Bundesregierung war in dieser Situation
mit niemandem vertreten. Das ist Ausdruck dafür, wie Sie
mit den Problemen vor allem in den neuen Ländern um-
gehen.


(Beifall bei der PDS – Hans Georg Wagner [SPD]: Wir haben doch keine geteilte Republik! Die wollen die Mauer wieder haben!)


Mit demRegierungsantritt haben Sie versprochen, dass
Sie in diesem Land vernünftig wirtschaften wollen. Es ist
nicht zu erkennen, wiemit diesemHaushalt dieKonjunk-
tur und Investitionen gefördert werden sollen. Sie be-
schwören die kleinen undmittelständischenUnternehmen
regelrecht; für ihre Förderung ist aber wenig enthalten.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Falsch!)

Zahlreiche meiner Kommilitoninnen und Kommilito-

nen aus dem früheren Studium sind inzwischen Existenz-
gründer. Sie klagen mir, wie Ihnen gewiss auch, ihre Nöte.
Ähnlich wie in Schweden brauchten wir auch in Deutsch-
land ein Programm für eine zweite Chance für Existenz-




Roland Claus
20058


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gründer, sodass es nicht bei jeder Existenzgründung um
Hopp oder Topp geht.


(Beifall bei der PDS)

Die Kommunen im Lande sind die Verlierer Ihrer

Steuer- und Finanzpolitik. Sie verlieren ihre Auftrags-
kompetenz mehr und mehr. Deshalb haben wir Ihnen vor-
geschlagen, eine kommunale Investitionspauschale ein-
zuführen. Sie sollten sich diesem Vorschlag auch nicht
länger verweigern.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Nun komme ich zu den wiederholten Vorwürfen an die

PDS, wir würden keine eigenen Vorschläge machen.

(Hans Georg Wagner [SPD]: Keine ver nünftigen!)

Meine Damen und Herren, wir haben uns in schwierigster
Situation – ich meine die Haushaltslage in Berlin – bereit
erklärt, zur Konsolidierung des Haushaltes in Berlin auch
im Senat, also in Regierungsverantwortung, mitzuwirken.
Sie kommen nicht umhin, unsere anerkannt soliden Vor-
schläge auch als solche zu akzeptieren.


(Zuruf von der SPD: Von wem wurden sie anerkannt?)


In dieser Situation hat der Kanzler aber die Ampel ver-
ordnet. Ich finde, dass es in Berlin genug Ampeln gibt.
Wir brauchen sie nicht auch noch im Rathaus. Der einzige
Trost bei der Ampel ist, dass die Gelbphase immer die
kürzeste ist.


(Beifall bei der PDS – Peter Dreßen [SPD]: Was sagen Sie zu der Ampel in Berlin-Mitte: CDU, PDS und Grüne?)


– Das geht auch in Ordnung.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Was man hier alles erfährt!)

Meine Damen und Herren der Regierung und der Ko-

alition, der Begriff der sozialen Gerechtigkeit durchzieht
Ihre Programme sehr stark. Ich will dazu einige Fakten
nennen, die eine andere Sprache sprechen:

Eine einzige Versicherung in diesem Land – zugegeben
eine große –, deren Name ich hier nicht nenne, zieht aus
Ihrer Politik eine so genannte Steuerersparnis in Höhe
von 2,2 Milliarden DM. Das nenne ich eine unheilige Al-
lianz von Politik und Geschäft.


(Beifall bei der PDS)

Ein anderer Fakt: Die Körperschaftsteuer, die von

den großen Unternehmen gezahlt wird, macht nur noch
1,5 Prozent des Steueraufkommens aus. Dazu kann ich
nur sagen: Undank ist des Eichels Lohn.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Die kleinen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben für
die großen Unternehmen aufzukommen. So war die so-
ziale Marktwirtschaft von Ludwig Erhard doch wohl
nicht angelegt.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)


Inzwischen sind die Einnahmen aus der Körper-
schaftsteuer geringer als die Einnahmen aus der Tabak-
steuer. Da traut man sich als bewusster Staatsbürger gar
nicht mehr, darüber nachzudenken, ob man mit dem Rau-
chen aufhören sollte. Was sind denn das für Zustände?


(Beifall bei der PDS – Widerspruch bei der SPD)


Ich komme zu noch einem Fakt: Im Jahre 2000 wurden
infolge von Finanzprüfungen Steuernachzahlungen in
Höhe von 27MilliardenDM gefordert. Allerdings wurden
die Prüfungen nur in 3 Prozent der Unternehmen durchge-
führt. Nun würden Sie es mir hier nicht durchgehen las-
sen, wenn ich diese 3 Prozent auf 100 Prozent hochrech-
nen würde.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Das ist Ländersache!)


Da kämen 900 Milliarden DM heraus. Wir lassen Ihnen
aber auch nicht durchgehen, dass bei den anderen 97 Pro-
zent nichts zu holen gewesen wäre.


(Beifall bei der PDS – Hans Georg Wagner [SPD]: Das ist doch Ländersache!)


Es muss endlich Schluss damit sein, dass in diesem Land
Steuerhinterziehung ein staatlich geförderter Volkssport
ist und nach dem Motto verfahren wird: Wer Steuern
zahlt, ist selber schuld. Hier brauchen wir eine andere Phi-
losophie.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Wir haben doch das Gesetz vorgelegt! Da können Sie mitmachen!)


Wir empfehlen Ihnen einen Blick nicht nur über den
Kanal, sondern auch zu den französischen Nachbarn. Dort
hat die Nationalversammlung in der vergangenen Woche
die Einführung der Tobinsteuer beschlossen. Das sollte
auch für uns eine Richtschnur sein.


(Beifall bei der PDS)

Insofern ist leider zu bedauern, dass auch unter einer rot-
grünen Regierung die Reichen immer reicher und die Ar-
men immer zahlreicher werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hatten in
letzter Zeit allen Grund, Ihnen gegenüber mehrfach un-
sere Position zu betonen, dass Krieg die falsche Antwort
auf den Terror ist. Sie haben daraufhin versucht, die PDS
auf „Radikalpazifismus und sonst gar nichts“ zu reduzie-
ren. Das spricht nicht für Souveränität, sondern für Ihre
Unsicherheit. Es ist sehr viel mehr Politik zwischen Pazi-
fismus pur auf der einen Seite und uneingeschränkter So-
lidarität auf der anderen Seite möglich.


(Beifall bei der PDS)

Die gesellschaftliche Isolation der PDS – das ist es, was
Sie betreiben wollen – wird Ihnen nicht gelingen.

Ich komme zum Schluss. Für einen Finanzminister
mag es kein schlechtes Zeichen sein, wenn er die Ausga-
benreduzierung als sein Ziel vorgibt und dabei einiges
vorweisen kann. Für eine Bundesregierung, die gesell-
schaftsgestaltend zu wirken hat, ist dies zu wenig. Herr
Bundeskanzler, Sie haben bekanntlich Lenin studiert und
sich offensichtlich deshalb gesagt: Vertrauen ist gut,




Roland Claus

20059


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Vertrauensfrage ist besser. Die wirkliche Vertrauensfrage
aber wird am 22. September des nächsten Jahres gestellt.
Herr Bundeskanzler, Sie sollten sich nicht länger auf die
Schwäche der Union verlassen. Ich denke zwar, dass die
Union in der Opposition gut aufgehoben ist;


(Beifall bei der PDS)

da sollte sie auch bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dazu bedarf es aber einer anderen Regierungspolitik als
der, die Sie mit diesem Haushalt unter Beweis stellen.


(Beifall bei der PDS – Michael Glos [CDU/CSU]: Das war wieder eine großartige Rede!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420401600
Ich erteile das Wort
dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Dr. Peter Struck.


Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1420401700
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! In der heutigenAusgabe der
„SüddeutschenZeitung“findetsicheinArtikelmitderÜber-
schrift: „HeinerGeißler greiftCDU-Fraktionsspitze an“.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Zu Recht!)

Darin steht, dass der Kollege Geißler sich an diejenigen in
der CDU/CSU-Fraktion wendet, die gegen einen Zuwan-
derungskompromiss sind. Er sagt, „er wisse nicht, wel-
che Leute wir“ – damit ist die Union gemeint – „auf dem
rechten Rand mit einer solchen Politik noch gewinnen
wollen. Ich weiß aber mit Sicherheit, dass uns die Zu-
stimmung religiös und human denkender Menschen, vor
allem in beiden Kirchen, endgültig verloren geht.“


(Beifall bei der SPD)

Ich möchte Sie, Herr Kollege Merz, und die folgende

Rednerin, Frau Kollegin Merkel, bitten, dazu Stellung zu
nehmen. Das meine ich jetzt nicht polemisch.


(Lachen bei der CDU/CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Gerade Sie!)


Herr Merz, Sie haben hier am 19. September in einer
Debatte zu den Folgen der terroristischen Anschläge Fol-
gendes gesagt:

Die Umstände dieses Attentats zeigen aus meiner
Sicht einmal mehr, wie dringend wir ein umfassen-
des Konzept zur Steuerung und Begrenzung der Zu-
wanderung brauchen,

(Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Richtig!)


das auch den Erfordernissen der inneren Sicherheit
gerecht wird und das vor allem die Integration der in
Deutschland lebenden Ausländer fördert.

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Einverstan den!)

Wir wollen noch in dieser Legislaturperiode zu einer
Lösung kommen und bieten Ihnen auch hierzu die
Zusammenarbeit an.

(Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Richtig! Guter Mann!)


So weit, so gut. Dann aber möchte ich Sie schon fragen,
wie die Äußerung von Herrn Stoiber in einer Fernsehsen-
dung, an der auch ich teilzunehmen die Ehre hatte, und die
Äußerung von Herrn Beckstein zu verstehen sind. Herr
Beckstein hat gestern angedroht, dass die CDU und die
CSU eine Unterschriftenaktion erwägten. Das steht
doch in krassem Gegensatz zu dem, was Sie bisher zu dem
Thema Zuwanderung gesagt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich stimme Heiner Geißler auch in dem zu, was er in
der „Süddeutschen Zeitung“ vom 6. November gesagt
hat:

Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Idee,
Ausländer zum Thema des Wahlkampfs zu machen,
in die Psychiatrie gehört.

Das ist – dabei denke ich an München – völlig richtig aus-
gedrückt, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich widerspreche auch Ihrer Behauptung, nach der
Zuwanderungsregelung, die vonseiten der Koalition und
der Bundesregierung vorgelegt worden ist, werde es einen
ungebremsten Zuwachs von Zigtausenden oder noch
mehr Ausländern in unserem Land geben. Das ist objek-
tiv falsch. Das ist Panikmache. Unser Gesetz steuert die
Zuwanderung. Wir wissen ganz genau, dass zum Beispiel
die Forderung der Wirtschaft an uns nach einem unbe-
grenztes Aufmachen von Tür und Tor für Arbeitskräfte
von uns nicht erfüllt werden wird. Wir sind uns darüber
einig – das sage ich hier ganz deutlich –, dass wir eine Zu-
wanderung aus arbeitsmarktpolitischen Gründen nur für
so genannte High Potentials brauchen. Es wird zu keiner
zusätzlichen Ausländerschwemme kommen, die Herr
Beckstein und Herr Stoiber suggerieren. Es ist unanstän-
dig, mit solchen Ängsten zu arbeiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: High Potentials? Dann hätten Sie nicht nach Deutschland kommen können! – Michael Glos [CDU/CSU]: Wir wollen High Potentials und nicht Struck!)


– Herr Kollege Glos, da Sie so einen intelligenten Zwi-
schenruf gemacht haben, möchte ich Ihnen vorlesen, was
heute über Sie und Ihre geistigen Kapazitäten in der „Süd-
deutschen Zeitung“ steht.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ruhe für den High-Potential-Mann!)


Es wird über das gefürchtete Frühstück von Herrn Glos
berichtet, jeweils montags oder dienstags. Dann kommt
auf die Frage, wann denn nun diese „K-Frage“ entschie-
den werden soll,


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wo steht das, Herr Struck?)


Folgendes:
Er wies in Berlin auf die Bedeutung der bayerischen
Kommunalwahl am 3. März für die CSU hin und




Roland Claus
20060


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fügte dann hinzu: „Frühestens danach oder aber um
diesen Zeitraum herum soll auch über den Kanzler-
kandidaten entschieden werden.“

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ihr habt Sorgen!)

Auf Nachfragen sagte er dann, er habe sich verspro-
chen und statt „frühestens“ Frühjahr sagen wollen.


(Lachen bei der SPD)

Das ist die Art und Weise, wie Sie mit vernünftigen Daten
und Themen umgehen!


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Jetzt reden Sie doch einmal über Arbeitslosigkeit!)


Herr Glos, Ihre Karnevals- und Büttenreden mögen ja
für Sie interessant sein. Aber die Menschen draußen, die
uns zusehen, werden sich über Ihre geistigen Qualitäten
schon ein eigenes Urteil bilden können.


(Beifall bei der SPD – Friedrich Merz [CDU/ CSU]: Jetzt reden Sie doch einmal über die Arbeitslosigkeit in Deutschland! – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Hat das etwas mit Arbeitsmarkt zu tun?)


Da ich nun gerade bei der K-Frage bin: Der „Stern“ hat
versucht, der Union die Beantwortung dieser Frage abzu-
nehmen. Frau Kollegin Merkel wird sich vielleicht auch
noch dazu äußern.


(Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU])


– Zu Ihnen komme ich auch noch, Herr Schäuble. Um es
gleich zu sagen: Ich finde es unanständig, Herr Schäuble,
dass Sie auf die Frage, ob Sie vielleicht auch Kanzlerkan-
didat werden wollen, obwohl Sie wissen, dass Ihre Par-
teivorsitzende das werden will, nicht klipp und klar Nein
sagen. Wer nicht Nein sagt, sagt Ja, Herr Schäuble. Wie
Sie in dieser Frage mit Frau Merkel umgehen, ist unan-
ständig.


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Der ist aber lustig heute Morgen!)


Wo ich gerade bei der CDU bin: Sie haben einen Par-
teitag in Essen gehabt und Sie haben bald einen Parteitag
in Dresden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Und Sie haben 4 Millionen Arbeitslose!)


Der Bundesparteitag der CDU hat in Essen Folgendes be-
schlossen:

Der Bundesvorstand wird ermächtigt

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– ich weiß, Sie hören das nicht gerne, Sie müssen es sich
aber trotzdem anhören –

über die Geltendmachung von Rechtsansprüchen
jeglicher Art gegenüber Personen, Gebietsverbänden

und Sonderorganisationen der CDU, die im Zusam-
menhang mit Verstößen gegen die einschlägigen Pa-
ragraphen des Parteiengesetzes dem CDU-Bundes-
verband Schaden zugefügt haben, abschließend zu
entscheiden.

Dies ist ein Beschluss des Bundesparteitages der CDU.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie sind wirk lich ein High Potential!)

Jetzt möchte ich Sie fragen, Frau Kollegin Merkel

– wenn Sie gleich in Ihrer Rede darauf eingehen würden,
wäre ich Ihnen sehr dankbar –, was Sie eigentlich nach
diesem Beschluss gemacht haben.


(Zuruf von der SPD: Nichts!)

Wen haben Sie eigentlich wegen der Verstöße gegen das
Parteienfinanzierungsgesetz zur Rechenschaft gezogen?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Was machen Sie dagegen, dass ein Mann wie Helmut
Kohl, der sich nach wie vor weigert, die Herkunft von
Spenden preiszugeben, hier in diesem Parlament sitzt?
Was machen Sie eigentlich dagegen?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Ich habe vor zwei Jahren in der Haushaltsdebatte im
Zusammenhang mit dem Verkauf von Panzern an Saudi-
Arabien und im Zusammenhang mit dem Verkauf von
Leuna an Elf Aquitaine die Frage gestellt, ob die Politik
von Helmut Kohl käuflich gewesen ist.


(Zuruf von der CDU/CSU: Und was ist? – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Jetzt reden Sie einmal über die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses!)


Der Kollege Kohl hat mich dann nach einigen Verwirrun-
gen darüber, wie man eine Zwischenfrage stellen muss,
aufgefordert – ich kann Ihnen das Protokoll vorlesen –,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Reden Sie über die Untersuchungsausschussergebnisse!)


als Fraktionsvorsitzender dafür zu sorgen, dass erstens so
schnell wie möglich ein Untersuchungsausschuss instal-
liert wird und zweitens er – wie er damals sagte – noch vor
Weihnachten in diesem Untersuchungsausschuss Rede
und Antwort stehen kann.

Wir haben diesen Untersuchungsausschuss eingerich-
tet, aber dann haben wir erleben müssen, dass Helmut
Kohl zweimal genau zu den Punkten die Aussage verwei-
gert hat,


(Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)

die hätten geklärt werden müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist unanständig, wie Helmut Kohl nach wie vor die
Aussage über die Herkunft der Spenden verweigert.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Haben Sie sonst nichts zu tun?)





Dr. Peter Struck

20061


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Solange er das tut, gehe ich davon aus, dass er gegen
Recht und Gesetz verstoßen hat.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Käuflich war!)


Ein weiterer Punkt: Im Zusammenhang mit der Affäre
um Elf Aquitaine und Leuna ist ein Sonderermittler ein-
gesetzt worden. Das war der ehemalige Kollege Burkhard
Hirsch, wie wir alle wissen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Welchen Tagesordnungspunkt haben wir eigentlich?)


– Ich komme gleich dazu. Bleiben Sie ganz ruhig. Wenn
wir über Alternativen reden, wer unser Land regieren soll,
dann muss auf den Tisch, was für eine Partei das ist, die
hier regieren will.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Hirsch hat einen Bericht vorgelegt: Es steht fest,
dass vor der Amtsübergabe von Kohl an Gerhard Schröder
im Kanzleramt Akten vernichtet worden sind. Es steht
fest, dass es Akten im Zusammenhang mit dem Verkauf
von bestimmten Einrichtungen gewesen sind.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Struck ist eine Dreckschleuder!)


Ich bin froh darüber, dass über zehntausend Leser der
„Zeit“ erreicht haben, dass die Staatsanwaltschaft Bonn
ihre Ermittlungen wieder aufnimmt und nicht einstellt.
Das, was damals passiert ist, war nämlich nicht koscher.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Reden Sie vom Untersuchungsausschuss, Herr High Potential!)


Ist denn schon vergessen, dass der Kollege Schäuble
im Deutschen Bundestag eine falsche Aussage über seine
Beziehungen zu Herrn Schreiber gemacht hat? Ist eigent-
lich schon vergessen, dass es Unklarheiten über eine
100 000-DM-Spende von Herrn Schreiber an Herrn
Schäuble gibt?


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: So eine Dreckschleuder! – Gegenruf des Abg. Peter Dreßen [SPD]: Das ist die Wahrheit!)


– Frau Präsidentin, ich denke, Sie haben den Zwischenruf
des Kollegen gehört.

Weil auch Herr Schäuble als möglicher Kanzlerkandi-
dat der Union zur Verfügung steht, erlaube ich mir, aus der
Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Berlin zu
Herrn Schäuble vorzulesen:


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sie sollen sich entschuldigen!)


Im Ergebnis bleibt jedenfalls festzuhalten, dass die
vom Beschuldigten Dr. Schäuble beschriebene
Übergabemodalität

–esgehtumdie100000-DM-SpendevonHerrnSchreiber–

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das ist selbst der Regierung peinlich!)


auf nicht unerhebliche praktische Schwierigkeiten
stößt,

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Aufhören! Unglaublich! – Ulrich Heinrich [FDP]: Sie stehlen uns die Zeit!)


– ich lese es noch einmal in aller Ruhe vor, damit es auch
die Bürgerinnen und Bürger draußen hören können –

... dass die vom Beschuldigten Dr. Schäuble be-
schriebene Übergabemodalität auf nicht unerhebli-
che praktische Schwierigkeiten stößt, während die
von der Beschuldigten Baumeister und dem Zeugen
Schreiber behauptete Geldübergabe in Kaufering
plausibel erscheint.

(Zurufe von der CDU/CSU: Pfui! – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut weh! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal einen Satz zu den vier Millionen Arbeitslosen!)


So weit zur Glaubwürdigkeit von Ihnen, Herr Kollege
Schäuble.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Schämen Sie sich, Struck! – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist die typische Reaktion, wenn man nichts vorzuweisen hat! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Hinsetzen! Schämen!)


Ich glaube schon, Frau Merkel, dass Sie auf Ihrem Par-
teitag auch zu der Frage Stellung nehmen müssen, wie es
zu erklären ist, dass im Jahre 1982 und im Jahre 1997
Fraktionsmittel von der CDU-Fraktion an die CDU ge-
langt sind. Das waren 6 bis 7 Millionen DM öffentliche
Gelder aus dem Bundeshaushalt an die Partei.


(Joachim Poß [SPD]: Sehr wahr! – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Diese Frage ist nach wie vor nicht beantwortet.
Geben Sie mir bitte auch einmal Antwort auf die Frage,

wie Sie sich denn erklären, dass noch jetzt in Deutschland
zehn von 17 Ermittlungsverfahren gegen CDU-Mitglie-
der im Zusammenhang mit den Spenden anhängig sind,
vier weitere Verfahren laufen im Ausland.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wer hat ihm diese Rede geschrieben? – Gegenruf des Abg. Hans Georg Wagner [SPD]: Das Gericht!)


Dann möchte ich Sie auch fragen: Wie ist es eigentlich
möglich,


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Generaldebatte haben wir heute!)


dass 19 Zeugen vorrangig von der CDU im Untersu-
chungsausschuss nicht ausgesagt haben? Davon stamm-
ten aus den inneren Zirkeln der Union zehn. Manche ha-
ben zwar ausgesagt, aber einige Zeugen – namentlich
Herr Koch aus Hessen und Herr Kiep – verweigern die Ei-
desleistung.


(Joachim Poß [SPD]: Hört! Hört!)





Dr. Peter Struck
20062


(C)



(D)



(A)



(B)


Warum denn wohl? Ich fürchte, dass auch der Kollege
Kohl, wenn er wieder vor dem Untersuchungsausschuss
vernommen wird, bei seiner alten Linie bleibt.

Wenn wir hier eine Generalaussprache über die Alter-
nativen zur Regierungspolitik führen, dann muss klipp
und klar gesagt werden: Eine Oppositionspartei wie die
CDU hat überhaupt nicht die moralische Legitimation,
unser Land zu regieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU]: Dagegen war ja Herbert Wehner edel!)


Noch ein paar Sätze zum Kollegen Westerwelle: Sie
haben sich darüber geärgert, dass ich gesagt habe, ich
frühstücke lieber mit Kerstin Müller und Rezzo Schlauch
als mit Ihnen, Herr Westerwelle. Das hat verschiedene,
vor allem politische Gründe. Ich möchte mit Ihnen, Herr
Westerwelle, nicht regieren. Sie jedenfalls werden nicht in
die Lage kommen zu regieren. Ich bin mit der rot-grünen
Koalition im Großen und Ganzen zufrieden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Bei dem Niveau kein Wunder!)


Es könnte zwar manchmal einfacher sein.

(Zustimmung bei der SPD)


Aber unterschiedliche Parteien haben auch unterschiedli-
che Positionen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Der Kanzler ist mit Ihnen nicht zufrieden!)


Herr Kollege Westerwelle, Sie haben bei Ihren Aus-
führungen zur Steuerpolitik den inzwischen verstorbe-
nen Kollegen Stoltenberg, den ich sehr geachtet habe, seit
ich mit ihm im Haushaltsausschuss zusammengearbeitet
habe


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das können Sie sich sparen! – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sparen Sie sich das!)


– entschuldigen Sie, darf man hier so etwas nicht mehr sa-
gen? –,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie nicht!)

und den Kollegen Graf Lambsdorff bemüht und gesagt
– Herr Solms, ich glaube, Sie sind auch noch auf der
Rednerliste; Sie würden einen solchen Satz sicherlich
nicht sagen –, das Vorziehen der mit der Steuerreform für
2005 vorgesehenen Steuersenkungseffekte – Ihr Vor-
schlag würde Steuermindereinnahmen in Höhe von zu-
sätzlich etwa 50 Milliarden bedeuten – finanziere sich
von selbst. Das ist, mit Verlaub gesagt, gnadenloser Un-
sinn.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Eine Steuerreform mit einem Entlastungsvolumen von
50 Milliarden finanziert sich nicht selbst. Das wird Ihnen
sogar Herr Merz, der auch ein bisschen davon versteht,

bestätigen. Das gibt es nirgendwo. Das ist auch damals bei
Stoltenberg und Lambsdorff nicht so gewesen. Da sind
Sie auf dem falschen Dampfer.

Wenn Sie aber eine solche Steuerreform wirklich vor-
ziehen wollen, dann muss ich Sie darauf hinweisen, dass
Sie eine solche Steuerreform mit den damit verbundenen
Steuerausfällen nur noch finanzieren können, indem Sie
die Nettokreditaufnahme erhöhen. Das ist also das alte
Thema der Verschuldung. Wir gehen nicht wieder in die
Schuldenfalle; denn aus der sind wir gerade herausge-
kommen. Wir wollen keine Erhöhung der Nettokreditauf-
nahme.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Bundeskanzler hat der Opposition die Frage ge-
stellt, was sie anders machen würde. Frau Merkel wird si-
cherlich darauf entsprechend antworten. Ich möchte der
Frage des Bundeskanzlers noch ein paar Fragen hinzufü-
gen. Sie, Frau Merkel, hatten gefordert, dass man die
Ökosteuer ganz abschaffen solle. Daraufhin hat die
CDU/CSU-Fraktion erklärt: Nein, es sollen nur die Stufen
2002 und 2003 entfallen. Die Abschaffung der Ökosteuer
würde Steuerausfälle in Höhe von 82,6 Milliarden DM
bedeuten. Die Forderung der CDU/CSU-Fraktion würde,
wenn man ihr nachkommen würde, 15,7 Milliarden DM
kosten und würde dazu führen, dass der Rentenversiche-
rungsbeitrag nicht bei 19,1 Prozent, sondern bei 20,6 Pro-
zent liegen würde. Es ist unser Erfolg, dass der Renten-
versicherungsbeitrag bei 19,1 Prozent und nicht bei über
20 Prozent liegt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dann haben die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und
die Kollegen aus Baden-Württemberg und Hessen gefor-
dert, dass den Ländern und den Kommunen ein Anteil an
den UMTS-Milliarden zustehen solle, und zwar sowohl
an den Verkaufserlösen als auch an den Zinsersparnissen.
Das würde, wenn man dieser Forderung entsprechen
würde, den Bund zusätzlich 60 Milliarden DM kosten.
Des Weiteren fordern die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
und die Kollegen aus Thüringen ein Sonderprogramm
Ost. Dies würde 40 Milliarden DM kosten. Sie stellen
Forderungen zur Rentenreform, die Kosten in Höhe von
39,1 Milliarden DM verursachen würden. Sie wollen den
Bundeswehrhaushalt erhöhen. Das überrascht mich,
weil ich gestern gehört habe, dass Herr Stoiber, Frau
Merkel und Herr Schäuble auf einer Pressekonferenz er-
klärt haben, sie wollten langfristig die Bundeswehr ab-
schaffen. Wieso dann der Haushalt allerdings noch erhöht
werden soll, müssen Sie mir erst noch erklären.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Müssen wir uns solchen Stuss anhören?)


Rechnet man alles zusammen, was Sie gefordert ha-
ben, kommen Mehrausgaben in Höhe von 433 Milliar-
den DM zustande.


(Peter Dreßen [SPD]: Wie viel? Noch einmal!)

– In Worten: vierhundertdreiunddreißig Milliarden DM.


(Zuruf von der SPD: Um Gottes willen!)





Dr. Peter Struck

20063


(C)



(D)



(A)



(B)


Das ist unseriös, das kann man mit unserem Land nicht
machen und das werden wir mit unserem Land auch nicht
machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich komme zu den Aufgaben, die zur Bewältigung der
schwierigen Arbeitsmarktlage erfüllt werden müssen. Sie
hatten ja darum gebeten, dass ich dazu etwas sage. Ers-
tens. Ihnen scheint die Bedeutung des Job-Aqtiv-Geset-
zes noch nicht klar zu sein.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Da sind wir nicht die Einzigen!)


– Ja, das ist in manchen Beiträgen deutlich geworden. –
Wenn in den Arbeitsämtern 3 000 zusätzliche Vermittler
eingestellt werden und wenn für jeden einzelnen Arbeits-
losen ein Vertrag geschlossen wird, der ihn ganz gezielt
wieder in den ersten Arbeitsmarkt bringen soll, dann wird
dieses Gesetz unter der Überschrift „Fördern und For-
dern“ Erfolg haben, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zweitens. Wir werden zu prüfen haben, was wir mit
nicht verbrauchten Mitteln aus dem Bundeshaushalt 2001
tun. Ich bedaure sehr – dies sage ich hier auch noch ein-
mal öffentlich –, dass die Bahn trotz der Bereitstellung
von 2 Milliarden DM


(Zuruf von der CDU/CSU: Die sie nicht verbauen kann!)


allein aus den Zinsersparnissen durch die UMTS-Erlöse
nicht in der Lage war, diese Mittel voll zu verbrauchen. Es
hätte mehr Wachstumsimpulse geben können.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Dazu hat der Bundeskanzler gestern aber genau das Gegenteil gesagt!)


Drittens. Weil hier mehrfach von Konjunkturprogram-
men geredet wurde, sage ich Ihnen aber auch: Was ist
denn unser Zukunftsinvestitionsprogramm anderes als
ein Konjunkturimpuls? In den Jahren 2002 und 2003


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Dann sind Sie gar nicht mehr an der Regierung!)


und nach meiner Vorstellung auch in den nachfolgenden
Jahren – darüber müssen wir noch entscheiden – geben
wir für Maßnahmen bei der Schiene und bei der Straße
jährlich 1,5 Milliarden Euro aus,


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Dann ist der Zug für Sie schon abgefahren!)


für Forschung und Bildung 300 Millionen Euro, für die
Altbausanierung 200 Millionen Euro, für Energiefor-
schung 50 Millionen Euro und 0,5 Milliarden Euro zu-
sätzlich im Zusammenhang mit BAföG-Förderung und
Verkehr. Das ist wachstumsfördernd. Ich bin ferner sehr
dafür, dass sich die Länder und Gemeinden in Deutsch-
land darauf einrichten, dass im Jahre 2002 für das Jahr
2003 vorgesehene Investitionen vorgezogen werden
könnten, um insbesondere der Bauindustrie Impulse zu
geben.

Viertens. Wir haben ein Programm „Städtebauförde-
rung Ost“ vorgelegt. In diesem Zusammenhang gehe ich
auf den Kollegen Claus ein: Ich empfinde es schon als
schlimm, wie Sie hier argumentieren. Sie ignorieren völ-
lig, was wir für den Osten in diesem Haushalt zusätzlich
getan haben. Der Aufbau Ost ist nach wie vor Chefsache.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Barbara Höll [PDS]: Der war bei Ihnen nie Chefsache!)


Ich bin nun auf die Rede meiner Nachfolgerin an die-
sem Pult, Frau Merkel, sehr gespannt. Ihnen allen, meine
Damen und Herren, möchte ich nur sagen: Wenn man, wie
wir in den letzten Wochen, in einer schwierigen außenpo-
litischen Situation ist und wenn man in einer schwierigen
wirtschaftlichen Situation ist, die ja niemand bestreitet,
dann kommt es auf Kontinuität und auf Kurshalten an.
Diese Bundesregierung wird unsere volle Unterstützung
finden.


(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420401800
Ich erteile nun der
Kollegin Dr. Angela Merkel für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.

Dr. Angela Merkel (CDU/CSU) (von der CDU/CSU
mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren!


(Hans Georg Wagner [SPD]: Jetzt das mit dem Schwarzgeld aufklären!)


Herr Bundeskanzler, ich habe Ihnen heute Morgen zuge-
hört und habe aufmerksam verfolgt, was Sie gesagt haben,


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist gut so! – Weiterer Zuruf von der SPD: Hoffentlich haben Sie davon gelernt!)


und vor allen Dingen, wie Sie es gesagt haben.
Ich kann das nur so zusammenfassen: Was Sie hier vor-
getragen haben, war keine Rede, sondern eine einzige
Ausrede.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Doch nicht zugehört!)


Die Rede war eine Ausrede, beleidigend, selbstgerecht,
rechtfertigend und ohne einen einzigen neuen Gedanken
für die vor uns liegenden Jahre.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Nichts gelernt!)


Es war ein Offenbarungseid. Das allerschlimmste ist, dass
die Rede über die Köpfe der Menschen hinwegging. Es
war überhaupt keine Rede an die 80 Millionen Menschen
in Deutschland, die von Ihnen Antworten auf die Fragen
verlangen, die sie bewegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der SPD: Nichts verstanden!)





Dr. Peter Struck
20064


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir werden nicht alles anders, aber vieles besser ma-
chen. Daran werden wir uns halten.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja!)

So lautete Ihre Regierungserklärung.


(Zuruf von der SPD: Das haben wir auch gemacht!)


In der Koalitionsvereinbarung stand dann:
Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist das oberste Ziel
der neuen Bundesregierung. Hierin liegt der Schlüs-
sel zur Lösung der wirtschaftlichen, finanziellen und
sozialen Probleme.

Sie haben auf der zentralen Maikundgebung des Jahres
2000 in Hannover das Ziel im Hinblick auf den Abbau
derArbeitslosigkeit konkretisiert.


(Zuruf von der SPD: Sie wollten sie einmal halbieren!)


Sie sprachen von 3,5 Millionen Arbeitslosen als Ihrem
Ziel. Diese Aussage war scheinbar ohne jedes Risiko, denn
Sie wussten ja, dass Jahr für Jahr mehr als 200 000 Men-
schen mehr aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, als in ihn
hineingehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Da wir im Jahr 1998 3,89 Millionen Arbeitslose hat-

ten, müssten wir heute, im Jahr 2001, 600 000 weniger ha-
ben, also 3,29 Millionen Arbeitslose. Darauf haben Sie
gesetzt und gehofft. Das wäre auch vernünftig gewesen,
wenn Sie eine vernünftige Politik gemacht hätten.

Wo stehen wir heute? Wie ist die Realität? – Wir haben
im Oktober 2001 über 3,7Millionen Arbeitslose. Die Ten-
denz ist dabei steigend. Der Bundesfinanzminister hat
gestern selbst von über 4 Millionen Arbeitslosen Anfang
des nächsten Jahres gesprochen.

Eines kommt noch hinzu: Ich finde es sehr inhuman,
dass Sie diejenigen, die 58 Jahre alt sind und auf dem Ar-
beitsamt unterschreiben, dass sie nicht mehr auf Vermitt-
lung hoffen, aus Ihrer Statistik bereits herausgerechnet ha-
ben. Sie müssten eigentlich hinzugezählt werden. Damit
wäre die Zahl der Arbeitslosen heute noch höher.

Außerdem haben in diesem Lande am heutigen Tage
15Prozent der Menschen akute Angst um ihren eigenen Job.
260 000 Stellen im Handwerk werden in diesem und im
nächsten Jahr verloren gehen, die Post entlässt 14 000 Men-
schen, Siemens 10 000, Opel 6 000, die Banken 15 000.
So könnte diese Liste fortgesetzt werden.


(Widerspruch bei der SPD)

Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass die Stim-
mung bei der Wirtschaft und bei den Verbrauchern im Ok-
tober auf einem Achtjahrestief angelangt war.


(Joachim Poß [SPD]: Unverantwortlich!)

Die voraussichtlich 33 000 Insolvenzen in diesem Jahr
stellen einen Rekord dar, wie es ihn in Deutschland nie-
mals gab.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Hans Georg Wagner [SPD]: Da klatschen die noch!)


HerrBundeskanzler, sooftSieesauchversuchenwerden,
wir werden nicht zulassen, dass Sie zu der Erklärung Zu-
fluchtnehmen,diesalles seidasErgebnisdes11.September.


(Joachim Poß [SPD]: Das hat er hier nicht erklärt! Das ist eine Unterstellung!)


Der 11. September hat in der Tat die Lage in der Welt ver-
ändert. Es war richtig und Sie haben unsere Unterstützung
dafür bekommen, dass wir in uneingeschränkter Solida-
rität die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen,
weil die Terroranschläge ein Angriff auf unsere eigene Le-
bensordnung waren.

Meine Damen und Herren, Sie haben dann, als den So-
lidaritätsbekundungen Taten folgen sollten, gezeigt, in
welche Lage Sie sofort kommen. Als die erste aktive Hil-
feleistung für die Vereinigten Staaten von Amerika not-
wendig wurde, haben Sie dieses Land fast in eine Regie-
rungskrise gestürzt.


(Widerspruch bei der SPD)

Herr Bundeskanzler, es lag weniger an den Grünen,

dass Sie die Vertrauensfrage stellen mussten, sondern eher
daran, dass Sie kaschieren mussten, dass 18Mitglieder Ih-
rer eigenen sozialdemokratischen Fraktion nicht bereit
waren, Ihnen in der Sache zu folgen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Man konnte in der folgenden Woche sehr deutlich
spüren, wie Sie Gefallen an dem Gedanken an eine Neu-
wahl fanden. Ich bin zufrieden, dass die Grünen Ihnen
diesen Gefallen nicht getan haben.


(Lachen bei der SPD – Zuruf von der SPD: Das kann ich mir vorstellen!)


– Ja, ja. – Ich bin zufrieden, nicht deshalb, weil wir Angst
hatten,


(Lachen bei der SPD)

sondern deshalb, weil wir seit diesem Tag eines wissen
– Herr Struck, da können Sie so viel lachen, wie Sie wol-
len –: Dieser Bundeskanzler zittert vor dem 22. Septem-
ber 2002. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Struck [SPD]: Vor wem sollen wir denn zittern?)


Wir haben Ihnen weit vor dem Sommer vorausgesagt,
und zwar zusammen mit vielen Sachverständigen, dass
das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr weit unter den
Prognosen liegen wird. Wir wissen jetzt, dass wir im drit-
ten Quartal zum ersten Mal eine Rezession haben und
dass das Wirtschaftswachstum auf keinen Fall höher als
0,7 Prozent sein wird. Die Prognosen für das nächste Jahr
sehen ähnlich schlecht aus. Das ist – da bitte ich Sie nun
wirklich, auch auf die Sprache zu achten – keine Wachs-
tumspause, sondern ein Schrumpfungsprozess. Dem muss
etwas entgegengesetzt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Jetzt kommt es! Aber auch finanzierbar!)





Dr. Angela Merkel

20065


(C)



(D)



(A)



(B)


Nun erklären Sie uns seit Jahr und Tag, seit Wochen
und Monaten, Sie machten das schon mit ruhiger Hand.


(Joachim Poß [SPD]: Vorziehen der Steuerreform 2005? Wollen Sie das? Sagen Sie das doch!)


Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Sie machen für die Be-
dürfnisse der Menschen in diesem Lande keinen Finger
krumm. Die Menschen erwarten keine starre, ruhige
Hand, sondern sie erwarten von Ihnen zwei Hände, die
kräftig zupacken und die Probleme dieses Landes lösen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Wollen Sie die Steuerreform 2005 vorziehen? Sagen Sie das jetzt! – Hans Georg Wagner [SPD]: Konkrete Vorschläge machen!)


Wie ist der Befund? Wir haben den letzten Platz in Eu-
ropa, was das Wirtschaftswachstum angeht.


(Joachim Poß [SPD]: Dann geben Sie doch mal Auskunft: Wollen Sie die Steuerreform vorziehen?)


Natürlich hängen in einer globalen Wirtschaftsgesell-
schaft alle Prozesse mit allen zusammen, meine Damen
und Herren,


(Zurufe von der SPD: Aha!)

aber Sie können niemandem – den Menschen in Deutsch-
land nicht, den Iren, Briten und Franzosen auch nicht – er-
klären, warum ausgerechnet das größte Land in Europa
den letzten Platz einnimmt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: So ist das! Das sagen auch die Sachverständigen! Auch die ganze Bundesliga hängt zusammen, aber einer hat die rote Laterne! – Joachim Poß [SPD]: Wie war das denn in den 90er-Jahren? – Joseph Fischer, Bundesminister: Jetzt die Vorschläge!)


Nun ist es richtig, Herr Bundeskanzler, dass wir in ei-
ner Zeit großer Veränderungen leben.


(Joseph Fischer, Bundesminister: Aha!)

Wir wissen, dass Deutschland am Anfang des 21. Jahr-
hunderts vor völlig neuen Herausforderungen steht,


(Hans Georg Wagner [SPD]: Das ist aber eine wichtige Erkenntnis!)


weil die Globalisierung unsere Welt verändert.

(Joseph Fischer, Bundesminister: Na so was!)


Wir wissen, dass die Informations- und Kommunikati-
onstechnologien die Prozesse schneller und transparenter
gemacht haben.


(Joseph Fischer, Bundesminister: Auch das wissen wir alles!)


Deshalb ist unsere Aufgabe doch die, in der Bundesrepu-
blik Deutschland zu versuchen, das, was wir über Jahr-
zehnte gehabt haben, nämlich eine gerechte Gesellschaft,
in der die soziale Marktwirtschaft die gesellschaftliche

Ordnung war, auf das 21. Jahrhundert zu übertragen. Das
ist die Aufgabe. An der müssen Sie arbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Welche konkreten Maßnahmen? Wo sind die Vorschläge?)


Um das zu schaffen, müssen Sie zunächst einmal einen
Maßstab haben, einen Ordnungsrahmen, eine Vorstellung
davon, in welche Richtung Sie gehen wollen.


(Joachim Poß [SPD]: Die haben wir!)

Das hat etwas damit zu tun, welche Vorstellung Sie von
den Menschen haben, ob Sie glauben, dass man die Men-
schen ewig regulieren, einschränken und drangsalieren
muss, oder ob Sie die Kraft haben, den Menschen in die-
sem Land etwas zuzutrauen, was unsere Antwort ist.


(Joachim Poß [SPD]: Pflegen Sie nicht Ihr Feindbild! Werden Sie doch mal konkret!)


Wir trauen den Menschen etwas zu

(Joseph Fischer, Bundesminister: Das ist wahr!)

und das bestimmt unsere Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans Georg Wagner [SPD]: Jetzt kommen die Vorschläge! – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorschlag!)


Jetzt schauen wir uns doch mal die Realität an, die Sie
nach drei Regierungsjahren vorzuweisen haben! Sie sa-
gen richtigerweise: Nachhaltigkeit lässt sich nicht auf
Umweltpolitik beschränken; Nachhaltigkeit muss es auch
in der Finanzpolitik geben.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!)

Das ist keine neue Erkenntnis.


(Joachim Poß [SPD]: Wir praktizieren diese Erkenntnis!)


Diese Erkenntnis stammt aus dem Stabilitäts- und Wachs-
tumspakt für Europa, der unter Finanzminister Theo
Waigel beschlossen worden ist. Das war die Vorausset-
zung für die Einführung des Euro. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dann haben Sie 1998 die Regierung übernommen.

(Zuruf von der SPD: Und 1,5 Billionen Schul den übernommen!)

Jetzt fragen wir doch einmal nach einer Kennziffer, nach
einer wirklich aussagekräftigen Kennziffer, die uns Aus-
kunft darüber gibt, in welchem Umfang wir denn auf Kos-
ten der Kinder und Enkel leben. Da ist, glaube ich, das
Staatsdefizit die Größe, über die wir uns klar werden
müssen. Das Staatsdefizit ist nämlich die Verschuldung
von Bund, Ländern, Gemeinden und sozialen Siche-
rungssystemen.

Lieber Herr Eichel, Sie haben ein Staatsdefizit von
1,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts übernommen. In




Dr. Angela Merkel
20066


(C)



(D)



(A)



(B)


diesem Jahr haben Sie ein Staatsdefizit von 2,5 Prozent,
wenn es gut geht; sonst 2,7 Prozent. Nächstes Jahr geht es
wahrscheinlich an den Wert von 3,0 Prozent heran. Das ist
die Wahrheit. Das ist das Leben auf Kosten der Kinder
und Enkel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans Georg Wagner [SPD]: Welche Vorschläge machen Sie? – Dr. Peter Struck [SPD]: Was sagt uns das?)


Sie haben uns gestern mit dem lebensnahen Beispiel
eines Haushalts konfrontiert, der auf Kante genäht sei. Da
ich ab und zu nähe,


(Joachim Poß [SPD]: Das ist die einzige Neuigkeit, die wir bis jetzt gehört haben!)


kommt mir da wirklich das kalte Grausen, Herr Eichel.
Ich kann nur sagen: Bei dem Stoff, den Sie verwenden,
und bei Ihrer Qualität wird der Haushalt ausgefranst und
nicht auf Kante genäht bleiben. Das ist die Voraussage.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Jetzt kommt es aber!)


Herr Eichel, ich stelle hier nur einmal die Frage in den
Raum:


(Dr. Peter Struck [SPD]: Sie sollen Antworten geben, nicht Fragen stellen!)


Ist Ihre Annahme für den Haushalt im nächsten Jahr,
1,25 Prozent Wachstum, wirklich gerechtfertigt oder ha-
ben Sie nicht schon von IWF, OECD und Europäischer
Kommission vielleicht ganz andere Signale, sodass es
wieder auf Optimismus und nicht auf Realitätssinn ge-
strickt ist?


(Hans Georg Wagner [SPD]: Jetzt kommen Sie mit Ihren Vorschlägen!)


Es wird schon recht interessant, wenn man für das Mi-
nus von 2,5 Prozent eine Erklärung sucht. Herr Struck hat
neulich in einer öffentlichen Fernsehsendung, von der
heute schon die Rede war, gesagt, das schlechte Wirt-
schaftswachstum liege an der fehlenden Investitionskraft
der Kommunen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Nein, das habe ich nicht gesagt!)


Recht hat er. Es liegt in der Tat an der fehlenden Investi-
tionskraft der Kommunen, weil nämlich die Finanzpo-
litik von Herrn Eichel klassisches sozialdemokratisches
Werk ist: die Zentrale stärken, seinen eigenen Haushalt
schön machen,


(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist ja lächerlich!)

um anschließend alle Lasten auf die Kommunen zu ver-
schieben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Keine Ahnung von Finanzen!)


Das ist die Art und Weise, in der Politik gemacht wird.

(Joachim Poß [SPD]: Wer wollte denn unbedingt die Gewerbekapitalsteuer abschaffen?)


Meine Damen und Herren, es ist schon abenteuerlich.
Es wurde heute schon von den UMTS-Lizenzen gespro-
chen. Sie haben eben indirekt zugegeben, dass den Kom-
munen 60 Milliarden zukommen müssten, weil sie die
Steuermindereinnahmen haben.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Nein, das habe ich nicht gesagt! Das ist falsch!)


Was Herr Eichel und was insgesamt diese Bundesregie-
rung mit der Telekom gemacht hat,


(Michael Glos [CDU/CSU]: Und mit den Kleinaktionären!)


wird eines Tages noch Gegenstand vieler Betrachtungen
sein. Erst die Aktienkurse hochtreiben und anschließend
durch ein hohes Bietungsverfahren bei den UMTS-Lizen-
zen die Telekom schädigen, was die Investitionskraft und
die Erneuerungsfähigkeit in einem wichtigen zukunfts-
trächtigen Gebiet maximal schwächen wird. Ich sage es
Ihnen voraus.


(Beifall bei der CDU/CSU – Gernot Erler [SPD]: Alles Analyse! – Hans Georg Wagner [SPD]: Bisher kein einziger Vorschlag!)


Sie haben durch die Steuerreform die Kommunen ge-
schwächt, Sie haben sie durch die UMTS-Lizenzen ge-
schwächt, Sie haben sie durch die Kindergelderhöhung
geschwächt, sie haben sie durch zusätzliche Sozialhilfe-
kosten geschwächt.


(Joachim Poß [SPD]: Ihre Steuerreform würde für die Kommunen noch viel teurer! Ihre Tarife würden die Kommunen noch viel mehr kosten!)


– Bleiben Sie doch mal ganz ruhig.
Nun ist ja die neueste Erklärung, es liege alles am Osten.


(Joachim Poß [SPD]: Das hat keiner gesagt!)

Ich erinnere Sie noch einmal an Ihre Koalitionsverein-
barung. Sie haben damals gesagt:

Die neue Bundesregierung will die deutsche Einheit
vollenden. Deshalb werden wir alle Kraft darauf
richten, die soziale und ökonomische Spaltung zwi-
schen Ost und West zu überwinden.

Tatbestand ist, dass die Schere auseinander gegangen ist,
dass das Wirtschaftswachstum in den neuen Bundeslän-
dern geringer ist als in den alten Bundesländern. Tatsache
ist, dass Ihre Investitionsquote im Bundeshaushalt die
niedrigste seit Jahren ist und damit Investitionen in den
neuen Bundesländern nicht ausreichend stattfinden.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Das ist nicht wahr!)


Tatsache ist, dass Sie, Herr Bundeskanzler, jetzt insbe-
sondere die Bauindustrie dafür verantwortlich machen,
dass Deutschland den letzten Platz im Wirtschaftswachs-
tum in Europa hat.


(Joachim Poß [SPD]: Verantwortlich ist Ihre falsche Förderpolitik, Sonderabschreibungen usw.!)





Dr. Angela Merkel

20067


(C)



(D)



(A)



(B)


– Er hat gesagt, wir könnten 0,7 Prozent mehr Wachstum
haben, wenn wir nicht die Schwierigkeiten in der Bau-
industrie hätten. Wozu eigentlich ist Politik da, wenn sie
nicht dem Anspruch gerecht wird, schwierige Situationen
zu meistern?


(Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Das ist aber auch eine tiefe Erkenntnis! – Jetzt, jetzt!)

Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID1420401900

– Ja, Herr Bundeskanzler, jetzt, jetzt. Ich kann Ihnen sa-
gen, was jetzt ist. Sie haben unter großer öffentlicher Be-
gleitung vor vielen Kameras eine Rettungsaktion für
Philipp Holzmann gestartet,


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oh!)


aber Sie haben sich überhaupt nicht für Tausende von mit-
telständischen Bauunternehmen interessiert, die insbeson-
dere in den neuen Bundesländern Schwierigkeiten haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich fordere Sie nachdrücklich zu einer Politik auf, bei der
Ihnen jeder Bauarbeiter in Deutschland gleich viel wert
ist. Das ist die Aufgabe, die Sie zu lösen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Außerdem planen Sie – das wird der ostdeutschen Bau-
wirtschaft den Rest geben – ein Tarifvertragstreuege-
setz. So, wie sich das anhört, kann das erst einmal keiner
verstehen. Jeder in Deutschland muss wissen: Ein solches
Gesetz bedeutet, dass kein ostdeutscher Bauunternehmer
mehr Zugang zu einem öffentlichen Auftrag im Westen
bekommen wird,


(Joachim Poß [SPD]: Das ist falsch!)

weil alle ostdeutschen Bauarbeiter weniger als ihre west-
deutschen Kollegen verdienen, da man nach örtlichem Ta-
rif bezahlen muss.


(Zuruf der Abg. Simone Violka [SPD])

– Sie können so viel schreien, wie Sie wollen: Das ist das
größte Ausgrenzungsgesetz, das es bezüglich der Bau-
wirtschaft gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans Georg Wagner [SPD]: Das war wieder ein Wort gegen Stoiber! Das ist bayerische Praxis!)


Sie haben gesagt, dass Sie die Steuern und Abgaben
senken sowie die Lohnnebenkosten – auch das wollen wir
nicht vergessen – unter 40 Prozent drücken wollen.


(Joachim Poß [SPD]: Da lohnt es sich noch nicht einmal zuzuhören!)


In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gab es
mehrere Steuerreformen. Ich bin Gerhard Stoltenberg
noch im Nachhinein dankbar, dass er damals mit ord-
nungspolitischem Sachverstand eine Steuerreform durch-
geführt hat, die große Entlastungen gebracht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Jetzt kommt es! – Gernot Erler [SPD]: Jetzt kommen die Vorschläge!)


In Ihrer Koalitionsvereinbarung steht, dass Sie die ge-
zielte Förderung von Handwerkern, von kleinen und
mittelständischen Unternehmen und von Existenzgrün-
dungen wollen.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja, das haben wir gemacht!)


Die von Ihnen durchgeführte Steuerreform hat das glatte
Gegenteil bewirkt:


(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist nach wie vor falsch! Das ist nach wie vor Unsinn!)


die – richtige – gezielte Förderung von Kapitalgesell-
schaften und die Benachteiligung des Mittelstandes und
der kleinen Unternehmen. Das ist die Realität.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: 95 Prozent der mittelständischen Wirtschaft sind besser gestellt als die Kapitalgesellschaften!)


Ich weiß doch, dass Sie immer wieder mit dem kleinen
Unternehmer kommen, der gar keinen Angestellten hat
und eine Frau, die nicht arbeitet. Sie sprechen von einem
Einkommen in Höhe von 100 000 DM, von Steuerfrei-
beträgen und verweisen darauf, dass die Entlastung für ei-
nen solchen Unternehmer ganz besonders groß sei.


(Joachim Poß [SPD]: Die sind steuerlich besser als Kapitalgesellschaften gestellt!)


Das charakterisiert doch nicht den Mittelstand in
Deutschland. Der Mittelstand in Deutschland muss inves-
tieren. Das Einkommen der meisten mittelständischen
Unternehmer liegt bei mehr als 100 000 DM und deshalb
sind die meisten benachteiligt und werden nach Ihrem
Modell bestenfalls 2005 vernünftig behandelt. Das ist die
Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Keine konkrete Kenntnis der Situation! Die redet sich um Kopf und Kragen!)


Herr Bundeskanzler, es gibt inzwischen – das ist das
Bedauerliche – eine weitere Antwort der Bundesregie-
rung auf die Schwierigkeiten der Weltwirtschaft. Diese
Antwort heißt Steuererhöhungen. Außer Deutschland
gibt es kein einziges Land, dass auf die schwierige Lage
mit Steuererhöhungen antwortet. Bei uns in Deutschland
gibt es die spannende Quizfrage: Wie viel Steuern werden
zum 1. Januar 2002 erhöht – drei oder vier? Die richtige
Antwort heißt drei; denn die Schwefelsteuer wurde schon
zum 1. November erhöht. Ökosteuer, Tabaksteuer, Ver-
sicherungsteuer und zum 1. November die Schwefel-
steuer – vier Steuererhöhungen in Deutschland in einer
schwierigen Lage. Das ist genau die falsche Antwort auf
das, was zu tun ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie entfernen sich in atemberaubendem Tempo von

dem von Ihnen vorgegebenen Ziel, die Lohnnebenkos-
ten unter 40 Prozent zu senken. In Ihrer Koalitions-
vereinbarung steht zu Recht, dass die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit der Schlüssel zur Senkung der Lohn-
nebenkosten ist. Das ist natürlich richtig. Auch deshalb ist




Dr. Angela Merkel
20068


(C)



(D)



(A)



(B)


es so dramatisch, dass Ihre gesamte Arbeitsmarktpolitik
als gescheitert angesehen werden muss. Herr Bundes-
kanzler, das sagen doch nicht nur wir. In von Ihnen be-
stellten Gutachten – auch Herr Schlauch hat es heute übri-
gens gesagt – heißt es, dass in kaum einem anderen Land
der Welt der Ertrag, der Aufwand und das Verhältnis zwi-
schen diesen beiden Größen so schlecht wie in der Bun-
desrepublik Deutschland sind.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das sagen alle Sachverständigen! Ich setze einen Preis aus! Wenn jemand etwas anderes sagt, sollen sie mir das Zitat bringen! Es gibt keins!)


Diese Auffassung ist allgemein gültig und sie wird im
Übrigen auch von den Grünen vertreten.

Was sagen Sie dazu, Herr Bundeskanzler? Sie haben
heute an dieser Stelle gesagt, unsere Vorschläge zur Än-
derung des Kündigungsschutzes seien wirklich inakzep-
tabel.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Sie wollen ihn abschaffen!)


Was haben wir im Hinblick auf den Kündigungsschutz
vorgeschlagen? Wir haben insbesondere vorgeschlagen,
dass ältere Arbeitnehmer entweder den normalen Kündi-
gungsschutz oder eine Abfindung vereinbaren können.
Wenn ein 54-Jähriger, ein 55-Jähriger oder ein 57-Jähri-
ger fragt: „Ich möchte gerne arbeiten und ich bin bereit,
eine solche Abfindung zu vereinbaren; aber ich darf es
nicht, weil die Sozialdemokraten das für inhuman hal-
ten – warum ist das so?“, dann kann ich, wie die meisten
anderen Menschen, keine vernünftige Antwort geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans Georg Wagner [SPD]: Absoluter Quatsch!)


– Das ist nicht absoluter Quatsch.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Doch, toller Blödsinn!)

Es ist zwar möglich, dass der Bundeskanzler absoluten
Quatsch geredet hat; aber ich nehme nicht an, dass das so
ist.

Auf das, was ich beschrieben habe, kommen Sie
zurück. Sie haben sich immer irgendwann der Realität an-
gepasst. Das Dumme ist nur, dass es Deutschland viel ge-
kostet hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, wer glaubt, durch einen Ap-

pell an die Arbeitgeber würden die Überstunden abgebaut,
und wer gleichzeitig immer mehr Hürden im Bereich des
Kündigungsschutzes und der Zeitarbeitsplätze errichtet,
der wird nicht das erreichen, was wir in Deutschland er-
reichen könnten, nämlich weniger Arbeitslose und mehr
Menschen in Arbeit. Das ist unser Ziel und das bleibt auch
unser Ziel.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Struck [SPD]: Wie machen Sie das denn? – Joachim Poß [SPD]: Sie reden immer von Zielen! Reden Sie mal von Maßnahmen!)


– Dazu komme ich gleich.

Sie haben ein bürokratisches 630-DM-Gesetz ge-
macht. Eben hat zu meinem großen Erstaunen und auch
mit meiner Unterstützung Herr Schlauch gesagt, man
müsse im Niedriglohnbereich etwas machen. Jawohl! Wir
haben in Deutschland das Problem, dass nach den
630 DM sofort die volle Lohnnebenkostenbelastung auf
die niedrigen Löhne kommt. Das betrifft nicht wenige
Menschen. 7 Millionen Menschen in Deutschland haben
eine Arbeit, bei der sie unter 1 800DM verdienen. Es stellt
sich also die Frage, wie wir Beschäftigungsbereiche eröff-
nen und personenbezogene Dienstleistungen besser an-
bieten können. Was haben Sie gemacht? Sie haben das so
genannte Dienstmädchenprivileg abgeschafft, was nichts
anderes heißt, als dass haushaltsbezogene Hilfeleistungen
die Familien in Zukunft noch teurer kommen werden. Das
ist die Wahrheit in diesem Bereich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Angesichts dessen ist es doch nicht verwunderlich, dass

in Deutschland nur eines wächst: die Schwarzarbeit.Die
Schwarzarbeit wächst dreimal schneller als die Wirt-
schaft. 658MilliardenDMgehen in die Schwarzarbeit und
kommen den Sozialkassen nicht zugute. Was sagt Herr
Riester?Wenn Herr Riester kein neues Gesetz macht, sagt
er:Manmussmehr kontrollieren. Dazu kann ich Ihnen aus
meiner 35-jährigen Praxiserfahrung in der früheren DDR
sagen: Sie können hinter jeden, der arbeitet, noch einen
stellen, der kontrolliert; zum Schluss ist derjenige, der ar-
beitet, den ganzen Tag nur noch damit beschäftigt, den
Kontrolleur auszutricksen. Das ist die Realität.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans Georg Wagner [SPD]: Das klingt bei Ihnen sehr überzeugend! – Weiterer Zuruf von der SPD: Sie sprechen ja aus Erfahrung! Sie waren ja auch Kontrolleur!)


Sie müssen Anreize setzen. In diesem Lande muss
durchgesetzt werden, dass der, der arbeitet, mehr hat, als
der, der nicht arbeitet, und dass sich Leistung wieder
lohnt.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das hat auch Rudolf Scharping wiederholt gesagt!)


Das ist die Aufgabe.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Das müssen Sie gerade sagen bei der Durchschnittsbelastung der Arbeitnehmer, die Sie uns hinterlassen haben! Sie haben doch den Faktor Arbeit belastet!)


Wir haben Konzepte, wie man die Kinder aus der So-
zialhilfe bringt. Es ist nicht in Ordnung – darüber sind wir
uns wohl einig –, dass 1 Million Kinder von der Sozial-
hilfe abhängig sind. Es ist nicht in Ordnung, dass die Ent-
scheidung für Kinder dazu führen kann, dass man in die
Sozialhilfe kommt. Genau deshalb haben wir gesagt, dass
wir ein Familiengeld einführen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Ja, und wer soll das bezahlen?)


Dann wird es sich für den Familienvater oder die Fami-
lienmutter wieder lohnen, im unteren Lohnbereich jeden




Dr. Angela Merkel

20069


(C)



(D)



(A)



(B)


Tag zur Arbeit zu gehen. Heute stellen sie am Monatsende
fest, dass diejenigen, die von Sozialhilfe leben, mehr ha-
ben, als die, die erwerbstätig sind. Das darf nicht sein und
das wird mit unserem Familiengeld nicht passieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Peter Struck [SPD]: Wie finanzieren Sie das Familiengeld? 60 Milliarden DM!)


Wir haben Konzepte entwickelt, um die Behinderten
aus der Sozialhilfe zu holen. Dann haben wir eine Gruppe
von Menschen in der Sozialhilfe, zu denen man sagen
kann: Wer immer arbeiten kann, muss der Arbeit nach-
gehen; wer das nicht tut, muss bestraft werden. Das ist die
Grundaussage.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Und wie wird das Kindergeld finanziert?)


Meine Damen und Herren, in dieser Arbeitsmarkt-
lage erinnere ich Sie noch einmal an Ihre Aussage in der
Koalitionsvereinbarung: Wir wollen

den Staat modernisieren, indem wir die Verwaltung
bürgernäher gestalten und überflüssige Bürokratie
abbauen, ...

Heute schätzen Sachverständige, die mit der CDU/CSU
überhaupt nichts zu tun haben, dass Sie den Betrieben in
Deutschland insgesamt über 60 Milliarden DM Verwal-
tungskosten aufgebürdet und nichts abgebaut haben. Das
ist die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420402000
Ja, wir wer-
den das Gesetz über die Scheinselbstständigkeit abschaf-
fen. Ja, wir werden bei den 630-Mark-Jobs etwas ändern.
Ja, wir glauben, dass man anders als mit einem Rechtsan-
spruch Menschen, die Kinder erziehen oder Alte pflegen,
die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit geben muss.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig! Kontraproduktiv!)


Denn dieser führt faktisch dazu, dass junge Frauen gar
nicht mehr eingestellt werden, weil Arbeitgeber Angst ha-
ben, dass sich dieser Anspruch gegen sie auswirken
könnte. Das ist doch die Realität.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Steigen Sie einmal von der Wolke herunter und werden Sie konkret!)


Wir werden das Betriebsverfassungsgesetz nicht ab-
schaffen – um hier gleich jedem Irrtum vorzubeugen –,
aber wir werden ein Betriebsverfassungsgesetz erstellen,
durch das die betriebliche Ebene und nicht die
gewerkschaftliche Zentrale gestärkt wird,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Aha! Wie denn?)


weil wir nicht wollen, dass es jedes Mal so ein Affenthea-
ter gibt, wenn gute Initiativen, wie die Initiative 5 000 mal
5 000 bei VW, unternommen werden, und die IG Metall
diese über Wochen und Monate verzögern kann. Man

muss rechtlich klarstellen, dass so etwas nicht geht. Das
werden wir im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer tun.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Verlassen Sie Ihr virtuelles Schaufenster und werden Sie konkret!)


Meine Damen und Herren, die Diskussion um Zu-
wanderung haben Sie nun in die Gemengelage von
4 Millionen Arbeitslosen auf dem deutschen Ar-
beitsmarkt hereingebracht. Ich bitte Sie hier wirklich um
ein bisschen Sensibilität. Auch wir wollen ein Konzept
für Zuwanderung und den Wettbewerb um die besten
Köpfe, die von Herrn Struck so genannten „high poten-
tials“. Die Wahrheit ist aber, Herr Struck, dass dieses Ge-
setz mitnichten – das wird Ihnen der Bundesinnenminis-
ter sofort bestätigen – auf den Wettbewerb um die besten
Köpfe beschränkt ist. Es geht hier umArbeitsmigration in
weiten Bereichen. Der Bundesinnenminister schreibt ge-
nau das auf Seite 144 seiner Begründung zu dem Geset-
zestext:

dass im Gegensatz zum geltenden Ausländergesetz
nicht länger eine übergeordnete, ausländerpolitisch
einseitige Grundentscheidung der Zuwanderungsbe-
grenzung bestehen soll.

Das ist Ihre Aussage.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Ja, und?)


Deshalb wird dieses Gesetz zwar zu mehr Zuwanderung,

(Gernot Erler [SPD]: Anders geht es doch gar nicht!)

aber nicht unbedingt zu Zuwanderung führen, die in un-
serem Interesse ist. Deshalb halten wir die Steuerungsme-
chanismen nicht für ausreichend. Das ist unser Argument.


(Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Es geht um Steuerung!)


Wir können diese Zuwanderungsregelungen nun wirk-
lich nicht unabhängig von der augenblicklichen Lage auf
dem deutschen Arbeitsmarkt betrachten.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Jetzt eiern Sie wieder herum!)


Ihr Job-Aqtiv-Gesetz ist völlig ineffizient, durch das
Jugendarbeitslosigkeitsprogramm JUMP sind maximal
30 Prozent der Betroffenen in eine Arbeit vermittelt wor-
den. Nirgendwo sonst werden die Gelder so ineffizient
ausgegeben.


(Joachim Poß [SPD]: Sie haben überhaupt kein Programm gehabt! Sie aber wollen Arbeitsmigration durch die regionalen Arbeitsämter ermöglichen. Das machen wir nicht mit und lassen wir nicht zu. Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Das brauchen Sie auch gar nicht! – Joachim Poß [SPD]: Eine gedankliche Armut, die erschreckend ist!)





Dr. Angela Merkel
20070


(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Bundeskanzler, geradezu bemerkenswert war ja
nun, dass das Wort Rente und das Wort Gesundheitspoli-
tik während Ihrer 50-minütigen Rede nicht einmal fielen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Gernot Erler [SPD]: Die ganze Rede war bemerkenswert!)


Wissen Sie, wie viele Menschen sich in Deutschland um
die Frage der Renten Gedanken machen? Können Sie
sich noch erinnern, dass Sie im Wahlkampf 1998 gesagt
haben, der demographische Faktor sei unanständig? Da-
mit das klar ist: Sie haben, wo immer Sie konnten, an den
Realitäten vorbeigehetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Peter Struck [SPD]: Gehetzt nicht!)


Sie wussten, dass die Menschen in Deutschland älter
werden,


(Peter Dreßen [SPD]: Sie hatten keine Rezepte!)


und haben sich einfach dagegen gesträubt, dies anzuer-
kennen.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Wissen Sie, Ihre kleinen Scherze: Sie müssen immer da-
ran denken, dass hier Rentnerinnen und Rentner am Fern-
sehapparat sitzen. Sie schauen darauf, was aus ihrer Rente
wird.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

– Passen Sie einmal auf: Dass der Bundeskanzler im
Wahlkampf gesagt hat, dass der demographische Faktor
unanständig sei, ist verbrieft und versiegelt und nicht ein-
mal der Bundeskanzler selber wird irgendetwas dagegen
sagen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Er hat sich hinterher noch entschuldigt!)


Später hat er dann gesagt, dass er dabei bleiben will,
und ist zur Anpassung entsprechend der Inflationsrate
übergegangen. Die Renten wurden aber nur um 0,6 Pro-
zent erhöht, obwohl die Inflationsrate bei 1,8 Prozent lag.
Dass schließlich Herr Riester nach einem ausgesprochen
instruktiven Kreisungsprozess bei einer mathematischen
Formel angekommen ist, die in etwa dem demographi-
schen Faktor entspricht, aber niemals mit diesem Begriff
bezeichnet werden darf, ist auch wahr und verbrieft und
wurde mit Ihren Stimmen abgesegnet. So verhielt es sich
bei der Rente.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herausgekommen ist dabei eine Rentenreform, die ei-

nigermaßen erträglich ist für den Eckrentner und den ge-
werkschaftlich Organisierten, aber völlig unerträglich für
Frauen, für diejenigen, die in Teilzeit arbeiten, und dieje-
nigen, die nicht organisiert sind. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Damit sind wieder ein Stück weit gerade die Familien,
diejenigen, die Erziehungsleistungen übernehmen, die
Verliererinnen der Rentenreform,


(Dr. Peter Struck [SPD]: Genau das Gegenteil ist der Fall! – Peter Dreßen [SPD]: Stimmt doch gar nicht! Sie sollten nicht einen solchen Unsinn erzählen! – Joachim Poß [SPD]: Sie sagen aus Schwäche die Unwahrheit!)


wie sie überhaupt die Verliererinnen Ihrer Politik sind.
Sie haben von der Kindergelderhöhung gesprochen.

Die Kindergelderhöhung zum 1. Januar 2002, die Sie be-
dauerlicherweise den dritten, vierten und fünften Kindern
nicht zukommen lassen,


(Hans Georg Wagner [SPD]: Sie haben doch nie etwas gemacht!)


sondern nur dem ersten und zweiten Kind, wie es das Ver-
fassungsgericht verlangt hat, wird am selbenTag durch die
Erhöhung der Ökosteuer und durch die Abschaffung der
Beihilfen für Haushaltskräfte konterkariert und wird die
Familien zum Schluss nicht besser, sondern eher schlech-
ter stellen, als dies am 31. Dezember 2001 der Fall ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Kein konkreter Vor schlag!)

Das trübste Kapitel Ihrer Politik ist die Gesundheits-

politik. Ich glaube, da sind wir uns alle einig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich gebe zu, dass das ein schwieriges Feld ist. Aber dass
Sie all das, was wir dazugelernt haben, auf dem Rücken
der deutschen Kranken noch einmal falsch gemacht ha-
ben, indem Sie Ansprüche der Versicherten, die wir abge-
schafft haben, zunächst wieder eingeführt haben, um sie
nun wieder abzuschaffen, das ist schlimm.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das wird so kommen!)


Bis zum heutigen Tag haben Sie überhaupt keinen ord-
nungspolitischen Grundansatz hinsichtlich der Beantwor-
tung der Frage, wie Sie die Gesundheitsreform bewältigen
wollen. Der Einzige, der einen solchen hat, ist Wirt-
schaftsminister Müller. – Er hat das Plenum schon verlas-
sen; wahrscheinlich hat er sehr viel Ärger wegen seines
Energieberichts. – Wirtschaftsminister Müller hat näm-
lich gesagt – das hat uns gefreut –, dass stabile Beiträge
nur dann möglich sind, wenn von jedem Einzelnen die
Kosten für die Vorsorge teilweise übernommen werden.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)

Wegen dieserWahrheit haben Sie uns imWahlkampf 1998
gejagt. Sie versuchen nun, diese Wahrheit zu umgehen,
und bürden denMenschen höhere Krankenkassenbeiträge
auf. Eine Beitragssteigerung um 0,5 Prozentpunkte


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Mindestens!)

bedeutet für die Familien pro Monat höhere Belastungen
als die Entlastung durch die Kindergelderhöhung um
30 DM. Das ist die Wahrheit, zu der Sie stehen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD)





Dr. Angela Merkel

20071


(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Bundeskanzler, dass Sie jetzt mit einem der Be-
reiche im Gesundheitswesen, mit der forschenden phar-
mazeutischen Industrie, einen Ablasshandel verabredet
haben, um das Loch bei den Krankenkassenausgaben
kurzfristig irgendwie zu stopfen und die Krankenkassen-
beiträge zu deckeln, ist ein falsches Signal an einen Indus-
triezweig, der sich heute immer entscheiden kann, ob er
nach England oder nach Amerika geht oder ob er in
Deutschland bleibt. Gerade bei der pharmazeutischen In-
dustrie in Deutschland steht es auf der Kippe, ob sie ihre
Zukunftsinvestitionen hier in Deutschland oder woanders
vornimmt. Deshalb kann ich Ihnen nur raten, diese Indus-
trie nicht auch noch außer Landes zu jagen so wie viele
andere Industriezweige, bei denen Sie dies schon ge-
schafft haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Wer hat denn die Solarenergie aus dem Land gejagt? – Gegenruf des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das erklärt Ihnen der Bundeswirtschaftsminister!)


50 Prozent der Menschen in Deutschland leben in länd-
lichen Räumen. Was Sie mit der Agrarpolitik veranstal-
tet haben und wie Sie in dieser Legislaturperiode mit den
Bauern umgegangen sind, das spottet jeder Beschreibung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Es wird langweilig!)


Ungefähr jetzt vor einem Jahr gab es den ersten Fall einer
BSE-Erkrankung. Das Erste, was dem Bundeskanzler be-
züglich der Bauern, die sich in einer Notlage befanden,
eingefallen ist, war eine Beschimpfung. Er hat von
„Agrarfabriken“ gesprochen. Das hat den Ton für das
ganze kommende Jahr eingeläutet.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ihr habt die Reformen jahrelang verschleppt!)


– Darf ich vielleicht weitersprechen? – Das findet seinen
Niederschlag in einer der wirklich markantesten Äuße-
rungen von Frau Künast – wir haben ja schon viele von ihr
gehört –:

In der Landwirtschaft gibt es extrem verknotete Seil-
schaften, die ich aufdröseln muss. Ich habe aber
schon als Sozialarbeiterin in der Männervollzugsan-
stalt Berlin-Tegel verkrustete Strukturen kennen ge-
lernt. Da bin ich nicht zu schrecken.

Die Bauern in Deutschland mit der Männerhaftvoll-
zugsanstalt in Berlin-Tegel zu vergleichen, das ist wirk-
lich das Allerdollste.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gernot Erler [SPD]: Bauernfängerei nennt man das!)


Über die Zukunft ist heute wenig gesprochen worden.
Es ist richtig, dass die Biotechnologie in Deutschland
wieder führend ist. Das ist das Ergebnis der rüttgerschen
Förderpolitik.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Peter Dreßen [SPD]: Das ist aber ein dicker Hammer!)


Sie haben die Politik des Forschungsministers Rüttgers
im Bereich der Biotechnologie sinnvollerweise fortge-
setzt. Daran zweifle ich nicht. Sie haben allerdings die
grüne Gentechnologie so gut wie zum Erliegen gebracht.
Das wird Sie eines Tages reuen. Auch von der Verdopp-
lung der Ausgaben für Bildung und Wissenschaft sind
Sie weit entfernt.


(Peter Dreßen [SPD]: Sie kennen den Haushalt gar nicht!)


Wenn jemand auf dem SPD-Bundesparteitag eine
Klatsche gekriegt hat, dann war es die Bildungsministe-
rin,


(Jörg Tauss [SPD]: Höchstes Stimmenergebnis!)


die Sie, Herr Bundeskanzler, nicht darin unterstützt ha-
ben, mehr Wettbewerb in der deutschen Hochschulland-
schaft einzuführen. Dazu brauchen wir – zumindest für
Langzeitstudenten und für Studenten mit einem Zweitstu-
dium – Studiengebühren. Das hat die Frau Ministerin
nach einem langen und mühseligen Prozess erkannt. Aber
sie hat für ihre Position keine Mehrheit gefunden. So
wurde wieder eine Chance für die Zukunft in Deutschland
versäumt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist natürlich wunderbar, wenn die Bildungsministe-

rin nach Amerika fährt und schaut, wie viele deutsche For-
scher dort tätig sind. Der Bundesverkehrsminister fährt
nach China und schaut sich die Grundsteinlegung für die
Transrapidstrecke an. Der Bundeskanzler steht inzwi-
schen auch glücklich an der chinesischen Transrapid-
strecke. Auch so kann man in Zeiten der Globalisierung
handeln.


(Gernot Erler [SPD]: Kein Neid!)

Ich will aber, dass in Deutschland zukunftsfähige Arbeits-
plätze entstehen. Das ist die Aufgabe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD: Oh, oh!)


Weil die Erfolge so rar sind, müssen Sie sich in Gebiete
flüchten, bei denen es einen schauert angesichts der Tat-
sache, wie sie hier behandelt werden. Herr Struck, ich
kann Ihnen nur sagen: Die Fehler bezüglich der Partei-
spenden und der Parteifinanzen, die bei uns passiert sind
– dafür stehe ich ganz persönlich –, haben wir aus eigener
Kraft ausgeglichen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gernot Erler [SPD]: Eine Legende ist das! – Joachim Poß [SPD]: Was sagt denn Herr Kohl dazu? – Dr. Peter Struck [SPD]: Was ist denn mit seinen Spenden, mit seinem Ehrenwort?)


Wir haben zu diesen Fehlern gestanden.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Sagen Sie mal was dazu! Warum sagt er nicht die Wahrheit?)


– Herr Struck, lassen Sie mich einmal ausreden! Sie wol-
len doch etwas von mir hören.




Dr. Angela Merkel
20072


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Wahrheit ist, dass Sie behauptet haben, dass in un-
serer Politik irgendetwas käuflich gewesen sei und dass
unsere Politik korrumpiert sei.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Ja, was ist mit Kohls Spenden?)


Die Wahrheit ist aber: Nichts, aber auch gar nichts in Be-
zug auf Leuna und auf andere Vorfälle konnte nachge-
wiesen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karlheinz Guttmacher [FDP] – Dr. Peter Struck [SPD]: Warum sagt man denn nicht die Wahrheit? – Hans Georg Wagner [SPD]: Dann kann er die Spender ja nennen! – Peter Dreßen [SPD]: Verschleiern, das ist Ihre Praxis!)


Sie haben die unsäglichsten Behauptungen bezüglich
Leuna aufgestellt.


(Joachim Poß [SPD]: Verschweigen und verschleiern!)


Sie schmücken sich heute in Sachsen-Anhalt mit den Di-
rektinvestitionen für Leuna aus dem Ausland. Trotzdem
stellen Sie die tollsten Behauptungen auf. Ich muss das in
aller Schärfe kritisieren. Es hat sich nichts, aber auch gar
nichts als richtig erwiesen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Wer hat denn die Akten vernichtet? – Joachim Poß [SPD]: Weshalb wurden die Akten vernichtet?)


Immer wenn es um Herrn Höppner in Sachsen-Anhalt
ging, haben Sie etwas anderes gesagt als dann, wenn es
um Helmut Kohl und seine Regierung ging. Deshalb sage
ich Ihnen ganz klar: Lieber Herr Struck, Sie haben jeden
Antrag über die Untersuchung der SPD-Finanzen im Un-
tersuchungsausschuss zurückgewiesen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Das war auch nicht der Auftrag!)


Der Auftrag dieses Untersuchungsausschusses ist es, die
Parteifinanzen und die Käuflichkeit von Politik zu unter-
suchen. Es gibt aber noch andere Parteien als die CDU.
Sie haben allen Grund, sich einmal um Ihre Parteifinan-
zen Gedanken zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Wir haben nichts zu verschleiern!)


Wir werden deshalb nach Karlsruhe gehen.

(Zurufe von der SPD: Oh!)


Ich kann der Frau Verbraucherschutzministerin nur
empfehlen, sich einmal um die SPD-Zeitungen zu küm-
mern, – damit endlich – so wie bei der Wurst: was drin ist,
muss auch draufstehen – draufsteht, wo die SPD drin ist.
Das wäre ein Beitrag zur Klärung der Lage.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Was hat das mit schwarzen Kassen und mit Rechtsbruch zu tun? Sie decken den Rechtsbruch von Kohl!)


Herr Bundeskanzler – das gilt für alle Mitglieder Ihrer
Bundesregierung –, Sie verwenden die Hälfte der Rede-

zeit darauf, darzustellen, in welchem schrecklichen Zu-
stand Sie das Land übernommen haben.


(Peter Dreßen [SPD]: 1,6 Billionen Schulden!)

Einmal abgesehen davon, dass das schamlos übertrieben
ist und dass die positiven Aspekte weggelassen wurden,
einmal abgesehen davon, dass im Frühjahr 1998 die Lage
immerhin so gut war, dass sich der Bundeskanzler im
„Spiegel“ schon einmal mit dem Aufschwung schmückte
– damals war es ja „sein“ Aufschwung –, kann ich Ihnen
nur sagen:Wir haben 1998 für eine solche Politik die Quit-
tung bekommen. Wir haben bei 3,89 Millionen Arbeitslo-
sen verloren, weil die Menschen uns nicht die Gestaltung
der Zukunft zugetraut haben.

Ich erinnere Sie noch einmal an Ihre Worte im
Juli 1998: Speziell ich – so der Bundeskanzler – möchte
nach vier Jahren an einer einzigen Frage gemessen wer-
den, an der nämlich, ob es einer neuen Regierung gelun-
gen ist, die Arbeitslosigkeit massiv zu senken. Wenn es
uns nicht gelingt, bereits in den ersten Jahren Durch-
brüche zu erzielen, dann haben wir es nicht verdient
weiterzuregieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Wollen Sie denn die Steuerreform jetzt vorziehen oder nicht?)


Da kann ich nur sagen: Wo Sie Recht haben, haben Sie
Recht.

Wir haben diese vier Jahre genutzt nachzudenken,

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

neu zu denken, neue Konzepte zu erarbeiten und aus un-
seren Fehlern zu lernen. Deshalb sage ich Ihnen: Deshalb
werden wir am 22. September die Wahl gewinnen, danach
die Regierung bilden und eine Politik machen, die den
Menschen in diesem Lande in der Form wieder gerecht
wird,


(Gernot Erler [SPD]: Wie wollen Sie das denn machen?)


dass mit ihnen und aus ihnen und für sie wieder das ge-
macht wird, was in den Menschen dieses Landes steckt.


(Simone Violka [SPD]: Das haben Sie schon mal versucht und das ist schief gegangen!)


Dann können die Menschen nicht nur weiterhin stolz auf
ihre Bundesrepublik Deutschland sein, sondern auch auf
ihre Regierung. Das können sie heute leider nicht.

Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420402100
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Oswald Metzger für Bündnis 90/Die
Grünen.


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420402200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau
Merkel, es ist richtig, das Parlament als Ort der argumen-
tativen Auseinandersetzung zu nutzen. Eines sage ich




Dr. Angela Merkel

20073


(C)



(D)



(A)



(B)


vorweg, bevor ich viel Kritisches anfüge: Es war in Ord-
nung – das ist die Aufgabe der Opposition –, den Finger
in Wunden zu legen und Antworten zu verlangen. Aber
wenn Sie die Eröffnungsbilanz aufgrund Ihrer Erblast
nach 16 Jahren an uns delegieren, kann ich Ihnen diese Bi-
lanz nicht ersparen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich habe das gestern hier formuliert und schreibe es heute
auch der Parteivorsitzenden der Union ins Stammbuch.

Die Übernahmebilanz der Zeit zwischen 1995 und
1999 waren 141,1 Milliarden DM Schulden, in vier Jah-
ren von Ihnen aufgehäuft. Das waren 23 Prozent mehr als
in der Legislaturperiode davor. In unserer Zeit, von 1999
bis 2002, mit dem Etat, den wir am Freitag dieser Woche
beschließen, vergrößern wir den Schuldenstand dieser
Republik gerade einmal um 5,2 Prozent. Das ist ein Fort-
schritt, der sich in Zahlen bemisst und der vor allem den
Ordnungspolitikern unter Ihnen – Sie haben sich ja eben
als Ordnungspolitikerin geriert – zu denken geben müss-
te; denn ohne ein stabiles finanzielles Fundament ist in ei-
nem Industriestaat keine marktwirtschaftliche Ord-
nungspolitik zu gestalten. Das ist die banale Wahrheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frau Merkel, Sie kommen doch aus dem Osten. Sie
stellen sich hier hin und sagen, die Investitionsquote sinke
im Jahr 2002. Warum sinkt sie denn gegenüber dem Re-
gierungsentwurf? Weil wir Ihren ostdeutschen Bundes-
ländern


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sind das jetzt schon unsere ostdeutschen Bundesländer?)


auf Wunsch aller 16 Ministerpräsidenten die Investiti-
onsförderung, die bisher auf der Ausgabenseite des Bun-
des gebucht war, als eigene Steuereinnahmen belassen
und damit die Bilanz des Bundes verkürzen. Die Investi-
tionen werden künftig von den ostdeutschen Ländern
getätigt, nicht mehr vom Bund. Das ist aber keine Ver-
kürzung der Investitionsquote, sondern das war ge-
wünscht und das soll die Länderregierungen in die Lage
versetzen, zielgerichtet das zu tun, was in ihren Ländern
ansteht. Das ist aus meiner Sicht ein Fortschritt und nicht
beklagenswert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich komme zum Thema Mittelstand. Ich kann es nicht
mehr hören. Der Kanzler hat heute zu Recht dargestellt,
dass die Körperschaftsteuer der Kapitalgesellschaften
eine Definitivsteuer ist und dass die Mittelständler
Einkommensteuer – das ist eine Progressionssteuer – zah-
len. Frau Merkel hat davon gesprochen, dass die meisten
Mittelständler einen Jahresgewinn von über 100 000 DM
machen. Wenn Sie sich die Statistiken anschauen, dann
wissen Sie, dass etwa 80 bis 85 Prozent der gesamten Ge-
werbetreibenden in Deutschland ein zu versteuerndes Jah-
reseinkommen haben, welches unter diesem Betrag liegt.

Ich setze jetzt einmal einen Punkt drauf: Als lediger
Unternehmer und als Personengesellschafter müssen Sie

mehr als 250 000 DM zu versteuerndes Jahreseinkommen
haben, um im Grenzsteuersatz über dem zu liegen, was
die Kapitalgesellschaften zahlen, nämlich maximal
38 Prozent. Ein lediger Unternehmer muss bereits über
eine viertel Million versteuern, um gegenüber den Kör-
perschaften tatsächlich im Nachteil zu sein. Ist er verhei-
ratet, verdoppelt sich der Satz auf fast eine halbe Million.

Von welcher Welt des Mittelstandes redet die rechte
Seite des Hauses? Sie versucht ständig – verstärkt durch
manche Mittelstandsfunktionäre, die ihr Parteibuch ha-
ben –, uns zu Unrecht praktisch als Koalition der
Kapitalgesellschaften zu brandmarken. Das ist absurd.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Denken Sie an das Spektakel in dieser Republik im
Jahre 1999, als wir die Abschreibungsmöglichkeiten für
Versicherungen und große Energieversorgungsunter-
nehmen abgeschafft haben, was dort zu einer massiven
Steuermehrbelastung geführt hat. Das geschah im Inte-
resse der Gerechtigkeit zwischen den Unternehmensfor-
men und war absolut richtig. So sieht die Wirklichkeit aus;
diese sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Das können sie nicht!)


Die Parteivorsitzende der CDU hat gesagt, dass sie
während der Oppositionszeit dazugelernt haben.


(Jörg Tauss [SPD]: Was?)

Ich sage: Ein Saulus, der zu Paulus wurde, wurde schon
biblisch mehr geachtet als die Gerechten, die schon immer
zu wissen meinten, wo sie stehen.

In unserer Regierungszeit haben wir bei der Reform ei-
nes großen sozialen Sicherungssystems einen enormen
Lernprozess durchlaufen. Das war eine historische Leis-
tung der großen Volkspartei SPD, zu der die Volkspartei
Union während ihrer Regierungszeit von 16 Jahren nicht
fähig war, weil sie einen Rentenminister hatte, der immer
davon geredet hat, dass die Rente sicher ist, obwohl die
demographische Entwicklung in Deutschland bereits seit
mindestens 15 Jahren abzusehen war.


(Beifall des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] Dass wir in der Lage waren, den Einstieg in die Kapitaldeckung während unserer Regierungszeit hinzubekommen, ist eine Leistung, die in den Geschichtsbüchern als Trendwende des Industriestaates Deutschland bei der Finanzierung seiner Alterssicherungssysteme bezeichnet werden wird. Dies zeigt, dass wir wissen, wie die Balance zwischen solidarischer Finanzierung und Eigenverantwortung aussehen muss. Das ist zukunftsfähig und stellt eine Leistung dar, auf die wir stolz sein können. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Merkel, Sie reden davon, dass dieses Land an-
scheinend uninteressant für die Wirtschaft ist. Warum ne-
gieren Sie, dass, wie der Kanzler hier ausgeführt hat, die
Direktinvestitionen in Deutschland während der Regie-




Oswald Metzger
20074


(C)



(D)



(A)



(B)


rungszeit dieser Koalition in der Tat wieder nach oben ge-
gangen sind? Das hat etwas mit unserer Steuerreform im
Unternehmenssektor zu tun. Tun Sie doch nicht so, als ob
das internationale Kapital einen großen Bogen um
Deutschland macht, weil hier Sozialdemokraten und
Grüne regieren. Das Gegenteil ist der Fall. Dies ist nicht
nur daran zu erkennen, dass Unternehmenskäufe stattfin-
den, sondern auch daran, dass mit dem Kapital von aus-
ländischen Investoren tatsächlich Arbeitsplätze in
Deutschland geschaffen und gesichert werden. Auch das
ist ein Grund dafür, dass man hier keine Zerrbilder in den
Raum stellen, sondern sich der Realität annähern sollte.

Wir reden nicht darum herum und sagen sogar, dass wir
im nächsten Jahr in der Finanzpolitik Notmaßnahmen
brauchen, weil wir nicht wollen, dass die Verschuldung
steigt. Wir sagen, dass wir die Privatisierungseinnahmen
als Brücke nehmen, um in den Zeiten, in denen wir wirt-
schaftlich wieder stärker werden, auf den ganz grundsoli-
den Pfad der Tugend und zu ausgeglichenen Budgets
zurückzukommen.

Die internationale Verwebung der größten europä-
ischen Volkswirtschaft, nämlich Deutschlands, ist so
stark, dass wir die Rezession in den USA und in Japan so-
wie die Auswirkungen auf andere Wachstumsräume die-
ses Globusses natürlich viel stärker verspüren als unsere
Partnerländer Frankreich, England oder Italien, drei wei-
tere große Volkswirtschaften in Europa.

Die rote Laterne haben wir von Ihnen nicht in Zeiten
weltwirtschaftlicher Depression übernommen. Vielmehr
bildete Ihre Koalition, die Koalition aus CDU/CSU und
FDP, im europäischen Vergleich jahrelang gemeinsam mit
Italien das Schlusslicht, und das in Zeiten, in denen die
Weltkonjunktur gebrummt hat. Man muss einmal deutlich
darauf hinweisen, dass wir trotz der wirtschaftspolitisch
schwierigen Situation auf dem Pfad sind, für dieses Land
zwar mühsam, aber stetig die notwendigen Strukturmaß-
nahmen für einen Umbau zu einer wettbewerbsfähigen,
aber trotzdem solidarischen Gesellschaft einzuleiten, in
deren Rahmen sowohl über Gerechtigkeit als auch über
ökologische Fragen diskutiert wird. Daran arbeiten wir.
Es ist aber gar keine Frage, dass dies nun schwieriger ist
als vor einem Jahr, als wir ein reales Wachstum in Höhe
von 3,1 Prozent hatten.

Jetzt komme ich zu den Fragen, die spannend sind, weil
sich die Opposition zugegebenermaßen immer leichter
damit tut, Reformen einzufordern, als die Bundesregie-
rung, weil diese sie umsetzen muss. Zudem ist die Oppo-
sition immer in der Versuchung, Reformen, die in Wahl-
zeiten eingeleitet werden, mit populistischen Argumenten
zu diskreditieren. Ich möchte nun beispielhaft auf einiges
hinweisen, was die von der CDU bzw. CSU regierten
Bundesländer vor zwei Jahren durch ihre Entscheidung
über das Sparpaket der Bundesregierung, einer strukturel-
len Sparbüchse zugunsten der Länder, im Bundesrat ab-
geblockt haben.

Ich nenne als Stichwort die Beamtenbesoldung. Im
Sparpaket dieser Regierung war der Vorschlag enthalten,
die Beamtenbesoldung analog zu den Renten nur um die
Inflationsrate zu erhöhen. Das hätte ein Einsparpotenzial
zugunsten der Länder, weil diese wesentlich mehr Beamte

beschäftigen, von 2 Milliarden DM bedeutet. Die von
CDU und CSU regierten Länder aber haben gesagt: Nein,
danke. Diese Sparmaßnahme der Bundesregierung – sie
ist im Bundestag beschlossen worden – nehmen wir nicht
an. Wir schicken dies zurück. – Jetzt kommen die gleichen
schwarzen Ministerpräsidenten der Länder und sagen:
Der Bund überträgt ständig nur Lasten auf die Länder.
Gleichzeitig aber nehmen sie von uns angebotene Spar-
maßnahmen struktureller Art, die langfristig wirken und
sich in der Kasse positiv niederschlagen, nicht an. – Das
ist Pharisäertum und verlogen; dies muss kritisiert wer-
den.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist keine Frage, dass im Bereich des Arbeitsmark-
tes strukturelle Reformen anstehen. Diese aber können
nicht in Wahljahren angegangen werden. Ich bekenne
mich dazu, dass in diesem Bereich Reformen dringend
notwendig sind, ebenso wie in der Gesundheitspolitik.
Dies wissen viele in unserer Koalition. Wir werden daher
im nächsten Jahr, mit Sicherheit auch im Wahlkampf, über
entsprechende Konzepte streiten. Wer aber glaubt – ich
nenne nur das Stichwort „Steuerreform“ –, dass in Wahl-
jahren die notwendige gesellschaftliche Mehrheit, inklu-
sive der des Bundesrates, für eine wirklich zukunftsfähige
Reform zu bekommen ist, der verkennt die demokrati-
schen Gepflogenheiten eines Landes in Wahljahren kom-
plett.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Aber wenigstens die Prinzipien müssen vorher genannt werden!)


– Die Prinzipien werden genannt. Kollege Schlauch, un-
ser Fraktionsvorsitzender, hat heute im Bereich des Ar-
beitsmarktes, bezogen auf den Niedriglohnsektor, einige
Punkte genannt. Darin stimme ich ihm zu.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Bringen Sie doch einen Gesetzentwurf dazu ein! Dann reden wir im Vermittlungsausschuss darüber!)


Auch im Bereich der Gesundheitspolitik gibt es
durchaus Gesichtspunkte und Vorschläge, die diskussi-
onsfähig sind. Ich denke zum Beispiel an Wettbewerbs-
und Transparenzgesichtspunkte auf der Ebene der Leis-
tungserbringer und an Vorschläge zur Übernahme von
Eigenverantwortung und für Anreize zur Vorsorge durch
günstigere Tarife.

Wir fallen aber nicht auf die Opposition herein, die
jetzt Reformen anmahnt, welche unpopulär sind, damit
sie, wenn im Wahljahr Vorschläge dazu auf dem Tisch lie-
gen, zu den Ersten gehören kann, die sagen: Da kommen
die sozialen Räuber dieser Republik. Mit dieser Position
seid ihr nicht mehrheitsfähig. – Wir gehen Ihnen hier nicht
auf den Leim, genauso wie wir vor Monaten nicht auf Ihre
Forderung hereingefallen sind, die Neuverschuldung zu
erhöhen. Sie haben damals vorgeschlagen: Die Konjunk-
tur ist schwach. Macht Schuldenpolitik! – Mit einer sol-
chen Position wären wir von Ihnen doch sofort angegrif-
fen worden als diejenigen, die nicht mit Geld umgehen
können. Sie regt doch nur maßlos auf, dass ein sozialde-
mokratischer Finanzminister und eine rot-grüne Koalition




Oswald Metzger

20075


(C)



(D)



(A)



(B)


Ihnen ausgerechnet in einem Kerngeschäftsbereich den
Anspruch streitig machen, für Solidität zuständig zu sein.
Sie regt doch nur auf, dass wir Ihnen in diesem Bereich
die Butter vom Brot genommen haben und dass wir trotz
der wirtschaftspolitisch schwierigen Situation bei unserer
Position geblieben sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das verträgt sich nicht mit dem Selbstbewusstsein der
Konservativen und auch nicht mit dem der Liberalen.
Deswegen tun Sie sich so schwer damit, auf diesem Ge-
biet wirklich Punkte zu machen. Ihr Manöver dabei ist
durchsichtig. Frau Merkel, ich bin damit bei den Lö-
sungsansätzen, die Ihnen beim Diskutieren und Argu-
mentieren über Strukturreformen im Gesundheitswesen
und bei der Arbeitsmarktpolitik so leicht über die Lippen
kommen.

Nehmen wir die Pläne zur Steuerreform, die die Union
und die FDP auf den Markt werfen. Dadurch würden
schlagartig so hohe Steuerausfälle für alle staatlichen
Ebenen entstehen, dass kein Bundesland in dieser Repu-
blik mehr – nicht einmal die reichen Südländer – verfas-
sungsgemäße Haushalte beschließen könnte.


(Joachim Poß [SPD]: Von den Kommunen ganz zu schweigen!)


– Von den Kommunen ganz zu schweigen, Kollege Poß.
Das ist ganz richtig.

Wenn Sie glauben, dass mit auf Pump finanzierten
Steuersenkungen volkswirtschaftlich irgendetwas be-
wirkt werden könnte, dann haben Sie die ökonomischen
Zusammenhänge schlicht negiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Gerade die USA – dies geht an die FDP; Herr
Westerwelle hat es heute wieder angesprochen – zeigen,
dass eine Politik der Steuersenkung, selbst die mit den
berühmten Schecks, also das US-Modell, das Brüderle so
gern kopieren würde, nichts bringt, wenn eine Rezession
vorhanden ist. Statt eines Konsumanstiegs haben die
Amerikaner inzwischen eine Sparquote von 4,7 Prozent.
Deshalb ist die Steuersenkung verpufft.

Die US-Volkswirtschaft konnte sich solche Aktionen
leisten, weil die US-Regierung ihren Haushalt in den letz-
ten zehn Jahren konsolidiert und keine so unsolide
Finanzpolitik betrieben hat wie die konservativ-liberale
Regierung in Deutschland. Die US-Regierung produziert
jedoch bereits jetzt, im ersten Jahr der Rezession, wieder
Haushaltsdefizite und weicht vom Pfad der Tugend ab.
Dies ist ein Alarmzeichen und sollte speziell uns in
Europa mit unserer Sozialkultur und unseren strukturellen
Problemen daran hindern, finanzpolitisch die traditionel-
len Rezepte der 70er-Jahre mit Konjunkturprogrammen
wie der Steuerfinanzierung auf Pump zu wiederholen.
Dies wird nicht funktionieren und erledigt sich argumen-
tativ von selbst.

Auch wenn Sie sich die Fachdiskussion der letzten vier
Wochen ansehen, werden Sie feststellen, dass sich die

Stimmung gedreht hat. Noch im September, unter dem
Eindruck der Terroranschläge in New York und Wa-
shington, haben viele Ökonomen den Pfad der Tugend
verlassen. Inzwischen sagen selbst die konservativen
Ökonomen: Steuersenkung auf Pump funktioniert nicht.


(Joachim Poß [SPD]: Nur Herr Westerwelle weiß das noch nicht!)


Die automatischen Stabilisatoren in einer Volkswirt-
schaft greifen. Bei uns zeigt sich das daran, dass das De-
fizit – ein Maastricht-Kriterium – auf 2,5 Prozent be-
grenzt worden ist, obwohl die Länderdefizite – Frau
Merkel, Sie stellen viele Länderministerpräsidenten –
viermal mehr zur gesamtstaatlichen Defizitquote bei-
tragen als der Bund. Auch das ist die Wahrheit, die in ei-
ner wirklich fairen und ehrlichen Auseinandersetzung ge-
sagt werden muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn ich eine Schlussbewertung der heutigen Debatte
vornehmen wollte, würde ich uns als Koalition raten: Wir
brauchen nicht auf Nebenkriegsschauplätze wie die Par-
teispendenaffäre auszuweichen. Diese Diskussion kann
man an anderer Stelle führen. Anstelle von Frau Merkel
würde ich mich auch davor hüten, mich sozusagen in den
Stand der Unschuld zu reden. Das ist bei Gott nicht so.
Hier hat die Union mehr Fragen zu beantworten, als sie
uns, den Regierungsfraktionen, stellen muss.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Jedoch hat die Debatte nach meiner Auffassung ge-
zeigt, dass der Generalangriff auf die Regierungspolitik
und die Vorwürfe hinsichtlich Unsolidität, unterlassener
Reformen oder Reformunfähigkeit ins Leere laufen. Das
ist gut so. Wir sollten in den nächsten Wochen und Mona-
ten unsere Position in dieser Richtung vor allem auch den
Bürgerinnen und Bürgern vermitteln; denn diese wissen
manchmal besser als die Opposition hier im Hause, dass
zwei plus zwei vier sind.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420402300
Das Wort hat jetzt
Dr. Hermann Otto Solms für die FDP-Fraktion.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420402400
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist heute,
zehn Monate vor der Bundestagswahl, die letzte Haus-
haltsdebatte. So ist dies natürlich der richtige Zeitpunkt,
um schon einmal eine Bilanz der Politik der rot-grünen
Regierung zu ziehen.

Bevor ich in die Sache einsteige, möchte ich dem Kol-
legen Metzger Dank sagen. Es war vermutlich seine letzte
Haushaltsrede hier vor diesem Hohen Hause.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)





Oswald Metzger
20076


(C)



(D)



(A)



(B)


Er war ein einsamer Rufer im grünen Meinungsdschun-
gel. Das muss man anerkennen. Ich bedaure, dass ich ihn
hier wohl nicht wiedersehen werde.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Bilanz ziehen heißt, die Aussagen der Bundesregierung

mit den Tatsachen, den Fakten, den Ergebnissen ihrer
Tätigkeit zu vergleichen. Es ist schon interessant, wie weit
die Darstellung der Bundesregierung und das, was ihre
Politik bewirkt hat, auseinander klaffen. Für ihre Darstel-
lung hat die Bundesregierung eine Eins verdient. Zu den
Ergebnissen kann ich nur sagen: Sie sind jedenfalls in den
Bereichen der Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Arbeits-
marktpolitik auf der ganzen Linie gescheitert. Was Sie
hier vorzulegen haben, ist eine Bankrotterklärung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will Ihnen an einem Beispiel darstellen, was sich
daraus für den einfachen Bürger ergibt. Der Bundeskanz-
ler tritt vor jede Fernsehkamera und spricht wie ein
preußischer General, der gerade Schlachten gewonnen hat
oder dabei ist, welche zu gewinnen. Die Bundeswehr
selbst hat jedoch bis jetzt keinen Taliban gesehen und kei-
nen Terroristen gefangen. Das Einzige, was sie getan hat,
ist: Sie hat Decken in die Türkei transportiert. So kann
man die Darstellung als Ersatzhandlung für nicht ausge-
führte Taten nutzen.


(Beifall bei der FDP – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Dafür musste er die Vertrauensfrage stellen!)


Der Bundeskanzler kämpft bis zum letzten Blutstrop-
fen, allerdings dem der Grünen. Die Grünen wissen nichts
Besseres, als nach einer langen Nabelschau auf einem Un-
terwerfungsparteitag in Rostock Ergebenheitsadressen an
den Bundeskanzler zu schicken, damit sie die Zipfel der
Macht in der Hand behalten. Darüber wird der Wähler das
letzte Wort sprechen.

Schauen Sie sich die Arbeitsmarktpolitik an. Der
Bundeskanzler selbst – das ist heute mehrfach zitiert wor-
den – hat in seiner Regierungserklärung darauf hingewie-
sen, worauf es ihm ankommt:

Wir müssen dafür sorgen, dass die Arbeitslosigkeit
zurückgedrängt wird, dass bestehende Arbeitsplätze
erhalten bleiben und neue Beschäftigung entsteht.

Was hat die Bundesregierung zur Verbesserung der
Arbeitsmarktsituation getan? – Sie hat ein breites Netz an
Einstellungshemmnissen entwickelt und aufgebaut. Ich
will an einige Dinge erinnern, die heute teilweise schon
genannt worden sind: Rücknahme der Liberalisierungs-
möglichkeiten im Arbeitsrecht, Rücknahme der Verbesse-
rung im Kündigungsschutzrecht – das alles hatten wir in
der alten Regierung beschlossen –, Rücknahme der Re-
form der Lohnfortzahlung, Einführung des Gesetzes ge-
gen die Scheinselbstständigkeit – dies erschwert es den
Menschen, sich selbstständig zu machen und neue
Arbeitsplätze zu schaffen –, Einschränkung bei den
630-DM-Arbeitsverträgen.

Sie wissen gar nicht, was Sie damit bewirkt haben. Es
sind zwar einerseits – das wollten Sie erreichen – gut
1,5 Millionen Menschen in die Arbeits- und Beschäfti-
gungsstatistik hineingekommen.Andererseits hat mehr als
die doppelte Zahl vonMenschen ihrenTeilzeitjob verloren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie wollten doch Teilzeitarbeit fördern. Sie haben in die-
sem Bereich zwei bis drei Millionen Teilzeitarbeitsplätze
vernichtet. Das müssen Sie zugeben.

Sie haben das Recht auf Teilzeitarbeit eingeführt. Das
wird dazu führen, dass junge Frauen nicht mehr einge-
stellt werden, weil die Arbeitgeber befürchten, dass sie
auf diesem Recht bestehen werden.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Richtig!)

Sie haben die Ausweitung der Mitbestimmung eingeführt,
die dazu führt, dass es mehr Funktionärsmitbestimmung
geben wird. 100 000 Funktionärsstellen mehr nützen nie-
mandem, schaden aber dem Mittelstand.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Bundeskanzler ist mit der Umwerbung der Neuen
Mitte angetreten. Was hat er getan? – Er hat die Neue
Mitte auf der ganzen Linie enttäuscht und verraten; denn
sie ist es, die jetzt die Zeche bezahlen muss. Das ist bei der
Masse an Einstellungshemmnissen und den Erschwernis-
sen der Investitionsbedingungen kein Wunder: Die Ab-
schreibungsbedingungen sind verschlechtert und die Ver-
rechnungsmöglichkeiten eingeschränkt worden. Das hat
zur Folge, dass keine Leute eingestellt werden, dass keine
Arbeitsplätze geschaffen werden und dass nicht investiert
wird.

Darüber hinaus kommt es jetzt zu Massenentlassun-
gen.Was ist Ihre Reaktion darauf? – Bei bis zu einer Mil-
lion Arbeitslosen mehr stellen Sie 3 000 neue Vermittler
ein! Das ist eine schöne Reaktion.Was sollen sie denn ver-
mitteln, wenn dieArbeitsplätze gar nicht vorhanden sind?


(Beifall bei der FDP – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Hauptsache, wir haben einmal darüber gesprochen!)


Sie schaffen mit einem riesigen finanziellen Aufwand
3000 neue Arbeitsplätze. Das ist aber auch alles. Das ist
keine zielgerichtete Arbeitsmarktpolitik. Damit werden
Sie die Probleme auf dem Arbeitsmarkt nicht lösen.

Kommen wir zum Thema Finanz-, Haushalts- und
Steuerpolitik.DerBundesfinanzminister ist nichtmehr an-
wesend. Es ist auch sicherlich besser, wenn er sich meine
Worte nicht anhören muss; denn auch hier stehen Schein
undWirklichkeit in einem großen Kontrast zueinander.

Herr Wagner, Sie sind der führende Haushaltspolitiker
der SPD. Was sagen Sie denn dazu, dass sich der Bundes-
finanzminister im Land als Sparminister rühmt? Auch
Herr Metzger hat dies gerade hervorgehoben. Herr Eichel
hat gar nicht gespart. In diesem Jahr werden 30 Milliar-
den DM mehr als 1998 ausgegeben. Verstehen Sie das un-
ter Sparen?


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Tja!)





Dr. Hermann Otto Solms

20077


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich verstehe unter Sparen, weniger auszugeben. Das sind
Ihre, nicht unsere Zahlen.


(Beifall bei der FDP)

Aber was noch schlimmer ist: Die investiven Ausgaben

des Staates gehen zurück und die konsumtiven Ausgaben
steigen.

Das Ergebnis bei der Verschuldung ist das gleiche.
Einschließlich des Jahres 2002 werden die Schulden um
182,7 Milliarden DM steigen und nicht sinken. Sie be-
schimpfen immer die alte Regierung wegen des hohen
Schuldenstands. Was machen Sie denn? Sie machen es
doch genauso. Von Sparen kann keine Rede sein. Im Ge-
genteil: Die Schulden steigen. In die Schuldenfalle gera-
ten wir mit Ihnen erst recht. Das ist keine Lösung.

Wie sieht es in der Steuerpolitik aus? Der Bundes-
finanzminister rühmt sich der größten Steuerreform aller
Zeiten. Er hat vergessen, dass unter seinem Vorgänger
Lafontaine die steuerliche Belastung zunächst einmal um
40 Milliarden DM angestiegen ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dazu kommt die zusätzliche Belastung durch die Öko-
steuer sowie durch die Erhöhung der Tabak- und der Ver-
sicherungsteuer. Die Bundesregierung ist übrigens die
einzige Regierung der Welt, die auf den Terroranschlag
am 11. September mit Steuererhöhungen reagiert hat. Das
ist kein Ruhmesblatt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ergebnis ist, dass die Steuern insgesamt von 341 Mil-

liarden 1998 auf 384 Milliarden 2001, also um über
40 Milliarden, angestiegen sind. Das bedeutet mehr und
nicht weniger Steuern. Das belastet die Steuerpflichtigen
mehr und nicht weniger. Das ist keine Entlastung. Das hat
natürlich auch die entsprechenden Reaktionen zur Folge.

Schauen Sie sich nur die Rentenpolitik an. Herr Riester
rühmt sich seiner großen Rentenreform. Er hat uns
Beitragssatzstabilität versprochen, jedenfalls bis zum Jahr
2011/12. Schon im ersten Jahr des In-Kraft-Tretens der
Rentenreform kann er seine Zusage nicht einhalten.


(Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es! Er schämt sich!)


Wir haben ihn damals gewarnt und ihn darauf auf-
merksam gemacht, dass das so sein wird, dass die Zahlen
nicht stimmen, dass sich das Ganze anders als geplant ent-
wickeln wird. Ohne den schamlosen Griff in die Reserve-
kasse der Rentner würde der Beitragssatz auf 19,4 bzw.
19,5 Prozentpunkte steigen. Es handelt sich hier um eine
Art erneute Schuldenaufnahme zulasten der Rentner, nur
um die Fasson zu wahren, um den Menschen vorzuma-
chen, dass die Beiträge stabil bleiben würden. Diese Ren-
tenreform verdient nicht einmal den Namen, den sie trägt,
weil sie das nicht umsetzen kann, was sie verspricht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Über die Gesundheitspolitik will ich gar nicht erst re-

den. Hier sind zwei nette Kolleginnen verschlissen wor-
den. Die Gesundheitspolitik ist nun einmal eine Schlan-
gengrube. Das weiß jeder. Die Damen waren nicht

geeignet für das Amt der Gesundheitsministerin, konnten
es einfach nicht und hatten auch keinen Rückhalt beim
Bundeskanzler.

Wer keine ordnungspolitische Richtschnur hat, um
schwierige gesellschaftspolitische Probleme zu lösen, der
wird von einer Falle in die andere tappen. Genau das tut
diese Bundesregierung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie hat kein grundsätzliches Konzept zur Lösung der ge-
sellschaftspolitischen Probleme. Deswegen hat sie die
Berechtigung verloren, in Zukunft weiterhin Verantwor-
tung zu tragen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420402500
Das Wort hat
Dr. Gregor Gysi für die PDS-Fraktion.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Kein Minister bekennt sich mehr zu diesem Bundeshaushalt! Nur noch Staatssekretäre auf der Regierungsbank!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420402600
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Es geht jetzt um den Etat des
Bundeskanzlers und die Generalabrechnung mit der Bun-
desregierung. Ich stelle fest: Die Bundesregierung ist
verschwunden. Sie interessiert sich nicht für die Bewer-
tung ihrer eigenen Politik durch das Parlament. Man kann
sagen, was man will: Die Abgeordneten aus den ersten
Reihen der Opposition sind vollständig anwesend. Die
Regierungskoalition hat sich dagegen verflüchtigt. Für
diese Art von Hochmut werden Sie eines Tages bezahlen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Der Wahlkampf ist von Ihnen mit der Vertrauensfrage
eröffnet worden. Seitdem geht es hier um Bilanzen, Re-
chenschaft und Ähnliches. Jetzt müssen auch wir Wahl-
kampf führen. Ich sage Ihnen deshalb: Es ist schon inte-
ressant, sich noch einmal das Wahlergebnis von 1998 vor
Augen zu führen. Damals sind CDU/CSU und FDP aus
der Regierungsverantwortung abgewählt worden, und
zwar nicht, damit sie heute verkünden, dass sie das gerne
fortsetzen würden, wobei sie damals unterbrochen wor-
den sind. Es muss vielmehr um einen inhaltlich wirklich
neuen Ansatz gehen, den ich allerdings bei der konser-
vativen Opposition nicht feststellen kann.


(Beifall bei der PDS)

Alles, was Frau Merkel vorgetragen hat, ging in Richtung
Abbau der Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte,
Sozialabbau und Ähnliches. Ich muss deshalb konstatie-
ren: Es kann wirklich noch schlimmer kommen, als es oh-
nehin schon ist, obwohl es so, wie es ist, schon höchst un-
befriedigend ist.


(Beifall bei der PDS)





Dr. Hermann Otto Solms
20078


(C)



(D)



(A)



(B)


Denn welche Vorstellungen hatten die Bürgerinnen
und Bürger vornehmlich mit der Wahl der SPD verbun-
den? Die Grünen – das muss man ehrlicherweise sagen –
hatten 1998 weniger Stimmen als 1994. Sie sind dann
doch noch in die Regierung gekommen. Das ist in
Deutschland nun einmal so. Die CDU hatte in Hamburg
eines ihrer schlechtesten Wahlergebnisse und stellt jetzt
den Ersten Bürgermeister. Das hängt halt mit der Koaliti-
onsfreiheit zusammen.

Die SPD hatte tatsächlich deutlich zugelegt. Welche
Vorstellungen waren damals damit verbunden? Zunächst
friedenspolitische Vorstellungen, auch Vorstellungen
von einer gerechteren Welt und einer gerechteren Welt-
wirtschaftsordnung. Des Weiteren ging es um die
Schließung von Gerechtigkeitslücken, um mehr soziale
Gerechtigkeit, um den Abbau von Arbeitslosigkeit, um
ökologische Nachhaltigkeit und um innere Einheit.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das haben Sie 1998 alles schon gewusst? So ein Unsinn!)


All das ist im Koalitionsvertrag niedergelegt und stand
auch in den Wahlprogrammen; darauf konzentrierten sich
die Versprechen.

Sehe ich mir heute die Realitäten an, stelle ich fest,
dass in dieser Legislaturperiode erstmals unter Führung
der Sozialdemokratie Deutschland in zwei Kriege einbe-
zogen worden ist, von denen zumindest einer mit Sicher-
heit völkerrechtswidrig war.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Welcher denn? Was war völkerrechtswidrig?)


– Völkerrechtswidrig war der Angriffskrieg gegen Jugo-
slawien. Das ist doch völlig eindeutig und unbestritten.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Lächerlich! Quatsch!)

Ich sage Ihnen ein Weiteres, Herr Struck. Sie haben

hier von Prävention gesprochen. Dann erklären Sie doch
einmal, weshalb unter Ihrer Regierung die Entwicklungs-
hilfe in jedem Jahr geringer als im letzten Jahr von Bun-
deskanzler Kohl ausgefallen ist. Das hat mit Prävention
und einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung nichts zu
tun.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der FDP– Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Da hat er Recht!)


Was die soziale Gerechtigkeit anbetrifft, so muss man
die Fragen konkret stellen: Können Sie wirklich guten
Gewissens sagen, dass es den Armen in Deutschland
heute besser als vor drei Jahren geht? Geht es den Sozial-
hilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern besser,
geht es den Arbeitslosen besser? Es kann gar keine Rede
davon sein. Die Zahl der Arbeitslosen ist auch nicht klei-
ner geworden. Die Prognosen der Bundesregierung zur
Arbeitslosigkeit besagen, dass wir schon Anfang nächsten
Jahres bei über 4 Millionen liegen werden. Das bekom-
men Sie nun einmal nicht weg: Der heutige Bundeskanz-
ler hat im Wahlkampf gesagt, er wolle sich an dieser Frage
messen lassen. Das Einzige, was sich geändert hat, ist,
dass er sich daran nicht mehr messen lassen will.


(Beifall bei der PDS)


Jetzt kommen Sie mit internationalen Wirtschafts-
schwierigkeiten. Hat er denn als Kanzlerkandidat nicht
gewusst, dass Deutschland in eine internationale Welt-
wirtschaftsordnung einbezogen ist?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn!)


Wenn er es gewusst hat, wie kann er dann ein solches Ver-
sprechen abgeben? Wenn er meint, er sei für die Arbeits-
losigkeit nicht zuständig, dann hätte er damals schon sa-
gen müssen, er könne keine Versprechen abgeben, das
hänge von den USA ab.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wenn er geäußert hätte, er habe damit nichts zu tun, hät-
ten wir den amerikanischen Präsidenten wählen müssen.
Das hat er aber nicht gesagt.


(Beifall bei der PDS und der FDP sowie des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])


Deshalb ist es unredlich, so zu argumentieren. Die andere
Möglichkeit wäre, dass er einräumt, es liege gar nicht am
amerikanischen Präsidenten, sondern doch am deutschen
Bundeskanzler. Dann wäre es sein Verschulden, zu dem er
stehen muss. Beides aber geht so nicht zusammen.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Jetzt verweist auch die schwarze Koalition auf Frank-
reich. Frankreich weist tatsächlich beachtliche Zahlen
beim Wirtschaftswachstum auf.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Dreimal so viel Wachstum!)


Wissen Sie, wie dort die Regierung zusammengesetzt ist?
Da würde sich ja Ihr Magen umdrehen.


(Beifall bei der PDS)

Deshalb warne ich vor diesem Beispiel. Ich habe nichts
dagegen, wenn Sie Frankreich landauf, landab als positi-
ves Beispiel darstellen, aber ich warne Sie vor den Kon-
sequenzen.

Herr Glos, mit Ihren Äußerungen zur Steuerreform
habe ich auch ein paar Schwierigkeiten. Wir beide haben
diese Steuerreform der Bundesregierung scharf kritisiert.
Nun finden Sie sie aber so gut, dass Sie sie bereits früher
haben wollen. Das ist ja auch ein merkwürdiger Vorgang.


(Beifall bei der PDS – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Wenn die Steuerreform in die falsche Richtung geht, dann
müssten Sie eher wünschen, dass sie nie kommt. Jetzt
wollen Sie, dass sie viel früher kommt. Das stellt eine Art
Lobpreisung der Bundesregierung dar, die ich an dieser
Stelle nicht mitmachen kann.

Das größte Problem ist die geringere Kaufkraft.Wenn
Sie alles zusammennehmen, die Steuern, die Abgaben
– auch die Abgaben, die von Ländern und Kommunen er-
hoben werden; Sie müssen auch sehen, wie die Abgaben-
last der Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen erhöht
worden ist, weil diese immer weniger Geld haben –, die




Dr. Gregor Gysi

20079


(C)



(D)



(A)



(B)


Teuerungsrate, die Lohnentwicklung und die Ökosteuer,
dann wird deutlich, dass die schwächere Binnenkonjunk-
tur ihre Ursache in der geringeren Nachfrage aufgrund der
geringeren Kaufkraft hat. Das bedeutet nicht mehr, son-
dern weniger soziale Gerechtigkeit. Das muss sich die Re-
gierung schon sagen lassen.


(Beifall bei der PDS)

Erschreckt hat mich, was Herr Metzger hier zur Ge-

sundheitsreform sagte: Sie könne in dem letzten Jahr vor
der Wahl nicht mehr durchgeführt werden, weil die Op-
position Sie dann wegen Sozialabbaus vorführen würde.
Was heißt denn das im Klartext? Was haben wir denn dann
nach der nächsten Wahl zu erwarten?


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Wenn Sie sich die Auseinandersetzung über Ihre Vorstel-
lungen im Wahlkampf nicht zutrauen, kann ja nur
Schlimmstes kommen.

Gleichzeitig geht es nicht an, sich Zahlen einseitig he-
rauszusuchen. – Herr Bundeskanzler, Sie scheinen sich
für die Debatte über Ihren eigenen Haushalt nicht zu in-
teressieren.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Der sitzt doch da hinten! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehen Sie: So wird man entlarvt, Herr Gysi!)


– Er muss etwas mit dem Fraktionsvorsitzenden bespre-
chen; das verstehe ich.

Der Bundeskanzler wies darauf hin, wir hätten so viele
Existenzgründungen wie noch nie. Herr Bundeskanzler,
Sie haben der CDU/CSU zu Recht vorgeworfen, sich im-
mer die Zahlen herauszusuchen, die ihr passen. Aber das
machen Sie doch auch.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Anderenfalls hätten Sie ehrlicherweise darauf hinweisen
müssen, dass wir in diesem Jahr 17 Prozent mehr Fir-
menpleiten als im Vorjahr hatten. Das sagt wirklich etwas
über die wirtschaftliche Situation in Deutschland und
über die Chancen der kleinen und mittelständischen Un-
ternehmen aus.


(Beifall bei der PDS)

Sie wissen, wie viele Probleme es in diesem Zusam-

menhang gibt: die mangelnde Zahlungsmoral, die hohe
Belastung mit Abgaben und Steuern und vieles andere
mehr. Diese Probleme werden Sie nicht loswerden.

Sie haben in Ihrer Steuerreform die Kapitalgesell-
schaften im Vergleich zu kleinen und mittelständischen
Unternehmen deutlich begünstigt. Sie sind ja weiter ge-
gangen, als die Konzerne es gefordert hatten. Bei den Ver-
äußerungserlösen haben Sie ihnen jegliche Steuer ge-
schenkt, obwohl sie nur eine Herabsetzung wünschten.
Dieser Gehorsam gegenüber den Kapitalgesellschaften
zahlt sich deshalb für Sie nicht aus, weil sie trotzdem kei-
nen Wahlkampf für Sie machen werden. Das ist einfach
nicht deren Stil.


(Beifall bei der PDS – Heiterkeit des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP])


Mit am meisten hat mich die Tatsache verwundert,
Herr Bundeskanzler, dass Sie über Ihre Chefsache nicht
einen einzigen Satz gesagt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Sie geben eine einstündige Erklärung zur Situation in
Deutschland ab und erwähnen die Frage der inneren Ein-
heit Deutschlandsmit keiner einzigen Silbe. Das sagt et-
was über Ihre Beziehung zu dieser Problematik aus.


(Zuruf von der CDU/CSU: Chefsache eben!)

Das ist für einen Bundeskanzler, der dies zur Chefsache
erklärt hat, wirklich nicht in Ordnung;


(Beifall bei der PDS)

denn in beiden Teilgesellschaften läuft die mentale, öko-
nomische und soziale Entwicklung auseinander. Auch die
Löhne und Renten entwickeln sich auseinander. Die we-
nigen Verbesserungen, die es gab, waren allesamt durch
das Bundesverfassungsgericht erzwungen. Von der Re-
gierungskoalition gab es keine einzige darüber hinausge-
hende Initiative.

Welche tollen Anträge haben Sie, als Sie noch in der
Opposition waren, im Hinblick auf die Renten in den
neuen Bundesländern gestellt! Nichts davon haben Sie
realisiert. Das Gleiche gilt für die Problematik der Mau-
ergrundstücke. Das bleibt ein ganz trauriges Kapitel in der
Bilanz dieser Bundesregierung.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420402700
Herr Kollege,
denken Sie bitte an Ihre Redezeit.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420402800
Die Arbeitslosigkeit ist in den
neuen Bundesländern deutlich höher als in den alten Bun-
desländern. Wir brauchen die innere Einheit, um in ganz
Deutschland ökonomisch und sozial voranzukommen.
Anderenfalls ziehen die neuen Bundesländer die alten
herunter. Damit wäre niemandem gedient.


(Beifall bei der PDS)

Deshalb mein letzter Satz: Es gibt sehr viel Kritik an

der Bundesregierung und an der Regierungskoalition. Das
ist aber kein Grund, nostalgisch zu werden und CDU/CSU
und FDP zu wählen, denn dann würde es noch schlimmer.
Es ist ein Grund, eine linke Opposition zu wählen, damit
linke Politik – Politik der sozialen Gerechtigkeit und Frie-
denspolitik – auch für SPD und Grüne wieder attraktiv
wird.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420402900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Hagemann.


Klaus Hagemann (SPD):
Rede ID: ID1420403000
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Verehrter Kollege
Gysi, ich gebe Ihnen in zwei Dingen Recht: Sowohl die
linke als auch die rechte Opposition sollen Opposition
bleiben. Dabei stimme ich Ihnen voll und ganz zu.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Dr. Gregor Gysi
20080


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn man die zurückliegenden Haushaltsberatungen
verfolgt hat, konnte man folgende Probleme erkennen.

Erstens. Die Rezepte der Opposition laufen darauf hi-
naus, ausgabenträchtige Anträge zu stellen. Die sich aus
ihnen ergebende Summe wurde vorhin schon dargelegt.

Zweitens. Die Einnahmeseite soll verschlechtert wer-
den; denn man empfiehlt, die nächsten Schritte der Steu-
erreform vorzuziehen. Ich frage mich nur, wie das die
Länder und die Gemeinden verkraften sollen, die schon
heute ihre Haushalte nicht mehr ausgleichen können. Ich
sehe es in meinem Bundesland; dort liegt das Haushalts-
volumen um einige Millionen über dem verfassungs-
rechtlich Zulässigen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sagen Sie mal etwas zur Gewerbesteuerumlage!)


– Sehr geehrter Herr Merz, die von Ihrer Partei gestellten
Politiker in den Ländern und Gemeinden beten ja täg-
lich darum, dass Ihre Vorschläge nicht realisiert werden
mögen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir stellen eine hohe Mehrfachbelastung des Haushalts
fest. Das ist sicherlich nicht der richtige Weg. Diesen Weg
können wir nicht weiterverfolgen.

Drittens. Es kommt hinzu, meine Damen und Herren
von der Opposition, dass Sie in der Diskussion Ihr eige-
nes Regierungshandeln in den zurückliegenden Jahren
ausgeblendet haben. Ich frage mich wirklich: Waren die
alten Rezepte, wie Sie sie angewandt haben, so erfolg-
reich? Hierzu kann man an Fakten Deutliches feststellen.

Stichwort: Arbeitslosigkeit. Zu jener Zeit gab es kein
Gesetz zu den 630-Mark-Jobs, keine Änderung des Be-
triebsverfassungsgesetzes, all das nicht, was Sie heute
kritisieren. Trotzdem war die höchste Arbeitslosigkeit zu
verzeichnen, die es in diesem Land je gegeben hat. Herr
Rexrodt musste vor vier Jahren hier ans Pult treten und
sagen, dass er fast 5 Millionen Arbeitslose erwartet. Das
vergessen Sie natürlich immer. Heute liegt die Zahl bei
3,7 Millionen. Das ist immer noch zu viel, liegt aber
deutlich unter dem, was zu Ihrer Zeit war. Wir arbeiten
daran.


(Beifall bei der SPD)

Stichwort: Sozialhilfeempfänger. Auch hierzu ist fest-

zustellen, dass die Zahl nach unten geht und dass die
Kommunen interessante Projekte betreiben, um die Zahl
der Sozialhilfeempfänger weiter zu senken.

Auch bei der Jugendarbeitslosigkeit – darauf möchte
ich noch einmal hinweisen – gibt es eine deutlich positive
Entwicklung nach unten.

Ein anderes Stichwort: Lohnnebenkosten. Heute
wurde schon viel darüber diskutiert. Wie sah die Zahl
denn 1998 aus, als Sie abgetreten sind, sehr geehrte Frau
Merkel? – 42,1 Prozent! Heute ist die Zahl 40,8 Prozent.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Plus 30 Milliarden Ökosteuer!)


– Sie haben damals die Mehrwertsteuer erhöht. Auch das
kommt hinzu, Herr Repnik. – Hier ist also eine positive
Entwicklung festzustellen und die können auch Sie nicht
wegreden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

„Arbeitsplätze“ ist das nächste Stichwort. In dieser Zeit

sind 1 Million Arbeitsplätze mehr geschaffen worden.
Das ist die andere Seite der Medaille, die Sie nie darstel-
len, die hier aber erwähnt werden muss.

Ich darf auch die Steuergesetzgebung ansprechen.
Der Eingangssteuersatz – ich will es nur noch einmal in
Erinnerung rufen – ist deutlich gesenkt worden, eben zu-
gunsten der kleinen Einkommen, Herr Gysi. Sie haben ge-
sagt, es sei nichts für die kleinen Leute getan worden. Ge-
rade hier ist aber Entscheidendes erreicht worden.


(Dr. Gregor Gysi [PDS]: Sie haben versprochen, die Vermögensteuer wieder einzuführen!)


Auch beim steuerfreien Existenzminimum sind deutli-
che Schritte gemacht worden, was den kleinen Leuten zu-
gute gekommen ist.

Ich kann das Erziehungsgeld erwähnen. Ich kann das
Wohngeld erwähnen. Überall sind zugunsten der kleine-
ren Einkommen die richtigen Schritte unternommen wor-
den.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Soziale Schieflage!)

– Ach, wenn Sie dazwischenrufen! Zehn Jahre lang ist von
dieser Seite in diesem Bereich nichts getan worden. Jetzt
ist gehandelt worden.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420403100
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi?


Klaus Hagemann (SPD):
Rede ID: ID1420403200
Bitte.

(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt wächst zu sammen, was zusammengehört!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420403300
Herr Kollege, würden Sie im-
merhin bestätigen, dass zum Beispiel zwei Kindergeld-
erhöhungen gerade den Ärmsten in der Gesellschaft, näm-
lich den Sozialhilfe empfangenden Kindern, nicht zugute
kommen, weil die Beträge von der Sozialhilfe abgezogen
werden? Würden Sie bestätigen, dass durch Kürzung der
Beihilfen für die Familien letztlich eine Schlechterstel-
lung erfolgt und dass, weil Sie auf die Wiedereinführung
der Vermögensteuer und damit auf eine Umverteilung
verzichtet haben, die Armen heute nicht besser dastehen
als vor drei Jahren, sondern eher schlechter?


Klaus Hagemann (SPD):
Rede ID: ID1420403400
Sie müssen die Gesamt-
rechnung sehen, sehr geehrter Herr Gysi, und die ist posi-
tiv.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Genau die Gesamtrechnung! Das ist das eigentliche Problem!)





Klaus Hagemann

20081


(C)



(D)



(A)



(B)


Gerade die Zahl der Kinder, die Sozialhilfe empfangen, ist
deutlich nach unten gegangen. Hier ist gehandelt worden.
Deswegen kann ich das, was Sie gesagt haben, nicht so
stehen lassen.

Was Sie zu den Kindergelderhöhungen gesagt haben,
ist auch nicht ganz korrekt. Zumindest die letzte Er-
höhung, nämlich die um 20 DM, ist auch den Familien,
die Sozialhilfe empfangen, zugute gekommen. Das wollte
ich doch noch einmal hervorheben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein anderes Stichwort: Zukunftsinvestitionen. Hier
wird immer wieder behauptet – auch Herr Solms hat es
vorhin getan –, dass die Investitionsquote zurückgefahren
worden sei. Das ist nicht richtig. Gerade was Straßenbau,
Schienenbau, Ausbau der Deutschen Bahn angeht, ist die
höchste Investitionsquote erreicht worden, die die Bun-
desrepublik Deutschland je gehabt hat, und das sollten Sie
nicht einfach wegreden.

Wenn ich zu Zukunftsprojekten spreche, dann lassen
Sie mich auch Bildung und Forschung erwähnen. Das ist
sicherlich einer der größten Beiträge zur Zukunftsfähig-
keit unseres Landes.


(Beifall bei der SPD)

Hier haben wir gerade vonseiten der FDP – leider sind nur
noch zwei Kollegen anwesend – eine Flut von Anträgen
erlebt. Wenn ich aber den heutigen Zustand mit 1998 und
mit den Jahren davor vergleiche, sehr geehrter Herr
Solms, stelle ich fest, dass gerade die Mittel für Forschung
und Bildung in der Zeit Ihrer Verantwortung nach unten
gefahren worden sind. Der Bildungshaushalt war Finanz-
steinbruch. Da war nichts mit Zukunftsminister Rüttgers,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

er ist eigentlich eher ein Rückwärtsminister gewesen. Ge-
rade hier kann man Anspruch und Wirklichkeit verglei-
chen. Sie haben das alles mit zu verantworten. Sie haben
es mitgetragen, dass die Mittel für Forschung und Bil-
dung in dieser Zeit nach unten gefahren worden sind, und
wir haben jetzt große Mühe gehabt, diese Mittel wieder
deutlich nach oben zu entwickeln. Ich denke, meine Kol-
legin Klemmer wird morgen ausführlicher darauf ein-
gehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hier sprechen Zahlen für sich. Im Jahr 1998 standen

für Forschung und Bildung 14,5 Milliarden DM zur Ver-
fügung und im Jahr 2002 werden es fast 17 Milliar-
denDM sein. Gott sei Dank gilt die Erhöhung auch für das
BAföG. Hier bekommen mehr Berechtigte wieder mehr
Geld. Auch das ist wichtig.

Natürlich stellt sich für Sie auch die Frage der Glaub-
würdigkeit, wenn Sie heute in Oppositionszeiten kräftig
draufpacken und Anträge stellen, aber die Wirklichkeit in
Ihrer Regierungszeit ganz anders aussah.


(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich in der Generalaussprache auch die Fa-

milien- und Jugendpolitik ansprechen. Ich habe gestern

Abend die Debatte zum Einzelplan 17 verfolgt. Es ist
schon interessant, wie viele Kolleginnen und Kollegen die
politische Vergangenheit vergessen haben. Ein Verfas-
sungsgerichtsurteil aus dem Jahre 1998 hat Ihre Fami-
lienpolitik beurteilt und benotet, sehr geehrte Frau
Merkel. Man kann es in einem Satz zusammenfassen: Die
Familienförderung der CDU/CSU-FDP-Regierung war
völlig unzureichend.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Familienfeindlich!)


Gestern Abend warf uns eine Kollegin noch vor, wir,
also die Koalition, hätten erst aufgrund eines Verfas-
sungsgerichtsurteils gehandelt. Es stellt sich natürlich die
Frage, warum es zu diesem Verfassungsgerichtsurteil ge-
kommen ist. Wir mussten erst einmal Ihre Fehler ausbü-
geln und hier neue Wege gehen. Das haben wir in der
Steuerpolitik durch die Familienentlastung gemacht. Ich
bin vorhin darauf eingegangen.

Wir haben aber auch beim Kindergeld sehr deutlich
zugelegt und das Kindergeld für das erste und für das
zweite Kind von 220 DM auf 300 DM erhöht. Es wurde
hier schon der Vergleich gebracht – ich möchte es nur
noch einmal unterstreichen –, dass die Verkäuferin da-
durch ihr 13. Monatsgehalt bekommt, und das netto. Auch
das sei hier noch einmal erwähnt.

Die Frage der Glaubwürdigkeit ist natürlich auch zu
stellen, wenn Sie jetzt aus der Opposition heraus ein Fa-
miliengeld von 1 200 DM im Monat fordern und keine Fi-
nanzierungsvorschläge vorlegen. Wir wissen doch, dass
10 DM Kindergelderhöhung uns etwa 1 bis 1,5 Milliar-
den DM kosten. Es ist eigentlich unvorstellbar, wie Sie
das alles finanzieren wollen. Ich frage Sie deshalb: Ist das,
was Sie hier vortragen, glaubwürdig?

Wenn wir die Glaubwürdigkeit ansprechen, muss auch
erwähnt werden, dass in den süddeutschen Ländern, ge-
rade in Bayern, Kindergartenplätze fehlen.


(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Ausgesprochener Blödsinn!)


– Das ist so. Auch bei der Ganztagsbetreuung liegt man
dort sehr weit zurück.

Die Freiwilligendienste wurden gestern Abend ange-
sprochen. Wir sind auch in der Jugendpolitik nach vorne
gegangen. Wir gehen gerade in der Gesellschaftspolitik
neue Wege. Ich erinnere mich noch an die Ausschuss-
arbeit in der letzten Legislaturperiode, als wir immer mit
Frau Nolte kämpfen mussten, weil die Mittel nach unten
gefahren wurden. Das war der falsche Weg. Wir gehen
den richtigen Weg. Viele Punkte könnten in diesem Zu-
sammenhang noch erwähnt werden.

Die Frage der Finanzierung des Haushaltes möchte
ich noch ansprechen, insbesondere einen Antrag der
Union mit der Drucksachennummer 14/7582, der gestern
verteilt worden ist. Darin geht es darum, dass ein Sub-
ventionsabbau vorgenommen werden soll. In diesem An-
trag wird zwar global angemerkt, aber nicht konkret be-
nannt – auch heute hat niemand dazu Stellung bezogen –,
an welchen Stellen – bei der Landwirtschaft, bei der Ju-
gend oder bei den Frauen? – und in welchem Umfang




Klaus Hagemann
20082


(C)



(D)



(A)



(B)


Subventionsabbau vorgenommen werden soll. Konkrete
Aussagen fehlen; alles bleibt offen. Nur ein pauschaler
Antrag wurde gestellt.

Ich möchte auf die FDP zu sprechen kommen. Herr
Rexrodt hat gestern davon gesprochen, dass Leistungsge-
setze kritisch überprüft werden müssten. Er hat jedoch
nicht gesagt, ob er damit den Abbau von Sozialleistungen
für sozial Schwächere oder etwas anderes meint. Nichts
dergleichen wurde vorgetragen.

Bei den Haushaltsberatungen wird immer wieder kriti-
siert, dass die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit we-
sentlich zu hoch seien. Auch in den Debatten am gestri-
gen Abend spielte dieser Punkt eine wichtige Rolle. Ich
habe mir die prozentuale Entwicklung der Ausgaben für
Öffentlichkeitsarbeit der gesamten Bundesregierung im
Verhältnis zum Bundeshaushalt auflisten lassen. Es han-
delt sich dabei um 0,00-Beträge.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wurden die Ausgaben erhöht?)


Dennoch ist besonders die dritte Stelle hinter dem
Komma interessant, Herr von Klaeden. Im Jahre 1990
– das war ein Ausnahmejahr; das gebe ich zu – waren es
immerhin 0,06 Prozent. 1998 – da haben Sie schon gute
Fortschritte gemacht – waren es 0,037 Prozent. Die Bun-
desregierung wird für ihre Öffentlichkeitsarbeit viel ge-
scholten. Betrachten wir die Zahlen für das Jahr 2000: Es
sind – immerhin wieder ein bisschen weniger – 0,032 Pro-
zent. In diesem Jahr sind es 0,031 Prozent. Die Mär, die
Bundesregierung erhöhe die Ausgaben für Öffentlich-
keitsarbeit, ist damit widerlegt.

Gestern Abend wurde behauptet, die Regierung mache
eine so schlechte Politik, dass sie immer höhere Ausgaben
für Öffentlichkeitsarbeit brauche. Man kann aber an der
Zahlenentwicklung feststellen, dass die Bundesregierung
eine ordentliche Arbeit macht und weniger Mittel für die
Öffentlichkeitsarbeit braucht.


(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich noch eines hinzufügen: Frau Merkel,

es ärgert mich schon ein wenig, dass Sie Holzmann an-
gesprochen haben. Vor drei Jahren hat der Bundeskanzler
– Gott sei Dank – eine Rettungsaktion eingefädelt. Ich
kann mich noch gut daran erinnern, dass Herr Koch und
Frau Roth, beide CDU, schön mitgewunken und mitgeju-
belt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch daran muss an dieser Stelle einmal erinnert werden.
Vergessen Sie nicht, dass Sie sich ebenfalls in diesem Er-
folg gesonnt haben. Heute wollen Sie davon nichts mehr
wissen.

Ich komme aus dem Rhein-Main-Gebiet.

(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Wo kommen Sie denn her, um Gottes willen?)

Dort sind viele Mittelständler für diese Aktion dankbar,
weil sie ohne die Aktion Pleite gegangen wären, verehrter
Herr!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sonst sähe es in diesem Gebiet inzwischen ganz anders
aus. Fakt ist – das kann man nachweisen –: Frau Roth und
Herr Koch haben mitgewunken und mit davon profitiert.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Und der Bundesrechnungshof!)


– Vielen Dank, Kollege Wagner. Auch der Bundesrech-
nungshof hat es positiv gesehen.

Ich möchte zum Schluss kommen und Bilanz ziehen.
Ein seriöser Haushalt wurde vorgelegt. Es ist davon aus-
zugehen, dass dieses Jahr punktgenau gelandet wird. Wir
arbeiten uns aus der von der CDU/CSU-FDP-Koalition
geschaffenen Schulden- und Zinsfalle langsam, aber
spürbar heraus. Wir gehen Zukunftsaufgaben an und müs-
sen immer weniger Zinszahlungen leisten. Wir haben uns
am Anfang unserer Regierungszeit zum Ziel gesetzt, die
Zukunftsfähigkeit und die Innovation zu stärken sowie
die Politik der Gerechtigkeit und der Solidarität voranzu-
treiben. Das wird mit diesem Haushalt getan. Wir werden
deshalb dem Einzelplan 04 zustimmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420403500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Günter Nooke.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Jetzt kommt die Chefsache, Herr Bundeskanzler! – Gerhard Das werde ich wohl erdulden müssen! – Heiterkeit)

Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID1420403600


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1420403700
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Damen und Herren! Wir reden hier heute über
verfehlte Politik der rot-grünen Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dann können Sie sich schon wieder hinsetzen!)


Beim Thema „Aufbau Ost“ wird dieses Scheitern beson-
ders deutlich. Da der Bundeskanzler den Aufbau Ost aus-
drücklich zur Chefsache erklärt hatte – was immer man
darunter verstehen mag –, muss auch mit dem Nichtstun
beim Thema „Aufbau Ost“ und in den neuen Bundeslän-
dern sein ganz persönliches Scheitern verbunden werden.
Deshalb, Herr Kanzler, haben Sie hier nichts zu diesem
Thema gesagt, obwohl Sie fast eine Stunde geredet haben.
Es ist nichts getan worden. Sie hatten nichts zu berichten.
Es wäre nur peinlich gewesen, wenn Sie das Thema über-
haupt angesprochen hätten.

Die Zahl der Arbeitslosen in Ostdeutschland, an der Sie
sich messen lassen wollten, ist im Osten trotz Abwande-
rung 2,3-mal so hoch wie im Westen.


(Joachim Poß [SPD]: Ostdeutsche Politiker haben es schwer, wenn jetzt Herr Diepgen kommt!)


Entweder sind Ihnen die Menschen egal oder Sie müssten
in den nächsten Monaten wenigstens versuchen, da etwas
zu tun.




Klaus Hagemann

20083


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Aufbau Ost ist unter Ihrer Führung zum Ab-
schwung Ost verkommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Wirtschaftswachstum liegt hinter dem in den alten
Bundesländern. Es ist erstmals seit der Wiedervereini-
gung zurückgegangen. Das Ziel einer selbsttragenden
Wirtschaftsentwicklung ist in weite Ferne gerückt. In den
neuen Bundesländern herrscht trotz positiver Daten in
Sachsen und Thüringen Rezession. Wir stehen nicht am
Rande einer Rezession, wir stehen knietief drin. Die Wirt-
schaftsdaten sind sogar noch schlechter als die Stimmung.
Das will viel heißen.

Auch der Bundeshaushalt 2002 zeigt in die falsche
Richtung. Denn Sie streichen noch an Stellen, wo es zwin-
gend notwendig wäre, mehr zu machen. Ich will nur ei-
nige Punkte ganz kurz ansprechen.

Die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse-
rung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ in den neuen
Bundesländern wurden um 300 Millionen DM gekürzt.
Sie wurden unter Rot-Grün in den letzten Jahren um fast
25 Prozent reduziert. Seit der Wiedervereinigung hatte
sich diese Gemeinschaftsaufgabe aber zu einer tragenden
Säule des wirtschaftlichen Aufschwungs in den neuen
Ländern entwickelt.

Sie hatte aber noch eine andere Bedeutung: Die GA-
Ost-Mittel wurden zur Kofinanzierung von Regionalbei-
hilfen für die neuen Bundesländer genutzt, die anerkannte
Ziel-1-Fördergebiete der EU sind. Jetzt kann das
Fördervolumen nicht mehr voll ausgeschöpft werden,
weil 250 Millionen Euro GA-Ost-Mittel in den Haushal-
ten fehlen. Die neuen Bundesländer könnten mehr Mittel
der EU abfordern, wenn die Bundesregierung nicht auch
noch bei der Gemeinschaftsaufgabe Ost sparen würde.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das würde Herrn Schwanitz interessieren, wenn er da wäre!)


– Der versteht das – glaube ich – nicht.

(Beifall der Abg. Dr. Angela Merkel [CDU/ CSU] – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Deswegen ist er gleich weggeblieben! – Zurufe von der SPD)


– Dass er nicht da ist, ist das Problem Ihrer Koalition,

(Hans Georg Wagner [SPD]: Wenn der Diepgen kommt, sind Sie auch nicht mehr da!)

wenn Sie sich das bieten lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP])


Meine sehr verehrten Damen und Herren, als Vertreter
der Opposition will ich nicht bestreiten, dass auch gespart
werden muss. Ich will davon ausdrücklich auch die neuen
Länder nicht ausnehmen. Ich hätte jetzt Herrn Schwanitz
noch gefragt,


(Siegrun Klemmer [SPD]: Mit Schwanitz können Sie nicht konkurrieren!)


was eigentlich aus seiner Liste geworden ist, die er einmal
versprochen hat. Wenn es um den Aufbau Ost geht, sind
nämlich immer die falschen Zahlen im Umlauf.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Die sind aber von Ihnen in Umlauf gebracht worden!)


Real haben wir 1998 bei vielleicht 38 bis 40Milliarden
echten Transferleistungen angefangen. Heute liegen wir
weit unter 35 Milliarden, wahrscheinlich näher bei
30 Milliarden. Aber Herr Schwanitz traut sich nicht mehr,
das zu sagen, weil er dann zugeben müsste, wie viel auch
im Osten gespart wurde.

Dafür redet aber Arbeitsminister Riester Montag früh
im Frühstücksfernsehen immer noch von jährlichen Zah-
lungen für die neuen Länder von 100 bis 150 Milliarden.
Das kann natürlich so nicht stehen bleiben. Entweder
kennt er die aktuellen Zahlen nicht oder er will bewusst ir-
reführen. Diese Summen erwecken doch den Eindruck,
der Osten sei ein Fass ohne Boden. Sie erzeugen Neid im
Westen und Wut im Osten.

Die Diskussion „Der Osten kostet zu viel“ oder „Die da
im Osten können den Rachen nicht voll genug bekom-
men“ ist eine Spalterdebatte.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Das war Herr Teufel! Euer Teufel! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das macht doch gar keiner! So ein Unsinn!)


Was hat eigentlich die deutsche Teilung gekostet und wel-
che Gefahren waren mit der deutschen Teilung verbun-
den? Welche Chancen sind, verglichen damit, mit der
Wiedervereinigung für uns alle in Ost und West gege-
ben? Statt diese zu nutzen, passiert nichts.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Hören Sie endlich auf, mit den Schulden infolge der Wie-
dervereinigung Ihre verfehlte Haushaltspolitik zu recht-
fertigen!


(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Schulden haben Sie doch gemacht!)


Wenn Sie schon vom Geldausgeben reden, dann kann
ich Ihnen noch ein Beispiel nennen. Mit der Ökosteuer
nehmen Sie an den Tankstellen im Osten mehr ein, als
die Menschen dort zurückbekommen. Weitere Wege
durch dünnere Besiedlung, längere Fahrzeiten zur Arbeit
– wenn man überhaupt eine findet –, mehr Rentner, we-
niger Beitragszahler, keine Großindustrie mit Aus-
nahmeregelungen: Auch das gehört in die Haushaltsde-
batte.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sehr verehrte Damen und Herren, wie sieht es aber für

diejenigen aus, die ihr Schicksal konkret in die eigenen
Hände nehmen wollen? Ich will dabei nicht nur von Geld
reden, sondern auch sagen, dass die Rahmenbedingungen,
die Sie gesetzt haben – Ausweitung des Betriebs-
verfassungsgesetzes, Gesetz zur Scheinselbstständigkeit,
Vergabegesetz, Teilzeitanspruch, Neuregelung der
630-Mark-Jobs –, die Situation gerade für die neuen
Bundesländer erheblich verschlechtern. Das, was im Wes-




Günter Nooke
20084


(C)



(D)



(A)



(B)


ten schon schwer verträglich ist, bedeutet für viele klei-
nere und mittlere Unternehmen im Osten den Tod.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die fragilen Strukturen in Ostdeutschland halten diese
Belastungen nicht aus. Unter solchen Bedingungen wer-
den auch neue Existenzgründerinitiativen nicht erfolg-
reich sein; unter diesen Bedingungen hätte übrigens auch
die Wirtschaft in Westdeutschland in den 50er- und 60er-
Jahren nicht aufgebaut werden können. Wir brauchen
mehr Freiheit für eigene Wege, gerade in den neuen Bun-
desländern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich bin sogar sicher, dass viele alte Bundesländer diesen
Wegen folgen und sie mitgehen würden.


(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Sagen Sie uns einmal, welche Wege Sie meinen!)


Wir brauchen im föderalen System Bundesrepublik
Deutschland mehr Flexibilität, Experimentierklauseln,
Öffnungsklauseln und zum Beispiel auch die Möglich-
keit, von Bundesgesetzen bzw. Bundesstandards abzu-
weichen,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Noch mehr Sozialabbau!)


wenn diese durch der Situation besser angepasste Lan-
desgesetze ersetzt werden können. Das kennen Sie, das
hat auch Ihr Altbundeskanzler Helmut Schmidt im Okto-
ber in der „Zeit“ geschrieben.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber nicht den Unsinn, den Sie heute verbreiten!)


Sie tun aber nichts und fordern nicht einmal Ihre Regie-
rung auf, etwas zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es wird einen weiteren Zuwachs an Arbeitslosigkeit

geben, wenn die Klein- und Kleinstbetriebe in der Bau-
wirtschaft – oftmals ist man ja nur aus Not Unternehmer,
weil man woanders keine Arbeit gefunden hat, sich dann
in die Selbstständigkeit geflüchtet und einen Betrieb ge-
gründet hat – zum Beispiel durch das Vergabegesetz, das
hier schon angesprochen wurde, gezwungen werden,
ortsübliche Tarife zu zahlen, das heißt also, wenn sie im
Westen arbeiten, die Tarife, die dort gelten. Das hält die
ostdeutsche Bauwirtschaft vom Markt in den alten Bun-
desländern fern, nicht aber die westdeutschen Bau-
betriebe vom Markt in den neuen Ländern. Da wäre auch
einmal ein Wort der großen Ostinteressenvertretung PDS
gefragt, aber dort hört man ja inzwischen auch eher auf
Gewerkschaftsfunktionäre als auf die Menschen im
Osten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [PDS])


Das Schlimme an dem Ganzen ist doch, dass dann,
wenn künftig auch noch die Kleinunternehmen Pleite ge-
hen, die Schlussfolgerung gezogen wird, Selbstständig-
keit lohnt sich nicht. Wir brauchen im Osten einen selbst-
tragenden Aufschwung. Den gibt es aber nur dann, wenn

sich Leistung und Eigenverantwortung lohnen. Statt jede
noch so kleine Eigeninitiative zu unterstützen und zu pfle-
gen, wirft die von SPD und Grünen gestellte Bundes-
regierung diesen Menschen Knüppel zwischen die Beine.
So etwas ist hinterfotzig.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Damit machen Sie das Beste, was wir in den neuen Bun-
desländern haben, kaputt, nämlich die Einsatzbereitschaft
der Menschen. Das zerstört dann die Zukunftsaussichten
wirklich endgültig. Insofern dürfen Sie nicht mehr lange
regieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich habe gehört, dass auf den Fluren des Kanzleramtes

seit längerem

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie kommen Sie denn ins Kanzleramt?)

– so ist mir berichtet worden – der Spruch umgeht, dass
Sie im Osten auf die „passive Sanierung“ setzen.


(Zurufe von der SPD)

– Hören Sie einmal zu, vielleicht kennen Sie das nicht. –
Sie setzen darauf, dass die arbeitswilligen Menschen aus
den neuen Bundesländern, vor allem junge, schon nach
Süd- oder Westdeutschland gehen und sich dort eine Ar-
beit suchen. Ihnen ist quasi das Abwandern nicht nur egal,
sondern sogar noch ganz lieb. Spätestens im Jahre 2006,
16 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR, werde der
damit verbundene Geburtenrückgang dafür sorgen, dass
überhaupt nur noch wenige Jugendliche in Ostdeutsch-
land eine Lehrstelle oder einen Arbeitsplatz suchen wer-
den.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Alles Parolenpolitik, was Sie da machen!)


Dann sinke die Arbeitslosenquote und insbesondere auch
die Jugendarbeitslosigkeit in den Statistiken wie von
selbst und die Zahlen der neuen Bundesländer seien dann
genauso wie die der alten. – Aber dann passiert in Ost-
deutschland auch nichts mehr; „passiv saniert“ wird Ost-
deutschland zum grünen Altenwohnheim. Will die Bun-
desregierung wirklich diese Zukunft?

Sie, Herr Bundeskanzler, wollten nicht alles anders,
aber vieles besser und nichts schlechter machen. Ich kann
nur sagen, Sie haben vieles schlechter gemacht. In dieser
traurigen Hitliste nimmt das Thema Aufbau Ost unange-
fochten den Platz eins ein.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420403800
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Lothar Mark.


Lothar Mark (SPD):
Rede ID: ID1420403900
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen! Liebe Kollegen! Wenn einem bei einigen Beiträ-
gen zu Ohren kommt, dass wir zu wenig für Ostdeutsch-
land machen würden, dann, denke ich, liegt das daran,




Günter Nooke

20085


(C)



(D)



(A)



(B)


dass entweder die Haushalte nicht richtig gelesen werden
oder man sich nur auf eine Zahl versteift.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich nenne einfach nur einmal für den Einzelplan 04, für

den ich hier spreche, einige Stichworte zum Bereich Kul-
tur: Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten, Stiftung
Preußischer Kulturbesitz – diese bezieht zwar auch den
Westteil Berlins mit ein, greift aber nach Ostdeutschland
über –, für „Kultur in den neuen Ländern“ stellen wir al-
lein 30 Millionen Euro zur Verfügung; Stiftung Weimarer
Klassik, Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Wart-
burg-Stiftung, Francke’sche Stiftung, Stiftung Luther-
gedenkstätten, Bauhaus Dessau und viele andere mehr
zeugen davon, dass intensiv Mittel nach Ostdeutschland
fließen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nach Aussagen des Deutschen Kulturrates vom

25. November 2001 befindet sich die Bundeskulturpolitik
auf der Zielgeraden. Bereits wieder in Vergessenheit ge-
raten sind – weil eben doch schon als selbstverständlich
angesehen – die Einrichtung des Ausschusses für Kultur
und Medien, der eine ausgezeichnete Arbeit leistet, sowie
die Einsetzung eines Staatsministers beim Bundeskanzler
als Beauftragter der Bundesregierung für Angelegenhei-
ten der Kultur und der Medien.

Nun zu einzelnen Themen: Die Reform des Künst-
lersozialversicherungsgesetzes im Frühjahr dieses Jahres
zeigt, dass wir in der Koalition heiße Eisen anpacken, die
16 Jahre lang einer Lösung harrten. Die Reform des Stif-
tungssteuerrechts trat bereits im Januar 2000 in Kraft. Die
zweite Stufe der Novellierung des Stiftungsrechtes steht
noch aus. Ohne eine Reform des Stiftungszivilrechts
bliebe diese Stiftungsrechtsreform ein Torso. Kultur-
staatsminister Dr. Nida-Rümelin und Justizstaatssekretär
Dr. Eckhart Pick haben deshalb eine Modernisierung des
Stiftungsprivatrechts noch in dieser Legislaturperiode zu-
gesagt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Als ein neues Thema wurde in dieser Legislaturperiode

endlich die Reform der beschränkten Steuerpflicht aus-
ländischer Künstlerinnen und Künstler in Angriff genom-
men. Die so genannte Ausländersteuer hat nach der 1996
durch die alte Regierung vorgenommenen Erhöhung von
15 auf 25 Prozent dazu beigetragen, dass immer weniger
Künstlerinnen und Künstler aus dem Ausland in der Bun-
desrepublik auftreten. Es wird von einem Rückgang von
über 30 Prozent gesprochen. Konsequenz daraus ist, dass
natürlich auch deutsche Künstlerinnen und Künstler we-
niger Einladungen ins Ausland erhalten.

Deshalb begrüße ich den Beschluss des Finanzaus-
schusses, die Reform der Ausländersteuer einzuleiten.
Künftig soll eine Freigrenze bestehen: Pro Auftritt sind
bis zu 250 Euro je Künstler steuerfrei. Für höhere Ho-
norare soll eine allmähliche Staffelung bis zu 25 Prozent
eingeführt werden, die aber ab 2003 wiederum auf 20 Pro-
zent reduziert werden soll.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin sehr erleichtert, dass die Bundesregierung mit
dem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der vertrag-
lichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künst-
lern ein weiteres Problem aufgegriffen hat und dies einer
Lösung zuführen wird. Es ist an der Zeit, dass Urheber
und ausübende Künstler einen gesetzlichen Anspruch auf
eine angemessene Vergütung erhalten. Konkretisiert wird
diese Angemessenheit über gemeinsame Vergütungsre-
geln, die die Verbände von Urhebern gemeinsam mit Ver-
bänden von Werknutzern oder einzelnen Werknutzern
aufstellen. Auf diese Weise bestimmen die Beteiligten in
einem konsensorientierten Verfahren selbst, was in ein-
zelnen Bereichen der Kulturwirtschaft angemessen ist.
Strukturelle Besonderheiten können und sollen hierbei
berücksichtigt werden. Dies ist ein guter und begehbarer
Weg zur Sicherung der Urheberrechte.

In der letzten Zeit hat die Diskussion über die Bun-
deskulturstiftung die Gemüter sehr intensiv erregt. Es ist
uns gelungen, den Anfang für die Einsetzung einer Bun-
deskulturstiftung zu schaffen, indem im Bundeshaushalt
25 Millionen DM angesetzt werden.


(Beifall bei der SPD)

Was uns niemand zugetraut hätte, ist, dass wir Verpflich-
tungsermächtigungen für das nächste Jahr in Höhe von
50 Millionen DM und für das Jahr 2004 in Höhe von
75 Millionen DM eingetragen haben.


(Beifall bei der SPD)

Ein Sabotageversuch der CDU/CSU in diesem Zusam-

menhang ist gescheitert.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr gut!)

Der Kulturhaushälter Steffen Kampeter wollte, im Unter-
schied zum sehr konstruktiven Kultursprecher Dr. Nobert
Lammert, das Projekt torpedieren. Seine Begründung,
Dr. Nida-Rümelin könne nach Gutsherrenart Staatsknete
nach Belieben ausgeben, zeugt von erstaunlicher Un-
kenntnis.


(Beifall bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist bei Kampeter immer so!)


Die neu formulierte Zweckbestimmung begrenzt viel-
mehr den Stiftungszweck – dies besagt auch schon der Ti-
tel der Stiftung –: Förderung national und international
bedeutsamer Vorhaben insbesondere zur kulturellen Inte-
gration, Kooperation und Innovation über eine nationale
Kulturstiftung.

Nida-Rümelin hat ein überzeugendes Konzept für die
Kulturstiftung vorgelegt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nun liegt der Ball auf dem Spielfeld. Es kommt darauf an,
wie die Länder reagieren, ob sie ihre Zurückhaltung auf-
geben oder ob sie bereit sind, sich im Rahmen dieser
großen Lösung einzubringen. Immerhin haben sowohl der
Regierende Bürgermeister Wowereit als auch der CDU-
Ministerpräsident Koch gegenüber der Kulturpolitischen
Gesellschaft inzwischen konstatiert, dass sie bereit seien,
die Meinungen der Kulturpolitischen Gesellschaft zu tra-




Lothar Mark
20086


(C)



(D)



(A)



(B)


gen, wonach hier Zukunftsfähigkeit für die Kultur ge-
schaffen werde.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Am 20. Dezember können die Länder zeigen, wie ernst

sie die Kulturförderung in der Bundesrepublik nehmen
und inwieweit sie zur Kulturkooperation mit dem Bund
bereit sind.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der Kulturhaushalt des Jahres 2002 verzeichnet
gemäß seiner besonderen Bedeutung einen deutlichen
Zuwachs im Verhältnis zum Haushalt 2001, und zwar eine
Steigerungsrate von 3,06 Prozent.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Kulturhaushalt wächst somit überproportional im
Vergleich zum Gesamthaushalt. Damit ist es gelungen,
punktuell sinnvolle Erhöhungen der Mittel für wichtige
kulturelle Projekte, wie zum Beispiel die Kulturstiftung,
zu ermöglichen.

Neben den bereits erwähnten werden folgende Positio-
nen verändert. Ich fasse zunächst einige kleine Bereiche
zusammen, die aufzeigen, dass wir bereit sind, uns um
Details zu kümmern. Es geht um die Erhöhung der Mittel
für die Stiftung sorbisches Volk, für das Stasi-Museum
„Runde Ecke“, für das Hermann-Hesse-Jahr in Calw, für
den Seelter Buund und für die Villa Aurora. Größere Ver-
änderungen nehmen wir bei der Förderung der Bundes-
stadt Bonn vor in Höhe von immerhin 1,023 Millionen
Euro plus eine Modifizierung bis zum Jahre 2010.

Einen kleinen Betrag möchte ich erwähnen, weil er
eine ganz besondere Geschichte hat. Wir haben eine ge-
ringfügige Erhöhung der Mittel für die Gedenkstätte
Buchenwald vorgenommen, um die Geschichte der Firma
Topf & Söhne untersuchen zu lassen, die Verbrennungs-
öfen für die Konzentrationslager hergestellt hat. Ich
denke, dass dies einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung
unserer Geschichte darstellt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


In Berlin haben wir beim Haus der Kulturen der Welt
und bei den Berliner Festspielen noch einmal ordentlich
aufgestockt, damit beide Einrichtungen, ihrem Sinne ent-
sprechend, in der Bundeshauptstadt Berlin glänzen und
Kultur präsentieren können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will noch auf die Gedenkstätte Sachsenhausen hin-
weisen, die 2 Millionen Euro für zusätzliche Gestaltungs-
und Umbaumaßnahmen bekommt.

Schließlich verweise ich auf den Auslandskanal der
Deutschen Welle. Wir wollen, dass der deutsche Aus-
landskanal Kooperationen mit ARD und ZDF eingehen
kann. Damit würde ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung
gehen. Wir waren der Auffassung, dass eine entspre-
chende Umsetzung der Pläne hinsichtlich des deutschen
Auslandskanals jetzt erfolgen muss.

Wenn man nicht zur Unterschrift käme, wäre das Projekt
in Zukunft wieder verbaut und die ganze Mühe wäre um-
sonst gewesen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben Verpflichtungsermächtigungen für die

Jahre 2003, 2004 und 2005 festgelegt und liegen somit
pro Jahr bei 5,113 Millionen Euro.

Dieser kleine Auszug aus unserer Kulturbilanz zeigt,
dass wir der Kultur im Land nicht nur einen höheren Stel-
lenwert als die abgewählte Bundesregierung beimessen,
sondern dass wir längst fällige Kulturförderkriterien erar-
beitet haben und erarbeiten, Planungssicherheit gewähr-
leisten, die Rahmenbedingungen verbessern und heiße Ei-
sen anpacken. Dabei wird die Kulturhoheit der Länder
voll respektiert; dies ist inzwischen wirklich kein Diskus-
sionsthema mehr.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Kultur ist bei dieser Regierung und den Koaliti-

onsfraktionen in guten Händen. Schon bei den letzten
Haushaltsberatungen kam bei den CDU/CSU-Reden das
Wort „Kultur“ nicht vor. Ist das Programm? – Meine Ant-
wort: Nein, das ist ein Zustand!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Jörg Tauss [SPD]: Kulturlosigkeit!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420404000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Peter Hintze.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1420404100
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Es ist eine gute Tradi-
tion in diesem Parlament, dass die Außen- und Europa-
politik mehr Übereinstimmung aufweist als andere
Politikbereiche. Dennoch denke ich, dass es gut ist, am
Schluss dieser Debatte auch die Außen- und Europapoli-
tik unseres Herrn Bundeskanzlers einmal einer kritischen
Würdigung zu unterziehen. Zwar wissen wir seit kurzem,
es muss nicht immer Kaviar sein, und der „Steiner des An-
stoßes“ ist auch weggeräumt;


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


dennoch ist die Bilanz dieser Bundesregierung in der Eu-
ropapolitik ernüchternd.

Deutschland hat drei wertvolle Jahre in und für Europa
verloren:


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn!)


eine schwache Agenda 2000, ein trostloses Ergebnis von
Nizza und die rote Laterne des letzten Platzes unter allen
Eurostaaten.

Besonders kritisch aber ist der neue politische Zug, der
in diese Regierung eingekehrt ist und der eine Abkehr von
der europapolitischen Tradition bedeutet, wie sie bei allen
Bundeskanzlern, von Konrad Adenauer über Helmut
Schmidt bis Helmut Kohl, üblich und richtig war, nämlich




Lothar Mark

20087


(C)



(D)



(A)



(B)


dass in Europa kleine und große Staaten fair miteinander
umgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Regierung hat es fertig gebracht, erst unserem
Nachbarn, Freund und Partner Österreich mithilfe der an-
deren Staaten in Europa zu drangsalieren und dann das
Missverständnis aufkommen zu lassen, es gebe in den
Fragen der internationalen Politik in Europa Staaten ers-
ter und zweiter Klasse; denken Sie an das unselige Vor-
treffen von Gent.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Integration Deutschlands in Europa hat uns Aner-

kennung und einen Platz in der Welt gesichert. Wenn wir
diese Idee aufs Spiel setzen, wenn wir versuchen, Mini-
großmacht zu spielen, wenn wir versuchen, nationalstaat-
liche Rückfälle zu üben, dann wird das Deutschland und
Europa schaden. Deswegen fordere ich den Bundeskanz-
ler auf, konzeptionell zu Europa zurückzukehren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Viele Kommentatoren haben das Abstimmungsergeb-

nis bei der Vertrauensfrage am 16. November als einen
Pyrrhussieg bezeichnet. Der Preis dieses Erfolges ist die
Auszehrung dieser Regierung. Was wird sein, wenn die
Ankündigung von Staatsminister Zöpel wahr wird und
Deutschland in einem anderen Konflikt gefordert wird?
Man kann diese Koalition nur einmal zusammenpressen.
Wiederholen lässt sich das nicht. Ich sage Ihnen: Rostock
hin, Nürnberg her – mit solchen politischen Kräften ist
kein Staat zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

FürdieGlaubwürdigkeitdieserKoalitiongibt eseinePrü-

fungsfrage, die jeder Abgeordnete im Bundestag und jeder
Zuschauer zu Hause nachvollziehen kann. Diese Frage lau-
tet:WiewürdeRot-Grünhandeln,wenndieRollenvertauscht
wärenund sie nicht in derRegierung, sondern in derOpposi-
tion säßen? Jeder kann sich ausmalen, was hier vor dem
Reichstag los wäre, an der Spitze Heidemarie Wieczorek-
ZeulundJoschkaFischer, dahinter die aufgehetztenMassen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie würden demonstrieren wie damals, als Sie unter
Führung dieses Bundeskanzlers – da war er noch nieder-
sächsischer Ministerpräsident –, auf die Barrikaden gin-
gen, nachdem die Amerikaner dem überfallenen Kuwait
zu Hilfe kamen. Meine Damen und Herren, bündnispoli-
tische Glaubwürdigkeit wird daran deutlich, ob man in der
Opposition dasselbe sagt wie in der Regierung oder ob
man sich so verhält wie diese unglaubwürdige Regierung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Wer wäre denn dann Kanzler, Herr Hintze?)


Die gestern auf dem Petersberg begonnene Afghanis-
tan-Konferenz unter Leitung der Vereinten Nationen ist
ein Schritt in Richtung Frieden und eines politischen Neu-
anfangs.


(Jörg Tauss [SPD]: Aha! – Dr. Peter Struck [SPD]: Das müssen Sie einmal Herrn Glos sa gen! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dafür sollten wir doch keine Haushaltsmittel einsetzen! Fragen Sie einmal Herrn Glos!)


Ich stehe nicht an zu sagen – das ist einer der wenigen
Punkte, in denen ich ausnahmsweise für einen Moment
mit dem Bundeskanzler übereinstimme –, dass es auch für
uns in Deutschland eine wichtige und gute Sache ist, dass
die streitenden Parteien versuchen, hier eine Friedensord-
nung zu entwickeln.

Ich will der Regierung gleich etwas mit auf den Weg
geben:


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Übernehmen Sie sich nicht!)


Der Petersberg wurde jetzt als Tagungsort auserkoren. Er
wird auch von allen Vertretern der Regierung gelobt. Ich
hoffe, dass Sie sich auch nach dieser Konferenz daran er-
innern und diesem für Deutschland und Europa wichtigen
Tagungszentrum die Bestandsgarantie geben, die sicher-
stellt, dass der Petersberg der deutschen Außenpolitik er-
halten bleibt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja sag mal, was hat die Konferenz mit dem Petersberg zu tun? Das ist ein außenpolitischer Rohrkrepierer! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Kleinkrämerei an dieser Stelle! – Weiterer Zuruf von der SPD: Leichenfledderer!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Bundes-
kanzler hat heute in seinem – –


(Anhaltende Unruhe bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Glocke der Präsidentin – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber Herr Hintze, Sie verbinden die Außenpolitik mit Wahlkreislobbyismus!)


– Lieber Herr Schlauch, Sie sollten ausnahmsweise Ihre
Untugend des Zwischenrufens aufgeben und wenigstens
am Schluss der Debatte zuhören!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Bundeskanzler hat uns heute in dieser Debatte

wortreich erklärt, warum die Arbeitslosigkeit in Deutsch-
land so hoch und die Wirtschaftskraft so schwach ist.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Haben Sie es denn verstanden?)


Meine Damen und Herren, Deutschland braucht keinen
Kanzler, der wortreich Fehler begründen kann, und der er-
klären kann, warum es so viele Fehlleistungen gibt.
Deutschland braucht die Begründung einer neuen Politik,
einer Politik für Wachstum und Arbeitskräfte. Das werden
wir leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420404200
Ich schließe da-
mit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über




Peter Hintze
20088


(C)



(D)



(A)



(B)


den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Die Fraktio-
nen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen verlan-
gen namentliche Abstimmung. Ich bitte alle Kolleginnen
und Kollegen, bei der Stimmabgabe wie immer sorgfältig
darauf zu achten, dass Ihre Stimmkarten Ihren eigenen
Namen und keinen fremden tragen.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen be-
setzt? – Das ist der Fall.

Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine

Stimme nicht abgegeben hat? – Dann schließe ich die Ab-
stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift-

führer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorlie-
gen des Ergebnisses unterbreche ich die Sitzung.

Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung von 13.58 bis 14.03 Uhr)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420404300
Die Sitzung ist
wieder eröffnet.

Ich gebe Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung über den Einzelplan 04, Geschäftsbereich des Bun-
deskanzler und des Bundeskanzleramtes, bekannt: Abge-
gebene Stimmen 614. Mit Ja haben gestimmt 323, mit
Nein haben gestimmt 291. Es gab keine Enthaltungen.




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

20089


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 613;
davon

ja: 322
nein: 291

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki

Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum

Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder

Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
20090


(C)



(D)



(A)



(B)


Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-
Hanewinckel

Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt

(Weilburg)


Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)


Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Uta Zapf
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne

Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)


Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Antje Blumenthal
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)

Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E. Fischer

(Karlsruhe-Land)


Klaus Francke
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Gottfried Haschke

(Großhennersdorf )


Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser (Bonn)

Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

20091


(C)



(D)



(A)



(B)


Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)


Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Bernd Neumann (Bremen)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer

Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mülheim)

Michael von Schmude
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr
von Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Wolfgang Steiger

Erika Steinbach
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
FDP
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb

Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver-
sammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Müller (Berlin), Manfred

PDS

Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen
worden.

Ich rufe Punkt I. 17 auf:
Einzelplan 05
Auswärtiges Amt
– Drucksachen 14/7305, 14/7321 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Titze-Stecher
Dr. Elke Leonhard
Steffen Kampeter
Antje Hermenau
Dr. Werner Hoyer
Dr. Barbara Höll

Es liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU und der Fraktion der FDP vor. Nach einer in-
terfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache
zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist auch so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Steffen Kampeter.


Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1420404400
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich hätte
an dieser Stelle der Münchner CSU-Abgeordnete Herbert
Frankenhauser sprechen sollen, aber er hat sich einer
Operation unterziehen müssen und befindet sich auf dem
Wege der Besserung. Er schaut wahrscheinlich zu. Ich bin
sicher, ich spreche im Namen des ganzen Hauses, wenn
ich ihm von dieser Stelle aus Genesungswünsche über-
mittle.


(Beifall)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420404500
Ich schließe
mich dem an.


Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1420404600
In der Debatte um
den Außenetat stehen aus unserer Sicht drei Aspekte im
Vordergrund:

Erstens. Wo stehen die deutsche Außenpolitik und der
deutsche Außenminister nach Vertrauensfrage und Partei-
tagen?

Zweitens. Welchen Stellenwert besitzen die deutsche
Außenpolitik und ihre Schwerpunkte im Etat 2002?

Drittens. Begreift die rot-grüne Machterhaltungsge-
meinschaft – eine Koalition kann man das kaum noch
nennen – auch die auswärtige Kulturpolitik endlich als
wirkungsvolles Instrument der auswärtigen Politik?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Damit kennen Sie sich nach 16 Jahren gut aus!)


Nach den vergangenen zwei Wochen bleibt der be-
schämende Befund, dass die Erhaltung von Macht und
Pfründen alle wesentlichen außenpolitischen Debatten
überlagert hat. Was muss eigentlich die deutsche Öffent-
lichkeit gedacht haben, als am vorvergangenen Freitag
nach der Abstimmung über den größten Militäreinsatz der

deutschen Nachkriegsgeschichte die rot-grüne Koalition
freudig Applaus spendete? Freudiger Applaus für einen
großen Militäreinsatz? – Nein, der Applaus war wohl eher
dafür, dass diese Koalition gerade noch einmal davon ge-
kommen ist.

WirhabenindenMedienerlebt,dassviele, insbesondere
vonBündnis 90/DieGrünen, kritisiert haben, dass es einen
Verbund derVertrauensfragemit demEinsatz der Bundes-
wehr gegeben hat. Leider haben wir auch erleben müssen,
dass selbst auf demParteitag der Grünen in Rostock genau
dieserVerbund aufrechterhaltenwurde.Daran konnteman
erkennen, dass die Klage darüber offensichtlich mehr ge-
heuchelt als ernst gemeint war. Die grüne Partei ist offen-
sichtlich zumVizekanzlerwahlverein degeneriert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch der deutsche Bundeskanzler hat in den vergan-

genen Wochen seine Unglaubwürdigkeit in bündnispoliti-
schen Fragen nachdrücklich belegt. Sein Angebot, mi-
litärische Kapazitäten beizusteuern, schließt ausdrücklich
Kampfeinsätze aus. Die Vereinigten Staaten haben längst
gemerkt, dass entsprechende Hilfsangebote der Deut-
schen keine ernst zu nehmende Hilfe sind, wenn sie an
solch unrealistische Konditionen geknüpft sind.

In den vergangenen Wochen hat der Bundeskanzler in
vielen Bereichen auf europäischer Ebene keine gute Figur
gemacht.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aus Ihrem Mund ist das eher ein Lob!)


Das Wort „Europa“ habe ich in der gesamten Debatte um
die Bekämpfung des Terrorismus kaum vernommen. Bi-
laterale oder trilaterale Treffen schränken die Möglich-
keiten für ein gemeinschaftlich orientiertes Handeln ein.
Auch die Behinderung der Washington-Reise der EU-
Troika durch nationale Eitelkeiten war keine Glanzleis-
tung der deutschen Außenpolitik.

Wir müssen eines bedenken: Durch Fehltritte und
großspuriges Auftreten werden die kleineren Partner in
Europa verärgert. Gerade in den letzten Monaten hat sich
gezeigt, dass die Gefahren des Terrors die Kapazitäten der
Nationalstaaten überschreiten. Wir sind auf europäische
Lösungen angewiesen. Dies wird nach meiner Auffassung
von großem Nutzen sein.

Lassen Sie mich zu den Haushaltsberatungen einiges
im Detail sagen. Außenpolitik ist wesentlich auch Perso-
nalpolitik. Die angemessene Ausstattung des auswärti-
gen Dienstes mit qualifiziertem, motiviertem und leis-
tungsbereitem Personal ist Anliegen aller Fraktionen im
Deutschen Bundestag. Von daher war die Unterstützung
dafür richtig, dass die Flexibilisierung der Stellenpläne
zwischen dem Inland und dem Ausland vorangetrieben
wurde, um in angemessener Weise auf aktuelle Erforder-
nisse einzugehen. Auch konnte eine Steigerung der Per-
sonalreserve des Auswärtigen Amtes auf insgesamt
100 Personen dazu führen, dass wir im Auswärtigen Amt
auf unvorhergesehene Ereignisse flexibel reagieren kön-
nen. Wir erwarten allerdings auch, dass der Parlaments-
wille bei diesen Freiräumen nicht missachtet wird, son-
dern dass diese Freiräume verantwortlich genutzt werden.

Vor dem Hintergrund knapper Kassen in vielen Perso-
nal- und Sachbereichen muss allerdings die an feudale Zei-




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
20092


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ten erinnernde Personalpolitik des Bundesaußenministers
nachhaltig kritisiert werden. Explosionsartig wird die Zahl
der Stellen im oberen Besoldungsbereich erhöht, zuletzt
unter dem Deckmantel des Antiterrorpakets. So werden
alte Kampfgefährten des Bundesaußenministers in hohe
und höchste Positionen gehievt und von der Zentrale aus
sogar in Botschafterfunktionen gebracht, wie das Beispiel
Chile eindrucksvoll und erschreckend zeigt. PR-Berater
mit hohen und höchsten Gehältern werden aus Mitteln des
Auswärtigen Amtes bezahlt. Ein besonders ärgerliches
Beispiel für die feudale Personalpolitik ist die Besoldung
des Leiters des Planungsstabes des Auswärtigen Amtes,
der nach Zeitungsberichten den Außenminister vorrangig
in Parteigremien des Bündnisses 90/Die Grünen vertritt.
Folgerichtig müssten diese Personalkosten dem Finanzmi-
nister anständigerweise von Partei oder Fraktion erstattet
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Gleiches gilt auch für Herrn Volmer, der vor allen Din-
gen die parteiinterne Öffentlichkeit ständig mit halbamt-
lichem Gerede beruhigen will. Ich denke an seine Ankün-
digung, der Militäreinsatz werde zwar beschlossen, aber
nicht begonnen. Dies war außenpolitisch fahrlässig, mehr
von parteitaktischen Motiven getragen und in der Sache
falsch und irreführend. Die Bekämpfung des Terrors
reicht weit über den nächsten Wahltermin hinaus.

Die deutsche Öffentlichkeit wird auch daran interes-
siert sein, zu erfahren, welche intelligenten oder weniger
intelligenten, aber in jedem Fall kostenträchtigen Lösun-
gen für den einer breiteren Öffentlichkeit erst durch seine
Sprach- und Esskultur bekannt gewordenen und folge-
richtig von seinen Aufgaben entbundenen Kanzlerberater
Steiner gefunden werden. Hier droht ein weiterer politi-
scher Versorgungsfall. Es wäre ein klärendes Wort von-
seiten der Bundesregierung geboten, ob die Vermutungen
zutreffen, dass mit einer Aufwertung des Chefs des Bun-
deskanzleramtes zum Bundesminister zusätzlicher Spiel-
raum geschaffen werden soll, um Spitzenbeamte im Bun-
deskanzleramt und im Auswärtigen Amt zu besolden.

Die Stellenaufstockung im Rechts- und Konsularbe-
reich wird von uns hingegen unterstützt. Sie ist zwar
knapp ausgefallen, aber in der Sache sehr berechtigt. Sie
hätte angesichts des Bedarfs angemessener sein können,
wenn die Koalition mit Personalausgaben in anderen Be-
reichen nicht so geaast hätte.

Andere Fragen wie die der baulichen Sicherheit der
Auslandsvertretungen – sie liegen nach den Terroran-
schlägen eigentlich auf der Hand – bleiben unzureichend
beantwortet. Der Investitionsstau ist erheblich. Er wird
auf weit über 100 Millionen DM geschätzt.

Erfreulich ist die Aufstockung der Mittel für die
Kriegsgräberfürsorge im Etat 2002. Auf Vorschlag der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird im Frühjahr 2002
die Regierung einen Vorschlag unterbreiten, der die
zukünftige Arbeit des Volksbundes Deutscher Kriegsgrä-
berfürsorge dauerhaft finanziell und politisch absichert.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Der Vorschlag kam auch von der SPD-Fraktion!)


– Herr Kollege Schmidt, da Sie an den Beratungen nicht
teilgenommen haben, möchte ich klarstellen: Dieser Vor-
schlag kam aus der CDU/CSU-Fraktion und wurde von
der Koalition aufgegriffen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das reißen Sie sich nicht parteipolitisch unter den Nagel!)


Das Anliegen, die Kriegsgräberfürsorge finanziell und
politisch abzusichern, hat insbesondere der Kollege
Frankenhauser mit viel Engagement in den vergangenen
Jahren unterstützt. Deswegen ist es erfreulich, dass es
heute umgesetzt wird.

Weiterhin ist es gelungen, den Umbau der Villa Borsig
am Rande der Hauptstadt unter parlamentarische Kon-
trolle zu stellen. Eine Nobelsanierung konnte so verhin-
dert werden.

In der Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ von Mon-
tag beschreibt der neue Generalsekretär des Goethe-Insti-
tuts die in seinen Augen wohl eher trostlosen Perspekti-
ven der auswärtigen Kulturpolitik. Im entsprechenden
Etat haben sich keine wesentlichen Änderungen ergeben.
Der auf Sparflamme betriebene Dialog mit dem Islam ist
zu einer Strichaufzählung verkommen. Aber der dickste
Hund ist beim Goethe-Institut passiert. In einer Nacht-
und-Nebel-Aktion wurde die Umwidmung von Stellen in
Programmmittel, die in den Fusionsverhandlungen zwi-
schen Goethe-Institut und Inter Nationes zugesichert war,
verhindert, sozusagen einkassiert. Die Initiative dazu ging
vom Finanzminister aus. Dies ist sowohl vom Verfahren
als auch von der Sache her ein völlig inakzeptabler Um-
gang mit den Mittlern der auswärtigen Kulturpolitik, der
auch wesentlich das Verhältnis zwischen Parlament und
Regierung berührt. Deswegen haben wir einen Ände-
rungsantrag in dieser Sache eingereicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch die Ausstattung der politischen Stiftungen hätte

im Hinblick auf den Dialog mit dem Islam erheblich um-
fangreicher ausfallen können, als es die rot-grüne Koali-
tion zu akzeptieren bereit war. Die Aufstockung beseitigt
lediglich die größte Not, schafft aber kaum Möglichkeit
für Neues. Hier wäre Zusätzliches geboten.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Das war einstimmig!)


Als eine erfreulicheNebenerscheinung– aber leider nur
das – muss da die gemeinsame Initiative aller Fraktionen
des Parlaments gewertet werden, dieMittel fürAuslands-
stipendien undAuslandsschulen anzuheben. DenMitbe-
richterstattern sei an dieser Stelle Dank ausgesprochen für
ein kooperatives Miteinander nicht nur in dieser Frage,
sondern auch in manch anderen Fragen über die Frakti-
onsgrenzen hinweg. Insbesondere der Kollegin Tietze-
Stecher, die sich leider entschlossen hat, nicht wieder zu
kandidieren, sprechen wir unseren Dank aus. Ihr Sachver-
stand wird der zukünftigen Opposition sicher fehlen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD)


Dank auch den Haushältern aus dem Auswärtigen Amt
sowie dem Bundesfinanzministerium. Alles, was sie uns




Steffen Kampeter

20093


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erfolgreich verschwiegen haben, werden wir bei den
nächsten Haushaltsberatungen herausfinden.

In der Substanz überzeugt dieser Etat nicht. Deswegen
wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihn ablehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Welche Überraschung!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420404700
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Uta Tietze-Stecher.


Uta Titze-Stecher (SPD):
Rede ID: ID1420404800
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Am Schluss war es ein echter
Kampeter: Meine Kolleginnen und Kollegen hätten bei
dem Lob für mich gern geklatscht. Das aber wurde ihnen
durch den Nachsatz verwehrt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dann machen wir es jetzt! – Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Um den Schluss meiner Ausführungen vorwegzuneh-
men: Auch ich empfand die Beratungen in meiner Be-
richterstattergruppe zum Einzelplan 05, Auswärtiges
Amt, als ausgesprochen kollegial. Da man nie weiß, auf
welcher Wegstrecke und in welcher Formation man die
Kolleginnen und Kollegen wieder trifft – so abstrakt
möchte ich das einmal darstellen –, ist es für mich ein de-
mokratisches Erfordernis, mit ihnen kollegial umzuge-
hen. Das heißt auch, gerade bei der außenpolitischen Ar-
beit im Haushaltsausschuss nach Möglichkeit auf ihre
Wünsche einzugehen. Ein Verfahren des außenpoliti-
schen Ausschusses hat mir immer imponiert: Er fasst
keine haushaltspolitischen Beschlüsse, sondern er debat-
tiert den Haushalt möglichst in Anwesenheit der zustän-
digen Haushälter und hofft, dass seine Wünsche ange-
messen berücksichtigt werden. Insofern haben wir uns
alle Mühe gegeben, entlang der politischen Linie, die
natürlich die rot-grüne Bundesregierung vorgibt, einige
Wünsche zu erfüllen.

Der Bundesetat 2002 ist der vierte und damit der letzte
Haushalt in dieser Legislaturperiode, den die rot-grüne
Bundesregierung zur Debatte und zur Abstimmung vor-
legt.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der letzte insgesamt!)


– Herr Kampeter, das überlassen wir den Wählerinnen
und Wählern.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr gut!)


Wir haben gestern und auch heute eine sachliche,
manchmal auch unsachliche, in jedem Fall aber eine um-
fangreiche Debatte gehabt. Das ist auch gerechtfertigt;
denn nach vier Haushalten ist ein bilanzierendes Urteil er-
forderlich. Dies gilt auch für die Entwicklung des Einzel-
plans 05,AuswärtigesAmt.Hier, HerrKampeter,muss ich
einige Ihrer Bewertungen strikt zurückweisen. Ihre Ab-
schweifungen zu den Hintergründen und Ergebnissen der
Parteitage von SPD und Grünen kommentiere ich nicht.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die waren aber alle zutreffend, Frau Kollegin!)


Auf die Personalpolitik der Regierung, speziell des
Auswärtigen Amtes, wird der Minister eingehen. Es
dürfte aber absolut nachvollziehbar sein – Sie waren 16
Jahre lang an der Regierung und müssen das wissen –,
dass sich die politische Leitung mit Personen ihres Ver-
trauens zu umgeben hat, weil diese die Politik umzuset-
zen haben. Das kann überhaupt nicht kritisiert werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum Personalbestand des Auswärtigen Amtes und
dessen Entwicklung muss ich dem Außenminister und
dem gesamten Amt ein großes Kompliment aussprechen:
Sie haben sich in den vergangenen drei Jahren strikt und
solidarisch an die Sparauflagen gehalten und keine Extra-
wurst verlangt. Das muss an dieser Stelle einmal festge-
halten werden, auch wenn es im Amt hier und da ge-
knirscht hat. Wir haben es gemeinsam geschafft – Herr
Hoyer war hier der Protagonist –, den R- und K-Bereich,
also die Visastellen und das Rechts- und Konsularwesen,
bis heute aus der jährlichen 1,5-prozentigen Kürzung he-
rauszuhalten. Das verdient ein Lob und nicht die Mords-
kritik, die Sie hier verbreitet haben.

Ich zitiere aus der „Süddeutschen Zeitung“ von ges-
tern, also fast aktuell:

Die rot-grüne Haushaltspolitik mag ihre Schwächen
und Widersprüche haben. Und doch gebührt Genos-
sen und Grünen ein Lob. Die Koalitionäre haben in
der Finanzpolitik eine Wende geschafft ...

So ist es.

(Beifall bei der SPD)


Herr Kollege Metzger von den Grünen hat dies gestern
auf eindrucksvolle Art und Weise dargestellt.

Wie wahr, so wie in Ihren Zeiten Sparpolitik unpopulär
war, Herr Kampeter, weil sie als soziale Kahlschlagpoli-
tik praktiziert wurde, so gilt sie heute als Markenzeichen
rot-grüner Regierungspolitik. Sie gilt als Nachweis für
den soliden Umgang mit Steuergeldern und als sozial ge-
recht im Hinblick auf die Verantwortung, die wir für künf-
tige Generationen tragen. Das nicht nur unmäßige, son-
dern auch insbesondere für Arbeitnehmer belastende
Schuldenmachen, so wie Sie es gemacht haben, verurteilt
der Bürger hingegen zu Recht als schlechte Politik.

Der Haushalt 2002 steht insofern voll in der Konti-
nuität und für Verlässlichkeit der rot-grünen Finanzpoli-
tik. Das gab es früher nicht. Deshalb ist die Opposition
auch ein schlechter Ratgeber in Sachen Finanzen und
Haushaltssanierung. Allein die Forderungen aus Ihren
Reihen ergäben, Ausgaben und Steuermindereinnahmen
zusammengerechnet, ein Summe von 433 Milliar-
den DM. Sie benötigten den doppelten Umfang des Bun-
deshaushaltes; der Bürger behielte nichts in der Tasche.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie wissen, dass das nicht stimmt, Frau Kollegin!)


Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den jüngs-
ten Bericht der OECD. Er warnt ausdrücklich vor einer
Lockerung der Haushaltsdiziplin und einer Orientierung
an den amerikanischen Konjunkturprogrammen. Das Bei-




Steffen Kampeter
20094


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spiel Japan zeigt bestens, was das Ergebnis solcher Pro-
gramme ist: ein immer höherer Schuldensockel. Wir se-
hen in diesem Punkt genau wie die OECD keinen Anlass
für Konjunkturprogramme oder eine Lockerung der
Maastrichter Kriterien.

Von einem Kaputtsparen kann bei einem Haushaltsvo-
lumen von knapp 500 Milliarden DM, die der Bund im
nächsten Jahr ausgeben will, keine Rede sein. Das Aus-
wärtige Amt hat die von ihm geforderten Einsparungen
dazu erbracht.

Ich erinnere mich noch lebhaft an die Debatte über den
Bundeshaushalt für das laufende Jahr, an die Attacken aus
Ihren Reihen, Herr Kampeter, als Auslandsvertretungen
geschlossen werden mussten, als Ausgaben für politische
Stiftungen und Auslandsschulen gekürzt wurden, ein
neues Konzept für die Beschäftigung der Ortskräfte an
den Auslandsvertretungen entwickelt wurde und – oh
Schreck! – sogar Goethe-Institute schließen mussten. Das
war im Einzelfall nicht alles notwendig. Es lag daran, dass
das Auswärtige Amt – wie übrigens alle Ressorts – in der
Vergangenheit viel zu zögerlich darangegangen ist, Kos-
tenstrukturen unter dem Gesichtspunkt der Effizienz zu
analysieren und zu reformieren. Aber unter einem heilsa-
men Spardruck scheint das zu gelingen.

Inzwischen arbeitet das Ministerium nämlich mit
Hochdruck an der Reform des auswärtigen Dienstes.
Daraus werden sich garantiert Auswirkungen auf die
haushaltspolitische Situation ergeben. Durch eine Viel-
zahl von Maßnahmen wird sich der auswärtige Dienst an
gewachsene Erwartungen und neue Herausforderungen
anpassen. So überprüft das Ministerium alle Arbeitsberei-
che mit dem Ziel einer Rückführung auf die Kernaufga-
ben. Allerdings soll es keine Einbußen am Standard des
Services geben.

Als Reaktion auf die Auswirkung von Botschafts-
schließungen – der Protest aus unseren Reihen erfolgte
teilweise zu Recht; ich nenne das Stichwort Afrika – soll
in Ländern, in denen wegen der entwicklungspolitischen
Zusammenarbeit ein erhebliches Interesse an unserer Prä-
senz besteht, allerdings aus Geld- und Personalmangel
keine ausgebaute Botschaft aufrechterhalten werden
kann, die Vertretung als Kleinstvertretung mit ein bis zwei
Entsandten fortgeführt werden. Herr Minister, dieses
Konzept entspricht der von mir anlässlich der ersten
Schließung einer Botschaft erhobenen Forderung nach in-
telligenten, kreativen Lösungen in Zeiten des Rotstifts.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Inzwischen wissen wir, dass keine weiteren Schließungen
von Botschaften oder Generalkonsulaten durchgeführt
werden mussten. Auch das ist begrüßenswert.

Auf der Agenda der Reforminitiative des Auswärtigen
Amtes stehen neben Verwaltungsvereinfachung und Auf-
gabenkritik aber auch die beabsichtigte Stärkung der Au-
tonomie der Auslandsvertretungen durch Budgetierung,
weitere Dezentralisierungsschritte und das Bemühen um
eine verstärkte europäische Zusammenarbeit im Konsu-
larbereich.

Wenn Sie, Herr Minister, alle Vorhaben, die in den Ti-
teln für das Personalmanagement, die Öffnung zur Zivil-
gesellschaft, die Reorganisation der Strukturen der aus-
wärtigen Kultur- und Bildungspolitik – Berichterstatterin
zu diesem Bereich ist die Kollegin Dr. Elke Leonhard, die
auch auf das spezielle Problem der Goethe-Institute ein-
gehen wird – aufgeführt sind, umsetzen und die Haushäl-
ter sowie das Finanzministerium nach Prüfung der Ergeb-
nisse den Eindruck gewinnen, dass sich diese Projekte auf
der richtigen Schiene befinden, dann dürfen Sie sicher
sein, dass wir auch dafür zu gewinnen sind, die von Ihnen
sehnlichst erwünschte Zusammenlegung der Kapitel für
die Zentrale und die Auslandsvertretungen zu be-
schließen.

Aber zurück zu den Details des Haushalts. Im Kabi-
nettsentwurf umfasste der Einzelplan 05 – Auswärtiges
Amt – ein Gesamtvolumen von rund 4,115 Milliar-
den DM und lag damit um 0,6 Prozent unter dem Haus-
halt dieses Jahres. Sein Anteil am Gesamthaushalt sackte
von 0,87 Prozent auf 0,85 Prozent ab.

Nun haben wir im parlamentarischen Verfahren einige
Sparstellschrauben lockern müssen – ich will das auch er-
klären –, und zwar nicht im Hinblick auf Wahlkampf und
Wahlkampfgeschenke – das verbietet sich bei der Arbeit
des Auswärtigen Amts von selbst –, sondern im Hinblick
auf einige objektive Erfordernisse.

Die Finanzplanung 2000 bis 2003 wurde – völlig rea-
litätsfremd – noch mit einem Dollarkurs von 1,68 DM
aufgestellt und fortgeschrieben.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ja, wie so vieles!)


Bundesfinanzminister Eichel reagierte sofort und ange-
messen. Bereits bei der Aufstellung des Kabinettsent-
wurfs setzte er den Kurs auf 2,10 DM fest. Das wurde in
der Bereinigungssitzung bestätigt. Das ist gerade für das
Auswärtige Amt besonders wichtig, weil dieser Haushalt
einen hohen dollarkursabhängigen Ausgabenanteil im
Ausland hat und somit parallel zum Anstieg des Dollar-
kurses eine zunehmende Unterdeckung bei den Betriebs-
ausgaben entsteht – mit fatalen Folgen. Der Rückgriff auf
noch vorhandene überjährige Ausgabereste würde spezi-
ell Investitionstitel treffen – das würde das verstärken,
was Sie, Herr Kampeter, beklagen; das wollen auch wir
nicht – oder aber es würden Kürzungen im politischen Be-
reich notwendig, die wir auch nicht wollen.

Ein weiterer Grund für die Aufstockung des Haushalts
ist neben dem gestiegenen Dollarkurs das Ansteigen der
Pflichtbeiträge an internationale Organisationen. Auch
das ist eine Folge des Dollarkurses. Das war schon Thema
bei der letzten Haushaltsdebatte.

Aufgrund von Mehrbedarf durch neue oder auch ver-
längerte Missionen der VN sind im Regierungsentwurf
zunächst 420 Millionen Euro angesetzt worden. Das
wurde im Parlamentsverfahren auf 458 Millionen Euro
oder 896 Millionen DM, also eine knappe Milliarde DM,
erhöht. Rechnet man alle regulären internationalen
Beiträge zusammen, dann beläuft sich dieser Batzen so-
gar auf runde 1,1 Milliarden DM, das heißt auf 27 Prozent
des Gesamthaushalts des Auswärtigen Amtes oder auf




Uta Titze-Stecher

20095


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immer noch 75 Prozent der Mittel in Kapitel 0502 „All-
gemeine Bewilligungen“, in dem die politischen Aufga-
ben zusammengefasst werden. Das ist eigentlich ein Di-
lemma. Der auswärtige Etat sieht einigermaßen
passabel aus – etwas über 4 Milliarden DM –, aber
wenn man genau hinguckt, dann stellt man fest, dass ein
knappes Drittel für Pflichtaufgaben benötigt wird. Das
heißt im Umkehrschluss, dass die Manövriermasse für
politische Aufgaben sehr, sehr gering ist und immer ge-
ringer wird.

Im Kapitel „Allgemeine Bewiligungen“ haben wir ein-
vernehmlich die Mittel für gesellschaftspolitische Maß-
nahmen der politischen Stiftungen um 1,5 Millionen DM
erhöht, um nicht nur die Fortführung der von den Stiftun-
gen geleisteten außerordentlich guten politischen Arbeit
zu stabilisieren, sondern um vor allem auch den politi-
schen Aufbauprozess in Mazedonien abzustützen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Gerade die Stabilisierung dort im Rahmen einer konflikt-
präventiven Strategie ist ein gutes Beispiel dafür, dass die
Konfliktprävention ein Leitprinzip deutscher und interna-
tionaler Mazedonien-Politik ist.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die am 16. November nach wochenlangem Hin und
Her durch das mazedonische Parlament beschlossenen
Verfassungsänderungen stellen eine wichtige Grundlage
für das künftige friedliche Zusammenleben der slawi-
schen und albanischen Bevölkerungsteile in Mazedonien
dar und sind insofern auch eine Legitimation für das haus-
hälterische Gebaren.

Dieser Erfolg ist nicht ausschließlich der Einsicht der
Betroffenen zu verdanken, sondern vor allem dem ent-
schlossenen internationalen Engagement, nicht zuletzt
aber auch dem Bundeswehreinsatz, der entscheidend zur
Deeskalation beigetragen hat.


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


Ich weiß, es ist einigen nicht leicht gefallen, aber die lange
umstrittene Parlamentsentscheidung im Fall Mazedonien
konnte nur erreicht werden, weil der Einsatz der Bundes-
wehr konfliktbewältigend gewirkt hat. Es bleibt zu hof-
fen, dass das innerethnische Zusammenleben dank weite-
rer finanzieller Hilfe weiter unterstützt durch den
Stabilitätspakt sowie das Stabilisierungs- und Assoziie-
rungsabkommen der EU gelingt.

Wir wissen nicht erst seit der Bereitstellung von
300 Millionen DM jährlich für den Stabilitätspakt in
Südosteuropa, dass Frieden seinen Preis hat, besonders,
wenn er erst geschaffen werden muss, wie aktuell in
Afghanistan.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist richtig!)


Insofern ist der Bedarf für internationale Maßnahmen auf
dem Gebiet der Krisenprävention, Friedenserhaltung und
Konfliktbewältigung immens und immer höher als das,

was schließlich etatisiert wird. Wir sind bei der Bewäl-
tigung der finanziellen Lasten ja auch nicht allein auf
der Welt.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Trotzdem möchte ich darauf hinweisen, dass die Mittel

für diesen Bereich – dasselbe gilt für den Titel „Huma-
nitäre Maßnahmen“ – im letzten Jahr, also gültig für die-
ses Jahr, im parlamentarischen Verfahren um jeweils rund
20 Millionen DM erhöht wurden. Das hat der Finanzmi-
nister immerhin akzeptiert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Er hat die Mittel verstetigt – das muss man wirklich ge-
bührend loben –, wenn auch auf einem um jeweils etwa
5 Millionen DM etwas abgesenkten Niveau.

In Richtung Finanzministerium möchte ich sagen: Für
uns als Parlamentarier ist das nur erträglich, weil im An-
titerrorpaket, das über 3 Milliarden DM Finanzmasse
verfügt, Kompensation für das Auswärtige Amt zu erwar-
ten ist. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass
die Krisenentwicklung nach den Terroranschlägen vom
11. September dieses Jahres auch das Auswärtige Amt vor
völlig neue Herausforderungen stellt. Diese Herausforde-
rungen hinterlassen nicht nur im Bundeshaushalt Spuren,
sondern auch im Auswärtigen Amt. Wir als Haushälter
haben diese 3 Milliarden DM im Einzelplan 60, Allge-
meine Finanzverwaltung, etatisiert.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das war sachlich falsch, Frau Kollegin!)


– Das war sachlich richtig, weil wir den Mittelabfluss
beobachten müssen, weil wir sehen müssen, ob mit dem
Geld auch das getan wird, was wir damit verbinden.

50 Prozent sind für militärische Sicherheit vorgesehen.
Das Auswärtige Amt erhält aus dem 3-Milliarden-Paket
225 Millionen DM, wovon es die Hälfte für die Verbesse-
rung des Personen- und Objektschutzes in gefährdeten
Auslandsvertretungen verwendet. Das, was Sie monieren,
wird getan, Herr Kampeter.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Völlig unzureichend, Frau Kollegin!)


Ihre Kritik geht ins Leere. Ich muss nicht jede Auslands-
vertretung sichern, sondern nur die gefährdeten. Die Be-
obachtungen der Botschafter vor Ort sind wohl authen-
tisch.

Die zweite Hälfte der Mittel aus dem Antiterrorpaket
für das Auswärtige Amt dient der Verstärkung politischer
Maßnahmen, speziell im humanitären Bereich, auf dem
Gebiet der Terrorismusprävention und Terrorismus-
bekämpfung, zum Aufbau und zur Verbesserung der Be-
ziehungen zur islamischen Welt, Stichwort „Dialog und
Begegnung mit dem Islam“ und auch – das ist ausdrück-
lich im Maßnahmenpaket angemerkt – zur Anhebung der
Pflichtbeiträge und freiwilligen Leistungen für Missionen
und Projekte der OSZE. Ferner ist die Unterstützung
für internationale Maßnahmen zur Krisenprävention,
Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung genannt.




Uta Titze-Stecher
20096


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Ich erwarte daher, dass das Auswärtige Amt aus diesen
Mitteln die Arbeit von international agierenden Organisa-
tionen und Einrichtungen wie IKRK, Unicef, UNHCR
und UNRWA, das Flüchtlingswerk für palästinensische
Flüchtlinge unter dem Schirm der UNO, – ich erspare mir
die ganze Latte, Sie kennen die Organisationen – unter-
stützt, sodass die Maßnahmen dieser Organisationen
durch die politischen Ausgaben des Antiterrorpaketes ver-
bessert werden können.

Wir Berichterstatter für den Einzelplan 05 werden den
Mittelabfluss im Verlauf des Haushaltsvollzugs genau-
estens beobachten und uns durch regelmäßige Berichte
informieren lassen. Denn eines muss klar sein: Die Mittel
für die militärische Aktion, das heißt für die Bereitstellung
von deutschen Streitkräften bei der Unterstützung der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen
die USA, müssen in einem gesellschaftlich akzeptablen
Verhältnis zu den Mitteln stehen, die der Abwendung
humanitärer Katastrophen und dem Wiederaufbau
Afghanistans nach über zwei Jahrzehnten Krieg und
Zerstörung dienen.


(Beifall bei der SPD)

Sonst werden Sie Akzeptanzschwierigkeiten nicht nur in
diesem Land bekommen.

Die militärischen Mittel sind aus unserer Sicht unver-
zichtbar und die Grundvoraussetzung für einen Erfolg der
humanitären und politischen Bemühungen, Mazedonien
als Modell. Aber sie müssen in einen umfassenden huma-
nitären und politischen Zusammenhang eingebettet wer-
den. Insofern ist es richtig, wie heute die „Süddeutsche
Zeitung“ schreibt – ich zitiere eine Schlagzeile –, „im
Frieden zu planen, während der Krieg tobt“. So viel zur
Konferenz in Bonn.

Im Zusammenhang mit den entsetzlichen Terror-
anschlägen vom 11. September ist vieles geschrieben und
gesprochen worden, hier im Plenum, in den Medien, auf
Parteitagen, in Amerika. Man mag manche Aussprüche,
Analysen, Schlussfolgerungen und Perspektiven teilen
oder nicht teilen: Eines aber ist allen bewusst geworden:
Wir leben in einer Welt und kein Land ist unverwundbar,
auch nicht der große Sieger des Kalten Krieges. Der in-
ternationale Terrorismus ist eine Herausforderung für die
Politik, für das Militär, für die Justiz, nicht zuletzt für die
Kultur, für uns alle.

Die notwendige Bekämpfung weltweit operierender
terroristischer Netzwerke erfordert aber im Gegenzug ein
Netzwerk der internationalen Staatengemeinschaft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daher ist die Stärkung der Vereinten Nationen das Gebot
der Stunde und die eigentliche Schlussfolgerung aus dem,
was sich ereignet hat. Die Vereinten Nationen sind näm-
lich die einzig legitimierte und akzeptierte Instanz zum
Schutz von Frieden und Sicherheit in der Welt; sie bleiben
für die Lösung der globalen Probleme unverzichtbar.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Vereinten Nationen ersetzen kein Ordnungs-

system. Ich hoffe, dass die durch die Selbstverweigerung

der USAbisher entwerteten UN in eine neue Lage versetzt
werden. Die UN könnten mit Unterstützung der USA als
Ort des Ausgleichs und des Kompromisses an Wert, Ge-
wicht und Einfluss zunehmen. Ein Schritt auf diesem Weg
wäre sicherlich die Anerkennung eines Internationalen
Strafgerichtshofs durch die USA.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)


Anders als es in den USAvielleicht öffentlich bewusst ge-
macht worden ist, könnte sich dieser bisher abgelehnte
Gerichtshof zu einem wertvollen Instrument der Terroris-
musbekämpfung entwickeln. Das wäre eine Chance, den
internationalen Terrorismus zu ächten.

Ein Wort zur aktuellen Afghanistan-Konferenz. Ich
denke, dass Bonn bewusst als Ort für die Afghanistan-
Konferenz gewählt worden ist.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das hoffen wir, Frau Kollegin!)


Seitens der Staatengemeinschaft verknüpft sich diese
Wahl möglicherweise mit der Erwartung, dass Deutsch-
land ein ganz besonders engagierter Partner ist, wenn es
darum geht, die in Bonn hoffentlich zustande kommenden
innerafghanischen Vereinbarungen bezüglich der politi-
schen Prozesse abzustützen.

Ich halte es daher für eine gute Entscheidung, dass der
UN-Beauftragte für Afghanistan, Lakhdar Brahimi, aus-
gerechnet nach Deutschland eingeladen hat. Herr Bun-
desaußenminister, ich möchte Sie bei dieser Gelegenheit
für Ihr Engagement in dieser Sache – dasselbe gilt für Ihre
Vermittlung im Palästina-Konflikt – ausdrücklich loben
und ich bedanke mich im Namen der Parlamentarier.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420404900
Frau Kollegin,
denken Sie bitte an die Zeit.


Uta Titze-Stecher (SPD):
Rede ID: ID1420405000
Ich sehe es.
Im Moment ist es allerdings mit Blick auf den begin-

nenden Winter ganz wichtig, die zur Verfügung stehenden
Mittel – es sind genug da – den hungernden und frieren-
den Flüchtlingen zu bringen. Deshalb hat Deutschland,
das den Vorsitz der Afghanistan Support Group hat, zu
einem neuen Treffen Anfang Dezember in Berlin einge-
laden.

Zum Thema „Bekämpfung des Terrorismus in den
Köpfen durch Dialog“ möchte ich Sie, Frau Präsidentin,
zitieren, und zwar ohne dass es mir auf die Redezeit an-
gerechnet wird.


(Heiterkeit)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420405100
Präsidentinnen
sind aber in Zeitfragen nicht bestechlich und auch sonst
nicht.




Uta Titze-Stecher

20097


(C)



(D)



(A)



(B)



Uta Titze-Stecher (SPD):
Rede ID: ID1420405200
Sie gehen davon aus, dass
die zweite, dritte und vierte Generation der Terroristen be-
sonders gefährlich sind. Auf Deutsch: Der Terrorismus in
den Köpfen – es geht um die Bekämpfung von Feind-
bildern – muss angegangen werden. Dazu wird die Kolle-
gin Leonhard in ihren Ausführungen detailliert Stellung
nehmen.

Am Schluss – das ist meine letzte Rede zum Etat des
Außenministers – bedanke ich mich bei allen, die dazu
beigetragen haben, dass die Haushaltsberatungen für
uns nicht nur erträglich, sondern ersprießlich waren. Ich
bedanke mich insbesondere bei unseren Mitarbeitern in
den Büros, bei den Mitarbeitern des Haushaltsausschuss-
sekretariats, bei den Verantwortlichen im Auswärtigen
Amt sowie im Bundesfinanzministerium und nicht zuletzt
bei den Kolleginnen und Kollegen für die kooperative
Zusammenarbeit. Ein Extradank geht an den erkrankten
Kollegen Frankenhauser.

Wie ich sehe – ich weiß, was jetzt kommt –, möchte ein
Kollege etwas zum Thema Goethe-Institute sagen. Wir
werden auch für die Probleme auf diesem Gebiet eine
kooperative Lösung finden.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich denke, der Beifall ist gerechtfertigt. Ich bitte um

Zustimmung zum Etat des Außenministers.

(Heiterkeit im ganzen Hause – Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420405300
Jetzt kommt die
eben angedeutete Kurzintervention. Das Wort hat der Kol-
lege Lammert, bitte.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1420405400
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau
Titze-Stecher, ich möchte unseren Dank für die gute Zu-
sammenarbeit, die es in diesem Bereich über viele Jahre
hinweg gegeben hat, mit dem Appell verbinden, bei der
Bewältigung eines Problems mitzuhelfen, woran wir, wie
ich glaube, gemeinsam ein herausragendes Interesse ha-
ben müssen.

Es hat in der Bereinigungssitzung des Haushaltsaus-
schusses – ganz offenkundig weitgehend unbemerkt von
den Berichterstattern, jedenfalls nicht mit ihrer ausdrück-
lichen Zustimmung – eine Absenkung des Betriebsmittel-
haushalts des Goethe-Instituts gegeben, die man bei
freundlicher Interpretation für eine bedauerliche Panne
und bei weniger freundlicher Interpretation für einen
peinlichen Wortbruch halten könnte. Aufgrund der Fusion
eingesparte Personalmittel werden nämlich nicht für eine
Verstärkung der Programmarbeit des Goethe-Instituts be-
reitgestellt.

Die Erklärung, die auf Bitte von Berichterstattern in
den letzten Tagen vom Finanzministerium zur Verfügung
gestellt worden ist, kann insofern nicht beruhigen und
nicht zufrieden stellen. Wenn Sie, Herr Diller, schreiben,
dass die Absenkung des Betriebsmittelansatzes von
119,8 Millionen Euro auf 119,4 Millionen Euro die Arbeit
des Goethe-Instituts „nicht über Gebühr beeinträchtigen“

werde, dann wird man dem schwerlich widersprechen
können. Nur war es unsere erklärte Absicht, die Arbeit des
Goethe-Instituts nicht nur nicht zu beeinträchtigen, son-
dern nachhaltig zu fördern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es würde nicht schaden, wenn diese einvernehmliche Ab-
sicht des Deutschen Bundestages auch im Finanzminis-
terium mit dem nötigen Respekt zur Kenntnis genommen
würde.

Frau Präsidentin, ich habe sämtliche einschlägigen
Protokolle bei mir. Vom gemeinsamen Kommuniqué von
Goethe-Institut und Inter Nationes vom 11. August 1999
über das Eckdatenpapier, das unter Hilfestellung der
zuständigen Ressorts erstellt worden ist, über die Be-
schlussvorlagen für die jeweiligen Mitgliederversamm-
lungen, ohne deren Zustimmung eine solche Zusammen-
legung gar nicht hätte erfolgen können, über unsere
Nachfragen in den Beratungen des Ausschusses für Kul-
tur und Medien bis hin zu den übereinstimmenden Aus-
künften der jeweiligen Vertreter der Ministerien haben wir
überall präzise den gleichen Befund. In allen Beschluss-
vorlagen und Beschlüssen heißt es: Voraussetzung für den
Zusammenschluss dieser beiden Institutionen ist, dass
auf diesem Wege eingesparte Personalmittel für eine
Verstärkung der Programmarbeit zur Verfügung gestellt
werden. Herr Bundesaußenminister, beide betroffenen
Einrichtungen haben dies in ihren Beschlüssen zur
Zustimmung zur Fusion ausdrücklich zur Voraussetzung
ihrer Zustimmung erklärt.

Ich selber habe auf einer der letzten Sitzungen des Kul-
tur- und Medienausschusses in Vorausahnung einer sol-
chen möglichen Panne den Vertreter Ihres Hauses darauf
hingewiesen, dass ihm dann Gott gnädig sein möge, falls
die Bundesregierung an dem erklärten Willen dieses Par-
laments vorbei handeln sollte.


(Joseph Fischer, Bundesminister: Das Parlament kann das beschließen!)


– Ich nehme die Mischung aus Zustimmung und Resi-
gnation von der Regierungsbank in der Weise auf, dass
der Bundesaußenminister der Opposition ausdrücklich
dankbar ist, wenn wir ihm helfen,


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Wieder einmal helfen!)


ihm und uns eine solche Peinlichkeit zu ersparen.

(Monika Griefahn [SPD]: Das ist aber diesmal nicht nur die Opposition!)

– Eben drum. Wir haben hier ja eine gemeinsame Posi-
tion.

Genau deswegen haben wir einen Änderungsantrag
vorgelegt, mit dem diese Panne – ich bleibe jetzt einmal
bei dieser freundlichen Interpretation – ausgebügelt wird.
Dazu haben wir keine Stellungnahme gehört.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie haben ihn gerade erst vorgelegt!)







(C)



(D)



(A)



(B)


– Gleichwohl gehen wir, verehrter Kollege Schmidt, so
miteinander um, dass wir uns nicht gegenseitig mit über-
raschenden Anträgen überziehen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420405500
Herr Kollege
Lammert, alles innerhalb von drei Minuten!


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1420405600
Ja, ganz genau.
Deswegen möchte ich die Kollegin Titze-Stecher, die

sich nicht ausdrücklich zu unserem Antrag geäußert hat,
bitten, uns eine Idee darüber zu vermitteln, ob dieser An-
trag mit der Zustimmung auch der Koalition rechnen kann
oder in welcher anderen geeigneten Weise sichergestellt
werden kann, dass der erklärte Wille des Deutschen Bun-
destages vollzogen wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier geht es nicht nur
um die künftige Programmarbeit des Goethe-Instituts.
Hier geht es auch um die Verlässlichkeit des Deutschen
Bundestages


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

und damit um eine der Mindestvoraussetzungen politi-
scher Kultur, für die das Parlament eine besondere Ver-
antwortung hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joseph Fischer, Bundesminister: Wir sollten den Antrag einstimmig annehmen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420405700
Frau Kollegin
Titze-Stecher, bitte.


Uta Titze-Stecher (SPD):
Rede ID: ID1420405800
Herr Kollege Lammert,
da ich diesen Antrag eben erst sehen konnte, aber die
Problematik natürlich schon seit gestern kenne, muss ich
sagen:

Erstens. Es ist richtig, dass wir bei der Fusion von
Goethe-Institut und Inter Nationes eine Fusionsrendite
in Höhe von 11 Millionen DM zugesagt haben, was nor-
malerweise nicht gemacht wird; denn von einer Fusion
erwartet man ja gerade eine Effizienz in Bezug auf Wirt-
schaftlichkeit, also eher Einsparungen. Wir haben das be-
wusst getan und haben gesagt: Wir lassen euch 11 Milli-
onen DM von den zu erwartenden Einsparungen für
Programmarbeit. Insofern ist es natürlich nicht gerade ein
geschicktes Signal, wenn man bei der jetzt erzielten
Fusionsrendite zugreift.

Zweitens muss ich Ihnen aber sagen, dass schon in die-
sem Jahr eine Fusionsrendite von 1,5 Millionen DM
erwirtschaftet wird und diese aufgrund eines eigenen
Haushaltsvermerks – auch ein Entgegenkommen des
Bundesfinanzministers – beim Goethe-Institut verbleiben
darf. Wenn man nun von den auch im nächsten Jahr wie-
der erwarteten 1,5 Millionen DM rund 800 000 DM ab-
zweigt, dann wird das Goethe-Institut bei einem Etat für
Betriebsmittel von 240 Millionen DM nicht Blut und
Wasser schwitzen müssen. Da wir aber im Wort stehen
– insofern treffe ich mich wieder mit Ihnen –, werden wir
Kollegen uns alle gemeinsam um eine Lösung bemühen.

Ich kann mir vorstellen, dass eine Kompensation auch
aus dem politischen Bereich, aus dem 3-Milliarden-Paket,
kommen könnte. – Der Außenminister nickt.


(Zuruf des Bundesministers Joseph Fischer)

– Ja, ich weiß. – Es finden sich darin nämlich nach An-
gabe des Auswärtigen Amtes so schöne Dinge wie „Dia-
log und Begegnung mit dem Islam“, außerdem Zusam-
menarbeit von Kulturinstituten, Goethe-Instituten und
Auslandsschulen. Ich denke, in diesem Titel ist eine ganze
Menge Holz enthalten. Wir werden da wahrscheinlich
eine akzeptable Lösung finden.

Herr Fischer ist in dieser Frage von uns, dem Parla-
ment, abhängig. Deswegen kann sein Nicken nur gedeu-
tet werden als „Ich bin erfreut“, aber er kann es nicht ent-
scheiden.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420405900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Werner Hoyer.


Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1420406000
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Gerne werde ich mich im
Laufe meines Beitrages an diesem nachgeholten Be-
richterstattergespräch beteiligen, weil auch ich mir bezüg-
lich dieser Frage natürlich Sorgen mache. Ich möchte
trotzdem zunächst einen politischen Einstieg wählen.

Spätestens in den letzten zehn Wochen haben wir ge-
merkt, dass Außenpolitik wieder Konjunktur hat. Es hat
ja eine ganze Zeit lang so ausgesehen, als wäre die Außen-
politik so eine Art Sonderthema ohne große innenpoliti-
sche Relevanz, das in Luxusausschüssen behandelt
würde. Das ist anders geworden: Nie waren die Schnitt-
stellen zwischen Außen- und Innenpolitik, speziell zwi-
schen äußerer und innerer Sicherheit,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das muss gerade auch in der Haushaltsdebatte gesagt werden!)


nicht zuletzt auch zwischen Außenpolitik, Außenwirt-
schaftspolitik und Binnenwirtschaft so deutlich wie zur-
zeit. Und das ist auch gut so.

Überzogene Erwartungen für eine friedliche Welt – die
haben wir ja alle mehr oder weniger nach 1990 gehabt –
sind nun brutal korrigiert worden. Die Einschläge kom-
men näher; das spüren die Bürgerinnen und Bürger. Des-
wegen hat Vertrauen in außen- und sicherheitspolitische
Handlungsfähigkeit und Kompetenz plötzlich wieder ei-
nen hohen Stellenwert. Natürlich – das haben wir heute
Morgen debattiert – heißt das nun keineswegs, dass die
lieben Kolleginnen und Kollegen von der Koalition und
vor allem in der Regierung nicht bald wieder von den Bin-
nenthemen eingeholt würden. Dazu ist die Bilanz auf dem
Gebiet der Arbeitslosigkeit, bei Wachstum und Stabilität
einfach zu katastrophal.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Dr. Norbert Lammert

20099


(C)



(D)



(A)



(B)


Aber nach dem 11. September werden Außen- und Si-
cherheitspolitik und, wie ich hoffe, auch Europa- und Ent-
wicklungspolitik auf der Themenrangliste nicht wieder so
sehr abrutschen, wie es eine Zeit lang gedroht hat. Das soll
der FDP nur recht sein. Seit Walter Scheel, Hans-Dietrich
Genscher und Klaus Kinkel wird außenpolitische Kom-
petenz auf das Engste mit der FDP verbunden. Das wird
so bleiben und das werden wir nutzen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In einer Krisensituation wie nach dem Desaster von
NewYork undWashington schlägt die Stunde der Exeku-
tive. Sie hat diese genutzt.Abgesehen von der PDS hat die
Opposition, ganz sicher wir Liberalen, sie dabei unter-
stützt. Wir haben dies aus voller Überzeugung getan: zum
einen, weil der Terroranschlag vom 11. September einAn-
schlag auf die Grundwerte der gesamten freien Welt war,
dem man nun auch entschlossen und geschlossen entge-
gentreten muss; zum anderen, weil dies auch nicht die
Stunde kleinkarierter parteipolitischer Taktiererei war und
ist. Insofern hat der Bundeskanzler zunächst einmal Glück
gehabt. Aber nicht nur die wirtschaftlichen Realitäten
werden ihn einholen, sondern auch die strukturellen Defi-
zite seiner Regierung; denn die sind ja durch das Kri-
senmanagement der letzten Wochen nicht plötzlich ver-
schwunden, sie sind eher noch deutlicher geworden.

Da ist der Verteidigungsminister, dem in diesem
Sommer sein „sound judgement“, sein gesundes Urteils-
vermögen, abhanden gekommen ist. Die Herausforderun-
gen der letzten Wochen haben ihn im wahrsten Sinne des
Wortes zunächst einmal über Wasser gehalten. Aber in ei-
ner Phase, in der die Soldaten der Bundeswehr mögli-
cherweise in den gefährlichsten Einsatz ihrer bisherigen
Geschichte geschickt werden, ist der Inhaber der Befehls-
und Kommandogewalt nur begrenzt handlungsfähig,


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Stimmt!)


weil er a) nachhaltig Vertrauen und Autorität verloren
hat – und das nicht nur national und innerparteilich, son-
dern auch international –, weil jetzt b) alle Fehler einer
verfehlten und halbherzigen Bundeswehrreform sichtbar
werden und er c) jetzt auch noch das Pech hat, dass Frau
Fugman-Heesing mit ihrem Abgang als Chefin der unse-
ligen GEBB die Finanzierungsillusion zum Platzen ge-
bracht hat, die Herr Scharping im Hinblick auf seinen ka-
tastrophal unterfinanzierten Haushalt möglicherweise
selber noch gehegt hat.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Das schafft doch wieder einen Versorgungsposten für Herrn Runde!)


Als Zweites kommt dem Bundeskanzler dann noch
sein außenpolitischer Berater durch eine Affäre abhan-
den, deren Peinlichkeit und Armseligkeit den Verdacht
nahe legen, dass hier nur ein Tropfen das Fass zum Über-
laufen gebracht hat, das längst randvoll mit Pleiten, Pech
und Pannen war. Armes Deutschland!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die dritte internationale Schwächung haben ihm dann
die Grünen beigebracht. Die Welt hat mit Staunen beob-
achtet, dass die deutsche Handlungsfähigkeit wochenlang
an dem seidenen Faden der Ungewissheit hing, ob es dem
Bundeskanzler mit seiner erpresserischen Verbindung ei-
ner Abstimmung über eine Sachfrage mit dem Stellen der
Vertrauensfrage gelingen würde, einer hinreichendenAn-
zahlgrünerKollegendochnochdasGewissenabzukaufen.

Das heißt doch, dass alle unsere Partner wissen: Jede
weitere außenpolitische Entscheidung von einiger Trag-
weite kann diese deutsche Regierung zum Kippen brin-
gen. Oder gilt für den Rest der Legislaturperiode wirklich
schon die Devise von Ministerpräsident Gabriel aus Nie-
dersachsen: „Die Grünen lassen wir jetzt nicht mehr in der
Voliere fliegen; wir gehen zur Käfighaltung über: Ein
bisschen Flattern dürfen sie noch, aber in der Koalition
bleiben müssen sie schon.“


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Herr Fischer hat seine grünen Truppen in Rostock nur

dadurch an der Fahnenflucht hindern können, dass er die
zentrale deutsche Rolle beim politischen und wirtschaft-
lichen Wiederaufbau Afghanistans in der weltweiten prä-
ventiven Entwicklungspolitik in den Vordergrund gestellt
hat. Aber es ist schon erbärmlich, dass von der Bundes-
luftwaffe – offenbar wieder aus Rücksicht auf grüne Be-
findlichkeiten – deutsche humanitäre Hilfe und militäri-
sches Material für unsere amerikanischen Freunde von
Ramstein gerade einmal bis in die Türkei geflogen wer-
den. Die Reststrecke überlassen wir dann vorsichtshalber
doch lieber wieder den anderen.


(Uta Titze-Stecher [SPD]: Herr Kollege, die Debatte über den Einzelplan 14 ist hinterher!)


Lassen Sie mich zu einigen grundsätzlichen Erwägun-
gen kommen, die mir bei der Analyse der Entwicklung der
Außenpolitik der letzten Monate und Jahre aufgefallen
sind:

Erstens. Wir sind uns in diesem Hohen Hause einig,
dass wir uns nicht auf die militärische Dimension der
Konfliktlösung reduzieren dürfen und wollen. Was uns
Liberale und die Mehrheit des Hauses auf der einen Seite
und die PDS und einen Teil der Grünen auf der anderen
Seite trennt, ist, dass wir der Meinung sind, dass man die
Augen vor der Notwendigkeit, auch militärisch handeln
zu können und repressiv vorgehen zu müssen, nicht ver-
schließen darf.


(Beifall bei der FDP)

Aber der transkulturelle Dialog, eine ganz neue An-

strengung, die festgefahrene Rüstungsbegrenzungs-,
Abrüstungs- und Proliferationspolitik wieder flottzuma-
chen – da höre ich übrigens von dieser Bundesregierung
verdammt wenig –,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

und ein sehr viel größeres Engagement in der Entwick-
lungszusammenarbeit, das muss zweifellos im Vorder-
grund stehen.

All dies weist – Kollegin Titze-Stecher hat zu Recht da-
rauf hingewiesen – den Vereinten Nationen eine bedeu-




Dr. Werner Hoyer
20100


(C)



(D)



(A)



(B)


tende Rolle zu. Viele haben ja schon geglaubt, die Stunde
des Multilateralismus habe endlich geschlagen. Aus dem
sehr besonnenen amerikanischen Verhalten, aus dem ge-
zielten Streben nach einer globalen Antiterrorkoalition
und einem UN-Sicherheitsratsbeschluss und last, but not
least nach dem Begleichen eines Teils der Beitragsrück-
stände der USA haben manche den Schluss gezogen, die
Amerikaner hätten ihr Verhältnis zur UNO und zum Mul-
tilateralismus geändert. Schön wär’s! Ich warne vor die-
ser Interpretation.


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])

Amerika wird sich nach dem tiefsten Schock, der brutals-
ten Verletzung seines Selbstverständnisses und Selbstbe-
wusstseins seit Pearl Harbor von niemandem abhängig
machen. Das ist für uns umso mehr ein Anlass, an der
Stärkung des Multilateralismus zu arbeiten. Wir haben
hier eine andere Interessenlage.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Uta TitzeStecher [SPD])


Das heißt, wir müssen unsere amerikanischen Freunde da-
von überzeugen, dass es in unser aller Interesse liegt, sich
den UN nicht nur dann zuzuwenden, wenn einem gerade
ein Sicherheitsratsbeschluss nützlich erscheinen mag.

Zweitens. Was mich noch mehr beunruhigt, ist die
Konsequenz für die nordatlantische Allianz. Die USA
haben nicht einen Moment daran gedacht, in der gegen-
wärtigen Situation die NATO mit ihren tief integrierten
militärischen Strukturen und mit ihren Potenzialen zu nut-
zen. Aus Sicht der USA mag das verständlich sein, weil
sie 90 bis 95 Prozent der Leistung erbringen müssen. Sie
haben es deshalb nicht besonders gern, wenn die anderen
in ihrer Umständlichkeit auch noch mitreden wollen.

Für uns Deutsche ist die Interessenlage eine andere.
Wir müssen daran interessiert sein, das wichtigste Bünd-
nis, dem wir je angehört haben und das das erfolgreichste
Bündnis in der gesamten Geschichte ist, zu stärken und zu
erhalten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Passen wir auf, dass nach den hoffentlich erfolgreichen
Bemühungen um Afghanistan und gegen den Terrorismus
am Ende das wichtigste und erfolgreichste Militärbündnis
aller Zeiten nicht als Verlierer auf der Strecke bleibt!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Drittens. Ähnliches gilt für die Europäische Union.

Wo war sie eigentlich in den letzten Wochen und Mo-
naten?


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Gute Frage!)


Natürlich ist die ESVP noch nicht da; das weiß ich auch.
Gemeinsames militärisches Handeln ist also noch nicht
möglich. Aber auch politisch war die EU ein ziemlicher
Ausfall. Die Bundesregierung hat dazu durchaus beige-
tragen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Zum einen holen uns die versäumten Reformen von Niz-
za ein. Zum anderen – das ist noch gefährlicher – grassie-
ren das Kontaktgruppensyndrom und die Versuchung, zu
klassischer nationalstaatlicher Machtpolitik in Ad-hoc-
Koalitionen zurückzukehren, wie das die so genannten
Großen – Berlin, Paris und London – so gerne betreiben.

Das unterminiert den europäischen Integrationspro-
zess. Dessen Logik hat immer darin bestanden, die Klei-
nen mit an Bord zu nehmen, damit sie ihre Interessen bei
Fragen einbringen können, bei denen sie sonst aufgrund
ihrer geringeren Machtfülle keine Rolle spielen würden.
Es gehörte zu den wichtigsten Prinzipien deutscher Euro-
papolitik, dieser Logik immer den notwendigen Stellen-
wert einzuräumen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das missglückte Dreiertreffen von Gent


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Dinner for three!)


und der misslungene Versuch, ein weiteres Treffen in
London zu organisieren, haben erheblichen Schaden an-
gerichtet. Wir werden zu Laeken und zur Europapolitik in
der nächsten Sitzungswoche noch ausführlich diskutie-
ren. Deshalb möchte ich es bei diesen Bemerkungen be-
lassen.

Ich möchte aber noch einen Punkt anführen. Wir haben
unter Bauchschmerzen Nizza aus zwei Gründen zuge-
stimmt: Erstens wollten wir nicht einen Funken des Ver-
dachts aufkommen lassen, wir würden denjenigen in die
Hände spielen wollen, die mit der Osterweiterung oh-
nehin nichts im Sinn haben. Zweitens hatten und haben
wir die starke Erwartung, dass von Laeken ein starkes und
sehr konkretes Aufbruchsignal sowohl hinsichtlich der
Reform der Institutionen als auch hinsichtlich der Verfas-
sungsdebatte im Rahmen des Post-Nizza-Prozesses aus-
geht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Hoffen wir, dass die Bundesregierung alles unternimmt,
damit wir nach Laeken nicht schon wieder vor einem
Scherbenhaufen enttäuschter Erwartungen stehen.

Der Bundeskanzler und auch Sie, Herr Bundesaußen-
minister, haben doch völlig Recht: Nach dem 11. Septem-
ber ist Europa wichtiger als zuvor. Wir brauchen mehr Eu-
ropa und nicht weniger. Eine solche Katastrophe wie die
vom 11. September kann auch eine Katalysatorfunktion
haben, indem ein in sich nicht mehr bewegliches System,
das völlig festgefahren ist, plötzlich durch diesen externen
Schock wieder beweglich gemacht werden kann. Nutzen
wir also diesen weiß Gott großen externen Schock!

Vierzehn Minuten erlauben leider keine geschlossene
Tour d’Horizon der Außenpolitik im Rahmen der Haus-
haltsdebatte. Deswegen will ich mich auf zwei Punkte
konzentrieren.

Der erste Punkt ist die auswärtige Kulturpolitik. Ich
bedanke mich für die Bemerkungen, die hierzu schon ge-
macht worden sind. Wir haben den Ansatz der Bundesre-
gierung ganz bewusst an zwei Stellen qualitativ verändert.
Wir haben im Konsens der Berichterstatterinnen und




Dr. Werner Hoyer

20101


(C)



(D)



(A)



(B)


Berichterstatter, für den ich mich insbesondere bei dir,
liebe Uta, bedanken möchte,


(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


die du dort sehr segensreich gewirkt hast, zwei Akzente
gesetzt. Der erste Akzent liegt auf einer stärkeren Interna-
tionalisierung unserer Hochschulen durch eine Stärkung
der Stipendiumprogramme für ausländische Studierende.

Der zweite Akzent bezieht sich auf die Auslandsschu-
len. Die Auslandsschulen sind ein Juwel in unserer Hand.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie sind von größter bildungspolitischer, kulturpoliti-
scher, aber eben auch von friedenspolitischer, außenpoli-
tischer und außenwirtschaftspolitischer Bedeutung. Man-
che von ihnen pfeifen aber aus dem letzten Loch.
Deswegen brauchen wir auf diesem Gebiet eine Offen-
sive. Wir haben hier einen ersten Ansatz entwickelt, für
den ich sehr dankbar bin. Wir müssen weiter vorankom-
men. Wir brauchen in den nächsten Jahren eine große
Initiative zur Stärkung der Auslandsschulen. Sonst wer-
den mehr und mehr Kinder deutscher Diplomaten,
Wirtschaftsvertreter oder Journalisten lieber internatio-
nale Schulen besuchen als unsere eigenen und sonst wird
es mit der Anerkennung der Abschlüsse unserer Aus-
landsschulen noch schwieriger werden.

Zum Goethe-Institut ist eben das Wichtigste gesagt
worden. Das Goethe-Institut hat natürlich kein Monopol
auf auswärtige Kulturpolitik, aber es ist der wichtigste
und der größte Mittler. Eine weitere Schließung von
Goethe-Instituten kommt für uns nicht infrage. Im Ge-
genteil, gerade da, wo wir gegenwärtig Krisen haben,
brauchen wir mehr und nicht weniger Institute.

Aber die eigentliche Sauerei, die hier passiert ist, ist
das Einkassieren der Fusionsrendite durch den Finanzmi-
nister. Ich bin sehr dankbar, dass hier auf den letzten Me-
tern der Versuch gemacht wird – ich hoffe da auf das
Wohlwollen der Koalition –, das noch zu korrigieren. Hier
müssen wir als Parlament unsere Meinung durchsetzen.


(Beifall bei der FDP – Zustimmung bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Mit uns ist ohnehin schon im Zusammenhang mit der Fu-
sion von Goethe-Institut und Inter Nationes übel Schlitten
gefahren worden. Ich denke daran, wie mit uns umgegan-
gen worden ist, als es um die Besetzung der Organe der
Aufsichtsgremien des fusionierten Instituts ging.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Zum Schluss zum Haus selbst. Es ist ein sehr schönes

Haus und es ist verständlich, dass Herr Fischer so sehr um
sein Haus kämpft.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Dieses Haus verlässt niemand gerne; ich weiß, wovon ich
rede. Aber es wäre viel wichtiger, Herr Minister, Sie wür-
den nicht um Ihr Haus, sondern für Ihr Haus kämpfen. Die
wesentlichen Strukturprobleme, gerade im Personalbe-
reich, lösen Sie nicht, wenn Ihr Hauptansinnen ist, sich als

Musterschüler bei der Konsolidierung des Haushalts zu
gerieren. Es gibt kein Haus, in dem so viele Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter – bei denen ich mich für die
Bewältigung ihrer irrsinnig großen Arbeitslast sehr herz-
lich bedanken möchte –


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


mit einer so schlechten Stellenstruktur auskommen müs-
sen. Das war immer so, Herr Fischer. Wir haben aber in
jedem Haushalt, wenn auch in kleinen Schritten, Verbes-
serungen erzielt. Sie verzichten jedoch von vornherein da-
rauf, mit dem Finanzminister zu kämpfen. Das halte ich
für einen großen Fehler.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben seitens des Parlaments ein paar Verbesse-
rungen durchgebracht, aber auch im Haushalt muss dem
Stellenwert des Internationalen und der Außenpolitik
mehr Rechnung getragen werden. Sonst haben Sie ein
Glaubwürdigkeitsproblem nicht nur in Ihrer Menschen-
rechtspolitik und in vielen anderen Politikbereichen, son-
dern auch im eigenen Hause.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420406100
Als
nächster Redner hat der Kollege Helmut Lippelt von
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420406200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
habe mich den Vormittag über und noch mehr bei der letz-
ten Rede gefragt, warum die FDP eigentlich so sauer ist.


(UtaTitze-Stecher [SPD]:Verlobung geplatzt! – Weiterer Zuruf von der SPD: Verschmähte Liebe!)


Herr Westerwelle stolzierte wie ein Storch hier herum und
sprach von „grünen Fröschen“, die er gern an die Wand
werfen, vielleicht lieber noch fressen wolle.


(Ulrich Irmer [FDP]: Er doch nicht! Der Außenminister!)


– Ich zitiere Westerwelle; von ihm kam dieser Spruch.

(Walter Hirche [FDP]: Sie sind doch grün vom Krötenschlucken! – Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Was ist denn das für ein Niveau?)


Dann haben Sie, Herr Präsident, über den „Unterwer-
fungsparteitag“ gesprochen und Sie, Herr Hoyer, haben
von einem seidenen Faden und einem Gewissen, das uns
in Rostock abgekauft worden sei, geredet.

Herr Solms, Sie haben ja unseren Kollegen Oswald
Metzger angesprochen,


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Herr Kollege Lippelt, Sie dürfen den Präsidenten nicht kritisieren! Seien Sie vorsichtig!)





Dr. Werner Hoyer
20102


(C)



(D)



(A)



(B)


sich bei ihm für die schöne Arbeit bedankt und bedauert,
dass Sie ihn nicht mehr sehen. Ich glaube, Sie werden ihn
noch länger sehen, aber mich nach der nächsten Wahl
nicht mehr. Deshalb kann ich zum Schluss ja einmal sa-
gen, was mich bei dieser allgemeinen Einschätzung im-
mer sehr geärgert hat.

Ich habe vor 20 Jahren den zweiten Parteitag der Grü-
nen geleitet, auf dem wir das Friedensmanifest von 1981
verabschiedet haben.


(Zuruf von der PDS: Das waren noch schöne Zeiten!)


– Ihr habt euch nicht weiterentwickelt, deshalb könnt ihr
das jetzt so sagen. – Zentrale Sätze waren: Nicht dem
Osten, nicht dem Westen, sondern untereinander loyal.
– Wir sind loyal nicht zu Regierungen, sondern wir sind
loyal zu Bewegungen. – Dabei dachten wir an Solidar-
nosc, die wir besucht haben, wo ich selten oder eigentlich
nie einen FDP-Abgeordneten getroffen habe, von den an-
deren Parteien durchaus. Wir dachten an die Charta 77,
wir dachten an die russischen Dissidenten. Es ist ja kein
Zufall, dass die grünen Kontakte sehr stark waren.
Warum? Weil wir von einer Situation ausgingen, in der
zwei Militärblöcke, mit hundertfachem Overkill gerüstet,
einander gegenüberstanden, und weil wir wussten, dass
die Raketen, die hier stationiert werden sollten, das, was
sie vorgaben, nicht leisten konnten, nämlich das Land und
die Bevölkerung zu schützen. Denn in dem Moment, in
dem man sie wirklich hätte einsetzen müssen, wären Land
und Volk draufgegangen.

Nun will ich nicht vergangene Streitigkeiten noch ein-
mal führen. Ich will nicht den Streit führen, den Sie vor
20 Jahren mit Vorgängern von mir geführt haben. Eines
will ich Ihnen aber sagen: Sie sollten sehr vorsichtig sein
und, bezogen auf die Grünen, nicht immer sagen, dass
sich bei denen jemand verbiegt und an seinem Sessel
klebt. Nein, wir sind einen sehr konkret nachzuzeichnen-
den Weg von einer Friedensbewegung hin zu einer Frie-
denspolitik gegangen, wie sie heute hier von den Grünen
vertreten wird und wie sie in dem Hause, welchem Sie so
sehr nachtrauern, hoffentlich noch sehr lange vertreten
werden wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Werner Hoyer [FDP]: Jetzt geht es Ihnen besser! – Ulrich Irmer [FDP]: Das musste doch einmal gesagt werden!)


– Ja, das musste gerade Ihnen gesagt werden.

(Walter Hirche [FDP]: Sagen Sie uns doch ein mal etwas über Ihre SPD-Zeit!)

– Mit großem Vergnügen könnte ich dazu etwas sagen;
weshalb denn nicht? Wissen Sie – – Naja, gut.


(Lachen bei der CDU/CSU)

– Ich sage es einmal so: Ich bin gerne in der SPD gewe-
sen und wäre nie in die FDP, die Partei der Besserver-
dienenden, gegangen.


(Zuruf von der FDP: Wir hätten Sie auch nicht gewollt!)


Ich war gerne in der SPD, habe aber auch sehr gerne die
Grünen mitbegründet.

Im vorigen Jahr hat der Kollege Lamers hier bemerkt,
dass der Haushalt 05 leider nur die Hälfte dessen umfasst,
was die Engländer oder die Franzosen für ihreAußenpoli-
tik ausgeben. In Deutschland sind es 0,77 Prozent des Ge-
samtvolumens. Anderorts sind es 1,35 Prozent und
1,31 Prozent. Das ist richtig. Er hat aber vergessen hinzu-
zufügen, dass dieser Haushalt vor zehn Jahren ein Volu-
men in Höhe von 1 Prozent imVerhältnis zum Gesamtvo-
lumen aufwies. Es ist bis zum Eintritt der rot-grünen
Regierung auf genau diesen bedauerlichenWert gesunken.

Ich habe nun nachgerechnet und festgestellt, dass wir
von den 0,77 Prozent jetzt bei 0,87 Prozent angekommen
sind. Wenn ich das umrechne, erkenne ich, dass das einem
Anstieg von 13 Prozent entspricht. Ich bin trotzdem der
Meinung von Herrn Lamers, dass das immer noch zu we-
nig ist. Ich bin auch der Meinung, dass die Außenpolitik
dieses Deutschlands vergleichbar ausgestattet sein muss
wie die Außenpolitik Englands und Frankreichs.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In diesem Jahr wurde ein wesentlicher Anfang gemacht.
Wir hoffen auf die Regierung, die Opposition und unsere
eigenen Fraktionen, damit dieser Anteil in den nächsten
Jahren sukzessive weiter gesteigert wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Anhebung, die wir in diesem Jahr erreicht haben,
geht nur in geringem Umfang auf die Zusatzmittel nach
dem 11. September zurück. Ihre Erhöhung entspricht
mehr den Erwartungen, dass sich Deutschland verstärkt
international engagiert. Der deutsche Außenminister und
die deutsche Diplomatie zeigten sich solchen Erwartun-
gen gewachsen: Ich erinnere an den Fischer-Plan zur Be-
endigung des Kosovo-Kriegs, an den von Deutschland
initiierten Stabilitätspakt, an die vom Außenminister nicht
gesuchte, dann aber entschieden aufgenommene Vermitt-
lungstätigkeit im Nahost-Konflikt und an die intensive
Beteiligung Deutschlands bei der Suche nach einer Post-
Taliban-Lösung, die nun dazu geführt hat, dass Deutsch-
land Gastgeber der ersten Konferenz der verschiedenen
afghanischen Gruppierungen auf dem Petersberg ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich denke, es ist gut, dass Deutschland in der Lage war,

in diesem Jahr mit knapp 100 Millionen DM für die hu-
manitäre Hilfe in Afghanistan ein Viertel der Gesamt-
mittel, die in der EU aufgebracht worden sind, zur Verfü-
gung zu stellen. Ich finde es auch gut, dass der deutsche
Außenminister auf dem Petersberg jetzt 160 Millionen
DM als deutschen Anteil an einer zukünftigen Wiederauf-
bauhilfe für Afghanistan in Aussicht stellen konnte. Dies
alles ist gut und richtig. Wir müssen der Außenpolitik ei-
nen größeren Handlungsspielraum geben; denn wir wis-
sen, dass eine gute Außenpolitik zugleich eine gute Prä-
vention bedeutet und eine gute Prävention zugleich eine
gute Friedenspolitik ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)





Dr. Helmut Lippelt

20103


(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb sollten wir uns alle einig sein, den Etat in Zukunft
weiter aufzubessern, und zwar über das Niveau dieses
Jahres hinaus.

Ich möchte jetzt noch drei Bemerkungen anschließen:
Erstens. Wir erleben gegenwärtig einen tief greifenden

Umbruch derAllianzen. Seit dem Jahr der Gründung der
UN selbst waren sich deren Mitglieder im Sicherheitsrat
noch nie so einig wie jetzt, wo es um die Bekämpfung des
internationalen Terrorismus geht. Deshalb erleben wir un-
ter diesem Stichwort jetzt auch eine Phase entschiedener
Setzung internationalen Rechts. Das sage ich gerne in
Richtung PDS; denn daraus müsste für deren Verhalten ei-
gentlich auch etwas folgen.

Dabei ist die neue Bestimmung der Position Russ-
lands, seine Öffnung zum und seine bewusste Veranke-
rung im Westen, politisch besonders wichtig. Dies ist von
uns allen in der Rede Putins vor dem Plenum des Bun-
destages besonders deutlich wahrgenommen worden.

Dennoch werden wir weiter verlangen müssen, dass
Russland den Krieg in Tschetschenien beendet, und zwar
politisch,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


und ihn nicht dem Stichwort „Bekämpfung des Terroris-
mus“ subsumiert. Der Weg dahin ist jetzt endlich einge-
schlagen worden durch ein erstes Gespräch zwischen dem
Bevollmächtigten Putins und einem Bevollmächtigten des
gewählten tschetschenischen Präsidenten Maschadow.

Wir werden auch darauf bestehen müssen, dass es wei-
ter Pressefreiheit für regimekritische Journalisten gibt.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist doch in allen Staaten dieser Welt eine Selbstverständlichkeit!)


Es darf nicht sein, dass nach der Zerschlagung des Sen-
ders NTV nun auch noch der letzte regimekritische Sen-
der TV-6, bei dem eine Reihe jener kritischen Journalisten
Unterschlupf gefunden hat, zur Schließung gezwungen
wird.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Das ist eine berechtigte Forderung!)


Ich komme zum zweiten Punkt. Wenn die Suche nach
den Hauptverantwortlichen für die Mega-Attentate in
Washington und New York beendet ist, was, wie wir alle
hoffen, bald der Fall sein wird, und die Zerschlagung der
Terrororganisation al-Qaida gelungen ist, wird in den
USA die Diskussion über die Komplizenschaft des iraki-
schen Diktators immer lauter werden. Wer die in der
Presse zutage tretenden Indizien nicht überliest, wird un-
schwer feststellen können, dass sich die Beweise dafür
häufen. Da aber zugleich die politischen Bedenken gegen
eine militärische Intervention im Irak nicht geringer wer-
den, muss jetzt umso intensiver nach einer politischen Lö-
sung gesucht werden, und zwar – dies mit der gebotenen
Vertraulichkeit – über alle zur Verfügung stehenden arabi-
schen und russischen Kanäle.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Während sich nämlich der Iran in die Antiterrorkoalition
einbringt und Libyen den Weg aus früherer Verstrickung
in die Förderung terroristischer Aktivitäten zu neuer in-
ternationaler Verbindlichkeit und Glaubwürdigkeit sucht,
hat Saddam Hussein erneut Inspektionen bei Aufhebung
der gegen sein Land verhängten Sanktionen abgelehnt.

Ich denke, im Rahmen der deutschen und auch der eu-
ropäischen Diplomatie müssen alle Kanäle genutzt wer-
den, bevor wir vor der Frage stehen, ob wir auch hier Waf-
fentreue zeigen müssen; dies hat Herr Glos heute früh
bereits gefolgert. Ich denke, da liegt der Unterschied zwi-
schen uns und Ihnen: Sie wissen, dass in den USA über
Somalia und den Irak diskutiert wird, und Ihre erste Frage
ist: Sind wir im weltweiten militärischen Kampf gegen
den Terrorismus auch dabei? Wir hingegen werden inten-
siv nach politischen Lösungen suchen. Wir wollen nicht
den militärischen Weg einschlagen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich denke aber, dies ist ein Problem, das innerhalb der
Koalition gelöst werden muss. Sie sind immer schnell da-
rauf bedacht, mit Ja zu stimmen, und ärgern sich, wenn
wir Ihnen aus bestimmten Gründen Schwierigkeiten ma-
chen, dort zuzustimmen, wo Sie gerne zugestimmt hätten.
Sie sollten hier vielleicht etwas umdenken und eine
größere Nachdenklichkeit über die Art der Mittel, die hier
einzusetzen sind, an den Tag legen.

Meine abschließende Bemerkung möchte ich zu Laeken
machen, wo in zwei Wochen der Europäische Rat zusam-
mentritt. Ich bin Mitglied der Parlamentarischen Versamm-
lung des Europarats. Ich finde es bedauerlich, dass auf der
Agenda für den Konvent und später für die Regierungs-
konferenz zwar die Anhebung der Grundrechte-Charta auf
eine verbindliche Form steht, dass aber nicht der Beitritt der
EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention ansteht.
Ich glaube aber, dass dies zusammen behandelt werden
sollte. Das ist sehr wichtig, damit das Europa der 800 Mil-
lionen, das Europa des Europarats, nicht zu einer anderen
Entität wird als das EU-Europa.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420406300
Das Wort
hat jetzt der Kollege Wolfgang Gehrcke von der PDS-
Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1420406400
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion der PDS wird
den Haushalt des Auswärtigen ablehnen, weil wir weder
mit dem Haushalt selbst noch mit der Grundrichtung der
Außenpolitik einverstanden sind.


(Beifall bei der PDS)





Dr. Helmut Lippelt
20104


(C)



(D)



(A)



(B)


Sofern meine Zeit reicht, werde ich dies im Einzelnen be-
gründen.

Vorweg möchte ich was zur Afghanistan-Konferenz
bei Bonn sagen. Ich hoffe sehr, dass die Afghanistan-Kon-
ferenz ein Erfolg wird. Ich hoffe sehr, dass endlich die
Waffen schweigen, dass mehr Überlebenshilfe in Afgha-
nistan ankommt, dass die Grundlagen für einen berechen-
baren Staat entstehen und dass die Menschen in Afghanis-
tan, insbesondere die afghanischen Frauen, eine neue
Chance bekommen.


(Beifall bei der PDS)

Ich sage dies, gerade weil ich weiß, dass ein Erfolg der

Konferenz als Argument gegen meine Kritik an dem
Krieg benutzt werden wird – wie ich finde, fälschlicher-
weise –:


(Beifall bei der PDS)

für friedliche Lösungen alles, für kriegerische Lösungen
nichts.

Ich verbinde dies mit der Forderung an die Bundesre-
gierung, dafür einzutreten, dass nicht die Bilder vom
Krieg gegen Afghanistan – noch immer wird Krieg ge-
führt – durch neue Kriegsbilder aus dem Irak, aus Soma-
lia oder aus anderen Ländern ersetzt werden. Ich würde
sehr gern den Bundeskanzler heute Vormittag so verstan-
den haben, dass er weitere militärische Aktionen – auch
gegen den Irak oder Somalia – ausschließt. Zurückhaltend
waren seine Bemerkungen; ausgeschlossen hat er es nicht.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Das haben Sie richtig bemerkt, Herr Kollege!)


Ich möchte, dass die Regierung hier klipp und klar erklärt,
dass sie weitere kriegerische Aktionen und die Teilhabe
der Bundeswehr an solchen Aktionen ausschließt.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Das kann er doch gar nicht! – Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch in dem Beschluss schon ausgeschlossen!)


Ich meine, dass kann man von einer außenpolitischen De-
batte erwarten.


(Beifall bei der PDS)

Außenminister Fischer – jetzt lassen Sie uns über

Grundrichtungen reden – sprach auf der Generalver-
sammlung der Vereinten Nationen davon, dass die Welt-
politik neu ausgerichtet würde. Er sprach von einer Ord-
nungspolitik für das 21. Jahrhundert und von der
Notwendigkeit einer Weltinnenpolitik.Wenn es stimmt,
dass es um eine Neuausrichtung der Weltpolitik geht – da-
ran habe ich keinen Zweifel –, muss man doch wohl hier
im Bundestag darüber reden und diskutieren, in welche
Richtung die Neuordnung derWelt gehen soll und wel-
ches der spezifisch deutsche Beitrag dazu ist.


(Uta Titze-Stecher [SPD]: Das war aber in seiner Rede enthalten!)


Soll es in die Richtung der Vorherrschaft des Politi-
schen vor dem Militärischen gehen? Dann bin ich einver-
standen. Soll es in die Richtung des Ausgleiches, der Ko-

operation, der sozialen Gerechtigkeit gehen? Das wäre
eine europäische Handschrift nach dem Willen der PDS.


(Beifall bei der PDS)

Oder sollen nach wie vor militärische Lösungen vor poli-
tischen Lösungen stehen? Soll nach wie vor das Recht des
Stärkeren über der Stärke des Rechts stehen?


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Ich glaube, dass diese Fragen hier beantwortet werden
müssen.

Dass es nur die eine Welt gibt, ist eine Binsenweisheit.
Aus meiner Sicht ist aber fraglich, ob diese Welt immer
näher zusammengerückt ist. Mir scheint, dass die Klüfte
in dieser einen Welt tiefer, schroffer und unversöhnlicher
geworden sind.

Die These von der Weltinnenpolitik halte ich für ganz
gefährlich. Wenn man dieser These einer Weltinnenpoli-
tik unter den heutigen Bedingungen folgen würde, wür-
den militärische Aktionen zu Polizeiaktionen. Dann
würde die Frage aufzuwerfen sein, welches die Ord-
nungsmächte dieser Welt sind. Die Ordnungsmächte sind
nach der Realität die großen wirtschaftlichen und mi-
litärischen Mächte, man könnte auch sagen, die G 8 und
insbesondere die USA, die dann sozusagen die Weltregie-
rung bilden. Ich glaube, wer heute die These der Weltin-
nenpolitik aufstellt, verbaut den Weg für kooperative Lö-
sungen.


(Beifall bei der PDS)

In diesem Zusammenhang muss man sich auch mit

dem auseinander setzen, was Bundeskanzler Schröder in
seiner Regierungserklärung vom 11. Oktober 2001 aus-
geführt hat. Er sprach von einem neuen Selbstverständnis
der deutschen Außenpolitik. Das passt zusammen: neue
Weltordnung, neue deutsche Außenpolitik. Schröders Ge-
dankenfolge war: Die Nachkriegsgeschichte ist abge-
schlossen. Damit sind auch alle Deutschland betreffenden
Selbstbeschränkungen hinfällig. Jetzt wird von Deutsch-
land mehr als sekundäre Hilfsleistung erwartet, nämlich
weltweite direkte Beteiligung an militärischen Aktionen.

Die Rolle Deutschlands in der Nachkriegsgeschichte
hat Franz Josef Strauß einmal so beschrieben: ökono-
misch ein Riese, militärisch ein Zwerg. Weil der Bundes-
kanzler die neue Rolle Deutschlands in der Welt – er
spricht von Deutschland als großer Macht, dann könnte
man wohl auch sagen: Deutschland als Großmacht – an
den militärischen Fähigkeiten zum weltweiten Engage-
ment festmacht, ist das Militärische eben nicht das lästige
Beiwerk, sondern ein zentraler Punkt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, was
wäre, wenn Strauß dies noch hätte erleben können? Diese
neue Rolle Deutschlands in der Welt, ökonomisch und mi-
litärisch ein Riese, kann aus meiner Sicht nicht die
Grundlinie deutscher Außenpolitik sein.


(Beifall bei der PDS)

Strauß allerdings hat diesen Satz nationalstaatlich ge-
meint. Schröder hat dies mit Vorherrschaft und Stärke in
Europa, in internationalen Organisationen übersetzt. Das
ist ein bedeutsamer Unterschied. Dieser darf nicht




Wolfgang Gehrcke

20105


(C)



(D)



(A)



(B)


verkleistert werden. Deswegen gab es die Zustimmung
zur neuen NATO-Strategie und zum Konzept der welt-
weiten Intervention. Deswegen gab es diese Reform der
Bundeswehr. Darüber wird noch zu streiten sein. Deswe-
gen gab es diesen Begriff der uneingeschränkten Solida-
rität mit den USA.

Wir sollten nicht weiter über Absichten, sondern über
Interessen reden. Ich finde Interessen konkreter. Die USA
brauchen militärisch das Engagement Deutschlands nicht.
Wir haben wenig, was die USA nicht haben. Sie wollten
dieses Engagement, um Deutschland politisch in diesen
Prozess einzubinden. Es wäre umgekehrt die Frage zu
stellen, warum sich Deutschland so leicht hat einbinden
lassen. Wenn man Einfluss daran festmacht, dass man mi-
litärisch mitmacht und glaubt, darüber Einfluss nehmen
zu können, wenn man das als die neue Rolle in der Welt-
politik sieht, dann muss man sich an solchen Aktionen be-
teiligen, um sich weltweit engagieren zu können und mit
den Großen der Welt mitzuspielen. Das ist die Konse-
quenz der außenpolitischen Linie, wie die Bundesregie-
rung sie entwickelt hat.

Also sind es keine Differenzen in einzelnen Fragen zu
diesem oder jenem Problem, obwohl diese gewichtig ge-
nug sind, sondern es sind politisch ganz unterschiedliche
Grundrichtungen. Nicht die Frage, ob Deutschland eine
große Macht ist, ist entscheidend. Aus meiner Sicht ist
Deutschland natürlich eine Großmacht. Wichtig wäre für
mich, in welcher Richtung Deutschland seine Stärke in
diesen weltweiten Auseinandersetzungen einsetzt. Ich bin
dafür, dass dort mit einer europäischen Handschrift ge-
schrieben wird.


(Beifall bei der PDS)

Europa ist mehr sozialerAusgleich und nicht Neolibe-

ralisierung.EuropamusswiederAbrüstungunddasPrimat
des Zivilen sein. Europa muss insbesondere eine Koope-
ration mit den benachteiligten Teilen der Welt, mit Län-
dern, die weitestgehend abgeschrieben sind, betreiben.


(Beifall bei der PDS)

Das ist etwas anderes als die Grundlinie der Außenpolitik
der USA. Wenn man sich mit dem Versprechen der un-
eingeschränkten Solidarität an die USAkettet, dann bleibt
man angebunden.

Lassen Sie mich abschließend ein paar Bemerkungen
zum Haushalt selber machen. Den Haushalt des Auswär-
tigen Amtes kritisiere ich, weil er wiederum gekürzt wor-
den ist. Mehr Bedeutung für Außenpolitik, aber weniger
Geld ist schon eine seltsame Logik. Das muss man erst
einmal zusammenbringen. Das wird auch manche
Schwierigkeiten bereiten.

Die Ausgaben für nicht militärische Ausstattungshilfe,
Minenräumung, Krisenprävention, humanitäre Hilfe,
freiwillige Beiträge für internationale Organisationen sta-
gnieren auf dem ohnehin schon niedrigen Vorjahresni-
veau. Das ist aus meiner Sicht nicht akzeptabel. Nicht ak-
zeptabel sind auch die Kürzungen im Personalbereich.


(Beifall bei der PDS)

Wer gute Arbeit will, muss gutes Geld zahlen und genü-
gend Personal zur Verfügung stellen, sonst bekommt man
das nicht. Das sagen Ihnen die Beschäftigten, die Be-

triebsräte und übrigens auch die deutschen Botschafter im
Ausland.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang, Herr
Kampeter, sagen, was mir an Ihrer Rede nicht gefallen
hat. Sie hat mir insgesamt gar nicht gefallen, aber ein Satz
hat mich besonders gestört. Hier wende ich mich auch an
den Kollegen Hoyer. Man kann über Herrn Steiner im
Auswärtigen Amt sehr unterschiedlicher Auffassung sein.
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich in den drei Jahren,
in denen ich ihn kenne, mit ihm in irgendeiner Frage ein-
mal einer Meinung war. Aber in dieser Art nachtreten,
wenn jemand am Boden liegt, ist menschlich unkorrekt.
Das sollten wir lassen. Das gehört sich nicht. Das ist keine
politische Auseinandersetzung.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Es geht um die Frage der finanziellen Auswirkungen, Herr Kollege!)


Zusammenfassend: Sie haben einen Haushalt der Sta-
gnation vorgelegt. Wenn es sich nur um eine Stagnation
des Geldes handeln würde, wäre es schlimm genug. Aber
Ihr Haushalt ist ein Haushalt der geistigen Stagnation. Das
werden Sie zu verantworten haben.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420406500
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Volkmar
Schultz von der SPD-Fraktion.


Volkmar Schultz (SPD):
Rede ID: ID1420406600
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Nichts wird
mehr so sein, wie es vorher war.“ Kein anderer Satz ist seit
dem 11. September öfter zitiert worden. Es stellt sich aber
die Frage: Stimmt dieser Satz? Stimmt er für die deutsche
Außenpolitik? Basiert nicht die deutsche Außenpolitik
nach wie vor auf zwei zentralen Säulen, nämlich erstens
auf der Idee der Vertiefung und der Ausweitung der euro-
päischen Integration und zweitens auf einer festen, un-
verbrüchlichen transatlantischen Gemeinschaftmit den
USA und Kanada? Das ist wohl so. An diesen Grund-
koordinaten hat sich nichts geändert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP])


Und doch, etwas hat sich schon verändert. Für uns
Deutsche ist mit dem 11. September – Herr Gehrcke hat
darauf nebenbei hingewiesen – die Nachkriegszeit – das
ist deutlich erkennbar – endgültig zu Ende gegangen. Ich
werde in diesen Monaten immer wieder an einen Kinder-
reim erinnert – Herr Hoyer kennt ihn –: „Wie war in Köln
es doch vordem mit Heinzelmännchen so bequem“. Nein,
es gibt in Deutschland keine Heinzelmännchen mehr, die
uns vor den Risiken der Weltentwicklung beschützen und
uns einzig Chancen und Segnungen bescheren. Deutsch-
land kann nur gemeinsam mit den anderen europäischen
Ländern Werte verteidigen und Interessen wahrnehmen.
Wir können es nur gemeinsam mit den amerikanischen
Partnern.




Wolfgang Gehrcke
20106


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Herausforderungen und die Anforderungen an die
transatlantische Gemeinschaft sind globaler Natur. Ich
meine nicht nur den Terrorismus, sondern auch die Armut,
die Überbevölkerung, den Hunger, die Krankheiten, die
Umweltprobleme, die Rechtsstaatlichkeit und globale,
kaum noch zu kontrollierende Wirtschaftsmacht. Es kann
keine wirksamen nationalen Antworten auf globale Fra-
gen geben. Weder Europa noch die USA noch Russland
oder andere große Länder der Erde sind dazu in der Lage.
Der 11. September hat dies deutlich gemacht.

Die Opposition hat in der Vergangenheit häufig ver-
sucht, uns je nach Situation vorzuwerfen, wir würden
das deutsch-französische, das deutsch-englische und
ganz besonders – das haben Sie uns immer wieder vor-
geworfen, Herr Rühe – das deutsch-amerikanische Ver-
hältnis gefährden. Alle Ihre Unkenrufe erweisen sich als
falsch.


(Beifall bei der SPD)

Nie zuvor ist uns Deutschen in den USA eine solche Welle
der Sympathie entgegengeschlagen. Nie zuvor – eine
Ausnahme mag der Zeitraum von 1989 bis 1990 gewesen
sein – ist auch in der politischen Klasse der USA so
anerkennend über die deutsche Außenpolitik und ihre Ak-
teure – das sind vor allem der Bundeskanzler und der Bun-
desaußenminister – gesprochen worden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das bezieht sich keineswegs nur auf den Afghanistan-
Einsatz. Unsere Rolle bei der Erweiterung der euro-
päischen Friedens- und Prosperitätszone, unser En-
gagement auf dem Balkan, unsere Rolle im Verhältnis zu
Russland sowie viele andere Aspekte der deutschen Di-
plomatie und der deutschen Entwicklungspolitik finden
zunehmend Beachtung. Wir sind nicht mehr nur die Pfef-
fersäcke, die ihren Pflichten ausschließlich mit dem
Scheckbuch nachkommen.

Ich kann all diejenigen beruhigen, die glauben, dass die
innerparteilichen Diskussionen in den Koalitionsparteien
unserem Ansehen etwa in den USA geschadet hätten. Die
USA durchlaufen in ihrer Politik – das gilt für alle politi-
schen Strömungen – eine außerordentlich schwierige und
diskussionsreiche Phase. Man hat sehr wohl großes Ver-
ständnis dafür, dass auch die Deutschen vor einer ent-
scheidenden neuen Situation in ihrer Politik stehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Häufig wird das politische Verhältnis zwischen Europa
und Amerika über die Begriffe unilateral und multilateral
definiert. Dahinter stehen unterschiedliche Erfahrungen
im Laufe der letzten 100 Jahre. Auch der 11. September
verändert diese historischen Erfahrungen nicht von heute
auf morgen. Daher warne ich ebenso wie Herr Hoyer vor
der etwas blauäugigen Erwartung, die USA würden seit
dem 12. September eine ausschließlich multilateral aus-
gerichtete Außenpolitik betreiben. Beide Strömungen rin-
gen in Amerika traditionell miteinander. Durch unser En-
gagement haben wir aber die Chance, unsere eigene
europäische Erfahrung, also die Vorteile multilateraler

Politikansätze, den Kritikern auch in Amerika vor Augen
zu führen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP])


Vor kurzem hat Chuck Hagel, ein relativ bekannter re-
publikanischer Senator aus dem Auswärtigen Ausschuss,
in einer öffentlichen Rede erklärt – hören Sie gut zu –,
dass die amerikanische Politik mit einer interdependenten
Welt zu wenig vernetzt sei. Die einseitige Sanktionspoli-
tik der USA gegenüber Problemstaaten sei perspektivlos
und falsch gewesen.

Wir sollten aufhorchen und zur Kenntnis nehmen, dass
sich auch im amerikanischen Senat ein Generationswech-
sel abzeichnet. Hinter solchen Einsichten steht die Er-
kenntnis, dass auch das stärkste Land der Erde die Welt
nicht allein regieren kann. Auch die Weltmacht wird sich
einem internationalen Regelwerk unterwerfen müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP])


Ich unterstütze Uta Titze-Stecher, wenn sie sagt, dies gelte
insbesondere für den Internationalen Strafgerichtshof.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP])


Auch auf anderen Politikfeldern hört man ähnliche
Stimmen. Wir Europäer wären mit dem Klammerbeutel
gepudert, wollten wir diese Stimmen überhören, nur um
unsere ach so einfachen und gelegentlich einfältigen Vor-
urteile weiter pflegen zu können.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Das Kompliment geht an die eigene Fraktion!)


– Man spricht im Parlament. Wer auch immer zuhören
möchte, darf gern zuhören.


(Lachen des Abg. Steffen Kampeter [CDU/CSU])


Meine Damen und Herren, die deutsche Außenpolitik
gewinnt an Gewicht und an Stellenwert. Wir müssen uns
– das ist hier schon mehrfach gesagt worden – in Zukunft
mehr um sie kümmern, um es ganz einfach auszudrücken.
Damit meine ich nicht nur das Parlament und den Aus-
wärtigen Ausschuss – Letzterer tut es ja –, sondern auch
die Gesellschaft und die Parteien, das, was man mit dem
Begriff „draußen im Lande“ benennt. Das mag in einem
Parlament und in einer Gesellschaft, die sich traditionell
sehr stark mit innenpolitischen, sozialen und gesell-
schaftlichen Fragen beschäftigt, schwer zu begreifen
sein. Die internationalen Beziehungen haben aber zuneh-
mend sichtbare Auswirkungen auf die Innenpolitik aller
Staaten.

In diesen haushaltspolitisch schwierigen Jahren kön-
nen wir keine opulenten finanziellen Verbesserungen ver-
sprechen. Aber wir Parlamentarier, die häufig in der Welt
unterwegs sind, können den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern in Botschaften, Generalkonsulaten und




Volkmar Schultz (Köln)


20107


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Konsulaten – wo immer sie uns behilflich sind – ein herz-
liches Wort des Dankes sagen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420406700
Als nächs-
ter Redner hat der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Dr. Andreas Schockenhoff (CDU):
Rede ID: ID1420406800
Herr Prä-
sident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundes-
kanzler betont angesichts der Afghanistan-Krise gebets-
mühlenartig die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der
Bundesregierung. Für die Öffentlichkeit und unsere
Bündnispartner offenbart sich diese Berechenbarkeit wie
folgt: Am Dienstag erklärt die Vizepräsidentin dieses Ho-
hen Hauses, Frau Antje Vollmer:

Dem Bundeskanzler kann man in dieser Frage nicht
vertrauen. Er macht den Afghanistan-Einsatz nur, um
von einer katastrophalen Wirtschafts- und Arbeits-
marktpolitik abzulenken.

(SteffenKampeter [CDU/CSU]: Recht hat sie! – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Das ist ja interessant!)


Am Mittwoch kommt Herr Schröder in die Fraktions-
sitzung der Grünen und Frau Vollmer sagt artig: „Herr
Bundeskanzler, ich vertraue Ihnen.“ Am Donnerstag
spricht sich Frau Vollmer im „Stern“ aus Gewissensgrün-
den gegen einen Militäreinsatz in Afghanistan aus. Am
Freitag stimmt Frau Vollmer für den Einsatz der Bundes-
wehr in Afghanistan. Am Samstag lesen wir von Frau
Vollmer in den Zeitungen:

Dieses Ja war eigentlich ein Nein. Manche Entschei-
dungen kann man nur mit Humor und Ironie treffen.

Frau Vollmer, die Entsendung deutscher Soldaten ver-
langt Verantwortung und nicht Ironie.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie haben diese Fragen nicht mit Humor, sondern mit
blankem Zynismus beantwortet.

Wiederum im „Stern“ stand unter der Überschrift „Sie
war gegen den Militäreinsatz und stimmte dann doch
dafür“:

Frau Vollmer, Sie waren vehement gegen die deut-
sche Beteiligung am Afghanistan-Einsatz, haben
aber unter dem Druck des Kanzlers dann doch zuge-
stimmt. Sind Sie eine Umfallerin?

Antwort:
Es ist viel gesiegt worden in den letzten Tagen, aber
die Grünen sind irgendwie nicht dabei, ich auch
nicht.


(Lachen bei der CDU/CSU)


Ich weiß nicht, wer aus Frau Vollmers Sicht gesiegt haben
soll, aber in einem hat sie Recht: Die Grünen haben end-
gültig verloren. Sie haben jede Glaubwürdigkeit verloren,
sie haben ihren selbst erhobenen Anspruch einer höheren
Moral verloren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die erklärten Kriegsgegner in den Reihen der Grünen

haben nach dem bekannten Spielchen „Sie liebt mich, sie
liebt mich nicht“ durchgezählt, wer für die Gesinnung
sein darf und wer für den Machterhalt sein muss. Auf dem
Parteitag der Grünen in Rostock haben sie nach elfstündi-
gem Selbsterfahrungsritual beschlossen: Wir wollen die
rot-grüne Regierung fortsetzen. Dafür nehmen sie unter
Zurückstellung aller pazifistischen Grundsätze sogar in
Kauf, dass die Bundeswehr Wolldecken von der Pfalz in
die Türkei fliegt.


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Sie vor allem immer vertreten, die Pazifisten!)


Der Bundeskanzler nennt das uneingeschränkte Soli-
darität im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
Aber mit dieser Regierung ist Deutschland kein verlässli-
cher Partner in der Allianz gegen den Terror. Während
sich die Vereinigten Staaten und ihre Bündnispartner po-
litisch, diplomatisch und militärisch darauf vorbereiten,
weltweit gegen das Netzwerk des Terrorismus vorzuge-
hen, beschließen die Grünen: Wir wollen nicht, dass der
Krieg in Afghanistan auf andere Länder ausgedehnt wird.

Herr Außenminister, ist das uneingeschränkte Solida-
rität? Ihre Parteifreundin Vollmer macht doch unmissver-
ständlich klar, wie handlungsfähig Sie sind. Auf die Frage
des „Stern“

Wann wäre Schluss? Wenn die Amerikaner in ande-
ren Ländern weitermachen?

antwortet sie:
So verstehe ich die Selbstbindung in der Protokoll-
notiz.

Herr Außenminister, da helfen alle Sprüche nichts. Mit
dieser Koalition sind Sie außenpolitisch beschränkt ein-
satzfähig.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Amerikaner trauen Ihnen noch zu, die Wolldecken

bis in die Türkei zu bringen, aber wenn es darum geht,
Hilfsgüter unmittelbar nach Afghanistan zu schaffen, ver-
lassen sie sich schon nicht mehr auf die rot-grüne Bun-
desregierung. Das machen sie sicherheitshalber selbst.
Warum bringt die Bundeswehr die Überlebenshilfe denn
nicht direkt zu der Not leidenden Bevölkerung? Die Si-
cherung der Grundversorgung der Menschen in Afghanis-
tan ist jetzt der entscheidende Test für die Glaubwürdig-
keit der westlichen Politik.

Auch bei der humanitären Hilfe tragen die USA die
Hauptlast. Herr Außenminister, lassen Sie einmal alle
Rhetorik zum Beispiel im Hinblick darauf, was jetzt ge-
tan werden muss und wie der Post-Taliban-Prozess ausse-
hen könnte, weg und sagen Sie uns einmal ganz einfach:
Was hat die Bundesregierung denn bisher in Afghanistan




Volkmar Schultz (Köln)

20108


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(B)


geleistet? Ich nehme Ihnen Ihre guten Absichten ab. Aber
jetzt kommt der Schnee; wenn nicht schnell gehandelt
wird, kommen wir zu spät.

Stattdessen reden Sie in den letzten Tagen – zu Recht –
ausführlich über die Afghanistan-Konferenz in Bonn. Sie
sehen darin eine neue Wertschätzung der deutschen Poli-
tik. Herr Außenminister, Sie verschweigen, dass damit vor
allem die Erwartung verknüpft ist, die Bundeswehr werde
sich an einer Friedenstruppe in Afghanistan beteiligen.


(Uta Titze-Stecher [SPD]: Das ist damit nicht gesagt!)


Sie sagen zwar, eine solche Sicherungstruppe solle
hauptsächlich von muslimischen Staaten gestellt werden.
Sie wissen aber genau, dass diese, auf sich allein gestellt,
weder militärisch noch logistisch dazu in der Lage sind.
Von den Teilnehmern der Petersberg-Konferenz haben
zwei, nämlich die Königsgruppe und die Nordallianz, be-
reits öffentlich erklärt, deutsche Truppen seien bei einem
robusten Friedensmandat in Afghanistan willkommen.

Herr Außenminister, wir wollen heute von Ihnen wis-
sen, ob die Bundesregierung einem solchen Ansinnen
nachkommt. Wir wollen im Rahmen der Haushaltsbera-
tungen auch wissen, welche Mittel die Bundesregierung
dafür vorgesehen hat.


(Zuruf von der SPD: Vorauseilender Gehorsam!)


Um Deutschland aus der außenpolitischen Sonderrolle
herauszuführen, benötigt diese Koalition einen tragfähi-
gen Konsens und auch die geeigneten Instrumente. Die-
sen Konsens hat sie nicht. Wie weit Worte und Taten aus-
einander liegen, konnten wir einmal mehr am letzten
Wochenende beim deutsch-französischen Gipfel in
Nantes erleben. Der Bundeskanzler hat sich gegenüber
den Briten und den Franzosen wiederholt verpflichtet, ge-
meinsam das militärische Transportflugzeug A 400 M zu
entwickeln und zu beschaffen. Er hat unsere Partner im-
mer wieder mit leeren Worten vertröstet. Deren Geduld ist
am Ende. Sie drohen jetzt damit, amerikanische Trans-
portflugzeuge zu kaufen – und die Bundeswehr fliegt mit
über 30 Jahre alten Transall Wolldecken. Ist das die enge
europäische Kooperation in der Außen- und Sicherheits-
politik, die der Bundeskanzler heute Morgen wieder ein-
mal proklamiert hat? Wann wollen Sie denn mit dieser eu-
ropäischen Zusammenarbeit beginnen, wenn Sie es nicht
jetzt, angesichts der akuten gemeinsamen Bedrohung
durch den islamistischen Terrorismus, tun?

Demnächst werden wir in diesem Hause den Vertrag
von Nizza zu ratifizieren haben. Darin haben die Regie-
rungschefs die europäische Sicherheits- und Verteidi-
gungspolitik noch nicht einmal in den Themenkatalog für
die nächste EU-Reform 2004 aufgenommen. Die EU
braucht eine gemeinsame Außen-, Sicherheits- und
Verteidigungspolitik aber dringender denn je. Wo, Herr
Außenminister, sind Ihre Initiativen dafür? Sie haben in
der Humboldt-Universität eine viel beachtete Rede ge-
halten.


(Uta Titze-Stecher [SPD]: Nicht nur dort!)

Was haben Sie seither unternommen, um Ihre Ideen um-
zusetzen?

Es gibt immer noch viel zu wenig Europa. In der Af-
ghanistan-Krise gibt es überhaupt kein Europa.


(Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!)


Die Vereinigten Staaten organisieren die Allianz der
Freunde bilateral. Die EU ist für die Amerikaner in dieser
Krise kein relevanter Partner.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist erschreckend!)


Auf dem bevorstehenden Gipfel in Laeken steht wie-
derum eine Debatte über die Zukunft Europas an, die dann
2004 in einer großen europäischen Verfassungskonferenz
münden soll. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenige
Tage zuvor treffen sich der französische Staatspräsident
und der deutsche Bundeskanzler und man hört von über-
haupt keinen gemeinsamen Ideen dazu! In Europa hat es
keinen einzigen Integrationsfortschritt gegeben ohne eine
vorherige gemeinsame deutsch-französische Initiative.
Ohne eine solche Initiative gäbe es nicht in wenigen Wo-
chen den Euro. Ohne eine solche Initiative gäbe es keinen
Stabilitätspakt in Europa.


(Gernot Erler [SPD]: Das habt ihr doch nicht erfunden!)


Wo, Herr Außenminister, ist die deutsch-französische
Initiative zu einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheits-
politik?

Die CDU und die CSU haben für einen europäischen
Verfassungsvertrag vorgestern umfassende Vorschläge
vorgelegt.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Dreigestirn der CDU/CSU!)


Wirplädieren fürmehr Integration inderAußen-undSicher-
heitspolitik. Die wichtigste Aufgabe der EU in diesem Be-
reich istes,umgehenddie füreineerfolgreicheeigenständige
KrisenbewältigungerforderlichenmilitärischenFähigkeiten
aufzubauen. Dazu gehören insbesondere ausreichende ei-
geneTransportkapazitäten sowie Führungs-, Kommunikati-
ons- und satellitengestützte Aufklärungskapazitäten. Dazu
gibt es in diesemBundeshaushalt kein einziges Signal.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist bedauerlich!)


Wenn wir schon nicht in der Lage sind, das alles selbst
zu finanzieren, dann müssen wir doch unsere Ressourcen
in Europa poolen und dann brauchen wir eine gemein-
same Beschaffungspolitik. Wir fordern die Bundesregie-
rung auf, initiativ zu werden – für eine gemeinsame
Rüstungspolitik der EU und für eine gemeinsame Sicher-
heitspolitik der EU. Wenn Sie, Herr Bundesaußenminister
und Herr Bundeskanzler, demnächst nach Laeken fahren,
müssen Sie endlich handeln. Der Worte sind genug ge-
wechselt; lasst uns nun endlich Taten sehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP– Volkmar Schultz [Köln] [SPD]: Ja, lasst uns aufrüsten! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da muss die deutsche Literatur herhalten!)





Dr. Andreas Schockenhoff

20109


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Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420406900
Das Wort
hat jetzt der Bundesminister Joseph Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420407000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die deutsche
Außenpolitik ist auch nach dem 11. September Grundsät-
zen verpflichtet, die es wert sind, in dieser sich rasch ver-
ändernden Welt nochmals unterstrichen zu werden. Es
sind Grundsätze, die sich im Konsens entwickelt haben.
Dieser Konsens war oft das Ergebnis heftigster parteipo-
litischer Auseinandersetzungen, wurde also erstritten. Es
ist eine Politik der Selbstbeschränkung. Sie ist westinte-
griert. Sie ist europäisch. Sie ist multilateral angelegt. Sie
ist dem Existenzrecht Israels verpflichtet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Auf dieser Grundlage betreiben wir eine kooperative
Verantwortungspolitik als Außenpolitik der Bundesrepu-
blik Deutschland, bei der wir darum wissen, dass diese
Welt eine unfriedliche ist, die wir friedlicher und sicherer
gestalten wollen, und bei der wir dem Gedanken der Kon-
fliktprävention, das heißt der Verhütung von Konflikten
oder gar von Kriegen, den Vorrang vor Repression geben.

Nur, wir wissen auch, dass man in einer unfriedlichen
Welt mit teilweise sehr brutalen Herrschern, mit Diktato-
ren und durchaus auch kriminell zu nennenden Interessen
an der Repression nicht vorbei kommt.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Das ist ein Faktum, das haben wir des Öfteren mit unse-
rer Politik bewiesen. Aber Repression ist weder in der In-
nenpolitik noch in der Außenpolitik tatsächlich eine Ant-
wort auf die Konflikte oder gar eine Lösung der Konflikte.
Es ist Ultima Ratio und muss immer Ultima Ratio bleiben,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


letztes Mittel und nicht vorletztes Mittel oder ein Mittel,
das in der Politik am Ende Vorrang haben soll.

Deswegen, meine Damen und Herren von der Union,
lassen Sie mich den Punkt ganz offen ansprechen – Herr
Kollege Rühe, Sie werden nach mir sprechen; deswegen
will ich es hier gleich sagen –: Sie haben es damals beim
Kosovo-Krieg in der Endphase der Bundestagswahl ver-
sucht – ich habe mir das sehr gut gemerkt –, Sie haben es
dann nach den Bundestagswahlen in der Zuspitzung des
Kosovo-Krieges, als wir – Kollege Scharping in direkter
Verantwortung, aber wir als Bundesregierung – Bundes-
wehreinheiten in Tetovo stationiert hatten, versucht – Sie
sind durch die Redaktionsstuben gezogen und haben ver-
sucht, gegen den damaligen Ministerkollegen Scharping
Stimmung zu machen.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Er ist es immer noch! – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Ist Herr Scharping schon zurückgetreten?)


Sie haben gesagt, es sei unverantwortlich, die Truppen in
der Nähe der serbischen Artillerie zu halten. Sie haben im-

mer wieder versucht, den Einsatz der Bundeswehr – und
das nehme ich Ihnen als ehemaligem Verteidigungsmi-
nister nun wirklich übel – innenpolitisch für Ihre partei-
politischen Zwecke zu missbrauchen, und das versuchen
Sie jetzt wieder.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie haben es beim Mazedonien-Einsatz gemacht, wo
Sie sich als großer Stratege erwiesen haben. Nichts von
dem, was Sie damals formuliert haben – ich habe es Ihnen
hinten sitzend im persönlichen Gespräch schon prophe-
zeit –, ist eingetreten. Die Strategie ist nicht aufgegangen.
Sie konnten uns nicht vorführen. In der Sache hatten Sie
von Abis Z nicht Recht. Das zeigt schlicht und einfach die
Empirie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich sage Ihnen auch jetzt, wenn Sie meinen, Sie könn-
ten uns Bündnisunzuverlässigkeit und Ähnliches vorwer-
fen: Das glauben Sie nicht einmal selbst.


(Volker Rühe [CDU/CSU]: Warten Sie doch erst einmal ab!)


– Da brauche ich gar nicht abzuwarten, sondern das kann
ich Ihnen schon jetzt sagen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der geht auf eine Rede ein, die noch gar nicht gehalten worden ist! Rühe hat ja noch gar nicht geredet!)


Deswegen sage ich Ihnen: Für uns ist ein Maßstab völ-
lig klar. Wenn wir sagen, wir sind westintegriert, dann
heißt das für uns auch, dass wir zu unseren Bündnisloya-
litäten und zu unseren Bündnisverpflichtungen stehen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN sowie bei der SPD)


Bündnisverpflichtungen zwischen Demokratien heißt
aber nie Gefolgschaft, sondern das heißt immer,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Uneingeschränkte Solidarität!)


dass die gemeinsame Strategie diskutiert wird und dass
auf der Grundlage dieser Diskussion dann die Entschei-
dungen getroffen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das ist ja ganz was Neues!)


– Wir haben nie das Lied „Tausend rote Panzerschützen“
vor Kabul gesungen, wir nicht.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Rolf Kutzmutz [PDS]: Dafür habe ich noch nie Molotowcocktails und Steine geworfen!)


Das muss ich Ihnen wirklich sagen.

(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Es ist aber interessant, was Sie für Lieder kennen!)







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– Der Kollege Schulz hat mir das heute gesagt. Ich kannte
es nicht; ich will es aber kennen lernen. Das ist für mich
eine neue Erfahrung; das gebe ich offen zu. Ich möchte
das jetzt aber nicht vertiefen.

Meine Damen und Herren, für uns ist ganz entschei-
dend, dass mit dem 11. September ein Angriff auf die
Menschen in New York City, auf die Bevölkerung der
USA und auf die Regierung der USA stattgefunden hat.
Für uns ist ganz entscheidend, dass hier zum wirklich letz-
ten Mittel gegriffen wurde, weil andere versuchte und
tatsächliche Terroranschläge, die es schon gegeben hat,
polizeilich verfolgt wurden und diejenigen, die Verant-
wortung trugen, vor ein Gericht gestellt wurden. Das hat
aber nicht dazu geführt, den Tätern letztendlich das Hand-
werk zu legen und Sicherheit zu garantieren.

Ich habe während der Generalversammlung der Ver-
einten Nationen in New York, als es zu einem beklagens-
werten – technisch bedingten – weiteren Flugzeugabsturz
gekommen ist, selbst erlebt, wie die Menschen in New
York reagieren. Die USAwerden nicht bereit sein, dieses
Risiko dauerhaft zu akzeptieren, und insofern werden sie
sich dagegen wehren.

Dieser Bundestag hat mit sehr großer Mehrheit ent-
schieden – auch wenn sich bei der Vertrauensfrage die
Dinge anders dargestellt haben, in der Sache war es eine
sehr große Mehrheit –, dass wir auf der Grundlage des
Selbstverteidigungsrechts, wie es in der Charta der Ver-
einten Nationen steht, und auf der Grundlage des Be-
schlusses im NATO-Bündnis tatsächlich an der Seite un-
seres Bündnispartners stehen. Das ist das Verbindende.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Das ist richtig!)


Dazu gehört der Beschluss des Bundestages, den Sie in-
haltlich akzeptiert haben. Diesen Beschluss setzen wir
jetzt um.

Ich halte allerdings überhaupt nichts davon, aus innen-
politischen Gründen – das ist typisch Rühe – neue Ziele
zu suchen.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Man, muss der Sie geärgert haben!)


– Nein, ich ärgere mich nicht darüber. Ich finde es schlicht
und einfach verantwortungslos, bei der Entscheidung
über die außenpolitische Orientierung neue Ziele zu su-
chen. Wir wissen doch, dass zum Beispiel über den Irak
in Europa völlig anders als in Washington – dort findet
übrigens eine kontroverse Debatte statt – diskutiert wird.


(Zustimmung bei der SPD)

Die Europäer sind sich völlig einig, dass wir, um es ein-
mal ganz diplomatisch zu formulieren, eine Ausdehnung
auf den Irak mit äußerster Skepsis betrachten.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Sehr vorsichtig ausgedrückt! – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ist das ein Nein?)


Wir sollten versuchen – ich unterstreiche das, was der
Bundeskanzler heute Morgen gesagt hat –, die Regional-
konflikte im Nahen Osten politisch zu lösen. Bedenken

wir, dass wir unmittelbarer Nachbar sind. Wenn die Re-
gionalkonflikte gelöst sind, wird es immer noch sehr
schwer sein, die inneren Entwicklungsprobleme der be-
troffenen Länder in der Region zu lösen, da diese dadurch
nicht behoben sein werden.

Das Modernisierungsproblem und das Demokratisie-
rungsproblem bleiben ebenso wie die Menschenrechts-
und Gleichstellungsprobleme, etwa im Zusammenhang
mit der Diskriminierung von Frauen, bestehen. Auch des-
halb sind die Regionalkonflikte vor allen Dingen politisch
zu lösen. Wir Europäer haben daran ein Interesse. Das ha-
ben wir unseren Partnern in den USA auch sehr ausführ-
lich und in großer Präzision dargestellt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn man sich die Entwicklung anschaut, dann sollte
man zu erkennen versuchen, was der Hauptgrund für
diese Situation ist. Ich erinnere mich an die Debatte über
den Kosovo. Damals vertraten die so genannten außenpo-
litischen Realisten, beispielsweise Kissinger, die Auffas-
sung, dass es sich um einen Krieg entlang der Grundsätze
von Wilson, also eher um einen Krieg der Linken handele,
bei dem es nicht um harte Interessen, sondern um Men-
schenrechte und um Fragen, die nicht unmittelbar mit der
klassischen, interessenorientierten Politik zu tun haben,
gehe. Heute müssen wir feststellen, dass der Rückzug
– das heißt nicht militärischer, sondern politischer Rück-
zug – entlang dieser Linien aus den Konflikten der Welt,
die aus der Zeit des Kalten Krieges zurückgelassen wur-
den – Afghanistan ist dafür ein klassischer Fall –, falsch
war.

Zu meinen, man könne Friedensdividenden einneh-
men, war unser allergrößter Fehler. Wir haben nicht gese-
hen, dass Friedensinvestitionen notwendig waren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dieser Rückzug hat eine Gefahr für den Weltfrieden ent-
stehen lassen. Daraus müssen wir im Sinne einer koope-
rativen und präventiven Verantwortungspolitik Konse-
quenzen ziehen. Es geht nicht um die Weltpolizei. Es geht
vielmehr darum, regionale Ansätze zu stärken, damit die
zusammengebrochenen Strukturen – Europa hat von sei-
ner eigenen Geschichte insofern etwas sehr Positives zu
vermitteln – wieder hergestellt werden. Ich erlebe das
zum Beispiel im südlichen Afrika, wo der Regionalansatz,
aber auch die Frage, ob die Afrikaner gemeinsam repres-
sive Mittel einsetzen müssen, dahin gehend geprüft wer-
den, ob sie tauglich sind, einen dramatischen Konflikt, der
alle gefährdet, zu bewältigen. Stichwort Kongo. In West-
afrika gibt es einen ähnlichen Ansatz. Daran kann man
doch erkennen, was wir Europäer der Welt im 21. Jahr-
hundert an positiven Erfahrungen tatsächlich zu vermit-
teln haben.

Ich sage nochmals: Ich schließe die Ultima Ratio nicht
aus. Ich möchte aber verhindern, dass wir in einen Zu-
stand geraten, in dem sie notwendig wird. Dass das not-
wendig sein kann, hat der Balkan gezeigt. All diejenigen,
die ernsthaft mit sich gerungen haben und keine takti-
schen Argumente vorgebracht haben – ich habe deren




Bundesminister Joseph Fischer

20111


(C)



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Argumente sehr ernst genommen –, müssen heute sagen,
dass wir uns den Hauptvorwurf machen müssen, dass wir
nicht 1991/1992 das gemacht haben, was wir 2001 ge-
macht haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Christian Schwarz-Schilling [CDU/CSU])


Das sage ich unabhängig davon, wo wir damals politisch
standen.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Können Sie Ihre Position von damals noch einmal erläutern?)


– Ich gehörte nicht zu denen, die der Meinung waren, dass
die damalige Anerkennung der friedlichen Scheidung
ohne Bedingungen mehr als eine Eskalation des Konflikts
bringen werde. Ich war damals der Meinung, man hätte es
so nicht machen sollen. Ich war damals allerdings
Nichtinterventionist. Insofern sollten diejenigen, die die
Anerkennung forciert haben, den damaligen Nichtinter-
ventionisten nicht ihre Position vorwerfen, sondern die
Dinge ebenso selbstkritisch sehen, wie zum Beispiel ich
sie bei der Betrachtung meiner damaligen Situation sehe.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Es gab andere in meiner Partei, die waren damals
schon Interventionisten. Ich sage ganz bewusst – ob das
Marieluise Beck ist, ob das mein Freund Daniel Cohn-
Bendit ist –: Sie hatten Recht. Sie waren aber keine An-
erkennungsbefürworter; auch das füge ich in diesem Zu-
sammenhang hinzu.

Was wir daraus lernen können, ist doch, dass wir, wenn
die Ultima Ratio wirklich eingesetzt werden muss, gleich-
zeitig alle Möglichkeiten zur Prävention und zur Frie-
densgestaltung nutzen müssen. Der Stabilitätspakt und
der Weg nach Europa haben es möglich gemacht, dass es
jetzt in Mazedonien – auch wenn wir dort noch nicht über
dem Berg sind – zum ersten Mal gelungen ist, eine dieser
weiteren blutigen Runden zu verhindern. Das muss man
doch einmal sehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Krieg in Afghanistan dauert schon 23 Jahre an. Er
wurde durch den Putsch der damaligen kommunistischen
Partei ausgelöst, die sich dann nicht halten konnte. Dieser
Putsch führte zur Intervention der damaligen Sowjet-
union. Dann gab es diese Tragödie, die bis zum heutigen
Tag angehalten hat, bis hin zu Osama Bin Laden, al-Qaida
und der Gefahr für den Weltfrieden sowie dem Terror-
regiment der Taliban. Wenn es der internationalen Staa-
tengemeinschaft jetzt vor dem Hintergrund des Einsatzes
der Ultima Ratio, dieses Krieges, gelingt, endlich einen
Frieden zwischen den wichtigsten ethnischen Gruppen
und Völkern Afghanistans hinzubekommen, dann haben
wir auch etwas geschafft.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Dann müssen wir allerdings die Konsequenz ziehen und
nicht wieder warten, bis die Ultima Ratio notwendig ist,
wenn es weitere Konflikte gibt, die dringend gelöst wer-
den müssen, und zwar mit politischen, mit ökonomischen,
mit humanitären Mitteln.

Für diese Politik steht die Bundesregierung. Ich kann
Ihnen versichern: In den drei Jahren, in denen wir die
Verantwortung getragen haben, gab es nicht einen Fall –
nicht einen –, bei dem wir auf die Koalition und auf die
Schwierigkeiten, die unsere Parteien damit haben, derge-
stalt Rücksicht genommen hätten, dass wir eine Ent-
scheidung zur Erfüllung einer Bündnisverpflichtung,
aber auch der Grundsätze, für die wir stehen, nicht ge-
troffen hätten.

Gerade die Härte der demokratischen Auseinanderset-
zung beweist meine Worte. Die Union sollte nicht so tun,
als wenn sie das nicht kennen würde. Ich darf Sie nur da-
ran erinnern – ich bin ja mittlerweile alt genug –, wie
schwer sich ein Teil von Ihnen bei der Frage des „Super-
versailles“, des Atomwaffensperrvertrages, und den Ost-
verträgen – das ging ja noch bis zur deutschen Einheit und
der Anerkennung der polnischen Westgrenze – getan hat.
Ich möchte jetzt gar nicht Häme darüber ausschütten. Ich
sage nur: Das ist normal in einem demokratischen Pro-
zess. So war es auch bei uns und so ist es auch in anderen
Parteien; so wird es immer sein.

Wer eine Antwort auf all dies will, der muss Europa
schaffen. Da liegt der große Irrtum: Es geht nicht nur um
die deutsche Rolle. Es geht vielmehr um den Beitrag
Deutschlands zu einer europäischen Rolle. Machen wir
uns doch nichts vor: All das, was uns trennt und auch ver-
bindet, wird in der Welt des 21. Jahrhunderts nur ein in-
tegriertes Europa schaffen können. Der Vorwurf, wir
hätten in der europäischen Sicherheits- und Vertei-
digungspolitik nichts getan, ist natürlich völlig unsinnig.
Wenn es einen dynamischen Faktor gegeben hat – gerade
seit In-Kraft-Treten des Amsterdamer Vertrages und der
Benennung von Solana –, dann ist es die Europäische
Union. Sie ist aber für diese Fragen des Kriegs und Frie-
dens noch nicht ausgerüstet. Das ist ein Faktum.

Da schließt sich im Übrigen die Frage nach der Zukunft
der NATO an: Bündnisse sind Bündnisse auf Zeit. Andere
Lagen schaffen andere Bündnisse. Das gilt auch und ge-
rade für militärische Bündnisse. Meine These ist, dass die
Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit der NATO – hier
haben wir hochinteressante Diskussionen mit Russland,
die jetzt beginnen – die beschleunigte und intensivierte
europäische Integration ist. Im Klartext möchte ich for-
mulieren: Bleiben die Europäer getrennt, wird die NATO
in der Tat in eine sehr schwierige Zukunft blicken. Gelingt
es, die europäische Säule zu integrieren – das hängt an der
ESVP –, dann wird das transatlantische Bündnis meines
Erachtens – das liegt in unserem Interesse – eine sehr gute
Zukunft haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Insofern möchte ich – es gäbe noch vieles zu sagen –
nur noch ganz kurz den Antrag zum Goethe-Institut an-
sprechen. Wir werden versuchen – das sage ich hier nicht
einfach nur, um der Opposition den Antrag wegzuneh-




Bundesminister Joseph Fischer
20112


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men –, eine Lösung im Rahmen unserer finanziellen
Möglichkeiten zu finden. Das sage ich Ihnen hier als
Minister zu.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich würde mich selbstverständlich freuen, wenn der An-
trag angenommen würde. Aber auch Sie wissen, dass das
so nicht geht.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr einfach geht das!)


Ich möchte zum Schluss noch Folgendes sagen: Ich
stimme denen nicht zu, die uns wegen der Personalstruk-
tur kritisieren, und schon gar nicht dem Kollegen Hoyer,
den ich sonst sehr schätze. Ich weiß, dass er es sagen
muss; aber das lasse ich nicht bei mir abladen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Dass 50-Jährige bei uns immer noch als Nachwuchskräfte
gelten, das liegt wirklich nicht an den drei Jahren, die
Fischer die Verantwortung im Auswärtigen Amt trägt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP])


Es gibt ja den bitteren und ironischen Spruch: Komm in
den auswärtigen Dienst, da bist du mit 50 noch Nach-
wuchskraft! Wo kann man das in der heutigen Wirtschaft
noch sagen?

Die Entscheidungen, die hierzu geführt haben, sind
lange vor meiner Zeit gefällt worden.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Nein! nein!)

– Was heißt hier „nein, nein“? Sie wissen doch, wie sich
Stellenkegel aufbauen. Vieles geht gleich und jetzt; aber
Stellenkegel nach dem deutschen Beamtenrecht lassen
sich nicht gleich und jetzt umstrukturieren. Diese entste-
hen nicht über Nacht und auch nicht in drei Jahren. Wir
versuchen, Kollege Hoyer, das Schritt für Schritt abzu-
bauen. Das werden wir auch hinbekommen. Dass wir es
geschafft haben, etwa die RK-Stellen von den Kürzungen
auszunehmen, ist doch eine hervorragende Sache.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das habt ihr zweimal abgelehnt!)


Mit der Einrichtung des Krisenreaktionszentrums ist
uns eine neue Aufgabe zugewachsen, die wir, wie ich
finde, mit den Bediensteten in der Zentrale und auch
außerhalb in den Botschaften hervorragend gemeistert ha-
ben. Wir haben die größte Reform des auswärtigen Diens-
tes seit seinem Bestehen angepackt. Das war dringend
notwendig. Es kommen ja noch mehr Aufgaben auf uns
zu, da gerade in einem zusammenwachsenden Europa die
Bedeutung der nationalen auswärtigen Dienste nicht ab-
nehmen, sondern aufgrund der Zuarbeit für die gemein-
same europäische Außenpolitik eher noch zunehmen
wird. Ich hoffe, dass in den kommenden Haushalten die-
sem Punkt Priorität eingeräumt wird und wir eine bessere
Finanzausstattung bekommen, da ich Ihnen ja zustimme,
wenn Sie sagen, dass wir unterfinanziert sind.


(Uta Titze-Stecher [SPD]: Jawohl!)


Ich sage aber mit allem Stolz: Was wir als unterfinanzier-
tes Haus in den drei Jahren geleistet haben, kann sich se-
hen lassen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich würde mich freuen, wenn die Finanzierung in den
zukünftigen Haushalten dem endlich einmal so nach-
käme, dass auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für
sich gute Perspektiven sähen.

Ich möchte mich bei allen bedanken, vor allen Dingen
bei den Berichterstattern. Recht herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420407100
Das Wort
hat jetzt der Kollege Volker Rühe von der CDU/CSU-
Fraktion.


(Gernot Erler [SPD]: Eigentlich bräuchte er gar nicht mehr zu sprechen! Wir kennen die Rede schon!)



Volker Rühe (CDU):
Rede ID: ID1420407200
Vielen Dank, Herr Präsi-
dent! Herr Außenminister, vielen Dank, dass ich doch
noch sprechen darf, und zwar so, wie ich mir das vorge-
nommen habe.

Ich möchte mit den Gemeinsamkeiten beginnen. Diese
finden sich zum Beispiel in der Nahostpolitik. Wir alle
haben früher Zweifel gehabt, ob Deutschland in dieser
Region überhaupt einen Handlungsspielraum hat. Wir ha-
ben immer gedacht, er sei geringer als der von anderen.
Ich stimme Ihnen zur, dass wir wahrscheinlich gerade
deswegen, weil es keinerlei Zweifel daran gibt, dass sich
Deutschland für das Existenzrecht Israels einsetzt, einen
größeren Spielraum als andere haben. Den nutzen Sie; da-
bei haben Sie unsere Unterstützung.


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deutschland ist ein guter Ort für die Afghanistan-
Konferenz. Es ist gut, dass es gelungen ist, diese Konfe-
renz nach Deutschland zu holen. Wir übernehmen damit
aber auch Verantwortung. Wer Verantwortung für den
Konferenztisch übernimmt, kann jedenfalls nicht
grundsätzlich Verantwortung vor Ort ausschließen.

Herr Bundesaußenminister, wir sind nicht auf der Su-
che nach neuen Zielen.


(Widerspruch des Bundesministers Joseph Fischer)


– Warten Sie einmal ab; das ist schon eine ziemlich üble
Unterstellung. – Ich habe Sie im Ausschuss gefragt, wel-
che Position die Bundesregierung in der Diskussion um
eine mögliche Friedenstruppe zur Stabilisierung der poli-
tischen Situation dort einnimmt. Sie haben das auch heute
nicht beantwortet. Ich muss Ihnen sagen, dass sowohl Sie
auf Ihrem Parteitag als auch der Bundeskanzler auf dem
SPD-Parteitag nicht präzise berichtet haben. Er hat dort so




Bundesminister Joseph Fischer

20113


(C)



(D)



(A)



(B)


getan, als ob Herr Brahimi den Einsatz von Friedens-
truppen ausgeschlossen hätte. Richtig ist, dass er drei
Beispiele angesprochen und gesagt hat, die Priorität liege
bei afghanischen Kräften. Den Einsatz von Blauhelmen
hat er ausgeschlossen. Der Einsatz von afghanischen
Kräften sei nicht möglich. Deswegen müsse es eine inter-
nationale Friedenstruppe geben. – Das wäre die richtige
Darstellung gewesen. Dass Sie das nicht so dargestellt ha-
ben, werfe ich Ihnen vor.

An andere Mitglieder der Bundesregierung gerichtet
sage ich, dass sie in diesem Zusammenhang gezielt Un-
klarheiten verbreiten. Sie haben es auch jetzt wieder ver-
mieden, über die Meinungsbildung der Bundesregierung
in dieser wichtigen Frage zu berichten. Sie können das
Engagement Deutschlands nicht auf Konferenzen be-
schränken und grundsätzlich ausschließen, dass wir uns
an der Stabilisierung vor Ort beteiligen. Darum geht es.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Nachdem sich der Pulverdampf der Parteitage verzo-
gen hat, ist zu fragen: Was geschieht eigentlich im Au-
genblick? Das, was die Bundeswehr tatsächlich macht, ist
sehr begrenzt, und zwar umgekehrt proportional zu dem
innenpolitischen Getöse, das es bei diesem Thema gege-
ben hat. Ich beklage das nicht; denn die Situation kann
sich ganz anders entwickeln.

Eine gezielte Verbreitung von Unklarheiten werfe ich
Ihnen dahin gehend vor, dass Sie sagen, Sie seien auf der
Suche nach Zielen. In Wirklichkeit sieht das Kräftedispo-
sitiv der Bundeswehr so aus, dass diese Suche nur Sinn
macht vor dem Hintergrund, dass es weitere Konflikte
und Auseinandersetzungen fernab von Afghanistan gibt.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Da hat er Recht!)

Deswegen sage ich Ihnen: Über Geheimoperationen

muss man schweigen. Aber Sie sagen der deutschen Öf-
fentlichkeit und auch Ihren Mitgliedern auf den Parteita-
gen bis zum heutigen Tage nicht klipp und klar – in den
zuständigen Ausschüssen hat es Andeutungen gegeben –,
wo deutsche Soldaten zum Beispiel gegen ABC-Waffen
eingesetzt werden sollen. Da gibt es natürlich ganz kon-
krete Vorstellungen. Das kann nur direkt oder indirekt im
Zusammenhang mit anderen Schauplätzen geschehen.
Wir schulden es den Soldaten, dass hier Klarheit bezüg-
lich eines möglichen Einsatzes geschaffen wird. Darum
geht es.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Ein Mitglied der

Bundesregierung, Herr Trittin – das ist von vielen noch
viel zu wenig gewürdigt worden –, hat, um seine Leute zu
beruhigen – das ist das, was ich Ihnen vorwerfe; Sie schil-
dern die Lage nicht real –, in einer Sonntagssendung vor
vielen Millionen Fernsehzuschauern gesagt, das, was die
Bundesregierung jetzt durchführe, liege unterhalb der
Ebene des Kosovo-Einsatzes.

Herr Bundesaußenminister, nehmen Sie dazu bitte
Stellung! Das ist eine völlig falsche Darstellung. Hier
handelt es sich um einen Bündnisfall nach Art. 5 des
NATO-Vertrages. Stellen Sie sich einmal vor, der Bünd-

nisfall wäre in Europa eingetreten, wir wären angegriffen
worden, die Amerikaner wären der Beistandsver-
pflichtung nachgekommen und in Washington hätte dann
ein Minister gesagt: Wir beteiligen uns unterhalb der
Ebene des Einsatzes im Kosovo.

Das zeigt, was Sie machen: Auf Ihren eigenen Partei-
tagen spielen Sie den Umfang der Beistandspflicht herun-
ter, der in dieser Situation notwendig ist und der mögli-
cherweise auch auf unsere Soldaten zukommt.


(Uta Titze-Stecher [SPD]: Das stimmt überhaupt nicht!)


Hierbei handelt es sich mit Sicherheit um mehr als das,
was im Kosovo geleistet wurde. Dies ist eine Situation
nach Art. 5 des NATO-Vertrages. Das muss in aller Deut-
lichkeit gesagt werden. Das verlange ich auch von Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Bundeskanzler hat heute Morgen gesagt, er warne

vor Leuten, die auf der Suche nach neuen Zielen seien. In
den Nachrichtenagenturen wurde verbreitet, er habe da-
mit einen Staatsminister seiner eigenen Regierung ge-
meint. Ich hatte zeitweilig den Eindruck, er hätte einen
wichtigen Verbündeten gemeint. Ich muss Ihnen sagen:
Es ist eine Unterstellung, wenn man sagt, dass jemand auf
der Suche nach neuen Zielen sei, die man gegenüber nie-
mandem im Bündnis, weder innenpolitisch noch außen-
politisch, machen sollte.

Ich denke, wir sind uns mit den Amerikanern einig,
dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus
konsequent durchgeführt werden muss. Statt Ablenkungs-
manöver von Ihnen zu hören, würde ich von Ihnen zum
Beispiel gerne wissen: Wie stehen Sie zur Forderung des
amerikanischen Präsidenten, dass der Irak wieder UN-
Waffeninspekteure zulässt, damit kontrolliert werden
kann, ob dort „weapons of mass destruction“ hergestellt
werden oder nicht?


(Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind doch alle dafür!)


Was ist die Position der Bundesregierung zu dieser Frage?

(Beifall bei der CDU/CSU)


Nachdem Sie mich vorhin persönlich angesprochen
haben, hier nun eine ganz begrenzte Gegenreaktion, Herr
Bundesaußenminister – ich freue mich, dass auch der Ver-
teidigungsminister hier ist –: Ich finde, der Joschka
Fischer auf Parteitagen versucht, die Bündnisfähigkeit
Deutschlands zu retten; das ist richtig. Aber was macht er
eigentlich im Hinblick auf die Bundeswehr?

Ich muss Ihnen sagen: In der alten Bundesregierung hat
sich Bundesaußenminister Kinkel in jeder Situation, in
der wir darum kämpfen mussten, Mittel für die Bun-
deswehr zu gewinnen, von seinem Selbstverständnis als
Außenminister her vor die Bundeswehr gestellt und zu-
sätzliche Mittel für die Bundeswehr gefordert.

Ein Bundesaußenminister Fischer, der für seine inter-
nationale Tätigkeit den Einsatz der Bundeswehr braucht,
muss sich auch innenpolitisch vor die Bundeswehr stellen
und für eine ausreichende Finanzierung der Bundeswehr




Volker Rühe
20114


(C)



(D)



(A)



(B)


eintreten. Schluss mit der Demontage und der Unterfi-
nanzierung der Bundeswehr!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Angesichts der Defizite der Bundeswehr können Sie

die Soldaten doch nicht noch verstärkt einsetzen. Das
treibt die Soldaten zu Demonstrationen auf die Straße, wie
beispielsweise in Berlin. Ich sage Ihnen ganz persönlich,
Herr Fischer: Es ist nicht damit getan, dass Sie auf Partei-
tagen versuchen, irgendeine Kompromisslinie zu finden.
Ein glaubwürdiger Außenminister muss auch innenpoli-
tisch dafür werben, dass unsere Soldaten die entsprechen-
den Mittel bekommen, damit sie die Einsätze mit
größtmöglicher Sicherheit für Leib und Leben durch-
führen können. Das erwarten wir von Ihnen. Das haben
Sie bisher aber noch nie gemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist gar keine Frage, dass sich nach dem 11. Septem-

ber ein Prozess verstärken wird, der von uns Europäern
mehr verlangt als in der Vergangenheit. Wenn es eine
Schieflage in der Diskussion gegeben hat, dann war es
die, dass wir unseren Einsatz fast ausschließlich mit Soli-
darität und Dankbarkeit gegenüber den Amerikanern be-
gründet haben. Das spielt zwar auch eine Rolle. Aber ich
muss fragen: Warum bringt es diese Bundesregierung
nicht fertig, zu sagen, dass es das ureigene Interesse der
Bundesrepublik Deutschland, deren Sicherheit tief ver-
wundbar ist, erfordert, diesen Kampf gegen den Terroris-
mus zu führen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Das wurde doch gesagt, Herr Rühe!)


Warum haben Sie immer so getan, als ob Sie auf Forde-
rungen der Amerikaner warten würden, anstatt dass wir
als Deutsche und Europäer selbst entscheiden, was richtig
ist, um diese Auseinandersetzung zu führen?

Ich sage Ihnen ganz konkret – darauf müssen Sie ant-
worten –, was notwendig ist: Wir müssen die Amerikaner
in Europa militärisch entlasten. Das geht aber nur, indem
wir die entsprechenden Fähigkeiten, „capabilities“, schaf-
fen. Was nur auf dem Papier steht, zählt nicht. Wenn ich
mir die europäische Sicherheits- und Verteidigungspo-
litik anschaue, die nicht zuletzt von Ihnen, Herr Bundes-
außenminister, verantwortet wird, dann muss ich sagen,
dass vieles nur auf dem Papier steht: von den Transport-
flugzeugen bis zu der im Aufbau befindlichen Eingreif-
truppe von 60 000 Mann.

Wir müssen über die herkömmlichen Einsatzszenarien
hinaus denken. Im Augenblick hat es sozusagen einen
Schönheitswettbewerb zwischen einigen europäischen
Ländern gegeben, was den Einsatz von Spezialkräften
angeht. Es wäre doch viel besser, wenn wir die Spezial-
kräfte europäisch einbetten würden. Sie müssen zwar mi-
litärisch national geführt werden. Aber Europäer, Englän-
der, Franzosen, Deutsche und andere, könnten gemeinsam
Spezialkräfte in einer Stärke von 5 000 Mann aufbauen.
Aber es gibt keinen Beitrag der Bundesregierung, um sich
auf eine solche Situation einzustellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein weiterer Punkt. Wir werden die Amerikaner auf
dem Balkan entlasten müssen. Darüber haben Sie nicht
gesprochen. Sie haben nur über alte Schlachten gespro-
chen. Sie wissen doch ganz genau, welche Schwierigkei-
ten wir noch Mitte der 90er-Jahre hatten. Ich habe Schiffe
in die Adria geschickt, die kaum ein Maschinengewehr an
Bord hatten. Sie haben uns dafür vor das Ver-
fassungsgericht zitiert.


(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Mazedonien!)


Es war damals sehr schwer, die notwendigen Einsätze
durchzuführen, um die Massaker dort zu stoppen. Das
wissen Sie ganz genau. Deswegen kann es diesbezüglich
auch keine Vorwürfe geben.

Wir müssen die Amerikaner auf dem Balkan entlasten.
Anstatt entsprechende Schritte der Amerikaner passiv zu
erleiden, sollten wir sie von uns aus anbieten. Ich habe Ih-
nen das schon zusammen mit meinem früheren französi-
schen Kollegen François Léotard vor einem Jahr gesagt.
Denn die Friedensmissionen nicht nur in Mazedonien,
sondern auch in Bosnien und mittelfristig im Kosovo in
europäischer Hauptverantwortung durchzuführen und uns
heute bereits darauf einzustellen erfordert natürlich be-
stimmte Investitionen für die Bundeswehr.

Ebenso wenig ist auszuschließen – da werden Sie auf-
schreien, weil Sie außenpolitisch nur das machen, was in-
nenpolitisch von Rot-Grün gerade noch getragen wird –,
dass Amerika bei der Überwachung der Flugverbotszonen
im Norden und im Süden Iraks, „northern and southern
watch“ – diese wurde zunächst gemeinsam mit zwei eu-
ropäischen Nationen, nämlich England und Frankreich,
durchgeführt; zuletzt nur mit England –, einen stärkeren
europäischen Beitrag fordern wird. Ich wie auch der Ver-
teidigungsminister wissen ganz genau, dass die Bundes-
luftwaffe das leisten kann. Meine Frage ist: Ist es unan-
gemessen, sich darauf einzustellen, dass wir die
Amerikaner bei dieser Aufgabe entlasten? Sie machen es
nicht – obwohl die Luftwaffe mit ihren Kräften sehr wohl
dazu in der Lage wäre –, weil dies von Rot-Grün innen-
politisch nicht getragen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist eine Schwäche in der Außenpolitik, wenn Sie nur
das machen, was auf Ihren Parteitagen möglich ist.

Sagen Sie mir einmal, warum es nicht möglich ist, die
Amerikaner bei dieser Aufgabe, die von den UN gefordert
wird, zu entlasten. Weil Sie dafür keine Mehrheit auf dem
Parteitag haben.


(Uta Titze-Stecher [SPD]: Quatsch!)

An Ihrer Nervosität merke ich, dass genau das der Punkt
ist.


(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich bin überhaupt nicht nervös!)


Das ist eine außenpolitische Schwäche. Die Bundeswehr
kann das und ich finde, das ist angemessen. Deswegen
sollten wir das in unsere Diskussion mit einbeziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Volker Rühe

20115


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich will jetzt wegen der begrenzten Zeit nicht weiter
über die Weltordnungspolitik sprechen. Wir werden einen
Antrag einbringen, in dem ganz klar gemacht wird, dass
wir ökonomische und entwicklungspolitische, aber auch
außenpolitische Maßnahmen anstreben, um dafür zu sor-
gen, dass die schwarzen Löcher in der internationalen Po-
litik, die Zonen der Ordnungslosigkeit, verschwinden. Ich
glaube, dass es in dieser Frage auch gar keinen Streit gibt.

Aber eines muss man ebenso immer wieder mit aller
Klarheit sagen: Der internationale Terrorismus ist keine
Folge des globalen Wohlstandsgefälles. Diese Terroristen
kommen weder aus den Slums orientalischer Großstädte,
auch nicht aus palästinensischen Flüchtlingslagern, noch
kämpfen sie für die sozialen Rechte der Unterdrückten.
Sie bedienen sich allerdings einer entsprechenden Rheto-
rik, um ihr mörderisches Handeln im Nachhinein zu legi-
timieren. Sie sollten Ihren Parteifreunden, die versuchen,
einen Zusammenhang mit der Nahostpolitik, mit Angrif-
fen auf die Politik Israels herzustellen, gelegentlich auch
sagen, dass Mohammed Atta und andere Hamburg-Har-
burg in dem Moment verlassen haben, um sich in Amerika
auf die Anschläge vorzubereiten, als der ehemalige israe-
lische Ministerpräsident Barak die weitreichendsten Frie-
densvorschläge für Jerusalem und für ein Miteinander un-
terbreitet hat. Deswegen ist es fahrlässig, so zu tun, als ob
die Anschläge in New York und Washington etwas mit der
jetzt zugespitzten und schwierigen Lage im Nahen Osten
zu tun hätten. Darauf sollten wir nicht hereinfallen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zu Europa kann ich nur noch sehr kurz sagen: So wie

Frankreich und Deutschland sehr viel für die Stabilisierung
Europas getan haben, müssen Amerika und Europa etwas
für die Stabilität in der Welt tun. Die Öffnung – das will ich
jetzt nur mit einem Schlagwort sagen; ich denke, da sind
wir uns auch weitgehend einig – der Europäischen Union,
aber auch die Öffnung der NATO mit ihrem Stabilitätsex-
port ist vielleicht der wichtigste Beitrag von uns Europäern
zur Stabilisierung der Welt. Wir verlangen von Ihnen,
dass die Bundesregierung hier endlich eine präzise Politik
entwickelt. Wir glauben, dass es wichtig ist, neben einem
Stabilitätsexport in die baltischen Staaten – die Gott sei
Dank auf einem ganz sicheren Wege in den Westen sind; sie
werden in diesem Jahrzehnt Mitglied der Europäischen
Union und auch der NATO – einen Stabilitätsexport in
Richtung Südosten – nach Bulgarien und, wenn es geht,
auch nach Rumänien – zu betreiben, gerade in die Länder,
die nicht kurzfristig Mitglied der Europäischen Union wer-
den können, selbst wenn sie alles richtig machen.

Deswegen brauchen wir deutsche Vorschläge, um die
NATO-Öffnung auch in diese Richtung zu entwickeln.
Aber Fehlanzeige – die Bundesregierung entwickelt keine
Politik in diese Richtung. Das werfen wir Ihnen vor, Herr
Bundesaußenminister. Sie haben sicherlich Fähigkeiten
im Ausgleich, auch im Kompromiss; aber an der Ent-
wicklung präziser politischer Handlungsmaximen man-
gelt es. Das sehen wir bei der Frage der Öffnung der Eu-
ropäischen Union und auch der Öffnung der NATO.

Der letzte Punkt innerhalb einer halben Minute. Wir
haben neue Chancen im Verhältnis zu Russland.


(Zuruf von der SPD: Die halbe Minute ist um!)


Auch mich hätte – statt dieser Versuche, gleich wieder
Unfrieden zu säen – in dieser Debatte mehr interessiert, zu
erfahren, was Sie von der Chance halten, mit Russland zu-
sammen zu 20 in der NATO zu tagen, 19 NATO-Mitglie-
der und Russland


(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Gut!)


– ja, dann sagen Sie doch mal was dazu! –, gleichberech-
tigt zu sprechen und zu entscheiden, wenn auch nicht in
allen Fragen, zum Beispiel nicht in Fragen, die Art. 5 be-
treffen oder die das Innerste der NATO berühren, aber
doch in wichtigen Fragen der Terrorismusbekämpfung,
internationaler humanitärer Einsätze, „missile defense“.
Das ist von Ihnen verschlafen worden.

Sie haben auch die Raketenabwehrfrage falsch ein-
geschätzt. Russen und Amerikaner sind inzwischen viel
weiter, als Sie es in den letzten Jahren im Deutschen Bun-
destag waren.

Deswegen sage ich Ihnen nach dem Lob und der Un-
terstützung zu den ersten beiden Punkten: Die deutsche
Außenpolitik darf nicht nur die Funktion der Innenpolitik
und dessen, was Rot-Grün möglich ist, haben, sondern sie
muss die Interessen unseres gesamten Landes wahr-
nehmen.

Im Übrigen würde ich Ihnen empfehlen, es in Zukunft
so zu halten, dass Sie erst einmal auf das hören, was die
Opposition hier sagt, und dann vielleicht etwas Präzises
zu den Punkten und den Fragen sagen, die wir hier an-
sprechen.

Vielen Dank, vor allen Dingen für das Verständnis des
Präsidenten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420407300
Zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Joseph Fischer
das Wort.

Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Der Kollege Rühe hat mich
mehrmals angesprochen. Erstens. Ich verkneife es mir, et-
was zum Verhältnis zwischen Außen- und Verteidi-
gungsminister der Vorgängerregierung zu sagen. Das
wäre ein weites Feld; ich kann mich noch gut daran erin-
nern. Zweitens zu „missile defense“: Kollege Rühe, wir
wollten von Anfang an ein Klima der Kooperation zwi-
schen den beiden Großen herstellen. Dazu habe ich
damals im Vorfeld der Diskussion die Moskau-Reise
gemacht. Sie hatten da bereits Hurra gerufen. Ich sehe
mich darin voll bestätigt.

Nun komme ich zu den konkreten Punkten. Was ich Ih-
nen nicht durchgehen lasse, ist die These, wir würden hier
irgendetwas im Unklaren lassen. Die Sicherheitskompo-
nente in Afghanistan hat für den Fall, dass es dort tatsäch-
lich zu einer politischen Lösung kommt, zwei Vorausset-
zungen: Die erste ist eine Sicherheitsratsresolution, die
zweite ist die Zustimmung der Afghanen. Dann stellt sich




Volker Rühe
20116


(C)



(D)



(A)



(B)


aber immer noch die Frage, ob es zu einer externen Lö-
sung kommen wird – und wenn ja, wie sie aussehen
muss –, oder ob es eine interne Lösung der Afghanen gibt.
Das ist zur Stunde völlig unentschieden. Die aus rein in-
nenpolitischen Gründen gemachte Behauptung, dass ir-
gendetwas zurückgehalten werde, ist wirklich böswillig.
Das ist das, was ich Ihnen vorwerfe. Ich will Ihnen sagen:
Großbritannien hat jetzt – gerade heute kam die Mel-
dung – 6 000 Mann, die angekündigt waren, wegen der
Unklarheit in diesen Fragen zurückgezogen.

Eine zweite Bemerkung in diesem Zusammenhang:
Wir halten uns an das Bundestagsmandat. Das Bundes-
tagsmandat ist in seiner Gänze das, woran sich die Bun-
desregierung hält. Dieses findet die volle Zustimmung
nicht nur unseres Partners, sondern auch der USA.

Sie behaupten, die Bundesregierung habe ihr Interesse
nicht klar formuliert. Ich formuliere es nachdrücklich und
stimme Ihnen auch zu, dass – so, wie Sie es sagen – unser
Interesse auf dem Balkan uns in der Tat einer interes-
sengeleiteten Politik und einer Schwerpunktsetzung nahe
bringt. Wir haben jedes Interesse, unserem Bündnispart-
ner, den USA, nach diesen furchtbaren Angriffen im
Bündnis beizustehen. Wir haben auch ein starkes VN-po-
litisches Interesse. Wir haben aber – sozusagen weit weg
von Europas Grenzen – kein direktes Interesse. Das wis-
sen Sie so gut wie ich.

Insofern kann ich Ihnen nur sagen: Wenn ich die Inte-
ressengrundlage noch hinzunehme und weiß, womit wir
es im Nahen Osten zu tun haben, dann finde ich es gera-
dezu interessenvergessen, was Sie über den Irak oder eine
mögliche deutsche Beteiligung gesagt haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Es wurde kein Wort davon gesagt!)


– Natürlich hat er über Flugverbotszonen und Ähnliches
geredet. – Alle Europäer sind der Meinung, dass wir auf-
grund unserer direkten Nachbarschaft mit dem Nahen
Osten


(Zuruf von der CDU/CSU: Auch Tony Blair?)

eine politische Lösung herbeiführen müssen.

Ich komme zum letzten Punkt, den Sie angesprochen
haben: Die Frage, wie wir zu der Kontrolle und der Um-
setzung der einschlägigen Sicherheitsratsresolution ste-
hen, ist rhetorisch. Die Bundesregierung steht selbst-
verständlich zur Umsetzung der einschlägigen Sicher-
heitsratsresolution. Es muss eine Überwachung des Irak
geben. Wir haben bisher alle Initiativen in diese Richtung
unterstützt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420407400
Herr Kol-
lege Rühe möchte erwidern. Bitte schön.


Volker Rühe (CDU):
Rede ID: ID1420407500
Herr Bundesaußenminis-
ter, jeder hat doch gemerkt, dass ich im Zusammenhang
mit dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus
nicht über die aktuelle Situation des Irak gesprochen habe,

sondern über die Frage, nachdem Engländer und Fran-
zosen die Amerikaner bei „northern watch“ und „southern
watch“ unterstützt haben, ob nicht auch sie der Meinung
sind, dass es im Prinzip eine europäische Aufgabe ist, die
Amerikaner zu entlasten, und dass man, wenn Deutsch-
land das kann, darüber auch ohne Tabu muss sprechen
können. Darum geht es; das sollten Sie in diesem Zusam-
menhang auch nicht verdrehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich komme zum zweiten Punkt: Ein bisschen verstehe

ich noch von dem Kräftedispositiv der Bundeswehr. Des-
wegen habe ich, als unter der Überschrift „Einsatz in Af-
ghanistan“ davon gesprochen wurde, von Anfang an ge-
sagt, dass die meisten dieser Kräfte gar nicht in
Afghanistan eingesetzt werden können. Das fängt mit den
Schiffen an. Direkt oder indirekt können sie aber sehr
wohl eine Rolle spielen, nämlich dort, wo sie stationiert
werden. Auch darüber würde ich gerne offiziell einmal et-
was hören. Man liest vieles. Wenn sie auslaufen, ist das
kein geheimer Einsatz. Sagen Sie also einmal, worum es
geht. Werden sie in diesem Teil von Ostafrika und der
arabischen Halbinsel direkt oder indirekt eine Rolle
spielen? Das gilt noch mehr für die 800 ABC-Soldaten.
Sagen Sie als Außenminister, für welche Situation diese
Kräfte vorbereitet sind. Welche Rolle sollen sie dort spie-
len?

Ich betone noch einmal: Wenn es um Geheimhaltung
geht, also um geheime Operationen, bin ich sofort an Ih-
rer Seite. Jetzt versuchen Sie, sich zu verständigen. Sie
schulden der deutschen Öffentlichkeit aber Aufklärung
darüber, wo die Bundeswehr eingesetzt wird. Das sollten
Sie auch endlich nachholen.


(Uta Titze-Stecher [SPD]: Hier sitzt der Verteidigungsminister!)


– Nein, auch der Außenminister hat dort eine ganz zen-
trale Verantwortung, zumal er uns unterstellt, wir seien
auf der Suche nach neuen Zielen.

Ich komme zum letzten Punkt: Ein Einsatz mit einer
multilateralen Truppe in Afghanistan wäre sehr schwie-
rig; das ist gar keine Frage. Ich habe Ihnen aber im Aus-
schuss gesagt, dass es ganz eindeutige Signale aus Ame-
rika gibt. Die Deutschen sind in der ersten Phase nicht
dabei. Wir sehen ja, welche Kämpfe dort stattfinden,
währenddessen wir von Kaiserslautern nach Ankara flie-
gen. Deswegen sind sie eigentlich besonders gut geeignet,
in einer späteren Phase zusammen mit Soldaten aus isla-
mischen Staaten und anderen, die sich nicht an diesen
Kämpfen beteiligt haben, eingesetzt zu werden.

Eine solche Diskussion tabuisieren Sie aus innerpartei-
lichen Gründen. Niemand drängt zu einem Einsatz; ich
weiß, wie schwierig das ist. Aber bei Ihnen hat die Außen-
politik die Funktion der Innenpolitik.

Eine letzte Bemerkung: Natürlich bestehen zwischen
Klaus Kinkel und mir unterschiedliche Auffassungen
– das haben Sie wahrscheinlich gemeint – auch hinsicht-
lich des Weltsicherheitsrates. Darüber müssen wir noch
einmal reden. Er hat sich aber immer vor die Bundeswehr
gestellt und stets mehr Mittel dafür gefordert. Sie könnten
sich jetzt an das Mikrofon stellen, Herr Bundesau-




Joseph Fischer (Frankfurt)


20117


(C)



(D)



(A)



(B)


ßenminister – es wäre schön, wenn Sie sich noch einmal
meldeten –,


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

und das erste Mal in drei Jahren für mehr Mittel für die
Bundeswehr werben. Darüber würde sich, so glaube ich,
auch der Kollege Scharping sehr freuen. Wir alle wären
überrascht, wenn der Außenminister hier einmal nicht als
Taktiker aufträte, sondern sagen würde: Ich setze deut-
sche Soldaten ein. Deswegen schulde ich ihnen auch zu
Hause die entsprechende Unterstützung. – Das wäre ein
neuer Joschka Fischer.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420407600
Als nächs-
ter Redner hat das Wort der Kollege Gert Weisskirchen
von der SPD-Fraktion.


Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1420407700
Es sprach der
ehemalige Verteidigungsminister, für den die Außenpoli-
tik eine Funktion der Verteidigungspolitik ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen, mein lie-
ber Kollege Rühe. Wenn Sie Fragen stellen wollen, dann
tun Sie dies, wenn der Haushalt von Rudolf Scharping be-
handelt wird.

Im Übrigen – das wissen Sie genauso gut wie ich; da-
rüber haben wir auch im Auswärtigen Ausschuss debat-
tiert – hält sich die Bundesregierung strikt an das Mandat
und setzt es so um, wie es der Beschluss des Bundestages
vorsieht. Daran wird nichts geändert; das Mandat wird
nicht ausgeweitet. Es wird strikt an dem festgehalten, was
der Deutsche Bundestag beschlossen hat. Letztlich wird
jede Maßnahme im Bereich der Verteidigungspolitik
durch das Parlament gebilligt und verbleibt unter der Re-
gie des Parlaments und seiner Steuerung. Daran wird sich
nichts ändern, selbst wenn Sie das möglicherweise gerne
anders hätten, lieber Herr Kollege Rühe.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei Ihnen war es doch genauso wie bei Herrn
Schockenhoff. Wer von Ihnen hat denn hier über die Ver-
änderungen in der Außenpolitik gesprochen? Herr
Schockenhoff hat sich fast ausschließlich über das Militär
ausgebreitet, ebenso der ehemalige Verteidigungsminis-
ter. Über die Wende, über die wirklich dramatischen Ver-
änderungen in der Außenpolitik aber haben Sie nicht ein
einziges Wort verloren. Daran können Sie selbst sehen,
dass Sie unfähig sind, die Außenpolitik mitzubestimmen.
Sie sind in diesem Punkt noch nicht einmal politikfähig.
Das muss ich Ihnen, liebe Kollegen von der CDU/CSU,
sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Worauf kommt es wirklich an? Vielleicht, lieber Herr
Kollege Rühe, könnten Sie sich einmal anschauen,

worum es bei der Afghanistan-Konferenz in Königs-
winter tatsächlich geht. Entscheidend ist doch, dass dieje-
nigen, die dort verhandeln, für ihr eigenes Land den Weg
in eine neue Zukunft suchen wollen. Dass dies möglich
ist, liegt auch daran, dass sich die Bundesrepublik
Deutschland als konstruktives Mitglied in der internatio-
nalen Allianz gegen den Terrorismus profiliert hat. Dies
hat diese Bundesregierung vorangetrieben und der Bun-
destag hat es gebilligt.

Als wir damals darüber gestritten und eine Entschei-
dung getroffen haben, haben Sie dies, obwohl Sie in der
Sache dafür waren, aus innenpolitischen Gründen abge-
lehnt. Das ist mindestens genauso zu kritisieren, wie Sie
das Verhalten anderer kritisieren. Wir haben in unseren
Parteien, sowohl die Grünen als auch wir, heftig darüber
debattiert – ich finde, das war gut so –, alle Schattierungen
dieses Mandates ausgeleuchtet und sind dann zu der
festen Überzeugung gekommen, dass es aus Gründen der
Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland notwen-
dig ist, diesem Mandat zuzustimmen.

Wenn es jetzt darum geht, den Frieden in Afghanistan
zu ermöglichen, dann sollten wir uns auch einmal die
Frage stellen, was wir in den letzten 23 Jahren versäumt
haben. Haben wir nicht Afghanistan seinem Schicksal
überlassen? Unterschiedliche Warlords haben in diesem
Land eine Kette von Gewalt, eine Kette von Unter-
drückung ausgelöst. Die Frauen, die Kinder und die Ju-
gendlichen sind die Opfer jener Schreckensherrschaften
gewesen. Leider war es notwendig, dass im Rahmen der
politischen Strategie, die entwickelt worden ist, auch das
Militär eine Rolle spielt, damit endlich die Freiheit des
Landes durchgesetzt werden kann. Das war der zentrale
Punkt unserer Auseinandersetzungen. Die ist notwendig
und das wird künftig eine entscheidende Rolle in der deut-
schen Außenpolitik spielen.

Ich hoffe, dass ich im Namen von uns allen sprechen
kann, wenn ich die Teilnehmer der Afghanistan-Kon-
ferenz grüße und sie darum bitte, die Chance, die sie
jetzt haben, auch wirklich zu nutzen. Beenden Sie den
Leidensweg der letzten Jahre, der bis zum Rand voll
mit Blut gewesen ist! Geben Sie allen Menschen in Af-
ghanistan, die guten Willens sind, die Möglichkeit, sich
am Aufbau ihres Landes zu beteiligen! Helfen Sie mit,
dass Frauen und Mädchen und besonders die Jugendli-
chen eine friedliche Zukunft für sich und ihr Land ge-
winnen.

An der Tatsache, dass der Chefunterhändler der Nord-
allianz, Junus Kanuni, davon, dass Afghanistan jetzt eine
neue Ära vor sich hat, und vom Ende der Machtmonopole
spricht, sieht man, dass in Afghanistan genau die richtige
Lehre gezogen wird, eine Lehre, die eine friedliche Zu-
kunft dieser Region möglich macht. Hier kommt unser
deutscher Beitrag künftig noch sehr viel plastischer zum
Ausdruck.

Es geht nicht nur um die Frage, lieber Kollege Rühe,
auf die Ihnen der Außenminister eben eine deutliche Ant-
wort gegeben hat, nämlich ob wir am Ende, wenn die
UNO es in die Hand genommen hat, nicht doch noch be-
reit sein könnten, Teil einer internationalen Friedens-
truppe zu werden. Dies ist an Bedingungen geknüpft, die




Volker Rühe
20118


(C)



(D)



(A)



(B)


zunächst einmal die UNO allein zu stellen hat. Es ist auch
daran gebunden, dass Afghanistan einen solchen Wunsch
überhaupt erst einmal vorträgt. Dann können wir darüber
reden. Ich glaube, dass dann die Bundesregierung einen
vernünftigen Vorschlag unterbreiten wird.

Stabilität wird es in der Gesamtregion aber erst geben,
wenn Afghanistan entmilitarisiert sein wird, wenn das
Vertrauen zwischen den Gruppen, den Stämmen und den
Regionen einen festen Grund gefunden hat. Dabei darf
keine Stimme überhört werden. Allen muss die Möglich-
keit gegeben werden, sich an diesem Prozess zu beteili-
gen. Genau dies ist das Kennzeichen dieser Bundesregie-
rung, nämlich dafür zu sorgen, dass einer friedlichen
Konfliktvorbeugung Raum gegeben wird.

Wir haben den zivilen Friedensdienst durchgesetzt.
Wir haben uns neuer Instrumente bedient. Auch Sie hät-
ten dazu Zeit gehabt, haben diese Zeit aber verstreichen
lassen. Wir haben es durchgesetzt und dies bleibt das Mar-
kenzeichen dieser Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420407800
Das Wort
hat jetzt der Kollege Christian Schmidt von der
CDU/CSU-Fraktion.


Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1420407900
Meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident!
Man hat den Eindruck, dass die Rede des Kollegen
Weisskirchen der Versuch sein sollte, Dinge aufzuzeigen,
die mit der Realität so nicht übereinstimmen, nämlich
dass wir, die CDU/CSU und die FDP, zu Zeiten, als wir
Regierungsverantwortung trugen, keine entscheidenden
Schritte bei der Frage der Übernahme internationaler Ver-
antwortung durch Deutschland unternommen hätten.

Ich glaube, ich habe Sie missverstanden; denn in die-
sen Fragen bauen Sie auf dem auf, was Klaus Kinkel,
Helmut Kohl und Volker Rühe entwickelt haben. Genauso
bauen Sie, Herr Bundesaußenminister, bei dem von uns
allen begrüßten Israel-Engagement auf dem auf, was in
den 90er-Jahren von der damaligen Bundesregierung, ins-
besondere durch Bundeskanzler Kohl, entwickelt worden
ist.

Es ist schade und schlimm, dass Yitzhak Rabin nicht
mehr da ist. Er hätte darauf angemessen reagiert,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig! Sehr wahr!)


wie er es bereits 1995 getan hat.
Wir müssen auch über die Erkenntnis reden, dass dies

für uns nicht zum Nulltarif möglich ist, wir uns also da
und dort beteiligen müssen.

Deshalb stellt sich bei der Afghanistan-Konferenz
schon die Frage: Wird man aus den Erfahrungen der letz-
ten 20 Jahre heraus den afghanischen Parteien, wie wohl-
meinend auch immer sie sind, die Zukunft ihres Landes
sehr schnell in die Hände geben können, wo sie eigentlich
auch hingehört? Oder wird die internationale Gemein-

schaft darüber nachdenken müssen, ob sie konkrete Un-
terstützung leistet?


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

All das, was Präsident Wilson 1918/19 und den Ame-

rikanern insgesamt vorgeworfen worden ist – sie meinten,
mit Vertragswerken ein Europa zu schaffen, dass man sich
selbst überlassen könne, was dann in einer Katastrophe
endete –, sind historische Überlegungen, die uns bei der
Afghanistan-Konferenz bewegen müssen. Deswegen ist
die Frage, die Volker Rühe angesprochen hat, berechtigt
und nicht nur hypothetisch: Wie steht es mit der Bereit-
schaft, sich einzubringen, wenn es zu ungewollten, aber
möglicherweise unabwendbaren Ereignissen kommt?
Das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass jemand unge-
duldig mit den Hufen scharrt und auf seinen Einsatz war-
tet. Nein, es geht darum, Verantwortung umzusetzen.

Wir erwarten Informationen. Zur Personalpolitik des
Auswärtigen Amtes haben schon die Haushaltsbericht-
erstatter und einige andere gesprochen. Aber, Herr Bun-
desaußenminister, ich darf eine Bitte äußern. Ich spreche
nur für mich persönlich, weil ich natürlich nicht für den
gesamten Auswärtigen Ausschuss sprechen kann: Entwe-
der Sie schicken Ihren Staatsminister Volmer mit Infor-
mationen in den Auswärtigen Ausschuss oder Sie be-
trauen ihn mit Büroarbeit im Ministerium.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Plaudertasche!)


Die Art und Weise, wie zum Teil kokettiert und ge-
plaudert wird, ist nicht mehr akzeptabel. Sie ist mit Ihrem
Verfassungsauftrag, das Parlament ständig über die Dinge
zu informieren, die mit Bundestagsentscheidungen zu-
sammenhängen, überhaupt nicht zu vereinbaren. Das
muss im Plenum einmal deutlich gesagt werden: Wenn
das so weitergeht, wird es Ärger geben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Kurt J. Rossmanith [CDU/ CSU]: So kann das nicht weitergehen!)


Zum Thema Bundeswehr. Frau Kollegin Leonhard,
wenn ich das richtig gehört habe, haben auch Sie dazu ei-
nen Beitrag. Ich wollte fast schon eine Überleitung zum
Einzelplan 14 machen, möchte Ihnen aber nichts weg-
nehmen. Natürlich ist die Bundeswehr ein Instrument der
Außenpolitik. Nichts anderes ist diskutiert worden. Je
mehr sie sich international einbringt, desto mehr muss sie
ihren Verpflichtungen gerecht werden können.

Deswegen müssen wir – jetzt sind wir wieder bei der
Außen- und Europapolitik – darauf hinweisen, dass wir in
Bezug auf die HeadlineGoals vonHelsinki, die Schaffung
einer europäischenEingreiftruppe – das ergab sich aus den
ErfahrungenderEuropäer imKosovo-Kriegund ihrenUn-
zulänglichkeiten und das haben wir begrüßt –, nicht erlah-
men dürfen. Wir stellen fest, dass der Anspruch Europas,
einen Pfeiler darzustellen, und die Wirklichkeit, Beiträge
leisten zu können, immer mehr auseinander klaffen.

Das hat mit Geld zu tun. Das hat damit zu tun, dass zum
Beispiel die Frage des gemeinsamen Transportflugzeuges
nicht geklärt ist.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)





Gert Weisskirchen (Wiesloch)


20119


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich weiß nicht genau, ob sich Gerhard Schröder oder
Volker Kröning durchsetzt. Wir werden das verfolgen.
Aber es gibt zwischen 40 und 72 Transportflugzeugen
nicht nur einen zahlenmäßigen, sondern auch einen qua-
litativen Unterschied. Es geht um die Fähigkeit, sich an
weit reichenden Einsätzen zu beteiligen. Die Frage ist,
wie die europäische Integration beispielsweise auf der
Ebene der gemeinsamen Spezialkräfte, die genannt wor-
den sind, stattfindet. Wir müssen hier kreativ denken, un-
sere Ideen weiterentwickeln und unsere Ressourcen bün-
deln. Davon merke ich nichts.

Das Nebeneinander zwischenAußen- und Sicherheits-
und Verteidigungspolitik hat gegenwärtig einAusmaß an-
genommen, das den deutschen Interessen schadet. Deswe-
gen muss beim Einzelplan 14 – ich will keinem meiner
Kollegen vorgreifen, die sich zum Verteidigungsetat
äußern wollen – darauf hingewiesen werden, dass er auch
eineFunktionderAußenpolitik ist undnicht nur eineFunk-
tionder Ideologie.MancherGrüne ist immernochderMei-
nung, die Bundeswehr gehöre sowieso abgeschafft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich möchte eine Verbindung zur Reform des öffentli-
chen Dienstes herstellen. Es ist immer wieder zu beob-
achten, dass ehemalige Hamburger Regierungschefs für
Funktionen genannt werden. Manchmal schätzt man diese
Vorschläge. Manchmal fragt man sich, welches Signal es
sein soll, wenn zum Beispiel Herr Runde als Nachfolger
für die abgewirtschaftete Frau Fugmann-Heesing genannt
wird, bei der sich die Gelehrten, die Aufsichtsratsvor-
sitzenden und die Minister streiten, ob sie selbst gegangen
ist oder ob sie gegangen worden ist. Ich frage: Soll das
Konzept der GEBB ohne weiteres fortgesetzt werden?

Ich bedanke mich dafür, dass bisher niemand auf den
Gedanken gekommen ist, alles im Bereich des Auswärti-
gen Dienstes zu privatisieren. Ich habe den Eindruck,
dass wir auch in anderen Bereichen einschließlich des
Einzelplans 14 an Grenzen stoßen.

Ich habe in einer heftigen Debatte, die wir im Verteidi-
gungsausschuss geführt haben, den Herrn Bundesverteidi-
gungsminister als Oberamtsrat tituliert. Das ist keine Be-
leidigung, ganz im Gegenteil! Nur, der Minister ist
natürlich kein Oberamtsrat. Er muss politische Vorgaben
machen. Aber ich befürchte, dass es allmählich zu wenige
Oberamtsräte in unserer Bundeswehrverwaltung und auch
in anderen Bereichen gibt. Bedenken Sie: Nicht alles, was
von Unternehmensberatern vorgegeben und vorgeschla-
gen wird, ist auf die Dauer wirklich billiger, als es gegen-
wärtig rechnerisch dargestellt wird. Wir müssen deswegen
bei der Frage der Bündelung der Mittel im Haushalt darauf
achten, dass sie nicht nur effizient eingesetzt werden, son-
dern dass auch ein politisches Zusammenspiel in der
Außen- und Sicherheitspolitik gewährleistet werden kann.

Wir hoffen, dass dasTreffen in Laeken und die nächsten
Beratungen über die GASP, die GemeinsameAußen- und
Sicherheitspolitik, dazu führen, dass wir wirklich ein eu-
ropäisches Standbein in der Sicherheitspolitik bekommen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420408000
Herr
Schmidt, kommen Sie bitte zum Schluss.


Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1420408100
Gegenwär-
tig ist das nicht der Fall.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420408200
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Dr. Elke Leonhard von der SPD-
Fraktion.


Dr. Elke Leonhard-Schmid (SPD):
Rede ID: ID1420408300
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in der auswärti-
gen Kulturpolitik Zeichen gesetzt. Wir haben sie im
Haushalt in Zusammenarbeit mit den Fachpolitikern set-
zen können. Wir haben sie, egal, ob es sich um Vertreter
der Oppositionsfraktionen oder der regierungstragenden
Fraktionen gehandelt hat, gemeinsam gewollt. So wurden
im letzten Jahr 21 Millionen DM für Stipendien-
programme in den Haushalt eingestellt. Es ist uns in die-
sem Jahr gelungen, die Summe zu verstetigen und die
Mittel sogar um weitere 5 Millionen DM aufzustocken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP])


Des Weiteren: Herr Kollege Hoyer, Sie haben Recht,
wenn Sie die Auslandsschulen als Perlen, als ein Pfund
bezeichnen, mit dem wir wuchern müssten und sollten.
Wir haben auch hier 5 Millionen DM – wir hätten lieber
5 Millionen Euro gehabt – aufsetzen können.

Dies alles zeigt, dass die Reform der auswärtigen Kul-
turpolitik in den letzten Jahren effizient und mit einem ho-
hen Maß an Übereinstimmung der beteiligten Mittler
– das hat sehr viel Sensibilität gekostet – unter Einbezie-
hung externer Gutachten systematisch und unaufgeregt
vorangebracht wurde. Und: Der Prozess ist unumkehrbar!

Die neuen Strukturen zeichnen sich bereits ab. Die Fu-
sionierung von Goethe-Institut und Inter Nationes, die
heute sehr oft erwähnt wurde und zu der auch ein Ände-
rungsantrag vorliegt, zeigt, dass wir ergebnisorientiert die
institutionelle Förderung heruntergefahren haben und
dass dadurch eine qualitative Verbesserung – darauf
kommt es an – der Programmarbeit erreicht werden
konnte. Dieser Prozess geht weiter.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden selbstverständlich auch im Jahre 2002
genügend Mittel haben. Als dienstälteste Politikerin für
auswärtige Kulturpolitik möchte ich einige Beispiele für
Verbesserungen nennen, deren Durchsetzung mir im
Haushaltsausschuss gelungen sind. Es ist im Rahmen des
Haushaltsvollzugs dieses Jahres gelungen, die Projekt-
ausgaben durch Einsparungen bei den Betriebsmitteln in
Höhe von circa 1,5Millionen DM zu erhöhen. Dies ist nur
– das ist das erste Mal – durch einen Haushaltsvermerk im
Jahre 2001 gelungen.

Wer sich auskennt, weiß natürlich auch, dass Einrichtun-
genwie das Goethe-Institut Steuern zahlen. Nachdemmich
das Haus in London darauf aufmerksam gemacht hat, ist es
mir gelungen, dass die zurückfließendenSteuererstattungen




Christian Schmidt (Fürth)

20120


(C)



(D)



(A)



(B)


– es handelt sich hier umMillionenbeträge – zu 30 Prozent
für die Programmarbeit verwendet werden können.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP])


Zählen wir all dies zusammen, verehrter Herr Kollege
Lammert, dann kommen wir zu der Frage, was eigentlich
die so genannte Fusionsrendite ist. Uns geht es darum,
die Bürokratie ergebnisorientiert herunterzufahren und
peu à peu eine qualitative Verbesserung der Programm-
arbeit zu erreichen. Des Weiteren ist es gelungen, an vier
unterschiedlichen Standorten – hinsichtlich dieser Mo-
delle stehen wir mit dem Auswärtigen Amt und den Mitt-
lern in Verbindung – eine drastische Reduzierung der
Bürokratie bei gleichzeitiger Steigerung der Effizienz zu
erreichen. An dieser Stelle verweise ich auf das Modell
Peking. In wochenlangen Gesprächen mit den Mittlern,
mit dem Auswärtigen Amt und mit den Botschaftern ist
es uns gelungen, eine Konzeption zu erarbeiten. Diese
Konzeption ist tragfähig, weil sie praxisorientiert ist.

Die mehrjährige Evaluierung der einzelnen Mittler be-
weist, dass die von uns gewählte Schwerpunktsetzung,
die Internationalisierung der Hochschulen, zu einer
qualitativen Verbesserung der auswärtigen Kulturpolitik
geführt und sich gleichzeitig als Motor der Reform der
auswärtigen Kulturpolitik erwiesen hat. Neben der Inten-
sivierung der europäischen auswärtigen Kulturpolitik
bleibt uns die Internationalisierung unserer Hochschulen
als Schwerpunktsetzung für die kommenden Jahre. Paral-
lel dazu, verehrte Kolleginnen und Kollegen, müssen wir
endlich mit unseren französischen, britischen und italie-
nischen Partnern eine permanente Kooperation zur Ver-
tiefung der europäischen auswärtigen Kulturpolitik er-
reichen; denn die internationalen Herausforderungen
verlangen dies. Dabei wird selbstverständlich das von mir
sehr geachtete Goethe-Institut eine zentrale Rolle spielen.
Aber es geht nur in Kooperation.

Der Bundesregierung ist es gelungen, die Wettbe-
werbsfähigkeit Deutschlands im Hinblick auf begabte
wissenschaftlich-technische Nachwuchskräfte zu stärken.
Wir verfolgen damit zwei Ziele: Wir wollen den Anteil
ausländischer Studenten in der Bundesrepublik erhöhen
und die Anzahl deutscher Studenten im Ausland binnen
fünf Jahren verdoppeln.


(Beifall bei der SPD)

Wenn wir bedenken, dass jetzt nur jeder zehnte in
Deutschland eingeschriebene Student ein oder zwei Aus-
landssemester aufweist, dann müssen wir hier zu einer
Steigerung kommen. Besonders wichtig ist dies, wenn wir
es im Vergleich zu den USA, Frankreich oder Großbritan-
nien sehen.

Die Internationalisierung ist somit nicht nur zur Trieb-
feder einer grundlegenden Studienreform geworden, mit
der neue Rahmenbedingungen geschaffen werden sollen,
sondern darüber hinaus ist auf die wachsende Finanzver-
antwortung der Hochschulen abgezielt worden. Bemühun-
gen um Modernisierung und Flexibilisierung sind gestar-
tet worden und neue Wege für die Qualifizierung des
wissenschaftlichen Nachwuchses sind entwickelt worden.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420408400
Frau Kol-
legin Leonhard, ich habe Ihre Redezeit schon um zwei
Minuten verlängert. Ich bitte Sie, jetzt zum Schluss zu
kommen.


Dr. Elke Leonhard-Schmid (SPD):
Rede ID: ID1420408500
Alle, die wir uns mit aus-
wärtiger Kulturpolitik beschäftigen, haben eine Enquete
gefordert. Jetzt kommt es darauf an, dass Großbritannien,
Frankreich, Italien und Deutschland in einem Fünf-Jah-
res-Programm zur Integration der europäischen auswärti-
gen Kulturpolitik und zur Kooperation auf diesem Gebiet
beitragen.

Ich danke Ihnen für Ihre Geduld, Herr Präsident.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420408600
Ich erteile
dem Kollegen Kampeter das Wort zur Geschäftsordnung.


Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1420408700
Herr Präsident!
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat auf Drucksa-
che 14/7644 eine Aufstockung der Mittel für das Goethe-
Institut um 410 000 Euro beantragt; Stichwort dazu: Fu-
sionsrendite. In der Debatte haben wir erkannt, dass es
einen gemeinsamen Willen der Berichterstatter gibt, hier
zu einer Lösung zu kommen, und in einer von uns als ver-
bindlich empfundenen Erklärung des Bundesministers
des Auswärtigen gehört, dass unserem Anliegen Rech-
nung getragen wird. Wir verlassen uns auf die Zusage des
Bundesministers und verzichten auf eine Abstimmung
über diesen Antrag.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1420408800
Vielen
Dank. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den
Abstimmungen, und zwar zunächst zur Abstimmung über
den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksa-
che 14/7613. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Antrag gegen die Stimmen der Fraktionen der FDP, der
CDU/CSU und der PDS mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05 –
Auswärtiges Amt – in der Ausschussfassung. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen.

Ich rufe Punkt I. 18 auf:
Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung
– Drucksachen 14/7313, 14/7321 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Volker Kröning
Bartholomäus Kalb
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel




Dr. Elke Leonhard

20121


(C)



(D)



(A)



(B)


Zum Einzelplan 14 liegen ein Änderungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU, drei Änderungsanträge der Frak-
tion der FDP und fünf Änderungsanträge der Fraktion der
PDS vor. Über je einen Änderungsantrag der Fraktionen
der FDP und der PDS werden wir später namentlich ab-
stimmen. Weiterhin liegen je ein Entschließungsantrag
der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vor, über die
wir am Freitag abstimmen werden.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Dietrich Austermann von der CDU/CSU-Frak-
tion das Wort.


Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1420408900
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Der in der Beschlussempfeh-
lung des Haushaltsausschusses vorgelegte Verteidigungs-
haushalt ist eine einzige Bankrotterklärung. Mit rund
23,6 Milliarden Euro liegt der im Haushaltsausschuss mit
der Mehrheit der Regierungskoalition beschlossene und
nunmehr zur zweiten Lesung anstehende Plafond des Ver-
teidigungshaushaltes um 330 Millionen Euro unter dem
Soll des Jahres 2001. Die Talfahrt des Verteidigungshaus-
haltes seit Übernahme der Regierungsverantwortung
durch die rot-grüne Koalition geht also trotz aller gegen-
teiligen Zusagen weiter.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch Unsinn! – Gegenruf des Abg. Kurt J. Rossmanith [CDU/ CSU]: Leider wahr!)


Das kann man ganz klar an den Zahlen nachvollziehen
und feststellen: Mit 23,6 Milliarden Euro ist das Haus-
haltsvolumen um 330 Millionen Euro geringer als in
diesem Jahr. Dies ist aber nur ein kleiner Teil der er-
schreckenden Wahrheit, die mit ungedeckten Wechseln,
mit Hoffnungen und ungesicherten Erwartungen im Hin-
blick auf Verwertungs- und Rationalisierungsgewinne aus
der Tätigkeit der GEBB verschleiert werden soll.

Der Bundesverteidigungsminister hat eine Zeit lang
sein eigenes Schicksal mit der Zukunft der GEBB ver-
bunden. Wenn das Konzept des Liegenschaftsmanage-
ments nicht funktioniere, wenn es nicht gelinge, dadurch
zusätzliche Einnahmen zu erzielen, werde er seinen Hut
nehmen. Bisher war es offensichtlich nicht möglich, dass
er seinen Hut nahm, aber auch nicht, diese Erlöse zu er-
zielen. Wir fragen uns, was noch passieren muss, damit
das von ihm gegebene Wort, die Zusagen und internen
Aussagen auch wieder belastbar sind.

Aber mit dieser Entwicklung bei der GEBB, auf die ich
nochzusprechenkommenwerde, ist esnichtgenug.Esgibt
einige weitere illusionäre Erwartungen auf nicht eintre-
tendeGeschäftserfolge.DerBundesverteidigungsminister
selbst hat inder parlamentarischenBeratung imHaushalts-
ausschuss deutlich gemacht, dass Ansätze in wichtigen
Ausgabenbereichen zunächst zusammengestrichen wer-
den können, dass aber dann eine ordentliche Ausstattung
erfolgenwird, wenn diese Zuflussvermerke nichtwirksam
werden sollten. Das bedeutet für den Haushalt, dass weder
die Vorhaben zur Informationstechnologie noch wichtige

Bauvorhaben,diezurRealisierungderStruktur imRahmen
der Bundeswehrreform geplant waren,


(Johannes Kahrs [SPD]: Das haben Sie doch alles nicht hingekriegt!)


noch die Modernisierung der maroden Fahrzeugflotte im
Jahr 2002 möglich sein werden. Der Minister sprach von
Ansatzkürzungen in Höhe von 800 Millionen DM. Wenn
es keine Privatisierungserlöse gibt, fehlen diese 800 Mil-
lionen DM bei der Beschaffung; von Materialerhaltung
ganz zu schweigen.

Natürlich haben diese Kürzungen nur zum Teil mit den
erwarteten Einnahmesteigerungen zu tun. Der Betrag war
nötig, um im Bereich der militärischen Beschaffung we-
nigstens den Anschein einer ausreichenden Finanzaus-
stattung aufrechtzuerhalten.

So ist nach dieser Beschlussfassung im Haushaltsaus-
schuss, nach dem heute vorliegenden Entwurf also, davon
auszugehen, dass die Investitionsquote des Verteidi-
gungsetats ein historisches Tief erreichen dürfte, nämlich
kaum 22 Prozent. Das ist das Ergebnis der Politik von
Minister Scharping, die auch zu dem erschreckenden Fak-
tum führte, dass in diesem Jahr Einnahmen von 1 Milli-
arde DM im Bereich der militärischen Beschaffung sowie
Forschung und Entwicklung verplant wurden, von denen
aber nur – das stellt man fest, wenn man sich die Erlöse
der GEBB anschaut – ganze 17 Millionen DM eingegan-
gen sind; diese 17 Millionen DM auch nur deshalb, weil
der Bundesfinanzminister einen Vorschuss auf mögliche
Erlöse gewährt hat.

Mit anderen Worten: Frau Fugmann-Heesing, die bis
vor kurzem im Amt war, hat es nicht einmal geschafft, ihr
eigenes Gehalt von rund 1 Million DM durch die Tätig-
keit dieser Gesellschaft zur Beratung der Bundeswehr
einzuspielen. Das ist, meine ich, ein deutlicher Beweis
dafür, dass das Konzept des Verteidigungsministers ge-
scheitert ist.

Von 36 Beschaffungsprojekten konnten bisher nur
zehn in Auftrag gegeben werden. Wenn wir in der nächs-
ten Sitzungswoche noch das eine oder andere be-
schließen, das vor den rot-grünen Augen bestehen konnte,
wird immer noch die Hälfte aller großen Beschaffungs-
projekte in diesem Jahr nicht realisiert werden können.

Der Verteidigungshaushalt schiebt in den Bereichen
der militärischen Beschaffung sowie der Forschung und
Entwicklung, das heißt bei der Entwicklung von Projek-
ten für Aufgaben für die Zukunft, eine Bugwelle von nicht
realisierten Vorhaben in Höhe von 900 Millionen DM vor
sich her und somit in den Haushalt 2002. Damit verschärft
sich die Situation bei weiter sinkendem Etat im kommen-
den Jahr um weitere 900 Millionen DM.

Wie beratungsresistent Minister Scharping ist, beweist
der vorgelegte Haushaltsentwurf auch selbst. Im nächsten
Haushalt kommt nach seinem und dem Willen der Bun-
desregierung oder der sie tragenden Koalitionsfraktionen
ein weiterer Vorhabenbetrag hinzu, der in Höhe von
1,2 Milliarden DM mit erhofften Einnahmen finanziert
werden soll.


(Johannes Kahrs [SPD]: Billige Polemik!)





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
20122


(C)



(D)



(A)



(B)


Auch dies ist nach unserer Einschätzung offensichtlich
ein Trugbild, da kein Anhaltspunkt dafür zu erkennen ist,
dass diese Einnahmen auch realisiert werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die GEBB sitzt seit mehr als einem Jahr auf Grund-

stücken im Wert von weit über 600MillionenDM und war
nicht in der Lage, ein einziges Grundstück zu verkaufen.
Dass bei dieser Situation die Geschäftsführung der GEBB
vorsorglich das Handtuch geworfen hat, ist verständlich.
Ebenso verständlich ist, dass die Kollegen der Regie-
rungskoalition im Haushaltsausschuss angesichts dieser
Lage das kalte Grauen gepackt hat. Nur so erklären sich
folgende Beschlüsse:

Für den Fall, dass es diese Privatisierungserlöse, auf
denen der ganze Haushalt basiert, nicht gibt, ist beschlos-
sen worden, die dann bankrotten Ausgabenbereiche wie
Informationstechnik und Infrastruktur mit Verstärkungs-
vermerken zu versehen. Das ist angesichts dieser Situa-
tion vernünftig, aber nur deshalb notwendig, weil man
selbst nicht glaubt, was man auf dem Papier geschrieben
hat.

Außerdem ist beschlossen worden, alle GEBB-Akti-
vitäten mit Haushaltsrelevanz qualifiziert zu sperren. Das
beinhaltet den geheimen Vorbehalt der Koalitionsabge-
ordneten gegenüber dieser Gesellschaft. Ich kann mich an
das Berichterstattergespräch erinnern, in dem der eine
oder andere rot-olivgrüne Kollege gesagt hat:Wir werden
das Ende des Jahres abwarten, um zu wissen, ob es bei
der GEBB ein Ende mit Schrecken oder ein Schrecken
mit Ende gibt, ob man nicht wirklich die vorzeitige Auf-
lösung der Gesellschaft veranlassen soll. – Das fordern
wir ja.

Schließlich hat man von der Koalition vorgeschlagen,
selbst international verbindliche Erklärungen des Bun-
deskanzlers zur Beschaffung des Großraumtransport-
flugzeugs im Haushalt zu konterkarieren. Wir alle erin-
nern uns daran: Der Bundeskanzler hat vor kurzem beim
deutsch-französischen Gipfel sein Interesse daran deut-
lich gemacht, dass das Großraumflugzeug beschafft wird.
Es soll ja auch wichtige strategische Fähigkeiten im Luft-
transport der Bundeswehr ermöglichen. Wenn man bei
den Plänen bleibt – Beschaffung von 73 Flugzeugen –, ist
es notwendig, einen Betrag von 16 Milliarden DM oder
rund 8 Milliarden Euro bereitzustellen.

Im Haushalt dieses Jahres war eine Verpflichtungser-
mächtigung in der Größenordnung von 5 Milliarden Euro
eingestellt. Die konnte bisher nicht abgearbeitet werden,
weil es dem Minister innerhalb dieses Jahres nicht mög-
lich war, den Vertrag über die 73 neuen Großflugzeuge
tatsächlich abzuschließen. Man ist sich mit der Industrie
nicht einig geworden. Zunächst hat man sich in Le Bour-
get getroffen, aber man musste auseinander gehen ohne
wesentliche Unterschrift, weil es keine Zustimmung des
Parlaments und keine verhandlungsreifen Verträge gab.
Jetzt ist man nicht ein Stückchen weiter, aber der Bun-
deskanzler sagt, der Haushaltsausschuss habe ihm das
Geld nicht bewilligt.


( V o r s i t z : Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Ich glaube, es ist ziemlich eindeutig, dass Regierung
und Koalition in dieser Frage nicht mehr richtig mitei-
nander reden. Sonst wäre dieses Problem am besten und
schnellsten dadurch zu lösen, dass Sie unserem Antrag,
den wir heute stellen, folgen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, den besten Sparbeitrag

könnte die Koalition leisten, wenn sie die GEBB; die seit
ihrer Gründung sage und schreibe 65 Millionen DM aus
dem Bundeshaushalt erhalten hat, abschafft. In der
Zeitung ist heute zu lesen, dass die Staatsanwaltschaft
Bonn ermittelt, weil diese Bundesgesellschaft, Herrn
Scharpings Lieblingskind, Geld, das sie vom Bund als
Darlehen erhalten hat, für den Kauf von Aktien benutzt
und damit ein mieses Geschäft gemacht hat. Die Staats-
anwaltschaft in Bonn ermittelt. Vielleicht ist das der
Grund dafür, dass Frau Fugmann-Heesing aus dem Ver-
kehr gezogen wurde bzw. zurückgetreten ist.


(Johannes Kahrs [SPD]: Alles Unfug!)

Der Verteidigungsminister hat gesagt, seine ganze

Konzeption einschließlich der Bundeswehrreform basiere
auf dem Vier-Säulen-Modell, nämlich auf der veränder-
ten Situation bei der Fahrzeugflotte – man hat mit der
Bundesbahn verhandelt, die sämtliche Fahrzeuge der
Bundeswehr übernehmen sollte; das kam nicht zustande,
weil die Provisionsforderung von Frau Fugmann-Heesing
mit 50 Millionen DM zu hoch war –, außerdem Beklei-
dungsmanagement, IT-Management und Liegenschafts-
management über alle diese Bereiche hat man verhandelt;
ich habe davon gesprochen. Liegenschaftsmanagement
etwa bedeutet, dass die Bundeswehr alle Kasernen an eine
Gesellschaft verkauft, an der der Bund beteiligt ist, und
der Verteidigungsminister sie wieder anmietet. Dazu hat
der Finanzminister gestern endgültig erklärt, das wäre ein
Schattenhaushalt und mit ihm nicht zu machen. Was ist
nun mit dem Rücktritt des Ministers, der gesagt hat, wenn
dieses Vier-Säulen-Modell nicht funktioniert, nehme er
seinen Hut?

Ich glaube, es ist ziemlich klar, dass mit diesem Vertei-
digungsetat aufgrund der finanziellen Unterdeckung – in
diesem Jahr fehlt weit über 1 Milliarde und im kommen-
den Jahr dürfte ein Betrag von rund 3 Milliarden fehlen –
kein Staat zu machen ist, dass er einer Bankrotterklärung
gleichkommt.


(Johannes Kahrs [SPD]: Haben Sie noch etwas anderes drauf als Polemik?)


Die Maßnahmen der Regierungskoalition im Haushalts-
entwurf bezeugen die Handlungsunfähigkeit dieser Bun-
desregierung auf dem Gebiet der Haushaltswirtschaft,
eben auch in der Außen- und Verteidigungspolitik. Sie
werden auch nicht besser durch die Zuweisung weiterer
1,5 Milliarden DM aus dem Antiterrorpaket. Diese Mittel
sind zweckgebunden für den neuen, bislang im Haushalt
nicht abgebildeten Bedarf und lindern in keiner Weise die
Not des Einzelplans. Wenn man davon ausgeht, dass aus
diesen Mitteln auch noch die Kosten der Beteiligung der
Bundeswehr an der Operation Enduring Freedom bestrit-
ten werden müssen, zeigt sich vollends, dass auch mit




Dietrich Austermann

20123


(C)



(D)



(A)



(B)


dieser Maßnahme nur von der Wirklichkeit abgelenkt
werden soll.

Meine Damen und Herren, auf die Reaktion unseres
Landes, die als „uneingeschränkte Solidarität“ bei der
Bekämpfung des Terrors weltweit angekündigt war, ist
in der vorangegangenen Debatte eingegangen worden. Es
ist aber festzustellen: Wenn für das Liefern von Decken in
die Türkei die Vertrauensfrage gestellt werden muss und
die Olivgrünen erst einen Tag vor der Friedenskonferenz
zur Zustimmung kommen,


(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist peinliche Polemik!)


ist das für die Bundeswehr kein Ruhmesblatt und für die
Bundesregierung blamabel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dabei ist ziemlich klar, dass unsere Kritik überhaupt nicht
an die Bundeswehr und ihre tüchtigen zivilen und solda-
tischen Mitarbeiter gerichtet ist, sondern an die Führung,
die sie dieser Blamage ausgesetzt hat.

Ich möchte einen weiteren Punkt anführen, der vor
dem Grünen-Parteitag, den ich eben angesprochen habe,
eine Rolle gespielt hat. Die Roten und die Olivgrünen tun
ja alles, um sich gegenseitig zu helfen. Vor dem Grünen-
Parteitag hat Außenminister Fischer mit großem Tamtam
verkünden dürfen, er habe einen rüstungspolitischen
Katalog gestoppt, in dem ausgemusterte Waffen zum Ver-
kauf angeboten werden. Überall, sei es im Kabinett oder
bei den Haushaltsberatungen, stimmen die Grünen
diesem normalen Geschäft zu. Im Haushalt sind Ver-
äußerungserlöse aus dem Verkauf von Waffen an
NATO-Partner, aber auch an befreundete Nationen einge-
plant. Vor Parteitagen macht es sich für grüne Seelen je-
doch gut, wenn es heißt, wie die „Welt“ kürzlich schrieb:
„Fischer, der Friedensfürst, stoppt Scharping, den Waf-
fenhändler.“ Mit verantwortungsvoller Politik hat das
nichts zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Uwe Göllner [SPD])


Man stelle sich einmal vor: Man ist dagegen, dass an
die Türkei Waffen geliefert werden, und sagt, mit denen
wolle man, was Waffenlieferungen angeht, nichts zu tun
haben. Gleichzeitig ist man jetzt im Rahmen dieser Un-
terstützungsaktion darauf angewiesen, für die Transporte
der Decken einen Flugplatz im Lande des Partners Türkei
anzufliegen. – Das passt doch hinten und vorne nicht.

Es passt auch nicht zusammen, dass sich der Verteidi-
gungsminister intern damit schmückt, bei Rüstungsex-
porten sei 1999 ein Rekord erzielt worden, wenn gleich-
zeitig der Eindruck vermittelt werden soll, man habe mit
diesen Exporten nichts zu tun.

Der rot-grüne Streit ist nicht nur auf diesem Gebiet evi-
dent. Bei Herrn Fischer habe ich allerdings den Eindruck,
dass seine Haltung mehr äußerlich ist. Klammheimlich,
also hinter dem Rücken, macht er genau das, was ihm
nachgesagt wird: Auf dem Parteitag verstellt er sich bloß.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten mal vorbeikommen sollen, Herr Austermann!)


Direkt nach dem Grünen-Parteitag hat Scharping wider-
sprochen, als er gesagt hat, die Verkäufe gingen weiter,
und auf einen entsprechenden Kabinettsbeschluss vom
Juli 2001 hinwies. Diese Arbeitsteilung mag für den
krampfhaften Zusammenhalt von Rot-Grün Kitt sein und
koalitionsintern zur Beruhigung beitragen. Für unser
Land und natürlich auch für die Industrie ist das schlecht.

Ich möchte zusammenfassen: Im Haushaltsent-
wurf 2002 wurden dem Einzelplan 14 durch bewusste
Mittelabsenkungen rund 800 Millionen DM entzogen.
Die Ausgaben für militärische Beschaffungen, Forschung
und Entwicklung sind mit mindestens 1,2 Milliarden DM
unterfinanziert. Die Bugwelle nicht realisierter Vorhaben
des Jahres 2001 in Höhe von 900 Millionen DM tritt
hinzu. Damit liegt die bewusste Unterdeckung des Vertei-
digungshaushalts bei 3 Milliarden DM. Wir haben An-
träge in entsprechender Höhe gestellt. Wer es mit der Si-
cherheitspolitik und der Verteidigung unseres Landes und
mit dem Bündnis ernst meint, der muss diesen Anträgen
zustimmen. Haushaltsrisiken, für die keine Vorsorge mehr
getroffen werden kann, treten hinzu.

Ihre rot-grüne Politik ist unverantwortlich und nicht
zukunftsorientiert. Eine solche Firmenbilanz würde jeden
Geschäftsführer eines Unternehmens dem Vorwurf der
Erfüllung von Straftatbeständen aussetzen. Die von
Minister Scharping angestrebte Bundeswehrreform ist
mit diesem Finanzrahmen nicht zu machen.

Herr Minister Scharping, Sie haben das Vertrauen ver-
loren: Die Soldaten haben kein Vertrauen mehr zu Ihnen,
die Bevölkerung hat kein Vertrauen mehr zu Ihnen und
Ihre eigene Partei hat, wie das mickrige Wahlergebnis auf
dem Nürnberger Parteitag deutlich gemacht hat, kein Ver-
trauen mehr zu Ihnen. Der Generalinspekteur, Ihr dritter
in Ihrer Dienstzeit, hat kein Vertrauen mehr. Frau
Fugmann-Heesing verlässt fluchtartig das sinkende
Schiff, die GEBB. Ich nehme an, Ortwin Runde oder
Oswald Metzger haben noch Vertrauen zu Ihnen; schließ-
lich werden sie als Kandidaten für das Amt des Ge-
schäftsführers der GEBB genannt. Möglicherweise glau-
ben sie, mit Ihnen im Amt werde die GEBB fortbestehen.
Wer sonst hat überhaupt noch Vertrauen in diesen Bun-
desverteidigungsminister?


(Gernot Erler [SPD]: Wir!)

Es scheint, dass einzig und allein der Kanzler ihn noch

hält, wahrscheinlich nur deswegen, weil er bereits sieben
Minister und viele Staatssekretäre entlassen hat. Herr
Minister, Sie sollten die Kraft haben, der Bundeswehr zu
dienen und einem Besseren Platz zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gernot Erler [SPD]: Sie sollten auswandern, Herr Kollege!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1420409000
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Volker Kröning für die SPD-Frak-
tion.


Volker Kröning (SPD):
Rede ID: ID1420409100
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Der Verteidigungshaus-
halt 2002, den die Koalition vorlegt, bildet einen Aus-




Dietrich Austermann
20124


(C)



(D)



(A)



(B)


gleich zwischen finanz- und sicherheitspolitischen Erfor-
dernissen und verbindet die Anforderungen an die Bun-
deswehrreform und an die aktuellen Einsätze der Bundes-
wehr mit den Anforderungen an die Sanierung des
Bundeshaushalts.

Erinnern wir uns an die Strecke, die wir zwischen dem
Haushaltsentwurf 2000 und dem Finanzplan 2003 sowie
dem Haushaltsentwurf 2002 und dem Finanzplan 2005
auf dem Politikfeld der Verteidigung zurückgelegt haben.
Die Linie der Sollentwicklung lautete damals: 45,3 Milli-
arden DM für das Jahr 2000 und für die Folgejahre
44,8 Milliarden DM, 44,5 Milliarden DM und 43,7 Milli-
arden DM.

Mit dem Einsatz der Bundeswehr im Kosovo, der als
erster Auslandseinsatz nicht aus dem Verteidigungs-
haushalt erwirtschaftet werden musste, wurde das Budget
zunächst, im Jahre 1999, um 441Millionen DM verstärkt.
Sodann, im Jahre 2000, wurde es aus dem Einzelplan 60
um 2 Milliarden DM verstärkt. Seit 2001 stehen diese
Mittel dem Einzelplan 14 unbefristet zur Verfügung.
Mehr als 800Millionen DM davon sind zur gezielten Mo-
dernisierung der Bundeswehr vorgesehen.

Im Jahre 2001 sind zwei weitere Korrekturen erfolgt,
die das Budget mittel- und langfristig stabilisieren. Ich
meine zunächst Südosteuropa. Im Vorfeld der Einsätze in
Mazedonien ist die Finanzlinie des Einzelplans bis 2006
verlängert und um jährlich 500 Millionen DM erweitert
worden. Der 11. September hat ein Übriges getan und zu
einer Aufstockung um weitere 1,5MilliardenDM pro Jahr
geführt.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Wo ist die denn?)

Dabei sollte sich jeder erinnern, dass man sich in der
Theorie der Terrorismusbekämpfung einig gewesen
sein mag, in der Praxis aber erst jetzt zu einer kurz- wie
mittelfristig angelegten Antwort findet; das ist übrigens
im Ausland nicht anders als bei uns. Diese Antwort er-
schöpft sich keineswegs in dem militärischen Beitrag zur
Terrorismusbekämpfung, sondern ist komplex, wie die
vorige Debatte deutlich herausgearbeitet hat.

Im Soll hat sich damit der Verteidigungshaushalt von
2000 bis 2002 von 45,3 auf 46,2 Milliarden DM erhöht.
Mit den Mitteln aus dem Einzelplan 60 wird das Budget
sogar von 47,3 auf 47,7 Milliarden DM ansteigen. Von
2003 an wird die Linie des Einzelplans stetig bei 47,7Mil-
liarden DM liegen.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Nur haben wir dann schon Euro!)


– Um das allen verständlich zu machen und um besser mit
den Vorjahren vergleichen zu können, habe ich, lieber
Herr Kollege Rossmanith, noch DM-Beträge und nicht
Euro-Beträge verwandt.

Der Anteil des Verteidigungshaushaltes am Gesamt-
haushalt liegt damit – ohne die weiteren Ausgaben nach
NATO-Kriterien – konstant bei knapp 10 Prozent des Ge-
samthaushaltes. Mit den Ausgaben nach NATO-Kriterien,
wie etwa Versorgungslasten oder Stationierungslasten,
sind das weitaus mehr als 10 Prozent. Diese Linie lässt
sich – das sage ich ganz klar – auf absehbare Zeit nicht
nach unten korrigieren.

Fairerweise muss man fragen: Wäre man, wie die
CDU/CSU glauben machen möchte – deshalb will ich
mich damit auseinander setzen –, ohne die ursprünglich
geplanten Kürzungen des Verteidigungshaushaltes besser
gefahren? Die Antwort lautet klar: Nein; denn das hätte
nur die alte Praxis fortgesetzt, die jeweils erforderlichen
Beträge aus dem Einzelplan zu erwirtschaften. Ich erin-
nere an die Linie der Ist-Ergebnisse der 90er-Jahre, die
ebenso den damaligen Auslandseinsätzen wie der Spar-
politik geschuldet war, an der sich vor Hans Eichel schon
Theo Waigel versucht hat.

Ist also die im Jahr 2000 beschlossene, auf das
Jahr 2006 zielende und in der schrittweisen Umsetzung
begriffene Bundeswehrreform hinreichend finanziert
– diese Frage stellt sich durchaus – oder ist sie unterfi-
nanziert, wie vom rechten Teil dieses Hauses unaufhör-
lich verbreitet wird? Die Antwort darauf darf sich nicht in
der These erschöpfen, dass die Reform den sicherheits-
politischen Möglichkeiten und den finanzpolitischen Not-
wendigkeiten genügen muss. Das bleibt eine Floskel. Es
genügt auch nicht, auf die reduzierte Rolle der klassischen
Landes- und Bündnisverteidigung zu verweisen. Instabi-
litäten in und um Europa und neue Gefahren wie der in-
ternationale Terrorismus sowie die Herstellung und Proli-
feration von Massenvernichtungsmitteln fordern auf neue
und umfassende Weise das Recht und die Pflicht zur
Selbstverteidigung und zur Sicherheitsvorsorge heraus.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Und die entsprechenden Mittel! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Mehr Geld!)


Dies hat uns die Realität schockartig und böse vor Augen
geführt.

Nein, die Antwort lautet: Die Bundeswehrreform ist
notwendiger und dringlicher denn je. Ich hätte es sogar
vorgezogen, sie früher einzuleiten. Doch es ist ein Gebot
der Wahrhaftigkeit, daran zu erinnern, dass der Verteidi-
gungshaushalt von vornherein gegenüber anderen Haus-
halten bevorzugt worden ist. Ich nenne über die genann-
ten Verstärkungen hinaus vor allem den beinahe
vollständigen Selbstbehalt der Effizienzrendite und den
Selbstbehalt der Veräußerungserlöse, den die Ressortver-
einbarungen von 2000 und 2001 nicht einmal erfunden,
sondern nur ausgeweitet haben.

Die GEBB bleibt für uns eine verwaltungs- und haus-
haltstechnische Innovation, die sich auszahlen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Raidel [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht, Herr Kröning! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Auszahlt!)


Das Regelwerk, das inzwischen feststeht, eröffnet der
GEBB – völlig unabhängig von Personalien – einen rea-
listischen Entwicklungspfad und ist parlamentarisch zu
verantworten. Wer vor diesem Hintergrund immer noch
von Unterfinanzierung der Bundeswehr redet, hat jeden
Maßstab verloren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Volker Kröning

20125


(C)



(D)



(A)



(B)


Oder an die Adresse des leider an diesem Punkt nicht
mehr beteiligten Herrn Rühe gesagt: Wer von Demontage
redet, macht Parteipolitik auf dem Rücken unserer Sol-
daten.


(Beifall bei der SPD – Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat er schon immer gemacht!)


Nun die in die Zukunft weisenden Eckpunkte des Ent-
wurfs 2002:


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Du bist doch sonst ein ganz vernünftiger Mensch! Warum sagst du so etwas?)


Mit dem für die vor uns liegenden Jahre beschlossenen
Personalbudget wird das Attraktivitätsprogramm ver-
wirklicht, das zentraler Bestandteil der Bundeswehr-
reform und Ausfluss des Neuausrichtungsgesetzes und
des Besoldungsänderungsgesetzes ist, die vom Haus be-
reits beschlossen worden sind. Das Programm eröffnet al-
lein im militärischen Bereich 2002


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Das glaubt kein Mensch außer Kröning!)


– hören Sie gut zu, Sie Zwischenrufer – fast 42 000 Be-
förderungsmöglichkeiten, davon für Offiziere 5 500, für
Unteroffiziere 1 850 und für Mannschaftsdienstgrade
34 500. Darüber hinaus kann und wird die vom Verteidi-
gungsausschuss einstimmig beschlossene Erhöhung des
Mobilitätszuschlages finanziell dargestellt werden, so-
bald § 8 d des Wehrsoldgesetzes geändert ist.

Im Sachhaushalt lassen sich die Investitionen, also die
Ansätze für Forschung und Entwicklung und für Be-
schaffungen, die im Plafond nur 23 Prozent betragen,
durch die gesicherten Verstärkungsmittel wesentlich er-
höhen; in absoluten Zahlen: zu den 5,2 Milliarden Euro
kommen – vorsichtig gerechnet – 0,6 Milliarden Euro zu-
sätzlich. Vergleichen wir – jetzt passen Sie gut auf – die
Ist-Entwicklung der Investitionen über ein Jahrzehnt und
nehmen wir sie zum Maßstab der Richtung und des Tem-
pos der Modernisierung der Bundeswehr. Wenn man die-
sen Maßstab anlegt, stellt man von 1994 über 1998 bis
2000 – um nur die Daten am Ende der letzten zwei Wahl-
perioden und nach den ersten zwei Jahren dieser Wahlpe-
riode zu vergleichen – folgende Linie fest: 21,1 Prozent
1994, 23,7 Prozent 1998 und 24,3 Prozent im Jahre 2000,
oder in absoluten Zahlen gesagt: 9,9 Milliarden, 11,1 Mil-
liarden und 11,6 Milliarden DM.


(Peter Zumkley [SPD]: Ist deutlich mehr! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das kann ja wohl nicht sein!)


Sieht man sich alleine die Beschaffungen an, so stellt
man folgende Ausgabenkurve fest: 5,5, 6,5 und 7,2 Milli-
arden DM. Von einem historischen Tief, Herr Kollege
Austermann, kann also überhaupt keine Rede sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die große Zahl der Beschaffungsentscheidungen, die
der Haushaltsausschuss – zugegebenermaßen nicht mit
der Begleitmusik, mit der Sie das zu tun pflegten und lei-

der meist in Form von halbwahren Informationen immer
noch tun – in dieser Legislaturperiode getroffen hat und
die er noch vor sich hat, ist ein eindeutiger Beleg. Ich
nenne als aktuelles Beispiel nur die Division Spezielle
Operationen, die möglicherweise die Hauptlast bei einem
Ernstfall zu tragen hätte. Die DSO ist rechtzeitig aufge-
stellt worden, mehr als zwei Drittel ihrer Ausrüstung sind
beschafft, der Rest hat 2002 und 2003 Priorität.

Zum A 400 M nur die Bemerkung, Herr Austermann,
dass die Koalition auf Bitten des Bundesministers der
Verteidigung die VE, die bereits in diesem Jahr im Haus-
halt stand, auf das nächste Jahr übertragen hat, weil – so
das Ministerium – die Zeit für die Beschaffungsvorlage
noch nicht reif sei.

Ein Wort noch aus besonderem Anlass zur Material-
erhaltung: Sie fällt nicht unter die Investitionsausgaben,
sondern unter die konsumtiven Ausgaben und zeigt ein
noch krasseres Bild als die Entwicklung der Investitionen,
wenn man von der Gegenwart in die Vergangenheit
zurückschaut. Diese Ausgaben haben sich nämlich in den
drei Abschnitten von 1994 über 1998 bis 2000 von zu-
nächst 4,3 Milliarden DM auf 4 Milliarden DM verringert
und sind – wohlgemerkt, im Ist – unter unserer Regierung
auf 4,5 Milliarden DM erhöht worden. Sie steigen im Soll
im nächsten Jahr noch einmal auf 4,7 Milliarden DM an.

Dabei wünschte ich mir, dass das Verhältnis zwischen
Materialbeschaffung und Materialerhaltung bald günsti-
ger wird. Dies hängt neben einem klaren, von einem Con-
trolling begleiteten Erhaltungskonzept, dessen Erarbei-
tung vom Haushaltsausschuss in Auftrag gegeben worden
ist, auch von einem entschiedenen Aussortierungskonzept
ab, das eine schrittweise Umsteuerung der Investitionen,
von Alt zu Neu also, einschließt.

Zusammengefasst: Die Fakten sind eindeutig. Die in-
teressierten Kreise – sei es aus der Bundeswehr, sei es aus
der Industrie – sollten bei den Fakten bleiben und ihre Kri-
tik mäßigen. Überhaupt tun alle Verantwortlichen gut da-
ran, das Geleistete herauszuarbeiten und nicht Illusionen
hinterherzujagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich gebe zu, dass das Verhältnis von Personal- und
Sachquote im Verteidigungshaushalt noch immer zu den-
ken gibt und in den nächsten Jahren korrigiert werden
sollte. Allein auf die Effekte der GEBB, sobald und soweit
sie hinzutreten, sollte man nicht setzen.

Doch hört man sich jenseits des politischen und publi-
zistischen Getümmels bei all denjenigen, die sachlich
bleiben, um, so findet man bestätigt: Die Richtung der Re-
form stimmt. Man sollte über sie positiv und nicht nega-
tiv sprechen, nicht zuletzt auch deshalb, um den Arbeits-
platz Bundeswehr materiell und ideell attraktiv zu
erhalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich appelliere an alle Fraktionen, die Bundeswehr, ihre
Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft aus dem
parteipolitischen Streit herauszunehmen. Tun wir es nicht,




Volker Kröning
20126


(C)



(D)



(A)



(B)


laufen wir Gefahr, dass andere die Bundeswehr ständig in
den Dreck ziehen. Darunter leiden die Einsatzkräfte, an
die wir in diesem Moment denken sollten, und alle ande-
ren Soldaten und Zivilisten, die für sie da sind. Ich wün-
sche mir – ich drücke das bewusst nicht im Konjunktiv,
sondern im Indikativ aus – einen Konsens über die äußere
wie die innere Sicherheit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1420409200
Für die
FDP-Fraktion spricht der Kollege Günther Nolting.


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1420409300
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kröning, nie-
mand von der Opposition will die Bundeswehr in den
Dreck ziehen. Ich glaube, auch wir aus den Reihen der
Opposition sind uns unserer gemeinsamen Verantwortung
bewusst.

Ich will am heutigen Tage vielmehr daran erinnern,
dass sich in diesem Moment mehr als 7 500 Angehörige
der Bundeswehr im Einsatz auf dem Balkan und in
Georgien befinden. Fast 4 000 halten sich für die Teil-
nahme am Kampf gegen den internationalen Terrorismus
bereit. Sie alle, aber auch die Angehörigen der Bundes-
wehr hier vor Ort leisten eine hervorragende Arbeit. Sie
garantieren die äußere Sicherheit unseres Staates und sie
erhalten und schaffen an den verschiedensten Orten die-
ser Erde Frieden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie tun dies unter dem Einsatz von Leib und Leben. Wir
alle sind ihnen dafür zu Dank verpflichtet.


(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundeswehr hatte vor rund zehn Wochen ihren ers-
ten gefallenen Soldaten zu beklagen. Von der Öffentlich-
keit fast nicht wahrgenommen, kam Oberstabsarzt Dieter
Eissing im Einsatz für den Frieden durch den Abschuss ei-
nes Hubschraubers in Georgien ums Leben. Der Dienst in
der Bundeswehr ist nicht ohne Risiko. Ich bin mir dessen
immer bewusst gewesen. Der Beruf des Soldaten ist von
besonderer Qualität. Für mich stand das immer außer
Zweifel.

Die Angehörigen der Bundeswehr – ob nun in Uniform
oder in Zivil – bedürfen der speziellen Anerkennung und
sie bedürfen der notwendigen Mittel zur Erfüllung ihres
gefahrvollen Auftrages. Es ist die Aufgabe des Vertei-
digungsministers, dafür zu sorgen, dass die Soldatinnen
und Soldaten optimal ausgebildet werden, dass ihnen mo-
dernste Ausrüstung und Bewaffnung zur Verfügung steht
und dass die Soldaten und die zivilen Mitarbeiter ange-
messen bezahlt werden. Herr Scharping, Sie erfüllen
keine dieser Aufgaben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie übernahmen 1998 einen Verteidigungshaushalt in
Höhe von 46,8 Milliarden DM. Der Verteidigungshaus-
halt betrug 10,1 Prozent des Bundeshaushaltes. Ich will
eingestehen, dass das wenig genug war. Herr Minister, Sie
hatten auch Recht mit Ihrer Feststellung, dass eine Inves-
titionslücke von rund 20 Milliarden DM bestehe. Später
haben Sie im Zahlenrausch eine Lücke von 30 Milli-
arden DM genannt.

Was kam dann? Nichts, rein gar nichts!

(Beifall bei der FDP)


Ihr Haushalt wurde Jahr für Jahr zusammengestrichen.
Der Kollege Kröning hat das für die SPD gerade noch ein-
mal bestätigt. Heute haben Sie nominal rund 3 Milli-
arden DM weniger. Der Anteil des Verteidigungshaus-
haltes am Bundeshaushalt beträgt nur noch 9,1 Prozent.
Das ist der Tiefststand in der Geschichte der Bundeswehr.
Herr Kollege Kröning, das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Bundeswehr geht sprichwörtlich baden – wenn

auch ohne Fotostory, möchte man fast sagen, wenn es
nicht so unendlich traurig wäre.


(Peter Zumkley [SPD]: Sehr flach, Herr Nolting!)


Sie, Herr Minister, tragen die alleinige Verantwortung
dafür, Sie ganz allein.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie sind zu einem Führer grenzenlos enttäuschter Truppen
geworden. Zugleich sind Sie ohne Rückhalt im Kabinett.
Die Parteitagsdelegierten sprachen Ihnen in Nürnberg das
Misstrauen aus. In Ihrer Fraktion läuft für alle sichtbar die
offene Rebellion. Wie anders ist die Forderung des Kolle-
gen Opel, immerhin ein ausgewiesener Verteidigungs-
experte der SPD, zu verstehen, dass Sie, Herr Minister,
den Oberbefehl über die Bundeswehr an den Kanzler ab-
geben sollen? Ich teile allerdings die Auffassung des Ver-
fassungsrechtlers Wieland, der die aktuelle Dominanz des
Kanzlers in Fragen des Bundeswehreinsatzes analy-
siert als „ein Anzeichen für die politische Schwäche
Scharpings, aber nicht für eine Lücke im Grundgesetz“.
So ist das. Der Mann hat Recht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Bilanz der jetzt dreijährigen Amtszeit des Vertei-

digungsministers ist ebenso ernüchternd wie katastrophal.
Letztes Beispiel – das ist hier schon angesprochen wor-
den – ist die Gesellschaft fürEntwicklung, Beschaffung
und Betrieb, kurz GEBB. Diese Gesellschaft ist nicht nur
ein Megaflop, sie ist auch – so die „Bild“-Zeitung von
heute – ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten, die seit
zwei Monaten wegen des Verdachts der Untreue ermittelt.
Der Kollege Austermann hat schon darauf hingewiesen.

Die Kündigung von Frau Fugmann-Heesing, immerhin
bislang hoch gelobte


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Hoch bezahlte!)

und noch höher bezahlte Geschäftsführerin dieses ominö-
sen Konstruktes, täuscht nicht über den wahren Verant-
wortlichen hinweg. Der heißt Rudolf Scharping. Die




Volker Kröning

20127


(C)



(D)



(A)



(B)


GEBB ist am Ende. Sie sollte wegen Erfolglosigkeit auf-
gelöst werden, um der Verschwendung von Steuergeldern
ein Ende zu bereiten.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Einen entsprechenden Änderungsantrag hat die FDP-
Bundestagsfraktion eingebracht. Ich bitte hier um Zu-
stimmung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Minister Scharping, für Sie bedeutet die erneute
Niederlage jedoch mehr. Ihr ohnehin schon brüchiges Fi-
nanzgebäude steht endgültig vor dem Einsturz. Die von
Ihnen vollmundig proklamierte größte Militärreform
seit Scharnhorst, in Wirklichkeit wohl eher ein Reförm-
chen, bricht in sich zusammen – zulasten der internatio-
nalen Reputation Deutschlands und zulasten der Ange-
hörigen der Bundeswehr, deren oberster Dienstherr Sie
doch sind.

Herr Minister, in Ihrer Haushaltsrede des letzten Jahres
versprachen Sie unter anderem, den strukturellen Über-
hang von 8 000 Unteroffizieren und Offizieren und den
Beförderungsstau innerhalb von zwei Jahren abbauen zu
wollen. Das sind Ihre Worte, Herr Minister Scharping.
Was sind Ihre Taten? Gerade einmal 3 000 Dienstposten-
inhaber können innerhalb der kommenden fünf Jahre die
Bundeswehr vorzeitig verlassen. So bleibt auch das Ver-
sprechen an die Soldaten, den Beförderungsstau schnells-
tens aufzulösen, eine Chimäre. So erzielt man keine At-
traktivität des Soldatenberufes. So verspielt man auch das
letzte Vertrauen der Untergebenen.


(Volker Kröning [SPD]: Sie haben offenbar nicht zugehört!)


Die Defizite bei der Attraktivität lassen sich benennen:
die zu lange Stehzeit bei den Auslandseinsätzen, die zu
niedrige Eingangsbesoldung, die ungleiche Ost-West-Be-
soldung, die nicht ausreichende Bezahlung vieler ziviler
Mitarbeiter und mangelhafte Beförderungsmöglichkei-
ten. Die Liste ließe sich endlos weiterführen.

Nicht mehr, sondern immer weniger bekommen die
Menschen, die die äußere Sicherheit unseres Landes ga-
rantieren sollen und die ihre Köpfe für den Weltfrieden
hinhalten.

Die Bundeswehr, das Armenhaus der Nation, und
Rudolf Scharping hat sie dazu gebracht. Das ist die Wahr-
heit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ein Verteidigungsminister, der sich durch die bewusste
Veröffentlichung peinlicher Badefotos der Lächerlichkeit
preisgibt,


(Zurufe von der SPD: Oh!)

der nicht in der Lage war und ist, nachvollziehbare Be-
gründungen für die Nutzung der Flugbereitschaft für
Mallorca-Trips zu geben, der geheime Militärplanungen
vor laufenden Kameras ausplaudert, der unsere britischen
Freunde öffentlich brüskiert, der den Bündnisfall zum
falschen Zeitpunkt ankündigt, dessen Haushalt drastisch

unterfinanziert ist und der im Kabinett jegliche Durchset-
zungsfähigkeit verloren hat, ist eine Belastung für die
Bundeswehr und für das internationale Ansehen Deutsch-
lands. Deshalb ist der Rücktritt von Minister Scharping
längst überfällig.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1420409400
Ich gebe das
Wort der Kollegin Angelika Beer für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.


Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420409500
Herr
Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte versuchen, die Debatte jetzt wieder etwas sachli-
cher zu gestalten;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


denn ich bin überzeugt, dass wir hier nicht Schaumschlä-
gerei betreiben sollten, Herr Kollege Nolting, sondern uns
auch die Zeit nehmen sollten, eine Debatte über die Zu-
kunft deutscher Außen- und Sicherheitspolitik zu führen.


(Hans Raidel [CDU/CSU]: Haushalt 2002!)

Eine solche Debatte eignet sich nicht zu Schnellschüssen,
vor allen Dingen nicht zu solchen, wie die CDU/CSU sie
eben vorgetragen hat, nämlich 3 Milliarden Euro mehr für
das Großraumflugzeug zu beantragen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Wie soll das denn sonst finanziert werden?)


Sie betreiben hier, etwas hilflos, einen vorgezogenen
Wahlkampf. Es bleibt dabei, dass Ihnen nichts Substanzi-
elles einfällt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans Raidel [CDU/CSU]: Mädchen! Wer hat dir das aufgeschrieben?)


Ich bin der Ansicht, dass wir neu über Sicherheitspoli-
tik diskutieren müssen, über die Folgen des 11. Septem-
ber nachdenken müssen. Dies muss aber in einer breiten
Öffentlichkeit und vor allen Dingen im Parlament quali-
tativ möglich sein.


(Hans Raidel [CDU/CSU]: Qualitativ heißt, es muss einem etwas einfallen!)


Ich hätte mir gewünscht, dass das heute geschieht.
Wir Grünen haben diese Diskussion ernsthaft geführt

und wir werden sie weiter führen. Wir wollen die öffent-
liche Auseinandersetzung. Wir wollen über die Konzepte
reden, weil sie nicht nur die Soldaten betreffen, die wir in
den Einsatz schicken, sondern auch unsere Gesellschaft,
die Rolle Deutschlands in der internationalen Politik.
Deswegen muss man auch in dieser Haushaltsdebatte
noch einmal festhalten, dass der 11. September vieles in
unseren Köpfen verändert hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Günther Friedrich Nolting
20128


(C)



(D)



(A)



(B)


Das ist wichtig. Ich sage das so, weil wir alle, gerade wir
Fachpolitiker, wissen, dass der internationale Terroris-
mus selber keine neue Erscheinung ist. Aber aufgrund der
Art der zynischen und Menschen verachtenden Anschläge
wie im September wissen wir, dass dieser Gegner keine
Rücksicht auf Zivilisten, auf Unschuldige nimmt.

Wir wissen, dass wir darauf nicht mit herkömmlichen
militärischen Mitteln allein reagieren können. Es sind un-
gleiche Feinde. Wir sind noch nicht ganz sicher, wie wir
uns gegen diesen Angriff verteidigen sollen. Gerade des-
halb ist abseits der Zahlenspielereien und Verdrehungen,
die Sie eben vorgenommen haben, zu definieren, welche
Rolle das Militär im Kontext der Terrorismusbekämpfung
spielen kann und welche es spielen soll.

Ich glaube, dass diese Rolle nur begrenzt sein kann, da
der Gegner kein militärischer, kein staatlicher Gegner ist,
sondern mit terroristischen, kriminellen Methoden vor-
geht. Das Militär kann nur punktuell darauf reagieren. Zu-
dem besteht die Gefahr einer Eskalation – wir alle wissen
das –, wenn das Militär nicht begrenzt eingesetzt wird.
Wir werden dazu noch zahlreiche Diskussionen führen,


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sie bringen ja nicht einmal Schaum zustande!)


da jeder Militäreinsatz, Herr Kollege Rossmanith – das
sage ich auch zu einigen Kollegen in der SPD –, nach un-
serer Überzeugung erneut breit und verantwor-
tungsbewusst diskutiert und entschieden werden muss,
und zwar mit hoffentlich breiter Mehrheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist aus unserer Sicht allein aus verfassungsrechtlichen
Gründen notwendig, und es entspricht der demokrati-
schen Kultur unseres Landes, den Parlamentsvorbehalt
aufrechtzuerhalten.

Neben den militärischen Mitteln, die zugegebener-
maßen durch die Parlamentsddebatten sehr viel mehr dis-
kutiert werden als die ganzen anderen nicht militärischen
Maßnahmen, die wir gegen den Terrorismus veranlassen,
ist es notwendig, auch über den erweiterten Sicherheits-
begriff zu reden und eine Risikoanalyse – nicht nur für
uns in Deutschland, sondern auch für uns als Mitglied im
Bündnis und der internationalen Staatengemeinschaft –
durchzuführen, um dann die Ursachen in einer qualitati-
ven Form bekämpfen zu können.

Dazu möchte ich auch sagen:

(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Was wollen Sie eigentlich sagen? Es ist unglaublich, was Sie für eine Vorstellung abgeben!)


Dieser vorhin kritisierte und angeblich unklare Auftrag,
den wir hier für die Soldaten, die sich am Kampf gegen
den internationalen Terrorismus beteiligen werden, ver-
abschiedet haben, war der Erfolg der rot-grünen Koali-
tion. Das Gleiche gilt dafür, dass eine Klarstellung per
Protokollnotiz erfolgt ist. Es war auch ein Erfolg für die
Soldaten, weil ihnen die Unklarheit über die Fragen wo-
hin, wie lange und wann genommen worden ist, wenn-
gleich wir eine andere Situation haben als im Kosovo oder
in Mazedonien. Wir können heute nicht punktgenau be-

stimmen, wen wir bereitstellen. Es war ein Bereitstel-
lungsbeschluss und kein konkreter Einsatzbeschluss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte den Gedanken der Prävention, der von der

rot-grünen Koalition in der Außenpolitik stark betont
wird, hier noch einmal erwähnen, weil er in Bezug auf die
Bekämpfung des internationalen Terrorismus sowohl eine
kurzfristige Komponente hat, nämlich die Gefahrenab-
wehr, als auch eine langfristige, die Ursachenbekämp-
fung. Die Fragen, was und wie viel wir sicherheitspoli-
tisch leisten wollen und welche Rolle Deutschland dabei
spielen kann, wurden immer noch nicht beantwortet. Dies
müssen wir tun – zumindest ist das mein Anspruch an den
Deutschen Bundestag.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Da sind Sie bei den Grünen auch richtig!)


Aus meiner Sicht geht unsere Politik in die richtige
Richtung; denn die Leitgedanken der rot-grünen Außen-
und Sicherheitspolitik sind Prävention, die Verhinderung
von Gewalt und eine zivile, das heißt konstruktive
Konfliktbearbeitung.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Da waren Sie sehr erfolgreich!)


Ich unterstreiche das hier, weil wir die Diskussion natür-
lich auch über Mazedonien geführt haben. An dieser
Stelle möchte ich auch noch einmal unterstreichen, dass
der Einsatz unserer Soldaten in Mazedonien – selbst in der
Rolle als „lead nation“ – der erste wirklich präventive
Bundeswehreinsatz ist,


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sagen Sie es für die Bürger doch auf deutsch!)


der es bis heute – ich will nicht zu optimistisch sein – ge-
schafft hat, dass kein neuer Bürgerkrieg auf dem Balkan
ausgebrochen ist.

Das ist eine neue Qualität der Politik und diese wollen
wir fortsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1420409600
Frau Kolle-
gin Beer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord-
neten Koppelin?


Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420409700
Nein,
danke. –

Ich möchte noch einmal auf die militärische Sicherheit
eingehen.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Sagen Sie doch etwas zum Haushalt!)


Die militärische Sicherheit hat ihren Stellenwert – wir
wissen es –, weil es bei Einsätzen Gefahren für das Leben
unserer Soldaten gibt.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Liebe Frau Kollegin, Sie sind leicht indisponiert!)





Angelika Beer

20129


(C)



(D)



(A)



(B)


Es besteht aber auch die Gefahr einer eskalationsträchti-
gen Konfliktdynamik. Ich nenne das hier nach der Er-
wähnung des Einzelfalls ganz bewusst. Mir gefallen die
Spekulationen über den militärischen Automatismus
nicht, die es seit gestern bezogen auf den Irak gibt.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Somalia!)


Gerade jetzt, da die wichtige Konferenz in Bonn durch-
geführt wird, versuchen interessierte politische Kräfte
schon wieder, uns zu jagen, und fragen uns, mit wie vie-
len Blauhelmen Deutschland an einem UN-Einsatz in Af-
ghanistan beteiligt sein wird.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Was haben Sie denn vor einem Jahr noch gemacht?)


Das ist eine kurzsichtige und schlagzeilenträchtige Poli-
tik, die nichts mit Verantwortung zu tun hat. Deswegen
möchte ich das an dieser Stelle zurückweisen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Da spricht ein Wendehals!)


Ich weise es zurück, weil wir von dieser Bauchnabel-
diskussion, die Sie hier gerade vorgeführt haben, weg
müssen. Wenn sich die Spekulationen auf die internatio-
nale Sicherheit beziehen, dann muss es unser Interesse
sein, eine Eskalation zum Beispiel der Luftschläge gegen
den Irak zu verhindern,


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Da ist ein Wendehals am Mikrophon! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Argumente!)


weil wir wissen, dass ansonsten die internationale Antiter-
rorismuskoalition bricht. Wir wissen auch, dass ansonsten
die Gefahr der Angriffe des Iraks gegen Israel steigt, und
wir wissen, dass wir ansonsten in eine Situation kommen,
die nicht mehr beherrschbar zu sein droht. Deswegen soll-
ten wir diese Diskussion sachlich führen und nicht so, wie
Sie das eben getan haben.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Das müssen gerade Sie sagen!)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zur Sachlichkeit
gehört für mich genauso, dass wir uns als diejenigen, die
sich für die Einhaltung des internationalen Völkerrechts
engagieren, das Recht herausnehmen, den Einsatz von
Streubomben ganz klar zu verurteilen. Wir wollen uns
mit aller Kraft dafür einsetzen, dass alle Arten von Land-
minen international geächtet werden und dass das Kriegs-
völkerrecht geachtet wird. Wir wissen, dass es nicht nur
die Zivilisten sein werden, sondern möglicherweise auch
unsere Soldaten, die eines Tages, wenn sie den Frieden be-
wahren und den Aufbau in Afghanistan unterstützen hel-
fen, durch ebendiese Waffen bedroht sind.

Noch ein Wort zur Prävention. Zu einer präventiven
Außen- und Sicherheitspolitik gehört – dafür haben wir
uns eingesetzt und dies haben wir gemeinsam mit unse-
rem Koalitionspartner beschlossen –, die Richtlinien für
die Rüstungsexporte zu überarbeiten. Dazu gehört aber
auch, das Kriterium der Menschenrechte in den Empfän-
gerstaaten voranzustellen. Es ist richtig, dass zwischen

dem BMVg und dem Finanzministerium die Vereinba-
rung getroffen worden ist, dass die Erlöse aus dem Ver-
kauf von Waffen in den Einzelplan 14 zurückfließen. Aber
dies geschieht natürlich auf der Grundlage der
Rüstungsexportrichtlinien.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Haben Sie mit Fischer darüber gesprochen? – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Bei euch gibt es pro Tag fünf neue Meinungen!)


Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal beto-
nen, wie wichtig es mir ist, die Bundeswehr nicht mit Mi-
litär im traditionellen Sinne gleichzusetzen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Muss man eigentlich reden, wenn man gar nicht will? – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Unsere Bundeswehr ist eine moderne Armee, die die Vor-
und Nachteile unserer Gesellschaft widerspiegelt und
auch widerspiegeln muss, da sie Teil unserer Gesellschaft
ist.

Ich weiß, dass die Soldaten jene sind, die von der Re-
form, die wir vor drei Jahren eingeleitet haben, besonders
betroffen sind, und ich weiß, dass eine Reform nicht ohne
Haken und Ösen ist und reibungslos vonstatten geht, son-
dern immer wieder neue Probleme auftreten. Ich denke
daher, es ist an der Zeit, unseren Soldaten an dieser Stelle
dafür zu danken, dass sie sich nicht auf Ihr Gehetze ein-
lassen, sondern diesen Reformprozess aus eigener Kraft
mit voranbringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich komme noch einmal auf die Rolle der Bundes-
wehr, die ich nicht mit der des Militärs im traditionellen
Sinne verbinde, zurück. Wenn wir mit unseren Soldaten
sprechen, egal, wo sie eingesetzt sind, dann wird uns im-
mer wieder klar, dass ihr Selbstverständnis sehr viel brei-
ter angelegt ist. Sie haben in Bosnien, im Kosovo und
auch in Mazedonien mit ihren eigenen Initiativen Grund-
festen gelegt, um den Frieden zu sichern und zum Aufbau
beizutragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Unsere Soldaten verstehen sich nicht als Soldaten in Uni-
form mit der Waffe in der Hand. Sie leisten vielmehr eine
wichtige in die Zukunft gerichtete Arbeit.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Bis vor kurzem waren sie für Sie noch Mörder!)


Gleichwohl möchte ich an dieser Stelle sagen, dass wir
bereit sind, die Bundeswehrreform da, wo es nötig ist,
weiter voranzubringen.

Ich glaube – damit komme ich auf das zurück, was ich
anfangs schon angesprochen habe –, die Notwendigkeit
eines erweiterten Sicherheitsbegriffs und eine Risikoana-
lyse, wie sie zum Beispiel von der von Weizsäcker gelei-
teteten Zukunftskommission vorgezeichnet worden ist,
geben im Groben den weiteren Weg vor. Es ist nicht neu,
aber ich möchte es hier noch einmal unterstreichen: Wir




Angelika Beer
20130


(C)



(D)



(A)



(B)


bauen, was das Engagement unserer Soldaten für
Deutschland und im Rahmen der internationalen Solida-
rität angeht, nach wie vor auf das Prinzip der Freiwillig-
keit.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Sie haben doch gar keine Prinzipien! Wo sind denn Ihre Prinzipien? Prinzip Hoffnung!)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es wird immer
wieder unterstellt, unsere Bundeswehr sei nicht einsatz-
und nicht bündnisfähig. Ich glaube, die Art der Zusam-
menarbeit bei der Internationalisierung der Sicherheitspo-
litik allein auf dem Balkan hat gezeigt, dass unsere Bun-
deswehr im multilateralen Kontext sehr gut in der Lage
ist, die ihr gestellten Aufgaben zu bewältigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir sehen die Herausforderungen im Rahmen der euro-
päischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und wir
wissen auch, dass wir aufgrund der internationalen Ent-
wicklung, der Krisen in den Regionen, der Bedrohung
nicht zuletzt durch den internationalen Terrorismus auf
unserem Weg konsequent voranschreiten müssen, egal,
wie oft dieser von Ihnen infrage gestellt werden mag.

Ich möchte zum Schluss noch einmal betonen, dass es
keinen Reformprozess ohne Reibungsverluste gibt. Der
Haushaltsansatz ist angestiegen, und zwar in dem not-
wendigen Maße, um die internationalen Einsätze zu
finanzieren und unsere Soldaten bestmöglich auszustat-
ten, sodass sie bei ihren Einsätzen im Rahmen der NATO
oder auch der Vereinten Nationen die Stabilität des Frie-
dens mit tragen oder auch dazu beitragen können. Dieser
Haushaltsansatz zeigt, dass wir flexibel auf die enormen
neuen Herausforderungen reagiert haben, die auch mit
dem 11. September auf uns zugekommen sind.

Die Reform der Bundeswehr, ihre Neuausrichtung an
den neuen Aufgaben im multilateralen Kontext wird mit
unserer Politik in einen ebenso multilateralen Kontext ge-
stellt und vertieft. Das geschieht bereits seit drei Jahren.
In den 16 Jahren davor ist – mit Verlaub – eine präventive
Außen- und Sicherheitspolitik leider versäumt worden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1420409800
Zu einer
Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Jürgen Koppelin
das Wort.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1420409900
Als ich hier die Rede der
Kollegin Beer gehört habe, die mehr von Weltschmerz
und Lyrik als von sachlichen Inhalten geprägt war, wollte
ich die Kollegin insbesondere angesichts dessen, wie sie
sich für den Frieden in der Welt quält, fragen – leider hat
sie die Frage nicht zugelassen, das ist ihr gutes Recht –,
ob das, was ich in den Medien lese, richtig ist, dass näm-
lich die rot-grüne Koalition – man glaubt es kaum – mehr

Rüstungsexport als wir zu Zeiten unserer Koalition be-
treibt.


(Beifall bei der FDP)

Dies hätte ich gern gewußt, Kollegin Beer. Sie aber haben
die Frage nicht zugelassen.

Ich möchte hier noch etwas anderes feststellen. Was
Sie hier vortragen, ist schon sehr merkwürdig. Ich erin-
nere mich noch daran – das ist alles noch nicht lange
her –, wie Sie selbst, als wir im ehemaligen Jugoslawien
aktiv werden mussten und Sie in der Opposition waren,
vor kopfschüttelnden Sozialdemokraten den Einsatz im
ehemaligen Jugoslawien mit dem Einmarsch Hitlers in
Polen verglichen haben. Sie können Ihre Rede im Proto-
koll nachlesen. Sie haben hier im Parlament solche Ver-
gleiche gezogen. Heute dagegen halten Sie eine Rede
wie die, die wir gerade gehört haben. Das ist unglaub-
würdig.

Da wir in den Haushaltsberatungen sind: Ich habe noch
all Ihre Anträge auf Streichung sämtlicher Gelder für Be-
triebsmittel und Munition der Bundeswehr im Büro – falls
Sie sie nicht mehr haben. Waren Sie es nicht, die gefordert
hat: raus aus der NATO, Bundeswehr frei?

Kollegin Beer, insbesondere nach dem, was ich heute
in der schleswig-holsteinischen Presse lese, muss ich Ih-
nen sagen: Angesichts solcher Reden wundert es mich
nicht, dass sich nach dem Parteitag in Rostock die Kreis-
verbände der Grünen in Schleswig-Holstein auflösen und
Kreistagsfraktionen auseinander fliegen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1420410000
Zur Erwi-
derung die Kollegin Beer.


Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420410100
Herr
Kollege Koppelin, das Erste: Ihre merkwürdige Einlas-
sung hat gezeigt, dass Sie meine Rede in der Tat nicht ver-
standen haben.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Koppelin [FDP]: Das bekenne ich!)


Das Zweite ist: Dieses Defizit beim Verstehen mit
falschen Unterstellungen untermauern zu wollen ist ein
Versuch, der scheitern muss. Dazu nenne ich Ihnen nur
zwei Beispiele. Wir haben es geschafft, im neu veröffent-
lichten Rüstungsexportbericht nachzuweisen, dass die
Ausfuhr von Kriegswaffen um 53 Prozent zurückgegan-
gen ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies ist ein Erfolg der rot-grünen Regierung. Dass Sie das
nie geschafft haben, ist mir völlig klar. Aber hier im Par-
lament falsche Unterstellungen zu unterbreiten macht es
nicht einfacher.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wo kommen denn die Erlöse im Haushalt her?)


Als Letztes, Herr Kollege Koppelin, sollten Sie nicht
Aussagen, die Sie von mir nie gehört haben, aus der




Angelika Beer

20131


(C)



(D)



(A)



(B)


Hilflosigkeit heraus zitieren, eine Debatte über Außen-
und Sicherheitspolitik, die präventiv orientiert ist, hier
nicht verstanden zu haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1420410200
Das Wort
hat der Kollege Uwe-Jens Rössel. Er spricht für die PDS-
Fraktion.


Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1420410300
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die PDS-Fraktion hat ent-
schieden, den Bundeswehretat 2002 abzulehnen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Lachen bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Wir wollen, Kollegin Beer, Zukunftssicherung durch
Abrüstung und nicht durch qualitative Aufrüstung, wie sie
im Haushalt verankert ist, einem Haushalt übrigens, dem
Sie persönlich zustimmen werden. Der Entwicklung und
nachhaltigen Ausgestaltung der Bundeswehr als weltweit
agierende Interventionsarmee wird die PDS daher eben-
falls entschieden widersprechen.


(Beifall bei der PDS – Hans Raidel [CDU/ CSU]: Humba, humba, täterä!)


Durch den Beschluss des Bundestages vom 16. No-
vember 2001 über die Bereitstellung von Truppen-
kontingenten im Umfang von 3 900 Personen für die
Bekämpfung des Terrorismus kommen auf die Bundes-
wehr neue, bedeutende Anforderungen zu. Die PDS lehnt
diesen Einsatz ab.


(Hans Raidel [CDU/CSU]: Donnerwetter!)

Der internationale Terrorismus muss wirksam bekämpft
werden. Der Krieg in Afghanistan ist dafür aber untaug-
lich. Er muss sofort beendet und seine Ausdehnung auf
den Nahen Osten verhindert werden.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist kein Krieg gegen Afghanistan, sondern gegen den Terrorismus!)


Zum ersten Mal seit Anfang der 90er-Jahre, Kollegin
Beer, wird der Rüstungsetat im nächsten Jahr wieder real,
also inflationsbereinigt, anwachsen. Entsprechend wurde
auch die mittelfristige Finanzplanung auf 47,4 Milli-
arden DM jährlich angehoben. Ob dies nach oben bereits
das letzte Wort ist, muss aber arg bezweifelt werden.


(Manfred Opel [SPD]: Sie haben beantragt, ihn zu erhöhen! Sie wollten ihn doch um 6 Millionen DM erhöhen!)


So ist das neue Transportflugzeug A 400 M nur teil-
weise im Haushalt etatisiert, Kollege Opel. Die in das
Budget bisher eingestellten langfristigen Finanzierungs-
verpflichtungen ab 2003 in Höhe von sage und schreibe
10 Milliarden DM – ich wiederhole: 10 Milliarden DM –
werden nur für etwa die Hälfte der von der Bundesregie-
rung geplanten insgesamt 73 Maschinen ausreichen.


(Manfred Opel [SPD]: Das sind doch Arbeitsplätze, oder?)


Diese 10 Milliarden DM sind im Vergleich das Achtfache
des Umweltbundeshaushaltes 2002. Das ist gerade für
eine rot-grüne Bundesregierung ein untragbarer Zustand.


(Beifall bei der PDS)

Zum Problemfall GEBB:Auch die PDS-Fraktion ver-

langt, dass die Gesellschaft ihre Tätigkeit sofort einstellt.
Der Bundestag darf nicht eine müde Mark mehr für die-
ses Gremium zur Beschaffung zusätzlicher Investitions-
mittel aus dem Hause Scharping bewilligen. In diesem
Jahr waren von der Hardthöhe selbst Erlöse in Höhe von
1,1 Milliarden DM eingeplant. Tatsächlich erreicht wur-
den aber lediglich 17 Millionen DM. Dabei ist die An-
schubfinanzierung des Bundes – sprich: der Steuerzah-
lerinnen und Steuerzahler – noch weit höher als die
gesamten 17 Millionen DM.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Dazwischen liegen ein paar Nullen!)


Wir Bundestagsabgeordnete dürfen nicht zulassen, dass
das Geld der Steuerzahler so schlecht angelegt wird.
Die Geschäftsführung der GEBB ist überdies zu einem
Eldorado für abgewählte Politikerinnen und Politiker ge-
worden.

Die PDS-Fraktion setzt mit ihren heute vorliegenden
Änderungsanträgen zum Wehretat andere Akzente, als
es die rot-grüne Regierung tut. Wir wollen in den Etat
eine so genannte globale Minderausgabe von 1,2 Milli-
arden DM einstellen. Diese soll aus Streichungen bei den
großen Beschaffungsprojekten erwirtschaftet werden.


(Beifall bei der PDS)

Frei werdende Projekte sollen je zur Hälfte für ein aufzu-
legendes Bundeskonversionsprogramm bzw. die drin-
gend notwendige Aufstockung des Etats für die Entwick-
lungszusammenarbeit eingesetzt werden.


(Beifall bei der PDS)

Durch die Nichtbeteiligung der Bundeswehr an Out-of-
Area-Einsätzen könnten weitere 2 Milliarden DM einge-
spart werden: ein erhebliches Potenzial für andere Aufga-
ben.

Jetzt zum Einwurf des Kollegen Opel. Wir beantragen
natürlich auch einige Etaterhöhungen. Wir verlangen die
sofortige Besoldungseinheit zwischen Ost- und West-
deutschland für Zeit- und Berufssoldaten sowie für
Zivilbeschäftigte. Hier ist dringender Handlungsbedarf
geboten.


(Beifall bei der PDS)

Wenn 220 Millionen DM etatisiert werden, ist all das
möglich.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Wo waren Sie im Ausschuss, als darüber abgestimmt wurde?)


Die PDS-Fraktion hat Vorschläge zur Einsparung in Höhe
von insgesamt 5 Milliarden DM im Verteidigungsetat ge-
macht, Kollege Nolting.

Zum anderen fordert die PDS-Fraktion in einem An-
trag, über den heute namentlich abgestimmt wird, dass die
in der Vergangenheit durch ihre berufliche Tätigkeit als




Angelika Beer
20132


(C)



(D)



(A)



(B)


Radartechniker gesundheitlich schwer geschädigten
Soldaten und Zivilbeschäftigten der Bundeswehr sowie
der Nationalen Volksarmee bzw. die Angehörigen der an
den Krebserkrankungen bereits Verstorbenen rasch und
unverzüglich entschädigt werden.


(Beifall bei der PDS)

Dazu gehört die Aufstockung des Etats für Fürsorge-

leistungen. Einbezogen gehört aber auch die Zahlung von
Schadensersatz und Schmerzensgeld. Die hier geschätzte
Summe von 200 Millionen DM mag hoch erscheinen.
Aber durch den Verzicht auf nur einen einzigen Eurofighter
wäre dieser Beitrag schon eingespielt.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1420410400
Herr Kol-
lege Rössel, Sie müssen jetzt leider zum Schluss kommen.


Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1420410500
Der letzte Satz. – Die
Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland würde durch
diesen Verzicht nicht gefährdet. Aber vielen Menschen
könnte schnell geholfen werden. Stimmen Sie daher bitte
in der namentlichen Abstimmung für den vorliegenden
Änderungsantrag der PDS-Fraktion.

Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1420410600
Das Wort
hat nun Herr Breuer für die CDU/CSU-Fraktion.


Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1420410700
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die zweite Lesung des
Haushalts für das laufende Jahr fand ziemlich genau vor
einem Jahr statt, nämlich am 29. November 2000. In der
damaligen Sitzung hatten wir eine Auseinandersetzung
darüber, ob der Haushaltsansatz für den Verteidigungsetat
realistisch sei. Es ging insbesondere um die Frage, ob
denn die heute mehrfach angeführte Gesellschaft für
Entwicklung, Beschaffung und Betrieb funktionsfähig
sei und ob sie die 1 Milliarde DM, die Herr Scharping
angekündigt hatte, als Erlös aus dem Verkauf der Lie-
genschaften der Bundeswehr tatsächlich erwirtschaften
könne.

Ich habe mir deshalb den Stenographischen Bericht
über die damalige Debatte genau angeschaut und habe da-
bei ein bemerkenswertes Zitat des Ministers Scharping
gefunden. Damals sagten Sie, Herr Kollege Scharping:

Ich bin einmal gespannt, ob Sie die Souveränität auf-
bringen werden, am Ende des Haushaltsjahres 2001
an das Pult des Deutschen Bundestages zu treten und
zu sagen: Wir müssen uns ja nicht unbedingt ent-
schuldigen, aber unsere Befürchtungen sind nicht
eingetreten.
Tatsächlich sind die Entwicklungen für die Bundes-
wehr sinnvoll und gut. So sehen es die Angehörigen
der Streitkräfte, so sehen es unsere Partner in der
NATO und der Europäischen Union. Die Einzigen,
die das aus parteipolitischen Erwägungen so nicht
sehen dürfen, sind die Mitglieder der Opposition.


(Beifall bei der SPD)


Sie bleiben alleine; sie sind isoliert. Ob sie sich dabei
wohl fühlen, mögen sie selbst entscheiden.

Ich frage Sie, Herr Minister Scharping, heute, ob Sie sich
in Ihrer Einsamkeit noch wohl fühlen können.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Er muss sich entschuldigen!)


Ich frage mich, ob Sie, Herr Minister Scharping, die Sou-
veränität besitzen, an das Pult des Deutschen Bundestages
zu treten und zu sagen: Ich habe mich getäuscht und ent-
schuldige mich. Die Isolation, in der Sie sich befinden, ist
überhaupt nicht mehr zu übersehen. Sie sind überall iso-
liert, auch in der SPD, ausweislich des Ergebnisses Ihrer
Wahl zum stellvertretenden Parteivorsitzenden auf dem
Nürnberger Parteitag.


(Georg Pfannenstein [SPD]: Das war nicht die Fraktion!)


– Lieber Schorsch, da ich gewusst habe, dass es derartige
Zurufe geben wird, möchte ich aus einem Artikel des „Ta-
gesspiegel“ vom 23. November dieses Jahres zitieren, in
dem Stephan-Andreas Casdorff über Gespräche berichtet,
die er auf dem Nürnberger Parteitag mit Verteidigungs-
politikern der SPD – ich weiß nicht, wer es war – geführt
hat. Er schreibt Folgendes:

Wie sie klagen: Er
– gemeint ist Scharping –

rede nicht mit ihnen oder behandle sie von oben
herab. Er nehme keinen Rat an. Außerdem ist die
Skepsis, ob die Planungen für die Strukturreform zu
einem guten Ende führen, sowieso längst groß.

Das, was Sie heute hier machen, ist reine Fassade. Hin-
sichtlich der Einschätzung der tatsächlichen Leistung von
Herrn Scharping stimmen wir – das nehme ich an – mehr
überein, als Sie in dieser Debatte zuzugeben bereit sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Um die Situation von Herrn Scharping noch besser zu

charakterisieren, zitiere ich Christoph Schwennicke, der
am 24. November unter der Überschrift „Es wird einsam
um Scharping“ geschrieben hat:

Kujat weg, Fugmann-Heesing weg – die beiden zen-
tralen Figuren der Bundeswehrreform und ihrer

(Selbstfache Flucht aus der Nähe des taumelnden Ministers macht den Ernst der Lage klar: Scharping ist mit seiner Reform gescheitert, er hat sich zum Gespött der Truppe gemacht, und er hat den Rückhalt in seiner Partei verloren. Alles, was ihn noch hält, ist der seidene Faden, den ihm Gerhard Schröder auf dem SPD-Parteitag in die Hand gegeben hat. Meine Damen und Herren, ich empfand es als bemerkenswert, dass der Streit, der sich hier – übrigens in einer gemeinsamen Bewertung quer durch den deutschen Blätterwald – offenbart, von Ihnen, Herr Kröning, so dargestellt wird, als stünde die Bundeswehr im Streit. Nicht die Dr. Uwe-Jens Rössel 20133 Bundeswehr steht im Streit, sondern eine Politik, die absolut versagt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Kröning [SPD]: Dann hören Sie doch mit Ihrer Rede von der Unterfinanzierung auf!)





(C)


(D)


(A)


(B)


Im Streit steht die Politik für eine Bundeswehr, die zu-
nehmend Verantwortung für Deutschland übernehmen
muss. Das ist eine sehr ernste Angelegenheit.

Herr Kollege Kröning, ich kann Ihnen berichten – das
werden Ihnen Ihre Kollegen auch berichten können –,
dass wir gestern anlässlich des Besuches einer Delegation
der französischen Nationalversammlung über die
Frage der Möglichkeiten des deutschen Beitrages zu in-
ternationalen Einsätzen und zur Terrorismusbekämpfung
gesprochen haben. Dabei stellte sich heraus, dass das
Misstrauen der französischen Kollegen – im Übrigen
auch der Sozialisten – hinsichtlich der Zukunft des Trans-
portflugzeuges A 400 M immens groß ist.


(Jörg Tauss [SPD]: Das haben wir doch heute schon einmal gehört! – Konrad Gilges [SPD]: Das behaupten Sie! Beweisen können Sie es nicht!)


Es ist doch vollkommen klar, Herr Kollege Kröning,
dass dann, wenn Sie Spekulationen darüber anstellen, ob
die Zahl der für Deutschland bestimmten Transportflug-
zeuge nicht reduziert werden müsse – das haben Sie ja ge-
tan –, in Frankreich die heute feststellbaren Folgen auf-
treten mussten.


(Lothar Mark [SPD]: Haben Sie mit spekuliert?)


In Frankreich existiert quer durch alle politischen La-
ger bis hin zu Ihren Genossen aus der Fraktion der Sozia-
listen in der französischen Nationalversammlung ein tie-
fes Misstrauen über die Verlässlichkeit Deutschlands in
der europäischen Verteidigungspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Mark [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)


Das gilt auch für weitere Projekte. Sie verstehen nicht
– das hat vor allen Dingen Dan Coats im Vorfeld seiner
Berufung zum Botschafter der Vereinigten Staaten von
Amerika in Deutschland deutlich gemacht –, dass es nicht
reicht, hier Bekundungen abzugeben und bei der Defense
Capabilities Initiative in der NATO oder bei den European
Headline Goals zu unterschreiben. Es muss gehandelt
werden. Dan Coats hat noch vor seinem Dienstantritt hier
in Berlin gesagt, dass Deutschland mehr als Rhetorik bie-
ten müsse, wenn es weiter eine zentrale Rolle in der
NATO spielen wolle.


(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Was heißt hier überhaupt „weiter“?)


Dem ist nichts hinzuzufügen.
Meine Damen und Herren, wie sieht denn die wahre

Lage der Bundeswehr im Hinblick auf internationale
Beiträge im Ansehen unserer Bevölkerung aus? Laut ei-
ner Umfrage des Allensbach-Insituts ist zwar die Akzep-
tanz der Bundeswehr und der NATO


(Zuruf der Abg. Brigitte Adler [SPD])


– hören Sie zu – in der deutschen Bevölkerung so hoch
wie nie zuvor. Zugleich war aber die Besorgnis über die
Ausstattung der Bundeswehr noch nie so groß wie heute.
Die Zustimmung in der deutschen Bevölkerung zur Bun-
deswehr und zur NATO ist so groß wie nie zuvor, aber die
Besorgnis, dass sie zu schlecht ausgestattet ist, ist eben-
falls so groß wie nie zuvor. Dies hat eine Politik zu ver-
antworten, die illusionär war und glaubte, es werde schon
nicht schief gehen, wenn man die Ausstattung der Streit-
kräfte nicht so ernst nähme. Das Ergebnis ist, dass jetzt
der deutsche Beitrag im internationalen Umfeld leider
nicht mehr ernst genommen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Situation der deutschen wehrtechnischen Indus-

trie – dabei geht es nicht um irgendetwas, sondern um
Technologiefähigkeit – muss hier ebenfalls angesprochen
werden. Dr. Thomas Enders hat für die wehrtechnische In-
dustrie am 7. November in Berlin festgestellt:

Anspruch und Realität stehen nicht mehr im Ein-
klang miteinander. Die Industrie ist finanziell und
personell in weiten Teilen ausgeblutet. Die anhal-
tende Reduzierung der F- und E-Mittel in Deutsch-
land wirkt sich unmittelbar auf den Erhalt und den
Ausbau der Kompetenzen aus.

Herr Kollege Kröning, ich bin erstaunt, wie Sie die
Zahlen interpretieren, die hier zur Debatte stehen. Bei
Forschung und Entwicklung wird im Haushalt 2002 ein
Anteil von nahezu 9 Prozent gestrichen.


(Manfred Opel [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)


Der Betrag geht um 8,6 Prozent zurück. Versuchen Sie
doch nicht, darüber hinwegzutäuschen, dass Sie bei For-
schung und Entwicklung meinen sparen zu können. Da-
mit versieben Sie die Zukunft der Bundeswehr.


(Zuruf von der CDU/CSU: Paul, du hast Recht!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1420410800
Herr Kol-
lege Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge-
ordneten Kröning?


Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1420410900
Bitte schön.


Volker Kröning (SPD):
Rede ID: ID1420411000
Herr Kollege Breuer, sind Sie
bereit einzuräumen, dass bei dieser Betrachtung die zu-
sätzlichen Beträge, die im Jahr 2002 zunächst in den
Einzelplan 60 eingestellt werden, hinzuzurechnen sind
und Sie dies ebenso wie schon Kollege Nolting notorisch
nicht tun und damit vor der Öffentlichkeit ein falsches
Bild erzeugt wird?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sind Sie außerdem bereit, zur Kenntnis zu nehmen,

dass Ihnen im Verteidigungsausschuss genauso wie uns
im Haushaltsausschuss eine Unterlage des Verteidi-
gungsressorts vorliegt, die sehr deutlich macht, dass diese




Paul Breuer
20134


(C)



(D)



(A)



(B)


zusätzlichen Mittel bis auf geringfügige konsumtive Aus-
gaben zur Verstärkung der Investitionen dienen sollen?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1420411100
Herr Kollege Kröning, ich
erachte das als eine hochinteressante Frage.

Zunächst einmal stelle ich fest, dass der Haushalt in der
Fassung, in der er vom Finanzminister in den Deutschen
Bundestag eingebracht worden ist, eine Kürzung der
F- und E-Mittel in der von mir genannten Höhe vorsah.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Ich stelle deswegen erneut fest, dass Sie zum damali-

gen Zeitpunkt die Notwendigkeit einer Vorsorge in dem
Sinne, wie ich es angesprochen habe, nicht sahen.


(Widerspruch bei der SPD)

Wenn Sie jetzt die 1,5 Milliarden DM anführen, die im so
genannten Antiterrorprogramm vorgesehen, aber noch
nicht dem Einzelplan 14 zugewiesen sind,


(Zuruf von der CDU/CSU: Die sind schon dreimal ausgegeben!)


dann sage ich Ihnen: Es ist schon schlimm genug, dass es
der Anschläge in New York und Washington bedurfte, um
Sie daran zu erinnern, dass an diesem Punkt Vorsorge ge-
boten ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich wüsste gern – alle anderen Kollegen dieses Hauses

sicher auch, nicht nur diejenigen der Opposition –, was
Sie, Herr Kollege Kröning, denn mit diesen 1,5 Milliar-
den DM wirklich vorhaben. Obwohl es mehrmals von
Herrn Scharping versprochen wurde, ist es bis zum heuti-
gen Tage nicht möglich gewesen – das sind wir von ihm
gewohnt –, deutlich zu machen, für welchen Verwen-
dungszweck diese 1,5 Milliarden DM vorgesehen sind.


(Manfred Opel [SPD]: Aber lesen Sie doch einmal die Vorlage!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1420411200
Herr Kol-
lege Breuer, der Kollege Kröning möchte noch eine
zweite Frage stellen.


Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1420411300
Herr Präsident, wenn das
nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, kann Herr
Kollege Kröning noch mehrere Fragen stellen.


Volker Kröning (SPD):
Rede ID: ID1420411400
Ich frage Sie, Herr Breuer:
Haben Sie die Ausschussdrucksache zur Kenntnis genom-
men, in der über die Aufteilung der 1,5 Milliarden DM
Rechenschaft gegeben wird? Kennen Sie die
Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses auf
Drucksache 14/7320 in der zum Kap. 6002 ganz aus-
drücklich die Verstärkung der Mittel des Einzelplans 14
um 766 938 000 Euro festgehalten ist? Haben Sie außer-
dem zur Kenntnis genommen, dass der Haushaltsaus-

schuss die Auflage ausgesprochen hat, dass bis zum In-
Kraft-Treten des Haushalts 2002 eine Schichtung und
eine Zuordnung dieser Verstärkungsmittel zu den
Geheimen Erläuterungen vorzulegen ist?


(Hans Raidel [CDU/CSU]: Das war ein Vorwurf an den Ausschussvorsitzenden!)



Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1420411500
Herr Kollege Kröning, ich
kann Ihnen ganz klar antworten. Zu dem Zeitpunkt, als im
Verteidigungsausschuss über den Etat für das Jahr 2002
entschieden wurde – das wird niemand bestreiten kön-
nen –, gab es keinerlei Unterlage, die uns Einsicht
gewährte, was mit diesen Mitteln geplant ist. Bis zum
heutigen Tage ist dies den Kollegen hier im Hause unklar.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Hans Raidel [CDU/CSU]: Er hat den Vorsitzenden gerügt!)


Sie werden an einem nicht vorbeikommen: Man wird
Ihnen den Vorwurf machen, dass ganz speziell Sie, Herr
Kollege Kröning, zusätzlich zu den schon beklagenswer-
ten Fehlleistungen des Ministers Scharping weitere Er-
schwernisse eingebaut haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aber er ist ein guter Assistent!)


Es ist gut, dass Sie in einer solchen Debatte wie jetzt ein-
mal dabei sind. Sie sind doch derjenige, der Herrn Fi-
nanzminister Eichel in einer Art und Weise Assistenz da-
bei angeboten hat, den Verteidigungshaushalt bis zur
Handlungsunfähigkeit zusammenzustreichen, wie es in
der Geschichte dieses Parlaments noch kein einziger Be-
richterstatter für den Verteidigungshaushalt getan hat.


(Manfred Opel [SPD]: Leichte Amnesie! – Volker Kröning [SPD]: Sie sind ein Fachidiot!)


Es ist erschreckend, Herr Kollege, dass Sie nach wie vor
nicht dazu bereit sind, das hier zuzugeben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Einschätzung von Minister Scharping zur Situa-

tion innerhalb der Bundeswehr wurde für mich neulich
beim Besuch des Kongresses des Verbandes der Beam-
ten der Bundeswehr deutlich. Herr Kollege Scharping,
Sie hatten Ihre Teilnahme an diesem Kongress zugesagt.
Ich bin darüber informiert, dass die Organisatoren des
Kongresses, der Verband, den Zeitpunkt sogar auf Ihren
Terminkalender abgestimmt hatten.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Extra verlegt!)


Das führte dazu, dass zum Beispiel auch wir Terminver-
legungen vornehmen mussten. Sie sind dann aber nicht
anwesend gewesen. Die offizielle Begründung, die dort
gegeben wurde, war, Sie hätten am gleichen Tag eine
Veranstaltung mit der Wirtschaft. Ich gehe auf diese Ver-
anstaltung gleich noch ein.


(Zuruf von der SPD: Bitte nicht!)





Volker Kröning

20135


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich weiß allerdings eines: Ich weiß, dass Sie sich zum
Zeitpunkt des Kongresses in Koblenz in Ihrem Büro in
Bonn „verbunkert“ hatten. Sie hätten da sein können.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Aha! – Weitere Zurufe)


– Es mag auch Berlin gewesen sein. Ich weiß es nicht. Sie
waren jedenfalls im Büro. – Sie haben sich also nicht ge-
traut, mit den zivilen Bediensteten der Bundeswehr in ein
Gespräch zu kommen.

Ich und die Kollegen, die dort waren, haben eine sol-
che Stimmung auf einem solchen Kongress noch niemals
vorher erlebt. Das ist einmalig in der Geschichte der Bun-
deswehr.


(Gernot Erler [SPD]: Wenn Sie da auftreten!)

Das zeigt sehr deutlich, dass Sie nicht bereit sind, zur

Kenntnis zu nehmen, wie innerhalb der Bundeswehr – das
gilt für Soldaten und zivile Bedienstete – das Klima des
Miteinanders ist, weil man nicht in der Lage ist, Perspekti-
ven zu geben.


(Manfred Opel [SPD]: Herr Breuer, das glauben Sie doch selber nicht! Was soll das denn?)


Sie bauen sich eine schöne heile Welt auf, die mit der Rea-
lität in der Bundeswehr nichts, aber auch gar nichts mehr
zu tun hat.

Die fehlenden Perspektiven sind es, meine Damen und
Herren Kollegen, die dazu führen, dass die Nachwuchs-
zahlen der Bundeswehr erschreckend sind.


(Manfred Opel [SPD]: Es ist interessant, dass Ihre Leute, die nie gedient haben, den Schwachsinn erzählen! – Zuruf von der SPD: Das stimmt doch gar nicht!)


Ich will zugeben, dass ich Schwierigkeiten dabei habe,
das hier so zu sagen, weil man, wenn man so etwas sagt,
immer ein Stück weit die Befürchtung hat – für mich gilt
das jedenfalls –, damit eine schlechte Werbung für die
Bundeswehr zu betreiben. Aber es kann doch wohl nicht
sein, dass man gute Werbung für die Bundeswehr nur
dann machen kann, wenn man die Verhältnisse schönre-
det.

Die Nachwuchszahlen in der Bundeswehr sind

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Dramatisch!)

ganz tief im Keller. Wenn wir nichts dafür tun, tatsächlich
Attraktivität zu bewirken, das heißt, Perspektiven für die
Bundeswehr aufzuzeigen – es ist ja anders, als es hier ge-
sagt wird –, dann wird alles, was wir in der Vergangenheit
für die Bundeswehr getan haben, leider scheitern; die
Zahlen weisen es eindeutig aus.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das stimmt doch gar nicht!)


Herr Kollege Scharping, Sie brüsten sich in der Frage
der Kostensenkung zum Beispiel damit, dass Sie Perso-
nalkosten einsparen, weil Sie nicht dazu in der Lage sind,
die Stellen zu besetzen.


(Brigitte Schulte, Parl. Staatssekretärin, lacht)


– Schauen Sie sich doch die Zahlen an! – Sie sind nicht
dazu in der Lage, zum Beispiel die Zahl von Wehrpflich-
tigen einzuziehen, die Sie in der Planung für das Jahr 2001
vorgesehen haben. Minus 7 000! Sie sind nicht dazu in der
Lage, die Zahl von Zeitsoldaten weiter zu verpflichten,
die Sie geplant haben. Ich sage Ihnen: Das Ziel, 200 000
Zeit- und Berufssoldaten für die Bundeswehr zu bekom-
men – wir liegen jetzt bei knapp über 180 000 –, wird in
der Art und Weise, wie Sie es versuchen, leider nie er-
reicht werden. Das liegt daran, dass Sie es nicht geschafft
haben, die deutsche Öffentlichkeit von der Notwendig-
keit, der Dynamik und der Zielgerichtetheit Ihrer Bun-
deswehrreform zu überzeugen. Das ist Ihnen in Ihrer Ko-
alition bei Rot und Grün nicht gelungen, das ist Ihnen in
der deutschen Öffentlichkeit leider auch misslungen.


(Lothar Mark [SPD]: Ist es bei Ihnen gelungen?)


Deshalb sage ich sehr deutlich: Wenn Sie nicht bereit
sind, diese Reform, deren grundsätzliche Ziele wir unter-
stützen, auf den Prüfstand zu stellen, ein Programmgesetz
aufzustellen und die klare Finanzierbarkeit der Moderni-
sierung und der einzelnen Personalschritte dort deutlich
zu machen, um den Soldaten eine Perspektive zu geben,
wird es mit der Bundeswehr immer schwieriger werden.


(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Amen!)

Herr Kollege Opel, ich weiß und darf das hier sagen,

dass Sie im Kern genauso darüber denken,

(Zuruf von der CDU/CSU: Nur dürfen die das nicht sagen!)

aber die Realität ist anders. Um Ihnen das deutlich zu ma-
chen, will ich ein Beispiel dafür geben: Die 100 Soldaten
des Kommandos Spezialkräfte, die im deutschen Kon-
tingent, insgesamt 3 900, potenziell sicher die schwierigs-
ten und gefährlichsten Aufträge auszuführen hätten, be-
kommen eine Zulage in Höhe von etwa 150 DM netto.


(Manfred Opel [SPD]: Bei Ihnen hätten die gar nichts gekriegt!)


Wir haben im Verteidigungsausschuss den Vorschlag ge-
macht, den Bruttobetrag auf 1 000DM zu erhöhen. Sie ha-
ben das schnöde abgelehnt. Das heißt für mich: Sie haben
nicht verstanden, worin bei der Attraktivierung die
Herausforderung liegt.


(Zuruf von der SPD: In Ihrer Zeit ist doch überhaupt nichts geschehen!)


Lassen Sie mich am Ende noch eine Feststellung zu ei-
nem heute vorliegenden Antrag der PDS machen, der sich
auf die Strahlenopfer bezieht. Wir werden diesem Antrag
nicht zustimmen, weil wir der Meinung sind, dass die Er-
höhung der Gelder, die Sie dort vorsehen, nicht das Kern-
problem ist. Das Kernproblem ist


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Paul Breuer!)


– das sage ich einmal kritisch in Richtung Bundeswehrver-
waltung –, dass die Zusage des Ministers Scharping,
großherzig mit den Strahlenopfern umzugehen, leider
nicht erfüllt wird. Herr Minister, kümmern Sie sich da-




Paul Breuer
20136


(C)



(D)



(A)



(B)


rum, dass Ihre Zusage, großzügig und großherzig zu sein,
auch in Ihrer Verwaltung befolgt wird. Leider sind wir
dort weit davon entfernt. Das richtet mehr Schaden an, als
Sie zu glauben bereit sind.

Ich bedanke mich fürs Zuhören.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Heidi Lippmann [PDS]: Seit wann glauben Sie denn dem Minister? Das wäre da ja das erste Mal!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1420411600
Ich erteile
dem Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping,
das Wort.

Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidigung

(von der SPD sowie von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN mit Beifall begrüßt)

dent! Meine Damen und Herren! Von mehreren Rednern
in der Debatte ist etwas zu den Angehörigen der Bun-
deswehr gesagt worden. Ich denke, das sollte auch am
Anfang meines Beitrags in dieser Aussprache stehen.

Die Bundeswehr leistet mit ihren Soldatinnen und Sol-
daten und auch mit ihren zivilen Beschäftigten Enormes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie leistet Enormes für die Sicherheit unseres Landes, sie
leistet Enormes in ihrem Engagement auf dem Balkan, in
Bosnien, im Kosovo, in Mazedonien sowie in ihrem En-
gagement in Georgien und sie leistet Enormes in der Be-
kämpfung des internationalen Terrorismus.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das reicht nicht!)


Wenn man aber, wie es die Koalition und die Opposi-
tion tun, sagt, sie leiste Enormes, und das mit Dank, Res-
pekt und Anerkennung an die Soldatinnen und Soldaten,
übrigens auch an ihre Familien, verbindet, dann kann man
nicht gleichzeitig sagen: Die können nichts.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Wer sagt das? – Günther Friedrich Nolting [FDP]: Das sagt doch niemand!)


Das passt nicht sehr gut zusammen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Der Mangel an Seriosität, um nichts Schlimmeres zu

sagen, in der Argumentation aus den Reihen der Opposi-
tion wird schon an wenigen Beispielen deutlich.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Die kriegen nichts, haben wir gesagt! Das ist wahr!)


Der Kollege Breuer sagt, es gebe eine erhebliche Verun-
sicherung und die Nachwuchslage stimme nicht, und
nennt Zahlen. Das tut er, obwohl er im Verteidigungs-
ausschuss einen Bericht darüber bekommen hat und ei-
gentlich wissen müsste,


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er kann nicht lesen!)


dass er hier die Öffentlichkeit und das Parlament falsch
informiert. Das ist eine Tatsache.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie wissen so gut wie ich, Herr Kollege Breuer, dass in al-
len Nachwuchsbereichen der Bundeswehr – das spricht
für ihre Attraktivität, das spricht für die Akzeptanz der Re-
form, das spricht für die Zukunftsfähigkeit der Bundes-
wehr – die Bewerberzahlen über dem Soll liegen, mit ei-
ner einzigen Ausnahme, das ist der Sanitätsdienst. Da
liegen die Bewerberzahlen um etwas mehr als 20 Prozent
unter dem angestrebten Soll.

Der ganze Mangel der Seriosität der Argumentation
wird deutlich, wenn Sie von knapp 180 000 Zeit- und Be-
rufssoldaten sprechen.Wenn Sie so präzise mit allen Zah-
len umgehen, dannwirdmir manches klar. InWirklichkeit
sind es genau 188 000Zeit- undBerufssoldaten.Was Ihren
Umgang mit Begrifflichkeiten angeht, lerne ich etwas.


(Volker Kröning [SPD]: Immer abrunden!)

Mangelnde Konsistenz praktizieren Sie auch in ande-

ren Bereichen. Herr Kollege Nolting, Sie haben darüber
gesprochen, was die „Bild“-Zeitung über die GEBB ge-
schrieben hat. Ich will keine Spekulationen darüber an-
stellen, wie Sie der „Bild“-Zeitung geholfen haben, zu der
heutigen Meldung zu kommen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ermittelt man oder ermittelt man nicht?)


Schauen Sie einmal: Der CDU-Kollege Feibel hat im Au-
gust eine Anzeige erstattet, über die kurioserweise am Tag
vor dieser Debatte in der „Bild“-Zeitung berichtet worden
ist.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Ich sitze nicht in der Redaktion!)


Korrekterweise hätten Sie wenigstens heute im Parlament
die dpa zitieren können:

Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen dürfte
die Sache auf eine Einstellung des Verfahrens hi-
nauslaufen, sagte ein Sprecher der Staatsanwalt-
schaft am Mittwoch. Bei dem Fall handelt es sich um
einen so genannten Altfall, der seit Monaten geprüft
wird. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte, die
Prüfungen hätten ergeben, dass die Verlustzahlen
nicht zutreffend seien.

(ManfredOpel [SPD]:Aha!Unseriös hochdrei! – Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stillos!)


ZudieserArt desUmgangsmiteinander kann ich nur sa-
gen: Sie können gegen mich als Minister, gegen mich als
Politiker gerne vorbringen, was immer Sie wollen; aber
Sie sollten sich doch davor hüten, mit Ihrer Kritik einen
Eindruck zu erzeugen, den die Bundeswehr, dieAngehöri-
genderBundeswehr unddieFamilienderAngehörigender
Bundeswehr – bei aller Notwendigkeit des parteipoliti-
schen Streits – in keiner Weise verdient haben. Die Leis-
tung dieser Menschen ist ein schlichtes Dementi des Ein-
drucks, den Sie hier ständig zu erwecken versuchen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/ Paul Breuer 20137 CSU]: Sie sind doch nicht die Bundeswehr! Quatsch!)





(C)


(D)


(A)


(B)


In Zeiten grundlegender Erneuerung kommt es auf eine
feste Orientierung an. Ich bin sehr erstaunt, dass in all den
Diskussionen eines keine Rolle spielt: dass die Bundes-
wehr durch die innere Führung und durch das Leitbild des
Staatsbürgers in Uniform eine feste Verankerung in der
Verfassung hat und behalten wird. Es kommt gerade un-
ter den Bedingungen einer wachsenden Anzahl der
Einsätze der Bundeswehr sehr darauf an, an diesen, in der
Demokratie, im Rechtsstaat und in der Verpflichtung auf
Freiheit und Würde des einzelnen Menschen fußenden
Grundlagen der Bundeswehr festzuhalten und bei Gele-
genheit an sie zu erinnern, damit sie angesichts mancher
aufgeregten Diskussionen über das, was die Bundeswehr
noch zu leisten hat, nicht in Vergessenheit geraten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Das ist völlig unstreitig!)


Ich nehme dankbar zur Kenntnis, dass der Kollege
Breuer sagt: Die Reform an sich ist in ihren Zielen ak-
zeptiert und vernünftig. Ich weiß zwar nicht, weshalb sie
dann auf den Prüfstand gehört; aber nun gut, man muss
den Kollegen Breuer nicht immer verstehen.


(Zuruf von der SPD: Das ist wohl wahr! – Zuruf von der CDU/CSU: Wir verstehen Sie auch nicht!)


Die Reform ist, was ihre Grundlagen und ihre Konzeption
angeht, akzeptiert. Sie wissen so gut wie ich: Sie ist in der
NATO akzeptiert und wird dort ausdrücklich begrüßt; sie
ist in der Europäischen Union akzeptiert und wird dort
ausdrücklich begrüßt. Mittlerweile gilt das auch für den
Deutschen Bundestag. Wenn wir uns in dieser Frage also
einig sind, dann können wir uns anderen Fragen – auf ei-
ner offenbar gemeinsamen Grundlage – zuwenden. Dafür
bin ich sehr. Das will ich jetzt mit wenigen Worten erläu-
tern.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Jetzt fängt die Rede an!)


Zunächst möchte ich etwas dazu sagen, was die inter-
nationale Lage und den Beitrag der Bundeswehr zur Ge-
währleistung internationaler Stabilität und einer friedli-
chen Entwicklung auf unserem kleinen gemeinsamen
Globus angeht. Wir haben ein Afghanistan-Mandat be-
schlossen, das fünf militärische Fähigkeiten beinhaltet.
Sie sind vernünftig und klug ausgewählt. Das gilt selbst
dann, wenn sich nach ersten Fortschritten in Afghanistan,
insbesondere auf der Afghanistan-Konferenz und danach,
weitere Fortschritte ergeben sollten.

Genauso bleibt es dabei, dass der Kampf gegen den
internationalen Terrorismus und solche Staaten, die ihn
unterstützen, Terroristen beherbergen oder in anderer
Weise zu fördern versuchen, auf mehreren Ebenen geführt
werden muss. Finanztransaktionen, die Zusammenarbeit
der Geheimdienste und der Polizeiinstitutionen spielen
eine Rolle. Wie auch im Hinblick auf Afghanistan ist die
langfristige politische Perspektive nicht zu vergessen, an

der die Bundesregierung einen gewissen – wie ich finde,
sehr sichtbaren und sehr klugen – Anteil hat.

Genauso deutlich sollte bleiben, dass der Kampf gegen
den internationalen Terrorismus nicht allein auf einer
Ebene zu führen sein wird. In einer durchaus akzeptablen
Vermischung der außen- und sicherheitspolitischen De-
batte hat der Kollege Rühe – er ist leider nicht mehr da –
einiges zu den Punkten gesagt, die im Zusammenhang mit
Afghanistan als Fragen in den Raum gestellt werden
könnten, auch wenn ein früherer Verteidigungsminister
das in dieser Form besser nicht tun sollte, weil ihm die in-
nenpolitischen Motive für eine solche Erörterung auf die
Stirn geschrieben stehen.


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


Sie haben mir eben gesagt, ich hätte mich gewisser-
maßen vor dem Kongress der Zivilbeschäftigten ver-
steckt. Ich habe das einmal nachprüfen lassen: Ich bin
tatsächlich infolge des 11. September durch eine Reihe
von Gesprächen auch internationaler Art verhindert ge-
wesen, dann allerdings am Abend um circa 19 Uhr dort
eingetroffen – wenn ich mich richtig erinnere – und dann
nach Leipzig in Sachsen geflogen. Das ist schon richtig.
Ihre Behauptung, ich hätte mich in einem Büro – ob in
Bonn oder in Berlin – verkrochen, um mich vor den zivi-
len Beschäftigten zu verstecken, ist schon angesichts der
Vielzahl der Besuche, die ich dort normalerweise mache,
an Lächerlichkeit nicht mehr zu überbieten, Herr Kollege
Breuer.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich wollte aber eigentlich etwas zu Afghanistan sagen.
Das ist nun wirklich wichtiger als die Szenarien, die Kol-
lege Breuer hier zu konstruieren versucht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Rühe – den muss man in diesen Diskussi-
onen ernster nehmen – hat dann eine – übrigens erstaun-
liche – Serie von Fragen gestellt. Ich würde insbesondere
Sie aus den Reihen der CDU/CSU bitten, einmal für ein
gewisses Minimum an intellektueller Klarheit untereinan-
der zu sorgen; das wäre hilfreich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


Es passt doch nicht zusammen, wenn man behauptet, die
Bundeswehr sei schlecht ausgerüstet, ihr fehlten die nöti-
gen Fähigkeiten und der Minister versage, dann aber Herr
Rühe kommt und fragt: Wollt ihr jetzt das Ausfallen des
amerikanischen Engagements auf dem Balkan ersetzen,
wollt ihr in Afghanistan – mit welchen Truppen auch im-
mer – eine stabilisierende friedliche Entwicklung mit ga-
rantieren, seid ihr bereit, dort die Funktion der „lead na-
tion“ zu übernehmen? Um dem Ganzen die Krone
aufzusetzen, schlägt er dann noch vor, die Bundeswehr
könnte auch noch – wie hat er es gesagt? – „southern
watch“ und „northern watch“, also die Luftüberwachung
über dem Irak, übernehmen. Sie können doch nicht auf
der einen Seite sagen, die Bundeswehr sei nicht mehr in




Bundesminister Rudolf Scharping
20138


(C)



(D)



(A)



(B)


der Lage, ihren Auftrag zu erfüllen, sei völlig überfordert
und es fehlten ihr die nötigen Fähigkeiten, wenn auf der
anderen Seite der frühere Verteidigungsminister in einer
außenpolitischen Debatte sagt: Im Übrigen könnte die
Bundeswehr das, das und das noch machen. Das ist intel-
lektuell nicht sehr sauber.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Kurt J. Rossmanith [CDU/ CSU]: Er hat Sie gefragt, wie Sie das machen wollen!)


– Er hat doch nicht gefragt, er hat Vorschläge gemacht.
Wenn er hier im Deutschen Bundestag solche Vorschläge
macht, will er andere nicht nur ermuntern, kommentie-
rend auf die Vorschläge einzugehen, sondern will Dritte
womöglich auch noch ermuntern, die Vorschläge selber
zu machen. Diese Funktion kennen wir doch alle.

Vor diesem Hintergrund will ich Ihnen, was die inter-
nationale Entwicklung angeht, sagen: Der Außenminister,
der Verteidigungsminister, der Bundeskanzler und die
ganze Regierung sind der Auffassung: Wir haben keine
unmittelbaren deutschen Interessen in Afghanistan. Wir
haben ein unmittelbares deutsches Interesse an der
Bekämpfung des internationalen Terrorismus; das ist
wohl wahr.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben ein mittelbares deutsches Interesse im Zusam-
menhang mit der Stärkung der Vereinten Nationen. Des-
halb haben wir auch den Versuch gemacht, bei dem zu hel-
fen, was jetzt in Bonn – hoffentlich langfristig – politisch
auf den Weg gebracht wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will deshalb sehr deutlich sagen: Abseits all der
Diskussionen, die stattfinden, beginnt es mich – vielleicht
verstehen Sie diese persönliche Bemerkung – zunehmend
zu stören und auch in einem gewissen Umfang zu ärgern,
wie man sich immer wieder an immer neuen militärischen
Szenarien berauschen will, ohne die politisch langfristige
Entwicklung und die Einordnung des Militärs in die
außen- und sicherheitspolitischen Entwicklungsstrategien
im Auge zu behalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist im Übrigen auch unmittelbar gegen die Fami-
lien der Soldaten und gegen die Soldaten selbst gerich-
tet, wenn man die Soldaten sozusagen zu beliebig ein-
setzbaren Instrumenten von irgendetwas erklären
wollte. Das sind sie nicht und in einer solchen Weise
werden sie auch nicht eingesetzt. Ich sage das in aller
Deutlichkeit zum Beispiel im Zusammenhang mit den
Bemerkungen des Kollegen Rühe, was den Irak betrifft.
Die Opposition stellt hier Forderungen oder fragende
Forderungen, obwohl heute – auch das können Sie den
Agenturmeldungen entnehmen – zum Beispiel Vertreter
der Nordallianz in Bonn sagen: Wir haben nicht das Ge-
fühl, dass wir eine ausländische Truppe brauchen, es
gibt hinreichende Sicherheit; wir wollen auch nicht,
dass ausländische Truppen kommen. Wie kommen Sie

auf die Idee, von uns im Deutschen Bundestag eine Ant-
wort auf die Frage der Absicherung und Entwicklung in
Afghanistan zu verlangen, wenn noch nicht einmal die
Konfliktparteien in Afghanistan ein Einverständnis da-
rüber haben, wie die Zukunft des Landes aussehen soll
und ob überhaupt ausländische Truppen eine Rolle da-
bei spielen können? Ich finde, das innenpolitische Be-
dürfnis, im Zweifel die Absicht, noch einmal etwas Salz
in gerade hoffentlich verheilende Wunden dieser Koali-
tion zu streuen, steht dieser Forderung so auf die Stirn
geschrieben, dass ich dazu nur sagen kann: So darf man
mit Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik und den
Interessen der Bundeswehr nicht umgehen, wie Sie das
tun. Das verbietet sich aus Gründen der Fürsorge wie
aus politischen Gründen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie sollten auch unseren amerikanischen Freunden und
Partnern nicht unterstellen, sie wollten sich aus dem Bal-
kan zurückziehen. Sie sollten auch nicht der närrischen
Überlegung folgen, dass man immer zuerst an militäri-
sche Kategorien oder Fähigkeiten denkt, wenn man von
humanitärer Versorgung redet. Auch das ist falsch.
Zunächst ist zu prüfen, was die Vereinten Nationen wol-
len und leisten können, was die Nichtregierungsorganisa-
tionen leisten können und was zum Aufbau der in Afgha-
nistan durch die Taliban leider zerstörten Hilfsstrukturen
und für den ökonomischen Fortschritt getan werden kann.
Ich sage deutlich – ich wiederhole es ausdrücklich hier im
Deutschen Bundestag –: Die Bundesrepublik Deutsch-
land beweist ihr außenpolitisches Erwachsensein nicht
dadurch, dass sie möglichst viele deutsche Soldaten auf
afghanischem Boden stationiert. Dadurch beweist sie es
nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Vor diesem Hintergrund kommen wir dann zu der
nächsten Frage, die wir in Europa zu beantworten haben;
dazu hat der Kollege Fischer ja einiges in der anderen De-
batte gesagt.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Wo ist er denn?)


Es ist richtig, dass die Vereinigten Staaten ökonomisch,
politisch und auch militärisch ungewöhnlich stark sind.
Genauso richtig bleibt, dass diese Stärke auch das Produkt
bestimmter europäischer Schwächen ist. Das gilt auch für
den Bereich von außen- und sicherheitspolitischen Fähig-
keiten und für die militärischen Fähigkeiten, die dabei zu
berücksichtigen sind. Insofern wird die Europäische Si-
cherheits- und Verteidigungspolitik zur Stärkung der
NATO, der transatlantischen Allianz als der einen Kon-
stante deutscher und europäischer Politik entwickelt. In-
sofern wird die Europäische Sicherheits- und Verteidi-
gungspolitik als Motor der Integration in Europa – der
zweiten Konstante – entwickelt. Auf andere Komponen-
ten will ich, weil das den Zusammenhang sprengen
würde, jetzt nicht eingehen.

Wir sollten schon verstehen – damit kommen wir
gleich zu der Frage, wie die Fähigkeiten, die damit




Bundesminister Rudolf Scharping

20139


(C)



(D)



(A)



(B)


verbunden sind, definiert werden sollen –, dass das Vor-
haben, die ESVP einerseits und mit ihr die NATO ande-
rerseits zu stärken, für uns die einzige Chance ist, die Ver-
einigten Staaten von Amerika – diese Tendenz bzw. dieses
Risiko ist hier und da immer vorhanden – von dem Rück-
fall in Isolationismus oder Unilateralismus abzuhalten.
Ob diese Chance jemals wahrgenommen werden kann, ist
eine ganz andere Frage. Es gibt aber keine verantwortbare
Alternative hierzu. Vor diesem Hintergrund füge ich hinzu
– diese außen- und sicherheitspolitischen Aspekte sollten,
auch wenn man über den Haushalt streitet, nicht verges-
sen werden –, dass sehr viel davon abhängt, ob es gelingt,
die NATO zu erweitern. Ich stimme dem Kollegen Rühe
in diesem Fall ausdrücklich zu. Wir werben ja dafür, dass
auf der Grundlage eines breiten Konsenses eine möglichst
breite – neudeutsch könnte man sagen, ein approach –
Zielsetzung verfolgt wird, übrigens unter Einschluss der
baltischen Staaten. Das setzt allerdings voraus, dass man
in vielen Fragen das Klima und die Substanz der interna-
tionalen Zusammenarbeit verstärkt und vertieft. Von da-
her rührt der Vorschlag, die NATO-Russland-Grundakte
noch einmal durchzuschauen und zu prüfen, ob man
außerhalb der Aufgaben kollektiver Verteidigung, die in
Art. 5 festgeschrieben sind, Russland an anderen Aufga-
ben viel stärker und institutionell besser abgesichert be-
teiligen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich denke an Terrorismusbekämpfung, Nonproliferation,
Krisenmanagement und vieles andere. Von daher rührt der
Vorschlag, die Fähigkeiten des gemeinsamen dänisch-
polnisch-deutschen Korps in Stettin so weiter zu ent-
wickeln, dass sie auf lange Sicht im gesamten baltischen
Raum gemeinsam mit Russland zur Verfügung stehen. Es
muss also geprüft werden, inwieweit Fähigkeiten, die
Nicht-Artikel-5-Aufgaben betreffen, ausgebaut und, wo
immer möglich, entwickelt werden können.

In Zusammenhang mit dem internationalen Rüstungs-
kontroll- und Abrüstungsregime, über das ja leider auch
zu wenig geredet wird, weil Sicherheitspolitik in Deutsch-
land auch Finanzpolitik ist und diese in Deutschland dann
auf Kleinkram verkürzt wird, muss darauf geachtet wer-
den, dass Rüstungskontrolle und Abrüstung nicht von
der internationalen Agenda verschwinden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dann müssen wir noch darauf achten, dass zwar einseitige
Schritte Möglichkeiten beinhalten und Vertrauen gut ist,
dass aber im Interesse nicht nur der Vertragschließenden,
sondern auch aller anderen mittelbar Betroffenen Ver-
träge, die im Zweifel verifizierbar sind, immer die bessere
Lösung sind als einseitige Schritte oder informelle Agree-
ments.

Wenn das der Rahmen ist, dann können wir folgende
Frage stellen: Wie sieht es denn jetzt mit der Entwicklung
innerhalb der Bundeswehr aus und welche Möglichkeiten
haben wir dort? Was bedeutet die Erneuerung der
Bundeswehr in diesem Zusammenhang? Es ist richtig
– Herr Kollege Breuer und andere, ich gehe einmal davon

aus, dass Sie es ernst meinen –: Wir sind uns über die kon-
zeptionellen Grundlagen im Großen und Ganzen einig.

Erstes Beispiel. Die neue Führungsorganisationwird
planmäßig eingenommen. Die Streitkräftebasis hat das
Einsatzführungskommando in Dienst gestellt. Es ist in
Zukunft für den Einsatz aller Kräfte der Bundeswehr ver-
antwortlich. Diese Fähigkeit bauen wir schneller auf als
ursprünglich beabsichtigt. Deswegen konnte ich in der
vergangenen Woche das Einsatzführungskommando vor-
zeitig mit der Planung und Führung der deutschen Streit-
kräfte betrauen, die bei der Bekämpfung des internationa-
len Terrorismus eingesetzt werden sollen.

Zweites Beispiel. Das Material- und Ausrüstungs-
konzept ist im März dieses Jahres verabschiedet worden.
Wir werden dabei zwar nicht alle Wünsche erfüllen kön-
nen; das weiß ich sehr wohl. Aber wir sind dabei, zielge-
richtet die Fähigkeiten zu erwerben, die wir bei der Auf-
klärungs- und der Führungsfähigkeit auch über einen
längeren Zeitraum und größere Distanzen sowie beim
strategischen Transport und in manchen anderen Berei-
chen, insbesondere was den Schutz und die Überlebens-
fähigkeit von Soldaten bzw. der Truppe angeht, benöti-
gen. Dies ist vom Kollegen Kröning mit einigen Zahlen
untermauert worden. Ich brauche das nicht zu wiederho-
len, möchte es aber in einen ganz anderen Zusammenhang
stellen:

Zur Führungsfähigkeit: Das Datenfunksystem MIDS
ist vom Haushaltsausschuss, wenn ich es recht in Erinne-
rung habe, gebilligt worden. Es handelt sich dabei um eine
50-Millionen-Vorlage. Dies konnte übrigens nur gebilligt
werden, weil wir auf der Seite Wirtschaftlichkeit, Effizi-
enz und Veräußerungserlöse die Ergebnisse erzielt haben,
auf die ich gleich noch zu sprechen komme.

Zur Aufklärungsfähigkeit: Das strategische Auf-
klärungssystem SAR Lupe ist praktisch unter Vertrag und
konnte nur deshalb verwirklicht werden, weil wir auf der
Seite Wirtschaftlichkeit, Betriebskostensenkung, Effizi-
enz und Veräußerungserlöse die Ergebnisse erzielt haben,
über die ich gleich noch sprechen werde.

Das gilt – unbeschadet aktueller Bemerkungen des
Rechnungshofes, über die wir noch diskutieren müssen –
auch für das taktische Aufklärungssystem Fennek und die
A 400 M. Unverändertes Ziel der Bundesregierung ist es,
möglichst in diesem Jahr zu einer Unterschrift zu kom-
men, die bestehenden Verpflichtungen in keiner Weise zu
variieren und keine Unsicherheiten zu erzeugen. Das hat
der Bundeskanzler am 23. November 2001 in Nantes in
einem Kommuniqué ebenso wie gegenüber der Öffent-
lichkeit bekräftigt. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.

Zur Wirksamkeit im Einsatz: Ich müsste jetzt über die
Luftbetankungsfähigkeit, über den Tiger als Einsatzunter-
stützungshubschrauber, über die Verbesserungen beim Tor-
nado, über den EF 2000 und die Korvette 130 sprechen.
Dies alles sind Beispiele, insbesondere die Korvette 130,
die nur funktionieren, weil wir auf anderer Ebene mit Wirt-
schaftlichkeit, Effizienz usw. deutlich vorangekommen
sind. Das gilt übrigens auch für den Lenkflugkörper Me-
teor, für den dringend benötigten Minenschutz für den Mar-
der oder für die Abstandswaffe Taurus.




Bundesminister Rudolf Scharping
20140


(C)



(D)



(A)



(B)


Vor diesem Hintergrund möchte ich darauf aufmerk-
sam machen, dass zur Reform der Streitkräfte nicht nur
eine Verbesserung der Ausrüstung gehört, sondern auch
eine Veränderung im Verfahren bei der Beschaffung und
Entwicklung von Wehrmaterial. Hier kann man übri-
gens wieder von falschen Zahlen ausgehen und sagen, die
Ansätze seien gekürzt worden. Das stimmt nicht. Aber
noch entscheidender als das Betrachten der Quantität der
Mittel für Forschung und Entwicklung scheint mir zu
sein, dass wir gleichzeitig dafür sorgen, dass die Beschaf-
fungszeiten reduziert werden – sie sind nämlich halbiert
worden – und dass die Industrie bei der Entwicklung der
Ausrüstung der Bundeswehr stärker in die Entwicklungs-
verantwortung einbezogen wird. Das geschieht auch.

Drittes Beispiel. Qualifizierungs- und Bildungsoffen-
sive für Unteroffiziere und Mannschaften sowie Ausbil-
dungskooperation mit 100 Kammern und 400 Unterneh-
men. Die Bundeswehr ist das ausbildungsfreundlichste
Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Viertes Beispiel. Neuausrichtungsgesetz und sechstes

Besoldungsänderungsgesetz. Das sind nun wirklich
Schlüsselelemente für die Umsetzung der Bundeswehrre-
form. Wir werden im nächsten Jahr deutlich über 40 000,
circa 42 000, Angehörige der Bundeswehr befördern kön-
nen. Das ist ein Hinweis darauf, dass wir die berufliche
Perspektive in der Bundeswehr verbessern. Aber neben
Besoldung und sozialer Absicherung müssen wir noch
andere Punkte betrachten, die mit der unausgewogenen
Altersstruktur und mit dem Wehrdienst zu tun haben. Sie
haben aber auch damit zu tun, dass wir wegen des hohen
Anteils der Zeitsoldaten verpflichtet sind, nicht nur auf
die Zeit in der Bundeswehr zu schauen, sondern auch die
Perspektiven für zivile berufliche Tätigkeiten nach der
Bundeswehrzeit von Anfang an förderlich im Auge zu be-
halten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Fünftes Beispiel. Tarifvertrag. In meinen Augen ist er
ein bisschen spät zustande gekommen. Aber es gibt ihn
seit dem 18. Juli mit weit reichenden Veränderungen, die
auf sozialverträgliche Weise umgesetzt werden, wie sie
kein einziges Unternehmen in Deutschland kennt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber Sie, Herr Kollege Breuer, sagen, dass ich mich
der Einsparung von bestimmten Personalkosten rühmen
würde, die aber nur damit zusammenhängt, dass Stellen
nicht besetzt werden.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Stimmt ja auch!)

Das ist aber schlicht die Unwahrheit. Wenn Sie sagen, es
seien rund 180 000 Zeit- und Berufssoldaten – ich sage
Ihnen, es sind 188 000, sorry –, dann beweist allein ein
Vergleich Ihrer Behauptung mit der Realität, dass es da-
ran nicht liegen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Paul Breuer [CDU/CSU]: Mindestens 3 000 fehlen!)


Allerdings haben wir im zivilen Bereich auf der Grund-
lage des Tarifvertrages und auf der Grundlage der Er-
neuerung der Bundeswehr in erheblichem Maße Stellen
abbauen können. Das hat uns im Vollzug des Haushaltes
2001 100 Millionen DM an Personalkosten erspart. Das
ist richtig. Das ist auch ausdrücklich so beabsichtigt ge-
wesen und war von Anfang an in den Beschlüssen der Ko-
alition zur Erneuerung der Bundeswehr festgelegt.

Sechstes Beispiel. Der Rahmenvertrag wurde mittler-
weile von 600 Unternehmen unterzeichnet. Er ging von
14 Pilotprojekten aus, die sich mittlerweile in 22 Ver-
tragspaketen manifestiert haben.

Siebtes Beispiel. Das Bundesministerium der Verteidi-
gung hat ein Leitungscontrolling eingerichtet, das eine
durchgängige Verfolgung und Steuerung nicht nur der Re-
form ermöglicht. Das ist bei einem so vielschichtigen An-
satz auch unbedingt erforderlich.

Ich will nun einmal deutlich machen, was all dieses, in
Zahlen übersetzt, bedeutet. Für den Kollegen Breuer sind
alle diese Zahlen natürlich nicht neu; er hat sie wie andere
Kollegen auch im Verteidigungsausschuss gehört. Aber es
gehört offenbar zu den Gepflogenheiten einer intellektu-
ell hoch stehenden Debatte, die Tatsachen möglichst zu
verschweigen.


(Heiterkeit bei der SPD)

Im Haushaltsentwurf war von Anfang an eine Senkung

der Betriebskosten von 200 Millionen DM eingeplant.
Diese Einsparung werden wir erreichen. Die 100 Milli-
onen DM, die wir an Personalkosten eingespart haben,
habe ich bereits genannt. Die Flugbereitschaft ist aus-
weislich anderer Bemerkungen des Rechnungshofes so
optimiert worden, dass sie 74 Millionen DM im Jahr we-
niger kostet. Die Kosten für die Ersatzteilbevorratung
oder die Depotinstandhaltung beim Heer sind um 20 Mil-
lionen DM gemindert worden. Die Umstellung der Be-
schaffung von Ausstattung der Rechenzentren der Bun-
deswehr auf Leasingverträge hat 38 Millionen DM
erbracht. Es gibt Mieteinnahmen. Das Betreibermodell
des Gefechtsübungszentrums in der Altmark erbringt
insgesamt 16,5 Millionen DM.

Das Heer hat klugerweise durch Neuordnung der De-
potinstandsetzung und anderes Infrastrukturmaßnahmen
im Wert von 1,2 Milliarden DM identifiziert, auf die man
verzichten kann. Wir haben für rund 220 Millionen DM
bewegliches wie unbewegliches Vermögen veräußert. Im
Übrigen haben wir mit den Niederlanden eine Vereinba-
rung über Lufttransportkapazitäten mit einem Volumen
von 90 Millionen DM abgeschlossen.

Ich bleibe bei dem, was ich von Anfang an gesagt habe:
Ich bin nicht dafür, wegen einer schnellen Mark Druck
auszuüben, um schnelle Veräußerungen zu schlechten
Preisen zu erreichen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Jetzt auf einmal!)

Wenn Sie diese Zahlen einmal zusammenrechnen, dann
werden Sie unschwer erkennen, dass wir auf dieser Seite
der Verbesserung von Wirtschaftlichkeit und Effizi-
enz und der Steigerung von Veräußerungserlösen in die




Bundesminister Rudolf Scharping

20141


(C)



(D)



(A)



(B)


Nähe des Zieles kommen – wir werden es nicht ganz er-
reichen –, das wir uns vorgenommen haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bedanke mich im Übrigen ausdrücklich bei den
Mitgliedern des Verteidigungsausschusses, insbesondere
aber auch bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses
und nicht zuletzt bei dem Kollegen Hans Eichel und sei-
nen Mitarbeitern. Wir haben alle Entscheidungen vorbe-
reitet und werden sie mit diesem Haushalt durchsetzen,
die mit der Gründung der genannten Beteili-
gungsgesellschaft zu tun haben und die der Bundeswehr
ein zusätzliches Investitionsvolumen in einer Größenord-
nung erschließen, die hier auch nicht ganz genau beziffert
worden ist. Über die kleine Differenz zwischen 800 Mil-
lionen, 820 Millionen und 826 Millionen DM darf man ja
bei Haushaltsberatungen jedenfalls im Sinne der CDU/
CSU hinwegsehen. Wer Mehrforderungen von über
400 Milliarden DM aufstellt,


(Zuruf von der SPD: 433 Milliarden!)

erwirbt sich nach seinen eigenen Vorstellungen offenbar
das Recht, über die Bundeswehr zu reden, ohne sich die
Tatsachen genau anzuschauen, und hier und da ein paar
Hundert Millionen oder einige zig Millionen zu vergessen
usw.

Ich hätte Sie – ich sage das ganz deutlich – auf dem
Weg der Erneuerung der Bundeswehr gern dabei. Aber
wenn Sie in der Ecke stehen bleiben wollen, dann bleiben
Sie da stehen. Wir werden die Bundeswehr dennoch
erneuern, gemeinsam mit den Angehörigen der Bundes-
wehr. Im Interesse der außen- und sicherheitspoli-
tischen Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deut-
schland wird die Erneuerung mit Erfolg durchgeführt
werden, ob Sie das mögen oder nicht. Es darf ja in Ihren
Augen nicht so sein, dass ein Sozialdemokrat erfolgreich
das aufräumt, was Sie ihm hinterlassen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1420411700
Liebe Kol-
leginnen und Kollegen, mit Blick auf die Rednerliste, auf
die folgenden namentlichen Abstimmungen und auf den
Umstand, dass heute Abend noch zwei Ressorts aufgeru-
fen werden, möchte ich von der Bestimmung des § 27 der
Geschäftsordnung Gebrauch machen und Kurzinterven-
tionen grundsätzlich auf eine Minute beschränken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zu einer solchen Kurzintervention hat der Kollege
Rauber das Wort.


Helmut Rauber (CDU):
Rede ID: ID1420411800
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister, die Kri-
tik an Ihnen ist keine Kritik an der Bundeswehr und den
Zivilbediensteten in der Bundeswehr.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir stehen zur Bundeswehr und wir erkennen die Leis-
tungen der Soldaten umso mehr an, als sie unter sich ver-
schlechternden Bedingungen erbracht werden müssen.
Sie haben der Bundeswehr gegenüber unseren Planungen
von 2000 bis 2004 18,6 Milliarden DM entzogen. Die
1,5 Milliarden DM sind nur ein Teil der Kompensation.
Der Haushalt hat nicht nur eine Einnahmenseite, sondern
auch eine Ausgabenseite. 1998 standen 2 800 Soldaten auf
dem Balkan. Ein Jahr später waren es durch den Kosovo-
Krieg insgesamt 9 000. Allein das Kosovo-Engagement
verursacht Kosten von 1,3 Milliarden DM.

Wir fordern das ein, was Sie international versprochen
haben. Sie haben entsprechend den Kölner Vorgaben in
Sintra erklärt, dass der investive Anteil des Bruttoinlands-
produkts von 0,3 Prozent auf 0,7 Prozent erhöht werden
muss, was allein ein Mehr von 11 Milliarden DM aus-
macht.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1420411900
Herr Kol-
lege Rauber, das war Ihre Kurzintervention.


Helmut Rauber (CDU):
Rede ID: ID1420412000
Okay.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1420412100
Nunmehr
gebe ich dem Kollegen Hildebrecht Braun das Wort.


Hildebrecht Braun (FDP):
Rede ID: ID1420412200
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Es ist schon ein herbes
Schicksal, in einer rot-grünen Regierung Verteidigungs-
minister sein zu müssen.


(Ilse Janz [SPD]: Es gibt Schlimmeres!)

Das allein erklärt aber noch lange nicht, warum dieser
Minister Scharping bei weitem am meisten Rücktrittsfor-
derungen in dieser Haushaltswoche zu hören bekommen
hat. Ein Staatssekretär, zwei Generalinspekteure, eine
Geschäftsführerin – darauf komme ich noch zu spre-
chen –, Ihr eigener Pressesprecher sowie weiteres Perso-
nal aus dem Ihnen unmittelbar zugeordneten Bereich ha-
ben kapituliert oder sind entlassen worden. Laut „Welt“
von heute will angeblich auch Staatssekretär Biederbick
seinen Hut nehmen.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Wohl wahr!)


Ihre Rede hat eines trotzdem nicht gezeigt, nämlich die
Fähigkeit zur Selbstkritik.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gehört diese nicht zum Anforderungsprofil eines Minis-
ters? Denken Sie an die GEBB, die Sie gegründet haben,
Herr Scharping, um Geld zu sparen. Sie haben eine ver-
diente Parteifreundin als Geschäftsführerin angestellt – zu
einem Gehalt, mit dem sie sich den Bundeskanzler als lei-
tenden Angestellten hätte leisten können. Jetzt haben Sie
die Dame ins Unterholz geschickt. Ich wüsste ja schon
gerne – meine Zwischenfrage wurde leider nicht zugelas-




Bundesminister Rudolf Scharping
20142


(C)



(D)



(A)



(B)


sen –, ob auch eine Abfindung Teil der Vereinbarung ist.
Das interessiert mich speziell deshalb, weil gleichzeitig
unseren Soldaten eine Kürzung ihrer Pensionen angedient
wird. Das ist Fakt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, deutlich weniger Geld für

die Soldaten bei deutlich gestiegenen Aufgaben – diese
Gleichung kann nicht aufgehen. Nur bei steigender Ar-
beitslosigkeit, wie sie jetzt Minister Eichel angekündigt
hat, hat die Bundeswehr überhaupt noch eine Chance, den
nötigen Nachwuchs zu bekommen. Warum ist das so?
Weil die Eingangsgehälter bei der Bundeswehr immer
noch etwas über dem Sozialhilfeniveau liegen.


(Zuruf von der SPD: Mein Gott! – Gegenruf von der CDU/CSU: Da hat er Recht!)


Es ist nicht in Ordnung, dass gerade unsere Feldwebel, die
Wehrpflichtigen oder auch Zeitsoldaten begreiflich ma-
chen sollen, dass es sich lohnt, als Berufssoldat bei der
Bundeswehr zu dienen, selbst keine Perspektive haben.
Wer selbst nicht von seiner Tätigkeit überzeugt ist, der
kann auch andere nicht überzeugen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ob das der Beförderungsstau, die langen Stehzeiten im
Ausland, die große Unsicherheit über das Weiterbestehen
von Standorten oder die gehaltsmäßige Schlechterstel-
lung von Soldaten gegenüber den Polizisten ist – solche
Dinge motivieren nicht.

Herr Minister Scharping, Sie sind als Löwe von Rhein-
land-Pfalz gestartet und als Bettvorleger gelandet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!)


Sie haben den Kredit bei der Truppe verspielt. Viele Ent-
scheidungen über Standortverlegungen oder Standort-
schließungen lassen parteipolitische Erwägungen an-
stelle von nüchterner Abwägung erkennen. Ein leidvolles
Beispiel dafür ist die Fernmeldeschule des Heeres in
Feldafing. Bisher ist es eines der schönsten und wertvolls-
ten Grundstücke der Bundeswehr in Deutschland; es liegt
am Starnberger See. Wenn Rot-Grün noch länger an der
Regierung bleiben sollte, dann kommt die Verlegung in
einen durchschnittlichen Standort infrage. Ein Juwel wird
in Modeschmuck eingetauscht. Vielleicht gibt es ein paar
Legobausteine dazu. Das wird der Bundeswehr nicht ein-
mal Geld bringen: Die Verlegung kostet 120 Millio-
nen DM mehr, als die Renovierung und Sanierung der be-
stehenden Gebäude und Einrichtungen in Feldafing selbst
kosten würden.

Ein derartiges Verhalten würde bei jeder Firma nicht
nur zur fristlosen Kündigung des Finanzvorstandes
führen, sondern unmittelbar Schadensersatzklagen in
Höhe von mindestens 120 Millionen DM


(Jörg Tauss [SPD]: Mindestens 300 Millionen!)


nach sich ziehen. An die Menschen, die für diesen schänd-
lichen Vorgang auch noch ihre gewachsenen Beziehungen

in der Gemeinde und in der Schule – ich denke hier auch
an die Kinder – sowie ihren Job – ich denke an die Ehe-
frauen – aufgeben sollen, denkt bei Rot-Grün offensicht-
lich niemand mehr. Herr Scharping, hier überfordern Sie
die Loyalität ihrer Soldaten.

Sanieren Sie die Schule und schauen Sie sich diese erst
einmal an. Das ist ein unglaubliches Ding: Es schaut aus
wie beim Untertagebergbau. 100 Vortragssäle werden
durch jeweils vier Baumstämme gehalten, damit die
Decken nicht einstürzen. Das ist die gegenwärtige Situa-
tion. Dort besteht wirklich ein dringender Handlungsbe-
darf.

Herr Bundesminister, ich stelle fest, dass die Finanzen
der Bundeswehr offensichtlich bereits einen fatalen Zu-
stand erreicht haben. Mir liegt ein Schreiben der Stadt-
werke Düsseldorf vom 8. November 2001 an Verteidi-
gungsminister Rudolf Scharping vor. Dort schreibt der
Vorstand der Stadtwerke Düsseldorf:

Institute und Behörden des Bundes und der Länder
schulden den Stadtwerken Düsseldorf entsprechend
einem Stromverbrauch von rund 315 Gigawatt einen
Betrag in Höhe von 2,8 Millionen DM für den Zeit-
raum vom 1. November 2000 bis zum 31. Okto-
ber 2001.
Die Stadtwerke Düsseldorf bitten Sie, für die Zah-
lung der offenen Beträge zu sorgen.

Herr Bundesminister Scharping, sollen wir etwa noch
sammeln gehen, damit wir diesen Betrag zusammenbe-
kommen und damit Sie in die Lage versetzt werden, we-
nigstens den Strom für die Bundeswehr zu bezahlen?
Sonst gehen gar noch vor Weihnachten ihre Lichter aus.
Das kann es doch wohl nicht sein.

Ich danke.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1420412300
Das Wort
hat der Kollege Winfried Nachtwei für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420412400

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte zu zwei Punkten im Hinblick auf die nächsten
Monate Anmerkungen machen. Zunächst einmal ist mir in
den letzten Wochen und Monaten aufgefallen, dass in Tei-
len der Öffentlichkeit Militäreinsätze und Kriegseinsätze
immer gleichgesetzt worden sind. Ich muss feststellen,
dass diese Art von Gleichsetzung – das war auch beim
Einsatz in Mazedonien sehr deutlich der Fall – die Ein-
satzrealität der Bundeswehr in keiner Weise trifft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dies möchte ich deutlich machen, indem ich auf einen
kleinen, unauffälligen Haushaltstitel aufmerksam mache,
der allerdings erhebliche sicherheitspolitische Bedeutung
hat, nämlich die Aufwendungen im Rahmen der nationa-
len Umsetzung des KSE-Vertrages einschließlich des




Hildebrecht Braun (Augsburg)


20143


(C)



(D)



(A)



(B)


Vertrages über den offenen Himmel sowie das Chemie-
waffenübereinkommen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Der Vertrag über den offenen Himmel ist in der all-

gemeinen Öffentlichkeit vielleicht gar nicht so sehr be-
kannt. Er wurde 1992 unterzeichnet und hatte eine enorme
Bedeutung, weil nämlich mit diesem Vertrag recht kurz-
fristig kooperative Beobachtungsflüge in dem gesamten
Raum von Vancouver bis Wladiwostok durchgeführt wer-
den können. Das führt zu einem Ausmaß an Vertrauens-
bildung, wie es in keinem anderen Bereich in einer so
großen Zone überhaupt gegeben ist. Bei diesem Vertrag
kann man wirklich feststellen, dass er ein enormer Fort-
schritt für die gemeinsame Sicherheit ist und dass er ein
Beitrag ist, die Abkehr von Denkmustern des Kalten Krie-
ges, die ja noch nicht ganz verschwunden sind, unum-
kehrbar zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deutschland spielte im Rahmen der Probeimplemen-

tierung eine führende Rolle. Dafür – auch das sollte hier
einmal gesagt werden – ist insbesondere dem Zentrum für
Verifikationsaufgaben der Bundeswehr zu danken, das
hierzu eine in der Öffentlichkeit recht wenig beachtete,
aber vorzügliche Arbeit leistet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Anfang Januar des nächsten Jahres wird dieser Vertrag
endlich in Kraft treten. Die Bundesrepublik wird ihre bis-
her vorbildliche Rolle allerdings nur dann weiter so aus-
füllen können, wenn ein Mangel, der 1998 eingetreten ist,
möglichst bald behoben wird. Seit 1998 nämlich verfügt
die Bundesrepublik über keine entsprechende Beobach-
tungsplattform, kein entsprechendes Flugzeug mehr. Hier
ist der Bedarf offenkundig. Es ist notwendig, dass es hier
zu einer Einigung kommt, und zwar zu einer multilatera-
len Lösung in europäischer Zusammenarbeit mit dem Ziel
einer wirklich modernen Ausstattung. Ich glaube, dass
dieses Anliegen von allen Fraktionen des Hauses deutlich
geteilt wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/ CSU)


Der zweite Aspekt. Als Verteidigungspolitiker haben
wir selbstverständlich besonders viel und immer wieder
mit Friedensmissionen zu tun, nämlich bei Entsendeent-
scheidungen und bei ihrer Begleitung. Angesichts der
Vorgänge in Afghanistan ist aber auch eine gewisse Art
von vorausschauender Diskussion angebracht, allerdings
nicht in dieser völlig verkürzten und deplatzierten Art, in
der sie der Kollege Rühe hier vorgeführt hat.

Die „Stiftung Wissenschaft und Politik“ hat über ihren
Fachmann Winrich Kühne inzwischen eine vorzügliche
und hilfreiche Studie dazu vorgelegt, in der festgestellt
wird, dass, wenn es zu einer Übergangsregierung kommt,
ein begleitender internationaler Friedensprozess von
entscheidender Bedeutung sein kann, um vor allem ein
politisches und ein Sicherheitsvakuum zu überbrücken.
Wenn die Konfliktparteien – dies ist besonders zu betonen

und muss eine Selbstverständlichkeit sein – dies wollen,
dann wäre ein Friedenseinsatz der Vereinten Nationen un-
ter den gegebenen Bedingungen wohl ein besonders
großer und auch besonders schwieriger.

Dabei muss Verschiedenes klar sein: Eine solche Mis-
sion könnte sich nur auf Kernaufgaben beschränken. Eine
ganz zentrale Erfahrung der Einsätze auf dem Balkan
müsste sie unbedingt berücksichtigen: eine integrierte
Führungsstruktur zwischen Militär und Zivilen. Selbst-
verständlich müssten die Hauptbeiträge aus den muslimi-
schen Staaten kommen. Nur bei technologischen und aus-
bildungsmäßig anspruchsvolleren Komponenten könnten
Beiträge aus dem Westen denkbar sein. Vor allem aber
– das ist vielleicht auch der wichtigste Punkt in unserer
Debatte – würde internationales Fachpersonal benötigt,
zum Beispiel zur Unterstützung des Aufbaus von lokalen
Verwaltungen. Hier gibt es einen enormen Nachholbe-
darf. Vor allem in den südlichen Ländern gibt es kaum
eine oder gar keine entsprechende Vorbereitung oder Aus-
bildung dafür.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Denken wir einmal zurück an den Sommer 1999 im

Kosovo: Truppen waren ziemlich schnell verfügbar, aber
nach Zivilpersonal, nach Polizeikräften musste mühsam
gesucht werden. Damit gingen die entscheidenden ersten
Monate verloren. Damit wurden gleichzeitig ganz emp-
findliche Langzeitprobleme geschaffen. Deshalb ist eine
rechtzeitige Vorbereitung und Rekrutierung gerade von
solchem Zivilpersonal dringend erforderlich, damit die
fantastischen, zugleich aber äußerst prekären Chancen für
einen Friedensprozess in Afghanistan bestmöglich ge-
nutzt werden können. Die Bundesrepublik kann mit ihren
neu aufgebauten Kapazitäten dazu hervorragend beitra-
gen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, entschuldigen Sie,
dass ich mit meinen letzten Ausführungen den Zuständig-
keitsbereich des Verteidigungsetats etwas überschritten
habe. Ich hielt es aber für notwendig, weil dieser Aspekt
sonst nicht zur Sprache gekommen wäre.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Hans Raidel [CDU/CSU])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420412500
Ich erteile jetzt der
Kollegin Heidi Lippmann für die PDS-Fraktion das Wort.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1420412600
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der
verabscheuungswürdige Angriff auf die USA am 11. Sep-
tember 2001, auf die mit Abstand stärkste Militärmacht
der Welt, erfolgte – wie wir alle wissen – nicht mit mi-
litärischen Mitteln, sondern mit Tapeziermessern und Zi-
vilflugzeugen. Er hat deutlich gemacht, dass militärische
Hochtechnologie kein Schutz gegen derartige Terrormaß-
nahmen ist. Würde man diesen Gedanken weiterdenken,
käme man zu der Erkenntnis, dass drastische Kürzungen
im Rüstungsbereich durchaus plausibel wären.




Winfried Nachtwei
20144


(C)



(D)



(A)



(B)


Stattdessen setzt sich wie eh und je in der Mensch-
heitsgeschichte einmal mehr die militärische Denkweise
durch. Statt die Ursachen des Terrorismus zu analysieren
und dann mit zivilen Mitteln in einem zivilisierten Werte-
verständnis zu bekämpfen, werden stellvertretend für den
mutmaßlichen Verursacher des Terrors ein Staat und ein
ganzes Volk angegriffen. Zudem wird last, not least ver-
stärkt aufgerüstet, was sich im Verteidigungsetat mit zu-
sätzlichen 1,5 Milliarden DM jährlich niederschlagen
wird, insbesondere im investiven Bereich.

Betrachten wir die Entwicklung in der Außen- und Si-
cherheitspolitik der rot-grünen Bundesregierung seit
1998, wird deutlich, dass die Hemmschwelle zum Ein-
satz militärischerMittel Schritt für Schritt gesunken ist.
Wurden bei der Bombardierung Jugoslawiens noch vor-
wiegend humanitäre Beweggründe zur Legitimation in
den Vordergrund gestellt, wird heute mit dem abstrakten
Begriff der Terrorismusbekämpfung jegliche militärische
Option an jedem Einsatzort denkbar und möglich.

Zwar ist die Bevölkerung noch nicht so weit, dies un-
widersprochen zu akzeptieren – wie der Kanzler auf dem
SPD-Parteitag in seinem Schlusswort richtig bemerkt
hat –, doch traue ich beiden Regierungsfraktionen durch-
aus zu, dass ihnen genügend Argumente einfallen werden,
auch Angriffe auf den Irak, Somalia und andere Staaten
plausibel zu erklären.

Die grünen Interventionisten haben am Wochenende
einmal mehr bewiesen, wie ein Ja zum Krieg als politi-
scher Pazifismus deklariert werden kann. Sie sollten sich
allerdings ernsthaft fragen, ob Sie durch Ihre Politik nicht
eher praktischen Bellizismus betreiben.


(Beifall bei der PDS)

Ob es gelingen wird, die Mehrheit der deutschen Bevöl-
kerung kriegskompatibel zu machen, wage ich zu be-
zweifeln.

Der Herr Verteidigungsminister hat eben ausgeführt,
dass die Bundesrepublik Deutschland kein eigenes Inte-
resse in Afghanistan hat. Diese Worte stehen ganz klar
im Widerspruch zu dem, was der Bundesaußenminister
vorhin gesagt hat, nämlich dass es unser ureigenes Inte-
resse ist, an einer Stabilität in der Region im Mittleren und
Nahen Osten zu arbeiten. Wenn der Verteidigungsminis-
ter pauschal erklärt, es sei kein Interesse Deutschlands
vorhanden, könnte man daraus folgern, dass auch kein hu-
manitäres Interesse vorhanden sei. Angesichts von
500 000 Menschen, denen – so der UNHCR – in diesem
Winter eventuell der Tod durch Verhungern oder Krank-
heiten bevorsteht, halte ich diese Aussage des Verteidi-
gungsministers für sehr fragwürdig.

Der Kollege Volker Rühe hat den Außenminister vor-
hin aufgefordert, ein klares Bekenntnis zu mehr Haus-
haltsmitteln für die Bundeswehr abzugeben. Meine Frak-
tion unterstützt diese Forderung natürlich nicht. Doch wer
Krieg und den Einsatz militärischer Gewalt als Mittel
außenpolitischer Gestaltungsmacht begreift, der muss
zwangsläufig umfangreiche Interventionsmöglichkeiten
schaffen, der muss in seiner Logik die Rüstung moderni-
sieren, der braucht neue strategische Transportflugzeuge,
maritime Einsatztruppenversorger, neue Jagdbomber und

vieles mehr. In dieser militärischen Logik von Rot-Grün
und Schwarz-Gelb ist es dann nur konsequent, entbehrli-
ches Bundeswehrgerät zu veräußern und die Rüs-
tungsexportpolitik entsprechend zu forcieren. Die PDS
lehnt diese Politik ab.

Ich möchte zum Schluss, stellvertretend für viele Men-
schen dieser Republik, zwei Organisationen zitieren. Die
eine Organisation ist der Franziskanerorden. Er sagt:

Der Krieg ist kein Mittel zur Bekämpfung des Terro-
rismus. Wir sehen im Gegenteil darin eine Förderung
weltweiter Eskalation.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Die zweite Organisation ist der Arbeitskreis des Darm-

städter Signals, in dem über hundert Offiziere und Unter-
offiziere zusammengeschlossen sind. Sie fordern, den mi-
litärischen Einsatz zur Terrorismusbekämpfung sofort zu
beenden und weitere militärische Optionen abzulehnen.


(Beifall bei der PDS)

Der Arbeitskreis des Darmstädter Signals verlangt, jegli-
che Waffenexporte, besonders in Krisenregionen, abzu-
lehnen. Er fordert den Verteidigungsminister auf, die ge-
planten Waffenlieferungen, die den internationalen
Terrorismus stützen, sofort zurückzunehmen.

Dem vorliegenden Antrag meiner Fraktion bitte ich zu-
zustimmen. Der neue Verteidigungshaushalt ist der erste
Haushalt, über den nach dem 11. September abgestimmt
wird.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420412700
Frau Kollegin, jetzt
wird Ihre Rede ein bisschen lang.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1420412800
Er wird für die Politik in die-
sem Haus zukunftsweisend sein. Deswegen werden wir
ihm nicht zustimmen.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420412900
Das Wort hat jetzt der
Kollege Manfred Opel für die SPD-Fraktion.


Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1420413000
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wir haben heute sehr viel
über die Zukunft der Bundeswehr gehört. In dieser Haus-
haltsdebatte kommt es aber darauf an, den Menschen, die
die Bundeswehr tragen, also den Soldaten und Soldatin-
nen, zivilen Mitarbeitern und ihren Familien, zu vermit-
teln, dass dieses Parlament mit ihren Problemen seriös
umgeht.

Sie haben fürwahr Probleme. Die Bundeswehr ist
heute eine Armee im Einsatz. Diese Armee trägt eine Ein-
satzlast wie niemals vorher. Es kann sogar sein, dass diese
Last in Zukunft noch zunehmen wird. Ich stelle fest, dass
unsere Bundeswehr in ihren Einsatzgebieten vorbildlich
zur Bewahrung und Schaffung von Frieden, Demokratie
und Sicherheit beiträgt.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)





Heidi Lippmann

20145


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir sind wirklich stolz darauf, dass diese Bundeswehr
von anerkannten Persönlichkeiten wie dem Nobel-
preisträger Kofi Annan und dem NATO-Generalsekretär
Lord Robertson gelobt wird, der sich außerordentlich po-
sitiv zur Leistungsfähigkeit der Bundeswehr auf dem
Balkan geäußert hat. Die OSZE hat das Engagement die-
ser Bundeswehr ausdrücklich gelobt. Unsere Partner wie
Polen und Ungarn freuen sich über die Hilfen, die ihnen
die Bundeswehr zur Verfügung stellt. Letztlich hat Präsi-
dent Bush dem Kanzler für die Arbeit der Bundeswehr
gedankt.

Wie aber kann es sein, dass eine so gute Bundeswehr
verwaltet und geführt werden kann, wenn sie angeblich
unterfinanziert ist? Das ist doch ein Widerspruch in sich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen bitte ich die Kolleginnen und Kollegen der Op-
position, Einkehr zu halten und die Bundeswehr nicht
mies zu machen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Macht niemand!)


– Ich bitte nur darum. Ich habe nicht behauptet, dass Sie
das tun werden. Ich habe mich sehr genau ausgedrückt.

Ich hoffe sehr, dass wir nach außen den Eindruck er-
wecken, dass wir alle hinter der Bundeswehr stehen. Ich
sage Ihnen zu: Vor dem Hintergrund der finanziellen
Möglichkeiten ist die Bundeswehr seriös finanziert und
sie wird es auch in Zukunft sein.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch ein
Wort zum Bundeswehr-Verband, zur Vertretung der Sol-
daten, sagen. Den Soldaten und den zivilen Mitarbeitern
der Bundeswehr wurden nach jahrelangem Stillstand
zahlreiche Verbesserungen durch diese Koalition ge-
währt. Ich denke nur an den Mobilitätszuschlag, der der
Bundeswehr wirklich hilft. Ein Vergleich mit der freien
Wirtschaft erlaubt mir zum Beispiel im Hinblick auf den
neuen Tarifvertrag, zu behaupten, dass diese Regierung
der Bundeswehr in ihren strukturellen Nöten beisteht.
Deshalb wäre es nur fair, wenn die Vertreter des Bundes-
wehr-Verbandes darauf positiv eingehen würden. Statt-
dessen fordern sie ihre Mitglieder auf, in Uniform gegen
Defizite zu demonstrieren, die niemand beseitigen kann,
weil sie niemandem bekannt sind.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Deswegen glaube ich, wir sollten gemeinsam – auch das
ist eine Einladung – ein klares Wort zu dieser wirklichen
Perversion des Demonstrationsrechtes finden; denn das
ist nicht in Ordnung.

Ich möchte darüber hinaus auch noch etwas zur Serio-
sität des Haushalts sagen. Auch 2002 müssen wir über
40 Milliarden Euro – das ist fast das Doppelte des Einzel-
plans 14 – an Zinsen für Schulden zahlen, die die Vorgän-
gerregierung gemacht hat. Das ist die Wahrheit.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Lafontaine!)


Wie viele Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahmen und so-
ziale Notwendigkeiten ließen sich mit diesem Geld finan-
zieren? Dies ist uns verwehrt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gab einen erheblichen Reformstau. Das wissen wir
alle. Tun Sie jetzt bitte nicht so, als sei vorher alles in Ord-
nung gewesen!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Weizsäcker-Kommission, die neutral ist, hat dies fest-
gestellt. Unabhängig davon ist auch der Generalinspek-
teur, der für die Soldaten zuständig ist und der Hauptbe-
troffener ist, zu diesem Ergebnis gekommen.

Rechnet man einmal – darauf hat unser Minister schon
hingewiesen – die Forderungen und die Mindereinnah-
men für den Gesamthaushalt zusammen, dann kommt
man auf 433 Milliarden DM bzw. rund 215 Milliarden
Euro. Ich möchte mich auf den Verteidigungshaushalt be-
schränken. Die Union fordert, den Verteidigungshaushalt
allein 2002 um zusätzlich 1,53 Milliarden Euro auf-
zustocken. Zusätzlich wollen Sie den Einzelplan 14 um
jährlich 6 Prozent aufstocken. Das sind im Jahr 5,2 Milli-
arden Euro. Das sind im Planungszeitraum bis 2006
37,5 Milliarden Euro. Wenn man das alles zusammen-
rechnet, kommt man auf die gewaltige Summe von
40 Milliarden Euro. Das Schöne ist, dass weder Sie noch
irgendein anderer, der so etwas fordert, sagt, wie er das
finanzieren will. Dies nenne ich einfach unseriös.


(Beifall bei der SPD – Günther Friedrich Nolting [FDP]: Nur durch Schuldenmachen!)


Vor diesem Hintergrund nimmt es sich geradezu be-
scheiden aus, dass die FDPnur 350Millionen Euro für die
Anschubfinanzierung – man beachte dieses Wort – eines
Lazarettschiffes fordert.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Von der Weizsäcker-Kommission gefordert!)


– Verehrter Herr Kollege, die militärischen Forderungen
stellt nicht die Weizsäcker-Kommission, sondern der Ge-
neralinspekteur als Planungsverantwortlicher für die Bun-
deswehr auf.

Als „Lichtblick“ bleibt eigentlich nur die Forderung
der PDS, den Soldaten eine moderne Ausrüstung zu ver-
weigern, also in bestehende Verträge einzugreifen. Die
PDS – man höre und staune – fordert des Weiteren, dass
die Bundeswehr in Zukunft bei humanitären Leistungen
nicht mehr unterstützt werden solle.


(Widerspruch bei der PDS)

– Verehrter Herr Kollege Dr. Rössel, auf solche unseriö-
sen Vorschläge können die Bundeswehr und Deutschland
sehr gut verzichten.

Zum Abschluss möchte ich noch ein Wort zur GEBB
sagen. Das Interessante ist, dass wir die GEBB gemein-
sam gefordert haben. Die Union hat immer Privatisierun-
gen gefordert. Die GEBB ist Privatisierung. GEBB heißt
übrigens, Herr Kollege Austermann, Gesellschaft für Ent-




Manfred Opel
20146


(C)



(D)



(A)



(B)


wicklung, Beschaffung und Betrieb und nicht Gesell-
schaft zur Beratung der Bundeswehr. Das sollten Sie ein-
mal lernen. Außerdem haben Sie gemeinsam mit uns Ra-
tionalisierung gefordert; genau dafür ist die GEBB da. Die
Gründung der GEBB wurde von der Union und der FDP
begrüßt. Das ist doch die Wahrheit.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nein!)

Tatsache ist auch, dass Frau Dr. Fugmann-Heesing als

erste Chefin der GEBB gut gearbeitet hat. Das möchte ich
hier einmal feststellen.


(Beifall bei der SPD – Günther Friedrich Nolting [FDP]: Warum ist sie dann gegangen?)


– Sie hat gut gearbeitet. Sie haben doch noch nie persön-
lich solche Verantwortung getragen. Wie kommen Sie ei-
gentlich zu einem solchen Urteil? Unser Respekt und
Dank gelten Frau Dr. Fugmann-Heesing.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Raidel [CDU/CSU]: Weil sie so gut war, haben Sie sie gefeuert!)


Die Aufgaben der GEBB sind so gewaltig, dass sich die
Anfangsschwierigkeiten natürlich als massiver herausge-
stellt haben, als wir alle gehofft hatten. Dennoch war es
richtig, die GEBB zu gründen. Ein bekannter Informa-
tionsdienst schrieb sogar: „Wenn es die GEBB nicht gäbe,
müsste man sie erfinden.“

Insgesamt glaube ich, dass dieser Haushalt und die in
ihm veranschlagte Neustrukturierung der Bundeswehr,
aber auch die GEBB die Entwicklung der Bundeswehr
fördern werden.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Sagen Sie mal was zur Kommandogewalt!)


Ich hoffe, dass Sie dies unterstützen können, indem Sie
nicht nur die Leistungen für sich in Anspruch nehmen,
sondern gemeinsam mit uns auch die Risiken tragen. Das
hat die Bundeswehr verdient.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420413100
Als letztem Redner in
dieser Debatte erteile ich dem Kollegen Kurt Rossmanith
das Wort.

Ich bitte Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, ihm
kollegial zuzuhören. Das ist für den Redner sehr viel ein-
facher.

Herr Kollege, Sie haben das Wort.


Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1420413200
Ich bedanke mich,
Frau Präsidentin.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr
Bundesminister Scharping, der Kollege Braun hat Ihnen
vorgeworfen, Sie seien nicht selbstkritisch genug. Ihre
Ausführungen haben das wieder bewiesen. Nur in einem
Punkt waren Sie selbstkritisch: Sie haben nämlich gesagt,

dass Sie uns nicht verstünden. Das stimmt. Ihre Darstel-
lungen in der heutigen Haushaltsdebatte beinhalteten Ver-
drehungen, Unterstellungen und völlig aus der Luft ge-
griffene Behauptungen.


(Brigitte Schulte, Parl. Staatssekretärin: Das ist nicht wahr!)


Für meine Fraktion, die CDU/CSU, stelle ich aus-
drücklich fest: Niemand aus unserer Fraktion, Herr
Bundesminister Scharping, hat jemals an der Leistungs-
fähigkeit, an der Motivation und am Wollen unserer Sol-
datinnen und Soldaten und der zivilen Mitarbeiter der
Bundeswehr Zweifel geäußert oder gar Kritik geübt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben immer dargestellt, dass unsere Soldaten eine
großartige Leistung vollbringen. Für sie war der Frieden
der Ernstfall, bis sich die weltpolitische Situation änderte.
Das begann mit Kambodscha und hat sich über Somalia
und den Balkan bis zur gegenwärtigen Bekämpfung des
Terrors fortgesetzt.

Wir haben Sie immer davor gewarnt, sich dem Diktat
des Finanzministers zu unterwerfen und Sicherheitspo-
litik nach Kassenlage zu betreiben. Das aber hat Sie nicht
weiter interessiert. Sie haben eine so genannte Bundes-
wehrreform eingeleitet, die wesentlich vom General-
inspekteur geprägt war, der aber schon damals darauf hin-
wies, dass eine echte Reform ohne Aufstockung des
Haushalts nicht möglich sei. In diesem Zusammenhang
nannte er einen Betrag von über 3 Milliarden DM. Auch
das haben Sie ignoriert. Dies führte zu dem Ergebnis, dass
eine der wesentlichen Säulen dieser so genannten Bun-
deswehrreform, der Generalinspekteur, die Flucht nach
Brüssel angetreten hat.

Zur zweiten Säule, der GEBB: Lieber Kollege Opel,
indem Sie gerade die GEBB als einen Privatisierungs-
erfolg gefeiert haben, haben Sie gezeigt, was Sozialisten
und Sozialdemokraten unter Privatisierung verstehen.
Gerade die GEBB ist das beste Beispiel dafür.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Erst wurde viel Geld hineingesteckt, immerhin 69 Milli-
onen DM; Kollege Breuer war mit den von ihm genann-
ten 35 Millionen DM geradezu bescheiden. Erwirtschaf-
tet wurden bisher maximal 17 Millionen DM. Stellen Sie
das einander gegenüber. Sie erkennen dann, wie erfolg-
reich dieser Privatisierungsbereich ist.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Um alte Genossen unterzubringen!)


Deshalb, Herr Bundesminister Scharping, haben Sie wohl
gar nichts dazu gesagt.

Die GEBB soll die zweite Säule dieser so genannten
Bundeswehrreform sein. Weshalb haben Sie nichts dazu
gesagt, ob denn Frau Fugmann-Heesing von sich aus ge-
gangen ist oder ob Sie ihr den Stuhl vor die Tür gesetzt ha-
ben?


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Weil sie doch so gut war!)


Beides wäre schlimm genug. Entweder durfte sie das, was
sie für erforderlich hielt, nicht tun und ist deshalb von sich




Manfred Opel

20147


(C)



(D)



(A)



(B)


aus gegangen, oder aber sie hat dieLeistung nicht erbracht,
weshalb Sie ihr den Stuhl vor die Tür gestellt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Lieber Herr Bundesminister Scharping, Sie müssen

sich sagen lassen: Ihre so genannte Bundeswehrreform ist
schon heute kläglich gescheitert. Sie flüchten sich in Zah-
len; Kollege Kröning unterstützt Sie dabei. Ich schätze ihn
persönlich sehr, aber er hat ein Durcheinander in die Zah-
len gebracht und geglaubt, er könne erfolgreich sein, in-
dem er dies und das und jenes vergleiche. Lieber Kollege
Kröning, so geht es nicht.

Was macht der Bundesminister? Er erklärt, 500 Rah-
menverträge seien bereits unterschrieben worden. Täglich
drängten sich noch mehr danach zu unterschreiben. Ich
finde niemanden mehr, der sich danach drängen würde,
denn dies ist ein wertloses Stück Papier. 22 Verträge ha-
ben Sie bereits erarbeitet. Verehrter Herr Bundesminister
Scharping, in der Papierform sind Sie also sehr stark, aber
wir wollen Fakten sehen.

Unsere Soldaten, die im Einsatz stehen, werden mor-
gen vielleicht in anderen Bereichen eingesetzt. Herr Bun-
desaußenminister, Herr Abgeordneter Fischer – Sie sitzen
in den Reihen der Abgeordneten –, Sie haben diese
Einsätze vehement verteidigt und auf Ihrem Parteitag für
sie gekämpft. Bis auf Herrn Fischer, den ich jetzt einmal
ausnehmen muss – er trägt Krawatte und Anzug –, haben
alle anderen Grünen nach dem letzten Parteitag wieder
ihre Jeansuniform angezogen,


(Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


damit sie wieder sagen können: Wir sind doch die Grünen,
auch wenn wir in der Zwischenzeit mehrere Kehrtwen-
dungen vorgenommen haben.

Herr Außenminister Fischer, Sie machen sich ja auch
über Ihren Ministerkollegen Scharping lustig.


(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein!)


Er tritt als Händler von altem Verteidigungsmaterial auf.
Dagegen habe ich überhaupt nichts einzuwenden; das
Verschrotten wäre noch teurer. Weshalb sollte man es
nicht befreundeten Armeen anbieten? Weil es kurz vor
Ihrem Parteitag war, untersagten Sie ihm mit ganz großem
Mediengetöse diese Aktion. Sie haben ihm das regelrecht
untersagt. Das ist eine saubere Bundesregierung, in der
der eine Minister dem anderen etwas untersagen darf. Und
der Bundeskanzler sagt überhaupt nichts dazu, sondern
nimmt das alles nur mit ruhiger Hand hin. Selbst die ei-
genen Fraktionskollegen, lieber Herr Bundesminister
Scharping, machen sich schon über Sie lustig. Sie sagen,
sie brauchen keinen Verteidigungsminister mehr. Jetzt
soll die Befehl- und Kommandogewalt über die Bundes-
wehr dem Bundeskanzler übertragen werden. Das heißt,
Sie dürfen vielleicht noch im Büro sitzen und sich darü-
ber freuen, dass Papier produziert wurde. Aber Sie wer-
den überhaupt nichts mehr zu sagen haben. Das ist ja im
Moment auch schon so.

Sie tragen Zahlen vor und sagen: Wir haben Erlöse von
200 Millionen DM erzielt. – Gestrichen! Sie haben das

schlicht und einfach gestrichen. Gehen Sie einmal raus zu
der Truppe! Die werden Ihnen sagen: Wir können die
Hubschrauber nicht mehr fliegen lassen. Wir haben keine
Betriebsstoffe mehr, weil Sie das gestrichen haben. Also,
gehen Sie wieder mal zur Truppe und lieber nicht zu den
Kabinettssitzungen; dort werden Sie sowieso nur noch
weiter demontiert, wenn das überhaupt noch geht.

Jetzt will ich Ihnen noch sagen, weshalb das mit den
Erlösen überhaupt nicht funktionieren kann. Sie haben er-
klärt – das haben Sie heute noch einmal betont –, Sie woll-
ten mit der so genannten Privatisierung bis zu 1 Milli-
arde DM Erlöse erzielen. Sie streichen die Bundeswehr
einfach zusammen. Sie schließen Kasernen. Sie lösen das
ABC-Bataillon in Sonthofen auf, wohl wissend, dass wir
ohne diese ausgebildeten Soldaten keine Möglichkeit ha-
ben, Prüfungen im Bereich der A-, B- und C-Waffen vor-
zunehmen. Sie schließen Riesenstandorte, zum Beispiel
in Memmingen,


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh je!)


und glauben dann auch noch, Geld dafür zu bekommen.
Die Region ist gestraft genug. Die wird wirtschaftlich,
materiell außerordentlich leiden. Da glauben Sie, dass die
Kommunen oder jemand sonst dort in der Lage sein soll,
Ihnen für dieses Gelände auch nur einen Pfennig zu ge-
ben? Vielmehr sollten Sie diesen Kommunen helfen; das
wäre notwendig.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Am liebsten nur deiner!)


Zum Schluss sage ich noch einmal: Unsere Soldaten
und auch die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter er-
bringen angesichts der Misere, angesichts dessen, was ih-
nen von dieser Bundeswehrführung zugemutet wird, eine
großartige Leistung. Nur, sie müssen auch weiterhin dazu
imstande sein. Sie müssen entsprechend ausgerüstet wer-
den, sie müssen entsprechend ausgebildet werden, damit
sie diese Leistung auch zukünftig erbringen können.

Deshalb haben wir unsere Anträge gestellt. Es wäre im
Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten, meine lieben
Kolleginnen und Kollegen insbesondere von der SPD-
Fraktion – auf die Position der Grünen gebe ich sowieso
nichts; was sie heute sagen, ist morgen schon wieder völ-
lig anders –, wenn Sie unseren Anträgen zustimmten.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420413300
Herr Kollege, kom-
men Sie bitte zum Schluss.


Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1420413400
Wenn Sie das tä-
ten, könnten wir dem Haushalt zustimmen. Wenn Sie das
nicht tun, müssen wir leider – ich betone ausdrücklich:
leider – den Haushalt des Bundesministers der Verteidi-
gung auch in diesem Jahr wieder ablehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Angelika Beer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das rührt mich ja zu Tränen!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420413500
Wir kommen zu den
Abstimmungen, und zwar zunächst zu den Abstimmun-
gen über die Änderungsanträge.




Kurt J. Rossmanith
20148


(C)



(D)



(A)



(B)


Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/7589. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Gegen
die Stimmen der CDU/CSU ist der Änderungsantrag ab-
gelehnt.

Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksa-
che 14/7624. Die Fraktion der FDP verlangt namentliche
Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle
Urnen besetzt? – Das ist der Fall.

Ich eröffne die Abstimmung. –
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine

Stimme nicht abgegeben hat? – Ich möchte nur für ein
bisschen Zügigkeit sorgen, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen. Außerdem weise ich Sie darauf hin, dass wir sogleich
eine zweite namentliche Abstimmung haben.

Ist jetzt noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das
seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.

Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen
zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 14/7622. Wer stimmt
für diesen Änderungsantrag? – Gegenprobe! – Ent-
haltungen? – Der Antrag ist abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 14/7623? – Wer stimmt dage-
gen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ände-
rungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/7596. Die Fraktion der PDS verlangt namentliche Ab-
stimmung. Sind die Schriftführerinnen und Schriftführer
bereit? Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall.

Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ich darf darauf hinweisen, dass wir gleich weitere Ab-

stimmungen – auch über den gesamten Einzelplan –
durchführen werden.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit derAuszählung zu beginnen. Das Er-
gebnis derAbstimmungwird Ihnen später bekannt gegeben.

Wir setzen die Abstimmungen fort.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion

der PDS auf Drucksache 14/7600. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt.

Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/7603. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist abge-
lehnt.

Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/7605. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist abge-
lehnt.

Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/7606. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Auch dieser Änderungsantrag ist
abgelehnt.

Ich weise darauf hin, dass wir noch weitere Abstim-
mungen durchführen werden. Bis zum Vorliegen der Er-
gebnisse der namentlichen Abstimmungen unterbreche
ich die Sitzung.


(Unterbrechung von 19.36 bis 19.42 Uhr)


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420413600
Die Sitzung ist wieder

eröffnet. Wir danken den Schriftführerinnen und Schrift-
führern, dass sie so schnell die Ergebnisse der namentli-
chen Abstimmungen ermittelt haben.


(Beifall im ganzen Hause)

– Das ist sicherlich einen Applaus wert.

Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-
führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung über den Änderungsantrag der FDP auf Drucksache
14/7624 bekannt: Abgegeben Stimmen 572. Mit Ja haben
gestimmt 263, mit Nein haben gestimmt 309.




Vizepräsidentin Anke Fuchs

20149


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 571;
davon

ja: 261
nein: 310

Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann

Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig

Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)

Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger

Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)


Klaus Francke
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz




Vizepräsidentin Anke Fuchs
20150


(C)



(D)



(A)



(B)


Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Gottfried Haschke

(Großhennersdorf )


Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)


Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Julius Louven
Dr. Michael Luther

Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Claudia Nolte
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Hans Raidel
Helmut Rauber
Christa Reichard (Dresden)

Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mülheim)

Michael von Schmude
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr
von Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Diethard Schütze (Berlin)

Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte

Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
FDP
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Jürgen Türk
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Eva Bulling-Schröter

Roland Claus
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Dr. Ilja Seifert

Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Ingrid Becker-Inglau
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Gernot Erler




Vizepräsidentin Anke Fuchs

20151


(C)



(D)



(A)



(B)


Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose

Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach

Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-
Hanewinckel

Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt

(Weilburg)


Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim

Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack

Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Ich gebe weiterhin das von den Schriftführerinnen und

Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab-

stimmung über den Änderungsantrag der PDS auf Druck-
sache 14/7596 bekannt: Abgegebene Stimmen 572. Mit Ja
haben gestimmt 57, mit Nein haben gestimmt 514, eine
Enthaltung.




Vizepräsidentin Anke Fuchs
20152


(C)



(D)



(A)



(B)


Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)


Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel

Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Sterzing

Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 570;
davon

ja: 56
nein: 513
enthalten: 1

Ja
FDP
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Jürgen Türk
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke

Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Dr. Ilja Seifert

Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Ingrid Becker-Inglau
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury

Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum

Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)





Vizepräsidentin Anke Fuchs

20153


(C)



(D)



(A)



(B)


Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-
Hanewinckel

Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)


Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt

(Weilburg)


Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)


Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)

Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk

Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E. Fischer

(Karlsruhe-Land)


Klaus Francke
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Gottfried Haschke

(Großhennersdorf )


Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Werner Lensing
Peter Letzgus

Der Antrag ist hiermit abgelehnt.
Wir kommen nun zum Einzelplan 14 in der Auschuss-

fassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Einzelplan 14 ist angenommen.

Nun rufe ich Punkt I.19 auf:
Einzelplan 23
Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung
– Drucksachen 14/7317, 14/7321 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Antje Hermenau
Dr. Emil Schnell
Michael von Schmude
Jürgen Koppelin
Dr. Barbara Höll

Zum Einzelplan 23 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion der PDS sowie je ein Entschließungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP vor.
Über die Erschließungsanträge werden wir am Freitag ab-
stimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Michael von Schmude für die CDU/CSU-Frak-
tion.

Michael von Schmude (CDU):
Rede ID: ID1420413700
Frau Präsi-

dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundes-
haushalt 2002 weist bekanntlich eine Steigerungsrate
von 1,5 Prozent auf. Nahezu alle Einzelpläne werden
deutlich angehoben, bis auf den Haushalt des Bundes-
ministers für Wirtschaft und Technologie, der – aber
das kennen wir ja – einem ständigen Auszehrungspro-
zess unterlegen ist, und den Einzelplan 23 des Bun-
desministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, der erneut zurückgefahren wird,
diesmal um 2,5 Prozent, also um 98,272 Millionen
Euro. Bemerkenswert ist, dass der Kabinettsentwurf
vom Frühsommer dieses Jahres sogar noch eine Kür-
zung um 205 Millionen Euro vorsah. Der Bundesfi-
nanzminister schrieb dazu in seinem Schnellbrief vom
8. Juni 2001, ganz am Ende, sozusagen unter „ferner
liefen“:

Die Bundesregierung setzt damit die bisherige
Planungslinie konsequent fort, stellt eine stabile Ba-
sis für die Gestaltung der Entwicklungspolitik der
nächsten Jahre sicher.




Vizepräsidentin Anke Fuchs
20154


(C)



(D)



(A)



(B)


Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)


Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Claudia Nolte
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Hans Raidel
Helmut Rauber
Christa Reichard (Dresden)

Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik

Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mülheim)

Michael von Schmude
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Diethard Schütze (Berlin)

Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Werner Siemann

Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Volker Beck (Köln)

Angelika Beer

Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Ludger Volmer
Helmut Wilhelm (Amberg)


Angesichts dieser Streichpolitik seit 1999 spricht blanker
Zynismus aus diesen Worten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Carsten Hübner [PDS])


Gemäß dem Motto „kräftig reinschneiden, dann wieder
etwas weiße Salbe plus ein Trostpflaster“ – im Haushalt
2002 in Form von 102Millionen Euro aus dem DEG-Ver-
kauf – hat der Bundesfinanzminister wieder einmal ver-
sucht, die Entwicklungshilfe als Steinbruch zu missbrau-
chen. Ohne den 11. September hätte sich an dieser
Sachlage überhaupt nichts mehr geändert. Sie, Frau Mi-
nisterin, profitieren ebenso wie Ihr Kollege Scharping von
den zwischenzeitlich eingetretenen weltweiten Verände-
rungen. Aus dem Antiterrorprogramm in Höhe von ins-
gesamt 1,472 Milliarden Euro erhalten Sie für Ihr Haus
102 Millionen Euro Barmittel, aber nur Verpflichtungser-
mächtigungen über 40 Millionen Euro. Man glaubt an ei-
nen Schreibfehler. Die Planungssicherheit, die sich hie-
raus ergibt, kann nur als völlig unzureichend bezeichnet
werden. Zudem weigert sich der Bundesfinanzminister,
dieses Geld im Einzelplan auszuweisen, obwohl eine ge-
naue Aufteilung des Betrages auf alle Einzelpositionen
Ihres Etats vorgenommen wurde. Darin kommt nicht nur
das Misstrauen, sondern auch die Geringschätzung der
Entwicklungshilfepolitik durch jene im Bundesfinanzmi-
nisterium zum Ausdruck, die die Entwicklungshilfe für
überflüssig, ja für herausgeschmissenes Geld halten.

Rechnet man also die aus der Terrorismusbekämpfung
zur Verfügung gestellten Mittel mit dem Ansatz des Ein-
zelplanes 23 zusammen, so ergibt sich gerade einmal eine
schwarze Null gegenüber dem laufenden Jahr und ein Mi-
nus von rund 300Millionen Euro gegenüber dem Etat von
1998, dem letzten Etat der CDU/CSU-geführten Bundes-
regierung.

Der Bundeskanzler testet jetzt mit ruhiger Hand die
Belastbarkeit der Rezession, indem der Steuerzahler Steu-
ererhöhungen – ich nenne Versicherung- und Tabaksteuer
sowie Mehrwertsteuer – in Höhe von voraussichtlich
7 Milliarden DM – unbefristet, versteht sich – aufgebür-
det werden. Diese Überfinanzierung des Antiterrorpro-
gramms dient in Wahrheit dem Stopfen von Haushalts-
löchern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Diesen Trick kennen wir bereits durch die Einführung der
Ökosteuer. Das Manöver wird gänzlich durchsichtig,
wenn man sieht, dass das Antiterrorprogramm angeblich
langfristig angelegt sein soll, aber ausreichende
Verpflichtungsermächtigungen verweigert werden.

Angesichts der weltweiten Herausforderungen durch
den Terrorismus ist ein solches Handeln unverantwort-
lich. Es wird zu einem desaströsen Ergebnis führen, das in
völligem Widerspruch zu den vollmundigen Solidaritäts-
bekundungen der rot-grünen Bundesregierung steht.
Noch im September 2000 hatte Bundeskanzler Schröder
auf dem Millenniumsgipfel der UN die Halbierung der
weltweiten Armut bis 2015 angekündigt. Dieses Verspre-

chen hat die gleiche Qualität wie das bereits gebrochene
Wort zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Unter Bundeskanzler Helmut Kohl war es üblich, dass
die Bundesregierung auf den Anteil des BMZ-Haushalts
hinwies, der eine direkte Wirkung auf den deutschen Ar-
beitsmarkt hatte. Darauf legt die rot-grüne Bundesregie-
rung offensichtlich keinen Wert mehr. Man würde das
Thema Arbeitslosigkeit heute wahrscheinlich am liebsten
totschweigen.

Die Haushaltsberatungen haben gezeigt, dass bedauer-
licherweise nicht nur die Regierung, sondern auch die Re-
gierungsfraktionen Haushaltswahrheit und Haushalts-
klarheit als überholte Grundsätze betrachten.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Na, na, na!)


Die Krisenmittelveranschlagung außerhalb des BMZ-
Haushalts nimmt dem Parlament die Möglichkeit einer di-
rekten Zuordnung dieser Gelder und ein Stück parlamen-
tarische Kontrolle. Aber man kann jetzt natürlich die
Zuwendungsempfänger mit dem Hinweis auf die im Ein-
zelplan 60 geparkten Mittel vertrösten und ruhig stellen.

Unsere Anträge im Haushaltsausschuss auf konkrete
Aufteilung wurden abgelehnt, weil dann, wenn unsere
Forderungen umgesetzt worden wären, offenbar gewor-
den wäre, dass die Erwartungen vieler Zuwendungsemp-
fänger eben nicht erfüllt werden.

Ähnlich verhält es sich mit dem neuen Titel „Armuts-
bekämpfung“ im Einzelplan 23. Da wird in einer Fußnote
darauf hingewiesen, was alles daraus bezahlt werden soll:
UN-Beiträge, die Sozialstruktur, die Stiftung, die Kir-
chen, die sonstigen Nichtregierungsorganisationen, die
Ernährungssicherheit, die finanzielle Zusammenarbeit
und die technische Zusammenarbeit. Alle genannten Zu-
wendungsempfänger haben jedoch eigene Haushaltstitel.
Man will also offensichtlich mit diesem Sammeltitel be-
rechtigte Mehrforderungen kurz halten und abblocken.
Diese Mogelpackungen können nicht darüber hinwegtäu-
schen, dass es für den BMZ-Haushalt eben nicht mehr
Geld gibt.

Unsere Erhöhungsforderungen im Haushaltsausschuss
wurden von der Regierungsmehrheit fast ausnahmslos ab-
gelehnt, obwohl Deckungsmöglichkeiten, zum Beispiel
durch Forderungsverkäufe und Umschichtungen, mög-
lich gewesen wären. Es ist geradezu beschämend, ja es
zeugt von sozialer Kälte, dass nicht einmal der Kirchenti-
tel bescheiden aufgestockt werden konnte, obwohl man
bei den parteinahen Stiftungen die Verpflichtungsermäch-
tigungen erheblich angehoben hat.

Die Bundesregierung spricht von einer gestiegenen
ODA-Quote. Ich kann mich noch gut an Folgendes erin-
nern: Der Regierung Kohl hat 1998 die damalige Opposi-
tion eine ODA-Quote von 0,22 Prozent zugestanden.
Inzwischen ist das Bruttosozialprodukt um rund 100 Mil-
liarden Euro gestiegen, der Einzelplan des BMZ jedoch
um 300Millionen Euro zurückgefallen. Nach Adam Riese
kann da die ODA-Quote nur fallen und nicht steigen.




Michael von Schmude

20155


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn Sie die ODA-Quote erhöhen wollen, dann müssen
Sie für die Entwicklungshilfe mehr Geld zur Verfügung
stellen oder aber das Bruttosozialprodukt muss rezes-
sionsbedingt schrumpfen. Vielleicht setzen Sie ja auf eine
solche Entwicklung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zusammenfassend muss leider festgestellt werden:
Erstens. Der Einzelplan 23 nimmt unter der rot-grünen

Bundesregierung wieder nicht an der allgemeinen Haus-
haltsentwicklung teil und wird den neuen internationalen
Herausforderungen in keiner Weise gerecht.

Zweitens. Die Verpflichtungsermächtigungen sind völ-
lig unzureichend für die Gestaltung einer vernünftigen,
nachhaltigen Entwicklungspolitik.

Drittens. Die mittelfristige Finanzplanung signalisiert
für die Entwicklungshilfe einen langfristigen Abwärts-
trend.

Viertens. Die Nichtregierungsorganisationen werden
hingehalten, vertröstet, ja sogar getäuscht.

Fünftens. Die Länder der Dritten Welt werden in dem
Glauben gelassen, dass die ODA-Quote von 0,7 Prozent
ernst gemeint und in absehbarer Zeit realisierbar sei.

Die Bundesregierung beschränkt sich wieder einmal
auf Ankündigungen, haltlose Versprechungen und halb-
herzige Schritte, statt finanzielle Zeichen zu setzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es geht wieder ein Stück internationale Glaubwürdigkeit
und Berechenbarkeit der deutschen Entwicklungspolitik
verloren. Die Entwicklungshilfe bleibt damit auch weiter-
hin ein Stiefkind der rot-grünen Bundesregierung.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!)


Wir lehnen deshalb diesen Einzelplan ganz entschieden
ab.

Zum Schluss möchte ich mich dennoch bei den Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern Ihres Hauses, Frau Ministe-
rin, dafür bedanken, dass sie versucht haben, aus diesen
unschönen Vorgaben des Herrn Bundesfinanzministers
wenigstens etwas zu machen. Auch möchte ich mich bei
den Mitberichterstattern, insbesondere bei meinem Kolle-
gen Dr. Schnell, für die langjährige und gute Zusammen-
arbeit bedanken.

Ich gehöre auch zu den Kolleginnen und Kollegen, die
nicht mehr weitermachen werden. Aber ich verabschiede
mich heute nicht für immer; denn wir werden im nächsten
Jahr mit Sicherheit noch einen Nachtragshaushalt
diskutieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420413800
Nun erteile ich dem
Kollegen Dr. Emil Schnell das Wort für die SPD-Fraktion.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Sie können ja sagen, dass Ihnen das alles Leid tut!)



Dr. Emil Schnell (SPD):
Rede ID: ID1420413900
Verehrte Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es tut mir nicht
Leid, Herr Kollege Austermann. Ich komme im Folgen-
den darauf zu sprechen, warum es mir nicht Leid tut.

Wir haben nun drei Monate lang ausgabewütige Oppo-
sitionelle erlebt. Der Schuldenberg, den Sie uns hinterlas-
sen haben, sollte noch weiter aufgetürmt werden,


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

nach der Devise: Was gehen mich meine Schulden von
gestern an. Die Maastricht-Kriterien werfen Sie schlicht
über den Haufen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist ja schlimmer als bei Wum und Wendelin!)


Sie wollen nach der Devise „und Tschüss!“ weiter auf
Kosten zukünftiger Generationen leben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Carsten Hübner [PDS]: Und was ist mit der jetzigen Generation?)


Die PDS hat mehrfach Scheingegenfinanzierungsvor-
schläge gebracht und will die Bundeswehr verhökern.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Das stimmt doch überhaupt nicht! Können sie nicht richtig lesen?)


Mir kommt es so vor, als lebten Sie in einer anderen Welt.
Ich werde noch ansprechen, dass Sie den Eurofighter und
andere Dinge verscheuern wollen. So wird aus der not-
wendigen Konsolidierung und Nachhaltigkeit unserer Po-
litik nichts.

Wir haben in den letzten Jahren immer wieder betont,
dass die Bedeutung der Entwicklungspolitik nicht un-
terschätzt werden darf. Besonders nach den Terroran-
schlägen vom 11. September ist das, so glaube ich, jedem
klar geworden. Im präventiven Bereich ist sie das wich-
tigste Instrument, eine Friedensinvestition neben den
Möglichkeiten für einen fairen Handel.

Entwicklungspolitische Anstrengungen, die dazu
führen, dass Armutsbekämpfung, Zugang zu Arbeit,
Bildung, Wasser, Ernährung und Gesundheitswesen,
Konfliktprävention, humanitäre Hilfe, gute Regierungs-
führung und Demokratisierung verbessert werden, sind
wichtiger denn je. Das sind auf jeden Fall Möglichkeiten,
dem Fundamentalismus weltweit den Nährboden zu ent-
ziehen. Die Parteitage von SPD und Grünen haben des-
halb sehr deutlich herausgearbeitet: Die entwicklungspo-
litischen Anstrengungen müssen verstärkt und besser
koordiniert werden, auch, wie ich hinzufüge, was die
internationale, insbesondere die europäische Zusammen-
arbeit angeht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Also Nachtragshaushalt!)


Die Regierung hatte den Einzelplan 23 um circa
200 Millionen Euro im Vergleich zu 2001 gekürzt. Die
Ministerin hat erfolgreich gekämpft, sodass wir als Ko-
alitionsfraktionen unmittelbar nach der Einbringung
durch das Kabinett die Zusage gegeben haben, eine ent-




Michael von Schmude
20156


(C)



(D)



(A)



(B)


sprechende Aufstockung von 102 Millionen Euro auf den
Weg zu bringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


– Ja, das ist erfreulich. – Schließlich wurden daraus
104 Millionen Euro. Der Plafond stieg damit auf 3,7 Mil-
liarden Euro. Die Verpflichtungsermächtigungen stiegen
um 85 Millionen Euro auf 4,23 Milliarden Euro. Insge-
samt also kann man sagen: Der Haushalt für wirtschaftli-
che Zusammenarbeit und Entwicklung wurde im Laufe
der Haushaltsberatungen für 2002 deutlich aufgewertet.

Aus dem Antiterrorpaket stehen dem Einzelplan 23
noch einmal 102Millionen Euro zur Verfügung, und zwar
für ein Maßnahmenpaket, das aus drei Teilen besteht: der
kurzfristigen Krisenbewältigung durch bilaterale Koope-
rationsmaßnahmen, der Krisenprävention und Friedenssi-
cherung durch strukturbildende und -erhaltende bilaterale
Maßnahmen und der Krisenprävention und Friedenssi-
cherung durch Ausbau der Kooperationsfähigkeit von
UN-Entwicklungshilfeorganisationen und internationa-
len Nichtregierungsorganisationen. Dafür werden immer-
hin 15 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Was an-
gesichts dieses zusätzlichen Pakets wichtig und
unabdingbar ist, ist, dass das Ministerium insgesamt
18 neue Stellen bekommen wird, um diese Aufgaben be-
wältigen zu können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin sehr froh, dass die UN-Flüchtlingshilfe,
UNHCR, mit einem neuen Aktionsplan für Afghanistan
ebenfalls unsere Bemühungen eines Wiederaufbaus un-
terstützt. Bei der Betreuung von Flüchtlingen und deren
Rückkehr werden afghanische Frauen erstmals wieder
Arbeit finden können. Ich möchte dazu sagen, dass ich
glücklich darüber bin, dass dort wieder – ich will es ein-
mal so sagen – gesungen werden kann, dass die Menschen
wieder ins Kino gehen und dass Mädchen wieder in die
Schule gehen können.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Ebenfalls werden aus dem Antiterrorpaket circa
80Millionen Euro für einen Stabilitätspakt Afghanistan
und 40 Millionen Euro Verpflichtungsermächtigungen
bereitgestellt. Auch die politischen Stiftungen erhalten
aus dem Antiterrorpaket zusätzlich 2,5Millionen Euro für
ihre Aktivitäten in Afghanistan.

Damit stehen dem Entwicklungsministerium im nächs-
ten Jahr circa 3,88 Milliarden Euro zur Verfügung, also
deutlich mehr als im Jahr 2001 – das sage ich an meinen
Kollegen Michael von Schmude gerichtet –, auch wenn
der Einzelplan selber als Plafond nicht diese Erhöhung er-
fahren hat. Ich glaube, es ist wichtiger – wenn man das
Formale einmal beiseite lässt –, zu sehen, in welcher Höhe
Mittel für die Entwicklungspolitik tatsächlich zur Verfü-
gung stehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben auch damit, dass die Mittel deutlich über de-
nen von 2001 liegen, gezeigt, dass uns die Entwicklungs-
politik sehr wichtig ist. Ich denke, das kann sich sehen las-
sen und wird auch der neuen Lage im Zusammenhang mit
dem internationalen Terrorismus gerecht. Für den Wie-
deraufbau, für humanitäre Hilfe, Not- und Flüchtlings-
hilfe sowie Projekte der Entwicklungszusammenarbeit in
Afghanistan ist somit Vorsorge getroffen.

Nun zu einem Punkt, der ebenfalls viel diskutiert
wurde, dem Stabilitätspakt Südosteuropa. Hierzu
möchte ich anmerken, dass die Umsetzung der deutschen
Zusage zum globalen Aids- und Gesundheitsfonds wahr-
scheinlich Gegenstand der Haushaltsaufstellung 2003 und
der Fortschreibung des Finanzplans bis 2006 sein wird.
Das heißt, wir werden die Versprechen, die von den Ko-
alitionsfraktionen gegeben wurden, im Parlament einlö-
sen, aber zur rechten Zeit; die Mittel werden im nächsten
Jahr in den Haushalt für 2003 eingestellt werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wer’s glaubt, wird selig!)


– Wir glauben das nicht nur; das wird passieren, Herr Kol-
lege.

Es gab mehrfach Streit um die Zuordnung der Antiter-
rormittel. Der Kollege von Schmude hat das angedeutet.
Sie ressortieren jetzt im Einzelplan 60. Aus Sicht von se-
riösen, verantwortungsbewussten Haushältern ist das so
in Ordnung. Selbst die FDPwar damit einverstanden. Nur
die CDU/CSU hat nicht begriffen, was Haushaltskon-
trolle tatsächlich bedeutet.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wir kontrollieren doch nicht Ihre Ministerin! Das ist doch ein Misstrauen gegenüber Ihrer Ministerin!)


Wenn klar ist, welche Projekte mittel- und langfristig gut
laufen, welche Mittel in welchen Bereichen wirklich not-
wendig sind, wird im nächsten Jahr für 2003 das Geld in
die entsprechenden Einzelpläne eingestellt. Ich glaube,
das ist eine vernünftige Verfahrensweise, mit der sich die
große Mehrheit des Ausschusses einverstanden erklären
konnte.

Wir haben darüber hinaus – auch das ist vielleicht ein
Argument gegen das, was der Kollege von Schmude hier
angeführt hat – eine Haushaltssperre von jeweils 5 Milli-
onen Euro in den Bereichen Auswärtiges Amt und
Entwicklungspolitik eingeführt. Auch darüber werden die
Kontrolle und die Mitwirkung des Haushaltsausschusses
und damit natürlich des ganzen Parlamentes sichergestellt
werden können. Ich denke, das ist ein hinreichendes In-
strument für diese Kontrolle.

An dem Antiterrorpaket werden ebenfalls die Kir-
chen, die politischen Stiftungen, die NGOs und unsere
Durchführungsorganisationen, also die bewährten Instru-
mente der Entwicklungspolitik, mit einer erheblichen
Zahl von Projekten beteiligt sein. Es gibt eine Zusage der
politischen Leitung des BMZ, dass dort auf Aus-
gewogenheit geachtet werden wird. Ich denke, das ist
auch für die angesprochenen Institutionen eine vernünf-
tige Lösung; denn so ist gesichert, dass sie auch im




Dr. Emil Schnell

20157


(C)



(D)



(A)



(B)


nächsten Jahr mit den finanziellen Zuwendungen zu-
rechtkommen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch die politische Leitung des Auswärtigen Amtes
hat eine Zusage im Haushaltsausschuss gegeben. Es ging
um eine nicht unwichtige Frage, und zwar die Frage der
Reduzierung der Planstellen der Entwicklungsreferen-
ten in den Botschaften. Die politische Leitung des Aus-
wärtigen Amtes hat uns ganz klar gesagt – das steht auch
im Protokoll –, dass die Referentenstellen nur mit 1,5 Pro-
zent an den Stelleneinsparungen im Hause beteiligt sind.
Es wird also nicht das passieren, was vom Auswärtigen
Amt angedroht worden war, nämlich dass man die Refe-
rentenstellen überproportional an den Stellenstreichungen
beteiligt. Das ist vom Tisch. Ich denke, wir haben da eine
gute Lösung erreicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ina Albowitz [FDP]: Was ist denn das für ein Politikverständnis?)


Lassen Sie mich ganz kurz etwas zu einigen einzelnen
Titeln sagen, die wir aufgestockt haben und die von
größerer Bedeutung sind. Ich möchte betonen, dass das in
großer Übereinstimmung mit den Vorschlägen des Aus-
schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung und natürlich auch mit unserer Facharbeits-
gruppe geschehen ist.

Ich möchte folgende Titel anführen: Es geht zum einen
um die „Förderung der entwicklungspolitischen Bil-
dung“ und hier speziell um das ASA-Programm, das wir
mit gerade einmal 50 000 Euro aufstocken. Da fehlt leider
das Geld, das die Bundesländer nicht mehr geben wollen.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal beklagen, dass
sich die Bundesländer zunehmend aus der Entwicklungs-
politik zurückziehen. Einige Länder tun dies voll-
kommen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Welche?)

andere teilweise. Dies ist keine gute Entwicklung. Wir
haben hiermit einen Weg gefunden, für diese Länder ein-
zuspringen. In den nächsten Jahren muss man sehen, wie
die Bundesländer damit klarkommen, diese Dinge zu fi-
nanzieren. Es handelt sich um ein Arbeits- und Studien-
aufenthaltsprogramm für Afrika, Asien und Lateiname-
rika.

Den Titel „Beiträge an die Vereinten Nationen“ ha-
ben wir mit 10 Millionen Euro und die Verpflichtungser-
mächtigungen dazu mit 3,6 Millionen Euro aufgestockt.
Den Titel „Politische Stiftungen“ – diese Entscheidung
wurde im Haushaltsausschuss parteiübergreifend, also
einvernehmlich, getroffen – haben wir mit einer Ver-
pflichtungsermächtigung von 15 Millionen Euro aufge-
stockt. Ich glaube, dass mittelfristig eine ausreichende Fi-
nanzierung der Stiftungen aus den verschiedenen
Bereichen, das heißt aus dem Aktionsprogramm 2015, aus
dem Antiterrorpaket und aus den anderen beschlossenen
Maßnahmen, gesichert ist.

Daneben gibt es einen wichtigen neuen Titel, und zwar
das „Aktionsprogramm 2015“. Sie wissen, dass sich die

Bundesregierung verpflichtet hat, aktiv an der Halbierung
der Armut bis 2015 mitzuwirken. Dort wurden jetzt
40 Millionen Euro bar eingestellt und immerhin 50 Milli-
onen Euro Verpflichtungsermächtigung. Das ist nicht so
viel, wie der Fachausschuss gerne gehabt hätte. Ich glaube
aber, dass man damit arbeiten und beginnen kann, dort für
die nächsten Jahre vertraglich einzusteigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein besonderes Signal haben wir für unsere Nicht-
regierungsorganisationen gesetzt, denen ich auch hier
noch einmal herzlich für ihre engagierte und gute Arbeit
– man muss sagen: weltweit – danke. Wir haben hier noch
einmal 0,8 Millionen Euro zusätzlich draufgelegt, sodass
es inzwischen 19,7 Millionen Euro sind. Das ist mehr, als
im Einzelplan stand. Ich glaube, dass somit die Arbeit der
NGOs gewährleistet ist. In der bilateralen finanziellen
und der technischen Zusammenarbeit haben wir deutlich
zugelegt. Ich möchte jetzt nicht näher darauf eingehen.

Abschließend möchte ich noch die Erwartung bestär-
ken, dass wir nicht jedes Jahr aufs Neue die Kürzungen
des Entwicklungsetats im Laufe der Haushaltsberatungen
in die Richtung korrigieren müssen, die das Parlament
eindeutig formuliert und artikuliert hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Sagen Sie das dem Finanzminister! – Zuruf von der CDU/CSU: Wiederhole das noch einmal!)


Für die gute Zusammenarbeit im Sinne der Entwick-
lungspolitik gilt mein Dank den Häusern – dem BMZ,
dem BMF und dem Bundesrechnungshof –, meinen Kol-
leginnen und Kollegen aus der Facharbeitsgruppe und
natürlich besonders meinen Kollegen aus der Haushalts-
arbeitsgruppe. Ich bitte um Zustimmung aller Fraktionen
zu diesem deutlich aufgewerteten Einzelplan 23.

Wir lehnen die vorliegenden Entschließungsanträge
und Anträge ab. Sie haben dort im Wesentlichen Er-
höhungen ohne Deckung in folgender Größenordnung ge-
fordert.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420414000
Herr Kollege, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.


Dr. Emil Schnell (SPD):
Rede ID: ID1420414100
Sofort, ich bin bei meinem
letzten Satz. – Der Änderungsantrag der PDS enthält
125 Millionen Euro – in diesem Antrag wird der Euro-
fighter noch einmal verheizt. Im Entschließungsantrag
der FDP sind 800 Millionen Euro enthalten, obwohl sie
das Ministerium eigentlich abschaffen wollte, und auch
die CDU/CSU will erheblich aufstocken – dies alles ist
nicht gegenfinanziert.


(Zuruf von der CDU/CSU: Doch!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich danke Ih-

nen für Ihre Geduld.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Dr. Emil Schnell
20158


(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420414200
Nun hat der Kollege
Joachim Günther für die FDP-Fraktion das Wort.


Joachim Günther (FDP):
Rede ID: ID1420414300
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Heute sprechen
wir hier eigentlich über den Einzelplan 23. Herr Kollege
Schnell, was Sie alles in diesen Einzelplan integriert ha-
ben, ist aus meiner Sicht schon erstaunlich. Denn dieser
Haushaltsplan 23 hat zwei Gesichter. Das eine Gesicht
sind die Sonntagsreden der Ministerin und der Staatsse-
kretärin, die sicher gut gemeint sind, wie auch die Be-
schlüsse auf den Parteitagen. Die Realität aber ist das, was
schwarzweiß im Einzelplan 23 geschrieben steht. Dies
sieht eben ganz anders aus.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Herr Kollege Schnell, vielleicht gestatten Sie mir, dass
ich kurz aus Ihrem SPD-Parteitagsbeschluss zitiere:


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ja, aber nur ganz kurz, bitte!)


Das Ziel, 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für
die Entwicklungsarbeit zur Verfügung zu stellen,
muss auch im Rahmen des Zukunftsprogramms der
Bundesregierung deutlich werden.

Weiter unten heißt es, Deutschland werde dies stufen-
weise verbindlich umsetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Warten wir einmal ab, wie sich dies entwickeln wird.


(Zuruf von der FDP: Wann? – Carsten Hübner [PDS]: Das steht auch schon im Koalitionsvertrag!)


Aber noch toller sind in diesem Zusammenhang die
Grünen. Haben Sie Ihren Parteitagsbeschluss noch im
Kopf?

Im Bundeshaushalt 2002 müssen für Maßnahmen
der Entwicklungshilfe und der Konfliktprävention
Mittel in ähnlicher Höhe eingestellt werden, wie für
den Sicherheitspakt II und Bundeswehreinsätze im
Ausland zusammen bereitgestellt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben sogar die entsprechende Zahl genannt. Es müs-
sen für das Jahr 2002 Mittel in Höhe von über 500 Milli-
onen DM zusätzlich bereitgestellt werden.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Richtig! – Carsten Hübner [PDS]: Na, super!)


Warum tun Sie es nicht? Das ist doch in diesem Zusam-
menhang die eigentliche Frage.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und der PDS – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Placebo für die Basis!)


War es im Endeffekt nicht Joseph Fischer, der auf
Ihrem Parteitag die zentrale Rolle beim politischen und
wirtschaftlichen Aufbau Afghanistans in den Vordergrund

gestellt hat, um damit letztendlich Ihre Truppen bei der
Fahne zu halten? Wir haben uns zwar inzwischen daran
gewöhnt, dass von rot-grüner Rhetorik in der Praxis we-
nig übrig bleibt. Aber gerade in der wirtschaftlichen Zu-
sammenarbeit klaffen Anspruch und Wirklichkeit sehr
weit auseinander.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Frau Ministerin, es könnte auch der Verdacht aufkom-
men, hinter der von Ihnen in letzter Zeit immer wieder er-
hobenen Forderung nach der Tobinsteuer verberge sich
die Hoffnung, dass diese weltweite Steuer im Endeffekt
mit dazu eingesetzt werden kann, die Löcher im Haushalt
des BMZ zu stopfen. Anstatt für solche neuen Steuern zu
streiten, sollten Sie sich lieber mit aller Kraft auf die Be-
seitigung der Schranken im Handel zulasten der Entwick-
lungsländer einsetzen. Deutschland und die Europäische
Union dürfen nach außen nicht den Eindruck einer
Festung machen.

Wie wichtig ein entschiedenes Eintreten für die Ent-
wicklungschancen in der Welt ist, gerade auch im Hin-
blick auf die vorzeitige Vermeidung von sozialen Brenn-
punkten und Spannungen, zeigt sich besonders in diesen
Tagen deutlich. Die beste Entwicklungshilfe sind die Öff-
nung der europäischen Märkte für die Produkte der Ent-
wicklungsländer und die Mobilisierung auch privaten
Kapitals für diese Länder.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir deckungsgleich! Das sehen wir auch so!)


Die Bundesregierung muss sich daher jetzt dafür ein-
setzen, dass die eingeläutete Welthandelsrunde den ihr er-
teilten Arbeitsauftrag auch wirklich erfüllt. Der Fall der
Handelsschranken wird Wohlstandsgewinne für alle,
insbesondere aber für die Entwicklungsländer, bringen:


(Zuruf von der SPD: Daran arbeiten wir!)

Es ist an der Zeit, dass auch die Entwicklungsländer ihren
Anteil an der „Globalisierungsdividende“ haben. Deshalb
dürfen solche Ansprüche im Endeffekt nicht Lippenbe-
kenntnisse bleiben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der weltweite Kampf gegen den Terror hat den hohen
politischen Stellenwert der wirtschaftlichen Zusam-
menarbeit besonders deutlich gemacht. Das haben wir
alle erkannt. Wir müssen einen Beitrag leisten, um den
terroristischen Umtrieben von vornherein den Boden zu
entziehen. Das bedeutet, dass man sich strategisch neu
ausrichtet, internationale Absprachen trifft und einen
maßgeblichen Beitrag zur Beseitigung von sozialen, wirt-
schaftlichen und politischen Missständen leistet. Es
braucht, wenn man dies zusammenfasst, den Einsatz von
mehr Mitteln.

Hier spielt die Effektivität des Mitteleinsatzes eine
Rolle. Nach wie vor – das haben Sie ja gerade dokumen-
tiert – werden bei uns von verschiedenen Ministerien






(C)



(D)



(A)



(B)


Mittel für die wirtschaftliche Zusammenarbeit und die
Entwicklungshilfe gegeben. Nach wie vor stehen wir als
FDP auf dem Standpunkt, dass ein Ministerium dafür aus-
reichen würde. Wenn Sie die Presse verfolgt haben, haben
Sie festgestellt, dass man dies in Dänemark in dieser Wo-
che geändert hat.

Trotz kosmetischer Erhöhungen um 100 Millionen
Euro, die ja im nächsten Haushaltsjahr schon wieder
zurückgenommen werden sollen, und trotz Sonderzuwen-
dungen aus den für den Kampf gegen den internationalen
Terrorismus zusätzlich bereitgestellten Mitteln sind Sie
von dem Ziel von 0,7 Prozent weiter entfernt als jede Bun-
desregierung zuvor.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ist schlimm! – Gegenruf des Abg. Carsten Hübner [PDS]: Aber wahr!)


Die FDP-Bundestagsfraktion wird deshalb einen Ent-
schließungsantrag einbringen, mit dem wir diesen Ab-
wärtstrend stoppen und Deutschland mittelfristig wieder
glaubwürdiger erscheinen lassen wollen.

Mit einem Anteil von 0,29 Prozent am Bruttosozial-
produkt ist Deutschland inzwischen sogar Schlusslicht
unter den maßgeblichen europäischen Ländern geworden.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wie überall!)


Wir stehen hinter Schweden, den Niederlanden, der
Schweiz, Frankreich und Großbritannien. Das ist die Rea-
lität.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Noch eine rote Laterne!)


Wir stimmen Ihrer Auffassung, Frau Ministerin, zu:
Wir können nicht weiter zurück. Die Kürzungen beschä-
digen die Bundesregierung. Ich sage noch etwas anderes:
Die Kürzungen beschädigen nicht nur die Bundesregie-
rung, sondern das Ansehen Deutschlands in der Welt. Das
ist der entscheidende Punkt, den wir in diesem Zusam-
menhang ändern wollen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)


Weil ich davon ausgehe, dass Sie Ihre auf den Parteita-
gen gefassten Beschlüsse ernst nehmen,


(Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie Sie!)


erwarte ich, dass Sie am Freitag unserem Entschließungs-
antrag zustimmen werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420414400
Ich weise darauf hin,
dass wir über diesen Antrag am Freitag abstimmen. Nun
hat die Kollegin Antje Hermenau für Bündnis 90/Die Grü-
nen das Wort.


Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420414500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr
Kollege Günther von der FDP meint, wir hätten diesen
Etat im Laufe dieser Haushaltsberatungen nicht erhöht.
Da kann ich Sie – ich will nicht sagen: belehren – doch zu-
mindest aufklären: Im September/Oktober haben wir den
Einzelplan 23 im Rahmen der Haushaltsberatungen um
200 Millionen DM erhöht. Weitere 200 Millionen DM
sind im Rahmen des 3-Milliarden-Pakets für den Einzel-
plan 60 zur Bewirtschaftung zur Verfügung gestellt wor-
den. Ferner sind bis zu 160 Millionen DM im Einzelplan
60 – ebenfalls zur Bewirtschaftung – zur Verfügung ge-
stellt worden. Das macht summa summarum 560 Milli-
onen DM, die dem Einzelplan 23 im Jahre 2002 mehr zur
Verfügung stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dass die nicht alle im Einzelplan 23 stehen, hat ge-
wisse haushaltstechnische Gründe. Hierüber gab es auch
Streit zwischen Opposition und der Koalition. Wir brau-
chen gar nicht darum herumzureden. Der Herr Kollege
von Schmude ist heute in seiner letzten Haushälterrede
noch einmal darauf eingegangen;


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Vorletzte!)

sachkundig und streitbar wie immer.

Es ist allenklar, dassderHaushalt2002–wiediesderFi-
nanzministeramDienstaggesagthat–aufKantegenäht ist.
Das haben wir auch zugegeben. Dies ist kein Geheimnis.
Wenn man einen Haushalt derart eng fahren will, wie wir
das für das nächste Jahr machen wollen, weil wir die Net-
toneuverschuldung nicht weiter erhöhen wollen – wir ha-
ben auch begründet, warum; denn man wird auch in Zu-
kunft Geld brauchen und kann nicht den nachfolgenden
Generationen Steuern und Abgaben aufgrund einer Ver-
schuldung aufbürden, dieman jetztmacht –,mussman ler-
nen – auch wir mussten dies schmerzhaft lernen; Ihnen
macht es doch deshalb so viel Spaß, uns hier anzugreifen,
weilSiewissen,wiewehunsdas tut–,diesePunktevordem
Hintergrund des Gesamthaushalts genau zu gewichten.


(Carsten Hübner [PDS]: Ja, genau zu gewichten!)


Die Opposition kennt dieses Glatteis ganz genau. Bis
1998 sind Sie selber darüber geschlittert.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege von Schmude, als Deckungsvorschlag er-
wähnen Sie die Forderungsverkäufe, die wir schon 1999
in Betracht gezogen und auch durchgesetzt haben, wissen
als alter Haushälter aber ganz genau, dass die auf die Net-
toneuverschuldung durchschlagen. Das muss Ihnen doch
klar sein.


(Michael von Schmude [CDU/CSU]: Die schlagen nicht durch!)


Deswegen ist Ihr Vorschlag für uns nicht seriös genug und
wir können ihn nicht annehmen.

In einem Punkt gebe ich Ihnen völlig Recht: Wir haben
ein Problem mit den Verpflichtungsermächtigungen.




Joachim Günther (Plauen)

20160


(C)



(D)



(A)



(B)


Das sehe ich genauso. Daraus habe ich nie einen Hehl ge-
macht. Seit Jahren rede ich davon. Es war trotzdem in der
Gesamtschau des Haushalts nicht möglich, das zu ändern
und durchzusetzen. Damit müssen wir leben.

Kommen wir noch einmal auf die sich andeutende
Wahlkampfdebatte zurück. Ist das eigentlich ein Verspre-
chen vonseiten der Opposition? Ich habe gar nichts dage-
gen, im nächsten Jahr eine Wahlkampfdebatte zu diesem
Thema zu führen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie selber werden sich aber in Ihren innenpolitischen Pro-
blemen verfangen. Sie von der CDU/CSU werden sich gar
nicht trauen, Entwicklungspolitik zum Wahlkampfthema
zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie müssen nämlich, obwohl es seit dem 11. September
dieses Jahres in der Bevölkerung eine ganz andere Wahr-
nehmung dieses Themas gibt, befürchten, dass es ein
großer Teil Ihrer Wählerschaft ablehnen wird, über dieses
Thema zu sprechen. Das wissen Sie ganz genau. Da kann
man hier im Parlament natürlich wohlfeile Reden halten.

Kommen wir zum Stabilitätspakt Afghanistan. Ich
als Haushälterin gehe davon aus, dass es ein vernünftiges
Verhältnis zwischen dem multilateralen und dem bilatera-
len Mitteleinsatz geben wird. Ich möchte nicht, dass es
nur im multilateralen Bereich einfließt, auch wenn optisch
dieser Mittelabfluss durch die Einzahlungen schneller ist.
Ich bin der Auffassung, dass wir unsere eigenen Mittler
stärken müssen. Ich denke, hierüber besteht in den Koali-
tionsreihen Einigkeit. Ich halte auch eine Klarheit über die
Entscheidungsfindung wichtig.

Wir als Haushälter haben sehr viel Macht aus der Hand
gegeben – das hat die Opposition zu Recht kritisiert – in-
dem wir es in den Einzelplan 60 eingestellt haben. Alles
wird exekutiv vollzogen. Deswegen soll es im Haus-
haltsausschuss jedes Vierteljahr einen Bericht geben, da-
mit wir wenigstens nachvollziehen können, wie das läuft.
Ich gehe davon aus – ich denke, das gilt auch für die meis-
ten meiner Kollegen aus dem Haushaltsausschuss –, dass
wir die Mittel, die jetzt für 2002 im Einzelplan 60 etati-
siert sind, ab 2003 in den entsprechenden Einzelplänen
wiederfinden werden, das heißt auch im Etat des Bundes-
ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Carsten Hübner [PDS]: Das wäre ja was! – Michael von Schmude [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch nicht im Ernst?)


– Das brauche ich nicht zu glauben, das weiß ich. Der
Punkt ist Folgender: Wenn Sie die Unterlagen aus der Be-
reinigungssitzung gelesen hätten, Herr Kollege, dann
wüssten Sie, dass das BMZ das einzige Ministerium ist,
das in den Erläuterungen zu den Regelungen im Einzel-
plan 60 mit einer weiteren Bewirtschaftung von 40 Milli-
onen Euro in der Verpflichtungsermächtigung ausdrück-
lich erwähnt ist. Kein anderes Ministerium wird dort

ausdrücklich genannt. Das ist eine Selbstverpflichtung
des Haushaltsauschusses.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die internationalen Gemeinschaftsaufgaben wollen
wir erweitern. Die Gemeinschaftsaufgabe der Armuts-
bekämpfung ist gut aufgenommen worden. Dort hat sich
die Koalition, wie ich finde, tapfer nach vorne gearbeitet.
Die deutsche Regierung und die Frau Ministerin haben
– das habe ich letztes Jahr auch in Prag mitverfolgen kön-
nen – bei der Weltbank und beim Internationalen
Währungsfonds darauf hingewirkt, dieses Problem stär-
ker zu verankern. Es gibt bei den Nehmerländern eine
stärkere Differenzierung, sodass sie bei den Strukturan-
passungsprogrammen des IWF anders bedacht werden.
Das ist eine Tendenz, die wir nur verstärken können.

Folgerichtig werden in dieses Armutsbekämpfungs-
programm nächstes Jahr immerhin 40 Millionen Euro
hineingesteckt. Herr Kollege von Schmude, das heißt
nicht, dass damit zum Ausgleich für andere Haushalts-
löcher alles Mögliche gefördert wird oder Leute versorgt
werden, sondern das bedeutet, dass all diejenigen, die im
Deckungsvermerk aufgeführt sind, die Möglichkeit ha-
ben, mit vernünftigen Konzepten in diesem Armuts-
bekämpfungsprogramm Anträge zu stellen. So läuft der
Laden.

Da wir gerade bei internationalen Aufgaben sind, will
ich bei der Armutsbekämpfung nicht stehen bleiben, son-
dern auch vom Klimaschutz sprechen. Der Klimawandel
schafft neue Armut. Wir können natürlich auf der einen
Seite versuchen, mit den klassischen, uns vertrauten Mit-
teln Armut zu bekämpfen. Auf der anderen Seite werden
wir dann das Rennen wie der Hase mit dem Igel verlieren,
weil aufgrund des Klimawandels große Flächen verstep-
pen und verwüsten und damit die Ernährung in diesen
Ländern nicht mehr sichergestellt werden kann. Ich
denke, dass die Industrieländer in Fragen des Klima-
schutzes eine Gesamtverantwortung haben. Wir werden
noch in den nächsten Jahren darüber diskutieren müssen,
ob man das global finanzieren kann. Es gibt Prüfungsan-
träge zur Tobin Tax und zur Carbon Tax. Das muss man
dann sehen.

Aber der Umweltverbrauch der Industrieländer ist
nicht, wie Bündnis 90/Die Grünen immer betont haben,
eine Frage der nachfolgenden Generationen in den Indus-
trieländern, bei der es darum geht, dass auch die nachfol-
genden Generationen eine Umwelt vorfinden, in der sie
leben und arbeiten können. Vielmehr ist es eine Frage der-
jenigen, die nicht in den Industrieländern leben. Es gibt
also auch ein zeitgleiches und nicht nur ein zeitlich nach-
geordnetes Phänomen. Vor diesem Hintergrund können
wir trotz der Ereignisse vom 11. September nicht das
„normale“ Geschäft des Klimaschutzes beispielsweise
vernachlässigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hier stehen wir hoffentlich an vorderster Front. Alle
Gespräche zeigen mir das. Wir selber haben den Vor-
schlag eingebracht, dass man auf den Galapagosinseln




Antje Hermenau

20161


(C)



(D)



(A)



(B)


dazu übergeht, die Energieerzeugung auf erneuerbare
Energieträger umzustellen, damit es dort wegen der Öl-
lieferungen nicht mehr zu Tankerunglücken kommen
kann. Diese Verseuchungen betreffen nicht nur die be-
wohnten, sondern auch die unbewohnten Inseln. Sie
selbst wissen, welches Umweltkulturerbe die Galapagos-
inseln darstellen.

Wir sind der Meinung – deswegen haben wir in der fi-
nanziellen Zusammenarbeit dafür Geld zur Verfügung ge-
stellt –, dass man hier eine Lösung suchen muss. Ob man
dies durch eine Verbundfinanzierung oder durch
Kreditzusagen regelt, kann man im Detail noch bespre-
chen. Entscheidend ist, einen zweistelligen Millionenbe-
trag zur Verfügung zu stellen, um ein abgeschlossenes
System mit einem Pilotprojekt in der Energieerzeugung
umzustellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Da wir schon beim Reformbedarf sind: Als Haus-
hälterin habe ich natürlich eine ganze Reihe von Wün-
schen, wie man die Entwicklungszusammenarbeit um-
strukturieren und vielleicht reformieren soll. Wenn ich
bisher von den globalen Aufgaben gesprochen habe, die
man zunehmend privat finanzieren sollte, die für man aber
vor allen Dingen öffentliche Mittel benötigt, dann sollte
man auch einmal die höhere Ausdifferenzierung der Ent-
wicklungsländer zur Kenntnis nehmen.

Seit Jahr und Tag bin ich diejenige, die in den Debat-
ten zu diesem Etat davon spricht, dass wir unsere Instru-
mente stärker differenzieren müssen und wir neue Instru-
mente brauchen, die auch auf privates Kapital abzielen.
Damit habe ich überhaupt kein Problem. Ich glaube, dass
die meisten dieser Debatte nach und nach etwas abgewin-
nen können, wenn es zum Beispiel um „ethical invest-
ments“, also ethische Investitionen, die Bildung von
Fonds und die Schaffung von entwicklungspolitischen
Gütesiegeln für Bankfonds geht. Das alles kann man ma-
chen. Das geht weit über PPP und Verbundfinanzierung
hinaus.

Es ist an der Zeit, dass die meisten bei uns mit der
Selbsttäuschung aufhören, die darin besteht zu sagen:
Entwicklungszusammenarbeit hat nur etwas mit Solida-
rität und Nächstenliebe zu tun. Ich glaube nicht, dass man
es sich so einfach machen kann.

Die rechte Seite des Hauses hat Lernprozesse durchge-
macht. Sie hat gelernt, dass bestimmte entwicklungspoliti-
sche Standards notwendig sind, damit Entwicklungs-
zusammenarbeit nicht nur ökonomischen Interessen dient.
Die linke Seite des Hauses hat noch zu lernen, dass ökono-
mische Interessen die Entwicklungszusammenarbeit noch
lange nicht verderben. Ich denke, wir befinden uns auf ei-
nem guten Weg. Mir ist es wichtig, in den entsprechenden
Fragen weiter nach vorne zu kommen.

Die Gelegenheit, die wir jetzt haben – unsere Debatte
erfährt erhöhte Aufmerksamkeit von Bevölkerungskrei-
sen, die normalerweise nicht zu den „üblichen Verdächti-
gen“ gehören, wie zum Beispiel die Kirchenkreise, die
Eine-Welt-Läden und die NGOs; es handelt sich um Men-
schen, die sich sonst nie mit Entwicklungszusammenar-

beit beschäftigen –, müssen wir nutzen. Wir müssen neue
Partner finden. Aber das geht nur mit neuen Ideen und
neuen Instrumenten. Deswegen spreche ich immer wieder
von der Reform der bilateralen Zusammenarbeit, in der
sich der private Sektor – das kann ich mir vorstellen – stär-
ker engagieren soll und in der neue Partner gefunden wer-
den müssen. Sektoren, in denen das geschehen könnte,
sind zum Beispiel die Wasserversorgung, die Abwasser-
behandlung oder die Energieerzeugung, wie zum Beispiel
das erwähnte Projekt oder andere Projekte, die mit priva-
tem Kapital gestärkt werden können und nicht alleine
durch öffentliche Zuschüsse finanziert werden müssen.
Ich glaube, dass wir uns diesen Aufgaben widmen müs-
sen. Wir können uns nicht mehr darum herumdrücken;
denn schließlich haben wir ganz andere Aufgaben vor uns.

Die Diskussionen über die Reform der Entwicklungs-
zusammenarbeit werden im nächsten Jahr stattfinden. Das
ist zwei Monate nach dem 11. September gar nicht mög-
lich. Aber das kann, wie ich schon sagte, gerne ein Wahl-
kampfthema werden.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420414600
Das Wort hat nun der
Kollege Carsten Hübner von der PDS-Fraktion.


Carsten Hübner (PDS):
Rede ID: ID1420414700
Frau Präsidentin! Frau Mi-
nisterin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt
2002 ist der Haushalt, mit dem wir in den kommenden
Bundestagswahlkampf gehen. Das ist bereits erwähnt
worden. Er ist der Beleg dafür, ob die Bundesregierung
tatsächlich das gehalten hat, was sie den Bürgerinnen und
Bürgern vor der letzten Wahl und in der Koalitionsver-
einbarung versprochen hat. Des Weiteren ist er Ausdruck
dafür, ob im Kampf gegen den internationalen Terroris-
mus das Militärische oder, wie wieder und wieder betont
wird, eine verstärkte Entwicklungs- und Menschenrechts-
politik dominieren soll.

Der Einzelplan 23 ist in der einen wie in der anderen
Hinsicht ein Armutszeugnis. Er wird weder den struktu-
rellen noch den aktuellen Herausforderungen gerecht.
Das muss hier ganz deutlich und schnörkellos gesagt wer-
den. Er liegt finanziell weit unter dem der letzten Kohlre-
gierung. Selbst der niedrige Stand des Ansatzes für die
EZ, über den wir heute diskutieren, ist nur durch Tricks,
nur durch die Verlagerung der Mittel, aber auch der Auf-
gaben aus dem Stabilitätspakt Südosteuropa und dem
Transform-Programm, den Verkauf der DEG und durch
Mittel aus dem Antiterrorpaket, zustande gekommen.
Ansonsten läge der Ansatz für die öffentliche Entwick-
lungszusammenarbeit im Einzelplan 23 bereits jetzt un-
ter 7 Milliarden DM.

Die 0,7 Prozent vom Bruttosozialprodukt, wie es vor
inzwischen rund 30 Jahren von den Industrienationen be-
schlossen worden ist, sind jedenfalls ferner denn je,
ebenso wie ein solider und nachhaltiger Aufwuchs des
Einzelplans. Die Rasenmähermethode, mit der der Kol-
lege Eichel jedes Jahr aufs Neue den Haushalt traktiert,




Antje Hermenau
20162


(C)



(D)



(A)



(B)


spottet jedenfalls all den schönen Worten, die wieder und
wieder von der Bundesregierung mit Blick auf die Be-
deutung der Entwicklungszusammenarbeit und der zivi-
len Konfliktprävention zu vernehmen sind.


(Beifall bei der PDS)

Darauf haben ja kürzlich auch Welthungerhilfe und Terre
des hommes in ihrem Bericht über die Wirklichkeit der
deutschen EZ verwiesen. Als gelte es nicht endlich, auch
beim Sparen Prioritäten zu setzen sowie globale
Notwendigkeiten zu erkennen und ihnen auch Rechnung
zu tragen!

Ich frage Sie ernsthaft, liebe Kolleginnen und Kollegen
der Regierungskoalition: Kann man, ja darf man sich in
einer Zeit, in der 1,2 Milliarden Menschen auf der Welt in
extremer Armut leben, in der 1 Milliarde Menschen ohne
Zugang zu sauberem Trinkwasser und weitere 2 Milliar-
den Menschen ohne sanitäre Anlagen auskommen müs-
sen, in der mehr als 800 Millionen Menschen auf der Welt
dauerhaft an Hunger und seinen Folgeerscheinungen lei-
den und 60 Millionen Menschen in 33 Ländern laut Welt-
ernährungsorganisation FAO akut vom Verhungern be-
droht sind, einen Entwicklungshilfeetat leisten, der
gerade noch ein Drittel von dem ausmacht, was interna-
tional einmal vereinbart worden ist? Wie will die Bun-
desregierung eigentlich in die internationale Konferenz
zur Entwicklungsfinanzierung im März 2002 gehen,
wenn sie nicht einmal ihre eigenen Hausaufgaben ge-
macht hat, wenn der Einzelplan 23 schrumpft, während
der Gesamtetat steigt?

Ich frage Sie: Registriert man in der Bundesregierung
und im Finanzministerium nicht, dass Schwarzafrika im
Meer der Aids-Toten zu ertrinken droht, dass derzeit pro
Jahr etwa 700 000 Menschen neu an Lepra und 8 Milli-
onen bis 10 Millionen Menschen neu an Tuberkulose er-
kranken, während sich unsere Pharmaindustrie nur um
ihren Profit schert? Nimmt man von diesem ganzen Elend
wirklich immer erst dann Notiz, wenn die Elenden aufbe-
gehren oder ihr Elend von Ideologen wie Bin Laden für
Terroranschläge instrumentalisiert wird? Wen wundert es
da noch, wenn man uns in vielen Teilen der Welt für
selbstgerecht und doppelzüngig hält?

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht nicht
nur um die Höhe des Etats, nicht nur um die Quantität.
Auch seine Struktur, seine Qualität hat sich weder der
neuen Lage in Afghanistan noch den ehrgeizigen Plänen
zur Reduzierung der Armut bis 2015 oder den besonderen
Notwendigkeiten der gegenwärtigen Lage in den aller-
meisten Entwicklungsländern angepasst.


(Beifall bei der PDS)

Jede und jeder hier weiß etwa um die besondere Rolle

der Frauen für Entwicklung. Alle wissen um die Bedeu-
tung des ländlichen Raums und lokaler Märkte zur
Bekämpfung der schlimmsten Formen von Armut. Auch
in Afghanistan ist dies jetzt eines der drängendsten Pro-
bleme. Dreiviertel der Armen und Ärmsten auf dieser
Welt leben in ländlichen Regionen.

Gibt es aber ein entsprechendes Förderprogramm, ei-
nen gesonderten Haushaltstitel? Fehlanzeige! Auch gibt

es keine deutliche Aufstockung der Mittel für diese Be-
reiche. Stattdessen gibt es einen gesonderten Haushaltsti-
tel für PPP, für die Integration privater Investoren und da-
mit auch ihrer Profitinteressen in Entwicklungsprojekte.
PPP ist ja inzwischen gewissermaßen zum Zauberwort in
der EZ geworden, obwohl niemand mit Fakten belegen
kann, warum dies eigentlich so ist.

Ich kann Ihnen nur sagen, dass die Bundesrepublik im
Jahr 2000 für weit mehr Geld Rüstungsgüter exportiert
hat, als für die Entwicklungshilfe etatisiert ist. Lieferun-
gen für über 1 Milliarde DM gingen in Länder der so ge-
nannten Dritten Welt, in Länder, in die auch EZ und FZ
fließen. Viele der Konzerne, die diese Rüstungsgüter lie-
fern oder auf ihren Patenten im medizinischen Bereich
bestehen oder Profite mit aberwitzigen Großprojekten
machen wollen, sollen nun unser Partner in der Ent-
wicklungszusammenarbeit sein. Man muss nicht in der
PDS sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, um das als ab-
surd zu empfinden.


(Beifall bei der PDS)

Meine Fraktion wird jedenfalls den Haushaltsentwurf

der Bundesregierung entschieden ablehnen. Er ist eine
Kampfansage an die Entwicklungspolitik. Dem Ent-
schließungsantrag der CDU/CSU werden wir zustimmen.
Beim Antrag der FDP werden wir uns enthalten, weil die
Aufstockungen unrealistisch und inhaltlich leider nicht
genügend untersetzt sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420414800
Nun hat die Bundes-
ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort.

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Afgha-
nistan besteht die historische Chance – daher sollten wir
unsere Gedanken auch auf die richten, die auf dem Pe-
tersberg tagen –, endlich die gesellschaftlichen und poli-
tischen Verhältnisse in diesem von Bürgerkrieg, Krieg
und Hungersnöten geschundenen Land grundlegend neu
zu ordnen. Jetzt ist die Stunde der Politik. Wir müssen nun
dazu beitragen, dass die demokratische Teilhabe aller Be-
völkerungsteile sowie die Verwirklichung der Menschen-
rechte und der Frauenrechte endlich gesichert werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Diese Aufgabe, die auch eine entwicklungspolitische Auf-
gabe ist, stellt sich uns.

Eben hat Herr Hübner die Frage angesprochen, was für
Afghanistan eigentlich getan wird. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir haben die Voraussetzungen zum Wie-
deraufbau schon dadurch geschaffen, dass Experten der
Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit – ich habe
mit ihnen vorhin Kontakt gehabt – in Afghanistan sind,
die mit den Beteiligten vor Ort darüber sprechen, was




Carsten Hübner

20163


(C)



(D)



(A)



(B)


beim Aufbau des Bildungssystems und der Krankenhäu-
ser sowie bei der Versorgung der Bevölkerung gemacht
werden kann. Wir wollen bei allem helfen, was notwen-
dig ist, damit die Menschen wieder eine Lebenschance ha-
ben. Die Leistungen der Menschen, die dort bei solchen
Einsätzen ihre Arbeit leisten, sollten anerkannt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Experten der Gesellschaft für Technische Zusam-
menarbeit haben uns gesagt, dass Menschen, die ihnen
dort begegnet sind und der deutschen Sprache mächtig
waren, zum Ausdruck gebracht hätten, dass sie sich da-
rüber freuen, dass auch Deutsche bereit sind, diese Hilfe
für sie zu leisten.

Im Übrigen findet zur gleichen Zeit eine Konferenz in
Islamabad statt, bei der die Weltbank, die Asiatische Ent-
wicklungsbank und UNDP mit den Geberländern – also
auch mit uns – über die weiteren Fragen des Wiederauf-
baus diskutieren. Die Zahlen, die in diesem Zusammen-
hang für unseren Haushalt von Bedeutung sind, weisen
aus, dass wir mindestens 80 Millionen Euro für den Wie-
deraufbau in Afghanistan zur Verfügung stellen. Dieser
Betrag kann aufgestockt werden, wenn es notwendig ist.
Dass es notwendig sein wird, ist, glaube ich, bereits deut-
lich geworden.

Bei allem, was wir tun, müssen die Rechte und die Be-
teiligung der Frauen besonders im Blick gehalten wer-
den. Wir müssen alles dafür tun, dass die Stärke der
Frauen in Afghanistan endlich auch für den Wiederaufbau
genutzt werden kann. Afghanistan kann es sich nun wirk-
lich nicht länger leisten, auf die Frauen als Entwicklungs-
motor zu verzichten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


An die Adresse derjenigen Kollegen, die das nicht im-
mer so präsent haben, sage ich:


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sie sollten einmal etwas zum Haushalt sagen!)


In den 80er-Jahren waren etwa 70 Prozent aller Unter-
richtenden Frauen. Das zeigt, wie groß das Maß der Ent-
rechtung war und wie wichtig es ist, dass wir diesen Pro-
zess der Befreiung von unserer Seite aus politisch,
humanitär und auch durch den Wiederaufbau angemessen
unterstützen.

Es geht darüber hinaus aber auch darum, dass wir der
gesamten Region ein Angebot unterbreiten. Das haben
wir in Bezug auf Zentralasien getan. Wir wollen unsere
Finanzmittel für diese Region verkoppeln und die regio-
nale Zusammenarbeit, die Förderung von Demokratie und
die soziale Marktwirtschaft gleichermaßen voranbringen.

Ich habe im Rahmen meiner Reise nach Pakistan ver-
einbart, auf welchen Feldern wir zukünftig zusammenar-
beiten werden. Dazu zählt die Bildung. Vor allen Dingen
die Madrassas, die Koranschulen, müssen beiseite ge-
schoben werden,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


damit dieser Form von Gehirnwäsche endlich ein Ende
bereitet wird. Das sind nicht meine Begriffe, sondern die
meiner pakistanischen Gesprächspartner.

Weiter gehört dazu der gesamte Bereich der Förde-
rung demokratischer Prozesse. Im Rahmen einer Schul-
denumwandlung für Entwicklungsprojekte können
100 Millionen DM für Maßnahmen zur Armutsbekämp-
fung freigesetzt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie alle sprachen
heute Abend wahrheitsgemäß an, dass die Entwicklungs-
zusammenarbeit im Zuge der aktuellen Entwicklungen
eine enorme Aufwertung erfahren hat.


(Carsten Hübner [PDS]: Erfahren muss!)

Die Menschen in Deutschland spüren erst jetzt – dieses

Bewusstsein müssen wir zunehmend verankern –, dass
Entwicklungszusammenarbeit nicht nur eine „Sache der
guten Menschen“ ist, wie einige dachten und vielleicht
immer noch denken. Nein, die Entwicklungszusammen-
arbeit liegt auch in unserem eigenen Interesse.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Menschen haben doch gespürt: Entweder wir bringen
Sicherheit für die Menschen in allen Regionen der Welt
oder die Unsicherheit steht im wahrsten Sinne des Wortes
vor unserer Haustür. Das ist eine grundlegende Verände-
rung im Denken, die auch Konsequenzen haben muss.
Deswegen sage ich – to whom it my concern –: Die heu-
tigen Haushaltsberatungen können nur der Auftakt für
eine deutliche und dauerhafte Trendwende des Entwick-
lungshaushalts in den vor uns liegenden Jahren sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das müssen alle hören und daraus Konsequenzen ziehen.
Wir brauchen ein „Entwicklungsjahr“, in dem es da-

rum gehen muss, greifbare Fortschritte für eine sozial
gerechte und ökologisch tragfähige Gestaltung der Glo-
balisierung zu erzielen. Deshalb geht es darum, die anste-
henden Konferenzen zur Entwicklungszusammenarbeit,
zum Beispiel die Konferenz zur Entwicklungsfinanzie-
rung im März in Monterrey


(Zuruf von der CDU/CSU: Was wollt ihr denn da auf den Tisch legen?)


und die Konferenz in Johannesburg für nachhaltige Ent-
wicklung – „Rio plus 10“ – zu nutzen, um dieses Bündnis
der globalen Verantwortung zwischen Industrie- und Ent-
wicklungsländern auch hinsichtlich der Finanzierung der
Entwicklungszusammenarbeit voranzubringen.

Wir alle wissen, dass Entwicklungspolitik als langfris-
tige Friedenspolitik nicht nur in Krisenzeiten und bei aku-
ter Bedrohung durch Terror Konjunktur haben darf, son-
dern diese dauerhaft haben muss.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS)





Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
20164


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn wir das Ziel erreichen wollen, die Armut zu halbie-
ren, dann heißt das auch, dass wir in den Haushalten, und
zwar auch in denen, die noch vor uns stehen, Konsequen-
zen ziehen müssen. Ich kämpfe dafür. Jeder weiß, dass ich
unter Einsatz meiner Person auch bei diesem Haushalt
dafür gekämpft habe.

Was wir im Bundestag bei der Debatte zum Einsatz der
Bundeswehr im Zusammenhang mit den terroristischen
Angriffen auf die USA– leider nicht mit Zustimmung der
Oppositionsfraktionen – erreicht haben, ist die Veranke-
rung der Formulierung, dass wir das Ziel „0,7 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes für die Entwicklungszusammen-
arbeit“ schrittweise und in festgelegten Abschnitten errei-
chen wollen. Dieses Ziel will ich hier noch einmal aus-
drücklich betonen. Die Bundesregierung wird dieses Ziel,
das die Vorgängerregierung völlig aus dem Auge verloren
hatte, schrittweise und nach einem transparenten Zeitplan
umsetzen. Darauf können Sie sich verlassen und darauf
können sich auch die Menschen in den Entwicklungslän-
dern verlassen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


An die Adresse der CDU darf ich einmal Folgendes sa-
gen: Liebe Kollegen und Kolleginnen, wenn Sie den An-
trag, den Sie formuliert haben, doch mit dem verglichen
hätten, was Sie gemacht haben! Sie haben 1992 an dem
Beschluss des Gipfels von Rio mitgewirkt. Da betrugen
die Mittel für die offizielle Entwicklungszusammenarbeit,
„official development aid“, in Deutschland 0,37 Prozent
des Bruttosozialprodukts. Dann ging es Jahr für Jahr ab-
wärts, bis herunter auf 0,26 Prozent im Jahr 1998. Das
heißt: Sie haben das genaue Gegenteil dessen gemacht,
was Sie heute fordern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Im Übrigen bin ich es aber leid, dass wir parteipolitisch

dauernd herumstreiten. Lassen Sie uns doch gemeinsam
dafür sorgen, dass die Stimmung und die Erwartung in der
Bevölkerung im Hinblick darauf, dass sich etwas ändern
muss, vorangebracht wird, damit Fortschritte erreichbar
werden, die schließlich den Menschen helfen, für die wir
alle uns engagieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch ein
paar Punkte nennen, die wir angepackt haben bzw. die
noch angepackt werden müssen.

Erstens, Armutsbekämpfungsprogramm. Es hieß
hier, es seien zusätzlich 40 Millionen Euro für dieses Pro-
gramm verankert worden. Aber die Wahrheit ist doch
– das muss jeder dazusagen –: 925 Millionen Euro im ge-
samten Haushalt der Entwicklungszusammenarbeit sind
auf Armutsbekämpfung orientiert. Wir haben jedenfalls
vonseiten der OECD vor wenigen Tagen ein riesiges Lob
dafür bekommen, dass wir uns auf das Armutsminde-
rungsziel verpflichtet und dieses Armutsbekämpfungs-
programm vorgelegt haben. Das wird verankert und ent-
sprechend umgesetzt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zweiter Punkt, Aidsbekämpfung. 70 Millionen Euro
haben wir schon für die bilaterale Arbeit verankert. Ich bin
aber dagegen, dass wir hier mit Scheuklappen antreten.
Dass wir es geschafft haben, bei der WTO-Konferenz
dafür zu sorgen, dass die Entwicklungsländer billige
Medikamente zur Aidsbekämpfung in ihrem eigenen
Land erzeugen oder in ihr Land einführen können, ist
doch ein größerer entwicklungspolitischer Erfolg, als ihn
ein kleiner Etat mit einem bestimmten Millionenbetrag
vielleicht erreichen kann.


(Zuruf von der FDP: Der Kanzler hat was anderes versprochen!)


– Wir reden über Politik und nicht über einzelne Striche
im Kalender. Ich bitte Sie!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieses neue Denken und nicht das Fixieren auf die Uralt-
kämpfe, die ausgetragen worden sind, bringt uns voran.

Wir finanzieren den globalen Fonds zur Bekämpfung
von Aids, Malaria und Tuberkulose im Umfang von
150 Millionen Euro. Die werden wir nach den Ergebnis-
sen der Verhandlungen über den Fonds schrittweise in den
Haushalt einstellen.


(Ina Albowitz [FDP]: Wann denn? In diesem Haushalt ist nichts drin!)


Dritter Punkt, Handelsliberalisierung. Herr Günther,
was Sie gesagt haben, ist ja alles wunderbar. Aber wer hat
denn die „Everything-but-arms-Initiative“, nämlich die
Möglichkeit der ärmsten Entwicklungsländer, alle Güter
in die EU zu exportieren, durchgesetzt? – Das haben wir
durchgesetzt! Ich weiß, wie die Agrarpolitik der früheren
Regierung ausgesehen hat. Das haben erst wir geändert
dahin gehend, dass die Agrarinteressen zugunsten der
Entwicklungsländer zurückgedrängt worden sind. Das ist
ein Riesenerfolg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der beteiligte frühere Minister weiß genauso wie ich, wo-
von die Rede ist. Das ist ein großer Erfolg und muss in der
WTO-Runde, die jetzt begonnen hat, seine Fortsetzung
finden. Gleiches gilt für die Reduzierung der Export-
erstattungen.

Eines ist auch klar: Wir müssen den ärmsten Entwick-
lungsländern im Rahmen der technischen Zusammenar-
beit mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stellen – und
wir werden das auch tun –, damit sie handelspolitisch von
der Globalisierung profitieren können. Von selbst kommt
das nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben zum Teil gar nicht die entsprechenden gesetzli-
chenVoraussetzungenundbrauchendeshalbUnterstützung.
Sonst werden sie die Globalisierung als Last empfinden.

Viertens. Afrikawar und ist nach wie vor eine Schwer-
punktregion der deutschen Entwicklungszusammenar-
beit. Ich bin froh, dass Frau Kollegin Eid, die Parlamen-
tarische Staatssekretärin in unserem Ministerium, als




Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul

20165


(C)



(D)



(A)



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persönliche Beauftragte des Bundeskanzlers das Konzept
für den G-8-Gipfel mit vorbereitet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Für den gesamten Bereich Afrika stehen in der bilateralen
Entwicklungszusammenarbeit 400 Millionen Euro zur
Verfügung.

Fünftens. Wir haben das Cotonou-Abkommen be-
schlossen; es ist vor 14 Tagen vom Deutschen Bundestag
ratifiziert worden. Ich finde, es ist eine Schande, dass das
sozusagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschehen
ist. Nach diesem Abkommen werden 13,8 Milliar-
den Euro über fünf Jahre zur Verfügung gestellt, davon
der zweitgrößte Betrag, 3,2Milliarden Euro, von der Bun-
desrepublik Deutschland. Dieses Konzept macht deutlich:
Ja, es geht zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.
Ja, ein fairer Interessenausgleich ist möglich. Das haben
wir voran gebracht. Das ist ein Riesenerfolg, zumal für die
afrikanischen Länder.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420414900
Frau Ministerin, Sie
haben die vorgesehene Zeit schon ein wenig überzogen.

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Ich
wollte zum Schluss sagen, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen: Die Entwicklungszusammenarbeit hat sich verän-
dert, nicht nur nach dem 11. September, sondern auch
schon vorher. Wir brauchen zum Beispiel mehr Akteure.
Herr Hübner, die 500 Unternehmen, mit denen wir in der
Entwicklungszusammenarbeit partnerschaftlich zusam-
menarbeiten, tun etwas für erneuerbare Energie, für Ener-
gieeffizienz, für den Wassersektor. Das ist doch Klasse.
Warum sollen wir das aus öffentlichen Mitteln der
Entwicklungszusammenarbeit bezahlen, wenn der private
Sektor in dem Bereich tätig werden kann?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Letztlich ergeht mein Appell an Sie alle, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen. Ich kenne solche Situationen, in de-
nen man das Gefühl hat: Jetzt geht es finanziell um viel.
Es geht darum, dass wir den Weg fortsetzen, der zu Kon-
fliktlösungen führt, mit denen wir verhindern, dass erst
dann Mittel zur Verfügung stehen, wenn Katastrophen
eingetreten sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie uns dazu beitragen, dass wir die Mittel vorher
einsetzen, und lassen Sie uns eine Politik betreiben, die
versucht, im Interesse der Menschen Katastrophen zu ver-
hindern. Für diese Politik müssen wir stehen.

Ich bedanke mich sehr herzlich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420415000
Als Letzter in dieser
Aussprache hat der Kollege Klaus-Jürgen Hedrich für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Klaus-Jürgen Hedrich (CDU):
Rede ID: ID1420415100
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ich darf zitieren:

Die Entwicklungspolitik muss mit dazu beitragen,
dass im Sinne einer globalen sozialen Marktwirt-
schaft faire internationale Wettbewerbs- und Wirt-
schaftsbeziehungen geschaffen werden und der spe-
kulative Kasinokapitalismus verhindert wird.
Um die damit verbundenen Aufgaben und die zen-
tralen Ziele einer nachhaltigen, menschenwürdigen
Entwicklung und Armutsbekämpfung wirksam zu
gestalten, wollen wir in den nächsten Jahren die Mit-
tel für die Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7 Pro-
zent des Bruttosozialproduktes erhöhen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nutzen wir den weltpolitischen und vielleicht ja auch
den moralischen Aufbruch der gegenwärtigen Krise,
um die Entwicklungspolitik zu stärken und die
menschliche Entwicklung auf der ganzen Erde zu
fördern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Recht hat die Vortragende. Das sagte nämlich die ent-

wicklungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion auf
dem SPD-Parteitag, der gerade stattgefunden hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Carsten Hübner [PDS])


Es ist bezeichnend, dass nach dem letzten Satz die For-
mulierung folgt:

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
dürfen nicht wortbrüchig werden.

Diese Formulierung stimmt nicht. Sie hätte sagen müssen:
Wir dürfen nicht weiter wortbrüchig sein, sondern wir
müssen endlich unsere Politik ändern.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Na, na, na!)


Die Entwicklungspolitik der jetzigen Bundesregierung
ähnelt nach wie vor einem Konzept gebrochener Verspre-
chungen. Was sollte das eigentlich, dass die Entwick-
lungshilfeministerin dieser Bundesregierung bei dem
letzten EU-Ministerrat gesagt hat – das war durchaus an-
erkennenswert –:

Die Bundesregierung hat sich dafür eingesetzt, dass
der Göteborger Beschluss zur Erreichung des 0,7-
Prozent-Ziels bekräftigt und präzisiert wurde.

Die Antwort auf die präzise Frage der Opposition im
Fachausschuss an die Vertreterin der Leitung des Hauses,
was das konkret bedeute, hieß: Die Kommission ist auf-
gefordert worden, mit den nationalen Regierungen da-
rüber zu reden, dass sie diesem 0,7-Prozent-Ziel näher
kommt. Daraufhin fragten wir: Sehr geehrte Frau Staats-




Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
20166


(C)



(D)



(A)



(B)


sekretärin, haben Sie etwas präzise vorgelegt? Diese
Frage wurde verneint. Als Nächstes wurde die Frage ge-
stellt: Gibt es Überlegungen der Bundesregierung, dieses
Ziel in die nächste mittelfristige Finanzplanung konkret
einzubauen? Auch das wurde von der Staatssekretärin
verneint. Ich habe natürlich mit Vergnügen zur Kenntnis
genommen, dass der anwesende Vertreter des Finanzmi-
nisters, Karl Diller, aufgrund Ihrer Ermahnungen, Frau
Ministerin, sofort mitgeschrieben hat und das jetzt umset-
zen wird. Davon gehe ich selbstverständlich aus.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Daran wird deutlich: Sie machen Ankündigungen und

setzen sie dann nicht um. So rufen Sie Enttäuschung nicht
nur in der, wie man so schön sagt, nationalen Szene, son-
dern auch in den internationalen Organisationen und ins-
besondere bei unseren Partnerländern hervor. Sie kündi-
gen etwas an und machen es dann nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Allerdings ist die Ministerin – das muss man ihr be-

scheinigen – durchaus lernfähig und nicht beratungsre-
sistent. Sie kündigte bei einer entsprechenden Diskussion
im Fachausschuss an, dass der so genannte Konzentrati-
ons- und Schwerpunktsetzungsprozess in Gänze über-
prüft werde. Wir haben ihr vorher gesagt, dass die Sache
nicht aufgeht; es findet sich eine Widersprüchlichkeit
nach der anderen. Die Ministerin ist nach Äthiopien ge-
fahren und kündigte die Wiederaufnahme der Entwick-
lungshilfezusammenarbeit mit Äthiopien an, obwohl die-
ses Land gar nicht im Konzentrationsprozess vorgesehen
ist – und das ohne vorige Konsultation mit dem zuständi-
gen Fachausschuss. Die Zusage, dass bei einer Über-
prüfung der Konzentrationsliste das Parlament an dem
Entscheidungsprozess beteiligt werde, wurde nicht einge-
halten.

Ein anderes Beispiel. Wir haben die Bundesregierung
gefragt: Warum haben Sie von den fünf zentralasiatischen
Ländern drei in die Liste aufgenommen und zwei nicht?
Uns wurde groß und breit erklärt, beispielsweise Tadschi-
kistan erfülle die innenpolitischen, demokratischen und
sicherheitspolitischen Voraussetzungen nicht. Nach den
Geschehnissen des 11. September aber fuhr der Außen-
minister – nicht die Entwicklungshilfeministerin – nach
Tadschikistan und kündigte die Aufnahme der EZ an.
Natürlich haben sich zwischenzeitlich die Voraussetzun-
gen für die EZ in Tadschikistan in keiner Weise geändert.
Herr Fischer hat dies allerdings auch nicht behauptet.


(Zuruf von der SPD: Was stört Sie denn daran?)


Ich kreide es dieser Bundesregierung ein bisschen an
– sofern wir den Anspruch der Moral in diese Debatte ein-
bringen wollen –, dass sie in ihrem Konzept –


(Dr. Emil Schnell [SPD]: Wir haben wenigstens ein Konzept!)


korrekterweise müsste man sagen: in ihren Überlegun-
gen – die sich jetzt bietende Chance nicht genutzt hat, mit
den Ländern, die zwar Mitglied der Antiterrorallianz sind,
aber deshalb bei weitem noch keine Demokraten, ein
ernstes Wort zu reden, beispielsweise mit Herrn Karimow

in Usbekistan. Das ist bisher seitens der Bundesregie-
rung – wie übrigens von der gesamten internationalen Ge-
meinschaft – nicht erfolgt, weil man sagt: Jetzt ist es wich-
tiger, dass wir die Herrschaft der Taliban in Afghanistan
beenden; übermorgen oder überübermorgen werden wir
mit diesen Ländern einmal über die Verbesserung ihrer in-
nenpolitischen Verhältnisse reden.

Wenn wir das aber nicht schon jetzt machen, dann lau-
fen wir Gefahr, dass in diesen Ländern demokratische Re-
formen und Verbesserungen der Menschenrechtssituation
nicht erfolgen und wir in den Ländern, von denen ich hier
gerade gesprochen habe, die nächste Generation von Ge-
walttätern und möglicherweise von Terroristen heran-
züchten.


(Christoph Matschie [SPD]: Das ist aber ein düsteres Weltbild!)


Wir müssen den Diskussionsprozess jetzt nutzen und mit
diesen Partnerländern ein sehr deutliches Wort reden.
Wenn wir wirklich von Krisenprävention reden wollen,
sind in der mittelfristigen Überlegung eigentlich nur die-
jenigen in der Antiterrorallianz glaubwürdige Partner, die
das erfüllen, was sie selbst, beispielsweise in der Wiener
Menschenrechtskonvention, zugesagt haben. Wenn wir
diesen Konflikt jetzt beiseite wischen, dann werden wir
auch in Zukunft Probleme haben.


(Jörg Tauss [SPD]: Wie Kohl in China!)

Mich wundert übrigens auch, dass es inzwischen die

CDU/CSU ist, die hin und wieder ein ernstesWort mit den
Amerikanern redet. Wir haben unseren amerikanischen
Freunden gesagt: Passt bei der zukünftigen Entwicklung
auf; dieTaliban sind ja nicht von ungefähr an dieMacht ge-
kommen.Wenn man ökonomische Interessen über die In-
teressen von Menschen und über die Menschenrechte
stellt, dann ist das eine kritische Situation. Wenn – wofür
wir als Union nachhaltig eintreten –wir für eine „uneinge-
schränkte Solidarität“ imBündnis plädieren, dannmüssen
wir diese uneingeschränkte Solidarität im Bündnis auch
nutzen. Die Respektierung vonMenschenrechten, die Hu-
manität und vielleicht auch der eine oder andere morali-
scheAnsatz sollten in diesem Bündnis Priorität haben.

Im Bereich der bereits angesprochenen Schwerpunkt-
setzung, Frau Ministerin, sind einige ganz merkwürdige
Sachen aufgetaucht; wir haben jetzt auch versucht, das in
einer Anfrage zu klären. Sie haben eben von der Bedeu-
tung von Bildung gesprochen. In den letzten Verhand-
lungen auf Regierungsebene aber ist lediglich viermal der
Schwerpunkt Bildung aufgetaucht. Es kann doch, wie Sie
selbst im Fachausschuss eingeräumt haben, nicht im In-
teresse unserer Politik sein, dass wir plötzlich die Bil-
dung – die Grundbildung und die Weiterbildung, gerade
auch der weiblichen Bevölkerung – zurückstellen. Dies
muss nachhaltig überprüft werden. Deshalb fordern wir
Sie auf, Frau Ministerin, Ihr Konzentrations- und Schwer-
punktpapier zu überprüfen und dem Fachausschuss ein
neues vorzulegen.

Ich schließe mit zwei Hinweisen. Wenn Sie hier groß
und breit über Aids reden, Frau Ministerin, dann muss ich
Ihnen sagen: Es war der Bundeskanzler, der 300 Milli-
onen DM für dieses Feld zugesagt hat. Im Haushalt und in




Klaus-Jürgen Hedrich

20167


(C)



(D)



(A)



(B)


der mittelfristigen Finanzplanung ist von dieser Zusage
weit und breit nichts zu sehen. Da müssen Sie sich doch
wenigstens die Frage gefallen lassen: Was soll denn da-
raus werden? Auch hier gilt: große Ankündigungen, in der
Umsetzung aber praktisch nichts.

Es geht aber noch weiter: Um Ihre Truppen zusam-
menzuhalten, haben Sie im Rahmen des Mazedonien-Be-
schlusses schnell einen Antrag in dieses Haus eingebracht
und verabschiedet, in dem Sie festgelegt haben, dass Sie
eine Strategie für die Entwicklung auf dem Balkan und
insbesondere für Mazedonien vorlegen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Ja, das haben wir gemacht!)


– Prima! Der Punkt ist aber: Weder im Haushalt noch im
Fachausschuss ist etwas Entsprechendes zu Mazedonien
vorgelegt worden. Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen
und Herren von den Koalitionsfraktionen, Anträge vorle-
gen, die Sie selbst nicht ernst nehmen, wer in der Repu-
blik soll sie dann überhaupt ernst nehmen?

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420415200
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar
zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7601. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Änderungsantrag ist abgelehnt.

Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Druck-
sache 14/7602. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen?
– Wer enthält sich? – Auch dieser Änderungsantrag ist ab-
gelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23
in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Gegen die Stimmen von
PDS, CDU/CSU und FDP ist der Einzelplan 23 ange-
nommen.

Ich rufe auf:
Einzelplan 16
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
– Drucksachen 14/7315, 14/7321 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Waltraud Lehn
Jochen Borchert
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Heidemarie Ehlert

Zum Einzelplan 16 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion der PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Jochen Borchert für die CDU/CSU-Fraktion.


Jochen Borchert (CDU):
Rede ID: ID1420415300
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Die erfolglose Umweltpolitik der
Regierung Schröder wird mit dem Haushalt 2002 fort-
gesetzt.

Während der Bundeshaushalt im kommenden Jahr
nach den Beratungen im Haushaltsausschuss um rund
1,5 Prozent steigt, sinkt der Haushalt des Bundesumwelt-
ministeriums um 5,7 Prozent. Damit stehen dem Bundes-
umweltministerium im nächsten Jahr rund 65 Millionen
DM weniger als in diesem Jahr zur Verfügung.

Noch deutlicher wird die kritische Entwicklung, wenn
man den Haushalt 2002 mit dem Haushalt 1998 ver-
gleicht, dem letzten Haushalt der Bundesregierung unter
Helmut Kohl. Seit damals ist der Haushaltsansatz um
11,5 Prozent gesunken oder um 137 Millionen DM zu-
sammengestrichen worden.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist eure Bilanz!)


Gleichzeitig werden im Haushalt immer weniger Mit-
tel für Umweltprogramme angesetzt, da immer mehr Mit-
tel für die Verwaltung benötigt werden: Über 50 Prozent,
genau 52 Prozent, werden im nächsten Jahr für die Ver-
waltung benötigt, das heißt, es stehen immer weniger Mit-
tel für den Umweltschutz zur Verfügung. Das Bundesum-
weltministerium wird damit zu einer sich hauptsächlich
selbst verwaltenden Organisationseinheit. Die Durch-
führung von Umweltschutzprogrammen verkommt zum
schmückenden Beiwerk. Die Existenzberechtigung des
Ministeriums kann nur noch mühsam begründet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Bedeutungsverlust des Umweltministeriums zeigt

sich auch daran, dass ein immer größerer Teil der Ausga-
ben für den Umweltschutz in anderen Einzelplänen etati-
siert wird. Insgesamt stehen im Bundeshaushalt über
8 Milliarden DM für den Umweltschutz zur Verfügung,
nur 12,6 Prozent davon im Haushalt des Bundesumwelt-
ministers. Die umweltschutzrelevanten Ausgaben in an-
deren Ressorts liegen zum Teil deutlich höher als die des
Umweltministeriums. Die rot-grüne Koalition entzieht
dem Umweltministerium durch die Kürzungen in einem
steigenden Umfang Finanzmittel in einer solchen Höhe,
dass das Ministerium zu einer ABM-Stelle für umwelt-
engagierte Beamtinnen und Beamte wird.


(Rainer Brinkmann [Detmold] [SPD]: Sie haben nichts verstanden, gar nichts!)


– Das liegt aber an Ihnen, das habe ich auch nicht anders
erwartet.

Es verwundert nicht, dass manche Umweltprogramme
des BMU mittlerweile ihren Sinn verloren haben und zu
einer reinen Beschäftigungstherapie geworden sind. Der
Bundesrechnungshof hat dies bei der Überprüfung des
Förderprogramms „Investitionen zur Verminderung
von Umweltbelastungen“ deutlich herausgestellt. Der
Bundesrechnungshof hat festgestellt, dass

das Programm ... seiner Funktion als zentrales
Instrument der Umweltpolitik nicht gerecht wird.




Klaus-Jürgen Hedrich
20168


(C)



(D)



(A)



(B)


Die geringe Zahl der Förderanfragen und die Bereitschaft
vieler Antragsteller, bereits vor einer erfolgten Förder-
zusage trotz des Risikos einer möglicherweise ausblei-
benden Bewilligung mit dem Vorhaben zu beginnen, sind
untrügliche Anzeichen dafür, dass das Programm seine
umweltpolitische Anreizfunktion verfehlt und in vielen
Fällen lediglich eine Mitnahme von Fördermitteln statt-
findet.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Obwohl dieses Programm auch der Gewinnung von

Entscheidungsgrundlagen für die weitere Aufgabenerfül-
lung des BMU dienen soll, „bleibt der Erkenntnisgewinn
für das Ressort weit gehend dem Zufall überlassen“. Man
stellt, wenn man danach fragt, fest: Auswertung der Ab-
schlussberichte des so genannten Förderprogramms durch
das Umweltministerium? – Fehlanzeige. Nachvollzieh-
bare und überprüfbare Bearbeitung des Förderprogramms
durch die Verwaltung? Ordnungsgemäße Programmkon-
trolle? – Fehlanzeige. Abstimmungen zwischen den Ein-
zelressorts? – Fehlanzeige. Überschneidung mit anderen
Programmen oder auch Doppelförderungen sind daher
nicht ausgeschlossen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Koalition war trotz der Kritik des Bundesrechnungs-
hofes aber nicht bereit, die Mittel qualifiziert zu sperren.
Nur mit einer qualifizierten Sperre hätten wir erreicht,
dass es bereits 2002 zu deutlichen Verbesserungen ge-
kommen wäre.

Ich will einen anderen Punkt des Etats ansprechen.
Vereine und Verbände werden auf dem Gebiet des Um-
weltschutzes nicht nach der Qualität der Arbeit, sondern
nach politischem Wohlverhalten gefördert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Mittel für die institutionelle Förderung der Heimat-
verbände wurden weiter gekürzt; die geringen Korrektu-
ren, die sich bei den Beratungen im Haushaltsausschuss
ergeben haben, ändern daran nichts. Gleichzeitig wird
– das muss man im Zusammenhang sehen – beim Deut-
schen Naturschutzring politisches Wohlverhalten belohnt
und die institutionelle Förderung um 30 Prozent aufge-
stockt.

In der Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998
hatte Rot-Grün noch vollmundig propagiert:

Die ökologische Modernisierung ist die große
Chance, um die natürlichen Lebensgrundlagen zu
schützen und mehr Arbeit zu schaffen.

(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir ja!)

Mit dem so genannten Atomkonsens, dem Ausstieg aus
der Kernenergie, sollte die Ökowende in der Energiepoli-
tik eingeleitet werden. Der Energiebericht der Bundes-
regierung, der in diesen Tagen vorgelegt worden ist,
macht aber für alle deutlich: Die Bundesregierung hat
keine energiepolitischen Alternativen; sie hat kein schlüs-
siges energiepolitisches Konzept. Der Ausstieg aus der
CO2-freien Kernenergie, verbunden mit einem Einstieg ineine auch auf lange Sicht subventionsbedürftige regene-

rative Energie und dem Ziel der Verringerung der CO2-Emissionen, lässt sich nicht durchsetzen. Diese Rech-
nung – das zeigt der Energiebericht – ist schon heute ge-
scheitert.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wohl wahr!)

Das Ergebnis dieses Energieberichts ist: die Gefährdung
des Industriestandortes Deutschland und die Aufgabe der
international vereinbarten Klimaschutzziele.

Ich kann verstehen, dass der Koalition die Aussagen
des Energieberichtes nicht passen. Aber Sie ändern nichts
an dem Ergebnis ihrer Energiepolitik, Sie ändern nichts an
der energiepolitischen Realität. Den Energiebericht als
tendenziös oder als Chaosbericht abzuqualifizieren ändert
nichts an den Fakten dieses Berichtes.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich denke, man muss – es fällt mir nicht leicht – Bundes-
minister Müller in diesem Zusammenhang gegen die Vor-
würfe der Koalitionsfraktionen in Schutz nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wohin Ihre Energiepolitik führt, zeigt die Entwicklung

von 1990 bis heute. Von 1990 bis 1998 konnte die Koali-
tion aus CDU/CSU und FDP die CO2-Emissionen von987 Millionen Tonnen pro Jahr auf 832 Millionen Tonnen
senken. Das sind über 150 Millionen Tonnen CO2 weni-ger pro Jahr. Seit dem Beginn der rot-grünen Koalition,
seit Ihrem Amtsantritt, Herr Minister, gingen die CO2-Emissionen um sage und schreibe 1 Million Tonnen
zurück.


(Ulrich Kelber [SPD]: Billig, billig, billig!)

– Das Ergebnis ist billig; da gebe ich Ihnen Recht. Es lässt
sich nicht mit den vollmundigen Erklärungen in Deckung
bringen, mit denen Sie gestartet sind. – Ich denke, diese
Zahlen sprechen für sich.

Die Klimaschutzpolitik ist konzeptionslos, sie ist nicht
verlässlich und vor allem nicht nachvollziehbar. Ein wei-
terer Systemfehler – abgesehen von den grundsätzlichen
Problemen – ist die Belegung von Strom aus erneuerba-
ren Energiequellen mit der so genannten Ökosteuer. In
diesem Jahr besteuern Sie Strom aus erneuerbaren Ener-
gien mit rund 480 Millionen DM. Darüber hinaus zeigt
die Kritik des europäischen Wettbewerbskommissars
Monti, wie nachhaltig das Fundament Ihrer Ökosteuer ge-
fährdet ist und auf welch wackligen Füßen es steht. Je
nach Ergebnis werden wir bereits in den nächsten Tagen
möglicherweise große Veränderungen vornehmen müs-
sen.

Ich will ein letztes Wort zum Naturschutz sagen. Mo-
derner Naturschutz bedeutet Schutz der Natur vor negati-
ven Einflüssen, aber auch Nutzung der Natur für den
Menschen.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das machen wir!)


Die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes, die gegen
die Stimmen der Union verabschiedet worden ist, wird
weit reichende nachteilige Folgen für die Landwirtschaft
und auch für den Umweltschutz haben. Statt den Konsens




Jochen Borchert

20169


(C)



(D)



(A)



(B)


mit den Naturschützern zu suchen, wird mit Mitteln des
Ordnungsrechtes Umweltschutz von oben verordnet –
ohne Rücksicht auf ökonomische Sinnhaftigkeit und ohne
Rücksicht auf die langfristige Erreichbarkeit der ge-
wünschten Umweltschutzziele.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Gleichzeitig wird der Vertragsnaturschutz immer wei-

ter abgebaut. Alle Anträge auf Erhöhung der Mittel für
den Vertragsnaturschutz werden abgelehnt. Ordnungs-
recht tritt an die Stelle des Vertragsnaturschutzes und des
Konsenses innerhalb des Naturschutzes.


(Christoph Matschie [SPD]: Falsch!)

Das Bundesnaturschutzgesetz in seiner Neufassung sorgt
weder dafür, dass eine nachhaltige, umweltgerechte und
Standort angepasste Pflege der Kulturlandschaften geför-
dert wird, noch sorgt es für ein übergreifendes Konzept
des Landschafts- und damit auch des Umweltschutzes.

Voraussetzung für einen erfolgreichen Umweltschutz

(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist Rot-Grün!)

ist der Dialog zwischen Naturnutzern und Naturschüt-
zern. Ich denke, mit der jetzt verabschiedeten Novellie-
rung werden Sie diesem Ziel nicht gerecht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer wie Sie, Herr Minister, erklärt, Teile des Münster-

landes und Teile der Region Niedersachsen, die dort an-
grenzen, haben aufgrund einer bestimmten Form der in-
dustrialisierten Landwirtschaft mit Natur genauso viel zu
tun wie Schalke, zeigt doch nur, dass er weder die Gar-
tenlandschaft des Münsterlandes noch die bäuerliche
Landwirtschaft kennt, ganz zu schweigen davon, dass er
Schalke nicht kennt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD)


Der Gesamthaushalt des BMU beweist, wie wenig
wichtig dieser rot-grünen Regierung der Umweltschutz
ist.


(Rainer Brinkmann [Detmold] [SPD]: Sie haben von Umweltschutz keine Ahnung!)


– Zum Glück muss ich die Beurteilung nicht Ihnen über-
lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulrike Mehl [SPD]: Doch, Herr Borchert!)


– Zum Glück nicht.
Meine Damen und Herren, der BMU-Haushalt 2002

dient mittlerweile nur noch der Befriedigung von ideolo-
gischen Zielen.


(Widerspruch bei der SPD)

Von kreativen und innovativen Ideen ist keine Spur. Statt
Fortschritt gibt es nur Rückschritt. Ihre Umweltpolitik ist
und bleibt erfolglos. Wir lehnen daher diesen Haushalt ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Ihre Rede gehört ins Endlager!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420415400
Das Wort hat nun die
Kollegin Waltraud Lehn für die SPD-Fraktion.


Waltraud Lehn (SPD):
Rede ID: ID1420415500
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-
ber Herr Borchert, zum wiederholten Mal muss ich sagen:
Wer den Umweltbereich gestaltet und nicht nur verwaltet,
der kommt an der Einflussnahme auf andere Ressorts
doch überhaupt nicht vorbei.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Vernetzung anstelle von Ressorteigennutz, Querdenken an-
stelle von Kästchendenken, weg von der Beschränkung im
Kopf: Das haben wir mit der Verankerung von Umwelt-
ausgaben in anderen Einzelplänen hervorragend gemacht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Jede Mark, die im Haushalt für Wirtschaft, für Bildung
und Forschung, für Verbraucherschutz oder für Gesund-
heit ausgegeben wird, ist für den Umweltschutz eine ge-
lungene Investition. Damit steigen die Ausgaben für den
Bereich Umwelt weit überproportional.

Dass Sie das nicht gerne sehen und versuchen, das
schlecht zu machen,


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das machen wir nie! Schlechtmachen kommt nicht infrage!)


kann ich ja noch nachvollziehen, aber nicht die plumpen
Mittel, Herr Borchert. Sie sollten sich einmal eine andere
Strategie überlegen, vielleicht macht das mehr Eindruck.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Haushalt 2002 ist ein guter Haushalt für die Um-
welt. Gegenüber dem Regierungsentwurf haben die Ko-
alitionsfraktionen das Gesamtvolumen um rund 7,5 Mil-
lionen Euro auf 550,1 Millionen Euro erhöht. Wir setzen
fort, was wir mit dem Regierungsantritt von Rot-Grün vor
drei Jahren begonnen haben: Haushaltskonsolidierung
und effektive Umschichtung der Mittel sowie Neues dort,
wo es geboten ist.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wo haben Sie das denn, bitte?)


Wir setzen klar Prioritäten: weg von der Kernenergie,
ohne die Sicherheit während des Ausstiegs und danach zu
vernachlässigen,


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

hin zu umweltpolitisch wichtigen Vorhaben. Das bedeutet
Kürzungen vor allem im Endlagerbereich, Herr Borchert,
und zwar ebenso gewollt wie sinnvoll.


(Beifall bei der SPD)

Die von Ihnen genannten Einsparungen in der Größen-
ordnung von nahezu 10 Prozent sind ausschließlich Ein-
sparungen im Endlagerbereich. Hierauf sind wir stolz und
das werden wir auch fortsetzen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Nicht mehr lange!)





Jochen Borchert
20170


(C)



(D)



(A)



(B)


– Ganz sicher lange, Herr Paziorek!
Dem stehen Umschichtungen und Erhöhungen der

Mittel gegenüber: bei der Projektförderung für die Um-
welt- und Naturschutzverbände, bei den Erprobungs- und
Entwicklungsvorhaben im Naturschutz, beim BMU-
Beratungshilfeprogramm für den Umweltschutz in den
Staaten Mittel- und Osteuropas, für die Klimakonferenz
im nächsten Jahr, bei Projekten der Deutschen Energie-
Agentur, bei Projekten der bundesweiten Servicestelle für
die lokale Agenda 21, beim Umbau des Alten Hochhauses
in Bonn zur Nutzung von UN-Sekretariaten, beim Vollzug
des novellierten Bundesnaturschutzgesetzes durch
zusätzliche Stellen für das Bundesamt für Naturschutz
und beim nuklearen Notfallschutz durch zusätzliche Stel-
len beim Ministerium und beim Bundesamt für Strahlen-
schutz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Endlagerbereich konnten die Ausgaben aufgrund
der erfolgreich abgeschlossenen Konsensverhandlungen
mit den Energieversorgungsunternehmen über den Atom-
ausstieg deutlich reduziert werden. Sie sinken von
179,7 Millionen Euro im Jahr 2001 auf 137,1 Milli-
onen Euro im nächsten Jahr.


(Rainer Brinkmann [Detmold] [SPD]: Das ist Umweltpolitik, Herr Borchert!)


Das ist eine Absenkung um 23,7 Prozent. Genau da gehört
bei einem Konsolidierungs- und Umschichtungshaushalt
die Einsparung auch hin.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung setzt mit diesem Haushalt ihre
erfolgreiche Umweltpolitik fort. Dies gilt vor allem für
den Klimaschutz. Unser Klimaschutzprogramm zeigt,
dass es eine breite Palette von Handlungsmöglichkeiten
zur Reduzierung der CO2-Emissionen gibt. Es macht auchdeutlich, dass in allen Bereichen, die durch ihren Ener-
gieverbrauch CO2-Emissionen erzeugen, erhebliche Ein-sparungen möglich sind.

Zu den Maßnahmen, die bisher umgesetzt wurden,
gehören die ökologische Steuerreform


(Zuruf von der CDU/CSU: Rahmenbedingungen!)


– ich spreche gerade von den Rahmenbedingungen –, das
Erneuerbare-Energien-Gesetz, das Markteinführungspro-
gramm, das 100 000-Dächer-Programm, das Gesetz zum
Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung und die Energie-
einsparverordnung. Im internationalen Vergleich steht
Deutschland mit diesem Programm an der Spitze. Das
mag Ihnen passen oder nicht, aber so ist es.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben damit in drei Jahren mehr für den Klimaschutz
getan, als die alte Regierung in 16 Jahren davor.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


– Ich habe selten einen so konstruktiven Beitrag des Sich-
selber-Auslachens erlebt!

Der Klimaschutz ist heute kein Randthema mehr. Er
steht im Mittelpunkt der Arbeit der Bundesregierung und
auch dieses Parlamentes. Dies wird auch außerhalb des
Umwelthaushaltes deutlich. So wird das erfolgreiche
Marktanreizprogramm zur Förderung erneuerbarer Ener-
gien von uns auf hohem Niveau weitergeführt.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wer es glaubt, wird selig!)


– Das ist keine Frage des Glaubens, sondern eine Frage
des Wissens.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leute, ihr müsst einfach mal lesen!)


Wir haben die entsprechenden Mittel für den Haushalt
des Bundeswirtschaftsministers – er ist heute hier beraten
worden – für das kommende Jahr von 100 auf 200 Milli-
onen Euro erhöht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie müssen nicht unsachlich dazwischenplappern, son-
dern das einfach einmal zur Kenntnis nehmen, zumal das
etwas ist, was hier schon behandelt wurde.

Wir haben zusätzlich 2,5 Millionen Euro für eine Kli-
maschutzkampagne, die die Deutsche Energie-Agentur
entwickeln und durchführen wird, in den Haushalt des
BMU aufgenommen. Diese Kampagne soll vor allem in
Privathaushalten für die Akzeptanz des Klimaschutzes
werben; denn erfolgreicher Klimaschutz ist nicht nur eine
Sache von Politik und Industrie. Wenn wir unser Ziel er-
reichen wollen, müssen alle Teile der Gesellschaft dafür
gewonnen werden mitzumachen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Bluten und ausbeuten!)


Wie sich die Welt nach dem 11. September verändert
hat, zeigt sich in vielen Bereichen immer deutlicher. Der
schreckliche Terrorakt hat auch Auswirkungen auf die
Energiepolitik. Über das Gefahrenpotenzial von Atoman-
lagen muss neu nachgedacht werden – in der Politik ge-
nauso wie bei den Betreibern. Mit dem beschlossenen
Atomausstieg sind wir auf dem richtigen Weg, aber noch
nicht am Ziel.

Wir haben im Haushalt 2002 reagiert und die finanzi-
ellen Mittel für acht neue Stellen für den nuklearen Not-
fallschutz, die beim Bundesamt für Strahlenschutz und
beim BMU eingerichtet werden, zur Verfügung gestellt.
Sanfte Energien wie Sonnenkraft- und Windenergie sind
nicht nur klimafreundlich,


(Cajus Caesar [CDU/CSU]: Wo bleibt die Natur?)


ihre dezentrale Organisation macht sie auch weniger ver-
wundbar und anfällig für terroristische oder militärische
Angriffe.


(Jochen Borchert [CDU/CSU]: Sie haben ja keine Ahnung!)





Waltraud Lehn

20171


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir sind mit unserem Klimaschutzprogramm auf dem
richtigen Weg. Der Haushalt 2002 setzt die richtigen Ak-
zente zur Unterstützung dieses Weges.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, wir verstärken auch und gerade beim Naturschutz
weiterhin unsere Anstrengungen. Das Bundesamt für Na-
turschutz erhält 2002 acht neue Stellen als zweite Rate der
bereits im Haushalt 2001 beschlossenen Personalverstär-
kung von insgesamt 20 Stellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Außerdem erhält das Amt fünf neue Dauerstellen und vier
Zeitstellen, um die Aufgaben zu übernehmen,


(Cajus Caesar [CDU/CSU]: Nur Personal, keine praktischen Ressourcen!)


die es durch die Umsetzung des neuen Bundesnatur-
schutzgesetzes erhält. Allein hierfür haben wir außerdem
Sachmittel in Höhe von 1,26 Millionen Euro bereitge-
stellt.

Das Bundesnaturschutzgesetz ist ein Beleg für unsere
erfolgreiche Umweltpolitik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Es ist ein Irrweg!)


Nach 16 Jahren Stillstand beim Naturschutz erhält dieser
vernachlässigte Politikbereich endlich die Bedeutung, die
ihm zusteht. Durch die grundlegende Novellierung des
Naturschutzrechtes ist der Weg für eine umfassende
Modernisierung und Verbesserung des Naturschutzes in
Deutschland frei geworden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jochen Borchert [CDU/CSU]: Wie kann man in so kurzer Zeit nur so viel dummes Zeug reden!)


Die Bedeutung, die wir dem Naturschutz beimessen, zeigt
sich deutlich in der erneuten Erhöhung der Projektförder-
mittel für die Umwelt- und Naturschutzverbände. Sie stei-
gen um 17 Prozent. Herr Borchert, im Vergleich zu 1998
ist das eine Steigerung von 60,6 Prozent. Das ist das
Thema und das sind Zahlen, die belegbar sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dass die Verbände sinnvolle Projekte für Umwelt und
Natur eigenverantwortlich und fachkompetent durch-
führen können, haben sie bewiesen. Umwelt und Natur-
schutz ist nicht allein Aufgabe der Politik. Es ist ein ge-
samtgesellschaftliches Anliegen und muss einer breiten
Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Wegen des
anhaltenden Bedarfs erhöhen wir den Ansatz für Erpro-
bungs- und Entwicklungsvorhaben im Naturschutz von
4,4 auf 5,7 Millionen Euro.


(Beifall der Abg. Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Durch das neue Bundesnaturschutzgesetz werden un-
ter anderem die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass
ein umweltfreundlicher Ausbau der Windenergienut-

zung auf dem Meer vollzogen werden kann. Da die
Windenergie an Land mangels zusätzlich geeigneter Stand-
orte nicht in ausreichendem Maße ausbaubar ist, muss die
Windenergieerzeugung auf den Meeresbereich in der
AWZ, also in der ausschließlichen Wirtschaftszone, aus-
gedehnt werden. Eine circa 30 Prozent höhere Windaus-
beute der Offshore-Standorte gegenüber Standorten an
Land und ein gleichmäßigeres Windaufkommen sprechen
genau für dieses Vorgehen. Nur wenn dieses Potential voll
genutzt wird, können wir unser ehrgeiziges Ziel erreichen,
den Anteil der erneuerbaren Energien bis zum Jahre 2010
zu verdoppeln.


(Beifall bei der SPD und dem [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] – Ulrich Kelber [SPD]: Das werden wir noch übertreffen!)


Nach Berechnungen des BMU sind in der Startphase
bis 2007 circa 500 Megawatt installierter Leistung auf See
möglich. Langfristig sollen 15 Prozent des gesamten
Stromverbrauchs erzeugt werden. Voraussetzung hierfür
sind die Erschließung geeigneter Standorte auf See und
klar definierte Rahmenbedingungen, die sowohl Planern
als auch Investoren Sicherheit geben. Hierzu gehört die
zügige Umsetzung des europäischen Naturschutzrechtes,
und zwar durch Ausweisung von Schutzgebieten nach der
FFH-Richtlinie und unter Beachtung der Vogelschutz-
richtlinie.

Diese neue Aufgabe, die auch das Management der
Schutzgebiete einschließt, wird das Bundesamt für Natur-
schutz übernehmen. Damit stellen wir sicher, dass bei der
Standortwahl neben den Belangen der Schifffahrt sowie
wirtschaftlicher und militärischer Nutzungen auch die
Belange des Natur- und Umweltschutzes angemessen
berücksichtigt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben einer Energiepolitik zum Durchbruch ver-
holfen, die auf drei Säulen beruht: einer konsequenten Ener-
gieeinsparung, einer Steigerung der Energieeffizienz und
einer Entwicklung alternativer Energien. Durch diese zu-
kunftsweisende Politik werden sowohl die natürliche
Ressourcen geschont als auch Klimaschäden vermindert.


(Monika Ganseforth [SPD]: Und Arbeitsplätze geschaffen!)


– Es werden Arbeitsplätze geschaffen. Das ist ohne Frage
richtig. Denn gerade im Bereich der Windenergie zeigt
sich eine deutliche Zunahme. Hier sind wir weltweit Spit-
zenreiter.


(Beifall bei der SPD – Dr. Peter Paziorek CDU/CSU: Oh, das hat euer Chaosminister bei seiner Pressekonferenz aber anders erklärt!)


Zusammenfassend stelle ich fest, dass der Bundes-
haushalt 2002 klare Akzente in der Umweltpolitik setzt.
Im Mittelpunkt stehen eine wirksame Klimaschutzpolitik
und ein verbesserter Naturschutz. Der Haushalt ist eine
hervorragende Grundlage, unsere erfolgreiche Umwelt-
politik auch im kommenden Jahr und in den Jahren da-
nach fortzusetzen.


(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)





Waltraud Lehn
20172


(C)



(D)



(A)



(B)


Wie auch in den zurückliegenden drei Jahren folgt sie
damit unserem Grundsatz, nicht nur auf Fehler und Um-
weltkatastrophen zu reagieren. Wir setzen auf präventive
Maßnahmen und agieren gezielt, um zukünftige Belas-
tungen der Umwelt zu vermeiden.

Zum Schluss möchte ich mich bei meinen Mitbericht-
erstattern Frau Ehlert, Herrn Borchert, Herrn Metzger und
Herrn Koppelin für die gute Zusammenarbeit bedanken.
Dieser Dank richtet sich auch an Herrn Minister Trittin
und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seines Hauses,
insbesondere des Haushaltsreferates, die mich auch in
diesem Jahr auf gewohnt kompetente Weise schnell und
effektiv unterstützt haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420415600
Ich erteile nun der
Kollegin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion das
Wort.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1420415700
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Borchert von der
CDU/CSU-Fraktion hat hier schon einiges zur Bedeutung
dieses Haushaltes gesagt. Ich kann das nur unterstreichen.
Ich will nicht alles wiederholen. Natürlich ist das Thema
Umwelt eine Querschnittsaufgabe. Insofern anerkennen
wir auch, dass eine Reihe von Mitteln in anderen Haus-
halten als dem Umwelthaushalt eingestellt ist. Trotzdem,
Herr Minister Trittin, ist dieser Umwelthaushalt, so wie er
uns vorgelegt worden ist, ein Sinnbild für die inhaltliche
Verstümmelung und geistige Verarmung der Umweltpoli-
tik, seit Sie Minister sind.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die FDP bietet demgegenüber schlüssige Konzepte für

die Umweltpolitik mit klaren Prioritäten.

(Zurufe von der SPD: Oh!)


Wir setzen vor allen Dingen auf Glaubwürdigkeit und Zu-
kunftsorientierung. Für uns steht bei der Umweltpolitik
der Mensch im Mittelpunkt. Die FDP versteht Umwelt-
politik als Auftrag, auch die Lebensqualität für Bürgerin-
nen und Bürger zu verbessern.

Dem steht eine lebensabgewandte grüne Verzichts-
und Verbotsideologie gegenüber, die Sie nach wie vor be-
treiben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Angesichts Ihrer Politik möchte ich Ihnen sehr deutlich
sagen, dass Umweltschutz eben keinen grünen Oberlehrer
braucht,


(Beifall bei der FDP)

der auf der einen Seite die Bürgerinnen und Bürger mit
Verboten und bürokratischen Vorschriften schikaniert und
sie auf der anderen Seite mit einer unglaubwürdigen und
nicht funktionsfähigen Ökosteuer schamlos abkassiert.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir vonseiten der FDP haben ein klares Konzept für
die Klimapolitik.Wir haben hier mehrfach die Ratifizie-
rung des Kioto-Protokolls beantragt. Wir wollen vor allen
Dingen eines, nämlich dass die flexiblen Instrumente des
Kioto-Protokolls, dass die Emissionszertifikate endlich
auch in Deutschland eingeführt werden, dass moderne In-
strumente auch bei uns Verwendung finden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Heute habe ich mit großem Interesse in der Zeitung ge-

lesen, dass Sie, Herr Kollege Loske von den Grünen, auch
dafür sind.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

schlossen!)

Dazu kann ich nur sagen, dass ich das von Ihnen persön-
lich schon lange weiß. Willkommen im Klub!

Jetzt möchte ich einmal vorlesen, mit was Sie wörtlich
zitiert werden:

„Wenn der Emissionshandel funktioniert, könnten
wir die Ökosteuer langfristig auf dem jetzigen Ni-
veau einfrieren“ ...

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ich dachte, abschaffen!)

In dem Artikel heißt es weiter:

Der Staat müsse dann nur noch konkrete Redukti-
onsverpflichtungen vorschreiben und könne es den
Unternehmen überlassen, „wo und wie sie Energie
und Emissionen einsparen.“ Auf diese Weise könne
eine „ausgezeichnete ökologische Lenkungswir-
kung“ erzielt werden. Die Praxis habe gezeigt, so
Loske, dass die Ökosteuer in der Industrie „nicht op-
timal zur Wirkung kommt.“

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Aha! – Ernst Burgbacher [FDP]: Hört! Hört!)


Herr Kollege Loske, das ist – wenn auch in anderen
Worten – exakt die Argumentation, die die FDP seit Mo-
naten und Jahren hier in diesem Plenum vorträgt.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Und die CDU/CSU auch!)


Seit Monaten und auch schon seit der gesamten Legisla-
turperiode haben Sie immer wieder Anträge der FDP-
Bundestagsfraktion, die die gleiche Forderung zum Inhalt
hatten, abgelehnt,


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Er konnte sich nicht durchsetzen! – Christoph Matschie [SPD]: Es waren schlechte Anträge!)


zuletzt im Juni, als wir kurz vor der Klimakonferenz in
Bonn eben diesen Antrag eingebracht haben. Auf zwei
Anfragen, die wir zu diesem Thema gestellt haben, haben
wir keine befriedigenden Antworten erhalten. Das ist
kennzeichnend dafür, dass Sie immer auf der einen Seite
sagen, dass Sie das machen wollen, auf der anderen Seite
aber keine Verbündeten haben, weder bei Herrn Trittin
noch bei der SPD.




Waltraud Lehn

20173


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich habe mit Interesse Ihren Bundesparteitag verfolgt.

(Ulrike Mehl [SPD]: Dann haben Sie etwas gelernt!)

Dort haben Sie wunderbare Beschlüsse zur Umweltpoli-
tik gefasst. Ich habe alle dabei, unter anderem einen vier-
seitigen Beschluss zur Energiepolitik. Darin steht aber
nicht ein Wort über die modernen Instrumente, das Kioto-
Protokoll oder die Emissionszertifikate. Statt dessen geht
es nur um die Ökosteuer. Ihnen fällt nichts anderes sein.
Sie hinken Ihrer Zeit weit hinterher.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Rückwärts gewandt! So sind Sozialdemokraten!)


Deswegen wäre es gut, wenn sich auch die SPD einmal
mit diesen Instrumenten beschäftigen würde, wenn man
sie demnächst einführen will. Dies wird kommen, ob Sie
wollen oder nicht. Die EU-Kommission will mit dem
Zertifikatehandel ab dem Jahr 2005 beginnen.


(Monika Ganseforth [SPD]: Können Sie nicht einmal eine neue Platte auflegen! Das ist immer wieder das gleiche Thema! – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das kann man immer wieder hören! Das ist gut!)


– Wissen Sie, Frau Ganseforth, im Gegensatz zu Ihnen bin
ich der Meinung, dass die Klimapolitik ein ganz entschei-
dender, wenn nicht gar der entscheidende Punkt in der
Umweltpolitik ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Deswegen werde ich hier nicht müde, das – auch wenn

Sie es nicht mehr hören können – so oft zu wiederholen,

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Bis wir an der Regierung sind!)

bis Sie es machen werden. Herr Loske fordert jetzt das-
selbe. Ich freue mich darüber. Irgendwann werden Sie das
tun, was wir schon lange wollen. Dann sind wir am Ziel.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Monika Ganseforth [SPD]: Eindimensional wie die ganze FDP!)


Wichtig ist an dieser Stelle, dass man die Chancen er-
kennt, die sich durch den Handel mit Emissionszertifika-
ten bieten, nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland,
sondern auch für Entwicklungs- und Transformations-
länder. Hierdurch entsteht eine attraktive Möglichkeit,
aktiv am Welthandel teilzunehmen, dabei gleichzeitig
substanzielle Beiträge zum Klimaschutz zu leisten und
die wirtschaftliche Situation des eigenen Landes zu ver-
bessern. Hier gibt es wirklich viele Möglichkeiten. Wir
wollen, dass bilaterale Zusammenarbeit in Klimaprojek-
ten verstärkt wird und dass Emissionsminderungen, die
auf diesem Weg erzielt worden sind, angerechnet werden
können. Andere Länder tun das längst. Auch wir sollten
das bei uns endlich aufgreifen. Ich bin der Meinung, dass
hier dringend gehandelt werden müsste.


(Christoph Matschie [SPD]: Wer tut das denn nicht?)


Es ist in dieser Angelegenheit wirklich bemerkenswert
– das geht noch einmal an Herrn Trittin –, dass Deutsch-
land bei dieser ganzen Geschichte überrollt wird. Auch ist
bemerkenswert, dass es in der Zwischenzeit für die Frage
der bilateralen Zusammenarbeit einen Arbeitsstab gibt,
der im Auswärtigen Amt und nicht im Umweltministe-
rium eingerichtet wurde. Das ist kennzeichnend, weil kei-
ner dem Umweltministerium mehr zutraut, dass es hier
weiterkommt.


(Beifall bei der FDPsowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christoph Matschie [SPD]: Umweltpolitik ist eine Querschnittsaufgabe!)


Nichts als altbackene Konzepte und Subventionsmo-
delle!


(Rainer Brinkmann [Detmold] [SPD]: Eindeutig besser als Ihre!)


Ich habe den Eindruck, dass zwischenzeitlich auch Minis-
ter Ihrer Regierung dem zustimmen. Was sagen Sie zu
dem, was im Augenblick in Düsseldorf passiert? In Düs-
seldorf weigern sich Bundes- und Landeseinrichtungen,
Zuschläge auf die Stromrechnung zu zahlen, mit denen
die Stadtwerke die Mehrkosten aufgrund des EEG und des
Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes an die Kunden weiter-
geben.

Mit zu denen, die sich weigern, zu zahlen, gehören Ihre
Minister Scharping und Müller. Zumindest bei Herrn
Scharping bin ich mir ziemlich sicher, dass er noch nicht
aus der SPD ausgetreten ist. Deswegen würde es mich
interessieren, wie Sie dazu stehen. Auf der einen Seite
preisen Sie in Ihrer Haushaltsrede wieder einmal die
großen Errungenschaften, die Sie alle erreicht haben. Auf
der anderen Seite sind Ihre eigenen Leute nicht bereit, die
Mehrkosten zu tragen. Das ist eine Tatsache.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vor einer guten Woche wäre die rot-grüne Koalition

um ein Haar an der Außenpolitik zerbrochen.

(Rainer Brinkmann [Detmold] [SPD]: Frau Homburger, seien Sie redlich!)

Kaum ist dies überwunden, streiten Sie weiter. Dieses Mal
ist es die Energie- und Umweltpolitik. Wirtschaftsminis-
ter Müller hat schon vor Monaten einen Energiebericht
geschrieben, der auf Intervention des Kanzlers nachge-
bessert werden musste. Jetzt wurde der Bericht aus dem
Giftschrank unbequemer Wahrheiten herausgeholt. Er un-
terstreicht nämlich, dass Klimapolitik mit altbackenen
Subventionsmodellen, bürokratischen Klein-Klein-Maß-
nahmen und wirkungsloser Ökosteuer die Ziele nicht er-
reicht und vor allen Dingen unbezahlbar ist.

Was passiert bei Ihnen? Kindisches Wutgeheul – an-
ders kann man das nicht nennen –,


(Lachen bei der SPD)

anstatt den Bericht Ihres eigenen Ministers als Anlass zu
nehmen, über diese Dinge nachzudenken. Fakt ist: Auch
in der Energiepolitik wissen Sie nicht, welchen Weg Sie
gehen sollen. Deshalb erwartet die FDP in der Debatte ein




Birgit Homburger
20174


(C)



(D)



(A)



(B)


klares Wort: Stehen Sie hinter der Energiepolitik Ihres Mi-
nisters Müller oder hinter der Chaospolitik von Trittin?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dasselbe gilt für den Bereich der Abfallpolitik. Auch

hier hat die FDP im Deutschen Bundestag Anträge zur
marktwirtschaftlichen Neuordnung eingebracht. Auch in
der Abfallwirtschaft muss der Weg der Liberalisierung
und Marktorientierung entschlossen beschritten werden.
Umweltminister Trittin hat stattdessen auf Bürokratie und
Gängelung der privaten Wirtschaft gesetzt.


(Rainer Brinkmann [Detmold] [SPD]: Die Anträge waren „richtungsweisend“! – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Paziorek [SPD]: In die falsche Richtung, meint ihr!)


– Herr Brinkmann, Sie brauchen gar nicht immer dazwi-
schenzurufen. – Die SPD hätte es gerne noch weiter ge-
trieben und an Markt und Wettbewerb sogar das beseitigt,
was in den vergangenen Jahren mühsam erreicht worden
ist.

Wieder rollt ein rot-grüner Zankapfel: Es zieht sich
durch alle Politikbereiche. Sie sind sich in dieser Koali-
tion nicht einig, was Sie machen sollen. Es gab einen Gip-
fel der Koalitionsfraktionen. Dort wurde der rote Ge-
setzentwurf schließlich weggeschlossen.


(Rainer Brinkmann [Detmold] [SPD]: Überhaupt nicht!)


Zwischenzeitlich hat man sich auf eine Verordnung geei-
nigt. Jetzt versuchen Sie, bei dieser Verordnung all das
durchzubringen, was Sie in einem Gesetz nicht haben
durchsetzen können.

Bei der Abfallpolitik sind wir von der FDP der Mei-
nung: Es muss endlich zur Kenntnis genommen werden,
dass sich die Zeiten geändert haben. Es gilt, wettbewerb-
liche Strukturen zu gewährleisten, um Kosten senkende
Markt- und Innovationsprozesse anzuregen, die die Ver-
braucher bei gleich bleibend hohem Umweltstandard ent-
lasten.


(Beifall bei der FDPsowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rainer Brinkmann [Detmold] [SPD]: Das haben wir doch schon längst gemacht!)


Eine letzte Bemerkung zum Thema Naturschutz.Wir
fordern ganz klar und deutlich mehr Kooperation mit den
Betroffenen durch freiwillige Maßnahmen und Vertrags-
naturschutz statt Dirigismus.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Gegensatz dazu setzen Sie mit dem jetzt beschlosse-
nen Bundesnaturschutzgesetz wieder auf staatliche Aufla-
gen. Sie werden mit diesem Gesetz ebenfalls das Gegen-
teil dessen erreichen, was Sie erreichen wollen. Es wird
nicht mehr, sondern weniger Naturschutz geben.

Deswegen sage ich Ihnen abschließend: Der Natur-
schutz braucht kein grün-ideologisches Reservatsdenken
mit Trittin als Aufseher am Zaun.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Der Naturschutz braucht Sachverstand statt Gängelung.
Die Umweltpolitik braucht Kompetenz statt grünen Diri-
gismus. Dafür werden wir weiterhin eintreten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420415800
Das Wort hat nun der
Kollege Dr. Reinhard Loske für Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420415900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau
Homburger, das immer wieder auftretende Problem ist
– das gilt auch für den Zertifikatehandel –, dass man
zwischen Zielen und Instrumenten unterscheiden muss.
Sie reden nicht über die Ziele. Sie reden nicht über die Ef-
fizienzrevolution, die Solarenergie, die Kreislaufwirt-
schaft und den nachhaltigen Landbau. Bei diesen Zielen
stehen wir alleine. Hier machen Sie nicht mit. Sie reden,
wie gesagt, nur über die Instrumente. Das geht voll am
Ziel vorbei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Birgit Homburger [FDP]: Wir sind uns über die Ziele einig, aber nicht über die Instrumente!)


– Die Instrumente sind wichtig. Natürlich spielt auch der
Zertifikatehandel eine gewisse Rolle. Nur, die Kehrseite
der Medaille ist die Festlegung der Ziele; denn handeln
kann man nur mit den Dingen, die wir, der Gesetzgeber,
quantitativ und qualitativ definiert haben. Dazu hört man
von Ihnen überhaupt nichts. Sie huldigen nur dem Instru-
ment des Zertifikatehandels. Das können Sie in jeder Sit-
zung anbeten. Aber das geht wirklich an der Sache vorbei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Birgit Homburger [FDP]: Wir sind einheitlich der Meinung: 25 Prozent im Jahr 2005!)


– Rufen Sie bitte nicht so viel dazwischen. Das, was Sie
hier machen, verstößt gegen die Emissionsschutzverord-
nung; denn Sie sind wirklich arg laut.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte angesichts der Tatsache, dass heute die
letzte Haushaltsberatung in dieser Legislaturperiode statt-
findet, die Gelegenheit nutzen, um den Zeitraum von
1998, als wir an die Regierung gekommen sind, bis heute
ins Visier zu nehmen. Es ist vollkommen klar, dass wir
uns über die Atomenergie nicht einig sind und nie einig
werden, weil Sie für ihren Einsatz sind und sie für harm-
los halten


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: „Harmlos“ hat doch keiner gesagt!)


und wir hingegen der Meinung sind, dass alle Atomreak-
toren abgeschaltet werden müssen. Aber darüber möchte
ich gar nicht diskutieren. Ich möchte gerne die Punkte in
den Vordergrund stellen, über die vor 1998 Einigkeit be-
stand und die in verschiedenen Dokumenten und Berich-




Birgit Homburger

20175


(C)



(D)



(A)



(B)


ten niedergeschrieben sind, und darstellen, wie Sie sich
verhalten haben. Ich werde der Opposition quasi die
Glaubwürdigkeitsfrage stellen – das ist ein sehr beliebtes
Spiel, das Sie sonst zu Recht mit uns spielen; dieses Spiel
spiele ich jetzt mit Ihnen –, ob sich das, was Sie jetzt ma-
chen, mit dem deckt, was Sie früher gesagt haben.


(Birgit Homburger [FDP]: Ja! Hundertprozentig!)


– Mein Gott, dieses ständige Gequake stört unheimlich.
Das ist furchtbar.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Ernst Burgbacher [FDP]: Das mit dem Gequake nehmen Sie zurück! Ein Flegel! – Birgit Homburger [FDP]: Quaken können nur Frösche!)


– Lassen Sie mich doch einmal ausreden. Dann können
wir die Argumente austauschen.

Ich möchte die Energiewende, die Landbauwende, die
Verkehrswende und die Wende in der Kreislaufwirtschaft
als Beispiele nehmen. Es hat doch immer Einigkeit darü-
ber geherrscht, dass die Energiewende – die Kollegin
Lehn hat, wie ich finde, zu Recht darauf hingewiesen –
drei Standbeine hat: die Energieeffizienz, die Energie-
einsparung und die erneuerbaren Energien. Darüber
herrschte, wie gesagt, bisher Einvernehmen. Was haben
wir bei der Energieeffizienz gemacht? Wir fördern die
Kraft-Wärme-Kopplung. Wer ist dagegen? – Die Opposi-
tionsparteien!


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Aber nicht grundsätzlich!)


Wir fördern die erneuerbaren Energien mit dem 100 000-
Dächer-Programm, mit dem Marktanreizprogramm und
mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz. Wer ist dage-
gen? – Die Oppositionsparteien! Wir fördern die Ener-
gieeinsparung mit verschiedenen Instrumenten, zum Bei-
spiel mit der Energiesparverordnung. Wer ist dagegen? –
Die Oppositionsparteien! Wir haben eine ökologische
Steuerreform durchgeführt und haben die Abgabenlast auf
den Faktor Arbeit gesenkt. Wer stimmt dagegen? – Die
Oppositionsparteien! Wir haben für die Altbausanierung
Fördermittel zur Verfügung gestellt, was dazu führen
wird, dass in den nächsten drei bis vier Jahren 10 Milliar-
den bis 12 Milliarden DM im Bereich der Altbausanie-
rung mobilisiert werden. Wer war dagegen? – Die Oppo-
sitionsparteien!

Ich konstatiere: Im Bereich der Energiewende steht
das, was Sie in den letzten drei Jahren im Parlament ge-
macht haben, in diametralem Widerspruch zu dem, was
Sie früher gemacht haben. Sie sind in dieser Frage total
unglaubwürdig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420416000
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulling-Schröter
von der PDS? Sie fühlt sich nämlich auf den Schlips
getreten, weil Sie die ganze Opposition angesprochen
haben.


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420416100

Selbstverständlich.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420416200
Bitte sehr, Frau Kol-
legin.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1420416300
Herr Kollege Loske,
können Sie bestätigen, dass nur ein Teil der Opposition
dem EEG nicht zugestimmt hat und die Solarenergie nicht
unterstützt und dass es die PDS war, die diesem Gesetz
zugestimmt hat und die Solarenergie unterstützt?


(Beifall bei der PDS)



Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420416400

Das konzediere ich jederzeit. Ich habe außer Acht gelas-
sen, dass die PDS in ihren Forderungen noch weit über
uns hinausgeht.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist aber gefährlich, was sich hier anbahnt!)


Ich fasse diesen Blick zurück zusammen: Bei allen
Projekten im Zusammenhang mit dem Thema Energie-
wende, über die wir uns früher einig waren und zu denen
in der Enquete-Kommission die Voten immer einstimmig
ausfielen – Effizienz, Einsparung, Erneuerbarkeit –, ha-
ben Sie nicht mitgemacht. Insofern wurden Sie Ihrer Ver-
antwortung nicht gerecht. Das halte ich hier fest.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Peter Paziorek [CDU/ CSU]: Das richtet sich gegen die Ausgestaltung, nicht gegen das Ziel!)


– Nein, nicht nur bei der Ausgestaltung. Sie sind nicht nur
bei den Instrumenten, sondern auch bei den Zielen gene-
rell nicht mitgegangen.

Auch beim Naturschutz gab es früher bestimmte Über-
einstimmungen. Das erste Einvernehmen bestand da-
rüber, dass Naturschutz nicht mehr gegen die Landwirt-
schaft gemacht werden soll,


(Cajus Caesar [CDU/CSU]: Das machen Sie ja!)


sondern dass man versuchen soll, qualitative Regeln zu
entwickeln, wie Landwirtschaft aussehen muss, damit sie
naturverträglich ist. Zweitens bestand Einvernehmen da-
rüber, dass wir im Sinne der Bürgergesellschaft den Men-
schen, den Verbänden und Organisationen die Mitarbeit
ermöglichen. Drittens wollten wir mehr Transparenz.


(Cajus Caesar [CDU/CSU]: Wo denn? Bürokratie!)


Derjenige, der Produkte aus ökologischem Landbau kau-
fen will, soll das auch können; dies bedeutet Konsumen-
tenautonomie. Das alles war Teil der Agrarwende.

Ich fasse zusammen, was wir diesbezüglich im Bundes-
naturschutzgesetz gemacht haben: Wir haben qualitative
Regeln formuliert, wie eine Landwirtschaft aussieht, die
nachhaltig und naturverträglich ist. Wir machen das nicht
gegen die Bauern,


(Cajus Caesar [CDU/CSU]: Nur gegen!)





Dr. Reinhard Loske
20176


(C)



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sondern wir formulieren Regeln. Derjenige, der sich an
diese Regeln hält, befindet sich in Übereinstimmung mit
dem Gesetz. Wer ist dagegen gewesen? – Die Opposition!
Das heißt, alles, was Sie früher gesagt haben, waren leere
Worthülsen. Als es um die Sache ging, waren Sie wieder
einmal dagegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Cajus Caesar [CDU/CSU]: Das ist Polemik!)


– Das ist keine Polemik, sondern lediglich eine Beschrei-
bung des Sachverhalts. Auch die Naturschutzverbände sa-
gen, dass Sie gegen die Bürgergesellschaft, die vielbe-
schworene Zivilgesellschaft sind. Wir haben doch im
Prinzip nur einen Standard geschaffen,


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist jetzt Verniedlichung!)


damit diejenigen in unserer Gesellschaft, die sich für den
Naturschutz einsetzen und denen wir dafür dankbar sein
müssen, mehr Mitsprache- und Teilhaberechte bekom-
men. Wer war dagegen? – Die Opposition!

So war es auch beim ökologischen Landbau. Es ist
gerade ein Jahr her, dass es den ersten BSE-Fall gab. Jetzt
tun Sie schon wieder so, als hätte es die Agrarkrise nie ge-
geben und als wäre der ökologische Landbau nur ein rand-
ständiges Hirngespinst.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das war eine von euch hochgeredete Krise!)


Das ist Ihr Problem. Der Unterschied zwischen Ihnen von
der CDU/CSU – bei der FDP habe ich es eigentlich schon
aufgegeben – und uns ist folgender: Wir sind wirklich
ernsthaft bemüht, Themen wie erneuerbare Energien, die
sich im Moment im Nischenbereich befinden, oder wie
ökologischer Landbau, der auch nur 2 oder 3 Prozent
ausmacht, aus der Nische herauszuführen, damit sie in
Zukunft nachhaltig wirken können. Diesem Ziel kommen
wir mit dem, was wir in den letzten drei Jahren gemacht
haben, ein ganzes Stück näher. Das möchte ich an dieser
Stelle einmal festhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420416500
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Homburger?


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420416600

Bitte.


(Zurufe von der SPD: Nein!)

– Ich finde es besser, wenn es geregelt verläuft; das muss
ich schon zugeben.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420416700
Ich stimme insofern
zu, als auch ich immer sehr viele Zwischenrufe gemacht
habe. Das ist für den Redner allerdings unangenehm: Es
ist sehr laut. Das darf ich der FDP heute einmal sagen. –
Frau Kollegin, Sie haben das Wort zu einer Zwi-
schenfrage.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1420416800
Frau Präsidentin, ich danke
Ihnen. Ich kann das nur bestätigen. Mir erging es vorhin
von der anderen Seite auch nicht anders.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420416900
Das spricht dafür,
dass wir uns alle ein bisschen zurückhalten.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1420417000
Herr Kollege Loske, wür-
den Sie mir zustimmen, dass Sie eigentlich ein ganz in-
telligenter Bursche sind


(Heiterkeit im ganzen Hause – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist nicht alles!)


und dass Sie deshalb wissen, dass all das, was Sie eben ge-
sagt haben, nicht stimmt, sondern dass wir in den Zielen
übereinstimmen, aber zu allen von Ihnen genannten Punk-
ten andere Konzepte zur Erreichung dieser Ziele vorge-
legt haben? Ich weiß, dass Sie es besser wissen. Jetzt kön-
nen Sie das noch geraderücken.


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1420417100

Ich kann es mir ganz einfach machen:


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Sagen Sie Ja, Herr Loske!)


Den ersten Teil Ihrer Frage beantworte ich mit einem kla-
ren Ja, den zweiten Teil Ihrer Frage mit einem klaren
Nein.


(Heiterkeit im ganzen Hause)

Im Hinblick auf Konzepte ist nicht viel von Ihnen ge-
kommen. Es gab nur Extreme: entweder den etatistischen
Ansatz, also den Glauben, man solle alles über den Staat
machen,


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das sagt die FDP, nicht?)


oder es soll alles von selbst laufen. So aber funktioniert es
nicht. Die Politik muss beides machen: Sie muss den Rah-
men setzen und die Menschen dazu bewegen, das Ganze
umzusetzen. Das ist unser Konzept, während Sie die
Dinge treiben lassen wollen. Das führt ganz einfach nicht
zum Ziel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


So viel zur Agrarwende im Naturschutz. Der tragende
Gedanke des Naturschutzgesetzes ist – das können Sie
uns abnehmen –, dass Naturschutz nicht mehr gegen Na-
turnutzung durchgesetzt werden soll, dass man also um
2 Prozent der Flächen einen großen Zaun zieht und sie von
irgendjemandem bewachen lässt.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Von Trittin!)


Vielmehr wollen wir erreichen, dass durch die Art der
Landnutzung eine attraktive Kulturlandschaft erhalten
bleibt oder entsteht.

Ich komme zum dritten Thema, zur Verkehrswende.
Das ist das wichtigste Thema, weil in ihr eine derartige




Dr. Reinhard Loske

20177


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(B)


Dynamik steckt, dass sie nur schwer zu steuern ist. Neben
der Erfolgsbilanz – Aufstockung der Mittel für Investitio-
nen bei der Bahn von 6,5Milliarden auf 9Milliarden, Ein-
führung schwefelfreier Kraftstoffe – will ich auf die
ökologische Steuerreform eingehen. In diesem Zusam-
menhang finde ich Ihr Verhalten besonders verantwor-
tungslos.

Die ökologische Steuerreform ist eines der zentralen
Steuerungsinstrumente, um die dem Faktor Arbeit anhaf-
tende Steuerlast zu verringern und sie auf den Ressour-
cen- und Energieverbrauch zu legen, denn wir sind der
Meinung, dieses knappe Gut muss geschont werden. Sie
war ein ganz wichtiger Beitrag und hat übrigens dazu ge-
führt, dass viele Länder in Europa einen ähnlichen Weg
gehen, sodass eine Harmonisierung, die Sie immer wieder
eingefordert haben, faktisch dadurch stattfindet, dass sich
viele unserem Weg angeschlossen haben. Wir mussten
also nicht den Umweg über die Europäische Kommission
gehen, sondern wir haben ein Wachsen von unten in eine
ökologische Steuerreform. Das ist ein ganz großer Erfolg
dieser Regierung, weil wir als großes Industrieland natür-
lich auch eine Vorbildrolle haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Was war denn mit der Opposition? Ich kann die Pro-
gramme einzeln vorlesen. Bei der CDU war es ganz ein-
deutig. Man hat immer gesagt: Wir wollen eine ökologi-
sche Steuerreform, die Abgabenlast auf den Faktor Arbeit
reduzieren und sie auf den Energieverbrauch aufschlagen.
Das war Ihr Programm. Was ist gemacht worden? Als hier
draußen die LKW-Fahrer randalierten, haben sich die
CDU-Abgeordneten mit ihnen gemein gemacht und hier
Randale gemacht.


(Jochen Borchert [CDU/CSU]: Wir machen nie Randale!)


Diese Form von Politik kann ich wirklich nicht akzeptie-
ren. Man muss solche Fakten ab und zu auch reflektieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Regierung muss ihrer Verantwortung gerecht wer-
den. Ich bin der Allerletzte, der sagt, Rot-Grün habe alles
das durchgesetzt, was wir uns vorgenommen haben. Es
gibt auch Bereiche, in denen unsere Bilanz gar nicht so
glorreich ist. Das gestehe ich jederzeit zu. Aber ich er-
warte von der Opposition, dass sie nicht nur populistisch
Stimmungen anheizt, sondern auch Programme vorlegt,
die mit unseren konkurrieren können. Das haben Sie eben
nicht gemacht. Sie haben nicht nur keinen guten Spitzen-
kandidaten, sondern auch kein gutes Programm. Deswe-
gen werden Sie im nächsten Jahr auch nicht an die Regie-
rung kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Christian Ruck [CDU/ CSU]: Wer ist jetzt gemeint?)


Ein letzter Punkt: Besonders peinlich war das Thema
Kreislaufwirtschaftsgesetz oder ist jetzt das Thema Do-
senpfand. Wie war denn das? Sie wollten aus rein populis-
tischen Gründen – weil Sie obstruieren wollten, weil Sie

den Umweltminister gern nach dem Motto „Leg dich
quer, dann bist du wer“ Knüppel zwischen die Beine
werfen


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das tun wir nie!)


gegen die Interessen der mittelständischen Brauereiwirt-
schaft Politik machen. Obstruktion ist Ihre Form von Po-
litik. Das ist unverantwortlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jetzt komme ich auf das zu sprechen, was die Kollegin
Lehn mehrfach sagte. Es ist tatsächlich so: Umweltschutz,
Ökologie bzw. Nachhaltigkeit ist eine Querschnittsauf-
gabe. Ich will jetzt nicht die betreffenden Haushaltstitel
aus den anderen Bereichen nennen, sondern abschließend
nur auf ein Beispiel verweisen, was uns von Ihnen unter-
scheidet.

Die Rentenreform hat anscheinend mit diesem Thema
überhaupt nichts zu tun. Wir haben es geschafft, zweierlei
hinzubekommen.

Erstens. Wir konnten in der öffentlichen Diskussion
ebenso wie in der Haushaltsdebatte klar machen, dass der
Gedanke der Nachhaltigkeit nicht nur auf die Ökologie
beschränkt bleiben darf, sondern auch auf die Haushalts-
konsolidierung und auf die Rentenversicherungssysteme
ausgedehnt werden muss.

Zweitens. Wir haben es als Koalitionsfraktion ge-
schafft – das ist unmittelbar ökologisch relevant –, in das
Gesetz zum Aufbau privater Alterssicherung eine Klausel
aufzunehmen, wonach die Investmentgesellschaften in
Zukunft darüber Auskunft geben müssen, nach welchen
ökologischen und ethischen Kriterien sie ihre Anlagen
tätigen. Damit werden wir wahrscheinlich viel mehr grü-
nes Geld in den richtigen Bereich lenken, als dies jemals
über die Haushaltsberatungen geschehen kann. Das ist
unser Ansatz, auf allen Ebenen Nachhaltigkeit zu etablie-
ren, für den wir hoffentlich auch in Zukunft Unterstützung
bekommen werden.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420417200
Jetzt hat die Kollegin
Eva Bulling-Schröter für die PDS-Fraktion das Wort.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1420417300
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Gedanken sind
frei“ – mit diesem Liedchen auf den Lippen schlendert
Minister Müller über die Flure des Wirtschaftsministeri-
ums. Zur selben Zeit springen sein Namensvetter aus der
SPD-Fraktion und Frau Hustedt von den Grünen in der
Lobby des Reichstags im Kreis. Der Wirtschaftsminister
und Eon-Manager im Wartestand hat wieder einmal laut
nachgedacht, diesmal nicht über die Rente, sondern auf
den 114 Seiten des Energieberichts des Wirtschaftsminis-
teriums über die Zukunft der Energieversorgung. Im Er-
gebnis scheint der Klimaschutz zu teuer; er kostet Arbeits-




Dr. Reinhard Loske
20178


(C)



(D)



(A)



(B)


plätze und Wohlstand. Nach der Lektüre springen Union
und FDP ebenfalls über das Parkett, allerdings feixend
und sich die Hände reibend. Denn wer liefert dem politi-
schen Gegner schon freiwillig so viel Munition im be-
ginnenden Vorwahlkampf?


(Rainer Brinkmann [Detmold] [SPD]: Das sind doch keine Gegner!)


Ist es nun Komödie oder Tragödie? Ich denke, eher Letz-
teres. Die Platzierung und die Interpretation der Studi-
energebnisse im Energiebericht sind nicht Geistesblitze,
die mal eben als Diskussionsangebot raus müssen; sie
sind Teil einer Politik, die schon seit Beginn der Legisla-
turperiode gefahren wird. Die strategische Linie des Wirt-
schaftsministeriums im Energiebereich lässt sich in drei
Worten ausdrücken: bremsen, abschwächen, verhindern.


(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Und abzocken!)


Aus dem Atomausstieg wurde eine Verstromungsga-
rantie für die Energiekonzerne.

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz verzeiht Herr
Müller den Grünen bis heute nicht und rächt sich mit ei-
nem nur noch als skandalös zu bezeichnenden Trauerspiel
um die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung, besser ge-
sagt: um die Verhinderung eines Ausbaus der klima-
freundlichen KWK.

Das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien
sollte nach dem Willen des Wirtschaftsministeriums dras-
tisch schrumpfen. Es wurde in den Haushaltsberatungen
erst nach massiven Protesten von Verbänden wieder auf
200 Millionen Euro erhöht. – Sehr gut.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was heißt „wieder“? So hoch war es noch nie!)


Jetzt wird das langfristige Klimaschutzziel „gegenüber
1990 minus 40 Prozent bis 2020“ infrage gestellt.

Die Widersprüchlichkeit der Bundesregierung in Fra-
gen der Umwelt-, Energie- und Klimapolitik spiegelt sich
auch im Haushalt wider. Die Ausgaben aller Bundesres-
sorts für den Umweltschutz liegen fast eine halbe Milli-
arde DM niedriger als 1999, dem Jahr nach dem Antritt
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Der Umwelthaus-
halt selbst sinkt um fast 7 Prozent im Vergleich zum Vor-
jahr. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass ein Groß-
teil davon auf Reduzierungen im Endlagerbereich
zurückgeht.


(Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])

– Das begrüßen wir natürlich im Grundsatz, lieber Kol-
lege, obgleich wir eine Umwidmung der Mittel, nämlich
zur Sicherung und Schließung von Gorleben und Schacht
Konrad, fordern. Sie können dem ja zustimmen.


(Beifall bei der PDS)

Dennoch geht wiederum ein großer Teil der Ein-

sparungen zulasten der Programmtitel. Jedes Jahr stehe
ich hier und weise darauf hin, dass der Titel „Investitio-
nen zur Verminderung der Umweltbelastungen“ wieder
drastisch gekürzt wird. Er soll im Entwurf des Haushalts

2002 wiederum um mehr als 3 Millionen Euro – das sind
15,5 Prozent – fallen. Seit 1993 schrumpft er damit um
82 Prozent.

Die Verwaltung dieses Titels schreit ebenfalls zum
Himmel. Der Bundesrechnungshof hat mehrfach ein
professionelleres Management dieses Förderungsinstru-
ments angemahnt. Doch was passiert? – Mit der Begrün-
dung, die Mittel flössen ja sowieso nicht richtig ab, wird
der Titel zusammengestrichen. Wir meinen aber: Die Erst-
anwendung neuer Umwelttechnologien in großtechni-
schem Maßstab muss weiter gefördert werden. Die
Summe sollte über fünf Jahre wieder auf das Niveau von
1993 steigen.

Auch die Zuweisungen für Naturschutzgroßprojekte
sollen fallen, und zwar um 3,6 Millionen Euro, also um
16 Prozent. Doch die Förderung besteht vor allem aus
Mitteln für den Ankauf von Flächen für Großschutzge-
biete. Wir meinen: Gerade hier ist auch im Hinblick auf
die FFH-Richtlinie eine deutliche Steigerung der Mittel
notwendig.

Die Zuschüsse für Erprobungs- und Entwicklungs-
vorhaben im Naturschutz werden sinken, und zwar um
23 Prozent. Das sind dann 44 Prozent weniger als 1999.
Angesichts des anhaltenden Artensterbens und der weite-
ren Zerstörung wertvoller Naturflächen ist das für mich
völlig unverständlich. Sie tönen hier ständig, Sie wollten
die Agrarwende einleiten. Das finden wir toll. Aber genau
mit dem Titel wurden insbesondere Erprobungs- und
Entwicklungsvorhaben gefördert, also Vorhaben, die sich
im spannungsgeladenen Verhältnis von Naturschutz und
Landwirtschaft bewegen. Dieses Geld trägt zur Lösung
eines der wichtigsten Problemfelder der nachhaltigen
Entwicklung im ländlichen Raum bei. Ich frage mich: Wie
kann man da eigentlich ständig sparen?

Wie gesagt: Im Endlagerbereich wurden die Mittel
zurückgefahren. Die Bundesregierung ist bisher jedoch
nicht ernsthaft gewillt, Gorleben und Konrad wirklich
aufzugeben, und das trotz der enormen Defizite in den
Auswahlverfahren für beide Standorte.

Zum Haushalt gehört auch die Ökosteuer. Die Fort-
führung der ökologischen Steuerreform schafft jedoch
keine zusätzliche Finanzierungsgrundlage für den ökolo-
gischen Umbau. Wir haben das schon sehr oft angemahnt.
Deswegen haben wir auch dagegengestimmt. Deren Ein-
nahmen werden nämlich nur in geringem Maße dafür ein-
gesetzt. Sie fließen fast vollständig in die Senkung der
Rentenversicherungsbeiträge, die dann übrigens real
trotzdem nicht stattfindet; das muss man hinzufügen, Kol-
lege Loske. Der durch die Reduzierung der Lohnneben-
kosten erwartete Effekt für Beschäftigungssicherung bzw.
-aufbau ist ausgeblieben.


(Ulrich Kelber [SPD]: 100 000 Arbeitsplätze!)

– Schauen wir uns im nächsten Jahr die Statistiken an,
dann werden wir es sehen.

Zudem verzichtet Rot-Grün ja noch auf Einnahmen.
Die Ausnahmen für das produzierende Gewerbe machen
die Ökosteuer für diese Unternehmen zur Gelddruckma-
schine. Dass sich dafür nicht nur die PDS, sondern auch
Herr Monti in Brüssel interessieren wird, war ja wohl klar.




Eva Bulling-Schröter

20179


(C)



(D)



(A)



(B)


Nun will der Kollege Loske den Bergbau, die Chemie
und sogar die Eisen- und Stahlindustrie vollständig von
der Ökosteuer befreien. Der Emissionshandel würde das
schon richten. Leider hat er nicht erklärt, warum er die
Großindustrie ausnehmen will. Schade! Bloß, der Emis-
sionshandel steht noch in den Sternen. Zudem werden
von den Grünen die Stimmen in der EU, nach denen ein
System des Emissionshandels nur für wenige ausgesuchte
Großemittenten möglich sei, einfach ignoriert. Das ist
also noch lange nicht geklärt. Für eine umfassende Lö-
sung, die alle einzelnen Unternehmen umfasst, sehen
viele Experten wenig Chancen. Das sind die Aussagen
von Wissenschaftlern.

Das politische Ergebnis ab März nächsten Jahres
scheint damit klar: Zur Abschaffung der Ausnahmetatbe-
stände für die Industrie wird sich Rot-Grün im Wahljahr
nicht durchringen. Im Gegenteil, die Industrie wird von
der Ökosteuer vollständig entlastet werden. Neben dem
Verkehrs- und Dienstleistungsgewerbe bleibt die Öko-
steuer dann nur den privaten Haushalten erhalten, also
ausgerechnet denjenigen, die eher marginale Energiespar-
potenziale haben. Das ist unserer Meinung nach ein drei-
maliges Versagen: Haushaltspolitisch, umweltpolitisch
und sozialpolitisch.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420417400
Nun hat das Wort der
Bundesminister Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Haushaltsberatungen sind ja immer
auch ein Stück Gelegenheit, Bilanz zu ziehen. Ich habe
mir die Mühe gemacht, einmal zurückzublicken: Wie war
das, als ich 1998 das Amt übernommen habe?


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Damals stockte der Ausbau erneuerbarer Energien, weil
mit dem Stromeinspeisungsgesetz keine Investitionssi-
cherheit herzustellen war.


(Monika Ganseforth [SPD]: Eine Hängepartie war das damals!)


Damals war auf Ihre vollmundigen Ankündigungen hin-
sichtlich des Klimaschutzes keine einzige Tat gefolgt. Mit
der Nichtausweisung von FFH-Gebieten und der mehr als
zehn Jahre lang überfälligen Umsetzung europäischen
Rechts stand Deutschland kurz davor, zu einem Zwangs-
geld verurteilt zu werden. Mit anderen Worten: Als wir
den Laden übernommen haben, prägten Stillstand und
Rückschritt die Umweltpolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Aus dem Laden haben Sie eine richtige Bruchbude gemacht!)


Wir haben diesen Stillstand überwunden. Wir haben
das Bundesnaturschutzgesetz novelliert, wir haben ein
stattliches nationales Klimaschutzprogramm aufgelegt
und wir haben das Kioto-Protokoll ratifizierbar gemacht.


(Birgit Homburger [FDP]: Wo ist denn die Vorlage?)


Wir haben die Energiewende in Deutschland eingeleitet.
Damit ist die Bundesrepublik mittlerweile weltweit zum
Schrittmacher geworden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auf eines haben wir dabei allerdings geachtet. Wir ha-
ben immer gesagt: Wir müssen die Menschen mitnehmen.
Das muss mit der ganzen Gesellschaft passieren.


(Zuruf von der CDU/CSU: Würden Sie es mal tun!)


Deshalb haben wir die Beteiligungsmöglichkeiten der
Bevölkerung erweitert, nämlich genau die Rechte, die
Sie den Menschen in diesem Lande immer beschnitten
haben.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Wir haben das Umweltinformationsgesetz, dem Sie sich
verweigert haben, umgesetzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben die IVU-Richtlinie und damit die Bürgerbetei-
ligung umgesetzt. Erst Rot-Grün hat dafür gesorgt, dass
die Menschen auch in der Bundesrepublik Deutschland
endlich die Rechte wahrnehmen können, die alle anderen
Europäer bereits hatten und die Sie ihnen im nationalen
Alleingang verweigert haben. Das nenne ich Menschen
mitnehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der rechten Op-
position – ich möchte Frau Bulling-Schröter da nicht zu
nahe treten;


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Jetzt kommt er endlich wieder!)


dies meine ich aus meiner Sicht; wenn ich mich umdrehen
würde, wäre es die linke; nehmen Sie es jetzt nicht so po-
litisch –,


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Sie wollen auf die linke Seite? Das sind ja ganz neue Töne!)


ich erinnere mich noch gut daran, wie wir Herrn
Schnappauf aus Bayern, Herrn Müller aus Baden-Würt-
temberg und andere zwingen mussten, endlich das zu tun,
wozu sich die Länder selbst vor zehn Jahren verpflichtet
haben, nämlich diejenigen Gebiete ordentlich zu melden,
wo Pflanzen und Viecher ihre Heimat gefunden haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Birgit Homburger [FDP]: Die Ausdrucksweise ist unter aller Kanone!)


Diese Bundesregierung hat dem Naturschutz in die-
sem Lande wieder Land, Geld und Recht gegeben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben 100 000 Hektar zur Verfügung gestellt. Wir ha-
ben den Ländern und den Verbänden das Tafelsilber der




Eva Bulling-Schröter
20180


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(A)



(B)


deutschen Einheit, von dem Klaus Töpfer nur gesprochen
hat, zur Verfügung gestellt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben die Naturschutzverbände in diesem Lande in
den letzten Jahren besser mit Geld ausgestattet. Wir haben
die entsprechenden Ausgaben um 60 Prozent gesteigert.
Das sind mehr als 3 Millionen DM zusätzlich für diejeni-
gen Verbände, in denen sich 6,5 Millionen Menschen in
diesem Lande organisiert haben und ohne deren
ehrenamtliche Arbeit es um die Natur in diesem Lande
sehr viel schlechter bestellt wäre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben dem Naturschutz nicht nur Land und Geld ge-
geben, sondern wir haben ihm mit der Verbandsklage end-
lich auch Rechte gegeben. Es gibt jetzt die Möglichkeit
der Beteiligung an den notwendigen Interessenabwägun-
gen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich muss an dieser Stelle deutlich sagen: Wir haben den
Naturschutz – ich bin überhaupt kein Freund von Zäu-
nen – aus den Reservaten herausgeholt. Naturschutz muss
auf der ganzen Fläche stattfinden.


(Ulrike Mehl [SPD]: So ist es!)

Wir haben endlich – an dieser Aufgabe sind Sie geschei-
tert – Naturschutzkriterien für eine gute fachliche Praxis
der Landwirtschaft im Gesetz festgeschrieben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ulrike Mehl [SPD]: Hat lange genug gedauert!)


Ein anderes Beispiel: Klimaschutz. Da es diesbezüg-
lich in vielen Fragen einen Konsens gibt, muss ich nicht
agitieren. Ich finde es schon erschreckend, feststellen zu
müssen, dass eine Insel wie Tuvalu einfach im Pazifik ver-
sinkt und niemand ihre 11 000 Bewohner aufnehmen will.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sehr richtig! – Birgit Homburger [FDP]: Tun Sie endlich was!)


Was für Probleme hätten wir, wenn dasselbe mit Bangla-
desch, das 180 Millionen Einwohner hat, passierte? Dann
bekämen wir alle ein Gefühl dafür, was es heißt, dass
heutzutage der Umfang der weltweiten Flüchtlings-
bewegungen, die ihre Ursache in Umweltkatastrophen ha-
ben, inzwischen den Umfang der weltweiten Flüchtlings-
bewegungen, die ihre Ursache in Kriegen haben,
übertrifft.


(Beifall der Abg. Eva Bulling-Schröter [PDS])

Klimaschutzpolitik hat bei uns deswegen absolute

Priorität. Es ist gut, dass wir das Kioto-Protokoll verab-
schiedet haben, das erstmals absolut verbindliche Ober-
grenzen festsetzt. Was heißt das? Das heißt, dass die
Klimapolitik künftig nicht mehr dem Wirtschaftswachs-

tum hinterherhechelt, da das Ausmaß der Umweltver-
schmutzung tatsächlich gedeckelt wird.

Außerdem haben wir vorgemacht, dass die Energie-
wende nicht nur sinnvoll, sondern auch machbar ist. Ich
muss an dieser Stelle in aller Ruhe sagen: Die Energiepo-
litik dieser Bundesregierung ist in vielen Punkten besser
als so mancher Bericht darüber.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Sie ist widersprüchlich!)


Wir sollen bis 2010 21 Prozent der Treibhausgase senken.
Manche Prognosen sprechen davon, dass wir nur 16 Pro-
zent erreichen werden.


(Cajus Caesar [CDU/CSU]: Sie wollen; aber Sie kriegen es nicht hin!)


Ich muss die Wissenschaftler, die für diese Prognosen ver-
antwortlich sind, leider korrigieren: Die Istzahl dieses
Jahres liegt nicht bei 16 Prozent – sie liegt auch in 2010
nicht bei 16 Prozent –; vielmehr liegt die aktuelle Reduk-
tion bei 18,7 Prozent. Das ist Rekord in Europa. Wir sind
diejenigen, die zwei Drittel der Treibhausgasemissionen
in diesem Lande reduziert haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Birgit Homburger [FDP]: Seit wann?)


Da diese Rolle so anerkannt ist, liebe Frau Homburger,
hatten wir auch die Kraft, dieses Verhandlungsergebnis in
Bonn zu erzielen. Zusätzlich zu dieser Politik werden wir
aus der Atomenergie aussteigen, obwohl der Anteil des
Atomstroms an unserer Grundlast beachtlich ist. Und nur
deshalb war es uns möglich, im Clean Development Me-
chanism zu vereinbaren, dass der Bau von Atomkraftwer-
ken nicht als saubere Entwicklung gilt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD –Birgit Homburger [FDP]: Sie sind doch schuld, dass das so spät kam!)


Diese Entwicklung bei den Treibhausgasen war aller-
dings nicht mit – ich sage es jetzt nicht auf Schwäbisch;
sonst bekomme ich einen Ordnungsruf – Gerede zu errei-
chen, sondern man musste etwas für sie tun. Dafür musste
auch Geld in die Hand genommen werden. Ich muss an
dieser Stelle sagen: Das sind keine Kosten, sondern Inves-
titionen, die große ökonomische und ökologische Erlöse
bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie haben sich hier eben über die Ökosteuer gestritten.
Ich will Sie nur auf Folgendes hinweisen: In diesem Jahr
ist der Mineralölverbrauch in diesem Lande erneut um
5 Prozent zurückgegangen. Dank der Ökosteuer sinken
die verkehrsbedingten CO2-Emissionen, die unter IhrerRegierung jahrelang gestiegen sind, in diesem Jahr wahr-
scheinlich zum ersten Mal wieder, und zwar um 2 Prozent.

Wir haben einen beispiellosen Boom an erneuerbaren
Energien mit unserer Politik ausgelöst. Als wir den Laden




Bundesminister Jürgen Trittin

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übernommen haben, haben Sie 18 Millionen DM für die
Förderung erneuerbarer Energien ausgegeben.


(Birgit Homburger [FDP]: Können Sie sich eigentlich mal eines Vokabulars bedienen, das eines Ministers angemessen ist?)


– 18 Millionen DM, Frau Homburger! – Jetzt sage ich Ih-
nen, wie viel wir für das Marktanreizprogramm und für
das 100 000-Dächer-Programm in diesem Haushalt aus-
geben: 540 Millionen DM! Das ist der Abstand zwischen
Schwarz-Gelb auf der einen und Rot-Grün auf der ande-
ren Seite.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich habe noch nicht einmal die 2,7 Milliarden DM einge-
rechnet, die über das Erneuerbare-Energien-Gesetz hin-
zukommen.


(Cajus Caesar [CDU/CSU]: Deshalb kürzen Sie auch!)


– Nein, Herr Caesar. Sie können zwar dazwischensab-
beln; aber Sie können nicht einmal eine Haushaltsvorlage
lesen. Wir haben nicht gekürzt; wir haben die Ausgaben
auf ein Niveau ausgebaut, das es in diesem Lande noch
nie gegeben hat.

Das Ergebnis ist eindeutig: 7 500Megawatt installierte
Windleistung, mehr als eine Verdoppelung in der Zeit, in
der wir regieren. Jede dritte Menge Strom,


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Bisschen viel Mengenlehre gehabt, was?)


die auf dieser Erde durch Windkraft produziert wird, wird
in Deutschland produziert. In der Solarthermie haben wir
heute Wachstumsraten von 30 Prozent pro Jahr. In diesem
Jahr wurden zum ersten Mal 1 Million Quadratmeter
neuer Fläche installiert. Gerade wird in Hameln die dritte
neue Photovoltaikfabrik gebaut. Als wir das Ministerium
übernommen haben, ist der letzte Hersteller von Herrn
Rexrodt aus dem Lande getrieben worden, weil er hier
keinen Platz gefunden hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Mit dieser Politik werden wir bis 2010 allein über die
erneuerbaren Energien 80 Millionen Tonnen CO2 einspa-ren. Das entspricht – das sage ich für die, die sich da nicht
so gut auskennen – 8 Prozentpunkten. Hinzu kommt eine
Ersparnis von 23 Millionen Tonnen, die wir im Bereich
der Kraft-Wärme-Kopplung – Herr Loske hat darauf hin-
gewiesen – erreichen konnten. Mit dieser Politik sichern
wir die Energieversorgung von morgen.


(Birgit Homburger [FDP]: Oh!)

Wir reduzieren wie kein anderes Land die Treibhausgase.
Dadurch schaffen wir in beträchtlichem Umfang neue
Arbeitsplätze. Allein im Bereich der Windenergie arbei-
ten heute 35 000 Menschen. Das sind mehr, als in irgend-
einer anderen Energiebranche dieses Landes beschäftigt
sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will das in aller Ruhe sagen: Wenn wir diese Poli-
tik fortschreiben und die CO2-Emissionen weiter reduzie-ren – sagen wir, bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu
1990 – und wenn wir bis dahin gleichzeitig aus der Atom-
energie aussteigen – das heißt, bis 2020 alle Kraftwerke
stilllegen –, dann wird dies unter dem Strich, nach Abzug
aller Verluste, netto ein Plus von 200 000 neuen Arbeits-
plätzen ergeben. Das nenne ich nachhaltige Energie- und
Klimapolitik.

Das, meine Damen und Herren von der rechten Seite
der Opposition, ist eben der Unterschied zwischen Ihrer
und unserer Politik. Sie haben es hingenommen, dass spä-
tere Generationen Ihre Rechnung bezahlen: für den Ver-
lust der Artenvielfalt, für den Klimawandel und für den
Atommüll. Unsere Umweltpolitik ist ökologisch und öko-
nomisch ein Gewinn und sie beherzigt den Grundsatz der
Nachhaltigkeit, der da lautet: Wir haben die Erde von un-
seren Kindern nur geborgt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420417500
Nun hat das Wort
Dr. Peter Paziorek.


Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1420417600
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Herr Minister Trittin, Sie tra-
gen hier eine Bilanz Ihrer Politik vor und – es ist eigent-
lich gar nicht erstaunlich; wir haben das so erwartet – un-
terschlagen schamlos, dass die guten Zahlen, zum
Beispiel minus 18 Prozent beim CO2-Ausstoß, in den letz-ten drei Jahren gar nicht hätten zustande kommen können,
wenn nicht vorher, über zehn Jahre hinweg, eine
CDU/CSU- und FDP-geführte Umweltpolitik die Basis
für die CO2-Reduktion gelegt hätte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wollen Sie denn der Öffentlichkeit weismachen, dass Sie
in drei Jahren minus 18 Prozent zustande bekommen ha-
ben? Sie haben es doch nur so dargestellt, weil sich sonst
Frau Ganseforth wieder aufgeregt hätte, wie sie es zu
Herrn Töpfers und Frau Merkels Zeiten getan hat, als wir
sagten: Wir sind bei minus 10 Prozent bzw. bei minus
12 Prozent; wir haben jetzt minus 15 Prozent erreicht. –
Da haben Sie protestiert und haben gesagt: Das stimmt al-
les gar nicht. – Jetzt stellen Sie sich hier hin und sagen:
Wir sind bei minus 18 Prozent. – Herr Minister Trittin, be-
danken Sie sich bei Herrn Töpfer und Frau Merkel für
diese gute Arbeit. Ohne deren Arbeit würden Sie hier
heute als ein Kaiser ohne Hemd und Reich dastehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD)


Was waren das noch für erfolgreiche Zeiten in der Um-
weltpolitik, als auf der Regierungsbank Minister wie Pro-
fessor Töpfer – Sie haben ihn gerade erwähnt; ich war er-
staunt, in welch negativem Zusammenhang – die
Umweltpolitik prägten!


(Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Nicht so laut!)





Bundesminister Jürgen Trittin
20182


(C)



(D)



(A)



(B)


– Ich musste so laut sein, weil Sie gerade über meine
Worte so freudig erregt waren. Ich kann es auch leiser.

Heute haben wir einen Umweltminister, der im Grunde
genommen, auch wenn er gerade eine Bilanz vorgetragen
hat,


(Monika Ganseforth [SPD]: Eine gute Bilanz!)

nur an einem Ziel interessiert war, nämlich am so ge-
nannten Atomausstieg. Er hat alle wichtigen Bereiche in
der Umweltpolitik – da stimmt es jetzt wohl – links liegen
gelassen.

Im Münsterland haben Sie, Herr Umweltminister, in
den letzten Tagen ganz aktuell Bedeutung aufgrund Ihrer
wirklich haltlosen und übertriebenen Angriffe gegen die
bäuerlichen Familienstrukturen in der münsterländischen
Parklandschaft erlangt. Man müsste sich ja als CDU-Po-
litiker fast noch bei Ihnen bedanken, dass Ihnen dieser
Ausreißer in der letzten Beratung des Umweltausschusses
zum Naturschutz passiert ist. Das Traurige ist – Sie kön-
nen da mit noch so viel Emphase hier vortragen –: Sie sind
vom parteilosen Wirtschaftsminister in Sachen Klima-
schutz- und Energiepolitik ganz gewaltig vorgeführt wor-
den. Das ist das Ergebnis der letzten 24 bzw. 48 Stunden.

Die Kollegin Homburger hatte doch Recht, als sie
sagte, im Grunde genommen sei in den letzten drei Jahren
die geistige Armut in der Umweltpolitik ziemlich deutlich
gewesen.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei euch!)


Kollege Loske hat einmal in einem Aufsatz geschrieben,
die rot-grüne Umweltpolitik müsste eine Qualitätsdebatte
sein. Man muss aber ganz klar und deutlich sagen, lieber
Kollege Loske – Qualitätsdebatte hin oder her –: Die rot-
grüne Umweltpolitik ist einfach nicht mehr in der Lage,
der Bevölkerung sinnvolle langfristige Perspektiven in
der Umweltpolitik zu vermitteln. Die rot-grüne Umwelt-
politik ist nicht in der Lage, sich in die Debatten um den
durchaus notwendigen Strukturwandel in unserer Gesell-
schaft einzubringen und aus sich selbst heraus den Bürge-
rinnen und Bürgern tatsächlich eine wirklich sinnvolle
und überzeugende Perspektive zu vermitteln. Die jetzige
Regierung hat versagt: Sie hat es nicht geschafft, Um-
weltpolitik sinnvoll zu gestalten und in einen umfas-
senden Strukturwandel einzubringen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Deshalb kritisiert Töpfer euch!)


Das kann man an mehreren Beispielen belegen. Fan-
gen wir mit der Abfallpolitik an: Wo bleibt denn eine Kon-
zeption, die tatsächlich dafür sorgt, dass der notwendige
Wandel in der Abfallwirtschaft herbeigeführt wird? Die
Abfallpolitik hat nach dem Umsteuern durch Professor
Töpfer Anfang der 90er-Jahre hin auf die Kreislaufwirt-
schaft – ich weiß gar nicht, warum Sie so tun, als ob Sie
sie erfunden hätten – eine wirkliche Erfolgsbilanz aufzu-
weisen.


(Birgit Homburger [FDP]: Jawohl!)


Aber heute, im Jahre 2001, stellen sich völlig neue Pro-
bleme, nämlich, wie die Erfordernisse der Liberalisierung
des Marktes aufgrund der Wettbewerbspolitik und der
Verbesserung der technischen Standards bzw. deren
Weiterentwicklung mit den Erfordernissen der Kommu-
nen in Einklang gebracht werden können, die in diesem
Bereich in den letzten Jahren investiert haben.

Gesprächspartner aus Ihrem Hause, Herr Minister, sa-
gen, sie hätten das Gefühl, dass bei diesen Problemen alle
auf Tauchstation gingen und man im Bundesumwelt-
ministerium so tun würde, als ob es diese Probleme nicht
gebe. Man spürt richtig, dass niemand in Ihrem Hause den
Mut hat, ein geschlossenes Konzept für die Abfallpolitik
in Deutschland vorzulegen. In dieser Frage haben Sie
deutlich versagt. Das spüren die Verbände, das spüren die
in der Abfallwirtschaft tätigen Firmen und das spüren die
Kommunen vor Ort. Das ist das Traurige, meine Damen
und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Verpackungsverordnung, die von Ihnen ange-

sprochen wurde, ist doch gerade ein Beleg dafür, wie Sie
versuchen, bruchstückhaft irgendwo an einer Stelle zuzu-
packen und dort eventuell eine Berücksichtigung von
Umweltpolitik zu reklamieren. Im Grunde genommen
wissen Sie aber ganz genau, dass es der falsche Weg ist,
sich irgendwo nur einige Häppchen herauszusuchen. Ich
glaube, dass Sie gar nicht mehr die politische Kraft haben,
um eine Gesamtkonzeption vorzulegen.

Nun zur Klimaschutzpolitik, Kollege Loske: Nicht
die Förderung der erneuerbaren Energien ist an sich be-
denklich, sondern die Art, wie Sie mithilfe des EEG
tatsächlich diese Förderung durchführen. Wenn die Be-
völkerung heute schon wüsste, wie teuer die Förderung
der erneuerbaren Energien ist – die Entwicklung geht ja
dahin, dass in ein bis zwei Jahren selbst die höchsten För-
derungsraten der früheren Kohlesubventionen überschrit-
ten sein werden –, würde die Unterstützung der Bevölke-
rung, auf die Sie sich im Augenblick immer berufen,
wegbrechen und sie würde kein Verständnis mehr dafür
haben, dass Sie in einem solchen Ausmaß erneuerbare
Energien fördern.


(Ulrich Kelber [SPD]: Träumen Sie weiter!)

Sie haben ja auch die Arbeitsmarktbilanz angespro-

chen. Hierzu steht heute im Ticker:
Zu dem Gegenargument,

– da bezieht er sich wohl auf Abgeordnete von Rot-Grün –
Klimaschutz schaffe Arbeitsplätze und erhöhe
Exportchancen, sagte Müller: „All diese Arbeits-
plätze sind mehr oder weniger hoch subventioniert“.
Es gebe noch keinen einzigen Arbeitsplatz bei der
Sonnen- oder Windenergie, der sich im Markt tragen
würde.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir wollen auch, dass das funktioniert. Aber Ihr Weg

bedeutet nichts anderes als eine überzogene Subventio-
nierung. Das ist volkswirtschaftlich falsch.




Dr. Peter Paziorek

20183


(C)



(D)



(A)



(B)


Frau Lehn, Sie haben gerade die Förderung der Kraft-
Wärme-Kopplung durch das neue Gesetz angesprochen.
Es reicht nicht aus, wenn Sie einfach nur aus diesem Ge-
setz zitieren. Wenn man genauer in dieses Gesetz schaut,
dann stellt man fest, dass Sie nur ein Ziel verfolgen:
Sie wollen die Kommunen beim Bau kommu-
naler Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen unterstützen. Da-
bei vernachlässigen Sie völlig, dass bei dieser Förderung
industrielle Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen schon mit-
telfristig aus dem Markt gedrängt werden.

Ich frage Sie: Was ist an Ihrem Gesetzentwurf sinn-
voll?


(Monika Ganseforth [SPD]: Erzählen Sie doch einmal, was Sie wollen!)


Dass Sie irgendwelchen Interessengruppierungen auf der
kommunalen Ebene in dieser Frage nachgeben? Dass Sie
dabei vernachlässigen, dass ein ganz attraktiver Zweig im
Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung wegbricht, nämlich
der der industriellen KWK-Anlagen, und dass Sie da-
durch einen wesentlichen Bereich, der für den Klima-
schutz interessant ist, langfristig nicht mehr am Markt ha-
ben werden? Genau das ist die Gefahr bei Ihrem
Gesetzentwurf. Deshalb halte ich es für völlig falsch, dass
Sie diesen Gesetzentwurf als einen positiven Beitrag zur
Klimaschutzpolitik darstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Und Ihr Vorschlag?)


– Warten Sie einmal ab. Zu diesem Thema findet ja im
Umweltausschuss noch eine Sondersitzung statt.

Schauen Sie sich einmal Ihre Naturschutzpolitik an.
Herr Kollege Loske, Sie wollen mit den Bauern angeblich
kooperativ zusammenarbeiten. Sehen Sie sich einmal das
Konzept an, das Sie den Bauern tatsächlich vorlegen. Sie
sagen den Bauern, Sie seien durchaus bereit, im Bereich
des Vertragsnaturschutzes mit ihnen zusammenzuarbei-
ten, hätten dafür aber kein Geld. Abschaffen wollen Sie
den Vertragsnaturschutz aber auch nicht. Sie wollen ihn
nun mit schönen hehren Worten im Naturschutzgesetz
grundsätzlich benennen, die Finanzierung wollen Sie aber
den Länder überlassen. Wir wissen ganz genau: Es gibt
Länder, die finanziell in der Lage sind, etwas in diesem
Bereich zu tun – das sind die schwarz regierten Länder –,
und dann gibt es einige Länder, die bedeutend weniger
tun.

Was ist denn das eigentlich für ein Rahmen, den Sie in
der Landwirtschafts- und Naturschutzpolitik setzen? Sie
sagen, Sie wollten mit den Nutzern, den Bauern, reden.
Wenn die Bauern es aber nicht so machen, wie Sie das
wollen, dann drohen Sie ihnen mit dem Ordnungsrecht.
Wenn sie kooperativ zusammenarbeiten wollen, dann
sagen Sie, Sie hätten kein Geld.


(Monika Ganseforth [SPD]: Was ist Ihre Alternative?)


Das ist Ihr Verständnis von Naturschutzpolitik und Ver-
tragsnaturschutz. Ich sage Ihnen: Sie wollen die Bauern
hinters Licht führen. Dagegen werden wir Stellung be-
ziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zur Sanierung des Althausbestandes. Sie haben hier
heute erzählt, das Volumen sei von 100 auf 200 Millionen
aufgestockt worden. Aber eine konkrete Förderung gibt es
nicht; Sie wollen damit nur wieder Forschungsprojekte fi-
nanzieren. Das Interessante ist doch die Frage, wer dann
wieder bedient wird. Sie betreiben nämlich, wie auch bei
der Windkraft, eine eiskalte Klientelpolitik.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt aber nicht!)


– Was stimmt nicht? Am 23. Juli dieses Jahres haben Sie
Knall auf Fall das so genannte Anreizprogramm für Bio-
gasanlagen zusammengestrichen. Auch bei der Solarther-
mik haben Sie die Förderung reduziert. Sie stellen sich
hier hin und sagen, sie täten mehr für den Bereich der er-
neuerbaren Energien, tatsächlich kürzen Sie aber bei Bio-
gas, bei Biomasse und bei der Solarthermik. Sie argu-
mentieren mit einer gespaltenen Zunge. Dagegen muss
hier eindeutig wiedersprochen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie sagen, Sie wollten beim Kreditprogramm der KfW

zur Sanierung des Althausbestandes 2Milliarden DM auf-
legen. Meinen Sie wirklich, dass Sie es mit einem verbil-
ligten Kreditprogramm, bei dem bei den Kreditausgaben
vielleicht um 1 Prozent gekürzt wird, schaffen, im Bau-
bereich 10 Milliarden DM an Investitionen freizusetzen?
Sie sind gar nicht in der Lage, zur Sanierung des Alt-
hausbestandes ein modernes Anreizprogramm, zum Bei-
spiel durch eine Anschubfinanzierung, meinetwegen auch
durch Steuererleichterungen oder auch durch einen verlo-
renen Zuschuss, zustande zu bringen. Sie haben noch im-
mer nicht erkannt, dass gerade in diesem Bereich die
große Chance besteht, enorme Mengen an CO2 einzuspa-ren. Sie aber kneifen und meinen, mit einem solch ver-
schämten kleinen Programm könnten Sie tatsächlich et-
was bewegen. Alles nur Deklamation.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein paar Milliarden sind das schon!)


Zum Schluss möchte ich folgenden Punkt ansprechen:
EU-Kommissar Monti hat die Ausgestaltung der Öko-
steuer heute ziemlich deutlich kritisiert. Deshalb wieder-
hole ich, was wir schon immer gesagt haben: Die Aus-
gestaltung der Ökosteuer ist falsch. Sie ist kein sinnvolles
Instrument, um die Umweltpolitik in Deutschland
tatsächlich weiterzubringen. Was Herr Monti heute kri-
tisch hinterfragt, ist das, was wir immer schon gegen die
Ökosteuer eingewendet haben


(Christoph Matschie [SPD]: Fragen Sie doch mal Herrn Töpfer!)


und was Herr Töpfer kritisch zu Ihrer Ausgestaltung der
Ökosteuer gesagt hat.

Die Bilanz: Ihnen, Herr Minister, ist es eindrucksvoll
gelungen, die Umweltpolitik in Deutschland vor die Wand
zu fahren.


(Lachen des Abg. Rainer Brinkmann [Detmold] [SPD])


Die Bevölkerung spürt dies; denn Ihre persönlichen Um-
fragewerte – Details kann ich wegen der abgelaufenen




Dr. Peter Paziorek
20184


(C)



(D)



(A)



(B)


Redezeit nicht mehr vortragen; ich wollte sie eigentlich
nennen – sind leider außerordentlich schlecht. Herr
Trittin, Sie stehen sogar noch schlechter da als der Vertei-
digungsminister Scharping. Das will eine ganze Menge
heißen.

Diese Bilanz ist schlimm für die Umweltpolitik. Aber
ab dem 22. September 2002 wird es mit einer CDU/CSU-
geführten Bundesregierung auch in der Umweltpolitik
wieder aufwärts gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420417700
Nun hat die Kollegin
Ulrike Mehl das Wort für die SPD-Fraktion.


Ulrike Mehl (SPD):
Rede ID: ID1420417800
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Herr Paziorek, um diese Uhrzeit kann
man es sich leisten, solch einen Quatsch zu reden.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So hart waren Sie doch noch nie zu mir, Frau Mehl!)


Diese Debatte wird ja nicht weltweit übertragen; hier ist
im Moment sozusagen der geheimste Ort in dieser Repu-
blik.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Phoenix überträgt doch!)


Auf einen Punkt möchte ich gerne eingehen. Warum
Frau Merkel nicht mehr Ministerin ist, das wissen wir.
Das ist relativ klar. Sie haben Herrn Töpfer einen Glori-
enschein aufgesetzt und gesagt, wie großartig er gewesen
ist. Ich frage Sie: Warum ist er nicht Umweltminister ge-
blieben?


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Er hat den Umzug nach Berlin organisiert!)


Er war plötzlich Bauminister und kurz darauf war er nicht
mehr Mitglied im Kabinett. So toll kann das Verständnis
untereinander nicht gewesen sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Peter Paziorek [CDU/ CSU]: Er ist sofort nach Nairobi gegangen!)


Herr Töpfer, den ich sehr schätze, lobt im Übrigen die
Ökosteuer. Es mag zwar sein, dass er einzelne Punkte kri-
tisiert. Aber er kritisiert vor allen Dingen an der
CDU/CSU, dass sie sich in Fragen der Ökosteuer so ver-
hält, wie sie sich verhält.

Zum Thema Abfall möchte ich Ihnen sagen: Die Ver-
packungsverordnung und all die Regelungen, die daran
hängen, stammen von Herrn Töpfer. Mit diesen Altlasten
müssen wir uns jetzt herumschlagen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ich meinte doch die Novellierung von Herrn Trittin! Das habe ich vorhin doch gesagt!)


Ihre Aussagen sind etwas halbseiden. Deswegen brauchen
wir uns nicht näher damit zu beschäftigen.

Wir hatten von Zielen und Instrumenten geredet. Ich
glaube, dass wir uns in den fernen Zielen, die bezüglich

der Umwelt und der Nachhaltigkeit erreicht werden sol-
len, relativ schnell einig werden. Aber in welcher Ge-
schwindigkeit und mit welchen Instrumenten man diese
Ziele erreicht, darüber gibt es sofort Streit; denn dann geht
es um das Handeln und nicht nur um fromme Sprüche.
Dass wir bisher gehandelt haben und auch zukünftig han-
deln werden, kann man im Haushaltsplan des Bundesum-
weltministers deutlich ablesen.

Ich will zu dieser späten Stunde mit einem etwas un-
gewöhnlichen Bild, das für diese nasse Jahreszeit geeig-
net ist, die Situation im übertragenen Sinne veranschauli-
chen: Man stelle sich einen Teller dampfende, nachhaltige
Gemüsesuppe vor.


(Birgit Homburger [FDP]: Das wäre jetzt was!)


– Ja, das wäre jetzt was.

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Nicht schon wieder vegetarisch!)

Die drei Hauptzutaten sind Wirtschafts-Kartoffeln, Um-
welt-Lauch und Sozial-Rübchen. Aus jeder der drei Zuta-
ten kann man eine sehr schmackhafte Suppe kochen. Aber
zusammen sind sie besonders lecker und sättigen viel bes-
ser. Sie sind eben nachhaltig.

Vor dem Einkauf schauen wir natürlich in den Geld-
beutel – damit bin ich beim Haushalt – und beschließen,
dass wir uns dieses Süppchen leisten wollen, leisten kön-
nen und dass wir es uns leisten müssen, wenn wir nicht
zukünftige Generationen vor schier unlösbare Probleme
stellen wollen. Deswegen sind dies in ganz besonderem
Maße Zukunftsinvestitionen, die nicht nur Geld kosten
– das tun sie natürlich auch –, sondern eben sehr viel ein-
bringen.

Dabei sind drei Dinge besonders zu beachten:
Erstens. Wir dürfen nicht nur unsere eigenen Süppchen

kochen, sondern müssen immer öfter über den Tellerrand
hinausschauen.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Umweltschutz und Umbau zu nachhaltigkeitsgerechten
Strukturen müssen wir nicht nur in unserem Land aus-
bauen, sondern wir müssen europaweit und international
für diese Konzepte werben und bei der Umsetzung helfen.

Zweitens. Wir dürfen das Salz in der Suppe nicht ver-
gessen. Das Salz in der Nachhaltigkeit ist das Engagement
in der Gesellschaft. Das sind die Verbände, die Vereine
und die engagierten Bürgerinnen und Bürger, deren En-
gagement es zu erhalten und auszubauen und deren Input
es vor allen Dingen ernst zu nehmen gilt.

Drittens. Ab und zu ist auch ein Haar in der Suppe. Das
bedeutet aber nicht, dass der Koch schlecht ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der vorliegende Haushalt zeigt, dass wir diese Prinzi-
pien ernst nehmen. Wir blicken übrigens im Gegensatz
zur CDU/CSU über den Tellerrand hinaus, indem wir zum
einen die Mittel für die internationale Zusammenarbeit
auf dem Umweltgebiet, die Beiträge an internationale




Dr. Peter Paziorek

20185


(C)



(D)



(A)



(B)


Organisationen auf dem Umweltgebiet und die internatio-
nale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Naturschutzes
um insgesamt über 1,5 Millionen Euro erhöhen.

Die CDU/CSU hat dagegen beantragt, die Mittel für
die internationale Zusammenarbeit um 500 000 Euro zu
kürzen;


(Monika Ganseforth [SPD]: Ist das wahr? Unverantwortlich!)


die Mittel für die Verminderung der grenzüberschreiten-
den Umweltbelastung hätte sie gerne um den gleichen Be-
trag gekürzt.


(Monika Ganseforth [SPD]: Unerhört!)

Das lässt ja nun wirklich tief blicken. Wer dauernd von

den Chancen der Globalisierung redet, der muss auch
dafür sorgen, dass es Chancen sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Stattdessen haben Sie auf Kosten von wichtigen Zu-
kunftsaufgaben Geld zugunsten eines atomaren Endlagers
in Gorleben zusammengekratzt, wie man feststellt, wenn
man sich Ihre Anträge einmal anschaut. Ich finde, das ist
alles andere als eine glaubwürdige Politik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Monika Ganseforth [SPD]: Das kommt von Herrn Grill!)


Wir statten zum anderen ein für uns in Deutschland be-
sonders wichtiges Arbeitsfeld finanziell besser aus, näm-
lich das Beratungsprogramm für Umweltfragen für die
Staaten in Mittel- und Osteuropa. Wir erhöhen die Mittel
um 306 000 Euro auf nunmehr 1,8 Millionen Euro. Das
sind unter anderem Konsequenzen aus den Gesprächen,
die wir auch im Umweltausschuss geführt haben. Wir ha-
ben außerdem eine Anhörung dazu gemacht. Dabei ist
sehr deutlich geworden, dass die Umweltsituation in den
Beitrittsstaaten noch weit von unseren Standards entfernt
ist und dass dringender finanzieller wie auch Know-how-
Beratungsbedarf notwendig ist. Deswegen ist auch dies
eine wirkliche Zukunftsinvestition in Sachen Umwelt-
schutz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch in einer anderen Himmelsrichtung blicken wir
über unsere Grenzen hinaus. Wir schaffen mit der Novel-
lierung des Bundesnaturschutzgesetzes Möglichkeiten,
Schutzgebiete in der Ausschließlichen Wirtschafts-
zone, also im Meer jenseits des deutschen Hoheitsgebie-
tes, auszuweisen. Dazu ist eben schon einiges gesagt wor-
den. Ich halte es für wirklich gelungen, dass wir diese
Regelung in das Naturschutzgesetz hineingeschrieben ha-
ben und uns auch über die Ziele einigen konnten, nämlich
auf der einen Seite regenerative Energien, Windenergie,
voranzubringen und auf der anderen Seite den Natur-
schutz im Meer zu sichern, auch wenn man es oben nicht
sieht. Dass alle Beteiligten das zu einem befriedigenden
Ergebnis gebracht haben, ist ein wirklicher Erfolg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Unruhe bei der CDU/CSU)


– Ich weiß, dass die späte Stunde eher zum Kabarett ge-
eignet ist, aber wir müssen jetzt über dieses Thema spre-
chen.

Herr Borchert, Sie haben gesagt, es gehe nur um die
Verwaltung. Aber wie wollen Sie Schutzgebiete in der
AWZ denn ausweisen können? Wie wollen Sie wissen-
schaftliche Daten bekommen, wenn Sie dafür kein wis-
senschaftliches Personal haben? Es ist nur konsequent,
dass wir dafür Personal einstellen, damit die Ergebnisse
nicht Pi mal Daumen zustande kommen, sondern das
Ganze eine fundierte Grundlage hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Cajus Caesar [CDU/CSU]: Mehr Verwaltung, weniger Umweltschutz!)


Zum Thema Vertragsnaturschutz. Da muss ich mich
ja nun wirklich wundern. Sie, Herr Borchert, haben da-
mals den Vertragsnaturschutz in der Form in Frau Merkels
Gesetz gezwungen, wie er anschließend enthalten war.
Das Gesetz ist dann maßgeblich an diesem Punkt ge-
scheitert.


(Jochen Borchert [CDU/CSU]: Wir haben das gemeinsam beschlossen!)


Sie haben immer gesagt, das sei für die Landwirtschaft ein
sehr wichtiger Faktor, deshalb müsse das so sein. Als es
jedoch um die Finanzierungsfrage ging, wollte der Bund
damit plötzlich überhaupt nichts zu tun haben. Das sollten
natürlich die Länder bezahlen.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau so war es!)


Sie haben gesagt: Wer die Musik bestellt, muss auch be-
zahlen. Eben! Nach dem Grundgesetz sind für den Natur-
schutz die Länder zuständig und nicht der Bund.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Aber wir haben es nicht in die Finanzhoheit der Länder gegeben!)


Deswegen kann der Bund nicht den Ländern vorschrei-
ben, dass sie dem Vertragsnaturschutz Priorität einräumen
müssen. Aus diesem Grunde war das von vornherein
falsch.

Ein weiterer Punkt zu diesem Thema. Wir haben zwei
Jahre intensiv an dem Thema gute fachliche Praxis in
der Landwirtschaft gearbeitet. Wir haben mit den Land-
wirten viele Gespräche geführt. Ich habe in meinem Land
sehr häufig mit dem Bauernverband darüber diskutiert.
Dabei wurde mir immer Folgendes gesagt: Das, was im
Gesetz zu guter fachlicher Praxis steht, machen wir doch
alles! – Ich habe gefragt: Was haben Sie denn dann für ein
Problem, wenn das im Naturschutzgesetz steht? – Das
wollen wir nicht, dass das da drinsteht!


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das hängt mit der rot-grünen Regierung in Kiel zusammen! – Jochen Borchert [CDU/CSU]: Ich erkläre es Ihnen noch mal in Ruhe!)





Ulrike Mehl
20186


(C)



(D)



(A)



(B)


Das ist nun keine Argumentation. Wenn in der Landwirt-
schaft so praktiziert wird, wie es dort steht, und dieseMin-
deststandards in der Praxis auch tatsächlich angewendet
werden, dann ist doch alles in Butter. Dort, wo sie nicht an-
gewendet werden, ist es an der Zeit, dass sie festgeschrie-
benwerden. Deswegen ist es nachwie vor richtig, dasswir
dies im Bundesnaturschutzgesetz verankert haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420417900
Frau Kollegin, den-
ken Sie bitte an Ihre Redezeit.


Ulrike Mehl (SPD):
Rede ID: ID1420418000
Meine Redezeit ist abgelaufen.
Ob Ihnen das gefällt oder nicht: Wir gehen mit diesem

und sicher auch mit dem nächsten Haushalt Schritt für
Schritt


(Jochen Borchert [CDU/CSU]: In die Opposition!)


in Richtung der nachhaltigen Entwicklung. Wir werden
auch den nächsten Haushalt, und zwar unseren, be-
schließen


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wenn ihr unsere Zustimmung bekommt!)


und wir werden in Deutschland und auf internationalem
Gebiet weiterhin Nachhaltigkeit praktizieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420418100
Jetzt hat der Kollege
Dr. Christian Ruck für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1420418200
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Es ist verzeihlich und auch
keine Überraschung, dass Rot-Grün in der vielleicht letz-
ten Haushaltsdebatte der Legislaturperiode natürlich mit
allen Mitteln versucht, ihre Umweltbilanz schönzureden.
Diesmal können Sie aber wirklich strampeln, so viel Sie
wollen. Es wird Ihnen nicht gelingen; denn dafür ist diese
Bilanz einfach zu schlecht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das gilt trotz Trittins Märchenstunde auch für den

Haushalt. Es ist und bleibt ein Armutszeugnis, wenn der
Gesamthaushalt um 1,5 Prozent steigt und der Umwelt-
haushalt um 5,7 Prozent sinkt. Herr Trittin, es bleibt auch
ein Armutszeugnis, dass Sie es als Umweltminister hinn-
nehmen mussten, dass Ihr Umwelthaushalt seit 1998 um
fast 12 Prozent abgenommen hat, während der Gesamt-
haushalt um 6 Prozent angestiegen ist.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben geringere Kosten für das Endlager! Außerdem haben wir umgeschichtet!)


Sie können reden, so viel Sie wollen. Das ist ein Armuts-
zeugnis.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Schon allein an diesen Zahlen sieht man, dass Herr
Trittin ein Umweltminister im Sinkflug ist.

Natürlich kann man sagen, dass umgeschichtet worden
ist. Als ob das ein Argument wäre. Sie haben unsere Er-
höhungsanträge abgelehnt, aber nicht mit der Begrün-
dung, dass umgeschichtet werden muss. Sie können
natürlich auch sagen, dass Quantität nicht alles ist und
dass Sie es mit Qualität machen. Die Qualität Ihrer um-
weltpolitischen Arbeit ist aber noch schlechter; denn Sie
haben Dinge getan, die Sie besser gelassen hätten,


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Beispiel?)


und Sie haben Dinge nicht getan, die Sie hätten tun sollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Die klatschen, ohne dass es Sinn macht! Die mögen einfach nur heiße Luft!)


Herr Loske, ich muss noch einmal sagen, dass Sie und
andere sich immer mit fremden Federn schmücken. Zum
Beispiel ist der Boom in der Windenergie durch das
Stromeinspeisungsgesetz entstanden. Sie leben hinsicht-
lich Ihres Erfolges von dem Stromeinspeisungsgesetz. Sie
können nun wirklich nicht behaupten, dass es Ihre Erfin-
dung war.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn Sie ganz ehrlich sind, dann müssen Sie auch sagen,
dass die Reduktion der Treibhausgasemissionen nicht,
wie Herr Trittin es hingestellt hat, Ihr Erfolg ist, sondern
dass diese Reduktion – aus welchen Gründen auch immer –
unter Ihnen zum Stillstand gekommen ist.

Im Naturschutz haben Sie einen Sturm entfacht, aber
nur einen Sturm der Entrüstung. Das ist schade;


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ja, schade!)

denn die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes wirkt in
einem Bereich, der auch mir sehr am Herzen liegt. In
Wirklichkeit wirft sie den Naturschutz zurück. Es ist in
der Tat so, dass die Novelle mehr Bürokratie und mehr
Gängelung, aber weniger Geld verspricht. Sie haben näm-
lich den Vertragsnaturschutz in der Tat ausgehöhlt und
streichen den Titel für die Großschutzgebiete zusammen.
Das ist Faktum und wird auch von Ihnen nicht bestritten
werden können.

Jetzt darf ich Sie, weil der Naturschutz auch für uns
wirklich ein zentrales Thema ist, daran erinnern, wer es
denn war, der die milliardenschwere Deutsche Bundesstif-
tung Umwelt gegen viele Widerstände ins Leben gerufen
hat, und wer es war, der seit langem dafür gekämpft hat,
dass diese Stiftung für Naturschutzzwecke geöffnet wird.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben es durchgesetzt!)


Das waren nicht nur wir allein. Aber wir waren an verant-
wortlicher Stelle daran beteiligt. Ich darf auch daran erin-
nern, welcher Minister der erste war, der einen Truppen-
übungsplatz zu einem Nationalpark hat umwidmen
lassen. Das war nämlich Theo Waigel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE Ulrike Mehl 20187 GRÜNEN]: Der kämpft ja auch gegen das Zwischenlager! In der Bürgerinitiative vor Ort!)





(C)


(D)


(A)


(B)


Ich darf auch daran erinnern – diese Diskussion halte
ich für ein bisschen scheinheilig –, dass es die rot-grün ge-
führten Bundesländer sehr wohl in der Hand hätten, we-
sentlich mehr für den eigenen Naturschutz, vor allem für
den Vertragsnaturschutz, zu tun.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Aha!)

Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, stellen Sie fest, dass
das CSU-geführte Bayern 450 Millionen DM pro Jahr
dafür ausgibt, Nordrhein-Westfalen aber nicht einmal ein
Drittel dieses Betrages.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist traurig!)


Das ist scheinheilig.
Der deutsche Wald war für die Grünen immer ein Sym-

bol ihrer Existenzberechtigung. Jeder Waldzustandsbe-
richt verursachte in früheren Zeiten die reinste Empörung.
Seitdem Sie an der Regierung beteiligt sind, hat sich der
Waldzustand nicht gebessert. Aber dafür ist Ihre
Empörung weg. Das finde ich scheinheilig.

Beim Thema Mobilfunk zum Beispiel ist Minister
Trittin nicht in der Lage, unsere Große Anfrage, die wir
im April dieses Jahres gestellt haben, zu beantworten.
Fehlanzeige!


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: In der Tat! Eine Katastrophe!)


Aber Sie lassen sowohl die Bürger als auch die Kommu-
nen mit ihren zum Teil unberechtigten Sorgen um den
Mobilfunk im Stich.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Länder wollen gar keine Lösung!)


Das 8-Millionen-Programm für fünf Jahre ist wirklich
eine reine Alibi-Veranstaltung im Vergleich zu den
100 Milliarden UMTS-Einnahmen, die Sie für den Mo-
bilfunk bekommen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragt doch mal in München nach, wie die Landesregierung das sieht!)


Dann war ja auch noch einmal versteckt vom Dosen-
pfand die Rede. Herr Trittin, beim Dosenpfand haben Sie
sich aus purer Eitelkeit einem Kompromissvorschlag des
Bundesrates


(Ulrich Kelber [SPD]: Das war ja gar kein Kompromiss – Gegenruf von der CDU/CSU: Doch!)


verweigert und blockieren damit gegen jede Vernunft eine
zeitgemäße, ökologisch begründete Anpassung der Ver-
packungsverordnung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das KWK-Vorschaltgesetz ist ein kompletter Murks,


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Je später der Abend, um so besser die Fakten!)


und zwar vor allem wegen seiner kompletten ökologi-
schen Wirkungslosigkeit.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn das Gesetz greift, wird es abgeschafft! Das ist eure Logik!)


Jetzt liegt die Nachbesserung von Ihnen wegen schwerer
inhaltlicher Verwerfungen auf Eis. Selbst wenn Sie Ihre
Nachbesserungen noch durchsetzen, werden Ihnen diese
Verwerfungen erhalten bleiben.

Da Sie immer gefragt haben, wo unsere Vorschläge be-
züglich KWK seien,


(Monika Ganseforth [SPD]: Ja, genau!)

kann ich Ihnen sagen: Die Vorschläge liegen auf dem
Tisch. Sie haben sie in diesem Hause abgeschmettert.
Aber Sie müssen ja wenigstens das, was Sie abschmet-
tern, kennen.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist ja zum Thema KWK nichts gekommen!)


Sonst können Sie hier nicht auftreten und sagen, Sie hät-
ten von uns keine konkreten Vorschläge bekommen.

Völlig fehl am Platze finde ich auch Ihren zur Schau
getragenen Stolz über den angeblich bevorstehenden
Atomausstieg. Ihre Gesetzesnovelle ist doch in Wirklich-
keit mittel- und langfristig ein Torpedo gegen die nukleare
Sicherheit, und zwar national wie international,


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein ganz schlechtes Bild!)


und gegen den Klimaschutz im eigenen Land. Beim Stich-
wort Klimaschutz herrscht ja derzeit ein wirklich buntes
Treiben in Ihren Reihen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Und wie!)

Hier passt die Überschrift vom rot-grünen Chaos wirklich
wie die Faust aufs Auge. Der nüchterne Energiebericht
des Wirtschaftsministers hat die rot-grünen Energieideo-
logen ins Mark getroffen und sogar zu peinlichen Verbal-
injurien verleitet. Das ist wirklich ein Trauerspiel.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir müssen doch unsere Opposition selbst machen!)


– Herr Schmidt, Fakt ist doch, dass sich Ihre entwick-
lungspolitischen Maßnahmen, die Sie unter dem Stich-
wort Ökologie und Klimaschutz laufen lassen, bereits
jetzt und in naher Zukunft tatsächlich zu einer gewaltigen
Belastung für die privaten Haushalte und die Wirtschaft in
Deutschland aufschaukeln, und zwar von der Ökosteuer
bis zum Atomausstieg.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht doch vorne und hinten nicht, Herr Kollege! Das muss ich zurückweisen!)


Da hat der Wirtschaftsminister völlig Recht, und zwar
auch mit der von ihm genannten Zahl von bis zu 500 Mil-
liarden DM.




Dr. Christian Ruck
20188


(C)



(D)



(A)



(B)


Fakt ist auch – das sage ich Ihnen, Herr Loske, weil Sie
so sehr auf dem Thema Ökosteuer herumgeritten sind –,
dass Sie mit vielen dieser Maßnahmen auch ökologischen
Etikettenschwindel betreiben. Herr Loske, auch mit mir
können Sie jederzeit über eine Ökosteuer, die in der Sa-
che wirklich zielführend ist, diskutieren.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!)

Wir lehnen die Ökosteuer aber deshalb dezidiert ab, weil
sie die sozialen Sicherungssysteme in keiner Weise stabi-
lisiert


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 20,3 Prozent, als wir an die Regierung kamen, und jetzt 19,1 Prozent! Das ist eine Reduzierung!)


und weil sie löchrig ist wie Schweizer Käse. Die Öko-
steuer in der von Ihnen beschlossenen Ausgestaltung ist
teurer und ökologisch viel zu wenig effizient.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Monti hat Recht!)


Dies gilt auch für die sündhaft teure Förderung der
Photovoltaik. Wir können jederzeit darüber diskutieren,
wie wir die regenerativen Energien verdoppeln – dies ist
zum Beispiel auch unser erklärtes Ziel –, aber nicht mit
einer Photovoltaikförderung, die 6 Milliarden kostet und
dann den Anteil an der Stromproduktion von 0,1 auf 0,5
Promille steigert. Das ist doch herausgeschmissenes
Geld.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo kommen denn diese Zahlen her!)


Sie schießen mit viel zu teuren Kanonen auf zu viele Spat-
zen.

Das ist der Grund, warum uns die Vorreiterrolle im Kli-
maschutz so teuer zu stehen kommt. Der Wirtschaftsmi-
nister hat auch Recht, wenn er sagt, dass die klimapoliti-
sche Vorreiterrolle in dem Augenblick unsinnig wird, in
dem wir nicht nur ehrgeizige Ziele haben, sondern auch
die einzigen sind, die sie erfüllen.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!)


– Doch. In Europa bilden zurzeit England, Luxemburg
und wir die einsamen Spitzen. Der Rest läuft unter „ferner
liefen“.


(Zuruf von der SPD: Das ist falsch!)

– Nein.

Fakt ist leider auch, dass der müllersche Energiebericht
zwar schonungslose Analysen enthält, uns aber eines vor-
enthält: ein schlüssiges tragfähiges Energiekonzept, das
Ökonomie mit Ökologie verbindet, also genau das, was
wir brauchen. Dies allerdings ist bei dieser Koalition und
ihren zutage getretenen zentrifugalen Kräften völlig un-
möglich geworden.

Wer aber kein schlüssiges Energie- und Klimaschutz-
konzept hat, kann auch international nicht überzeugen:
nicht in Europa und auch nicht gegenüber den Amerika-

nern. Damit hat ihre Politik in einer Schlüsselfrage unse-
rer Zukunft versagt. Sie, Herr Trittin, werden in die Ah-
nenreihe der deutschen Umweltminister sicher als derje-
nige eingehen, der ein Alibiumweltminister geworden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420418300
Als Letzter in dieser
Aussprache hat der Kollege Christoph Matschie für die
SPD-Fraktion das Wort.


Christoph Matschie (SPD):
Rede ID: ID1420418400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Da schon viele Argumente ausge-
tauscht worden sind, habe ich überlegt, ob überhaupt noch
etwas zu sagen ist. Aber nach Ihrer Rede, Herr Ruck, muss
ich auf einige Punkte eingehen.

Auch wenn es vorhin schon erklärt worden ist, ist es bei
Ihnen offensichtlich nicht angekommen:


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Sie haben es mir noch nie erklärt! Ich bitte darum!)


Sie haben noch einmal beklagt, dass der Haushalt zurück-
geht. Dabei ist Ihnen vorhin schon erklärt worden, dass
dieser Rückgang mit dem Atomausstieg und damit zu-
sammenhängt, dass bestimmte Ausgaben für den Endla-
gerbereich nicht mehr notwendig sind.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist ja das Schlimme!)


Der Stammhaushalt steigt sogar um 0,5 Prozent. Das
muss hier noch einmal deutlich gesagt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jochen Borchert [CDU/ CSU]: Vergleichen Sie es mit 1998!)


Herr Borchert, Sie haben gesagt, dieser Haushalt be-
deute mehr Verwaltung und weniger Umweltschutz. Ich
erinnere mich noch gut an die Diskussion vor ein paar Jah-
ren, bei der Sie hier vorne standen. Da hieß es immer: Auf
die Haushaltszahlen kommt es nicht so genau an;


(Jochen Borchert [CDU/CSU]: Das habe ich nie gesagt!)


entscheidend ist vielmehr, dass das Umweltministerium
im Wege der Gesetzgebung Rahmenbedingungen schafft,
damit eine vernünftige Umweltpolitik betrieben werden
kann. – Dazu aber, Herr Borchert, ist auch das notwendige
Personal erforderlich. Wie Sie beides intellektuell zusam-
menführen wollen, weiß ich nicht.


(Jochen Borchert [CDU/CSU]: Wann soll ich das gesagt haben?)


– Das ist in den vergangenen Jahren von Kollegen Ihrer
Fraktion an anderer Stelle vorgetragen worden. Da waren
Sie noch nicht für die Umweltpolitik, sondern noch für ei-
nen anderen Bereich zuständig. Das gestehe ich Ihnen
gerne zu. Aber weil Sie damals für etwas anderes zustän-
dig waren, haben Sie heute offenbar Probleme mit dem
Umweltschutz, Herr Borchert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Dr. Christian Ruck

20189


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn man an diesem Punkt noch einmal ansetzt, zeigt
sich, dass es – das tut mir an dieser Debatte manchmal
Leid – auch in Deutschland eigentlich eine große
Kontinuität und eine große gemeinsame Anstrengung in
der Umweltpolitik gibt.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben Sie aufgekündigt!)


Allerdings wird an dem, was Sie hier vortragen, auch klar,
dass Sie am Ende Ihrer Regierungszeit auch umweltpoli-
tisch in die Sackgasse geraten sind.

Ich will Ihnen das einmal an ein paar Beispielen deut-
lich machen. Wir haben vor kurzem ein Naturschutz-
gesetz verabschiedet. Daran haben Sie zehn Jahre lang la-
boriert, ohne etwas wirklich Vernünftiges auf die Beine zu
stellen. Sie haben es nicht hinbekommen, wir haben es ge-
macht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist nicht nur so, dass Sie in zehn Jahren nichts hin-
bekommen haben. Zu dem Gesetz, was wir vorgelegt ha-
ben, haben Sie noch nicht einmal vernünftige Änderungs-
anträge auf den Tisch gebracht.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Schlimmste!)


Ein dürrer Entschließungsantrag war das Einzige, was Sie
zu diesem Thema beigesteuert haben.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Kurz und knackig war er!)


Deshalb brauchen Sie von geistiger Armut in der Um-
weltpolitik nicht zu reden. Das richtet sich gegen Sie sel-
ber.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jochen Borchert [CDU/ CSU]: Es gibt Gesetzesvorlagen, die kann man nicht mehr verändern, so schlecht sind sie!)


– Herr Borchert, Sie haben sich nicht einmal die Mühe
gemacht, sich mit diesen Fragen inhaltlich wirklich aus-
einander zu setzen. Deshalb war das Einzige, was von Ih-
nen gekommen ist, ein dürrer Entschließungsantrag. Das
ist ein Armutszeugnis für Ihre Umweltpolitik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir reden immer davon, Umweltschutz brauche viele
Mitstreiter. Einige von uns haben sogar gemeint, Um-
weltschutz brauche die ganze Gesellschaft. Wenn ich aber
höre, was Sie die ganze Zeit erzählen, dann frage ich
mich, ob Sie für den Umweltschutz in Deutschland wirk-
lich noch zu gewinnen sind.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Herr Matschie, das ist jetzt sehr polemisch! – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Sie halten einen Vortrag!)


– Ja, das ist sehr polemisch. Aber Sie haben das hier so zu-
gespitzt.

Ich komme zu dem, was Sie zur Klimapolitik gesagt
haben. Natürlich hat die Klimapolitik nicht mit der rot-
grünen Regierung begonnen, sondern vorher. Das ist doch
völlig klar. Das hat in dieser Debatte niemand bestritten.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Doch, der Trittin!)


Aber genauso klar ist, dass die Klimapolitik in den An-
fangsjahren sehr viel einfacher war, als sie heute ist,


(Lachen der Abg. Birgit Homburger [FDP] – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Jetzt bin ich aber fertig!)


weil die Einsparpotenziale viel einfacher zu erschließen
waren und die Einsparpotenziale sehr viel mit dem Rück-
gang der Industrie in den neuen Bundesländern zu tun hat-
ten. Das wird Ihnen jeder Wissenschaftler bestätigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist die allerneueste Ausrede!)


Wenn Sie sich dabei auf Herrn Töpfer berufen, dann
wäre ich an Ihrer Stelle ein wenig vorsichtig; denn Herr
Töpfer gehört mittlerweile zu Ihren größten Kritikern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Peter Paziorek [CDU/ CSU]: Jetzt überziehen Sie aber!)


Herr Töpfer hat beispielsweise die Ökosteuer unterstützt,
während Sie sie abgelehnt haben.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Aber nicht diese Ökosteuer!)


Nicht nur das: Sie haben versucht, die Bevölkerung
gegen die Ökosteuer zu mobilisieren. Sie haben versucht,
glauben zu machen, dass die Ökosteuer das falsche
Instrument ist.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Diese Ökosteuer!)


Dabei haben Sie sie in Ihren eigenen Programmen jahre-
lang stehen gehabt. Sie haben die LKW-Fahrer gegen die
Ökosteuer aufgehetzt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Jetzt komme ich zum Ausbau der erneuerbaren
Energien. Herr Ruck, es hat vor dem Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetz ein Stromeinspeisungsgesetz gegeben. Das
ist richtig. Das haben wir damals gemeinsam beschlossen:
Opposition und Regierungsfraktionen. Aber Sie haben
diesen gemeinsamen Weg verlassen. Als wir über das
EEG diskutiert haben, haben Sie in diesem Hause nicht
zugestimmt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Peter Paziorek [CDU/ CSU]: Wir wollten die Mitnahmeeffekte nicht!)


– Hören Sie auf mit den Mitnahmeeffekten. Dieses Ge-
setz hat dafür gesorgt, dass beispielsweise die Wind-
kraft




Christoph Matschie
20190


(C)



(D)



(A)



(B)


– 1998 betrug der Stand der Produktion 3 000 Mega-
watt – innerhalb kürzester Zeit, nämlich im Herbst die-
ses Jahres, ihre Leistung mehr als verdoppeln konnte.
Heute haben wir 7 000 Megawatt installierte Leistung.
Das ist die Leistung unseres Erneuerbare-Energien-Ge-
setzes, gegen das Sie in diesem Hause gestimmt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Ruck, Sie haben die nukleare Sicherheit ange-
sprochen. Ich würde bei diesem Thema ein bisschen vor-
sichtiger argumentieren – nicht nur weil ich es falsch
finde, in dieser Frage Panik zu erzeugen. Dies muss man
gerade vor dem Hintergrund der Attentate, die wir disku-
tiert haben, und den neuen Bedrohungen in diesem Be-
reich sehen. Aber ich wäre schon deshalb vorsichtig, weil
die Probleme, die wir in den letzten Wochen hatten, vor
allem in Baden-Württemberg und Bayern aufgetreten
sind.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das dürfen Sie nicht sagen! Bayern dürfen Sie nicht mehr nennen!)


Dort hat es Probleme gegeben. Darüber haben wir im
Umweltausschuss diskutiert. Deshalb wäre ich an dieser
Stelle in dieser Frage ein bisschen vorsichtig.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Diese Sache ist geklärt! Von Ihnen kamen keine kritischen Fragen mehr! Sie waren doch im Ausschuss dabei!)


– Herr Paziorek, natürlich war ich im Ausschuss dabei.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Bei Isar I war ganz klar, dass an der Kritik nichts Realistisches dran war!)


Darüber haben wir im Ausschuss diskutiert. Ich sage Ih-
nen: Die Probleme liegen vor allem bei Ihnen und nicht an
anderer Stelle. Deshalb wäre ich sehr vorsichtig.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Sie auch!)

Ich möchte noch einmal auf die Förderung der erneu-

erbaren Energien durch das Marktanreizprogramm zu
sprechen kommen. Herr Paziorek, Sie haben beklagt, dass
die Förderung zusammengestrichen worden sei. Offen-
sichtlich können Sie den Haushalt nicht lesen. Wir haben
die Mittel für die Förderung auf 200 Millionen Euro auf-
gestockt.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Sie haben gekürzt!)


Wenn Sie das mit dem vergleichen, was während Ihrer
Regierungszeit eingestellt worden ist, dann werden Sie
feststellen, dass die heutigen Mittel für die Förderung um
ein Vielfaches höher sind. Ganze 18 Millionen Euro
– Herr Trittin hat das bereits vorhin erwähnt – hatten Sie
für diesen Bereich im Haushalt eingestellt. Heute sind es,
wie gesagt, 200 Millionen Euro.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wofür sind denn die 200 Millionen?)


Trotzdem beklagen Sie sich darüber. Beklatschen sollten
Sie das, Herr Paziorek!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit der Bilanz, die Sie an dieser Stelle vorzuweisen ha-
ben, brauchen Sie uns in der heutigen Debatte nicht zu kri-
tisieren.

Dass die Mittel für die Förderung pro Projekt in ein-
zelnen Sektoren verringert worden sind, hat damit zu tun,
dass es so viele Anträge in diesem Bereich gibt. Wir ha-
ben einen Boom ausgelöst.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist eine schöne Ausrede! Dafür bekommen Sie von uns noch Beifall!)


Das ist ein großer Erfolg der Politik, die wir in diesem Be-
reich gemacht haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum Schluss: Wenn hier behauptet wird, wir seien die
Einzigen, die versuchen würden, die Ziele der Klimapo-
litik zu erfüllen, dann verweise ich nur darauf: Wir haben
gerade mit einer großen internationalen Kraftanstrengung
die Verpflichtungen des Kioto-Protokolls rechtlich fest-
geschrieben. Ich hoffe, dass es uns gemeinsam gelingen
wird, auch in diesem Hause die Ratifizierung über die
Bühne zu bringen. Mit der Ratifizierung des Kioto-Proto-
kolls verpflichten sich viele Staaten, Klimaschutzziele zu
erfüllen. Sie malen also ein Gespenst an die Wand, wenn
Sie behaupten, Deutschland nehme eine isolierte Position
in der Klimapolitik ein, weil es versuche, alleine voran-
zugehen, und deswegen in eine Sackgasse laufe.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Der Müller sagt das!)


Das ist und bleibt falsch. Wir sind Vorreiter in der Klima-
politik. Das wollen wir auch sein, weil es positive ökolo-
gische Effekte hat und Vorteile für unsere Wirtschaft
bringt; denn die Technologien, die wir heute entwickeln,
werden morgen in aller Welt gebraucht.

Sie müssen erst einmal Ihre Gedanken über die Um-
weltpolitik etwas ordnen und klare Konzepte vorlegen.
Dann können wir weiter diskutieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1420418500
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 16
des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit in der Ausschussfassung. Es liegen
zwei Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor, über
die wir zuerst abstimmen.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/7599? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Dann ist der Änderungsantrag abgelehnt.




Christoph Matschie

20191


(C)



(D)



(A)



(B)


Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/7604? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.

Wir stimmen nun über den Einzelplan 16 in der Aus-
schussfassung ab. Wer stimmt zu? – Wer stimmt dage-
gen? – Der Einzelplan 16 ist damit angenommen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 29. November 2001,
9 Uhr, ein.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Restabend.
Die Sitzung ist geschlossen.