Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Beratung des
Einzelplans 16, Bundesministerium für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit, von Donnerstag auf heute
als letzten Tagesordnungspunkt vorzuziehen.
Des Weiteren wurde vereinbart, die Beratung des Ent-
wurfs eines Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes, die für
Donnerstag vorgesehen war, abzusetzen. Sind Sie damit
einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist
es so beschlossen.
Wir setzen die Haushaltsberatungen – Punkt I – fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2002
– Drucksachen 14/6800, 14/7537 –
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2001 bis 2005
– Drucksachen 14/6801, 14/7324, 14/7538 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Christa Luft
Ich rufe dazu Punkt I. 16 auf:
Einzelplan 04
Bundeskanzler und Bundeskanzleramt
– Drucksachen 14/7304, 14/7321 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Lothar Mark
Dr. Elke Leonhard
Dankward Buwitt
Steffen Kampeter
Antje Hermenau
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel
Über Einzelplan 04 werden wir später namentlich ab-
stimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind
für die Aussprache vier Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Jeder, der die Grund-satzlosigkeit und vor allen Dingen die Machtverliebtheitder grün lackierten angeblichen Antiatomkraft- und Frie-densfreunde kennt,
der konnte sich über den Ausgang der Vertrauensab-stimmung in der letzten Sitzungswoche überhaupt nichtwundern.
Ich zitiere Martin Lambeck, der in der „Bild“-Zeitungam 16. November dieses Jahres geschrieben hat:Dies ist die letzte Szene einer Politehe. Es ist längsteine quälende Beziehung mit kleinlichem Gezänk.Wenn es Schröder ernst meint mit seiner uneinge-schränkten Solidarität mit den USA, dann braucht ereine neue, handlungsfähige Koalition mit starkerMehrheit. Nicht in seinem, sondern im deutschen In-teresse.Ich füge hinzu: Wir brauchen keine andere Koalition,sondern wir brauchen eine andere Parlamentsmehrheit.Dafür werden wir kämpfen und antreten.
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204. SitzungBerlin, Mittwoch, den 28. November 2001Beginn: 9.00 UhrDas deutsche Interesse wird dadurch ausgewiesen, dassunser Land eine bessere und handlungsfähigere Regie-rung bekommen muss.
Herr Bundeskanzler, es trifft sich gut, dass Sie mir ant-worten wollen. Haben Sie sich schon einmal Gedankendarüber gemacht, warum Präsident Bush und Vizepräsi-dent Cheney immer einen großen Bogen um Deutschlandmachen?
Haben Sie das Vertrauen der Grünen etwa dadurch ge-wonnen, dass Sie gleichzeitig Misstrauen bei der ameri-kanischen Administration auslösen?Sie haben sich vor der Vertrauensfrage mit HelmutSchmidt beraten. Ich glaube, er ist ein kluger Ratgeber.Hat er Ihnen gesagt, wie lange er damals nach der erpress-ten Zustimmung noch regiert hat? Solche Zustimmungensind nämlich immer erpresste Zustimmungen.
Hat er Ihnen vor allen Dingen auch gesagt, was er an-schließend dem „Hamburger Abendblatt“ gesagt hat? Ersagte:Für mich sind die Grünen nie sonderlich tragfähiggewesen.
So sehe ich sie heute noch.– Wo Helmut Schmidt Recht hat, hat er Recht.
Herr Bundeskanzler, wir konnten Sie beobachten, alsdie Gratulanten pflichtgemäß aufmarschiert sind. Sie ha-ben zu Recht sehr süß-sauer geschaut. Sie hätten es liebergehabt, dass das Ganze anders ausgegangen wäre. Denndann könnten Sie in diesem Land Reformen machen. Mitden Grünen wird es eine Agonie der Regierung bis in denSeptember hin werden.
Bei den Grünen haben Sie es ja nicht nur mit dem pflege-leichten Joseph Fischer – dann wäre es leichter –, sondernauch mit Frau Buntenbach, Frau Vollmer, Herrn Ströbeleund wie sie alle heißen, zu tun.England, Frankreich, Italien, Polen und Tschechienhelfen den Amerikanern auch mit Soldaten. Rot-Grünhilft mit Selbstzweifeln, wohlfeilen Ratschlägen und ei-nem neuen Katalog von Tabus, was Deutschland alsBündnispartner angeblich nie tun wird.Darüber diskutieren auch die Medien in diesen Tagen.Das ist eine sehr ernste Sache. Eine Zeitung schreibt: „InSomalia wartet man auf deutsche Truppen.“ Auch woan-ders wird jetzt diskutiert. Die Äußerungen aus dem Irak,dass man amerikanische oder UN-Kontrolleure ablehnt,deuten auf eine Verschärfung des Konfliktes hin. Jetzt istdie Frage: Sind Sie eigentlich mit dieser Parlamentsmehr-heit noch in der Lage, Ihr gegebenes Wort von deruneingeschränkten Solidarität mit den USA einzulösen?Diese Frage ist auch nach der Vertrauensabstimmung un-gelöst und ungeklärt.
Eine andere Frage ist: Sind unsere Streitkräfte, die fi-nanziell am Krückstock gehen, überhaupt in der Lage, dieSolidarität einzulösen? Müssen wir nicht – auch dieseFrage wird diskutiert – in Zukunft besonders viel Geld fürdie Ehre bezahlen, dass unser Außenminister, der beider Stange gehalten werden muss, jetzt Gastgeber derFriedenskonferenz für Afghanistan ist?
–Wir diskutieren heute über den Haushalt. Ich kann dieseUnruhe nicht verstehen.Hier stellt sich vor allen Dingen die Frage: Ist dafür imHaushalt ausreichend Vorsorge getragen?
Der Haushalt der Entwicklungsministerin ist unter IhrerRegierungszeit immer ein Steinbruch gewesen.
Es kommt noch hinzu: Neben der Vorsorge, die fürviele wichtige Dinge fehlt, muten Sie – wir werden dage-gen stimmen – Ihrer rot-grünen Mehrheit zu, einen Haus-halt zu verabschieden, der falsch angelegt ist und dessenGrundlagen nicht stimmen. Herr Eichel, Sie kalkulierenmit einem Wachstum von 1,25 Prozent. Die optimis-tischsten seriösen Prognosen, die es gibt, liegen bei0,7 Prozent Wachstum. Das geht natürlich leicht, wennder Wirtschaftsminister ausfällt, der früher für die Kon-junkturzahlen verantwortlich war. Wenn man diesen Be-reich ins Finanzministerium verlegt, dann bekommt manfür die Haushaltsaufstellung genau die Schätzungen, dieman will, die aber mit Wirklichkeit und Seriosität nichtszu tun haben.
Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt in ihrer Samstags-ausgabe vom 24. November 2001 unter der Überschrift„Der hilflose Kanzler“ – ich zitiere –:Wie lange noch soll das so gehen? Wie lange nochwill die Regierung tatenlos zusehen, wie Deutsch-land die Kräfte schwinden? Was wiegt ein bisschenmehr außenpolitisches Gewicht gegen den fort-schreitenden Verlust von wirtschaftlicher Kraft undSelbstbewusstsein?Erstmals seit Jahren wächst die deutsche Volkswirt-schaft nicht mehr. Sie befindet sich auch nicht in ei-ner Wachstumspause, wie uns die Regierung weis-machen will, sondern ist klar auf Schrumpfkurs.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
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Es heißt weiter:Überall im Land werden die Budgets zusammen-gestrichen, werden Mitarbeiter entlassen. In der fürDeutschland so wichtigen Exportwirtschaft kommtPanik auf, am Bau herrscht Endzeitstimmung:Szenen aus Deutschland vor einem harten Winter.Bald mehr als vier Millionen Arbeitslose – die Re-gierung aber betreibt Nabelschau.Das sind Ihre Arbeitslosen, Herr Bundeskanzler.
Es ist schon erschreckend, wenn sich die regierungs-freundliche „Süddeutsche Zeitung“ veranlasst sieht, IhrNichtstun in dieser Art und Weise anzuprangern.Auch war es sehr peinlich, Herr Bundeskanzler, wasSie auf dem Nürnberger SPD-Parteitag zum Thema Wirt-schaft und Arbeitsmarkt gesagt haben.
Sie haben gesagt: Wir stehen am Anfang des Reformpro-zesses; die nötigen Reformen auf dem Arbeitsmarkt wer-den kommen. – Wann werden sie kommen? Am Sankt-Nimmerleins-Tag? Warum haben Sie denn alle Reformen,die wir mit Mühe durchgesetzt haben – das war nichtleicht –, sofort wieder rückgängig gemacht?
Warum haben Sie die befristeten Arbeitsverhältnisse ein-geschränkt? Warum haben Sie einen pauschalen An-spruch auf Teilzeitarbeit eingeführt?
– Es geht um Arbeitsplätze, nicht um Sprüche. – Die In-dustrie- und Handelskammern schätzen, dass allein dieseTatsache den Verlust von 250 000 Arbeitsplätzen inDeutschland bedeutet.Warum tragen Sie so viel Unruhe in den Mittelstand?Der Mittelstand war zu allen Zeiten der Motor des Wachs-tums. Warum entmutigen Sie? Warum ermutigen Sienicht? Vor allen Dingen: Warum machen Sie solche Dingewie ein Betriebsverfassungsgesetz, das nur unnötige Kos-ten verursacht?
Sie machen es den Unternehmen, insbesondere den klei-nen Unternehmen, sehr viel schwerer, auf die Arbeits-marktlage flexibel zu reagieren und Entscheidungen raschzu treffen.Das sind die Probleme, die unser ganzes Land belasten.Dass diese Probleme die Genossen auf dem SPD-Partei-tag noch nicht belastet haben, wundert mich überhauptnicht.
Aber die Probleme unseres Landes sind wichtiger als dieProbleme Ihrer Partei, Herr Bundeskanzler!
Es wäre dringend notwendig, dass Deutschland wiederauf Wachstumskurs kommt. Im zweiten und dritten Quar-tal dieses Jahres ist die Wirtschaftsleistung Deutschlandszurückgegangen, also zweimal in Folge; das bedeutet Re-zession. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Der Ifo-Ge-schäftsklimaindex ist auf dem tiefsten Stand seit acht Jah-ren. Herr Bundeskanzler, Sie haben in Nürnberg wiederden Versuch gemacht, für die deutsche Wirtschaftsmiseredie amerikanische Konjunkturschwäche und die Terror-anschläge verantwortlich zu machen. Das ist eine faden-scheinige Behauptung. Ich möchte sie gerne widerlegen,falls sie überhaupt noch jemand geglaubt hat, außer IhrenParteifreunden, die Sie in den Fällen, in denen Sie sie be-sonders gut an der Nase herumführen wollen – das habeich im Fernsehen gesehen –, mit „Liebe Genossinnen undGenossen!“ anreden.
Deutschland ist beim Wachstum das Schlusslicht in derEuropäischen Union. Die EU-Kommission rechnet mit ei-nem durchschnittlichen Wachstum in der EuropäischenUnion von 1,7 Prozent in diesem und von 1,4 Prozent imnächsten Jahr. Deutschland wird, wenn es gut geht, höchs-tens die Hälfte erreichen. Macht es Ihnen Spaß, die roteLaterne zu tragen? Bei der nächsten EU-Konferenz, dieSie besuchen, müssen Sie die rote Laterne mitbringen unddamit zeigen, dass Deutschland Schlusslicht ist. Der Mo-tor des Wachstums ist zum Rücklicht geworden.
Die Deutschen mögen keine Verlierertypen. Sie wollen– in dieser Beziehung sind unsere Landsleute etwas chau-vinistisch – Siegertypen.
Die Deutschen möchten, dass Deutschland in der Cham-pions League spielt. Warum herrschte denn ein solcherFreudentaumel in unserem Land, als die Qualifikation zurFußballweltmeisterschaft endlich erreicht worden war?Warum ist Schumi so beliebt, Herr Bundeskanzler? Er istso beliebt, nicht weil er hinterherfährt, sondern weil ervorausfährt, weil er der Schnellste und der Dynamischsteist.
Herr Bundeskanzler, Sie sind ja immer, wenn wichtigeSpiele sind – Sie machen das insbesondere wegen derFernsehkameras –, in den Stadien. Dann wissen Sie si-cherlich auch, dass spätestens dann, wenn man das Tabel-lenende erreicht hat, der Trainer ausgewechselt wird. Daswerden die Wähler im September des nächsten Jahres tun.
Wir Deutschen sind zu Recht stolz auf das Wirt-schaftswunder nach dem Krieg, auf die soziale Markt-wirtschaft und auf die starke Wirkung, die die soziale
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Marktwirtschaft entfaltet hat. Wir sind stolz auf unserestabile Währung.Wir wollen, dass der Euro genauso sta-bil wird wie die D-Mark. Die Grundlagen, die TheoWaigel, Helmut Kohl und alle anderen, die dafür verant-wortlich waren, gelegt haben, sprechen für eine außeror-dentlich stabile Währung. Aber wir wissen auch, dass füreinen Waigel-Euro 1,18 US-Dollar an den Devisen-märkten gezahlt werden mussten, während gestern einSchröder-Euro für 88 Cent zu haben war. Die Stabilitätund der Wert einer Währung müssen immer gepflegtwerden.
Jetzt wird das Märchen erzählt – wir werden es an-schließend wieder hören –, das alles liege am Export.Auch hier möchte ich noch ein paar Zahlen anführen, ob-wohl ich weiß, dass Zahlen immer etwas Trockenes sind.Die Exporte vom Januar bis August 2001 waren präziseum 5,8 Prozent höher als die vom Januar bis August 2000.Das sind die Fakten, die Tatsachen. Deswegen kann mansagen: Die Rezession in Deutschland ist hausgemacht.Vieles in der deutschen Binnenkonjunktur liegt im Argen.Warum ist das Wachstum in Frankreich dreimal so hochwie das Wachstum in Deutschland?Seit Jahresbeginn steigt die saisonbereinigte Zahl derArbeitslosen in Deutschland an. Im Oktober 2001 waren114 000 Menschen mehr ohne Arbeit als im Oktober2000. Insgesamt werden im Durchschnitt des Jahres 2001immerhin 5,4 Millionen Menschen in Deutschland ohneArbeit sein. Davon sind 3,7 Millionen offiziell als Ar-beitslose registriert; 1,7 Millionen sind in arbeitsmarktpo-litischen Maßnahmen. Das alles sind Menschen ohne re-guläre Arbeitsverhältnisse.
Die Menschen in Deutschland – Herr Kollege Zwi-schenrufer, das sollte gerade die sozialdemokratische Par-tei sorgen – haben wieder Angst um ihre Arbeitsplätze.Nicht nur die Menschen, die gering qualifiziert undschlecht ausgebildet sind, haben Angst um die Arbeits-plätze, sondern heute fürchten auch gut ausgebildete Ab-solventen sowohl von Lehrverhältnissen als auch vonHochschulen die Arbeitslosigkeit und finden keine Stellenmehr. Das sollten wir viel ernster nehmen; vor allen Din-gen sollten Sie es ernst nehmen.
Wir erleben derzeit beispiellose Entlassungswellen,die Beschäftigte in großen Unternehmen ebenso wie inkleinen Betrieben treffen – bei den kleinen Betrieben wirdvieles noch zeitverzögertwirksamwerden –: Siemens baut17 000 Stellen ab, die Deutsche Bank 10000. Der ZDHmeldet, dass im Laufe des Jahres 2001 rund 200 000 Ar-beitsverhältnisse im Handwerk verloren gehen. Bei dieserLage ist nicht auszuschließen, dass das Weihnachtsge-schäft für den Einzelhandel ganz trübe wird, mit allenschlimmen Folgen, die das letztlich hat.Ich habe vorhin schon einmal zitiert, was Marc Beisein der „Süddeutschen Zeitung“ geschrieben hat. Der ge-samte Artikel ist vorlesenswert. Ich möchte nur noch dreiSätze aus ihm zitieren:Schröders einziger Beitrag zur Krisenbewältigung istdie Wortschöpfung von der „ruhigen Hand“, die alsAlibi dient für völlige Bewegungslosigkeit. ... DerKanzler will nicht nur nichts tun, er weiß auch nichtszu tun. Er ist schlicht hilflos.Die Regierung Schröder hat in der Wirtschaftspolitikvon Anfang an viele Irrtümer begangen, vor allenDingen aber einen Kardinalfehler: Sie hat in gutenZeiten nicht vorgesorgt.
Daran sind Sie, Herr Bundeskanzler, nicht allein schuld.Sie haben zweimal bei der Auswahl Ihres FinanzministersPech gehabt. Bei dem ersten Finanzminister – wenn Siesich noch erinnern: es war Ihr Parteivorsitzender, HerrLafontaine – hat man sich unter „Rotlicht“ noch etwasLustiges vorgestellt, nicht die rote Laterne beim Wirt-schaftswachstum.
Der zweite Finanzminister, der blanke Hans, hat dengroßen Sparminister gespielt. Dieses Märchen verfängtnoch bis heute. Er ist letztlich kläglich gescheitert. Erwollte als Sparminister Geschichte schreiben und hat ver-gessen, dass man öffentliche Haushalte nur konsolidie-ren kann, wenn man auch für Wachstum sorgt.
Bei Ihnen, Herr Eichel, kommt einem nur noch dasMärchen von Hans Guckindieluft in den Sinn. In diesemMärchen heißt es – ich zitiere immer ganz genau –:Seht! Nun steht er triefend nass!Ei! das ist ein schlechter Spaß!
Wasser läuft dem armen WichtAus den Haaren ins Gesicht,Aus den Kleidern, von den Armen;Und es friert ihn zum Erbarmen.
Das Schlimme ist, Herr Eichel: Deutschland friert mit Ih-nen. Wir werden zum Ende Ihrer Amtszeit, der Amtszeiteines selbst ernannten Sparministers, 100 Milliarden DMmehr Schulden haben als vorher, und das trotz der Tatsa-che, dass Sie Windfall Profits in Höhe von 100 Milli-arden DM durch die Versteigerung der UMTS-Lizenzenhatten.Herr Bundeskanzler, noch viel schlimmer ist, wie inunserem Land die Kleinaktionäre von der roten Abzockebetroffen worden sind.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Michael Glos20036
– Ihnen wird das Lachen noch vergehen, Herr Struck.Nehmen Sie doch die Tatsachen zur Kenntnis: Erstenshaben die Telekommunikationshersteller einen massivenEinbruch erlitten. Der gesamte Markt ist belastet; sie kön-nen nicht investieren. In der völlig überteuerten Lizenz-vergabe liegt der eigentliche Grund für die derzeitigeBaisse in der IT-Branche ganz besonders in Deutschland.Zweitens gehen den Ländern und den KommunenSteuereinnahmen in Milliardenhöhe verloren, weil die Li-zenzkosten die Gewinne der betroffenen Unternehmen re-duzieren und die Unternehmungen in die Verlustzone ge-raten. Über Steuerverbünde wirkt sich das natürlichbesonders negativ bei den Ländern und Kommunen aus,die aus dem Lizenzverkauf keine einzige Mark erhaltenhaben. Das ist für die gesamte derzeitige Wirtschaftslageund für die Investitionsfähigkeit verheerend. Schauen Siesich doch einmal die Haushalte der Gemeinden an.Drittens – das verstehe ich unter Abzocke – sind dieBörsenwerte der Unternehmen zum Nachteil der Klein-aktionäre gewaltig nach unten gezogen worden.
In besonderer Weise wurden von Ihnen die Telekom-Ak-tionäre geprellt. Beim ersten Börsengang im November1998 kostete die Telekom-Aktie mit Privatanlegerrabatt14,32 Euro. Für den Bund handelten damals Helmut Kohl,Theo Waigel und Wolfgang Bötsch.
Dann begann die Abzocke, Herr Struck. Beim Verkaufder zweiten Tranche – Sie sollten zuhören – im Juni 1999,also bereits unter Ihrer Verantwortung und unter der Ver-antwortung von Herrn Eichel, mussten 39,5 Euro bezahltwerden.
Bei der dritten Tranche allerdings, im Juni 2000, habenSchröder und Eichel den Bürgern Aktien für 66,5 Euroaufgeschwatzt und verkaufen lassen. Das ist eine Abzockeim gewaltigen Umfang.
Jetzt kommt es: Nachdem viele Millionen Klein-anleger Milliarden dafür ausgegeben haben, hat man ge-sagt: Die machen wir jetzt vollkommen nass; wir verstei-gern anschließend die UMTS-Lizenzen. Dafür hat man100 Milliarden eingenommen. Daraufhin begann die Tal-fahrt dieser ganzen Branche und auch der Aktien.Am allerschlimmsten ist es, dass dadurch Kapital – vorallen Dingen Vertrauenskapital – verspielt worden ist.Auch das müsste Ihnen Sorge machen. Wenn wir heuteunsere Altersversorgung ein Stück weit auf Aktien auf-bauen wollen, dann wird den Leuten immer in Erinnerungsein, was die öffentliche Hand in diesem Punkt mit ihnengetrieben hat.
Das geht alles auf einen Kapitalisten zurück, nämlichauf den Bankier Fürstenberg, der früher gesagt hat: Ak-tionäre sind dumm und frech; dumm, weil sie anderenLeuten ihr Geld geben, und frech, weil sie auch noch Di-videnden dafür wollen. – Herr Eichel, so kann man mitden Leuten nicht umgehen.Die so genannte größte Steuerreform aller Zeiten hatsich als Flop erwiesen. Sie ist nur für Konzerne und Steu-ergestalter in Kapitalgesellschaften gemacht, nicht aberfür den Mittelstand und für die kleinen Leute.
Herr Wirtschaftsminister, es wäre auch Ihre Aufgabe ge-wesen – Sie sollen ja bereits ein Büro in einem großenEnergiekonzern haben; das ist auch gut so, denn als Wirt-schaftsminister sind Sie nur schwer tragbar –,
bei der Steuerreform eine Wächterfunktion wahrzuneh-men. Sie haben weggeschaut.Sie haben jetzt einen Energiebericht vorgelegt, dersehr mutig ist; denn er ist vor allen Dingen realistisch.Demnach müssen wir in den nächsten 20 Jahren den ge-waltigen Betrag von 500 Milliarden mehr aufbringen,wenn wir alle Ziele gleichzeitig erreichen und dabei dieKernkraftwerke abschalten wollen. Ich glaube, dass dasüberhaupt nicht zu leisten ist. Auf diesen Bericht hin wur-den Sie vom stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Fraktion, der ebenso wie Sie Müller heißt – er heißtMichael, Sie Werner –,
anschließend geziehen, einen Chaosbericht vorgelegt zuhaben. Es hieß, Sie seien nicht mehr auf der Höhe der Zeit.Herr Bundeskanzler, dazu kann ich nur sagen: SchönerZustand bei euch. Alles Müller oder was?
Der Ausstieg aus der Kernenergie ist ein klassischerVertrag zulasten Dritter. Leidtragende sind die Wirtschaft,die Verbraucher, die Arbeitnehmer und auch der Klima-schutz.Über Herrn Minister Riester muss man vor allem sa-gen, dass er alle seine Wahlversprechen gebrochen hat.Zusammen mit Ulla Schmidt sorgt er dafür, dass bei unsdie Sozialversicherungsbeiträge nicht sinken, sondernansteigen, nicht wie versprochen 40 Prozent, sondernmindestens 41,2 Prozent werden es im nächsten Jahr sein.Außerdem sind die Leute mit der Ökosteuer gleichzeitiggewaltig abgezockt worden. Wir werden dann am Endefünf Stufen Ökosteuer und höhere Sozialversicherungs-beiträge als vorher haben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, nirgendsist die Kostenbelastung der Arbeit so hoch wie inDeutschland. Das ist unser Problem. Deswegen ist bei unsder Arbeitsmarkt so besonders schwierig. Deswegen gehtes so langsam bergauf, wenn es besser wird, und so raschbergab, wenn es schlechter wird. Sie weigern sich einfach,diese Probleme zu lösen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Michael Glos20037
Sie haben in Ihrer Amtszeit sieben Minister ausge-tauscht.
Wenn man den virtuellen Minister Stollmann noch da-zurechnet, sind es acht. Wenn man den großmäuligenSteiner noch dazurechnet, der gemeint hat, mehr zu seinals ein Minister, sind es schon neun. Sie haben mit IhrenNeueinkäufen nicht immer Glück gehabt. Frau Künast,die letzte Neubesetzung, hat sich nicht nur für die Land-wirtschaft als Flop erwiesen.
Funke, von dem ich heute gelesen habe, dass er zumindestnoch Weihnachtsgeld bekommt, war der letzte, der ge-wusst hat, dass ein Eisbein vom Schwein stammt undnicht das erfrorene Bein eines Polarforschers ist.
Wenn solche Minister handeln, dann ist es nicht ver-wunderlich, dass für die Verbraucher alles immer teurerwird und dass bei den Bauern immer weniger in die Ta-sche kommt. Auch bei den Bauern, die das Handtuch wer-fen müssen, geht es um Arbeitsplätze, Herr Bundeskanz-ler. Sie sind nach Ihrem Amtseid verpflichtet, auch für diezu sorgen, von denen Sie vermuten, dass sie in IhrerWählerschaft nicht so stark vertreten sind.Ich wollte jetzt eigentlich noch die Leistungen allerMinister aufzählen. Es lohnt sich nicht. Ich habe zum Teilsehr intensiv nachgedacht.
Zu Scharping wäre mir sehr viel eingefallen; aber diePietät verbietet mir, darüber zu reden. Der Bundeskanzlerhatte versprochen, sich beim SPD-Parteitag für ihn einzu-setzen. Jetzt weiß ich nicht, ob er wegen oder trotz diesesEinsatzes nicht einmal 60 Prozent bekommen hat.Das ist doch zum Teil eine Chaos-Combo, eine Mann-schaft, zu der man nur sagen kann: Wie der Herr, so‘s Ge-scherr.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie nach dem alten Motto,das da lautet „Unter Blinden ist der Einäugige König“,brillieren wollen, dann kann ich nur sagen: Auch das eineAuge ist bereits schwer eingetrübt.
Leidtragende sind wir alle. Es ist schade, dass es nicht zuvorzeitigen Neuwahlen gekommen ist.Ob Ihre Partei, Herr Bundeskanzler, Sie für all das, wasSie versprochen haben und was Sie auf dem Parteitagparteiintern zurückgenommen haben – aus der Resolutionist die Zahl „unter 3,5 Millionen Arbeitslose“ plötzlichgestrichen worden –, beim Wort nimmt, weiß ich nicht.Aber ich verspreche Ihnen: Wir werden dafür sorgen, dasssich die Wählerinnen und Wähler in Deutschland an diegegebenen Versprechungen erinnern. Wir werden Sie– darauf können Sie sich verlassen – an all diesen Ver-sprechungen messen.Ich bedanke mich für die Geduld meiner Fraktion.
Liebe Kolleginnenund Kollegen, unter Leitung von Herrn Lopez, dem Vize-präsidenten des spanischen Abgeordnetenhauses, be-suchen in diesen Tagen Parlamentarier der Cortes Ber-lin. Ich heiße Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen ausSpanien, im Namen des Deutschen Bundestages herzlichwillkommen.
Nunmehr erteile ich dem Bundeskanzler GerhardSchröder das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte da-rum gebeten, endlich einmal nach Michel Glos reden zudürfen, und hatte gedacht: Da redet der Hauptredner derOpposition am heutigen Tag und der wird uns alles ent-gegenhalten, was man sich nur einfallen lassen kann, umden Haushalt schlecht zu machen.
Nun muss ich alle Fragen, die er hätte stellen sollen, mirselbst stellen und beantworten; denn mehr als ein paarmuntere Bemerkungen, lieber Michel Glos, sind ja nichtdabei herausgekommen.
Auf diese kann ich aber noch eben antworten.
„Leidtragende sind wir alle“, hat er gesagt. Wie wahrheute Morgen!
Dann hat er gesagt – das war ja noch das Interessan-teste –, man müsse den Trainer auswechseln.
Das mag ja sein, nur: Man kann nur auswechseln, wasman hat.
Das müsst ihr doch zugeben: Euer Problem ist, dass ihrkeinen habt.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Michael Glos20038
Ohne Trainer kann man auch im Fußball nichts bewegenund erst recht im Staate nicht. Also ist mein guter Rat:Macht euch auf den Weg, schafft Klarheit, und dann redetihr über Trainer-Auswechseln. Sonst glaubt das keiner.
Jetzt habe ich gehört, das Ganze solle – so Michel Glosgestern – um den 3. März geschehen. Nicht gesagt hat er,in welchem Jahr.
Darauf warten wir dann noch ein bisschen.Ich glaube, bevor nicht eine ernsthafte Diskussion überdie wirklich anstehenden Fragen beginnt, haben Sie auchnicht die Spur einer Chance, irgendetwas zu bewegen, ge-schweige denn bei den Wahlen im September auch nurSpuren von Erfolg zu bekommen.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der ge-samtwirtschaftlichen Entwicklung hat ein interessantesGutachten vorgelegt, ein in Teilen kritisches – das wirdman nicht bestreiten können –, aber eines, das die Grund-züge der Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bundes-regierung unterstützt. Es steht unter dem Motto „Für Ste-tigkeit – gegen Aktionismus“.
Exakt das ist die Politik, die der Bundesfinanzminister mitUnterstützung des gesamten Kabinetts in den letzten dreiJahren gemacht hat, und exakt das ist die Politik, die fürDeutschland notwendig ist und die deshalb auch weiter-geführt werden wird.
Worin bestehen die Grundzüge dieser Politik?Zunächst einmal – das ist gestern vom Bundesfinanzmi-nister noch einmal deutlich gemacht worden – musstenwir den Bundeshaushalt konsolidieren. 1,5 Billionen DMSchulden haben wir von Ihnen übernommen, 82 Milliar-den DM Zinsen zahlen wir jedes Jahr dafür – ohne Til-gung, das sage ich für die Häuslebauer, die in Bayern undin Franken im Besonderen –: Das war die Eröffnungsbi-lanz. Das konnte doch nicht so weitergehen.Wir haben gesagt: Nachhaltigkeit ist ein Begriff, dernicht nur in der Ökologie einen hohen Stellenwert ver-dient. Vielmehr muss Nachhaltigkeit, also die Sorge auchum künftige Generationen, auch die Finanzpolitik beein-flussen. Wir konsolidieren doch nicht die Haushalte undwir sparen doch nicht um des Sparens willen, sondern wirsparen und wir konsolidieren den öffentlichen Haushalt,weil wir doch nicht das verfrühstücken dürfen, wovonunsere Kinder und Enkelkinder auch noch etwas habenwollen.
Die Politik, die Sie gemacht hatten, durfte nicht so wei-tergeführt werden, aus Gründen der Nachhaltigkeit, aberauch aus internationalen Gründen nicht. Ohne den Kon-solidierungserfolg von Hans Eichel in einer Größenord-nung von 30 Milliarden hätten wir bereits in diesem Jahrgegen den von Ihnen doch selber in Europa propagiertenund durchgesetzten Stabilitätspakt – das war ja in Ord-nung – verstoßen. Wir hätten nämlich ohne diesen Kon-solidierungserfolg die Maastricht-Kriterien verfehlt. Daskann doch wohl nicht ernsthaft Ihre Auffassung sein.Ich habe in Vorschlägen aus der Union, auch von derParteivorsitzenden der Union, gelesen, dass man wegender Schwäche der Binnenkonjunktur zeitweise in die Ver-schuldung gehen müsse, dass man weiter Schulden ma-chen müsse.
Das wäre doch die Weiterführung einer Politik, die erstensfeindlich gegenüber den Nachkommen und zweitens eu-ropaunverträglich ist. Es kann doch nicht Ihr Ernst sein,das vorzuschlagen.
In der letzten Zeit hat man ja auch wenig davon gehört.Also ist der Vorschlag, mehr Schulden zu machen, dermitten aus der Union kam, angesichts der Widerstände inder Wissenschaft, in der Öffentlichkeit und in der Wirt-schaft zu den Akten gelegt worden – ich würde sagen:wieder einmal. Anstelle dessen habe ich nichts gehört.
Ich entnehme dem, dass auch Sie inzwischen der Meinungsind, dass die Politik der Konsolidierung von Hans Eichelrichtig ist und weitergeführt werden muss. Aber wenn Siedieser Meinung sind, dann sagen Sie das doch auch,meine Damen und Herren.
Wir haben die Nettoneuverschuldung – sie erhöht denvon Ihnen angerichteten Schuldenberg – kontinuierlichzurückgeführt. 1997 lag die Nettoneuverschuldung– noch unter Ihrer Regierung – bei 63,7 Milliarden DM,1999 bei 51,1 Milliarden DM, 2001 liegt sie bei 43,7 Mil-liarden DM und 2002 wird sie bei 41,3Milliarden DM lie-gen. Wir werden den Abbau der Verschuldung, ungeach-tet der gesamtwirtschaftlichen Schwierigkeiten, in denenwir uns gegenwärtig ohne Frage befinden, kontinuierlichvorantreiben. Das sollten Sie nicht kritisieren, sondernunterstützen. Sie sollten aufhören, den Unsinn zu verbrei-ten, mit einer höheren Verschuldung sei Staat zu machen.
Die Konsequenz der Finanzpolitik von Hans Eichel ist,dass die Europäische Zentralbank nur auf diese Weiseeine Zinspolitik gestalten kann, die investitions- und da-mit wachstumsfreundlich ist. Mit der von Ihnen vorge-schlagenen höheren Verschuldung wären Sie in eine
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Bundeskanzler Gerhard Schröder20039
Zinsfalle gelaufen. Ich erwarte, dass Sie heute einmaletwas dazu sagen, meine Damen und Herren von derOpposition.
Hier ist ein Vortrag über den Wert des Euro im Ver-gleich zu dem des Dollar gehalten worden. Das ist inte-ressant. Mit der von Ihnen empfohlenen Politik
– mehr Schulden, was einen geringeren Zinsspielraum fürdie Europäische Zentralbank bedeutet hätte – hätten Sieden Euro wirklich in den Keller getrieben. Das ist dieWahrheit. Das muss man sagen, wenn man sich über denAußenwert des Euro unterhält.
Zu der Konsolidierungspolitik, die Hans Eichel be-trieben hat und die er mit Unterstützung des gesamten Ka-binetts sowie der gesamten Koalition fortführen wird, gibtes keine vernünftige Alternative. Das ist der Kern desSachverständigengutachtens. Offenbar sind Sie dazuübergegangen, immer nur diejenige Zeile ansatzweise zulesen, die Ihnen gerade in Ihren Kram passt. Das Gutach-ten selbst besagt jedoch eindeutig: Nur die Weiterführungdes Konsolidierungskurses schafft die Möglichkeiten,Deutschland nach Überwindung der weltwirtschaftlichenSchwierigkeiten auf einen soliden Wachstumspfadzurückzuführen. Aus diesem Grund wird an diesem Kursnicht gedeutelt.
Wir müssen uns ferner mit der Steuerreform ausei-nander setzen. Es ist immer wieder gefragt worden: Washabt ihr denn in den drei Jahren gemacht, um wachstums-freundliche Politik zu unterstützen?
– Darauf werde ich gleich zu sprechen kommen. WartenSie noch einen Moment. – Wenn wir dieser Frage nach-gehen, sollten wir über alle Stufen der Steuerreform, undzwar die der Jahre 1999 – das erste Steuerentlastungsge-setz sollte man nicht vergessen; ich komme gleich daraufzurück –, 2001, 2003 und 2005, reden.Worum ging es? Bei der Anlage der Steuerreform ginges darum, eine sinnvolle Balance zwischen einer vernünf-tigen, nachfrageorientierten Steuerpolitik auf der einenSeite und einer ebenso vernünftigen, angebotsorientiertenSteuerpolitik auf der anderen Seite zu finden und im Ge-setz festzuschreiben, damit sie Wirklichkeit wird. All die-jenigen, die entweder das eine oder das andere fordern,befinden sich meiner Meinung nach auf dem Holzweg. Esgeht darum, bei der Angebotspolitik eine Situation zuschaffen, die die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Un-ternehmen, speziell der mittelständischen Unternehmen,stärkt – auch darauf werde ich gleich noch zu sprechenkommen –, und auf der Nachfrageseite die Binnenkon-junktur durch Förderung der Nachfrage mithilfe einerbesseren Steuerpolitik zu stabilisieren. Diese beidenPunkte müssen realisiert werden, wenn man eine Balancezwischen Angebots- und Nachfrageorientierung herstel-len möchte.Wir müssen schauen, ob das von einem Staat, der auchdafür sorgen muss, dass er die von den Bürgerinnen undBürgern eingeforderten Leistungen erfüllen kann, erreichtworden ist.Also schauen wir uns doch einmal die einzelnen Stufender Steuerreform unter diesem Aspekt an. Was ist ge-wesen?Ich beginne mit der Nachfrageseite. Mit dem erstenSteuerentlastungsgesetz sind 17,5 Milliarden DM an dieArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zurückgegebenworden. In der Stufe 2001, die Anfang dieses Jahres inKraft getreten ist, sind es 25 Milliarden DM gewesen,übrigens einschließlich einer Kindergelderhöhung in ei-ner Größenordnung von 80 DM, nämlich von 220 auf300 DM – eine gewaltige familienpolitische Leistung.
Wir haben – sehr konkret gesagt – den Eingangssteuersatzgesenkt. Wir haben vor allen Dingen diejenigen entlastet,die über geringere Einkommen verfügen. Wir haben indem Maße, in dem das geboten und objektiv möglich ist,auch beim Spitzensteuersatz etwas gemacht. Das zurNachfrageseite.Was haben wir auf der Angebotsseite gemacht? Wirhaben im ersten Steuerentlastungsgesetz 1999 – das istschon wieder vergessen – 4,5 Milliarden DM allein fürden Mittelstand mobilisiert. Damals sind – das hat einegewaltiges Geschrei gegeben; auch das ist vergessen wor-den – die großen Unternehmen, vor allen Dingen die Ver-sicherungen und Energieversorger, mit 12 Milliarden DMbelastet worden, um die Entlastungen auf der Nachfrage-seite zu finanzieren.
Das ist alles längst vergessen. Aber es gehört in eine se-riöse Debatte. Wenn Sie dazu etwas sagen wollen, könnenSie das gerne tun.
Wir haben mit der Stufe 2001 insbesondere den Mittel-stand noch einmal mit 20 Milliarden DM entlastet.
– Wenn Sie es nicht merken, dann vielleicht auch deswe-gen, weil Sie gar keine Steuern mehr zahlen, weil Sie einSteuerkünstler sind. Das kann ja sein. Das will ich garnicht bestreiten.
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Aber diejenigen, die ihre Steuern gezahlt haben, habendas sehr wohl gemerkt. Wenn Sie eine seriöse Debatte mitden Unternehmen, auch mit den seriösen Leuten in denUnternehmensverbänden, führen, dann wird Ihnen dasauch bestätigt.
Jetzt zu Ihren Einwänden, die ich immer höre. Da wirdgesagt: Ihr habt aber bei der Stufe 2001 das Hauptaugen-merk auf die Großen gelegt und habt den Mittelstand imRegen stehen lassen. – Das ist ständig Ihre Klage. DieseKlage wird so beredt vorgebracht, dass es Sinn macht,sich einmal mit ihr auseinander zu setzen. Was ist dennKern der Steuerpolitik auf der Angebotsseite, also der Un-ternehmensteuerreform, die wir gemacht haben? Wir ha-ben gesagt: Wir wollen wegen der internationalen Wett-bewerbsfähigkeit die Körperschaften auf einenSteuersatz von 25 Prozent bringen, über die staatlichenEbenen hinweg. Das haben wir gemacht. Hinzurechnenmüssen Sie einen durchschnittlichen Gewerbeertragsteu-ersatz von 12 bis 13 Prozent. Wenn Sie das addieren, kom-men Sie auf eine Steuerbelastung der Körperschaften,also der großen Unternehmen, der Aktiengesellschaften,von zwischen 35 und 38 Prozent. Da beißt die Maus kei-nen Faden ab; das ist so.Das Interessante ist nun, dass diese Körperschaftsbe-steuerung das ist, was die Fachleute eine Definitivbe-steuerung nennen. Das heißt, die Steuern für diese Unter-nehmen, jene 35 bis 38 Prozent, werden von der erstenMark an fällig, und zwar ohne Begrenzungen. Das ist eineDefinitivbesteuerung; das muss beim Finanzamt abgelie-fert werden.Nun gucken wir uns den Mittelstand an, für den Siesich angeblich so stark machen. Das sind Personengesell-schaften; das wissen Sie und wir wissen es auch. Die Per-sonengesellschaften werden nach Einkommensteuerrechtbesteuert. Für sie gilt gegenwärtig ein Spitzensteuersatzvon 48 Prozent, wie wir alle wissen. Aber Sie berücksich-tigen nie, dass mit der Unternehmensteuerreform, die wirgemacht haben – das muss man endlich einmal auch derÖffentlichkeit deutlich sagen –, ein uralter Traum des Mit-telstandes realisiert worden ist – was Sie nie geschafft ha-ben –, nämlich dass die Gewerbeertragsteuer – nachdemwir die Gewerbekapitalsteuer miteinander abgeschafft ha-ben; dafür hatten Sie unsere Zustimmung im Bundesratnötig und haben sie auch bekommen – bis zu einem Satzvon 360 Punkten voll auf die Einkommensteuer ange-rechnet werden kann. Wenn Sie also vernünftig rechnen,dann müssen Sie von jenen 48 Prozent diese durch-schnittliche Gewerbeertragsteuer abziehen. Dann kom-men Sie auf ganz andere Steuersätze.Dann übersehen die Steuerkünstler der Oppositionständig noch einen Punkt: Bei der Einkommensbesteue-rung handelt es sich nicht um Definitivbesteuerung, son-dern um Grenzbesteuerung. Das bedeutet, dass derHöchstsatz eben nicht von der ersten Mark an fällig ist.Meine Damen und Herren, wenn Sie dies endlich einmalzur Kenntnis nehmen würden, wenn sich dieses endlicheinmal in der Öffentlichkeit herumsprechen würde undwenn dies nicht dauernd von einigen von bestimmten In-teressen geleiteten Verbänden ins Gegenteil verkehrtwürde, dann hätten Sie keinen Grund mehr, diese Klagezu führen.
Von der Opposition, wiederum auch von der Parteivor-sitzenden der CDU, hat man in den letzten Wochen denHinweis vernommen, man müsse, um die Konjunktur an-zukurbeln, die Steuerreform 2005 vorziehen. Damithatte man sozusagen das Ei des Kolumbus auf finanzpo-litischem Gebiet entdeckt, von wem auch immer es gelegtworden ist. Dies wird sich aber nur sehr schwer bewerk-stelligen lassen. Welche Motive im Übrigen den einenoder anderen, die in dieser Frage aktiv wurden, auch im-mer bewogen haben, will ich gar nicht näher untersuchen.Sie sind ja leise von dieser Forderung weggerobbt.
Das gilt auch für den bayerischen Löwen; das kann manin diesem Fall jedenfalls so sagen.
Ursprünglich war ja das Zwillingspaar, sozusagen dasTraumpaar der deutschen Politik, Stoiber und Merkel, derMeinung, dass sie gemeinsam das Vorziehen der für 2005vorgesehenen Steuerreform fordern müssten. Inzwischenist keine Rede mehr davon. Warum ist davon keine Redemehr? Weil das unbezahlbar ist, wie übrigens viele derForderungen, die Sie in IhremAntrag für den nächsteWo-che stattfindenden Parteitag hineingeschrieben haben. EinVorziehen ist deshalb unbezahlbar, weil das etwa 50 Mil-liarden kostenwürde und diese 50Milliardenweder Kom-munen noch Länder noch Bund aufbringen können, es seidenn, Sie wollen das Land weiter verschulden. Das gehtaber nicht und das werden wir in der Tat nicht zulassen.
In Ihren finanzpolitischen Vorstellungen ist aber auchnicht die Spur von Seriosität zu erkennen.
Weil der Finanzminister Bayerns das seinem Kabinetts-chef natürlich gesagt hat
und der das jetzt auch weiß, hat er sich seitwärts in die Bü-sche geschlagen. Ich bin einmal gespannt, was Sie, FrauMerkel, zu dieser Forderung heute sagen werden und obSie sich noch hier hinstellen und sagen: Ich, Frau Merkel,möchte, dass die Steuerreform 2005 vorgezogen wird. –Wenn Sie bei dieser Aussage bleiben, möchte ich von Ih-nen hören, wie Sie das bezahlen wollen. Wollen Sie mehrSchulden machen und, wenn ja, in welcher Größenord-nung? Wenn Sie darauf die Antwort verweigern, nehmensie nicht an einer seriösen Debatte teil.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Bundeskanzler Gerhard Schröder20041
Unsere Steuer- und Finanzpolitik hat, was den Stand-ort Deutschland angeht, positive Folgen gehabt.
Ich will Ihnen jetzt einmal sagen, wie sich zum Beispieldie ausländischen Direktinvestitionen in Deutschlandentwickelt haben, eine Zahl, die Sie uns ja immer vorge-halten haben.
Da sind Sie doch übers Land gezogen und haben behaup-tet, der entsprechende Saldo sei negativ.
– Ja, Schlusslicht in Europa haben Sie gesagt. – Soll ichIhnen einmal sagen, wie die Entwicklung der ausländi-schen Direktinvestitionen in den vergangenen beiden Jah-ren aussieht? In der Summe haben sie sich bis auf einenWert von 400 Milliarden DM in Deutschland vervier-facht. Das nur zu diesem Argument. Sie sollten aufhören,damit übers Land zu ziehen.
Wenn Sie übers Land gezogen sind, haben Sie auch im-mer gesagt, dass die Finanzpolitik, die Hans Eichel macht,Existenzgründungen verhindere. Das ist interessant.Setzen wir uns damit einmal näher auseinander. Seit 1999ist die Zahl der Existenzgründungen in Deutschland um1,2 Millionen gestiegen.
Sie sollten dazu einmal etwas sagen. Die entsprechendenZahlen stammen alle aus Europa, auf das Sie sich sonst sogerne beziehen. Aber dabei nehmen Sie nur die Zahlen,die in Ihre Oppositionsstrategie à la Sonthofen passen, an-dere überhaupt nicht.
Im Hinblick auf diese Existenzgründungen ist es so– das ist sehr interessant für die kommenden Debatten;dazu möchte ich gerne etwas hören –, dass Deutschlandinzwischen auf einem der wesentlichen Wachstums-märkte, nämlich auf dem der Biotechnologie, auf Platzeins, also vor Großbritannien, liegt. Das muss doch damitzu tun haben, dass wir in den letzten drei Jahren den be-stehenden Reformstau aufgelöst haben. Das ist auch so;ich komme darauf noch zurück.
Sie haben gesagt, das merke keiner. Ich kann doch nichtdafür, dass Sie es nicht merken, weil Sie ständig mit ei-nem Brett vor dem Kopf herumlaufen. Dann kann es wirk-lich keiner merken.
Wir können uns gerne über einen anderen Wachstums-sektor unterhalten, zum Beispiel über den der Informati-ons- und Kommunikationstechnologie.Als wir ins Amtkamen, war Deutschland in Bezug auf den Anschluss derSchulen an das Internet in der Tat Schlusslicht in Europa.Binnen drei Jahren ist jede Schule, die wollte – es warenetwa 35 000 –, im Rahmen einer Zusammenarbeit zwi-schen der Bundesregierung und der einschlägigen Indus-trie kostenlos an das Internet angeschlossen worden. Dassind Zukunftsinvestitionen. Das sind Arbeitsplätze vonmorgen, weil dadurch Menschen qualifiziert ausgebildetwerden.
Nun möchte ich mich für einen Moment mit der wun-derbaren Diskussion über die Wachstumsfrage, die Siemeinen wahlkampfträchtig ausnutzen zu können, ausei-nander setzen. Ich finde, man sollte einmal Butter bei dieFische tun, sodass sich ein Bild ergibt, das, Herr Glos,annähernd der Wirklichkeit entspricht.
Denn Ihres war ein verzeichnetes Bild. Ich sage Ihnenjetzt einmal etwas zu den Wachstumsraten in Deutschlandin den Jahren 1995 bis 2000:
1995 1,7, dann 0,8, dann 1,4 und 1998 4,4.
Sie sollten die Wachstumsraten in Deutschland einmalmit denen in den USAvergleichen. Sie werden feststellen,dass Deutschland in Europa in der Zeit von 1995 bis 2000entweder auf dem zweiten oder auf dem letzten Platz lag.Ich komme gleich dazu, zu erklären, warum das so ist. Imgleichen Zeitraum, also zu Ihrer Regierungszeit, gab es inden Vereinigten Staaten von Amerika einen wahrhaftenBoom. Die Wachstumszahlen lagen Jahr um Jahr zwi-schen 4 und 5 Prozent. Wenn man sich nun klar macht, wieeng die deutsche Wirtschaft mit der amerikanischen ver-flochten ist, dann weiß man auch, dass Sie zu Zeiten einerboomenden amerikanischen Wirtschaft, also zu Ihrer Re-gierungszeit, Schlusslicht in Bezug auf das Wachstum inEuropa waren. Wir befinden uns seit 2000, in einer Zeit,in der sich die amerikanische Wirtschaft – das ist offiziellfestgestellt worden – in einer Rezession befindet, in dergleichen Situation. Das ist der Unterschied.
– Sie sollten sich diese Zahlen einmal anschauen.
Sie sollten auch beachten, was dazu der Sachverstän-digenrat sagt. Er sagt nämlich, dass inzwischen eindeutigist, dass wegen der Verflechtung der amerikanischen mit
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der deutschen Wirtschaft die Wirtschaftsschwäche heutenicht mehr nur durch zurückgehende Quoten beim Exportin die Vereinigten Staaten bedingt ist.
Unser Problem liegt vielmehr auch darin, dass der Umsatzdeutscher Unternehmen und deren Töchter in den Verei-nigten Staaten inzwischen sechsmal so hoch ist wie derExport aus Deutschland in die Vereinigten Staaten. Dasheißt, die Wirtschaft in Deutschland und in den Vereinig-ten Staaten ist sehr viel mehr miteinander verflochten, alsdas jemals der Fall war. Hierin liegt der Grund dafür,warum sich die Wachstumsschwäche in den VereinigtenStaaten und auf den Weltmärkten insgesamt sehr vieldeutlicher auf Deutschland niederschlägt, als das bei je-dem anderen europäischen Land der Fall ist. Wenn Sie mirnicht glauben, dann sollten Sie diejenigen im Sachver-ständigenrat fragen, die zu diesen Feststellungen gekom-men sind.
– Sie können das ja alles richtig stellen. Herr Gerhardt, Siekönnen gleich darauf antworten, wenn Sie das dürfen.
Fest steht erstens, dass es zwischen der Situation in denVereinigten Staaten und der in Deutschland eine sehr vielengere Beziehung als jemals zuvor gibt. Wer das bestrei-tet, ist entweder böswillig oder hat keine Ahnung. Siekönnen sich die Antwort aussuchen.
– Man muss dies schon einmal deutlich sagen.
Fest steht zweitens, dass unter Ihrer Regierung nied-rige Wachstumsraten während eines Booms in Amerikazu verzeichnen waren. Das ist bei uns nicht der Fall. Ichbitte Sie, sich mit diesen beiden Argumenten ernsthaftauseinander zu setzen.
Ich komme nun zur Erklärung der Wachstums-schwäche unter Ihrer Regierung im Vergleich zum euro-päischen Maßstab. Diese Wachstumsschwäche kann mangenauso gut erklären, wie man die heutige erklären kann.Zunächst einmal muss man sagen, dass es ein großer Un-sinn ist, Volkswirtschaften wie die von Irland und Portu-gal mit der deutschen zu vergleichen. Es ist geradezu er-wünscht – die Kohäsions- und Strukturfonds sind extradafür geschaffen worden –, dass die wirtschaftlichschwächeren europäischen Länder über höhere Wachs-tumsraten an den europäischen Durchschnitt herangeführtwerden. Das ist ausdrücklich erwünscht.
Dies nicht zu beachten ist der erste Fehler, der gemachtwird.Wenn man Deutschland mit den großen europäischenLändern vergleicht, die zwar nicht identische, aber dochähnliche Volkswirtschaften haben, dann kommt man zudem Ergebnis, dass sowohl für die 90er- wie übrigens fürdie 80er-Jahre und auch für die jetzige Situation der vonIhnen vorgetragene Befund richtig ist. Was Sie aber nichtmitliefern, ist eine Begründung für diesen Befund. EineBegründung habe ich bereits genannt.
Ich will aber noch eine zweite Begründung hinzufü-gen. Anfang der 90er-Jahre, insbesondere in den Jahren1990/91, sind aufgrund des Baubooms in der ersten Phaseder Wiedervereinigung Kapazitäten in der Bauwirt-schaft im Westen, aber vor allem im Osten entstanden– gestern hat Hans Eichel etwas dazu gesagt –, die Mitteder 90er-Jahre, beginnend mit den Jahren 1994/95, mas-siv abgebaut werden mussten und jetzt immer noch abge-baut werden. Genau dieser Abbau der Baukapazitäten hatden Deutschen einen Wachstumsverlust von rund 0,6 Pro-zent jährlich eingebracht. Wenn Sie diese Zahl in unsereWachstumsraten einrechnen, dann kann man feststellen,dass wir uns im Durchschnitt des Wachstums der großeneuropäischen Länder befinden.Ich erwarte von der Opposition gar nicht, dass sie die-ses Argument in der öffentlichen Debatte anführt. Aberich denke, in einer seriösen finanz- und wirtschaftspoliti-schen Diskussion im Deutschen Bundestag gehört diesdazu. Die Begründungen, die damals, zu Ihrer Zeit, ge-golten haben, gelten jetzt auch noch.
Ich komme zum Arbeitsmarkt.
– Ja, natürlich. – Wer bestreitet denn, dass die Lage am Ar-beitsmarkt unbefriedigend ist? Ich werde das nicht tun.Warum? Die Arbeitslosigkeit ist in der Tat zu hoch. Ichbestreite auch nicht, dass wir nach allen Prognosen imletzten Jahr die begründete Erwartung haben konnten,dass wir bis zum Ende der Legislaturperiode die Arbeits-losigkeit auf unter 3,5 Millionen würden drücken können.
– Entschuldigung, ich habe doch noch im Ohr, was damalsgesagt worden ist. Soll ich Ihnen Ihre eigenen Debatten-beiträgevorlesen?Siehabenmirdochvorgeworfen,dassdasZiel von 3,5MillionenArbeitslosen zuwenig ehrgeizig sei.
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– Sehen Sie! – Vor einem Jahr haben alle Institute und alleWissenschaftler gesagt: Ihr werdet in 2001 und in 2002Wachstumsraten von um die 3 Prozent, wenn nicht sogardarüber, haben.
Sowohl Herr Jagoda als auch andere haben gesagt: Aufdieser Basis lässt sich die Zahl von 3,5 Millionen im Jah-resdurchschnitt unterbieten. Alle waren dieser Auffas-sung. Sie haben gesagt, dass es Ihnen zu wenig war. Ichwar vorsichtig.
– Es ist doch gar keine Frage, dass man daran gemessenwird. – Die Ursachen für diese Entwicklung haben wir ge-rade diskutiert.
Dass bei veränderten Wachstumsraten auch die Arbeits-marktziele nicht zu erreichen sind, hat sich in Deutschlandnun wirklich herumgesprochen. Das werden auch Sienicht außer Kraft setzen können.
Fazit: Wir werden für die Erreichung des Ziels ein biss-chen länger brauchen,
und zwar wegen der Wachstumsschwäche, die wir gehabthaben. Wir werden diese Zeit auch bekommen; da seienSie ganz sicher.
Gerade vor diesem Hintergrund bitte ich, sich zu erin-nern, wie die Situation bei der Jugendarbeitslosigkeitaussieht. Seit zwei Jahren haben wir einen Tatbestand, denSie vorher nie erreicht haben: dass das Angebot und dieNachfrage bei den Ausbildungsplätzen gesamtwirtschaft-lich betrachtet im Gleichgewicht sind;
mancherorts ist die Nachfrage sogar geringer als das An-gebot. Klar, wir haben regionale Probleme, besonders imOsten. Deswegen sollten Sie auch aufhören, die Pro-gramme, die wir aufgelegt haben, zu diffamieren, und sichstattdessen vor Augen führen, dass sie den Jugendlichennutzen.
Zur „Schlusslichtdiskussion“: Bei der Reduzierung derJugendarbeitslosigkeit liegen wir in Europa an der Spitze.Nach den Zahlen von Eurostat ist die Jugendarbeitslosig-keit im europäischen Durchschnitt doppelt so hoch wie inDeutschland. Auch zu diesem Tatbestand sollte von Ihnenhier einmal etwas gesagt werden.
– Alles, was schlecht ist, hat mit meiner Regierung zu tun,und alles, was sich gut entwickelt, hat mit Ihnen zu tun.Das ist wahrscheinlich die Philosophie, nach der Sie le-ben. Aber so funktioniert das nicht; seien Sie da ganz si-cher.Ich komme jetzt dazu, was uns die Opposition zurVerbesserung der Situation auf diesem Sektor empfiehlt –zum Beispiel in einem Antrag, den Sie in Dresden be-schließen können. Hoffentlich kommt es dazu; darauffreue ich mich schon, weil man sich damit sehr gut aus-einander setzen kann. Was steht in diesem Antrag? Dawird unter anderem das Stichwort Flexibilisierung – wun-derbares Stichwort! – erläutert: Das heißt zum Beispiel,dass man den Kündigungsschutz abschafft.
Da steht also, dass man den Zustand, dessentwegen Sieabgewählt worden sind, wieder herstellen soll. Dass dasein Beitrag zur Wiederwahl sein soll, erschließt sich mirnicht; aber das ist Ihr Problem.
Sie sagen also, der Kündigungsschutz solle verringertwerden. Das sagen Sie in einer Situation – dazu will ichetwas hören –, in der Großbetriebe – wie ich finde: ohneNot – Massenentlassungen ankündigen.
In dieser Situation fällt der Opposition nichts anderes ein,als die Sicherheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mer weiter zu reduzieren. Sie wollen sie zu Abhängigenmachen! Das ist Ihre Strategie.
– Wenn nicht, dann müssen Sie das sagen.IndemAntragstehtweiter,SiewollenbefristeteArbeits-verträge für, glaube ich, vier Jahre ermöglichen. Das be-deutet vier Jahre lang alle sechs Monate Unsicherheit.
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Sie werden sich wundern, wenn Sie mit dieser Art vonPropaganda, mit dieser Art von Vorschlägen bei den Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmern ankommen; denndie Leute, die es trifft und betrifft, brauchen wenigstensein bisschen Planbarkeit ihres Lebens. Dafür werden wirsorgen; seien Sie sicher!
Auf diese Auseinandersetzung freue ich mich wirklich.Dann werden wir sehen, was dabei herauskommt.Übrigens betrifft diese Regelung, bei der Sie die Befris-tung auf vier Jahre verlängern wollen, doch ein Gesetz,das Sie nicht verstetigt haben.
Sie hatten doch damals in Ihrer Zeit nicht einmal den Mut,eine unbefristete Regelung zu schaffen, sondern haben siebis zum 31. Dezember 2000 befristet. Diese Tatsachescheinen Ihre Freunde aus den Wirtschaftsverbänden ausden Augen verloren zu haben; aber so war es doch.
Erst wir haben für eine sinnvolle Balance zwischen denFlexibilitätserfordernissen der Unternehmen auf der einenSeite und den Sicherheitsbedürfnissen der Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer auf der anderen Seite gesorgt,und zwar auf Dauer.
So ist das Gesetz zu den befristeten Arbeitsverhältnissenentstanden.Sie haben jetzt vor, diese sorgsame Balance zwischenden Interessen der arbeitenden Menschen und den Inte-ressen der Unternehmen einseitig aufzulösen, die Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer in den Senkel zu stellen.Das ist der Inhalt Ihrer Politik.
Wir werden ja Gelegenheit haben, uns im Wahlkampf undanderswo darüber sehr intensiv auseinander zu setzen.Ich komme zu dem nächsten Punkt, den Sie vorschla-gen, nämlich die Abschaffung des Betriebsverfassungs-gesetzes. Das ist sehr interessant.
– Ja, was denn? Es geht jedenfalls um die Abschaffung desvon uns gemachten Gesetzes. Sie müssen gleich einmalsagen – darauf bin ich sehr gespannt –, wie Ihres denn aus-sehen soll.
Was bedeutet das denn? Das bedeutet nicht nur, dass Siedie Beschäftigten in ihren Rechten einschränken wollen.Nein, meine Damen und Herren, das ist auch ökonomischunsinnig; denn es gehört zu den unbezweifelbarenStandortqualitäten Deutschlands, dass wir ein vernünfti-ges Mitbestimmungsrecht haben.
In vielen unternehmerischen Krisen haben die Betriebs-räte Vorschläge dazu gemacht, wie es wieder aufwärts ge-hen kann.
Ich verstehe auch überhaupt nicht, dass Sie vorschla-gen, den Rechtsanspruch auf Teilzeitwieder abzuschaf-fen. Auch hier gibt es eine sinnvolle Balance zwischenden Betriebsinteressen einerseits und den Interessen ins-besondere von Frauen andererseits;
denn sie sind es, die in einer übergroßen Zahl eine Teil-zeitbeschäftigung haben wollen und manchmal auch ha-ben müssen, weil Kinderbetreuungsmöglichkeiten fehlen.Wir haben gesagt, dass wir diesen Rechtsanspruchschaffen wollen, damit klar wird, in welche Richtung wirauf diesem Gebiet wollen und auch müssen. Nur auf dieseWeise lassen sich die Potenziale, vor allen Dingen glän-zend ausgebildeter Frauen, im Interesse der Wirtschaftnutzen und lässt sich garantieren, dass die Betroffenenihre Möglichkeiten, was ebenso wichtig ist, auch nutzenkönnen.
– Hören Sie doch auf damit!
Wir haben für den Rechtsanspruch auf Teilzeit gesorgt,weil wir das Ziel erreichen wollen. Die Betriebe erhalten– wenn es aus betrieblichen Gründen nicht geht – dasRecht, zu sagen, dass sie das nicht organisieren können.Das stellt eine sinnvolle Balance zwischen den betriebli-chen Interessen einerseits und den Interessen der Be-schäftigten sowie der Volkswirtschaft andererseits dar.
Insofern kann ich nicht erkennen, wie Ihre Forderungen,wenn sie durchgesetzt werden könnten, erstens eine Bes-serung auf dem Arbeitsmarkt herbeiführen könnten undzweitens konkret Beschäftigten auch nur Ansätze vonHilfe geben könnten.Ich komme zu einer Frage, die sich mit der Perspektivefür dieses Land beschäftigt.
Wir haben früher eine große Diskussion über die Fragegeführt, ob wir zu wenig in Forschung und Entwicklung
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investieren. In der Tat: Zu der Zeit, als Sie das zu verant-worten hatten, war das so.Eingangs habe ich aus guten Gründen von Konsolidie-rung geredet. Einen Bereich haben wir von der Konsoli-dierung ausgenommen – das entsprach auch der Anlageunserer Politik –: Seit 1999 ist der Haushalt für Forschungund Entwicklung unter schwierigsten Bedingungen um15 Prozent gewachsen.
Er ist gewachsen, ohne dass jene 1,3 Milliarden DM ein-gerechnet worden wären, die wir deshalb ins BAföG ge-steckt haben, weil wir nicht wollen, dass es von Papasoder Mamas Geldbeutel abhängt, ob jemand zu Deutsch-lands höchsten Schulen gehen kann oder nicht. Deshalbhaben wir die BAföG-Reform durchgeführt.
Die kontinuierliche Erhöhung des Forschungs- undEntwicklungshaushaltes beginnt sich bereits auszuzahlen.
Ich habe auf die Biotechnologien hingewiesen. Ich könnteauch auf Edinburgh, die jüngste Konferenz zur Luft- undRaumfahrt, hinweisen, auf der sich gezeigt hat, dass nichtzuletzt durch unsere Anstrengungen Deutschland in die-sem so wichtigen Bereich inzwischen einen Spitzenplatzerobert hat.
– Ich sagte: in der Luft- und Raumfahrttechnologie! Dasist etwas anderes als der Flugzeugbau. Im Übrigen siehtChirac das überhaupt nicht anders. Ich habe gerade mitihm darüber gesprochen. Wenn Sie wollen, kann ich Ih-nen das aber gerne im Privatissimum erklären.
Meine Damen und Herren, das, was Sie auf dem Ge-biet der Bildung, der Weiterbildung und vor allen Dingender Zuwanderung aufführen, ist eines der großen Trauer-spiele in unserem Land, weil es nicht auf die Zukunft un-seres Landes ausgerichtet ist.Diejenigen, die um die Situation der Zuwanderungwissen, sagen: Wir brauchen ein vernünftiges Gesetz zurSteuerung der Zuwanderung. – Dieses Gesetz muss zweiBereiche umfassen. Zum einen geht es um das, was füruns selbstverständlich ist und bleiben wird – das sehen Sievielleicht anders –, nämlich die humanitäre Verpflichtunggegenüber den Menschen, deren Leib und Leben in ihremHeimatland aufgrund von Verfolgung bedroht sind unddie deswegen das Recht auf Asyl haben müssen.
Natürlich muss man hier manchmal auch über Miss-brauch reden. Der Kern der humanitären Verpflichtungaber wird nicht angetastet.
– Ich hoffe, dass das niemand tut. Wie Sie wissen, bin ichimmer für Konsens; das wird mir gelegentlich auch vor-geworfen. Aber wenn wir uns da einig sind, können wirdies ja gemeinsam umsetzen.Zum anderen brauchen wir ein Gesetz, das die Zuwan-derung in einem sinnvollen Maße auch aus wirtschaftli-chen Erwägungen ermöglicht. Dazu sind Vorschläge ge-macht worden, zunächst von Frau Süssmuth und ihrerKommission und dann vom Bundesinnenminister. Dieseliegen Ihnen vor. Dieses Gesetz entspricht den objektivenNotwendigkeiten der Entwicklung unserer Wirtschaft.Ich finde es schon merkwürdig, dass das Hin und Herzwischen Bayern und den übrigen Teilen der beidenchristlichen Parteien dazu geführt hat, dass ein Gesetz,das die humanitäre Verpflichtung beinhaltet, was Sie jaabstrakt bejahen, und im Übrigen den objektiven Not-wendigkeiten einer zunehmend überalterten Gesellschaftentspricht, nämlich unserer, durch parteitaktische Win-kelzüge bei der Aufstellung der Kandidaten kaputtge-macht wird. Das ist ein Fehler.
Das darf so nicht weitergehen. Deswegen sage ich andie Union gerichtet: Beendet dieses unwürdige Schau-spiel!
Es besteht die Notwendigkeit der Einigung und es gibt Ei-nigungsmöglichkeiten. Dazu würde ich jetzt gerne einmaletwas hören. Das, was Sie jetzt machen, ist nicht gut fürunser Land und die Entwicklung der Wirtschaft in unse-rem Land.
Ich möchte noch etwas zu dem sagen, was wir an fa-milienpolitischen Leistungen erbracht haben. Vonseitender Union werden ja uferlose Forderungen gestellt; sie be-laufen sich auf einen Betrag von Hunderten von Milliar-den. Wir erinnern uns – vor allem die Bürgerinnen undBürger erinnern sich daran –, dass das Bundesverfas-sungsgericht in Karlsruhe die Familienpolitik, die Sieüber 16 Jahre betrieben haben, für verfassungswidrig er-klärt hat.
Das war ein schlichter Satz des höchsten deutschen Ge-richts.Wir haben diesen schlichten, aber wirksamen Satz vordie Füße gelegt bekommen und mussten Ihre verfas-sungswidrige Familienpolitik – das haben Sie bescheinigt
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bekommen – beenden. Das haben wir getan, und zwarwiederum unter den schwierigen Bedingungen der Kon-solidierung.Was haben wir gemacht? Die Kindergelderhöhunghabe ich schon angesprochen. Hans Eichel hat gesternausgerechnet, dass die Steigerung des Kindergeldes von220 DM auf 300 DM für eine Verkäuferin realiter das13. Monatsgehalt bedeutet. Das ist kein Pappenstiel, son-dern eine große familienpolitische Leistung.
Die Ausgaben für die Familie sind in der Zeit, seit wirregieren, von etwa 70 Milliarden DM auf knapp 100 Mil-liarden DM gestiegen. Darin ist die Erhöhung des Wohn-geldes mit einem Volumen von 8Milliarden DM, was ins-besondere Familien mit Kindern zugute kommt, nochnicht enthalten.Das ist die Familienpolitik, die uns aus der von Ihnenverursachten Falle der Verfassungswidrigkeit herausge-führt hat. Dazu möchte ich gerne etwas hören. Sie aberstellen nur wohlfeile Forderungen in Höhe von Hundertenvon Milliarden, die niemand finanzieren kann, anstatt zusagen, was Sie konkret anders machen wollen. Wenn Sieden von Ihnen eingeschlagenen Weg weitergehen, nur un-gedeckte Schecks auf den Tisch zu legen, dann werden Siescheitern. Dessen können Sie sicher sein. Wir werden denWeg weitergehen, den wir in dieser Frage eingeschlagenhaben.
Ich möchte abschließend gern noch etwas zur Außen-und Europapolitik sagen,
und zwar insbesondere dazu, was Michael Glos gesagthat. Er hatte mir angekündigt, er sei heute relativ freund-lich. Das war im Kern auch so. Aber in diesem einemPunkt muss ich mich ernsthaft mit Ihnen auseinander set-zen. Was Sie dazu gesagt haben, ist gefährlich, weil es soaufgefasst werden könnte, als ob dieses Land nur daraufwarten würde, irgendwo anders in der Welt – ob nötig odernicht – militärisch zu intervenieren.
Ich hoffe, ich habe Sie richtig verstanden, dass Sie dasnicht meinen, wenn Sie über den Irak und über Somaliareden.
– Herr Glos, was Sie sagen, nehme ich sehr ernst. WennSie sagen, dass das so nicht zu verstehen war, ist das umsobesser.Mir und dem Außenminister geht es darum, dass wir al-les tun, damit die Antiterrorkoalition, die in AfghanistanErfolg hatte – und an der wir beteiligt sind, und zwar, sowie wir es versprochen haben und wie es von uns erwar-tet wird –, aufrechterhalten wird. Wir sollten vorsichtigsein, auf Kommentare in Magazinen oder Zeitungen, auchauf Äußerungen des einen oder anderen „Unterstaatsse-kretärs“ oder von wem auch immer, einzugehen
– wo auch immer, ob in Deutschland oder anderswo inder Welt –, die sich jetzt schon mit der Suche nach neuenZielen befassen. Insbesondere sollten wir bei einer Dis-kussion neuer Ziele im Nahen Osten sehr zurückhaltendsein. Dabei könnte uns mehr um die Ohren fliegen, als je-der von uns zu tragen in der Lage ist.
Wir werden das Notwendige tun. Wir werden uns aberauch vorbehalten, über das Notwendige zu entscheiden,um es dann zu tun. Da muss sich – so glaube ich – nie-mand in Deutschland über die Geradlinigkeit der deut-schen Außenpolitik beklagen. Das tut niemand inDeutschland und erst recht niemand in den VereinigtenStaaten; seien Sie dessen sicher. Da müssen Sie sich schonStimmen bestellen, wenn Sie kritische Stimmen gegenuns hören wollten.
Nun noch eine Bemerkung zur Afghanistan-Konfe-renz in Bonn. Dazu haben Sie gesagt, dass dafür Geldausgegeben wird. Das ist wahr. Für diese Konferenz derVereinten Nationen in Deutschland zahlen wir etwa 2Mil-lionen DM. Meine Damen und Herren, ich glaube, das istverdammt gut ausgegebenes Geld.
Das ist deshalb gut ausgegeben, weil wir glauben, dassnicht zuletzt durch diese Konferenz – ob sie nun schoneine abschließende ist oder nicht, wird man sehen – das inGang gesetzt wird, was man den Post-Taliban-Prozessnennt, und dass sie eine Perspektive für dieses so sehr ge-schundene Land Afghanistan bedeuten könnte. Ich mussIhnen sagen: Ich bin froh darüber, dass wir gute Gastge-ber für diese Konferenz sein konnten und die VereintenNationen diese nach Deutschland gegeben haben.
Über die Europapolitik werden wir uns noch vor demGipfel in Laeken unterhalten. Ich denke, das wird eineDiskussion sein, die von gemeinsamen Grundpositionenausgeht – das ist auch in Ordnung so –: Deutschland istgleichermaßen an Erweiterung wie an Vertiefung interes-siert. Deutschland ist daran interessiert, dass die europä-ischen Institutionen besser funktionieren, als das in derVergangenheit gelegentlich der Fall war. Deutschlandwird, was den Konvent, also den Post-Nizza-Prozess
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angeht, sehr darauf achten, dass wir eine starke Kommis-sion behalten bzw. bekommen, dass das Parlament seineKontrollrechte überall wirksam ausüben kann und dassdie Kompetenzabgrenzung zwischen den Nationalstaatenund Europa sinnvoll gestaltet ist. Darüber hinaus wird esin diesem Prozess um die Frage gehen, wie das GesichtEuropas – und nicht nur die Gesichter einzelner National-staaten – in Zukunft sichtbar gemacht werden kann, wennes um Ereignisse wie die in Afghanistan geht.Für die deutsche Regierung, für den Außenministerund mich, kann die Antwort auf die Vorgänge in Afghanis-tan und die Tatsache, dass die Hilfeleistungen, die Bei-standsverpflichtungen, nicht europäisch erbracht werdenkonnten, sondern national erbracht werden mussten, weilwir in Europa noch nicht so weit sind, nur lauten: nichtweniger, sondern mehr Integration in Europa!
Lassen Sie mich abschließend sagen: Wer sich ernst-haft mit der Finanz- und Wirtschaftspolitik auseinandersetzt,
der wird sehen, dass es zum Kurs der Konsolidierung, denwir vorgeschlagen und durchgesetzt haben und der bis2005 im Gesetzblatt steht, zum Kurs der Stärkung der Fa-milien, der Investitionen in Forschung und Entwicklung,in Bildung und Ausbildung, zum Kurs einer vernünftigen,gesteuerten Zuwanderung, die auch den Interessen derdeutschen Wirtschaft nutzt, keine – ich sollte sagen: keinevernünftige – Alternative gibt. Wenn Sie eine nennen,dann sind wir sehr gespannt darauf.Die Auseinandersetzung jedenfalls, die Sie angekün-digt haben und die Sie jetzt führen, indem Sie ungedeckteSchecks im Land verteilen, ist nicht seriös. Deswegenwird sie nicht ernst genommen werden. In diesem Sinne:Wir werden Kurs halten. Und Sie werden Ihre Streitereienum Ihre Kanzlerkandidatur weiter untereinander auszu-machen haben.
Ich erteile dem Kolle-
gen Guido Westerwelle, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundes-kanzler, Sie haben eine Stunde gesprochen. Es war eineStunde Defensive.
Sie haben eine Stunde lang erzählt, warum alles nichtso schlimm ist. Sie haben berichtet, welche Schwierig-keiten es gibt. Sie haben die Opposition kritisiert. AberSie haben keinen Ton dazu gesagt, was Sie im nächstenJahr mit dem Haushalt machen wollen, den wir hierbeschließen, um die Arbeitslosigkeit in Deutschland zusenken.
Sie haben auf die Zwischenrufe reagiert, mit zum Teil,wie ich finde, bemerkenswerten Formulierungen für ei-nen deutschen Bundeskanzler. Einem Zwischenrufer wer-fen Sie vor, er habe ein Brett vor dem Kopf. Das alles zeigtin Wahrheit nur: Bei Ihnen liegen die Nerven blank.
Jetzt nämlich passiert Folgendes: Sie werden an dem ge-messen, was Sie 1998 gesagt haben. Sie haben am21. September 1998, eine Woche vor der Bundestagswahl,in einem „Spiegel“-Interview wörtlich erklärt:Wenn wir es nicht schaffen, die Arbeitslosenquotesignifikant zu senken, dann haben wir es weder ver-dient, wieder gewählt zu werden, noch werden wirwieder gewählt.Sie könnten Recht behalten, Herr Bundeskanzler.
Sie haben am 10. November 1998 in Ihrer Regierungs-erklärung gesagt:Die Bundesregierung ist sich völlig im Klaren darü-ber, dass sie ihre Wahl wesentlich der Erwartung ver-dankt, die Arbeitslosigkeit wirksam zurückdrängenzu können.Wieder wörtlich Bundeskanzler Gerhard Schröder in sei-ner ersten Regierungserklärung hier im Hause:Wir wollen uns jederzeit – nicht erst in vier Jahren –daran messen lassen, in welchem Maße wir zurBekämpfung der Arbeitslosigkeit beitragen.Herr Bundeskanzler, werfen Sie der Opposition nicht vor,dass wir Sie an Ihren Worten hier und heute tatsächlichmessen werden.
Die Zahlen sprechen nun einmal eine eindeutige Spra-che. Die Bundesregierung hat gestern – Herr Finanz-minister Eichel hat es zum ersten Mal getan – davon ge-sprochen, dass demnächst möglicherweise 4,3 MillionenMenschen in Deutschland arbeitslos sind. Die Wirt-schaftsentwicklung in Europa ist ein einziges Desaster,vor allen Dingen weil die Wirtschaftsentwicklung inDeutschland so schlecht ist und Deutschland nicht mehrdie Lokomotive der europäischen Volkswirtschaft ist.
Wir haben eben eine Delegation von Parlamentariern ausSpanien begrüßt. Dort liegt das Wirtschaftswachstum bei2,4 Prozent. In Irland liegt das Wirtschaftswachstum so-gar bei 7 Prozent, in Griechenland bei 3,6 Prozent, inGroßbritannien bei 2,3 Prozent, in Frankreich bei 2,0 Pro-
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zent, in Österreich bei 1,3 Prozent und in Deutschland bei0,8 Prozent.
Es gab zwar auch früher Zeiten schlechten nationalenWirtschaftswachstums. Aber Sie haben es geschafft, dassDeutschland, das früher wenigstens an der Spitze lag,wenn es international schlecht lief, mittlerweile beimWirtschaftswachstum auf den letzten Platz in Europa ab-gerutscht ist.
Ein Bundeskanzler, der sich in dieser Debatte mit der Re-zession auseinander setzen muss, muss uns sagen, was ermachen will, und nicht, was er machen könnte, wollte undgerne hätte. Herr Bundeskanzler, Sie sind zum Handelngewählt, nicht zum Analysieren. Das ist Ihre Aufgabe.
Gelegentlich verweisen Sie auf die wirtschaftlicheLage in anderen Ländern. Das haben Sie auch heute wie-der getan. Wir haben uns gemerkt, was Sie dazu gesagt ha-ben. Sie haben gesagt, dass in Deutschland nicht das ge-lingen könne, was andere Länder geschafft haben, weildie Wachstumsperspektiven wegen des Niveaus der dor-tigen Volkswirtschaften anders seien. An anderer Stellehaben Sie das Wort von der „gesättigten Volkswirtschaft“gewählt. Das sagt ausgerechnet der Mann, der im Sommerdieses Jahres eine Reise durch Ostdeutschland gemachthat und dabei Regionen durchquert hat, in denen dieArbeitslosenquoten bei 20, 30 oder sogar 40 Prozent lie-gen. Wir sind keine gesättigte Volkswirtschaft, wie Ihnenein einziger Blick auf das Desaster bei der wirtschaft-lichen Entwicklung in Ostdeutschland zeigen müsste,Herr Bundeskanzler.
Des Weiteren haben Sie genauso wie Ihr Wirtschafts-minister wieder einmal wortreich erklärt, das mit demWirtschaftswachstum sei gar nicht so schlimm, wenn esnicht diese böse Bauwirtschaft gebe. Das ist auch eineinteressante Analyse. Den Arbeitslosen ist es eigentlichrelativ egal, welcher Grund in einem volkswirtschaftli-chen Seminar dafür angeführt wird, dass sie arbeitslossind. Sie suchen einfach Arbeit. Ihre Erklärung, das mitdem Wirtschaftswachstum in Deutschland sei gar nicht soschlimm, wenn es nicht diese böse Bauwirtschaft gebe,erinnert mich an den Satz: Wenn wir keine Arbeitslosen-zahlen hätten, dann gäbe es eigentlich Vollbeschäftigung.
Sie drücken die Realität weg. Das, was Sie heute als „ru-hige Hand“ bezeichnen, nannte man früher – bei allemRespekt, Herr Altbundeskanzler – aussitzen. Dass das beiIhnen schon nach drei Jahren losgeht, ist bemerkenswert,Herr Bundeskanzler.
Sie haben uns erklärt, dass es für die wirtschaftlicheLage in Deutschland internationale Gründe gebe. Daskann ja augenscheinlich nicht stimmen; denn im Zugeder Globalisierung in der Weltwirtschaft sind alle Länderin Europa gleichermaßen betroffen. Die Globalisierungund die schrecklichen Terroranschläge vom 11. Septem-ber können nicht als Begründung für eine verfehlte na-tionale Wirtschaftspolitik herhalten. Herr Bundeskanzler,wenn alle Länder in Europa beim Wirtschaftswachstumbesser dastehen als Deutschland, dann ist das nicht dasErgebnis irgendeiner internationalen Entwicklung. Daszeigt vielmehr, dass Sie, Ihre Bundesregierung und IhreKoalition mit den Herausforderungen der Weltwirtschaftschlechter zurechtkommen, als wir damit zurecht-kommen müssten. Wir reden also über Ihre verfehlte na-tionale Politik.
Herr Bundeskanzler, Sie tun so, als ob es nicht wichtig,nicht erheblich sei, wenn Frankreich ein Wachstum von2,0 Prozent und Österreich ein Wachstum von 1,3 Prozent– um nur zwei Nachbarländer zu nennen – vorzuweisenhaben, als ob es sich dabei um Entwicklungs- oderSchwellenländer handele, die im Gegensatz zu Deutsch-land natürlich noch Wachstumsdynamik hätten. Nein, Siehaben einfach einen völlig falschen Ansatz in Ihrer Wirt-schaftspolitik gewählt. Das hängt übrigens damit zusam-men, dass es in Ihrer Koalition eine interessante Bünde-lung von Kräften gibt. In Ihrer Koalition kommt nämlichFolgendes zusammen: Die SPD-Linke, die auf Staats-wirtschaft setzt, wird gewissermaßen noch durch die Grü-nen verstärkt, die ebenfalls auf Staatswirtschaft setzen.Das ist der entscheidende Punkt Ihrer Politik.
– Ach, ihr Grünen, entschuldigt bitte, aber ich muss euchsagen: Eure Grundsätze passen wirklich in einen Finger-hut. Ihr solltet heute brav sein und schweigen.
Auch Sie, Herr Bundeskanzler, der Sie sich in dieserKoalition so wohl fühlen, sollten – bei allem Respekt –besser schweigen. Ich habe in der letzten Woche ja auchgenau gehört, dass Herr Kollege Struck lieber mit FrauMüller und Herrn Schlauch frühstücken möchte. Hat micheigentlich jemand gefragt, ob ich schon morgens mit Ih-nen frühstücken möchte? Da kann ich mir Schöneres vor-stellen.
Nachdem der Bundeskanzler die Grünen eine Wochelang hier im Deutschen Bundestag gepiesackt hatte, hat ersie eine Woche lang auf dem Parteitag der SPD gestrei-chelt. Herr Bundeskanzler, Sie können diesen grünenFrosch küssen oder ihn weiter gegen die Wand werfen, eswird nie ein Prinz daraus. Haken Sie diese Vorstellung ab,das wird nie passieren.
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Nein, es ist der falsche Ansatz in der Wirtschaftspoli-tik, der übrigens in Ihren Ausführungen in bemerkens-werter Weise zum Ausdruck kommt. Sie haben die Oppo-sition aufgefordert – allein diese Frage zeugt vonbeträchtlicher Hilflosigkeit –, sie solle einmal sagen, wassie anders machen würde. Wir sagen es Ihnen gern: Wirmöchten, dass die Steuerpolitik bereits zum 1. Januarnächsten Jahres korrigiert wird, damit es endlich einenKonjunkturimpuls gibt. Die Steuern müssen gesenktund dürfen nicht wie bei der Ökosteuer, der Tabaksteuerund der Versicherungsteuer durchweg weiter erhöhtwerden. Die Behauptung, Steuersenkungspolitik reißeHaushaltslöcher, wird in allen unseren Nachbarländernwiderlegt. Wer Steuern gesenkt hat, hat heute Haushalts-überschüsse.
Unsere Nachbarn streiten sich darüber, wie die Über-schüsse verteilt werden sollen, während Sie den Mangelverwalten.
Dazu gibt es übrigens auch bemerkenswerte Vorgängein der deutschen Geschichte.
– Dass Sie, Herr Minister Eichel, von der Regierungsbankaus dem Redner zwischenrufen – das ist übrigens auch einbemerkenswerter Vorgang –, zeigt, wie blank Ihre Nervensind.
Wir erleben hier einen „Blanke-Nerven-Hans“. Wenn einFinanzminister sogar noch von der Regierungsbank Zwi-schenrufe an die Adresse des Redners richten muss, dannist das ein interessanter Vorgang.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-legen, an diesem Wochenende ist leider der frühere Bun-desfinanzminister Gerhard Stoltenberg verstorben. Erwird nach meiner Einschätzung zusammen mit GrafLambsdorff in die Finanzgeschichte unseres Landes ein-gehen,
weil er wirklich einmal eine Steuersenkungsreformdurchgesetzt hat. Ich lese Ihnen einmal vor, was tatsäch-lich gemacht wurde, um die Behauptung zu widerlegen,so etwas rechne sich nicht. Von Otto Graf Lambsdorff undGerhard Stoltenberg sind in den Jahren 1986, 1988 und1990 die Steuern in einem Volumen gesenkt worden, indessen Nähe Sie heute gar nicht kommen: um 10,9 Milli-arden DM, 13,7 Milliarden DM und 39 Milliarden DM.Gehen wir nun ganz kurz die Haushaltsentwicklungdurch, die widerlegt, dass Steuersenkungen den StaatGeld kosteten: Die Gesamteinnahmen aus Steuern betru-gen 1986 452 Milliarden DM, 1987 468 Milliarden DM,1988 488 Milliarden DM, 1989 535 Milliarden DM, 1990567 Milliarden DM.In jedem Jahr sind die Steuereinnahmen des Staatesdurch die Steuersenkungspolitik gesteigert worden. Dieshat einen einfachen Grund: Sie müssen den Menschenwieder Lust auf Leistung machen, indem sie von dem,was sie sich hart erarbeitet haben, mehr übrig behalten.Dann hat der Staat auch wieder gesunde Finanzen.
Das aber wollen Sie nicht wahrhaben.Sie haben hier regelmäßig auf die SachverständigenBezug genommen. Die Sachverständigen haben Ihnennun weiß Gott andere Noten gegeben, als Sie uns hierglauben machen wollen. Sie haben Ihnen nämlich vorge-tragen, dass Sie gerade auf dem Arbeitsmarkt die Struk-turreformen nicht vorgenommen haben
und dass sie von Ihnen erwarten, dass Sie auf dem Ar-beitsmarkt strukturelle Maßnahmen ergreifen.
Das haben Sie nicht getan. Deshalb möchte ich noch ein-mal wörtlich zitieren, was Ihnen der Sachverständigenrataufgeschrieben hat:Ohne weitergehende Reformen der Arbeitsmarkts-ordnung wird sich die Lage auf dem Arbeitsmarktnicht nachhaltig bessern, gemessen am Flexibilisie-rungsbedarf des Arbeitsmarktes ist vonseiten der Po-litik auch in diesem Jahr zu wenig geschehen.Das sagt Ihnen der Sachverständigenrat, den Sie die ganzeZeit über in diese Debatte eingeführt haben. Wenn mandiesen Bericht gelesen hat, so sind die Noten für Sie de-saströs und nicht gut, wie Sie uns hier glauben machenwollen.
Sie haben sich bei der Arbeitslosigkeit verschätzt, Siehaben sich bei der Konjunktur verschätzt, Sie haben sichbei der Steuerschätzung vertan. Herr Bundeskanzler, diePrognosen Ihrer Regierung sind unzutreffend. Deshalb istes notwendig, dass man sich kurz vor Augen führt, wie dieanderen Volkswirtschaften und Gesellschaften auf dieHerausforderungen nach dem 11. September reagiert ha-ben. Damit meine ich nicht den Bereich der inneren Si-cherheit und im Übrigen auch nicht die Reaktionen in derAußenpolitik – dazu werde ich noch etwas sagen –, son-dern die ökonomischen Maßnahmen, die aus meiner Sichtin diesem Zusammenhang angeführt werden müssen. DieAmerikaner haben unmittelbar nach dem 11. Septembergenau registriert, dass die weltwirtschaftliche Situationsehr fragil ist. Obwohl sie ohnehin bei der Steuer- und Ab-gabenquote deutlich niedriger liegen, als wir es inDeutschland kennen, haben die Amerikaner die Steuernweiter gesenkt, und zwar gleich in der ersten Woche, in-dem der amerikanische Präsident zum Kongress ging undsich sofort zunächst einmal 40 Milliarden Dollar geneh-migen ließ. Das war die Antwort der Amerikaner. Sie ha-
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ben also nach dem 11. September zur Stabilisierung ihrerKonjunktur und des Mittelstandes zuallererst die Steuerngesenkt.Was war die erste Antwort der deutschen Bundesregie-rung? – Sie erhöhte die Tabaksteuer und die Versiche-rungsteuer. Sie wollten uns erzählen, dass mit der Öko-steuer die Rente gesichert werden solle. Ich halte dieseErkenntnis für bemerkenswert, zumal Sie gerade daran-gehen, sogar noch in die Schwankungsreserve bei denRenten einzugreifen. Ich stelle mir einmal vor, die alte Re-gierung wäre an die Schwankungsreserve so herangegan-gen, wie Sie das jetzt tun. Das hätte zu einem Aufstand aufder linken Seite dieses Hauses geführt, aber davon wollenSie auch nichts mehr wissen.
Die von Ihnen eingeführte Ökosteuer sollte die Rentesichern. „Rasen für die Rente“ – das haben wir oft genuggesagt. Dann kam als zweite Antwort „Rauchen für die Si-cherheit“. Herr Bundesfinanzminister, in Anbetracht derUnterfinanzierung der Bundeswehr warte ich stündlichauf Ihren Vorschlag „Trinken für die Truppe“.
Das kommt nämlich auch noch. Sie werden uns auch nocherzählen, warum wir diese Steuern erhöhen sollten. Siewerden damit in die Lage versetzt werden wollen, dieBundeswehr anständig auszustatten. Um es Ihnen klarzu sagen: Wenn man in einem Haushalt von 500 Milliar-den DM nicht einmal mehr in der Lage ist, 3 MilliardenDM für innere Sicherheit durch Umschichtung zu erwirt-schaften, dann gibt man seine Bankrotterklärung im Hin-blick auf die Finanzpolitik zu Protokoll.
Nein, Sie haben in der Wirtschaftspolitik eine falscheRichtung eingeschlagen.
Das ist im Übrigen auch der Punkt, warum Sie meinerEinschätzung nach am Anfang kommenden Jahres IhrProgramm beschließen werden. Alles das, was die Oppo-sition von Ihnen verlangt – das werden Sie ja sehen –,werden Sie am Anfang des Jahres realisieren. Schon imHinblick auf die Wahl und Ihren Wunsch, wiedergewähltzu werden, werden Sie den innenpolitischen Druck garnicht aushalten.
Sie werden bei den Steuern das tun, was Ihnen die Oppo-sition vorschlägt, wenn auch vielleicht nicht ganz so weit-gehend.
Sie werden Maßnahmen zum Abbau der Bürokratie vor-schlagen, die die FDP und die bürgerliche Opposition
in diesem Hause immer wieder vorgeschlagen haben.Sie werden dem Bundestag auch im Hinblick auf denArbeitsmarkt flexiblere Instrumente vorschlagen. Selbstwenn Sie all das umsetzen werden, wird das Problemsein, dass Sie es dann zu spät in Angriff nehmen wer-den. Sie werden es machen, weil Sie von dem Verlan-gen, wiedergewählt zu werden, getrieben werden, nichtaber aus innerer Überzeugung und mit dem Ziel, dass esdiesem Land wieder besser geht. Deutschland hat einebessere Regierung als die von Rot-Grün gestellte ver-dient. Das zeigt die Arbeitsmarktstatistik mehr als deut-lich.
Die Stichworte sind oft genug genannt worden. Es gehtum die Abschaffung der 630-Mark-Arbeitsverhältnisseund die Ausweitung der betrieblichen funktionärischenMitbestimmung auch noch auf die kleinen und kleinstenBetriebe. Das von Ihnen beschlossene Gesetz gegen dieScheinselbstständigkeit war doch nur ein Gesetz gegenExistenzgründung. Sie haben alle diese Maßnahmen be-schlossen.
– Dass Ihnen das nicht gefällt, wundert mich nicht.
13 Prozent der Deutschen sind Mitglied einer Gewerk-schaft. 85 Prozent der SPD-Bundestagsfraktion sind Mit-glied einer Gewerkschaft. Daraus folgt meines Erachtenseine zu sehr ferngesteuerte Funktionärspolitik und keinePolitik zum Wohle unseres ganzen Landes.
Übrigens haben Sie immer noch nicht verstanden, dassdie Interessen von Arbeitnehmern und die Interessen vonbestimmten Gewerkschaftsfunktionären nicht überein-stimmen, wie, nebenbei bemerkt, auch die Interessen vonvielen mittelständischen Betrieben beileibe nicht immermit den Interessen von Arbeitgeberfunktionären überein-stimmen. Sie müssen sich weniger an den Verbänden ori-entieren, Sie müssen sich mehr an den Menschen orien-tieren. Lassen Sie den Menschen von dem, was sie sichhart erarbeitet haben, mehr und dann haben Sie auch bes-sere Staatsfinanzen. Es kann nämlich nur der Steuern zah-len, der Arbeit hat. Nichts kommt den Staat so teuer wiedie Verwaltung von Arbeitslosigkeit und Sie machen imAugenblick nichts anderes als die Verwaltung von Ar-beitslosigkeit.
Was die Bildungspolitik angeht, so stellt sich der Re-gierungschef hier hin und sagt – das ist schon ein atem-beraubender Kunstgriff gewesen; denn er hat früher ge-sagt, man wolle die Bildungsausgaben verdoppeln –: Dasläuft alles gar nicht so schlecht.
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Das ist übrigens nicht nur eine Frage der Finanzen, das istvor allem, Herr Bundeskanzler, eine Frage der Strukturen.Wir haben zu viel Staatswirtschaft gerade im Bildungs-sektor. Heute lesen wir in den Zeitungen, dass dieLandesregierung aus CDU und FDP in Baden-Württem-berg beschlossen hat, Initiativen zu ergreifen, damit diezentrale Vergabestelle für Studienplätze abgeschafft wird.
Es ist die Aufgabe des Staates – das sollten Sie als SPD-Vorsitzender auch einmal den Landesregierungen, die vonIhnen geführt werden, vortragen –, dafür zu sorgen, dassein junger Mensch einen Studienplatz bekommen kann.Für Chancengleichheit am Start zu sorgen ist die Aufgabedes Staates. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, für Er-gebnisgleichheit am Ziel zu sorgen. Wo jemand studiert,sollte nicht durch Studentenlandverschickung via ZVSentschieden werden.
Die Studenten sollten sich die Hochschule aussuchen dür-fen und die Hochschulen sollten sich ihre Studenten aus-suchen dürfen. Das brächte in der verkrusteten Bildungs-landschaft den Wettbewerb, den wir brauchen.
Sie sagen immer, das sei Ländersache.
So einfach darf man es sich nicht machen. Hier sitzenkeine politischen Eunuchen, sondern hier sitzen Par-teivorsitzende, die in ihrer eigenen Partei auch einmal ei-nen Diskussionsprozess voranbringen müssen.Eine Bildungsministerin,
die es in Wahrheit bis heute nicht geschafft hat, in der Bil-dungspolitik geistige Meinungsführerschaft zu überneh-men, eine Bildungsministerin, die zulässt, dass die Kul-tusminister zehn Jahre lang über die Rechtschreibreformdiskutieren und sich auch jetzt noch erhebend damit be-schäftigen,
eine solche Bildungsministerin hat die Zeichen der Zeitnicht verstanden. Wir brauchen weniger Kultusminister-konferenz. Das hätte Ihre Initialzündung sein müssen. Wirbrauchen mehr Wettbewerb zwischen den Ländern. Wirbrauchen eine neue Autonomie der Schulen, der Hoch-schulen und der berufsbildenden Einrichtungen. Das istdie Strukturantwort auf die wichtigsten Zukunftsfragender Deutschen, nämlich Bildung, Wissenschaft, Ausbil-dung der jungen Generation. Wer daran spart, spart an derZukunft, Herr Bundeskanzler.
Bei der Gesundheitsreform gab es wirklich die abso-lute Krönung. Da gab es eine Strukturreform im Gesund-heitswesen, zu der man diese oder jene Meinung habenkann. Aber dass Sie sich als Bundesregierung dann in Ge-sprächen mit den Verbänden Ihre Strukturreform mit ei-nem Scheck von 400 Millionen DM abkaufen lassen, istwirklich ein Armutszeugnis für jemanden, der als Demo-krat eigentlich sagen sollte: Das Primat der Politik gilt indiesem Hause und auch draußen bei den Verbänden. Dasüberzeugt nicht.
Die Bilanz, die Sie vorgetragen haben, war aus meinerSicht wirklich von großer Nervosität geprägt.
Außen hui und innen pfui war das, was Sie als Bilanzrechtfertigen konnten. Gerade im Hinblick auf die Afgha-nistan-Konferenz – à la bonne heure! – gibt es nichts zukritisieren. Wir Freie Demokraten sagen ausdrücklich:Dass Sie diese Afghanistan-Konferenz nach Deutschlandgeholt haben, verdient unseren Respekt und unsere Aner-kennung.
Außenpolitisch haben Sie doch in Wahrheit gar kein Pro-blem mit der Opposition. Außenpolitisch haben Sie einProblem mit Ihrer eigenen Koalition. Das ist das eigentli-che Thema in diesem Hause, Herr Bundeskanzler undHerr Bundesaußenminister.
Wir werden in den Bereichen zusammenarbeiten, indenen es geht. Wir werden uns selbstverständlich der kon-struktiven Zusammenarbeit nicht verschließen, aber wirwerden nicht vergessen, das anzumahnen, was Sie bei Re-gierungsantritt versprochen haben. Sie haben verspro-chen, dass Sie die Arbeitslosigkeit senken wollen. DiesesZiel haben Sie nun wirklich absolut nicht erreicht. Ar-beitslose hoch, Pleiten hoch,
Wachstumsprognosen nach unten korrigiert, mehr Sozial-hilfeempfänger, mehr Bürokratie – das ist die innenpoli-tische Bilanz dieser rot-grünen Regierungskoalition.Sie mögen sich jetzt noch auf Parteitagen Bussi, Bussigeben und sich wieder die Ehe versprechen,
ich sage Ihnen: Diese Koalition wird im nächsten Jahr ab-gewählt. Da können Sie ganz sicher sein, meine sehr ge-ehrten Damen und Herren.
Ich erteile das Wortdem Kollegen Rezzo Schlauch, Bündnis 90/Die Grünen.
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Dr. Guido Westerwelle20052
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! HerrWesterwelle, Sie haben jetzt 20 Minuten lang
geredet, nicht defensiv, aber desaströs.
Desaströs, indem Ihnen nichts anderes einfällt, als denStandort Deutschland – bei allen Problemen, die wir ha-ben – in einem Zerrbild zu zeichnen, das mit der Wirk-lichkeit nichts zu tun hat.
Wenn Sie daher kommen und sagen, die Amerikanerhätten die Steuern gesenkt, frage ich: Was denken Sie,wie gerne wir die Steuern noch weiter gesenkt hätten,wenn Sie nicht so einen finanzpolitischen Sauladenhinterlassen hätten, als wir die Regierung übernommenhaben?
An diesem Punkt möchte ich auch noch einmal an Ihreeigene Adresse fragen: Warum haben Sie es denn nicht ge-schafft, innerhalb von 29 oder 28 Jahren FDP-Regie-rungsbeteiligung – bei allen Lobpreisungen, die Sie IhremFinanzminister oder Wirtschaftsminister haben angedei-hen lassen – den Spitzensteuersatz unter 50 Prozent zusenken, was wir innerhalb von zwei Jahren gemachthaben?
Es ist sehr wohl richtig, dass wir uns mit problema-tischen Rahmenbedingungen, mit problematischen wirt-schaftlichen Daten auseinander zu setzen haben. Wirhaben eine problematische Situation durch den weltwei-ten Konjunktureinbruch, durch eine Rezession in denUSA, was dazu führt, dass die Investitionstätigkeit ab-nimmt, der Konsum lahmt und die Arbeitslosenzahlensteigen. Das ist der Preis einer globalisierten Weltwirt-schaft. Darum sollten wir überhaupt nicht herumreden,das ist so.Die gute Nachricht ist jedoch, dass diese rot-grüne Re-gierung trotz der problematischen Wirtschafts- und Fi-nanzlage einen Haushalt für das Jahr 2002 verabschiedet,der kein Jota von dem eingeschlagenen Konsolidie-rungskurs abweicht. Dieser Konsolidierungskurs ist diegrundlegende Voraussetzung dafür, dass wir aus der kon-junkturellen Krise wieder herauskommen. Nur wenn wirkeine weiteren Schulden machen, werden wir auch daswichtigste Ziel erreichen – deshalb ist Konsolidierung dieVoraussetzung –, nämlich neue und mehr Arbeitsplätze inDeutschland.Würden wir auf die sehr widersprüchlichen Vorschlägeder Opposition eingehen, so würde Deutschland – –
– Ich kann aufzählen, warum sie widersprüchlich sind. Ichweiß nicht, wer die Sendung „Sabine Christiansen“ amSonntag gesehen hat. Dort hat mein Freund Fritz Kuhnbegründet, warum ein Vorziehen der Steuerreform Unsinnist. Was passierte dann? Herr Stoiber hat ihm plötzlichRecht gegeben und Frau Merkel ist der Kinnladen herun-tergefallen. Sie wissen in Ihrem eigenen Laden nicht, wasSie vorschlagen.
Würden wir nämlich auf diesen verhängnisvollen Kurseiner erhöhten Verschuldung wieder eingehen, dannwürden wir von dem von uns eingeschlagenen Kurs ab-kommen und so wie Sie an den Klippen des Schulden-berges auflaufen. Das haben wir bei Ihnen zur Genügeerlebt und wir haben heute noch an diesen Folgen zuleiden.
Verantwortungsvolle Politik heißt: Wir senken dieNettokreditneuaufnahme gegenüber dem Vorjahr wie-der um 1,2 Milliarden Euro und verfolgen damit weiter-hin das Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes bis zumJahre 2006. Die Nettoneuverschuldung darf aus vielenGründen nicht erhöht werden. Für uns Grüne ist der wich-tigste Grund dabei immer gewesen, dass – mit der rot-grü-nen Regierung hat das Gott sei Dank aufgehört – inDeutschland Politik nicht mehr auf Kosten der zukünfti-gen Generationen gemacht wird.
Konjunkturprogramme oder ein Vorziehen der Steu-erreform bringen uns aber auch in Konflikt mit denMaastricht-Kriterien. Sie wollen doch nicht ernsthaftvon uns verlangen, dass wir wenige Wochen vor Ein-führung des Euros einer Politik das Wort reden, die auchnur den Anschein zulässt, dass Deutschland die Kriteriennicht einhält.
Wenn ein hochmögendes Mitglied dieses Hauses, derMöchtegernwirtschaftsminister Brüderle, sagt, das sei al-les nicht so wichtig, dann hat er sich damit selbst diskre-ditiert und soll als Weinminister nach Rheinland-Pfalzzurückkehren.
Herr Stoiber hat in den letzten Wochen mehrfach dieForderung verlauten lassen, den Spitzensteuersatz weiterzu senken. Dem entgegnenwir: Dasmachenwir, und zwarerfolgreich. Eine Senkung über die in der Steuerreformvorgesehenen 42 Prozent hinaus bringt zwar einigen
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wenigen etwas mehr Geld in die Tasche; aber es bringt inder gegenwärtigen Lage überhaupt nichts für die Wirt-schaft. Eine solche Maßnahme erhöht nicht den Konsumin der Breite und kostet den Haushalt überverhältnis-mäßig viel Geld. Als isolierte Maßnahme ist das Popu-lismus, der letztendlich nur den Wohlhabenden dient.Das ist mit den Grünen und der rot-grünen Koalitionnicht zu haben.Der Titel des Jahresgutachtens – darauf hat derKanzler schon verwiesen – heißt: „Für Stetigkeit – gegenAktionismus“. Dort kann man lesen – das ist sehreindeutig; ich würde Ihnen das gerne ins Stammbuchschreiben –:Eine auf kurzfristigen Erfolg ausgerichtete aktivis-tische Konjunkturpolitik, wie sie beispielsweise zu-sätzliche staatliche Ausgabenprogramme, jedochauch das Vorziehen der nächsten Stufe der Steuer-reform darstellen, birgt Gefahren in der Zukunft, diedie unmittelbar positiven, aber unsicheren Wirkun-gen überkompensieren können. Bei dadurch wiederanschwellenden Haushaltsdefiziten würde die müh-sam gewonnene Glaubwürdigkeit der Nachhaltigkeitin der Finanzpolitik beschädigt.Dieser Rat ist eindeutig und wir beherzigen ihn. Die Op-position sollte noch einmal überlegen, ob sie an diesemgewichtigen Rat vorbeigehen kann.
Die Politik muss Verantwortung tragen. Verantwortungmuss aber auch die Wirtschaft tragen. Ein Beispiel aus denUSA zeigt, wie es gehen kann. Das Management von SunMicrosystems hat gerade einen Brief an die Aktionäre ge-schrieben. Darin wirbt die Geschäftsleitung bei den Ak-tionären um Verständnis dafür, dass sie keine Entlassun-gen vornimmt, auch wenn dies die Gewinnerwartung undden Kurs der Aktie drückt; denn sie rechnet mit einer Bes-serung der konjunkturellen Lage und will die bewährteBelegschaft, das Know-how der Mitarbeiter und das so-ziale Gefüge nicht auseinander brechen.Dieses Beispiel sollte auch bei uns in DeutschlandSchule machen;
denn es liegt im wohlverstandenen Eigeninteresse derWirtschaft, ihrer Verantwortung, die sie auch gegenüberder Gesellschaft hat, gerecht zu werden. Die Regierunghat mit der Rentenreform, mit der Steuerreform und mitder Unternehmensteuerreform Vorleistungen erbracht.Die Gewerkschaften haben jahrelang moderate Ab-schlüsse ausgehandelt, nicht zuletzt dank dem Bündnisfür Arbeit. Deshalb fordere ich die Unternehmen auf – dasrichtet sich insbesondere an die großen Konzerne –: Neh-men Sie die zahllosen Ankündigungen, Zigtausende vonMitarbeitern zu entlassen, im eigenen Interesse und imInteresse des Ganzen zurück.
Der Sachverständigenrat rechnet ebenfalls für dasnächste Jahr damit,dass sich die außenwirtschaftliche Lage aufhellt undvorhandene positive binnenwirtschaftliche Rahmen-bedingungen wieder Wirkung entfalten.Wir haben dabei für meine Begriffe und aus grüner Sichtnoch eine Aufgabe vor uns, nämlich die Reform des Ar-beitsmarktes. Das Job-Aqtiv-Gesetz ist ein guter und rich-tiger Einstieg, um durch gezieltere Betreuung Zeiten vonArbeitslosigkeit zu vermindern. Ich kann überhaupt nichtnachvollziehen, was Sie dagegen haben können, meineDamen und Herren von der Opposition.
Herr Bundeskanzler, ich glaube, dass wir auf derGrundlage des von Ihnen zum Kündigungsschutz Gesag-ten doch noch einige weitere Gedanken ins Auge fassensollten. Wir sind darüber in der Koalition im Gespräch.Erstens. Wir müssen die Teilzeitmauer einreißen. Dasbuchstäblich schwarze Beschäftigungsloch oberhalb der630-DM-Grenze muss verschwinden, sodass sich in die-sem Sektor beides lohnt: jemandem Arbeit zu geben, aberauch diese Arbeit anzunehmen.
Es ist zum Beispiel vorstellbar, dass die Sozialabgabenbei Einkommen von 630 bis 1 800 DM linear ansteigen,sodass nicht ab der 631.Mark der volle Sozialabgabensatzzuschlägt.Zweitens. Es ist an der Zeit, ein flächendeckendes Ein-stiegsgeld einzuführen, sodass ein Arbeitslosenhilfe- oderSozialhilfeempfänger befristet einen möglichen Zu-verdienst behalten kann, ohne dass dies mit Transferleis-tungen verrechnet wird, beispielsweise in Höhe von50 Prozent.
Drittens. Auch die Entbürokratisierung der 630-DM-Jobs mit einer einmaligen jährlichen Meldung ist eineMaßnahme, die für Bewegung auf dem Arbeitsmarkt sor-gen kann und die insbesondere bürokratische Hürden fürKlein- und Mittelbetriebe wegräumt.
Solche Strukturreformen sind der richtige Weg. Wirkönnen uns auch hier auf die Wirtschaftsweisen stützen,
die sagen:... gerade in der derzeitigen labilen wirtschaft-lichen Lage stellt das Angehen von notwendigenStrukturreformen eine Chance dar, die wirtschaft-lichen Perspektiven zu stabilisieren.Ich komme zu einem wichtigen gesellschaftspoli-tischen und strukturpolitischen Punkt, nämlich der Ein-
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wanderung. Frau Merkel, angesichts der desolaten Lage,in der sich die Opposition befindet, kann ich gut nach-vollziehen, warum Teile der CDU/CSU, allen voran derStoßtrupp aus den bayerischen Bergen,
wenigstens die Einwanderung als Rettungsanker für denWahlkampf behalten wollen. Aber ich sage Ihnen: HörenSie auf, Ihr parteitaktisches Kalkül über die Zukunft un-seres Landes zu stellen!
Die Wirtschaft braucht qualifizierte Arbeitskräfte. Mil-lionen Menschen, die in unserer Gemeinschaft leben,brauchen Hilfe und Ansporn zur Integration. VerfolgteMenschen brauchen die Sicherheit eines demokratischenStaates, der sie schützt. Sie aber handeln nach dem Motto:Wer schon keine Antworten auf die drängenden Zu-kunftsfragen unseres Landes anzubieten hat, der schieltnach Österreich und nach Dänemark. – Aber bei uns wis-sen die Leute inzwischen, dass wir immer eine offene Ge-sellschaft mit Zuwanderung gewesen sind, dass wir dasauch bleiben werden und dass wir dafür allerdings jetztdie richtigen gesetzlichen Regelungen brauchen. Diessieht übrigens auch die Wirtschaft fast unisono so. Bei-spielsweise sagt BDA-Präsident Hundt:Wer angesichts dieser Lage eine neue Zuwande-rungsregelung blockiert, schadet unserem Land.Frau Merkel und Herr Merz, passen Sie auf, dass das nichtauf Sie gemünzt ist!
Gott sei Dank gibt es auch vernünftige Stimmen in derCDU. Ich kann nur hoffen, dass sie sich in der Diskussiondurchsetzen. Bisher jedenfalls ist leider nur deutlichgeworden, dass die Forderungen der Union – wie dieRücknahme der Anerkennung geschlechtsspezifischerVerfolgung oder nicht staatlicher Verfolgung oder dieRücknahme einer vernünftigen Familiennachzugsre-gelung – keine Angebote sind, sondern nur davon ablen-ken sollen, dass die CDU ihr Verhältnis zur Einwanderungnicht geklärt hat.
Möglicherweise gelingt dies ja auf Ihrem kommendenParteitag. Dazu wünsche ich Ihnen viel Erfolg. Eine gere-gelte Einwanderung, die die humanitäre Behandlung vonFlüchtlingen umfasst – unser Modernisierungsprojekt –,ist unverzichtbar für eine zukunftsfähige Gesellschaft im21. Jahrhundert. Sie haben immer noch die Wahl, sich inIhren ideologischen Spinnweben des letzten Jahrhundertszu verfangen oder die Gestaltung der offenen Gesellschaftmitzutragen.Meine Damen und Herren, zur Ökologie: Die Ver-braucherschutzministerin Renate Künast hat das Ökosie-gel vorgestellt; die Agrarwende macht Fortschritte.
Das Ökosiegel markiert gesetzliche Standards für Pro-dukte, die weit höher liegen als die, die bei konventionel-ler Herstellung zugrunde gelegt werden. Die Menschenkönnen sich in Zukunft darauf verlassen, dass das, wasdraufsteht, tatsächlich auch drin ist, das Produkt also nachallen Regeln der Kunst hergestellt wurde. Das ist gut fürdie Landwirtschaft, weil sie so wieder Vertrauen für ihreProdukte erwerben kann.Herr Glos, dass nicht alles Gold ist, was glänzt, habenwir in Baden-Württemberg in den letzten Wochen erle-ben müssen. Ich glaube, dass unserer Verbraucherschutz-ministerin in Zukunft eine sehr wichtige Rolle zukommt,um solche Dinge, wie im Bodenseegebiet, im wichtigstenAnbaugebiet für Obst in Süddeutschland, geschehen, zuverhindern,
wo gnadenlos verbotene Pflanzenschutzmittel gespritztworden sind und aufgrund eines Schweigekartells zwi-schen Bauernverband und CDU-Landesregierung dieVerbraucher darüber nicht informiert worden sind.
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Repnik?
Ja,
der Herr Repnik will die Bodenseebauern verteidigen.
Bitte schön.
Herr Kollege
Schlauch, Sie sprachen soeben von einem Schweigekar-
tell und haben damit den Landwirtschaftsminister von
Baden-Württemberg der Untätigkeit geziehen. Sind Sie
darüber informiert, dass gleich nach der ersten Informa-
tion über den Sachverhalt die baden-württembergische
Landesregierung und der zuständige Minister reagiert ha-
ben, dass den entsprechenden Betrieben sofort die Siegel
aberkannt wurden und diese Produkte vom Markt genom-
men wurden? Sind Sie darüber informiert? Wenn ja,
warum verbreiten Sie hier die Unwahrheit?
Meine Kenntnis, Herr Kollege Repnik, stützt sich auf ei-nen völlig anderen Sachverhalt. Meine Kenntnis geht da-hin, dass der Landwirtschaftsminister von Baden-Würt-temberg zwei bis drei Monate über diesen Sachverhaltinformiert war, bevor er die Maßnahmen, von denen Siegeredet haben, realisiert hat.
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Rezzo Schlauch20055
Übrigens kennen wir so etwas schon in Baden-Württem-berg. Auch das Umweltministerium schwieg in SachenPhilippsburg, bis die Dinge nicht mehr zu verschweigenwaren.
DieAtomrechtsnovelle ist aufdemWeg.MeineDamenundHerren, Siewissen aber, dasswir es nicht bei demAus-stieg belassen, sondern der Ausstieg geht einher mit demEinstieg in dasZeitalter der regenerativenEnergien und ei-ner umfassenden Energiewende. Deutschland ist aufgutemWege, seine Klimaschutzziele zu erreichen, auf de-ren Einhaltung es sich inzwischen auch völkerrechtlichverbindlich verpflichtet hat. Erneuerbare-Energien-Ge-setz, Markteinführungsprogramm, für das alle Fraktionengemeinsam dieMittel um 100Millionen Euro aufgestockthaben,unddiegeplanteKraft-Wärme-Kopplungsregelungsind notwendige Schritte auf dem richtigenWeg.Denjenigen, die nach wie vor immer wieder versuchen,einen Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomiefestzustellen, will ich sagen: Die beschäftigungspoli-tischen und ökonomischen Effekte einer anspruchsvollenKlimaschutzpolitik sind beachtlich. Das Basler For-schungsinstitut Prognos kommt in einer wissenschaftli-chen Untersuchung zu dem Schluss, dass eine Minderungder CO2-Emissionen in Deutschland bis zum Jahre 2020um 40 Prozent nicht nur machbar ist, sondern auch noch200 000 Arbeitsplätze schafft. Von denen profitieren derMaschinenbau, das Baugewerbe, der öffentliche Per-sonennahverkehr, die Bahn und die Dienstleister. Dies al-les sind Zukunftsbereiche der deutschen Wirtschaft. Indiesem Gutachten wird bekräftigt, dass der Klimaschutz,der Ausstieg aus der Kernenergie und die beschäf-tigungspolitischen Ziele keine Gegensätze sind, sondernsich, im Gegenteil, positiv beeinflussen.
Im Rahmen der im Antiterrorpaket vorgesehenen3Milliarden DM haben wir einen Schwerpunkt auf die zi-vile Krisenprävention und auf die Entwicklungshilfe ge-setzt. So haben wir den Haushalt für die Entwicklungs-hilfe um 200 Millionen Euro aufgestockt. Nach dem11. September 2001 kann sich niemand mehr darüber hin-wegtäuschen, dass eine internationale Politik, die sich anMenschenrechten und Gerechtigkeit orientiert, wichtigist und im ureigenen Interesse unseres Landes und Euro-pas liegt.
Ein Schuldenerlass für die ärmsten Länder wurde aufdeutsche Initiative hin auf dem Kölner Gipfel beschlos-sen. Zu nennen ist auch die internationale Gesund-heitspolitik, wie sie der G-8-Gipfel in Bezug auf dieBekämpfung von Aids beschlossen hat und die von derBundesregierung sogleich mit einem namhaften Betragunterstützt worden ist. Es gibt Überlegungen für ein in-ternationales Insolvenzrecht und die Schaffung von mehrTransparenz auf den Finanzmärkten. – Das alles sind Mo-saiksteine auf dem Weg zu der einen Welt, die von allenStaaten und allen Menschen als ihre Welt empfunden wer-den kann.Dabei darf es nicht bleiben: Wir Grüne stehen auch füreinen international fairen und freien Handel und dafür,dass die Chancen der Globalisierung allen und nicht nurden reichen Industrieländern zugute kommen.
Das wird mit Sicherheit für manche Branchen einschmerzhafter Prozess, wir müssen Handelsbarrieren fürProdukte aus Entwicklungsländern abbauen. Kein Ent-wicklungshilfeetat der Welt kann die Effekte erzeugen,die dadurch geschaffen werden können, dass die LänderAsiens, Afrikas und Lateinamerikas hier zu fairen Bedin-gungen mit ihren Produkten handeln können.
In diesen Kontext gehört auch, dass BundeskanzlerSchröder die Parlamentarische Staatssekretärin Uschi Eidzur Afrikabeauftragten ernannt hat, mit dem Ziel, einenAktionsplan der G-8-Staaten vorzubereiten, der die„Neue Afrikanische Initiative“ zum wirtschaftlichen Auf-bau und zur Überwindung von Armut in Afrika unterstüt-zen soll.
Ich wünsche der Bundesregierung auf dem kommendenG-8-Gipfel in diesem Bereich, in dem wir zum ersten Malpräventiv tätig werden können, einen guten Erfolg.
In diesem Zusammenhang werden wir in diesem Jahrzusammen mit der Welthungerhilfe FAO ein Programmausarbeiten – hierzu stehen 20 Millionen zur Verfügung –,das dazu dienen wird, den Menschen in den ländlichenRäumen der armen Länder Hilfe zur Selbsthilfe zu geben.Dieses Programm wollen wir im nächsten Haushaltsjahr,also im übernächsten Jahr, in 2003, entsprechend aus-füllen.
– Da bleibt der Wunsch Vater des Gedankens, Herr Kol-lege Repnik.Seit einigen Tagen tagt die Afghanistan-Konferenz inBonn. Ich verstehe nicht, was der Kollege Glos daran zukritteln hat.
Es ist ein großes Verdienst der deutschen Außenpolitik,dass die UN, die USA und die betroffenen Staaten sowieGruppen dieses Vertrauen in Deutschland gesetzt haben.Ich hoffe, dass wir ein guter Gastgeber sind.
Dies ist ein direktes Resultat nicht nur der Haltung derBundesregierung, sondern auch der Tatsache, dass sich dieEU-Außenminister frühzeitig Gedanken über den Post-Ta-
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Rezzo Schlauch20056
liban-Prozess gemacht und ein überzeugendes Gesamt-konzept vorgelegt haben. Dies ist nur e i n Schritt, aberein wichtiger, bei der Bewältigung der schwierigen Auf-gabe, Afghanistan zu befrieden und als Rückzugsgebiet füral-Qaida und andere internationale Terroristen ungeeignetzu machen. Es ist ein eminent wichtiger und ein richtigerSchritt; denn er bringt das Primat der Politik zurück.
Die Regierung hat in der Außenpolitik ihre Hand-lungsfähigkeit bewiesen. Sie hat zweitens ihre großeKompetenz im Bereich der zivilen und politischen Lö-sungen gezeigt. Außenpolitik setzt die Rahmenbedin-gungen dafür, dass wir in der Innenpolitik unsere sozial-ökologischen Reformen weiterführen können und dasswir die ökologische und die gesellschaftspolitische Er-neuerung dieses Landes, die Sie jahrelang haben schlei-fen lassen, unvermindert fortsetzen können. Wenn unsdas gelingt – und es wird dieser Koalition und der rot-grünen Regierung gelingen –, dann sind all Ihre Äuße-rungen, die wir heute gehört haben, nur Träume für dieZukunft.Herr Kollege Westerwelle, zum Schluss möchte ich Siean dieser Stelle fragen, wie Sie sich eigentlich Ihr wider-sprüchliches Verhalten erklären. Auf der einen Seite wer-fen Sie uns vor, dass wir staatsfixiert seien. Auf der an-deren Seite wollen Sie diejenigen, die bei uns dieVerantwortung für die Wirtschafts- und Finanzpolitik ha-ben, abwerben. Heißt das etwa, dass Sie staatsfixierteFinanz- und Wirtschaftspolitiker abwerben wollen? Ichkann mir das nicht vorstellen.Ein weiterer Widerspruch liegt darin, dass Sie im Bun-destag auf die Koalition einprügeln. Das ist zwar Ihr gutesRecht, Herr Westerwelle.
Aber wenn Sie außerhalb dieses Hauses in jedes Mikro-fon Bewerbungsreden für die Beteiligung an dieser Re-gierung halten, dann ist das sehr widersprüchlich. Ich ver-stehe das nicht.Wir werden auf jeden Fall unseren Kurs erfolgreichfortsetzen. Wir werden Sie deshalb bei der Wahl im Sep-tember nächsten Jahres auf die Plätze verweisen, auf de-nen Sie jetzt sitzen.Danke schön.
Das Wort zu einer
Kurzintervention hat der Kollege Westerwelle.
Frau Präsidentin!
Weil Herr Kollege Schlauch zu dem interessanten rheto-
rischen Mittel gegriffen hat, an einen hier Zuhörenden
eine Frage zu richten, möchte ich ihm gerne auf diese
Frage antworten.
Damit kein Missverständnis entsteht, sollen Sie von
mir an dieser Stelle, damit es auch einmal im Protokoll er-
scheint, hören: Wir gehen in keine Regierung – ob ihr um-
fallt oder nicht umfallt –, ohne dass es vorher Wahlen ge-
geben hat. Nach den Wahlen sind wir hoffentlich mit
einem Regierungsauftrag versehen. Das werden wir se-
hen; das wird der Wähler entscheiden. Aber ohne Wahlen
werden wir nicht in die Regierung gehen.
Ich sage noch eines, damit wir uns auch darüber im
Klaren sind: Die Hoffnung, dass Sie in irgendeinem Punkt
standhaft bleiben könnten, haben wir längst aufgegeben.
Ihre uneingeschränkte Solidarität mit Ihren Dienstwagen
wird sprichwörtlich in Deutschland.
Herr Kollege
Schlauch, möchten Sie darauf antworten? – Nein.
Dann hat jetzt der Kollege Roland Claus das Wort für
die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Siehaben zu Beginn Ihrer Rede über die Schwäche der Unionin der Politik insgesamt und in diesem Hause gespottet.Ich bin der Meinung, dass Ihnen eine Menge Anlass dafürgeboten wurde. Allerdings ist eine solche Argumentationfür Sie nicht ungefährlich. Denn: Wenn selbst eine soschwache konservative Opposition Ihnen in den Umfra-gen so dicht auf den Fersen ist, dann spricht das nun wirk-lich nicht für eine starke Bundesregierung. Das müssenSie sich schon vorhalten lassen.
Eine Woche lang werden uns jetzt von der Regie-rung Statistiken des Erfolgs präsentiert. Das ist für ei-nen gelernten DDR-Bürger wie mich ein ziemlich star-kes Stück. Es gibt nämlich erhebliche Zweifel andiesen Statistiken. Nehmen wir aber einmal an, IhreStatistiken stimmen. Dann müssen Sie sich eine Fragegefallen lassen: Nach welchem Maßstab bewerten Sieinzwischen die Leistungen Ihrer Politik? Sie werdenfeststellen, dass es ein einziger Maßstab ist, mit demsich das alles messen lässt: Sie stellen hier fest und be-weisen wort- und zahlenreich, es sei alles noch ein biss-chen besser als bei Kohl. Dazu müssen wir Ihnen abersagen: Dann haben Sie vorsätzlich – wenngleich auchmit dem Versuch, dies in aller Stille zu tun – die Mess-latte verlegt.
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Rezzo Schlauch20057
Sie wurden 1998 in Regierungsverantwortung ge-wählt, damit es in Deutschland gerechter zugeht, damit esvorwärts geht, und nicht nur, damit es ein bisschen anderswird als bei Kohl.
– In der Tat, das müssen Sie sich sagen lassen; denn vonden wirklichen Problemen der Menschen in diesem Landesind Sie etwa genauso weit entfernt wie von den eigenenWahlversprechen.
So setzen Sie nunmehr auf das letzte Ihnen verbliebenePositivimage, nämlich die Schulden zu verringern. Dasist in der Tat ein wichtiges Ziel, aber als alleiniges Ziel istes untauglich; denn wer soziale Strukturen, wer gesell-schaftliche Zusammenhänge kaputtspart, der ist nicht mo-dern und nicht zukunftsfähig. Lassen Sie sich das nocheinmal gesagt sein.
– Ich komme an anderer Stelle auf die Einnahmenbilanzdieses Landes zurück.Ich will Ihre Schwierigkeiten nicht kleinreden. Aber ei-nes muss man Ihnen sagen: Sie sind nicht an der eigenenCourage gescheitert, sondern an dem Mangel an Courage,die Probleme dieses Landes anzupacken.Was erwarten Bürgerinnen und Bürger in dieser Situa-tion? Sie erwarten nicht den Vergleich zu Helmut Kohl imJahre 1997. Sie wollen, dass man sich ihrem Lebensalltagzuwendet und dass sich in diesem Lebensalltag etwas än-dert. Das trifft sowohl für den Chefarzt zu, der Fragen zurGesundheitsreform hat und diese nicht beantwortet be-kommt, als auch für die Arbeitslose, die gesicherte Arbeitwill und dazu keine Antwort von Ihnen bekommt.Es ist hier schon mehrfach zitiert worden: An der Ver-minderung der Arbeitslosigkeit wollten Sie sich jederzeitmessen lassen. Wenn wir Sie daran messen, müssen wirsagen: Sie haben versagt.
Herr Bundeskanzler, Sie haben hier die Prognosen ausdem vergangenen Jahr bemüht, als wären Prognosen so-zusagen Dinge höherer Gewalt, als hätte das nichts mit Ih-rer Politik zu tun. So einfach kann man sich das nicht ma-chen. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.Sie haben eine ganze Reihe, wie ich finde, untauglicherMittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eingesetzt.Sie haben die Gewerkschaften zur Zurückhaltung in derTarifpolitik gedrängt. Sie haben auf ABM-Abbau ge-drängt und eine unselige Faulenzerdebatte losgetreten.Sie haben den Einstieg in den Ausstieg aus der gesetzli-chen Rentenversicherung zu verantworten und Sie redenpermanent über Niedriglohnmodelle. Ich sage Ihnendazu: Deutschland braucht keine Niedriglohnmodelle; dieNiedriglohnrealität in diesem Lande ist schon zu viel.
Mir ist vor einigen Tagen in Sachsen ein junger Mannbegegnet, der jetzt als technischer Zeichner ausgelernt hatund dem sein Chef einen Nettolohn von 1 200 DM ange-boten hat.
Wenn dieser junge Mann unsere Debatten im Bundestagverfolgt, dann kann er nur den Schluss ziehen: Die sitzenim falschen Film!
Es ist bemerkenswert, wie sich die Christdemokratenin dieser Situation Mut machen. Ich darf Frau Merkel imOriginalton zitieren. Das klingt so: Wir werden Schröderdas Fürchten lernen.
– Nein, sie hat „lernen“ gesagt, sonst wäre mir das nichtso aufgefallen.
Das wird den Kanzler schwer beeindrucken, wird er dochdemnächst Frau Verona F. im Beraterteam der CDU ver-muten.Sie haben gesagt, Herr Bundeskanzler, Sie wollten denAufbau in den neuen Bundesländern zur Chefsache er-klären; aber Sie haben nichts Glaubwürdiges geleistet. Siemachen um Thüringen inzwischen einen großen Bogen,wahrscheinlich wegen der hohen Cousinendichte, die dortzu vermuten ist.
Aber auch in Ihrer heutigen Rede haben Sie, mit Aus-nahme der schwierigen Situation in der Bauwirtschaft,nichts, aber auch gar nichts zur Lebenslage in den neuenLändern gesagt. Das ist mehr als bedauerlich.
Ich will hierbei nur auf ein Faktum verweisen: Vorkurzem führten wir im Bundestag eine Debatte zu Bahn-unternehmen. Die große Regierungsbank hier im Bundes-tag war leer. Die Bundesregierung war in dieser Situationmit niemandem vertreten. Das ist Ausdruck dafür, wie Siemit den Problemen vor allem in den neuen Ländern um-gehen.
Mit demRegierungsantritt haben Sie versprochen, dassSie in diesem Land vernünftig wirtschaften wollen. Es istnicht zu erkennen, wiemit diesemHaushalt dieKonjunk-tur und Investitionen gefördert werden sollen. Sie be-schwören die kleinen undmittelständischenUnternehmenregelrecht; für ihre Förderung ist aber wenig enthalten.
Zahlreiche meiner Kommilitoninnen und Kommilito-nen aus dem früheren Studium sind inzwischen Existenz-gründer. Sie klagen mir, wie Ihnen gewiss auch, ihre Nöte.Ähnlich wie in Schweden brauchten wir auch in Deutsch-land ein Programm für eine zweite Chance für Existenz-
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Roland Claus20058
gründer, sodass es nicht bei jeder Existenzgründung umHopp oder Topp geht.
Die Kommunen im Lande sind die Verlierer IhrerSteuer- und Finanzpolitik. Sie verlieren ihre Auftrags-kompetenz mehr und mehr. Deshalb haben wir Ihnen vor-geschlagen, eine kommunale Investitionspauschale ein-zuführen. Sie sollten sich diesem Vorschlag auch nichtlänger verweigern.
Nun komme ich zu den wiederholten Vorwürfen an diePDS, wir würden keine eigenen Vorschläge machen.
Meine Damen und Herren, wir haben uns in schwierigsterSituation – ich meine die Haushaltslage in Berlin – bereiterklärt, zur Konsolidierung des Haushaltes in Berlin auchim Senat, also in Regierungsverantwortung, mitzuwirken.Sie kommen nicht umhin, unsere anerkannt soliden Vor-schläge auch als solche zu akzeptieren.
In dieser Situation hat der Kanzler aber die Ampel ver-ordnet. Ich finde, dass es in Berlin genug Ampeln gibt.Wir brauchen sie nicht auch noch im Rathaus. Der einzigeTrost bei der Ampel ist, dass die Gelbphase immer diekürzeste ist.
– Das geht auch in Ordnung.
Meine Damen und Herren der Regierung und der Ko-alition, der Begriff der sozialen Gerechtigkeit durchziehtIhre Programme sehr stark. Ich will dazu einige Faktennennen, die eine andere Sprache sprechen:Eine einzige Versicherung in diesem Land – zugegebeneine große –, deren Name ich hier nicht nenne, zieht ausIhrer Politik eine so genannte Steuerersparnis in Höhevon 2,2 Milliarden DM. Das nenne ich eine unheilige Al-lianz von Politik und Geschäft.
Ein anderer Fakt: Die Körperschaftsteuer, die vonden großen Unternehmen gezahlt wird, macht nur noch1,5 Prozent des Steueraufkommens aus. Dazu kann ichnur sagen: Undank ist des Eichels Lohn.
Die kleinen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben fürdie großen Unternehmen aufzukommen. So war die so-ziale Marktwirtschaft von Ludwig Erhard doch wohlnicht angelegt.
Inzwischen sind die Einnahmen aus der Körper-schaftsteuer geringer als die Einnahmen aus der Tabak-steuer. Da traut man sich als bewusster Staatsbürger garnicht mehr, darüber nachzudenken, ob man mit dem Rau-chen aufhören sollte. Was sind denn das für Zustände?
Ich komme zu noch einem Fakt: Im Jahre 2000 wurdeninfolge von Finanzprüfungen Steuernachzahlungen inHöhe von 27MilliardenDM gefordert. Allerdings wurdendie Prüfungen nur in 3 Prozent der Unternehmen durchge-führt. Nun würden Sie es mir hier nicht durchgehen las-sen, wenn ich diese 3 Prozent auf 100 Prozent hochrech-nen würde.
Da kämen 900 Milliarden DM heraus. Wir lassen Ihnenaber auch nicht durchgehen, dass bei den anderen 97 Pro-zent nichts zu holen gewesen wäre.
Es muss endlich Schluss damit sein, dass in diesem LandSteuerhinterziehung ein staatlich geförderter Volkssportist und nach dem Motto verfahren wird: Wer Steuernzahlt, ist selber schuld. Hier brauchen wir eine andere Phi-losophie.
Wir empfehlen Ihnen einen Blick nicht nur über denKanal, sondern auch zu den französischen Nachbarn. Dorthat die Nationalversammlung in der vergangenen Wochedie Einführung der Tobinsteuer beschlossen. Das sollteauch für uns eine Richtschnur sein.
Insofern ist leider zu bedauern, dass auch unter einer rot-grünen Regierung die Reichen immer reicher und die Ar-men immer zahlreicher werden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hatten inletzter Zeit allen Grund, Ihnen gegenüber mehrfach un-sere Position zu betonen, dass Krieg die falsche Antwortauf den Terror ist. Sie haben daraufhin versucht, die PDSauf „Radikalpazifismus und sonst gar nichts“ zu reduzie-ren. Das spricht nicht für Souveränität, sondern für IhreUnsicherheit. Es ist sehr viel mehr Politik zwischen Pazi-fismus pur auf der einen Seite und uneingeschränkter So-lidarität auf der anderen Seite möglich.
Die gesellschaftliche Isolation der PDS – das ist es, wasSie betreiben wollen – wird Ihnen nicht gelingen.Ich komme zum Schluss. Für einen Finanzministermag es kein schlechtes Zeichen sein, wenn er die Ausga-benreduzierung als sein Ziel vorgibt und dabei einigesvorweisen kann. Für eine Bundesregierung, die gesell-schaftsgestaltend zu wirken hat, ist dies zu wenig. HerrBundeskanzler, Sie haben bekanntlich Lenin studiert undsich offensichtlich deshalb gesagt: Vertrauen ist gut,
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Roland Claus20059
Vertrauensfrage ist besser. Die wirkliche Vertrauensfrageaber wird am 22. September des nächsten Jahres gestellt.Herr Bundeskanzler, Sie sollten sich nicht länger auf dieSchwäche der Union verlassen. Ich denke zwar, dass dieUnion in der Opposition gut aufgehoben ist;
da sollte sie auch bleiben.
Dazu bedarf es aber einer anderen Regierungspolitik alsder, die Sie mit diesem Haushalt unter Beweis stellen.
Ich erteile das Wort
dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Dr. Peter Struck.
Frau Präsidentin! Meine sehrverehrten Damen und Herren! In der heutigenAusgabe der„SüddeutschenZeitung“findetsicheinArtikelmitderÜber-schrift: „HeinerGeißler greiftCDU-Fraktionsspitze an“.
Darin steht, dass der Kollege Geißler sich an diejenigen inder CDU/CSU-Fraktion wendet, die gegen einen Zuwan-derungskompromiss sind. Er sagt, „er wisse nicht, wel-che Leute wir“ – damit ist die Union gemeint – „auf demrechten Rand mit einer solchen Politik noch gewinnenwollen. Ich weiß aber mit Sicherheit, dass uns die Zu-stimmung religiös und human denkender Menschen, vorallem in beiden Kirchen, endgültig verloren geht.“
Ich möchte Sie, Herr Kollege Merz, und die folgendeRednerin, Frau Kollegin Merkel, bitten, dazu Stellung zunehmen. Das meine ich jetzt nicht polemisch.
Herr Merz, Sie haben hier am 19. September in einerDebatte zu den Folgen der terroristischen Anschläge Fol-gendes gesagt:Die Umstände dieses Attentats zeigen aus meinerSicht einmal mehr, wie dringend wir ein umfassen-des Konzept zur Steuerung und Begrenzung der Zu-wanderung brauchen,
das auch den Erfordernissen der inneren Sicherheitgerecht wird und das vor allem die Integration der inDeutschland lebenden Ausländer fördert.
Wir wollen noch in dieser Legislaturperiode zu einerLösung kommen und bieten Ihnen auch hierzu dieZusammenarbeit an.
So weit, so gut. Dann aber möchte ich Sie schon fragen,wie die Äußerung von Herrn Stoiber in einer Fernsehsen-dung, an der auch ich teilzunehmen die Ehre hatte, und dieÄußerung von Herrn Beckstein zu verstehen sind. HerrBeckstein hat gestern angedroht, dass die CDU und dieCSU eine Unterschriftenaktion erwägten. Das stehtdoch in krassem Gegensatz zu dem, was Sie bisher zu demThema Zuwanderung gesagt haben.
Ich stimme Heiner Geißler auch in dem zu, was er inder „Süddeutschen Zeitung“ vom 6. November gesagthat:Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Idee,Ausländer zum Thema des Wahlkampfs zu machen,in die Psychiatrie gehört.Das ist – dabei denke ich an München – völlig richtig aus-gedrückt, meine Damen und Herren.
Ich widerspreche auch Ihrer Behauptung, nach derZuwanderungsregelung, die vonseiten der Koalition undder Bundesregierung vorgelegt worden ist, werde es einenungebremsten Zuwachs von Zigtausenden oder nochmehr Ausländern in unserem Land geben. Das ist objek-tiv falsch. Das ist Panikmache. Unser Gesetz steuert dieZuwanderung. Wir wissen ganz genau, dass zum Beispieldie Forderung der Wirtschaft an uns nach einem unbe-grenztes Aufmachen von Tür und Tor für Arbeitskräftevon uns nicht erfüllt werden wird. Wir sind uns darübereinig – das sage ich hier ganz deutlich –, dass wir eine Zu-wanderung aus arbeitsmarktpolitischen Gründen nur fürso genannte High Potentials brauchen. Es wird zu keinerzusätzlichen Ausländerschwemme kommen, die HerrBeckstein und Herr Stoiber suggerieren. Es ist unanstän-dig, mit solchen Ängsten zu arbeiten.
– Herr Kollege Glos, da Sie so einen intelligenten Zwi-schenruf gemacht haben, möchte ich Ihnen vorlesen, washeute über Sie und Ihre geistigen Kapazitäten in der „Süd-deutschen Zeitung“ steht.
Es wird über das gefürchtete Frühstück von Herrn Glosberichtet, jeweils montags oder dienstags. Dann kommtauf die Frage, wann denn nun diese „K-Frage“ entschie-den werden soll,
Folgendes:Er wies in Berlin auf die Bedeutung der bayerischenKommunalwahl am 3. März für die CSU hin und
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Roland Claus20060
fügte dann hinzu: „Frühestens danach oder aber umdiesen Zeitraum herum soll auch über den Kanzler-kandidaten entschieden werden.“
Auf Nachfragen sagte er dann, er habe sich verspro-chen und statt „frühestens“ Frühjahr sagen wollen.
Das ist die Art und Weise, wie Sie mit vernünftigen Datenund Themen umgehen!
Herr Glos, Ihre Karnevals- und Büttenreden mögen jafür Sie interessant sein. Aber die Menschen draußen, dieuns zusehen, werden sich über Ihre geistigen Qualitätenschon ein eigenes Urteil bilden können.
Da ich nun gerade bei der K-Frage bin: Der „Stern“ hatversucht, der Union die Beantwortung dieser Frage abzu-nehmen. Frau Kollegin Merkel wird sich vielleicht auchnoch dazu äußern.
– Zu Ihnen komme ich auch noch, Herr Schäuble. Um esgleich zu sagen: Ich finde es unanständig, Herr Schäuble,dass Sie auf die Frage, ob Sie vielleicht auch Kanzlerkan-didat werden wollen, obwohl Sie wissen, dass Ihre Par-teivorsitzende das werden will, nicht klipp und klar Neinsagen. Wer nicht Nein sagt, sagt Ja, Herr Schäuble. WieSie in dieser Frage mit Frau Merkel umgehen, ist unan-ständig.
Wo ich gerade bei der CDU bin: Sie haben einen Par-teitag in Essen gehabt und Sie haben bald einen Parteitagin Dresden.
Der Bundesparteitag der CDU hat in Essen Folgendes be-schlossen:Der Bundesvorstand wird ermächtigt
– ich weiß, Sie hören das nicht gerne, Sie müssen es sichaber trotzdem anhören –über die Geltendmachung von Rechtsansprüchenjeglicher Art gegenüber Personen, Gebietsverbändenund Sonderorganisationen der CDU, die im Zusam-menhang mit Verstößen gegen die einschlägigen Pa-ragraphen des Parteiengesetzes dem CDU-Bundes-verband Schaden zugefügt haben, abschließend zuentscheiden.Dies ist ein Beschluss des Bundesparteitages der CDU.
Jetzt möchte ich Sie fragen, Frau Kollegin Merkel– wenn Sie gleich in Ihrer Rede darauf eingehen würden,wäre ich Ihnen sehr dankbar –, was Sie eigentlich nachdiesem Beschluss gemacht haben.
Wen haben Sie eigentlich wegen der Verstöße gegen dasParteienfinanzierungsgesetz zur Rechenschaft gezogen?
Was machen Sie dagegen, dass ein Mann wie HelmutKohl, der sich nach wie vor weigert, die Herkunft vonSpenden preiszugeben, hier in diesem Parlament sitzt?Was machen Sie eigentlich dagegen?
Ich habe vor zwei Jahren in der Haushaltsdebatte imZusammenhang mit dem Verkauf von Panzern an Saudi-Arabien und im Zusammenhang mit dem Verkauf vonLeuna an Elf Aquitaine die Frage gestellt, ob die Politikvon Helmut Kohl käuflich gewesen ist.
Der Kollege Kohl hat mich dann nach einigen Verwirrun-gen darüber, wie man eine Zwischenfrage stellen muss,aufgefordert – ich kann Ihnen das Protokoll vorlesen –,
als Fraktionsvorsitzender dafür zu sorgen, dass erstens soschnell wie möglich ein Untersuchungsausschuss instal-liert wird und zweitens er – wie er damals sagte – noch vorWeihnachten in diesem Untersuchungsausschuss Redeund Antwort stehen kann.Wir haben diesen Untersuchungsausschuss eingerich-tet, aber dann haben wir erleben müssen, dass HelmutKohl zweimal genau zu den Punkten die Aussage verwei-gert hat,
die hätten geklärt werden müssen.
Es ist unanständig, wie Helmut Kohl nach wie vor dieAussage über die Herkunft der Spenden verweigert.
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Dr. Peter Struck20061
Solange er das tut, gehe ich davon aus, dass er gegenRecht und Gesetz verstoßen hat.
Ein weiterer Punkt: Im Zusammenhang mit der Affäreum Elf Aquitaine und Leuna ist ein Sonderermittler ein-gesetzt worden. Das war der ehemalige Kollege BurkhardHirsch, wie wir alle wissen.
– Ich komme gleich dazu. Bleiben Sie ganz ruhig. Wennwir über Alternativen reden, wer unser Land regieren soll,dann muss auf den Tisch, was für eine Partei das ist, diehier regieren will.
Herr Hirsch hat einen Bericht vorgelegt: Es steht fest,dass vor der Amtsübergabe von Kohl an Gerhard Schröderim Kanzleramt Akten vernichtet worden sind. Es stehtfest, dass es Akten im Zusammenhang mit dem Verkaufvon bestimmten Einrichtungen gewesen sind.
Ich bin froh darüber, dass über zehntausend Leser der„Zeit“ erreicht haben, dass die Staatsanwaltschaft Bonnihre Ermittlungen wieder aufnimmt und nicht einstellt.Das, was damals passiert ist, war nämlich nicht koscher.
Ist denn schon vergessen, dass der Kollege Schäubleim Deutschen Bundestag eine falsche Aussage über seineBeziehungen zu Herrn Schreiber gemacht hat? Ist eigent-lich schon vergessen, dass es Unklarheiten über eine100 000-DM-Spende von Herrn Schreiber an HerrnSchäuble gibt?
– Frau Präsidentin, ich denke, Sie haben den Zwischenrufdes Kollegen gehört.Weil auch Herr Schäuble als möglicher Kanzlerkandi-dat der Union zur Verfügung steht, erlaube ich mir, aus derEinstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Berlin zuHerrn Schäuble vorzulesen:
Im Ergebnis bleibt jedenfalls festzuhalten, dass dievom Beschuldigten Dr. Schäuble beschriebeneÜbergabemodalität–esgehtumdie100000-DM-SpendevonHerrnSchreiber–
auf nicht unerhebliche praktische Schwierigkeitenstößt,
– ich lese es noch einmal in aller Ruhe vor, damit es auchdie Bürgerinnen und Bürger draußen hören können –... dass die vom Beschuldigten Dr. Schäuble be-schriebene Übergabemodalität auf nicht unerhebli-che praktische Schwierigkeiten stößt, während dievon der Beschuldigten Baumeister und dem ZeugenSchreiber behauptete Geldübergabe in Kauferingplausibel erscheint.
So weit zur Glaubwürdigkeit von Ihnen, Herr KollegeSchäuble.
Ich glaube schon, Frau Merkel, dass Sie auf Ihrem Par-teitag auch zu der Frage Stellung nehmen müssen, wie eszu erklären ist, dass im Jahre 1982 und im Jahre 1997Fraktionsmittel von der CDU-Fraktion an die CDU ge-langt sind. Das waren 6 bis 7 Millionen DM öffentlicheGelder aus dem Bundeshaushalt an die Partei.
Diese Frage ist nach wie vor nicht beantwortet.Geben Sie mir bitte auch einmal Antwort auf die Frage,wie Sie sich denn erklären, dass noch jetzt in Deutschlandzehn von 17 Ermittlungsverfahren gegen CDU-Mitglie-der im Zusammenhang mit den Spenden anhängig sind,vier weitere Verfahren laufen im Ausland.
Dann möchte ich Sie auch fragen: Wie ist es eigentlichmöglich,
dass 19 Zeugen vorrangig von der CDU im Untersu-chungsausschuss nicht ausgesagt haben? Davon stamm-ten aus den inneren Zirkeln der Union zehn. Manche ha-ben zwar ausgesagt, aber einige Zeugen – namentlichHerr Koch aus Hessen und Herr Kiep – verweigern die Ei-desleistung.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Dr. Peter Struck20062
Warum denn wohl? Ich fürchte, dass auch der KollegeKohl, wenn er wieder vor dem Untersuchungsausschussvernommen wird, bei seiner alten Linie bleibt.Wenn wir hier eine Generalaussprache über die Alter-nativen zur Regierungspolitik führen, dann muss klippund klar gesagt werden: Eine Oppositionspartei wie dieCDU hat überhaupt nicht die moralische Legitimation,unser Land zu regieren.
Noch ein paar Sätze zum Kollegen Westerwelle: Siehaben sich darüber geärgert, dass ich gesagt habe, ichfrühstücke lieber mit Kerstin Müller und Rezzo Schlauchals mit Ihnen, Herr Westerwelle. Das hat verschiedene,vor allem politische Gründe. Ich möchte mit Ihnen, HerrWesterwelle, nicht regieren. Sie jedenfalls werden nicht indie Lage kommen zu regieren. Ich bin mit der rot-grünenKoalition im Großen und Ganzen zufrieden.
Es könnte zwar manchmal einfacher sein.
Aber unterschiedliche Parteien haben auch unterschiedli-che Positionen.
Herr Kollege Westerwelle, Sie haben bei Ihren Aus-führungen zur Steuerpolitik den inzwischen verstorbe-nen Kollegen Stoltenberg, den ich sehr geachtet habe, seitich mit ihm im Haushaltsausschuss zusammengearbeitethabe
– entschuldigen Sie, darf man hier so etwas nicht mehr sa-gen? –,
und den Kollegen Graf Lambsdorff bemüht und gesagt– Herr Solms, ich glaube, Sie sind auch noch auf derRednerliste; Sie würden einen solchen Satz sicherlichnicht sagen –, das Vorziehen der mit der Steuerreform für2005 vorgesehenen Steuersenkungseffekte – Ihr Vor-schlag würde Steuermindereinnahmen in Höhe von zu-sätzlich etwa 50 Milliarden bedeuten – finanziere sichvon selbst. Das ist, mit Verlaub gesagt, gnadenloser Un-sinn.
Eine Steuerreform mit einem Entlastungsvolumen von50 Milliarden finanziert sich nicht selbst. Das wird Ihnensogar Herr Merz, der auch ein bisschen davon versteht,bestätigen. Das gibt es nirgendwo. Das ist auch damals beiStoltenberg und Lambsdorff nicht so gewesen. Da sindSie auf dem falschen Dampfer.Wenn Sie aber eine solche Steuerreform wirklich vor-ziehen wollen, dann muss ich Sie darauf hinweisen, dassSie eine solche Steuerreform mit den damit verbundenenSteuerausfällen nur noch finanzieren können, indem Siedie Nettokreditaufnahme erhöhen. Das ist also das alteThema der Verschuldung. Wir gehen nicht wieder in dieSchuldenfalle; denn aus der sind wir gerade herausge-kommen. Wir wollen keine Erhöhung der Nettokreditauf-nahme.
Der Bundeskanzler hat der Opposition die Frage ge-stellt, was sie anders machen würde. Frau Merkel wird si-cherlich darauf entsprechend antworten. Ich möchte derFrage des Bundeskanzlers noch ein paar Fragen hinzufü-gen. Sie, Frau Merkel, hatten gefordert, dass man dieÖkosteuer ganz abschaffen solle. Daraufhin hat dieCDU/CSU-Fraktion erklärt: Nein, es sollen nur die Stufen2002 und 2003 entfallen. Die Abschaffung der Ökosteuerwürde Steuerausfälle in Höhe von 82,6 Milliarden DMbedeuten. Die Forderung der CDU/CSU-Fraktion würde,wenn man ihr nachkommen würde, 15,7 Milliarden DMkosten und würde dazu führen, dass der Rentenversiche-rungsbeitrag nicht bei 19,1 Prozent, sondern bei 20,6 Pro-zent liegen würde. Es ist unser Erfolg, dass der Renten-versicherungsbeitrag bei 19,1 Prozent und nicht bei über20 Prozent liegt.
Dann haben die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unddie Kollegen aus Baden-Württemberg und Hessen gefor-dert, dass den Ländern und den Kommunen ein Anteil anden UMTS-Milliarden zustehen solle, und zwar sowohlan den Verkaufserlösen als auch an den Zinsersparnissen.Das würde, wenn man dieser Forderung entsprechenwürde, den Bund zusätzlich 60 Milliarden DM kosten.Des Weiteren fordern die CDU/CSU-Bundestagsfraktionund die Kollegen aus Thüringen ein SonderprogrammOst. Dies würde 40 Milliarden DM kosten. Sie stellenForderungen zur Rentenreform, die Kosten in Höhe von39,1 Milliarden DM verursachen würden. Sie wollen denBundeswehrhaushalt erhöhen. Das überrascht mich,weil ich gestern gehört habe, dass Herr Stoiber, FrauMerkel und Herr Schäuble auf einer Pressekonferenz er-klärt haben, sie wollten langfristig die Bundeswehr ab-schaffen. Wieso dann der Haushalt allerdings noch erhöhtwerden soll, müssen Sie mir erst noch erklären.
Rechnet man alles zusammen, was Sie gefordert ha-ben, kommen Mehrausgaben in Höhe von 433 Milliar-den DM zustande.
– In Worten: vierhundertdreiunddreißig Milliarden DM.
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Dr. Peter Struck20063
Das ist unseriös, das kann man mit unserem Land nichtmachen und das werden wir mit unserem Land auch nichtmachen.
Ich komme zu den Aufgaben, die zur Bewältigung derschwierigen Arbeitsmarktlage erfüllt werden müssen. Siehatten ja darum gebeten, dass ich dazu etwas sage. Ers-tens. Ihnen scheint die Bedeutung des Job-Aqtiv-Geset-zes noch nicht klar zu sein.
– Ja, das ist in manchen Beiträgen deutlich geworden. –Wenn in den Arbeitsämtern 3 000 zusätzliche Vermittlereingestellt werden und wenn für jeden einzelnen Arbeits-losen ein Vertrag geschlossen wird, der ihn ganz gezieltwieder in den ersten Arbeitsmarkt bringen soll, dann wirddieses Gesetz unter der Überschrift „Fördern und For-dern“ Erfolg haben, meine Damen und Herren.
Zweitens. Wir werden zu prüfen haben, was wir mitnicht verbrauchten Mitteln aus dem Bundeshaushalt 2001tun. Ich bedaure sehr – dies sage ich hier auch noch ein-mal öffentlich –, dass die Bahn trotz der Bereitstellungvon 2 Milliarden DM
allein aus den Zinsersparnissen durch die UMTS-Erlösenicht in der Lage war, diese Mittel voll zu verbrauchen. Eshätte mehr Wachstumsimpulse geben können.
Drittens. Weil hier mehrfach von Konjunkturprogram-men geredet wurde, sage ich Ihnen aber auch: Was istdenn unser Zukunftsinvestitionsprogramm anderes alsein Konjunkturimpuls? In den Jahren 2002 und 2003
und nach meiner Vorstellung auch in den nachfolgendenJahren – darüber müssen wir noch entscheiden – gebenwir für Maßnahmen bei der Schiene und bei der Straßejährlich 1,5 Milliarden Euro aus,
für Forschung und Bildung 300 Millionen Euro, für dieAltbausanierung 200 Millionen Euro, für Energiefor-schung 50 Millionen Euro und 0,5 Milliarden Euro zu-sätzlich im Zusammenhang mit BAföG-Förderung undVerkehr. Das ist wachstumsfördernd. Ich bin ferner sehrdafür, dass sich die Länder und Gemeinden in Deutsch-land darauf einrichten, dass im Jahre 2002 für das Jahr2003 vorgesehene Investitionen vorgezogen werdenkönnten, um insbesondere der Bauindustrie Impulse zugeben.Viertens. Wir haben ein Programm „Städtebauförde-rung Ost“ vorgelegt. In diesem Zusammenhang gehe ichauf den Kollegen Claus ein: Ich empfinde es schon alsschlimm, wie Sie hier argumentieren. Sie ignorieren völ-lig, was wir für den Osten in diesem Haushalt zusätzlichgetan haben. Der Aufbau Ost ist nach wie vor Chefsache.
Ich bin nun auf die Rede meiner Nachfolgerin an die-sem Pult, Frau Merkel, sehr gespannt. Ihnen allen, meineDamen und Herren, möchte ich nur sagen: Wenn man, wiewir in den letzten Wochen, in einer schwierigen außenpo-litischen Situation ist und wenn man in einer schwierigenwirtschaftlichen Situation ist, die ja niemand bestreitet,dann kommt es auf Kontinuität und auf Kurshalten an.Diese Bundesregierung wird unsere volle Unterstützungfinden.
Ich erteile nun derKollegin Dr. Angela Merkel für die CDU/CSU-Fraktiondas Wort.Dr. Angela Merkel (von der CDU/CSUmit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren!
Herr Bundeskanzler, ich habe Ihnen heute Morgen zuge-hört und habe aufmerksam verfolgt, was Sie gesagt haben,
und vor allen Dingen, wie Sie es gesagt haben.Ich kann das nur so zusammenfassen: Was Sie hier vor-getragen haben, war keine Rede, sondern eine einzigeAusrede.
Die Rede war eine Ausrede, beleidigend, selbstgerecht,rechtfertigend und ohne einen einzigen neuen Gedankenfür die vor uns liegenden Jahre.
Es war ein Offenbarungseid. Das allerschlimmste ist, dassdie Rede über die Köpfe der Menschen hinwegging. Eswar überhaupt keine Rede an die 80 Millionen Menschenin Deutschland, die von Ihnen Antworten auf die Fragenverlangen, die sie bewegen.
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Dr. Peter Struck20064
Wir werden nicht alles anders, aber vieles besser ma-chen. Daran werden wir uns halten.
So lautete Ihre Regierungserklärung.
In der Koalitionsvereinbarung stand dann:Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist das oberste Zielder neuen Bundesregierung. Hierin liegt der Schlüs-sel zur Lösung der wirtschaftlichen, finanziellen undsozialen Probleme.Sie haben auf der zentralen Maikundgebung des Jahres2000 in Hannover das Ziel im Hinblick auf den AbbauderArbeitslosigkeit konkretisiert.
Sie sprachen von 3,5 Millionen Arbeitslosen als IhremZiel. Diese Aussage war scheinbar ohne jedes Risiko, dennSie wussten ja, dass Jahr für Jahr mehr als 200 000 Men-schen mehr aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, als in ihnhineingehen.
Da wir im Jahr 1998 3,89 Millionen Arbeitslose hat-ten, müssten wir heute, im Jahr 2001, 600 000 weniger ha-ben, also 3,29 Millionen Arbeitslose. Darauf haben Siegesetzt und gehofft. Das wäre auch vernünftig gewesen,wenn Sie eine vernünftige Politik gemacht hätten.Wo stehen wir heute? Wie ist die Realität? – Wir habenim Oktober 2001 über 3,7Millionen Arbeitslose. Die Ten-denz ist dabei steigend. Der Bundesfinanzminister hatgestern selbst von über 4 Millionen Arbeitslosen Anfangdes nächsten Jahres gesprochen.Eines kommt noch hinzu: Ich finde es sehr inhuman,dass Sie diejenigen, die 58 Jahre alt sind und auf dem Ar-beitsamt unterschreiben, dass sie nicht mehr auf Vermitt-lung hoffen, aus Ihrer Statistik bereits herausgerechnet ha-ben. Sie müssten eigentlich hinzugezählt werden. Damitwäre die Zahl der Arbeitslosen heute noch höher.Außerdem haben in diesem Lande am heutigen Tage15Prozent der Menschen akute Angst um ihren eigenen Job.260 000 Stellen im Handwerk werden in diesem und imnächsten Jahr verloren gehen, die Post entlässt 14 000 Men-schen, Siemens 10 000, Opel 6 000, die Banken 15 000.So könnte diese Liste fortgesetzt werden.
Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass die Stim-mung bei der Wirtschaft und bei den Verbrauchern im Ok-tober auf einem Achtjahrestief angelangt war.
Die voraussichtlich 33 000 Insolvenzen in diesem Jahrstellen einen Rekord dar, wie es ihn in Deutschland nie-mals gab.
HerrBundeskanzler, sooftSieesauchversuchenwerden,wir werden nicht zulassen, dass Sie zu der Erklärung Zu-fluchtnehmen,diesalles seidasErgebnisdes11.September.
Der 11. September hat in der Tat die Lage in der Welt ver-ändert. Es war richtig und Sie haben unsere Unterstützungdafür bekommen, dass wir in uneingeschränkter Solida-rität die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen,weil die Terroranschläge ein Angriff auf unsere eigene Le-bensordnung waren.Meine Damen und Herren, Sie haben dann, als den So-lidaritätsbekundungen Taten folgen sollten, gezeigt, inwelche Lage Sie sofort kommen. Als die erste aktive Hil-feleistung für die Vereinigten Staaten von Amerika not-wendig wurde, haben Sie dieses Land fast in eine Regie-rungskrise gestürzt.
Herr Bundeskanzler, es lag weniger an den Grünen,dass Sie die Vertrauensfrage stellen mussten, sondern eherdaran, dass Sie kaschieren mussten, dass 18Mitglieder Ih-rer eigenen sozialdemokratischen Fraktion nicht bereitwaren, Ihnen in der Sache zu folgen.
Man konnte in der folgenden Woche sehr deutlichspüren, wie Sie Gefallen an dem Gedanken an eine Neu-wahl fanden. Ich bin zufrieden, dass die Grünen Ihnendiesen Gefallen nicht getan haben.
– Ja, ja. – Ich bin zufrieden, nicht deshalb, weil wir Angsthatten,
sondern deshalb, weil wir seit diesem Tag eines wissen– Herr Struck, da können Sie so viel lachen, wie Sie wol-len –: Dieser Bundeskanzler zittert vor dem 22. Septem-ber 2002. Das ist die Wahrheit.
Wir haben Ihnen weit vor dem Sommer vorausgesagt,und zwar zusammen mit vielen Sachverständigen, dassdas Wirtschaftswachstum in diesem Jahr weit unter denPrognosen liegen wird. Wir wissen jetzt, dass wir im drit-ten Quartal zum ersten Mal eine Rezession haben unddass das Wirtschaftswachstum auf keinen Fall höher als0,7 Prozent sein wird. Die Prognosen für das nächste Jahrsehen ähnlich schlecht aus. Das ist – da bitte ich Sie nunwirklich, auch auf die Sprache zu achten – keine Wachs-tumspause, sondern ein Schrumpfungsprozess. Dem mussetwas entgegengesetzt werden.
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Dr. Angela Merkel20065
Nun erklären Sie uns seit Jahr und Tag, seit Wochenund Monaten, Sie machten das schon mit ruhiger Hand.
Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Sie machen für die Be-dürfnisse der Menschen in diesem Lande keinen Fingerkrumm. Die Menschen erwarten keine starre, ruhigeHand, sondern sie erwarten von Ihnen zwei Hände, diekräftig zupacken und die Probleme dieses Landes lösen.
Wie ist der Befund? Wir haben den letzten Platz in Eu-ropa, was das Wirtschaftswachstum angeht.
Natürlich hängen in einer globalen Wirtschaftsgesell-schaft alle Prozesse mit allen zusammen, meine Damenund Herren,
aber Sie können niemandem – den Menschen in Deutsch-land nicht, den Iren, Briten und Franzosen auch nicht – er-klären, warum ausgerechnet das größte Land in Europaden letzten Platz einnimmt.
Nun ist es richtig, Herr Bundeskanzler, dass wir in ei-ner Zeit großer Veränderungen leben.
Wir wissen, dass Deutschland am Anfang des 21. Jahr-hunderts vor völlig neuen Herausforderungen steht,
weil die Globalisierung unsere Welt verändert.
Wir wissen, dass die Informations- und Kommunikati-onstechnologien die Prozesse schneller und transparentergemacht haben.
Deshalb ist unsere Aufgabe doch die, in der Bundesrepu-blik Deutschland zu versuchen, das, was wir über Jahr-zehnte gehabt haben, nämlich eine gerechte Gesellschaft,in der die soziale Marktwirtschaft die gesellschaftlicheOrdnung war, auf das 21. Jahrhundert zu übertragen. Dasist die Aufgabe. An der müssen Sie arbeiten.
Um das zu schaffen, müssen Sie zunächst einmal einenMaßstab haben, einen Ordnungsrahmen, eine Vorstellungdavon, in welche Richtung Sie gehen wollen.
Das hat etwas damit zu tun, welche Vorstellung Sie vonden Menschen haben, ob Sie glauben, dass man die Men-schen ewig regulieren, einschränken und drangsalierenmuss, oder ob Sie die Kraft haben, den Menschen in die-sem Land etwas zuzutrauen, was unsere Antwort ist.
Wir trauen den Menschen etwas zu
und das bestimmt unsere Politik.
Jetzt schauen wir uns doch mal die Realität an, die Sienach drei Regierungsjahren vorzuweisen haben! Sie sa-gen richtigerweise: Nachhaltigkeit lässt sich nicht aufUmweltpolitik beschränken; Nachhaltigkeit muss es auchin der Finanzpolitik geben.
Das ist keine neue Erkenntnis.
Diese Erkenntnis stammt aus dem Stabilitäts- und Wachs-tumspakt für Europa, der unter Finanzminister TheoWaigel beschlossen worden ist. Das war die Vorausset-zung für die Einführung des Euro. Das ist die Wahrheit.
Dann haben Sie 1998 die Regierung übernommen.
Jetzt fragen wir doch einmal nach einer Kennziffer, nacheiner wirklich aussagekräftigen Kennziffer, die uns Aus-kunft darüber gibt, in welchem Umfang wir denn auf Kos-ten der Kinder und Enkel leben. Da ist, glaube ich, dasStaatsdefizit die Größe, über die wir uns klar werdenmüssen. Das Staatsdefizit ist nämlich die Verschuldungvon Bund, Ländern, Gemeinden und sozialen Siche-rungssystemen.Lieber Herr Eichel, Sie haben ein Staatsdefizit von1,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts übernommen. In
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Dr. Angela Merkel20066
diesem Jahr haben Sie ein Staatsdefizit von 2,5 Prozent,wenn es gut geht; sonst 2,7 Prozent. Nächstes Jahr geht eswahrscheinlich an den Wert von 3,0 Prozent heran. Das istdie Wahrheit. Das ist das Leben auf Kosten der Kinderund Enkel.
Sie haben uns gestern mit dem lebensnahen Beispieleines Haushalts konfrontiert, der auf Kante genäht sei. Daich ab und zu nähe,
kommt mir da wirklich das kalte Grausen, Herr Eichel.Ich kann nur sagen: Bei dem Stoff, den Sie verwenden,und bei Ihrer Qualität wird der Haushalt ausgefranst undnicht auf Kante genäht bleiben. Das ist die Voraussage.
Herr Eichel, ich stelle hier nur einmal die Frage in denRaum:
Ist Ihre Annahme für den Haushalt im nächsten Jahr,1,25 Prozent Wachstum, wirklich gerechtfertigt oder ha-ben Sie nicht schon von IWF, OECD und EuropäischerKommission vielleicht ganz andere Signale, sodass eswieder auf Optimismus und nicht auf Realitätssinn ge-strickt ist?
Es wird schon recht interessant, wenn man für das Mi-nus von 2,5 Prozent eine Erklärung sucht. Herr Struck hatneulich in einer öffentlichen Fernsehsendung, von derheute schon die Rede war, gesagt, das schlechte Wirt-schaftswachstum liege an der fehlenden Investitionskraftder Kommunen.
Recht hat er. Es liegt in der Tat an der fehlenden Investi-tionskraft der Kommunen, weil nämlich die Finanzpo-litik von Herrn Eichel klassisches sozialdemokratischesWerk ist: die Zentrale stärken, seinen eigenen Haushaltschön machen,
um anschließend alle Lasten auf die Kommunen zu ver-schieben.
Das ist die Art und Weise, in der Politik gemacht wird.
Meine Damen und Herren, es ist schon abenteuerlich.Es wurde heute schon von den UMTS-Lizenzen gespro-chen. Sie haben eben indirekt zugegeben, dass den Kom-munen 60 Milliarden zukommen müssten, weil sie dieSteuermindereinnahmen haben.
Was Herr Eichel und was insgesamt diese Bundesregie-rung mit der Telekom gemacht hat,
wird eines Tages noch Gegenstand vieler Betrachtungensein. Erst die Aktienkurse hochtreiben und anschließenddurch ein hohes Bietungsverfahren bei den UMTS-Lizen-zen die Telekom schädigen, was die Investitionskraft unddie Erneuerungsfähigkeit in einem wichtigen zukunfts-trächtigen Gebiet maximal schwächen wird. Ich sage esIhnen voraus.
Sie haben durch die Steuerreform die Kommunen ge-schwächt, Sie haben sie durch die UMTS-Lizenzen ge-schwächt, Sie haben sie durch die Kindergelderhöhunggeschwächt, sie haben sie durch zusätzliche Sozialhilfe-kosten geschwächt.
– Bleiben Sie doch mal ganz ruhig.Nun ist ja die neueste Erklärung, es liege alles am Osten.
Ich erinnere Sie noch einmal an Ihre Koalitionsverein-barung. Sie haben damals gesagt:Die neue Bundesregierung will die deutsche Einheitvollenden. Deshalb werden wir alle Kraft daraufrichten, die soziale und ökonomische Spaltung zwi-schen Ost und West zu überwinden.Tatbestand ist, dass die Schere auseinander gegangen ist,dass das Wirtschaftswachstum in den neuen Bundeslän-dern geringer ist als in den alten Bundesländern. Tatsacheist, dass Ihre Investitionsquote im Bundeshaushalt dieniedrigste seit Jahren ist und damit Investitionen in denneuen Bundesländern nicht ausreichend stattfinden.
Tatsache ist, dass Sie, Herr Bundeskanzler, jetzt insbe-sondere die Bauindustrie dafür verantwortlich machen,dass Deutschland den letzten Platz im Wirtschaftswachs-tum in Europa hat.
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Dr. Angela Merkel20067
– Er hat gesagt, wir könnten 0,7 Prozent mehr Wachstumhaben, wenn wir nicht die Schwierigkeiten in der Bau-industrie hätten. Wozu eigentlich ist Politik da, wenn sienicht dem Anspruch gerecht wird, schwierige Situationenzu meistern?
– Ja, Herr Bundeskanzler, jetzt, jetzt. Ich kann Ihnen sa-gen, was jetzt ist. Sie haben unter großer öffentlicher Be-gleitung vor vielen Kameras eine Rettungsaktion fürPhilipp Holzmann gestartet,
aber Sie haben sich überhaupt nicht für Tausende von mit-telständischen Bauunternehmen interessiert, die insbeson-dere in den neuen Bundesländern Schwierigkeiten haben.
Ich fordere Sie nachdrücklich zu einer Politik auf, bei derIhnen jeder Bauarbeiter in Deutschland gleich viel wertist. Das ist die Aufgabe, die Sie zu lösen haben.
Außerdem planen Sie – das wird der ostdeutschen Bau-wirtschaft den Rest geben – ein Tarifvertragstreuege-setz. So, wie sich das anhört, kann das erst einmal keinerverstehen. Jeder in Deutschland muss wissen: Ein solchesGesetz bedeutet, dass kein ostdeutscher Bauunternehmermehr Zugang zu einem öffentlichen Auftrag im Westenbekommen wird,
weil alle ostdeutschen Bauarbeiter weniger als ihre west-deutschen Kollegen verdienen, da man nach örtlichem Ta-rif bezahlen muss.
– Sie können so viel schreien, wie Sie wollen: Das ist dasgrößte Ausgrenzungsgesetz, das es bezüglich der Bau-wirtschaft gibt.
Sie haben gesagt, dass Sie die Steuern und Abgabensenken sowie die Lohnnebenkosten – auch das wollen wirnicht vergessen – unter 40 Prozent drücken wollen.
In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gab esmehrere Steuerreformen. Ich bin Gerhard Stoltenbergnoch im Nachhinein dankbar, dass er damals mit ord-nungspolitischem Sachverstand eine Steuerreform durch-geführt hat, die große Entlastungen gebracht hat.
In Ihrer Koalitionsvereinbarung steht, dass Sie die ge-zielte Förderung von Handwerkern, von kleinen undmittelständischen Unternehmen und von Existenzgrün-dungen wollen.
Die von Ihnen durchgeführte Steuerreform hat das glatteGegenteil bewirkt:
die – richtige – gezielte Förderung von Kapitalgesell-schaften und die Benachteiligung des Mittelstandes undder kleinen Unternehmen. Das ist die Realität.
Ich weiß doch, dass Sie immer wieder mit dem kleinenUnternehmer kommen, der gar keinen Angestellten hatund eine Frau, die nicht arbeitet. Sie sprechen von einemEinkommen in Höhe von 100 000 DM, von Steuerfrei-beträgen und verweisen darauf, dass die Entlastung für ei-nen solchen Unternehmer ganz besonders groß sei.
Das charakterisiert doch nicht den Mittelstand inDeutschland. Der Mittelstand in Deutschland muss inves-tieren. Das Einkommen der meisten mittelständischenUnternehmer liegt bei mehr als 100 000 DM und deshalbsind die meisten benachteiligt und werden nach IhremModell bestenfalls 2005 vernünftig behandelt. Das ist dieWahrheit.
Herr Bundeskanzler, es gibt inzwischen – das ist dasBedauerliche – eine weitere Antwort der Bundesregie-rung auf die Schwierigkeiten der Weltwirtschaft. DieseAntwort heißt Steuererhöhungen. Außer Deutschlandgibt es kein einziges Land, dass auf die schwierige Lagemit Steuererhöhungen antwortet. Bei uns in Deutschlandgibt es die spannende Quizfrage: Wie viel Steuern werdenzum 1. Januar 2002 erhöht – drei oder vier? Die richtigeAntwort heißt drei; denn die Schwefelsteuer wurde schonzum 1. November erhöht. Ökosteuer, Tabaksteuer, Ver-sicherungsteuer und zum 1. November die Schwefel-steuer – vier Steuererhöhungen in Deutschland in einerschwierigen Lage. Das ist genau die falsche Antwort aufdas, was zu tun ist.
Sie entfernen sich in atemberaubendem Tempo vondem von Ihnen vorgegebenen Ziel, die Lohnnebenkos-ten unter 40 Prozent zu senken. In Ihrer Koalitions-vereinbarung steht zu Recht, dass die Bekämpfung derArbeitslosigkeit der Schlüssel zur Senkung der Lohn-nebenkosten ist. Das ist natürlich richtig. Auch deshalb ist
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Dr. Angela Merkel20068
es so dramatisch, dass Ihre gesamte Arbeitsmarktpolitikals gescheitert angesehen werden muss. Herr Bundes-kanzler, das sagen doch nicht nur wir. In von Ihnen be-stellten Gutachten – auch Herr Schlauch hat es heute übri-gens gesagt – heißt es, dass in kaum einem anderen Landder Welt der Ertrag, der Aufwand und das Verhältnis zwi-schen diesen beiden Größen so schlecht wie in der Bun-desrepublik Deutschland sind.
Diese Auffassung ist allgemein gültig und sie wird imÜbrigen auch von den Grünen vertreten.Was sagen Sie dazu, Herr Bundeskanzler? Sie habenheute an dieser Stelle gesagt, unsere Vorschläge zur Än-derung des Kündigungsschutzes seien wirklich inakzep-tabel.
Was haben wir im Hinblick auf den Kündigungsschutzvorgeschlagen? Wir haben insbesondere vorgeschlagen,dass ältere Arbeitnehmer entweder den normalen Kündi-gungsschutz oder eine Abfindung vereinbaren können.Wenn ein 54-Jähriger, ein 55-Jähriger oder ein 57-Jähri-ger fragt: „Ich möchte gerne arbeiten und ich bin bereit,eine solche Abfindung zu vereinbaren; aber ich darf esnicht, weil die Sozialdemokraten das für inhuman hal-ten – warum ist das so?“, dann kann ich, wie die meistenanderen Menschen, keine vernünftige Antwort geben.
– Das ist nicht absoluter Quatsch.
Es ist zwar möglich, dass der Bundeskanzler absolutenQuatsch geredet hat; aber ich nehme nicht an, dass das soist.Auf das, was ich beschrieben habe, kommen Siezurück. Sie haben sich immer irgendwann der Realität an-gepasst. Das Dumme ist nur, dass es Deutschland viel ge-kostet hat.
Meine Damen und Herren, wer glaubt, durch einen Ap-pell an die Arbeitgeber würden die Überstunden abgebaut,und wer gleichzeitig immer mehr Hürden im Bereich desKündigungsschutzes und der Zeitarbeitsplätze errichtet,der wird nicht das erreichen, was wir in Deutschland er-reichen könnten, nämlich weniger Arbeitslose und mehrMenschen in Arbeit. Das ist unser Ziel und das bleibt auchunser Ziel.
– Dazu komme ich gleich.Sie haben ein bürokratisches 630-DM-Gesetz ge-macht. Eben hat zu meinem großen Erstaunen und auchmit meiner Unterstützung Herr Schlauch gesagt, manmüsse im Niedriglohnbereich etwas machen. Jawohl! Wirhaben in Deutschland das Problem, dass nach den630 DM sofort die volle Lohnnebenkostenbelastung aufdie niedrigen Löhne kommt. Das betrifft nicht wenigeMenschen. 7 Millionen Menschen in Deutschland habeneine Arbeit, bei der sie unter 1 800DM verdienen. Es stelltsich also die Frage, wie wir Beschäftigungsbereiche eröff-nen und personenbezogene Dienstleistungen besser an-bieten können. Was haben Sie gemacht? Sie haben das sogenannte Dienstmädchenprivileg abgeschafft, was nichtsanderes heißt, als dass haushaltsbezogene Hilfeleistungendie Familien in Zukunft noch teurer kommen werden. Dasist die Wahrheit in diesem Bereich.
Angesichts dessen ist es doch nicht verwunderlich, dassin Deutschland nur eines wächst: die Schwarzarbeit.DieSchwarzarbeit wächst dreimal schneller als die Wirt-schaft. 658MilliardenDMgehen in die Schwarzarbeit undkommen den Sozialkassen nicht zugute. Was sagt HerrRiester?Wenn Herr Riester kein neues Gesetz macht, sagter:Manmussmehr kontrollieren. Dazu kann ich Ihnen ausmeiner 35-jährigen Praxiserfahrung in der früheren DDRsagen: Sie können hinter jeden, der arbeitet, noch einenstellen, der kontrolliert; zum Schluss ist derjenige, der ar-beitet, den ganzen Tag nur noch damit beschäftigt, denKontrolleur auszutricksen. Das ist die Realität.
Sie müssen Anreize setzen. In diesem Lande mussdurchgesetzt werden, dass der, der arbeitet, mehr hat, alsder, der nicht arbeitet, und dass sich Leistung wiederlohnt.
Das ist die Aufgabe.
Wir haben Konzepte, wie man die Kinder aus der So-zialhilfe bringt. Es ist nicht in Ordnung – darüber sind wiruns wohl einig –, dass 1 Million Kinder von der Sozial-hilfe abhängig sind. Es ist nicht in Ordnung, dass die Ent-scheidung für Kinder dazu führen kann, dass man in dieSozialhilfe kommt. Genau deshalb haben wir gesagt, dasswir ein Familiengeld einführen.
Dann wird es sich für den Familienvater oder die Fami-lienmutter wieder lohnen, im unteren Lohnbereich jeden
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Dr. Angela Merkel20069
Tag zur Arbeit zu gehen. Heute stellen sie am Monatsendefest, dass diejenigen, die von Sozialhilfe leben, mehr ha-ben, als die, die erwerbstätig sind. Das darf nicht sein unddas wird mit unserem Familiengeld nicht passieren.
Wir haben Konzepte entwickelt, um die Behindertenaus der Sozialhilfe zu holen. Dann haben wir eine Gruppevon Menschen in der Sozialhilfe, zu denen man sagenkann: Wer immer arbeiten kann, muss der Arbeit nach-gehen; wer das nicht tut, muss bestraft werden. Das ist dieGrundaussage.
Meine Damen und Herren, in dieser Arbeitsmarkt-lage erinnere ich Sie noch einmal an Ihre Aussage in derKoalitionsvereinbarung: Wir wollenden Staat modernisieren, indem wir die Verwaltungbürgernäher gestalten und überflüssige Bürokratieabbauen, ...Heute schätzen Sachverständige, die mit der CDU/CSUüberhaupt nichts zu tun haben, dass Sie den Betrieben inDeutschland insgesamt über 60 Milliarden DM Verwal-tungskosten aufgebürdet und nichts abgebaut haben. Dasist die Wahrheit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, wir wer-den das Gesetz über die Scheinselbstständigkeit abschaf-fen. Ja, wir werden bei den 630-Mark-Jobs etwas ändern.Ja, wir glauben, dass man anders als mit einem Rechtsan-spruch Menschen, die Kinder erziehen oder Alte pflegen,die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit geben muss.
Denn dieser führt faktisch dazu, dass junge Frauen garnicht mehr eingestellt werden, weil Arbeitgeber Angst ha-ben, dass sich dieser Anspruch gegen sie auswirkenkönnte. Das ist doch die Realität.
Wir werden das Betriebsverfassungsgesetz nicht ab-schaffen – um hier gleich jedem Irrtum vorzubeugen –,aber wir werden ein Betriebsverfassungsgesetz erstellen,durch das die betriebliche Ebene und nicht diegewerkschaftliche Zentrale gestärkt wird,
weil wir nicht wollen, dass es jedes Mal so ein Affenthea-ter gibt, wenn gute Initiativen, wie die Initiative 5 000 mal5 000 bei VW, unternommen werden, und die IG Metalldiese über Wochen und Monate verzögern kann. Manmuss rechtlich klarstellen, dass so etwas nicht geht. Daswerden wir im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer tun.
Meine Damen und Herren, die Diskussion um Zu-wanderung haben Sie nun in die Gemengelage von4 Millionen Arbeitslosen auf dem deutschen Ar-beitsmarkt hereingebracht. Ich bitte Sie hier wirklich umein bisschen Sensibilität. Auch wir wollen ein Konzeptfür Zuwanderung und den Wettbewerb um die bestenKöpfe, die von Herrn Struck so genannten „high poten-tials“. Die Wahrheit ist aber, Herr Struck, dass dieses Ge-setz mitnichten – das wird Ihnen der Bundesinnenminis-ter sofort bestätigen – auf den Wettbewerb um die bestenKöpfe beschränkt ist. Es geht hier umArbeitsmigration inweiten Bereichen. Der Bundesinnenminister schreibt ge-nau das auf Seite 144 seiner Begründung zu dem Geset-zestext:dass im Gegensatz zum geltenden Ausländergesetznicht länger eine übergeordnete, ausländerpolitischeinseitige Grundentscheidung der Zuwanderungsbe-grenzung bestehen soll.Das ist Ihre Aussage.
Deshalb wird dieses Gesetz zwar zu mehr Zuwanderung,
aber nicht unbedingt zu Zuwanderung führen, die in un-serem Interesse ist. Deshalb halten wir die Steuerungsme-chanismen nicht für ausreichend. Das ist unser Argument.
Wir können diese Zuwanderungsregelungen nun wirk-lich nicht unabhängig von der augenblicklichen Lage aufdem deutschen Arbeitsmarkt betrachten.
Ihr Job-Aqtiv-Gesetz ist völlig ineffizient, durch dasJugendarbeitslosigkeitsprogramm JUMP sind maximal30 Prozent der Betroffenen in eine Arbeit vermittelt wor-den. Nirgendwo sonst werden die Gelder so ineffizientausgegeben.
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Dr. Angela Merkel20070
Herr Bundeskanzler, geradezu bemerkenswert war janun, dass das Wort Rente und das Wort Gesundheitspoli-tik während Ihrer 50-minütigen Rede nicht einmal fielen.
Wissen Sie, wie viele Menschen sich in Deutschland umdie Frage der Renten Gedanken machen? Können Siesich noch erinnern, dass Sie im Wahlkampf 1998 gesagthaben, der demographische Faktor sei unanständig? Da-mit das klar ist: Sie haben, wo immer Sie konnten, an denRealitäten vorbeigehetzt.
Sie wussten, dass die Menschen in Deutschland älterwerden,
und haben sich einfach dagegen gesträubt, dies anzuer-kennen.
– Wissen Sie, Ihre kleinen Scherze: Sie müssen immer da-ran denken, dass hier Rentnerinnen und Rentner am Fern-sehapparat sitzen. Sie schauen darauf, was aus ihrer Rentewird.
– Passen Sie einmal auf: Dass der Bundeskanzler imWahlkampf gesagt hat, dass der demographische Faktorunanständig sei, ist verbrieft und versiegelt und nicht ein-mal der Bundeskanzler selber wird irgendetwas dagegensagen.
Später hat er dann gesagt, dass er dabei bleiben will,und ist zur Anpassung entsprechend der Inflationsrateübergegangen. Die Renten wurden aber nur um 0,6 Pro-zent erhöht, obwohl die Inflationsrate bei 1,8 Prozent lag.Dass schließlich Herr Riester nach einem ausgesprocheninstruktiven Kreisungsprozess bei einer mathematischenFormel angekommen ist, die in etwa dem demographi-schen Faktor entspricht, aber niemals mit diesem Begriffbezeichnet werden darf, ist auch wahr und verbrieft undwurde mit Ihren Stimmen abgesegnet. So verhielt es sichbei der Rente.
Herausgekommen ist dabei eine Rentenreform, die ei-nigermaßen erträglich ist für den Eckrentner und den ge-werkschaftlich Organisierten, aber völlig unerträglich fürFrauen, für diejenigen, die in Teilzeit arbeiten, und dieje-nigen, die nicht organisiert sind. Das ist die Wahrheit.
Damit sind wieder ein Stück weit gerade die Familien,diejenigen, die Erziehungsleistungen übernehmen, dieVerliererinnen der Rentenreform,
wie sie überhaupt die Verliererinnen Ihrer Politik sind.Sie haben von der Kindergelderhöhung gesprochen.Die Kindergelderhöhung zum 1. Januar 2002, die Sie be-dauerlicherweise den dritten, vierten und fünften Kindernnicht zukommen lassen,
sondern nur dem ersten und zweiten Kind, wie es das Ver-fassungsgericht verlangt hat, wird am selbenTag durch dieErhöhung der Ökosteuer und durch die Abschaffung derBeihilfen für Haushaltskräfte konterkariert und wird dieFamilien zum Schluss nicht besser, sondern eher schlech-ter stellen, als dies am 31. Dezember 2001 der Fall ist.
Das trübste Kapitel Ihrer Politik ist die Gesundheits-politik. Ich glaube, da sind wir uns alle einig.
Ich gebe zu, dass das ein schwieriges Feld ist. Aber dassSie all das, was wir dazugelernt haben, auf dem Rückender deutschen Kranken noch einmal falsch gemacht ha-ben, indem Sie Ansprüche der Versicherten, die wir abge-schafft haben, zunächst wieder eingeführt haben, um sienun wieder abzuschaffen, das ist schlimm.
Bis zum heutigen Tag haben Sie überhaupt keinen ord-nungspolitischen Grundansatz hinsichtlich der Beantwor-tung der Frage, wie Sie die Gesundheitsreform bewältigenwollen. Der Einzige, der einen solchen hat, ist Wirt-schaftsminister Müller. – Er hat das Plenum schon verlas-sen; wahrscheinlich hat er sehr viel Ärger wegen seinesEnergieberichts. – Wirtschaftsminister Müller hat näm-lich gesagt – das hat uns gefreut –, dass stabile Beiträgenur dann möglich sind, wenn von jedem Einzelnen dieKosten für die Vorsorge teilweise übernommen werden.
Wegen dieserWahrheit haben Sie uns imWahlkampf 1998gejagt. Sie versuchen nun, diese Wahrheit zu umgehen,und bürden denMenschen höhere Krankenkassenbeiträgeauf. Eine Beitragssteigerung um 0,5 Prozentpunkte
bedeutet für die Familien pro Monat höhere Belastungenals die Entlastung durch die Kindergelderhöhung um30 DM. Das ist die Wahrheit, zu der Sie stehen müssen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Dr. Angela Merkel20071
Herr Bundeskanzler, dass Sie jetzt mit einem der Be-reiche im Gesundheitswesen, mit der forschenden phar-mazeutischen Industrie, einen Ablasshandel verabredethaben, um das Loch bei den Krankenkassenausgabenkurzfristig irgendwie zu stopfen und die Krankenkassen-beiträge zu deckeln, ist ein falsches Signal an einen Indus-triezweig, der sich heute immer entscheiden kann, ob ernach England oder nach Amerika geht oder ob er inDeutschland bleibt. Gerade bei der pharmazeutischen In-dustrie in Deutschland steht es auf der Kippe, ob sie ihreZukunftsinvestitionen hier in Deutschland oder woandersvornimmt. Deshalb kann ich Ihnen nur raten, diese Indus-trie nicht auch noch außer Landes zu jagen so wie vieleandere Industriezweige, bei denen Sie dies schon ge-schafft haben.
50 Prozent der Menschen in Deutschland leben in länd-lichen Räumen. Was Sie mit der Agrarpolitik veranstal-tet haben und wie Sie in dieser Legislaturperiode mit denBauern umgegangen sind, das spottet jeder Beschreibung.
Ungefähr jetzt vor einem Jahr gab es den ersten Fall einerBSE-Erkrankung. Das Erste, was dem Bundeskanzler be-züglich der Bauern, die sich in einer Notlage befanden,eingefallen ist, war eine Beschimpfung. Er hat von„Agrarfabriken“ gesprochen. Das hat den Ton für dasganze kommende Jahr eingeläutet.
– Darf ich vielleicht weitersprechen? – Das findet seinenNiederschlag in einer der wirklich markantesten Äuße-rungen von Frau Künast – wir haben ja schon viele von ihrgehört –:In der Landwirtschaft gibt es extrem verknotete Seil-schaften, die ich aufdröseln muss. Ich habe aberschon als Sozialarbeiterin in der Männervollzugsan-stalt Berlin-Tegel verkrustete Strukturen kennen ge-lernt. Da bin ich nicht zu schrecken.Die Bauern in Deutschland mit der Männerhaftvoll-zugsanstalt in Berlin-Tegel zu vergleichen, das ist wirk-lich das Allerdollste.
Über die Zukunft ist heute wenig gesprochen worden.Es ist richtig, dass die Biotechnologie in Deutschlandwieder führend ist. Das ist das Ergebnis der rüttgerschenFörderpolitik.
Sie haben die Politik des Forschungsministers Rüttgersim Bereich der Biotechnologie sinnvollerweise fortge-setzt. Daran zweifle ich nicht. Sie haben allerdings diegrüne Gentechnologie so gut wie zum Erliegen gebracht.Das wird Sie eines Tages reuen. Auch von der Verdopp-lung der Ausgaben für Bildung und Wissenschaft sindSie weit entfernt.
Wenn jemand auf dem SPD-Bundesparteitag eineKlatsche gekriegt hat, dann war es die Bildungsministe-rin,
die Sie, Herr Bundeskanzler, nicht darin unterstützt ha-ben, mehr Wettbewerb in der deutschen Hochschulland-schaft einzuführen. Dazu brauchen wir – zumindest fürLangzeitstudenten und für Studenten mit einem Zweitstu-dium – Studiengebühren. Das hat die Frau Ministerinnach einem langen und mühseligen Prozess erkannt. Abersie hat für ihre Position keine Mehrheit gefunden. Sowurde wieder eine Chance für die Zukunft in Deutschlandversäumt.
Es ist natürlich wunderbar, wenn die Bildungsministe-rin nach Amerika fährt und schaut, wie viele deutsche For-scher dort tätig sind. Der Bundesverkehrsminister fährtnach China und schaut sich die Grundsteinlegung für dieTransrapidstrecke an. Der Bundeskanzler steht inzwi-schen auch glücklich an der chinesischen Transrapid-strecke. Auch so kann man in Zeiten der Globalisierunghandeln.
Ich will aber, dass in Deutschland zukunftsfähige Arbeits-plätze entstehen. Das ist die Aufgabe.
Weil die Erfolge so rar sind, müssen Sie sich in Gebieteflüchten, bei denen es einen schauert angesichts der Tat-sache, wie sie hier behandelt werden. Herr Struck, ichkann Ihnen nur sagen: Die Fehler bezüglich der Partei-spenden und der Parteifinanzen, die bei uns passiert sind– dafür stehe ich ganz persönlich –, haben wir aus eigenerKraft ausgeglichen.
Wir haben zu diesen Fehlern gestanden.
– Herr Struck, lassen Sie mich einmal ausreden! Sie wol-len doch etwas von mir hören.
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Dr. Angela Merkel20072
Die Wahrheit ist, dass Sie behauptet haben, dass in un-serer Politik irgendetwas käuflich gewesen sei und dassunsere Politik korrumpiert sei.
Die Wahrheit ist aber: Nichts, aber auch gar nichts in Be-zug auf Leuna und auf andere Vorfälle konnte nachge-wiesen werden.
Sie haben die unsäglichsten Behauptungen bezüglichLeuna aufgestellt.
Sie schmücken sich heute in Sachsen-Anhalt mit den Di-rektinvestitionen für Leuna aus dem Ausland. Trotzdemstellen Sie die tollsten Behauptungen auf. Ich muss das inaller Schärfe kritisieren. Es hat sich nichts, aber auch garnichts als richtig erwiesen.
Immer wenn es um Herrn Höppner in Sachsen-Anhaltging, haben Sie etwas anderes gesagt als dann, wenn esum Helmut Kohl und seine Regierung ging. Deshalb sageich Ihnen ganz klar: Lieber Herr Struck, Sie haben jedenAntrag über die Untersuchung der SPD-Finanzen im Un-tersuchungsausschuss zurückgewiesen.
Der Auftrag dieses Untersuchungsausschusses ist es, dieParteifinanzen und die Käuflichkeit von Politik zu unter-suchen. Es gibt aber noch andere Parteien als die CDU.Sie haben allen Grund, sich einmal um Ihre Parteifinan-zen Gedanken zu machen.
Wir werden deshalb nach Karlsruhe gehen.
Ich kann der Frau Verbraucherschutzministerin nurempfehlen, sich einmal um die SPD-Zeitungen zu küm-mern, – damit endlich – so wie bei der Wurst: was drin ist,muss auch draufstehen – draufsteht, wo die SPD drin ist.Das wäre ein Beitrag zur Klärung der Lage.
Herr Bundeskanzler – das gilt für alle Mitglieder IhrerBundesregierung –, Sie verwenden die Hälfte der Rede-zeit darauf, darzustellen, in welchem schrecklichen Zu-stand Sie das Land übernommen haben.
Einmal abgesehen davon, dass das schamlos übertriebenist und dass die positiven Aspekte weggelassen wurden,einmal abgesehen davon, dass im Frühjahr 1998 die Lageimmerhin so gut war, dass sich der Bundeskanzler im„Spiegel“ schon einmal mit dem Aufschwung schmückte– damals war es ja „sein“ Aufschwung –, kann ich Ihnennur sagen:Wir haben 1998 für eine solche Politik die Quit-tung bekommen. Wir haben bei 3,89 Millionen Arbeitslo-sen verloren, weil die Menschen uns nicht die Gestaltungder Zukunft zugetraut haben.Ich erinnere Sie noch einmal an Ihre Worte imJuli 1998: Speziell ich – so der Bundeskanzler – möchtenach vier Jahren an einer einzigen Frage gemessen wer-den, an der nämlich, ob es einer neuen Regierung gelun-gen ist, die Arbeitslosigkeit massiv zu senken. Wenn esuns nicht gelingt, bereits in den ersten Jahren Durch-brüche zu erzielen, dann haben wir es nicht verdientweiterzuregieren.
Da kann ich nur sagen: Wo Sie Recht haben, haben SieRecht.Wir haben diese vier Jahre genutzt nachzudenken,
neu zu denken, neue Konzepte zu erarbeiten und aus un-seren Fehlern zu lernen. Deshalb sage ich Ihnen: Deshalbwerden wir am 22. September die Wahl gewinnen, danachdie Regierung bilden und eine Politik machen, die denMenschen in diesem Lande in der Form wieder gerechtwird,
dass mit ihnen und aus ihnen und für sie wieder das ge-macht wird, was in den Menschen dieses Landes steckt.
Dann können die Menschen nicht nur weiterhin stolz aufihre Bundesrepublik Deutschland sein, sondern auch aufihre Regierung. Das können sie heute leider nicht.Herzlichen Dank.
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Oswald Metzger für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe FrauMerkel, es ist richtig, das Parlament als Ort der argumen-tativen Auseinandersetzung zu nutzen. Eines sage ich
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Dr. Angela Merkel20073
vorweg, bevor ich viel Kritisches anfüge: Es war in Ord-nung – das ist die Aufgabe der Opposition –, den Fingerin Wunden zu legen und Antworten zu verlangen. Aberwenn Sie die Eröffnungsbilanz aufgrund Ihrer Erblastnach 16 Jahren an uns delegieren, kann ich Ihnen diese Bi-lanz nicht ersparen.
Ich habe das gestern hier formuliert und schreibe es heuteauch der Parteivorsitzenden der Union ins Stammbuch.Die Übernahmebilanz der Zeit zwischen 1995 und1999 waren 141,1 Milliarden DM Schulden, in vier Jah-ren von Ihnen aufgehäuft. Das waren 23 Prozent mehr alsin der Legislaturperiode davor. In unserer Zeit, von 1999bis 2002, mit dem Etat, den wir am Freitag dieser Wochebeschließen, vergrößern wir den Schuldenstand dieserRepublik gerade einmal um 5,2 Prozent. Das ist ein Fort-schritt, der sich in Zahlen bemisst und der vor allem denOrdnungspolitikern unter Ihnen – Sie haben sich ja ebenals Ordnungspolitikerin geriert – zu denken geben müss-te; denn ohne ein stabiles finanzielles Fundament ist in ei-nem Industriestaat keine marktwirtschaftliche Ord-nungspolitik zu gestalten. Das ist die banale Wahrheit.
Frau Merkel, Sie kommen doch aus dem Osten. Siestellen sich hier hin und sagen, die Investitionsquote sinkeim Jahr 2002. Warum sinkt sie denn gegenüber dem Re-gierungsentwurf? Weil wir Ihren ostdeutschen Bundes-ländern
auf Wunsch aller 16 Ministerpräsidenten die Investiti-onsförderung, die bisher auf der Ausgabenseite des Bun-des gebucht war, als eigene Steuereinnahmen belassenund damit die Bilanz des Bundes verkürzen. Die Investi-tionen werden künftig von den ostdeutschen Länderngetätigt, nicht mehr vom Bund. Das ist aber keine Ver-kürzung der Investitionsquote, sondern das war ge-wünscht und das soll die Länderregierungen in die Lageversetzen, zielgerichtet das zu tun, was in ihren Ländernansteht. Das ist aus meiner Sicht ein Fortschritt und nichtbeklagenswert.
Ich komme zum Thema Mittelstand. Ich kann es nichtmehr hören. Der Kanzler hat heute zu Recht dargestellt,dass die Körperschaftsteuer der Kapitalgesellschafteneine Definitivsteuer ist und dass die MittelständlerEinkommensteuer – das ist eine Progressionssteuer – zah-len. Frau Merkel hat davon gesprochen, dass die meistenMittelständler einen Jahresgewinn von über 100 000 DMmachen. Wenn Sie sich die Statistiken anschauen, dannwissen Sie, dass etwa 80 bis 85 Prozent der gesamten Ge-werbetreibenden in Deutschland ein zu versteuerndes Jah-reseinkommen haben, welches unter diesem Betrag liegt.Ich setze jetzt einmal einen Punkt drauf: Als ledigerUnternehmer und als Personengesellschafter müssen Siemehr als 250 000 DM zu versteuerndes Jahreseinkommenhaben, um im Grenzsteuersatz über dem zu liegen, wasdie Kapitalgesellschaften zahlen, nämlich maximal38 Prozent. Ein lediger Unternehmer muss bereits übereine viertel Million versteuern, um gegenüber den Kör-perschaften tatsächlich im Nachteil zu sein. Ist er verhei-ratet, verdoppelt sich der Satz auf fast eine halbe Million.Von welcher Welt des Mittelstandes redet die rechteSeite des Hauses? Sie versucht ständig – verstärkt durchmanche Mittelstandsfunktionäre, die ihr Parteibuch ha-ben –, uns zu Unrecht praktisch als Koalition derKapitalgesellschaften zu brandmarken. Das ist absurd.
Denken Sie an das Spektakel in dieser Republik imJahre 1999, als wir die Abschreibungsmöglichkeiten fürVersicherungen und große Energieversorgungsunter-nehmen abgeschafft haben, was dort zu einer massivenSteuermehrbelastung geführt hat. Das geschah im Inte-resse der Gerechtigkeit zwischen den Unternehmensfor-men und war absolut richtig. So sieht die Wirklichkeit aus;diese sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
Die Parteivorsitzende der CDU hat gesagt, dass siewährend der Oppositionszeit dazugelernt haben.
Ich sage: Ein Saulus, der zu Paulus wurde, wurde schonbiblisch mehr geachtet als die Gerechten, die schon immerzu wissen meinten, wo sie stehen.In unserer Regierungszeit haben wir bei der Reform ei-nes großen sozialen Sicherungssystems einen enormenLernprozess durchlaufen. Das war eine historische Leis-tung der großen Volkspartei SPD, zu der die VolksparteiUnion während ihrer Regierungszeit von 16 Jahren nichtfähig war, weil sie einen Rentenminister hatte, der immerdavon geredet hat, dass die Rente sicher ist, obwohl diedemographische Entwicklung in Deutschland bereits seitmindestens 15 Jahren abzusehen war.
Frau Merkel, Sie reden davon, dass dieses Land an-scheinend uninteressant für die Wirtschaft ist. Warum ne-gieren Sie, dass, wie der Kanzler hier ausgeführt hat, dieDirektinvestitionen in Deutschland während der Regie-
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Oswald Metzger20074
rungszeit dieser Koalition in der Tat wieder nach oben ge-gangen sind? Das hat etwas mit unserer Steuerreform imUnternehmenssektor zu tun. Tun Sie doch nicht so, als obdas internationale Kapital einen großen Bogen umDeutschland macht, weil hier Sozialdemokraten undGrüne regieren. Das Gegenteil ist der Fall. Dies ist nichtnur daran zu erkennen, dass Unternehmenskäufe stattfin-den, sondern auch daran, dass mit dem Kapital von aus-ländischen Investoren tatsächlich Arbeitsplätze inDeutschland geschaffen und gesichert werden. Auch dasist ein Grund dafür, dass man hier keine Zerrbilder in denRaum stellen, sondern sich der Realität annähern sollte.Wir reden nicht darum herum und sagen sogar, dass wirim nächsten Jahr in der Finanzpolitik Notmaßnahmenbrauchen, weil wir nicht wollen, dass die Verschuldungsteigt. Wir sagen, dass wir die Privatisierungseinnahmenals Brücke nehmen, um in den Zeiten, in denen wir wirt-schaftlich wieder stärker werden, auf den ganz grundsoli-den Pfad der Tugend und zu ausgeglichenen Budgetszurückzukommen.Die internationale Verwebung der größten europä-ischen Volkswirtschaft, nämlich Deutschlands, ist sostark, dass wir die Rezession in den USA und in Japan so-wie die Auswirkungen auf andere Wachstumsräume die-ses Globusses natürlich viel stärker verspüren als unserePartnerländer Frankreich, England oder Italien, drei wei-tere große Volkswirtschaften in Europa.Die rote Laterne haben wir von Ihnen nicht in Zeitenweltwirtschaftlicher Depression übernommen. Vielmehrbildete Ihre Koalition, die Koalition aus CDU/CSU undFDP, im europäischen Vergleich jahrelang gemeinsam mitItalien das Schlusslicht, und das in Zeiten, in denen dieWeltkonjunktur gebrummt hat. Man muss einmal deutlichdarauf hinweisen, dass wir trotz der wirtschaftspolitischschwierigen Situation auf dem Pfad sind, für dieses Landzwar mühsam, aber stetig die notwendigen Strukturmaß-nahmen für einen Umbau zu einer wettbewerbsfähigen,aber trotzdem solidarischen Gesellschaft einzuleiten, inderen Rahmen sowohl über Gerechtigkeit als auch überökologische Fragen diskutiert wird. Daran arbeiten wir.Es ist aber gar keine Frage, dass dies nun schwieriger istals vor einem Jahr, als wir ein reales Wachstum in Höhevon 3,1 Prozent hatten.Jetzt komme ich zu den Fragen, die spannend sind, weilsich die Opposition zugegebenermaßen immer leichterdamit tut, Reformen einzufordern, als die Bundesregie-rung, weil diese sie umsetzen muss. Zudem ist die Oppo-sition immer in der Versuchung, Reformen, die in Wahl-zeiten eingeleitet werden, mit populistischen Argumentenzu diskreditieren. Ich möchte nun beispielhaft auf einigeshinweisen, was die von der CDU bzw. CSU regiertenBundesländer vor zwei Jahren durch ihre Entscheidungüber das Sparpaket der Bundesregierung, einer strukturel-len Sparbüchse zugunsten der Länder, im Bundesrat ab-geblockt haben.Ich nenne als Stichwort die Beamtenbesoldung. ImSparpaket dieser Regierung war der Vorschlag enthalten,die Beamtenbesoldung analog zu den Renten nur um dieInflationsrate zu erhöhen. Das hätte ein Einsparpotenzialzugunsten der Länder, weil diese wesentlich mehr Beamtebeschäftigen, von 2 Milliarden DM bedeutet. Die vonCDU und CSU regierten Länder aber haben gesagt: Nein,danke. Diese Sparmaßnahme der Bundesregierung – sieist im Bundestag beschlossen worden – nehmen wir nichtan. Wir schicken dies zurück. – Jetzt kommen die gleichenschwarzen Ministerpräsidenten der Länder und sagen:Der Bund überträgt ständig nur Lasten auf die Länder.Gleichzeitig aber nehmen sie von uns angebotene Spar-maßnahmen struktureller Art, die langfristig wirken undsich in der Kasse positiv niederschlagen, nicht an. – Dasist Pharisäertum und verlogen; dies muss kritisiert wer-den.
Es ist keine Frage, dass im Bereich des Arbeitsmark-tes strukturelle Reformen anstehen. Diese aber könnennicht in Wahljahren angegangen werden. Ich bekennemich dazu, dass in diesem Bereich Reformen dringendnotwendig sind, ebenso wie in der Gesundheitspolitik.Dies wissen viele in unserer Koalition. Wir werden daherim nächsten Jahr, mit Sicherheit auch im Wahlkampf, überentsprechende Konzepte streiten. Wer aber glaubt – ichnenne nur das Stichwort „Steuerreform“ –, dass in Wahl-jahren die notwendige gesellschaftliche Mehrheit, inklu-sive der des Bundesrates, für eine wirklich zukunftsfähigeReform zu bekommen ist, der verkennt die demokrati-schen Gepflogenheiten eines Landes in Wahljahren kom-plett.
– Die Prinzipien werden genannt. Kollege Schlauch, un-ser Fraktionsvorsitzender, hat heute im Bereich des Ar-beitsmarktes, bezogen auf den Niedriglohnsektor, einigePunkte genannt. Darin stimme ich ihm zu.
Auch im Bereich der Gesundheitspolitik gibt esdurchaus Gesichtspunkte und Vorschläge, die diskussi-onsfähig sind. Ich denke zum Beispiel an Wettbewerbs-und Transparenzgesichtspunkte auf der Ebene der Leis-tungserbringer und an Vorschläge zur Übernahme vonEigenverantwortung und für Anreize zur Vorsorge durchgünstigere Tarife.Wir fallen aber nicht auf die Opposition herein, diejetzt Reformen anmahnt, welche unpopulär sind, damitsie, wenn im Wahljahr Vorschläge dazu auf dem Tisch lie-gen, zu den Ersten gehören kann, die sagen: Da kommendie sozialen Räuber dieser Republik. Mit dieser Positionseid ihr nicht mehrheitsfähig. – Wir gehen Ihnen hier nichtauf den Leim, genauso wie wir vor Monaten nicht auf IhreForderung hereingefallen sind, die Neuverschuldung zuerhöhen. Sie haben damals vorgeschlagen: Die Konjunk-tur ist schwach. Macht Schuldenpolitik! – Mit einer sol-chen Position wären wir von Ihnen doch sofort angegrif-fen worden als diejenigen, die nicht mit Geld umgehenkönnen. Sie regt doch nur maßlos auf, dass ein sozialde-mokratischer Finanzminister und eine rot-grüne Koalition
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Oswald Metzger20075
Ihnen ausgerechnet in einem Kerngeschäftsbereich denAnspruch streitig machen, für Solidität zuständig zu sein.Sie regt doch nur auf, dass wir Ihnen in diesem Bereichdie Butter vom Brot genommen haben und dass wir trotzder wirtschaftspolitisch schwierigen Situation bei unsererPosition geblieben sind.
Das verträgt sich nicht mit dem Selbstbewusstsein derKonservativen und auch nicht mit dem der Liberalen.Deswegen tun Sie sich so schwer damit, auf diesem Ge-biet wirklich Punkte zu machen. Ihr Manöver dabei istdurchsichtig. Frau Merkel, ich bin damit bei den Lö-sungsansätzen, die Ihnen beim Diskutieren und Argu-mentieren über Strukturreformen im Gesundheitswesenund bei der Arbeitsmarktpolitik so leicht über die Lippenkommen.Nehmen wir die Pläne zur Steuerreform, die die Unionund die FDP auf den Markt werfen. Dadurch würdenschlagartig so hohe Steuerausfälle für alle staatlichenEbenen entstehen, dass kein Bundesland in dieser Repu-blik mehr – nicht einmal die reichen Südländer – verfas-sungsgemäße Haushalte beschließen könnte.
– Von den Kommunen ganz zu schweigen, Kollege Poß.Das ist ganz richtig.Wenn Sie glauben, dass mit auf Pump finanziertenSteuersenkungen volkswirtschaftlich irgendetwas be-wirkt werden könnte, dann haben Sie die ökonomischenZusammenhänge schlicht negiert.
Gerade die USA – dies geht an die FDP; HerrWesterwelle hat es heute wieder angesprochen – zeigen,dass eine Politik der Steuersenkung, selbst die mit denberühmten Schecks, also das US-Modell, das Brüderle sogern kopieren würde, nichts bringt, wenn eine Rezessionvorhanden ist. Statt eines Konsumanstiegs haben dieAmerikaner inzwischen eine Sparquote von 4,7 Prozent.Deshalb ist die Steuersenkung verpufft.Die US-Volkswirtschaft konnte sich solche Aktionenleisten, weil die US-Regierung ihren Haushalt in den letz-ten zehn Jahren konsolidiert und keine so unsolideFinanzpolitik betrieben hat wie die konservativ-liberaleRegierung in Deutschland. Die US-Regierung produziertjedoch bereits jetzt, im ersten Jahr der Rezession, wiederHaushaltsdefizite und weicht vom Pfad der Tugend ab.Dies ist ein Alarmzeichen und sollte speziell uns inEuropa mit unserer Sozialkultur und unseren strukturellenProblemen daran hindern, finanzpolitisch die traditionel-len Rezepte der 70er-Jahre mit Konjunkturprogrammenwie der Steuerfinanzierung auf Pump zu wiederholen.Dies wird nicht funktionieren und erledigt sich argumen-tativ von selbst.Auch wenn Sie sich die Fachdiskussion der letzten vierWochen ansehen, werden Sie feststellen, dass sich dieStimmung gedreht hat. Noch im September, unter demEindruck der Terroranschläge in New York und Wa-shington, haben viele Ökonomen den Pfad der Tugendverlassen. Inzwischen sagen selbst die konservativenÖkonomen: Steuersenkung auf Pump funktioniert nicht.
Die automatischen Stabilisatoren in einer Volkswirt-schaft greifen. Bei uns zeigt sich das daran, dass das De-fizit – ein Maastricht-Kriterium – auf 2,5 Prozent be-grenzt worden ist, obwohl die Länderdefizite – FrauMerkel, Sie stellen viele Länderministerpräsidenten –viermal mehr zur gesamtstaatlichen Defizitquote bei-tragen als der Bund. Auch das ist die Wahrheit, die in ei-ner wirklich fairen und ehrlichen Auseinandersetzung ge-sagt werden muss.
Wenn ich eine Schlussbewertung der heutigen Debattevornehmen wollte, würde ich uns als Koalition raten: Wirbrauchen nicht auf Nebenkriegsschauplätze wie die Par-teispendenaffäre auszuweichen. Diese Diskussion kannman an anderer Stelle führen. Anstelle von Frau Merkelwürde ich mich auch davor hüten, mich sozusagen in denStand der Unschuld zu reden. Das ist bei Gott nicht so.Hier hat die Union mehr Fragen zu beantworten, als sieuns, den Regierungsfraktionen, stellen muss.
Jedoch hat die Debatte nach meiner Auffassung ge-zeigt, dass der Generalangriff auf die Regierungspolitikund die Vorwürfe hinsichtlich Unsolidität, unterlassenerReformen oder Reformunfähigkeit ins Leere laufen. Dasist gut so. Wir sollten in den nächsten Wochen und Mona-ten unsere Position in dieser Richtung vor allem auch denBürgerinnen und Bürgern vermitteln; denn diese wissenmanchmal besser als die Opposition hier im Hause, dasszwei plus zwei vier sind.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt
Dr. Hermann Otto Solms für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist heute,zehn Monate vor der Bundestagswahl, die letzte Haus-haltsdebatte. So ist dies natürlich der richtige Zeitpunkt,um schon einmal eine Bilanz der Politik der rot-grünenRegierung zu ziehen.Bevor ich in die Sache einsteige, möchte ich dem Kol-legen Metzger Dank sagen. Es war vermutlich seine letzteHaushaltsrede hier vor diesem Hohen Hause.
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Oswald Metzger20076
Er war ein einsamer Rufer im grünen Meinungsdschun-gel. Das muss man anerkennen. Ich bedaure, dass ich ihnhier wohl nicht wiedersehen werde.
Bilanz ziehen heißt, die Aussagen der Bundesregierungmit den Tatsachen, den Fakten, den Ergebnissen ihrerTätigkeit zu vergleichen. Es ist schon interessant, wie weitdie Darstellung der Bundesregierung und das, was ihrePolitik bewirkt hat, auseinander klaffen. Für ihre Darstel-lung hat die Bundesregierung eine Eins verdient. Zu denErgebnissen kann ich nur sagen: Sie sind jedenfalls in denBereichen der Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Arbeits-marktpolitik auf der ganzen Linie gescheitert. Was Siehier vorzulegen haben, ist eine Bankrotterklärung.
Ich will Ihnen an einem Beispiel darstellen, was sichdaraus für den einfachen Bürger ergibt. Der Bundeskanz-ler tritt vor jede Fernsehkamera und spricht wie einpreußischer General, der gerade Schlachten gewonnen hatoder dabei ist, welche zu gewinnen. Die Bundeswehrselbst hat jedoch bis jetzt keinen Taliban gesehen und kei-nen Terroristen gefangen. Das Einzige, was sie getan hat,ist: Sie hat Decken in die Türkei transportiert. So kannman die Darstellung als Ersatzhandlung für nicht ausge-führte Taten nutzen.
Der Bundeskanzler kämpft bis zum letzten Blutstrop-fen, allerdings dem der Grünen. Die Grünen wissen nichtsBesseres, als nach einer langen Nabelschau auf einem Un-terwerfungsparteitag in Rostock Ergebenheitsadressen anden Bundeskanzler zu schicken, damit sie die Zipfel derMacht in der Hand behalten. Darüber wird der Wähler dasletzte Wort sprechen.Schauen Sie sich die Arbeitsmarktpolitik an. DerBundeskanzler selbst – das ist heute mehrfach zitiert wor-den – hat in seiner Regierungserklärung darauf hingewie-sen, worauf es ihm ankommt:Wir müssen dafür sorgen, dass die Arbeitslosigkeitzurückgedrängt wird, dass bestehende Arbeitsplätzeerhalten bleiben und neue Beschäftigung entsteht.Was hat die Bundesregierung zur Verbesserung derArbeitsmarktsituation getan? – Sie hat ein breites Netz anEinstellungshemmnissen entwickelt und aufgebaut. Ichwill an einige Dinge erinnern, die heute teilweise schongenannt worden sind: Rücknahme der Liberalisierungs-möglichkeiten im Arbeitsrecht, Rücknahme der Verbesse-rung im Kündigungsschutzrecht – das alles hatten wir inder alten Regierung beschlossen –, Rücknahme der Re-form der Lohnfortzahlung, Einführung des Gesetzes ge-gen die Scheinselbstständigkeit – dies erschwert es denMenschen, sich selbstständig zu machen und neueArbeitsplätze zu schaffen –, Einschränkung bei den630-DM-Arbeitsverträgen.Sie wissen gar nicht, was Sie damit bewirkt haben. Essind zwar einerseits – das wollten Sie erreichen – gut1,5 Millionen Menschen in die Arbeits- und Beschäfti-gungsstatistik hineingekommen.Andererseits hat mehr alsdie doppelte Zahl vonMenschen ihrenTeilzeitjob verloren.
Sie wollten doch Teilzeitarbeit fördern. Sie haben in die-sem Bereich zwei bis drei Millionen Teilzeitarbeitsplätzevernichtet. Das müssen Sie zugeben.Sie haben das Recht auf Teilzeitarbeit eingeführt. Daswird dazu führen, dass junge Frauen nicht mehr einge-stellt werden, weil die Arbeitgeber befürchten, dass sieauf diesem Recht bestehen werden.
Sie haben die Ausweitung der Mitbestimmung eingeführt,die dazu führt, dass es mehr Funktionärsmitbestimmunggeben wird. 100 000 Funktionärsstellen mehr nützen nie-mandem, schaden aber dem Mittelstand.
Der Bundeskanzler ist mit der Umwerbung der NeuenMitte angetreten. Was hat er getan? – Er hat die NeueMitte auf der ganzen Linie enttäuscht und verraten; dennsie ist es, die jetzt die Zeche bezahlen muss. Das ist bei derMasse an Einstellungshemmnissen und den Erschwernis-sen der Investitionsbedingungen kein Wunder: Die Ab-schreibungsbedingungen sind verschlechtert und die Ver-rechnungsmöglichkeiten eingeschränkt worden. Das hatzur Folge, dass keine Leute eingestellt werden, dass keineArbeitsplätze geschaffen werden und dass nicht investiertwird.Darüber hinaus kommt es jetzt zu Massenentlassun-gen.Was ist Ihre Reaktion darauf? – Bei bis zu einer Mil-lion Arbeitslosen mehr stellen Sie 3 000 neue Vermittlerein! Das ist eine schöne Reaktion.Was sollen sie denn ver-mitteln, wenn dieArbeitsplätze gar nicht vorhanden sind?
Sie schaffen mit einem riesigen finanziellen Aufwand3000 neue Arbeitsplätze. Das ist aber auch alles. Das istkeine zielgerichtete Arbeitsmarktpolitik. Damit werdenSie die Probleme auf dem Arbeitsmarkt nicht lösen.Kommen wir zum Thema Finanz-, Haushalts- undSteuerpolitik.DerBundesfinanzminister ist nichtmehr an-wesend. Es ist auch sicherlich besser, wenn er sich meineWorte nicht anhören muss; denn auch hier stehen ScheinundWirklichkeit in einem großen Kontrast zueinander.Herr Wagner, Sie sind der führende Haushaltspolitikerder SPD. Was sagen Sie denn dazu, dass sich der Bundes-finanzminister im Land als Sparminister rühmt? AuchHerr Metzger hat dies gerade hervorgehoben. Herr Eichelhat gar nicht gespart. In diesem Jahr werden 30 Milliar-den DM mehr als 1998 ausgegeben. Verstehen Sie das un-ter Sparen?
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Dr. Hermann Otto Solms20077
Ich verstehe unter Sparen, weniger auszugeben. Das sindIhre, nicht unsere Zahlen.
Aber was noch schlimmer ist: Die investiven Ausgabendes Staates gehen zurück und die konsumtiven Ausgabensteigen.Das Ergebnis bei der Verschuldung ist das gleiche.Einschließlich des Jahres 2002 werden die Schulden um182,7 Milliarden DM steigen und nicht sinken. Sie be-schimpfen immer die alte Regierung wegen des hohenSchuldenstands. Was machen Sie denn? Sie machen esdoch genauso. Von Sparen kann keine Rede sein. Im Ge-genteil: Die Schulden steigen. In die Schuldenfalle gera-ten wir mit Ihnen erst recht. Das ist keine Lösung.Wie sieht es in der Steuerpolitik aus? Der Bundes-finanzminister rühmt sich der größten Steuerreform allerZeiten. Er hat vergessen, dass unter seinem VorgängerLafontaine die steuerliche Belastung zunächst einmal um40 Milliarden DM angestiegen ist.
Dazu kommt die zusätzliche Belastung durch die Öko-steuer sowie durch die Erhöhung der Tabak- und der Ver-sicherungsteuer. Die Bundesregierung ist übrigens dieeinzige Regierung der Welt, die auf den Terroranschlagam 11. September mit Steuererhöhungen reagiert hat. Dasist kein Ruhmesblatt.
Ergebnis ist, dass die Steuern insgesamt von 341 Mil-liarden 1998 auf 384 Milliarden 2001, also um über40 Milliarden, angestiegen sind. Das bedeutet mehr undnicht weniger Steuern. Das belastet die Steuerpflichtigenmehr und nicht weniger. Das ist keine Entlastung. Das hatnatürlich auch die entsprechenden Reaktionen zur Folge.Schauen Sie sich nur die Rentenpolitik an. Herr Riesterrühmt sich seiner großen Rentenreform. Er hat unsBeitragssatzstabilität versprochen, jedenfalls bis zum Jahr2011/12. Schon im ersten Jahr des In-Kraft-Tretens derRentenreform kann er seine Zusage nicht einhalten.
Wir haben ihn damals gewarnt und ihn darauf auf-merksam gemacht, dass das so sein wird, dass die Zahlennicht stimmen, dass sich das Ganze anders als geplant ent-wickeln wird. Ohne den schamlosen Griff in die Reserve-kasse der Rentner würde der Beitragssatz auf 19,4 bzw.19,5 Prozentpunkte steigen. Es handelt sich hier um eineArt erneute Schuldenaufnahme zulasten der Rentner, nurum die Fasson zu wahren, um den Menschen vorzuma-chen, dass die Beiträge stabil bleiben würden. Diese Ren-tenreform verdient nicht einmal den Namen, den sie trägt,weil sie das nicht umsetzen kann, was sie verspricht.
Über die Gesundheitspolitik will ich gar nicht erst re-den. Hier sind zwei nette Kolleginnen verschlissen wor-den. Die Gesundheitspolitik ist nun einmal eine Schlan-gengrube. Das weiß jeder. Die Damen waren nichtgeeignet für das Amt der Gesundheitsministerin, konntenes einfach nicht und hatten auch keinen Rückhalt beimBundeskanzler.Wer keine ordnungspolitische Richtschnur hat, umschwierige gesellschaftspolitische Probleme zu lösen, derwird von einer Falle in die andere tappen. Genau das tutdiese Bundesregierung.
Sie hat kein grundsätzliches Konzept zur Lösung der ge-sellschaftspolitischen Probleme. Deswegen hat sie dieBerechtigung verloren, in Zukunft weiterhin Verantwor-tung zu tragen.Vielen Dank.
Das Wort hat
Dr. Gregor Gysi für die PDS-Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Es geht jetzt um den Etat desBundeskanzlers und die Generalabrechnung mit der Bun-desregierung. Ich stelle fest: Die Bundesregierung istverschwunden. Sie interessiert sich nicht für die Bewer-tung ihrer eigenen Politik durch das Parlament. Man kannsagen, was man will: Die Abgeordneten aus den erstenReihen der Opposition sind vollständig anwesend. DieRegierungskoalition hat sich dagegen verflüchtigt. Fürdiese Art von Hochmut werden Sie eines Tages bezahlen.
Der Wahlkampf ist von Ihnen mit der Vertrauensfrageeröffnet worden. Seitdem geht es hier um Bilanzen, Re-chenschaft und Ähnliches. Jetzt müssen auch wir Wahl-kampf führen. Ich sage Ihnen deshalb: Es ist schon inte-ressant, sich noch einmal das Wahlergebnis von 1998 vorAugen zu führen. Damals sind CDU/CSU und FDP ausder Regierungsverantwortung abgewählt worden, undzwar nicht, damit sie heute verkünden, dass sie das gernefortsetzen würden, wobei sie damals unterbrochen wor-den sind. Es muss vielmehr um einen inhaltlich wirklichneuen Ansatz gehen, den ich allerdings bei der konser-vativen Opposition nicht feststellen kann.
Alles, was Frau Merkel vorgetragen hat, ging in RichtungAbbau der Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte,Sozialabbau und Ähnliches. Ich muss deshalb konstatie-ren: Es kann wirklich noch schlimmer kommen, als es oh-nehin schon ist, obwohl es so, wie es ist, schon höchst un-befriedigend ist.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Dr. Hermann Otto Solms20078
Denn welche Vorstellungen hatten die Bürgerinnenund Bürger vornehmlich mit der Wahl der SPD verbun-den? Die Grünen – das muss man ehrlicherweise sagen –hatten 1998 weniger Stimmen als 1994. Sie sind danndoch noch in die Regierung gekommen. Das ist inDeutschland nun einmal so. Die CDU hatte in Hamburgeines ihrer schlechtesten Wahlergebnisse und stellt jetztden Ersten Bürgermeister. Das hängt halt mit der Koaliti-onsfreiheit zusammen.Die SPD hatte tatsächlich deutlich zugelegt. WelcheVorstellungen waren damals damit verbunden? Zunächstfriedenspolitische Vorstellungen, auch Vorstellungenvon einer gerechteren Welt und einer gerechteren Welt-wirtschaftsordnung. Des Weiteren ging es um dieSchließung von Gerechtigkeitslücken, um mehr sozialeGerechtigkeit, um den Abbau von Arbeitslosigkeit, umökologische Nachhaltigkeit und um innere Einheit.
All das ist im Koalitionsvertrag niedergelegt und standauch in den Wahlprogrammen; darauf konzentrierten sichdie Versprechen.Sehe ich mir heute die Realitäten an, stelle ich fest,dass in dieser Legislaturperiode erstmals unter Führungder Sozialdemokratie Deutschland in zwei Kriege einbe-zogen worden ist, von denen zumindest einer mit Sicher-heit völkerrechtswidrig war.
– Völkerrechtswidrig war der Angriffskrieg gegen Jugo-slawien. Das ist doch völlig eindeutig und unbestritten.
Ich sage Ihnen ein Weiteres, Herr Struck. Sie habenhier von Prävention gesprochen. Dann erklären Sie docheinmal, weshalb unter Ihrer Regierung die Entwicklungs-hilfe in jedem Jahr geringer als im letzten Jahr von Bun-deskanzler Kohl ausgefallen ist. Das hat mit Präventionund einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung nichts zutun.
Was die soziale Gerechtigkeit anbetrifft, so muss mandie Fragen konkret stellen: Können Sie wirklich gutenGewissens sagen, dass es den Armen in Deutschlandheute besser als vor drei Jahren geht? Geht es den Sozial-hilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern besser,geht es den Arbeitslosen besser? Es kann gar keine Rededavon sein. Die Zahl der Arbeitslosen ist auch nicht klei-ner geworden. Die Prognosen der Bundesregierung zurArbeitslosigkeit besagen, dass wir schon Anfang nächstenJahres bei über 4 Millionen liegen werden. Das bekom-men Sie nun einmal nicht weg: Der heutige Bundeskanz-ler hat im Wahlkampf gesagt, er wolle sich an dieser Fragemessen lassen. Das Einzige, was sich geändert hat, ist,dass er sich daran nicht mehr messen lassen will.
Jetzt kommen Sie mit internationalen Wirtschafts-schwierigkeiten. Hat er denn als Kanzlerkandidat nichtgewusst, dass Deutschland in eine internationale Welt-wirtschaftsordnung einbezogen ist?
Wenn er es gewusst hat, wie kann er dann ein solches Ver-sprechen abgeben? Wenn er meint, er sei für die Arbeits-losigkeit nicht zuständig, dann hätte er damals schon sa-gen müssen, er könne keine Versprechen abgeben, dashänge von den USA ab.
Wenn er geäußert hätte, er habe damit nichts zu tun, hät-ten wir den amerikanischen Präsidenten wählen müssen.Das hat er aber nicht gesagt.
Deshalb ist es unredlich, so zu argumentieren. Die andereMöglichkeit wäre, dass er einräumt, es liege gar nicht amamerikanischen Präsidenten, sondern doch am deutschenBundeskanzler. Dann wäre es sein Verschulden, zu dem erstehen muss. Beides aber geht so nicht zusammen.
Jetzt verweist auch die schwarze Koalition auf Frank-reich. Frankreich weist tatsächlich beachtliche Zahlenbeim Wirtschaftswachstum auf.
Wissen Sie, wie dort die Regierung zusammengesetzt ist?Da würde sich ja Ihr Magen umdrehen.
Deshalb warne ich vor diesem Beispiel. Ich habe nichtsdagegen, wenn Sie Frankreich landauf, landab als positi-ves Beispiel darstellen, aber ich warne Sie vor den Kon-sequenzen.Herr Glos, mit Ihren Äußerungen zur Steuerreformhabe ich auch ein paar Schwierigkeiten. Wir beide habendiese Steuerreform der Bundesregierung scharf kritisiert.Nun finden Sie sie aber so gut, dass Sie sie bereits früherhaben wollen. Das ist ja auch ein merkwürdiger Vorgang.
Wenn die Steuerreform in die falsche Richtung geht, dannmüssten Sie eher wünschen, dass sie nie kommt. Jetztwollen Sie, dass sie viel früher kommt. Das stellt eine ArtLobpreisung der Bundesregierung dar, die ich an dieserStelle nicht mitmachen kann.Das größte Problem ist die geringere Kaufkraft.WennSie alles zusammennehmen, die Steuern, die Abgaben– auch die Abgaben, die von Ländern und Kommunen er-hoben werden; Sie müssen auch sehen, wie die Abgaben-last der Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen erhöhtworden ist, weil diese immer weniger Geld haben –, die
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Dr. Gregor Gysi20079
Teuerungsrate, die Lohnentwicklung und die Ökosteuer,dann wird deutlich, dass die schwächere Binnenkonjunk-tur ihre Ursache in der geringeren Nachfrage aufgrund dergeringeren Kaufkraft hat. Das bedeutet nicht mehr, son-dern weniger soziale Gerechtigkeit. Das muss sich die Re-gierung schon sagen lassen.
Erschreckt hat mich, was Herr Metzger hier zur Ge-sundheitsreform sagte: Sie könne in dem letzten Jahr vorder Wahl nicht mehr durchgeführt werden, weil die Op-position Sie dann wegen Sozialabbaus vorführen würde.Was heißt denn das im Klartext? Was haben wir denn dannnach der nächsten Wahl zu erwarten?
Wenn Sie sich die Auseinandersetzung über Ihre Vorstel-lungen im Wahlkampf nicht zutrauen, kann ja nurSchlimmstes kommen.Gleichzeitig geht es nicht an, sich Zahlen einseitig he-rauszusuchen. – Herr Bundeskanzler, Sie scheinen sichfür die Debatte über Ihren eigenen Haushalt nicht zu in-teressieren.
– Er muss etwas mit dem Fraktionsvorsitzenden bespre-chen; das verstehe ich.Der Bundeskanzler wies darauf hin, wir hätten so vieleExistenzgründungen wie noch nie. Herr Bundeskanzler,Sie haben der CDU/CSU zu Recht vorgeworfen, sich im-mer die Zahlen herauszusuchen, die ihr passen. Aber dasmachen Sie doch auch.
Anderenfalls hätten Sie ehrlicherweise darauf hinweisenmüssen, dass wir in diesem Jahr 17 Prozent mehr Fir-menpleiten als im Vorjahr hatten. Das sagt wirklich etwasüber die wirtschaftliche Situation in Deutschland undüber die Chancen der kleinen und mittelständischen Un-ternehmen aus.
Sie wissen, wie viele Probleme es in diesem Zusam-menhang gibt: die mangelnde Zahlungsmoral, die hoheBelastung mit Abgaben und Steuern und vieles anderemehr. Diese Probleme werden Sie nicht loswerden.Sie haben in Ihrer Steuerreform die Kapitalgesell-schaften im Vergleich zu kleinen und mittelständischenUnternehmen deutlich begünstigt. Sie sind ja weiter ge-gangen, als die Konzerne es gefordert hatten. Bei den Ver-äußerungserlösen haben Sie ihnen jegliche Steuer ge-schenkt, obwohl sie nur eine Herabsetzung wünschten.Dieser Gehorsam gegenüber den Kapitalgesellschaftenzahlt sich deshalb für Sie nicht aus, weil sie trotzdem kei-nen Wahlkampf für Sie machen werden. Das ist einfachnicht deren Stil.
Mit am meisten hat mich die Tatsache verwundert,Herr Bundeskanzler, dass Sie über Ihre Chefsache nichteinen einzigen Satz gesagt haben.
Sie geben eine einstündige Erklärung zur Situation inDeutschland ab und erwähnen die Frage der inneren Ein-heit Deutschlandsmit keiner einzigen Silbe. Das sagt et-was über Ihre Beziehung zu dieser Problematik aus.
Das ist für einen Bundeskanzler, der dies zur Chefsacheerklärt hat, wirklich nicht in Ordnung;
denn in beiden Teilgesellschaften läuft die mentale, öko-nomische und soziale Entwicklung auseinander. Auch dieLöhne und Renten entwickeln sich auseinander. Die we-nigen Verbesserungen, die es gab, waren allesamt durchdas Bundesverfassungsgericht erzwungen. Von der Re-gierungskoalition gab es keine einzige darüber hinausge-hende Initiative.Welche tollen Anträge haben Sie, als Sie noch in derOpposition waren, im Hinblick auf die Renten in denneuen Bundesländern gestellt! Nichts davon haben Sierealisiert. Das Gleiche gilt für die Problematik der Mau-ergrundstücke. Das bleibt ein ganz trauriges Kapitel in derBilanz dieser Bundesregierung.
Herr Kollege,
denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Arbeitslosigkeit ist in den
neuen Bundesländern deutlich höher als in den alten Bun-
desländern. Wir brauchen die innere Einheit, um in ganz
Deutschland ökonomisch und sozial voranzukommen.
Anderenfalls ziehen die neuen Bundesländer die alten
herunter. Damit wäre niemandem gedient.
Deshalb mein letzter Satz: Es gibt sehr viel Kritik an
der Bundesregierung und an der Regierungskoalition. Das
ist aber kein Grund, nostalgisch zu werden und CDU/CSU
und FDP zu wählen, denn dann würde es noch schlimmer.
Es ist ein Grund, eine linke Opposition zu wählen, damit
linke Politik – Politik der sozialen Gerechtigkeit und Frie-
denspolitik – auch für SPD und Grüne wieder attraktiv
wird.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Hagemann.
Frau Präsidentin! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Verehrter KollegeGysi, ich gebe Ihnen in zwei Dingen Recht: Sowohl dielinke als auch die rechte Opposition sollen Oppositionbleiben. Dabei stimme ich Ihnen voll und ganz zu.
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Dr. Gregor Gysi20080
Wenn man die zurückliegenden Haushaltsberatungenverfolgt hat, konnte man folgende Probleme erkennen.Erstens. Die Rezepte der Opposition laufen darauf hi-naus, ausgabenträchtige Anträge zu stellen. Die sich ausihnen ergebende Summe wurde vorhin schon dargelegt.Zweitens. Die Einnahmeseite soll verschlechtert wer-den; denn man empfiehlt, die nächsten Schritte der Steu-erreform vorzuziehen. Ich frage mich nur, wie das dieLänder und die Gemeinden verkraften sollen, die schonheute ihre Haushalte nicht mehr ausgleichen können. Ichsehe es in meinem Bundesland; dort liegt das Haushalts-volumen um einige Millionen über dem verfassungs-rechtlich Zulässigen.
– Sehr geehrter Herr Merz, die von Ihrer Partei gestelltenPolitiker in den Ländern und Gemeinden beten ja täg-lich darum, dass Ihre Vorschläge nicht realisiert werdenmögen.
Wir stellen eine hohe Mehrfachbelastung des Haushaltsfest. Das ist sicherlich nicht der richtige Weg. Diesen Wegkönnen wir nicht weiterverfolgen.Drittens. Es kommt hinzu, meine Damen und Herrenvon der Opposition, dass Sie in der Diskussion Ihr eige-nes Regierungshandeln in den zurückliegenden Jahrenausgeblendet haben. Ich frage mich wirklich: Waren diealten Rezepte, wie Sie sie angewandt haben, so erfolg-reich? Hierzu kann man an Fakten Deutliches feststellen.Stichwort: Arbeitslosigkeit. Zu jener Zeit gab es keinGesetz zu den 630-Mark-Jobs, keine Änderung des Be-triebsverfassungsgesetzes, all das nicht, was Sie heutekritisieren. Trotzdem war die höchste Arbeitslosigkeit zuverzeichnen, die es in diesem Land je gegeben hat. HerrRexrodt musste vor vier Jahren hier ans Pult treten undsagen, dass er fast 5 Millionen Arbeitslose erwartet. Dasvergessen Sie natürlich immer. Heute liegt die Zahl bei3,7 Millionen. Das ist immer noch zu viel, liegt aberdeutlich unter dem, was zu Ihrer Zeit war. Wir arbeitendaran.
Stichwort: Sozialhilfeempfänger. Auch hierzu ist fest-zustellen, dass die Zahl nach unten geht und dass dieKommunen interessante Projekte betreiben, um die Zahlder Sozialhilfeempfänger weiter zu senken.Auch bei der Jugendarbeitslosigkeit – darauf möchteich noch einmal hinweisen – gibt es eine deutlich positiveEntwicklung nach unten.Ein anderes Stichwort: Lohnnebenkosten. Heutewurde schon viel darüber diskutiert. Wie sah die Zahldenn 1998 aus, als Sie abgetreten sind, sehr geehrte FrauMerkel? – 42,1 Prozent! Heute ist die Zahl 40,8 Prozent.
– Sie haben damals die Mehrwertsteuer erhöht. Auch daskommt hinzu, Herr Repnik. – Hier ist also eine positiveEntwicklung festzustellen und die können auch Sie nichtwegreden.
„Arbeitsplätze“ ist das nächste Stichwort. In dieser Zeitsind 1 Million Arbeitsplätze mehr geschaffen worden.Das ist die andere Seite der Medaille, die Sie nie darstel-len, die hier aber erwähnt werden muss.Ich darf auch die Steuergesetzgebung ansprechen.Der Eingangssteuersatz – ich will es nur noch einmal inErinnerung rufen – ist deutlich gesenkt worden, eben zu-gunsten der kleinen Einkommen, Herr Gysi. Sie haben ge-sagt, es sei nichts für die kleinen Leute getan worden. Ge-rade hier ist aber Entscheidendes erreicht worden.
Auch beim steuerfreien Existenzminimum sind deutli-che Schritte gemacht worden, was den kleinen Leuten zu-gute gekommen ist.Ich kann das Erziehungsgeld erwähnen. Ich kann dasWohngeld erwähnen. Überall sind zugunsten der kleine-ren Einkommen die richtigen Schritte unternommen wor-den.
– Ach, wenn Sie dazwischenrufen! Zehn Jahre lang ist vondieser Seite in diesem Bereich nichts getan worden. Jetztist gehandelt worden.
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi?
Bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, würden Sie im-
merhin bestätigen, dass zum Beispiel zwei Kindergeld-
erhöhungen gerade den Ärmsten in der Gesellschaft, näm-
lich den Sozialhilfe empfangenden Kindern, nicht zugute
kommen, weil die Beträge von der Sozialhilfe abgezogen
werden? Würden Sie bestätigen, dass durch Kürzung der
Beihilfen für die Familien letztlich eine Schlechterstel-
lung erfolgt und dass, weil Sie auf die Wiedereinführung
der Vermögensteuer und damit auf eine Umverteilung
verzichtet haben, die Armen heute nicht besser dastehen
als vor drei Jahren, sondern eher schlechter?
Sie müssen die Gesamt-rechnung sehen, sehr geehrter Herr Gysi, und die ist posi-tiv.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Klaus Hagemann20081
Gerade die Zahl der Kinder, die Sozialhilfe empfangen, istdeutlich nach unten gegangen. Hier ist gehandelt worden.Deswegen kann ich das, was Sie gesagt haben, nicht sostehen lassen.Was Sie zu den Kindergelderhöhungen gesagt haben,ist auch nicht ganz korrekt. Zumindest die letzte Er-höhung, nämlich die um 20 DM, ist auch den Familien,die Sozialhilfe empfangen, zugute gekommen. Das wollteich doch noch einmal hervorheben.
Ein anderes Stichwort: Zukunftsinvestitionen. Hierwird immer wieder behauptet – auch Herr Solms hat esvorhin getan –, dass die Investitionsquote zurückgefahrenworden sei. Das ist nicht richtig. Gerade was Straßenbau,Schienenbau, Ausbau der Deutschen Bahn angeht, ist diehöchste Investitionsquote erreicht worden, die die Bun-desrepublik Deutschland je gehabt hat, und das sollten Sienicht einfach wegreden.Wenn ich zu Zukunftsprojekten spreche, dann lassenSie mich auch Bildung und Forschung erwähnen. Das istsicherlich einer der größten Beiträge zur Zukunftsfähig-keit unseres Landes.
Hier haben wir gerade vonseiten der FDP – leider sind nurnoch zwei Kollegen anwesend – eine Flut von Anträgenerlebt. Wenn ich aber den heutigen Zustand mit 1998 undmit den Jahren davor vergleiche, sehr geehrter HerrSolms, stelle ich fest, dass gerade die Mittel für Forschungund Bildung in der Zeit Ihrer Verantwortung nach untengefahren worden sind. Der Bildungshaushalt war Finanz-steinbruch. Da war nichts mit Zukunftsminister Rüttgers,
er ist eigentlich eher ein Rückwärtsminister gewesen. Ge-rade hier kann man Anspruch und Wirklichkeit verglei-chen. Sie haben das alles mit zu verantworten. Sie habenes mitgetragen, dass die Mittel für Forschung und Bil-dung in dieser Zeit nach unten gefahren worden sind, undwir haben jetzt große Mühe gehabt, diese Mittel wiederdeutlich nach oben zu entwickeln. Ich denke, meine Kol-legin Klemmer wird morgen ausführlicher darauf ein-gehen.
Hier sprechen Zahlen für sich. Im Jahr 1998 standenfür Forschung und Bildung 14,5 Milliarden DM zur Ver-fügung und im Jahr 2002 werden es fast 17 Milliar-denDM sein. Gott sei Dank gilt die Erhöhung auch für dasBAföG. Hier bekommen mehr Berechtigte wieder mehrGeld. Auch das ist wichtig.Natürlich stellt sich für Sie auch die Frage der Glaub-würdigkeit, wenn Sie heute in Oppositionszeiten kräftigdraufpacken und Anträge stellen, aber die Wirklichkeit inIhrer Regierungszeit ganz anders aussah.
Lassen Sie mich in der Generalaussprache auch die Fa-milien- und Jugendpolitik ansprechen. Ich habe gesternAbend die Debatte zum Einzelplan 17 verfolgt. Es istschon interessant, wie viele Kolleginnen und Kollegen diepolitische Vergangenheit vergessen haben. Ein Verfas-sungsgerichtsurteil aus dem Jahre 1998 hat Ihre Fami-lienpolitik beurteilt und benotet, sehr geehrte FrauMerkel. Man kann es in einem Satz zusammenfassen: DieFamilienförderung der CDU/CSU-FDP-Regierung warvöllig unzureichend.
Gestern Abend warf uns eine Kollegin noch vor, wir,also die Koalition, hätten erst aufgrund eines Verfas-sungsgerichtsurteils gehandelt. Es stellt sich natürlich dieFrage, warum es zu diesem Verfassungsgerichtsurteil ge-kommen ist. Wir mussten erst einmal Ihre Fehler ausbü-geln und hier neue Wege gehen. Das haben wir in derSteuerpolitik durch die Familienentlastung gemacht. Ichbin vorhin darauf eingegangen.Wir haben aber auch beim Kindergeld sehr deutlichzugelegt und das Kindergeld für das erste und für daszweite Kind von 220 DM auf 300 DM erhöht. Es wurdehier schon der Vergleich gebracht – ich möchte es nurnoch einmal unterstreichen –, dass die Verkäuferin da-durch ihr 13. Monatsgehalt bekommt, und das netto. Auchdas sei hier noch einmal erwähnt.Die Frage der Glaubwürdigkeit ist natürlich auch zustellen, wenn Sie jetzt aus der Opposition heraus ein Fa-miliengeld von 1 200 DM im Monat fordern und keine Fi-nanzierungsvorschläge vorlegen. Wir wissen doch, dass10 DM Kindergelderhöhung uns etwa 1 bis 1,5 Milliar-den DM kosten. Es ist eigentlich unvorstellbar, wie Siedas alles finanzieren wollen. Ich frage Sie deshalb: Ist das,was Sie hier vortragen, glaubwürdig?Wenn wir die Glaubwürdigkeit ansprechen, muss aucherwähnt werden, dass in den süddeutschen Ländern, ge-rade in Bayern, Kindergartenplätze fehlen.
– Das ist so. Auch bei der Ganztagsbetreuung liegt mandort sehr weit zurück.Die Freiwilligendienste wurden gestern Abend ange-sprochen. Wir sind auch in der Jugendpolitik nach vornegegangen. Wir gehen gerade in der Gesellschaftspolitikneue Wege. Ich erinnere mich noch an die Ausschuss-arbeit in der letzten Legislaturperiode, als wir immer mitFrau Nolte kämpfen mussten, weil die Mittel nach untengefahren wurden. Das war der falsche Weg. Wir gehenden richtigen Weg. Viele Punkte könnten in diesem Zu-sammenhang noch erwähnt werden.Die Frage der Finanzierung des Haushaltes möchteich noch ansprechen, insbesondere einen Antrag derUnion mit der Drucksachennummer 14/7582, der gesternverteilt worden ist. Darin geht es darum, dass ein Sub-ventionsabbau vorgenommen werden soll. In diesem An-trag wird zwar global angemerkt, aber nicht konkret be-nannt – auch heute hat niemand dazu Stellung bezogen –,an welchen Stellen – bei der Landwirtschaft, bei der Ju-gend oder bei den Frauen? – und in welchem Umfang
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Klaus Hagemann20082
Subventionsabbau vorgenommen werden soll. KonkreteAussagen fehlen; alles bleibt offen. Nur ein pauschalerAntrag wurde gestellt.Ich möchte auf die FDP zu sprechen kommen. HerrRexrodt hat gestern davon gesprochen, dass Leistungsge-setze kritisch überprüft werden müssten. Er hat jedochnicht gesagt, ob er damit den Abbau von Sozialleistungenfür sozial Schwächere oder etwas anderes meint. Nichtsdergleichen wurde vorgetragen.Bei den Haushaltsberatungen wird immer wieder kriti-siert, dass die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit we-sentlich zu hoch seien. Auch in den Debatten am gestri-gen Abend spielte dieser Punkt eine wichtige Rolle. Ichhabe mir die prozentuale Entwicklung der Ausgaben fürÖffentlichkeitsarbeit der gesamten Bundesregierung imVerhältnis zum Bundeshaushalt auflisten lassen. Es han-delt sich dabei um 0,00-Beträge.
Dennoch ist besonders die dritte Stelle hinter demKomma interessant, Herr von Klaeden. Im Jahre 1990– das war ein Ausnahmejahr; das gebe ich zu – waren esimmerhin 0,06 Prozent. 1998 – da haben Sie schon guteFortschritte gemacht – waren es 0,037 Prozent. Die Bun-desregierung wird für ihre Öffentlichkeitsarbeit viel ge-scholten. Betrachten wir die Zahlen für das Jahr 2000: Essind – immerhin wieder ein bisschen weniger – 0,032 Pro-zent. In diesem Jahr sind es 0,031 Prozent. Die Mär, dieBundesregierung erhöhe die Ausgaben für Öffentlich-keitsarbeit, ist damit widerlegt.Gestern Abend wurde behauptet, die Regierung macheeine so schlechte Politik, dass sie immer höhere Ausgabenfür Öffentlichkeitsarbeit brauche. Man kann aber an derZahlenentwicklung feststellen, dass die Bundesregierungeine ordentliche Arbeit macht und weniger Mittel für dieÖffentlichkeitsarbeit braucht.
Lassen Sie mich noch eines hinzufügen: Frau Merkel,es ärgert mich schon ein wenig, dass Sie Holzmann an-gesprochen haben. Vor drei Jahren hat der Bundeskanzler– Gott sei Dank – eine Rettungsaktion eingefädelt. Ichkann mich noch gut daran erinnern, dass Herr Koch undFrau Roth, beide CDU, schön mitgewunken und mitgeju-belt haben.
Auch daran muss an dieser Stelle einmal erinnert werden.Vergessen Sie nicht, dass Sie sich ebenfalls in diesem Er-folg gesonnt haben. Heute wollen Sie davon nichts mehrwissen.Ich komme aus dem Rhein-Main-Gebiet.
Dort sind viele Mittelständler für diese Aktion dankbar,weil sie ohne die Aktion Pleite gegangen wären, verehrterHerr!
Sonst sähe es in diesem Gebiet inzwischen ganz andersaus. Fakt ist – das kann man nachweisen –: Frau Roth undHerr Koch haben mitgewunken und mit davon profitiert.
– Vielen Dank, Kollege Wagner. Auch der Bundesrech-nungshof hat es positiv gesehen.Ich möchte zum Schluss kommen und Bilanz ziehen.Ein seriöser Haushalt wurde vorgelegt. Es ist davon aus-zugehen, dass dieses Jahr punktgenau gelandet wird. Wirarbeiten uns aus der von der CDU/CSU-FDP-Koalitiongeschaffenen Schulden- und Zinsfalle langsam, aberspürbar heraus. Wir gehen Zukunftsaufgaben an und müs-sen immer weniger Zinszahlungen leisten. Wir haben unsam Anfang unserer Regierungszeit zum Ziel gesetzt, dieZukunftsfähigkeit und die Innovation zu stärken sowiedie Politik der Gerechtigkeit und der Solidarität voranzu-treiben. Das wird mit diesem Haushalt getan. Wir werdendeshalb dem Einzelplan 04 zustimmen.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Günter Nooke.
Frau Präsidentin! Sehrgeehrte Damen und Herren! Wir reden hier heute überverfehlte Politik der rot-grünen Bundesregierung.
Beim Thema „Aufbau Ost“ wird dieses Scheitern beson-ders deutlich. Da der Bundeskanzler den Aufbau Ost aus-drücklich zur Chefsache erklärt hatte – was immer mandarunter verstehen mag –, muss auch mit dem Nichtstunbeim Thema „Aufbau Ost“ und in den neuen Bundeslän-dern sein ganz persönliches Scheitern verbunden werden.Deshalb, Herr Kanzler, haben Sie hier nichts zu diesemThema gesagt, obwohl Sie fast eine Stunde geredet haben.Es ist nichts getan worden. Sie hatten nichts zu berichten.Es wäre nur peinlich gewesen, wenn Sie das Thema über-haupt angesprochen hätten.Die Zahl der Arbeitslosen in Ostdeutschland, an der Siesich messen lassen wollten, ist im Osten trotz Abwande-rung 2,3-mal so hoch wie im Westen.
Entweder sind Ihnen die Menschen egal oder Sie müsstenin den nächsten Monaten wenigstens versuchen, da etwaszu tun.
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Klaus Hagemann20083
Der Aufbau Ost ist unter Ihrer Führung zum Ab-schwung Ost verkommen.
Das Wirtschaftswachstum liegt hinter dem in den altenBundesländern. Es ist erstmals seit der Wiedervereini-gung zurückgegangen. Das Ziel einer selbsttragendenWirtschaftsentwicklung ist in weite Ferne gerückt. In denneuen Bundesländern herrscht trotz positiver Daten inSachsen und Thüringen Rezession. Wir stehen nicht amRande einer Rezession, wir stehen knietief drin. Die Wirt-schaftsdaten sind sogar noch schlechter als die Stimmung.Das will viel heißen.Auch der Bundeshaushalt 2002 zeigt in die falscheRichtung. Denn Sie streichen noch an Stellen, wo es zwin-gend notwendig wäre, mehr zu machen. Ich will nur ei-nige Punkte ganz kurz ansprechen.Die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse-rung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ in den neuenBundesländern wurden um 300 Millionen DM gekürzt.Sie wurden unter Rot-Grün in den letzten Jahren um fast25 Prozent reduziert. Seit der Wiedervereinigung hattesich diese Gemeinschaftsaufgabe aber zu einer tragendenSäule des wirtschaftlichen Aufschwungs in den neuenLändern entwickelt.Sie hatte aber noch eine andere Bedeutung: Die GA-Ost-Mittel wurden zur Kofinanzierung von Regionalbei-hilfen für die neuen Bundesländer genutzt, die anerkannteZiel-1-Fördergebiete der EU sind. Jetzt kann dasFördervolumen nicht mehr voll ausgeschöpft werden,weil 250 Millionen Euro GA-Ost-Mittel in den Haushal-ten fehlen. Die neuen Bundesländer könnten mehr Mittelder EU abfordern, wenn die Bundesregierung nicht auchnoch bei der Gemeinschaftsaufgabe Ost sparen würde.
– Der versteht das – glaube ich – nicht.
– Dass er nicht da ist, ist das Problem Ihrer Koalition,
wenn Sie sich das bieten lassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, als Vertreterder Opposition will ich nicht bestreiten, dass auch gespartwerden muss. Ich will davon ausdrücklich auch die neuenLänder nicht ausnehmen. Ich hätte jetzt Herrn Schwanitznoch gefragt,
was eigentlich aus seiner Liste geworden ist, die er einmalversprochen hat. Wenn es um den Aufbau Ost geht, sindnämlich immer die falschen Zahlen im Umlauf.
Real haben wir 1998 bei vielleicht 38 bis 40Milliardenechten Transferleistungen angefangen. Heute liegen wirweit unter 35 Milliarden, wahrscheinlich näher bei30 Milliarden. Aber Herr Schwanitz traut sich nicht mehr,das zu sagen, weil er dann zugeben müsste, wie viel auchim Osten gespart wurde.Dafür redet aber Arbeitsminister Riester Montag frühim Frühstücksfernsehen immer noch von jährlichen Zah-lungen für die neuen Länder von 100 bis 150 Milliarden.Das kann natürlich so nicht stehen bleiben. Entwederkennt er die aktuellen Zahlen nicht oder er will bewusst ir-reführen. Diese Summen erwecken doch den Eindruck,der Osten sei ein Fass ohne Boden. Sie erzeugen Neid imWesten und Wut im Osten.Die Diskussion „Der Osten kostet zu viel“ oder „Die daim Osten können den Rachen nicht voll genug bekom-men“ ist eine Spalterdebatte.
Was hat eigentlich die deutsche Teilung gekostet und wel-che Gefahren waren mit der deutschen Teilung verbun-den? Welche Chancen sind, verglichen damit, mit derWiedervereinigung für uns alle in Ost und West gege-ben? Statt diese zu nutzen, passiert nichts.
Hören Sie endlich auf, mit den Schulden infolge der Wie-dervereinigung Ihre verfehlte Haushaltspolitik zu recht-fertigen!
Wenn Sie schon vom Geldausgeben reden, dann kannich Ihnen noch ein Beispiel nennen. Mit der Ökosteuernehmen Sie an den Tankstellen im Osten mehr ein, alsdie Menschen dort zurückbekommen. Weitere Wegedurch dünnere Besiedlung, längere Fahrzeiten zur Arbeit– wenn man überhaupt eine findet –, mehr Rentner, we-niger Beitragszahler, keine Großindustrie mit Aus-nahmeregelungen: Auch das gehört in die Haushaltsde-batte.
Sehr verehrte Damen und Herren, wie sieht es aber fürdiejenigen aus, die ihr Schicksal konkret in die eigenenHände nehmen wollen? Ich will dabei nicht nur von Geldreden, sondern auch sagen, dass die Rahmenbedingungen,die Sie gesetzt haben – Ausweitung des Betriebs-verfassungsgesetzes, Gesetz zur Scheinselbstständigkeit,Vergabegesetz, Teilzeitanspruch, Neuregelung der630-Mark-Jobs –, die Situation gerade für die neuenBundesländer erheblich verschlechtern. Das, was im Wes-
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Günter Nooke20084
ten schon schwer verträglich ist, bedeutet für viele klei-nere und mittlere Unternehmen im Osten den Tod.
Die fragilen Strukturen in Ostdeutschland halten dieseBelastungen nicht aus. Unter solchen Bedingungen wer-den auch neue Existenzgründerinitiativen nicht erfolg-reich sein; unter diesen Bedingungen hätte übrigens auchdie Wirtschaft in Westdeutschland in den 50er- und 60er-Jahren nicht aufgebaut werden können. Wir brauchenmehr Freiheit für eigene Wege, gerade in den neuen Bun-desländern.
Ich bin sogar sicher, dass viele alte Bundesländer diesenWegen folgen und sie mitgehen würden.
Wir brauchen im föderalen System BundesrepublikDeutschland mehr Flexibilität, Experimentierklauseln,Öffnungsklauseln und zum Beispiel auch die Möglich-keit, von Bundesgesetzen bzw. Bundesstandards abzu-weichen,
wenn diese durch der Situation besser angepasste Lan-desgesetze ersetzt werden können. Das kennen Sie, dashat auch Ihr Altbundeskanzler Helmut Schmidt im Okto-ber in der „Zeit“ geschrieben.
Sie tun aber nichts und fordern nicht einmal Ihre Regie-rung auf, etwas zu tun.
Es wird einen weiteren Zuwachs an Arbeitslosigkeitgeben, wenn die Klein- und Kleinstbetriebe in der Bau-wirtschaft – oftmals ist man ja nur aus Not Unternehmer,weil man woanders keine Arbeit gefunden hat, sich dannin die Selbstständigkeit geflüchtet und einen Betrieb ge-gründet hat – zum Beispiel durch das Vergabegesetz, dashier schon angesprochen wurde, gezwungen werden,ortsübliche Tarife zu zahlen, das heißt also, wenn sie imWesten arbeiten, die Tarife, die dort gelten. Das hält dieostdeutsche Bauwirtschaft vom Markt in den alten Bun-desländern fern, nicht aber die westdeutschen Bau-betriebe vom Markt in den neuen Ländern. Da wäre aucheinmal ein Wort der großen Ostinteressenvertretung PDSgefragt, aber dort hört man ja inzwischen auch eher aufGewerkschaftsfunktionäre als auf die Menschen imOsten.
Das Schlimme an dem Ganzen ist doch, dass dann,wenn künftig auch noch die Kleinunternehmen Pleite ge-hen, die Schlussfolgerung gezogen wird, Selbstständig-keit lohnt sich nicht. Wir brauchen im Osten einen selbst-tragenden Aufschwung. Den gibt es aber nur dann, wennsich Leistung und Eigenverantwortung lohnen. Statt jedenoch so kleine Eigeninitiative zu unterstützen und zu pfle-gen, wirft die von SPD und Grünen gestellte Bundes-regierung diesen Menschen Knüppel zwischen die Beine.So etwas ist hinterfotzig.
Damit machen Sie das Beste, was wir in den neuen Bun-desländern haben, kaputt, nämlich die Einsatzbereitschaftder Menschen. Das zerstört dann die Zukunftsaussichtenwirklich endgültig. Insofern dürfen Sie nicht mehr langeregieren.
Ich habe gehört, dass auf den Fluren des Kanzleramtesseit längerem
– so ist mir berichtet worden – der Spruch umgeht, dassSie im Osten auf die „passive Sanierung“ setzen.
– Hören Sie einmal zu, vielleicht kennen Sie das nicht. –Sie setzen darauf, dass die arbeitswilligen Menschen ausden neuen Bundesländern, vor allem junge, schon nachSüd- oder Westdeutschland gehen und sich dort eine Ar-beit suchen. Ihnen ist quasi das Abwandern nicht nur egal,sondern sogar noch ganz lieb. Spätestens im Jahre 2006,16 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR, werde derdamit verbundene Geburtenrückgang dafür sorgen, dassüberhaupt nur noch wenige Jugendliche in Ostdeutsch-land eine Lehrstelle oder einen Arbeitsplatz suchen wer-den.
Dann sinke die Arbeitslosenquote und insbesondere auchdie Jugendarbeitslosigkeit in den Statistiken wie vonselbst und die Zahlen der neuen Bundesländer seien danngenauso wie die der alten. – Aber dann passiert in Ost-deutschland auch nichts mehr; „passiv saniert“ wird Ost-deutschland zum grünen Altenwohnheim. Will die Bun-desregierung wirklich diese Zukunft?Sie, Herr Bundeskanzler, wollten nicht alles anders,aber vieles besser und nichts schlechter machen. Ich kannnur sagen, Sie haben vieles schlechter gemacht. In diesertraurigen Hitliste nimmt das Thema Aufbau Ost unange-fochten den Platz eins ein.Danke.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Lothar Mark.
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-ginnen! Liebe Kollegen! Wenn einem bei einigen Beiträ-gen zu Ohren kommt, dass wir zu wenig für Ostdeutsch-land machen würden, dann, denke ich, liegt das daran,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Günter Nooke20085
dass entweder die Haushalte nicht richtig gelesen werdenoder man sich nur auf eine Zahl versteift.
Ich nenne einfach nur einmal für den Einzelplan 04, fürden ich hier spreche, einige Stichworte zum Bereich Kul-tur: Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten, StiftungPreußischer Kulturbesitz – diese bezieht zwar auch denWestteil Berlins mit ein, greift aber nach Ostdeutschlandüber –, für „Kultur in den neuen Ländern“ stellen wir al-lein 30 Millionen Euro zur Verfügung; Stiftung WeimarerKlassik, Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Wart-burg-Stiftung, Francke’sche Stiftung, Stiftung Luther-gedenkstätten, Bauhaus Dessau und viele andere mehrzeugen davon, dass intensiv Mittel nach Ostdeutschlandfließen.
Nach Aussagen des Deutschen Kulturrates vom25. November 2001 befindet sich die Bundeskulturpolitikauf der Zielgeraden. Bereits wieder in Vergessenheit ge-raten sind – weil eben doch schon als selbstverständlichangesehen – die Einrichtung des Ausschusses für Kulturund Medien, der eine ausgezeichnete Arbeit leistet, sowiedie Einsetzung eines Staatsministers beim Bundeskanzlerals Beauftragter der Bundesregierung für Angelegenhei-ten der Kultur und der Medien.Nun zu einzelnen Themen: Die Reform des Künst-lersozialversicherungsgesetzes im Frühjahr dieses Jahreszeigt, dass wir in der Koalition heiße Eisen anpacken, die16 Jahre lang einer Lösung harrten. Die Reform des Stif-tungssteuerrechts trat bereits im Januar 2000 in Kraft. Diezweite Stufe der Novellierung des Stiftungsrechtes stehtnoch aus. Ohne eine Reform des Stiftungszivilrechtsbliebe diese Stiftungsrechtsreform ein Torso. Kultur-staatsminister Dr. Nida-Rümelin und JustizstaatssekretärDr. Eckhart Pick haben deshalb eine Modernisierung desStiftungsprivatrechts noch in dieser Legislaturperiode zu-gesagt.
Als ein neues Thema wurde in dieser Legislaturperiodeendlich die Reform der beschränkten Steuerpflicht aus-ländischer Künstlerinnen und Künstler in Angriff genom-men. Die so genannte Ausländersteuer hat nach der 1996durch die alte Regierung vorgenommenen Erhöhung von15 auf 25 Prozent dazu beigetragen, dass immer wenigerKünstlerinnen und Künstler aus dem Ausland in der Bun-desrepublik auftreten. Es wird von einem Rückgang vonüber 30 Prozent gesprochen. Konsequenz daraus ist, dassnatürlich auch deutsche Künstlerinnen und Künstler we-niger Einladungen ins Ausland erhalten.Deshalb begrüße ich den Beschluss des Finanzaus-schusses, die Reform der Ausländersteuer einzuleiten.Künftig soll eine Freigrenze bestehen: Pro Auftritt sindbis zu 250 Euro je Künstler steuerfrei. Für höhere Ho-norare soll eine allmähliche Staffelung bis zu 25 Prozenteingeführt werden, die aber ab 2003 wiederum auf 20 Pro-zent reduziert werden soll.
Ich bin sehr erleichtert, dass die Bundesregierung mitdem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der vertrag-lichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künst-lern ein weiteres Problem aufgegriffen hat und dies einerLösung zuführen wird. Es ist an der Zeit, dass Urheberund ausübende Künstler einen gesetzlichen Anspruch aufeine angemessene Vergütung erhalten. Konkretisiert wirddiese Angemessenheit über gemeinsame Vergütungsre-geln, die die Verbände von Urhebern gemeinsam mit Ver-bänden von Werknutzern oder einzelnen Werknutzernaufstellen. Auf diese Weise bestimmen die Beteiligten ineinem konsensorientierten Verfahren selbst, was in ein-zelnen Bereichen der Kulturwirtschaft angemessen ist.Strukturelle Besonderheiten können und sollen hierbeiberücksichtigt werden. Dies ist ein guter und begehbarerWeg zur Sicherung der Urheberrechte.In der letzten Zeit hat die Diskussion über die Bun-deskulturstiftung die Gemüter sehr intensiv erregt. Es istuns gelungen, den Anfang für die Einsetzung einer Bun-deskulturstiftung zu schaffen, indem im Bundeshaushalt25 Millionen DM angesetzt werden.
Was uns niemand zugetraut hätte, ist, dass wir Verpflich-tungsermächtigungen für das nächste Jahr in Höhe von50 Millionen DM und für das Jahr 2004 in Höhe von75 Millionen DM eingetragen haben.
Ein Sabotageversuch der CDU/CSU in diesem Zusam-menhang ist gescheitert.
Der Kulturhaushälter Steffen Kampeter wollte, im Unter-schied zum sehr konstruktiven Kultursprecher Dr. NobertLammert, das Projekt torpedieren. Seine Begründung,Dr. Nida-Rümelin könne nach Gutsherrenart Staatsknetenach Belieben ausgeben, zeugt von erstaunlicher Un-kenntnis.
Die neu formulierte Zweckbestimmung begrenzt viel-mehr den Stiftungszweck – dies besagt auch schon der Ti-tel der Stiftung –: Förderung national und internationalbedeutsamer Vorhaben insbesondere zur kulturellen Inte-gration, Kooperation und Innovation über eine nationaleKulturstiftung.Nida-Rümelin hat ein überzeugendes Konzept für dieKulturstiftung vorgelegt.
Nun liegt der Ball auf dem Spielfeld. Es kommt darauf an,wie die Länder reagieren, ob sie ihre Zurückhaltung auf-geben oder ob sie bereit sind, sich im Rahmen diesergroßen Lösung einzubringen. Immerhin haben sowohl derRegierende Bürgermeister Wowereit als auch der CDU-Ministerpräsident Koch gegenüber der KulturpolitischenGesellschaft inzwischen konstatiert, dass sie bereit seien,die Meinungen der Kulturpolitischen Gesellschaft zu tra-
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Lothar Mark20086
gen, wonach hier Zukunftsfähigkeit für die Kultur ge-schaffen werde.
Am 20. Dezember können die Länder zeigen, wie ernstsie die Kulturförderung in der Bundesrepublik nehmenund inwieweit sie zur Kulturkooperation mit dem Bundbereit sind.
Der Kulturhaushalt des Jahres 2002 verzeichnetgemäß seiner besonderen Bedeutung einen deutlichenZuwachs im Verhältnis zum Haushalt 2001, und zwar eineSteigerungsrate von 3,06 Prozent.
Der Kulturhaushalt wächst somit überproportional imVergleich zum Gesamthaushalt. Damit ist es gelungen,punktuell sinnvolle Erhöhungen der Mittel für wichtigekulturelle Projekte, wie zum Beispiel die Kulturstiftung,zu ermöglichen.Neben den bereits erwähnten werden folgende Positio-nen verändert. Ich fasse zunächst einige kleine Bereichezusammen, die aufzeigen, dass wir bereit sind, uns umDetails zu kümmern. Es geht um die Erhöhung der Mittelfür die Stiftung sorbisches Volk, für das Stasi-Museum„Runde Ecke“, für das Hermann-Hesse-Jahr in Calw, fürden Seelter Buund und für die Villa Aurora. Größere Ver-änderungen nehmen wir bei der Förderung der Bundes-stadt Bonn vor in Höhe von immerhin 1,023 MillionenEuro plus eine Modifizierung bis zum Jahre 2010.Einen kleinen Betrag möchte ich erwähnen, weil ereine ganz besondere Geschichte hat. Wir haben eine ge-ringfügige Erhöhung der Mittel für die GedenkstätteBuchenwald vorgenommen, um die Geschichte der FirmaTopf & Söhne untersuchen zu lassen, die Verbrennungs-öfen für die Konzentrationslager hergestellt hat. Ichdenke, dass dies einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitungunserer Geschichte darstellt.
In Berlin haben wir beim Haus der Kulturen der Weltund bei den Berliner Festspielen noch einmal ordentlichaufgestockt, damit beide Einrichtungen, ihrem Sinne ent-sprechend, in der Bundeshauptstadt Berlin glänzen undKultur präsentieren können.
Ich will noch auf die Gedenkstätte Sachsenhausen hin-weisen, die 2 Millionen Euro für zusätzliche Gestaltungs-und Umbaumaßnahmen bekommt.Schließlich verweise ich auf den Auslandskanal derDeutschen Welle. Wir wollen, dass der deutsche Aus-landskanal Kooperationen mit ARD und ZDF eingehenkann. Damit würde ein lang gehegter Wunsch in Erfüllunggehen. Wir waren der Auffassung, dass eine entspre-chende Umsetzung der Pläne hinsichtlich des deutschenAuslandskanals jetzt erfolgen muss.Wenn man nicht zur Unterschrift käme, wäre das Projektin Zukunft wieder verbaut und die ganze Mühe wäre um-sonst gewesen.
Wir haben Verpflichtungsermächtigungen für dieJahre 2003, 2004 und 2005 festgelegt und liegen somitpro Jahr bei 5,113 Millionen Euro.Dieser kleine Auszug aus unserer Kulturbilanz zeigt,dass wir der Kultur im Land nicht nur einen höheren Stel-lenwert als die abgewählte Bundesregierung beimessen,sondern dass wir längst fällige Kulturförderkriterien erar-beitet haben und erarbeiten, Planungssicherheit gewähr-leisten, die Rahmenbedingungen verbessern und heiße Ei-sen anpacken. Dabei wird die Kulturhoheit der Ländervoll respektiert; dies ist inzwischen wirklich kein Diskus-sionsthema mehr.
Die Kultur ist bei dieser Regierung und den Koaliti-onsfraktionen in guten Händen. Schon bei den letztenHaushaltsberatungen kam bei den CDU/CSU-Reden dasWort „Kultur“ nicht vor. Ist das Programm? – Meine Ant-wort: Nein, das ist ein Zustand!
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Peter Hintze.
Frau Präsidentin! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Es ist eine gute Tradi-tion in diesem Parlament, dass die Außen- und Europa-politik mehr Übereinstimmung aufweist als anderePolitikbereiche. Dennoch denke ich, dass es gut ist, amSchluss dieser Debatte auch die Außen- und Europapoli-tik unseres Herrn Bundeskanzlers einmal einer kritischenWürdigung zu unterziehen. Zwar wissen wir seit kurzem,es muss nicht immer Kaviar sein, und der „Steiner des An-stoßes“ ist auch weggeräumt;
dennoch ist die Bilanz dieser Bundesregierung in der Eu-ropapolitik ernüchternd.Deutschland hat drei wertvolle Jahre in und für Europaverloren:
eine schwache Agenda 2000, ein trostloses Ergebnis vonNizza und die rote Laterne des letzten Platzes unter allenEurostaaten.Besonders kritisch aber ist der neue politische Zug, derin diese Regierung eingekehrt ist und der eine Abkehr vonder europapolitischen Tradition bedeutet, wie sie bei allenBundeskanzlern, von Konrad Adenauer über HelmutSchmidt bis Helmut Kohl, üblich und richtig war, nämlich
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Lothar Mark20087
dass in Europa kleine und große Staaten fair miteinanderumgehen.
Diese Regierung hat es fertig gebracht, erst unseremNachbarn, Freund und Partner Österreich mithilfe der an-deren Staaten in Europa zu drangsalieren und dann dasMissverständnis aufkommen zu lassen, es gebe in denFragen der internationalen Politik in Europa Staaten ers-ter und zweiter Klasse; denken Sie an das unselige Vor-treffen von Gent.
Die Integration Deutschlands in Europa hat uns Aner-kennung und einen Platz in der Welt gesichert. Wenn wirdiese Idee aufs Spiel setzen, wenn wir versuchen, Mini-großmacht zu spielen, wenn wir versuchen, nationalstaat-liche Rückfälle zu üben, dann wird das Deutschland undEuropa schaden. Deswegen fordere ich den Bundeskanz-ler auf, konzeptionell zu Europa zurückzukehren.
Viele Kommentatoren haben das Abstimmungsergeb-nis bei der Vertrauensfrage am 16. November als einenPyrrhussieg bezeichnet. Der Preis dieses Erfolges ist dieAuszehrung dieser Regierung. Was wird sein, wenn dieAnkündigung von Staatsminister Zöpel wahr wird undDeutschland in einem anderen Konflikt gefordert wird?Man kann diese Koalition nur einmal zusammenpressen.Wiederholen lässt sich das nicht. Ich sage Ihnen: Rostockhin, Nürnberg her – mit solchen politischen Kräften istkein Staat zu machen.
FürdieGlaubwürdigkeitdieserKoalitiongibt eseinePrü-fungsfrage, die jeder Abgeordnete im Bundestag und jederZuschauer zu Hause nachvollziehen kann. Diese Frage lau-tet:WiewürdeRot-Grünhandeln,wenndieRollenvertauschtwärenund sie nicht in derRegierung, sondern in derOpposi-tion säßen? Jeder kann sich ausmalen, was hier vor demReichstag los wäre, an der Spitze Heidemarie Wieczorek-ZeulundJoschkaFischer, dahinter die aufgehetztenMassen.
Sie würden demonstrieren wie damals, als Sie unterFührung dieses Bundeskanzlers – da war er noch nieder-sächsischer Ministerpräsident –, auf die Barrikaden gin-gen, nachdem die Amerikaner dem überfallenen Kuwaitzu Hilfe kamen. Meine Damen und Herren, bündnispoli-tische Glaubwürdigkeit wird daran deutlich, ob man in derOpposition dasselbe sagt wie in der Regierung oder obman sich so verhält wie diese unglaubwürdige Regierung.
Die gestern auf dem Petersberg begonnene Afghanis-tan-Konferenz unter Leitung der Vereinten Nationen istein Schritt in Richtung Frieden und eines politischen Neu-anfangs.
Ich stehe nicht an zu sagen – das ist einer der wenigenPunkte, in denen ich ausnahmsweise für einen Momentmit dem Bundeskanzler übereinstimme –, dass es auch füruns in Deutschland eine wichtige und gute Sache ist, dassdie streitenden Parteien versuchen, hier eine Friedensord-nung zu entwickeln.Ich will der Regierung gleich etwas mit auf den Weggeben:
Der Petersberg wurde jetzt als Tagungsort auserkoren. Erwird auch von allen Vertretern der Regierung gelobt. Ichhoffe, dass Sie sich auch nach dieser Konferenz daran er-innern und diesem für Deutschland und Europa wichtigenTagungszentrum die Bestandsgarantie geben, die sicher-stellt, dass der Petersberg der deutschen Außenpolitik er-halten bleibt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Bundes-kanzler hat heute in seinem – –
– Lieber Herr Schlauch, Sie sollten ausnahmsweise IhreUntugend des Zwischenrufens aufgeben und wenigstensam Schluss der Debatte zuhören!
Der Bundeskanzler hat uns heute in dieser Debattewortreich erklärt, warum die Arbeitslosigkeit in Deutsch-land so hoch und die Wirtschaftskraft so schwach ist.
Meine Damen und Herren, Deutschland braucht keinenKanzler, der wortreich Fehler begründen kann, und der er-klären kann, warum es so viele Fehlleistungen gibt.Deutschland braucht die Begründung einer neuen Politik,einer Politik für Wachstum und Arbeitskräfte. Das werdenwir leisten.
Ich schließe da-mit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über
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Peter Hintze20088
den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Die Fraktio-nen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen verlan-gen namentliche Abstimmung. Ich bitte alle Kolleginnenund Kollegen, bei der Stimmabgabe wie immer sorgfältigdarauf zu achten, dass Ihre Stimmkarten Ihren eigenenNamen und keinen fremden tragen.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, dievorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen be-setzt? – Das ist der Fall.Ich eröffne die Abstimmung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Dann schließe ich die Ab-stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift-führer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorlie-gen des Ergebnisses unterbreche ich die Sitzung.Die Sitzung ist unterbrochen.
Die Sitzung istwieder eröffnet.Ich gebe Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstim-mung über den Einzelplan 04, Geschäftsbereich des Bun-deskanzler und des Bundeskanzleramtes, bekannt: Abge-gebene Stimmen 614. Mit Ja haben gestimmt 323, mitNein haben gestimmt 291. Es gab keine Enthaltungen.
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Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer20089
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 613;davonja: 322nein: 291JaSPDBrigitte AdlerGerd AndresIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-InglauDr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm Julius BeucherPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigKlaus BrandnerAnni Brandt-ElsweierWilli BraseRainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannEdelgard BulmahnUrsula BurchardtDr. Michael BürschHans Martin BuryHans Büttner
Marion Caspers-MerkWolf-Michael CatenhusenDr. Peter DanckertChristel DeichmannKarl DillerPeter DreßenDetlef DzembritzkiDieter DzewasDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserPeter EndersGernot ErlerPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagLilo Friedrich
Harald FrieseAnke Fuchs
Arne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnKerstin GrieseAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl-Hermann Haack
Hans-Joachim HackerKlaus HagemannManfred HampelAlfred HartenbachAnke HartnagelKlaus HasenfratzHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogMonika HeubaumReinhold Hiller
Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterEike HovermannChristel HummeLothar IbrüggerBarbara ImhofBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerJann-Peter JanssenIlse JanzDr. Uwe JensVolker Jung
Johannes KahrsUlrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerUlrich KelberHans-Peter KemperKlaus KirschnerMarianne KlappertSiegrun KlemmerHans-Ulrich KloseWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannAnette KrammeNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelKonrad KunickWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherChristine LehderWaltraud LehnRobert LeidingerKlaus LennartzDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGötz-Peter Lohmann
Gabriele Lösekrug-MöllerErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß
Winfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkUlrike MascherChristoph MatschieHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggChristoph MoosbauerSiegmar MosdorfMichael Müller
Jutta Müller
Christian Müller
Franz MünteferingVolker Neumann
Gerhard Neumann
Dr. Edith NiehuisDr. Rolf NieseDietmar NietanGünter OesinghausEckhard OhlLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes PflugDr. Eckhart Pick
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer20090
Joachim PoßKarin Rehbock-ZureichDr. Carola ReimannMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterChristel Riemann-HanewinckelReinhold RobbeGudrun RoosRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Birgit Roth
Marlene RupprechtThomas SauerDr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-WalchRudolf ScharpingBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyDieter SchlotenHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Dr. Frank Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Carsten SchneiderDr. Emil SchnellWalter SchölerKarsten SchönfeldFritz SchösserOttmar SchreinerGerhard SchröderGisela SchröterDr. Mathias SchubertRichard Schuhmann
Brigitte Schulte
Volkmar Schultz
Ewald SchurerDr. Angelica Schwall-DürenRolf SchwanitzBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltAntje-Marie SteenLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseReinhold Strobl
Dr. Peter StruckJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesUta Titze-StecherAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Hans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGunter WeißgerberGert Weisskirchen
Jochen WeltDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelDr. Norbert WieczorekJürgen Wieczorek
Helmut Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDieter WiefelspützHeino Wiese
Brigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightUta ZapfPeter ZumkleyBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENVolker Beck
Angelika BeerMatthias BerningerGrietje BettinEkin DeligözDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellAndrea Fischer
Joseph Fischer
Katrin Göring-EckardtRita GrießhaberGerald HäfnerWinfried HermannAntje HermenauKristin HeyneUlrike HöfkenMichaele HustedtDr. Angelika Köster-LoßackSteffi LemkeDr. Helmut LippeltDr. Reinhard LoskeOswald MetzgerKerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsCem ÖzdemirSimone ProbstChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkRezzo SchlauchAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SimmertChristian SterzingHans-Christian StröbeleJürgen TrittinDr. Antje VollmerDr. Ludger VolmerSylvia VoßHelmut Wilhelm
NeinCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierDietrich AustermannNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannBrigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlOtto BernhardtHans-Dirk BierlingDr. Joseph-Theodor BlankRenate BlankDr. Heribert BlensPeter BleserDr. Norbert BlümAntje BlumenthalFriedrich BohlDr. Maria BöhmerSylvia BonitzJochen BorchertWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepePaul BreuerMonika BrudlewskyGeorg BrunnhuberKlaus Bühler
Hartmut Büttner
Dankward BuwittCajus CaesarManfred Carstens
Peter H. Carstensen
Leo DautzenbergWolfgang DehnelHubert DeittertAlbert DeßRenate DiemersThomas DörflingerHansjürgen DossMarie-Luise DöttMaria EichhornRainer EppelmannAnke Eymer
Ilse FalkDr. Hans Georg FaustAlbrecht FeibelUlf FinkIngrid FischbachDirk Fischer
Axel E. Fischer
Klaus FranckeDr. Gerhard Friedrich
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbNorbert GeisMichael GlosDr. Reinhard GöhnerPeter GötzDr. Wolfgang GötzerKurt-Dieter GrillHermann GröheManfred GrundHorst Günther
Carl-Detlev Freiherr vonHammersteinGottfried Haschke
Gerda HasselfeldtNorbert Hauser
Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen HedrichUrsula HeinenManfred HeiseSiegfried HeliasHans Jochen HenkeErnst HinskenPeter HintzeKlaus HofbauerMartin HohmannKlaus HoletschekJosef HollerithDr. Karl-Heinz HornhuesJoachim HörsterHubert HüppeSusanne JaffkeGeorg JanovskyDr. Harald KahlBartholomäus KalbSteffen KampeterDr.-Ing. Dietmar KansyIrmgard KarwatzkiVolker Kauder
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer20091
Eckart von KlaedenUlrich KlinkertDr. Helmut KohlNorbert KönigshofenEva-Maria KorsHartmut KoschykThomas KossendeyDr. Martina KrogmannDr. Hermann KuesWerner KuhnKarl LamersDr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertHelmut LampDr. Paul LaufsKarl-Josef LaumannVera LengsfeldWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Eduard LintnerDr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred LischewskiWolfgang Lohmann
Julius LouvenDr. Michael LutherErich Maaß
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelFriedrich MerzHans MichelbachMeinolf MichelsDr. Gerd MüllerBernward Müller
Elmar Müller
Bernd Neumann
Claudia NolteGünter NookeFranz ObermeierFriedhelm OstEduard OswaldNorbert Otto
Dr. Peter PaziorekAnton PfeiferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzMarlies PretzlaffThomas RachelHans RaidelDr. Peter RamsauerHelmut RauberChrista Reichard
Katherina ReicheErika ReinhardtHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberFranz RomerHannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseKurt J. RossmanithDr. Christian RuckVolker RüheAnita SchäferDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteHeinz SchemkenDr. Gerhard ScheuNorbert SchindlerChristian Schmidt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt
Michael von SchmudeDr. Andreas SchockenhoffDr. Rupert ScholzReinhard Freiherrvon SchorlemerDr. Erika SchuchardtGerhard SchulzClemens SchwalbeDr. Christian Schwarz-SchillingWilhelm Josef SebastianHorst SeehoferHeinz SeiffertDr. h. c. Rudolf SeitersWerner SiemannJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteCarl-Dieter SprangerWolfgang SteigerErika SteinbachAndreas StormDorothea Störr-RitterMax StraubingerMatthäus StreblThomas Strobl
Michael StübgenEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzAngelika VolquartzAndrea VoßhoffPeter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Klaus-Peter WillschBernd WilzWilly Wimmer
Matthias WissmannDagmar WöhrlAribert WolfElke WülfingPeter Kurt WürzbachWolfgang ZeitlmannBenno ZiererWolfgang ZöllerFDPIna AlbowitzHildebrecht Braun
Rainer BrüderleErnst BurgbacherJörg van EssenUlrike FlachHorst Friedrich
Rainer FunkeDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannJoachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherKlaus HauptDr. Helmut HaussmannUlrich HeinrichWalter HircheBirgit HomburgerDr. Werner HoyerUlrich IrmerDr. Klaus KinkelDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppJürgen KoppelinIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerDirk NiebelGünther Friedrich NoltingHans-Joachim Otto
Detlef ParrCornelia PieperDr. Günter RexrodtDr. Edzard Schmidt-JortzigGerhard SchüßlerDr. Irmgard SchwaetzerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsCarl-Ludwig ThieleDr. Guido WesterwellePDSMonika BaltDr. Dietmar BartschPetra BlässMaritta BöttcherEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Heinrich FinkDr. Ruth FuchsWolfgang GehrckeDr. Gregor GysiUwe HikschDr. Barbara HöllCarsten HübnerUlla JelpkeGerhard JüttemannDr. Evelyn KenzlerDr. Heidi Knake-WernerRolf KutzmutzUrsula LötzerDr. Christa LuftHeidemarie LüthPia MaierAngela MarquardtKersten NaumannRosel NeuhäuserChristine OstrowskiPetra PauDr. Uwe-Jens RösselGustav-Adolf SchurDr. Ilja SeifertDr. Winfried WolfEntschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver-sammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPUAbgeordnete(r)Müller , ManfredPDSDie Beschlussempfehlung ist damit angenommenworden.Ich rufe Punkt I. 17 auf:Einzelplan 05Auswärtiges Amt– Drucksachen 14/7305, 14/7321 –Berichterstattung:Abgeordnete Uta Titze-StecherDr. Elke LeonhardSteffen KampeterAntje HermenauDr. Werner HoyerDr. Barbara HöllEs liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion derCDU/CSU und der Fraktion der FDP vor. Nach einer in-terfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprachezwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch.Dann ist auch so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst derAbgeordnete Steffen Kampeter.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich hätte
an dieser Stelle der Münchner CSU-Abgeordnete Herbert
Frankenhauser sprechen sollen, aber er hat sich einer
Operation unterziehen müssen und befindet sich auf dem
Wege der Besserung. Er schaut wahrscheinlich zu. Ich bin
sicher, ich spreche im Namen des ganzen Hauses, wenn
ich ihm von dieser Stelle aus Genesungswünsche über-
mittle.
Ich schließe
mich dem an.
In der Debatte umden Außenetat stehen aus unserer Sicht drei Aspekte imVordergrund:Erstens. Wo stehen die deutsche Außenpolitik und derdeutsche Außenminister nach Vertrauensfrage und Partei-tagen?Zweitens. Welchen Stellenwert besitzen die deutscheAußenpolitik und ihre Schwerpunkte im Etat 2002?Drittens. Begreift die rot-grüne Machterhaltungsge-meinschaft – eine Koalition kann man das kaum nochnennen – auch die auswärtige Kulturpolitik endlich alswirkungsvolles Instrument der auswärtigen Politik?
Nach den vergangenen zwei Wochen bleibt der be-schämende Befund, dass die Erhaltung von Macht undPfründen alle wesentlichen außenpolitischen Debattenüberlagert hat. Was muss eigentlich die deutsche Öffent-lichkeit gedacht haben, als am vorvergangenen Freitagnach der Abstimmung über den größten Militäreinsatz derdeutschen Nachkriegsgeschichte die rot-grüne Koalitionfreudig Applaus spendete? Freudiger Applaus für einengroßen Militäreinsatz? – Nein, der Applaus war wohl eherdafür, dass diese Koalition gerade noch einmal davon ge-kommen ist.WirhabenindenMedienerlebt,dassviele, insbesonderevonBündnis 90/DieGrünen, kritisiert haben, dass es einenVerbund derVertrauensfragemit demEinsatz der Bundes-wehr gegeben hat. Leider haben wir auch erleben müssen,dass selbst auf demParteitag der Grünen in Rostock genaudieserVerbund aufrechterhaltenwurde.Daran konntemanerkennen, dass die Klage darüber offensichtlich mehr ge-heuchelt als ernst gemeint war. Die grüne Partei ist offen-sichtlich zumVizekanzlerwahlverein degeneriert.
Auch der deutsche Bundeskanzler hat in den vergan-genen Wochen seine Unglaubwürdigkeit in bündnispoliti-schen Fragen nachdrücklich belegt. Sein Angebot, mi-litärische Kapazitäten beizusteuern, schließt ausdrücklichKampfeinsätze aus. Die Vereinigten Staaten haben längstgemerkt, dass entsprechende Hilfsangebote der Deut-schen keine ernst zu nehmende Hilfe sind, wenn sie ansolch unrealistische Konditionen geknüpft sind.In den vergangenen Wochen hat der Bundeskanzler invielen Bereichen auf europäischer Ebene keine gute Figurgemacht.
Das Wort „Europa“ habe ich in der gesamten Debatte umdie Bekämpfung des Terrorismus kaum vernommen. Bi-laterale oder trilaterale Treffen schränken die Möglich-keiten für ein gemeinschaftlich orientiertes Handeln ein.Auch die Behinderung der Washington-Reise der EU-Troika durch nationale Eitelkeiten war keine Glanzleis-tung der deutschen Außenpolitik.Wir müssen eines bedenken: Durch Fehltritte undgroßspuriges Auftreten werden die kleineren Partner inEuropa verärgert. Gerade in den letzten Monaten hat sichgezeigt, dass die Gefahren des Terrors die Kapazitäten derNationalstaaten überschreiten. Wir sind auf europäischeLösungen angewiesen. Dies wird nach meiner Auffassungvon großem Nutzen sein.Lassen Sie mich zu den Haushaltsberatungen einigesim Detail sagen. Außenpolitik ist wesentlich auch Perso-nalpolitik. Die angemessene Ausstattung des auswärti-gen Dienstes mit qualifiziertem, motiviertem und leis-tungsbereitem Personal ist Anliegen aller Fraktionen imDeutschen Bundestag. Von daher war die Unterstützungdafür richtig, dass die Flexibilisierung der Stellenplänezwischen dem Inland und dem Ausland vorangetriebenwurde, um in angemessener Weise auf aktuelle Erforder-nisse einzugehen. Auch konnte eine Steigerung der Per-sonalreserve des Auswärtigen Amtes auf insgesamt100 Personen dazu führen, dass wir im Auswärtigen Amtauf unvorhergesehene Ereignisse flexibel reagieren kön-nen. Wir erwarten allerdings auch, dass der Parlaments-wille bei diesen Freiräumen nicht missachtet wird, son-dern dass diese Freiräume verantwortlich genutzt werden.Vor dem Hintergrund knapper Kassen in vielen Perso-nal- und Sachbereichen muss allerdings die an feudale Zei-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer20092
ten erinnernde Personalpolitik des Bundesaußenministersnachhaltig kritisiert werden. Explosionsartig wird die Zahlder Stellen im oberen Besoldungsbereich erhöht, zuletztunter dem Deckmantel des Antiterrorpakets. So werdenalte Kampfgefährten des Bundesaußenministers in hoheund höchste Positionen gehievt und von der Zentrale aussogar in Botschafterfunktionen gebracht, wie das BeispielChile eindrucksvoll und erschreckend zeigt. PR-Beratermit hohen und höchsten Gehältern werden aus Mitteln desAuswärtigen Amtes bezahlt. Ein besonders ärgerlichesBeispiel für die feudale Personalpolitik ist die Besoldungdes Leiters des Planungsstabes des Auswärtigen Amtes,der nach Zeitungsberichten den Außenminister vorrangigin Parteigremien des Bündnisses 90/Die Grünen vertritt.Folgerichtig müssten diese Personalkosten dem Finanzmi-nister anständigerweise von Partei oder Fraktion erstattetwerden.
Gleiches gilt auch für Herrn Volmer, der vor allen Din-gen die parteiinterne Öffentlichkeit ständig mit halbamt-lichem Gerede beruhigen will. Ich denke an seine Ankün-digung, der Militäreinsatz werde zwar beschlossen, abernicht begonnen. Dies war außenpolitisch fahrlässig, mehrvon parteitaktischen Motiven getragen und in der Sachefalsch und irreführend. Die Bekämpfung des Terrorsreicht weit über den nächsten Wahltermin hinaus.Die deutsche Öffentlichkeit wird auch daran interes-siert sein, zu erfahren, welche intelligenten oder wenigerintelligenten, aber in jedem Fall kostenträchtigen Lösun-gen für den einer breiteren Öffentlichkeit erst durch seineSprach- und Esskultur bekannt gewordenen und folge-richtig von seinen Aufgaben entbundenen KanzlerberaterSteiner gefunden werden. Hier droht ein weiterer politi-scher Versorgungsfall. Es wäre ein klärendes Wort von-seiten der Bundesregierung geboten, ob die Vermutungenzutreffen, dass mit einer Aufwertung des Chefs des Bun-deskanzleramtes zum Bundesminister zusätzlicher Spiel-raum geschaffen werden soll, um Spitzenbeamte im Bun-deskanzleramt und im Auswärtigen Amt zu besolden.Die Stellenaufstockung im Rechts- und Konsularbe-reich wird von uns hingegen unterstützt. Sie ist zwarknapp ausgefallen, aber in der Sache sehr berechtigt. Siehätte angesichts des Bedarfs angemessener sein können,wenn die Koalition mit Personalausgaben in anderen Be-reichen nicht so geaast hätte.Andere Fragen wie die der baulichen Sicherheit derAuslandsvertretungen – sie liegen nach den Terroran-schlägen eigentlich auf der Hand – bleiben unzureichendbeantwortet. Der Investitionsstau ist erheblich. Er wirdauf weit über 100 Millionen DM geschätzt.Erfreulich ist die Aufstockung der Mittel für dieKriegsgräberfürsorge im Etat 2002. Auf Vorschlag derCDU/CSU-Bundestagsfraktion wird im Frühjahr 2002die Regierung einen Vorschlag unterbreiten, der diezukünftige Arbeit des Volksbundes Deutscher Kriegsgrä-berfürsorge dauerhaft finanziell und politisch absichert.
– Herr Kollege Schmidt, da Sie an den Beratungen nichtteilgenommen haben, möchte ich klarstellen: Dieser Vor-schlag kam aus der CDU/CSU-Fraktion und wurde vonder Koalition aufgegriffen.
Das Anliegen, die Kriegsgräberfürsorge finanziell undpolitisch abzusichern, hat insbesondere der KollegeFrankenhauser mit viel Engagement in den vergangenenJahren unterstützt. Deswegen ist es erfreulich, dass esheute umgesetzt wird.Weiterhin ist es gelungen, den Umbau der Villa Borsigam Rande der Hauptstadt unter parlamentarische Kon-trolle zu stellen. Eine Nobelsanierung konnte so verhin-dert werden.In der Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ von Mon-tag beschreibt der neue Generalsekretär des Goethe-Insti-tuts die in seinen Augen wohl eher trostlosen Perspekti-ven der auswärtigen Kulturpolitik. Im entsprechendenEtat haben sich keine wesentlichen Änderungen ergeben.Der auf Sparflamme betriebene Dialog mit dem Islam istzu einer Strichaufzählung verkommen. Aber der dicksteHund ist beim Goethe-Institut passiert. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurde die Umwidmung von Stellen inProgrammmittel, die in den Fusionsverhandlungen zwi-schen Goethe-Institut und Inter Nationes zugesichert war,verhindert, sozusagen einkassiert. Die Initiative dazu gingvom Finanzminister aus. Dies ist sowohl vom Verfahrenals auch von der Sache her ein völlig inakzeptabler Um-gang mit den Mittlern der auswärtigen Kulturpolitik, derauch wesentlich das Verhältnis zwischen Parlament undRegierung berührt. Deswegen haben wir einen Ände-rungsantrag in dieser Sache eingereicht.
Auch die Ausstattung der politischen Stiftungen hätteim Hinblick auf den Dialog mit dem Islam erheblich um-fangreicher ausfallen können, als es die rot-grüne Koali-tion zu akzeptieren bereit war. Die Aufstockung beseitigtlediglich die größte Not, schafft aber kaum Möglichkeitfür Neues. Hier wäre Zusätzliches geboten.
Als eine erfreulicheNebenerscheinung– aber leider nurdas – muss da die gemeinsame Initiative aller Fraktionendes Parlaments gewertet werden, dieMittel fürAuslands-stipendien undAuslandsschulen anzuheben. DenMitbe-richterstattern sei an dieser Stelle Dank ausgesprochen fürein kooperatives Miteinander nicht nur in dieser Frage,sondern auch in manch anderen Fragen über die Frakti-onsgrenzen hinweg. Insbesondere der Kollegin Tietze-Stecher, die sich leider entschlossen hat, nicht wieder zukandidieren, sprechen wir unseren Dank aus. Ihr Sachver-stand wird der zukünftigen Opposition sicher fehlen.
Dank auch den Haushältern aus dem Auswärtigen Amtsowie dem Bundesfinanzministerium. Alles, was sie uns
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Steffen Kampeter20093
erfolgreich verschwiegen haben, werden wir bei dennächsten Haushaltsberatungen herausfinden.In der Substanz überzeugt dieser Etat nicht. Deswegenwird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihn ablehnen.
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Uta Tietze-Stecher.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Am Schluss war es ein echterKampeter: Meine Kolleginnen und Kollegen hätten beidem Lob für mich gern geklatscht. Das aber wurde ihnendurch den Nachsatz verwehrt.
Um den Schluss meiner Ausführungen vorwegzuneh-men: Auch ich empfand die Beratungen in meiner Be-richterstattergruppe zum Einzelplan 05, AuswärtigesAmt, als ausgesprochen kollegial. Da man nie weiß, aufwelcher Wegstrecke und in welcher Formation man dieKolleginnen und Kollegen wieder trifft – so abstraktmöchte ich das einmal darstellen –, ist es für mich ein de-mokratisches Erfordernis, mit ihnen kollegial umzuge-hen. Das heißt auch, gerade bei der außenpolitischen Ar-beit im Haushaltsausschuss nach Möglichkeit auf ihreWünsche einzugehen. Ein Verfahren des außenpoliti-schen Ausschusses hat mir immer imponiert: Er fasstkeine haushaltspolitischen Beschlüsse, sondern er debat-tiert den Haushalt möglichst in Anwesenheit der zustän-digen Haushälter und hofft, dass seine Wünsche ange-messen berücksichtigt werden. Insofern haben wir unsalle Mühe gegeben, entlang der politischen Linie, dienatürlich die rot-grüne Bundesregierung vorgibt, einigeWünsche zu erfüllen.Der Bundesetat 2002 ist der vierte und damit der letzteHaushalt in dieser Legislaturperiode, den die rot-grüneBundesregierung zur Debatte und zur Abstimmung vor-legt.
– Herr Kampeter, das überlassen wir den Wählerinnenund Wählern.
Wir haben gestern und auch heute eine sachliche,manchmal auch unsachliche, in jedem Fall aber eine um-fangreiche Debatte gehabt. Das ist auch gerechtfertigt;denn nach vier Haushalten ist ein bilanzierendes Urteil er-forderlich. Dies gilt auch für die Entwicklung des Einzel-plans 05,AuswärtigesAmt.Hier, HerrKampeter,muss icheinige Ihrer Bewertungen strikt zurückweisen. Ihre Ab-schweifungen zu den Hintergründen und Ergebnissen derParteitage von SPD und Grünen kommentiere ich nicht.
Auf die Personalpolitik der Regierung, speziell desAuswärtigen Amtes, wird der Minister eingehen. Esdürfte aber absolut nachvollziehbar sein – Sie waren 16Jahre lang an der Regierung und müssen das wissen –,dass sich die politische Leitung mit Personen ihres Ver-trauens zu umgeben hat, weil diese die Politik umzuset-zen haben. Das kann überhaupt nicht kritisiert werden.
Zum Personalbestand des Auswärtigen Amtes unddessen Entwicklung muss ich dem Außenminister unddem gesamten Amt ein großes Kompliment aussprechen:Sie haben sich in den vergangenen drei Jahren strikt undsolidarisch an die Sparauflagen gehalten und keine Extra-wurst verlangt. Das muss an dieser Stelle einmal festge-halten werden, auch wenn es im Amt hier und da ge-knirscht hat. Wir haben es gemeinsam geschafft – HerrHoyer war hier der Protagonist –, den R- und K-Bereich,also die Visastellen und das Rechts- und Konsularwesen,bis heute aus der jährlichen 1,5-prozentigen Kürzung he-rauszuhalten. Das verdient ein Lob und nicht die Mords-kritik, die Sie hier verbreitet haben.Ich zitiere aus der „Süddeutschen Zeitung“ von ges-tern, also fast aktuell:Die rot-grüne Haushaltspolitik mag ihre Schwächenund Widersprüche haben. Und doch gebührt Genos-sen und Grünen ein Lob. Die Koalitionäre haben inder Finanzpolitik eine Wende geschafft ...So ist es.
Herr Kollege Metzger von den Grünen hat dies gesternauf eindrucksvolle Art und Weise dargestellt.Wie wahr, so wie in Ihren Zeiten Sparpolitik unpopulärwar, Herr Kampeter, weil sie als soziale Kahlschlagpoli-tik praktiziert wurde, so gilt sie heute als Markenzeichenrot-grüner Regierungspolitik. Sie gilt als Nachweis fürden soliden Umgang mit Steuergeldern und als sozial ge-recht im Hinblick auf die Verantwortung, die wir für künf-tige Generationen tragen. Das nicht nur unmäßige, son-dern auch insbesondere für Arbeitnehmer belastendeSchuldenmachen, so wie Sie es gemacht haben, verurteiltder Bürger hingegen zu Recht als schlechte Politik.Der Haushalt 2002 steht insofern voll in der Konti-nuität und für Verlässlichkeit der rot-grünen Finanzpoli-tik. Das gab es früher nicht. Deshalb ist die Oppositionauch ein schlechter Ratgeber in Sachen Finanzen undHaushaltssanierung. Allein die Forderungen aus IhrenReihen ergäben, Ausgaben und Steuermindereinnahmenzusammengerechnet, ein Summe von 433 Milliar-den DM. Sie benötigten den doppelten Umfang des Bun-deshaushaltes; der Bürger behielte nichts in der Tasche.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den jüngs-ten Bericht der OECD. Er warnt ausdrücklich vor einerLockerung der Haushaltsdiziplin und einer Orientierungan den amerikanischen Konjunkturprogrammen. Das Bei-
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spiel Japan zeigt bestens, was das Ergebnis solcher Pro-gramme ist: ein immer höherer Schuldensockel. Wir se-hen in diesem Punkt genau wie die OECD keinen Anlassfür Konjunkturprogramme oder eine Lockerung derMaastrichter Kriterien.Von einem Kaputtsparen kann bei einem Haushaltsvo-lumen von knapp 500 Milliarden DM, die der Bund imnächsten Jahr ausgeben will, keine Rede sein. Das Aus-wärtige Amt hat die von ihm geforderten Einsparungendazu erbracht.Ich erinnere mich noch lebhaft an die Debatte über denBundeshaushalt für das laufende Jahr, an die Attacken ausIhren Reihen, Herr Kampeter, als Auslandsvertretungengeschlossen werden mussten, als Ausgaben für politischeStiftungen und Auslandsschulen gekürzt wurden, einneues Konzept für die Beschäftigung der Ortskräfte anden Auslandsvertretungen entwickelt wurde und – ohSchreck! – sogar Goethe-Institute schließen mussten. Daswar im Einzelfall nicht alles notwendig. Es lag daran, dassdas Auswärtige Amt – wie übrigens alle Ressorts – in derVergangenheit viel zu zögerlich darangegangen ist, Kos-tenstrukturen unter dem Gesichtspunkt der Effizienz zuanalysieren und zu reformieren. Aber unter einem heilsa-men Spardruck scheint das zu gelingen.Inzwischen arbeitet das Ministerium nämlich mitHochdruck an der Reform des auswärtigen Dienstes.Daraus werden sich garantiert Auswirkungen auf diehaushaltspolitische Situation ergeben. Durch eine Viel-zahl von Maßnahmen wird sich der auswärtige Dienst angewachsene Erwartungen und neue Herausforderungenanpassen. So überprüft das Ministerium alle Arbeitsberei-che mit dem Ziel einer Rückführung auf die Kernaufga-ben. Allerdings soll es keine Einbußen am Standard desServices geben.Als Reaktion auf die Auswirkung von Botschafts-schließungen – der Protest aus unseren Reihen erfolgteteilweise zu Recht; ich nenne das Stichwort Afrika – sollin Ländern, in denen wegen der entwicklungspolitischenZusammenarbeit ein erhebliches Interesse an unserer Prä-senz besteht, allerdings aus Geld- und Personalmangelkeine ausgebaute Botschaft aufrechterhalten werdenkann, die Vertretung als Kleinstvertretung mit ein bis zweiEntsandten fortgeführt werden. Herr Minister, diesesKonzept entspricht der von mir anlässlich der erstenSchließung einer Botschaft erhobenen Forderung nach in-telligenten, kreativen Lösungen in Zeiten des Rotstifts.
Inzwischen wissen wir, dass keine weiteren Schließungenvon Botschaften oder Generalkonsulaten durchgeführtwerden mussten. Auch das ist begrüßenswert.Auf der Agenda der Reforminitiative des AuswärtigenAmtes stehen neben Verwaltungsvereinfachung und Auf-gabenkritik aber auch die beabsichtigte Stärkung der Au-tonomie der Auslandsvertretungen durch Budgetierung,weitere Dezentralisierungsschritte und das Bemühen umeine verstärkte europäische Zusammenarbeit im Konsu-larbereich.Wenn Sie, Herr Minister, alle Vorhaben, die in den Ti-teln für das Personalmanagement, die Öffnung zur Zivil-gesellschaft, die Reorganisation der Strukturen der aus-wärtigen Kultur- und Bildungspolitik – Berichterstatterinzu diesem Bereich ist die Kollegin Dr. Elke Leonhard, dieauch auf das spezielle Problem der Goethe-Institute ein-gehen wird – aufgeführt sind, umsetzen und die Haushäl-ter sowie das Finanzministerium nach Prüfung der Ergeb-nisse den Eindruck gewinnen, dass sich diese Projekte aufder richtigen Schiene befinden, dann dürfen Sie sichersein, dass wir auch dafür zu gewinnen sind, die von Ihnensehnlichst erwünschte Zusammenlegung der Kapitel fürdie Zentrale und die Auslandsvertretungen zu be-schließen.Aber zurück zu den Details des Haushalts. Im Kabi-nettsentwurf umfasste der Einzelplan 05 – AuswärtigesAmt – ein Gesamtvolumen von rund 4,115 Milliar-den DM und lag damit um 0,6 Prozent unter dem Haus-halt dieses Jahres. Sein Anteil am Gesamthaushalt sacktevon 0,87 Prozent auf 0,85 Prozent ab.Nun haben wir im parlamentarischen Verfahren einigeSparstellschrauben lockern müssen – ich will das auch er-klären –, und zwar nicht im Hinblick auf Wahlkampf undWahlkampfgeschenke – das verbietet sich bei der Arbeitdes Auswärtigen Amts von selbst –, sondern im Hinblickauf einige objektive Erfordernisse.Die Finanzplanung 2000 bis 2003 wurde – völlig rea-litätsfremd – noch mit einem Dollarkurs von 1,68 DMaufgestellt und fortgeschrieben.
Bundesfinanzminister Eichel reagierte sofort und ange-messen. Bereits bei der Aufstellung des Kabinettsent-wurfs setzte er den Kurs auf 2,10 DM fest. Das wurde inder Bereinigungssitzung bestätigt. Das ist gerade für dasAuswärtige Amt besonders wichtig, weil dieser Haushalteinen hohen dollarkursabhängigen Ausgabenanteil imAusland hat und somit parallel zum Anstieg des Dollar-kurses eine zunehmende Unterdeckung bei den Betriebs-ausgaben entsteht – mit fatalen Folgen. Der Rückgriff aufnoch vorhandene überjährige Ausgabereste würde spezi-ell Investitionstitel treffen – das würde das verstärken,was Sie, Herr Kampeter, beklagen; das wollen auch wirnicht – oder aber es würden Kürzungen im politischen Be-reich notwendig, die wir auch nicht wollen.Ein weiterer Grund für die Aufstockung des Haushaltsist neben dem gestiegenen Dollarkurs das Ansteigen derPflichtbeiträge an internationale Organisationen. Auchdas ist eine Folge des Dollarkurses. Das war schon Themabei der letzten Haushaltsdebatte.Aufgrund von Mehrbedarf durch neue oder auch ver-längerte Missionen der VN sind im Regierungsentwurfzunächst 420 Millionen Euro angesetzt worden. Daswurde im Parlamentsverfahren auf 458 Millionen Eurooder 896 Millionen DM, also eine knappe Milliarde DM,erhöht. Rechnet man alle regulären internationalenBeiträge zusammen, dann beläuft sich dieser Batzen so-gar auf runde 1,1 Milliarden DM, das heißt auf 27 Prozentdes Gesamthaushalts des Auswärtigen Amtes oder auf
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immer noch 75 Prozent der Mittel in Kapitel 0502 „All-gemeine Bewilligungen“, in dem die politischen Aufga-ben zusammengefasst werden. Das ist eigentlich ein Di-lemma. Der auswärtige Etat sieht einigermaßenpassabel aus – etwas über 4 Milliarden DM –, aberwenn man genau hinguckt, dann stellt man fest, dass einknappes Drittel für Pflichtaufgaben benötigt wird. Dasheißt im Umkehrschluss, dass die Manövriermasse fürpolitische Aufgaben sehr, sehr gering ist und immer ge-ringer wird.Im Kapitel „Allgemeine Bewiligungen“ haben wir ein-vernehmlich die Mittel für gesellschaftspolitische Maß-nahmen der politischen Stiftungen um 1,5 Millionen DMerhöht, um nicht nur die Fortführung der von den Stiftun-gen geleisteten außerordentlich guten politischen Arbeitzu stabilisieren, sondern um vor allem auch den politi-schen Aufbauprozess in Mazedonien abzustützen.
Gerade die Stabilisierung dort im Rahmen einer konflikt-präventiven Strategie ist ein gutes Beispiel dafür, dass dieKonfliktprävention ein Leitprinzip deutscher und interna-tionaler Mazedonien-Politik ist.
Die am 16. November nach wochenlangem Hin undHer durch das mazedonische Parlament beschlossenenVerfassungsänderungen stellen eine wichtige Grundlagefür das künftige friedliche Zusammenleben der slawi-schen und albanischen Bevölkerungsteile in Mazedoniendar und sind insofern auch eine Legitimation für das haus-hälterische Gebaren.Dieser Erfolg ist nicht ausschließlich der Einsicht derBetroffenen zu verdanken, sondern vor allem dem ent-schlossenen internationalen Engagement, nicht zuletztaber auch dem Bundeswehreinsatz, der entscheidend zurDeeskalation beigetragen hat.
Ich weiß, es ist einigen nicht leicht gefallen, aber die langeumstrittene Parlamentsentscheidung im Fall Mazedonienkonnte nur erreicht werden, weil der Einsatz der Bundes-wehr konfliktbewältigend gewirkt hat. Es bleibt zu hof-fen, dass das innerethnische Zusammenleben dank weite-rer finanzieller Hilfe weiter unterstützt durch denStabilitätspakt sowie das Stabilisierungs- und Assoziie-rungsabkommen der EU gelingt.Wir wissen nicht erst seit der Bereitstellung von300 Millionen DM jährlich für den Stabilitätspakt inSüdosteuropa, dass Frieden seinen Preis hat, besonders,wenn er erst geschaffen werden muss, wie aktuell inAfghanistan.
Insofern ist der Bedarf für internationale Maßnahmen aufdem Gebiet der Krisenprävention, Friedenserhaltung undKonfliktbewältigung immens und immer höher als das,was schließlich etatisiert wird. Wir sind bei der Bewäl-tigung der finanziellen Lasten ja auch nicht allein aufder Welt.
Trotzdem möchte ich darauf hinweisen, dass die Mittelfür diesen Bereich – dasselbe gilt für den Titel „Huma-nitäre Maßnahmen“ – im letzten Jahr, also gültig für die-ses Jahr, im parlamentarischen Verfahren um jeweils rund20 Millionen DM erhöht wurden. Das hat der Finanzmi-nister immerhin akzeptiert.
Er hat die Mittel verstetigt – das muss man wirklich ge-bührend loben –, wenn auch auf einem um jeweils etwa5 Millionen DM etwas abgesenkten Niveau.In Richtung Finanzministerium möchte ich sagen: Füruns als Parlamentarier ist das nur erträglich, weil im An-titerrorpaket, das über 3 Milliarden DM Finanzmasseverfügt, Kompensation für das Auswärtige Amt zu erwar-ten ist. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dassdie Krisenentwicklung nach den Terroranschlägen vom11. September dieses Jahres auch das Auswärtige Amt vorvöllig neue Herausforderungen stellt. Diese Herausforde-rungen hinterlassen nicht nur im Bundeshaushalt Spuren,sondern auch im Auswärtigen Amt. Wir als Haushälterhaben diese 3 Milliarden DM im Einzelplan 60, Allge-meine Finanzverwaltung, etatisiert.
– Das war sachlich richtig, weil wir den Mittelabflussbeobachten müssen, weil wir sehen müssen, ob mit demGeld auch das getan wird, was wir damit verbinden.50 Prozent sind für militärische Sicherheit vorgesehen.Das Auswärtige Amt erhält aus dem 3-Milliarden-Paket225 Millionen DM, wovon es die Hälfte für die Verbesse-rung des Personen- und Objektschutzes in gefährdetenAuslandsvertretungen verwendet. Das, was Sie monieren,wird getan, Herr Kampeter.
Ihre Kritik geht ins Leere. Ich muss nicht jede Auslands-vertretung sichern, sondern nur die gefährdeten. Die Be-obachtungen der Botschafter vor Ort sind wohl authen-tisch.Die zweite Hälfte der Mittel aus dem Antiterrorpaketfür das Auswärtige Amt dient der Verstärkung politischerMaßnahmen, speziell im humanitären Bereich, auf demGebiet der Terrorismusprävention und Terrorismus-bekämpfung, zum Aufbau und zur Verbesserung der Be-ziehungen zur islamischen Welt, Stichwort „Dialog undBegegnung mit dem Islam“ und auch – das ist ausdrück-lich im Maßnahmenpaket angemerkt – zur Anhebung derPflichtbeiträge und freiwilligen Leistungen für Missionenund Projekte der OSZE. Ferner ist die Unterstützungfür internationale Maßnahmen zur Krisenprävention,Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung genannt.
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Uta Titze-Stecher20096
Ich erwarte daher, dass das Auswärtige Amt aus diesenMitteln die Arbeit von international agierenden Organisa-tionen und Einrichtungen wie IKRK, Unicef, UNHCRund UNRWA, das Flüchtlingswerk für palästinensischeFlüchtlinge unter dem Schirm der UNO, – ich erspare mirdie ganze Latte, Sie kennen die Organisationen – unter-stützt, sodass die Maßnahmen dieser Organisationendurch die politischen Ausgaben des Antiterrorpaketes ver-bessert werden können.Wir Berichterstatter für den Einzelplan 05 werden denMittelabfluss im Verlauf des Haushaltsvollzugs genau-estens beobachten und uns durch regelmäßige Berichteinformieren lassen. Denn eines muss klar sein: Die Mittelfür die militärische Aktion, das heißt für die Bereitstellungvon deutschen Streitkräften bei der Unterstützung dergemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegendie USA, müssen in einem gesellschaftlich akzeptablenVerhältnis zu den Mitteln stehen, die der Abwendunghumanitärer Katastrophen und dem WiederaufbauAfghanistans nach über zwei Jahrzehnten Krieg undZerstörung dienen.
Sonst werden Sie Akzeptanzschwierigkeiten nicht nur indiesem Land bekommen.Die militärischen Mittel sind aus unserer Sicht unver-zichtbar und die Grundvoraussetzung für einen Erfolg derhumanitären und politischen Bemühungen, Mazedonienals Modell. Aber sie müssen in einen umfassenden huma-nitären und politischen Zusammenhang eingebettet wer-den. Insofern ist es richtig, wie heute die „SüddeutscheZeitung“ schreibt – ich zitiere eine Schlagzeile –, „imFrieden zu planen, während der Krieg tobt“. So viel zurKonferenz in Bonn.Im Zusammenhang mit den entsetzlichen Terror-anschlägen vom 11. September ist vieles geschrieben undgesprochen worden, hier im Plenum, in den Medien, aufParteitagen, in Amerika. Man mag manche Aussprüche,Analysen, Schlussfolgerungen und Perspektiven teilenoder nicht teilen: Eines aber ist allen bewusst geworden:Wir leben in einer Welt und kein Land ist unverwundbar,auch nicht der große Sieger des Kalten Krieges. Der in-ternationale Terrorismus ist eine Herausforderung für diePolitik, für das Militär, für die Justiz, nicht zuletzt für dieKultur, für uns alle.Die notwendige Bekämpfung weltweit operierenderterroristischer Netzwerke erfordert aber im Gegenzug einNetzwerk der internationalen Staatengemeinschaft.
Daher ist die Stärkung der Vereinten Nationen das Gebotder Stunde und die eigentliche Schlussfolgerung aus dem,was sich ereignet hat. Die Vereinten Nationen sind näm-lich die einzig legitimierte und akzeptierte Instanz zumSchutz von Frieden und Sicherheit in der Welt; sie bleibenfür die Lösung der globalen Probleme unverzichtbar.
Die Vereinten Nationen ersetzen kein Ordnungs-system. Ich hoffe, dass die durch die Selbstverweigerungder USAbisher entwerteten UN in eine neue Lage versetztwerden. Die UN könnten mit Unterstützung der USA alsOrt des Ausgleichs und des Kompromisses an Wert, Ge-wicht und Einfluss zunehmen. Ein Schritt auf diesem Wegwäre sicherlich die Anerkennung eines InternationalenStrafgerichtshofs durch die USA.
Anders als es in den USAvielleicht öffentlich bewusst ge-macht worden ist, könnte sich dieser bisher abgelehnteGerichtshof zu einem wertvollen Instrument der Terroris-musbekämpfung entwickeln. Das wäre eine Chance, deninternationalen Terrorismus zu ächten.Ein Wort zur aktuellen Afghanistan-Konferenz. Ichdenke, dass Bonn bewusst als Ort für die Afghanistan-Konferenz gewählt worden ist.
Seitens der Staatengemeinschaft verknüpft sich dieseWahl möglicherweise mit der Erwartung, dass Deutsch-land ein ganz besonders engagierter Partner ist, wenn esdarum geht, die in Bonn hoffentlich zustande kommendeninnerafghanischen Vereinbarungen bezüglich der politi-schen Prozesse abzustützen.Ich halte es daher für eine gute Entscheidung, dass derUN-Beauftragte für Afghanistan, Lakhdar Brahimi, aus-gerechnet nach Deutschland eingeladen hat. Herr Bun-desaußenminister, ich möchte Sie bei dieser Gelegenheitfür Ihr Engagement in dieser Sache – dasselbe gilt für IhreVermittlung im Palästina-Konflikt – ausdrücklich lobenund ich bedanke mich im Namen der Parlamentarier.
Frau Kollegin,
denken Sie bitte an die Zeit.
Ich sehe es.
Im Moment ist es allerdings mit Blick auf den begin-
nenden Winter ganz wichtig, die zur Verfügung stehenden
Mittel – es sind genug da – den hungernden und frieren-
den Flüchtlingen zu bringen. Deshalb hat Deutschland,
das den Vorsitz der Afghanistan Support Group hat, zu
einem neuen Treffen Anfang Dezember in Berlin einge-
laden.
Zum Thema „Bekämpfung des Terrorismus in den
Köpfen durch Dialog“ möchte ich Sie, Frau Präsidentin,
zitieren, und zwar ohne dass es mir auf die Redezeit an-
gerechnet wird.
Präsidentinnensind aber in Zeitfragen nicht bestechlich und auch sonstnicht.
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Uta Titze-Stecher20097
Sie gehen davon aus, dass
die zweite, dritte und vierte Generation der Terroristen be-
sonders gefährlich sind. Auf Deutsch: Der Terrorismus in
den Köpfen – es geht um die Bekämpfung von Feind-
bildern – muss angegangen werden. Dazu wird die Kolle-
gin Leonhard in ihren Ausführungen detailliert Stellung
nehmen.
Am Schluss – das ist meine letzte Rede zum Etat des
Außenministers – bedanke ich mich bei allen, die dazu
beigetragen haben, dass die Haushaltsberatungen für
uns nicht nur erträglich, sondern ersprießlich waren. Ich
bedanke mich insbesondere bei unseren Mitarbeitern in
den Büros, bei den Mitarbeitern des Haushaltsausschuss-
sekretariats, bei den Verantwortlichen im Auswärtigen
Amt sowie im Bundesfinanzministerium und nicht zuletzt
bei den Kolleginnen und Kollegen für die kooperative
Zusammenarbeit. Ein Extradank geht an den erkrankten
Kollegen Frankenhauser.
Wie ich sehe – ich weiß, was jetzt kommt –, möchte ein
Kollege etwas zum Thema Goethe-Institute sagen. Wir
werden auch für die Probleme auf diesem Gebiet eine
kooperative Lösung finden.
Ich denke, der Beifall ist gerechtfertigt. Ich bitte um
Zustimmung zum Etat des Außenministers.
Jetzt kommt die
eben angedeutete Kurzintervention. Das Wort hat der Kol-
lege Lammert, bitte.
Frau Präsidentin!Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe FrauTitze-Stecher, ich möchte unseren Dank für die gute Zu-sammenarbeit, die es in diesem Bereich über viele Jahrehinweg gegeben hat, mit dem Appell verbinden, bei derBewältigung eines Problems mitzuhelfen, woran wir, wieich glaube, gemeinsam ein herausragendes Interesse ha-ben müssen.Es hat in der Bereinigungssitzung des Haushaltsaus-schusses – ganz offenkundig weitgehend unbemerkt vonden Berichterstattern, jedenfalls nicht mit ihrer ausdrück-lichen Zustimmung – eine Absenkung des Betriebsmittel-haushalts des Goethe-Instituts gegeben, die man beifreundlicher Interpretation für eine bedauerliche Panneund bei weniger freundlicher Interpretation für einenpeinlichen Wortbruch halten könnte. Aufgrund der Fusioneingesparte Personalmittel werden nämlich nicht für eineVerstärkung der Programmarbeit des Goethe-Instituts be-reitgestellt.Die Erklärung, die auf Bitte von Berichterstattern inden letzten Tagen vom Finanzministerium zur Verfügunggestellt worden ist, kann insofern nicht beruhigen undnicht zufrieden stellen. Wenn Sie, Herr Diller, schreiben,dass die Absenkung des Betriebsmittelansatzes von119,8 Millionen Euro auf 119,4 Millionen Euro die Arbeitdes Goethe-Instituts „nicht über Gebühr beeinträchtigen“werde, dann wird man dem schwerlich widersprechenkönnen. Nur war es unsere erklärte Absicht, die Arbeit desGoethe-Instituts nicht nur nicht zu beeinträchtigen, son-dern nachhaltig zu fördern.
Es würde nicht schaden, wenn diese einvernehmliche Ab-sicht des Deutschen Bundestages auch im Finanzminis-terium mit dem nötigen Respekt zur Kenntnis genommenwürde.Frau Präsidentin, ich habe sämtliche einschlägigenProtokolle bei mir. Vom gemeinsamen Kommuniqué vonGoethe-Institut und Inter Nationes vom 11. August 1999über das Eckdatenpapier, das unter Hilfestellung derzuständigen Ressorts erstellt worden ist, über die Be-schlussvorlagen für die jeweiligen Mitgliederversamm-lungen, ohne deren Zustimmung eine solche Zusammen-legung gar nicht hätte erfolgen können, über unsereNachfragen in den Beratungen des Ausschusses für Kul-tur und Medien bis hin zu den übereinstimmenden Aus-künften der jeweiligen Vertreter der Ministerien haben wirüberall präzise den gleichen Befund. In allen Beschluss-vorlagen und Beschlüssen heißt es: Voraussetzung für denZusammenschluss dieser beiden Institutionen ist, dassauf diesem Wege eingesparte Personalmittel für eineVerstärkung der Programmarbeit zur Verfügung gestelltwerden. Herr Bundesaußenminister, beide betroffenenEinrichtungen haben dies in ihren Beschlüssen zurZustimmung zur Fusion ausdrücklich zur Voraussetzungihrer Zustimmung erklärt.Ich selber habe auf einer der letzten Sitzungen des Kul-tur- und Medienausschusses in Vorausahnung einer sol-chen möglichen Panne den Vertreter Ihres Hauses daraufhingewiesen, dass ihm dann Gott gnädig sein möge, fallsdie Bundesregierung an dem erklärten Willen dieses Par-laments vorbei handeln sollte.
– Ich nehme die Mischung aus Zustimmung und Resi-gnation von der Regierungsbank in der Weise auf, dassder Bundesaußenminister der Opposition ausdrücklichdankbar ist, wenn wir ihm helfen,
ihm und uns eine solche Peinlichkeit zu ersparen.
– Eben drum. Wir haben hier ja eine gemeinsame Posi-tion.Genau deswegen haben wir einen Änderungsantragvorgelegt, mit dem diese Panne – ich bleibe jetzt einmalbei dieser freundlichen Interpretation – ausgebügelt wird.Dazu haben wir keine Stellungnahme gehört.
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– Gleichwohl gehen wir, verehrter Kollege Schmidt, somiteinander um, dass wir uns nicht gegenseitig mit über-raschenden Anträgen überziehen.
Herr Kollege
Lammert, alles innerhalb von drei Minuten!
Ja, ganz genau.
Deswegen möchte ich die Kollegin Titze-Stecher, die
sich nicht ausdrücklich zu unserem Antrag geäußert hat,
bitten, uns eine Idee darüber zu vermitteln, ob dieser An-
trag mit der Zustimmung auch der Koalition rechnen kann
oder in welcher anderen geeigneten Weise sichergestellt
werden kann, dass der erklärte Wille des Deutschen Bun-
destages vollzogen wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier geht es nicht nur
um die künftige Programmarbeit des Goethe-Instituts.
Hier geht es auch um die Verlässlichkeit des Deutschen
Bundestages
und damit um eine der Mindestvoraussetzungen politi-
scher Kultur, für die das Parlament eine besondere Ver-
antwortung hat.
Frau Kollegin
Titze-Stecher, bitte.
Herr Kollege Lammert,
da ich diesen Antrag eben erst sehen konnte, aber die
Problematik natürlich schon seit gestern kenne, muss ich
sagen:
Erstens. Es ist richtig, dass wir bei der Fusion von
Goethe-Institut und Inter Nationes eine Fusionsrendite
in Höhe von 11 Millionen DM zugesagt haben, was nor-
malerweise nicht gemacht wird; denn von einer Fusion
erwartet man ja gerade eine Effizienz in Bezug auf Wirt-
schaftlichkeit, also eher Einsparungen. Wir haben das be-
wusst getan und haben gesagt: Wir lassen euch 11 Milli-
onen DM von den zu erwartenden Einsparungen für
Programmarbeit. Insofern ist es natürlich nicht gerade ein
geschicktes Signal, wenn man bei der jetzt erzielten
Fusionsrendite zugreift.
Zweitens muss ich Ihnen aber sagen, dass schon in die-
sem Jahr eine Fusionsrendite von 1,5 Millionen DM
erwirtschaftet wird und diese aufgrund eines eigenen
Haushaltsvermerks – auch ein Entgegenkommen des
Bundesfinanzministers – beim Goethe-Institut verbleiben
darf. Wenn man nun von den auch im nächsten Jahr wie-
der erwarteten 1,5 Millionen DM rund 800 000 DM ab-
zweigt, dann wird das Goethe-Institut bei einem Etat für
Betriebsmittel von 240 Millionen DM nicht Blut und
Wasser schwitzen müssen. Da wir aber im Wort stehen
– insofern treffe ich mich wieder mit Ihnen –, werden wir
Kollegen uns alle gemeinsam um eine Lösung bemühen.
Ich kann mir vorstellen, dass eine Kompensation auch
aus dem politischen Bereich, aus dem 3-Milliarden-Paket,
kommen könnte. – Der Außenminister nickt.
– Ja, ich weiß. – Es finden sich darin nämlich nach An-
gabe des Auswärtigen Amtes so schöne Dinge wie „Dia-
log und Begegnung mit dem Islam“, außerdem Zusam-
menarbeit von Kulturinstituten, Goethe-Instituten und
Auslandsschulen. Ich denke, in diesem Titel ist eine ganze
Menge Holz enthalten. Wir werden da wahrscheinlich
eine akzeptable Lösung finden.
Herr Fischer ist in dieser Frage von uns, dem Parla-
ment, abhängig. Deswegen kann sein Nicken nur gedeu-
tet werden als „Ich bin erfreut“, aber er kann es nicht ent-
scheiden.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Werner Hoyer.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Gerne werde ich mich imLaufe meines Beitrages an diesem nachgeholten Be-richterstattergespräch beteiligen, weil auch ich mir bezüg-lich dieser Frage natürlich Sorgen mache. Ich möchtetrotzdem zunächst einen politischen Einstieg wählen.Spätestens in den letzten zehn Wochen haben wir ge-merkt, dass Außenpolitik wieder Konjunktur hat. Es hatja eine ganze Zeit lang so ausgesehen, als wäre die Außen-politik so eine Art Sonderthema ohne große innenpoliti-sche Relevanz, das in Luxusausschüssen behandeltwürde. Das ist anders geworden: Nie waren die Schnitt-stellen zwischen Außen- und Innenpolitik, speziell zwi-schen äußerer und innerer Sicherheit,
nicht zuletzt auch zwischen Außenpolitik, Außenwirt-schaftspolitik und Binnenwirtschaft so deutlich wie zur-zeit. Und das ist auch gut so.Überzogene Erwartungen für eine friedliche Welt – diehaben wir ja alle mehr oder weniger nach 1990 gehabt –sind nun brutal korrigiert worden. Die Einschläge kom-men näher; das spüren die Bürgerinnen und Bürger. Des-wegen hat Vertrauen in außen- und sicherheitspolitischeHandlungsfähigkeit und Kompetenz plötzlich wieder ei-nen hohen Stellenwert. Natürlich – das haben wir heuteMorgen debattiert – heißt das nun keineswegs, dass dielieben Kolleginnen und Kollegen von der Koalition undvor allem in der Regierung nicht bald wieder von den Bin-nenthemen eingeholt würden. Dazu ist die Bilanz auf demGebiet der Arbeitslosigkeit, bei Wachstum und Stabilitäteinfach zu katastrophal.
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Dr. Norbert Lammert20099
Aber nach dem 11. September werden Außen- und Si-cherheitspolitik und, wie ich hoffe, auch Europa- und Ent-wicklungspolitik auf der Themenrangliste nicht wieder sosehr abrutschen, wie es eine Zeit lang gedroht hat. Das sollder FDP nur recht sein. Seit Walter Scheel, Hans-DietrichGenscher und Klaus Kinkel wird außenpolitische Kom-petenz auf das Engste mit der FDP verbunden. Das wirdso bleiben und das werden wir nutzen.
In einer Krisensituation wie nach dem Desaster vonNewYork undWashington schlägt die Stunde der Exeku-tive. Sie hat diese genutzt.Abgesehen von der PDS hat dieOpposition, ganz sicher wir Liberalen, sie dabei unter-stützt. Wir haben dies aus voller Überzeugung getan: zumeinen, weil der Terroranschlag vom 11. September einAn-schlag auf die Grundwerte der gesamten freien Welt war,dem man nun auch entschlossen und geschlossen entge-gentreten muss; zum anderen, weil dies auch nicht dieStunde kleinkarierter parteipolitischer Taktiererei war undist. Insofern hat der Bundeskanzler zunächst einmal Glückgehabt. Aber nicht nur die wirtschaftlichen Realitätenwerden ihn einholen, sondern auch die strukturellen Defi-zite seiner Regierung; denn die sind ja durch das Kri-senmanagement der letzten Wochen nicht plötzlich ver-schwunden, sie sind eher noch deutlicher geworden.Da ist der Verteidigungsminister, dem in diesemSommer sein „sound judgement“, sein gesundes Urteils-vermögen, abhanden gekommen ist. Die Herausforderun-gen der letzten Wochen haben ihn im wahrsten Sinne desWortes zunächst einmal über Wasser gehalten. Aber in ei-ner Phase, in der die Soldaten der Bundeswehr mögli-cherweise in den gefährlichsten Einsatz ihrer bisherigenGeschichte geschickt werden, ist der Inhaber der Befehls-und Kommandogewalt nur begrenzt handlungsfähig,
weil er a) nachhaltig Vertrauen und Autorität verlorenhat – und das nicht nur national und innerparteilich, son-dern auch international –, weil jetzt b) alle Fehler einerverfehlten und halbherzigen Bundeswehrreform sichtbarwerden und er c) jetzt auch noch das Pech hat, dass FrauFugman-Heesing mit ihrem Abgang als Chefin der unse-ligen GEBB die Finanzierungsillusion zum Platzen ge-bracht hat, die Herr Scharping im Hinblick auf seinen ka-tastrophal unterfinanzierten Haushalt möglicherweiseselber noch gehegt hat.
Als Zweites kommt dem Bundeskanzler dann nochsein außenpolitischer Berater durch eine Affäre abhan-den, deren Peinlichkeit und Armseligkeit den Verdachtnahe legen, dass hier nur ein Tropfen das Fass zum Über-laufen gebracht hat, das längst randvoll mit Pleiten, Pechund Pannen war. Armes Deutschland!
Die dritte internationale Schwächung haben ihm danndie Grünen beigebracht. Die Welt hat mit Staunen beob-achtet, dass die deutsche Handlungsfähigkeit wochenlangan dem seidenen Faden der Ungewissheit hing, ob es demBundeskanzler mit seiner erpresserischen Verbindung ei-ner Abstimmung über eine Sachfrage mit dem Stellen derVertrauensfrage gelingen würde, einer hinreichendenAn-zahlgrünerKollegendochnochdasGewissenabzukaufen.Das heißt doch, dass alle unsere Partner wissen: Jedeweitere außenpolitische Entscheidung von einiger Trag-weite kann diese deutsche Regierung zum Kippen brin-gen. Oder gilt für den Rest der Legislaturperiode wirklichschon die Devise von Ministerpräsident Gabriel aus Nie-dersachsen: „Die Grünen lassen wir jetzt nicht mehr in derVoliere fliegen; wir gehen zur Käfighaltung über: Einbisschen Flattern dürfen sie noch, aber in der Koalitionbleiben müssen sie schon.“
Herr Fischer hat seine grünen Truppen in Rostock nurdadurch an der Fahnenflucht hindern können, dass er diezentrale deutsche Rolle beim politischen und wirtschaft-lichen Wiederaufbau Afghanistans in der weltweiten prä-ventiven Entwicklungspolitik in den Vordergrund gestellthat. Aber es ist schon erbärmlich, dass von der Bundes-luftwaffe – offenbar wieder aus Rücksicht auf grüne Be-findlichkeiten – deutsche humanitäre Hilfe und militäri-sches Material für unsere amerikanischen Freunde vonRamstein gerade einmal bis in die Türkei geflogen wer-den. Die Reststrecke überlassen wir dann vorsichtshalberdoch lieber wieder den anderen.
Lassen Sie mich zu einigen grundsätzlichen Erwägun-gen kommen, die mir bei der Analyse der Entwicklung derAußenpolitik der letzten Monate und Jahre aufgefallensind:Erstens. Wir sind uns in diesem Hohen Hause einig,dass wir uns nicht auf die militärische Dimension derKonfliktlösung reduzieren dürfen und wollen. Was unsLiberale und die Mehrheit des Hauses auf der einen Seiteund die PDS und einen Teil der Grünen auf der anderenSeite trennt, ist, dass wir der Meinung sind, dass man dieAugen vor der Notwendigkeit, auch militärisch handelnzu können und repressiv vorgehen zu müssen, nicht ver-schließen darf.
Aber der transkulturelle Dialog, eine ganz neue An-strengung, die festgefahrene Rüstungsbegrenzungs-,Abrüstungs- und Proliferationspolitik wieder flottzuma-chen – da höre ich übrigens von dieser Bundesregierungverdammt wenig –,
und ein sehr viel größeres Engagement in der Entwick-lungszusammenarbeit, das muss zweifellos im Vorder-grund stehen.All dies weist – Kollegin Titze-Stecher hat zu Recht da-rauf hingewiesen – den Vereinten Nationen eine bedeu-
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Dr. Werner Hoyer20100
tende Rolle zu. Viele haben ja schon geglaubt, die Stundedes Multilateralismus habe endlich geschlagen. Aus demsehr besonnenen amerikanischen Verhalten, aus dem ge-zielten Streben nach einer globalen Antiterrorkoalitionund einem UN-Sicherheitsratsbeschluss und last, but notleast nach dem Begleichen eines Teils der Beitragsrück-stände der USA haben manche den Schluss gezogen, dieAmerikaner hätten ihr Verhältnis zur UNO und zum Mul-tilateralismus geändert. Schön wär’s! Ich warne vor die-ser Interpretation.
Amerika wird sich nach dem tiefsten Schock, der brutals-ten Verletzung seines Selbstverständnisses und Selbstbe-wusstseins seit Pearl Harbor von niemandem abhängigmachen. Das ist für uns umso mehr ein Anlass, an derStärkung des Multilateralismus zu arbeiten. Wir habenhier eine andere Interessenlage.
Das heißt, wir müssen unsere amerikanischen Freunde da-von überzeugen, dass es in unser aller Interesse liegt, sichden UN nicht nur dann zuzuwenden, wenn einem geradeein Sicherheitsratsbeschluss nützlich erscheinen mag.Zweitens. Was mich noch mehr beunruhigt, ist dieKonsequenz für die nordatlantische Allianz. Die USAhaben nicht einen Moment daran gedacht, in der gegen-wärtigen Situation die NATO mit ihren tief integriertenmilitärischen Strukturen und mit ihren Potenzialen zu nut-zen. Aus Sicht der USA mag das verständlich sein, weilsie 90 bis 95 Prozent der Leistung erbringen müssen. Siehaben es deshalb nicht besonders gern, wenn die anderenin ihrer Umständlichkeit auch noch mitreden wollen.Für uns Deutsche ist die Interessenlage eine andere.Wir müssen daran interessiert sein, das wichtigste Bünd-nis, dem wir je angehört haben und das das erfolgreichsteBündnis in der gesamten Geschichte ist, zu stärken und zuerhalten.
Passen wir auf, dass nach den hoffentlich erfolgreichenBemühungen um Afghanistan und gegen den Terrorismusam Ende das wichtigste und erfolgreichste Militärbündnisaller Zeiten nicht als Verlierer auf der Strecke bleibt!
Drittens. Ähnliches gilt für die Europäische Union.Wo war sie eigentlich in den letzten Wochen und Mo-naten?
Natürlich ist die ESVP noch nicht da; das weiß ich auch.Gemeinsames militärisches Handeln ist also noch nichtmöglich. Aber auch politisch war die EU ein ziemlicherAusfall. Die Bundesregierung hat dazu durchaus beige-tragen.
Zum einen holen uns die versäumten Reformen von Niz-za ein. Zum anderen – das ist noch gefährlicher – grassie-ren das Kontaktgruppensyndrom und die Versuchung, zuklassischer nationalstaatlicher Machtpolitik in Ad-hoc-Koalitionen zurückzukehren, wie das die so genanntenGroßen – Berlin, Paris und London – so gerne betreiben.Das unterminiert den europäischen Integrationspro-zess. Dessen Logik hat immer darin bestanden, die Klei-nen mit an Bord zu nehmen, damit sie ihre Interessen beiFragen einbringen können, bei denen sie sonst aufgrundihrer geringeren Machtfülle keine Rolle spielen würden.Es gehörte zu den wichtigsten Prinzipien deutscher Euro-papolitik, dieser Logik immer den notwendigen Stellen-wert einzuräumen.
Das missglückte Dreiertreffen von Gent
und der misslungene Versuch, ein weiteres Treffen inLondon zu organisieren, haben erheblichen Schaden an-gerichtet. Wir werden zu Laeken und zur Europapolitik inder nächsten Sitzungswoche noch ausführlich diskutie-ren. Deshalb möchte ich es bei diesen Bemerkungen be-lassen.Ich möchte aber noch einen Punkt anführen. Wir habenunter Bauchschmerzen Nizza aus zwei Gründen zuge-stimmt: Erstens wollten wir nicht einen Funken des Ver-dachts aufkommen lassen, wir würden denjenigen in dieHände spielen wollen, die mit der Osterweiterung oh-nehin nichts im Sinn haben. Zweitens hatten und habenwir die starke Erwartung, dass von Laeken ein starkes undsehr konkretes Aufbruchsignal sowohl hinsichtlich derReform der Institutionen als auch hinsichtlich der Verfas-sungsdebatte im Rahmen des Post-Nizza-Prozesses aus-geht.
Hoffen wir, dass die Bundesregierung alles unternimmt,damit wir nach Laeken nicht schon wieder vor einemScherbenhaufen enttäuschter Erwartungen stehen.Der Bundeskanzler und auch Sie, Herr Bundesaußen-minister, haben doch völlig Recht: Nach dem 11. Septem-ber ist Europa wichtiger als zuvor. Wir brauchen mehr Eu-ropa und nicht weniger. Eine solche Katastrophe wie dievom 11. September kann auch eine Katalysatorfunktionhaben, indem ein in sich nicht mehr bewegliches System,das völlig festgefahren ist, plötzlich durch diesen externenSchock wieder beweglich gemacht werden kann. Nutzenwir also diesen weiß Gott großen externen Schock!Vierzehn Minuten erlauben leider keine geschlosseneTour d’Horizon der Außenpolitik im Rahmen der Haus-haltsdebatte. Deswegen will ich mich auf zwei Punktekonzentrieren.Der erste Punkt ist die auswärtige Kulturpolitik. Ichbedanke mich für die Bemerkungen, die hierzu schon ge-macht worden sind. Wir haben den Ansatz der Bundesre-gierung ganz bewusst an zwei Stellen qualitativ verändert.Wir haben im Konsens der Berichterstatterinnen und
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Dr. Werner Hoyer20101
Berichterstatter, für den ich mich insbesondere bei dir,liebe Uta, bedanken möchte,
die du dort sehr segensreich gewirkt hast, zwei Akzentegesetzt. Der erste Akzent liegt auf einer stärkeren Interna-tionalisierung unserer Hochschulen durch eine Stärkungder Stipendiumprogramme für ausländische Studierende.Der zweite Akzent bezieht sich auf die Auslandsschu-len. Die Auslandsschulen sind ein Juwel in unserer Hand.
Sie sind von größter bildungspolitischer, kulturpoliti-scher, aber eben auch von friedenspolitischer, außenpoli-tischer und außenwirtschaftspolitischer Bedeutung. Man-che von ihnen pfeifen aber aus dem letzten Loch.Deswegen brauchen wir auf diesem Gebiet eine Offen-sive. Wir haben hier einen ersten Ansatz entwickelt, fürden ich sehr dankbar bin. Wir müssen weiter vorankom-men. Wir brauchen in den nächsten Jahren eine großeInitiative zur Stärkung der Auslandsschulen. Sonst wer-den mehr und mehr Kinder deutscher Diplomaten,Wirtschaftsvertreter oder Journalisten lieber internatio-nale Schulen besuchen als unsere eigenen und sonst wirdes mit der Anerkennung der Abschlüsse unserer Aus-landsschulen noch schwieriger werden.Zum Goethe-Institut ist eben das Wichtigste gesagtworden. Das Goethe-Institut hat natürlich kein Monopolauf auswärtige Kulturpolitik, aber es ist der wichtigsteund der größte Mittler. Eine weitere Schließung vonGoethe-Instituten kommt für uns nicht infrage. Im Ge-genteil, gerade da, wo wir gegenwärtig Krisen haben,brauchen wir mehr und nicht weniger Institute.Aber die eigentliche Sauerei, die hier passiert ist, istdas Einkassieren der Fusionsrendite durch den Finanzmi-nister. Ich bin sehr dankbar, dass hier auf den letzten Me-tern der Versuch gemacht wird – ich hoffe da auf dasWohlwollen der Koalition –, das noch zu korrigieren. Hiermüssen wir als Parlament unsere Meinung durchsetzen.
Mit uns ist ohnehin schon im Zusammenhang mit der Fu-sion von Goethe-Institut und Inter Nationes übel Schlittengefahren worden. Ich denke daran, wie mit uns umgegan-gen worden ist, als es um die Besetzung der Organe derAufsichtsgremien des fusionierten Instituts ging.
Zum Schluss zum Haus selbst. Es ist ein sehr schönesHaus und es ist verständlich, dass Herr Fischer so sehr umsein Haus kämpft.
Dieses Haus verlässt niemand gerne; ich weiß, wovon ichrede. Aber es wäre viel wichtiger, Herr Minister, Sie wür-den nicht um Ihr Haus, sondern für Ihr Haus kämpfen. Diewesentlichen Strukturprobleme, gerade im Personalbe-reich, lösen Sie nicht, wenn Ihr Hauptansinnen ist, sich alsMusterschüler bei der Konsolidierung des Haushalts zugerieren. Es gibt kein Haus, in dem so viele Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter – bei denen ich mich für dieBewältigung ihrer irrsinnig großen Arbeitslast sehr herz-lich bedanken möchte –
mit einer so schlechten Stellenstruktur auskommen müs-sen. Das war immer so, Herr Fischer. Wir haben aber injedem Haushalt, wenn auch in kleinen Schritten, Verbes-serungen erzielt. Sie verzichten jedoch von vornherein da-rauf, mit dem Finanzminister zu kämpfen. Das halte ichfür einen großen Fehler.
Wir haben seitens des Parlaments ein paar Verbesse-rungen durchgebracht, aber auch im Haushalt muss demStellenwert des Internationalen und der Außenpolitikmehr Rechnung getragen werden. Sonst haben Sie einGlaubwürdigkeitsproblem nicht nur in Ihrer Menschen-rechtspolitik und in vielen anderen Politikbereichen, son-dern auch im eigenen Hause.Herzlichen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Helmut Lippelt von
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichhabe mich den Vormittag über und noch mehr bei der letz-ten Rede gefragt, warum die FDP eigentlich so sauer ist.
Herr Westerwelle stolzierte wie ein Storch hier herum undsprach von „grünen Fröschen“, die er gern an die Wandwerfen, vielleicht lieber noch fressen wolle.
– Ich zitiere Westerwelle; von ihm kam dieser Spruch.
Dann haben Sie, Herr Präsident, über den „Unterwer-fungsparteitag“ gesprochen und Sie, Herr Hoyer, habenvon einem seidenen Faden und einem Gewissen, das unsin Rostock abgekauft worden sei, geredet.Herr Solms, Sie haben ja unseren Kollegen OswaldMetzger angesprochen,
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Dr. Werner Hoyer20102
sich bei ihm für die schöne Arbeit bedankt und bedauert,dass Sie ihn nicht mehr sehen. Ich glaube, Sie werden ihnnoch länger sehen, aber mich nach der nächsten Wahlnicht mehr. Deshalb kann ich zum Schluss ja einmal sa-gen, was mich bei dieser allgemeinen Einschätzung im-mer sehr geärgert hat.Ich habe vor 20 Jahren den zweiten Parteitag der Grü-nen geleitet, auf dem wir das Friedensmanifest von 1981verabschiedet haben.
– Ihr habt euch nicht weiterentwickelt, deshalb könnt ihrdas jetzt so sagen. – Zentrale Sätze waren: Nicht demOsten, nicht dem Westen, sondern untereinander loyal.– Wir sind loyal nicht zu Regierungen, sondern wir sindloyal zu Bewegungen. – Dabei dachten wir an Solidar-nosc, die wir besucht haben, wo ich selten oder eigentlichnie einen FDP-Abgeordneten getroffen habe, von den an-deren Parteien durchaus. Wir dachten an die Charta 77,wir dachten an die russischen Dissidenten. Es ist ja keinZufall, dass die grünen Kontakte sehr stark waren.Warum? Weil wir von einer Situation ausgingen, in derzwei Militärblöcke, mit hundertfachem Overkill gerüstet,einander gegenüberstanden, und weil wir wussten, dassdie Raketen, die hier stationiert werden sollten, das, wassie vorgaben, nicht leisten konnten, nämlich das Land unddie Bevölkerung zu schützen. Denn in dem Moment, indem man sie wirklich hätte einsetzen müssen, wären Landund Volk draufgegangen.Nun will ich nicht vergangene Streitigkeiten noch ein-mal führen. Ich will nicht den Streit führen, den Sie vor20 Jahren mit Vorgängern von mir geführt haben. Eineswill ich Ihnen aber sagen: Sie sollten sehr vorsichtig seinund, bezogen auf die Grünen, nicht immer sagen, dasssich bei denen jemand verbiegt und an seinem Sesselklebt. Nein, wir sind einen sehr konkret nachzuzeichnen-den Weg von einer Friedensbewegung hin zu einer Frie-denspolitik gegangen, wie sie heute hier von den Grünenvertreten wird und wie sie in dem Hause, welchem Sie sosehr nachtrauern, hoffentlich noch sehr lange vertretenwerden wird.
– Ja, das musste gerade Ihnen gesagt werden.
– Mit großem Vergnügen könnte ich dazu etwas sagen;weshalb denn nicht? Wissen Sie – – Naja, gut.
– Ich sage es einmal so: Ich bin gerne in der SPD gewe-sen und wäre nie in die FDP, die Partei der Besserver-dienenden, gegangen.
Ich war gerne in der SPD, habe aber auch sehr gerne dieGrünen mitbegründet.Im vorigen Jahr hat der Kollege Lamers hier bemerkt,dass der Haushalt 05 leider nur die Hälfte dessen umfasst,was die Engländer oder die Franzosen für ihreAußenpoli-tik ausgeben. In Deutschland sind es 0,77 Prozent des Ge-samtvolumens. Anderorts sind es 1,35 Prozent und1,31 Prozent. Das ist richtig. Er hat aber vergessen hinzu-zufügen, dass dieser Haushalt vor zehn Jahren ein Volu-men in Höhe von 1 Prozent imVerhältnis zum Gesamtvo-lumen aufwies. Es ist bis zum Eintritt der rot-grünenRegierung auf genau diesen bedauerlichenWert gesunken.Ich habe nun nachgerechnet und festgestellt, dass wirvon den 0,77 Prozent jetzt bei 0,87 Prozent angekommensind. Wenn ich das umrechne, erkenne ich, dass das einemAnstieg von 13 Prozent entspricht. Ich bin trotzdem derMeinung von Herrn Lamers, dass das immer noch zu we-nig ist. Ich bin auch der Meinung, dass die Außenpolitikdieses Deutschlands vergleichbar ausgestattet sein musswie die Außenpolitik Englands und Frankreichs.
In diesem Jahr wurde ein wesentlicher Anfang gemacht.Wir hoffen auf die Regierung, die Opposition und unsereeigenen Fraktionen, damit dieser Anteil in den nächstenJahren sukzessive weiter gesteigert wird.
Die Anhebung, die wir in diesem Jahr erreicht haben,geht nur in geringem Umfang auf die Zusatzmittel nachdem 11. September zurück. Ihre Erhöhung entsprichtmehr den Erwartungen, dass sich Deutschland verstärktinternational engagiert. Der deutsche Außenminister unddie deutsche Diplomatie zeigten sich solchen Erwartun-gen gewachsen: Ich erinnere an den Fischer-Plan zur Be-endigung des Kosovo-Kriegs, an den von Deutschlandinitiierten Stabilitätspakt, an die vom Außenminister nichtgesuchte, dann aber entschieden aufgenommene Vermitt-lungstätigkeit im Nahost-Konflikt und an die intensiveBeteiligung Deutschlands bei der Suche nach einer Post-Taliban-Lösung, die nun dazu geführt hat, dass Deutsch-land Gastgeber der ersten Konferenz der verschiedenenafghanischen Gruppierungen auf dem Petersberg ist.
Ich denke, es ist gut, dass Deutschland in der Lage war,in diesem Jahr mit knapp 100 Millionen DM für die hu-manitäre Hilfe in Afghanistan ein Viertel der Gesamt-mittel, die in der EU aufgebracht worden sind, zur Verfü-gung zu stellen. Ich finde es auch gut, dass der deutscheAußenminister auf dem Petersberg jetzt 160 MillionenDM als deutschen Anteil an einer zukünftigen Wiederauf-bauhilfe für Afghanistan in Aussicht stellen konnte. Diesalles ist gut und richtig. Wir müssen der Außenpolitik ei-nen größeren Handlungsspielraum geben; denn wir wis-sen, dass eine gute Außenpolitik zugleich eine gute Prä-vention bedeutet und eine gute Prävention zugleich einegute Friedenspolitik ist.
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Dr. Helmut Lippelt20103
Deshalb sollten wir uns alle einig sein, den Etat in Zukunftweiter aufzubessern, und zwar über das Niveau diesesJahres hinaus.Ich möchte jetzt noch drei Bemerkungen anschließen:Erstens. Wir erleben gegenwärtig einen tief greifendenUmbruch derAllianzen. Seit dem Jahr der Gründung derUN selbst waren sich deren Mitglieder im Sicherheitsratnoch nie so einig wie jetzt, wo es um die Bekämpfung desinternationalen Terrorismus geht. Deshalb erleben wir un-ter diesem Stichwort jetzt auch eine Phase entschiedenerSetzung internationalen Rechts. Das sage ich gerne inRichtung PDS; denn daraus müsste für deren Verhalten ei-gentlich auch etwas folgen.Dabei ist die neue Bestimmung der Position Russ-lands, seine Öffnung zum und seine bewusste Veranke-rung im Westen, politisch besonders wichtig. Dies ist vonuns allen in der Rede Putins vor dem Plenum des Bun-destages besonders deutlich wahrgenommen worden.Dennoch werden wir weiter verlangen müssen, dassRussland den Krieg in Tschetschenien beendet, und zwarpolitisch,
und ihn nicht dem Stichwort „Bekämpfung des Terroris-mus“ subsumiert. Der Weg dahin ist jetzt endlich einge-schlagen worden durch ein erstes Gespräch zwischen demBevollmächtigten Putins und einem Bevollmächtigten desgewählten tschetschenischen Präsidenten Maschadow.Wir werden auch darauf bestehen müssen, dass es wei-ter Pressefreiheit für regimekritische Journalisten gibt.
Es darf nicht sein, dass nach der Zerschlagung des Sen-ders NTV nun auch noch der letzte regimekritische Sen-der TV-6, bei dem eine Reihe jener kritischen JournalistenUnterschlupf gefunden hat, zur Schließung gezwungenwird.
Ich komme zum zweiten Punkt. Wenn die Suche nachden Hauptverantwortlichen für die Mega-Attentate inWashington und New York beendet ist, was, wie wir allehoffen, bald der Fall sein wird, und die Zerschlagung derTerrororganisation al-Qaida gelungen ist, wird in denUSA die Diskussion über die Komplizenschaft des iraki-schen Diktators immer lauter werden. Wer die in derPresse zutage tretenden Indizien nicht überliest, wird un-schwer feststellen können, dass sich die Beweise dafürhäufen. Da aber zugleich die politischen Bedenken gegeneine militärische Intervention im Irak nicht geringer wer-den, muss jetzt umso intensiver nach einer politischen Lö-sung gesucht werden, und zwar – dies mit der gebotenenVertraulichkeit – über alle zur Verfügung stehenden arabi-schen und russischen Kanäle.
Während sich nämlich der Iran in die Antiterrorkoalitioneinbringt und Libyen den Weg aus früherer Verstrickungin die Förderung terroristischer Aktivitäten zu neuer in-ternationaler Verbindlichkeit und Glaubwürdigkeit sucht,hat Saddam Hussein erneut Inspektionen bei Aufhebungder gegen sein Land verhängten Sanktionen abgelehnt.Ich denke, im Rahmen der deutschen und auch der eu-ropäischen Diplomatie müssen alle Kanäle genutzt wer-den, bevor wir vor der Frage stehen, ob wir auch hier Waf-fentreue zeigen müssen; dies hat Herr Glos heute frühbereits gefolgert. Ich denke, da liegt der Unterschied zwi-schen uns und Ihnen: Sie wissen, dass in den USA überSomalia und den Irak diskutiert wird, und Ihre erste Frageist: Sind wir im weltweiten militärischen Kampf gegenden Terrorismus auch dabei? Wir hingegen werden inten-siv nach politischen Lösungen suchen. Wir wollen nichtden militärischen Weg einschlagen.
Ich denke aber, dies ist ein Problem, das innerhalb derKoalition gelöst werden muss. Sie sind immer schnell da-rauf bedacht, mit Ja zu stimmen, und ärgern sich, wennwir Ihnen aus bestimmten Gründen Schwierigkeiten ma-chen, dort zuzustimmen, wo Sie gerne zugestimmt hätten.Sie sollten hier vielleicht etwas umdenken und einegrößere Nachdenklichkeit über die Art der Mittel, die hiereinzusetzen sind, an den Tag legen.Meine abschließende Bemerkung möchte ich zu Laekenmachen, wo in zwei Wochen der Europäische Rat zusam-mentritt. Ich bin Mitglied der Parlamentarischen Versamm-lung des Europarats. Ich finde es bedauerlich, dass auf derAgenda für den Konvent und später für die Regierungs-konferenz zwar die Anhebung der Grundrechte-Charta aufeine verbindliche Form steht, dass aber nicht der Beitritt derEU zur Europäischen Menschenrechtskonvention ansteht.Ich glaube aber, dass dies zusammen behandelt werdensollte. Das ist sehr wichtig, damit das Europa der 800 Mil-lionen, das Europa des Europarats, nicht zu einer anderenEntität wird als das EU-Europa.
Herzlichen Dank.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Wolfgang Gehrcke von der PDS-
Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Fraktion der PDS wirdden Haushalt des Auswärtigen ablehnen, weil wir wedermit dem Haushalt selbst noch mit der Grundrichtung derAußenpolitik einverstanden sind.
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Dr. Helmut Lippelt20104
Sofern meine Zeit reicht, werde ich dies im Einzelnen be-gründen.Vorweg möchte ich was zur Afghanistan-Konferenzbei Bonn sagen. Ich hoffe sehr, dass die Afghanistan-Kon-ferenz ein Erfolg wird. Ich hoffe sehr, dass endlich dieWaffen schweigen, dass mehr Überlebenshilfe in Afgha-nistan ankommt, dass die Grundlagen für einen berechen-baren Staat entstehen und dass die Menschen in Afghanis-tan, insbesondere die afghanischen Frauen, eine neueChance bekommen.
Ich sage dies, gerade weil ich weiß, dass ein Erfolg derKonferenz als Argument gegen meine Kritik an demKrieg benutzt werden wird – wie ich finde, fälschlicher-weise –:
für friedliche Lösungen alles, für kriegerische Lösungennichts.Ich verbinde dies mit der Forderung an die Bundesre-gierung, dafür einzutreten, dass nicht die Bilder vomKrieg gegen Afghanistan – noch immer wird Krieg ge-führt – durch neue Kriegsbilder aus dem Irak, aus Soma-lia oder aus anderen Ländern ersetzt werden. Ich würdesehr gern den Bundeskanzler heute Vormittag so verstan-den haben, dass er weitere militärische Aktionen – auchgegen den Irak oder Somalia – ausschließt. Zurückhaltendwaren seine Bemerkungen; ausgeschlossen hat er es nicht.
Ich möchte, dass die Regierung hier klipp und klar erklärt,dass sie weitere kriegerische Aktionen und die Teilhabeder Bundeswehr an solchen Aktionen ausschließt.
Ich meine, dass kann man von einer außenpolitischen De-batte erwarten.
Außenminister Fischer – jetzt lassen Sie uns überGrundrichtungen reden – sprach auf der Generalver-sammlung der Vereinten Nationen davon, dass die Welt-politik neu ausgerichtet würde. Er sprach von einer Ord-nungspolitik für das 21. Jahrhundert und von derNotwendigkeit einer Weltinnenpolitik.Wenn es stimmt,dass es um eine Neuausrichtung der Weltpolitik geht – da-ran habe ich keinen Zweifel –, muss man doch wohl hierim Bundestag darüber reden und diskutieren, in welcheRichtung die Neuordnung derWelt gehen soll und wel-ches der spezifisch deutsche Beitrag dazu ist.
Soll es in die Richtung der Vorherrschaft des Politi-schen vor dem Militärischen gehen? Dann bin ich einver-standen. Soll es in die Richtung des Ausgleiches, der Ko-operation, der sozialen Gerechtigkeit gehen? Das wäreeine europäische Handschrift nach dem Willen der PDS.
Oder sollen nach wie vor militärische Lösungen vor poli-tischen Lösungen stehen? Soll nach wie vor das Recht desStärkeren über der Stärke des Rechts stehen?
Ich glaube, dass diese Fragen hier beantwortet werdenmüssen.Dass es nur die eine Welt gibt, ist eine Binsenweisheit.Aus meiner Sicht ist aber fraglich, ob diese Welt immernäher zusammengerückt ist. Mir scheint, dass die Klüftein dieser einen Welt tiefer, schroffer und unversöhnlichergeworden sind.Die These von der Weltinnenpolitik halte ich für ganzgefährlich. Wenn man dieser These einer Weltinnenpoli-tik unter den heutigen Bedingungen folgen würde, wür-den militärische Aktionen zu Polizeiaktionen. Dannwürde die Frage aufzuwerfen sein, welches die Ord-nungsmächte dieser Welt sind. Die Ordnungsmächte sindnach der Realität die großen wirtschaftlichen und mi-litärischen Mächte, man könnte auch sagen, die G 8 undinsbesondere die USA, die dann sozusagen die Weltregie-rung bilden. Ich glaube, wer heute die These der Weltin-nenpolitik aufstellt, verbaut den Weg für kooperative Lö-sungen.
In diesem Zusammenhang muss man sich auch mitdem auseinander setzen, was Bundeskanzler Schröder inseiner Regierungserklärung vom 11. Oktober 2001 aus-geführt hat. Er sprach von einem neuen Selbstverständnisder deutschen Außenpolitik. Das passt zusammen: neueWeltordnung, neue deutsche Außenpolitik. Schröders Ge-dankenfolge war: Die Nachkriegsgeschichte ist abge-schlossen. Damit sind auch alle Deutschland betreffendenSelbstbeschränkungen hinfällig. Jetzt wird von Deutsch-land mehr als sekundäre Hilfsleistung erwartet, nämlichweltweite direkte Beteiligung an militärischen Aktionen.Die Rolle Deutschlands in der Nachkriegsgeschichtehat Franz Josef Strauß einmal so beschrieben: ökono-misch ein Riese, militärisch ein Zwerg. Weil der Bundes-kanzler die neue Rolle Deutschlands in der Welt – erspricht von Deutschland als großer Macht, dann könnteman wohl auch sagen: Deutschland als Großmacht – anden militärischen Fähigkeiten zum weltweiten Engage-ment festmacht, ist das Militärische eben nicht das lästigeBeiwerk, sondern ein zentraler Punkt.Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, waswäre, wenn Strauß dies noch hätte erleben können? Dieseneue Rolle Deutschlands in der Welt, ökonomisch und mi-litärisch ein Riese, kann aus meiner Sicht nicht dieGrundlinie deutscher Außenpolitik sein.
Strauß allerdings hat diesen Satz nationalstaatlich ge-meint. Schröder hat dies mit Vorherrschaft und Stärke inEuropa, in internationalen Organisationen übersetzt. Dasist ein bedeutsamer Unterschied. Dieser darf nicht
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Wolfgang Gehrcke20105
verkleistert werden. Deswegen gab es die Zustimmungzur neuen NATO-Strategie und zum Konzept der welt-weiten Intervention. Deswegen gab es diese Reform derBundeswehr. Darüber wird noch zu streiten sein. Deswe-gen gab es diesen Begriff der uneingeschränkten Solida-rität mit den USA.Wir sollten nicht weiter über Absichten, sondern überInteressen reden. Ich finde Interessen konkreter. Die USAbrauchen militärisch das Engagement Deutschlands nicht.Wir haben wenig, was die USA nicht haben. Sie wolltendieses Engagement, um Deutschland politisch in diesenProzess einzubinden. Es wäre umgekehrt die Frage zustellen, warum sich Deutschland so leicht hat einbindenlassen. Wenn man Einfluss daran festmacht, dass man mi-litärisch mitmacht und glaubt, darüber Einfluss nehmenzu können, wenn man das als die neue Rolle in der Welt-politik sieht, dann muss man sich an solchen Aktionen be-teiligen, um sich weltweit engagieren zu können und mitden Großen der Welt mitzuspielen. Das ist die Konse-quenz der außenpolitischen Linie, wie die Bundesregie-rung sie entwickelt hat.Also sind es keine Differenzen in einzelnen Fragen zudiesem oder jenem Problem, obwohl diese gewichtig ge-nug sind, sondern es sind politisch ganz unterschiedlicheGrundrichtungen. Nicht die Frage, ob Deutschland einegroße Macht ist, ist entscheidend. Aus meiner Sicht istDeutschland natürlich eine Großmacht. Wichtig wäre fürmich, in welcher Richtung Deutschland seine Stärke indiesen weltweiten Auseinandersetzungen einsetzt. Ich bindafür, dass dort mit einer europäischen Handschrift ge-schrieben wird.
Europa ist mehr sozialerAusgleich und nicht Neolibe-ralisierung.EuropamusswiederAbrüstungunddasPrimatdes Zivilen sein. Europa muss insbesondere eine Koope-ration mit den benachteiligten Teilen der Welt, mit Län-dern, die weitestgehend abgeschrieben sind, betreiben.
Das ist etwas anderes als die Grundlinie der Außenpolitikder USA. Wenn man sich mit dem Versprechen der un-eingeschränkten Solidarität an die USAkettet, dann bleibtman angebunden.Lassen Sie mich abschließend ein paar Bemerkungenzum Haushalt selber machen. Den Haushalt des Auswär-tigen Amtes kritisiere ich, weil er wiederum gekürzt wor-den ist. Mehr Bedeutung für Außenpolitik, aber wenigerGeld ist schon eine seltsame Logik. Das muss man ersteinmal zusammenbringen. Das wird auch mancheSchwierigkeiten bereiten.Die Ausgaben für nicht militärische Ausstattungshilfe,Minenräumung, Krisenprävention, humanitäre Hilfe,freiwillige Beiträge für internationale Organisationen sta-gnieren auf dem ohnehin schon niedrigen Vorjahresni-veau. Das ist aus meiner Sicht nicht akzeptabel. Nicht ak-zeptabel sind auch die Kürzungen im Personalbereich.
Wer gute Arbeit will, muss gutes Geld zahlen und genü-gend Personal zur Verfügung stellen, sonst bekommt mandas nicht. Das sagen Ihnen die Beschäftigten, die Be-triebsräte und übrigens auch die deutschen Botschafter imAusland.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang, HerrKampeter, sagen, was mir an Ihrer Rede nicht gefallenhat. Sie hat mir insgesamt gar nicht gefallen, aber ein Satzhat mich besonders gestört. Hier wende ich mich auch anden Kollegen Hoyer. Man kann über Herrn Steiner imAuswärtigen Amt sehr unterschiedlicher Auffassung sein.Ich kann mich nicht erinnern, dass ich in den drei Jahren,in denen ich ihn kenne, mit ihm in irgendeiner Frage ein-mal einer Meinung war. Aber in dieser Art nachtreten,wenn jemand am Boden liegt, ist menschlich unkorrekt.Das sollten wir lassen. Das gehört sich nicht. Das ist keinepolitische Auseinandersetzung.
Zusammenfassend: Sie haben einen Haushalt der Sta-gnation vorgelegt. Wenn es sich nur um eine Stagnationdes Geldes handeln würde, wäre es schlimm genug. AberIhr Haushalt ist ein Haushalt der geistigen Stagnation. Daswerden Sie zu verantworten haben.
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Volkmar
Schultz von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Nichts wirdmehr so sein, wie es vorher war.“ Kein anderer Satz ist seitdem 11. September öfter zitiert worden. Es stellt sich aberdie Frage: Stimmt dieser Satz? Stimmt er für die deutscheAußenpolitik? Basiert nicht die deutsche Außenpolitiknach wie vor auf zwei zentralen Säulen, nämlich erstensauf der Idee der Vertiefung und der Ausweitung der euro-päischen Integration und zweitens auf einer festen, un-verbrüchlichen transatlantischen Gemeinschaftmit denUSA und Kanada? Das ist wohl so. An diesen Grund-koordinaten hat sich nichts geändert.
Und doch, etwas hat sich schon verändert. Für unsDeutsche ist mit dem 11. September – Herr Gehrcke hatdarauf nebenbei hingewiesen – die Nachkriegszeit – dasist deutlich erkennbar – endgültig zu Ende gegangen. Ichwerde in diesen Monaten immer wieder an einen Kinder-reim erinnert – Herr Hoyer kennt ihn –: „Wie war in Kölnes doch vordem mit Heinzelmännchen so bequem“. Nein,es gibt in Deutschland keine Heinzelmännchen mehr, dieuns vor den Risiken der Weltentwicklung beschützen unduns einzig Chancen und Segnungen bescheren. Deutsch-land kann nur gemeinsam mit den anderen europäischenLändern Werte verteidigen und Interessen wahrnehmen.Wir können es nur gemeinsam mit den amerikanischenPartnern.
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Wolfgang Gehrcke20106
Die Herausforderungen und die Anforderungen an dietransatlantische Gemeinschaft sind globaler Natur. Ichmeine nicht nur den Terrorismus, sondern auch die Armut,die Überbevölkerung, den Hunger, die Krankheiten, dieUmweltprobleme, die Rechtsstaatlichkeit und globale,kaum noch zu kontrollierende Wirtschaftsmacht. Es kannkeine wirksamen nationalen Antworten auf globale Fra-gen geben. Weder Europa noch die USA noch Russlandoder andere große Länder der Erde sind dazu in der Lage.Der 11. September hat dies deutlich gemacht.Die Opposition hat in der Vergangenheit häufig ver-sucht, uns je nach Situation vorzuwerfen, wir würdendas deutsch-französische, das deutsch-englische undganz besonders – das haben Sie uns immer wieder vor-geworfen, Herr Rühe – das deutsch-amerikanische Ver-hältnis gefährden. Alle Ihre Unkenrufe erweisen sich alsfalsch.
Nie zuvor ist uns Deutschen in den USA eine solche Welleder Sympathie entgegengeschlagen. Nie zuvor – eineAusnahme mag der Zeitraum von 1989 bis 1990 gewesensein – ist auch in der politischen Klasse der USA soanerkennend über die deutsche Außenpolitik und ihre Ak-teure – das sind vor allem der Bundeskanzler und der Bun-desaußenminister – gesprochen worden.
Das bezieht sich keineswegs nur auf den Afghanistan-Einsatz. Unsere Rolle bei der Erweiterung der euro-päischen Friedens- und Prosperitätszone, unser En-gagement auf dem Balkan, unsere Rolle im Verhältnis zuRussland sowie viele andere Aspekte der deutschen Di-plomatie und der deutschen Entwicklungspolitik findenzunehmend Beachtung. Wir sind nicht mehr nur die Pfef-fersäcke, die ihren Pflichten ausschließlich mit demScheckbuch nachkommen.Ich kann all diejenigen beruhigen, die glauben, dass dieinnerparteilichen Diskussionen in den Koalitionsparteienunserem Ansehen etwa in den USA geschadet hätten. DieUSA durchlaufen in ihrer Politik – das gilt für alle politi-schen Strömungen – eine außerordentlich schwierige unddiskussionsreiche Phase. Man hat sehr wohl großes Ver-ständnis dafür, dass auch die Deutschen vor einer ent-scheidenden neuen Situation in ihrer Politik stehen.
Häufig wird das politische Verhältnis zwischen Europaund Amerika über die Begriffe unilateral und multilateraldefiniert. Dahinter stehen unterschiedliche Erfahrungenim Laufe der letzten 100 Jahre. Auch der 11. Septemberverändert diese historischen Erfahrungen nicht von heuteauf morgen. Daher warne ich ebenso wie Herr Hoyer vorder etwas blauäugigen Erwartung, die USA würden seitdem 12. September eine ausschließlich multilateral aus-gerichtete Außenpolitik betreiben. Beide Strömungen rin-gen in Amerika traditionell miteinander. Durch unser En-gagement haben wir aber die Chance, unsere eigeneeuropäische Erfahrung, also die Vorteile multilateralerPolitikansätze, den Kritikern auch in Amerika vor Augenzu führen.
Vor kurzem hat Chuck Hagel, ein relativ bekannter re-publikanischer Senator aus dem Auswärtigen Ausschuss,in einer öffentlichen Rede erklärt – hören Sie gut zu –,dass die amerikanische Politik mit einer interdependentenWelt zu wenig vernetzt sei. Die einseitige Sanktionspoli-tik der USA gegenüber Problemstaaten sei perspektivlosund falsch gewesen.Wir sollten aufhorchen und zur Kenntnis nehmen, dasssich auch im amerikanischen Senat ein Generationswech-sel abzeichnet. Hinter solchen Einsichten steht die Er-kenntnis, dass auch das stärkste Land der Erde die Weltnicht allein regieren kann. Auch die Weltmacht wird sicheinem internationalen Regelwerk unterwerfen müssen.
Ich unterstütze Uta Titze-Stecher, wenn sie sagt, dies gelteinsbesondere für den Internationalen Strafgerichtshof.
Auch auf anderen Politikfeldern hört man ähnlicheStimmen. Wir Europäer wären mit dem Klammerbeutelgepudert, wollten wir diese Stimmen überhören, nur umunsere ach so einfachen und gelegentlich einfältigen Vor-urteile weiter pflegen zu können.
– Man spricht im Parlament. Wer auch immer zuhörenmöchte, darf gern zuhören.
Meine Damen und Herren, die deutsche Außenpolitikgewinnt an Gewicht und an Stellenwert. Wir müssen uns– das ist hier schon mehrfach gesagt worden – in Zukunftmehr um sie kümmern, um es ganz einfach auszudrücken.Damit meine ich nicht nur das Parlament und den Aus-wärtigen Ausschuss – Letzterer tut es ja –, sondern auchdie Gesellschaft und die Parteien, das, was man mit demBegriff „draußen im Lande“ benennt. Das mag in einemParlament und in einer Gesellschaft, die sich traditionellsehr stark mit innenpolitischen, sozialen und gesell-schaftlichen Fragen beschäftigt, schwer zu begreifensein. Die internationalen Beziehungen haben aber zuneh-mend sichtbare Auswirkungen auf die Innenpolitik allerStaaten.In diesen haushaltspolitisch schwierigen Jahren kön-nen wir keine opulenten finanziellen Verbesserungen ver-sprechen. Aber wir Parlamentarier, die häufig in der Weltunterwegs sind, können den Mitarbeiterinnen undMitarbeitern in Botschaften, Generalkonsulaten und
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Volkmar Schultz
20107
Konsulaten – wo immer sie uns behilflich sind – ein herz-liches Wort des Dankes sagen.Vielen Dank.
Als nächs-
ter Redner hat der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Prä-sident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundes-kanzler betont angesichts der Afghanistan-Krise gebets-mühlenartig die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit derBundesregierung. Für die Öffentlichkeit und unsereBündnispartner offenbart sich diese Berechenbarkeit wiefolgt: Am Dienstag erklärt die Vizepräsidentin dieses Ho-hen Hauses, Frau Antje Vollmer:Dem Bundeskanzler kann man in dieser Frage nichtvertrauen. Er macht den Afghanistan-Einsatz nur, umvon einer katastrophalen Wirtschafts- und Arbeits-marktpolitik abzulenken.
Am Mittwoch kommt Herr Schröder in die Fraktions-sitzung der Grünen und Frau Vollmer sagt artig: „HerrBundeskanzler, ich vertraue Ihnen.“ Am Donnerstagspricht sich Frau Vollmer im „Stern“ aus Gewissensgrün-den gegen einen Militäreinsatz in Afghanistan aus. AmFreitag stimmt Frau Vollmer für den Einsatz der Bundes-wehr in Afghanistan. Am Samstag lesen wir von FrauVollmer in den Zeitungen:Dieses Ja war eigentlich ein Nein. Manche Entschei-dungen kann man nur mit Humor und Ironie treffen.Frau Vollmer, die Entsendung deutscher Soldaten ver-langt Verantwortung und nicht Ironie.
Sie haben diese Fragen nicht mit Humor, sondern mitblankem Zynismus beantwortet.Wiederum im „Stern“ stand unter der Überschrift „Siewar gegen den Militäreinsatz und stimmte dann dochdafür“:Frau Vollmer, Sie waren vehement gegen die deut-sche Beteiligung am Afghanistan-Einsatz, habenaber unter dem Druck des Kanzlers dann doch zuge-stimmt. Sind Sie eine Umfallerin?Antwort:Es ist viel gesiegt worden in den letzten Tagen, aberdie Grünen sind irgendwie nicht dabei, ich auchnicht.
Ich weiß nicht, wer aus Frau Vollmers Sicht gesiegt habensoll, aber in einem hat sie Recht: Die Grünen haben end-gültig verloren. Sie haben jede Glaubwürdigkeit verloren,sie haben ihren selbst erhobenen Anspruch einer höherenMoral verloren.
Die erklärten Kriegsgegner in den Reihen der Grünenhaben nach dem bekannten Spielchen „Sie liebt mich, sieliebt mich nicht“ durchgezählt, wer für die Gesinnungsein darf und wer für den Machterhalt sein muss. Auf demParteitag der Grünen in Rostock haben sie nach elfstündi-gem Selbsterfahrungsritual beschlossen: Wir wollen dierot-grüne Regierung fortsetzen. Dafür nehmen sie unterZurückstellung aller pazifistischen Grundsätze sogar inKauf, dass die Bundeswehr Wolldecken von der Pfalz indie Türkei fliegt.
Der Bundeskanzler nennt das uneingeschränkte Soli-darität im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.Aber mit dieser Regierung ist Deutschland kein verlässli-cher Partner in der Allianz gegen den Terror. Währendsich die Vereinigten Staaten und ihre Bündnispartner po-litisch, diplomatisch und militärisch darauf vorbereiten,weltweit gegen das Netzwerk des Terrorismus vorzuge-hen, beschließen die Grünen: Wir wollen nicht, dass derKrieg in Afghanistan auf andere Länder ausgedehnt wird.Herr Außenminister, ist das uneingeschränkte Solida-rität? Ihre Parteifreundin Vollmer macht doch unmissver-ständlich klar, wie handlungsfähig Sie sind. Auf die Fragedes „Stern“Wann wäre Schluss? Wenn die Amerikaner in ande-ren Ländern weitermachen?antwortet sie:So verstehe ich die Selbstbindung in der Protokoll-notiz.Herr Außenminister, da helfen alle Sprüche nichts. Mitdieser Koalition sind Sie außenpolitisch beschränkt ein-satzfähig.
Die Amerikaner trauen Ihnen noch zu, die Wolldeckenbis in die Türkei zu bringen, aber wenn es darum geht,Hilfsgüter unmittelbar nach Afghanistan zu schaffen, ver-lassen sie sich schon nicht mehr auf die rot-grüne Bun-desregierung. Das machen sie sicherheitshalber selbst.Warum bringt die Bundeswehr die Überlebenshilfe dennnicht direkt zu der Not leidenden Bevölkerung? Die Si-cherung der Grundversorgung der Menschen in Afghanis-tan ist jetzt der entscheidende Test für die Glaubwürdig-keit der westlichen Politik.Auch bei der humanitären Hilfe tragen die USA dieHauptlast. Herr Außenminister, lassen Sie einmal alleRhetorik zum Beispiel im Hinblick darauf, was jetzt ge-tan werden muss und wie der Post-Taliban-Prozess ausse-hen könnte, weg und sagen Sie uns einmal ganz einfach:Was hat die Bundesregierung denn bisher in Afghanistan
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Volkmar Schultz
20108
geleistet? Ich nehme Ihnen Ihre guten Absichten ab. Aberjetzt kommt der Schnee; wenn nicht schnell gehandeltwird, kommen wir zu spät.Stattdessen reden Sie in den letzten Tagen – zu Recht –ausführlich über die Afghanistan-Konferenz in Bonn. Siesehen darin eine neue Wertschätzung der deutschen Poli-tik. Herr Außenminister, Sie verschweigen, dass damit vorallem die Erwartung verknüpft ist, die Bundeswehr werdesich an einer Friedenstruppe in Afghanistan beteiligen.
Sie sagen zwar, eine solche Sicherungstruppe sollehauptsächlich von muslimischen Staaten gestellt werden.Sie wissen aber genau, dass diese, auf sich allein gestellt,weder militärisch noch logistisch dazu in der Lage sind.Von den Teilnehmern der Petersberg-Konferenz habenzwei, nämlich die Königsgruppe und die Nordallianz, be-reits öffentlich erklärt, deutsche Truppen seien bei einemrobusten Friedensmandat in Afghanistan willkommen.Herr Außenminister, wir wollen heute von Ihnen wis-sen, ob die Bundesregierung einem solchen Ansinnennachkommt. Wir wollen im Rahmen der Haushaltsbera-tungen auch wissen, welche Mittel die Bundesregierungdafür vorgesehen hat.
Um Deutschland aus der außenpolitischen Sonderrolleherauszuführen, benötigt diese Koalition einen tragfähi-gen Konsens und auch die geeigneten Instrumente. Die-sen Konsens hat sie nicht. Wie weit Worte und Taten aus-einander liegen, konnten wir einmal mehr am letztenWochenende beim deutsch-französischen Gipfel inNantes erleben. Der Bundeskanzler hat sich gegenüberden Briten und den Franzosen wiederholt verpflichtet, ge-meinsam das militärische Transportflugzeug A 400 M zuentwickeln und zu beschaffen. Er hat unsere Partner im-mer wieder mit leeren Worten vertröstet. Deren Geduld istam Ende. Sie drohen jetzt damit, amerikanische Trans-portflugzeuge zu kaufen – und die Bundeswehr fliegt mitüber 30 Jahre alten Transall Wolldecken. Ist das die engeeuropäische Kooperation in der Außen- und Sicherheits-politik, die der Bundeskanzler heute Morgen wieder ein-mal proklamiert hat? Wann wollen Sie denn mit dieser eu-ropäischen Zusammenarbeit beginnen, wenn Sie es nichtjetzt, angesichts der akuten gemeinsamen Bedrohungdurch den islamistischen Terrorismus, tun?Demnächst werden wir in diesem Hause den Vertragvon Nizza zu ratifizieren haben. Darin haben die Regie-rungschefs die europäische Sicherheits- und Verteidi-gungspolitik noch nicht einmal in den Themenkatalog fürdie nächste EU-Reform 2004 aufgenommen. Die EUbraucht eine gemeinsame Außen-, Sicherheits- undVerteidigungspolitik aber dringender denn je. Wo, HerrAußenminister, sind Ihre Initiativen dafür? Sie haben inder Humboldt-Universität eine viel beachtete Rede ge-halten.
Was haben Sie seither unternommen, um Ihre Ideen um-zusetzen?Es gibt immer noch viel zu wenig Europa. In der Af-ghanistan-Krise gibt es überhaupt kein Europa.
Die Vereinigten Staaten organisieren die Allianz derFreunde bilateral. Die EU ist für die Amerikaner in dieserKrise kein relevanter Partner.
Auf dem bevorstehenden Gipfel in Laeken steht wie-derum eine Debatte über die Zukunft Europas an, die dann2004 in einer großen europäischen Verfassungskonferenzmünden soll. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenigeTage zuvor treffen sich der französische Staatspräsidentund der deutsche Bundeskanzler und man hört von über-haupt keinen gemeinsamen Ideen dazu! In Europa hat eskeinen einzigen Integrationsfortschritt gegeben ohne einevorherige gemeinsame deutsch-französische Initiative.Ohne eine solche Initiative gäbe es nicht in wenigen Wo-chen den Euro. Ohne eine solche Initiative gäbe es keinenStabilitätspakt in Europa.
Wo, Herr Außenminister, ist die deutsch-französischeInitiative zu einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheits-politik?Die CDU und die CSU haben für einen europäischenVerfassungsvertrag vorgestern umfassende Vorschlägevorgelegt.
Wirplädieren fürmehr Integration inderAußen-undSicher-heitspolitik. Die wichtigste Aufgabe der EU in diesem Be-reich istes,umgehenddie füreineerfolgreicheeigenständigeKrisenbewältigungerforderlichenmilitärischenFähigkeitenaufzubauen. Dazu gehören insbesondere ausreichende ei-geneTransportkapazitäten sowie Führungs-, Kommunikati-ons- und satellitengestützte Aufklärungskapazitäten. Dazugibt es in diesemBundeshaushalt kein einziges Signal.
Wenn wir schon nicht in der Lage sind, das alles selbstzu finanzieren, dann müssen wir doch unsere Ressourcenin Europa poolen und dann brauchen wir eine gemein-same Beschaffungspolitik. Wir fordern die Bundesregie-rung auf, initiativ zu werden – für eine gemeinsameRüstungspolitik der EU und für eine gemeinsame Sicher-heitspolitik der EU. Wenn Sie, Herr Bundesaußenministerund Herr Bundeskanzler, demnächst nach Laeken fahren,müssen Sie endlich handeln. Der Worte sind genug ge-wechselt; lasst uns nun endlich Taten sehen.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Dr. Andreas Schockenhoff20109
Das Wort
hat jetzt der Bundesminister Joseph Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die deutscheAußenpolitik ist auch nach dem 11. September Grundsät-zen verpflichtet, die es wert sind, in dieser sich rasch ver-ändernden Welt nochmals unterstrichen zu werden. Essind Grundsätze, die sich im Konsens entwickelt haben.Dieser Konsens war oft das Ergebnis heftigster parteipo-litischer Auseinandersetzungen, wurde also erstritten. Esist eine Politik der Selbstbeschränkung. Sie ist westinte-griert. Sie ist europäisch. Sie ist multilateral angelegt. Sieist dem Existenzrecht Israels verpflichtet.
Auf dieser Grundlage betreiben wir eine kooperativeVerantwortungspolitik als Außenpolitik der Bundesrepu-blik Deutschland, bei der wir darum wissen, dass dieseWelt eine unfriedliche ist, die wir friedlicher und sicherergestalten wollen, und bei der wir dem Gedanken der Kon-fliktprävention, das heißt der Verhütung von Konfliktenoder gar von Kriegen, den Vorrang vor Repression geben.Nur, wir wissen auch, dass man in einer unfriedlichenWelt mit teilweise sehr brutalen Herrschern, mit Diktato-ren und durchaus auch kriminell zu nennenden Interessenan der Repression nicht vorbei kommt.
Das ist ein Faktum, das haben wir des Öfteren mit unse-rer Politik bewiesen. Aber Repression ist weder in der In-nenpolitik noch in der Außenpolitik tatsächlich eine Ant-wort auf die Konflikte oder gar eine Lösung der Konflikte.Es ist Ultima Ratio und muss immer Ultima Ratio bleiben,
letztes Mittel und nicht vorletztes Mittel oder ein Mittel,das in der Politik am Ende Vorrang haben soll.Deswegen, meine Damen und Herren von der Union,lassen Sie mich den Punkt ganz offen ansprechen – HerrKollege Rühe, Sie werden nach mir sprechen; deswegenwill ich es hier gleich sagen –: Sie haben es damals beimKosovo-Krieg in der Endphase der Bundestagswahl ver-sucht – ich habe mir das sehr gut gemerkt –, Sie haben esdann nach den Bundestagswahlen in der Zuspitzung desKosovo-Krieges, als wir – Kollege Scharping in direkterVerantwortung, aber wir als Bundesregierung – Bundes-wehreinheiten in Tetovo stationiert hatten, versucht – Siesind durch die Redaktionsstuben gezogen und haben ver-sucht, gegen den damaligen Ministerkollegen ScharpingStimmung zu machen.
Sie haben gesagt, es sei unverantwortlich, die Truppen inder Nähe der serbischen Artillerie zu halten. Sie haben im-mer wieder versucht, den Einsatz der Bundeswehr – unddas nehme ich Ihnen als ehemaligem Verteidigungsmi-nister nun wirklich übel – innenpolitisch für Ihre partei-politischen Zwecke zu missbrauchen, und das versuchenSie jetzt wieder.
Sie haben es beim Mazedonien-Einsatz gemacht, woSie sich als großer Stratege erwiesen haben. Nichts vondem, was Sie damals formuliert haben – ich habe es Ihnenhinten sitzend im persönlichen Gespräch schon prophe-zeit –, ist eingetreten. Die Strategie ist nicht aufgegangen.Sie konnten uns nicht vorführen. In der Sache hatten Sievon Abis Z nicht Recht. Das zeigt schlicht und einfach dieEmpirie.
Ich sage Ihnen auch jetzt, wenn Sie meinen, Sie könn-ten uns Bündnisunzuverlässigkeit und Ähnliches vorwer-fen: Das glauben Sie nicht einmal selbst.
– Da brauche ich gar nicht abzuwarten, sondern das kannich Ihnen schon jetzt sagen.
Deswegen sage ich Ihnen: Für uns ist ein Maßstab völ-lig klar. Wenn wir sagen, wir sind westintegriert, dannheißt das für uns auch, dass wir zu unseren Bündnisloya-litäten und zu unseren Bündnisverpflichtungen stehen.
Bündnisverpflichtungen zwischen Demokratien heißtaber nie Gefolgschaft, sondern das heißt immer,
dass die gemeinsame Strategie diskutiert wird und dassauf der Grundlage dieser Diskussion dann die Entschei-dungen getroffen werden.
– Wir haben nie das Lied „Tausend rote Panzerschützen“vor Kabul gesungen, wir nicht.
Das muss ich Ihnen wirklich sagen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 200120110
– Der Kollege Schulz hat mir das heute gesagt. Ich kanntees nicht; ich will es aber kennen lernen. Das ist für micheine neue Erfahrung; das gebe ich offen zu. Ich möchtedas jetzt aber nicht vertiefen.Meine Damen und Herren, für uns ist ganz entschei-dend, dass mit dem 11. September ein Angriff auf dieMenschen in New York City, auf die Bevölkerung derUSA und auf die Regierung der USA stattgefunden hat.Für uns ist ganz entscheidend, dass hier zum wirklich letz-ten Mittel gegriffen wurde, weil andere versuchte undtatsächliche Terroranschläge, die es schon gegeben hat,polizeilich verfolgt wurden und diejenigen, die Verant-wortung trugen, vor ein Gericht gestellt wurden. Das hataber nicht dazu geführt, den Tätern letztendlich das Hand-werk zu legen und Sicherheit zu garantieren.Ich habe während der Generalversammlung der Ver-einten Nationen in New York, als es zu einem beklagens-werten – technisch bedingten – weiteren Flugzeugabsturzgekommen ist, selbst erlebt, wie die Menschen in NewYork reagieren. Die USAwerden nicht bereit sein, diesesRisiko dauerhaft zu akzeptieren, und insofern werden siesich dagegen wehren.Dieser Bundestag hat mit sehr großer Mehrheit ent-schieden – auch wenn sich bei der Vertrauensfrage dieDinge anders dargestellt haben, in der Sache war es einesehr große Mehrheit –, dass wir auf der Grundlage desSelbstverteidigungsrechts, wie es in der Charta der Ver-einten Nationen steht, und auf der Grundlage des Be-schlusses im NATO-Bündnis tatsächlich an der Seite un-seres Bündnispartners stehen. Das ist das Verbindende.
Dazu gehört der Beschluss des Bundestages, den Sie in-haltlich akzeptiert haben. Diesen Beschluss setzen wirjetzt um.Ich halte allerdings überhaupt nichts davon, aus innen-politischen Gründen – das ist typisch Rühe – neue Zielezu suchen.
– Nein, ich ärgere mich nicht darüber. Ich finde es schlichtund einfach verantwortungslos, bei der Entscheidungüber die außenpolitische Orientierung neue Ziele zu su-chen. Wir wissen doch, dass zum Beispiel über den Irakin Europa völlig anders als in Washington – dort findetübrigens eine kontroverse Debatte statt – diskutiert wird.
Die Europäer sind sich völlig einig, dass wir, um es ein-mal ganz diplomatisch zu formulieren, eine Ausdehnungauf den Irak mit äußerster Skepsis betrachten.
Wir sollten versuchen – ich unterstreiche das, was derBundeskanzler heute Morgen gesagt hat –, die Regional-konflikte im Nahen Osten politisch zu lösen. Bedenkenwir, dass wir unmittelbarer Nachbar sind. Wenn die Re-gionalkonflikte gelöst sind, wird es immer noch sehrschwer sein, die inneren Entwicklungsprobleme der be-troffenen Länder in der Region zu lösen, da diese dadurchnicht behoben sein werden.Das Modernisierungsproblem und das Demokratisie-rungsproblem bleiben ebenso wie die Menschenrechts-und Gleichstellungsprobleme, etwa im Zusammenhangmit der Diskriminierung von Frauen, bestehen. Auch des-halb sind die Regionalkonflikte vor allen Dingen politischzu lösen. Wir Europäer haben daran ein Interesse. Das ha-ben wir unseren Partnern in den USA auch sehr ausführ-lich und in großer Präzision dargestellt.
Wenn man sich die Entwicklung anschaut, dann sollteman zu erkennen versuchen, was der Hauptgrund fürdiese Situation ist. Ich erinnere mich an die Debatte überden Kosovo. Damals vertraten die so genannten außenpo-litischen Realisten, beispielsweise Kissinger, die Auffas-sung, dass es sich um einen Krieg entlang der Grundsätzevon Wilson, also eher um einen Krieg der Linken handele,bei dem es nicht um harte Interessen, sondern um Men-schenrechte und um Fragen, die nicht unmittelbar mit derklassischen, interessenorientierten Politik zu tun haben,gehe. Heute müssen wir feststellen, dass der Rückzug– das heißt nicht militärischer, sondern politischer Rück-zug – entlang dieser Linien aus den Konflikten der Welt,die aus der Zeit des Kalten Krieges zurückgelassen wur-den – Afghanistan ist dafür ein klassischer Fall –, falschwar.Zu meinen, man könne Friedensdividenden einneh-men, war unser allergrößter Fehler. Wir haben nicht gese-hen, dass Friedensinvestitionen notwendig waren.
Dieser Rückzug hat eine Gefahr für den Weltfrieden ent-stehen lassen. Daraus müssen wir im Sinne einer koope-rativen und präventiven Verantwortungspolitik Konse-quenzen ziehen. Es geht nicht um die Weltpolizei. Es gehtvielmehr darum, regionale Ansätze zu stärken, damit diezusammengebrochenen Strukturen – Europa hat von sei-ner eigenen Geschichte insofern etwas sehr Positives zuvermitteln – wieder hergestellt werden. Ich erlebe daszum Beispiel im südlichen Afrika, wo der Regionalansatz,aber auch die Frage, ob die Afrikaner gemeinsam repres-sive Mittel einsetzen müssen, dahin gehend geprüft wer-den, ob sie tauglich sind, einen dramatischen Konflikt, deralle gefährdet, zu bewältigen. Stichwort Kongo. In West-afrika gibt es einen ähnlichen Ansatz. Daran kann mandoch erkennen, was wir Europäer der Welt im 21. Jahr-hundert an positiven Erfahrungen tatsächlich zu vermit-teln haben.Ich sage nochmals: Ich schließe die Ultima Ratio nichtaus. Ich möchte aber verhindern, dass wir in einen Zu-stand geraten, in dem sie notwendig wird. Dass das not-wendig sein kann, hat der Balkan gezeigt. All diejenigen,die ernsthaft mit sich gerungen haben und keine takti-schen Argumente vorgebracht haben – ich habe deren
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Bundesminister Joseph Fischer20111
Argumente sehr ernst genommen –, müssen heute sagen,dass wir uns den Hauptvorwurf machen müssen, dass wirnicht 1991/1992 das gemacht haben, was wir 2001 ge-macht haben.
Das sage ich unabhängig davon, wo wir damals politischstanden.
– Ich gehörte nicht zu denen, die der Meinung waren, dassdie damalige Anerkennung der friedlichen Scheidungohne Bedingungen mehr als eine Eskalation des Konfliktsbringen werde. Ich war damals der Meinung, man hätte esso nicht machen sollen. Ich war damals allerdingsNichtinterventionist. Insofern sollten diejenigen, die dieAnerkennung forciert haben, den damaligen Nichtinter-ventionisten nicht ihre Position vorwerfen, sondern dieDinge ebenso selbstkritisch sehen, wie zum Beispiel ichsie bei der Betrachtung meiner damaligen Situation sehe.
Es gab andere in meiner Partei, die waren damalsschon Interventionisten. Ich sage ganz bewusst – ob dasMarieluise Beck ist, ob das mein Freund Daniel Cohn-Bendit ist –: Sie hatten Recht. Sie waren aber keine An-erkennungsbefürworter; auch das füge ich in diesem Zu-sammenhang hinzu.Was wir daraus lernen können, ist doch, dass wir, wenndie Ultima Ratio wirklich eingesetzt werden muss, gleich-zeitig alle Möglichkeiten zur Prävention und zur Frie-densgestaltung nutzen müssen. Der Stabilitätspakt undder Weg nach Europa haben es möglich gemacht, dass esjetzt in Mazedonien – auch wenn wir dort noch nicht überdem Berg sind – zum ersten Mal gelungen ist, eine dieserweiteren blutigen Runden zu verhindern. Das muss mandoch einmal sehen.
Der Krieg in Afghanistan dauert schon 23 Jahre an. Erwurde durch den Putsch der damaligen kommunistischenPartei ausgelöst, die sich dann nicht halten konnte. DieserPutsch führte zur Intervention der damaligen Sowjet-union. Dann gab es diese Tragödie, die bis zum heutigenTag angehalten hat, bis hin zu Osama Bin Laden, al-Qaidaund der Gefahr für den Weltfrieden sowie dem Terror-regiment der Taliban. Wenn es der internationalen Staa-tengemeinschaft jetzt vor dem Hintergrund des Einsatzesder Ultima Ratio, dieses Krieges, gelingt, endlich einenFrieden zwischen den wichtigsten ethnischen Gruppenund Völkern Afghanistans hinzubekommen, dann habenwir auch etwas geschafft.
Dann müssen wir allerdings die Konsequenz ziehen undnicht wieder warten, bis die Ultima Ratio notwendig ist,wenn es weitere Konflikte gibt, die dringend gelöst wer-den müssen, und zwar mit politischen, mit ökonomischen,mit humanitären Mitteln.Für diese Politik steht die Bundesregierung. Ich kannIhnen versichern: In den drei Jahren, in denen wir dieVerantwortung getragen haben, gab es nicht einen Fall –nicht einen –, bei dem wir auf die Koalition und auf dieSchwierigkeiten, die unsere Parteien damit haben, derge-stalt Rücksicht genommen hätten, dass wir eine Ent-scheidung zur Erfüllung einer Bündnisverpflichtung,aber auch der Grundsätze, für die wir stehen, nicht ge-troffen hätten.Gerade die Härte der demokratischen Auseinanderset-zung beweist meine Worte. Die Union sollte nicht so tun,als wenn sie das nicht kennen würde. Ich darf Sie nur da-ran erinnern – ich bin ja mittlerweile alt genug –, wieschwer sich ein Teil von Ihnen bei der Frage des „Super-versailles“, des Atomwaffensperrvertrages, und den Ost-verträgen – das ging ja noch bis zur deutschen Einheit undder Anerkennung der polnischen Westgrenze – getan hat.Ich möchte jetzt gar nicht Häme darüber ausschütten. Ichsage nur: Das ist normal in einem demokratischen Pro-zess. So war es auch bei uns und so ist es auch in anderenParteien; so wird es immer sein.Wer eine Antwort auf all dies will, der muss Europaschaffen. Da liegt der große Irrtum: Es geht nicht nur umdie deutsche Rolle. Es geht vielmehr um den BeitragDeutschlands zu einer europäischen Rolle. Machen wiruns doch nichts vor: All das, was uns trennt und auch ver-bindet, wird in der Welt des 21. Jahrhunderts nur ein in-tegriertes Europa schaffen können. Der Vorwurf, wirhätten in der europäischen Sicherheits- und Vertei-digungspolitik nichts getan, ist natürlich völlig unsinnig.Wenn es einen dynamischen Faktor gegeben hat – geradeseit In-Kraft-Treten des Amsterdamer Vertrages und derBenennung von Solana –, dann ist es die EuropäischeUnion. Sie ist aber für diese Fragen des Kriegs und Frie-dens noch nicht ausgerüstet. Das ist ein Faktum.Da schließt sich im Übrigen die Frage nach der Zukunftder NATO an: Bündnisse sind Bündnisse auf Zeit. AndereLagen schaffen andere Bündnisse. Das gilt auch und ge-rade für militärische Bündnisse. Meine These ist, dass dieVoraussetzung für die Zukunftsfähigkeit der NATO – hierhaben wir hochinteressante Diskussionen mit Russland,die jetzt beginnen – die beschleunigte und intensivierteeuropäische Integration ist. Im Klartext möchte ich for-mulieren: Bleiben die Europäer getrennt, wird die NATOin der Tat in eine sehr schwierige Zukunft blicken. Gelingtes, die europäische Säule zu integrieren – das hängt an derESVP –, dann wird das transatlantische Bündnis meinesErachtens – das liegt in unserem Interesse – eine sehr guteZukunft haben.
Insofern möchte ich – es gäbe noch vieles zu sagen –nur noch ganz kurz den Antrag zum Goethe-Institut an-sprechen. Wir werden versuchen – das sage ich hier nichteinfach nur, um der Opposition den Antrag wegzuneh-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Bundesminister Joseph Fischer20112
men –, eine Lösung im Rahmen unserer finanziellenMöglichkeiten zu finden. Das sage ich Ihnen hier alsMinister zu.
Ich würde mich selbstverständlich freuen, wenn der An-trag angenommen würde. Aber auch Sie wissen, dass dasso nicht geht.
Ich möchte zum Schluss noch Folgendes sagen: Ichstimme denen nicht zu, die uns wegen der Personalstruk-tur kritisieren, und schon gar nicht dem Kollegen Hoyer,den ich sonst sehr schätze. Ich weiß, dass er es sagenmuss; aber das lasse ich nicht bei mir abladen.
Dass 50-Jährige bei uns immer noch als Nachwuchskräftegelten, das liegt wirklich nicht an den drei Jahren, dieFischer die Verantwortung im Auswärtigen Amt trägt.
Es gibt ja den bitteren und ironischen Spruch: Komm inden auswärtigen Dienst, da bist du mit 50 noch Nach-wuchskraft! Wo kann man das in der heutigen Wirtschaftnoch sagen?Die Entscheidungen, die hierzu geführt haben, sindlange vor meiner Zeit gefällt worden.
– Was heißt hier „nein, nein“? Sie wissen doch, wie sichStellenkegel aufbauen. Vieles geht gleich und jetzt; aberStellenkegel nach dem deutschen Beamtenrecht lassensich nicht gleich und jetzt umstrukturieren. Diese entste-hen nicht über Nacht und auch nicht in drei Jahren. Wirversuchen, Kollege Hoyer, das Schritt für Schritt abzu-bauen. Das werden wir auch hinbekommen. Dass wir esgeschafft haben, etwa die RK-Stellen von den Kürzungenauszunehmen, ist doch eine hervorragende Sache.
Mit der Einrichtung des Krisenreaktionszentrums istuns eine neue Aufgabe zugewachsen, die wir, wie ichfinde, mit den Bediensteten in der Zentrale und auchaußerhalb in den Botschaften hervorragend gemeistert ha-ben. Wir haben die größte Reform des auswärtigen Diens-tes seit seinem Bestehen angepackt. Das war dringendnotwendig. Es kommen ja noch mehr Aufgaben auf unszu, da gerade in einem zusammenwachsenden Europa dieBedeutung der nationalen auswärtigen Dienste nicht ab-nehmen, sondern aufgrund der Zuarbeit für die gemein-same europäische Außenpolitik eher noch zunehmenwird. Ich hoffe, dass in den kommenden Haushalten die-sem Punkt Priorität eingeräumt wird und wir eine bessereFinanzausstattung bekommen, da ich Ihnen ja zustimme,wenn Sie sagen, dass wir unterfinanziert sind.
Ich sage aber mit allem Stolz: Was wir als unterfinanzier-tes Haus in den drei Jahren geleistet haben, kann sich se-hen lassen.
Ich würde mich freuen, wenn die Finanzierung in denzukünftigen Haushalten dem endlich einmal so nach-käme, dass auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fürsich gute Perspektiven sähen.Ich möchte mich bei allen bedanken, vor allen Dingenbei den Berichterstattern. Recht herzlichen Dank.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Volker Rühe von der CDU/CSU-
Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsi-dent! Herr Außenminister, vielen Dank, dass ich dochnoch sprechen darf, und zwar so, wie ich mir das vorge-nommen habe.Ich möchte mit den Gemeinsamkeiten beginnen. Diesefinden sich zum Beispiel in der Nahostpolitik. Wir allehaben früher Zweifel gehabt, ob Deutschland in dieserRegion überhaupt einen Handlungsspielraum hat. Wir ha-ben immer gedacht, er sei geringer als der von anderen.Ich stimme Ihnen zur, dass wir wahrscheinlich geradedeswegen, weil es keinerlei Zweifel daran gibt, dass sichDeutschland für das Existenzrecht Israels einsetzt, einengrößeren Spielraum als andere haben. Den nutzen Sie; da-bei haben Sie unsere Unterstützung.
Deutschland ist ein guter Ort für die Afghanistan-Konferenz. Es ist gut, dass es gelungen ist, diese Konfe-renz nach Deutschland zu holen. Wir übernehmen damitaber auch Verantwortung. Wer Verantwortung für denKonferenztisch übernimmt, kann jedenfalls nichtgrundsätzlich Verantwortung vor Ort ausschließen.Herr Bundesaußenminister, wir sind nicht auf der Su-che nach neuen Zielen.
– Warten Sie einmal ab; das ist schon eine ziemlich übleUnterstellung. – Ich habe Sie im Ausschuss gefragt, wel-che Position die Bundesregierung in der Diskussion umeine mögliche Friedenstruppe zur Stabilisierung der poli-tischen Situation dort einnimmt. Sie haben das auch heutenicht beantwortet. Ich muss Ihnen sagen, dass sowohl Sieauf Ihrem Parteitag als auch der Bundeskanzler auf demSPD-Parteitag nicht präzise berichtet haben. Er hat dort so
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Bundesminister Joseph Fischer20113
getan, als ob Herr Brahimi den Einsatz von Friedens-truppen ausgeschlossen hätte. Richtig ist, dass er dreiBeispiele angesprochen und gesagt hat, die Priorität liegebei afghanischen Kräften. Den Einsatz von Blauhelmenhat er ausgeschlossen. Der Einsatz von afghanischenKräften sei nicht möglich. Deswegen müsse es eine inter-nationale Friedenstruppe geben. – Das wäre die richtigeDarstellung gewesen. Dass Sie das nicht so dargestellt ha-ben, werfe ich Ihnen vor.An andere Mitglieder der Bundesregierung gerichtetsage ich, dass sie in diesem Zusammenhang gezielt Un-klarheiten verbreiten. Sie haben es auch jetzt wieder ver-mieden, über die Meinungsbildung der Bundesregierungin dieser wichtigen Frage zu berichten. Sie können dasEngagement Deutschlands nicht auf Konferenzen be-schränken und grundsätzlich ausschließen, dass wir unsan der Stabilisierung vor Ort beteiligen. Darum geht es.
Nachdem sich der Pulverdampf der Parteitage verzo-gen hat, ist zu fragen: Was geschieht eigentlich im Au-genblick? Das, was die Bundeswehr tatsächlich macht, istsehr begrenzt, und zwar umgekehrt proportional zu deminnenpolitischen Getöse, das es bei diesem Thema gege-ben hat. Ich beklage das nicht; denn die Situation kannsich ganz anders entwickeln.Eine gezielte Verbreitung von Unklarheiten werfe ichIhnen dahin gehend vor, dass Sie sagen, Sie seien auf derSuche nach Zielen. In Wirklichkeit sieht das Kräftedispo-sitiv der Bundeswehr so aus, dass diese Suche nur Sinnmacht vor dem Hintergrund, dass es weitere Konflikteund Auseinandersetzungen fernab von Afghanistan gibt.
Deswegen sage ich Ihnen: Über Geheimoperationenmuss man schweigen. Aber Sie sagen der deutschen Öf-fentlichkeit und auch Ihren Mitgliedern auf den Parteita-gen bis zum heutigen Tage nicht klipp und klar – in denzuständigen Ausschüssen hat es Andeutungen gegeben –,wo deutsche Soldaten zum Beispiel gegen ABC-Waffeneingesetzt werden sollen. Da gibt es natürlich ganz kon-krete Vorstellungen. Das kann nur direkt oder indirekt imZusammenhang mit anderen Schauplätzen geschehen.Wir schulden es den Soldaten, dass hier Klarheit bezüg-lich eines möglichen Einsatzes geschaffen wird. Darumgeht es.
Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Ein Mitglied derBundesregierung, Herr Trittin – das ist von vielen nochviel zu wenig gewürdigt worden –, hat, um seine Leute zuberuhigen – das ist das, was ich Ihnen vorwerfe; Sie schil-dern die Lage nicht real –, in einer Sonntagssendung vorvielen Millionen Fernsehzuschauern gesagt, das, was dieBundesregierung jetzt durchführe, liege unterhalb derEbene des Kosovo-Einsatzes.Herr Bundesaußenminister, nehmen Sie dazu bitteStellung! Das ist eine völlig falsche Darstellung. Hierhandelt es sich um einen Bündnisfall nach Art. 5 desNATO-Vertrages. Stellen Sie sich einmal vor, der Bünd-nisfall wäre in Europa eingetreten, wir wären angegriffenworden, die Amerikaner wären der Beistandsver-pflichtung nachgekommen und in Washington hätte dannein Minister gesagt: Wir beteiligen uns unterhalb derEbene des Einsatzes im Kosovo.Das zeigt, was Sie machen: Auf Ihren eigenen Partei-tagen spielen Sie den Umfang der Beistandspflicht herun-ter, der in dieser Situation notwendig ist und der mögli-cherweise auch auf unsere Soldaten zukommt.
Hierbei handelt es sich mit Sicherheit um mehr als das,was im Kosovo geleistet wurde. Dies ist eine Situationnach Art. 5 des NATO-Vertrages. Das muss in aller Deut-lichkeit gesagt werden. Das verlange ich auch von Ihnen.
Der Bundeskanzler hat heute Morgen gesagt, er warnevor Leuten, die auf der Suche nach neuen Zielen seien. Inden Nachrichtenagenturen wurde verbreitet, er habe da-mit einen Staatsminister seiner eigenen Regierung ge-meint. Ich hatte zeitweilig den Eindruck, er hätte einenwichtigen Verbündeten gemeint. Ich muss Ihnen sagen:Es ist eine Unterstellung, wenn man sagt, dass jemand aufder Suche nach neuen Zielen sei, die man gegenüber nie-mandem im Bündnis, weder innenpolitisch noch außen-politisch, machen sollte.Ich denke, wir sind uns mit den Amerikanern einig,dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismuskonsequent durchgeführt werden muss. Statt Ablenkungs-manöver von Ihnen zu hören, würde ich von Ihnen zumBeispiel gerne wissen: Wie stehen Sie zur Forderung desamerikanischen Präsidenten, dass der Irak wieder UN-Waffeninspekteure zulässt, damit kontrolliert werdenkann, ob dort „weapons of mass destruction“ hergestelltwerden oder nicht?
Was ist die Position der Bundesregierung zu dieser Frage?
Nachdem Sie mich vorhin persönlich angesprochenhaben, hier nun eine ganz begrenzte Gegenreaktion, HerrBundesaußenminister – ich freue mich, dass auch der Ver-teidigungsminister hier ist –: Ich finde, der JoschkaFischer auf Parteitagen versucht, die BündnisfähigkeitDeutschlands zu retten; das ist richtig. Aber was macht ereigentlich im Hinblick auf die Bundeswehr?Ich muss Ihnen sagen: In der alten Bundesregierung hatsich Bundesaußenminister Kinkel in jeder Situation, inder wir darum kämpfen mussten, Mittel für die Bun-deswehr zu gewinnen, von seinem Selbstverständnis alsAußenminister her vor die Bundeswehr gestellt und zu-sätzliche Mittel für die Bundeswehr gefordert.Ein Bundesaußenminister Fischer, der für seine inter-nationale Tätigkeit den Einsatz der Bundeswehr braucht,muss sich auch innenpolitisch vor die Bundeswehr stellenund für eine ausreichende Finanzierung der Bundeswehr
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eintreten. Schluss mit der Demontage und der Unterfi-nanzierung der Bundeswehr!
Angesichts der Defizite der Bundeswehr können Siedie Soldaten doch nicht noch verstärkt einsetzen. Dastreibt die Soldaten zu Demonstrationen auf die Straße, wiebeispielsweise in Berlin. Ich sage Ihnen ganz persönlich,Herr Fischer: Es ist nicht damit getan, dass Sie auf Partei-tagen versuchen, irgendeine Kompromisslinie zu finden.Ein glaubwürdiger Außenminister muss auch innenpoli-tisch dafür werben, dass unsere Soldaten die entsprechen-den Mittel bekommen, damit sie die Einsätze mitgrößtmöglicher Sicherheit für Leib und Leben durch-führen können. Das erwarten wir von Ihnen. Das habenSie bisher aber noch nie gemacht.
Es ist gar keine Frage, dass sich nach dem 11. Septem-ber ein Prozess verstärken wird, der von uns Europäernmehr verlangt als in der Vergangenheit. Wenn es eineSchieflage in der Diskussion gegeben hat, dann war esdie, dass wir unseren Einsatz fast ausschließlich mit Soli-darität und Dankbarkeit gegenüber den Amerikanern be-gründet haben. Das spielt zwar auch eine Rolle. Aber ichmuss fragen: Warum bringt es diese Bundesregierungnicht fertig, zu sagen, dass es das ureigene Interesse derBundesrepublik Deutschland, deren Sicherheit tief ver-wundbar ist, erfordert, diesen Kampf gegen den Terroris-mus zu führen?
Warum haben Sie immer so getan, als ob Sie auf Forde-rungen der Amerikaner warten würden, anstatt dass wirals Deutsche und Europäer selbst entscheiden, was richtigist, um diese Auseinandersetzung zu führen?Ich sage Ihnen ganz konkret – darauf müssen Sie ant-worten –, was notwendig ist: Wir müssen die Amerikanerin Europa militärisch entlasten. Das geht aber nur, indemwir die entsprechenden Fähigkeiten, „capabilities“, schaf-fen. Was nur auf dem Papier steht, zählt nicht. Wenn ichmir die europäische Sicherheits- und Verteidigungspo-litik anschaue, die nicht zuletzt von Ihnen, Herr Bundes-außenminister, verantwortet wird, dann muss ich sagen,dass vieles nur auf dem Papier steht: von den Transport-flugzeugen bis zu der im Aufbau befindlichen Eingreif-truppe von 60 000 Mann.Wir müssen über die herkömmlichen Einsatzszenarienhinaus denken. Im Augenblick hat es sozusagen einenSchönheitswettbewerb zwischen einigen europäischenLändern gegeben, was den Einsatz von Spezialkräftenangeht. Es wäre doch viel besser, wenn wir die Spezial-kräfte europäisch einbetten würden. Sie müssen zwar mi-litärisch national geführt werden. Aber Europäer, Englän-der, Franzosen, Deutsche und andere, könnten gemeinsamSpezialkräfte in einer Stärke von 5 000 Mann aufbauen.Aber es gibt keinen Beitrag der Bundesregierung, um sichauf eine solche Situation einzustellen.
Ein weiterer Punkt. Wir werden die Amerikaner aufdem Balkan entlasten müssen. Darüber haben Sie nichtgesprochen. Sie haben nur über alte Schlachten gespro-chen. Sie wissen doch ganz genau, welche Schwierigkei-ten wir noch Mitte der 90er-Jahre hatten. Ich habe Schiffein die Adria geschickt, die kaum ein Maschinengewehr anBord hatten. Sie haben uns dafür vor das Ver-fassungsgericht zitiert.
Es war damals sehr schwer, die notwendigen Einsätzedurchzuführen, um die Massaker dort zu stoppen. Daswissen Sie ganz genau. Deswegen kann es diesbezüglichauch keine Vorwürfe geben.Wir müssen die Amerikaner auf dem Balkan entlasten.Anstatt entsprechende Schritte der Amerikaner passiv zuerleiden, sollten wir sie von uns aus anbieten. Ich habe Ih-nen das schon zusammen mit meinem früheren französi-schen Kollegen François Léotard vor einem Jahr gesagt.Denn die Friedensmissionen nicht nur in Mazedonien,sondern auch in Bosnien und mittelfristig im Kosovo ineuropäischer Hauptverantwortung durchzuführen und unsheute bereits darauf einzustellen erfordert natürlich be-stimmte Investitionen für die Bundeswehr.Ebenso wenig ist auszuschließen – da werden Sie auf-schreien, weil Sie außenpolitisch nur das machen, was in-nenpolitisch von Rot-Grün gerade noch getragen wird –,dass Amerika bei der Überwachung der Flugverbotszonenim Norden und im Süden Iraks, „northern and southernwatch“ – diese wurde zunächst gemeinsam mit zwei eu-ropäischen Nationen, nämlich England und Frankreich,durchgeführt; zuletzt nur mit England –, einen stärkereneuropäischen Beitrag fordern wird. Ich wie auch der Ver-teidigungsminister wissen ganz genau, dass die Bundes-luftwaffe das leisten kann. Meine Frage ist: Ist es unan-gemessen, sich darauf einzustellen, dass wir dieAmerikaner bei dieser Aufgabe entlasten? Sie machen esnicht – obwohl die Luftwaffe mit ihren Kräften sehr wohldazu in der Lage wäre –, weil dies von Rot-Grün innen-politisch nicht getragen wird.
Das ist eine Schwäche in der Außenpolitik, wenn Sie nurdas machen, was auf Ihren Parteitagen möglich ist.Sagen Sie mir einmal, warum es nicht möglich ist, dieAmerikaner bei dieser Aufgabe, die von den UN gefordertwird, zu entlasten. Weil Sie dafür keine Mehrheit auf demParteitag haben.
An Ihrer Nervosität merke ich, dass genau das der Punktist.
Das ist eine außenpolitische Schwäche. Die Bundeswehrkann das und ich finde, das ist angemessen. Deswegensollten wir das in unsere Diskussion mit einbeziehen.
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Ich will jetzt wegen der begrenzten Zeit nicht weiterüber die Weltordnungspolitik sprechen. Wir werden einenAntrag einbringen, in dem ganz klar gemacht wird, dasswir ökonomische und entwicklungspolitische, aber auchaußenpolitische Maßnahmen anstreben, um dafür zu sor-gen, dass die schwarzen Löcher in der internationalen Po-litik, die Zonen der Ordnungslosigkeit, verschwinden. Ichglaube, dass es in dieser Frage auch gar keinen Streit gibt.Aber eines muss man ebenso immer wieder mit allerKlarheit sagen: Der internationale Terrorismus ist keineFolge des globalen Wohlstandsgefälles. Diese Terroristenkommen weder aus den Slums orientalischer Großstädte,auch nicht aus palästinensischen Flüchtlingslagern, nochkämpfen sie für die sozialen Rechte der Unterdrückten.Sie bedienen sich allerdings einer entsprechenden Rheto-rik, um ihr mörderisches Handeln im Nachhinein zu legi-timieren. Sie sollten Ihren Parteifreunden, die versuchen,einen Zusammenhang mit der Nahostpolitik, mit Angrif-fen auf die Politik Israels herzustellen, gelegentlich auchsagen, dass Mohammed Atta und andere Hamburg-Har-burg in dem Moment verlassen haben, um sich in Amerikaauf die Anschläge vorzubereiten, als der ehemalige israe-lische Ministerpräsident Barak die weitreichendsten Frie-densvorschläge für Jerusalem und für ein Miteinander un-terbreitet hat. Deswegen ist es fahrlässig, so zu tun, als obdie Anschläge in New York und Washington etwas mit derjetzt zugespitzten und schwierigen Lage im Nahen Ostenzu tun hätten. Darauf sollten wir nicht hereinfallen.
Zu Europa kann ich nur noch sehr kurz sagen: So wieFrankreich und Deutschland sehr viel für die StabilisierungEuropas getan haben, müssen Amerika und Europa etwasfür die Stabilität in der Welt tun. Die Öffnung – das will ichjetzt nur mit einem Schlagwort sagen; ich denke, da sindwir uns auch weitgehend einig – der Europäischen Union,aber auch die Öffnung der NATO mit ihrem Stabilitätsex-port ist vielleicht der wichtigste Beitrag von uns Europäernzur Stabilisierung der Welt. Wir verlangen von Ihnen,dass die Bundesregierung hier endlich eine präzise Politikentwickelt. Wir glauben, dass es wichtig ist, neben einemStabilitätsexport in die baltischen Staaten – die Gott seiDank auf einem ganz sicheren Wege in den Westen sind; siewerden in diesem Jahrzehnt Mitglied der EuropäischenUnion und auch der NATO – einen Stabilitätsexport inRichtung Südosten – nach Bulgarien und, wenn es geht,auch nach Rumänien – zu betreiben, gerade in die Länder,die nicht kurzfristig Mitglied der Europäischen Union wer-den können, selbst wenn sie alles richtig machen.Deswegen brauchen wir deutsche Vorschläge, um dieNATO-Öffnung auch in diese Richtung zu entwickeln.Aber Fehlanzeige – die Bundesregierung entwickelt keinePolitik in diese Richtung. Das werfen wir Ihnen vor, HerrBundesaußenminister. Sie haben sicherlich Fähigkeitenim Ausgleich, auch im Kompromiss; aber an der Ent-wicklung präziser politischer Handlungsmaximen man-gelt es. Das sehen wir bei der Frage der Öffnung der Eu-ropäischen Union und auch der Öffnung der NATO.Der letzte Punkt innerhalb einer halben Minute. Wirhaben neue Chancen im Verhältnis zu Russland.
Auch mich hätte – statt dieser Versuche, gleich wiederUnfrieden zu säen – in dieser Debatte mehr interessiert, zuerfahren, was Sie von der Chance halten, mit Russland zu-sammen zu 20 in der NATO zu tagen, 19 NATO-Mitglie-der und Russland
– ja, dann sagen Sie doch mal was dazu! –, gleichberech-tigt zu sprechen und zu entscheiden, wenn auch nicht inallen Fragen, zum Beispiel nicht in Fragen, die Art. 5 be-treffen oder die das Innerste der NATO berühren, aberdoch in wichtigen Fragen der Terrorismusbekämpfung,internationaler humanitärer Einsätze, „missile defense“.Das ist von Ihnen verschlafen worden.Sie haben auch die Raketenabwehrfrage falsch ein-geschätzt. Russen und Amerikaner sind inzwischen vielweiter, als Sie es in den letzten Jahren im Deutschen Bun-destag waren.Deswegen sage ich Ihnen nach dem Lob und der Un-terstützung zu den ersten beiden Punkten: Die deutscheAußenpolitik darf nicht nur die Funktion der Innenpolitikund dessen, was Rot-Grün möglich ist, haben, sondern siemuss die Interessen unseres gesamten Landes wahr-nehmen.Im Übrigen würde ich Ihnen empfehlen, es in Zukunftso zu halten, dass Sie erst einmal auf das hören, was dieOpposition hier sagt, und dann vielleicht etwas Präziseszu den Punkten und den Fragen sagen, die wir hier an-sprechen.Vielen Dank, vor allen Dingen für das Verständnis desPräsidenten.
Zu einerKurzintervention erteile ich dem Kollegen Joseph Fischerdas Wort.Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Präsident! Der Kollege Rühe hat michmehrmals angesprochen. Erstens. Ich verkneife es mir, et-was zum Verhältnis zwischen Außen- und Verteidi-gungsminister der Vorgängerregierung zu sagen. Daswäre ein weites Feld; ich kann mich noch gut daran erin-nern. Zweitens zu „missile defense“: Kollege Rühe, wirwollten von Anfang an ein Klima der Kooperation zwi-schen den beiden Großen herstellen. Dazu habe ichdamals im Vorfeld der Diskussion die Moskau-Reisegemacht. Sie hatten da bereits Hurra gerufen. Ich sehemich darin voll bestätigt.Nun komme ich zu den konkreten Punkten. Was ich Ih-nen nicht durchgehen lasse, ist die These, wir würden hierirgendetwas im Unklaren lassen. Die Sicherheitskompo-nente in Afghanistan hat für den Fall, dass es dort tatsäch-lich zu einer politischen Lösung kommt, zwei Vorausset-zungen: Die erste ist eine Sicherheitsratsresolution, diezweite ist die Zustimmung der Afghanen. Dann stellt sich
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aber immer noch die Frage, ob es zu einer externen Lö-sung kommen wird – und wenn ja, wie sie aussehenmuss –, oder ob es eine interne Lösung der Afghanen gibt.Das ist zur Stunde völlig unentschieden. Die aus rein in-nenpolitischen Gründen gemachte Behauptung, dass ir-gendetwas zurückgehalten werde, ist wirklich böswillig.Das ist das, was ich Ihnen vorwerfe. Ich will Ihnen sagen:Großbritannien hat jetzt – gerade heute kam die Mel-dung – 6 000 Mann, die angekündigt waren, wegen derUnklarheit in diesen Fragen zurückgezogen.Eine zweite Bemerkung in diesem Zusammenhang:Wir halten uns an das Bundestagsmandat. Das Bundes-tagsmandat ist in seiner Gänze das, woran sich die Bun-desregierung hält. Dieses findet die volle Zustimmungnicht nur unseres Partners, sondern auch der USA.Sie behaupten, die Bundesregierung habe ihr Interessenicht klar formuliert. Ich formuliere es nachdrücklich undstimme Ihnen auch zu, dass – so, wie Sie es sagen – unserInteresse auf dem Balkan uns in der Tat einer interes-sengeleiteten Politik und einer Schwerpunktsetzung nahebringt. Wir haben jedes Interesse, unserem Bündnispart-ner, den USA, nach diesen furchtbaren Angriffen imBündnis beizustehen. Wir haben auch ein starkes VN-po-litisches Interesse. Wir haben aber – sozusagen weit wegvon Europas Grenzen – kein direktes Interesse. Das wis-sen Sie so gut wie ich.Insofern kann ich Ihnen nur sagen: Wenn ich die Inte-ressengrundlage noch hinzunehme und weiß, womit wires im Nahen Osten zu tun haben, dann finde ich es gera-dezu interessenvergessen, was Sie über den Irak oder einemögliche deutsche Beteiligung gesagt haben.
– Natürlich hat er über Flugverbotszonen und Ähnlichesgeredet. – Alle Europäer sind der Meinung, dass wir auf-grund unserer direkten Nachbarschaft mit dem NahenOsten
eine politische Lösung herbeiführen müssen.Ich komme zum letzten Punkt, den Sie angesprochenhaben: Die Frage, wie wir zu der Kontrolle und der Um-setzung der einschlägigen Sicherheitsratsresolution ste-hen, ist rhetorisch. Die Bundesregierung steht selbst-verständlich zur Umsetzung der einschlägigen Sicher-heitsratsresolution. Es muss eine Überwachung des Irakgeben. Wir haben bisher alle Initiativen in diese Richtungunterstützt.
Herr Kol-
lege Rühe möchte erwidern. Bitte schön.
Herr Bundesaußenminis-ter, jeder hat doch gemerkt, dass ich im Zusammenhangmit dem Kampf gegen den internationalen Terrorismusnicht über die aktuelle Situation des Irak gesprochen habe,sondern über die Frage, nachdem Engländer und Fran-zosen die Amerikaner bei „northern watch“ und „southernwatch“ unterstützt haben, ob nicht auch sie der Meinungsind, dass es im Prinzip eine europäische Aufgabe ist, dieAmerikaner zu entlasten, und dass man, wenn Deutsch-land das kann, darüber auch ohne Tabu muss sprechenkönnen. Darum geht es; das sollten Sie in diesem Zusam-menhang auch nicht verdrehen.
Ich komme zum zweiten Punkt: Ein bisschen versteheich noch von dem Kräftedispositiv der Bundeswehr. Des-wegen habe ich, als unter der Überschrift „Einsatz in Af-ghanistan“ davon gesprochen wurde, von Anfang an ge-sagt, dass die meisten dieser Kräfte gar nicht inAfghanistan eingesetzt werden können. Das fängt mit denSchiffen an. Direkt oder indirekt können sie aber sehrwohl eine Rolle spielen, nämlich dort, wo sie stationiertwerden. Auch darüber würde ich gerne offiziell einmal et-was hören. Man liest vieles. Wenn sie auslaufen, ist daskein geheimer Einsatz. Sagen Sie also einmal, worum esgeht. Werden sie in diesem Teil von Ostafrika und derarabischen Halbinsel direkt oder indirekt eine Rollespielen? Das gilt noch mehr für die 800 ABC-Soldaten.Sagen Sie als Außenminister, für welche Situation dieseKräfte vorbereitet sind. Welche Rolle sollen sie dort spie-len?Ich betone noch einmal: Wenn es um Geheimhaltunggeht, also um geheime Operationen, bin ich sofort an Ih-rer Seite. Jetzt versuchen Sie, sich zu verständigen. Sieschulden der deutschen Öffentlichkeit aber Aufklärungdarüber, wo die Bundeswehr eingesetzt wird. Das solltenSie auch endlich nachholen.
– Nein, auch der Außenminister hat dort eine ganz zen-trale Verantwortung, zumal er uns unterstellt, wir seienauf der Suche nach neuen Zielen.Ich komme zum letzten Punkt: Ein Einsatz mit einermultilateralen Truppe in Afghanistan wäre sehr schwie-rig; das ist gar keine Frage. Ich habe Ihnen aber im Aus-schuss gesagt, dass es ganz eindeutige Signale aus Ame-rika gibt. Die Deutschen sind in der ersten Phase nichtdabei. Wir sehen ja, welche Kämpfe dort stattfinden,währenddessen wir von Kaiserslautern nach Ankara flie-gen. Deswegen sind sie eigentlich besonders gut geeignet,in einer späteren Phase zusammen mit Soldaten aus isla-mischen Staaten und anderen, die sich nicht an diesenKämpfen beteiligt haben, eingesetzt zu werden.Eine solche Diskussion tabuisieren Sie aus innerpartei-lichen Gründen. Niemand drängt zu einem Einsatz; ichweiß, wie schwierig das ist. Aber bei Ihnen hat die Außen-politik die Funktion der Innenpolitik.Eine letzte Bemerkung: Natürlich bestehen zwischenKlaus Kinkel und mir unterschiedliche Auffassungen– das haben Sie wahrscheinlich gemeint – auch hinsicht-lich des Weltsicherheitsrates. Darüber müssen wir nocheinmal reden. Er hat sich aber immer vor die Bundeswehrgestellt und stets mehr Mittel dafür gefordert. Sie könntensich jetzt an das Mikrofon stellen, Herr Bundesau-
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ßenminister – es wäre schön, wenn Sie sich noch einmalmeldeten –,
und das erste Mal in drei Jahren für mehr Mittel für dieBundeswehr werben. Darüber würde sich, so glaube ich,auch der Kollege Scharping sehr freuen. Wir alle wärenüberrascht, wenn der Außenminister hier einmal nicht alsTaktiker aufträte, sondern sagen würde: Ich setze deut-sche Soldaten ein. Deswegen schulde ich ihnen auch zuHause die entsprechende Unterstützung. – Das wäre einneuer Joschka Fischer.
Als nächs-
ter Redner hat das Wort der Kollege Gert Weisskirchen
von der SPD-Fraktion.
Es sprach derehemalige Verteidigungsminister, für den die Außenpoli-tik eine Funktion der Verteidigungspolitik ist.
Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen, mein lie-ber Kollege Rühe. Wenn Sie Fragen stellen wollen, danntun Sie dies, wenn der Haushalt von Rudolf Scharping be-handelt wird.Im Übrigen – das wissen Sie genauso gut wie ich; da-rüber haben wir auch im Auswärtigen Ausschuss debat-tiert – hält sich die Bundesregierung strikt an das Mandatund setzt es so um, wie es der Beschluss des Bundestagesvorsieht. Daran wird nichts geändert; das Mandat wirdnicht ausgeweitet. Es wird strikt an dem festgehalten, wasder Deutsche Bundestag beschlossen hat. Letztlich wirdjede Maßnahme im Bereich der Verteidigungspolitikdurch das Parlament gebilligt und verbleibt unter der Re-gie des Parlaments und seiner Steuerung. Daran wird sichnichts ändern, selbst wenn Sie das möglicherweise gerneanders hätten, lieber Herr Kollege Rühe.
Bei Ihnen war es doch genauso wie bei HerrnSchockenhoff. Wer von Ihnen hat denn hier über die Ver-änderungen in der Außenpolitik gesprochen? HerrSchockenhoff hat sich fast ausschließlich über das Militärausgebreitet, ebenso der ehemalige Verteidigungsminis-ter. Über die Wende, über die wirklich dramatischen Ver-änderungen in der Außenpolitik aber haben Sie nicht eineinziges Wort verloren. Daran können Sie selbst sehen,dass Sie unfähig sind, die Außenpolitik mitzubestimmen.Sie sind in diesem Punkt noch nicht einmal politikfähig.Das muss ich Ihnen, liebe Kollegen von der CDU/CSU,sagen.
Worauf kommt es wirklich an? Vielleicht, lieber HerrKollege Rühe, könnten Sie sich einmal anschauen,worum es bei der Afghanistan-Konferenz in Königs-winter tatsächlich geht. Entscheidend ist doch, dass dieje-nigen, die dort verhandeln, für ihr eigenes Land den Wegin eine neue Zukunft suchen wollen. Dass dies möglichist, liegt auch daran, dass sich die BundesrepublikDeutschland als konstruktives Mitglied in der internatio-nalen Allianz gegen den Terrorismus profiliert hat. Dieshat diese Bundesregierung vorangetrieben und der Bun-destag hat es gebilligt.Als wir damals darüber gestritten und eine Entschei-dung getroffen haben, haben Sie dies, obwohl Sie in derSache dafür waren, aus innenpolitischen Gründen abge-lehnt. Das ist mindestens genauso zu kritisieren, wie Siedas Verhalten anderer kritisieren. Wir haben in unserenParteien, sowohl die Grünen als auch wir, heftig darüberdebattiert – ich finde, das war gut so –, alle Schattierungendieses Mandates ausgeleuchtet und sind dann zu derfesten Überzeugung gekommen, dass es aus Gründen derVerantwortung der Bundesrepublik Deutschland notwen-dig ist, diesem Mandat zuzustimmen.Wenn es jetzt darum geht, den Frieden in Afghanistanzu ermöglichen, dann sollten wir uns auch einmal dieFrage stellen, was wir in den letzten 23 Jahren versäumthaben. Haben wir nicht Afghanistan seinem Schicksalüberlassen? Unterschiedliche Warlords haben in diesemLand eine Kette von Gewalt, eine Kette von Unter-drückung ausgelöst. Die Frauen, die Kinder und die Ju-gendlichen sind die Opfer jener Schreckensherrschaftengewesen. Leider war es notwendig, dass im Rahmen derpolitischen Strategie, die entwickelt worden ist, auch dasMilitär eine Rolle spielt, damit endlich die Freiheit desLandes durchgesetzt werden kann. Das war der zentralePunkt unserer Auseinandersetzungen. Die ist notwendigund das wird künftig eine entscheidende Rolle in der deut-schen Außenpolitik spielen.Ich hoffe, dass ich im Namen von uns allen sprechenkann, wenn ich die Teilnehmer der Afghanistan-Kon-ferenz grüße und sie darum bitte, die Chance, die siejetzt haben, auch wirklich zu nutzen. Beenden Sie denLeidensweg der letzten Jahre, der bis zum Rand vollmit Blut gewesen ist! Geben Sie allen Menschen in Af-ghanistan, die guten Willens sind, die Möglichkeit, sicham Aufbau ihres Landes zu beteiligen! Helfen Sie mit,dass Frauen und Mädchen und besonders die Jugendli-chen eine friedliche Zukunft für sich und ihr Land ge-winnen.An der Tatsache, dass der Chefunterhändler der Nord-allianz, Junus Kanuni, davon, dass Afghanistan jetzt eineneue Ära vor sich hat, und vom Ende der Machtmonopolespricht, sieht man, dass in Afghanistan genau die richtigeLehre gezogen wird, eine Lehre, die eine friedliche Zu-kunft dieser Region möglich macht. Hier kommt unserdeutscher Beitrag künftig noch sehr viel plastischer zumAusdruck.Es geht nicht nur um die Frage, lieber Kollege Rühe,auf die Ihnen der Außenminister eben eine deutliche Ant-wort gegeben hat, nämlich ob wir am Ende, wenn dieUNO es in die Hand genommen hat, nicht doch noch be-reit sein könnten, Teil einer internationalen Friedens-truppe zu werden. Dies ist an Bedingungen geknüpft, die
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zunächst einmal die UNO allein zu stellen hat. Es ist auchdaran gebunden, dass Afghanistan einen solchen Wunschüberhaupt erst einmal vorträgt. Dann können wir darüberreden. Ich glaube, dass dann die Bundesregierung einenvernünftigen Vorschlag unterbreiten wird.Stabilität wird es in der Gesamtregion aber erst geben,wenn Afghanistan entmilitarisiert sein wird, wenn dasVertrauen zwischen den Gruppen, den Stämmen und denRegionen einen festen Grund gefunden hat. Dabei darfkeine Stimme überhört werden. Allen muss die Möglich-keit gegeben werden, sich an diesem Prozess zu beteili-gen. Genau dies ist das Kennzeichen dieser Bundesregie-rung, nämlich dafür zu sorgen, dass einer friedlichenKonfliktvorbeugung Raum gegeben wird.Wir haben den zivilen Friedensdienst durchgesetzt.Wir haben uns neuer Instrumente bedient. Auch Sie hät-ten dazu Zeit gehabt, haben diese Zeit aber verstreichenlassen. Wir haben es durchgesetzt und dies bleibt das Mar-kenzeichen dieser Bundesregierung.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Christian Schmidt von der
CDU/CSU-Fraktion.
Meine sehrverehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident!Man hat den Eindruck, dass die Rede des KollegenWeisskirchen der Versuch sein sollte, Dinge aufzuzeigen,die mit der Realität so nicht übereinstimmen, nämlichdass wir, die CDU/CSU und die FDP, zu Zeiten, als wirRegierungsverantwortung trugen, keine entscheidendenSchritte bei der Frage der Übernahme internationaler Ver-antwortung durch Deutschland unternommen hätten.Ich glaube, ich habe Sie missverstanden; denn in die-sen Fragen bauen Sie auf dem auf, was Klaus Kinkel,Helmut Kohl und Volker Rühe entwickelt haben. Genausobauen Sie, Herr Bundesaußenminister, bei dem von unsallen begrüßten Israel-Engagement auf dem auf, was inden 90er-Jahren von der damaligen Bundesregierung, ins-besondere durch Bundeskanzler Kohl, entwickelt wordenist.Es ist schade und schlimm, dass Yitzhak Rabin nichtmehr da ist. Er hätte darauf angemessen reagiert,
wie er es bereits 1995 getan hat.Wir müssen auch über die Erkenntnis reden, dass diesfür uns nicht zum Nulltarif möglich ist, wir uns also daund dort beteiligen müssen.Deshalb stellt sich bei der Afghanistan-Konferenzschon die Frage: Wird man aus den Erfahrungen der letz-ten 20 Jahre heraus den afghanischen Parteien, wie wohl-meinend auch immer sie sind, die Zukunft ihres Landessehr schnell in die Hände geben können, wo sie eigentlichauch hingehört? Oder wird die internationale Gemein-schaft darüber nachdenken müssen, ob sie konkrete Un-terstützung leistet?
All das, was Präsident Wilson 1918/19 und den Ame-rikanern insgesamt vorgeworfen worden ist – sie meinten,mit Vertragswerken ein Europa zu schaffen, dass man sichselbst überlassen könne, was dann in einer Katastropheendete –, sind historische Überlegungen, die uns bei derAfghanistan-Konferenz bewegen müssen. Deswegen istdie Frage, die Volker Rühe angesprochen hat, berechtigtund nicht nur hypothetisch: Wie steht es mit der Bereit-schaft, sich einzubringen, wenn es zu ungewollten, abermöglicherweise unabwendbaren Ereignissen kommt?Das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass jemand unge-duldig mit den Hufen scharrt und auf seinen Einsatz war-tet. Nein, es geht darum, Verantwortung umzusetzen.Wir erwarten Informationen. Zur Personalpolitik desAuswärtigen Amtes haben schon die Haushaltsbericht-erstatter und einige andere gesprochen. Aber, Herr Bun-desaußenminister, ich darf eine Bitte äußern. Ich sprechenur für mich persönlich, weil ich natürlich nicht für dengesamten Auswärtigen Ausschuss sprechen kann: Entwe-der Sie schicken Ihren Staatsminister Volmer mit Infor-mationen in den Auswärtigen Ausschuss oder Sie be-trauen ihn mit Büroarbeit im Ministerium.
Die Art und Weise, wie zum Teil kokettiert und ge-plaudert wird, ist nicht mehr akzeptabel. Sie ist mit IhremVerfassungsauftrag, das Parlament ständig über die Dingezu informieren, die mit Bundestagsentscheidungen zu-sammenhängen, überhaupt nicht zu vereinbaren. Dasmuss im Plenum einmal deutlich gesagt werden: Wenndas so weitergeht, wird es Ärger geben.
Zum Thema Bundeswehr. Frau Kollegin Leonhard,wenn ich das richtig gehört habe, haben auch Sie dazu ei-nen Beitrag. Ich wollte fast schon eine Überleitung zumEinzelplan 14 machen, möchte Ihnen aber nichts weg-nehmen. Natürlich ist die Bundeswehr ein Instrument derAußenpolitik. Nichts anderes ist diskutiert worden. Jemehr sie sich international einbringt, desto mehr muss sieihren Verpflichtungen gerecht werden können.Deswegen müssen wir – jetzt sind wir wieder bei derAußen- und Europapolitik – darauf hinweisen, dass wir inBezug auf die HeadlineGoals vonHelsinki, die Schaffungeiner europäischenEingreiftruppe – das ergab sich aus denErfahrungenderEuropäer imKosovo-Kriegund ihrenUn-zulänglichkeiten und das haben wir begrüßt –, nicht erlah-men dürfen. Wir stellen fest, dass der Anspruch Europas,einen Pfeiler darzustellen, und die Wirklichkeit, Beiträgeleisten zu können, immer mehr auseinander klaffen.Das hat mit Geld zu tun. Das hat damit zu tun, dass zumBeispiel die Frage des gemeinsamen Transportflugzeugesnicht geklärt ist.
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Gert Weisskirchen
20119
Ich weiß nicht genau, ob sich Gerhard Schröder oderVolker Kröning durchsetzt. Wir werden das verfolgen.Aber es gibt zwischen 40 und 72 Transportflugzeugennicht nur einen zahlenmäßigen, sondern auch einen qua-litativen Unterschied. Es geht um die Fähigkeit, sich anweit reichenden Einsätzen zu beteiligen. Die Frage ist,wie die europäische Integration beispielsweise auf derEbene der gemeinsamen Spezialkräfte, die genannt wor-den sind, stattfindet. Wir müssen hier kreativ denken, un-sere Ideen weiterentwickeln und unsere Ressourcen bün-deln. Davon merke ich nichts.Das Nebeneinander zwischenAußen- und Sicherheits-und Verteidigungspolitik hat gegenwärtig einAusmaß an-genommen, das den deutschen Interessen schadet. Deswe-gen muss beim Einzelplan 14 – ich will keinem meinerKollegen vorgreifen, die sich zum Verteidigungsetatäußern wollen – darauf hingewiesen werden, dass er aucheineFunktionderAußenpolitik ist undnicht nur eineFunk-tionder Ideologie.MancherGrüne ist immernochderMei-nung, die Bundeswehr gehöre sowieso abgeschafft.
Ich möchte eine Verbindung zur Reform des öffentli-chen Dienstes herstellen. Es ist immer wieder zu beob-achten, dass ehemalige Hamburger Regierungschefs fürFunktionen genannt werden. Manchmal schätzt man dieseVorschläge. Manchmal fragt man sich, welches Signal essein soll, wenn zum Beispiel Herr Runde als Nachfolgerfür die abgewirtschaftete Frau Fugmann-Heesing genanntwird, bei der sich die Gelehrten, die Aufsichtsratsvor-sitzenden und die Minister streiten, ob sie selbst gegangenist oder ob sie gegangen worden ist. Ich frage: Soll dasKonzept der GEBB ohne weiteres fortgesetzt werden?Ich bedanke mich dafür, dass bisher niemand auf denGedanken gekommen ist, alles im Bereich des Auswärti-gen Dienstes zu privatisieren. Ich habe den Eindruck,dass wir auch in anderen Bereichen einschließlich desEinzelplans 14 an Grenzen stoßen.Ich habe in einer heftigen Debatte, die wir im Verteidi-gungsausschuss geführt haben, den Herrn Bundesverteidi-gungsminister als Oberamtsrat tituliert. Das ist keine Be-leidigung, ganz im Gegenteil! Nur, der Minister istnatürlich kein Oberamtsrat. Er muss politische Vorgabenmachen. Aber ich befürchte, dass es allmählich zu wenigeOberamtsräte in unserer Bundeswehrverwaltung und auchin anderen Bereichen gibt. Bedenken Sie: Nicht alles, wasvon Unternehmensberatern vorgegeben und vorgeschla-gen wird, ist auf die Dauer wirklich billiger, als es gegen-wärtig rechnerisch dargestellt wird. Wir müssen deswegenbei der Frage der Bündelung der Mittel im Haushalt daraufachten, dass sie nicht nur effizient eingesetzt werden, son-dern dass auch ein politisches Zusammenspiel in derAußen- und Sicherheitspolitik gewährleistet werden kann.Wir hoffen, dass dasTreffen in Laeken und die nächstenBeratungen über die GASP, die GemeinsameAußen- undSicherheitspolitik, dazu führen, dass wir wirklich ein eu-ropäisches Standbein in der Sicherheitspolitik bekommen.
Herr
Schmidt, kommen Sie bitte zum Schluss.
Gegenwär-
tig ist das nicht der Fall.
Ich bedanke mich.
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Dr. Elke Leonhard von der SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! VerehrteKolleginnen und Kollegen! Wir haben in der auswärti-gen Kulturpolitik Zeichen gesetzt. Wir haben sie imHaushalt in Zusammenarbeit mit den Fachpolitikern set-zen können. Wir haben sie, egal, ob es sich um Vertreterder Oppositionsfraktionen oder der regierungstragendenFraktionen gehandelt hat, gemeinsam gewollt. So wurdenim letzten Jahr 21 Millionen DM für Stipendien-programme in den Haushalt eingestellt. Es ist uns in die-sem Jahr gelungen, die Summe zu verstetigen und dieMittel sogar um weitere 5 Millionen DM aufzustocken.
Des Weiteren: Herr Kollege Hoyer, Sie haben Recht,wenn Sie die Auslandsschulen als Perlen, als ein Pfundbezeichnen, mit dem wir wuchern müssten und sollten.Wir haben auch hier 5 Millionen DM – wir hätten lieber5 Millionen Euro gehabt – aufsetzen können.Dies alles zeigt, dass die Reform der auswärtigen Kul-turpolitik in den letzten Jahren effizient und mit einem ho-hen Maß an Übereinstimmung der beteiligten Mittler– das hat sehr viel Sensibilität gekostet – unter Einbezie-hung externer Gutachten systematisch und unaufgeregtvorangebracht wurde. Und: Der Prozess ist unumkehrbar!Die neuen Strukturen zeichnen sich bereits ab. Die Fu-sionierung von Goethe-Institut und Inter Nationes, dieheute sehr oft erwähnt wurde und zu der auch ein Ände-rungsantrag vorliegt, zeigt, dass wir ergebnisorientiert dieinstitutionelle Förderung heruntergefahren haben unddass dadurch eine qualitative Verbesserung – daraufkommt es an – der Programmarbeit erreicht werdenkonnte. Dieser Prozess geht weiter.
Wir werden selbstverständlich auch im Jahre 2002genügend Mittel haben. Als dienstälteste Politikerin fürauswärtige Kulturpolitik möchte ich einige Beispiele fürVerbesserungen nennen, deren Durchsetzung mir imHaushaltsausschuss gelungen sind. Es ist im Rahmen desHaushaltsvollzugs dieses Jahres gelungen, die Projekt-ausgaben durch Einsparungen bei den Betriebsmitteln inHöhe von circa 1,5Millionen DM zu erhöhen. Dies ist nur– das ist das erste Mal – durch einen Haushaltsvermerk imJahre 2001 gelungen.Wer sich auskennt, weiß natürlich auch, dass Einrichtun-genwie das Goethe-Institut Steuern zahlen. Nachdemmichdas Haus in London darauf aufmerksam gemacht hat, ist esmir gelungen, dass die zurückfließendenSteuererstattungen
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Christian Schmidt
20120
– es handelt sich hier umMillionenbeträge – zu 30 Prozentfür die Programmarbeit verwendet werden können.
Zählen wir all dies zusammen, verehrter Herr KollegeLammert, dann kommen wir zu der Frage, was eigentlichdie so genannte Fusionsrendite ist. Uns geht es darum,die Bürokratie ergebnisorientiert herunterzufahren undpeu à peu eine qualitative Verbesserung der Programm-arbeit zu erreichen. Des Weiteren ist es gelungen, an vierunterschiedlichen Standorten – hinsichtlich dieser Mo-delle stehen wir mit dem Auswärtigen Amt und den Mitt-lern in Verbindung – eine drastische Reduzierung derBürokratie bei gleichzeitiger Steigerung der Effizienz zuerreichen. An dieser Stelle verweise ich auf das ModellPeking. In wochenlangen Gesprächen mit den Mittlern,mit dem Auswärtigen Amt und mit den Botschaftern istes uns gelungen, eine Konzeption zu erarbeiten. DieseKonzeption ist tragfähig, weil sie praxisorientiert ist.Die mehrjährige Evaluierung der einzelnen Mittler be-weist, dass die von uns gewählte Schwerpunktsetzung,die Internationalisierung der Hochschulen, zu einerqualitativen Verbesserung der auswärtigen Kulturpolitikgeführt und sich gleichzeitig als Motor der Reform derauswärtigen Kulturpolitik erwiesen hat. Neben der Inten-sivierung der europäischen auswärtigen Kulturpolitikbleibt uns die Internationalisierung unserer Hochschulenals Schwerpunktsetzung für die kommenden Jahre. Paral-lel dazu, verehrte Kolleginnen und Kollegen, müssen wirendlich mit unseren französischen, britischen und italie-nischen Partnern eine permanente Kooperation zur Ver-tiefung der europäischen auswärtigen Kulturpolitik er-reichen; denn die internationalen Herausforderungenverlangen dies. Dabei wird selbstverständlich das von mirsehr geachtete Goethe-Institut eine zentrale Rolle spielen.Aber es geht nur in Kooperation.Der Bundesregierung ist es gelungen, die Wettbe-werbsfähigkeit Deutschlands im Hinblick auf begabtewissenschaftlich-technische Nachwuchskräfte zu stärken.Wir verfolgen damit zwei Ziele: Wir wollen den Anteilausländischer Studenten in der Bundesrepublik erhöhenund die Anzahl deutscher Studenten im Ausland binnenfünf Jahren verdoppeln.
Wenn wir bedenken, dass jetzt nur jeder zehnte inDeutschland eingeschriebene Student ein oder zwei Aus-landssemester aufweist, dann müssen wir hier zu einerSteigerung kommen. Besonders wichtig ist dies, wenn wires im Vergleich zu den USA, Frankreich oder Großbritan-nien sehen.Die Internationalisierung ist somit nicht nur zur Trieb-feder einer grundlegenden Studienreform geworden, mitder neue Rahmenbedingungen geschaffen werden sollen,sondern darüber hinaus ist auf die wachsende Finanzver-antwortung der Hochschulen abgezielt worden. Bemühun-gen um Modernisierung und Flexibilisierung sind gestar-tet worden und neue Wege für die Qualifizierung deswissenschaftlichen Nachwuchses sind entwickelt worden.
Frau Kol-
legin Leonhard, ich habe Ihre Redezeit schon um zwei
Minuten verlängert. Ich bitte Sie, jetzt zum Schluss zu
kommen.
Alle, die wir uns mit aus-
wärtiger Kulturpolitik beschäftigen, haben eine Enquete
gefordert. Jetzt kommt es darauf an, dass Großbritannien,
Frankreich, Italien und Deutschland in einem Fünf-Jah-
res-Programm zur Integration der europäischen auswärti-
gen Kulturpolitik und zur Kooperation auf diesem Gebiet
beitragen.
Ich danke Ihnen für Ihre Geduld, Herr Präsident.
Ich erteile
dem Kollegen Kampeter das Wort zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident!
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat auf Drucksa-
che 14/7644 eine Aufstockung der Mittel für das Goethe-
Institut um 410 000 Euro beantragt; Stichwort dazu: Fu-
sionsrendite. In der Debatte haben wir erkannt, dass es
einen gemeinsamen Willen der Berichterstatter gibt, hier
zu einer Lösung zu kommen, und in einer von uns als ver-
bindlich empfundenen Erklärung des Bundesministers
des Auswärtigen gehört, dass unserem Anliegen Rech-
nung getragen wird. Wir verlassen uns auf die Zusage des
Bundesministers und verzichten auf eine Abstimmung
über diesen Antrag.
VielenDank. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu denAbstimmungen, und zwar zunächst zur Abstimmung überden Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksa-che 14/7613. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist derAntrag gegen die Stimmen der Fraktionen der FDP, derCDU/CSU und der PDS mit den Stimmen der Koalitions-fraktionen abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05 –Auswärtiges Amt – in der Ausschussfassung. Wer stimmtdafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerEinzelplan 05 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionengegen die Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen.Ich rufe Punkt I. 18 auf:Einzelplan 14Bundesministerium der Verteidigung– Drucksachen 14/7313, 14/7321 –Berichterstattung:Abgeordnete Dietrich AustermannVolker KröningBartholomäus KalbOswald MetzgerJürgen KoppelinDr. Uwe-Jens Rössel
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Dr. Elke Leonhard20121
Zum Einzelplan 14 liegen ein Änderungsantrag derFraktion der CDU/CSU, drei Änderungsanträge der Frak-tion der FDP und fünf Änderungsanträge der Fraktion derPDS vor. Über je einen Änderungsantrag der Fraktionender FDP und der PDS werden wir später namentlich ab-stimmen. Weiterhin liegen je ein Entschließungsantragder Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vor, über diewir am Freitag abstimmen werden.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat derKollege Dietrich Austermann von der CDU/CSU-Frak-tion das Wort.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Der in der Beschlussempfeh-lung des Haushaltsausschusses vorgelegte Verteidigungs-haushalt ist eine einzige Bankrotterklärung. Mit rund23,6 Milliarden Euro liegt der im Haushaltsausschuss mitder Mehrheit der Regierungskoalition beschlossene undnunmehr zur zweiten Lesung anstehende Plafond des Ver-teidigungshaushaltes um 330 Millionen Euro unter demSoll des Jahres 2001. Die Talfahrt des Verteidigungshaus-haltes seit Übernahme der Regierungsverantwortungdurch die rot-grüne Koalition geht also trotz aller gegen-teiligen Zusagen weiter.
Das kann man ganz klar an den Zahlen nachvollziehenund feststellen: Mit 23,6 Milliarden Euro ist das Haus-haltsvolumen um 330 Millionen Euro geringer als indiesem Jahr. Dies ist aber nur ein kleiner Teil der er-schreckenden Wahrheit, die mit ungedeckten Wechseln,mit Hoffnungen und ungesicherten Erwartungen im Hin-blick auf Verwertungs- und Rationalisierungsgewinne ausder Tätigkeit der GEBB verschleiert werden soll.Der Bundesverteidigungsminister hat eine Zeit langsein eigenes Schicksal mit der Zukunft der GEBB ver-bunden. Wenn das Konzept des Liegenschaftsmanage-ments nicht funktioniere, wenn es nicht gelinge, dadurchzusätzliche Einnahmen zu erzielen, werde er seinen Hutnehmen. Bisher war es offensichtlich nicht möglich, dasser seinen Hut nahm, aber auch nicht, diese Erlöse zu er-zielen. Wir fragen uns, was noch passieren muss, damitdas von ihm gegebene Wort, die Zusagen und internenAussagen auch wieder belastbar sind.Aber mit dieser Entwicklung bei der GEBB, auf die ichnochzusprechenkommenwerde, ist esnichtgenug.Esgibteinige weitere illusionäre Erwartungen auf nicht eintre-tendeGeschäftserfolge.DerBundesverteidigungsministerselbst hat inder parlamentarischenBeratung imHaushalts-ausschuss deutlich gemacht, dass Ansätze in wichtigenAusgabenbereichen zunächst zusammengestrichen wer-den können, dass aber dann eine ordentliche Ausstattungerfolgenwird, wenn diese Zuflussvermerke nichtwirksamwerden sollten. Das bedeutet für den Haushalt, dass wederdie Vorhaben zur Informationstechnologie noch wichtigeBauvorhaben,diezurRealisierungderStruktur imRahmender Bundeswehrreform geplant waren,
noch die Modernisierung der maroden Fahrzeugflotte imJahr 2002 möglich sein werden. Der Minister sprach vonAnsatzkürzungen in Höhe von 800 Millionen DM. Wennes keine Privatisierungserlöse gibt, fehlen diese 800 Mil-lionen DM bei der Beschaffung; von Materialerhaltungganz zu schweigen.Natürlich haben diese Kürzungen nur zum Teil mit denerwarteten Einnahmesteigerungen zu tun. Der Betrag warnötig, um im Bereich der militärischen Beschaffung we-nigstens den Anschein einer ausreichenden Finanzaus-stattung aufrechtzuerhalten.So ist nach dieser Beschlussfassung im Haushaltsaus-schuss, nach dem heute vorliegenden Entwurf also, davonauszugehen, dass die Investitionsquote des Verteidi-gungsetats ein historisches Tief erreichen dürfte, nämlichkaum 22 Prozent. Das ist das Ergebnis der Politik vonMinister Scharping, die auch zu dem erschreckenden Fak-tum führte, dass in diesem Jahr Einnahmen von 1 Milli-arde DM im Bereich der militärischen Beschaffung sowieForschung und Entwicklung verplant wurden, von denenaber nur – das stellt man fest, wenn man sich die Erlöseder GEBB anschaut – ganze 17 Millionen DM eingegan-gen sind; diese 17 Millionen DM auch nur deshalb, weilder Bundesfinanzminister einen Vorschuss auf möglicheErlöse gewährt hat.Mit anderen Worten: Frau Fugmann-Heesing, die bisvor kurzem im Amt war, hat es nicht einmal geschafft, ihreigenes Gehalt von rund 1 Million DM durch die Tätig-keit dieser Gesellschaft zur Beratung der Bundeswehreinzuspielen. Das ist, meine ich, ein deutlicher Beweisdafür, dass das Konzept des Verteidigungsministers ge-scheitert ist.Von 36 Beschaffungsprojekten konnten bisher nurzehn in Auftrag gegeben werden. Wenn wir in der nächs-ten Sitzungswoche noch das eine oder andere be-schließen, das vor den rot-grünen Augen bestehen konnte,wird immer noch die Hälfte aller großen Beschaffungs-projekte in diesem Jahr nicht realisiert werden können.Der Verteidigungshaushalt schiebt in den Bereichender militärischen Beschaffung sowie der Forschung undEntwicklung, das heißt bei der Entwicklung von Projek-ten für Aufgaben für die Zukunft, eine Bugwelle von nichtrealisierten Vorhaben in Höhe von 900 Millionen DM vorsich her und somit in den Haushalt 2002. Damit verschärftsich die Situation bei weiter sinkendem Etat im kommen-den Jahr um weitere 900 Millionen DM.Wie beratungsresistent Minister Scharping ist, beweistder vorgelegte Haushaltsentwurf auch selbst. Im nächstenHaushalt kommt nach seinem und dem Willen der Bun-desregierung oder der sie tragenden Koalitionsfraktionenein weiterer Vorhabenbetrag hinzu, der in Höhe von1,2 Milliarden DM mit erhofften Einnahmen finanziertwerden soll.
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms20122
Auch dies ist nach unserer Einschätzung offensichtlichein Trugbild, da kein Anhaltspunkt dafür zu erkennen ist,dass diese Einnahmen auch realisiert werden.
Die GEBB sitzt seit mehr als einem Jahr auf Grund-stücken im Wert von weit über 600MillionenDM und warnicht in der Lage, ein einziges Grundstück zu verkaufen.Dass bei dieser Situation die Geschäftsführung der GEBBvorsorglich das Handtuch geworfen hat, ist verständlich.Ebenso verständlich ist, dass die Kollegen der Regie-rungskoalition im Haushaltsausschuss angesichts dieserLage das kalte Grauen gepackt hat. Nur so erklären sichfolgende Beschlüsse:Für den Fall, dass es diese Privatisierungserlöse, aufdenen der ganze Haushalt basiert, nicht gibt, ist beschlos-sen worden, die dann bankrotten Ausgabenbereiche wieInformationstechnik und Infrastruktur mit Verstärkungs-vermerken zu versehen. Das ist angesichts dieser Situa-tion vernünftig, aber nur deshalb notwendig, weil manselbst nicht glaubt, was man auf dem Papier geschriebenhat.Außerdem ist beschlossen worden, alle GEBB-Akti-vitäten mit Haushaltsrelevanz qualifiziert zu sperren. Dasbeinhaltet den geheimen Vorbehalt der Koalitionsabge-ordneten gegenüber dieser Gesellschaft. Ich kann mich andas Berichterstattergespräch erinnern, in dem der eineoder andere rot-olivgrüne Kollege gesagt hat:Wir werdendas Ende des Jahres abwarten, um zu wissen, ob es beider GEBB ein Ende mit Schrecken oder ein Schreckenmit Ende gibt, ob man nicht wirklich die vorzeitige Auf-lösung der Gesellschaft veranlassen soll. – Das fordernwir ja.Schließlich hat man von der Koalition vorgeschlagen,selbst international verbindliche Erklärungen des Bun-deskanzlers zur Beschaffung des Großraumtransport-flugzeugs im Haushalt zu konterkarieren. Wir alle erin-nern uns daran: Der Bundeskanzler hat vor kurzem beimdeutsch-französischen Gipfel sein Interesse daran deut-lich gemacht, dass das Großraumflugzeug beschafft wird.Es soll ja auch wichtige strategische Fähigkeiten im Luft-transport der Bundeswehr ermöglichen. Wenn man beiden Plänen bleibt – Beschaffung von 73 Flugzeugen –, istes notwendig, einen Betrag von 16 Milliarden DM oderrund 8 Milliarden Euro bereitzustellen.Im Haushalt dieses Jahres war eine Verpflichtungser-mächtigung in der Größenordnung von 5 Milliarden Euroeingestellt. Die konnte bisher nicht abgearbeitet werden,weil es dem Minister innerhalb dieses Jahres nicht mög-lich war, den Vertrag über die 73 neuen Großflugzeugetatsächlich abzuschließen. Man ist sich mit der Industrienicht einig geworden. Zunächst hat man sich in Le Bour-get getroffen, aber man musste auseinander gehen ohnewesentliche Unterschrift, weil es keine Zustimmung desParlaments und keine verhandlungsreifen Verträge gab.Jetzt ist man nicht ein Stückchen weiter, aber der Bun-deskanzler sagt, der Haushaltsausschuss habe ihm dasGeld nicht bewilligt.
Ich glaube, es ist ziemlich eindeutig, dass Regierungund Koalition in dieser Frage nicht mehr richtig mitei-nander reden. Sonst wäre dieses Problem am besten undschnellsten dadurch zu lösen, dass Sie unserem Antrag,den wir heute stellen, folgen.
Meine Damen und Herren, den besten Sparbeitragkönnte die Koalition leisten, wenn sie die GEBB; die seitihrer Gründung sage und schreibe 65 Millionen DM ausdem Bundeshaushalt erhalten hat, abschafft. In derZeitung ist heute zu lesen, dass die StaatsanwaltschaftBonn ermittelt, weil diese Bundesgesellschaft, HerrnScharpings Lieblingskind, Geld, das sie vom Bund alsDarlehen erhalten hat, für den Kauf von Aktien benutztund damit ein mieses Geschäft gemacht hat. Die Staats-anwaltschaft in Bonn ermittelt. Vielleicht ist das derGrund dafür, dass Frau Fugmann-Heesing aus dem Ver-kehr gezogen wurde bzw. zurückgetreten ist.
Der Verteidigungsminister hat gesagt, seine ganzeKonzeption einschließlich der Bundeswehrreform basiereauf dem Vier-Säulen-Modell, nämlich auf der veränder-ten Situation bei der Fahrzeugflotte – man hat mit derBundesbahn verhandelt, die sämtliche Fahrzeuge derBundeswehr übernehmen sollte; das kam nicht zustande,weil die Provisionsforderung von Frau Fugmann-Heesingmit 50 Millionen DM zu hoch war –, außerdem Beklei-dungsmanagement, IT-Management und Liegenschafts-management über alle diese Bereiche hat man verhandelt;ich habe davon gesprochen. Liegenschaftsmanagementetwa bedeutet, dass die Bundeswehr alle Kasernen an eineGesellschaft verkauft, an der der Bund beteiligt ist, undder Verteidigungsminister sie wieder anmietet. Dazu hatder Finanzminister gestern endgültig erklärt, das wäre einSchattenhaushalt und mit ihm nicht zu machen. Was istnun mit dem Rücktritt des Ministers, der gesagt hat, wenndieses Vier-Säulen-Modell nicht funktioniert, nehme erseinen Hut?Ich glaube, es ist ziemlich klar, dass mit diesem Vertei-digungsetat aufgrund der finanziellen Unterdeckung – indiesem Jahr fehlt weit über 1 Milliarde und im kommen-den Jahr dürfte ein Betrag von rund 3 Milliarden fehlen –kein Staat zu machen ist, dass er einer Bankrotterklärunggleichkommt.
Die Maßnahmen der Regierungskoalition im Haushalts-entwurf bezeugen die Handlungsunfähigkeit dieser Bun-desregierung auf dem Gebiet der Haushaltswirtschaft,eben auch in der Außen- und Verteidigungspolitik. Siewerden auch nicht besser durch die Zuweisung weiterer1,5 Milliarden DM aus dem Antiterrorpaket. Diese Mittelsind zweckgebunden für den neuen, bislang im Haushaltnicht abgebildeten Bedarf und lindern in keiner Weise dieNot des Einzelplans. Wenn man davon ausgeht, dass ausdiesen Mitteln auch noch die Kosten der Beteiligung derBundeswehr an der Operation Enduring Freedom bestrit-ten werden müssen, zeigt sich vollends, dass auch mit
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Dietrich Austermann20123
dieser Maßnahme nur von der Wirklichkeit abgelenktwerden soll.Meine Damen und Herren, auf die Reaktion unseresLandes, die als „uneingeschränkte Solidarität“ bei derBekämpfung des Terrors weltweit angekündigt war, istin der vorangegangenen Debatte eingegangen worden. Esist aber festzustellen: Wenn für das Liefern von Decken indie Türkei die Vertrauensfrage gestellt werden muss unddie Olivgrünen erst einen Tag vor der Friedenskonferenzzur Zustimmung kommen,
ist das für die Bundeswehr kein Ruhmesblatt und für dieBundesregierung blamabel.
Dabei ist ziemlich klar, dass unsere Kritik überhaupt nichtan die Bundeswehr und ihre tüchtigen zivilen und solda-tischen Mitarbeiter gerichtet ist, sondern an die Führung,die sie dieser Blamage ausgesetzt hat.Ich möchte einen weiteren Punkt anführen, der vordem Grünen-Parteitag, den ich eben angesprochen habe,eine Rolle gespielt hat. Die Roten und die Olivgrünen tunja alles, um sich gegenseitig zu helfen. Vor dem Grünen-Parteitag hat Außenminister Fischer mit großem Tamtamverkünden dürfen, er habe einen rüstungspolitischenKatalog gestoppt, in dem ausgemusterte Waffen zum Ver-kauf angeboten werden. Überall, sei es im Kabinett oderbei den Haushaltsberatungen, stimmen die Grünendiesem normalen Geschäft zu. Im Haushalt sind Ver-äußerungserlöse aus dem Verkauf von Waffen anNATO-Partner, aber auch an befreundete Nationen einge-plant. Vor Parteitagen macht es sich für grüne Seelen je-doch gut, wenn es heißt, wie die „Welt“ kürzlich schrieb:„Fischer, der Friedensfürst, stoppt Scharping, den Waf-fenhändler.“ Mit verantwortungsvoller Politik hat dasnichts zu tun.
Man stelle sich einmal vor: Man ist dagegen, dass andie Türkei Waffen geliefert werden, und sagt, mit denenwolle man, was Waffenlieferungen angeht, nichts zu tunhaben. Gleichzeitig ist man jetzt im Rahmen dieser Un-terstützungsaktion darauf angewiesen, für die Transporteder Decken einen Flugplatz im Lande des Partners Türkeianzufliegen. – Das passt doch hinten und vorne nicht.Es passt auch nicht zusammen, dass sich der Verteidi-gungsminister intern damit schmückt, bei Rüstungsex-porten sei 1999 ein Rekord erzielt worden, wenn gleich-zeitig der Eindruck vermittelt werden soll, man habe mitdiesen Exporten nichts zu tun.Der rot-grüne Streit ist nicht nur auf diesem Gebiet evi-dent. Bei Herrn Fischer habe ich allerdings den Eindruck,dass seine Haltung mehr äußerlich ist. Klammheimlich,also hinter dem Rücken, macht er genau das, was ihmnachgesagt wird: Auf dem Parteitag verstellt er sich bloß.
Direkt nach dem Grünen-Parteitag hat Scharping wider-sprochen, als er gesagt hat, die Verkäufe gingen weiter,und auf einen entsprechenden Kabinettsbeschluss vomJuli 2001 hinwies. Diese Arbeitsteilung mag für denkrampfhaften Zusammenhalt von Rot-Grün Kitt sein undkoalitionsintern zur Beruhigung beitragen. Für unserLand und natürlich auch für die Industrie ist das schlecht.Ich möchte zusammenfassen: Im Haushaltsent-wurf 2002 wurden dem Einzelplan 14 durch bewussteMittelabsenkungen rund 800 Millionen DM entzogen.Die Ausgaben für militärische Beschaffungen, Forschungund Entwicklung sind mit mindestens 1,2 Milliarden DMunterfinanziert. Die Bugwelle nicht realisierter Vorhabendes Jahres 2001 in Höhe von 900 Millionen DM tritthinzu. Damit liegt die bewusste Unterdeckung des Vertei-digungshaushalts bei 3 Milliarden DM. Wir haben An-träge in entsprechender Höhe gestellt. Wer es mit der Si-cherheitspolitik und der Verteidigung unseres Landes undmit dem Bündnis ernst meint, der muss diesen Anträgenzustimmen. Haushaltsrisiken, für die keine Vorsorge mehrgetroffen werden kann, treten hinzu.Ihre rot-grüne Politik ist unverantwortlich und nichtzukunftsorientiert. Eine solche Firmenbilanz würde jedenGeschäftsführer eines Unternehmens dem Vorwurf derErfüllung von Straftatbeständen aussetzen. Die vonMinister Scharping angestrebte Bundeswehrreform istmit diesem Finanzrahmen nicht zu machen.Herr Minister Scharping, Sie haben das Vertrauen ver-loren: Die Soldaten haben kein Vertrauen mehr zu Ihnen,die Bevölkerung hat kein Vertrauen mehr zu Ihnen undIhre eigene Partei hat, wie das mickrige Wahlergebnis aufdem Nürnberger Parteitag deutlich gemacht hat, kein Ver-trauen mehr zu Ihnen. Der Generalinspekteur, Ihr dritterin Ihrer Dienstzeit, hat kein Vertrauen mehr. FrauFugmann-Heesing verlässt fluchtartig das sinkendeSchiff, die GEBB. Ich nehme an, Ortwin Runde oderOswald Metzger haben noch Vertrauen zu Ihnen; schließ-lich werden sie als Kandidaten für das Amt des Ge-schäftsführers der GEBB genannt. Möglicherweise glau-ben sie, mit Ihnen im Amt werde die GEBB fortbestehen.Wer sonst hat überhaupt noch Vertrauen in diesen Bun-desverteidigungsminister?
Es scheint, dass einzig und allein der Kanzler ihn nochhält, wahrscheinlich nur deswegen, weil er bereits siebenMinister und viele Staatssekretäre entlassen hat. HerrMinister, Sie sollten die Kraft haben, der Bundeswehr zudienen und einem Besseren Platz zu machen.
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Volker Kröning für die SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Der Verteidigungshaus-halt 2002, den die Koalition vorlegt, bildet einen Aus-
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Dietrich Austermann20124
gleich zwischen finanz- und sicherheitspolitischen Erfor-dernissen und verbindet die Anforderungen an die Bun-deswehrreform und an die aktuellen Einsätze der Bundes-wehr mit den Anforderungen an die Sanierung desBundeshaushalts.Erinnern wir uns an die Strecke, die wir zwischen demHaushaltsentwurf 2000 und dem Finanzplan 2003 sowiedem Haushaltsentwurf 2002 und dem Finanzplan 2005auf dem Politikfeld der Verteidigung zurückgelegt haben.Die Linie der Sollentwicklung lautete damals: 45,3 Milli-arden DM für das Jahr 2000 und für die Folgejahre44,8 Milliarden DM, 44,5 Milliarden DM und 43,7 Milli-arden DM.Mit dem Einsatz der Bundeswehr im Kosovo, der alserster Auslandseinsatz nicht aus dem Verteidigungs-haushalt erwirtschaftet werden musste, wurde das Budgetzunächst, im Jahre 1999, um 441Millionen DM verstärkt.Sodann, im Jahre 2000, wurde es aus dem Einzelplan 60um 2 Milliarden DM verstärkt. Seit 2001 stehen dieseMittel dem Einzelplan 14 unbefristet zur Verfügung.Mehr als 800Millionen DM davon sind zur gezielten Mo-dernisierung der Bundeswehr vorgesehen.Im Jahre 2001 sind zwei weitere Korrekturen erfolgt,die das Budget mittel- und langfristig stabilisieren. Ichmeine zunächst Südosteuropa. Im Vorfeld der Einsätze inMazedonien ist die Finanzlinie des Einzelplans bis 2006verlängert und um jährlich 500 Millionen DM erweitertworden. Der 11. September hat ein Übriges getan und zueiner Aufstockung um weitere 1,5MilliardenDM pro Jahrgeführt.
Dabei sollte sich jeder erinnern, dass man sich in derTheorie der Terrorismusbekämpfung einig gewesensein mag, in der Praxis aber erst jetzt zu einer kurz- wiemittelfristig angelegten Antwort findet; das ist übrigensim Ausland nicht anders als bei uns. Diese Antwort er-schöpft sich keineswegs in dem militärischen Beitrag zurTerrorismusbekämpfung, sondern ist komplex, wie dievorige Debatte deutlich herausgearbeitet hat.Im Soll hat sich damit der Verteidigungshaushalt von2000 bis 2002 von 45,3 auf 46,2 Milliarden DM erhöht.Mit den Mitteln aus dem Einzelplan 60 wird das Budgetsogar von 47,3 auf 47,7 Milliarden DM ansteigen. Von2003 an wird die Linie des Einzelplans stetig bei 47,7Mil-liarden DM liegen.
– Um das allen verständlich zu machen und um besser mitden Vorjahren vergleichen zu können, habe ich, lieberHerr Kollege Rossmanith, noch DM-Beträge und nichtEuro-Beträge verwandt.Der Anteil des Verteidigungshaushaltes am Gesamt-haushalt liegt damit – ohne die weiteren Ausgaben nachNATO-Kriterien – konstant bei knapp 10 Prozent des Ge-samthaushaltes. Mit den Ausgaben nach NATO-Kriterien,wie etwa Versorgungslasten oder Stationierungslasten,sind das weitaus mehr als 10 Prozent. Diese Linie lässtsich – das sage ich ganz klar – auf absehbare Zeit nichtnach unten korrigieren.Fairerweise muss man fragen: Wäre man, wie dieCDU/CSU glauben machen möchte – deshalb will ichmich damit auseinander setzen –, ohne die ursprünglichgeplanten Kürzungen des Verteidigungshaushaltes bessergefahren? Die Antwort lautet klar: Nein; denn das hättenur die alte Praxis fortgesetzt, die jeweils erforderlichenBeträge aus dem Einzelplan zu erwirtschaften. Ich erin-nere an die Linie der Ist-Ergebnisse der 90er-Jahre, dieebenso den damaligen Auslandseinsätzen wie der Spar-politik geschuldet war, an der sich vor Hans Eichel schonTheo Waigel versucht hat.Ist also die im Jahr 2000 beschlossene, auf dasJahr 2006 zielende und in der schrittweisen Umsetzungbegriffene Bundeswehrreform hinreichend finanziert– diese Frage stellt sich durchaus – oder ist sie unterfi-nanziert, wie vom rechten Teil dieses Hauses unaufhör-lich verbreitet wird? Die Antwort darauf darf sich nicht inder These erschöpfen, dass die Reform den sicherheits-politischen Möglichkeiten und den finanzpolitischen Not-wendigkeiten genügen muss. Das bleibt eine Floskel. Esgenügt auch nicht, auf die reduzierte Rolle der klassischenLandes- und Bündnisverteidigung zu verweisen. Instabi-litäten in und um Europa und neue Gefahren wie der in-ternationale Terrorismus sowie die Herstellung und Proli-feration von Massenvernichtungsmitteln fordern auf neueund umfassende Weise das Recht und die Pflicht zurSelbstverteidigung und zur Sicherheitsvorsorge heraus.
Dies hat uns die Realität schockartig und böse vor Augengeführt.Nein, die Antwort lautet: Die Bundeswehrreform istnotwendiger und dringlicher denn je. Ich hätte es sogarvorgezogen, sie früher einzuleiten. Doch es ist ein Gebotder Wahrhaftigkeit, daran zu erinnern, dass der Verteidi-gungshaushalt von vornherein gegenüber anderen Haus-halten bevorzugt worden ist. Ich nenne über die genann-ten Verstärkungen hinaus vor allem den beinahevollständigen Selbstbehalt der Effizienzrendite und denSelbstbehalt der Veräußerungserlöse, den die Ressortver-einbarungen von 2000 und 2001 nicht einmal erfunden,sondern nur ausgeweitet haben.Die GEBB bleibt für uns eine verwaltungs- und haus-haltstechnische Innovation, die sich auszahlen wird.
Das Regelwerk, das inzwischen feststeht, eröffnet derGEBB – völlig unabhängig von Personalien – einen rea-listischen Entwicklungspfad und ist parlamentarisch zuverantworten. Wer vor diesem Hintergrund immer nochvon Unterfinanzierung der Bundeswehr redet, hat jedenMaßstab verloren.
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Oder an die Adresse des leider an diesem Punkt nichtmehr beteiligten Herrn Rühe gesagt: Wer von Demontageredet, macht Parteipolitik auf dem Rücken unserer Sol-daten.
Nun die in die Zukunft weisenden Eckpunkte des Ent-wurfs 2002:
Mit dem für die vor uns liegenden Jahre beschlossenenPersonalbudget wird das Attraktivitätsprogramm ver-wirklicht, das zentraler Bestandteil der Bundeswehr-reform und Ausfluss des Neuausrichtungsgesetzes unddes Besoldungsänderungsgesetzes ist, die vom Haus be-reits beschlossen worden sind. Das Programm eröffnet al-lein im militärischen Bereich 2002
– hören Sie gut zu, Sie Zwischenrufer – fast 42 000 Be-förderungsmöglichkeiten, davon für Offiziere 5 500, fürUnteroffiziere 1 850 und für Mannschaftsdienstgrade34 500. Darüber hinaus kann und wird die vom Verteidi-gungsausschuss einstimmig beschlossene Erhöhung desMobilitätszuschlages finanziell dargestellt werden, so-bald § 8 d des Wehrsoldgesetzes geändert ist.Im Sachhaushalt lassen sich die Investitionen, also dieAnsätze für Forschung und Entwicklung und für Be-schaffungen, die im Plafond nur 23 Prozent betragen,durch die gesicherten Verstärkungsmittel wesentlich er-höhen; in absoluten Zahlen: zu den 5,2 Milliarden Eurokommen – vorsichtig gerechnet – 0,6 Milliarden Euro zu-sätzlich. Vergleichen wir – jetzt passen Sie gut auf – dieIst-Entwicklung der Investitionen über ein Jahrzehnt undnehmen wir sie zum Maßstab der Richtung und des Tem-pos der Modernisierung der Bundeswehr. Wenn man die-sen Maßstab anlegt, stellt man von 1994 über 1998 bis2000 – um nur die Daten am Ende der letzten zwei Wahl-perioden und nach den ersten zwei Jahren dieser Wahlpe-riode zu vergleichen – folgende Linie fest: 21,1 Prozent1994, 23,7 Prozent 1998 und 24,3 Prozent im Jahre 2000,oder in absoluten Zahlen gesagt: 9,9 Milliarden, 11,1 Mil-liarden und 11,6 Milliarden DM.
Sieht man sich alleine die Beschaffungen an, so stelltman folgende Ausgabenkurve fest: 5,5, 6,5 und 7,2 Milli-arden DM. Von einem historischen Tief, Herr KollegeAustermann, kann also überhaupt keine Rede sein.
Die große Zahl der Beschaffungsentscheidungen, dieder Haushaltsausschuss – zugegebenermaßen nicht mitder Begleitmusik, mit der Sie das zu tun pflegten und lei-der meist in Form von halbwahren Informationen immernoch tun – in dieser Legislaturperiode getroffen hat unddie er noch vor sich hat, ist ein eindeutiger Beleg. Ichnenne als aktuelles Beispiel nur die Division SpezielleOperationen, die möglicherweise die Hauptlast bei einemErnstfall zu tragen hätte. Die DSO ist rechtzeitig aufge-stellt worden, mehr als zwei Drittel ihrer Ausrüstung sindbeschafft, der Rest hat 2002 und 2003 Priorität.Zum A 400 M nur die Bemerkung, Herr Austermann,dass die Koalition auf Bitten des Bundesministers derVerteidigung die VE, die bereits in diesem Jahr im Haus-halt stand, auf das nächste Jahr übertragen hat, weil – sodas Ministerium – die Zeit für die Beschaffungsvorlagenoch nicht reif sei.Ein Wort noch aus besonderem Anlass zur Material-erhaltung: Sie fällt nicht unter die Investitionsausgaben,sondern unter die konsumtiven Ausgaben und zeigt einnoch krasseres Bild als die Entwicklung der Investitionen,wenn man von der Gegenwart in die Vergangenheitzurückschaut. Diese Ausgaben haben sich nämlich in dendrei Abschnitten von 1994 über 1998 bis 2000 von zu-nächst 4,3 Milliarden DM auf 4 Milliarden DM verringertund sind – wohlgemerkt, im Ist – unter unserer Regierungauf 4,5 Milliarden DM erhöht worden. Sie steigen im Sollim nächsten Jahr noch einmal auf 4,7 Milliarden DM an.Dabei wünschte ich mir, dass das Verhältnis zwischenMaterialbeschaffung und Materialerhaltung bald günsti-ger wird. Dies hängt neben einem klaren, von einem Con-trolling begleiteten Erhaltungskonzept, dessen Erarbei-tung vom Haushaltsausschuss in Auftrag gegeben wordenist, auch von einem entschiedenen Aussortierungskonzeptab, das eine schrittweise Umsteuerung der Investitionen,von Alt zu Neu also, einschließt.Zusammengefasst: Die Fakten sind eindeutig. Die in-teressierten Kreise – sei es aus der Bundeswehr, sei es ausder Industrie – sollten bei den Fakten bleiben und ihre Kri-tik mäßigen. Überhaupt tun alle Verantwortlichen gut da-ran, das Geleistete herauszuarbeiten und nicht Illusionenhinterherzujagen.
Ich gebe zu, dass das Verhältnis von Personal- undSachquote im Verteidigungshaushalt noch immer zu den-ken gibt und in den nächsten Jahren korrigiert werdensollte. Allein auf die Effekte der GEBB, sobald und soweitsie hinzutreten, sollte man nicht setzen.Doch hört man sich jenseits des politischen und publi-zistischen Getümmels bei all denjenigen, die sachlichbleiben, um, so findet man bestätigt: Die Richtung der Re-form stimmt. Man sollte über sie positiv und nicht nega-tiv sprechen, nicht zuletzt auch deshalb, um den Arbeits-platz Bundeswehr materiell und ideell attraktiv zuerhalten.
Ich appelliere an alle Fraktionen, die Bundeswehr, ihreLeistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft aus demparteipolitischen Streit herauszunehmen. Tun wir es nicht,
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laufen wir Gefahr, dass andere die Bundeswehr ständig inden Dreck ziehen. Darunter leiden die Einsatzkräfte, andie wir in diesem Moment denken sollten, und alle ande-ren Soldaten und Zivilisten, die für sie da sind. Ich wün-sche mir – ich drücke das bewusst nicht im Konjunktiv,sondern im Indikativ aus – einen Konsens über die äußerewie die innere Sicherheit.Vielen Dank.
Für die
FDP-Fraktion spricht der Kollege Günther Nolting.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kröning, nie-mand von der Opposition will die Bundeswehr in denDreck ziehen. Ich glaube, auch wir aus den Reihen derOpposition sind uns unserer gemeinsamen Verantwortungbewusst.Ich will am heutigen Tage vielmehr daran erinnern,dass sich in diesem Moment mehr als 7 500 Angehörigeder Bundeswehr im Einsatz auf dem Balkan und inGeorgien befinden. Fast 4 000 halten sich für die Teil-nahme am Kampf gegen den internationalen Terrorismusbereit. Sie alle, aber auch die Angehörigen der Bundes-wehr hier vor Ort leisten eine hervorragende Arbeit. Siegarantieren die äußere Sicherheit unseres Staates und sieerhalten und schaffen an den verschiedensten Orten die-ser Erde Frieden.
Sie tun dies unter dem Einsatz von Leib und Leben. Wiralle sind ihnen dafür zu Dank verpflichtet.
Die Bundeswehr hatte vor rund zehn Wochen ihren ers-ten gefallenen Soldaten zu beklagen. Von der Öffentlich-keit fast nicht wahrgenommen, kam Oberstabsarzt DieterEissing im Einsatz für den Frieden durch den Abschuss ei-nes Hubschraubers in Georgien ums Leben. Der Dienst inder Bundeswehr ist nicht ohne Risiko. Ich bin mir dessenimmer bewusst gewesen. Der Beruf des Soldaten ist vonbesonderer Qualität. Für mich stand das immer außerZweifel.Die Angehörigen der Bundeswehr – ob nun in Uniformoder in Zivil – bedürfen der speziellen Anerkennung undsie bedürfen der notwendigen Mittel zur Erfüllung ihresgefahrvollen Auftrages. Es ist die Aufgabe des Vertei-digungsministers, dafür zu sorgen, dass die Soldatinnenund Soldaten optimal ausgebildet werden, dass ihnen mo-dernste Ausrüstung und Bewaffnung zur Verfügung stehtund dass die Soldaten und die zivilen Mitarbeiter ange-messen bezahlt werden. Herr Scharping, Sie erfüllenkeine dieser Aufgaben.
Sie übernahmen 1998 einen Verteidigungshaushalt inHöhe von 46,8 Milliarden DM. Der Verteidigungshaus-halt betrug 10,1 Prozent des Bundeshaushaltes. Ich willeingestehen, dass das wenig genug war. Herr Minister, Siehatten auch Recht mit Ihrer Feststellung, dass eine Inves-titionslücke von rund 20 Milliarden DM bestehe. Späterhaben Sie im Zahlenrausch eine Lücke von 30 Milli-arden DM genannt.Was kam dann? Nichts, rein gar nichts!
Ihr Haushalt wurde Jahr für Jahr zusammengestrichen.Der Kollege Kröning hat das für die SPD gerade noch ein-mal bestätigt. Heute haben Sie nominal rund 3 Milli-arden DM weniger. Der Anteil des Verteidigungshaus-haltes am Bundeshaushalt beträgt nur noch 9,1 Prozent.Das ist der Tiefststand in der Geschichte der Bundeswehr.Herr Kollege Kröning, das ist die Wahrheit.
Die Bundeswehr geht sprichwörtlich baden – wennauch ohne Fotostory, möchte man fast sagen, wenn esnicht so unendlich traurig wäre.
Sie, Herr Minister, tragen die alleinige Verantwortungdafür, Sie ganz allein.
Sie sind zu einem Führer grenzenlos enttäuschter Truppengeworden. Zugleich sind Sie ohne Rückhalt im Kabinett.Die Parteitagsdelegierten sprachen Ihnen in Nürnberg dasMisstrauen aus. In Ihrer Fraktion läuft für alle sichtbar dieoffene Rebellion. Wie anders ist die Forderung des Kolle-gen Opel, immerhin ein ausgewiesener Verteidigungs-experte der SPD, zu verstehen, dass Sie, Herr Minister,den Oberbefehl über die Bundeswehr an den Kanzler ab-geben sollen? Ich teile allerdings die Auffassung des Ver-fassungsrechtlers Wieland, der die aktuelle Dominanz desKanzlers in Fragen des Bundeswehreinsatzes analy-siert als „ein Anzeichen für die politische SchwächeScharpings, aber nicht für eine Lücke im Grundgesetz“.So ist das. Der Mann hat Recht.
Die Bilanz der jetzt dreijährigen Amtszeit des Vertei-digungsministers ist ebenso ernüchternd wie katastrophal.Letztes Beispiel – das ist hier schon angesprochen wor-den – ist die Gesellschaft fürEntwicklung, Beschaffungund Betrieb, kurz GEBB. Diese Gesellschaft ist nicht nurein Megaflop, sie ist auch – so die „Bild“-Zeitung vonheute – ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten, die seitzwei Monaten wegen des Verdachts der Untreue ermittelt.Der Kollege Austermann hat schon darauf hingewiesen.Die Kündigung von Frau Fugmann-Heesing, immerhinbislang hoch gelobte
und noch höher bezahlte Geschäftsführerin dieses ominö-sen Konstruktes, täuscht nicht über den wahren Verant-wortlichen hinweg. Der heißt Rudolf Scharping. Die
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Volker Kröning20127
GEBB ist am Ende. Sie sollte wegen Erfolglosigkeit auf-gelöst werden, um der Verschwendung von Steuergeldernein Ende zu bereiten.
Einen entsprechenden Änderungsantrag hat die FDP-Bundestagsfraktion eingebracht. Ich bitte hier um Zu-stimmung.
Herr Minister Scharping, für Sie bedeutet die erneuteNiederlage jedoch mehr. Ihr ohnehin schon brüchiges Fi-nanzgebäude steht endgültig vor dem Einsturz. Die vonIhnen vollmundig proklamierte größte Militärreformseit Scharnhorst, in Wirklichkeit wohl eher ein Reförm-chen, bricht in sich zusammen – zulasten der internatio-nalen Reputation Deutschlands und zulasten der Ange-hörigen der Bundeswehr, deren oberster Dienstherr Siedoch sind.Herr Minister, in Ihrer Haushaltsrede des letzten Jahresversprachen Sie unter anderem, den strukturellen Über-hang von 8 000 Unteroffizieren und Offizieren und denBeförderungsstau innerhalb von zwei Jahren abbauen zuwollen. Das sind Ihre Worte, Herr Minister Scharping.Was sind Ihre Taten? Gerade einmal 3 000 Dienstposten-inhaber können innerhalb der kommenden fünf Jahre dieBundeswehr vorzeitig verlassen. So bleibt auch das Ver-sprechen an die Soldaten, den Beförderungsstau schnells-tens aufzulösen, eine Chimäre. So erzielt man keine At-traktivität des Soldatenberufes. So verspielt man auch dasletzte Vertrauen der Untergebenen.
Die Defizite bei der Attraktivität lassen sich benennen:die zu lange Stehzeit bei den Auslandseinsätzen, die zuniedrige Eingangsbesoldung, die ungleiche Ost-West-Be-soldung, die nicht ausreichende Bezahlung vieler zivilerMitarbeiter und mangelhafte Beförderungsmöglichkei-ten. Die Liste ließe sich endlos weiterführen.Nicht mehr, sondern immer weniger bekommen dieMenschen, die die äußere Sicherheit unseres Landes ga-rantieren sollen und die ihre Köpfe für den Weltfriedenhinhalten.Die Bundeswehr, das Armenhaus der Nation, undRudolf Scharping hat sie dazu gebracht. Das ist die Wahr-heit.
Ein Verteidigungsminister, der sich durch die bewussteVeröffentlichung peinlicher Badefotos der Lächerlichkeitpreisgibt,
der nicht in der Lage war und ist, nachvollziehbare Be-gründungen für die Nutzung der Flugbereitschaft fürMallorca-Trips zu geben, der geheime Militärplanungenvor laufenden Kameras ausplaudert, der unsere britischenFreunde öffentlich brüskiert, der den Bündnisfall zumfalschen Zeitpunkt ankündigt, dessen Haushalt drastischunterfinanziert ist und der im Kabinett jegliche Durchset-zungsfähigkeit verloren hat, ist eine Belastung für dieBundeswehr und für das internationale Ansehen Deutsch-lands. Deshalb ist der Rücktritt von Minister Scharpinglängst überfällig.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich gebe das
Wort der Kollegin Angelika Beer für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.
HerrPräsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ichmöchte versuchen, die Debatte jetzt wieder etwas sachli-cher zu gestalten;
denn ich bin überzeugt, dass wir hier nicht Schaumschlä-gerei betreiben sollten, Herr Kollege Nolting, sondern unsauch die Zeit nehmen sollten, eine Debatte über die Zu-kunft deutscher Außen- und Sicherheitspolitik zu führen.
Eine solche Debatte eignet sich nicht zu Schnellschüssen,vor allen Dingen nicht zu solchen, wie die CDU/CSU sieeben vorgetragen hat, nämlich 3 Milliarden Euro mehr fürdas Großraumflugzeug zu beantragen.
Sie betreiben hier, etwas hilflos, einen vorgezogenenWahlkampf. Es bleibt dabei, dass Ihnen nichts Substanzi-elles einfällt.
Ich bin der Ansicht, dass wir neu über Sicherheitspoli-tik diskutieren müssen, über die Folgen des 11. Septem-ber nachdenken müssen. Dies muss aber in einer breitenÖffentlichkeit und vor allen Dingen im Parlament quali-tativ möglich sein.
Ich hätte mir gewünscht, dass das heute geschieht.Wir Grünen haben diese Diskussion ernsthaft geführtund wir werden sie weiter führen. Wir wollen die öffent-liche Auseinandersetzung. Wir wollen über die Konzeptereden, weil sie nicht nur die Soldaten betreffen, die wir inden Einsatz schicken, sondern auch unsere Gesellschaft,die Rolle Deutschlands in der internationalen Politik.Deswegen muss man auch in dieser Haushaltsdebattenoch einmal festhalten, dass der 11. September vieles inunseren Köpfen verändert hat.
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Günther Friedrich Nolting20128
Das ist wichtig. Ich sage das so, weil wir alle, gerade wirFachpolitiker, wissen, dass der internationale Terroris-mus selber keine neue Erscheinung ist. Aber aufgrund derArt der zynischen und Menschen verachtenden Anschlägewie im September wissen wir, dass dieser Gegner keineRücksicht auf Zivilisten, auf Unschuldige nimmt.Wir wissen, dass wir darauf nicht mit herkömmlichenmilitärischen Mitteln allein reagieren können. Es sind un-gleiche Feinde. Wir sind noch nicht ganz sicher, wie wiruns gegen diesen Angriff verteidigen sollen. Gerade des-halb ist abseits der Zahlenspielereien und Verdrehungen,die Sie eben vorgenommen haben, zu definieren, welcheRolle das Militär im Kontext der Terrorismusbekämpfungspielen kann und welche es spielen soll.Ich glaube, dass diese Rolle nur begrenzt sein kann, dader Gegner kein militärischer, kein staatlicher Gegner ist,sondern mit terroristischen, kriminellen Methoden vor-geht. Das Militär kann nur punktuell darauf reagieren. Zu-dem besteht die Gefahr einer Eskalation – wir alle wissendas –, wenn das Militär nicht begrenzt eingesetzt wird.Wir werden dazu noch zahlreiche Diskussionen führen,
da jeder Militäreinsatz, Herr Kollege Rossmanith – dassage ich auch zu einigen Kollegen in der SPD –, nach un-serer Überzeugung erneut breit und verantwor-tungsbewusst diskutiert und entschieden werden muss,und zwar mit hoffentlich breiter Mehrheit.
Das ist aus unserer Sicht allein aus verfassungsrechtlichenGründen notwendig, und es entspricht der demokrati-schen Kultur unseres Landes, den Parlamentsvorbehaltaufrechtzuerhalten.Neben den militärischen Mitteln, die zugegebener-maßen durch die Parlamentsddebatten sehr viel mehr dis-kutiert werden als die ganzen anderen nicht militärischenMaßnahmen, die wir gegen den Terrorismus veranlassen,ist es notwendig, auch über den erweiterten Sicherheits-begriff zu reden und eine Risikoanalyse – nicht nur füruns in Deutschland, sondern auch für uns als Mitglied imBündnis und der internationalen Staatengemeinschaft –durchzuführen, um dann die Ursachen in einer qualitati-ven Form bekämpfen zu können.Dazu möchte ich auch sagen:
Dieser vorhin kritisierte und angeblich unklare Auftrag,den wir hier für die Soldaten, die sich am Kampf gegenden internationalen Terrorismus beteiligen werden, ver-abschiedet haben, war der Erfolg der rot-grünen Koali-tion. Das Gleiche gilt dafür, dass eine Klarstellung perProtokollnotiz erfolgt ist. Es war auch ein Erfolg für dieSoldaten, weil ihnen die Unklarheit über die Fragen wo-hin, wie lange und wann genommen worden ist, wenn-gleich wir eine andere Situation haben als im Kosovo oderin Mazedonien. Wir können heute nicht punktgenau be-stimmen, wen wir bereitstellen. Es war ein Bereitstel-lungsbeschluss und kein konkreter Einsatzbeschluss.
Ich möchte den Gedanken der Prävention, der von derrot-grünen Koalition in der Außenpolitik stark betontwird, hier noch einmal erwähnen, weil er in Bezug auf dieBekämpfung des internationalen Terrorismus sowohl einekurzfristige Komponente hat, nämlich die Gefahrenab-wehr, als auch eine langfristige, die Ursachenbekämp-fung. Die Fragen, was und wie viel wir sicherheitspoli-tisch leisten wollen und welche Rolle Deutschland dabeispielen kann, wurden immer noch nicht beantwortet. Diesmüssen wir tun – zumindest ist das mein Anspruch an denDeutschen Bundestag.
Aus meiner Sicht geht unsere Politik in die richtigeRichtung; denn die Leitgedanken der rot-grünen Außen-und Sicherheitspolitik sind Prävention, die Verhinderungvon Gewalt und eine zivile, das heißt konstruktiveKonfliktbearbeitung.
Ich unterstreiche das hier, weil wir die Diskussion natür-lich auch über Mazedonien geführt haben. An dieserStelle möchte ich auch noch einmal unterstreichen, dassder Einsatz unserer Soldaten in Mazedonien – selbst in derRolle als „lead nation“ – der erste wirklich präventiveBundeswehreinsatz ist,
der es bis heute – ich will nicht zu optimistisch sein – ge-schafft hat, dass kein neuer Bürgerkrieg auf dem Balkanausgebrochen ist.Das ist eine neue Qualität der Politik und diese wollenwir fortsetzen.
Frau Kolle-
gin Beer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord-
neten Koppelin?
Nein,danke. –Ich möchte noch einmal auf die militärische Sicherheiteingehen.
Die militärische Sicherheit hat ihren Stellenwert – wirwissen es –, weil es bei Einsätzen Gefahren für das Lebenunserer Soldaten gibt.
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Angelika Beer20129
Es besteht aber auch die Gefahr einer eskalationsträchti-gen Konfliktdynamik. Ich nenne das hier nach der Er-wähnung des Einzelfalls ganz bewusst. Mir gefallen dieSpekulationen über den militärischen Automatismusnicht, die es seit gestern bezogen auf den Irak gibt.
Gerade jetzt, da die wichtige Konferenz in Bonn durch-geführt wird, versuchen interessierte politische Kräfteschon wieder, uns zu jagen, und fragen uns, mit wie vie-len Blauhelmen Deutschland an einem UN-Einsatz in Af-ghanistan beteiligt sein wird.
Das ist eine kurzsichtige und schlagzeilenträchtige Poli-tik, die nichts mit Verantwortung zu tun hat. Deswegenmöchte ich das an dieser Stelle zurückweisen.
Ich weise es zurück, weil wir von dieser Bauchnabel-diskussion, die Sie hier gerade vorgeführt haben, wegmüssen. Wenn sich die Spekulationen auf die internatio-nale Sicherheit beziehen, dann muss es unser Interessesein, eine Eskalation zum Beispiel der Luftschläge gegenden Irak zu verhindern,
weil wir wissen, dass ansonsten die internationale Antiter-rorismuskoalition bricht. Wir wissen auch, dass ansonstendie Gefahr der Angriffe des Iraks gegen Israel steigt, undwir wissen, dass wir ansonsten in eine Situation kommen,die nicht mehr beherrschbar zu sein droht. Deswegen soll-ten wir diese Diskussion sachlich führen und nicht so, wieSie das eben getan haben.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zur Sachlichkeitgehört für mich genauso, dass wir uns als diejenigen, diesich für die Einhaltung des internationalen Völkerrechtsengagieren, das Recht herausnehmen, den Einsatz vonStreubomben ganz klar zu verurteilen. Wir wollen unsmit aller Kraft dafür einsetzen, dass alle Arten von Land-minen international geächtet werden und dass das Kriegs-völkerrecht geachtet wird. Wir wissen, dass es nicht nurdie Zivilisten sein werden, sondern möglicherweise auchunsere Soldaten, die eines Tages, wenn sie den Frieden be-wahren und den Aufbau in Afghanistan unterstützen hel-fen, durch ebendiese Waffen bedroht sind.Noch ein Wort zur Prävention. Zu einer präventivenAußen- und Sicherheitspolitik gehört – dafür haben wiruns eingesetzt und dies haben wir gemeinsam mit unse-rem Koalitionspartner beschlossen –, die Richtlinien fürdie Rüstungsexporte zu überarbeiten. Dazu gehört aberauch, das Kriterium der Menschenrechte in den Empfän-gerstaaten voranzustellen. Es ist richtig, dass zwischendem BMVg und dem Finanzministerium die Vereinba-rung getroffen worden ist, dass die Erlöse aus dem Ver-kauf von Waffen in den Einzelplan 14 zurückfließen. Aberdies geschieht natürlich auf der Grundlage derRüstungsexportrichtlinien.
Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal beto-nen, wie wichtig es mir ist, die Bundeswehr nicht mit Mi-litär im traditionellen Sinne gleichzusetzen.
Unsere Bundeswehr ist eine moderne Armee, die die Vor-und Nachteile unserer Gesellschaft widerspiegelt undauch widerspiegeln muss, da sie Teil unserer Gesellschaftist.Ich weiß, dass die Soldaten jene sind, die von der Re-form, die wir vor drei Jahren eingeleitet haben, besondersbetroffen sind, und ich weiß, dass eine Reform nicht ohneHaken und Ösen ist und reibungslos vonstatten geht, son-dern immer wieder neue Probleme auftreten. Ich denkedaher, es ist an der Zeit, unseren Soldaten an dieser Stelledafür zu danken, dass sie sich nicht auf Ihr Gehetze ein-lassen, sondern diesen Reformprozess aus eigener Kraftmit voranbringen.
Ich komme noch einmal auf die Rolle der Bundes-wehr, die ich nicht mit der des Militärs im traditionellenSinne verbinde, zurück. Wenn wir mit unseren Soldatensprechen, egal, wo sie eingesetzt sind, dann wird uns im-mer wieder klar, dass ihr Selbstverständnis sehr viel brei-ter angelegt ist. Sie haben in Bosnien, im Kosovo undauch in Mazedonien mit ihren eigenen Initiativen Grund-festen gelegt, um den Frieden zu sichern und zum Aufbaubeizutragen.
Unsere Soldaten verstehen sich nicht als Soldaten in Uni-form mit der Waffe in der Hand. Sie leisten vielmehr einewichtige in die Zukunft gerichtete Arbeit.
Gleichwohl möchte ich an dieser Stelle sagen, dass wirbereit sind, die Bundeswehrreform da, wo es nötig ist,weiter voranzubringen.Ich glaube – damit komme ich auf das zurück, was ichanfangs schon angesprochen habe –, die Notwendigkeiteines erweiterten Sicherheitsbegriffs und eine Risikoana-lyse, wie sie zum Beispiel von der von Weizsäcker gelei-teteten Zukunftskommission vorgezeichnet worden ist,geben im Groben den weiteren Weg vor. Es ist nicht neu,aber ich möchte es hier noch einmal unterstreichen: Wir
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Angelika Beer20130
bauen, was das Engagement unserer Soldaten fürDeutschland und im Rahmen der internationalen Solida-rität angeht, nach wie vor auf das Prinzip der Freiwillig-keit.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es wird immerwieder unterstellt, unsere Bundeswehr sei nicht einsatz-und nicht bündnisfähig. Ich glaube, die Art der Zusam-menarbeit bei der Internationalisierung der Sicherheitspo-litik allein auf dem Balkan hat gezeigt, dass unsere Bun-deswehr im multilateralen Kontext sehr gut in der Lageist, die ihr gestellten Aufgaben zu bewältigen.
Wir sehen die Herausforderungen im Rahmen der euro-päischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und wirwissen auch, dass wir aufgrund der internationalen Ent-wicklung, der Krisen in den Regionen, der Bedrohungnicht zuletzt durch den internationalen Terrorismus aufunserem Weg konsequent voranschreiten müssen, egal,wie oft dieser von Ihnen infrage gestellt werden mag.Ich möchte zum Schluss noch einmal betonen, dass eskeinen Reformprozess ohne Reibungsverluste gibt. DerHaushaltsansatz ist angestiegen, und zwar in dem not-wendigen Maße, um die internationalen Einsätze zufinanzieren und unsere Soldaten bestmöglich auszustat-ten, sodass sie bei ihren Einsätzen im Rahmen der NATOoder auch der Vereinten Nationen die Stabilität des Frie-dens mit tragen oder auch dazu beitragen können. DieserHaushaltsansatz zeigt, dass wir flexibel auf die enormenneuen Herausforderungen reagiert haben, die auch mitdem 11. September auf uns zugekommen sind.Die Reform der Bundeswehr, ihre Neuausrichtung anden neuen Aufgaben im multilateralen Kontext wird mitunserer Politik in einen ebenso multilateralen Kontext ge-stellt und vertieft. Das geschieht bereits seit drei Jahren.In den 16 Jahren davor ist – mit Verlaub – eine präventiveAußen- und Sicherheitspolitik leider versäumt worden.Vielen Dank.
Zu einer
Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Jürgen Koppelin
das Wort.
Als ich hier die Rede der
Kollegin Beer gehört habe, die mehr von Weltschmerz
und Lyrik als von sachlichen Inhalten geprägt war, wollte
ich die Kollegin insbesondere angesichts dessen, wie sie
sich für den Frieden in der Welt quält, fragen – leider hat
sie die Frage nicht zugelassen, das ist ihr gutes Recht –,
ob das, was ich in den Medien lese, richtig ist, dass näm-
lich die rot-grüne Koalition – man glaubt es kaum – mehr
Rüstungsexport als wir zu Zeiten unserer Koalition be-
treibt.
Dies hätte ich gern gewußt, Kollegin Beer. Sie aber haben
die Frage nicht zugelassen.
Ich möchte hier noch etwas anderes feststellen. Was
Sie hier vortragen, ist schon sehr merkwürdig. Ich erin-
nere mich noch daran – das ist alles noch nicht lange
her –, wie Sie selbst, als wir im ehemaligen Jugoslawien
aktiv werden mussten und Sie in der Opposition waren,
vor kopfschüttelnden Sozialdemokraten den Einsatz im
ehemaligen Jugoslawien mit dem Einmarsch Hitlers in
Polen verglichen haben. Sie können Ihre Rede im Proto-
koll nachlesen. Sie haben hier im Parlament solche Ver-
gleiche gezogen. Heute dagegen halten Sie eine Rede
wie die, die wir gerade gehört haben. Das ist unglaub-
würdig.
Da wir in den Haushaltsberatungen sind: Ich habe noch
all Ihre Anträge auf Streichung sämtlicher Gelder für Be-
triebsmittel und Munition der Bundeswehr im Büro – falls
Sie sie nicht mehr haben. Waren Sie es nicht, die gefordert
hat: raus aus der NATO, Bundeswehr frei?
Kollegin Beer, insbesondere nach dem, was ich heute
in der schleswig-holsteinischen Presse lese, muss ich Ih-
nen sagen: Angesichts solcher Reden wundert es mich
nicht, dass sich nach dem Parteitag in Rostock die Kreis-
verbände der Grünen in Schleswig-Holstein auflösen und
Kreistagsfraktionen auseinander fliegen.
Zur Erwi-
derung die Kollegin Beer.
HerrKollege Koppelin, das Erste: Ihre merkwürdige Einlas-sung hat gezeigt, dass Sie meine Rede in der Tat nicht ver-standen haben.
Das Zweite ist: Dieses Defizit beim Verstehen mitfalschen Unterstellungen untermauern zu wollen ist einVersuch, der scheitern muss. Dazu nenne ich Ihnen nurzwei Beispiele. Wir haben es geschafft, im neu veröffent-lichten Rüstungsexportbericht nachzuweisen, dass dieAusfuhr von Kriegswaffen um 53 Prozent zurückgegan-gen ist.
Dies ist ein Erfolg der rot-grünen Regierung. Dass Sie dasnie geschafft haben, ist mir völlig klar. Aber hier im Par-lament falsche Unterstellungen zu unterbreiten macht esnicht einfacher.
Als Letztes, Herr Kollege Koppelin, sollten Sie nichtAussagen, die Sie von mir nie gehört haben, aus der
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Hilflosigkeit heraus zitieren, eine Debatte über Außen-und Sicherheitspolitik, die präventiv orientiert ist, hiernicht verstanden zu haben.
Das Wort
hat der Kollege Uwe-Jens Rössel. Er spricht für die PDS-
Fraktion.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die PDS-Fraktion hat ent-schieden, den Bundeswehretat 2002 abzulehnen.
Wir wollen, Kollegin Beer, Zukunftssicherung durchAbrüstung und nicht durch qualitative Aufrüstung, wie sieim Haushalt verankert ist, einem Haushalt übrigens, demSie persönlich zustimmen werden. Der Entwicklung undnachhaltigen Ausgestaltung der Bundeswehr als weltweitagierende Interventionsarmee wird die PDS daher eben-falls entschieden widersprechen.
Durch den Beschluss des Bundestages vom 16. No-vember 2001 über die Bereitstellung von Truppen-kontingenten im Umfang von 3 900 Personen für dieBekämpfung des Terrorismus kommen auf die Bundes-wehr neue, bedeutende Anforderungen zu. Die PDS lehntdiesen Einsatz ab.
Der internationale Terrorismus muss wirksam bekämpftwerden. Der Krieg in Afghanistan ist dafür aber untaug-lich. Er muss sofort beendet und seine Ausdehnung aufden Nahen Osten verhindert werden.
Zum ersten Mal seit Anfang der 90er-Jahre, KolleginBeer, wird der Rüstungsetat im nächsten Jahr wieder real,also inflationsbereinigt, anwachsen. Entsprechend wurdeauch die mittelfristige Finanzplanung auf 47,4 Milli-arden DM jährlich angehoben. Ob dies nach oben bereitsdas letzte Wort ist, muss aber arg bezweifelt werden.
So ist das neue Transportflugzeug A 400 M nur teil-weise im Haushalt etatisiert, Kollege Opel. Die in dasBudget bisher eingestellten langfristigen Finanzierungs-verpflichtungen ab 2003 in Höhe von sage und schreibe10 Milliarden DM – ich wiederhole: 10 Milliarden DM –werden nur für etwa die Hälfte der von der Bundesregie-rung geplanten insgesamt 73 Maschinen ausreichen.
Diese 10 Milliarden DM sind im Vergleich das Achtfachedes Umweltbundeshaushaltes 2002. Das ist gerade füreine rot-grüne Bundesregierung ein untragbarer Zustand.
Zum Problemfall GEBB:Auch die PDS-Fraktion ver-langt, dass die Gesellschaft ihre Tätigkeit sofort einstellt.Der Bundestag darf nicht eine müde Mark mehr für die-ses Gremium zur Beschaffung zusätzlicher Investitions-mittel aus dem Hause Scharping bewilligen. In diesemJahr waren von der Hardthöhe selbst Erlöse in Höhe von1,1 Milliarden DM eingeplant. Tatsächlich erreicht wur-den aber lediglich 17 Millionen DM. Dabei ist die An-schubfinanzierung des Bundes – sprich: der Steuerzah-lerinnen und Steuerzahler – noch weit höher als diegesamten 17 Millionen DM.
Wir Bundestagsabgeordnete dürfen nicht zulassen, dassdas Geld der Steuerzahler so schlecht angelegt wird.Die Geschäftsführung der GEBB ist überdies zu einemEldorado für abgewählte Politikerinnen und Politiker ge-worden.Die PDS-Fraktion setzt mit ihren heute vorliegendenÄnderungsanträgen zum Wehretat andere Akzente, alses die rot-grüne Regierung tut. Wir wollen in den Etateine so genannte globale Minderausgabe von 1,2 Milli-arden DM einstellen. Diese soll aus Streichungen bei dengroßen Beschaffungsprojekten erwirtschaftet werden.
Frei werdende Projekte sollen je zur Hälfte für ein aufzu-legendes Bundeskonversionsprogramm bzw. die drin-gend notwendige Aufstockung des Etats für die Entwick-lungszusammenarbeit eingesetzt werden.
Durch die Nichtbeteiligung der Bundeswehr an Out-of-Area-Einsätzen könnten weitere 2 Milliarden DM einge-spart werden: ein erhebliches Potenzial für andere Aufga-ben.Jetzt zum Einwurf des Kollegen Opel. Wir beantragennatürlich auch einige Etaterhöhungen. Wir verlangen diesofortige Besoldungseinheit zwischen Ost- und West-deutschland für Zeit- und Berufssoldaten sowie fürZivilbeschäftigte. Hier ist dringender Handlungsbedarfgeboten.
Wenn 220 Millionen DM etatisiert werden, ist all dasmöglich.
Die PDS-Fraktion hat Vorschläge zur Einsparung in Höhevon insgesamt 5 Milliarden DM im Verteidigungsetat ge-macht, Kollege Nolting.Zum anderen fordert die PDS-Fraktion in einem An-trag, über den heute namentlich abgestimmt wird, dass diein der Vergangenheit durch ihre berufliche Tätigkeit als
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Angelika Beer20132
Radartechniker gesundheitlich schwer geschädigtenSoldaten und Zivilbeschäftigten der Bundeswehr sowieder Nationalen Volksarmee bzw. die Angehörigen der anden Krebserkrankungen bereits Verstorbenen rasch undunverzüglich entschädigt werden.
Dazu gehört die Aufstockung des Etats für Fürsorge-leistungen. Einbezogen gehört aber auch die Zahlung vonSchadensersatz und Schmerzensgeld. Die hier geschätzteSumme von 200 Millionen DM mag hoch erscheinen.Aber durch den Verzicht auf nur einen einzigen Eurofighterwäre dieser Beitrag schon eingespielt.
Herr Kol-
lege Rössel, Sie müssen jetzt leider zum Schluss kommen.
Der letzte Satz. – Die
Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland würde durch
diesen Verzicht nicht gefährdet. Aber vielen Menschen
könnte schnell geholfen werden. Stimmen Sie daher bitte
in der namentlichen Abstimmung für den vorliegenden
Änderungsantrag der PDS-Fraktion.
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das Wort
hat nun Herr Breuer für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Die zweite Lesung desHaushalts für das laufende Jahr fand ziemlich genau voreinem Jahr statt, nämlich am 29. November 2000. In derdamaligen Sitzung hatten wir eine Auseinandersetzungdarüber, ob der Haushaltsansatz für den Verteidigungsetatrealistisch sei. Es ging insbesondere um die Frage, obdenn die heute mehrfach angeführte Gesellschaft fürEntwicklung, Beschaffung und Betrieb funktionsfähigsei und ob sie die 1 Milliarde DM, die Herr Scharpingangekündigt hatte, als Erlös aus dem Verkauf der Lie-genschaften der Bundeswehr tatsächlich erwirtschaftenkönne.Ich habe mir deshalb den Stenographischen Berichtüber die damalige Debatte genau angeschaut und habe da-bei ein bemerkenswertes Zitat des Ministers Scharpinggefunden. Damals sagten Sie, Herr Kollege Scharping:Ich bin einmal gespannt, ob Sie die Souveränität auf-bringen werden, am Ende des Haushaltsjahres 2001an das Pult des Deutschen Bundestages zu treten undzu sagen: Wir müssen uns ja nicht unbedingt ent-schuldigen, aber unsere Befürchtungen sind nichteingetreten.Tatsächlich sind die Entwicklungen für die Bundes-wehr sinnvoll und gut. So sehen es die Angehörigender Streitkräfte, so sehen es unsere Partner in derNATO und der Europäischen Union. Die Einzigen,die das aus parteipolitischen Erwägungen so nichtsehen dürfen, sind die Mitglieder der Opposition.
Sie bleiben alleine; sie sind isoliert. Ob sie sich dabeiwohl fühlen, mögen sie selbst entscheiden.Ich frage Sie, Herr Minister Scharping, heute, ob Sie sichin Ihrer Einsamkeit noch wohl fühlen können.
Ich frage mich, ob Sie, Herr Minister Scharping, die Sou-veränität besitzen, an das Pult des Deutschen Bundestageszu treten und zu sagen: Ich habe mich getäuscht und ent-schuldige mich. Die Isolation, in der Sie sich befinden, istüberhaupt nicht mehr zu übersehen. Sie sind überall iso-liert, auch in der SPD, ausweislich des Ergebnisses IhrerWahl zum stellvertretenden Parteivorsitzenden auf demNürnberger Parteitag.
– Lieber Schorsch, da ich gewusst habe, dass es derartigeZurufe geben wird, möchte ich aus einem Artikel des „Ta-gesspiegel“ vom 23. November dieses Jahres zitieren, indem Stephan-Andreas Casdorff über Gespräche berichtet,die er auf dem Nürnberger Parteitag mit Verteidigungs-politikern der SPD – ich weiß nicht, wer es war – geführthat. Er schreibt Folgendes:Wie sie klagen: Er– gemeint ist Scharping –rede nicht mit ihnen oder behandle sie von obenherab. Er nehme keinen Rat an. Außerdem ist dieSkepsis, ob die Planungen für die Strukturreform zueinem guten Ende führen, sowieso längst groß.Das, was Sie heute hier machen, ist reine Fassade. Hin-sichtlich der Einschätzung der tatsächlichen Leistung vonHerrn Scharping stimmen wir – das nehme ich an – mehrüberein, als Sie in dieser Debatte zuzugeben bereit sind.
Um die Situation von Herrn Scharping noch besser zucharakterisieren, zitiere ich Christoph Schwennicke, deram 24. November unter der Überschrift „Es wird einsamum Scharping“ geschrieben hat:Kujat weg, Fugmann-Heesing weg – die beiden zen-tralen Figuren der Bundeswehrreform und ihrer
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Im Streit steht die Politik für eine Bundeswehr, die zu-nehmend Verantwortung für Deutschland übernehmenmuss. Das ist eine sehr ernste Angelegenheit.Herr Kollege Kröning, ich kann Ihnen berichten – daswerden Ihnen Ihre Kollegen auch berichten können –,dass wir gestern anlässlich des Besuches einer Delegationder französischen Nationalversammlung über dieFrage der Möglichkeiten des deutschen Beitrages zu in-ternationalen Einsätzen und zur Terrorismusbekämpfunggesprochen haben. Dabei stellte sich heraus, dass dasMisstrauen der französischen Kollegen – im Übrigenauch der Sozialisten – hinsichtlich der Zukunft des Trans-portflugzeuges A 400 M immens groß ist.
Es ist doch vollkommen klar, Herr Kollege Kröning,dass dann, wenn Sie Spekulationen darüber anstellen, obdie Zahl der für Deutschland bestimmten Transportflug-zeuge nicht reduziert werden müsse – das haben Sie ja ge-tan –, in Frankreich die heute feststellbaren Folgen auf-treten mussten.
In Frankreich existiert quer durch alle politischen La-ger bis hin zu Ihren Genossen aus der Fraktion der Sozia-listen in der französischen Nationalversammlung ein tie-fes Misstrauen über die Verlässlichkeit Deutschlands inder europäischen Verteidigungspolitik.
Das gilt auch für weitere Projekte. Sie verstehen nicht– das hat vor allen Dingen Dan Coats im Vorfeld seinerBerufung zum Botschafter der Vereinigten Staaten vonAmerika in Deutschland deutlich gemacht –, dass es nichtreicht, hier Bekundungen abzugeben und bei der DefenseCapabilities Initiative in der NATO oder bei den EuropeanHeadline Goals zu unterschreiben. Es muss gehandeltwerden. Dan Coats hat noch vor seinem Dienstantritt hierin Berlin gesagt, dass Deutschland mehr als Rhetorik bie-ten müsse, wenn es weiter eine zentrale Rolle in derNATO spielen wolle.
Dem ist nichts hinzuzufügen.Meine Damen und Herren, wie sieht denn die wahreLage der Bundeswehr im Hinblick auf internationaleBeiträge im Ansehen unserer Bevölkerung aus? Laut ei-ner Umfrage des Allensbach-Insituts ist zwar die Akzep-tanz der Bundeswehr und der NATO
– hören Sie zu – in der deutschen Bevölkerung so hochwie nie zuvor. Zugleich war aber die Besorgnis über dieAusstattung der Bundeswehr noch nie so groß wie heute.Die Zustimmung in der deutschen Bevölkerung zur Bun-deswehr und zur NATO ist so groß wie nie zuvor, aber dieBesorgnis, dass sie zu schlecht ausgestattet ist, ist eben-falls so groß wie nie zuvor. Dies hat eine Politik zu ver-antworten, die illusionär war und glaubte, es werde schonnicht schief gehen, wenn man die Ausstattung der Streit-kräfte nicht so ernst nähme. Das Ergebnis ist, dass jetztder deutsche Beitrag im internationalen Umfeld leidernicht mehr ernst genommen wird.
Die Situation der deutschen wehrtechnischen Indus-trie – dabei geht es nicht um irgendetwas, sondern umTechnologiefähigkeit – muss hier ebenfalls angesprochenwerden. Dr. Thomas Enders hat für die wehrtechnische In-dustrie am 7. November in Berlin festgestellt:Anspruch und Realität stehen nicht mehr im Ein-klang miteinander. Die Industrie ist finanziell undpersonell in weiten Teilen ausgeblutet. Die anhal-tende Reduzierung der F- und E-Mittel in Deutsch-land wirkt sich unmittelbar auf den Erhalt und denAusbau der Kompetenzen aus.Herr Kollege Kröning, ich bin erstaunt, wie Sie dieZahlen interpretieren, die hier zur Debatte stehen. BeiForschung und Entwicklung wird im Haushalt 2002 einAnteil von nahezu 9 Prozent gestrichen.
Der Betrag geht um 8,6 Prozent zurück. Versuchen Siedoch nicht, darüber hinwegzutäuschen, dass Sie bei For-schung und Entwicklung meinen sparen zu können. Da-mit versieben Sie die Zukunft der Bundeswehr.
Herr Kol-
lege Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge-
ordneten Kröning?
Bitte schön.
Herr Kollege Breuer, sind Siebereit einzuräumen, dass bei dieser Betrachtung die zu-sätzlichen Beträge, die im Jahr 2002 zunächst in denEinzelplan 60 eingestellt werden, hinzuzurechnen sindund Sie dies ebenso wie schon Kollege Nolting notorischnicht tun und damit vor der Öffentlichkeit ein falschesBild erzeugt wird?
Sind Sie außerdem bereit, zur Kenntnis zu nehmen,dass Ihnen im Verteidigungsausschuss genauso wie unsim Haushaltsausschuss eine Unterlage des Verteidi-gungsressorts vorliegt, die sehr deutlich macht, dass diese
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Paul Breuer20134
zusätzlichen Mittel bis auf geringfügige konsumtive Aus-gaben zur Verstärkung der Investitionen dienen sollen?
Herr Kollege Kröning, ich
erachte das als eine hochinteressante Frage.
Zunächst einmal stelle ich fest, dass der Haushalt in der
Fassung, in der er vom Finanzminister in den Deutschen
Bundestag eingebracht worden ist, eine Kürzung der
F- und E-Mittel in der von mir genannten Höhe vorsah.
Ich stelle deswegen erneut fest, dass Sie zum damali-
gen Zeitpunkt die Notwendigkeit einer Vorsorge in dem
Sinne, wie ich es angesprochen habe, nicht sahen.
Wenn Sie jetzt die 1,5 Milliarden DM anführen, die im so
genannten Antiterrorprogramm vorgesehen, aber noch
nicht dem Einzelplan 14 zugewiesen sind,
dann sage ich Ihnen: Es ist schon schlimm genug, dass es
der Anschläge in New York und Washington bedurfte, um
Sie daran zu erinnern, dass an diesem Punkt Vorsorge ge-
boten ist.
Ich wüsste gern – alle anderen Kollegen dieses Hauses
sicher auch, nicht nur diejenigen der Opposition –, was
Sie, Herr Kollege Kröning, denn mit diesen 1,5 Milliar-
den DM wirklich vorhaben. Obwohl es mehrmals von
Herrn Scharping versprochen wurde, ist es bis zum heuti-
gen Tage nicht möglich gewesen – das sind wir von ihm
gewohnt –, deutlich zu machen, für welchen Verwen-
dungszweck diese 1,5 Milliarden DM vorgesehen sind.
Herr Kol-
lege Breuer, der Kollege Kröning möchte noch eine
zweite Frage stellen.
Herr Präsident, wenn das
nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, kann Herr
Kollege Kröning noch mehrere Fragen stellen.
Ich frage Sie, Herr Breuer:
Haben Sie die Ausschussdrucksache zur Kenntnis genom-
men, in der über die Aufteilung der 1,5 Milliarden DM
Rechenschaft gegeben wird? Kennen Sie die
Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses auf
Drucksache 14/7320 in der zum Kap. 6002 ganz aus-
drücklich die Verstärkung der Mittel des Einzelplans 14
um 766 938 000 Euro festgehalten ist? Haben Sie außer-
dem zur Kenntnis genommen, dass der Haushaltsaus-
schuss die Auflage ausgesprochen hat, dass bis zum In-
Kraft-Treten des Haushalts 2002 eine Schichtung und
eine Zuordnung dieser Verstärkungsmittel zu den
Geheimen Erläuterungen vorzulegen ist?
Herr Kollege Kröning, ichkann Ihnen ganz klar antworten. Zu dem Zeitpunkt, als imVerteidigungsausschuss über den Etat für das Jahr 2002entschieden wurde – das wird niemand bestreiten kön-nen –, gab es keinerlei Unterlage, die uns Einsichtgewährte, was mit diesen Mitteln geplant ist. Bis zumheutigen Tage ist dies den Kollegen hier im Hause unklar.
Sie werden an einem nicht vorbeikommen: Man wirdIhnen den Vorwurf machen, dass ganz speziell Sie, HerrKollege Kröning, zusätzlich zu den schon beklagenswer-ten Fehlleistungen des Ministers Scharping weitere Er-schwernisse eingebaut haben.
Es ist gut, dass Sie in einer solchen Debatte wie jetzt ein-mal dabei sind. Sie sind doch derjenige, der Herrn Fi-nanzminister Eichel in einer Art und Weise Assistenz da-bei angeboten hat, den Verteidigungshaushalt bis zurHandlungsunfähigkeit zusammenzustreichen, wie es inder Geschichte dieses Parlaments noch kein einziger Be-richterstatter für den Verteidigungshaushalt getan hat.
Es ist erschreckend, Herr Kollege, dass Sie nach wie vornicht dazu bereit sind, das hier zuzugeben.
Die Einschätzung von Minister Scharping zur Situa-tion innerhalb der Bundeswehr wurde für mich neulichbeim Besuch des Kongresses des Verbandes der Beam-ten der Bundeswehr deutlich. Herr Kollege Scharping,Sie hatten Ihre Teilnahme an diesem Kongress zugesagt.Ich bin darüber informiert, dass die Organisatoren desKongresses, der Verband, den Zeitpunkt sogar auf IhrenTerminkalender abgestimmt hatten.
Das führte dazu, dass zum Beispiel auch wir Terminver-legungen vornehmen mussten. Sie sind dann aber nichtanwesend gewesen. Die offizielle Begründung, die dortgegeben wurde, war, Sie hätten am gleichen Tag eineVeranstaltung mit der Wirtschaft. Ich gehe auf diese Ver-anstaltung gleich noch ein.
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Volker Kröning20135
Ich weiß allerdings eines: Ich weiß, dass Sie sich zumZeitpunkt des Kongresses in Koblenz in Ihrem Büro inBonn „verbunkert“ hatten. Sie hätten da sein können.
– Es mag auch Berlin gewesen sein. Ich weiß es nicht. Siewaren jedenfalls im Büro. – Sie haben sich also nicht ge-traut, mit den zivilen Bediensteten der Bundeswehr in einGespräch zu kommen.Ich und die Kollegen, die dort waren, haben eine sol-che Stimmung auf einem solchen Kongress noch niemalsvorher erlebt. Das ist einmalig in der Geschichte der Bun-deswehr.
Das zeigt sehr deutlich, dass Sie nicht bereit sind, zurKenntnis zu nehmen, wie innerhalb der Bundeswehr – dasgilt für Soldaten und zivile Bedienstete – das Klima desMiteinanders ist, weil man nicht in der Lage ist, Perspekti-ven zu geben.
Sie bauen sich eine schöne heile Welt auf, die mit der Rea-lität in der Bundeswehr nichts, aber auch gar nichts mehrzu tun hat.Die fehlenden Perspektiven sind es, meine Damen undHerren Kollegen, die dazu führen, dass die Nachwuchs-zahlen der Bundeswehr erschreckend sind.
Ich will zugeben, dass ich Schwierigkeiten dabei habe,das hier so zu sagen, weil man, wenn man so etwas sagt,immer ein Stück weit die Befürchtung hat – für mich giltdas jedenfalls –, damit eine schlechte Werbung für dieBundeswehr zu betreiben. Aber es kann doch wohl nichtsein, dass man gute Werbung für die Bundeswehr nurdann machen kann, wenn man die Verhältnisse schönre-det.Die Nachwuchszahlen in der Bundeswehr sind
ganz tief im Keller. Wenn wir nichts dafür tun, tatsächlichAttraktivität zu bewirken, das heißt, Perspektiven für dieBundeswehr aufzuzeigen – es ist ja anders, als es hier ge-sagt wird –, dann wird alles, was wir in der Vergangenheitfür die Bundeswehr getan haben, leider scheitern; dieZahlen weisen es eindeutig aus.
Herr Kollege Scharping, Sie brüsten sich in der Frageder Kostensenkung zum Beispiel damit, dass Sie Perso-nalkosten einsparen, weil Sie nicht dazu in der Lage sind,die Stellen zu besetzen.
– Schauen Sie sich doch die Zahlen an! – Sie sind nichtdazu in der Lage, zum Beispiel die Zahl von Wehrpflich-tigen einzuziehen, die Sie in der Planung für das Jahr 2001vorgesehen haben. Minus 7 000! Sie sind nicht dazu in derLage, die Zahl von Zeitsoldaten weiter zu verpflichten,die Sie geplant haben. Ich sage Ihnen: Das Ziel, 200 000Zeit- und Berufssoldaten für die Bundeswehr zu bekom-men – wir liegen jetzt bei knapp über 180 000 –, wird inder Art und Weise, wie Sie es versuchen, leider nie er-reicht werden. Das liegt daran, dass Sie es nicht geschaffthaben, die deutsche Öffentlichkeit von der Notwendig-keit, der Dynamik und der Zielgerichtetheit Ihrer Bun-deswehrreform zu überzeugen. Das ist Ihnen in Ihrer Ko-alition bei Rot und Grün nicht gelungen, das ist Ihnen inder deutschen Öffentlichkeit leider auch misslungen.
Deshalb sage ich sehr deutlich: Wenn Sie nicht bereitsind, diese Reform, deren grundsätzliche Ziele wir unter-stützen, auf den Prüfstand zu stellen, ein Programmgesetzaufzustellen und die klare Finanzierbarkeit der Moderni-sierung und der einzelnen Personalschritte dort deutlichzu machen, um den Soldaten eine Perspektive zu geben,wird es mit der Bundeswehr immer schwieriger werden.
Herr Kollege Opel, ich weiß und darf das hier sagen,dass Sie im Kern genauso darüber denken,
aber die Realität ist anders. Um Ihnen das deutlich zu ma-chen, will ich ein Beispiel dafür geben: Die 100 Soldatendes Kommandos Spezialkräfte, die im deutschen Kon-tingent, insgesamt 3 900, potenziell sicher die schwierigs-ten und gefährlichsten Aufträge auszuführen hätten, be-kommen eine Zulage in Höhe von etwa 150 DM netto.
Wir haben im Verteidigungsausschuss den Vorschlag ge-macht, den Bruttobetrag auf 1 000DM zu erhöhen. Sie ha-ben das schnöde abgelehnt. Das heißt für mich: Sie habennicht verstanden, worin bei der Attraktivierung dieHerausforderung liegt.
Lassen Sie mich am Ende noch eine Feststellung zu ei-nem heute vorliegenden Antrag der PDS machen, der sichauf die Strahlenopfer bezieht. Wir werden diesem Antragnicht zustimmen, weil wir der Meinung sind, dass die Er-höhung der Gelder, die Sie dort vorsehen, nicht das Kern-problem ist. Das Kernproblem ist
– das sage ich einmal kritisch in Richtung Bundeswehrver-waltung –, dass die Zusage des Ministers Scharping,großherzig mit den Strahlenopfern umzugehen, leidernicht erfüllt wird. Herr Minister, kümmern Sie sich da-
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rum, dass Ihre Zusage, großzügig und großherzig zu sein,auch in Ihrer Verwaltung befolgt wird. Leider sind wirdort weit davon entfernt. Das richtet mehr Schaden an, alsSie zu glauben bereit sind.Ich bedanke mich fürs Zuhören.
Ich erteiledem Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping,das Wort.Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidigung
dent! Meine Damen und Herren! Von mehreren Rednernin der Debatte ist etwas zu den Angehörigen der Bun-deswehr gesagt worden. Ich denke, das sollte auch amAnfang meines Beitrags in dieser Aussprache stehen.Die Bundeswehr leistet mit ihren Soldatinnen und Sol-daten und auch mit ihren zivilen Beschäftigten Enormes.
Sie leistet Enormes für die Sicherheit unseres Landes, sieleistet Enormes in ihrem Engagement auf dem Balkan, inBosnien, im Kosovo, in Mazedonien sowie in ihrem En-gagement in Georgien und sie leistet Enormes in der Be-kämpfung des internationalen Terrorismus.
Wenn man aber, wie es die Koalition und die Opposi-tion tun, sagt, sie leiste Enormes, und das mit Dank, Res-pekt und Anerkennung an die Soldatinnen und Soldaten,übrigens auch an ihre Familien, verbindet, dann kann mannicht gleichzeitig sagen: Die können nichts.
Das passt nicht sehr gut zusammen.
Der Mangel an Seriosität, um nichts Schlimmeres zusagen, in der Argumentation aus den Reihen der Opposi-tion wird schon an wenigen Beispielen deutlich.
Der Kollege Breuer sagt, es gebe eine erhebliche Verun-sicherung und die Nachwuchslage stimme nicht, undnennt Zahlen. Das tut er, obwohl er im Verteidigungs-ausschuss einen Bericht darüber bekommen hat und ei-gentlich wissen müsste,
dass er hier die Öffentlichkeit und das Parlament falschinformiert. Das ist eine Tatsache.
Sie wissen so gut wie ich, Herr Kollege Breuer, dass in al-len Nachwuchsbereichen der Bundeswehr – das sprichtfür ihre Attraktivität, das spricht für die Akzeptanz der Re-form, das spricht für die Zukunftsfähigkeit der Bundes-wehr – die Bewerberzahlen über dem Soll liegen, mit ei-ner einzigen Ausnahme, das ist der Sanitätsdienst. Daliegen die Bewerberzahlen um etwas mehr als 20 Prozentunter dem angestrebten Soll.Der ganze Mangel der Seriosität der Argumentationwird deutlich, wenn Sie von knapp 180 000 Zeit- und Be-rufssoldaten sprechen.Wenn Sie so präzise mit allen Zah-len umgehen, dannwirdmir manches klar. InWirklichkeitsind es genau 188 000Zeit- undBerufssoldaten.Was IhrenUmgang mit Begrifflichkeiten angeht, lerne ich etwas.
Mangelnde Konsistenz praktizieren Sie auch in ande-ren Bereichen. Herr Kollege Nolting, Sie haben darübergesprochen, was die „Bild“-Zeitung über die GEBB ge-schrieben hat. Ich will keine Spekulationen darüber an-stellen, wie Sie der „Bild“-Zeitung geholfen haben, zu derheutigen Meldung zu kommen.
Schauen Sie einmal: Der CDU-Kollege Feibel hat im Au-gust eine Anzeige erstattet, über die kurioserweise am Tagvor dieser Debatte in der „Bild“-Zeitung berichtet wordenist.
Korrekterweise hätten Sie wenigstens heute im Parlamentdie dpa zitieren können:Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen dürftedie Sache auf eine Einstellung des Verfahrens hi-nauslaufen, sagte ein Sprecher der Staatsanwalt-schaft am Mittwoch. Bei dem Fall handelt es sich umeinen so genannten Altfall, der seit Monaten geprüftwird. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte, diePrüfungen hätten ergeben, dass die Verlustzahlennicht zutreffend seien.
ZudieserArt desUmgangsmiteinander kann ich nur sa-gen: Sie können gegen mich als Minister, gegen mich alsPolitiker gerne vorbringen, was immer Sie wollen; aberSie sollten sich doch davor hüten, mit Ihrer Kritik einenEindruck zu erzeugen, den die Bundeswehr, dieAngehöri-genderBundeswehr unddieFamilienderAngehörigenderBundeswehr – bei aller Notwendigkeit des parteipoliti-schen Streits – in keiner Weise verdient haben. Die Leis-tung dieser Menschen ist ein schlichtes Dementi des Ein-drucks, den Sie hier ständig zu erwecken versuchen.
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In Zeiten grundlegender Erneuerung kommt es auf einefeste Orientierung an. Ich bin sehr erstaunt, dass in all denDiskussionen eines keine Rolle spielt: dass die Bundes-wehr durch die innere Führung und durch das Leitbild desStaatsbürgers in Uniform eine feste Verankerung in derVerfassung hat und behalten wird. Es kommt gerade un-ter den Bedingungen einer wachsenden Anzahl derEinsätze der Bundeswehr sehr darauf an, an diesen, in derDemokratie, im Rechtsstaat und in der Verpflichtung aufFreiheit und Würde des einzelnen Menschen fußendenGrundlagen der Bundeswehr festzuhalten und bei Gele-genheit an sie zu erinnern, damit sie angesichts mancheraufgeregten Diskussionen über das, was die Bundeswehrnoch zu leisten hat, nicht in Vergessenheit geraten.
Ich nehme dankbar zur Kenntnis, dass der KollegeBreuer sagt: Die Reform an sich ist in ihren Zielen ak-zeptiert und vernünftig. Ich weiß zwar nicht, weshalb siedann auf den Prüfstand gehört; aber nun gut, man mussden Kollegen Breuer nicht immer verstehen.
Die Reform ist, was ihre Grundlagen und ihre Konzeptionangeht, akzeptiert. Sie wissen so gut wie ich: Sie ist in derNATO akzeptiert und wird dort ausdrücklich begrüßt; sieist in der Europäischen Union akzeptiert und wird dortausdrücklich begrüßt. Mittlerweile gilt das auch für denDeutschen Bundestag. Wenn wir uns in dieser Frage alsoeinig sind, dann können wir uns anderen Fragen – auf ei-ner offenbar gemeinsamen Grundlage – zuwenden. Dafürbin ich sehr. Das will ich jetzt mit wenigen Worten erläu-tern.
Zunächst möchte ich etwas dazu sagen, was die inter-nationale Lage und den Beitrag der Bundeswehr zur Ge-währleistung internationaler Stabilität und einer friedli-chen Entwicklung auf unserem kleinen gemeinsamenGlobus angeht. Wir haben ein Afghanistan-Mandat be-schlossen, das fünf militärische Fähigkeiten beinhaltet.Sie sind vernünftig und klug ausgewählt. Das gilt selbstdann, wenn sich nach ersten Fortschritten in Afghanistan,insbesondere auf der Afghanistan-Konferenz und danach,weitere Fortschritte ergeben sollten.Genauso bleibt es dabei, dass der Kampf gegen deninternationalen Terrorismus und solche Staaten, die ihnunterstützen, Terroristen beherbergen oder in andererWeise zu fördern versuchen, auf mehreren Ebenen geführtwerden muss. Finanztransaktionen, die Zusammenarbeitder Geheimdienste und der Polizeiinstitutionen spieleneine Rolle. Wie auch im Hinblick auf Afghanistan ist dielangfristige politische Perspektive nicht zu vergessen, ander die Bundesregierung einen gewissen – wie ich finde,sehr sichtbaren und sehr klugen – Anteil hat.Genauso deutlich sollte bleiben, dass der Kampf gegenden internationalen Terrorismus nicht allein auf einerEbene zu führen sein wird. In einer durchaus akzeptablenVermischung der außen- und sicherheitspolitischen De-batte hat der Kollege Rühe – er ist leider nicht mehr da –einiges zu den Punkten gesagt, die im Zusammenhang mitAfghanistan als Fragen in den Raum gestellt werdenkönnten, auch wenn ein früherer Verteidigungsministerdas in dieser Form besser nicht tun sollte, weil ihm die in-nenpolitischen Motive für eine solche Erörterung auf dieStirn geschrieben stehen.
Sie haben mir eben gesagt, ich hätte mich gewisser-maßen vor dem Kongress der Zivilbeschäftigten ver-steckt. Ich habe das einmal nachprüfen lassen: Ich bintatsächlich infolge des 11. September durch eine Reihevon Gesprächen auch internationaler Art verhindert ge-wesen, dann allerdings am Abend um circa 19 Uhr dorteingetroffen – wenn ich mich richtig erinnere – und dannnach Leipzig in Sachsen geflogen. Das ist schon richtig.Ihre Behauptung, ich hätte mich in einem Büro – ob inBonn oder in Berlin – verkrochen, um mich vor den zivi-len Beschäftigten zu verstecken, ist schon angesichts derVielzahl der Besuche, die ich dort normalerweise mache,an Lächerlichkeit nicht mehr zu überbieten, Herr KollegeBreuer.
Ich wollte aber eigentlich etwas zu Afghanistan sagen.Das ist nun wirklich wichtiger als die Szenarien, die Kol-lege Breuer hier zu konstruieren versucht.
Herr Kollege Rühe – den muss man in diesen Diskussi-onen ernster nehmen – hat dann eine – übrigens erstaun-liche – Serie von Fragen gestellt. Ich würde insbesondereSie aus den Reihen der CDU/CSU bitten, einmal für eingewisses Minimum an intellektueller Klarheit untereinan-der zu sorgen; das wäre hilfreich.
Es passt doch nicht zusammen, wenn man behauptet, dieBundeswehr sei schlecht ausgerüstet, ihr fehlten die nöti-gen Fähigkeiten und der Minister versage, dann aber HerrRühe kommt und fragt: Wollt ihr jetzt das Ausfallen desamerikanischen Engagements auf dem Balkan ersetzen,wollt ihr in Afghanistan – mit welchen Truppen auch im-mer – eine stabilisierende friedliche Entwicklung mit ga-rantieren, seid ihr bereit, dort die Funktion der „lead na-tion“ zu übernehmen? Um dem Ganzen die Kroneaufzusetzen, schlägt er dann noch vor, die Bundeswehrkönnte auch noch – wie hat er es gesagt? – „southernwatch“ und „northern watch“, also die Luftüberwachungüber dem Irak, übernehmen. Sie können doch nicht aufder einen Seite sagen, die Bundeswehr sei nicht mehr in
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Bundesminister Rudolf Scharping20138
der Lage, ihren Auftrag zu erfüllen, sei völlig überfordertund es fehlten ihr die nötigen Fähigkeiten, wenn auf deranderen Seite der frühere Verteidigungsminister in eineraußenpolitischen Debatte sagt: Im Übrigen könnte dieBundeswehr das, das und das noch machen. Das ist intel-lektuell nicht sehr sauber.
– Er hat doch nicht gefragt, er hat Vorschläge gemacht.Wenn er hier im Deutschen Bundestag solche Vorschlägemacht, will er andere nicht nur ermuntern, kommentie-rend auf die Vorschläge einzugehen, sondern will Drittewomöglich auch noch ermuntern, die Vorschläge selberzu machen. Diese Funktion kennen wir doch alle.Vor diesem Hintergrund will ich Ihnen, was die inter-nationale Entwicklung angeht, sagen: Der Außenminister,der Verteidigungsminister, der Bundeskanzler und dieganze Regierung sind der Auffassung: Wir haben keineunmittelbaren deutschen Interessen in Afghanistan. Wirhaben ein unmittelbares deutsches Interesse an derBekämpfung des internationalen Terrorismus; das istwohl wahr.
Wir haben ein mittelbares deutsches Interesse im Zusam-menhang mit der Stärkung der Vereinten Nationen. Des-halb haben wir auch den Versuch gemacht, bei dem zu hel-fen, was jetzt in Bonn – hoffentlich langfristig – politischauf den Weg gebracht wird.
Ich will deshalb sehr deutlich sagen: Abseits all derDiskussionen, die stattfinden, beginnt es mich – vielleichtverstehen Sie diese persönliche Bemerkung – zunehmendzu stören und auch in einem gewissen Umfang zu ärgern,wie man sich immer wieder an immer neuen militärischenSzenarien berauschen will, ohne die politisch langfristigeEntwicklung und die Einordnung des Militärs in dieaußen- und sicherheitspolitischen Entwicklungsstrategienim Auge zu behalten.
Es ist im Übrigen auch unmittelbar gegen die Fami-lien der Soldaten und gegen die Soldaten selbst gerich-tet, wenn man die Soldaten sozusagen zu beliebig ein-setzbaren Instrumenten von irgendetwas erklärenwollte. Das sind sie nicht und in einer solchen Weisewerden sie auch nicht eingesetzt. Ich sage das in allerDeutlichkeit zum Beispiel im Zusammenhang mit denBemerkungen des Kollegen Rühe, was den Irak betrifft.Die Opposition stellt hier Forderungen oder fragendeForderungen, obwohl heute – auch das können Sie denAgenturmeldungen entnehmen – zum Beispiel Vertreterder Nordallianz in Bonn sagen: Wir haben nicht das Ge-fühl, dass wir eine ausländische Truppe brauchen, esgibt hinreichende Sicherheit; wir wollen auch nicht,dass ausländische Truppen kommen. Wie kommen Sieauf die Idee, von uns im Deutschen Bundestag eine Ant-wort auf die Frage der Absicherung und Entwicklung inAfghanistan zu verlangen, wenn noch nicht einmal dieKonfliktparteien in Afghanistan ein Einverständnis da-rüber haben, wie die Zukunft des Landes aussehen sollund ob überhaupt ausländische Truppen eine Rolle da-bei spielen können? Ich finde, das innenpolitische Be-dürfnis, im Zweifel die Absicht, noch einmal etwas Salzin gerade hoffentlich verheilende Wunden dieser Koali-tion zu streuen, steht dieser Forderung so auf die Stirngeschrieben, dass ich dazu nur sagen kann: So darf manmit Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik und denInteressen der Bundeswehr nicht umgehen, wie Sie dastun. Das verbietet sich aus Gründen der Fürsorge wieaus politischen Gründen.
Sie sollten auch unseren amerikanischen Freunden undPartnern nicht unterstellen, sie wollten sich aus dem Bal-kan zurückziehen. Sie sollten auch nicht der närrischenÜberlegung folgen, dass man immer zuerst an militäri-sche Kategorien oder Fähigkeiten denkt, wenn man vonhumanitärer Versorgung redet. Auch das ist falsch.Zunächst ist zu prüfen, was die Vereinten Nationen wol-len und leisten können, was die Nichtregierungsorganisa-tionen leisten können und was zum Aufbau der in Afgha-nistan durch die Taliban leider zerstörten Hilfsstrukturenund für den ökonomischen Fortschritt getan werden kann.Ich sage deutlich – ich wiederhole es ausdrücklich hier imDeutschen Bundestag –: Die Bundesrepublik Deutsch-land beweist ihr außenpolitisches Erwachsensein nichtdadurch, dass sie möglichst viele deutsche Soldaten aufafghanischem Boden stationiert. Dadurch beweist sie esnicht.
Vor diesem Hintergrund kommen wir dann zu dernächsten Frage, die wir in Europa zu beantworten haben;dazu hat der Kollege Fischer ja einiges in der anderen De-batte gesagt.
Es ist richtig, dass die Vereinigten Staaten ökonomisch,politisch und auch militärisch ungewöhnlich stark sind.Genauso richtig bleibt, dass diese Stärke auch das Produktbestimmter europäischer Schwächen ist. Das gilt auch fürden Bereich von außen- und sicherheitspolitischen Fähig-keiten und für die militärischen Fähigkeiten, die dabei zuberücksichtigen sind. Insofern wird die Europäische Si-cherheits- und Verteidigungspolitik zur Stärkung derNATO, der transatlantischen Allianz als der einen Kon-stante deutscher und europäischer Politik entwickelt. In-sofern wird die Europäische Sicherheits- und Verteidi-gungspolitik als Motor der Integration in Europa – derzweiten Konstante – entwickelt. Auf andere Komponen-ten will ich, weil das den Zusammenhang sprengenwürde, jetzt nicht eingehen.Wir sollten schon verstehen – damit kommen wirgleich zu der Frage, wie die Fähigkeiten, die damit
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verbunden sind, definiert werden sollen –, dass das Vor-haben, die ESVP einerseits und mit ihr die NATO ande-rerseits zu stärken, für uns die einzige Chance ist, die Ver-einigten Staaten von Amerika – diese Tendenz bzw. diesesRisiko ist hier und da immer vorhanden – von dem Rück-fall in Isolationismus oder Unilateralismus abzuhalten.Ob diese Chance jemals wahrgenommen werden kann, isteine ganz andere Frage. Es gibt aber keine verantwortbareAlternative hierzu. Vor diesem Hintergrund füge ich hinzu– diese außen- und sicherheitspolitischen Aspekte sollten,auch wenn man über den Haushalt streitet, nicht verges-sen werden –, dass sehr viel davon abhängt, ob es gelingt,die NATO zu erweitern. Ich stimme dem Kollegen Rühein diesem Fall ausdrücklich zu. Wir werben ja dafür, dassauf der Grundlage eines breiten Konsenses eine möglichstbreite – neudeutsch könnte man sagen, ein approach –Zielsetzung verfolgt wird, übrigens unter Einschluss derbaltischen Staaten. Das setzt allerdings voraus, dass manin vielen Fragen das Klima und die Substanz der interna-tionalen Zusammenarbeit verstärkt und vertieft. Von da-her rührt der Vorschlag, die NATO-Russland-Grundaktenoch einmal durchzuschauen und zu prüfen, ob manaußerhalb der Aufgaben kollektiver Verteidigung, die inArt. 5 festgeschrieben sind, Russland an anderen Aufga-ben viel stärker und institutionell besser abgesichert be-teiligen kann.
Ich denke an Terrorismusbekämpfung, Nonproliferation,Krisenmanagement und vieles andere. Von daher rührt derVorschlag, die Fähigkeiten des gemeinsamen dänisch-polnisch-deutschen Korps in Stettin so weiter zu ent-wickeln, dass sie auf lange Sicht im gesamten baltischenRaum gemeinsam mit Russland zur Verfügung stehen. Esmuss also geprüft werden, inwieweit Fähigkeiten, dieNicht-Artikel-5-Aufgaben betreffen, ausgebaut und, woimmer möglich, entwickelt werden können.In Zusammenhang mit dem internationalen Rüstungs-kontroll- und Abrüstungsregime, über das ja leider auchzu wenig geredet wird, weil Sicherheitspolitik in Deutsch-land auch Finanzpolitik ist und diese in Deutschland dannauf Kleinkram verkürzt wird, muss darauf geachtet wer-den, dass Rüstungskontrolle und Abrüstung nicht vonder internationalen Agenda verschwinden.
Dann müssen wir noch darauf achten, dass zwar einseitigeSchritte Möglichkeiten beinhalten und Vertrauen gut ist,dass aber im Interesse nicht nur der Vertragschließenden,sondern auch aller anderen mittelbar Betroffenen Ver-träge, die im Zweifel verifizierbar sind, immer die bessereLösung sind als einseitige Schritte oder informelle Agree-ments.Wenn das der Rahmen ist, dann können wir folgendeFrage stellen: Wie sieht es denn jetzt mit der Entwicklunginnerhalb der Bundeswehr aus und welche Möglichkeitenhaben wir dort? Was bedeutet die Erneuerung derBundeswehr in diesem Zusammenhang? Es ist richtig– Herr Kollege Breuer und andere, ich gehe einmal davonaus, dass Sie es ernst meinen –: Wir sind uns über die kon-zeptionellen Grundlagen im Großen und Ganzen einig.Erstes Beispiel. Die neue Führungsorganisationwirdplanmäßig eingenommen. Die Streitkräftebasis hat dasEinsatzführungskommando in Dienst gestellt. Es ist inZukunft für den Einsatz aller Kräfte der Bundeswehr ver-antwortlich. Diese Fähigkeit bauen wir schneller auf alsursprünglich beabsichtigt. Deswegen konnte ich in dervergangenen Woche das Einsatzführungskommando vor-zeitig mit der Planung und Führung der deutschen Streit-kräfte betrauen, die bei der Bekämpfung des internationa-len Terrorismus eingesetzt werden sollen.Zweites Beispiel. Das Material- und Ausrüstungs-konzept ist im März dieses Jahres verabschiedet worden.Wir werden dabei zwar nicht alle Wünsche erfüllen kön-nen; das weiß ich sehr wohl. Aber wir sind dabei, zielge-richtet die Fähigkeiten zu erwerben, die wir bei der Auf-klärungs- und der Führungsfähigkeit auch über einenlängeren Zeitraum und größere Distanzen sowie beimstrategischen Transport und in manchen anderen Berei-chen, insbesondere was den Schutz und die Überlebens-fähigkeit von Soldaten bzw. der Truppe angeht, benöti-gen. Dies ist vom Kollegen Kröning mit einigen Zahlenuntermauert worden. Ich brauche das nicht zu wiederho-len, möchte es aber in einen ganz anderen Zusammenhangstellen:Zur Führungsfähigkeit: Das Datenfunksystem MIDSist vom Haushaltsausschuss, wenn ich es recht in Erinne-rung habe, gebilligt worden. Es handelt sich dabei um eine50-Millionen-Vorlage. Dies konnte übrigens nur gebilligtwerden, weil wir auf der Seite Wirtschaftlichkeit, Effizi-enz und Veräußerungserlöse die Ergebnisse erzielt haben,auf die ich gleich noch zu sprechen komme.Zur Aufklärungsfähigkeit: Das strategische Auf-klärungssystem SAR Lupe ist praktisch unter Vertrag undkonnte nur deshalb verwirklicht werden, weil wir auf derSeite Wirtschaftlichkeit, Betriebskostensenkung, Effizi-enz und Veräußerungserlöse die Ergebnisse erzielt haben,über die ich gleich noch sprechen werde.Das gilt – unbeschadet aktueller Bemerkungen desRechnungshofes, über die wir noch diskutieren müssen –auch für das taktische Aufklärungssystem Fennek und dieA 400 M. Unverändertes Ziel der Bundesregierung ist es,möglichst in diesem Jahr zu einer Unterschrift zu kom-men, die bestehenden Verpflichtungen in keiner Weise zuvariieren und keine Unsicherheiten zu erzeugen. Das hatder Bundeskanzler am 23. November 2001 in Nantes ineinem Kommuniqué ebenso wie gegenüber der Öffent-lichkeit bekräftigt. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.Zur Wirksamkeit im Einsatz: Ich müsste jetzt über dieLuftbetankungsfähigkeit, über den Tiger als Einsatzunter-stützungshubschrauber, über die Verbesserungen beim Tor-nado, über den EF 2000 und die Korvette 130 sprechen.Dies alles sind Beispiele, insbesondere die Korvette 130,die nur funktionieren, weil wir auf anderer Ebene mit Wirt-schaftlichkeit, Effizienz usw. deutlich vorangekommensind. Das gilt übrigens auch für den Lenkflugkörper Me-teor, für den dringend benötigten Minenschutz für den Mar-der oder für die Abstandswaffe Taurus.
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Vor diesem Hintergrund möchte ich darauf aufmerk-sam machen, dass zur Reform der Streitkräfte nicht nureine Verbesserung der Ausrüstung gehört, sondern aucheine Veränderung im Verfahren bei der Beschaffung undEntwicklung von Wehrmaterial. Hier kann man übri-gens wieder von falschen Zahlen ausgehen und sagen, dieAnsätze seien gekürzt worden. Das stimmt nicht. Abernoch entscheidender als das Betrachten der Quantität derMittel für Forschung und Entwicklung scheint mir zusein, dass wir gleichzeitig dafür sorgen, dass die Beschaf-fungszeiten reduziert werden – sie sind nämlich halbiertworden – und dass die Industrie bei der Entwicklung derAusrüstung der Bundeswehr stärker in die Entwicklungs-verantwortung einbezogen wird. Das geschieht auch.Drittes Beispiel. Qualifizierungs- und Bildungsoffen-sive für Unteroffiziere und Mannschaften sowie Ausbil-dungskooperation mit 100 Kammern und 400 Unterneh-men. Die Bundeswehr ist das ausbildungsfreundlichsteUnternehmen in der Bundesrepublik Deutschland!
Viertes Beispiel. Neuausrichtungsgesetz und sechstesBesoldungsänderungsgesetz. Das sind nun wirklichSchlüsselelemente für die Umsetzung der Bundeswehrre-form. Wir werden im nächsten Jahr deutlich über 40 000,circa 42 000, Angehörige der Bundeswehr befördern kön-nen. Das ist ein Hinweis darauf, dass wir die beruflichePerspektive in der Bundeswehr verbessern. Aber nebenBesoldung und sozialer Absicherung müssen wir nochandere Punkte betrachten, die mit der unausgewogenenAltersstruktur und mit dem Wehrdienst zu tun haben. Siehaben aber auch damit zu tun, dass wir wegen des hohenAnteils der Zeitsoldaten verpflichtet sind, nicht nur aufdie Zeit in der Bundeswehr zu schauen, sondern auch diePerspektiven für zivile berufliche Tätigkeiten nach derBundeswehrzeit von Anfang an förderlich im Auge zu be-halten.
Fünftes Beispiel. Tarifvertrag. In meinen Augen ist erein bisschen spät zustande gekommen. Aber es gibt ihnseit dem 18. Juli mit weit reichenden Veränderungen, dieauf sozialverträgliche Weise umgesetzt werden, wie siekein einziges Unternehmen in Deutschland kennt.
Aber Sie, Herr Kollege Breuer, sagen, dass ich michder Einsparung von bestimmten Personalkosten rühmenwürde, die aber nur damit zusammenhängt, dass Stellennicht besetzt werden.
Das ist aber schlicht die Unwahrheit. Wenn Sie sagen, esseien rund 180 000 Zeit- und Berufssoldaten – ich sageIhnen, es sind 188 000, sorry –, dann beweist allein einVergleich Ihrer Behauptung mit der Realität, dass es da-ran nicht liegen kann.
Allerdings haben wir im zivilen Bereich auf der Grund-lage des Tarifvertrages und auf der Grundlage der Er-neuerung der Bundeswehr in erheblichem Maße Stellenabbauen können. Das hat uns im Vollzug des Haushaltes2001 100 Millionen DM an Personalkosten erspart. Dasist richtig. Das ist auch ausdrücklich so beabsichtigt ge-wesen und war von Anfang an in den Beschlüssen der Ko-alition zur Erneuerung der Bundeswehr festgelegt.Sechstes Beispiel. Der Rahmenvertrag wurde mittler-weile von 600 Unternehmen unterzeichnet. Er ging von14 Pilotprojekten aus, die sich mittlerweile in 22 Ver-tragspaketen manifestiert haben.Siebtes Beispiel. Das Bundesministerium der Verteidi-gung hat ein Leitungscontrolling eingerichtet, das einedurchgängige Verfolgung und Steuerung nicht nur der Re-form ermöglicht. Das ist bei einem so vielschichtigen An-satz auch unbedingt erforderlich.Ich will nun einmal deutlich machen, was all dieses, inZahlen übersetzt, bedeutet. Für den Kollegen Breuer sindalle diese Zahlen natürlich nicht neu; er hat sie wie andereKollegen auch im Verteidigungsausschuss gehört. Aber esgehört offenbar zu den Gepflogenheiten einer intellektu-ell hoch stehenden Debatte, die Tatsachen möglichst zuverschweigen.
Im Haushaltsentwurf war von Anfang an eine Senkungder Betriebskosten von 200 Millionen DM eingeplant.Diese Einsparung werden wir erreichen. Die 100 Milli-onen DM, die wir an Personalkosten eingespart haben,habe ich bereits genannt. Die Flugbereitschaft ist aus-weislich anderer Bemerkungen des Rechnungshofes sooptimiert worden, dass sie 74 Millionen DM im Jahr we-niger kostet. Die Kosten für die Ersatzteilbevorratungoder die Depotinstandhaltung beim Heer sind um 20 Mil-lionen DM gemindert worden. Die Umstellung der Be-schaffung von Ausstattung der Rechenzentren der Bun-deswehr auf Leasingverträge hat 38 Millionen DMerbracht. Es gibt Mieteinnahmen. Das Betreibermodelldes Gefechtsübungszentrums in der Altmark erbringtinsgesamt 16,5 Millionen DM.Das Heer hat klugerweise durch Neuordnung der De-potinstandsetzung und anderes Infrastrukturmaßnahmenim Wert von 1,2 Milliarden DM identifiziert, auf die manverzichten kann. Wir haben für rund 220 Millionen DMbewegliches wie unbewegliches Vermögen veräußert. ImÜbrigen haben wir mit den Niederlanden eine Vereinba-rung über Lufttransportkapazitäten mit einem Volumenvon 90 Millionen DM abgeschlossen.Ich bleibe bei dem, was ich von Anfang an gesagt habe:Ich bin nicht dafür, wegen einer schnellen Mark Druckauszuüben, um schnelle Veräußerungen zu schlechtenPreisen zu erreichen.
Wenn Sie diese Zahlen einmal zusammenrechnen, dannwerden Sie unschwer erkennen, dass wir auf dieser Seiteder Verbesserung von Wirtschaftlichkeit und Effizi-enz und der Steigerung von Veräußerungserlösen in die
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Nähe des Zieles kommen – wir werden es nicht ganz er-reichen –, das wir uns vorgenommen haben.
Ich bedanke mich im Übrigen ausdrücklich bei denMitgliedern des Verteidigungsausschusses, insbesondereaber auch bei den Mitgliedern des Haushaltsausschussesund nicht zuletzt bei dem Kollegen Hans Eichel und sei-nen Mitarbeitern. Wir haben alle Entscheidungen vorbe-reitet und werden sie mit diesem Haushalt durchsetzen,die mit der Gründung der genannten Beteili-gungsgesellschaft zu tun haben und die der Bundeswehrein zusätzliches Investitionsvolumen in einer Größenord-nung erschließen, die hier auch nicht ganz genau beziffertworden ist. Über die kleine Differenz zwischen 800 Mil-lionen, 820 Millionen und 826 Millionen DM darf man jabei Haushaltsberatungen jedenfalls im Sinne der CDU/CSU hinwegsehen. Wer Mehrforderungen von über400 Milliarden DM aufstellt,
erwirbt sich nach seinen eigenen Vorstellungen offenbardas Recht, über die Bundeswehr zu reden, ohne sich dieTatsachen genau anzuschauen, und hier und da ein paarHundert Millionen oder einige zig Millionen zu vergessenusw.Ich hätte Sie – ich sage das ganz deutlich – auf demWeg der Erneuerung der Bundeswehr gern dabei. Aberwenn Sie in der Ecke stehen bleiben wollen, dann bleibenSie da stehen. Wir werden die Bundeswehr dennocherneuern, gemeinsam mit den Angehörigen der Bundes-wehr. Im Interesse der außen- und sicherheitspoli-tischen Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deut-schland wird die Erneuerung mit Erfolg durchgeführtwerden, ob Sie das mögen oder nicht. Es darf ja in IhrenAugen nicht so sein, dass ein Sozialdemokrat erfolgreichdas aufräumt, was Sie ihm hinterlassen haben.
Liebe Kol-
leginnen und Kollegen, mit Blick auf die Rednerliste, auf
die folgenden namentlichen Abstimmungen und auf den
Umstand, dass heute Abend noch zwei Ressorts aufgeru-
fen werden, möchte ich von der Bestimmung des § 27 der
Geschäftsordnung Gebrauch machen und Kurzinterven-
tionen grundsätzlich auf eine Minute beschränken.
Zu einer solchen Kurzintervention hat der Kollege
Rauber das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister, die Kri-
tik an Ihnen ist keine Kritik an der Bundeswehr und den
Zivilbediensteten in der Bundeswehr.
Wir stehen zur Bundeswehr und wir erkennen die Leis-
tungen der Soldaten umso mehr an, als sie unter sich ver-
schlechternden Bedingungen erbracht werden müssen.
Sie haben der Bundeswehr gegenüber unseren Planungen
von 2000 bis 2004 18,6 Milliarden DM entzogen. Die
1,5 Milliarden DM sind nur ein Teil der Kompensation.
Der Haushalt hat nicht nur eine Einnahmenseite, sondern
auch eine Ausgabenseite. 1998 standen 2 800 Soldaten auf
dem Balkan. Ein Jahr später waren es durch den Kosovo-
Krieg insgesamt 9 000. Allein das Kosovo-Engagement
verursacht Kosten von 1,3 Milliarden DM.
Wir fordern das ein, was Sie international versprochen
haben. Sie haben entsprechend den Kölner Vorgaben in
Sintra erklärt, dass der investive Anteil des Bruttoinlands-
produkts von 0,3 Prozent auf 0,7 Prozent erhöht werden
muss, was allein ein Mehr von 11 Milliarden DM aus-
macht.
Herr Kol-
lege Rauber, das war Ihre Kurzintervention.
Okay.
Nunmehr
gebe ich dem Kollegen Hildebrecht Braun das Wort.
Herr Präsi-dent! Meine Damen und Herren! Es ist schon ein herbesSchicksal, in einer rot-grünen Regierung Verteidigungs-minister sein zu müssen.
Das allein erklärt aber noch lange nicht, warum dieserMinister Scharping bei weitem am meisten Rücktrittsfor-derungen in dieser Haushaltswoche zu hören bekommenhat. Ein Staatssekretär, zwei Generalinspekteure, eineGeschäftsführerin – darauf komme ich noch zu spre-chen –, Ihr eigener Pressesprecher sowie weiteres Perso-nal aus dem Ihnen unmittelbar zugeordneten Bereich ha-ben kapituliert oder sind entlassen worden. Laut „Welt“von heute will angeblich auch Staatssekretär Biederbickseinen Hut nehmen.
Ihre Rede hat eines trotzdem nicht gezeigt, nämlich dieFähigkeit zur Selbstkritik.
Gehört diese nicht zum Anforderungsprofil eines Minis-ters? Denken Sie an die GEBB, die Sie gegründet haben,Herr Scharping, um Geld zu sparen. Sie haben eine ver-diente Parteifreundin als Geschäftsführerin angestellt – zueinem Gehalt, mit dem sie sich den Bundeskanzler als lei-tenden Angestellten hätte leisten können. Jetzt haben Siedie Dame ins Unterholz geschickt. Ich wüsste ja schongerne – meine Zwischenfrage wurde leider nicht zugelas-
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Bundesminister Rudolf Scharping20142
sen –, ob auch eine Abfindung Teil der Vereinbarung ist.Das interessiert mich speziell deshalb, weil gleichzeitigunseren Soldaten eine Kürzung ihrer Pensionen angedientwird. Das ist Fakt.
Meine Damen und Herren, deutlich weniger Geld fürdie Soldaten bei deutlich gestiegenen Aufgaben – dieseGleichung kann nicht aufgehen. Nur bei steigender Ar-beitslosigkeit, wie sie jetzt Minister Eichel angekündigthat, hat die Bundeswehr überhaupt noch eine Chance, dennötigen Nachwuchs zu bekommen. Warum ist das so?Weil die Eingangsgehälter bei der Bundeswehr immernoch etwas über dem Sozialhilfeniveau liegen.
Es ist nicht in Ordnung, dass gerade unsere Feldwebel, dieWehrpflichtigen oder auch Zeitsoldaten begreiflich ma-chen sollen, dass es sich lohnt, als Berufssoldat bei derBundeswehr zu dienen, selbst keine Perspektive haben.Wer selbst nicht von seiner Tätigkeit überzeugt ist, derkann auch andere nicht überzeugen.
Ob das der Beförderungsstau, die langen Stehzeiten imAusland, die große Unsicherheit über das Weiterbestehenvon Standorten oder die gehaltsmäßige Schlechterstel-lung von Soldaten gegenüber den Polizisten ist – solcheDinge motivieren nicht.Herr Minister Scharping, Sie sind als Löwe von Rhein-land-Pfalz gestartet und als Bettvorleger gelandet.
Sie haben den Kredit bei der Truppe verspielt. Viele Ent-scheidungen über Standortverlegungen oder Standort-schließungen lassen parteipolitische Erwägungen an-stelle von nüchterner Abwägung erkennen. Ein leidvollesBeispiel dafür ist die Fernmeldeschule des Heeres inFeldafing. Bisher ist es eines der schönsten und wertvolls-ten Grundstücke der Bundeswehr in Deutschland; es liegtam Starnberger See. Wenn Rot-Grün noch länger an derRegierung bleiben sollte, dann kommt die Verlegung ineinen durchschnittlichen Standort infrage. Ein Juwel wirdin Modeschmuck eingetauscht. Vielleicht gibt es ein paarLegobausteine dazu. Das wird der Bundeswehr nicht ein-mal Geld bringen: Die Verlegung kostet 120 Millio-nen DM mehr, als die Renovierung und Sanierung der be-stehenden Gebäude und Einrichtungen in Feldafing selbstkosten würden.Ein derartiges Verhalten würde bei jeder Firma nichtnur zur fristlosen Kündigung des Finanzvorstandesführen, sondern unmittelbar Schadensersatzklagen inHöhe von mindestens 120 Millionen DM
nach sich ziehen. An die Menschen, die für diesen schänd-lichen Vorgang auch noch ihre gewachsenen Beziehungenin der Gemeinde und in der Schule – ich denke hier auchan die Kinder – sowie ihren Job – ich denke an die Ehe-frauen – aufgeben sollen, denkt bei Rot-Grün offensicht-lich niemand mehr. Herr Scharping, hier überfordern Siedie Loyalität ihrer Soldaten.Sanieren Sie die Schule und schauen Sie sich diese ersteinmal an. Das ist ein unglaubliches Ding: Es schaut auswie beim Untertagebergbau. 100 Vortragssäle werdendurch jeweils vier Baumstämme gehalten, damit dieDecken nicht einstürzen. Das ist die gegenwärtige Situa-tion. Dort besteht wirklich ein dringender Handlungsbe-darf.Herr Bundesminister, ich stelle fest, dass die Finanzender Bundeswehr offensichtlich bereits einen fatalen Zu-stand erreicht haben. Mir liegt ein Schreiben der Stadt-werke Düsseldorf vom 8. November 2001 an Verteidi-gungsminister Rudolf Scharping vor. Dort schreibt derVorstand der Stadtwerke Düsseldorf:Institute und Behörden des Bundes und der Länderschulden den Stadtwerken Düsseldorf entsprechendeinem Stromverbrauch von rund 315 Gigawatt einenBetrag in Höhe von 2,8 Millionen DM für den Zeit-raum vom 1. November 2000 bis zum 31. Okto-ber 2001.Die Stadtwerke Düsseldorf bitten Sie, für die Zah-lung der offenen Beträge zu sorgen.Herr Bundesminister Scharping, sollen wir etwa nochsammeln gehen, damit wir diesen Betrag zusammenbe-kommen und damit Sie in die Lage versetzt werden, we-nigstens den Strom für die Bundeswehr zu bezahlen?Sonst gehen gar noch vor Weihnachten ihre Lichter aus.Das kann es doch wohl nicht sein.Ich danke.
Das Wort
hat der Kollege Winfried Nachtwei für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!Ich möchte zu zwei Punkten im Hinblick auf die nächstenMonate Anmerkungen machen. Zunächst einmal ist mir inden letzten Wochen und Monaten aufgefallen, dass in Tei-len der Öffentlichkeit Militäreinsätze und Kriegseinsätzeimmer gleichgesetzt worden sind. Ich muss feststellen,dass diese Art von Gleichsetzung – das war auch beimEinsatz in Mazedonien sehr deutlich der Fall – die Ein-satzrealität der Bundeswehr in keiner Weise trifft.
Dies möchte ich deutlich machen, indem ich auf einenkleinen, unauffälligen Haushaltstitel aufmerksam mache,der allerdings erhebliche sicherheitspolitische Bedeutunghat, nämlich die Aufwendungen im Rahmen der nationa-len Umsetzung des KSE-Vertrages einschließlich des
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Hildebrecht Braun
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Vertrages über den offenen Himmel sowie das Chemie-waffenübereinkommen.
Der Vertrag über den offenen Himmel ist in der all-gemeinen Öffentlichkeit vielleicht gar nicht so sehr be-kannt. Er wurde 1992 unterzeichnet und hatte eine enormeBedeutung, weil nämlich mit diesem Vertrag recht kurz-fristig kooperative Beobachtungsflüge in dem gesamtenRaum von Vancouver bis Wladiwostok durchgeführt wer-den können. Das führt zu einem Ausmaß an Vertrauens-bildung, wie es in keinem anderen Bereich in einer sogroßen Zone überhaupt gegeben ist. Bei diesem Vertragkann man wirklich feststellen, dass er ein enormer Fort-schritt für die gemeinsame Sicherheit ist und dass er einBeitrag ist, die Abkehr von Denkmustern des Kalten Krie-ges, die ja noch nicht ganz verschwunden sind, unum-kehrbar zu machen.
Deutschland spielte im Rahmen der Probeimplemen-tierung eine führende Rolle. Dafür – auch das sollte hiereinmal gesagt werden – ist insbesondere dem Zentrum fürVerifikationsaufgaben der Bundeswehr zu danken, dashierzu eine in der Öffentlichkeit recht wenig beachtete,aber vorzügliche Arbeit leistet.
Anfang Januar des nächsten Jahres wird dieser Vertragendlich in Kraft treten. Die Bundesrepublik wird ihre bis-her vorbildliche Rolle allerdings nur dann weiter so aus-füllen können, wenn ein Mangel, der 1998 eingetreten ist,möglichst bald behoben wird. Seit 1998 nämlich verfügtdie Bundesrepublik über keine entsprechende Beobach-tungsplattform, kein entsprechendes Flugzeug mehr. Hierist der Bedarf offenkundig. Es ist notwendig, dass es hierzu einer Einigung kommt, und zwar zu einer multilatera-len Lösung in europäischer Zusammenarbeit mit dem Zieleiner wirklich modernen Ausstattung. Ich glaube, dassdieses Anliegen von allen Fraktionen des Hauses deutlichgeteilt wird.
Der zweite Aspekt. Als Verteidigungspolitiker habenwir selbstverständlich besonders viel und immer wiedermit Friedensmissionen zu tun, nämlich bei Entsendeent-scheidungen und bei ihrer Begleitung. Angesichts derVorgänge in Afghanistan ist aber auch eine gewisse Artvon vorausschauender Diskussion angebracht, allerdingsnicht in dieser völlig verkürzten und deplatzierten Art, inder sie der Kollege Rühe hier vorgeführt hat.Die „Stiftung Wissenschaft und Politik“ hat über ihrenFachmann Winrich Kühne inzwischen eine vorzüglicheund hilfreiche Studie dazu vorgelegt, in der festgestelltwird, dass, wenn es zu einer Übergangsregierung kommt,ein begleitender internationaler Friedensprozess vonentscheidender Bedeutung sein kann, um vor allem einpolitisches und ein Sicherheitsvakuum zu überbrücken.Wenn die Konfliktparteien – dies ist besonders zu betonenund muss eine Selbstverständlichkeit sein – dies wollen,dann wäre ein Friedenseinsatz der Vereinten Nationen un-ter den gegebenen Bedingungen wohl ein besondersgroßer und auch besonders schwieriger.Dabei muss Verschiedenes klar sein: Eine solche Mis-sion könnte sich nur auf Kernaufgaben beschränken. Eineganz zentrale Erfahrung der Einsätze auf dem Balkanmüsste sie unbedingt berücksichtigen: eine integrierteFührungsstruktur zwischen Militär und Zivilen. Selbst-verständlich müssten die Hauptbeiträge aus den muslimi-schen Staaten kommen. Nur bei technologischen und aus-bildungsmäßig anspruchsvolleren Komponenten könntenBeiträge aus dem Westen denkbar sein. Vor allem aber– das ist vielleicht auch der wichtigste Punkt in unsererDebatte – würde internationales Fachpersonal benötigt,zum Beispiel zur Unterstützung des Aufbaus von lokalenVerwaltungen. Hier gibt es einen enormen Nachholbe-darf. Vor allem in den südlichen Ländern gibt es kaumeine oder gar keine entsprechende Vorbereitung oder Aus-bildung dafür.
Denken wir einmal zurück an den Sommer 1999 imKosovo: Truppen waren ziemlich schnell verfügbar, abernach Zivilpersonal, nach Polizeikräften musste mühsamgesucht werden. Damit gingen die entscheidenden erstenMonate verloren. Damit wurden gleichzeitig ganz emp-findliche Langzeitprobleme geschaffen. Deshalb ist einerechtzeitige Vorbereitung und Rekrutierung gerade vonsolchem Zivilpersonal dringend erforderlich, damit diefantastischen, zugleich aber äußerst prekären Chancen füreinen Friedensprozess in Afghanistan bestmöglich ge-nutzt werden können. Die Bundesrepublik kann mit ihrenneu aufgebauten Kapazitäten dazu hervorragend beitra-gen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, entschuldigen Sie,dass ich mit meinen letzten Ausführungen den Zuständig-keitsbereich des Verteidigungsetats etwas überschrittenhabe. Ich hielt es aber für notwendig, weil dieser Aspektsonst nicht zur Sprache gekommen wäre.Danke schön.
Ich erteile jetzt der
Kollegin Heidi Lippmann für die PDS-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Derverabscheuungswürdige Angriff auf die USA am 11. Sep-tember 2001, auf die mit Abstand stärkste Militärmachtder Welt, erfolgte – wie wir alle wissen – nicht mit mi-litärischen Mitteln, sondern mit Tapeziermessern und Zi-vilflugzeugen. Er hat deutlich gemacht, dass militärischeHochtechnologie kein Schutz gegen derartige Terrormaß-nahmen ist. Würde man diesen Gedanken weiterdenken,käme man zu der Erkenntnis, dass drastische Kürzungenim Rüstungsbereich durchaus plausibel wären.
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Winfried Nachtwei20144
Stattdessen setzt sich wie eh und je in der Mensch-heitsgeschichte einmal mehr die militärische Denkweisedurch. Statt die Ursachen des Terrorismus zu analysierenund dann mit zivilen Mitteln in einem zivilisierten Werte-verständnis zu bekämpfen, werden stellvertretend für denmutmaßlichen Verursacher des Terrors ein Staat und einganzes Volk angegriffen. Zudem wird last, not least ver-stärkt aufgerüstet, was sich im Verteidigungsetat mit zu-sätzlichen 1,5 Milliarden DM jährlich niederschlagenwird, insbesondere im investiven Bereich.Betrachten wir die Entwicklung in der Außen- und Si-cherheitspolitik der rot-grünen Bundesregierung seit1998, wird deutlich, dass die Hemmschwelle zum Ein-satz militärischerMittel Schritt für Schritt gesunken ist.Wurden bei der Bombardierung Jugoslawiens noch vor-wiegend humanitäre Beweggründe zur Legitimation inden Vordergrund gestellt, wird heute mit dem abstraktenBegriff der Terrorismusbekämpfung jegliche militärischeOption an jedem Einsatzort denkbar und möglich.Zwar ist die Bevölkerung noch nicht so weit, dies un-widersprochen zu akzeptieren – wie der Kanzler auf demSPD-Parteitag in seinem Schlusswort richtig bemerkthat –, doch traue ich beiden Regierungsfraktionen durch-aus zu, dass ihnen genügend Argumente einfallen werden,auch Angriffe auf den Irak, Somalia und andere Staatenplausibel zu erklären.Die grünen Interventionisten haben am Wochenendeeinmal mehr bewiesen, wie ein Ja zum Krieg als politi-scher Pazifismus deklariert werden kann. Sie sollten sichallerdings ernsthaft fragen, ob Sie durch Ihre Politik nichteher praktischen Bellizismus betreiben.
Ob es gelingen wird, die Mehrheit der deutschen Bevöl-kerung kriegskompatibel zu machen, wage ich zu be-zweifeln.Der Herr Verteidigungsminister hat eben ausgeführt,dass die Bundesrepublik Deutschland kein eigenes Inte-resse in Afghanistan hat. Diese Worte stehen ganz klarim Widerspruch zu dem, was der Bundesaußenministervorhin gesagt hat, nämlich dass es unser ureigenes Inte-resse ist, an einer Stabilität in der Region im Mittleren undNahen Osten zu arbeiten. Wenn der Verteidigungsminis-ter pauschal erklärt, es sei kein Interesse Deutschlandsvorhanden, könnte man daraus folgern, dass auch kein hu-manitäres Interesse vorhanden sei. Angesichts von500 000 Menschen, denen – so der UNHCR – in diesemWinter eventuell der Tod durch Verhungern oder Krank-heiten bevorsteht, halte ich diese Aussage des Verteidi-gungsministers für sehr fragwürdig.Der Kollege Volker Rühe hat den Außenminister vor-hin aufgefordert, ein klares Bekenntnis zu mehr Haus-haltsmitteln für die Bundeswehr abzugeben. Meine Frak-tion unterstützt diese Forderung natürlich nicht. Doch werKrieg und den Einsatz militärischer Gewalt als Mittelaußenpolitischer Gestaltungsmacht begreift, der musszwangsläufig umfangreiche Interventionsmöglichkeitenschaffen, der muss in seiner Logik die Rüstung moderni-sieren, der braucht neue strategische Transportflugzeuge,maritime Einsatztruppenversorger, neue Jagdbomber undvieles mehr. In dieser militärischen Logik von Rot-Grünund Schwarz-Gelb ist es dann nur konsequent, entbehrli-ches Bundeswehrgerät zu veräußern und die Rüs-tungsexportpolitik entsprechend zu forcieren. Die PDSlehnt diese Politik ab.Ich möchte zum Schluss, stellvertretend für viele Men-schen dieser Republik, zwei Organisationen zitieren. Dieeine Organisation ist der Franziskanerorden. Er sagt:Der Krieg ist kein Mittel zur Bekämpfung des Terro-rismus. Wir sehen im Gegenteil darin eine Förderungweltweiter Eskalation.
Die zweite Organisation ist der Arbeitskreis des Darm-städter Signals, in dem über hundert Offiziere und Unter-offiziere zusammengeschlossen sind. Sie fordern, den mi-litärischen Einsatz zur Terrorismusbekämpfung sofort zubeenden und weitere militärische Optionen abzulehnen.
Der Arbeitskreis des Darmstädter Signals verlangt, jegli-che Waffenexporte, besonders in Krisenregionen, abzu-lehnen. Er fordert den Verteidigungsminister auf, die ge-planten Waffenlieferungen, die den internationalenTerrorismus stützen, sofort zurückzunehmen.Dem vorliegenden Antrag meiner Fraktion bitte ich zu-zustimmen. Der neue Verteidigungshaushalt ist der ersteHaushalt, über den nach dem 11. September abgestimmtwird.
Frau Kollegin, jetzt
wird Ihre Rede ein bisschen lang.
Er wird für die Politik in die-
sem Haus zukunftsweisend sein. Deswegen werden wir
ihm nicht zustimmen.
Das Wort hat jetzt der
Kollege Manfred Opel für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Wir haben heute sehr vielüber die Zukunft der Bundeswehr gehört. In dieser Haus-haltsdebatte kommt es aber darauf an, den Menschen, diedie Bundeswehr tragen, also den Soldaten und Soldatin-nen, zivilen Mitarbeitern und ihren Familien, zu vermit-teln, dass dieses Parlament mit ihren Problemen seriösumgeht.Sie haben fürwahr Probleme. Die Bundeswehr istheute eine Armee im Einsatz. Diese Armee trägt eine Ein-satzlast wie niemals vorher. Es kann sogar sein, dass dieseLast in Zukunft noch zunehmen wird. Ich stelle fest, dassunsere Bundeswehr in ihren Einsatzgebieten vorbildlichzur Bewahrung und Schaffung von Frieden, Demokratieund Sicherheit beiträgt.
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Heidi Lippmann20145
Wir sind wirklich stolz darauf, dass diese Bundeswehrvon anerkannten Persönlichkeiten wie dem Nobel-preisträger Kofi Annan und dem NATO-GeneralsekretärLord Robertson gelobt wird, der sich außerordentlich po-sitiv zur Leistungsfähigkeit der Bundeswehr auf demBalkan geäußert hat. Die OSZE hat das Engagement die-ser Bundeswehr ausdrücklich gelobt. Unsere Partner wiePolen und Ungarn freuen sich über die Hilfen, die ihnendie Bundeswehr zur Verfügung stellt. Letztlich hat Präsi-dent Bush dem Kanzler für die Arbeit der Bundeswehrgedankt.Wie aber kann es sein, dass eine so gute Bundeswehrverwaltet und geführt werden kann, wenn sie angeblichunterfinanziert ist? Das ist doch ein Widerspruch in sich.
Deswegen bitte ich die Kolleginnen und Kollegen der Op-position, Einkehr zu halten und die Bundeswehr nichtmies zu machen.
– Ich bitte nur darum. Ich habe nicht behauptet, dass Siedas tun werden. Ich habe mich sehr genau ausgedrückt.Ich hoffe sehr, dass wir nach außen den Eindruck er-wecken, dass wir alle hinter der Bundeswehr stehen. Ichsage Ihnen zu: Vor dem Hintergrund der finanziellenMöglichkeiten ist die Bundeswehr seriös finanziert undsie wird es auch in Zukunft sein.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch einWort zum Bundeswehr-Verband, zur Vertretung der Sol-daten, sagen. Den Soldaten und den zivilen Mitarbeiternder Bundeswehr wurden nach jahrelangem Stillstandzahlreiche Verbesserungen durch diese Koalition ge-währt. Ich denke nur an den Mobilitätszuschlag, der derBundeswehr wirklich hilft. Ein Vergleich mit der freienWirtschaft erlaubt mir zum Beispiel im Hinblick auf denneuen Tarifvertrag, zu behaupten, dass diese Regierungder Bundeswehr in ihren strukturellen Nöten beisteht.Deshalb wäre es nur fair, wenn die Vertreter des Bundes-wehr-Verbandes darauf positiv eingehen würden. Statt-dessen fordern sie ihre Mitglieder auf, in Uniform gegenDefizite zu demonstrieren, die niemand beseitigen kann,weil sie niemandem bekannt sind.
Deswegen glaube ich, wir sollten gemeinsam – auch dasist eine Einladung – ein klares Wort zu dieser wirklichenPerversion des Demonstrationsrechtes finden; denn dasist nicht in Ordnung.Ich möchte darüber hinaus auch noch etwas zur Serio-sität des Haushalts sagen. Auch 2002 müssen wir über40 Milliarden Euro – das ist fast das Doppelte des Einzel-plans 14 – an Zinsen für Schulden zahlen, die die Vorgän-gerregierung gemacht hat. Das ist die Wahrheit.
Wie viele Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahmen und so-ziale Notwendigkeiten ließen sich mit diesem Geld finan-zieren? Dies ist uns verwehrt.
Es gab einen erheblichen Reformstau. Das wissen wiralle. Tun Sie jetzt bitte nicht so, als sei vorher alles in Ord-nung gewesen!
Die Weizsäcker-Kommission, die neutral ist, hat dies fest-gestellt. Unabhängig davon ist auch der Generalinspek-teur, der für die Soldaten zuständig ist und der Hauptbe-troffener ist, zu diesem Ergebnis gekommen.Rechnet man einmal – darauf hat unser Minister schonhingewiesen – die Forderungen und die Mindereinnah-men für den Gesamthaushalt zusammen, dann kommtman auf 433 Milliarden DM bzw. rund 215 MilliardenEuro. Ich möchte mich auf den Verteidigungshaushalt be-schränken. Die Union fordert, den Verteidigungshaushaltallein 2002 um zusätzlich 1,53 Milliarden Euro auf-zustocken. Zusätzlich wollen Sie den Einzelplan 14 umjährlich 6 Prozent aufstocken. Das sind im Jahr 5,2 Milli-arden Euro. Das sind im Planungszeitraum bis 200637,5 Milliarden Euro. Wenn man das alles zusammen-rechnet, kommt man auf die gewaltige Summe von40 Milliarden Euro. Das Schöne ist, dass weder Sie nochirgendein anderer, der so etwas fordert, sagt, wie er dasfinanzieren will. Dies nenne ich einfach unseriös.
Vor diesem Hintergrund nimmt es sich geradezu be-scheiden aus, dass die FDPnur 350Millionen Euro für dieAnschubfinanzierung – man beachte dieses Wort – einesLazarettschiffes fordert.
– Verehrter Herr Kollege, die militärischen Forderungenstellt nicht die Weizsäcker-Kommission, sondern der Ge-neralinspekteur als Planungsverantwortlicher für die Bun-deswehr auf.Als „Lichtblick“ bleibt eigentlich nur die Forderungder PDS, den Soldaten eine moderne Ausrüstung zu ver-weigern, also in bestehende Verträge einzugreifen. DiePDS – man höre und staune – fordert des Weiteren, dassdie Bundeswehr in Zukunft bei humanitären Leistungennicht mehr unterstützt werden solle.
– Verehrter Herr Kollege Dr. Rössel, auf solche unseriö-sen Vorschläge können die Bundeswehr und Deutschlandsehr gut verzichten.Zum Abschluss möchte ich noch ein Wort zur GEBBsagen. Das Interessante ist, dass wir die GEBB gemein-sam gefordert haben. Die Union hat immer Privatisierun-gen gefordert. Die GEBB ist Privatisierung. GEBB heißtübrigens, Herr Kollege Austermann, Gesellschaft für Ent-
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Manfred Opel20146
wicklung, Beschaffung und Betrieb und nicht Gesell-schaft zur Beratung der Bundeswehr. Das sollten Sie ein-mal lernen. Außerdem haben Sie gemeinsam mit uns Ra-tionalisierung gefordert; genau dafür ist die GEBB da. DieGründung der GEBB wurde von der Union und der FDPbegrüßt. Das ist doch die Wahrheit.
Tatsache ist auch, dass Frau Dr. Fugmann-Heesing alserste Chefin der GEBB gut gearbeitet hat. Das möchte ichhier einmal feststellen.
– Sie hat gut gearbeitet. Sie haben doch noch nie persön-lich solche Verantwortung getragen. Wie kommen Sie ei-gentlich zu einem solchen Urteil? Unser Respekt undDank gelten Frau Dr. Fugmann-Heesing.
Die Aufgaben der GEBB sind so gewaltig, dass sich dieAnfangsschwierigkeiten natürlich als massiver herausge-stellt haben, als wir alle gehofft hatten. Dennoch war esrichtig, die GEBB zu gründen. Ein bekannter Informa-tionsdienst schrieb sogar: „Wenn es die GEBB nicht gäbe,müsste man sie erfinden.“Insgesamt glaube ich, dass dieser Haushalt und die inihm veranschlagte Neustrukturierung der Bundeswehr,aber auch die GEBB die Entwicklung der Bundeswehrfördern werden.
Ich hoffe, dass Sie dies unterstützen können, indem Sienicht nur die Leistungen für sich in Anspruch nehmen,sondern gemeinsam mit uns auch die Risiken tragen. Dashat die Bundeswehr verdient.Vielen Dank.
Als letztem Redner in
dieser Debatte erteile ich dem Kollegen Kurt Rossmanith
das Wort.
Ich bitte Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, ihm
kollegial zuzuhören. Das ist für den Redner sehr viel ein-
facher.
Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Ich bedanke mich,Frau Präsidentin.Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! HerrBundesminister Scharping, der Kollege Braun hat Ihnenvorgeworfen, Sie seien nicht selbstkritisch genug. IhreAusführungen haben das wieder bewiesen. Nur in einemPunkt waren Sie selbstkritisch: Sie haben nämlich gesagt,dass Sie uns nicht verstünden. Das stimmt. Ihre Darstel-lungen in der heutigen Haushaltsdebatte beinhalteten Ver-drehungen, Unterstellungen und völlig aus der Luft ge-griffene Behauptungen.
Für meine Fraktion, die CDU/CSU, stelle ich aus-drücklich fest: Niemand aus unserer Fraktion, HerrBundesminister Scharping, hat jemals an der Leistungs-fähigkeit, an der Motivation und am Wollen unserer Sol-datinnen und Soldaten und der zivilen Mitarbeiter derBundeswehr Zweifel geäußert oder gar Kritik geübt.
Wir haben immer dargestellt, dass unsere Soldaten einegroßartige Leistung vollbringen. Für sie war der Friedender Ernstfall, bis sich die weltpolitische Situation änderte.Das begann mit Kambodscha und hat sich über Somaliaund den Balkan bis zur gegenwärtigen Bekämpfung desTerrors fortgesetzt.Wir haben Sie immer davor gewarnt, sich dem Diktatdes Finanzministers zu unterwerfen und Sicherheitspo-litik nach Kassenlage zu betreiben. Das aber hat Sie nichtweiter interessiert. Sie haben eine so genannte Bundes-wehrreform eingeleitet, die wesentlich vom General-inspekteur geprägt war, der aber schon damals darauf hin-wies, dass eine echte Reform ohne Aufstockung desHaushalts nicht möglich sei. In diesem Zusammenhangnannte er einen Betrag von über 3 Milliarden DM. Auchdas haben Sie ignoriert. Dies führte zu dem Ergebnis, dasseine der wesentlichen Säulen dieser so genannten Bun-deswehrreform, der Generalinspekteur, die Flucht nachBrüssel angetreten hat.Zur zweiten Säule, der GEBB: Lieber Kollege Opel,indem Sie gerade die GEBB als einen Privatisierungs-erfolg gefeiert haben, haben Sie gezeigt, was Sozialistenund Sozialdemokraten unter Privatisierung verstehen.Gerade die GEBB ist das beste Beispiel dafür.
Erst wurde viel Geld hineingesteckt, immerhin 69 Milli-onen DM; Kollege Breuer war mit den von ihm genann-ten 35 Millionen DM geradezu bescheiden. Erwirtschaf-tet wurden bisher maximal 17 Millionen DM. Stellen Siedas einander gegenüber. Sie erkennen dann, wie erfolg-reich dieser Privatisierungsbereich ist.
Deshalb, Herr Bundesminister Scharping, haben Sie wohlgar nichts dazu gesagt.Die GEBB soll die zweite Säule dieser so genanntenBundeswehrreform sein. Weshalb haben Sie nichts dazugesagt, ob denn Frau Fugmann-Heesing von sich aus ge-gangen ist oder ob Sie ihr den Stuhl vor die Tür gesetzt ha-ben?
Beides wäre schlimm genug. Entweder durfte sie das, wassie für erforderlich hielt, nicht tun und ist deshalb von sich
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Manfred Opel20147
aus gegangen, oder aber sie hat dieLeistung nicht erbracht,weshalb Sie ihr den Stuhl vor die Tür gestellt haben.
Lieber Herr Bundesminister Scharping, Sie müssensich sagen lassen: Ihre so genannte Bundeswehrreform istschon heute kläglich gescheitert. Sie flüchten sich in Zah-len; Kollege Kröning unterstützt Sie dabei. Ich schätze ihnpersönlich sehr, aber er hat ein Durcheinander in die Zah-len gebracht und geglaubt, er könne erfolgreich sein, in-dem er dies und das und jenes vergleiche. Lieber KollegeKröning, so geht es nicht.Was macht der Bundesminister? Er erklärt, 500 Rah-menverträge seien bereits unterschrieben worden. Täglichdrängten sich noch mehr danach zu unterschreiben. Ichfinde niemanden mehr, der sich danach drängen würde,denn dies ist ein wertloses Stück Papier. 22 Verträge ha-ben Sie bereits erarbeitet. Verehrter Herr BundesministerScharping, in der Papierform sind Sie also sehr stark, aberwir wollen Fakten sehen.Unsere Soldaten, die im Einsatz stehen, werden mor-gen vielleicht in anderen Bereichen eingesetzt. Herr Bun-desaußenminister, Herr Abgeordneter Fischer – Sie sitzenin den Reihen der Abgeordneten –, Sie haben dieseEinsätze vehement verteidigt und auf Ihrem Parteitag fürsie gekämpft. Bis auf Herrn Fischer, den ich jetzt einmalausnehmen muss – er trägt Krawatte und Anzug –, habenalle anderen Grünen nach dem letzten Parteitag wiederihre Jeansuniform angezogen,
damit sie wieder sagen können: Wir sind doch die Grünen,auch wenn wir in der Zwischenzeit mehrere Kehrtwen-dungen vorgenommen haben.Herr Außenminister Fischer, Sie machen sich ja auchüber Ihren Ministerkollegen Scharping lustig.
Er tritt als Händler von altem Verteidigungsmaterial auf.Dagegen habe ich überhaupt nichts einzuwenden; dasVerschrotten wäre noch teurer. Weshalb sollte man esnicht befreundeten Armeen anbieten? Weil es kurz vorIhrem Parteitag war, untersagten Sie ihm mit ganz großemMediengetöse diese Aktion. Sie haben ihm das regelrechtuntersagt. Das ist eine saubere Bundesregierung, in derder eine Minister dem anderen etwas untersagen darf. Undder Bundeskanzler sagt überhaupt nichts dazu, sondernnimmt das alles nur mit ruhiger Hand hin. Selbst die ei-genen Fraktionskollegen, lieber Herr BundesministerScharping, machen sich schon über Sie lustig. Sie sagen,sie brauchen keinen Verteidigungsminister mehr. Jetztsoll die Befehl- und Kommandogewalt über die Bundes-wehr dem Bundeskanzler übertragen werden. Das heißt,Sie dürfen vielleicht noch im Büro sitzen und sich darü-ber freuen, dass Papier produziert wurde. Aber Sie wer-den überhaupt nichts mehr zu sagen haben. Das ist ja imMoment auch schon so.Sie tragen Zahlen vor und sagen: Wir haben Erlöse von200 Millionen DM erzielt. – Gestrichen! Sie haben dasschlicht und einfach gestrichen. Gehen Sie einmal raus zuder Truppe! Die werden Ihnen sagen: Wir können dieHubschrauber nicht mehr fliegen lassen. Wir haben keineBetriebsstoffe mehr, weil Sie das gestrichen haben. Also,gehen Sie wieder mal zur Truppe und lieber nicht zu denKabinettssitzungen; dort werden Sie sowieso nur nochweiter demontiert, wenn das überhaupt noch geht.Jetzt will ich Ihnen noch sagen, weshalb das mit denErlösen überhaupt nicht funktionieren kann. Sie haben er-klärt – das haben Sie heute noch einmal betont –, Sie woll-ten mit der so genannten Privatisierung bis zu 1 Milli-arde DM Erlöse erzielen. Sie streichen die Bundeswehreinfach zusammen. Sie schließen Kasernen. Sie lösen dasABC-Bataillon in Sonthofen auf, wohl wissend, dass wirohne diese ausgebildeten Soldaten keine Möglichkeit ha-ben, Prüfungen im Bereich der A-, B- und C-Waffen vor-zunehmen. Sie schließen Riesenstandorte, zum Beispielin Memmingen,
und glauben dann auch noch, Geld dafür zu bekommen.Die Region ist gestraft genug. Die wird wirtschaftlich,materiell außerordentlich leiden. Da glauben Sie, dass dieKommunen oder jemand sonst dort in der Lage sein soll,Ihnen für dieses Gelände auch nur einen Pfennig zu ge-ben? Vielmehr sollten Sie diesen Kommunen helfen; daswäre notwendig.
Zum Schluss sage ich noch einmal: Unsere Soldatenund auch die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter er-bringen angesichts der Misere, angesichts dessen, was ih-nen von dieser Bundeswehrführung zugemutet wird, einegroßartige Leistung. Nur, sie müssen auch weiterhin dazuimstande sein. Sie müssen entsprechend ausgerüstet wer-den, sie müssen entsprechend ausgebildet werden, damitsie diese Leistung auch zukünftig erbringen können.Deshalb haben wir unsere Anträge gestellt. Es wäre imInteresse unserer Soldatinnen und Soldaten, meine liebenKolleginnen und Kollegen insbesondere von der SPD-Fraktion – auf die Position der Grünen gebe ich sowiesonichts; was sie heute sagen, ist morgen schon wieder völ-lig anders –, wenn Sie unseren Anträgen zustimmten.
Herr Kollege, kom-
men Sie bitte zum Schluss.
Wenn Sie das tä-
ten, könnten wir dem Haushalt zustimmen. Wenn Sie das
nicht tun, müssen wir leider – ich betone ausdrücklich:
leider – den Haushalt des Bundesministers der Verteidi-
gung auch in diesem Jahr wieder ablehnen.
Wir kommen zu denAbstimmungen, und zwar zunächst zu den Abstimmun-gen über die Änderungsanträge.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Kurt J. Rossmanith20148
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionder CDU/CSU auf Drucksache 14/7589. Wer stimmtdafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Gegendie Stimmen der CDU/CSU ist der Änderungsantrag ab-gelehnt.Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksa-che 14/7624. Die Fraktion der FDP verlangt namentlicheAbstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alleUrnen besetzt? – Das ist der Fall.Ich eröffne die Abstimmung. –Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Ich möchte nur für einbisschen Zügigkeit sorgen, liebe Kolleginnen und Kolle-gen. Außerdem weise ich Sie darauf hin, dass wir sogleicheine zweite namentliche Abstimmung haben.Ist jetzt noch ein Mitglied des Hauses anwesend, dasseine Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Das ist nicht derFall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte dieSchriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zubeginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.Wir setzen die Abstimmungen fort und kommenzunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag derFraktion der FDP auf Drucksache 14/7622. Wer stimmtfür diesen Änderungsantrag? – Gegenprobe! – Ent-haltungen? – Der Antrag ist abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion derFDP auf Drucksache 14/7623? – Wer stimmt dage-gen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ände-rungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache14/7596. Die Fraktion der PDS verlangt namentliche Ab-stimmung. Sind die Schriftführerinnen und Schriftführerbereit? Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall.Dann eröffne ich die Abstimmung.Ich darf darauf hinweisen, dass wir gleich weitere Ab-stimmungen – auch über den gesamten Einzelplan –durchführen werden.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ichschließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnenund Schriftführer, mit derAuszählung zu beginnen. Das Er-gebnis derAbstimmungwird Ihnen später bekannt gegeben.Wir setzen die Abstimmungen fort.Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionder PDS auf Drucksache 14/7600. Wer stimmt für diesenÄnderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-gen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-che 14/7603. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist abge-lehnt.Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-che 14/7605. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist abge-lehnt.Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-che 14/7606. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Auch dieser Änderungsantrag istabgelehnt.Ich weise darauf hin, dass wir noch weitere Abstim-mungen durchführen werden. Bis zum Vorliegen der Er-gebnisse der namentlichen Abstimmungen unterbrecheich die Sitzung.
Die Sitzung ist wiedereröffnet. Wir danken den Schriftführerinnen und Schrift-führern, dass sie so schnell die Ergebnisse der namentli-chen Abstimmungen ermittelt haben.
– Das ist sicherlich einen Applaus wert.Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-mung über den Änderungsantrag der FDP auf Drucksache14/7624 bekannt: Abgegeben Stimmen 572. Mit Ja habengestimmt 263, mit Nein haben gestimmt 309.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Vizepräsidentin Anke Fuchs20149
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 571;davonja: 261nein: 310JaCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierDietrich AustermannNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannBrigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlOtto BernhardtHans-Dirk BierlingDr. Joseph-Theodor BlankRenate BlankDr. Heribert BlensPeter BleserAntje BlumenthalFriedrich BohlDr. Maria BöhmerSylvia BonitzJochen BorchertWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepePaul BreuerMonika BrudlewskyGeorg BrunnhuberKlaus Bühler
Hartmut Büttner
Dankward BuwittCajus CaesarManfred Carstens
Peter H. Carstensen
Leo DautzenbergWolfgang DehnelHubert DeittertAlbert DeßRenate DiemersThomas DörflingerHansjürgen DossMarie-Luise DöttMaria EichhornRainer EppelmannAnke Eymer
Ilse FalkDr. Hans Georg FaustAlbrecht FeibelIngrid FischbachDirk Fischer
Klaus FranckeDr. Gerhard Friedrich
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. Fritz
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Vizepräsidentin Anke Fuchs20150
Jochen-Konrad FrommeHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbNorbert GeisDr. Reinhard GöhnerPeter GötzDr. Wolfgang GötzerKurt-Dieter GrillHermann GröheManfred GrundHorst Günther
Carl-Detlev Freiherr vonHammersteinGottfried Haschke
Gerda HasselfeldtHansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen HedrichManfred HeiseSiegfried HeliasHans Jochen HenkeErnst HinskenPeter HintzeKlaus HofbauerMartin HohmannKlaus HoletschekJosef HollerithDr. Karl-Heinz HornhuesSiegfried HornungJoachim HörsterHubert HüppeSusanne JaffkeGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlBartholomäus KalbDr.-Ing. Dietmar KansyIrmgard KarwatzkiVolker KauderEckart von KlaedenUlrich KlinkertNorbert KönigshofenEva-Maria KorsHartmut KoschykThomas KossendeyDr. Martina KrogmannDr. Hermann KuesWerner KuhnKarl LamersDr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertHelmut LampDr. Paul LaufsWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Eduard LintnerDr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred LischewskiWolfgang Lohmann
Julius LouvenDr. Michael LutherErich Maaß
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
Dr. Michael MeisterFriedrich MerzHans MichelbachMeinolf MichelsDr. Gerd MüllerBernward Müller
Claudia NolteFranz ObermeierFriedhelm OstEduard OswaldNorbert Otto
Dr. Peter PaziorekAnton PfeiferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaMarlies PretzlaffThomas RachelHans RaidelHelmut RauberChrista Reichard
Erika ReinhardtHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberFranz Romer
Heinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseKurt J. RossmanithDr. Christian RuckVolker RüheAnita SchäferDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteHeinz SchemkenDr. Gerhard ScheuNorbert SchindlerBernd SchmidbauerChristian Schmidt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt
Michael von SchmudeDr. Andreas SchockenhoffDr. Rupert ScholzReinhard Freiherrvon SchorlemerDr. Erika SchuchardtGerhard SchulzDiethard Schütze
Dr. Christian Schwarz-SchillingWilhelm Josef SebastianHorst SeehoferHeinz SeiffertDr. h. c. Rudolf SeitersWerner SiemannJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteWolfgang SteigerErika SteinbachAndreas StormDorothea Störr-RitterMax StraubingerMatthäus StreblThomas Strobl
Edeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzAngelika VolquartzAndrea VoßhoffPeter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Klaus-Peter WillschBernd WilzWilly Wimmer
Matthias WissmannDagmar WöhrlAribert WolfElke WülfingPeter Kurt WürzbachWolfgang ZeitlmannBenno ZiererWolfgang ZöllerFDPIna AlbowitzHildebrecht Braun
Rainer BrüderleErnst BurgbacherJörg van EssenHorst Friedrich
Rainer FunkeDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannJoachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherKlaus HauptUlrich HeinrichWalter HircheBirgit HomburgerDr. Werner HoyerUlrich IrmerDr. Klaus KinkelDr. Heinrich L. KolbJürgen KoppelinIna LenkeDirk NiebelGünther Friedrich NoltingDetlef ParrDr. Edzard Schmidt-JortzigGerhard SchüßlerDr. Irmgard SchwaetzerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsJürgen TürkPDSMonika BaltDr. Dietmar BartschEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Ruth FuchsWolfgang GehrckeUwe HikschDr. Barbara HöllCarsten HübnerUlla JelpkeGerhard JüttemannDr. Evelyn KenzlerDr. Heidi Knake-WernerRolf KutzmutzHeidi LippmannUrsula LötzerDr. Christa LuftHeidemarie LüthPia MaierAngela MarquardtKersten NaumannRosel NeuhäuserChristine OstrowskiPetra PauDr. Uwe-Jens RösselDr. Ilja SeifertNeinSPDBrigitte AdlerGerd AndresIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Ingrid Becker-InglauHans-Werner BertlFriedhelm Julius BeucherPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigKlaus BrandnerAnni Brandt-ElsweierWilli BraseRainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannUrsula BurchardtDr. Michael BürschHans Martin BuryHans Büttner
Marion Caspers-MerkDr. Peter DanckertChristel DeichmannKarl DillerPeter DreßenDetlef DzembritzkiDieter DzewasDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserGernot Erler
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Vizepräsidentin Anke Fuchs20151
Petra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagLilo Friedrich
Harald FrieseAnke Fuchs
Arne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl-Hermann Haack
Hans-Joachim HackerKlaus HagemannManfred HampelAlfred HartenbachAnke HartnagelKlaus HasenfratzHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogMonika HeubaumReinhold Hiller
Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Eike HovermannChristel HummeLothar IbrüggerBarbara ImhofBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerJann-Peter JanssenIlse JanzDr. Uwe JensVolker Jung
Johannes KahrsUlrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerUlrich KelberHans-Peter KemperKlaus KirschnerMarianne KlappertSiegrun KlemmerHans-Ulrich KloseFritz Rudolf KörperKarin KortmannAnette KrammeNicolette KresslVolker KröningHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelUte KumpfKonrad KunickWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherChristine LehderWaltraud LehnRobert LeidingerKlaus LennartzDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGötz-Peter Lohmann
Gabriele Lösekrug-MöllerErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß
Winfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkUlrike MascherChristoph MatschieHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggChristoph MoosbauerSiegmar MosdorfMichael Müller
Jutta Müller
Christian Müller
Volker Neumann
Gerhard Neumann
Dr. Edith NiehuisDr. Rolf NieseDietmar NietanGünter OesinghausEckhard OhlLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes PflugDr. Eckhart PickJoachim PoßKarin Rehbock-ZureichDr. Carola ReimannMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterChristel Riemann-HanewinckelReinhold RobbeGudrun RoosRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Birgit Roth
Marlene RupprechtThomas SauerDr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-WalchRudolf ScharpingBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyDieter SchlotenHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Dr. Frank Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Carsten SchneiderDr. Emil SchnellWalter SchölerKarsten SchönfeldFritz SchösserOttmar SchreinerGerhard SchröderGisela SchröterDr. Mathias SchubertRichard Schuhmann
Brigitte Schulte
Volkmar Schultz
Ewald SchurerDr. Angelica Schwall-DürenBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltAntje-Marie SteenLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseReinhold Strobl
Dr. Peter StruckJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesUta Titze-StecherAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Hans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGunter WeißgerberGert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerJochen WeltDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelDr. Norbert WieczorekJürgen Wieczorek
Helmut Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDieter WiefelspützHeino Wiese
Brigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightUta ZapfDr. Christoph ZöpelPeter ZumkleyBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENVolker Beck
Angelika BeerMatthias BerningerGrietje BettinEkin DeligözDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellAndrea Fischer
Joseph Fischer
Katrin Göring-EckardtGerald HäfnerWinfried HermannAntje HermenauKristin HeyneUlrike HöfkenMichaele HustedtDr. Angelika Köster-LoßackDer Änderungsantrag ist damit abgelehnt.Ich gebe weiterhin das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab-stimmung über den Änderungsantrag der PDS auf Druck-sache 14/7596 bekannt: Abgegebene Stimmen 572. Mit Jahaben gestimmt 57, mit Nein haben gestimmt 514, eineEnthaltung.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Vizepräsidentin Anke Fuchs20152
Steffi LemkeDr. Helmut LippeltDr. Reinhard LoskeOswald MetzgerKerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsCem ÖzdemirSimone ProbstChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkRezzo SchlauchAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SterzingHans-Christian StröbeleJürgen TrittinDr. Ludger VolmerSylvia VoßHelmut Wilhelm
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 570;davonja: 56nein: 513enthalten: 1JaFDPIna AlbowitzHildebrecht Braun
Rainer BrüderleErnst BurgbacherJörg van EssenHorst Friedrich
Rainer FunkeDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannJoachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherKlaus HauptUlrich HeinrichWalter HircheBirgit HomburgerDr. Werner HoyerUlrich IrmerDr. Klaus KinkelDr. Heinrich L. KolbJürgen KoppelinIna LenkeDirk NiebelGünther Friedrich NoltingDetlef ParrDr. Edzard Schmidt-JortzigGerhard SchüßlerDr. Irmgard SchwaetzerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsJürgen TürkPDSMonika BaltDr. Dietmar BartschEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Ruth FuchsWolfgang GehrckeUwe HikschDr. Barbara HöllCarsten HübnerUlla JelpkeGerhard JüttemannDr. Evelyn KenzlerDr. Heidi Knake-WernerRolf KutzmutzHeidi LippmannUrsula LötzerDr. Christa LuftHeidemarie LüthPia MaierAngela MarquardtKersten NaumannRosel NeuhäuserChristine OstrowskiPetra PauDr. Uwe-Jens RösselDr. Ilja SeifertNeinSPDBrigitte AdlerGerd AndresIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Ingrid Becker-InglauHans-Werner BertlFriedhelm Julius BeucherPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigKlaus BrandnerAnni Brandt-ElsweierWilli BraseRainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannUrsula BurchardtDr. Michael BürschHans Martin BuryHans Büttner
Marion Caspers-MerkDr. Peter DanckertChristel DeichmannKarl DillerPeter DreßenDetlef DzembritzkiDieter DzewasDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserGernot ErlerPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagLilo Friedrich
Harald FrieseAnke Fuchs
Arne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl-Hermann Haack
Hans-Joachim HackerKlaus HagemannManfred HampelAlfred HartenbachAnke HartnagelKlaus HasenfratzHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogMonika HeubaumReinhold Hiller
Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Eike HovermannChristel HummeLothar IbrüggerBarbara ImhofBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerJann-Peter JanssenIlse JanzDr. Uwe JensVolker Jung
Johannes KahrsUlrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerUlrich KelberHans-Peter KemperKlaus KirschnerMarianne KlappertSiegrun KlemmerHans-Ulrich KloseFritz Rudolf KörperKarin KortmannAnette KrammeNicolette KresslVolker KröningHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelUte KumpfKonrad KunickWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherChristine LehderWaltraud LehnRobert LeidingerKlaus LennartzDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGötz-Peter Lohmann
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Vizepräsidentin Anke Fuchs20153
Gabriele Lösekrug-MöllerErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß
Winfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkUlrike MascherChristoph MatschieHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggChristoph MoosbauerSiegmar MosdorfMichael Müller
Jutta Müller
Christian Müller
Volker Neumann
Gerhard Neumann
Dr. Edith NiehuisDr. Rolf NieseDietmar NietanGünter OesinghausEckhard OhlLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes PflugDr. Eckhart PickJoachim PoßKarin Rehbock-ZureichDr. Carola ReimannMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterChristel Riemann-HanewinckelReinhold RobbeGudrun RoosRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Birgit Roth
Marlene RupprechtThomas SauerDr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-WalchRudolf ScharpingBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyDieter SchlotenHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Dr. Frank Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Carsten SchneiderDr. Emil SchnellWalter SchölerKarsten SchönfeldFritz SchösserOttmar SchreinerGerhard SchröderGisela SchröterDr. Mathias SchubertRichard Schuhmann
Brigitte Schulte
Volkmar Schultz
Ewald SchurerDr. Angelica Schwall-DürenBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltAntje-Marie SteenLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseReinhold Strobl
Dr. Peter StruckJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesUta Titze-StecherAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Hans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGunter WeißgerberGert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerJochen WeltDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelDr. Norbert WieczorekJürgen Wieczorek
Helmut Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDieter WiefelspützHeino Wiese
Brigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightUta ZapfDr. Christoph ZöpelPeter ZumkleyCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierDietrich AustermannNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannBrigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlOtto BernhardtHans-Dirk BierlingDr. Joseph-Theodor BlankRenate BlankDr. Heribert BlensPeter BleserAntje BlumenthalFriedrich BohlDr. Maria BöhmerSylvia BonitzJochen BorchertWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepePaul BreuerMonika BrudlewskyGeorg BrunnhuberKlaus Bühler
Hartmut Büttner
Dankward BuwittCajus CaesarManfred Carstens
Peter H. Carstensen
Leo DautzenbergWolfgang DehnelHubert DeittertAlbert DeßRenate DiemersThomas DörflingerHansjürgen DossMarie-Luise DöttMaria EichhornRainer EppelmannAnke Eymer
Ilse FalkDr. Hans Georg FaustAlbrecht FeibelIngrid FischbachDirk Fischer
Axel E. Fischer
Klaus FranckeDr. Gerhard Friedrich
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbNorbert GeisDr. Reinhard GöhnerPeter GötzDr. Wolfgang GötzerKurt-Dieter GrillHermann GröheManfred GrundHorst Günther
Carl-Detlev Freiherr vonHammersteinGottfried Haschke
Gerda HasselfeldtHansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen HedrichManfred HeiseSiegfried HeliasHans Jochen HenkeErnst HinskenPeter HintzeKlaus HofbauerMartin HohmannKlaus HoletschekJosef HollerithDr. Karl-Heinz HornhuesSiegfried HornungJoachim HörsterHubert HüppeSusanne JaffkeGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlBartholomäus KalbDr.-Ing. Dietmar KansyIrmgard KarwatzkiVolker KauderEckart von KlaedenUlrich KlinkertNorbert KönigshofenEva-Maria KorsHartmut KoschykThomas KossendeyDr. Martina KrogmannDr. Hermann KuesWerner KuhnKarl LamersDr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertHelmut LampDr. Paul LaufsWerner LensingPeter LetzgusDer Antrag ist hiermit abgelehnt.Wir kommen nun zum Einzelplan 14 in der Auschuss-fassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent-haltungen? – Der Einzelplan 14 ist angenommen.Nun rufe ich Punkt I.19 auf:Einzelplan 23Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung– Drucksachen 14/7317, 14/7321 –Berichterstattung:Abgeordnete Antje HermenauDr. Emil SchnellMichael von SchmudeJürgen KoppelinDr. Barbara HöllZum Einzelplan 23 liegen zwei Änderungsanträge derFraktion der PDS sowie je ein Entschließungsantrag derFraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP vor.Über die Erschließungsanträge werden wir am Freitag ab-stimmen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demKollegen Michael von Schmude für die CDU/CSU-Frak-tion.
Frau Präsi-dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundes-haushalt 2002 weist bekanntlich eine Steigerungsratevon 1,5 Prozent auf. Nahezu alle Einzelpläne werdendeutlich angehoben, bis auf den Haushalt des Bundes-ministers für Wirtschaft und Technologie, der – aberdas kennen wir ja – einem ständigen Auszehrungspro-zess unterlegen ist, und den Einzelplan 23 des Bun-desministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklung, der erneut zurückgefahren wird,diesmal um 2,5 Prozent, also um 98,272 MillionenEuro. Bemerkenswert ist, dass der Kabinettsentwurfvom Frühsommer dieses Jahres sogar noch eine Kür-zung um 205 Millionen Euro vorsah. Der Bundesfi-nanzminister schrieb dazu in seinem Schnellbrief vom8. Juni 2001, ganz am Ende, sozusagen unter „fernerliefen“:Die Bundesregierung setzt damit die bisherigePlanungslinie konsequent fort, stellt eine stabile Ba-sis für die Gestaltung der Entwicklungspolitik dernächsten Jahre sicher.
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Vizepräsidentin Anke Fuchs20154
Ursula LietzWalter Link
Eduard LintnerDr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred LischewskiWolfgang Lohmann
Julius LouvenDr. Michael LutherErich Maaß
Dr. Martin Mayer
Dr. Michael MeisterFriedrich MerzHans MichelbachMeinolf MichelsDr. Gerd MüllerBernward Müller
Claudia NolteFranz ObermeierFriedhelm OstEduard OswaldNorbert Otto
Dr. Peter PaziorekAnton PfeiferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaMarlies PretzlaffThomas RachelHans RaidelHelmut RauberChrista Reichard
Erika ReinhardtHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberFranz RomerHannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseKurt J. RossmanithDr. Christian RuckVolker RüheAnita SchäferDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteHeinz SchemkenDr. Gerhard ScheuNorbert SchindlerBernd SchmidbauerChristian Schmidt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt
Michael von SchmudeDr. Andreas SchockenhoffDr. Rupert ScholzReinhard Freiherr vonSchorlemerDr. Erika SchuchardtGerhard SchulzDiethard Schütze
Dr. Christian Schwarz-SchillingWilhelm Josef SebastianHorst SeehoferHeinz SeiffertDr. h. c. Rudolf SeitersWerner SiemannJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteWolfgang SteigerErika SteinbachAndreas StormDorothea Störr-RitterMax StraubingerMatthäus StreblThomas Strobl
Edeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzAngelika VolquartzAndrea VoßhoffPeter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Klaus-Peter WillschBernd WilzWilly Wimmer
Matthias WissmannDagmar WöhrlAribert WolfElke WülfingPeter Kurt WürzbachWolfgang ZeitlmannBenno ZiererWolfgang ZöllerBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENVolker Beck
Angelika BeerMatthias BerningerGrietje BettinEkin DeligözDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellAndrea Fischer
Joseph Fischer
Katrin Göring-EckardtGerald HäfnerWinfried HermannAntje HermenauKristin HeyneUlrike HöfkenMichaele HustedtDr. Angelika Köster-LoßackSteffi LemkeDr. Helmut LippeltDr. Reinhard LoskeOswald MetzgerKerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsCem ÖzdemirSimone ProbstChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkRezzo SchlauchAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SterzingHans-Christian StröbeleJürgen TrittinDr. Ludger VolmerHelmut Wilhelm
Angesichts dieser Streichpolitik seit 1999 spricht blankerZynismus aus diesen Worten.
Gemäß dem Motto „kräftig reinschneiden, dann wiederetwas weiße Salbe plus ein Trostpflaster“ – im Haushalt2002 in Form von 102Millionen Euro aus dem DEG-Ver-kauf – hat der Bundesfinanzminister wieder einmal ver-sucht, die Entwicklungshilfe als Steinbruch zu missbrau-chen. Ohne den 11. September hätte sich an dieserSachlage überhaupt nichts mehr geändert. Sie, Frau Mi-nisterin, profitieren ebenso wie Ihr Kollege Scharping vonden zwischenzeitlich eingetretenen weltweiten Verände-rungen. Aus dem Antiterrorprogramm in Höhe von ins-gesamt 1,472 Milliarden Euro erhalten Sie für Ihr Haus102 Millionen Euro Barmittel, aber nur Verpflichtungser-mächtigungen über 40 Millionen Euro. Man glaubt an ei-nen Schreibfehler. Die Planungssicherheit, die sich hie-raus ergibt, kann nur als völlig unzureichend bezeichnetwerden. Zudem weigert sich der Bundesfinanzminister,dieses Geld im Einzelplan auszuweisen, obwohl eine ge-naue Aufteilung des Betrages auf alle EinzelpositionenIhres Etats vorgenommen wurde. Darin kommt nicht nurdas Misstrauen, sondern auch die Geringschätzung derEntwicklungshilfepolitik durch jene im Bundesfinanzmi-nisterium zum Ausdruck, die die Entwicklungshilfe fürüberflüssig, ja für herausgeschmissenes Geld halten.Rechnet man also die aus der Terrorismusbekämpfungzur Verfügung gestellten Mittel mit dem Ansatz des Ein-zelplanes 23 zusammen, so ergibt sich gerade einmal eineschwarze Null gegenüber dem laufenden Jahr und ein Mi-nus von rund 300Millionen Euro gegenüber dem Etat von1998, dem letzten Etat der CDU/CSU-geführten Bundes-regierung.Der Bundeskanzler testet jetzt mit ruhiger Hand dieBelastbarkeit der Rezession, indem der Steuerzahler Steu-ererhöhungen – ich nenne Versicherung- und Tabaksteuersowie Mehrwertsteuer – in Höhe von voraussichtlich7 Milliarden DM – unbefristet, versteht sich – aufgebür-det werden. Diese Überfinanzierung des Antiterrorpro-gramms dient in Wahrheit dem Stopfen von Haushalts-löchern.
Diesen Trick kennen wir bereits durch die Einführung derÖkosteuer. Das Manöver wird gänzlich durchsichtig,wenn man sieht, dass das Antiterrorprogramm angeblichlangfristig angelegt sein soll, aber ausreichendeVerpflichtungsermächtigungen verweigert werden.Angesichts der weltweiten Herausforderungen durchden Terrorismus ist ein solches Handeln unverantwort-lich. Es wird zu einem desaströsen Ergebnis führen, das invölligem Widerspruch zu den vollmundigen Solidaritäts-bekundungen der rot-grünen Bundesregierung steht.Noch im September 2000 hatte Bundeskanzler Schröderauf dem Millenniumsgipfel der UN die Halbierung derweltweiten Armut bis 2015 angekündigt. Dieses Verspre-chen hat die gleiche Qualität wie das bereits gebrocheneWort zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit.
Unter Bundeskanzler Helmut Kohl war es üblich, dassdie Bundesregierung auf den Anteil des BMZ-Haushaltshinwies, der eine direkte Wirkung auf den deutschen Ar-beitsmarkt hatte. Darauf legt die rot-grüne Bundesregie-rung offensichtlich keinen Wert mehr. Man würde dasThema Arbeitslosigkeit heute wahrscheinlich am liebstentotschweigen.Die Haushaltsberatungen haben gezeigt, dass bedauer-licherweise nicht nur die Regierung, sondern auch die Re-gierungsfraktionen Haushaltswahrheit und Haushalts-klarheit als überholte Grundsätze betrachten.
Die Krisenmittelveranschlagung außerhalb des BMZ-Haushalts nimmt dem Parlament die Möglichkeit einer di-rekten Zuordnung dieser Gelder und ein Stück parlamen-tarische Kontrolle. Aber man kann jetzt natürlich dieZuwendungsempfänger mit dem Hinweis auf die im Ein-zelplan 60 geparkten Mittel vertrösten und ruhig stellen.Unsere Anträge im Haushaltsausschuss auf konkreteAufteilung wurden abgelehnt, weil dann, wenn unsereForderungen umgesetzt worden wären, offenbar gewor-den wäre, dass die Erwartungen vieler Zuwendungsemp-fänger eben nicht erfüllt werden.Ähnlich verhält es sich mit dem neuen Titel „Armuts-bekämpfung“ im Einzelplan 23. Da wird in einer Fußnotedarauf hingewiesen, was alles daraus bezahlt werden soll:UN-Beiträge, die Sozialstruktur, die Stiftung, die Kir-chen, die sonstigen Nichtregierungsorganisationen, dieErnährungssicherheit, die finanzielle Zusammenarbeitund die technische Zusammenarbeit. Alle genannten Zu-wendungsempfänger haben jedoch eigene Haushaltstitel.Man will also offensichtlich mit diesem Sammeltitel be-rechtigte Mehrforderungen kurz halten und abblocken.Diese Mogelpackungen können nicht darüber hinwegtäu-schen, dass es für den BMZ-Haushalt eben nicht mehrGeld gibt.Unsere Erhöhungsforderungen im Haushaltsausschusswurden von der Regierungsmehrheit fast ausnahmslos ab-gelehnt, obwohl Deckungsmöglichkeiten, zum Beispieldurch Forderungsverkäufe und Umschichtungen, mög-lich gewesen wären. Es ist geradezu beschämend, ja eszeugt von sozialer Kälte, dass nicht einmal der Kirchenti-tel bescheiden aufgestockt werden konnte, obwohl manbei den parteinahen Stiftungen die Verpflichtungsermäch-tigungen erheblich angehoben hat.Die Bundesregierung spricht von einer gestiegenenODA-Quote. Ich kann mich noch gut an Folgendes erin-nern: Der Regierung Kohl hat 1998 die damalige Opposi-tion eine ODA-Quote von 0,22 Prozent zugestanden.Inzwischen ist das Bruttosozialprodukt um rund 100 Mil-liarden Euro gestiegen, der Einzelplan des BMZ jedochum 300Millionen Euro zurückgefallen. Nach Adam Riesekann da die ODA-Quote nur fallen und nicht steigen.
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Michael von Schmude20155
Wenn Sie die ODA-Quote erhöhen wollen, dann müssenSie für die Entwicklungshilfe mehr Geld zur Verfügungstellen oder aber das Bruttosozialprodukt muss rezes-sionsbedingt schrumpfen. Vielleicht setzen Sie ja auf einesolche Entwicklung.
Zusammenfassend muss leider festgestellt werden:Erstens. Der Einzelplan 23 nimmt unter der rot-grünenBundesregierung wieder nicht an der allgemeinen Haus-haltsentwicklung teil und wird den neuen internationalenHerausforderungen in keiner Weise gerecht.Zweitens. Die Verpflichtungsermächtigungen sind völ-lig unzureichend für die Gestaltung einer vernünftigen,nachhaltigen Entwicklungspolitik.Drittens. Die mittelfristige Finanzplanung signalisiertfür die Entwicklungshilfe einen langfristigen Abwärts-trend.Viertens. Die Nichtregierungsorganisationen werdenhingehalten, vertröstet, ja sogar getäuscht.Fünftens. Die Länder der Dritten Welt werden in demGlauben gelassen, dass die ODA-Quote von 0,7 Prozenternst gemeint und in absehbarer Zeit realisierbar sei.Die Bundesregierung beschränkt sich wieder einmalauf Ankündigungen, haltlose Versprechungen und halb-herzige Schritte, statt finanzielle Zeichen zu setzen.
Es geht wieder ein Stück internationale Glaubwürdigkeitund Berechenbarkeit der deutschen Entwicklungspolitikverloren. Die Entwicklungshilfe bleibt damit auch weiter-hin ein Stiefkind der rot-grünen Bundesregierung.
Wir lehnen deshalb diesen Einzelplan ganz entschiedenab.Zum Schluss möchte ich mich dennoch bei den Mitar-beiterinnen und Mitarbeitern Ihres Hauses, Frau Ministe-rin, dafür bedanken, dass sie versucht haben, aus diesenunschönen Vorgaben des Herrn Bundesfinanzministerswenigstens etwas zu machen. Auch möchte ich mich beiden Mitberichterstattern, insbesondere bei meinem Kolle-gen Dr. Schnell, für die langjährige und gute Zusammen-arbeit bedanken.Ich gehöre auch zu den Kolleginnen und Kollegen, dienicht mehr weitermachen werden. Aber ich verabschiedemich heute nicht für immer; denn wir werden im nächstenJahr mit Sicherheit noch einen Nachtragshaushaltdiskutieren.
Nun erteile ich dem
Kollegen Dr. Emil Schnell das Wort für die SPD-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin!Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es tut mir nichtLeid, Herr Kollege Austermann. Ich komme im Folgen-den darauf zu sprechen, warum es mir nicht Leid tut.Wir haben nun drei Monate lang ausgabewütige Oppo-sitionelle erlebt. Der Schuldenberg, den Sie uns hinterlas-sen haben, sollte noch weiter aufgetürmt werden,
nach der Devise: Was gehen mich meine Schulden vongestern an. Die Maastricht-Kriterien werfen Sie schlichtüber den Haufen.
Sie wollen nach der Devise „und Tschüss!“ weiter aufKosten zukünftiger Generationen leben.
Die PDS hat mehrfach Scheingegenfinanzierungsvor-schläge gebracht und will die Bundeswehr verhökern.
Mir kommt es so vor, als lebten Sie in einer anderen Welt.Ich werde noch ansprechen, dass Sie den Eurofighter undandere Dinge verscheuern wollen. So wird aus der not-wendigen Konsolidierung und Nachhaltigkeit unserer Po-litik nichts.Wir haben in den letzten Jahren immer wieder betont,dass die Bedeutung der Entwicklungspolitik nicht un-terschätzt werden darf. Besonders nach den Terroran-schlägen vom 11. September ist das, so glaube ich, jedemklar geworden. Im präventiven Bereich ist sie das wich-tigste Instrument, eine Friedensinvestition neben denMöglichkeiten für einen fairen Handel.Entwicklungspolitische Anstrengungen, die dazuführen, dass Armutsbekämpfung, Zugang zu Arbeit,Bildung, Wasser, Ernährung und Gesundheitswesen,Konfliktprävention, humanitäre Hilfe, gute Regierungs-führung und Demokratisierung verbessert werden, sindwichtiger denn je. Das sind auf jeden Fall Möglichkeiten,dem Fundamentalismus weltweit den Nährboden zu ent-ziehen. Die Parteitage von SPD und Grünen haben des-halb sehr deutlich herausgearbeitet: Die entwicklungspo-litischen Anstrengungen müssen verstärkt und besserkoordiniert werden, auch, wie ich hinzufüge, was dieinternationale, insbesondere die europäische Zusammen-arbeit angeht.
Die Regierung hatte den Einzelplan 23 um circa200 Millionen Euro im Vergleich zu 2001 gekürzt. DieMinisterin hat erfolgreich gekämpft, sodass wir als Ko-alitionsfraktionen unmittelbar nach der Einbringungdurch das Kabinett die Zusage gegeben haben, eine ent-
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sprechende Aufstockung von 102 Millionen Euro auf denWeg zu bringen.
– Ja, das ist erfreulich. – Schließlich wurden daraus104 Millionen Euro. Der Plafond stieg damit auf 3,7 Mil-liarden Euro. Die Verpflichtungsermächtigungen stiegenum 85 Millionen Euro auf 4,23 Milliarden Euro. Insge-samt also kann man sagen: Der Haushalt für wirtschaftli-che Zusammenarbeit und Entwicklung wurde im Laufeder Haushaltsberatungen für 2002 deutlich aufgewertet.Aus dem Antiterrorpaket stehen dem Einzelplan 23noch einmal 102Millionen Euro zur Verfügung, und zwarfür ein Maßnahmenpaket, das aus drei Teilen besteht: derkurzfristigen Krisenbewältigung durch bilaterale Koope-rationsmaßnahmen, der Krisenprävention und Friedenssi-cherung durch strukturbildende und -erhaltende bilateraleMaßnahmen und der Krisenprävention und Friedenssi-cherung durch Ausbau der Kooperationsfähigkeit vonUN-Entwicklungshilfeorganisationen und internationa-len Nichtregierungsorganisationen. Dafür werden immer-hin 15 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Was an-gesichts dieses zusätzlichen Pakets wichtig undunabdingbar ist, ist, dass das Ministerium insgesamt18 neue Stellen bekommen wird, um diese Aufgaben be-wältigen zu können.
Ich bin sehr froh, dass die UN-Flüchtlingshilfe,UNHCR, mit einem neuen Aktionsplan für Afghanistanebenfalls unsere Bemühungen eines Wiederaufbaus un-terstützt. Bei der Betreuung von Flüchtlingen und derenRückkehr werden afghanische Frauen erstmals wiederArbeit finden können. Ich möchte dazu sagen, dass ichglücklich darüber bin, dass dort wieder – ich will es ein-mal so sagen – gesungen werden kann, dass die Menschenwieder ins Kino gehen und dass Mädchen wieder in dieSchule gehen können.
Ebenfalls werden aus dem Antiterrorpaket circa80Millionen Euro für einen Stabilitätspakt Afghanistanund 40 Millionen Euro Verpflichtungsermächtigungenbereitgestellt. Auch die politischen Stiftungen erhaltenaus dem Antiterrorpaket zusätzlich 2,5Millionen Euro fürihre Aktivitäten in Afghanistan.Damit stehen dem Entwicklungsministerium im nächs-ten Jahr circa 3,88 Milliarden Euro zur Verfügung, alsodeutlich mehr als im Jahr 2001 – das sage ich an meinenKollegen Michael von Schmude gerichtet –, auch wennder Einzelplan selber als Plafond nicht diese Erhöhung er-fahren hat. Ich glaube, es ist wichtiger – wenn man dasFormale einmal beiseite lässt –, zu sehen, in welcher HöheMittel für die Entwicklungspolitik tatsächlich zur Verfü-gung stehen.
Wir haben auch damit, dass die Mittel deutlich über de-nen von 2001 liegen, gezeigt, dass uns die Entwicklungs-politik sehr wichtig ist. Ich denke, das kann sich sehen las-sen und wird auch der neuen Lage im Zusammenhang mitdem internationalen Terrorismus gerecht. Für den Wie-deraufbau, für humanitäre Hilfe, Not- und Flüchtlings-hilfe sowie Projekte der Entwicklungszusammenarbeit inAfghanistan ist somit Vorsorge getroffen.Nun zu einem Punkt, der ebenfalls viel diskutiertwurde, dem Stabilitätspakt Südosteuropa. Hierzumöchte ich anmerken, dass die Umsetzung der deutschenZusage zum globalen Aids- und Gesundheitsfonds wahr-scheinlich Gegenstand der Haushaltsaufstellung 2003 undder Fortschreibung des Finanzplans bis 2006 sein wird.Das heißt, wir werden die Versprechen, die von den Ko-alitionsfraktionen gegeben wurden, im Parlament einlö-sen, aber zur rechten Zeit; die Mittel werden im nächstenJahr in den Haushalt für 2003 eingestellt werden.
– Wir glauben das nicht nur; das wird passieren, Herr Kol-lege.Es gab mehrfach Streit um die Zuordnung der Antiter-rormittel. Der Kollege von Schmude hat das angedeutet.Sie ressortieren jetzt im Einzelplan 60. Aus Sicht von se-riösen, verantwortungsbewussten Haushältern ist das soin Ordnung. Selbst die FDPwar damit einverstanden. Nurdie CDU/CSU hat nicht begriffen, was Haushaltskon-trolle tatsächlich bedeutet.
Wenn klar ist, welche Projekte mittel- und langfristig gutlaufen, welche Mittel in welchen Bereichen wirklich not-wendig sind, wird im nächsten Jahr für 2003 das Geld indie entsprechenden Einzelpläne eingestellt. Ich glaube,das ist eine vernünftige Verfahrensweise, mit der sich diegroße Mehrheit des Ausschusses einverstanden erklärenkonnte.Wir haben darüber hinaus – auch das ist vielleicht einArgument gegen das, was der Kollege von Schmude hierangeführt hat – eine Haushaltssperre von jeweils 5 Milli-onen Euro in den Bereichen Auswärtiges Amt undEntwicklungspolitik eingeführt. Auch darüber werden dieKontrolle und die Mitwirkung des Haushaltsausschussesund damit natürlich des ganzen Parlamentes sichergestelltwerden können. Ich denke, das ist ein hinreichendes In-strument für diese Kontrolle.An dem Antiterrorpaket werden ebenfalls die Kir-chen, die politischen Stiftungen, die NGOs und unsereDurchführungsorganisationen, also die bewährten Instru-mente der Entwicklungspolitik, mit einer erheblichenZahl von Projekten beteiligt sein. Es gibt eine Zusage derpolitischen Leitung des BMZ, dass dort auf Aus-gewogenheit geachtet werden wird. Ich denke, das istauch für die angesprochenen Institutionen eine vernünf-tige Lösung; denn so ist gesichert, dass sie auch im
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nächsten Jahr mit den finanziellen Zuwendungen zu-rechtkommen werden.
Auch die politische Leitung des Auswärtigen Amteshat eine Zusage im Haushaltsausschuss gegeben. Es gingum eine nicht unwichtige Frage, und zwar die Frage derReduzierung der Planstellen der Entwicklungsreferen-ten in den Botschaften. Die politische Leitung des Aus-wärtigen Amtes hat uns ganz klar gesagt – das steht auchim Protokoll –, dass die Referentenstellen nur mit 1,5 Pro-zent an den Stelleneinsparungen im Hause beteiligt sind.Es wird also nicht das passieren, was vom AuswärtigenAmt angedroht worden war, nämlich dass man die Refe-rentenstellen überproportional an den Stellenstreichungenbeteiligt. Das ist vom Tisch. Ich denke, wir haben da einegute Lösung erreicht.
Lassen Sie mich ganz kurz etwas zu einigen einzelnenTiteln sagen, die wir aufgestockt haben und die vongrößerer Bedeutung sind. Ich möchte betonen, dass das ingroßer Übereinstimmung mit den Vorschlägen des Aus-schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung und natürlich auch mit unserer Facharbeits-gruppe geschehen ist.Ich möchte folgende Titel anführen: Es geht zum einenum die „Förderung der entwicklungspolitischen Bil-dung“ und hier speziell um das ASA-Programm, das wirmit gerade einmal 50 000 Euro aufstocken. Da fehlt leiderdas Geld, das die Bundesländer nicht mehr geben wollen.Ich möchte an dieser Stelle noch einmal beklagen, dasssich die Bundesländer zunehmend aus der Entwicklungs-politik zurückziehen. Einige Länder tun dies voll-kommen,
andere teilweise. Dies ist keine gute Entwicklung. Wirhaben hiermit einen Weg gefunden, für diese Länder ein-zuspringen. In den nächsten Jahren muss man sehen, wiedie Bundesländer damit klarkommen, diese Dinge zu fi-nanzieren. Es handelt sich um ein Arbeits- und Studien-aufenthaltsprogramm für Afrika, Asien und Lateiname-rika.Den Titel „Beiträge an die Vereinten Nationen“ ha-ben wir mit 10 Millionen Euro und die Verpflichtungser-mächtigungen dazu mit 3,6 Millionen Euro aufgestockt.Den Titel „Politische Stiftungen“ – diese Entscheidungwurde im Haushaltsausschuss parteiübergreifend, alsoeinvernehmlich, getroffen – haben wir mit einer Ver-pflichtungsermächtigung von 15 Millionen Euro aufge-stockt. Ich glaube, dass mittelfristig eine ausreichende Fi-nanzierung der Stiftungen aus den verschiedenenBereichen, das heißt aus dem Aktionsprogramm 2015, ausdem Antiterrorpaket und aus den anderen beschlossenenMaßnahmen, gesichert ist.Daneben gibt es einen wichtigen neuen Titel, und zwardas „Aktionsprogramm 2015“. Sie wissen, dass sich dieBundesregierung verpflichtet hat, aktiv an der Halbierungder Armut bis 2015 mitzuwirken. Dort wurden jetzt40 Millionen Euro bar eingestellt und immerhin 50 Milli-onen Euro Verpflichtungsermächtigung. Das ist nicht soviel, wie der Fachausschuss gerne gehabt hätte. Ich glaubeaber, dass man damit arbeiten und beginnen kann, dort fürdie nächsten Jahre vertraglich einzusteigen.
Ein besonderes Signal haben wir für unsere Nicht-regierungsorganisationen gesetzt, denen ich auch hiernoch einmal herzlich für ihre engagierte und gute Arbeit– man muss sagen: weltweit – danke. Wir haben hier nocheinmal 0,8 Millionen Euro zusätzlich draufgelegt, sodasses inzwischen 19,7 Millionen Euro sind. Das ist mehr, alsim Einzelplan stand. Ich glaube, dass somit die Arbeit derNGOs gewährleistet ist. In der bilateralen finanziellenund der technischen Zusammenarbeit haben wir deutlichzugelegt. Ich möchte jetzt nicht näher darauf eingehen.Abschließend möchte ich noch die Erwartung bestär-ken, dass wir nicht jedes Jahr aufs Neue die Kürzungendes Entwicklungsetats im Laufe der Haushaltsberatungenin die Richtung korrigieren müssen, die das Parlamenteindeutig formuliert und artikuliert hat.
Für die gute Zusammenarbeit im Sinne der Entwick-lungspolitik gilt mein Dank den Häusern – dem BMZ,dem BMF und dem Bundesrechnungshof –, meinen Kol-leginnen und Kollegen aus der Facharbeitsgruppe undnatürlich besonders meinen Kollegen aus der Haushalts-arbeitsgruppe. Ich bitte um Zustimmung aller Fraktionenzu diesem deutlich aufgewerteten Einzelplan 23.Wir lehnen die vorliegenden Entschließungsanträgeund Anträge ab. Sie haben dort im Wesentlichen Er-höhungen ohne Deckung in folgender Größenordnung ge-fordert.
Herr Kollege, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.
Sofort, ich bin bei meinemletzten Satz. – Der Änderungsantrag der PDS enthält125 Millionen Euro – in diesem Antrag wird der Euro-fighter noch einmal verheizt. Im Entschließungsantragder FDP sind 800 Millionen Euro enthalten, obwohl siedas Ministerium eigentlich abschaffen wollte, und auchdie CDU/CSU will erheblich aufstocken – dies alles istnicht gegenfinanziert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich danke Ih-nen für Ihre Geduld.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Dr. Emil Schnell20158
Nun hat der Kollege
Joachim Günther für die FDP-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin!Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Heute sprechenwir hier eigentlich über den Einzelplan 23. Herr KollegeSchnell, was Sie alles in diesen Einzelplan integriert ha-ben, ist aus meiner Sicht schon erstaunlich. Denn dieserHaushaltsplan 23 hat zwei Gesichter. Das eine Gesichtsind die Sonntagsreden der Ministerin und der Staatsse-kretärin, die sicher gut gemeint sind, wie auch die Be-schlüsse auf den Parteitagen. Die Realität aber ist das, wasschwarzweiß im Einzelplan 23 geschrieben steht. Diessieht eben ganz anders aus.
Herr Kollege Schnell, vielleicht gestatten Sie mir, dassich kurz aus Ihrem SPD-Parteitagsbeschluss zitiere:
Das Ziel, 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts fürdie Entwicklungsarbeit zur Verfügung zu stellen,muss auch im Rahmen des Zukunftsprogramms derBundesregierung deutlich werden.Weiter unten heißt es, Deutschland werde dies stufen-weise verbindlich umsetzen.
Warten wir einmal ab, wie sich dies entwickeln wird.
Aber noch toller sind in diesem Zusammenhang dieGrünen. Haben Sie Ihren Parteitagsbeschluss noch imKopf?Im Bundeshaushalt 2002 müssen für Maßnahmender Entwicklungshilfe und der KonfliktpräventionMittel in ähnlicher Höhe eingestellt werden, wie fürden Sicherheitspakt II und Bundeswehreinsätze imAusland zusammen bereitgestellt werden.
Sie haben sogar die entsprechende Zahl genannt. Es müs-sen für das Jahr 2002 Mittel in Höhe von über 500 Milli-onen DM zusätzlich bereitgestellt werden.
Warum tun Sie es nicht? Das ist doch in diesem Zusam-menhang die eigentliche Frage.
War es im Endeffekt nicht Joseph Fischer, der aufIhrem Parteitag die zentrale Rolle beim politischen undwirtschaftlichen Aufbau Afghanistans in den Vordergrundgestellt hat, um damit letztendlich Ihre Truppen bei derFahne zu halten? Wir haben uns zwar inzwischen darangewöhnt, dass von rot-grüner Rhetorik in der Praxis we-nig übrig bleibt. Aber gerade in der wirtschaftlichen Zu-sammenarbeit klaffen Anspruch und Wirklichkeit sehrweit auseinander.
Frau Ministerin, es könnte auch der Verdacht aufkom-men, hinter der von Ihnen in letzter Zeit immer wieder er-hobenen Forderung nach der Tobinsteuer verberge sichdie Hoffnung, dass diese weltweite Steuer im Endeffektmit dazu eingesetzt werden kann, die Löcher im Haushaltdes BMZ zu stopfen. Anstatt für solche neuen Steuern zustreiten, sollten Sie sich lieber mit aller Kraft auf die Be-seitigung der Schranken im Handel zulasten der Entwick-lungsländer einsetzen. Deutschland und die EuropäischeUnion dürfen nach außen nicht den Eindruck einerFestung machen.Wie wichtig ein entschiedenes Eintreten für die Ent-wicklungschancen in der Welt ist, gerade auch im Hin-blick auf die vorzeitige Vermeidung von sozialen Brenn-punkten und Spannungen, zeigt sich besonders in diesenTagen deutlich. Die beste Entwicklungshilfe sind die Öff-nung der europäischen Märkte für die Produkte der Ent-wicklungsländer und die Mobilisierung auch privatenKapitals für diese Länder.
Die Bundesregierung muss sich daher jetzt dafür ein-setzen, dass die eingeläutete Welthandelsrunde den ihr er-teilten Arbeitsauftrag auch wirklich erfüllt. Der Fall derHandelsschranken wird Wohlstandsgewinne für alle,insbesondere aber für die Entwicklungsländer, bringen:
Es ist an der Zeit, dass auch die Entwicklungsländer ihrenAnteil an der „Globalisierungsdividende“ haben. Deshalbdürfen solche Ansprüche im Endeffekt nicht Lippenbe-kenntnisse bleiben.
Der weltweite Kampf gegen den Terror hat den hohenpolitischen Stellenwert der wirtschaftlichen Zusam-menarbeit besonders deutlich gemacht. Das haben wiralle erkannt. Wir müssen einen Beitrag leisten, um denterroristischen Umtrieben von vornherein den Boden zuentziehen. Das bedeutet, dass man sich strategisch neuausrichtet, internationale Absprachen trifft und einenmaßgeblichen Beitrag zur Beseitigung von sozialen, wirt-schaftlichen und politischen Missständen leistet. Esbraucht, wenn man dies zusammenfasst, den Einsatz vonmehr Mitteln.Hier spielt die Effektivität des Mitteleinsatzes eineRolle. Nach wie vor – das haben Sie ja gerade dokumen-tiert – werden bei uns von verschiedenen Ministerien
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Mittel für die wirtschaftliche Zusammenarbeit und dieEntwicklungshilfe gegeben. Nach wie vor stehen wir alsFDP auf dem Standpunkt, dass ein Ministerium dafür aus-reichen würde. Wenn Sie die Presse verfolgt haben, habenSie festgestellt, dass man dies in Dänemark in dieser Wo-che geändert hat.Trotz kosmetischer Erhöhungen um 100 MillionenEuro, die ja im nächsten Haushaltsjahr schon wiederzurückgenommen werden sollen, und trotz Sonderzuwen-dungen aus den für den Kampf gegen den internationalenTerrorismus zusätzlich bereitgestellten Mitteln sind Sievon dem Ziel von 0,7 Prozent weiter entfernt als jede Bun-desregierung zuvor.
Die FDP-Bundestagsfraktion wird deshalb einen Ent-schließungsantrag einbringen, mit dem wir diesen Ab-wärtstrend stoppen und Deutschland mittelfristig wiederglaubwürdiger erscheinen lassen wollen.Mit einem Anteil von 0,29 Prozent am Bruttosozial-produkt ist Deutschland inzwischen sogar Schlusslichtunter den maßgeblichen europäischen Ländern geworden.
Wir stehen hinter Schweden, den Niederlanden, derSchweiz, Frankreich und Großbritannien. Das ist die Rea-lität.
Wir stimmen Ihrer Auffassung, Frau Ministerin, zu:Wir können nicht weiter zurück. Die Kürzungen beschä-digen die Bundesregierung. Ich sage noch etwas anderes:Die Kürzungen beschädigen nicht nur die Bundesregie-rung, sondern das Ansehen Deutschlands in der Welt. Dasist der entscheidende Punkt, den wir in diesem Zusam-menhang ändern wollen.
Weil ich davon ausgehe, dass Sie Ihre auf den Parteita-gen gefassten Beschlüsse ernst nehmen,
erwarte ich, dass Sie am Freitag unserem Entschließungs-antrag zustimmen werden.Herzlichen Dank.
Ich weise darauf hin,
dass wir über diesen Antrag am Freitag abstimmen. Nun
hat die Kollegin Antje Hermenau für Bündnis 90/Die Grü-
nen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der HerrKollege Günther von der FDP meint, wir hätten diesenEtat im Laufe dieser Haushaltsberatungen nicht erhöht.Da kann ich Sie – ich will nicht sagen: belehren – doch zu-mindest aufklären: Im September/Oktober haben wir denEinzelplan 23 im Rahmen der Haushaltsberatungen um200 Millionen DM erhöht. Weitere 200 Millionen DMsind im Rahmen des 3-Milliarden-Pakets für den Einzel-plan 60 zur Bewirtschaftung zur Verfügung gestellt wor-den. Ferner sind bis zu 160 Millionen DM im Einzelplan60 – ebenfalls zur Bewirtschaftung – zur Verfügung ge-stellt worden. Das macht summa summarum 560 Milli-onen DM, die dem Einzelplan 23 im Jahre 2002 mehr zurVerfügung stehen.
Dass die nicht alle im Einzelplan 23 stehen, hat ge-wisse haushaltstechnische Gründe. Hierüber gab es auchStreit zwischen Opposition und der Koalition. Wir brau-chen gar nicht darum herumzureden. Der Herr Kollegevon Schmude ist heute in seiner letzten Haushälterredenoch einmal darauf eingegangen;
sachkundig und streitbar wie immer.Es ist allenklar, dassderHaushalt2002–wiediesderFi-nanzministeramDienstaggesagthat–aufKantegenäht ist.Das haben wir auch zugegeben. Dies ist kein Geheimnis.Wenn man einen Haushalt derart eng fahren will, wie wirdas für das nächste Jahr machen wollen, weil wir die Net-toneuverschuldung nicht weiter erhöhen wollen – wir ha-ben auch begründet, warum; denn man wird auch in Zu-kunft Geld brauchen und kann nicht den nachfolgendenGenerationen Steuern und Abgaben aufgrund einer Ver-schuldung aufbürden, dieman jetztmacht –,mussman ler-nen – auch wir mussten dies schmerzhaft lernen; Ihnenmacht es doch deshalb so viel Spaß, uns hier anzugreifen,weilSiewissen,wiewehunsdas tut–,diesePunktevordemHintergrund des Gesamthaushalts genau zu gewichten.
Die Opposition kennt dieses Glatteis ganz genau. Bis1998 sind Sie selber darüber geschlittert.
Herr Kollege von Schmude, als Deckungsvorschlag er-wähnen Sie die Forderungsverkäufe, die wir schon 1999in Betracht gezogen und auch durchgesetzt haben, wissenals alter Haushälter aber ganz genau, dass die auf die Net-toneuverschuldung durchschlagen. Das muss Ihnen dochklar sein.
Deswegen ist Ihr Vorschlag für uns nicht seriös genug undwir können ihn nicht annehmen.In einem Punkt gebe ich Ihnen völlig Recht: Wir habenein Problem mit den Verpflichtungsermächtigungen.
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Joachim Günther
20160
Das sehe ich genauso. Daraus habe ich nie einen Hehl ge-macht. Seit Jahren rede ich davon. Es war trotzdem in derGesamtschau des Haushalts nicht möglich, das zu ändernund durchzusetzen. Damit müssen wir leben.Kommen wir noch einmal auf die sich andeutendeWahlkampfdebatte zurück. Ist das eigentlich ein Verspre-chen vonseiten der Opposition? Ich habe gar nichts dage-gen, im nächsten Jahr eine Wahlkampfdebatte zu diesemThema zu führen.
Sie selber werden sich aber in Ihren innenpolitischen Pro-blemen verfangen. Sie von der CDU/CSU werden sich garnicht trauen, Entwicklungspolitik zum Wahlkampfthemazu machen.
Sie müssen nämlich, obwohl es seit dem 11. Septemberdieses Jahres in der Bevölkerung eine ganz andere Wahr-nehmung dieses Themas gibt, befürchten, dass es eingroßer Teil Ihrer Wählerschaft ablehnen wird, über diesesThema zu sprechen. Das wissen Sie ganz genau. Da kannman hier im Parlament natürlich wohlfeile Reden halten.Kommen wir zum Stabilitätspakt Afghanistan. Ichals Haushälterin gehe davon aus, dass es ein vernünftigesVerhältnis zwischen dem multilateralen und dem bilatera-len Mitteleinsatz geben wird. Ich möchte nicht, dass esnur im multilateralen Bereich einfließt, auch wenn optischdieser Mittelabfluss durch die Einzahlungen schneller ist.Ich bin der Auffassung, dass wir unsere eigenen Mittlerstärken müssen. Ich denke, hierüber besteht in den Koali-tionsreihen Einigkeit. Ich halte auch eine Klarheit über dieEntscheidungsfindung wichtig.Wir als Haushälter haben sehr viel Macht aus der Handgegeben – das hat die Opposition zu Recht kritisiert – in-dem wir es in den Einzelplan 60 eingestellt haben. Alleswird exekutiv vollzogen. Deswegen soll es im Haus-haltsausschuss jedes Vierteljahr einen Bericht geben, da-mit wir wenigstens nachvollziehen können, wie das läuft.Ich gehe davon aus – ich denke, das gilt auch für die meis-ten meiner Kollegen aus dem Haushaltsausschuss –, dasswir die Mittel, die jetzt für 2002 im Einzelplan 60 etati-siert sind, ab 2003 in den entsprechenden Einzelplänenwiederfinden werden, das heißt auch im Etat des Bundes-ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
– Das brauche ich nicht zu glauben, das weiß ich. DerPunkt ist Folgender: Wenn Sie die Unterlagen aus der Be-reinigungssitzung gelesen hätten, Herr Kollege, dannwüssten Sie, dass das BMZ das einzige Ministerium ist,das in den Erläuterungen zu den Regelungen im Einzel-plan 60 mit einer weiteren Bewirtschaftung von 40 Milli-onen Euro in der Verpflichtungsermächtigung ausdrück-lich erwähnt ist. Kein anderes Ministerium wird dortausdrücklich genannt. Das ist eine Selbstverpflichtungdes Haushaltsauschusses.
Die internationalen Gemeinschaftsaufgaben wollenwir erweitern. Die Gemeinschaftsaufgabe der Armuts-bekämpfung ist gut aufgenommen worden. Dort hat sichdie Koalition, wie ich finde, tapfer nach vorne gearbeitet.Die deutsche Regierung und die Frau Ministerin haben– das habe ich letztes Jahr auch in Prag mitverfolgen kön-nen – bei der Weltbank und beim InternationalenWährungsfonds darauf hingewirkt, dieses Problem stär-ker zu verankern. Es gibt bei den Nehmerländern einestärkere Differenzierung, sodass sie bei den Strukturan-passungsprogrammen des IWF anders bedacht werden.Das ist eine Tendenz, die wir nur verstärken können.Folgerichtig werden in dieses Armutsbekämpfungs-programm nächstes Jahr immerhin 40 Millionen Eurohineingesteckt. Herr Kollege von Schmude, das heißtnicht, dass damit zum Ausgleich für andere Haushalts-löcher alles Mögliche gefördert wird oder Leute versorgtwerden, sondern das bedeutet, dass all diejenigen, die imDeckungsvermerk aufgeführt sind, die Möglichkeit ha-ben, mit vernünftigen Konzepten in diesem Armuts-bekämpfungsprogramm Anträge zu stellen. So läuft derLaden.Da wir gerade bei internationalen Aufgaben sind, willich bei der Armutsbekämpfung nicht stehen bleiben, son-dern auch vom Klimaschutz sprechen. Der Klimawandelschafft neue Armut. Wir können natürlich auf der einenSeite versuchen, mit den klassischen, uns vertrauten Mit-teln Armut zu bekämpfen. Auf der anderen Seite werdenwir dann das Rennen wie der Hase mit dem Igel verlieren,weil aufgrund des Klimawandels große Flächen verstep-pen und verwüsten und damit die Ernährung in diesenLändern nicht mehr sichergestellt werden kann. Ichdenke, dass die Industrieländer in Fragen des Klima-schutzes eine Gesamtverantwortung haben. Wir werdennoch in den nächsten Jahren darüber diskutieren müssen,ob man das global finanzieren kann. Es gibt Prüfungsan-träge zur Tobin Tax und zur Carbon Tax. Das muss mandann sehen.Aber der Umweltverbrauch der Industrieländer istnicht, wie Bündnis 90/Die Grünen immer betont haben,eine Frage der nachfolgenden Generationen in den Indus-trieländern, bei der es darum geht, dass auch die nachfol-genden Generationen eine Umwelt vorfinden, in der sieleben und arbeiten können. Vielmehr ist es eine Frage der-jenigen, die nicht in den Industrieländern leben. Es gibtalso auch ein zeitgleiches und nicht nur ein zeitlich nach-geordnetes Phänomen. Vor diesem Hintergrund könnenwir trotz der Ereignisse vom 11. September nicht das„normale“ Geschäft des Klimaschutzes beispielsweisevernachlässigen.
Hier stehen wir hoffentlich an vorderster Front. AlleGespräche zeigen mir das. Wir selber haben den Vor-schlag eingebracht, dass man auf den Galapagosinseln
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Antje Hermenau20161
dazu übergeht, die Energieerzeugung auf erneuerbareEnergieträger umzustellen, damit es dort wegen der Öl-lieferungen nicht mehr zu Tankerunglücken kommenkann. Diese Verseuchungen betreffen nicht nur die be-wohnten, sondern auch die unbewohnten Inseln. Sieselbst wissen, welches Umweltkulturerbe die Galapagos-inseln darstellen.Wir sind der Meinung – deswegen haben wir in der fi-nanziellen Zusammenarbeit dafür Geld zur Verfügung ge-stellt –, dass man hier eine Lösung suchen muss. Ob mandies durch eine Verbundfinanzierung oder durchKreditzusagen regelt, kann man im Detail noch bespre-chen. Entscheidend ist, einen zweistelligen Millionenbe-trag zur Verfügung zu stellen, um ein abgeschlossenesSystem mit einem Pilotprojekt in der Energieerzeugungumzustellen.
Da wir schon beim Reformbedarf sind: Als Haus-hälterin habe ich natürlich eine ganze Reihe von Wün-schen, wie man die Entwicklungszusammenarbeit um-strukturieren und vielleicht reformieren soll. Wenn ichbisher von den globalen Aufgaben gesprochen habe, dieman zunehmend privat finanzieren sollte, die für man abervor allen Dingen öffentliche Mittel benötigt, dann sollteman auch einmal die höhere Ausdifferenzierung der Ent-wicklungsländer zur Kenntnis nehmen.Seit Jahr und Tag bin ich diejenige, die in den Debat-ten zu diesem Etat davon spricht, dass wir unsere Instru-mente stärker differenzieren müssen und wir neue Instru-mente brauchen, die auch auf privates Kapital abzielen.Damit habe ich überhaupt kein Problem. Ich glaube, dassdie meisten dieser Debatte nach und nach etwas abgewin-nen können, wenn es zum Beispiel um „ethical invest-ments“, also ethische Investitionen, die Bildung vonFonds und die Schaffung von entwicklungspolitischenGütesiegeln für Bankfonds geht. Das alles kann man ma-chen. Das geht weit über PPP und Verbundfinanzierunghinaus.Es ist an der Zeit, dass die meisten bei uns mit derSelbsttäuschung aufhören, die darin besteht zu sagen:Entwicklungszusammenarbeit hat nur etwas mit Solida-rität und Nächstenliebe zu tun. Ich glaube nicht, dass manes sich so einfach machen kann.Die rechte Seite des Hauses hat Lernprozesse durchge-macht. Sie hat gelernt, dass bestimmte entwicklungspoliti-sche Standards notwendig sind, damit Entwicklungs-zusammenarbeit nicht nur ökonomischen Interessen dient.Die linke Seite des Hauses hat noch zu lernen, dass ökono-mische Interessen die Entwicklungszusammenarbeit nochlange nicht verderben. Ich denke, wir befinden uns auf ei-nem guten Weg. Mir ist es wichtig, in den entsprechendenFragen weiter nach vorne zu kommen.Die Gelegenheit, die wir jetzt haben – unsere Debatteerfährt erhöhte Aufmerksamkeit von Bevölkerungskrei-sen, die normalerweise nicht zu den „üblichen Verdächti-gen“ gehören, wie zum Beispiel die Kirchenkreise, dieEine-Welt-Läden und die NGOs; es handelt sich um Men-schen, die sich sonst nie mit Entwicklungszusammenar-beit beschäftigen –, müssen wir nutzen. Wir müssen neuePartner finden. Aber das geht nur mit neuen Ideen undneuen Instrumenten. Deswegen spreche ich immer wiedervon der Reform der bilateralen Zusammenarbeit, in dersich der private Sektor – das kann ich mir vorstellen – stär-ker engagieren soll und in der neue Partner gefunden wer-den müssen. Sektoren, in denen das geschehen könnte,sind zum Beispiel die Wasserversorgung, die Abwasser-behandlung oder die Energieerzeugung, wie zum Beispieldas erwähnte Projekt oder andere Projekte, die mit priva-tem Kapital gestärkt werden können und nicht alleinedurch öffentliche Zuschüsse finanziert werden müssen.Ich glaube, dass wir uns diesen Aufgaben widmen müs-sen. Wir können uns nicht mehr darum herumdrücken;denn schließlich haben wir ganz andere Aufgaben vor uns.Die Diskussionen über die Reform der Entwicklungs-zusammenarbeit werden im nächsten Jahr stattfinden. Dasist zwei Monate nach dem 11. September gar nicht mög-lich. Aber das kann, wie ich schon sagte, gerne ein Wahl-kampfthema werden.Danke schön.
Das Wort hat nun der
Kollege Carsten Hübner von der PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Frau Mi-nisterin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt2002 ist der Haushalt, mit dem wir in den kommendenBundestagswahlkampf gehen. Das ist bereits erwähntworden. Er ist der Beleg dafür, ob die Bundesregierungtatsächlich das gehalten hat, was sie den Bürgerinnen undBürgern vor der letzten Wahl und in der Koalitionsver-einbarung versprochen hat. Des Weiteren ist er Ausdruckdafür, ob im Kampf gegen den internationalen Terroris-mus das Militärische oder, wie wieder und wieder betontwird, eine verstärkte Entwicklungs- und Menschenrechts-politik dominieren soll.Der Einzelplan 23 ist in der einen wie in der anderenHinsicht ein Armutszeugnis. Er wird weder den struktu-rellen noch den aktuellen Herausforderungen gerecht.Das muss hier ganz deutlich und schnörkellos gesagt wer-den. Er liegt finanziell weit unter dem der letzten Kohlre-gierung. Selbst der niedrige Stand des Ansatzes für dieEZ, über den wir heute diskutieren, ist nur durch Tricks,nur durch die Verlagerung der Mittel, aber auch der Auf-gaben aus dem Stabilitätspakt Südosteuropa und demTransform-Programm, den Verkauf der DEG und durchMittel aus dem Antiterrorpaket, zustande gekommen.Ansonsten läge der Ansatz für die öffentliche Entwick-lungszusammenarbeit im Einzelplan 23 bereits jetzt un-ter 7 Milliarden DM.Die 0,7 Prozent vom Bruttosozialprodukt, wie es vorinzwischen rund 30 Jahren von den Industrienationen be-schlossen worden ist, sind jedenfalls ferner denn je,ebenso wie ein solider und nachhaltiger Aufwuchs desEinzelplans. Die Rasenmähermethode, mit der der Kol-lege Eichel jedes Jahr aufs Neue den Haushalt traktiert,
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Antje Hermenau20162
spottet jedenfalls all den schönen Worten, die wieder undwieder von der Bundesregierung mit Blick auf die Be-deutung der Entwicklungszusammenarbeit und der zivi-len Konfliktprävention zu vernehmen sind.
Darauf haben ja kürzlich auch Welthungerhilfe und Terredes hommes in ihrem Bericht über die Wirklichkeit derdeutschen EZ verwiesen. Als gelte es nicht endlich, auchbeim Sparen Prioritäten zu setzen sowie globaleNotwendigkeiten zu erkennen und ihnen auch Rechnungzu tragen!Ich frage Sie ernsthaft, liebe Kolleginnen und Kollegender Regierungskoalition: Kann man, ja darf man sich ineiner Zeit, in der 1,2 Milliarden Menschen auf der Welt inextremer Armut leben, in der 1 Milliarde Menschen ohneZugang zu sauberem Trinkwasser und weitere 2 Milliar-den Menschen ohne sanitäre Anlagen auskommen müs-sen, in der mehr als 800 Millionen Menschen auf der Weltdauerhaft an Hunger und seinen Folgeerscheinungen lei-den und 60 Millionen Menschen in 33 Ländern laut Welt-ernährungsorganisation FAO akut vom Verhungern be-droht sind, einen Entwicklungshilfeetat leisten, dergerade noch ein Drittel von dem ausmacht, was interna-tional einmal vereinbart worden ist? Wie will die Bun-desregierung eigentlich in die internationale Konferenzzur Entwicklungsfinanzierung im März 2002 gehen,wenn sie nicht einmal ihre eigenen Hausaufgaben ge-macht hat, wenn der Einzelplan 23 schrumpft, währendder Gesamtetat steigt?Ich frage Sie: Registriert man in der Bundesregierungund im Finanzministerium nicht, dass Schwarzafrika imMeer der Aids-Toten zu ertrinken droht, dass derzeit proJahr etwa 700 000 Menschen neu an Lepra und 8 Milli-onen bis 10 Millionen Menschen neu an Tuberkulose er-kranken, während sich unsere Pharmaindustrie nur umihren Profit schert? Nimmt man von diesem ganzen Elendwirklich immer erst dann Notiz, wenn die Elenden aufbe-gehren oder ihr Elend von Ideologen wie Bin Laden fürTerroranschläge instrumentalisiert wird? Wen wundert esda noch, wenn man uns in vielen Teilen der Welt fürselbstgerecht und doppelzüngig hält?Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht nichtnur um die Höhe des Etats, nicht nur um die Quantität.Auch seine Struktur, seine Qualität hat sich weder derneuen Lage in Afghanistan noch den ehrgeizigen Plänenzur Reduzierung der Armut bis 2015 oder den besonderenNotwendigkeiten der gegenwärtigen Lage in den aller-meisten Entwicklungsländern angepasst.
Jede und jeder hier weiß etwa um die besondere Rolleder Frauen für Entwicklung. Alle wissen um die Bedeu-tung des ländlichen Raums und lokaler Märkte zurBekämpfung der schlimmsten Formen von Armut. Auchin Afghanistan ist dies jetzt eines der drängendsten Pro-bleme. Dreiviertel der Armen und Ärmsten auf dieserWelt leben in ländlichen Regionen.Gibt es aber ein entsprechendes Förderprogramm, ei-nen gesonderten Haushaltstitel? Fehlanzeige! Auch gibtes keine deutliche Aufstockung der Mittel für diese Be-reiche. Stattdessen gibt es einen gesonderten Haushaltsti-tel für PPP, für die Integration privater Investoren und da-mit auch ihrer Profitinteressen in Entwicklungsprojekte.PPP ist ja inzwischen gewissermaßen zum Zauberwort inder EZ geworden, obwohl niemand mit Fakten belegenkann, warum dies eigentlich so ist.Ich kann Ihnen nur sagen, dass die Bundesrepublik imJahr 2000 für weit mehr Geld Rüstungsgüter exportierthat, als für die Entwicklungshilfe etatisiert ist. Lieferun-gen für über 1 Milliarde DM gingen in Länder der so ge-nannten Dritten Welt, in Länder, in die auch EZ und FZfließen. Viele der Konzerne, die diese Rüstungsgüter lie-fern oder auf ihren Patenten im medizinischen Bereichbestehen oder Profite mit aberwitzigen Großprojektenmachen wollen, sollen nun unser Partner in der Ent-wicklungszusammenarbeit sein. Man muss nicht in derPDS sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, um das als ab-surd zu empfinden.
Meine Fraktion wird jedenfalls den Haushaltsentwurfder Bundesregierung entschieden ablehnen. Er ist eineKampfansage an die Entwicklungspolitik. Dem Ent-schließungsantrag der CDU/CSU werden wir zustimmen.Beim Antrag der FDP werden wir uns enthalten, weil dieAufstockungen unrealistisch und inhaltlich leider nichtgenügend untersetzt sind.Vielen Dank.
Nun hat die Bundes-ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort.Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: FrauPräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Afgha-nistan besteht die historische Chance – daher sollten wirunsere Gedanken auch auf die richten, die auf dem Pe-tersberg tagen –, endlich die gesellschaftlichen und poli-tischen Verhältnisse in diesem von Bürgerkrieg, Kriegund Hungersnöten geschundenen Land grundlegend neuzu ordnen. Jetzt ist die Stunde der Politik. Wir müssen nundazu beitragen, dass die demokratische Teilhabe aller Be-völkerungsteile sowie die Verwirklichung der Menschen-rechte und der Frauenrechte endlich gesichert werden.
Diese Aufgabe, die auch eine entwicklungspolitische Auf-gabe ist, stellt sich uns.Eben hat Herr Hübner die Frage angesprochen, was fürAfghanistan eigentlich getan wird. Liebe Kolleginnenund Kollegen, wir haben die Voraussetzungen zum Wie-deraufbau schon dadurch geschaffen, dass Experten derGesellschaft für Technische Zusammenarbeit – ich habemit ihnen vorhin Kontakt gehabt – in Afghanistan sind,die mit den Beteiligten vor Ort darüber sprechen, was
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Carsten Hübner20163
beim Aufbau des Bildungssystems und der Krankenhäu-ser sowie bei der Versorgung der Bevölkerung gemachtwerden kann. Wir wollen bei allem helfen, was notwen-dig ist, damit die Menschen wieder eine Lebenschance ha-ben. Die Leistungen der Menschen, die dort bei solchenEinsätzen ihre Arbeit leisten, sollten anerkannt werden.
Die Experten der Gesellschaft für Technische Zusam-menarbeit haben uns gesagt, dass Menschen, die ihnendort begegnet sind und der deutschen Sprache mächtigwaren, zum Ausdruck gebracht hätten, dass sie sich da-rüber freuen, dass auch Deutsche bereit sind, diese Hilfefür sie zu leisten.Im Übrigen findet zur gleichen Zeit eine Konferenz inIslamabad statt, bei der die Weltbank, die Asiatische Ent-wicklungsbank und UNDP mit den Geberländern – alsoauch mit uns – über die weiteren Fragen des Wiederauf-baus diskutieren. Die Zahlen, die in diesem Zusammen-hang für unseren Haushalt von Bedeutung sind, weisenaus, dass wir mindestens 80 Millionen Euro für den Wie-deraufbau in Afghanistan zur Verfügung stellen. DieserBetrag kann aufgestockt werden, wenn es notwendig ist.Dass es notwendig sein wird, ist, glaube ich, bereits deut-lich geworden.Bei allem, was wir tun, müssen die Rechte und die Be-teiligung der Frauen besonders im Blick gehalten wer-den. Wir müssen alles dafür tun, dass die Stärke derFrauen in Afghanistan endlich auch für den Wiederaufbaugenutzt werden kann. Afghanistan kann es sich nun wirk-lich nicht länger leisten, auf die Frauen als Entwicklungs-motor zu verzichten.
An die Adresse derjenigen Kollegen, die das nicht im-mer so präsent haben, sage ich:
In den 80er-Jahren waren etwa 70 Prozent aller Unter-richtenden Frauen. Das zeigt, wie groß das Maß der Ent-rechtung war und wie wichtig es ist, dass wir diesen Pro-zess der Befreiung von unserer Seite aus politisch,humanitär und auch durch den Wiederaufbau angemessenunterstützen.Es geht darüber hinaus aber auch darum, dass wir dergesamten Region ein Angebot unterbreiten. Das habenwir in Bezug auf Zentralasien getan. Wir wollen unsereFinanzmittel für diese Region verkoppeln und die regio-nale Zusammenarbeit, die Förderung von Demokratie unddie soziale Marktwirtschaft gleichermaßen voranbringen.Ich habe im Rahmen meiner Reise nach Pakistan ver-einbart, auf welchen Feldern wir zukünftig zusammenar-beiten werden. Dazu zählt die Bildung. Vor allen Dingendie Madrassas, die Koranschulen, müssen beiseite ge-schoben werden,
damit dieser Form von Gehirnwäsche endlich ein Endebereitet wird. Das sind nicht meine Begriffe, sondern diemeiner pakistanischen Gesprächspartner.Weiter gehört dazu der gesamte Bereich der Förde-rung demokratischer Prozesse. Im Rahmen einer Schul-denumwandlung für Entwicklungsprojekte können100 Millionen DM für Maßnahmen zur Armutsbekämp-fung freigesetzt werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie alle sprachenheute Abend wahrheitsgemäß an, dass die Entwicklungs-zusammenarbeit im Zuge der aktuellen Entwicklungeneine enorme Aufwertung erfahren hat.
Die Menschen in Deutschland spüren erst jetzt – diesesBewusstsein müssen wir zunehmend verankern –, dassEntwicklungszusammenarbeit nicht nur eine „Sache derguten Menschen“ ist, wie einige dachten und vielleichtimmer noch denken. Nein, die Entwicklungszusammen-arbeit liegt auch in unserem eigenen Interesse.
Die Menschen haben doch gespürt: Entweder wir bringenSicherheit für die Menschen in allen Regionen der Weltoder die Unsicherheit steht im wahrsten Sinne des Wortesvor unserer Haustür. Das ist eine grundlegende Verände-rung im Denken, die auch Konsequenzen haben muss.Deswegen sage ich – to whom it my concern –: Die heu-tigen Haushaltsberatungen können nur der Auftakt füreine deutliche und dauerhafte Trendwende des Entwick-lungshaushalts in den vor uns liegenden Jahren sein.
Das müssen alle hören und daraus Konsequenzen ziehen.Wir brauchen ein „Entwicklungsjahr“, in dem es da-rum gehen muss, greifbare Fortschritte für eine sozialgerechte und ökologisch tragfähige Gestaltung der Glo-balisierung zu erzielen. Deshalb geht es darum, die anste-henden Konferenzen zur Entwicklungszusammenarbeit,zum Beispiel die Konferenz zur Entwicklungsfinanzie-rung im März in Monterrey
und die Konferenz in Johannesburg für nachhaltige Ent-wicklung – „Rio plus 10“ – zu nutzen, um dieses Bündnisder globalen Verantwortung zwischen Industrie- und Ent-wicklungsländern auch hinsichtlich der Finanzierung derEntwicklungszusammenarbeit voranzubringen.Wir alle wissen, dass Entwicklungspolitik als langfris-tige Friedenspolitik nicht nur in Krisenzeiten und bei aku-ter Bedrohung durch Terror Konjunktur haben darf, son-dern diese dauerhaft haben muss.
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Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul20164
Wenn wir das Ziel erreichen wollen, die Armut zu halbie-ren, dann heißt das auch, dass wir in den Haushalten, undzwar auch in denen, die noch vor uns stehen, Konsequen-zen ziehen müssen. Ich kämpfe dafür. Jeder weiß, dass ichunter Einsatz meiner Person auch bei diesem Haushaltdafür gekämpft habe.Was wir im Bundestag bei der Debatte zum Einsatz derBundeswehr im Zusammenhang mit den terroristischenAngriffen auf die USA– leider nicht mit Zustimmung derOppositionsfraktionen – erreicht haben, ist die Veranke-rung der Formulierung, dass wir das Ziel „0,7 Prozent desBruttoinlandsproduktes für die Entwicklungszusammen-arbeit“ schrittweise und in festgelegten Abschnitten errei-chen wollen. Dieses Ziel will ich hier noch einmal aus-drücklich betonen. Die Bundesregierung wird dieses Ziel,das die Vorgängerregierung völlig aus dem Auge verlorenhatte, schrittweise und nach einem transparenten Zeitplanumsetzen. Darauf können Sie sich verlassen und daraufkönnen sich auch die Menschen in den Entwicklungslän-dern verlassen.
An die Adresse der CDU darf ich einmal Folgendes sa-gen: Liebe Kollegen und Kolleginnen, wenn Sie den An-trag, den Sie formuliert haben, doch mit dem verglichenhätten, was Sie gemacht haben! Sie haben 1992 an demBeschluss des Gipfels von Rio mitgewirkt. Da betrugendie Mittel für die offizielle Entwicklungszusammenarbeit,„official development aid“, in Deutschland 0,37 Prozentdes Bruttosozialprodukts. Dann ging es Jahr für Jahr ab-wärts, bis herunter auf 0,26 Prozent im Jahr 1998. Dasheißt: Sie haben das genaue Gegenteil dessen gemacht,was Sie heute fordern.
Im Übrigen bin ich es aber leid, dass wir parteipolitischdauernd herumstreiten. Lassen Sie uns doch gemeinsamdafür sorgen, dass die Stimmung und die Erwartung in derBevölkerung im Hinblick darauf, dass sich etwas ändernmuss, vorangebracht wird, damit Fortschritte erreichbarwerden, die schließlich den Menschen helfen, für die wiralle uns engagieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch einpaar Punkte nennen, die wir angepackt haben bzw. dienoch angepackt werden müssen.Erstens, Armutsbekämpfungsprogramm. Es hießhier, es seien zusätzlich 40 Millionen Euro für dieses Pro-gramm verankert worden. Aber die Wahrheit ist doch– das muss jeder dazusagen –: 925 Millionen Euro im ge-samten Haushalt der Entwicklungszusammenarbeit sindauf Armutsbekämpfung orientiert. Wir haben jedenfallsvonseiten der OECD vor wenigen Tagen ein riesiges Lobdafür bekommen, dass wir uns auf das Armutsminde-rungsziel verpflichtet und dieses Armutsbekämpfungs-programm vorgelegt haben. Das wird verankert und ent-sprechend umgesetzt.
Zweiter Punkt, Aidsbekämpfung. 70 Millionen Eurohaben wir schon für die bilaterale Arbeit verankert. Ich binaber dagegen, dass wir hier mit Scheuklappen antreten.Dass wir es geschafft haben, bei der WTO-Konferenzdafür zu sorgen, dass die Entwicklungsländer billigeMedikamente zur Aidsbekämpfung in ihrem eigenenLand erzeugen oder in ihr Land einführen können, istdoch ein größerer entwicklungspolitischer Erfolg, als ihnein kleiner Etat mit einem bestimmten Millionenbetragvielleicht erreichen kann.
– Wir reden über Politik und nicht über einzelne Stricheim Kalender. Ich bitte Sie!
Dieses neue Denken und nicht das Fixieren auf die Uralt-kämpfe, die ausgetragen worden sind, bringt uns voran.Wir finanzieren den globalen Fonds zur Bekämpfungvon Aids, Malaria und Tuberkulose im Umfang von150 Millionen Euro. Die werden wir nach den Ergebnis-sen der Verhandlungen über den Fonds schrittweise in denHaushalt einstellen.
Dritter Punkt, Handelsliberalisierung. Herr Günther,was Sie gesagt haben, ist ja alles wunderbar. Aber wer hatdenn die „Everything-but-arms-Initiative“, nämlich dieMöglichkeit der ärmsten Entwicklungsländer, alle Güterin die EU zu exportieren, durchgesetzt? – Das haben wirdurchgesetzt! Ich weiß, wie die Agrarpolitik der früherenRegierung ausgesehen hat. Das haben erst wir geändertdahin gehend, dass die Agrarinteressen zugunsten derEntwicklungsländer zurückgedrängt worden sind. Das istein Riesenerfolg.
Der beteiligte frühere Minister weiß genauso wie ich, wo-von die Rede ist. Das ist ein großer Erfolg und muss in derWTO-Runde, die jetzt begonnen hat, seine Fortsetzungfinden. Gleiches gilt für die Reduzierung der Export-erstattungen.Eines ist auch klar: Wir müssen den ärmsten Entwick-lungsländern im Rahmen der technischen Zusammenar-beit mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stellen – undwir werden das auch tun –, damit sie handelspolitisch vonder Globalisierung profitieren können. Von selbst kommtdas nicht.
Sie haben zum Teil gar nicht die entsprechenden gesetzli-chenVoraussetzungenundbrauchendeshalbUnterstützung.Sonst werden sie die Globalisierung als Last empfinden.Viertens. Afrikawar und ist nach wie vor eine Schwer-punktregion der deutschen Entwicklungszusammenar-beit. Ich bin froh, dass Frau Kollegin Eid, die Parlamen-tarische Staatssekretärin in unserem Ministerium, als
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Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul20165
persönliche Beauftragte des Bundeskanzlers das Konzeptfür den G-8-Gipfel mit vorbereitet.
Für den gesamten Bereich Afrika stehen in der bilateralenEntwicklungszusammenarbeit 400 Millionen Euro zurVerfügung.Fünftens. Wir haben das Cotonou-Abkommen be-schlossen; es ist vor 14 Tagen vom Deutschen Bundestagratifiziert worden. Ich finde, es ist eine Schande, dass dassozusagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschehenist. Nach diesem Abkommen werden 13,8 Milliar-den Euro über fünf Jahre zur Verfügung gestellt, davonder zweitgrößte Betrag, 3,2Milliarden Euro, von der Bun-desrepublik Deutschland. Dieses Konzept macht deutlich:Ja, es geht zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.Ja, ein fairer Interessenausgleich ist möglich. Das habenwir voran gebracht. Das ist ein Riesenerfolg, zumal für dieafrikanischen Länder.
Frau Ministerin, Sie
haben die vorgesehene Zeit schon ein wenig überzogen.
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Ich
wollte zum Schluss sagen, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen: Die Entwicklungszusammenarbeit hat sich verän-
dert, nicht nur nach dem 11. September, sondern auch
schon vorher. Wir brauchen zum Beispiel mehr Akteure.
Herr Hübner, die 500 Unternehmen, mit denen wir in der
Entwicklungszusammenarbeit partnerschaftlich zusam-
menarbeiten, tun etwas für erneuerbare Energie, für Ener-
gieeffizienz, für den Wassersektor. Das ist doch Klasse.
Warum sollen wir das aus öffentlichen Mitteln der
Entwicklungszusammenarbeit bezahlen, wenn der private
Sektor in dem Bereich tätig werden kann?
Letztlich ergeht mein Appell an Sie alle, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen. Ich kenne solche Situationen, in de-
nen man das Gefühl hat: Jetzt geht es finanziell um viel.
Es geht darum, dass wir den Weg fortsetzen, der zu Kon-
fliktlösungen führt, mit denen wir verhindern, dass erst
dann Mittel zur Verfügung stehen, wenn Katastrophen
eingetreten sind.
Lassen Sie uns dazu beitragen, dass wir die Mittel vorher
einsetzen, und lassen Sie uns eine Politik betreiben, die
versucht, im Interesse der Menschen Katastrophen zu ver-
hindern. Für diese Politik müssen wir stehen.
Ich bedanke mich sehr herzlich.
Als Letzter in dieser
Aussprache hat der Kollege Klaus-Jürgen Hedrich für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsiden-tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Ich darf zitieren:Die Entwicklungspolitik muss mit dazu beitragen,dass im Sinne einer globalen sozialen Marktwirt-schaft faire internationale Wettbewerbs- und Wirt-schaftsbeziehungen geschaffen werden und der spe-kulative Kasinokapitalismus verhindert wird.Um die damit verbundenen Aufgaben und die zen-tralen Ziele einer nachhaltigen, menschenwürdigenEntwicklung und Armutsbekämpfung wirksam zugestalten, wollen wir in den nächsten Jahren die Mit-tel für die Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7 Pro-zent des Bruttosozialproduktes erhöhen.
Nutzen wir den weltpolitischen und vielleicht ja auchden moralischen Aufbruch der gegenwärtigen Krise,um die Entwicklungspolitik zu stärken und diemenschliche Entwicklung auf der ganzen Erde zufördern.
Recht hat die Vortragende. Das sagte nämlich die ent-wicklungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion aufdem SPD-Parteitag, der gerade stattgefunden hat.
Es ist bezeichnend, dass nach dem letzten Satz die For-mulierung folgt:Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokratendürfen nicht wortbrüchig werden.Diese Formulierung stimmt nicht. Sie hätte sagen müssen:Wir dürfen nicht weiter wortbrüchig sein, sondern wirmüssen endlich unsere Politik ändern.
Die Entwicklungspolitik der jetzigen Bundesregierungähnelt nach wie vor einem Konzept gebrochener Verspre-chungen. Was sollte das eigentlich, dass die Entwick-lungshilfeministerin dieser Bundesregierung bei demletzten EU-Ministerrat gesagt hat – das war durchaus an-erkennenswert –:Die Bundesregierung hat sich dafür eingesetzt, dassder Göteborger Beschluss zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels bekräftigt und präzisiert wurde.Die Antwort auf die präzise Frage der Opposition imFachausschuss an die Vertreterin der Leitung des Hauses,was das konkret bedeute, hieß: Die Kommission ist auf-gefordert worden, mit den nationalen Regierungen da-rüber zu reden, dass sie diesem 0,7-Prozent-Ziel näherkommt. Daraufhin fragten wir: Sehr geehrte Frau Staats-
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Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul20166
sekretärin, haben Sie etwas präzise vorgelegt? DieseFrage wurde verneint. Als Nächstes wurde die Frage ge-stellt: Gibt es Überlegungen der Bundesregierung, diesesZiel in die nächste mittelfristige Finanzplanung konkreteinzubauen? Auch das wurde von der Staatssekretärinverneint. Ich habe natürlich mit Vergnügen zur Kenntnisgenommen, dass der anwesende Vertreter des Finanzmi-nisters, Karl Diller, aufgrund Ihrer Ermahnungen, FrauMinisterin, sofort mitgeschrieben hat und das jetzt umset-zen wird. Davon gehe ich selbstverständlich aus.
Daran wird deutlich: Sie machen Ankündigungen undsetzen sie dann nicht um. So rufen Sie Enttäuschung nichtnur in der, wie man so schön sagt, nationalen Szene, son-dern auch in den internationalen Organisationen und ins-besondere bei unseren Partnerländern hervor. Sie kündi-gen etwas an und machen es dann nicht.
Allerdings ist die Ministerin – das muss man ihr be-scheinigen – durchaus lernfähig und nicht beratungsre-sistent. Sie kündigte bei einer entsprechenden Diskussionim Fachausschuss an, dass der so genannte Konzentrati-ons- und Schwerpunktsetzungsprozess in Gänze über-prüft werde. Wir haben ihr vorher gesagt, dass die Sachenicht aufgeht; es findet sich eine Widersprüchlichkeitnach der anderen. Die Ministerin ist nach Äthiopien ge-fahren und kündigte die Wiederaufnahme der Entwick-lungshilfezusammenarbeit mit Äthiopien an, obwohl die-ses Land gar nicht im Konzentrationsprozess vorgesehenist – und das ohne vorige Konsultation mit dem zuständi-gen Fachausschuss. Die Zusage, dass bei einer Über-prüfung der Konzentrationsliste das Parlament an demEntscheidungsprozess beteiligt werde, wurde nicht einge-halten.Ein anderes Beispiel. Wir haben die Bundesregierunggefragt: Warum haben Sie von den fünf zentralasiatischenLändern drei in die Liste aufgenommen und zwei nicht?Uns wurde groß und breit erklärt, beispielsweise Tadschi-kistan erfülle die innenpolitischen, demokratischen undsicherheitspolitischen Voraussetzungen nicht. Nach denGeschehnissen des 11. September aber fuhr der Außen-minister – nicht die Entwicklungshilfeministerin – nachTadschikistan und kündigte die Aufnahme der EZ an.Natürlich haben sich zwischenzeitlich die Voraussetzun-gen für die EZ in Tadschikistan in keiner Weise geändert.Herr Fischer hat dies allerdings auch nicht behauptet.
Ich kreide es dieser Bundesregierung ein bisschen an– sofern wir den Anspruch der Moral in diese Debatte ein-bringen wollen –, dass sie in ihrem Konzept –
korrekterweise müsste man sagen: in ihren Überlegun-gen – die sich jetzt bietende Chance nicht genutzt hat, mitden Ländern, die zwar Mitglied der Antiterrorallianz sind,aber deshalb bei weitem noch keine Demokraten, einernstes Wort zu reden, beispielsweise mit Herrn Karimowin Usbekistan. Das ist bisher seitens der Bundesregie-rung – wie übrigens von der gesamten internationalen Ge-meinschaft – nicht erfolgt, weil man sagt: Jetzt ist es wich-tiger, dass wir die Herrschaft der Taliban in Afghanistanbeenden; übermorgen oder überübermorgen werden wirmit diesen Ländern einmal über die Verbesserung ihrer in-nenpolitischen Verhältnisse reden.Wenn wir das aber nicht schon jetzt machen, dann lau-fen wir Gefahr, dass in diesen Ländern demokratische Re-formen und Verbesserungen der Menschenrechtssituationnicht erfolgen und wir in den Ländern, von denen ich hiergerade gesprochen habe, die nächste Generation von Ge-walttätern und möglicherweise von Terroristen heran-züchten.
Wir müssen den Diskussionsprozess jetzt nutzen und mitdiesen Partnerländern ein sehr deutliches Wort reden.Wenn wir wirklich von Krisenprävention reden wollen,sind in der mittelfristigen Überlegung eigentlich nur die-jenigen in der Antiterrorallianz glaubwürdige Partner, diedas erfüllen, was sie selbst, beispielsweise in der WienerMenschenrechtskonvention, zugesagt haben. Wenn wirdiesen Konflikt jetzt beiseite wischen, dann werden wirauch in Zukunft Probleme haben.
Mich wundert übrigens auch, dass es inzwischen dieCDU/CSU ist, die hin und wieder ein ernstesWort mit denAmerikanern redet. Wir haben unseren amerikanischenFreunden gesagt: Passt bei der zukünftigen Entwicklungauf; dieTaliban sind ja nicht von ungefähr an dieMacht ge-kommen.Wenn man ökonomische Interessen über die In-teressen von Menschen und über die Menschenrechtestellt, dann ist das eine kritische Situation. Wenn – wofürwir als Union nachhaltig eintreten –wir für eine „uneinge-schränkte Solidarität“ imBündnis plädieren, dannmüssenwir diese uneingeschränkte Solidarität im Bündnis auchnutzen. Die Respektierung vonMenschenrechten, die Hu-manität und vielleicht auch der eine oder andere morali-scheAnsatz sollten in diesem Bündnis Priorität haben.Im Bereich der bereits angesprochenen Schwerpunkt-setzung, Frau Ministerin, sind einige ganz merkwürdigeSachen aufgetaucht; wir haben jetzt auch versucht, das ineiner Anfrage zu klären. Sie haben eben von der Bedeu-tung von Bildung gesprochen. In den letzten Verhand-lungen auf Regierungsebene aber ist lediglich viermal derSchwerpunkt Bildung aufgetaucht. Es kann doch, wie Sieselbst im Fachausschuss eingeräumt haben, nicht im In-teresse unserer Politik sein, dass wir plötzlich die Bil-dung – die Grundbildung und die Weiterbildung, geradeauch der weiblichen Bevölkerung – zurückstellen. Diesmuss nachhaltig überprüft werden. Deshalb fordern wirSie auf, Frau Ministerin, Ihr Konzentrations- und Schwer-punktpapier zu überprüfen und dem Fachausschuss einneues vorzulegen.Ich schließe mit zwei Hinweisen. Wenn Sie hier großund breit über Aids reden, Frau Ministerin, dann muss ichIhnen sagen: Es war der Bundeskanzler, der 300 Milli-onen DM für dieses Feld zugesagt hat. Im Haushalt und in
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Klaus-Jürgen Hedrich20167
der mittelfristigen Finanzplanung ist von dieser Zusageweit und breit nichts zu sehen. Da müssen Sie sich dochwenigstens die Frage gefallen lassen: Was soll denn da-raus werden? Auch hier gilt: große Ankündigungen, in derUmsetzung aber praktisch nichts.Es geht aber noch weiter: Um Ihre Truppen zusam-menzuhalten, haben Sie im Rahmen des Mazedonien-Be-schlusses schnell einen Antrag in dieses Haus eingebrachtund verabschiedet, in dem Sie festgelegt haben, dass Sieeine Strategie für die Entwicklung auf dem Balkan undinsbesondere für Mazedonien vorlegen wollen.
– Prima! Der Punkt ist aber: Weder im Haushalt noch imFachausschuss ist etwas Entsprechendes zu Mazedonienvorgelegt worden. Wenn Sie, meine sehr verehrten Damenund Herren von den Koalitionsfraktionen, Anträge vorle-gen, die Sie selbst nicht ernst nehmen, wer in der Repu-blik soll sie dann überhaupt ernst nehmen?Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar
zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7601. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Änderungsantrag ist abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Druck-
sache 14/7602. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen?
– Wer enthält sich? – Auch dieser Änderungsantrag ist ab-
gelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23
in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Gegen die Stimmen von
PDS, CDU/CSU und FDP ist der Einzelplan 23 ange-
nommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 16
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
– Drucksachen 14/7315, 14/7321 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Waltraud Lehn
Jochen Borchert
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Heidemarie Ehlert
Zum Einzelplan 16 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Jochen Borchert für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Die erfolglose Umweltpolitik derRegierung Schröder wird mit dem Haushalt 2002 fort-gesetzt.Während der Bundeshaushalt im kommenden Jahrnach den Beratungen im Haushaltsausschuss um rund1,5 Prozent steigt, sinkt der Haushalt des Bundesumwelt-ministeriums um 5,7 Prozent. Damit stehen dem Bundes-umweltministerium im nächsten Jahr rund 65 MillionenDM weniger als in diesem Jahr zur Verfügung.Noch deutlicher wird die kritische Entwicklung, wennman den Haushalt 2002 mit dem Haushalt 1998 ver-gleicht, dem letzten Haushalt der Bundesregierung unterHelmut Kohl. Seit damals ist der Haushaltsansatz um11,5 Prozent gesunken oder um 137 Millionen DM zu-sammengestrichen worden.
Gleichzeitig werden im Haushalt immer weniger Mit-tel für Umweltprogramme angesetzt, da immer mehr Mit-tel für die Verwaltung benötigt werden: Über 50 Prozent,genau 52 Prozent, werden im nächsten Jahr für die Ver-waltung benötigt, das heißt, es stehen immer weniger Mit-tel für den Umweltschutz zur Verfügung. Das Bundesum-weltministerium wird damit zu einer sich hauptsächlichselbst verwaltenden Organisationseinheit. Die Durch-führung von Umweltschutzprogrammen verkommt zumschmückenden Beiwerk. Die Existenzberechtigung desMinisteriums kann nur noch mühsam begründet werden.
Der Bedeutungsverlust des Umweltministeriums zeigtsich auch daran, dass ein immer größerer Teil der Ausga-ben für den Umweltschutz in anderen Einzelplänen etati-siert wird. Insgesamt stehen im Bundeshaushalt über8 Milliarden DM für den Umweltschutz zur Verfügung,nur 12,6 Prozent davon im Haushalt des Bundesumwelt-ministers. Die umweltschutzrelevanten Ausgaben in an-deren Ressorts liegen zum Teil deutlich höher als die desUmweltministeriums. Die rot-grüne Koalition entziehtdem Umweltministerium durch die Kürzungen in einemsteigenden Umfang Finanzmittel in einer solchen Höhe,dass das Ministerium zu einer ABM-Stelle für umwelt-engagierte Beamtinnen und Beamte wird.
– Das liegt aber an Ihnen, das habe ich auch nicht anderserwartet.Es verwundert nicht, dass manche Umweltprogrammedes BMU mittlerweile ihren Sinn verloren haben und zueiner reinen Beschäftigungstherapie geworden sind. DerBundesrechnungshof hat dies bei der Überprüfung desFörderprogramms „Investitionen zur Verminderungvon Umweltbelastungen“ deutlich herausgestellt. DerBundesrechnungshof hat festgestellt, dassdas Programm ... seiner Funktion als zentralesInstrument der Umweltpolitik nicht gerecht wird.
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Klaus-Jürgen Hedrich20168
Die geringe Zahl der Förderanfragen und die Bereitschaftvieler Antragsteller, bereits vor einer erfolgten Förder-zusage trotz des Risikos einer möglicherweise ausblei-benden Bewilligung mit dem Vorhaben zu beginnen, sinduntrügliche Anzeichen dafür, dass das Programm seineumweltpolitische Anreizfunktion verfehlt und in vielenFällen lediglich eine Mitnahme von Fördermitteln statt-findet.
Obwohl dieses Programm auch der Gewinnung vonEntscheidungsgrundlagen für die weitere Aufgabenerfül-lung des BMU dienen soll, „bleibt der Erkenntnisgewinnfür das Ressort weit gehend dem Zufall überlassen“. Manstellt, wenn man danach fragt, fest: Auswertung der Ab-schlussberichte des so genannten Förderprogramms durchdas Umweltministerium? – Fehlanzeige. Nachvollzieh-bare und überprüfbare Bearbeitung des Förderprogrammsdurch die Verwaltung? Ordnungsgemäße Programmkon-trolle? – Fehlanzeige. Abstimmungen zwischen den Ein-zelressorts? – Fehlanzeige. Überschneidung mit anderenProgrammen oder auch Doppelförderungen sind dahernicht ausgeschlossen.
Die Koalition war trotz der Kritik des Bundesrechnungs-hofes aber nicht bereit, die Mittel qualifiziert zu sperren.Nur mit einer qualifizierten Sperre hätten wir erreicht,dass es bereits 2002 zu deutlichen Verbesserungen ge-kommen wäre.Ich will einen anderen Punkt des Etats ansprechen.Vereine und Verbände werden auf dem Gebiet des Um-weltschutzes nicht nach der Qualität der Arbeit, sondernnach politischem Wohlverhalten gefördert.
Die Mittel für die institutionelle Förderung der Heimat-verbände wurden weiter gekürzt; die geringen Korrektu-ren, die sich bei den Beratungen im Haushaltsausschussergeben haben, ändern daran nichts. Gleichzeitig wird– das muss man im Zusammenhang sehen – beim Deut-schen Naturschutzring politisches Wohlverhalten belohntund die institutionelle Förderung um 30 Prozent aufge-stockt.In der Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998hatte Rot-Grün noch vollmundig propagiert:Die ökologische Modernisierung ist die großeChance, um die natürlichen Lebensgrundlagen zuschützen und mehr Arbeit zu schaffen.
Mit dem so genannten Atomkonsens, dem Ausstieg ausder Kernenergie, sollte die Ökowende in der Energiepoli-tik eingeleitet werden. Der Energiebericht der Bundes-regierung, der in diesen Tagen vorgelegt worden ist,macht aber für alle deutlich: Die Bundesregierung hatkeine energiepolitischen Alternativen; sie hat kein schlüs-siges energiepolitisches Konzept. Der Ausstieg aus derCO2-freien Kernenergie, verbunden mit einem Einstieg ineine auch auf lange Sicht subventionsbedürftige regene-rative Energie und dem Ziel der Verringerung der CO2-Emissionen, lässt sich nicht durchsetzen. Diese Rech-nung – das zeigt der Energiebericht – ist schon heute ge-scheitert.
Das Ergebnis dieses Energieberichts ist: die Gefährdungdes Industriestandortes Deutschland und die Aufgabe derinternational vereinbarten Klimaschutzziele.Ich kann verstehen, dass der Koalition die Aussagendes Energieberichtes nicht passen. Aber Sie ändern nichtsan dem Ergebnis ihrer Energiepolitik, Sie ändern nichts ander energiepolitischen Realität. Den Energiebericht alstendenziös oder als Chaosbericht abzuqualifizieren ändertnichts an den Fakten dieses Berichtes.
Ich denke, man muss – es fällt mir nicht leicht – Bundes-minister Müller in diesem Zusammenhang gegen die Vor-würfe der Koalitionsfraktionen in Schutz nehmen.
Wohin Ihre Energiepolitik führt, zeigt die Entwicklungvon 1990 bis heute. Von 1990 bis 1998 konnte die Koali-tion aus CDU/CSU und FDP die CO2-Emissionen von987 Millionen Tonnen pro Jahr auf 832 Millionen Tonnensenken. Das sind über 150 Millionen Tonnen CO2 weni-ger pro Jahr. Seit dem Beginn der rot-grünen Koalition,seit Ihrem Amtsantritt, Herr Minister, gingen die CO2-Emissionen um sage und schreibe 1 Million Tonnenzurück.
– Das Ergebnis ist billig; da gebe ich Ihnen Recht. Es lässtsich nicht mit den vollmundigen Erklärungen in Deckungbringen, mit denen Sie gestartet sind. – Ich denke, dieseZahlen sprechen für sich.Die Klimaschutzpolitik ist konzeptionslos, sie ist nichtverlässlich und vor allem nicht nachvollziehbar. Ein wei-terer Systemfehler – abgesehen von den grundsätzlichenProblemen – ist die Belegung von Strom aus erneuerba-ren Energiequellen mit der so genannten Ökosteuer. Indiesem Jahr besteuern Sie Strom aus erneuerbaren Ener-gien mit rund 480 Millionen DM. Darüber hinaus zeigtdie Kritik des europäischen WettbewerbskommissarsMonti, wie nachhaltig das Fundament Ihrer Ökosteuer ge-fährdet ist und auf welch wackligen Füßen es steht. Jenach Ergebnis werden wir bereits in den nächsten Tagenmöglicherweise große Veränderungen vornehmen müs-sen.Ich will ein letztes Wort zum Naturschutz sagen. Mo-derner Naturschutz bedeutet Schutz der Natur vor negati-ven Einflüssen, aber auch Nutzung der Natur für denMenschen.
Die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes, die gegendie Stimmen der Union verabschiedet worden ist, wirdweit reichende nachteilige Folgen für die Landwirtschaftund auch für den Umweltschutz haben. Statt den Konsens
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Jochen Borchert20169
mit den Naturschützern zu suchen, wird mit Mitteln desOrdnungsrechtes Umweltschutz von oben verordnet –ohne Rücksicht auf ökonomische Sinnhaftigkeit und ohneRücksicht auf die langfristige Erreichbarkeit der ge-wünschten Umweltschutzziele.
Gleichzeitig wird der Vertragsnaturschutz immer wei-ter abgebaut. Alle Anträge auf Erhöhung der Mittel fürden Vertragsnaturschutz werden abgelehnt. Ordnungs-recht tritt an die Stelle des Vertragsnaturschutzes und desKonsenses innerhalb des Naturschutzes.
Das Bundesnaturschutzgesetz in seiner Neufassung sorgtweder dafür, dass eine nachhaltige, umweltgerechte undStandort angepasste Pflege der Kulturlandschaften geför-dert wird, noch sorgt es für ein übergreifendes Konzeptdes Landschafts- und damit auch des Umweltschutzes.Voraussetzung für einen erfolgreichen Umweltschutz
ist der Dialog zwischen Naturnutzern und Naturschüt-zern. Ich denke, mit der jetzt verabschiedeten Novellie-rung werden Sie diesem Ziel nicht gerecht.
Wer wie Sie, Herr Minister, erklärt, Teile des Münster-landes und Teile der Region Niedersachsen, die dort an-grenzen, haben aufgrund einer bestimmten Form der in-dustrialisierten Landwirtschaft mit Natur genauso viel zutun wie Schalke, zeigt doch nur, dass er weder die Gar-tenlandschaft des Münsterlandes noch die bäuerlicheLandwirtschaft kennt, ganz zu schweigen davon, dass erSchalke nicht kennt.
Der Gesamthaushalt des BMU beweist, wie wenigwichtig dieser rot-grünen Regierung der Umweltschutzist.
– Zum Glück muss ich die Beurteilung nicht Ihnen über-lassen.
– Zum Glück nicht.Meine Damen und Herren, der BMU-Haushalt 2002dient mittlerweile nur noch der Befriedigung von ideolo-gischen Zielen.
Von kreativen und innovativen Ideen ist keine Spur. StattFortschritt gibt es nur Rückschritt. Ihre Umweltpolitik istund bleibt erfolglos. Wir lehnen daher diesen Haushalt ab.Vielen Dank.
Das Wort hat nun die
Kollegin Waltraud Lehn für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-ber Herr Borchert, zum wiederholten Mal muss ich sagen:Wer den Umweltbereich gestaltet und nicht nur verwaltet,der kommt an der Einflussnahme auf andere Ressortsdoch überhaupt nicht vorbei.
Vernetzung anstelle von Ressorteigennutz, Querdenken an-stelle von Kästchendenken, weg von der Beschränkung imKopf: Das haben wir mit der Verankerung von Umwelt-ausgaben in anderen Einzelplänen hervorragend gemacht.
Jede Mark, die im Haushalt für Wirtschaft, für Bildungund Forschung, für Verbraucherschutz oder für Gesund-heit ausgegeben wird, ist für den Umweltschutz eine ge-lungene Investition. Damit steigen die Ausgaben für denBereich Umwelt weit überproportional.Dass Sie das nicht gerne sehen und versuchen, dasschlecht zu machen,
kann ich ja noch nachvollziehen, aber nicht die plumpenMittel, Herr Borchert. Sie sollten sich einmal eine andereStrategie überlegen, vielleicht macht das mehr Eindruck.
Der Haushalt 2002 ist ein guter Haushalt für die Um-welt. Gegenüber dem Regierungsentwurf haben die Ko-alitionsfraktionen das Gesamtvolumen um rund 7,5 Mil-lionen Euro auf 550,1 Millionen Euro erhöht. Wir setzenfort, was wir mit dem Regierungsantritt von Rot-Grün vordrei Jahren begonnen haben: Haushaltskonsolidierungund effektive Umschichtung der Mittel sowie Neues dort,wo es geboten ist.
Wir setzen klar Prioritäten: weg von der Kernenergie,ohne die Sicherheit während des Ausstiegs und danach zuvernachlässigen,
hin zu umweltpolitisch wichtigen Vorhaben. Das bedeutetKürzungen vor allem im Endlagerbereich, Herr Borchert,und zwar ebenso gewollt wie sinnvoll.
Die von Ihnen genannten Einsparungen in der Größen-ordnung von nahezu 10 Prozent sind ausschließlich Ein-sparungen im Endlagerbereich. Hierauf sind wir stolz unddas werden wir auch fortsetzen.
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Jochen Borchert20170
– Ganz sicher lange, Herr Paziorek!Dem stehen Umschichtungen und Erhöhungen derMittel gegenüber: bei der Projektförderung für die Um-welt- und Naturschutzverbände, bei den Erprobungs- undEntwicklungsvorhaben im Naturschutz, beim BMU-Beratungshilfeprogramm für den Umweltschutz in denStaaten Mittel- und Osteuropas, für die Klimakonferenzim nächsten Jahr, bei Projekten der Deutschen Energie-Agentur, bei Projekten der bundesweiten Servicestelle fürdie lokale Agenda 21, beim Umbau des Alten Hochhausesin Bonn zur Nutzung von UN-Sekretariaten, beim Vollzugdes novellierten Bundesnaturschutzgesetzes durchzusätzliche Stellen für das Bundesamt für Naturschutzund beim nuklearen Notfallschutz durch zusätzliche Stel-len beim Ministerium und beim Bundesamt für Strahlen-schutz.
Im Endlagerbereich konnten die Ausgaben aufgrundder erfolgreich abgeschlossenen Konsensverhandlungenmit den Energieversorgungsunternehmen über den Atom-ausstieg deutlich reduziert werden. Sie sinken von179,7 Millionen Euro im Jahr 2001 auf 137,1 Milli-onen Euro im nächsten Jahr.
Das ist eine Absenkung um 23,7 Prozent. Genau da gehörtbei einem Konsolidierungs- und Umschichtungshaushaltdie Einsparung auch hin.
Die Bundesregierung setzt mit diesem Haushalt ihreerfolgreiche Umweltpolitik fort. Dies gilt vor allem fürden Klimaschutz. Unser Klimaschutzprogramm zeigt,dass es eine breite Palette von Handlungsmöglichkeitenzur Reduzierung der CO2-Emissionen gibt. Es macht auchdeutlich, dass in allen Bereichen, die durch ihren Ener-gieverbrauch CO2-Emissionen erzeugen, erhebliche Ein-sparungen möglich sind.Zu den Maßnahmen, die bisher umgesetzt wurden,gehören die ökologische Steuerreform
– ich spreche gerade von den Rahmenbedingungen –, dasErneuerbare-Energien-Gesetz, das Markteinführungspro-gramm, das 100 000-Dächer-Programm, das Gesetz zumAusbau der Kraft-Wärme-Kopplung und die Energie-einsparverordnung. Im internationalen Vergleich stehtDeutschland mit diesem Programm an der Spitze. Dasmag Ihnen passen oder nicht, aber so ist es.
Wir haben damit in drei Jahren mehr für den Klimaschutzgetan, als die alte Regierung in 16 Jahren davor.
– Ich habe selten einen so konstruktiven Beitrag des Sich-selber-Auslachens erlebt!Der Klimaschutz ist heute kein Randthema mehr. Ersteht im Mittelpunkt der Arbeit der Bundesregierung undauch dieses Parlamentes. Dies wird auch außerhalb desUmwelthaushaltes deutlich. So wird das erfolgreicheMarktanreizprogramm zur Förderung erneuerbarer Ener-gien von uns auf hohem Niveau weitergeführt.
– Das ist keine Frage des Glaubens, sondern eine Fragedes Wissens.
Wir haben die entsprechenden Mittel für den Haushaltdes Bundeswirtschaftsministers – er ist heute hier beratenworden – für das kommende Jahr von 100 auf 200 Milli-onen Euro erhöht.
Sie müssen nicht unsachlich dazwischenplappern, son-dern das einfach einmal zur Kenntnis nehmen, zumal dasetwas ist, was hier schon behandelt wurde.Wir haben zusätzlich 2,5 Millionen Euro für eine Kli-maschutzkampagne, die die Deutsche Energie-Agenturentwickeln und durchführen wird, in den Haushalt desBMU aufgenommen. Diese Kampagne soll vor allem inPrivathaushalten für die Akzeptanz des Klimaschutzeswerben; denn erfolgreicher Klimaschutz ist nicht nur eineSache von Politik und Industrie. Wenn wir unser Ziel er-reichen wollen, müssen alle Teile der Gesellschaft dafürgewonnen werden mitzumachen.
Wie sich die Welt nach dem 11. September veränderthat, zeigt sich in vielen Bereichen immer deutlicher. Derschreckliche Terrorakt hat auch Auswirkungen auf dieEnergiepolitik. Über das Gefahrenpotenzial von Atoman-lagen muss neu nachgedacht werden – in der Politik ge-nauso wie bei den Betreibern. Mit dem beschlossenenAtomausstieg sind wir auf dem richtigen Weg, aber nochnicht am Ziel.Wir haben im Haushalt 2002 reagiert und die finanzi-ellen Mittel für acht neue Stellen für den nuklearen Not-fallschutz, die beim Bundesamt für Strahlenschutz undbeim BMU eingerichtet werden, zur Verfügung gestellt.Sanfte Energien wie Sonnenkraft- und Windenergie sindnicht nur klimafreundlich,
ihre dezentrale Organisation macht sie auch weniger ver-wundbar und anfällig für terroristische oder militärischeAngriffe.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Waltraud Lehn20171
Wir sind mit unserem Klimaschutzprogramm auf demrichtigen Weg. Der Haushalt 2002 setzt die richtigen Ak-zente zur Unterstützung dieses Weges.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-legen, wir verstärken auch und gerade beim Naturschutzweiterhin unsere Anstrengungen. Das Bundesamt für Na-turschutz erhält 2002 acht neue Stellen als zweite Rate derbereits im Haushalt 2001 beschlossenen Personalverstär-kung von insgesamt 20 Stellen.
Außerdem erhält das Amt fünf neue Dauerstellen und vierZeitstellen, um die Aufgaben zu übernehmen,
die es durch die Umsetzung des neuen Bundesnatur-schutzgesetzes erhält. Allein hierfür haben wir außerdemSachmittel in Höhe von 1,26 Millionen Euro bereitge-stellt.Das Bundesnaturschutzgesetz ist ein Beleg für unsereerfolgreiche Umweltpolitik.
Nach 16 Jahren Stillstand beim Naturschutz erhält dieservernachlässigte Politikbereich endlich die Bedeutung, dieihm zusteht. Durch die grundlegende Novellierung desNaturschutzrechtes ist der Weg für eine umfassendeModernisierung und Verbesserung des Naturschutzes inDeutschland frei geworden.
Die Bedeutung, die wir dem Naturschutz beimessen, zeigtsich deutlich in der erneuten Erhöhung der Projektförder-mittel für die Umwelt- und Naturschutzverbände. Sie stei-gen um 17 Prozent. Herr Borchert, im Vergleich zu 1998ist das eine Steigerung von 60,6 Prozent. Das ist dasThema und das sind Zahlen, die belegbar sind.
Dass die Verbände sinnvolle Projekte für Umwelt undNatur eigenverantwortlich und fachkompetent durch-führen können, haben sie bewiesen. Umwelt und Natur-schutz ist nicht allein Aufgabe der Politik. Es ist ein ge-samtgesellschaftliches Anliegen und muss einer breitenÖffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Wegen desanhaltenden Bedarfs erhöhen wir den Ansatz für Erpro-bungs- und Entwicklungsvorhaben im Naturschutz von4,4 auf 5,7 Millionen Euro.
Durch das neue Bundesnaturschutzgesetz werden un-ter anderem die Voraussetzungen dafür geschaffen, dassein umweltfreundlicher Ausbau der Windenergienut-zung auf dem Meer vollzogen werden kann. Da dieWindenergie an Land mangels zusätzlich geeigneter Stand-orte nicht in ausreichendem Maße ausbaubar ist, muss dieWindenergieerzeugung auf den Meeresbereich in derAWZ, also in der ausschließlichen Wirtschaftszone, aus-gedehnt werden. Eine circa 30 Prozent höhere Windaus-beute der Offshore-Standorte gegenüber Standorten anLand und ein gleichmäßigeres Windaufkommen sprechengenau für dieses Vorgehen. Nur wenn dieses Potential vollgenutzt wird, können wir unser ehrgeiziges Ziel erreichen,den Anteil der erneuerbaren Energien bis zum Jahre 2010zu verdoppeln.
Nach Berechnungen des BMU sind in der Startphasebis 2007 circa 500 Megawatt installierter Leistung auf Seemöglich. Langfristig sollen 15 Prozent des gesamtenStromverbrauchs erzeugt werden. Voraussetzung hierfürsind die Erschließung geeigneter Standorte auf See undklar definierte Rahmenbedingungen, die sowohl Planernals auch Investoren Sicherheit geben. Hierzu gehört diezügige Umsetzung des europäischen Naturschutzrechtes,und zwar durch Ausweisung von Schutzgebieten nach derFFH-Richtlinie und unter Beachtung der Vogelschutz-richtlinie.Diese neue Aufgabe, die auch das Management derSchutzgebiete einschließt, wird das Bundesamt für Natur-schutz übernehmen. Damit stellen wir sicher, dass bei derStandortwahl neben den Belangen der Schifffahrt sowiewirtschaftlicher und militärischer Nutzungen auch dieBelange des Natur- und Umweltschutzes angemessenberücksichtigt werden.
Wir haben einer Energiepolitik zum Durchbruch ver-holfen, die auf drei Säulen beruht: einer konsequenten Ener-gieeinsparung, einer Steigerung der Energieeffizienz undeiner Entwicklung alternativer Energien. Durch diese zu-kunftsweisende Politik werden sowohl die natürlicheRessourcen geschont als auch Klimaschäden vermindert.
– Es werden Arbeitsplätze geschaffen. Das ist ohne Fragerichtig. Denn gerade im Bereich der Windenergie zeigtsich eine deutliche Zunahme. Hier sind wir weltweit Spit-zenreiter.
Zusammenfassend stelle ich fest, dass der Bundes-haushalt 2002 klare Akzente in der Umweltpolitik setzt.Im Mittelpunkt stehen eine wirksame Klimaschutzpolitikund ein verbesserter Naturschutz. Der Haushalt ist einehervorragende Grundlage, unsere erfolgreiche Umwelt-politik auch im kommenden Jahr und in den Jahren da-nach fortzusetzen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Waltraud Lehn20172
Wie auch in den zurückliegenden drei Jahren folgt siedamit unserem Grundsatz, nicht nur auf Fehler und Um-weltkatastrophen zu reagieren. Wir setzen auf präventiveMaßnahmen und agieren gezielt, um zukünftige Belas-tungen der Umwelt zu vermeiden.Zum Schluss möchte ich mich bei meinen Mitbericht-erstattern Frau Ehlert, Herrn Borchert, Herrn Metzger undHerrn Koppelin für die gute Zusammenarbeit bedanken.Dieser Dank richtet sich auch an Herrn Minister Trittinund die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seines Hauses,insbesondere des Haushaltsreferates, die mich auch indiesem Jahr auf gewohnt kompetente Weise schnell undeffektiv unterstützt haben.Vielen Dank.
Ich erteile nun der
Kollegin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion das
Wort.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Der Kollege Borchert von derCDU/CSU-Fraktion hat hier schon einiges zur Bedeutungdieses Haushaltes gesagt. Ich kann das nur unterstreichen.Ich will nicht alles wiederholen. Natürlich ist das ThemaUmwelt eine Querschnittsaufgabe. Insofern anerkennenwir auch, dass eine Reihe von Mitteln in anderen Haus-halten als dem Umwelthaushalt eingestellt ist. Trotzdem,Herr Minister Trittin, ist dieser Umwelthaushalt, so wie eruns vorgelegt worden ist, ein Sinnbild für die inhaltlicheVerstümmelung und geistige Verarmung der Umweltpoli-tik, seit Sie Minister sind.
Die FDP bietet demgegenüber schlüssige Konzepte fürdie Umweltpolitik mit klaren Prioritäten.
Wir setzen vor allen Dingen auf Glaubwürdigkeit und Zu-kunftsorientierung. Für uns steht bei der Umweltpolitikder Mensch im Mittelpunkt. Die FDP versteht Umwelt-politik als Auftrag, auch die Lebensqualität für Bürgerin-nen und Bürger zu verbessern.Dem steht eine lebensabgewandte grüne Verzichts-und Verbotsideologie gegenüber, die Sie nach wie vor be-treiben.
Angesichts Ihrer Politik möchte ich Ihnen sehr deutlichsagen, dass Umweltschutz eben keinen grünen Oberlehrerbraucht,
der auf der einen Seite die Bürgerinnen und Bürger mitVerboten und bürokratischen Vorschriften schikaniert undsie auf der anderen Seite mit einer unglaubwürdigen undnicht funktionsfähigen Ökosteuer schamlos abkassiert.
Wir vonseiten der FDP haben ein klares Konzept fürdie Klimapolitik.Wir haben hier mehrfach die Ratifizie-rung des Kioto-Protokolls beantragt. Wir wollen vor allenDingen eines, nämlich dass die flexiblen Instrumente desKioto-Protokolls, dass die Emissionszertifikate endlichauch in Deutschland eingeführt werden, dass moderne In-strumente auch bei uns Verwendung finden.
Heute habe ich mit großem Interesse in der Zeitung ge-lesen, dass Sie, Herr Kollege Loske von den Grünen, auchdafür sind.
schlossen!)Dazu kann ich nur sagen, dass ich das von Ihnen persön-lich schon lange weiß. Willkommen im Klub!Jetzt möchte ich einmal vorlesen, mit was Sie wörtlichzitiert werden:„Wenn der Emissionshandel funktioniert, könntenwir die Ökosteuer langfristig auf dem jetzigen Ni-veau einfrieren“ ...
In dem Artikel heißt es weiter:Der Staat müsse dann nur noch konkrete Redukti-onsverpflichtungen vorschreiben und könne es denUnternehmen überlassen, „wo und wie sie Energieund Emissionen einsparen.“ Auf diese Weise könneeine „ausgezeichnete ökologische Lenkungswir-kung“ erzielt werden. Die Praxis habe gezeigt, soLoske, dass die Ökosteuer in der Industrie „nicht op-timal zur Wirkung kommt.“
Herr Kollege Loske, das ist – wenn auch in anderenWorten – exakt die Argumentation, die die FDP seit Mo-naten und Jahren hier in diesem Plenum vorträgt.
Seit Monaten und auch schon seit der gesamten Legisla-turperiode haben Sie immer wieder Anträge der FDP-Bundestagsfraktion, die die gleiche Forderung zum Inhalthatten, abgelehnt,
zuletzt im Juni, als wir kurz vor der Klimakonferenz inBonn eben diesen Antrag eingebracht haben. Auf zweiAnfragen, die wir zu diesem Thema gestellt haben, habenwir keine befriedigenden Antworten erhalten. Das istkennzeichnend dafür, dass Sie immer auf der einen Seitesagen, dass Sie das machen wollen, auf der anderen Seiteaber keine Verbündeten haben, weder bei Herrn Trittinnoch bei der SPD.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Waltraud Lehn20173
Ich habe mit Interesse Ihren Bundesparteitag verfolgt.
Dort haben Sie wunderbare Beschlüsse zur Umweltpoli-tik gefasst. Ich habe alle dabei, unter anderem einen vier-seitigen Beschluss zur Energiepolitik. Darin steht abernicht ein Wort über die modernen Instrumente, das Kioto-Protokoll oder die Emissionszertifikate. Statt dessen gehtes nur um die Ökosteuer. Ihnen fällt nichts anderes sein.Sie hinken Ihrer Zeit weit hinterher.
Deswegen wäre es gut, wenn sich auch die SPD einmalmit diesen Instrumenten beschäftigen würde, wenn mansie demnächst einführen will. Dies wird kommen, ob Siewollen oder nicht. Die EU-Kommission will mit demZertifikatehandel ab dem Jahr 2005 beginnen.
– Wissen Sie, Frau Ganseforth, im Gegensatz zu Ihnen binich der Meinung, dass die Klimapolitik ein ganz entschei-dender, wenn nicht gar der entscheidende Punkt in derUmweltpolitik ist.
Deswegen werde ich hier nicht müde, das – auch wennSie es nicht mehr hören können – so oft zu wiederholen,
bis Sie es machen werden. Herr Loske fordert jetzt das-selbe. Ich freue mich darüber. Irgendwann werden Sie dastun, was wir schon lange wollen. Dann sind wir am Ziel.
Wichtig ist an dieser Stelle, dass man die Chancen er-kennt, die sich durch den Handel mit Emissionszertifika-ten bieten, nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland,sondern auch für Entwicklungs- und Transformations-länder. Hierdurch entsteht eine attraktive Möglichkeit,aktiv am Welthandel teilzunehmen, dabei gleichzeitigsubstanzielle Beiträge zum Klimaschutz zu leisten unddie wirtschaftliche Situation des eigenen Landes zu ver-bessern. Hier gibt es wirklich viele Möglichkeiten. Wirwollen, dass bilaterale Zusammenarbeit in Klimaprojek-ten verstärkt wird und dass Emissionsminderungen, dieauf diesem Weg erzielt worden sind, angerechnet werdenkönnen. Andere Länder tun das längst. Auch wir solltendas bei uns endlich aufgreifen. Ich bin der Meinung, dasshier dringend gehandelt werden müsste.
Es ist in dieser Angelegenheit wirklich bemerkenswert– das geht noch einmal an Herrn Trittin –, dass Deutsch-land bei dieser ganzen Geschichte überrollt wird. Auch istbemerkenswert, dass es in der Zwischenzeit für die Frageder bilateralen Zusammenarbeit einen Arbeitsstab gibt,der im Auswärtigen Amt und nicht im Umweltministe-rium eingerichtet wurde. Das ist kennzeichnend, weil kei-ner dem Umweltministerium mehr zutraut, dass es hierweiterkommt.
Nichts als altbackene Konzepte und Subventionsmo-delle!
Ich habe den Eindruck, dass zwischenzeitlich auch Minis-ter Ihrer Regierung dem zustimmen. Was sagen Sie zudem, was im Augenblick in Düsseldorf passiert? In Düs-seldorf weigern sich Bundes- und Landeseinrichtungen,Zuschläge auf die Stromrechnung zu zahlen, mit denendie Stadtwerke die Mehrkosten aufgrund des EEG und desKraft-Wärme-Kopplungsgesetzes an die Kunden weiter-geben.Mit zu denen, die sich weigern, zu zahlen, gehören IhreMinister Scharping und Müller. Zumindest bei HerrnScharping bin ich mir ziemlich sicher, dass er noch nichtaus der SPD ausgetreten ist. Deswegen würde es michinteressieren, wie Sie dazu stehen. Auf der einen Seitepreisen Sie in Ihrer Haushaltsrede wieder einmal diegroßen Errungenschaften, die Sie alle erreicht haben. Aufder anderen Seite sind Ihre eigenen Leute nicht bereit, dieMehrkosten zu tragen. Das ist eine Tatsache.
Vor einer guten Woche wäre die rot-grüne Koalitionum ein Haar an der Außenpolitik zerbrochen.
Kaum ist dies überwunden, streiten Sie weiter. Dieses Malist es die Energie- und Umweltpolitik. Wirtschaftsminis-ter Müller hat schon vor Monaten einen Energieberichtgeschrieben, der auf Intervention des Kanzlers nachge-bessert werden musste. Jetzt wurde der Bericht aus demGiftschrank unbequemer Wahrheiten herausgeholt. Er un-terstreicht nämlich, dass Klimapolitik mit altbackenenSubventionsmodellen, bürokratischen Klein-Klein-Maß-nahmen und wirkungsloser Ökosteuer die Ziele nicht er-reicht und vor allen Dingen unbezahlbar ist.Was passiert bei Ihnen? Kindisches Wutgeheul – an-ders kann man das nicht nennen –,
anstatt den Bericht Ihres eigenen Ministers als Anlass zunehmen, über diese Dinge nachzudenken. Fakt ist: Auchin der Energiepolitik wissen Sie nicht, welchen Weg Siegehen sollen. Deshalb erwartet die FDP in der Debatte ein
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Birgit Homburger20174
klares Wort: Stehen Sie hinter der Energiepolitik Ihres Mi-nisters Müller oder hinter der Chaospolitik von Trittin?
Dasselbe gilt für den Bereich der Abfallpolitik. Auchhier hat die FDP im Deutschen Bundestag Anträge zurmarktwirtschaftlichen Neuordnung eingebracht. Auch inder Abfallwirtschaft muss der Weg der Liberalisierungund Marktorientierung entschlossen beschritten werden.Umweltminister Trittin hat stattdessen auf Bürokratie undGängelung der privaten Wirtschaft gesetzt.
– Herr Brinkmann, Sie brauchen gar nicht immer dazwi-schenzurufen. – Die SPD hätte es gerne noch weiter ge-trieben und an Markt und Wettbewerb sogar das beseitigt,was in den vergangenen Jahren mühsam erreicht wordenist.Wieder rollt ein rot-grüner Zankapfel: Es zieht sichdurch alle Politikbereiche. Sie sind sich in dieser Koali-tion nicht einig, was Sie machen sollen. Es gab einen Gip-fel der Koalitionsfraktionen. Dort wurde der rote Ge-setzentwurf schließlich weggeschlossen.
Zwischenzeitlich hat man sich auf eine Verordnung geei-nigt. Jetzt versuchen Sie, bei dieser Verordnung all dasdurchzubringen, was Sie in einem Gesetz nicht habendurchsetzen können.Bei der Abfallpolitik sind wir von der FDP der Mei-nung: Es muss endlich zur Kenntnis genommen werden,dass sich die Zeiten geändert haben. Es gilt, wettbewerb-liche Strukturen zu gewährleisten, um Kosten senkendeMarkt- und Innovationsprozesse anzuregen, die die Ver-braucher bei gleich bleibend hohem Umweltstandard ent-lasten.
Eine letzte Bemerkung zum Thema Naturschutz.Wirfordern ganz klar und deutlich mehr Kooperation mit denBetroffenen durch freiwillige Maßnahmen und Vertrags-naturschutz statt Dirigismus.
Im Gegensatz dazu setzen Sie mit dem jetzt beschlosse-nen Bundesnaturschutzgesetz wieder auf staatliche Aufla-gen. Sie werden mit diesem Gesetz ebenfalls das Gegen-teil dessen erreichen, was Sie erreichen wollen. Es wirdnicht mehr, sondern weniger Naturschutz geben.Deswegen sage ich Ihnen abschließend: Der Natur-schutz braucht kein grün-ideologisches Reservatsdenkenmit Trittin als Aufseher am Zaun.
Der Naturschutz braucht Sachverstand statt Gängelung.Die Umweltpolitik braucht Kompetenz statt grünen Diri-gismus. Dafür werden wir weiterhin eintreten.Vielen Dank.
Das Wort hat nun der
Kollege Dr. Reinhard Loske für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! FrauHomburger, das immer wieder auftretende Problem ist– das gilt auch für den Zertifikatehandel –, dass manzwischen Zielen und Instrumenten unterscheiden muss.Sie reden nicht über die Ziele. Sie reden nicht über die Ef-fizienzrevolution, die Solarenergie, die Kreislaufwirt-schaft und den nachhaltigen Landbau. Bei diesen Zielenstehen wir alleine. Hier machen Sie nicht mit. Sie reden,wie gesagt, nur über die Instrumente. Das geht voll amZiel vorbei.
– Die Instrumente sind wichtig. Natürlich spielt auch derZertifikatehandel eine gewisse Rolle. Nur, die Kehrseiteder Medaille ist die Festlegung der Ziele; denn handelnkann man nur mit den Dingen, die wir, der Gesetzgeber,quantitativ und qualitativ definiert haben. Dazu hört manvon Ihnen überhaupt nichts. Sie huldigen nur dem Instru-ment des Zertifikatehandels. Das können Sie in jeder Sit-zung anbeten. Aber das geht wirklich an der Sache vorbei.
– Rufen Sie bitte nicht so viel dazwischen. Das, was Siehier machen, verstößt gegen die Emissionsschutzverord-nung; denn Sie sind wirklich arg laut.
Ich möchte angesichts der Tatsache, dass heute dieletzte Haushaltsberatung in dieser Legislaturperiode statt-findet, die Gelegenheit nutzen, um den Zeitraum von1998, als wir an die Regierung gekommen sind, bis heuteins Visier zu nehmen. Es ist vollkommen klar, dass wiruns über die Atomenergie nicht einig sind und nie einigwerden, weil Sie für ihren Einsatz sind und sie für harm-los halten
und wir hingegen der Meinung sind, dass alle Atomreak-toren abgeschaltet werden müssen. Aber darüber möchteich gar nicht diskutieren. Ich möchte gerne die Punkte inden Vordergrund stellen, über die vor 1998 Einigkeit be-stand und die in verschiedenen Dokumenten und Berich-
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Birgit Homburger20175
ten niedergeschrieben sind, und darstellen, wie Sie sichverhalten haben. Ich werde der Opposition quasi dieGlaubwürdigkeitsfrage stellen – das ist ein sehr beliebtesSpiel, das Sie sonst zu Recht mit uns spielen; dieses Spielspiele ich jetzt mit Ihnen –, ob sich das, was Sie jetzt ma-chen, mit dem deckt, was Sie früher gesagt haben.
– Mein Gott, dieses ständige Gequake stört unheimlich.Das ist furchtbar.
– Lassen Sie mich doch einmal ausreden. Dann könnenwir die Argumente austauschen.Ich möchte die Energiewende, die Landbauwende, dieVerkehrswende und die Wende in der Kreislaufwirtschaftals Beispiele nehmen. Es hat doch immer Einigkeit darü-ber geherrscht, dass die Energiewende – die KolleginLehn hat, wie ich finde, zu Recht darauf hingewiesen –drei Standbeine hat: die Energieeffizienz, die Energie-einsparung und die erneuerbaren Energien. Darüberherrschte, wie gesagt, bisher Einvernehmen. Was habenwir bei der Energieeffizienz gemacht? Wir fördern dieKraft-Wärme-Kopplung. Wer ist dagegen? – Die Opposi-tionsparteien!
Wir fördern die erneuerbaren Energien mit dem 100 000-Dächer-Programm, mit dem Marktanreizprogramm undmit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz. Wer ist dage-gen? – Die Oppositionsparteien! Wir fördern die Ener-gieeinsparung mit verschiedenen Instrumenten, zum Bei-spiel mit der Energiesparverordnung. Wer ist dagegen? –Die Oppositionsparteien! Wir haben eine ökologischeSteuerreform durchgeführt und haben die Abgabenlast aufden Faktor Arbeit gesenkt. Wer stimmt dagegen? – DieOppositionsparteien! Wir haben für die AltbausanierungFördermittel zur Verfügung gestellt, was dazu führenwird, dass in den nächsten drei bis vier Jahren 10 Milliar-den bis 12 Milliarden DM im Bereich der Altbausanie-rung mobilisiert werden. Wer war dagegen? – Die Oppo-sitionsparteien!Ich konstatiere: Im Bereich der Energiewende stehtdas, was Sie in den letzten drei Jahren im Parlament ge-macht haben, in diametralem Widerspruch zu dem, wasSie früher gemacht haben. Sie sind in dieser Frage totalunglaubwürdig.
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulling-Schröter
von der PDS? Sie fühlt sich nämlich auf den Schlips
getreten, weil Sie die ganze Opposition angesprochen
haben.
Selbstverständlich.
Bitte sehr, Frau Kol-
legin.
Herr Kollege Loske,
können Sie bestätigen, dass nur ein Teil der Opposition
dem EEG nicht zugestimmt hat und die Solarenergie nicht
unterstützt und dass es die PDS war, die diesem Gesetz
zugestimmt hat und die Solarenergie unterstützt?
Das konzediere ich jederzeit. Ich habe außer Acht gelas-sen, dass die PDS in ihren Forderungen noch weit überuns hinausgeht.
Ich fasse diesen Blick zurück zusammen: Bei allenProjekten im Zusammenhang mit dem Thema Energie-wende, über die wir uns früher einig waren und zu denenin der Enquete-Kommission die Voten immer einstimmigausfielen – Effizienz, Einsparung, Erneuerbarkeit –, ha-ben Sie nicht mitgemacht. Insofern wurden Sie Ihrer Ver-antwortung nicht gerecht. Das halte ich hier fest.
– Nein, nicht nur bei der Ausgestaltung. Sie sind nicht nurbei den Instrumenten, sondern auch bei den Zielen gene-rell nicht mitgegangen.Auch beim Naturschutz gab es früher bestimmte Über-einstimmungen. Das erste Einvernehmen bestand da-rüber, dass Naturschutz nicht mehr gegen die Landwirt-schaft gemacht werden soll,
sondern dass man versuchen soll, qualitative Regeln zuentwickeln, wie Landwirtschaft aussehen muss, damit sienaturverträglich ist. Zweitens bestand Einvernehmen da-rüber, dass wir im Sinne der Bürgergesellschaft den Men-schen, den Verbänden und Organisationen die Mitarbeitermöglichen. Drittens wollten wir mehr Transparenz.
Derjenige, der Produkte aus ökologischem Landbau kau-fen will, soll das auch können; dies bedeutet Konsumen-tenautonomie. Das alles war Teil der Agrarwende.Ich fasse zusammen, was wir diesbezüglich im Bundes-naturschutzgesetz gemacht haben: Wir haben qualitativeRegeln formuliert, wie eine Landwirtschaft aussieht, dienachhaltig und naturverträglich ist. Wir machen das nichtgegen die Bauern,
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Dr. Reinhard Loske20176
sondern wir formulieren Regeln. Derjenige, der sich andiese Regeln hält, befindet sich in Übereinstimmung mitdem Gesetz. Wer ist dagegen gewesen? – Die Opposition!Das heißt, alles, was Sie früher gesagt haben, waren leereWorthülsen. Als es um die Sache ging, waren Sie wiedereinmal dagegen.
– Das ist keine Polemik, sondern lediglich eine Beschrei-bung des Sachverhalts. Auch die Naturschutzverbände sa-gen, dass Sie gegen die Bürgergesellschaft, die vielbe-schworene Zivilgesellschaft sind. Wir haben doch imPrinzip nur einen Standard geschaffen,
damit diejenigen in unserer Gesellschaft, die sich für denNaturschutz einsetzen und denen wir dafür dankbar seinmüssen, mehr Mitsprache- und Teilhaberechte bekom-men. Wer war dagegen? – Die Opposition!So war es auch beim ökologischen Landbau. Es istgerade ein Jahr her, dass es den ersten BSE-Fall gab. Jetzttun Sie schon wieder so, als hätte es die Agrarkrise nie ge-geben und als wäre der ökologische Landbau nur ein rand-ständiges Hirngespinst.
Das ist Ihr Problem. Der Unterschied zwischen Ihnen vonder CDU/CSU – bei der FDP habe ich es eigentlich schonaufgegeben – und uns ist folgender: Wir sind wirklichernsthaft bemüht, Themen wie erneuerbare Energien, diesich im Moment im Nischenbereich befinden, oder wieökologischer Landbau, der auch nur 2 oder 3 Prozentausmacht, aus der Nische herauszuführen, damit sie inZukunft nachhaltig wirken können. Diesem Ziel kommenwir mit dem, was wir in den letzten drei Jahren gemachthaben, ein ganzes Stück näher. Das möchte ich an dieserStelle einmal festhalten.
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Homburger?
Bitte.
– Ich finde es besser, wenn es geregelt verläuft; das muss
ich schon zugeben.
Ich stimme insofern
zu, als auch ich immer sehr viele Zwischenrufe gemacht
habe. Das ist für den Redner allerdings unangenehm: Es
ist sehr laut. Das darf ich der FDP heute einmal sagen. –
Frau Kollegin, Sie haben das Wort zu einer Zwi-
schenfrage.
Frau Präsidentin, ich danke
Ihnen. Ich kann das nur bestätigen. Mir erging es vorhin
von der anderen Seite auch nicht anders.
Das spricht dafür,
dass wir uns alle ein bisschen zurückhalten.
Herr Kollege Loske, wür-
den Sie mir zustimmen, dass Sie eigentlich ein ganz in-
telligenter Bursche sind
und dass Sie deshalb wissen, dass all das, was Sie eben ge-
sagt haben, nicht stimmt, sondern dass wir in den Zielen
übereinstimmen, aber zu allen von Ihnen genannten Punk-
ten andere Konzepte zur Erreichung dieser Ziele vorge-
legt haben? Ich weiß, dass Sie es besser wissen. Jetzt kön-
nen Sie das noch geraderücken.
Ich kann es mir ganz einfach machen:
Den ersten Teil Ihrer Frage beantworte ich mit einem kla-ren Ja, den zweiten Teil Ihrer Frage mit einem klarenNein.
Im Hinblick auf Konzepte ist nicht viel von Ihnen ge-kommen. Es gab nur Extreme: entweder den etatistischenAnsatz, also den Glauben, man solle alles über den Staatmachen,
oder es soll alles von selbst laufen. So aber funktioniert esnicht. Die Politik muss beides machen: Sie muss den Rah-men setzen und die Menschen dazu bewegen, das Ganzeumzusetzen. Das ist unser Konzept, während Sie dieDinge treiben lassen wollen. Das führt ganz einfach nichtzum Ziel.
So viel zur Agrarwende im Naturschutz. Der tragendeGedanke des Naturschutzgesetzes ist – das können Sieuns abnehmen –, dass Naturschutz nicht mehr gegen Na-turnutzung durchgesetzt werden soll, dass man also um2 Prozent der Flächen einen großen Zaun zieht und sie vonirgendjemandem bewachen lässt.
Vielmehr wollen wir erreichen, dass durch die Art derLandnutzung eine attraktive Kulturlandschaft erhaltenbleibt oder entsteht.Ich komme zum dritten Thema, zur Verkehrswende.Das ist das wichtigste Thema, weil in ihr eine derartige
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Dynamik steckt, dass sie nur schwer zu steuern ist. Nebender Erfolgsbilanz – Aufstockung der Mittel für Investitio-nen bei der Bahn von 6,5Milliarden auf 9Milliarden, Ein-führung schwefelfreier Kraftstoffe – will ich auf dieökologische Steuerreform eingehen. In diesem Zusam-menhang finde ich Ihr Verhalten besonders verantwor-tungslos.Die ökologische Steuerreform ist eines der zentralenSteuerungsinstrumente, um die dem Faktor Arbeit anhaf-tende Steuerlast zu verringern und sie auf den Ressour-cen- und Energieverbrauch zu legen, denn wir sind derMeinung, dieses knappe Gut muss geschont werden. Siewar ein ganz wichtiger Beitrag und hat übrigens dazu ge-führt, dass viele Länder in Europa einen ähnlichen Weggehen, sodass eine Harmonisierung, die Sie immer wiedereingefordert haben, faktisch dadurch stattfindet, dass sichviele unserem Weg angeschlossen haben. Wir musstenalso nicht den Umweg über die Europäische Kommissiongehen, sondern wir haben ein Wachsen von unten in eineökologische Steuerreform. Das ist ein ganz großer Erfolgdieser Regierung, weil wir als großes Industrieland natür-lich auch eine Vorbildrolle haben.
Was war denn mit der Opposition? Ich kann die Pro-gramme einzeln vorlesen. Bei der CDU war es ganz ein-deutig. Man hat immer gesagt: Wir wollen eine ökologi-sche Steuerreform, die Abgabenlast auf den Faktor Arbeitreduzieren und sie auf den Energieverbrauch aufschlagen.Das war Ihr Programm. Was ist gemacht worden? Als hierdraußen die LKW-Fahrer randalierten, haben sich dieCDU-Abgeordneten mit ihnen gemein gemacht und hierRandale gemacht.
Diese Form von Politik kann ich wirklich nicht akzeptie-ren. Man muss solche Fakten ab und zu auch reflektieren.
Die Regierung muss ihrer Verantwortung gerecht wer-den. Ich bin der Allerletzte, der sagt, Rot-Grün habe allesdas durchgesetzt, was wir uns vorgenommen haben. Esgibt auch Bereiche, in denen unsere Bilanz gar nicht soglorreich ist. Das gestehe ich jederzeit zu. Aber ich er-warte von der Opposition, dass sie nicht nur populistischStimmungen anheizt, sondern auch Programme vorlegt,die mit unseren konkurrieren können. Das haben Sie ebennicht gemacht. Sie haben nicht nur keinen guten Spitzen-kandidaten, sondern auch kein gutes Programm. Deswe-gen werden Sie im nächsten Jahr auch nicht an die Regie-rung kommen.
Ein letzter Punkt: Besonders peinlich war das ThemaKreislaufwirtschaftsgesetz oder ist jetzt das Thema Do-senpfand. Wie war denn das? Sie wollten aus rein populis-tischen Gründen – weil Sie obstruieren wollten, weil Sieden Umweltminister gern nach dem Motto „Leg dichquer, dann bist du wer“ Knüppel zwischen die Beinewerfen
gegen die Interessen der mittelständischen Brauereiwirt-schaft Politik machen. Obstruktion ist Ihre Form von Po-litik. Das ist unverantwortlich.
Jetzt komme ich auf das zu sprechen, was die KolleginLehn mehrfach sagte. Es ist tatsächlich so: Umweltschutz,Ökologie bzw. Nachhaltigkeit ist eine Querschnittsauf-gabe. Ich will jetzt nicht die betreffenden Haushaltstitelaus den anderen Bereichen nennen, sondern abschließendnur auf ein Beispiel verweisen, was uns von Ihnen unter-scheidet.Die Rentenreform hat anscheinend mit diesem Themaüberhaupt nichts zu tun. Wir haben es geschafft, zweierleihinzubekommen.Erstens. Wir konnten in der öffentlichen Diskussionebenso wie in der Haushaltsdebatte klar machen, dass derGedanke der Nachhaltigkeit nicht nur auf die Ökologiebeschränkt bleiben darf, sondern auch auf die Haushalts-konsolidierung und auf die Rentenversicherungssystemeausgedehnt werden muss.Zweitens. Wir haben es als Koalitionsfraktion ge-schafft – das ist unmittelbar ökologisch relevant –, in dasGesetz zum Aufbau privater Alterssicherung eine Klauselaufzunehmen, wonach die Investmentgesellschaften inZukunft darüber Auskunft geben müssen, nach welchenökologischen und ethischen Kriterien sie ihre Anlagentätigen. Damit werden wir wahrscheinlich viel mehr grü-nes Geld in den richtigen Bereich lenken, als dies jemalsüber die Haushaltsberatungen geschehen kann. Das istunser Ansatz, auf allen Ebenen Nachhaltigkeit zu etablie-ren, für den wir hoffentlich auch in Zukunft Unterstützungbekommen werden.Danke schön.
Jetzt hat die Kollegin
Eva Bulling-Schröter für die PDS-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Gedanken sindfrei“ – mit diesem Liedchen auf den Lippen schlendertMinister Müller über die Flure des Wirtschaftsministeri-ums. Zur selben Zeit springen sein Namensvetter aus derSPD-Fraktion und Frau Hustedt von den Grünen in derLobby des Reichstags im Kreis. Der Wirtschaftsministerund Eon-Manager im Wartestand hat wieder einmal lautnachgedacht, diesmal nicht über die Rente, sondern aufden 114 Seiten des Energieberichts des Wirtschaftsminis-teriums über die Zukunft der Energieversorgung. Im Er-gebnis scheint der Klimaschutz zu teuer; er kostet Arbeits-
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Dr. Reinhard Loske20178
plätze und Wohlstand. Nach der Lektüre springen Unionund FDP ebenfalls über das Parkett, allerdings feixendund sich die Hände reibend. Denn wer liefert dem politi-schen Gegner schon freiwillig so viel Munition im be-ginnenden Vorwahlkampf?
Ist es nun Komödie oder Tragödie? Ich denke, eher Letz-teres. Die Platzierung und die Interpretation der Studi-energebnisse im Energiebericht sind nicht Geistesblitze,die mal eben als Diskussionsangebot raus müssen; siesind Teil einer Politik, die schon seit Beginn der Legisla-turperiode gefahren wird. Die strategische Linie des Wirt-schaftsministeriums im Energiebereich lässt sich in dreiWorten ausdrücken: bremsen, abschwächen, verhindern.
Aus dem Atomausstieg wurde eine Verstromungsga-rantie für die Energiekonzerne.Das Erneuerbare-Energien-Gesetz verzeiht HerrMüller den Grünen bis heute nicht und rächt sich mit ei-nem nur noch als skandalös zu bezeichnenden Trauerspielum die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung, besser ge-sagt: um die Verhinderung eines Ausbaus der klima-freundlichen KWK.Das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energiensollte nach dem Willen des Wirtschaftsministeriums dras-tisch schrumpfen. Es wurde in den Haushaltsberatungenerst nach massiven Protesten von Verbänden wieder auf200 Millionen Euro erhöht. – Sehr gut.
Jetzt wird das langfristige Klimaschutzziel „gegenüber1990 minus 40 Prozent bis 2020“ infrage gestellt.Die Widersprüchlichkeit der Bundesregierung in Fra-gen der Umwelt-, Energie- und Klimapolitik spiegelt sichauch im Haushalt wider. Die Ausgaben aller Bundesres-sorts für den Umweltschutz liegen fast eine halbe Milli-arde DM niedriger als 1999, dem Jahr nach dem Antrittvon SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Der Umwelthaus-halt selbst sinkt um fast 7 Prozent im Vergleich zum Vor-jahr. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass ein Groß-teil davon auf Reduzierungen im Endlagerbereichzurückgeht.
– Das begrüßen wir natürlich im Grundsatz, lieber Kol-lege, obgleich wir eine Umwidmung der Mittel, nämlichzur Sicherung und Schließung von Gorleben und SchachtKonrad, fordern. Sie können dem ja zustimmen.
Dennoch geht wiederum ein großer Teil der Ein-sparungen zulasten der Programmtitel. Jedes Jahr steheich hier und weise darauf hin, dass der Titel „Investitio-nen zur Verminderung der Umweltbelastungen“ wiederdrastisch gekürzt wird. Er soll im Entwurf des Haushalts2002 wiederum um mehr als 3 Millionen Euro – das sind15,5 Prozent – fallen. Seit 1993 schrumpft er damit um82 Prozent.Die Verwaltung dieses Titels schreit ebenfalls zumHimmel. Der Bundesrechnungshof hat mehrfach einprofessionelleres Management dieses Förderungsinstru-ments angemahnt. Doch was passiert? – Mit der Begrün-dung, die Mittel flössen ja sowieso nicht richtig ab, wirdder Titel zusammengestrichen. Wir meinen aber: Die Erst-anwendung neuer Umwelttechnologien in großtechni-schem Maßstab muss weiter gefördert werden. DieSumme sollte über fünf Jahre wieder auf das Niveau von1993 steigen.Auch die Zuweisungen für Naturschutzgroßprojektesollen fallen, und zwar um 3,6 Millionen Euro, also um16 Prozent. Doch die Förderung besteht vor allem ausMitteln für den Ankauf von Flächen für Großschutzge-biete. Wir meinen: Gerade hier ist auch im Hinblick aufdie FFH-Richtlinie eine deutliche Steigerung der Mittelnotwendig.Die Zuschüsse für Erprobungs- und Entwicklungs-vorhaben im Naturschutz werden sinken, und zwar um23 Prozent. Das sind dann 44 Prozent weniger als 1999.Angesichts des anhaltenden Artensterbens und der weite-ren Zerstörung wertvoller Naturflächen ist das für michvöllig unverständlich. Sie tönen hier ständig, Sie wolltendie Agrarwende einleiten. Das finden wir toll. Aber genaumit dem Titel wurden insbesondere Erprobungs- undEntwicklungsvorhaben gefördert, also Vorhaben, die sichim spannungsgeladenen Verhältnis von Naturschutz undLandwirtschaft bewegen. Dieses Geld trägt zur Lösungeines der wichtigsten Problemfelder der nachhaltigenEntwicklung im ländlichen Raum bei. Ich frage mich: Wiekann man da eigentlich ständig sparen?Wie gesagt: Im Endlagerbereich wurden die Mittelzurückgefahren. Die Bundesregierung ist bisher jedochnicht ernsthaft gewillt, Gorleben und Konrad wirklichaufzugeben, und das trotz der enormen Defizite in denAuswahlverfahren für beide Standorte.Zum Haushalt gehört auch die Ökosteuer. Die Fort-führung der ökologischen Steuerreform schafft jedochkeine zusätzliche Finanzierungsgrundlage für den ökolo-gischen Umbau. Wir haben das schon sehr oft angemahnt.Deswegen haben wir auch dagegengestimmt. Deren Ein-nahmen werden nämlich nur in geringem Maße dafür ein-gesetzt. Sie fließen fast vollständig in die Senkung derRentenversicherungsbeiträge, die dann übrigens realtrotzdem nicht stattfindet; das muss man hinzufügen, Kol-lege Loske. Der durch die Reduzierung der Lohnneben-kosten erwartete Effekt für Beschäftigungssicherung bzw.-aufbau ist ausgeblieben.
– Schauen wir uns im nächsten Jahr die Statistiken an,dann werden wir es sehen.Zudem verzichtet Rot-Grün ja noch auf Einnahmen.Die Ausnahmen für das produzierende Gewerbe machendie Ökosteuer für diese Unternehmen zur Gelddruckma-schine. Dass sich dafür nicht nur die PDS, sondern auchHerr Monti in Brüssel interessieren wird, war ja wohl klar.
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Eva Bulling-Schröter20179
Nun will der Kollege Loske den Bergbau, die Chemieund sogar die Eisen- und Stahlindustrie vollständig vonder Ökosteuer befreien. Der Emissionshandel würde dasschon richten. Leider hat er nicht erklärt, warum er dieGroßindustrie ausnehmen will. Schade! Bloß, der Emis-sionshandel steht noch in den Sternen. Zudem werdenvon den Grünen die Stimmen in der EU, nach denen einSystem des Emissionshandels nur für wenige ausgesuchteGroßemittenten möglich sei, einfach ignoriert. Das istalso noch lange nicht geklärt. Für eine umfassende Lö-sung, die alle einzelnen Unternehmen umfasst, sehenviele Experten wenig Chancen. Das sind die Aussagenvon Wissenschaftlern.Das politische Ergebnis ab März nächsten Jahresscheint damit klar: Zur Abschaffung der Ausnahmetatbe-stände für die Industrie wird sich Rot-Grün im Wahljahrnicht durchringen. Im Gegenteil, die Industrie wird vonder Ökosteuer vollständig entlastet werden. Neben demVerkehrs- und Dienstleistungsgewerbe bleibt die Öko-steuer dann nur den privaten Haushalten erhalten, alsoausgerechnet denjenigen, die eher marginale Energiespar-potenziale haben. Das ist unserer Meinung nach ein drei-maliges Versagen: Haushaltspolitisch, umweltpolitischund sozialpolitisch.
Nun hat das Wort derBundesminister Jürgen Trittin.Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Haushaltsberatungen sind ja immerauch ein Stück Gelegenheit, Bilanz zu ziehen. Ich habemir die Mühe gemacht, einmal zurückzublicken: Wie wardas, als ich 1998 das Amt übernommen habe?
Damals stockte der Ausbau erneuerbarer Energien, weilmit dem Stromeinspeisungsgesetz keine Investitionssi-cherheit herzustellen war.
Damals war auf Ihre vollmundigen Ankündigungen hin-sichtlich des Klimaschutzes keine einzige Tat gefolgt. Mitder Nichtausweisung von FFH-Gebieten und der mehr alszehn Jahre lang überfälligen Umsetzung europäischenRechts stand Deutschland kurz davor, zu einem Zwangs-geld verurteilt zu werden. Mit anderen Worten: Als wirden Laden übernommen haben, prägten Stillstand undRückschritt die Umweltpolitik.
Wir haben diesen Stillstand überwunden. Wir habendas Bundesnaturschutzgesetz novelliert, wir haben einstattliches nationales Klimaschutzprogramm aufgelegtund wir haben das Kioto-Protokoll ratifizierbar gemacht.
Wir haben die Energiewende in Deutschland eingeleitet.Damit ist die Bundesrepublik mittlerweile weltweit zumSchrittmacher geworden.
Auf eines haben wir dabei allerdings geachtet. Wir ha-ben immer gesagt: Wir müssen die Menschen mitnehmen.Das muss mit der ganzen Gesellschaft passieren.
Deshalb haben wir die Beteiligungsmöglichkeiten derBevölkerung erweitert, nämlich genau die Rechte, dieSie den Menschen in diesem Lande immer beschnittenhaben.
Wir haben das Umweltinformationsgesetz, dem Sie sichverweigert haben, umgesetzt.
Wir haben die IVU-Richtlinie und damit die Bürgerbetei-ligung umgesetzt. Erst Rot-Grün hat dafür gesorgt, dassdie Menschen auch in der Bundesrepublik Deutschlandendlich die Rechte wahrnehmen können, die alle anderenEuropäer bereits hatten und die Sie ihnen im nationalenAlleingang verweigert haben. Das nenne ich Menschenmitnehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der rechten Op-position – ich möchte Frau Bulling-Schröter da nicht zunahe treten;
dies meine ich aus meiner Sicht; wenn ich mich umdrehenwürde, wäre es die linke; nehmen Sie es jetzt nicht so po-litisch –,
ich erinnere mich noch gut daran, wie wir HerrnSchnappauf aus Bayern, Herrn Müller aus Baden-Würt-temberg und andere zwingen mussten, endlich das zu tun,wozu sich die Länder selbst vor zehn Jahren verpflichtethaben, nämlich diejenigen Gebiete ordentlich zu melden,wo Pflanzen und Viecher ihre Heimat gefunden haben.
Diese Bundesregierung hat dem Naturschutz in die-sem Lande wieder Land, Geld und Recht gegeben.
Wir haben 100 000 Hektar zur Verfügung gestellt. Wir ha-ben den Ländern und den Verbänden das Tafelsilber der
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Eva Bulling-Schröter20180
deutschen Einheit, von dem Klaus Töpfer nur gesprochenhat, zur Verfügung gestellt.
Wir haben die Naturschutzverbände in diesem Lande inden letzten Jahren besser mit Geld ausgestattet. Wir habendie entsprechenden Ausgaben um 60 Prozent gesteigert.Das sind mehr als 3 Millionen DM zusätzlich für diejeni-gen Verbände, in denen sich 6,5 Millionen Menschen indiesem Lande organisiert haben und ohne derenehrenamtliche Arbeit es um die Natur in diesem Landesehr viel schlechter bestellt wäre.
Wir haben dem Naturschutz nicht nur Land und Geld ge-geben, sondern wir haben ihm mit der Verbandsklage end-lich auch Rechte gegeben. Es gibt jetzt die Möglichkeitder Beteiligung an den notwendigen Interessenabwägun-gen.
Ich muss an dieser Stelle deutlich sagen: Wir haben denNaturschutz – ich bin überhaupt kein Freund von Zäu-nen – aus den Reservaten herausgeholt. Naturschutz mussauf der ganzen Fläche stattfinden.
Wir haben endlich – an dieser Aufgabe sind Sie geschei-tert – Naturschutzkriterien für eine gute fachliche Praxisder Landwirtschaft im Gesetz festgeschrieben.
Ein anderes Beispiel: Klimaschutz. Da es diesbezüg-lich in vielen Fragen einen Konsens gibt, muss ich nichtagitieren. Ich finde es schon erschreckend, feststellen zumüssen, dass eine Insel wie Tuvalu einfach im Pazifik ver-sinkt und niemand ihre 11 000 Bewohner aufnehmen will.
Was für Probleme hätten wir, wenn dasselbe mit Bangla-desch, das 180 Millionen Einwohner hat, passierte? Dannbekämen wir alle ein Gefühl dafür, was es heißt, dassheutzutage der Umfang der weltweiten Flüchtlings-bewegungen, die ihre Ursache in Umweltkatastrophen ha-ben, inzwischen den Umfang der weltweiten Flüchtlings-bewegungen, die ihre Ursache in Kriegen haben,übertrifft.
Klimaschutzpolitik hat bei uns deswegen absolutePriorität. Es ist gut, dass wir das Kioto-Protokoll verab-schiedet haben, das erstmals absolut verbindliche Ober-grenzen festsetzt. Was heißt das? Das heißt, dass dieKlimapolitik künftig nicht mehr dem Wirtschaftswachs-tum hinterherhechelt, da das Ausmaß der Umweltver-schmutzung tatsächlich gedeckelt wird.Außerdem haben wir vorgemacht, dass die Energie-wende nicht nur sinnvoll, sondern auch machbar ist. Ichmuss an dieser Stelle in aller Ruhe sagen: Die Energiepo-litik dieser Bundesregierung ist in vielen Punkten besserals so mancher Bericht darüber.
Wir sollen bis 2010 21 Prozent der Treibhausgase senken.Manche Prognosen sprechen davon, dass wir nur 16 Pro-zent erreichen werden.
Ich muss die Wissenschaftler, die für diese Prognosen ver-antwortlich sind, leider korrigieren: Die Istzahl diesesJahres liegt nicht bei 16 Prozent – sie liegt auch in 2010nicht bei 16 Prozent –; vielmehr liegt die aktuelle Reduk-tion bei 18,7 Prozent. Das ist Rekord in Europa. Wir sinddiejenigen, die zwei Drittel der Treibhausgasemissionenin diesem Lande reduziert haben.
Da diese Rolle so anerkannt ist, liebe Frau Homburger,hatten wir auch die Kraft, dieses Verhandlungsergebnis inBonn zu erzielen. Zusätzlich zu dieser Politik werden wiraus der Atomenergie aussteigen, obwohl der Anteil desAtomstroms an unserer Grundlast beachtlich ist. Und nurdeshalb war es uns möglich, im Clean Development Me-chanism zu vereinbaren, dass der Bau von Atomkraftwer-ken nicht als saubere Entwicklung gilt.
Diese Entwicklung bei den Treibhausgasen war aller-dings nicht mit – ich sage es jetzt nicht auf Schwäbisch;sonst bekomme ich einen Ordnungsruf – Gerede zu errei-chen, sondern man musste etwas für sie tun. Dafür mussteauch Geld in die Hand genommen werden. Ich muss andieser Stelle sagen: Das sind keine Kosten, sondern Inves-titionen, die große ökonomische und ökologische Erlösebringen.
Sie haben sich hier eben über die Ökosteuer gestritten.Ich will Sie nur auf Folgendes hinweisen: In diesem Jahrist der Mineralölverbrauch in diesem Lande erneut um5 Prozent zurückgegangen. Dank der Ökosteuer sinkendie verkehrsbedingten CO2-Emissionen, die unter IhrerRegierung jahrelang gestiegen sind, in diesem Jahr wahr-scheinlich zum ersten Mal wieder, und zwar um 2 Prozent.Wir haben einen beispiellosen Boom an erneuerbarenEnergien mit unserer Politik ausgelöst. Als wir den Laden
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Bundesminister Jürgen Trittin20181
übernommen haben, haben Sie 18 Millionen DM für dieFörderung erneuerbarer Energien ausgegeben.
– 18 Millionen DM, Frau Homburger! – Jetzt sage ich Ih-nen, wie viel wir für das Marktanreizprogramm und fürdas 100 000-Dächer-Programm in diesem Haushalt aus-geben: 540 Millionen DM! Das ist der Abstand zwischenSchwarz-Gelb auf der einen und Rot-Grün auf der ande-ren Seite.
Ich habe noch nicht einmal die 2,7 Milliarden DM einge-rechnet, die über das Erneuerbare-Energien-Gesetz hin-zukommen.
– Nein, Herr Caesar. Sie können zwar dazwischensab-beln; aber Sie können nicht einmal eine Haushaltsvorlagelesen. Wir haben nicht gekürzt; wir haben die Ausgabenauf ein Niveau ausgebaut, das es in diesem Lande nochnie gegeben hat.Das Ergebnis ist eindeutig: 7 500Megawatt installierteWindleistung, mehr als eine Verdoppelung in der Zeit, inder wir regieren. Jede dritte Menge Strom,
die auf dieser Erde durch Windkraft produziert wird, wirdin Deutschland produziert. In der Solarthermie haben wirheute Wachstumsraten von 30 Prozent pro Jahr. In diesemJahr wurden zum ersten Mal 1 Million Quadratmeterneuer Fläche installiert. Gerade wird in Hameln die dritteneue Photovoltaikfabrik gebaut. Als wir das Ministeriumübernommen haben, ist der letzte Hersteller von HerrnRexrodt aus dem Lande getrieben worden, weil er hierkeinen Platz gefunden hat.
Mit dieser Politik werden wir bis 2010 allein über dieerneuerbaren Energien 80 Millionen Tonnen CO2 einspa-ren. Das entspricht – das sage ich für die, die sich da nichtso gut auskennen – 8 Prozentpunkten. Hinzu kommt eineErsparnis von 23 Millionen Tonnen, die wir im Bereichder Kraft-Wärme-Kopplung – Herr Loske hat darauf hin-gewiesen – erreichen konnten. Mit dieser Politik sichernwir die Energieversorgung von morgen.
Wir reduzieren wie kein anderes Land die Treibhausgase.Dadurch schaffen wir in beträchtlichem Umfang neueArbeitsplätze. Allein im Bereich der Windenergie arbei-ten heute 35 000 Menschen. Das sind mehr, als in irgend-einer anderen Energiebranche dieses Landes beschäftigtsind.
Ich will das in aller Ruhe sagen: Wenn wir diese Poli-tik fortschreiben und die CO2-Emissionen weiter reduzie-ren – sagen wir, bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu1990 – und wenn wir bis dahin gleichzeitig aus der Atom-energie aussteigen – das heißt, bis 2020 alle Kraftwerkestilllegen –, dann wird dies unter dem Strich, nach Abzugaller Verluste, netto ein Plus von 200 000 neuen Arbeits-plätzen ergeben. Das nenne ich nachhaltige Energie- undKlimapolitik.Das, meine Damen und Herren von der rechten Seiteder Opposition, ist eben der Unterschied zwischen Ihrerund unserer Politik. Sie haben es hingenommen, dass spä-tere Generationen Ihre Rechnung bezahlen: für den Ver-lust der Artenvielfalt, für den Klimawandel und für denAtommüll. Unsere Umweltpolitik ist ökologisch und öko-nomisch ein Gewinn und sie beherzigt den Grundsatz derNachhaltigkeit, der da lautet: Wir haben die Erde von un-seren Kindern nur geborgt.
Nun hat das Wort
Dr. Peter Paziorek.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Herr Minister Trittin, Sie tra-gen hier eine Bilanz Ihrer Politik vor und – es ist eigent-lich gar nicht erstaunlich; wir haben das so erwartet – un-terschlagen schamlos, dass die guten Zahlen, zumBeispiel minus 18 Prozent beim CO2-Ausstoß, in den letz-ten drei Jahren gar nicht hätten zustande kommen können,wenn nicht vorher, über zehn Jahre hinweg, eineCDU/CSU- und FDP-geführte Umweltpolitik die Basisfür die CO2-Reduktion gelegt hätte.
Wollen Sie denn der Öffentlichkeit weismachen, dass Siein drei Jahren minus 18 Prozent zustande bekommen ha-ben? Sie haben es doch nur so dargestellt, weil sich sonstFrau Ganseforth wieder aufgeregt hätte, wie sie es zuHerrn Töpfers und Frau Merkels Zeiten getan hat, als wirsagten: Wir sind bei minus 10 Prozent bzw. bei minus12 Prozent; wir haben jetzt minus 15 Prozent erreicht. –Da haben Sie protestiert und haben gesagt: Das stimmt al-les gar nicht. – Jetzt stellen Sie sich hier hin und sagen:Wir sind bei minus 18 Prozent. – Herr Minister Trittin, be-danken Sie sich bei Herrn Töpfer und Frau Merkel fürdiese gute Arbeit. Ohne deren Arbeit würden Sie hierheute als ein Kaiser ohne Hemd und Reich dastehen.
Was waren das noch für erfolgreiche Zeiten in der Um-weltpolitik, als auf der Regierungsbank Minister wie Pro-fessor Töpfer – Sie haben ihn gerade erwähnt; ich war er-staunt, in welch negativem Zusammenhang – dieUmweltpolitik prägten!
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Bundesminister Jürgen Trittin20182
– Ich musste so laut sein, weil Sie gerade über meineWorte so freudig erregt waren. Ich kann es auch leiser.Heute haben wir einen Umweltminister, der im Grundegenommen, auch wenn er gerade eine Bilanz vorgetragenhat,
nur an einem Ziel interessiert war, nämlich am so ge-nannten Atomausstieg. Er hat alle wichtigen Bereiche inder Umweltpolitik – da stimmt es jetzt wohl – links liegengelassen.Im Münsterland haben Sie, Herr Umweltminister, inden letzten Tagen ganz aktuell Bedeutung aufgrund Ihrerwirklich haltlosen und übertriebenen Angriffe gegen diebäuerlichen Familienstrukturen in der münsterländischenParklandschaft erlangt. Man müsste sich ja als CDU-Po-litiker fast noch bei Ihnen bedanken, dass Ihnen dieserAusreißer in der letzten Beratung des Umweltausschusseszum Naturschutz passiert ist. Das Traurige ist – Sie kön-nen da mit noch so viel Emphase hier vortragen –: Sie sindvom parteilosen Wirtschaftsminister in Sachen Klima-schutz- und Energiepolitik ganz gewaltig vorgeführt wor-den. Das ist das Ergebnis der letzten 24 bzw. 48 Stunden.Die Kollegin Homburger hatte doch Recht, als siesagte, im Grunde genommen sei in den letzten drei Jahrendie geistige Armut in der Umweltpolitik ziemlich deutlichgewesen.
Kollege Loske hat einmal in einem Aufsatz geschrieben,die rot-grüne Umweltpolitik müsste eine Qualitätsdebattesein. Man muss aber ganz klar und deutlich sagen, lieberKollege Loske – Qualitätsdebatte hin oder her –: Die rot-grüne Umweltpolitik ist einfach nicht mehr in der Lage,der Bevölkerung sinnvolle langfristige Perspektiven inder Umweltpolitik zu vermitteln. Die rot-grüne Umwelt-politik ist nicht in der Lage, sich in die Debatten um dendurchaus notwendigen Strukturwandel in unserer Gesell-schaft einzubringen und aus sich selbst heraus den Bürge-rinnen und Bürgern tatsächlich eine wirklich sinnvolleund überzeugende Perspektive zu vermitteln. Die jetzigeRegierung hat versagt: Sie hat es nicht geschafft, Um-weltpolitik sinnvoll zu gestalten und in einen umfas-senden Strukturwandel einzubringen.
Das kann man an mehreren Beispielen belegen. Fan-gen wir mit der Abfallpolitik an: Wo bleibt denn eine Kon-zeption, die tatsächlich dafür sorgt, dass der notwendigeWandel in der Abfallwirtschaft herbeigeführt wird? DieAbfallpolitik hat nach dem Umsteuern durch ProfessorTöpfer Anfang der 90er-Jahre hin auf die Kreislaufwirt-schaft – ich weiß gar nicht, warum Sie so tun, als ob Siesie erfunden hätten – eine wirkliche Erfolgsbilanz aufzu-weisen.
Aber heute, im Jahre 2001, stellen sich völlig neue Pro-bleme, nämlich, wie die Erfordernisse der Liberalisierungdes Marktes aufgrund der Wettbewerbspolitik und derVerbesserung der technischen Standards bzw. derenWeiterentwicklung mit den Erfordernissen der Kommu-nen in Einklang gebracht werden können, die in diesemBereich in den letzten Jahren investiert haben.Gesprächspartner aus Ihrem Hause, Herr Minister, sa-gen, sie hätten das Gefühl, dass bei diesen Problemen alleauf Tauchstation gingen und man im Bundesumwelt-ministerium so tun würde, als ob es diese Probleme nichtgebe. Man spürt richtig, dass niemand in Ihrem Hause denMut hat, ein geschlossenes Konzept für die Abfallpolitikin Deutschland vorzulegen. In dieser Frage haben Siedeutlich versagt. Das spüren die Verbände, das spüren diein der Abfallwirtschaft tätigen Firmen und das spüren dieKommunen vor Ort. Das ist das Traurige, meine Damenund Herren.
Die Verpackungsverordnung, die von Ihnen ange-sprochen wurde, ist doch gerade ein Beleg dafür, wie Sieversuchen, bruchstückhaft irgendwo an einer Stelle zuzu-packen und dort eventuell eine Berücksichtigung vonUmweltpolitik zu reklamieren. Im Grunde genommenwissen Sie aber ganz genau, dass es der falsche Weg ist,sich irgendwo nur einige Häppchen herauszusuchen. Ichglaube, dass Sie gar nicht mehr die politische Kraft haben,um eine Gesamtkonzeption vorzulegen.Nun zur Klimaschutzpolitik, Kollege Loske: Nichtdie Förderung der erneuerbaren Energien ist an sich be-denklich, sondern die Art, wie Sie mithilfe des EEGtatsächlich diese Förderung durchführen. Wenn die Be-völkerung heute schon wüsste, wie teuer die Förderungder erneuerbaren Energien ist – die Entwicklung geht jadahin, dass in ein bis zwei Jahren selbst die höchsten För-derungsraten der früheren Kohlesubventionen überschrit-ten sein werden –, würde die Unterstützung der Bevölke-rung, auf die Sie sich im Augenblick immer berufen,wegbrechen und sie würde kein Verständnis mehr dafürhaben, dass Sie in einem solchen Ausmaß erneuerbareEnergien fördern.
Sie haben ja auch die Arbeitsmarktbilanz angespro-chen. Hierzu steht heute im Ticker:Zu dem Gegenargument,– da bezieht er sich wohl auf Abgeordnete von Rot-Grün –Klimaschutz schaffe Arbeitsplätze und erhöheExportchancen, sagte Müller: „All diese Arbeits-plätze sind mehr oder weniger hoch subventioniert“.Es gebe noch keinen einzigen Arbeitsplatz bei derSonnen- oder Windenergie, der sich im Markt tragenwürde.
Wir wollen auch, dass das funktioniert. Aber Ihr Wegbedeutet nichts anderes als eine überzogene Subventio-nierung. Das ist volkswirtschaftlich falsch.
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Dr. Peter Paziorek20183
Frau Lehn, Sie haben gerade die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung durch das neue Gesetz angesprochen.Es reicht nicht aus, wenn Sie einfach nur aus diesem Ge-setz zitieren. Wenn man genauer in dieses Gesetz schaut,dann stellt man fest, dass Sie nur ein Ziel verfolgen:Sie wollen die Kommunen beim Bau kommu-naler Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen unterstützen. Da-bei vernachlässigen Sie völlig, dass bei dieser Förderungindustrielle Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen schon mit-telfristig aus dem Markt gedrängt werden.Ich frage Sie: Was ist an Ihrem Gesetzentwurf sinn-voll?
Dass Sie irgendwelchen Interessengruppierungen auf derkommunalen Ebene in dieser Frage nachgeben? Dass Siedabei vernachlässigen, dass ein ganz attraktiver Zweig imBereich der Kraft-Wärme-Kopplung wegbricht, nämlichder der industriellen KWK-Anlagen, und dass Sie da-durch einen wesentlichen Bereich, der für den Klima-schutz interessant ist, langfristig nicht mehr am Markt ha-ben werden? Genau das ist die Gefahr bei IhremGesetzentwurf. Deshalb halte ich es für völlig falsch, dassSie diesen Gesetzentwurf als einen positiven Beitrag zurKlimaschutzpolitik darstellen.
– Warten Sie einmal ab. Zu diesem Thema findet ja imUmweltausschuss noch eine Sondersitzung statt.Schauen Sie sich einmal Ihre Naturschutzpolitik an.Herr Kollege Loske, Sie wollen mit den Bauern angeblichkooperativ zusammenarbeiten. Sehen Sie sich einmal dasKonzept an, das Sie den Bauern tatsächlich vorlegen. Siesagen den Bauern, Sie seien durchaus bereit, im Bereichdes Vertragsnaturschutzes mit ihnen zusammenzuarbei-ten, hätten dafür aber kein Geld. Abschaffen wollen Sieden Vertragsnaturschutz aber auch nicht. Sie wollen ihnnun mit schönen hehren Worten im Naturschutzgesetzgrundsätzlich benennen, die Finanzierung wollen Sie aberden Länder überlassen. Wir wissen ganz genau: Es gibtLänder, die finanziell in der Lage sind, etwas in diesemBereich zu tun – das sind die schwarz regierten Länder –,und dann gibt es einige Länder, die bedeutend wenigertun.Was ist denn das eigentlich für ein Rahmen, den Sie inder Landwirtschafts- und Naturschutzpolitik setzen? Siesagen, Sie wollten mit den Nutzern, den Bauern, reden.Wenn die Bauern es aber nicht so machen, wie Sie daswollen, dann drohen Sie ihnen mit dem Ordnungsrecht.Wenn sie kooperativ zusammenarbeiten wollen, dannsagen Sie, Sie hätten kein Geld.
Das ist Ihr Verständnis von Naturschutzpolitik und Ver-tragsnaturschutz. Ich sage Ihnen: Sie wollen die Bauernhinters Licht führen. Dagegen werden wir Stellung be-ziehen.
Zur Sanierung des Althausbestandes. Sie haben hierheute erzählt, das Volumen sei von 100 auf 200 Millionenaufgestockt worden. Aber eine konkrete Förderung gibt esnicht; Sie wollen damit nur wieder Forschungsprojekte fi-nanzieren. Das Interessante ist doch die Frage, wer dannwieder bedient wird. Sie betreiben nämlich, wie auch beider Windkraft, eine eiskalte Klientelpolitik.
– Was stimmt nicht? Am 23. Juli dieses Jahres haben SieKnall auf Fall das so genannte Anreizprogramm für Bio-gasanlagen zusammengestrichen. Auch bei der Solarther-mik haben Sie die Förderung reduziert. Sie stellen sichhier hin und sagen, sie täten mehr für den Bereich der er-neuerbaren Energien, tatsächlich kürzen Sie aber bei Bio-gas, bei Biomasse und bei der Solarthermik. Sie argu-mentieren mit einer gespaltenen Zunge. Dagegen musshier eindeutig wiedersprochen werden.
Sie sagen, Sie wollten beim Kreditprogramm der KfWzur Sanierung des Althausbestandes 2Milliarden DM auf-legen. Meinen Sie wirklich, dass Sie es mit einem verbil-ligten Kreditprogramm, bei dem bei den Kreditausgabenvielleicht um 1 Prozent gekürzt wird, schaffen, im Bau-bereich 10 Milliarden DM an Investitionen freizusetzen?Sie sind gar nicht in der Lage, zur Sanierung des Alt-hausbestandes ein modernes Anreizprogramm, zum Bei-spiel durch eine Anschubfinanzierung, meinetwegen auchdurch Steuererleichterungen oder auch durch einen verlo-renen Zuschuss, zustande zu bringen. Sie haben noch im-mer nicht erkannt, dass gerade in diesem Bereich diegroße Chance besteht, enorme Mengen an CO2 einzuspa-ren. Sie aber kneifen und meinen, mit einem solch ver-schämten kleinen Programm könnten Sie tatsächlich et-was bewegen. Alles nur Deklamation.
Zum Schluss möchte ich folgenden Punkt ansprechen:EU-Kommissar Monti hat die Ausgestaltung der Öko-steuer heute ziemlich deutlich kritisiert. Deshalb wieder-hole ich, was wir schon immer gesagt haben: Die Aus-gestaltung der Ökosteuer ist falsch. Sie ist kein sinnvollesInstrument, um die Umweltpolitik in Deutschlandtatsächlich weiterzubringen. Was Herr Monti heute kri-tisch hinterfragt, ist das, was wir immer schon gegen dieÖkosteuer eingewendet haben
und was Herr Töpfer kritisch zu Ihrer Ausgestaltung derÖkosteuer gesagt hat.Die Bilanz: Ihnen, Herr Minister, ist es eindrucksvollgelungen, die Umweltpolitik in Deutschland vor die Wandzu fahren.
Die Bevölkerung spürt dies; denn Ihre persönlichen Um-fragewerte – Details kann ich wegen der abgelaufenen
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Dr. Peter Paziorek20184
Redezeit nicht mehr vortragen; ich wollte sie eigentlichnennen – sind leider außerordentlich schlecht. HerrTrittin, Sie stehen sogar noch schlechter da als der Vertei-digungsminister Scharping. Das will eine ganze Mengeheißen.Diese Bilanz ist schlimm für die Umweltpolitik. Aberab dem 22. September 2002 wird es mit einer CDU/CSU-geführten Bundesregierung auch in der Umweltpolitikwieder aufwärts gehen.
Nun hat die Kollegin
Ulrike Mehl das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Herr Paziorek, um diese Uhrzeit kannman es sich leisten, solch einen Quatsch zu reden.
Diese Debatte wird ja nicht weltweit übertragen; hier istim Moment sozusagen der geheimste Ort in dieser Repu-blik.
Auf einen Punkt möchte ich gerne eingehen. WarumFrau Merkel nicht mehr Ministerin ist, das wissen wir.Das ist relativ klar. Sie haben Herrn Töpfer einen Glori-enschein aufgesetzt und gesagt, wie großartig er gewesenist. Ich frage Sie: Warum ist er nicht Umweltminister ge-blieben?
Er war plötzlich Bauminister und kurz darauf war er nichtmehr Mitglied im Kabinett. So toll kann das Verständnisuntereinander nicht gewesen sein.
Herr Töpfer, den ich sehr schätze, lobt im Übrigen dieÖkosteuer. Es mag zwar sein, dass er einzelne Punkte kri-tisiert. Aber er kritisiert vor allen Dingen an derCDU/CSU, dass sie sich in Fragen der Ökosteuer so ver-hält, wie sie sich verhält.Zum Thema Abfall möchte ich Ihnen sagen: Die Ver-packungsverordnung und all die Regelungen, die daranhängen, stammen von Herrn Töpfer. Mit diesen Altlastenmüssen wir uns jetzt herumschlagen.
Ihre Aussagen sind etwas halbseiden. Deswegen brauchenwir uns nicht näher damit zu beschäftigen.Wir hatten von Zielen und Instrumenten geredet. Ichglaube, dass wir uns in den fernen Zielen, die bezüglichder Umwelt und der Nachhaltigkeit erreicht werden sol-len, relativ schnell einig werden. Aber in welcher Ge-schwindigkeit und mit welchen Instrumenten man dieseZiele erreicht, darüber gibt es sofort Streit; denn dann gehtes um das Handeln und nicht nur um fromme Sprüche.Dass wir bisher gehandelt haben und auch zukünftig han-deln werden, kann man im Haushaltsplan des Bundesum-weltministers deutlich ablesen.Ich will zu dieser späten Stunde mit einem etwas un-gewöhnlichen Bild, das für diese nasse Jahreszeit geeig-net ist, die Situation im übertragenen Sinne veranschauli-chen: Man stelle sich einen Teller dampfende, nachhaltigeGemüsesuppe vor.
– Ja, das wäre jetzt was.
Die drei Hauptzutaten sind Wirtschafts-Kartoffeln, Um-welt-Lauch und Sozial-Rübchen. Aus jeder der drei Zuta-ten kann man eine sehr schmackhafte Suppe kochen. Aberzusammen sind sie besonders lecker und sättigen viel bes-ser. Sie sind eben nachhaltig.Vor dem Einkauf schauen wir natürlich in den Geld-beutel – damit bin ich beim Haushalt – und beschließen,dass wir uns dieses Süppchen leisten wollen, leisten kön-nen und dass wir es uns leisten müssen, wenn wir nichtzukünftige Generationen vor schier unlösbare Problemestellen wollen. Deswegen sind dies in ganz besonderemMaße Zukunftsinvestitionen, die nicht nur Geld kosten– das tun sie natürlich auch –, sondern eben sehr viel ein-bringen.Dabei sind drei Dinge besonders zu beachten:Erstens. Wir dürfen nicht nur unsere eigenen Süppchenkochen, sondern müssen immer öfter über den Tellerrandhinausschauen.
Umweltschutz und Umbau zu nachhaltigkeitsgerechtenStrukturen müssen wir nicht nur in unserem Land aus-bauen, sondern wir müssen europaweit und internationalfür diese Konzepte werben und bei der Umsetzung helfen.Zweitens. Wir dürfen das Salz in der Suppe nicht ver-gessen. Das Salz in der Nachhaltigkeit ist das Engagementin der Gesellschaft. Das sind die Verbände, die Vereineund die engagierten Bürgerinnen und Bürger, deren En-gagement es zu erhalten und auszubauen und deren Inputes vor allen Dingen ernst zu nehmen gilt.Drittens. Ab und zu ist auch ein Haar in der Suppe. Dasbedeutet aber nicht, dass der Koch schlecht ist.
Der vorliegende Haushalt zeigt, dass wir diese Prinzi-pien ernst nehmen. Wir blicken übrigens im Gegensatzzur CDU/CSU über den Tellerrand hinaus, indem wir zumeinen die Mittel für die internationale Zusammenarbeitauf dem Umweltgebiet, die Beiträge an internationale
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Dr. Peter Paziorek20185
Organisationen auf dem Umweltgebiet und die internatio-nale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Naturschutzesum insgesamt über 1,5 Millionen Euro erhöhen.Die CDU/CSU hat dagegen beantragt, die Mittel fürdie internationale Zusammenarbeit um 500 000 Euro zukürzen;
die Mittel für die Verminderung der grenzüberschreiten-den Umweltbelastung hätte sie gerne um den gleichen Be-trag gekürzt.
Das lässt ja nun wirklich tief blicken. Wer dauernd vonden Chancen der Globalisierung redet, der muss auchdafür sorgen, dass es Chancen sind.
Stattdessen haben Sie auf Kosten von wichtigen Zu-kunftsaufgaben Geld zugunsten eines atomaren Endlagersin Gorleben zusammengekratzt, wie man feststellt, wennman sich Ihre Anträge einmal anschaut. Ich finde, das istalles andere als eine glaubwürdige Politik.
Wir statten zum anderen ein für uns in Deutschland be-sonders wichtiges Arbeitsfeld finanziell besser aus, näm-lich das Beratungsprogramm für Umweltfragen für dieStaaten in Mittel- und Osteuropa. Wir erhöhen die Mittelum 306 000 Euro auf nunmehr 1,8 Millionen Euro. Dassind unter anderem Konsequenzen aus den Gesprächen,die wir auch im Umweltausschuss geführt haben. Wir ha-ben außerdem eine Anhörung dazu gemacht. Dabei istsehr deutlich geworden, dass die Umweltsituation in denBeitrittsstaaten noch weit von unseren Standards entferntist und dass dringender finanzieller wie auch Know-how-Beratungsbedarf notwendig ist. Deswegen ist auch dieseine wirkliche Zukunftsinvestition in Sachen Umwelt-schutz.
Auch in einer anderen Himmelsrichtung blicken wirüber unsere Grenzen hinaus. Wir schaffen mit der Novel-lierung des Bundesnaturschutzgesetzes Möglichkeiten,Schutzgebiete in der Ausschließlichen Wirtschafts-zone, also im Meer jenseits des deutschen Hoheitsgebie-tes, auszuweisen. Dazu ist eben schon einiges gesagt wor-den. Ich halte es für wirklich gelungen, dass wir dieseRegelung in das Naturschutzgesetz hineingeschrieben ha-ben und uns auch über die Ziele einigen konnten, nämlichauf der einen Seite regenerative Energien, Windenergie,voranzubringen und auf der anderen Seite den Natur-schutz im Meer zu sichern, auch wenn man es oben nichtsieht. Dass alle Beteiligten das zu einem befriedigendenErgebnis gebracht haben, ist ein wirklicher Erfolg.
– Ich weiß, dass die späte Stunde eher zum Kabarett ge-eignet ist, aber wir müssen jetzt über dieses Thema spre-chen.Herr Borchert, Sie haben gesagt, es gehe nur um dieVerwaltung. Aber wie wollen Sie Schutzgebiete in derAWZ denn ausweisen können? Wie wollen Sie wissen-schaftliche Daten bekommen, wenn Sie dafür kein wis-senschaftliches Personal haben? Es ist nur konsequent,dass wir dafür Personal einstellen, damit die Ergebnissenicht Pi mal Daumen zustande kommen, sondern dasGanze eine fundierte Grundlage hat.
Zum Thema Vertragsnaturschutz. Da muss ich michja nun wirklich wundern. Sie, Herr Borchert, haben da-mals den Vertragsnaturschutz in der Form in Frau MerkelsGesetz gezwungen, wie er anschließend enthalten war.Das Gesetz ist dann maßgeblich an diesem Punkt ge-scheitert.
Sie haben immer gesagt, das sei für die Landwirtschaft einsehr wichtiger Faktor, deshalb müsse das so sein. Als esjedoch um die Finanzierungsfrage ging, wollte der Bunddamit plötzlich überhaupt nichts zu tun haben. Das solltennatürlich die Länder bezahlen.
Sie haben gesagt: Wer die Musik bestellt, muss auch be-zahlen. Eben! Nach dem Grundgesetz sind für den Natur-schutz die Länder zuständig und nicht der Bund.
Deswegen kann der Bund nicht den Ländern vorschrei-ben, dass sie dem Vertragsnaturschutz Priorität einräumenmüssen. Aus diesem Grunde war das von vornhereinfalsch.Ein weiterer Punkt zu diesem Thema. Wir haben zweiJahre intensiv an dem Thema gute fachliche Praxis inder Landwirtschaft gearbeitet. Wir haben mit den Land-wirten viele Gespräche geführt. Ich habe in meinem Landsehr häufig mit dem Bauernverband darüber diskutiert.Dabei wurde mir immer Folgendes gesagt: Das, was imGesetz zu guter fachlicher Praxis steht, machen wir dochalles! – Ich habe gefragt: Was haben Sie denn dann für einProblem, wenn das im Naturschutzgesetz steht? – Daswollen wir nicht, dass das da drinsteht!
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Ulrike Mehl20186
Das ist nun keine Argumentation. Wenn in der Landwirt-schaft so praktiziert wird, wie es dort steht, und dieseMin-deststandards in der Praxis auch tatsächlich angewendetwerden, dann ist doch alles in Butter. Dort, wo sie nicht an-gewendet werden, ist es an der Zeit, dass sie festgeschrie-benwerden. Deswegen ist es nachwie vor richtig, dasswirdies im Bundesnaturschutzgesetz verankert haben.
Frau Kollegin, den-
ken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Meine Redezeit ist abgelaufen.
Ob Ihnen das gefällt oder nicht: Wir gehen mit diesem
und sicher auch mit dem nächsten Haushalt Schritt für
Schritt
in Richtung der nachhaltigen Entwicklung. Wir werden
auch den nächsten Haushalt, und zwar unseren, be-
schließen
und wir werden in Deutschland und auf internationalem
Gebiet weiterhin Nachhaltigkeit praktizieren.
Jetzt hat der Kollege
Dr. Christian Ruck für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Es ist verzeihlich und auchkeine Überraschung, dass Rot-Grün in der vielleicht letz-ten Haushaltsdebatte der Legislaturperiode natürlich mitallen Mitteln versucht, ihre Umweltbilanz schönzureden.Diesmal können Sie aber wirklich strampeln, so viel Siewollen. Es wird Ihnen nicht gelingen; denn dafür ist dieseBilanz einfach zu schlecht.
Das gilt trotz Trittins Märchenstunde auch für denHaushalt. Es ist und bleibt ein Armutszeugnis, wenn derGesamthaushalt um 1,5 Prozent steigt und der Umwelt-haushalt um 5,7 Prozent sinkt. Herr Trittin, es bleibt auchein Armutszeugnis, dass Sie es als Umweltminister hinn-nehmen mussten, dass Ihr Umwelthaushalt seit 1998 umfast 12 Prozent abgenommen hat, während der Gesamt-haushalt um 6 Prozent angestiegen ist.
Sie können reden, so viel Sie wollen. Das ist ein Armuts-zeugnis.
Schon allein an diesen Zahlen sieht man, dass HerrTrittin ein Umweltminister im Sinkflug ist.Natürlich kann man sagen, dass umgeschichtet wordenist. Als ob das ein Argument wäre. Sie haben unsere Er-höhungsanträge abgelehnt, aber nicht mit der Begrün-dung, dass umgeschichtet werden muss. Sie könnennatürlich auch sagen, dass Quantität nicht alles ist unddass Sie es mit Qualität machen. Die Qualität Ihrer um-weltpolitischen Arbeit ist aber noch schlechter; denn Siehaben Dinge getan, die Sie besser gelassen hätten,
und Sie haben Dinge nicht getan, die Sie hätten tun sollen.
Herr Loske, ich muss noch einmal sagen, dass Sie undandere sich immer mit fremden Federn schmücken. ZumBeispiel ist der Boom in der Windenergie durch dasStromeinspeisungsgesetz entstanden. Sie leben hinsicht-lich Ihres Erfolges von dem Stromeinspeisungsgesetz. Siekönnen nun wirklich nicht behaupten, dass es Ihre Erfin-dung war.
Wenn Sie ganz ehrlich sind, dann müssen Sie auch sagen,dass die Reduktion der Treibhausgasemissionen nicht,wie Herr Trittin es hingestellt hat, Ihr Erfolg ist, sonderndass diese Reduktion – aus welchen Gründen auch immer –unter Ihnen zum Stillstand gekommen ist.Im Naturschutz haben Sie einen Sturm entfacht, abernur einen Sturm der Entrüstung. Das ist schade;
denn die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes wirkt ineinem Bereich, der auch mir sehr am Herzen liegt. InWirklichkeit wirft sie den Naturschutz zurück. Es ist inder Tat so, dass die Novelle mehr Bürokratie und mehrGängelung, aber weniger Geld verspricht. Sie haben näm-lich den Vertragsnaturschutz in der Tat ausgehöhlt undstreichen den Titel für die Großschutzgebiete zusammen.Das ist Faktum und wird auch von Ihnen nicht bestrittenwerden können.Jetzt darf ich Sie, weil der Naturschutz auch für unswirklich ein zentrales Thema ist, daran erinnern, wer esdenn war, der die milliardenschwere Deutsche Bundesstif-tung Umwelt gegen viele Widerstände ins Leben gerufenhat, und wer es war, der seit langem dafür gekämpft hat,dass diese Stiftung für Naturschutzzwecke geöffnet wird.
Das waren nicht nur wir allein. Aber wir waren an verant-wortlicher Stelle daran beteiligt. Ich darf auch daran erin-nern, welcher Minister der erste war, der einen Truppen-übungsplatz zu einem Nationalpark hat umwidmenlassen. Das war nämlich Theo Waigel.
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Ich darf auch daran erinnern – diese Diskussion halteich für ein bisschen scheinheilig –, dass es die rot-grün ge-führten Bundesländer sehr wohl in der Hand hätten, we-sentlich mehr für den eigenen Naturschutz, vor allem fürden Vertragsnaturschutz, zu tun.
Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, stellen Sie fest, dassdas CSU-geführte Bayern 450 Millionen DM pro Jahrdafür ausgibt, Nordrhein-Westfalen aber nicht einmal einDrittel dieses Betrages.
Das ist scheinheilig.Der deutsche Wald war für die Grünen immer ein Sym-bol ihrer Existenzberechtigung. Jeder Waldzustandsbe-richt verursachte in früheren Zeiten die reinste Empörung.Seitdem Sie an der Regierung beteiligt sind, hat sich derWaldzustand nicht gebessert. Aber dafür ist IhreEmpörung weg. Das finde ich scheinheilig.Beim Thema Mobilfunk zum Beispiel ist MinisterTrittin nicht in der Lage, unsere Große Anfrage, die wirim April dieses Jahres gestellt haben, zu beantworten.Fehlanzeige!
Aber Sie lassen sowohl die Bürger als auch die Kommu-nen mit ihren zum Teil unberechtigten Sorgen um denMobilfunk im Stich.
Das 8-Millionen-Programm für fünf Jahre ist wirklicheine reine Alibi-Veranstaltung im Vergleich zu den100 Milliarden UMTS-Einnahmen, die Sie für den Mo-bilfunk bekommen haben.
Dann war ja auch noch einmal versteckt vom Dosen-pfand die Rede. Herr Trittin, beim Dosenpfand haben Siesich aus purer Eitelkeit einem Kompromissvorschlag desBundesrates
verweigert und blockieren damit gegen jede Vernunft einezeitgemäße, ökologisch begründete Anpassung der Ver-packungsverordnung.
Das KWK-Vorschaltgesetz ist ein kompletter Murks,
und zwar vor allem wegen seiner kompletten ökologi-schen Wirkungslosigkeit.
Jetzt liegt die Nachbesserung von Ihnen wegen schwererinhaltlicher Verwerfungen auf Eis. Selbst wenn Sie IhreNachbesserungen noch durchsetzen, werden Ihnen dieseVerwerfungen erhalten bleiben.Da Sie immer gefragt haben, wo unsere Vorschläge be-züglich KWK seien,
kann ich Ihnen sagen: Die Vorschläge liegen auf demTisch. Sie haben sie in diesem Hause abgeschmettert.Aber Sie müssen ja wenigstens das, was Sie abschmet-tern, kennen.
Sonst können Sie hier nicht auftreten und sagen, Sie hät-ten von uns keine konkreten Vorschläge bekommen.Völlig fehl am Platze finde ich auch Ihren zur Schaugetragenen Stolz über den angeblich bevorstehendenAtomausstieg. Ihre Gesetzesnovelle ist doch in Wirklich-keit mittel- und langfristig ein Torpedo gegen die nukleareSicherheit, und zwar national wie international,
und gegen den Klimaschutz im eigenen Land. Beim Stich-wort Klimaschutz herrscht ja derzeit ein wirklich buntesTreiben in Ihren Reihen.
Hier passt die Überschrift vom rot-grünen Chaos wirklichwie die Faust aufs Auge. Der nüchterne Energieberichtdes Wirtschaftsministers hat die rot-grünen Energieideo-logen ins Mark getroffen und sogar zu peinlichen Verbal-injurien verleitet. Das ist wirklich ein Trauerspiel.
– Herr Schmidt, Fakt ist doch, dass sich Ihre entwick-lungspolitischen Maßnahmen, die Sie unter dem Stich-wort Ökologie und Klimaschutz laufen lassen, bereitsjetzt und in naher Zukunft tatsächlich zu einer gewaltigenBelastung für die privaten Haushalte und die Wirtschaft inDeutschland aufschaukeln, und zwar von der Ökosteuerbis zum Atomausstieg.
Da hat der Wirtschaftsminister völlig Recht, und zwarauch mit der von ihm genannten Zahl von bis zu 500 Mil-liarden DM.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Dr. Christian Ruck20188
Fakt ist auch – das sage ich Ihnen, Herr Loske, weil Sieso sehr auf dem Thema Ökosteuer herumgeritten sind –,dass Sie mit vielen dieser Maßnahmen auch ökologischenEtikettenschwindel betreiben. Herr Loske, auch mit mirkönnen Sie jederzeit über eine Ökosteuer, die in der Sa-che wirklich zielführend ist, diskutieren.
Wir lehnen die Ökosteuer aber deshalb dezidiert ab, weilsie die sozialen Sicherungssysteme in keiner Weise stabi-lisiert
und weil sie löchrig ist wie Schweizer Käse. Die Öko-steuer in der von Ihnen beschlossenen Ausgestaltung istteurer und ökologisch viel zu wenig effizient.
Dies gilt auch für die sündhaft teure Förderung derPhotovoltaik. Wir können jederzeit darüber diskutieren,wie wir die regenerativen Energien verdoppeln – dies istzum Beispiel auch unser erklärtes Ziel –, aber nicht miteiner Photovoltaikförderung, die 6 Milliarden kostet unddann den Anteil an der Stromproduktion von 0,1 auf 0,5Promille steigert. Das ist doch herausgeschmissenesGeld.
Sie schießen mit viel zu teuren Kanonen auf zu viele Spat-zen.Das ist der Grund, warum uns die Vorreiterrolle im Kli-maschutz so teuer zu stehen kommt. Der Wirtschaftsmi-nister hat auch Recht, wenn er sagt, dass die klimapoliti-sche Vorreiterrolle in dem Augenblick unsinnig wird, indem wir nicht nur ehrgeizige Ziele haben, sondern auchdie einzigen sind, die sie erfüllen.
– Doch. In Europa bilden zurzeit England, Luxemburgund wir die einsamen Spitzen. Der Rest läuft unter „fernerliefen“.
– Nein.Fakt ist leider auch, dass der müllersche Energieberichtzwar schonungslose Analysen enthält, uns aber eines vor-enthält: ein schlüssiges tragfähiges Energiekonzept, dasÖkonomie mit Ökologie verbindet, also genau das, waswir brauchen. Dies allerdings ist bei dieser Koalition undihren zutage getretenen zentrifugalen Kräften völlig un-möglich geworden.Wer aber kein schlüssiges Energie- und Klimaschutz-konzept hat, kann auch international nicht überzeugen:nicht in Europa und auch nicht gegenüber den Amerika-nern. Damit hat ihre Politik in einer Schlüsselfrage unse-rer Zukunft versagt. Sie, Herr Trittin, werden in die Ah-nenreihe der deutschen Umweltminister sicher als derje-nige eingehen, der ein Alibiumweltminister geworden ist.
Als Letzter in dieser
Aussprache hat der Kollege Christoph Matschie für die
SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Da schon viele Argumente ausge-tauscht worden sind, habe ich überlegt, ob überhaupt nochetwas zu sagen ist. Aber nach Ihrer Rede, Herr Ruck, mussich auf einige Punkte eingehen.Auch wenn es vorhin schon erklärt worden ist, ist es beiIhnen offensichtlich nicht angekommen:
Sie haben noch einmal beklagt, dass der Haushalt zurück-geht. Dabei ist Ihnen vorhin schon erklärt worden, dassdieser Rückgang mit dem Atomausstieg und damit zu-sammenhängt, dass bestimmte Ausgaben für den Endla-gerbereich nicht mehr notwendig sind.
Der Stammhaushalt steigt sogar um 0,5 Prozent. Dasmuss hier noch einmal deutlich gesagt werden.
Herr Borchert, Sie haben gesagt, dieser Haushalt be-deute mehr Verwaltung und weniger Umweltschutz. Icherinnere mich noch gut an die Diskussion vor ein paar Jah-ren, bei der Sie hier vorne standen. Da hieß es immer: Aufdie Haushaltszahlen kommt es nicht so genau an;
entscheidend ist vielmehr, dass das Umweltministeriumim Wege der Gesetzgebung Rahmenbedingungen schafft,damit eine vernünftige Umweltpolitik betrieben werdenkann. – Dazu aber, Herr Borchert, ist auch das notwendigePersonal erforderlich. Wie Sie beides intellektuell zusam-menführen wollen, weiß ich nicht.
– Das ist in den vergangenen Jahren von Kollegen IhrerFraktion an anderer Stelle vorgetragen worden. Da warenSie noch nicht für die Umweltpolitik, sondern noch für ei-nen anderen Bereich zuständig. Das gestehe ich Ihnengerne zu. Aber weil Sie damals für etwas anderes zustän-dig waren, haben Sie heute offenbar Probleme mit demUmweltschutz, Herr Borchert.
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Dr. Christian Ruck20189
Wenn man an diesem Punkt noch einmal ansetzt, zeigtsich, dass es – das tut mir an dieser Debatte manchmalLeid – auch in Deutschland eigentlich eine großeKontinuität und eine große gemeinsame Anstrengung inder Umweltpolitik gibt.
Allerdings wird an dem, was Sie hier vortragen, auch klar,dass Sie am Ende Ihrer Regierungszeit auch umweltpoli-tisch in die Sackgasse geraten sind.Ich will Ihnen das einmal an ein paar Beispielen deut-lich machen. Wir haben vor kurzem ein Naturschutz-gesetz verabschiedet. Daran haben Sie zehn Jahre lang la-boriert, ohne etwas wirklich Vernünftiges auf die Beine zustellen. Sie haben es nicht hinbekommen, wir haben es ge-macht.
Es ist nicht nur so, dass Sie in zehn Jahren nichts hin-bekommen haben. Zu dem Gesetz, was wir vorgelegt ha-ben, haben Sie noch nicht einmal vernünftige Änderungs-anträge auf den Tisch gebracht.
Ein dürrer Entschließungsantrag war das Einzige, was Siezu diesem Thema beigesteuert haben.
Deshalb brauchen Sie von geistiger Armut in der Um-weltpolitik nicht zu reden. Das richtet sich gegen Sie sel-ber.
– Herr Borchert, Sie haben sich nicht einmal die Mühegemacht, sich mit diesen Fragen inhaltlich wirklich aus-einander zu setzen. Deshalb war das Einzige, was von Ih-nen gekommen ist, ein dürrer Entschließungsantrag. Dasist ein Armutszeugnis für Ihre Umweltpolitik.
Wir reden immer davon, Umweltschutz brauche vieleMitstreiter. Einige von uns haben sogar gemeint, Um-weltschutz brauche die ganze Gesellschaft. Wenn ich aberhöre, was Sie die ganze Zeit erzählen, dann frage ichmich, ob Sie für den Umweltschutz in Deutschland wirk-lich noch zu gewinnen sind.
– Ja, das ist sehr polemisch. Aber Sie haben das hier so zu-gespitzt.Ich komme zu dem, was Sie zur Klimapolitik gesagthaben. Natürlich hat die Klimapolitik nicht mit der rot-grünen Regierung begonnen, sondern vorher. Das ist dochvöllig klar. Das hat in dieser Debatte niemand bestritten.
Aber genauso klar ist, dass die Klimapolitik in den An-fangsjahren sehr viel einfacher war, als sie heute ist,
weil die Einsparpotenziale viel einfacher zu erschließenwaren und die Einsparpotenziale sehr viel mit dem Rück-gang der Industrie in den neuen Bundesländern zu tun hat-ten. Das wird Ihnen jeder Wissenschaftler bestätigen.
Wenn Sie sich dabei auf Herrn Töpfer berufen, dannwäre ich an Ihrer Stelle ein wenig vorsichtig; denn HerrTöpfer gehört mittlerweile zu Ihren größten Kritikern.
Herr Töpfer hat beispielsweise die Ökosteuer unterstützt,während Sie sie abgelehnt haben.
Nicht nur das: Sie haben versucht, die Bevölkerunggegen die Ökosteuer zu mobilisieren. Sie haben versucht,glauben zu machen, dass die Ökosteuer das falscheInstrument ist.
Dabei haben Sie sie in Ihren eigenen Programmen jahre-lang stehen gehabt. Sie haben die LKW-Fahrer gegen dieÖkosteuer aufgehetzt.
Jetzt komme ich zum Ausbau der erneuerbarenEnergien. Herr Ruck, es hat vor dem Erneuerbare-Ener-gien-Gesetz ein Stromeinspeisungsgesetz gegeben. Dasist richtig. Das haben wir damals gemeinsam beschlossen:Opposition und Regierungsfraktionen. Aber Sie habendiesen gemeinsamen Weg verlassen. Als wir über dasEEG diskutiert haben, haben Sie in diesem Hause nichtzugestimmt.
– Hören Sie auf mit den Mitnahmeeffekten. Dieses Ge-setz hat dafür gesorgt, dass beispielsweise die Wind-kraft
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Christoph Matschie20190
– 1998 betrug der Stand der Produktion 3 000 Mega-watt – innerhalb kürzester Zeit, nämlich im Herbst die-ses Jahres, ihre Leistung mehr als verdoppeln konnte.Heute haben wir 7 000 Megawatt installierte Leistung.Das ist die Leistung unseres Erneuerbare-Energien-Ge-setzes, gegen das Sie in diesem Hause gestimmt haben.
Herr Ruck, Sie haben die nukleare Sicherheit ange-sprochen. Ich würde bei diesem Thema ein bisschen vor-sichtiger argumentieren – nicht nur weil ich es falschfinde, in dieser Frage Panik zu erzeugen. Dies muss mangerade vor dem Hintergrund der Attentate, die wir disku-tiert haben, und den neuen Bedrohungen in diesem Be-reich sehen. Aber ich wäre schon deshalb vorsichtig, weildie Probleme, die wir in den letzten Wochen hatten, vorallem in Baden-Württemberg und Bayern aufgetretensind.
Dort hat es Probleme gegeben. Darüber haben wir imUmweltausschuss diskutiert. Deshalb wäre ich an dieserStelle in dieser Frage ein bisschen vorsichtig.
– Herr Paziorek, natürlich war ich im Ausschuss dabei.
Darüber haben wir im Ausschuss diskutiert. Ich sage Ih-nen: Die Probleme liegen vor allem bei Ihnen und nicht ananderer Stelle. Deshalb wäre ich sehr vorsichtig.
Ich möchte noch einmal auf die Förderung der erneu-erbaren Energien durch das Marktanreizprogramm zusprechen kommen. Herr Paziorek, Sie haben beklagt, dassdie Förderung zusammengestrichen worden sei. Offen-sichtlich können Sie den Haushalt nicht lesen. Wir habendie Mittel für die Förderung auf 200 Millionen Euro auf-gestockt.
Wenn Sie das mit dem vergleichen, was während IhrerRegierungszeit eingestellt worden ist, dann werden Siefeststellen, dass die heutigen Mittel für die Förderung umein Vielfaches höher sind. Ganze 18 Millionen Euro– Herr Trittin hat das bereits vorhin erwähnt – hatten Siefür diesen Bereich im Haushalt eingestellt. Heute sind es,wie gesagt, 200 Millionen Euro.
Trotzdem beklagen Sie sich darüber. Beklatschen solltenSie das, Herr Paziorek!
Mit der Bilanz, die Sie an dieser Stelle vorzuweisen ha-ben, brauchen Sie uns in der heutigen Debatte nicht zu kri-tisieren.Dass die Mittel für die Förderung pro Projekt in ein-zelnen Sektoren verringert worden sind, hat damit zu tun,dass es so viele Anträge in diesem Bereich gibt. Wir ha-ben einen Boom ausgelöst.
Das ist ein großer Erfolg der Politik, die wir in diesem Be-reich gemacht haben.
Zum Schluss: Wenn hier behauptet wird, wir seien dieEinzigen, die versuchen würden, die Ziele der Klimapo-litik zu erfüllen, dann verweise ich nur darauf: Wir habengerade mit einer großen internationalen Kraftanstrengungdie Verpflichtungen des Kioto-Protokolls rechtlich fest-geschrieben. Ich hoffe, dass es uns gemeinsam gelingenwird, auch in diesem Hause die Ratifizierung über dieBühne zu bringen. Mit der Ratifizierung des Kioto-Proto-kolls verpflichten sich viele Staaten, Klimaschutzziele zuerfüllen. Sie malen also ein Gespenst an die Wand, wennSie behaupten, Deutschland nehme eine isolierte Positionin der Klimapolitik ein, weil es versuche, alleine voran-zugehen, und deswegen in eine Sackgasse laufe.
Das ist und bleibt falsch. Wir sind Vorreiter in der Klima-politik. Das wollen wir auch sein, weil es positive ökolo-gische Effekte hat und Vorteile für unsere Wirtschaftbringt; denn die Technologien, die wir heute entwickeln,werden morgen in aller Welt gebraucht.Sie müssen erst einmal Ihre Gedanken über die Um-weltpolitik etwas ordnen und klare Konzepte vorlegen.Dann können wir weiter diskutieren.
Ich schließe die Aus-sprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 16des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit in der Ausschussfassung. Es liegenzwei Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor, überdie wir zuerst abstimmen.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-che 14/7599? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Dann ist der Änderungsantrag abgelehnt.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2001
Christoph Matschie20191
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-che 14/7604? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.Wir stimmen nun über den Einzelplan 16 in der Aus-schussfassung ab. Wer stimmt zu? – Wer stimmt dage-gen? – Der Einzelplan 16 ist damit angenommen.Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-ordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-tages auf morgen, Donnerstag, den 29. November 2001,9 Uhr, ein.Ich wünsche Ihnen einen schönen Restabend.Die Sitzung ist geschlossen.