Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie alle herzlich zu den Haushaltsberatungendes Deutschen Bundestages.Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ichdem Kollegen Dr. Herbert Schui zu seinem 70. Ge-burtstag gratulieren, den er am vergangenen Wochen-ende begangen hat.
Herr Kollege Schui, im Namen des ganzen Hauses auchfür die nächsten 70 Jahre alle guten Wünsche!Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte I a und b auf:a) Zweite Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für dasHaushaltsjahr 2010
– Drucksachen 17/200, 17/201 –Redeb) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-haltsausschusses zu der Unterrich-tung durch die BundesregierungFinanzplan des Bundes 2009 bis 2013– Drucksachen 16/13601, 17/626 –Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BarthleCarsten Schneider
Otto FrickeRoland ClausAlexander BondeWir kommen zur Beratung der Einzelpläzunächst der drei Einzelpläne, zu denen keche vorgesehen ist.zungen 16. März 20100.00 UhrIch rufe den Tagesordnungspunkt I.1 auf:Einzelplan 01Bundespräsident und Bundespräsidialamt– Drucksachen 17/601, 17/623 –Berichterstattung:Abgeordnete Herbert FrankenhauserCarsten Schneider
Dr. h. c. Jürgen KoppelinDr. Dietmar BartschStephan KühnWer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschuss-fassung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Dann ist der Einzelplan 01 in der vom Haushaltsaus-schuss festgestellten Fassung angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.2 auf:Einzelplan 02Deutscher Bundestag– Drucksachen 17/602, 17/623 –Berichterstattung:Abgeordnete Bernhard Schulte-DrüggelteJohannes KahrstextDr. h. c. Jürgen KoppelinRoland ClausAlexander BondeWer stimmt für den Einzelplan 02 in der Ausschuss-fassung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Damit ist auch der Einzelplan 02 mit den Stimmen desHauses bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.3 auf:Einzelplan 03Bundesrat– Drucksachen 17/603, 17/623 –terstattung:rdnete Stefanie VogelsangBrandnerne, und zwarine Ausspra-BerichAbgeoKlausHeinz-Peter Haustein
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2586 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Dr. Dietmar BartschPriska Hinz
Wer stimmt für den Einzelplan 03 in der Ausschuss-fassung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Damit ist der Einzelplan 03 einstimmig angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.4 auf:a) Einzelplan 08Bundesministerium der Finanzen– Drucksachen 17/608, 17/623 –Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BrackmannCarsten Schneider
Otto FrickeDr. Gesine LötzschStephan Kühnb) Einzelplan 20Bundesrechnungshof– Drucksachen 17/623, 17/624 –Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BarthleCarsten Schneider
Otto FrickeRoland ClausAlexander BondeZum Einzelplan 08 liegt ein Änderungsantrag derFraktion Die Linke vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann können wir offenkundig so ver-fahren.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-nächst dem Kollegen Carsten Schneider für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Bundesminister Schäuble, wir freuen uns, dass Siewieder unter uns sind – herzlich willkommen – und dasswir heute die Gelegenheit haben, die Auseinanderset-zung über den Haushalt 2010 und die Folgejahre zu füh-ren. Sie sind mit vielen Vorschusslorbeeren – große Er-fahrung, Weitsicht, politisches Gewicht –
als Minister gestartet. Wenn ich den Haushaltsplan be-trachte, Herr Kauder, dann stelle ich fest: Sie haben denBundesminister im Regen stehen lassen.
In der derzeitigen Wirtschaftskrise, die immer noch kri-tisch ist, tun Sie nichts, um die Konsolidierung derStaatsfinanzen nach vorne zu bringen.
Im Ergebnis ist eine Nettokreditaufnahme von80 Milliarden Euro vorgesehen. Das ist die höchste Neu-verschuldung, die es je in der Bundesrepublik gegebenhat.
Das ist das Doppelte von dem, was einer Ihrer Vorgän-ger, Bundesminister Waigel, 1996 vorgesehen hatte. Esist richtig: Es hätte auch unter anderen Regierungen undanderen Konstellationen eine hohe Neuverschuldung indiesem Jahr gegeben.
Die Frage ist nur: Wäre sie auch so hoch, wenn es keinekorrigierte Haushaltsplanung aufgrund Ihrer Klientelge-schenke und der bewussten Wählermanipulation durchdie Zahlung von Spenden gäbe? Die Antwort ist: Nein.Das belegen zwei Zahlen. Unter der Großen Koalitionwaren im Haushalt von Peer Steinbrück 25,6 MilliardenEuro als Konjunkturkomponente vorgesehen. Heute liegtsie bei 13 Milliarden Euro. Das sind die Zahlen, die derMinister selbst vorgelegt hat. Im Gegensatz zum erstenRegierungsentwurf enthält der zweite Regierungsent-wurf, den Sie vorgelegt haben, aufgrund der verbesser-ten wirtschaftlichen Lage eine Entlastung von 10 Milli-arden Euro. Was haben Sie gemacht? Haben Sie dieNeuverschuldung um 10 Milliarden Euro gesenkt, oderhaben Sie Steuergeschenke an Ihre Klientel, an Hotels,an Erben und an Unternehmen verteilt? Letzteres habenSie getan, und das war der falsche Weg.
Es sind doch nicht die Opposition oder der Gewerk-schaftsbund, sondern es ist der BDI, der Ihnen ein ver-nichtendes Zeugnis ausstellt. Der Präsident des BDIspricht von Orientierungslosigkeit, und das in einer Zeit,in der es notwendig wäre, dass wir als größte Volkswirt-schaft die Führung in Europa übernehmen. Auch die in-ternational angesehene Zeitung Newsweek kommt zu ei-nem klaren Urteil und fragt: Wo ist Frau Merkel?Irgendwann wird in Deutschland nicht nur die Frage ge-stellt: Wo ist der Bundespräsident?, sondern die Bild-Zeitung wird auch fragen: Wo ist Frau Merkel? Hat sieüberhaupt eine Vorstellung davon, wie es in diesemLand weitergehen soll? Hat sie eine Vorstellung davon,wie viel Angst die Menschen vor Inflation haben, wieviel Angst sie davor haben, dass die Leistung, die derStaat derzeit noch erbringen kann, nicht mehr erreichtwerden kann?Wenn ich mir Ihre Antworten betrachte – der Haus-halt ist ja in Zahlen gegossene Politik, er ist das Schick-salsbuch der Nation –, dann muss ich sagen: Es siehtsehr düster aus. Was tun Sie? Sie legen einen Haushaltvor, der in maßgeblichen Bereichen Entlastungen auf-grund der Verbesserung der konjunkturellen Lage bein-haltet. Sie könnten die Neuverschuldung deutlich weitersenken. Wir als SPD haben das vorgesehen. Wir kom-men auf eine Neuverschuldung von 77 Milliarden Euro
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2587
Carsten Schneider
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und würden nach unseren Planungen dabei auch nochdie Investitionen stärken und internationale Zusagen er-füllen. Sie hingegen verteilen Geschenke an Ihre Wäh-lerklientel. Das hat nichts mit dem Gemeinwohl undnichts mit Stimulierung der Wirtschaft in einer schwieri-gen Lage zu tun.
Wir stehen vor einer Herkulesaufgabe. Bis 2016 wer-den die Zinsausgaben bei einem normalen Zinsniveau– derzeit haben wir ein historisch niedriges Zinsniveau –um 60 Prozent, von heute 37 Milliarden Euro auf über62 Milliarden Euro, steigen. Dafür haben Sie keine Vor-sorge getroffen. Sie haben keine Gegenfinanzierung.Das Einzige, was die FDP vorträgt, ist ihre Mär von derSteuersenkung, die angeblich Wachstum bringen soll.
Der Sachverständigenrat der Bundesregierung – demsollten Sie einmal zuhören – kommt zu dem Ergebnis,dass das, was im Koalitionsvertrag vorgelegt wurde, kei-nerlei Konsolidierungserfordernissen entspricht. Er führtaus, dass Steuersenkungen zwar eine kleine Wachstums-wirkung haben – wie groß sie ist, ist umstritten –, es aberkeine Stimulierung gibt und auch keine komplette Ge-genfinanzierung vorliegt. Was passieren wird, ist: Siewerden für die Reichen die Steuern senken, so wie Sie esim Wahlkampf versprochen haben, und bezahlen werdenes die Armen.
Wir sehen das schon heute im Haushalt. Was habenSie gemacht? Sie haben 900 Millionen Euro im Bereichder aktiven Arbeitsmarktpolitik faktisch eingespart.
Herr Westerwelle hat eine Debatte über Sozialhilfe bzw.Arbeitslosengeld II mit dem klaren Ziel der Stigmatisie-rung dieser Menschen, die nach Arbeit suchen, vomZaun gebrochen.
Und was ist das Ergebnis Ihrer Beratungen? 900 Millio-nen Euro – das sind über 10 Prozent der Mittel, die zurVerfügung stehen, um Arbeitslose wieder in den Arbeits-markt zu integrieren, um ihnen eine Chance zu geben –sperren Sie. Sie glauben doch nicht im Ernst, liebe Kol-legen von der Union, dass die FDP diese Mittel – siewollte sie früher immer halbieren – wieder freigebenwird.
Das wird nicht der Fall sein. Die Arbeitslosen in diesemLand werden für die Politik der CDU/CSU und der FDPbluten.Was Sie finanzpolitisch machen, ist eine Geisterfahrt;man kann das nicht anders nennen. Ihre Aufgabe wärees, den Leuten zu Beginn Ihrer Koalitionszeit reinenWein einzuschenken. Zum Glück haben wir in der letz-ten Legislaturperiode eine Schuldenbremse eingeführt,um die hohen öffentlichen Defizite zurückzuführen. Dasbedeutet, dass Sie ab 2011 jedes Jahr zwischen 10 und15 Milliarden Euro – das hängt von der Zinsentwicklungab – kumuliert zurückführen müssen. Ich halte das fürunabdingbar; das ist notwendig. Haben Sie in den letztenfünf Monaten irgendeine Antwort darauf gegeben, wieSie diese Herkulesaufgabe, die größte Aufgabe, vor derdiese Regierung und dieses Land stehen, bewältigenwollen? Nein.
Sie haben drei Gesetze gemacht. Eines nennen Sie„Wachstumsbeschleunigungsgesetz“. Das Gegenteil istder Fall: Es ist ein Klientelbeglückungsgesetz.
Sie haben ein Gesetz gemacht, das darauf zielt, die Um-satzsteuer noch unübersichtlicher zu regeln, sodass über-haupt keiner mehr durchblickt. Die FDP wollte immereine Vereinfachung; aber alles, was Sie bisher gemachthaben, verursacht mehr Bürokratie, verunsichert dieMenschen und sorgt für weniger Durchsicht.
Ein Gesetz, das Sie beschlossen haben, das Sozialver-sicherungs-Stabilisierungsgesetz, tragen wir in Teilenmit, im entscheidenden Teil aber nicht, nämlich da, woes um die sogenannte Kuhschwanzprämie geht. Das sinddrei Gesetze in fünf Monaten. Neue Subventionen fürBauern – das ist Ihre Priorität in diesem Land. So gehtdas nicht weiter.
Wenn wir sehen, wo Sie gekürzt haben, dann fragenwir uns schon, ob Sie wirtschaftspolitisch noch ganz beider Sache sind. Sie kürzen die Investitionen um400 Millionen Euro. Wenn wir bisher eine bessere wirt-schaftliche Entwicklung als prognostiziert hatten, dannliegt das an den Maßnahmen – eigentlich soll man sichja nicht selbst loben –, die wir in der vergangenen Regie-rungszeit beschlossen haben. Das kommunale Investi-tionsprogramm, die Abwrackprämie und die Stimuli imBereich der Bezieher von kleinen Einkommen habendazu geführt, dass die Wirtschaft nicht so stark abge-stürzt ist wie prognostiziert. Da besteht ein elementarerZusammenhang zu den Investitionen. Was Sie jetzt ma-chen, ist, genau das zu konterkarieren.
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2588 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Carsten Schneider
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Dafür gibt es Belege:Sie kürzen die Investitionen um 400 Millionen Euro.Ökonomisch großartig! Große Leistung! Das führt dazu,dass bei den Investitionen im Baubereich – Stichwort:Nachfrage – bis zu 1 Milliarde Euro an öffentlichen Mit-teln einschließlich Kofinanzierung fehlen wird.Sie kürzen die Verpflichtungsermächtigungen, undzwar auch für Aufgaben bzw. Aufträge der kommendenJahre, um 4 Milliarden Euro. Auch das wird aufgrundder Kofinanzierung dazu führen, dass bis zu 10 Milliar-den Euro zusätzlich verloren gehen. Ich frage mich: Le-sen Sie eigentlich den Wirtschaftsteil der Zeitung? Wis-sen Sie eigentlich, wie es um dieses Land bestellt ist?Wir sind in einer sehr kritischen Situation, und Sie ma-chen nichts weiter als eine wirtschaftspolitische und fi-nanzpolitische Geisterfahrt. Ich finde, das ist nicht hin-nehmbar.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben auf vielen internati-onalen Gipfeln große Versprechen gemacht. Für die Ent-wicklungshilfe – Stichwort: ODA-Mittel – wollten Sie –das haben Sie schon 2006 und später in vielen Sonntags-reden immer wieder gesagt – 0,51 Prozent vom Bruttoin-landsprodukt ausgeben. Ich habe von Ihnen bisher nochkein einziges Wort dazu gehört, dass Sie den Ansatz desJahres 2009 halten. Wir hätten eine Steigerung um meh-rere Milliarden Euro gebraucht, um die gemachten Zusa-gen einzuhalten. Ich habe nicht gehört, was Sie dazu sa-gen. Kein Wort!Im Bereich Klimaschutz haben Sie in Kopenhageneine feste Zusage gemacht. 2010 wollten Sie dafür420 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Was steht imHaushalt? 70 Millionen Euro! Frau Bundeskanzlerin, icherwarte, dass Sie dazu einmal klar Stellung nehmen, dassSie klar sagen: „Wir können uns das nicht mehr leisten“oder etwas anderes.
Aber einfach abzutauchen, so zu tun, als würden dieseZusagen nicht existieren, sich davor zu drücken, das isteiner Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschlandnicht würdig.Was macht der Bundesfinanzminister in dieser Situa-tion? Er beginnt eine Debatte über einen europäischenWährungsfonds. Zur Frage der StaatsfinanzierungGriechenlands gab es gestern ein Treffen. Die Erkennt-nisse dazu sind bisher rudimentär. Ich würde Sie bitten,Herr Bundesminister Schäuble, dass Sie dem DeutschenBundestag und der deutschen Öffentlichkeit klar sagen,was dort gestern besprochen wurde und was aufDeutschland zukommt. Müssen wir für Griechenlandbürgen? Müssen wir Kredite für Griechenland absi-chern? Gehen wir da selbst ins Risiko, oder ist die ableh-nende Haltung, die die FDP immer wieder vorgetragenhat, die maßgebliche in der Bundesregierung? Ich hättedarüber gern Klarheit.
Dreimal haben wir dieses Thema im Haushaltsausschussangesprochen. Nichts ist uns dazu berichtet worden.Doch es treibt die Menschen um.
Wir wollen wissen: Ist der Euro sicher? Ist er stabil?Welche Antwort geben Sie darauf? Warum werfen Sieals Nebelkerze die Idee eines europäischen Währungs-fonds in den Raum, der in den nächsten 10 bis 20 Jahrenniemals Realität werden wird, wenn Sie nicht einmalheute erklären können, was Sache ist?
Wenn Sie fragen, welches Instrument es sonst gibt,kann ich Ihnen klar antworten. Es gibt bereits ein Instru-ment: den Internationalen Währungsfonds. Er ist ge-nau dafür da. Die Etats wurden erhöht, um zusätzlicheingreifen zu können. Wir sehen in Ungarn und im Balti-kum, dass es funktioniert.
Ich frage mich: Warum nutzen Sie dieses Instrumentnicht auch hier, sondern verschlechtern mit Zusagen dieRefinanzierungssituation Deutschlands?Wir haben ein sehr gutes Rating; wir stehen noch sehrgut da. Wir nehmen pro Jahr Kredite in Höhe von350 Milliarden Euro auf. Da ist jeder Zehntelprozent-punkt, den wir mehr bezahlen müssen, entscheidend.Fragen Sie sich doch mal eines: Wenn Sie nicht mehr nurden Bund, sondern auch noch Griechenland und alle an-deren möglichen Länder mit betrachten, meinen Sie, eswird dann teurer oder billiger für den Bund? Die Refi-nanzierung würde teurer werden. Deswegen sage ich:Vorsicht an der Bahnsteigkante. Über die europäischenVerträge und die Sanktionsmechanismen kann und mussman reden. Man sollte aber nichts verschleiern, mansollte nicht Mittel geben, ohne dies der deutschen Öf-fentlichkeit zu sagen. Ich möchte Sie bitten, an dieserStelle für Klarheit zu sorgen.
Wir als Opposition kritisieren vor allen Dingen, dassSie im Haushalt 2010 nicht sparen. Sie tun nur so. Ichnenne Ihnen ein Beispiel: das Rüstungsprojekt A400M,ein Transportflugzeug. Auch darüber haben wir immerwieder Auskunft verlangt; aber sie ist bisher nicht gege-ben worden. Dieses Projekt wird teurer. Das hat MinisterGuttenberg gesagt. Für die gleichen Stückzahlen müssenwir nun mehr zahlen. Das führt dazu, dass sich der Preisfür die Flugzeuge erhöht. In einem privatwirtschaftli-chen Unternehmen ist so etwas natürlich sehr spannend.Stellen Sie sich das einmal vor: Sie haben einen Vertragmit jemandem geschlossen, der dann vier Jahre späterliefert, und Sie müssen dann auch noch mehr zahlen, alsim Vertrag vereinbart ist, aber bekommen dafür nichtmehr. Das ist finanzpolitisch großartig. Ich finde, Sie ge-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2589
Carsten Schneider
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hen mit den Steuergeldern der Deutschen exzellent um.Anders als mit Ironie kann man das wirklich nicht stra-fen.Der Höhepunkt ist, dass Sie sagen, Sie würden an die-ser Stelle 100 Millionen Euro im Haushalt sparen. Siewissen, dass Sie mehr ausgeben müssen. Der Staats-sekretär sagt, dass Sie 350 Millionen Euro in diesemJahr zahlen müssen, und Sie kürzen um 100 MillionenEuro. Was ist das? Das ist keine Kürzung; denn Sie wer-den diese 350 Millionen Euro zahlen müssen. Das isteine Fata Morgana.
Zum Schluss möchte ich diese Situation mit dem Startder letzten schwarz-gelben Regierung vergleichen. Siehat ihren ersten Haushalt am 16. Dezember 1982 inzweiter und dritter Lesung beschlossen. Am Tag danachstellte der damalige Bundeskanzler Kohl im DeutschenBundestag die Vertrauensfrage nach Art. 68 Grundge-setz, und das Parlament sprach ihm das Misstrauen aus.Frau Merkel, ich hätte nichts dagegen, wenn auch Siedas morgen tun würden. Diese Koalition hat abgewirt-schaftet, bevor sie richtig begonnen hat.
Das Misstrauen in der Koalition ist mit Händen zu grei-fen. Die Bürgerinnen und Bürger haben kein Vertrauenmehr zu dieser Chaostruppe des permanenten Selbstwi-derspruchs. Dieses Land hat eine bessere Regierung ver-dient. Ich sage Ihnen: Meine Stimme hätten Sie morgennicht.
Norbert Barthle ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Nach dieser heute ersten, von Polemik geprägtenRede des haushaltspolitischen Sprechers der SPD,
der ganz offensichtlich aufgrund des Wahlschocks diehaushälterischen Grundregeln vergessen und sich von al-lem verabschiedet hat, was er noch bis zum letzten Jahrmitgetragen hat, möchte ich jetzt etwas zu dem Haushaltsagen, den wir, die christlich-liberale Koalition, nachlangen, teilweise langwierigen und auch anstrengendenBeratungen zur zweiten und dritten Lesung vorlegen.Ich will gleich an dieser Stelle betonen, dass die Zu-sammenarbeit innerhalb dieser christlich-liberalenKoalition
ausgesprochen konstruktiv
und harmonisch verlief – von Streit keine Spur.
In den Haushaltsberatungen ist es uns gelungen, dafürzu sorgen, dass wir heute ein Gesamtkunstwerk vorle-gen,
das zwei sich teilweise widersprechenden Zielsetzungengerecht werden soll und auch gerecht wird.
Schon deshalb kann man zu Recht von einem Kunstwerksprechen.
Dieser Haushalt ist der Bekämpfung der Wirtschafts-und Finanzkrise gewidmet. Unser Land sicher durchdiese Krise zu führen, das ist und bleibt für die christ-lich-liberale Regierung oberste Priorität. Mit demWachstumsbeschleunigungsgesetz und dem Sozialversi-cherungs-Stabilisierungsgesetz hat diese RegierungHandlungsfähigkeit bewiesen.
Wir werden die Bürgerinnen und Bürger bzw. die Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer allein im Jahr 2010 umrund 20 Milliarden Euro entlasten.
Wir haben damit weitere Wachstumsimpulse gesetzt undzur Stabilisierung des Arbeitsmarktes beigetragen.
Die Einzelteile, die Sie von der Opposition herausgrei-fen und hier vortragen, haben an dieser wirklich sehens-werten Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer nur einen marginalen Anteil.
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2590 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Norbert Barthle
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Natürlich schlagen sich die Anstrengungen zur Be-kämpfung dieser Krise in einer für viele, auch für mich,erschreckend hohen Nettokreditaufnahme in Höhe von80,2 Milliarden Euro nieder; das ist unbestritten.
Wir nehmen zur Bekämpfung dieser Krise eine Verlet-zung der Maastricht-Kriterien in Kauf, liegen mit einerDefizitquote von rund 5,5 Prozent aber immer nochdeutlich besser als viele mit Deutschland vergleichbareStaaten um uns herum,
und das nur, weil wir vor der Krise gesamtstaatlich na-hezu ausgeglichene Haushalte hatten.Die zweite Zielsetzung, der wir gerecht werden, istder Kurswechsel hin zur Konsolidierung des Haus-halts.
Deshalb haben wir die von Finanzminister Schäubleschon eingeleitete Absenkung der Nettokreditaufnahmegegenüber dem Entwurf von Herrn Steinbrück
intensiv fortgesetzt
und die Ausgaben – ich betone: die Ausgaben – um5,6 Milliarden Euro reduziert.
– Herr Kollege, eine ähnlich hohe Absenkung der Netto-kreditaufnahme gegenüber dem Regierungsentwurf gabes zuletzt 1995,
und zwar in einer christlich-liberalen Koalition unterHelmut Kohl.
Diese Koalition zeigt, dass sie in der Lage ist, zu sparen.
Wenn Sie mich fragen, wie das zustande kam, dannwill ich das gerne erklären.
Wir haben die sogenannten Schätzansätze abgesenkt– das betrifft den Zuschuss an die Bundesagentur für Ar-beit und die Zinsaufwendungen –, weil sich der Arbeits-markt positiver als noch im Dezember letzten Jahres er-wartet entwickelt hat. Wir fahren mit diesem Haushaltsozusagen einen Teil der Ernte unserer guten Politik ein.
Aber wir bleiben an dieser Stelle nicht stehen. Wir ha-ben mehr als 300 Änderungsanträge vorgelegt undzusätzliche Einsparungen durchgesetzt. Bei den Ver-waltungs- und Personalkosten der Bundesregierungwerden wir rund 500 Millionen Euro einsparen. Die Res-sorts werden diese Leistung durch eine effizientere Be-wirtschaftung erbringen müssen. Statt auf Staatskonsumsetzen wir auf Investitionen und auf Zukunftspro-gramme.
Darüber hinaus haben wir für das Haushaltsjahr 2010wieder eine pauschale Stelleneinsparung in Höhe von1 Prozent in den Haushaltsentwurf aufgenommen.
Wir gewährleisten eine Gleichbehandlung aller Berei-che, indem wir die 0,4-prozentige Stelleneinsparung, dieim Entwurf schon vorgesehen war, ebenfalls fortschrei-ben. Damit, meine Damen und Herren, werden bruttoinsgesamt 2 600 Stellen eingespart. Das ist eine beachtli-che Größenordnung.
Leider ist der Großteil der Mittel des Haushalts vor-gebunden. Trotzdem haben wir im sogenannten dispo-niblen Bereich, also überall dort, wo Bewegungsspiel-räume vorhanden sind, Kürzungen vorgenommen. Aberwir sind nicht mit dem Rasenmäher vorgegangen, son-dern haben uns alle Einzelpläne gesondert angeschautund uns große Mühe gemacht, um herauszufinden, wel-che einzelnen Ausgabenposten im Detail zu kürzen sind.
Das war beschwerlich, hat sich aber im Ergebnis ge-lohnt. So trägt dieser Haushalt die klare Handschrift derchristlich-liberalen Koalition.
Das ist gut für dieses Land.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2591
Norbert Barthle
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Wenn ich mir die Änderungsanträge der Oppositions-parteien anschaue, muss ich leider feststellen: Eine klareLinie kann man nicht erkennen. Im Gegenteil: SPD,Grüne, Linke legen Änderungsanträge vor, die nur denZweck haben, die eigene Klientel zu bedienen.
Das ist, mit Verlaub, zu kurz gesprungen.
Der Kollege Schneider hat beklagt, dass wir nichteine um 10 Milliarden Euro niedrigere NKA aufweisen.Schauen wir uns an, was die Änderungsanträge der SPDunter dem Strich bedeuten: Sie wollen die NKA um1,3 Milliarden Euro absenken – nicht um 10 MilliardenEuro –, und dies nur, indem sie die Schätzansätze imEinzelplan 32 und im Einzelplan 60, also dort, wo esvorwiegend um Zinsbelastungen geht, schärfer kalkulie-ren als wir. Wir haben dort bewusst nicht so scharf kal-kuliert. Wir hätten schärfer kalkulieren können, wir hät-ten die Nettokreditaufnahme unter 80 Milliarden Eurodrücken können; aber wir haben bewusst Puffer gelas-sen, um in den sozialen Bereichen auf der sicheren Seitezu sein: dass wir über das Jahr hinweg sicherstellen kön-nen, dass das Geld, das in diesen Bereichen notwendigist, auch zur Verfügung steht. Das ist im Sinne der Bür-gerinnen und Bürger dieses Landes.
Wir als christlich-liberale Koalition wollen und wer-den die Schuldenbremse einhalten, wir werden auch dieMaastricht-Kriterien wieder einhalten; das ist unsereZielsetzung. Deshalb muss man darangehen, die Vorbin-dungen für die künftigen Haushalte entsprechend zureduzieren. Das war der Grund, weshalb wir in einemersten Schritt bei den Verpflichtungsermächtigungenab einer Höhe von 10 Millionen Euro eine 10-prozentigeKürzung bzw. Sperre vorgesehen haben. Dabei habenwir zum Beispiel für Baumaßnahmen eine sachgerechteAusnahme gemacht. Bei allen Sparanstrengungen, diewir unternommen haben, haben wir schon immer denBlick in die Zukunft gerichtet.Die Investitionsquote dieses Haushalts, lieber Kol-lege Schneider, beträgt 8,9 Prozent. Wir liegen bei denInvestitionen um über 1 Milliarde Euro höher als 2009.Wir liegen bei der Investitionsquote besser oder zumin-dest ähnlich wie in den vergangenen Jahren. Schauen Siesich die Zahlen an; dann werden Sie mir das bestätigenkönnen.Wir haben neue politische Aufgaben umgesetzt unddennoch die Nettokreditaufnahme absenken können. Zudiesen neuen Verpflichtungen gehören zum Beispiel dieZusagen im Zusammenhang mit der Afghanistankonfe-renz, die wir mit immerhin 436 Millionen Euro abgebil-det haben. Dies umfasst neue, zusätzliche Aufgaben fürunsere Soldaten und Soldatinnen.Auch die Finanzierung des Fast-Start-Programms istberücksichtigt. Zusätzlich zu den schon im Entwurf ein-gepreisten Mitteln in Höhe von 350 Millionen Euro wer-den weitere 70 Millionen Euro bereitgestellt. Auch fürdie Haiti-Konferenz Ende März haben wir haushalts-technisch bereits Vorsorge getroffen. Darüber hinaus fin-den Sie in diesem Haushalt zusätzliche Impulse. ZumBeispiel führen wir das CO2-Gebäudesanierungspro-gramm, das sich bewährt hat, nahtlos weiter, indem wir400 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen.Im 20. Jubiläumsjahr der friedlichen Revolution unddes Mauerfalls dürfen die Folgen der SED-Diktatur nichtverharmlost oder gar vergessen werden. Deshalb stellenwir für die Rekonstruktion von Stasi-Unterlagen und fürdie Gedenkstätten mehr Mittel zur Verfügung.Lassen Sie mich noch einen Satz sagen zu der wirk-lich falschen, unrichtigen Aussage, wir hätten bei denEingliederungsmaßnahmen gekürzt. Das Gegenteil istder Fall. Für diesen Bereich sind 6,6 Milliarden Euroveranschlagt. 600 Millionen Euro davon bleiben vorläu-fig gesperrt. Weitere 300 Millionen Euro sind bei denVerwaltungskosten vorläufig gesperrt. Diese Sperrekann sofort aufgehoben werden, wenn die Ministerin– das wird sie sicherlich alsbald tun – ein Konzept vor-legt, wie dieses Geld zielsicher, zielgenau, ökonomischeffizient eingesetzt werden soll. Dann stehen 900 Millio-nen Euro mehr zur Verfügung, als im vergangenen Jahrnotwendig waren. Das ist alles andere als eine Kürzung.Ich muss Ihnen den Vorwurf machen, dass Sie hier be-wusst die Unwahrheit behaupten.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Ende. Wirwerden in dieser Woche nicht den Haushalt 2011 undnicht den Haushalt 2012 beraten, sondern den Haushalt2010. Nach dieser Beratung bitte ich um Ihre Zustim-mung.Herzlichen Dank.
Das Wort erhält nun die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch
für die Fraktion Die Linke.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! In einem Satz kann man den Bun-deshaushalt so zusammenfassen: Er ist gut für Spekulan-ten und schlecht für Arbeitslose.
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2592 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Dr. Gesine Lötzsch
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Noch im letzten Jahr hat die FDP ihr gelbes Sparbuchin jede Fernsehkamera gehalten. Jetzt ist das gelbe Spar-buch wie vom Erdboden verschluckt.
Fast in jedem Ministerium wollte die FDP ein paarStaatssekretäre einsparen. Nichts davon ist passiert.Stattdessen ist die FDP dadurch aufgefallen, dass sie al-ten Freunden im Außenministerium und im Entwick-lungshilfeministerium einen neuen Arbeitsplatz vermit-telt hat. Sieht so liberales Sparen aus?
Unsere Hauptkritik an diesem Haushalt besteht darin,dass die Bundesregierung es nicht für nötig hielt, dieVerursacher der Finanz- und Wirtschaftskrise an denKosten der Krise zu beteiligen. Das ist ungerecht, unddas können die Menschen nicht akzeptieren.
Immer wieder haben wir von der Bundeskanzlerin,Frau Merkel, kritische Worte über die Banken gehört.Schon 2008 sollten die Verantwortlichen für die Finanz-krise zur Verantwortung gezogen werden. Nichts ist pas-siert. Im Bundestagswahlkampf war die Kanzlerin sogarfür eine Transaktionsteuer. Wieder ist nichts passiert. ImNovember 2009 sagte Frau Merkel – ich zitiere –:Wir sind mit dem Heraustreten aus der akuten Formder Krise in einer Phase, wo manch einer imFinanzsektor schon wieder, wie ich finde, eineziemlich große Lippe riskiert.Frau Merkel hat aber nichts getan, außer diese Lippe zukritisieren. Als die Spekulanten gegen die griechischeVolkswirtschaft wetteten, wollte der Finanzminister dieLeerverkäufe verbieten. Doch wieder ist nichts passiert.Ich finde, die Bundesregierung muss die Finanzwirt-schaft mit eindeutigen Gesetzesinitiativen in die Schran-ken weisen. Das ist das Gebot der Stunde.
Die Linke hat einen Antrag für eine Bankenabgabe inden Bundestag eingebracht, wie sie auch Präsident Ob-ama in den USA plant. Bisher habe ich nur vernommen,dass der Finanzminister über eine solche Abgabe nach-denkt. Ich denke, die Regierung muss endlich handeln.Die Entlastung von Hotels und Großerben ging dochauch ganz schnell.
Ich will hier ausdrücklich betonen, dass wir als Linkein den Haushaltsdebatten im Plenum und in den Aus-schüssen sehr viele Vorschläge zur Stärkung der Einnah-men gemacht haben. Allerdings wurden alle diese Vor-schläge zur Stärkung der Einnahmen von der Koalitionabgelehnt.
CDU/CSU und FDP feiern als größten Erfolg derHaushaltsberatungen Kürzungen von 3 Milliarden Eurobei der Bundesanstalt für Arbeit. Um es ganz deutlichzu sagen: Damit werden Westerwelles Pöbeleien gegenArbeitslose in diesem Haushalt schon in Zahlen gegos-sen.
Wofür braucht die FDP auch eine aktive Arbeits-marktpolitik zur Qualifizierung von Arbeitslosen, wenndie FDP der Meinung ist, dass die Arbeitslosen nur eineSchippe oder einen Besen in die Hand zu nehmen brau-chen, um die Straßen sauber zu halten? Nein, meine Da-men und Herren, so können Sie das Vertrauen der Men-schen in diesem Land nicht gewinnen.
Wir als Linke haben darauf bestanden, dass im Haus-halt Vorsorge getroffen wird, um das Urteil des Bundes-verfassungsgerichtes zu den Hartz-IV-Regelsätzen um-setzen zu können. Auch dieser Vorschlag wurde vonSchwarz-Gelb abgelehnt. Offensichtlich wollen Sie esmit einem Trick versuchen: Sie wollen eventuell höhereHartz-IV-Sätze für Kinder aus der Portokasse bezahlen,oder – was noch gefährlicher ist – diese Regierung willdie Mehrausgaben für Kinder bei den Erwachsenen wie-der kürzen. Das ist mit uns nicht zu machen; denn wirteilen die Auffassung aller Experten, dass die Hartz-IV-Regelsätze deutlich zu gering sind. Wir brauchen eineErhöhung, und wir fordern Sie auf, unserem Antrag dazuin der nächsten Runde zuzustimmen.
Häufig hören wir von der rechten Seite des Hausesden Vorwurf, dass eine Erhöhung des Arbeitslosengeldesnur dazu führen würde, dass es sich Menschen in der Ar-beitslosigkeit bequem machen. Ich sage Ihnen aus mei-ner Lebenserfahrung: Dieser Vorwurf ist zynisch. DieMehrheit der Arbeitslosen will arbeiten, und sie kannmit dieser Demütigung nur schwer umgehen.Dieser Zynismus führt zu einer gefährlichen Resigna-tion, aber auch zu Aggressionen bei Betroffenen. Daskann im Sinne des Zusammenhaltes der Gesellschaftnicht angestrebt werden. Wir brauchen endlich ein ge-rechtes System der sozialen Mindestsicherung. Dafürsetzt sich die Linke ein, und das wird sie auch in Zukunfttun, bis wir das erreicht haben.
Der entscheidende Grund, Kollege Westerwelle, wa-rum Sie die Debatte über die Hartz-IV-Empfänger ange-zettelt haben, ist doch nicht, dass Sie sich Sorgen um diealleinerziehende Kellnerin machen, die Sie immer alsBeispiel genannt haben, sondern dass Ihre Freunde Ih-nen gesagt haben: Sorg mal dafür, dass nicht mehr überdie Verursacher der Bankenkrise geredet wird. – DiesesManöver haben wir durchschaut. Wir finden: Die Verur-sacher der Bankenkrise müssen zur Kasse gebeten wer-den, und Pöbeleien gegen Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger müssen vom gesamten Deutschen Bundestagdeutlich und entschieden zurückgewiesen werden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2593
Dr. Gesine Lötzsch
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Natürlich sieht der vorgelegte Haushaltsentwurf, derjetzt beschlossen werden soll, anders aus als der einge-brachte Haushaltsentwurf. Ich darf Sie aber darauf hin-weisen, dass nicht jede Kürzung eine echte Kürzung ist.Schauen wir uns einmal den Einzelplan 14 – Verteidi-gung – an, der morgen ausführlich diskutiert werdenwird. In diesem Einzelplan haben die Regierungsfraktio-nen ein bisschen gekürzt. Das hört sich gut an, ist abereine Nebelkerze. Denn schon jetzt ist klar, dass am Endedes Jahres zusätzliche Kosten entstehen werden. DieBundesregierung hat sich ja verpflichtet, weiterhin Geldin den Militärtransporter A400M zu pumpen. DiesenMilitärtransporter braucht niemand, und wir haben auchkeine Lust mehr, uns von EADS erpressen zu lassen.
Wir haben einen ganz anderen Haushaltsansatz: Wenndie Politik richtig ist, dann stimmt auch der Haushalt.Ausgangspunkt unserer Politik ist, dass Menschen vonihrer Arbeit leben können müssen. Dazu brauchen wirendlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindest-lohn.
Dieser würde dafür sorgen, dass Menschen in Würde le-ben können, und außerdem würde er – nach derzeitigemStand – den Bundeshaushalt um mindestens 10 Milliar-den Euro entlasten. Wenn das nicht ein doppelter Nutzenist! Wir von der Linken haben Anträge gestellt, die vonder Mehrheit der Bevölkerung getragen werden. WennSie unseren Anträgen zustimmen, dann handeln Sie imSinne der Mehrheit.Vielen Dank.
Otto Fricke erhält nun das Wort für die FDP-Fraktion.
Geschätzter Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen
und Kollegen! Frau Kollegin Lötzsch, das war vielleicht
eine schöne Parteitagsrede – die brauchen Sie auch noch –,
aber das war keine Haushaltsrede.
In die Richtung der SPD möchte ich sagen: Es ist schön,
was man nicht nur im Plenum, sondern auch an anderer
Stelle alles an Attacken und Schuldzuweisungen erleben
muss.
Herr Kollege Schneider, Ihr Beitrag hat mich über-
rascht und ein wenig enttäuscht. Bleiben Sie bei den
Fakten; bleiben Sie bei den Zahlen! Versuchen Sie nicht
immer irgendwelche Interpretationen.
Ich habe manchmal das Gefühl, dass, sobald der Früh-
ling kommt, gesagt wird: Das ist der böse Klimawandel,
und schuld daran ist die Bundesregierung. – Ungefähr
auf diesem Level bewegt sich im Moment Ihre Argu-
mentation.
Ich würde an Ihrer Stelle etwas leiser sein, sonst könnte
Ihnen noch der Vorwurf gemacht werden – das fände ich
allerdings falsch –, Sie wären rechthaberische Schrei-
hälse. An Ihrer Stelle wäre ich da ganz vorsichtig.
Analysieren wir das Ganze doch einmal.
Wir haben – das muss für die Bürger draußen klar
sein – eine Rekordverschuldung, ohne jede Frage. Alle
von denen, die jetzt hier sitzen, hätten diese Rekordver-
schuldung ebenfalls gemacht, ob nun in dieser oder in ei-
ner anderen Weise. Das sollte man doch wenigstens an-
erkennen. Auch die SPD sollte zugeben: Wie war das
eigentlich mit dem Entwurf von Peer Steinbrück? Wie
hoch war der denn? Dies sollte man sich einmal unab-
hängig von der Frage, ob er richtig oder falsch war, vor-
legen. Man sollte einfach sehen: Von wo kommen wir?
Der Kollege Schneider sagte, wir hätten das Geld nur so
rausgepulvert und es sei ganz schlimm, was wir gemacht
hätten.
Kann man in Bezug auf das Kindergeld denn vom Raus-
pulvern sprechen? Ist das für Sie etwa Klientelpolitik?
Für uns ist das Zukunftspolitik. Das ist es, was wir ge-
macht haben.
Herr Kollege Schneider, Sie sagen: Steuersenkungen
sind falsch. – Ist es nicht so, dass das Bürgerentlas-
tungsgesetz eine wesentliche Steuerreform – übrigens
auch aufgrund des Bundesverfassungsgerichtsurteils –
und eine wesentliche Steuersenkung ist, die zum 1. Ja-
nuar dieses Jahres in Kraft getreten ist? Haben Sie diese
nicht mitbeschlossen? Bleiben Sie bei den Fakten! Und
erst dann kommen Sie mit Rückschlüssen! Versuchen
Sie aber nicht, die Fakten zu verdrehen, um unsere Haus-
haltspolitik falsch darzustellen.
Herr Kollege Fricke, lassen Sie Zwischenfragen zu?
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2594 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
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Es kommt natürlich darauf an, von wem. Wenn es
aber die Kollegin Hagedorn sein sollte, dann würde ich
das natürlich tun.
Da sind Sie ja relativ nah an der Interessenlage. –
Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Kollege Fricke, Sie haben gerade den zweiten
Regierungsentwurf – von Minister Schäuble – mit dem
ersten Regierungsentwurf der Großen Koalition – von
Peer Steinbrück – aus dem Sommer verglichen und die-
sen in einen Zusammenhang mit dem Haushalt gestellt,
den Sie am Ende dieser Woche beschließen sollen.
Ich habe eine Frage zu dem Vergleich mit der Netto-
kreditaufnahme, den Sie gezogen haben. Geben Sie mir
recht, dass ein wesentlicher Unterschied dieser Haus-
halte darin besteht, dass im Sommer im Steinbrück-Ent-
wurf noch von 4,6 Millionen Arbeitslosen ausgegangen
worden ist und werden musste – das ergab sich aus den
Prognosen –, dass im Schäuble-Entwurf von 4,1 Millio-
nen Arbeitslosen ausgegangen wird und dass am Ende
dieser Woche als neue Berechnungsgrundlage für den
Haushalt von 3,7 Millionen Arbeitslosen auszugehen
ist?
Geben Sie mir auch recht, dass diese Differenz von
900 000 Arbeitslosen –
– weniger –, die das Ergebnis der hervorragenden Ar-
beitsmarktpolitik der Großen Koalition ist – das ist si-
cherlich nicht dieser Koalition zu verdanken; das können
Sie sich nicht an den Hut stecken –, automatisch, ohne
dass Sie irgendwo anders sparen müssen, allein im Be-
reich des Haushaltes für Arbeit und Soziales zu Einspa-
rungen von über 10 Milliarden Euro führen wird? Denn
900 000 Arbeitslose kosten schlicht weniger Geld, und
zwar an vielen verschiedenen Haushaltsstellen. Kollege
Fricke, geben Sie mir recht, dass das der Unterschied
zwischen den beiden Haushaltsentwürfen ist?
Das scheint eher eine Rede für die SPD-Fraktion ge-wesen zu sein, aber trotzdem: Ja, ich gebe Ihnen recht,und ich bin froh darüber,
dass wir so viele Arbeitslose weniger haben. Ich binauch froh darüber, dass das ein Teil der Ergebnisse derAgenda 2010 ist. Umso mehr bin ich darüber enttäuscht,dass trotz dieser guten Zahlen
die SPD jetzt verkündet: Wisst ihr, was? Die Agenda2010 ist uns egal; die 900 000 Arbeitslosen weniger sinduns egal. Wir machen das jetzt alles wieder rückgängig.
Was die Zahlen angeht, sage ich Ihnen unumwunden,Frau Kollegin Hagedorn: Es ist völlig richtig, dass einTeil der verbesserten Haushaltszahlen und auch ein we-sentlicher Teil des Rekordabbaus im Entwurf des Minis-ters Schäuble im Vergleich zu dem, was wir im Haus-haltsausschuss beschlossen haben, darauf zurückgeht,dass sich die wirtschaftliche Situation nicht so schlechtdarstellt, wie es beim Steinbrück-Entwurf und beimSchäuble-Entwurf der Fall war. Es geht aber nicht alleindarum, das darzustellen, Frau Kollegin Hagedorn; dieFrage ist doch, was man daraus macht.
Wir haben etwas daraus gemacht.
Noch eine Bemerkung zur SPD: Eine neue Brille ver-schafft einem nicht unbedingt einen neuen Durchblick,Kollege Steinmeier. Es zeigen sich allenfalls neue Zah-len, aber das war es dann auch für die SPD.
Was haben wir in diesem Haushalt des Übergangesgemacht? Wir haben die ersten Schritte unternommen.Wir haben vorsichtig angefangen, dort zu sparen, wo esmöglich war. Wir haben aber auch darauf geachtet, dasswir das zarte Pflänzlein, das gerade durch die Schneede-cke kommt, nicht aufs Neue belasten dürfen.Wir müssen sehen, dass wir an einem Punkt sind, wosich die Frage stellt: Was machen wir in Zukunft inDeutschland? Wo sind die großen Märkte, und wohinwird sich die Wirtschaft entwickeln? Da kann man keinenneuen Arbeitsmarkt bilden und versuchen, 200 000 Men-schen fiktiv in Arbeit zu bringen; vielmehr muss mansich fragen, wohin sich die Wirtschaft entwickelt undwie wir den Menschen helfen können.Dabei sind die Zahlen jedenfalls schon ein bisschenbesser. Wir haben eine Zunahme der Auftragseingängeund eine Steigerung der Kapazitätsauslastung zu ver-zeichnen. Wir haben – so sehe ich das jedenfalls – eineEntwicklung, die zeigt: Die Bodenbildung ist da. Jetztmüssen wir nach oben kommen. Die Frage ist, wie mannach oben kommt. Das geht nicht nach dem Motto „Vor-wärts, indem wir zurück in die Vergangenheit gehen“,sondern wir müssen nach möglichen Ansätzen suchen,um die Wirtschaft zu stabilisieren, zu motivieren und dazu helfen, wo sie entsprechende Hilfe braucht.Was haben wir gemacht? Frau Kollegin Lötzsch, Siehaben gefragt: Was ist mit dem Sparbuch?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2595
Otto Fricke
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Unser Sparbuch ist der Haushalt 2010 in seinem erstenAnsatz. Jetzt werden Sie sagen – –
– Das war klar. Das ist typisch Opposition.
Dazu sage ich denen, die nicht im Haushaltsausschusswaren, und der Bevölkerung draußen: Als wir die Berei-nigungssitzung durchgeführt haben, haben wir nochziemlich viele Anträge eingebracht. Insgesamt waren es310 Sparanträge. Wie hat denn die Opposition Donners-tagnacht reagiert? Wie, ihr macht Anträge? Wie, ihrspart? – Ich gebe zu, dass sie nicht ganz dem entspre-chen, was wir im Sparbuch vorgesehen haben, aber sehrviel stimmt überein.
Es waren 310 Kürzungsanträge. Das heißt, der Gedankedes Liberalen Sparbuchs lebt im Haushalt 2010 fort. Dakönnen Sie machen, was Sie wollen.
Das Allerbeste ist meiner Meinung nach, dass die Op-position heute in der Haushaltsdebatte sagt: Ihr habt jagar nicht gespart. Das ist euch ja alles nur zugeflogen. –Dazu will ich Sie fragen: Wie war das denn in der Zeitder Großen Koalition? – Entschuldigung, liebe Kollegin-nen und Kollegen von der CDU/CSU, aber das lag nichtan Ihnen. – Wie war das denn, wenn Peer Steinbrück, derdort hinten so schön in der Sonne sitzt, sagte: „Ich willmehr sparen“ und es der Wirtschaft besser ging? In je-dem Jahr, in dem die wirtschaftliche Entwicklung besserwurde, wurden zwischen Entwurf und Beschluss dieAusgaben erhöht, weil immer wieder neue Wünsche ka-men. Das war die Methode der Großen Koalition.
Ich bitte um Entschuldigung, dass ich das noch einmalsagen muss. Es ist aber doch so, dass wir das nicht ge-macht haben. Wir haben nicht wie Sie jedes Mal besserewirtschaftliche Zeiten dazu genutzt, um neue Ausgaben-programme aufzulegen.
Der zweite Punkt, der mich bei der Opposition maß-los ärgert – das sage ich auch für die Zuhörer und Zu-schauer –: Sie erleben jetzt eine Debatte, in der dieHaushälter der glorreichen Opposition uns vorwerfen:Ihr habt nicht gespart! Dann wird es den ganzen Rest derWoche Debatten geben, in denen die Fachpolitiker der-selben Opposition fragen: Wie konntet ihr da sparen? Esist unverantwortlich, genau in diesem Haushalt zu spa-ren.
Diese Widersprüche werden wir in dieser Woche erle-ben. Ich bin gespannt, ob wir dann am Freitag in derSchlussrunde wieder genau das Gegenteil hören. Waswir hier erleben, ist keine Oppositionspolitik, sondernObstruktionspolitik, nichts anderes.
Ich gebe zu: Wir haben in zwei Bereichen vernünfti-gerweise nicht gespart, und zwar im Bereich Bildung– das ist bekannt – und im Bereich Kultur. Bildung – daswissen wir alle – ist unsere Zukunft. Kollege Schneider,wenn Sie noch immer an einem industriellen Investi-tionsbegriff festhalten wollen, sei es drum. Dann solltenSie aber auch sehen, dass die Kürzung der Investitionenum 400 Millionen Euro schlichtweg daran liegt, dass dasBürgschaftsprogramm nicht so stark genutzt wird. DieKollegin Flach wird das nachher in der Debatte genauererklären. Investitionen sind eben nicht beschränkt aufdie klassischen Investitionen, sondern das sind auch In-vestitionen in Köpfe, in Professoren- und Doktoranden-stellen. Das sind Investitionen in die Zukunft. DiesenBereich bauen wir aus.Das Gleiche gilt für den Bereich Kultur. Denn wirwissen genau, dass dieses Land bei der Frage, wo manauch in Zukunft Geld verdienen kann, die Kultur als denwesentlichen Humus brauchen wird. Wir werden es nurals Kulturnation schaffen, uns neue Dienstleistungsbe-reiche zu erschließen. Ohne Kultur werden wir das nichtschaffen. Deswegen haben wir auch im Kulturbereichweniger hart gekürzt, als wir es in anderen Bereichen tunmussten.Ich komme zu dem Vorwurf, dieser Haushalt sei un-sozial. Herr Kollege Schneider, auch wenn es mich nichtfreut: Das ist unsere Verantwortung in einer sozialenMarktwirtschaft. Maßgeblich für die Frage, wie sozialman ist, sind zwei wesentliche Zahlen. Die erste Zahl istdie Sozialquote, das Verhältnis, wie viel Prozent desHaushalts für Soziales ausgegeben wird. Bei der letztenRegierung mit der SPD waren das 50 Prozent, bei unssind das 54 Prozent. Dann gucken wir uns doch einmaldie Steuerzahler an, die auch die Aufgabe haben, denSchwachen in unserer Gesellschaft zu helfen und denje-nigen, die nicht mehr arbeiten können, und fragen: Wieist das Verhältnis von Steuern zu Sozialausgaben? BeiIhnen waren das 64 Prozent, bei uns sind es gegenwärtig81,7 Prozent.
– Ihnen sagt das gar nichts. Für uns heißt das, dass dieseKoalition in der Krise deutlich macht: Wir lassen dieSchwachen nicht im Stich. Aber wir sagen auch klar unddeutlich: Wir müssen dafür sorgen, dass diejenigen, diedie Karre aus dem Dreck ziehen, entlastet werden undeine Zukunft haben, damit wir auch den Schwachen hel-fen können. Genau das ermöglicht diese Regierung.
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2596 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Otto Fricke
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– Ich merke, der Kollege Bonde will unbedingt reden.Ich bin sicher, wir erleben gleich ein Aufregungsfeuer-werk des Kollegen von den Grünen.
– Frau Kollegin Künast, auch Sie können gerne reden.Ob ich schnöselig bin oder nicht, hat mit der SacheHaushalt nichts zu tun. Versuchen Sie es doch mit Inhal-ten und mit Stil. Der Kollege Bonde kann das ja gleichmal machen.
Ich komme zum Schluss. Wir haben mit dem Haus-halt 2010 einen ersten Schritt in die Richtung gemacht,die uns die Schuldenbremse vorgibt. Sie haben uns nichtzugetraut, dass wir die Ausgaben kürzen. Sie haben vieleunserer Kürzungsanträge abgelehnt. Die SPD zum Bei-spiel hat im Verteidigungshaushalt alle Kürzungsanträgeabgelehnt. Wir werden weitermachen. Ich sage Ihnen:Mit dem Haushalt wird es so sein wie in dieser Wochemit dem Wetter: Der Frühling fängt an. Und das liegtauch an der Regierung.Danke.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun
der Kollege Alexander Bonde das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieKoalition will diese Woche eine Rekordverschuldungin einer Dimension durchwinken, die diese Republiknoch nicht erlebt hat. Sie merken es den Reden derAbgeordneten der Koalition nicht an, aber die Neu-verschuldung in diesem Haushalt soll allein in diesemJahr 80,2 Milliarden Euro betragen. Die Koalition ver-schweigt, dass das nicht das Ende der Fahnenstange ist.Drei Schattenhaushalte, die sich im Bundeshaushaltnicht wiederfinden, verschweigen Sie. Wenn Sie sich dieseparate, reale Verschuldung wegen Bankenrettung undKonjunkturpaketen sowie die Risiken des Deutschland-fonds genau anschauen würden und ehrlich wären, wür-den Sie zugeben, dass die Rekordverschuldung nicht beirund 80 Milliarden Euro, sondern bei 126 MilliardenEuro liegt. Damit das klar ist: Die bisherige Rekordver-schuldung in Höhe von 40 Milliarden Euro im Rahmender deutschen Einheit verdreifachen Sie locker mit dem,was Sie hier durchwinken wollen.
Es stimmt, dieser Haushalt wird in einer schwierigenwirtschaftlichen Lage aufgestellt. Teilweise ist diesegroße Verschuldung darauf zurückzuführen, dass Politikreagieren muss. Aber die Höhe dieser schwarz-gelbenRekordverschuldung hängt auch mit Ihrer Handlungs-unfähigkeit zusammen. Sie sind nicht bereit, die Mög-lichkeiten, die dieser Haushalt eröffnet, zu nutzen. Ichwill Sie ehrlich fragen: Sie sind im Wahlkampf mit demVersprechen einer bürgerlichen Koalition angetreten. Ichwüsste gerne, was bürgerlich an diesem blinden Schul-denmachen ist. Da Sie nicht mehr das Wort „bürgerlich“verwenden und auch nicht von „schwarz-gelb“, sondernvon „christlich-liberal“ sprechen, will ich von Ihnen wis-sen: Was ist eigentlich christlich daran, unseren Kindernund Enkeln diesen Schuldenberg vor die Füße zu kip-pen? Ich will von der FDP wissen: Was ist eigentlich li-beral daran, die Zinskosten im Haushalt so hoch zu ja-gen, wie Sie das mit diesem Haushalt für die nächstenJahre und Jahrzehnte tun?
Der vorliegende Haushalt ist nicht alternativlos. Sielassen Chancen ungenutzt. Ich nenne als Beispiel denSubventionsabbau. Allein im Bereich der ökologischschädlichen Subventionen haben Sie Handlungsmög-lichkeiten: 42 Milliarden Euro. Das sage nicht ich, son-dern das sagt das Umweltbundesamt. Wir haben Ihneneinen Vorschlag zum Einstieg in den Subventionsabbaugemacht, nach dem klima- und umweltschädliche Sub-ventionen um 9 Milliarden Euro gekürzt werden sollen.Aber Sie denken gar nicht daran, in diese Richtung zugehen. Jeder Euro, der umweltschädliches Handeln indiesem Land fördert und steuerlich begünstigt, wird vondieser schwarz-gelben Koalition verteidigt. Das ist dieWahrheit. Das sind Ihre Prioritäten in der Klima- und derHaushaltskrise.
Neben den ökologisch schädlichen Subventionen gibtes eine Reihe anderer, über die man sprechen kann.Symptomatisch für Ihren Haushaltsentwurf ist: Siedenken kein Stück über das Jahr 2010 hinaus. Sie habenkeinen aktuellen Finanzplan vorgelegt. Sie haben ver-gessen, einen einzubringen. Das halten wir für eineneklatanten Verstoß gegen das Haushaltsrecht; darüberhaben wir schon oft diskutiert. Das wirklich Schlimmeist: Ihr Haushaltsentwurf 2010 lässt an keiner Stelle er-kennen, wie es weitergehen soll. Sie müssen ab 2011 an-fangen, die Verschuldung jährlich um 10 MilliardenEuro herunterzufahren, damit Sie die Maastricht-Krite-rien und die Vorgaben der Schuldenbremse einhaltenkönnen. Aber in dieser Hinsicht gibt es keinerlei Vorbe-reitungen in diesem Haushaltsentwurf. Sie sorgen ge-nauso wie bei den klimaschädlichen Subventionen nichtfür eine langfristige strukturelle Entlastung. Sie führenkeine Strukturreformen durch.Dass Sie nicht verstehen, welche Aufgaben auf Siezukommen, machen die Anmeldungen für den Haushalt2011 deutlich. Uns liegen endlich die Zahlen vor, aus de-nen hervorgeht, was alles die Ministerien bei Ihnen, HerrSchäuble, angemeldet haben. Es wird deutlich: Sie ha-ben ein Kommunikationsproblem in der Bundesregie-rung. Sie müssen 2011 die Verschuldung jährlich um10 Milliarden Euro senken. Aber Ihre Kabinettskollegenmeinen offenbar, dass man die Verschuldung um 10 Mil-liarden Euro erhöhen müsste. Herr Schäuble, das passtnicht zusammen. Es ist deutlich: Diese Koalition kann es
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2597
Alexander Bonde
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nicht. Sie haben die Schuldenreduzierung und die Kon-solidierung weder im Plan noch im Griff.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,Sie stellen sich hier hin und erklären, Sie hätten die Neu-verschuldung wie geplant reduziert. Sie haben nichts an-deres gemacht, als die konjunkturelle Entwicklung undihre positiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt inSchätzansätzen zu berücksichtigen: 1,2 Milliarden Eurovirtuelle Einsparungen bei den Zinsen, 3,6 Milliarden Eurovirtuelle Einsparungen beim Arbeitsmarkt und 350 Millio-nen Euro virtuelle Einsparungen bei Bürgschaftsrisiken.Das alles hat nichts mit Sparanstrengungen zu tun. Es istdie Leistung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerund Unternehmen, aber kein Stück Leistung vonSchwarz-Gelb, was Sie hier als Einsparungen verkaufen.
Ich warte wirklich darauf, dass Sie bei der nächsten Um-stellung von Sommer- auf Winterzeit sagen, Sie hätteneine Stunde Zeit eingespart. Das ist etwa so realistischwie das Sparpaket, das Sie hier zu schnüren versucht ha-ben.Schlimm an diesem Haushalt ist, dass Sie gar keineVorstellung davon haben, welche Maßnahmen in derKrise wirklich wichtig sind, welche Maßnahmen uns ineiner solchen Situation wirklich voranbringen und aufDauer Mehrwert schaffen. Sie haben wegen IhresGewurschtels aus Günstlingswirtschaft und Sich-nicht-entscheiden-Können nie eine richtige Linie entwickelt.Diese Rekordverschuldung ist in Zahlen gegossene Zau-derei der Bundesregierung. Dafür gibt es genug Bei-spiele. Allein im Entwicklungsministerium schaffen Sie20 neue Stellen für diese FDP-Kameradschaft, die da in-zwischen Einzug gehalten hat; im Umweltministeriumist der Umbau des Büros des Ministers wichtiger als dieBeantwortung der Frage, wie es mit den erneuerbarenEnergien und der Ökologisierung der Volkswirtschaftweitergeht. Gleichzeitig begeht die Kanzlerin einen dergrößten Wortbrüche,
die deutsche Regierungschefs auf internationaler Ebenejemals begangen haben. In Kopenhagen hat sie den Ent-wicklungsländern 420 Millionen Euro pro Jahr fürKlimaschutzmaßnahmen versprochen, aber im Haushaltwurden nur 70 Millionen Euro eingestellt. Das zeigt dieVerlogenheit dieses Haushaltsentwurfs.
Überall da, wo es um die Modernisierung unsererVolkswirtschaft, die Märkte von morgen, die Ökologi-sierung unserer Produkte und um die Frage geht, wie wirWirtschaftswachstum auch in Zeiten der Klimakrise undder Ressourcenknappheit organisieren können, habenSie Sperrungen und Kürzungen vorgenommen. BeimMarktanreizprogramm, bei dem es wirklich konkret umProjekte für mittelständische Unternehmen geht, wirdgekürzt und ein Betrag in Höhe von 100 Millionen Eurogesperrt.
Das geht so weiter. Bei den Kürzungen der Mittel fürden Arbeitsmarkt haben Sie verkündet, es handle sichnicht um eine Kürzung, sondern um eine Sperre. Wirwerden schon genau aufpassen. Ich glaube, dass Sie ge-rade einen Testlauf machen. Ich glaube, dass Sie mit die-ser Sperre austesten, ob Sie an die Mittel für denArbeitsmarkt herangehen können oder ob der öffentlicheWiderstand zu groß ist. Ich habe den Verdacht, dassSperrungen vor der NRW-Wahl in Kürzungen nach derNRW-Wahl umschlagen. Wir haben Sie genau im Blick.
An der Stelle wird deutlich: Dieser Haushalt ist eine in-teressante Mischung aus Donald Duck und DagobertDuck. Der Kontostand von Donald und die Sozialkom-petenz von Dagobert – das kann man wirklich bessermachen.
– Ich höre hier Widerspruch. Die Panzerknackerbandehabe ich noch nicht erwähnt. Wir wüssten, wo die hierim Parlament sitzen würde.Wir haben Ihnen bei den Haushaltsberatungen eingrünes Haushaltskonzept vorgelegt, mit dem wir deut-lich gemacht haben, dass man, wenn man bereit ist, anden Subventionsabbau heranzugehen – wir haben Ihnenknapp 9 Milliarden Euro vorgeschlagen –, und wennman bereit ist, die Frage der Priorisierung im Haushalternst zu nehmen, anstatt Klientelgeschenke zu verteilen,für die man das Geld nicht hat, rund 5 Milliarden Eurosparen kann. Wir haben Ihnen auch belegt, dass es mög-lich und in einer solchen Krise geboten ist, mit gerechtenMehreinnahmen einen Beitrag zu leisten, um von derRekordverschuldung herunterzukommen und gleichzei-tig die notwendigen Investitionen in soziale Teilhabe, inKlimaschutz und ökologische Modernisierung unsererWirtschaft zu tätigen und unsere internationalen Ver-pflichtungen im Bereich Klimaschutz und Entwick-lungszusammenarbeit zu erfüllen. Sie haben all dieseMöglichkeiten nicht genutzt. Diese Koalition will nichtkonsolidieren, und sie will sich in der Krise nicht auf dienotwendigen Dinge konzentrieren. In der Bundesregie-rung sitzen Gelbe, die froh sind, dass sie jetzt an derMacht sind. Jetzt wird zugegriffen, koste es, was eswolle.
Die Koalition ist verbraucht. Sie hat keine Vorstellung,wohin dieses Land geht. Sie versteckt sich hinter derKrise und entwickelt keinerlei Zukunftsperspektive, we-der was die wirtschaftliche Dynamik noch was den ge-sellschaftlichen Zusammenhalt betrifft.
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Alexander Bonde
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Dieser Haushalt bedeutet eine Rekordverschuldung,die Schwarz-Gelb mutwillig produziert. Dadurch wer-den die Fehlanreize vergrößert. Ordnungspolitisch gese-hen hat man keine Vorstellung davon, wohin es mit die-sem Land gehen soll. Liebe Koalition, dieser Haushaltbeweist erneut: Sie können es einfach nicht.
Das Wort erhält nun der BundesfinanzministerDr. Wolfgang Schäuble.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-zen:Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Erlauben Sie mir, vorab eine kurze persönliche Bemer-kung zu machen. Ich bin länger im Krankenhaus ge-wesen, als ich geplant habe. Das liegt daran, dass dieWundheilungsprozesse bei Querschnittsgelähmten manch-mal komplizierter sind und länger dauern, als man sichdas wünscht. Die Ärzte haben ihre Stirn ein wenig inFalten gelegt, als ich gesagt habe: Ich muss jetzt aber ge-hen. – Sie haben mir gesagt, ich solle mich noch ein bis-schen schonen. Deswegen möchte ich Sie für die nächs-ten Tage um Nachsicht bitten, wenn ich nicht diePräsenz zeige, die eigentlich angemessen ist. Ich be-danke mich im Voraus für Ihr Verständnis.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben durchdas Frage-und-Antwort-Spiel zwischen Frau Hagedornund Herrn Fricke in dieser Debatte die Entstehungsge-schichte des Haushalts, den wir in dieser Woche verab-schieden wollen, noch einmal aufgezeigt bekommen. Ichmöchte daran erinnern: Ende September vergangenenJahres haben Bundestagswahlen stattgefunden. EndeOktober vergangenen Jahres hat sich dieser Bundestagkonstituiert, und anschließend kam eine neue Regierungins Amt. Wir haben in ungewöhnlich kurzer Zeit einenHaushalt aufgestellt und beraten. Wir befinden uns jetztin der zweiten und dritten Lesung. Ich möchte mich beiallen, die daran so intensiv mitgewirkt haben, insbeson-dere bei den Kolleginnen und Kollegen im Haushalts-ausschuss, bedanken. Ich glaube, es ist gut für unserLand, dass wir in schwierigen, unsicheren Zeiten so zü-gig beraten haben und den Haushalt jetzt verabschiedenwerden.Die neue Bundesregierung ist bei der Aufstellung die-ses Haushaltes von dem Entwurf ausgegangen, den wirschon in der letzten Legislaturperiode aufgestellt hatten.Wir haben die verbesserten Rahmendaten – Frau Hage-dorn, sie sind doch gar keine Schande; wir alle sind frohdarüber, dass es so ist – genutzt, um das im Koalitions-vertrag vereinbarte Sofortprogramm – das gefällt nichtjedem in gleicher Weise; aber das ist so bei demokrati-schen Entscheidungen – zum 1. Januar 2010 ohne eineErhöhung der ursprünglich vorgesehenen Neuverschul-dung umzusetzen. Verbessert haben sich insbesonderedie Prognosen für den Arbeitsmarkt, was ja erfreulichist. Wir haben schon in der Schlussrunde der ersten Le-sung darüber gesprochen, dass die Entwicklung hoff-nungsvoll ist. Wir haben die Haushaltsberatungen dazugenutzt, maßvoll, nicht überzogen und unter Wahrungder notwendigen Spielräume – die Zeiten sind nach wievor ungewiss – zu einer weiteren Reduzierung der trotz-dem exorbitant hohen Neuverschuldung zu kommen.Eine Nettokreditaufnahme in Höhe von 80 MilliardenEuro macht uns Sorgen. Wir werden sie in den kommen-den Jahren konsequent zurückführen müssen; das wer-den wir auch tun.
Das, was wir auf unserem Weg machen – daran willich erinnern –, ist das, was wir national, europäisch undinternational angesichts einer ungewissen Zukunft alsExit-Strategie verabredet haben. Sie alle haben gesehen:Die konjunkturelle Entwicklung hat im letzten Quartaleine gewisse Pause gemacht. Die erfreuliche Nachrichtist, dass die Hauptursachen dafür von vorübergehenderDauer sind: das Auslaufen der Umweltprämie; der Win-ter verlief strenger, als man es in den letzten Jahren ge-wohnt war. Das spricht dafür, dass dieser Konjunkturein-bruch nicht nachhaltig ist. Wir sind aber in einerunsicheren Zeit. Deswegen bleibe ich bei dem, was dieBundeskanzlerin schon in der letzten Legislaturperiodegesagt hat: Wir müssen in dieser Zeit auf Sicht fahren. –Wir fühlen uns durch die aktuellen Entwicklungen indieser Haltung bestätigt.
– Deswegen halten wir die Augen, so gut wir können,geöffnet. Manche setzen zur Verbesserung der Sehkraftsogar eine Brille auf.
So etwas hängt manchmal vom Alter ab. Herr Bonde,Sie werden es noch erleben; ich sage es Ihnen vorher.Wir werden diesen Weg fortsetzen. Im Übrigenmöchte ich doch die Bemerkung machen – das spielt inder jetzigen Debatte keine Rolle; wir werden es aber beianderer Gelegenheit vertiefen –: Wir haben eine Füllevon Maßnahmen international im G-20-Prozess, europä-isch und national auf den Weg gebracht. Damit ziehenwir Schritt für Schritt die Lehren aus dieser fürchterli-chen Finanz- und Wirtschaftskrise, damit sich nicht wie-derholen kann, was sich so nicht wiederholen darf.
Wir sind aber nach wie vor in einer außergewöhnlich kri-tischen Situation. Wir müssen hier Schritt für Schrittvorgehen. Ich möchte nur einige Stichworte nennen: Wirhaben die Einführung einer europäischen Finanzauf-sicht beschlossen; dieses Vorhaben bringen wir voran,wir setzen es um. Wir werden auch die nationale Finanz-aufsicht so, wie wir es verabredet haben, umsetzen; da-ran arbeiten wir intensiv und mit Hochdruck. Wir habendie gesetzlichen Grundlagen für eine Aufsicht über dieRatingagenturen geschaffen. Wir verschärfen die Regelnfür riskante Bankgeschäfte. Wir haben die Empfehlun-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2599
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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gen von G 20 und des Financial Stability Board für mehrNachhaltigkeit und gegen falsche Anreize bei den Ver-gütungssystemen umgesetzt. Außerdem haben wir einenGesetzentwurf auf den Weg gebracht – wir arbeiten mitHochdruck an der Umsetzung –, der dazu beitragen soll,die sich aus spekulativen Geschäften ergebenen Risikenzu verringern; das ist wichtig. Wir werden – ich sagte esbereits – die Finanzaufsicht, wie es im Koalitionsvertragvorgesehen ist, bei der Bundesbank bündeln. Im Übrigenwollen wir unter gemeinsamer Federführung von Justiz-und Finanzministerium Regeln für die geordnete Ab-wicklung von Banken schaffen. Auch das ist dringendnotwendig, und zwar – ich möchte die Bemerkung hin-zufügen – nicht nur national oder europäisch, sondernweltweit.In den letzten Wochen haben wir genau beobachtenkönnen, welche spekulativen Prozesse ablaufen. Ange-sichts dessen muss man bald darüber nachdenken, obman nicht die Nachrichtendienste mit der Beobachtungbeauftragt, wer sich da wo mit wem zu welchen spekula-tiven Prozessen verabredet. Das ist alles hochspannend.Es scheint eine der neuen Sorgen zu werden, dass sichdie Spekulationen auch stärker gegen Währungen undStaaten richten.
Glauben Sie ja nicht, dass europäische Währungen dieletzten sind, gegen die sich solche spekulativen Wellenrichten können.
Dass das nicht geschieht, ist keineswegs gewährleistet.Das ist eine unserer großen Sorgen.Es bleibt daher richtig, dass wir mit aller Entschieden-heit auf zweifache Weise den Weg einer ausbalanciertenExit-Strategie fortsetzen, nämlich einmal durch allmähli-che Rückführung der zu hohen Liquidität, die die Ursa-che für neue Blasenbildungen sein kann, und zum ande-ren durch allmähliche Rückführung der zu hohenstaatlichen Defizite, ohne dadurch die zarte Pflanze deswirtschaftlichen Wiederaufschwungs zu ersticken. Dasist genau die Gratwanderung, die wir auch bei den ver-schiedenen Etappen unserer Haushaltsberatungen in die-sen Tagen versucht haben. Diesen Weg müssen wir fort-setzen.Es ist übrigens auch richtig, an dem Ziel festzuhalten,die Wettbewerbsfähigkeit aller europäischen Volks-wirtschaften und damit der Europäischen Union insge-samt weiterzuentwickeln und zu verstärken. Das hat maneinmal Lissabon-Strategie genannt. Deswegen will ichmit großer Klarheit, Ruhe und Gelassenheit die Kritik,sei sie im Rahmen von G 20, sei sie in Europa, an denje-nigen, die im Wettbewerb einigermaßen erfolgreich sind,dass sie schuld an den Problemen anderer seien, zurück-weisen. Ich habe meiner Kollegin Lagarde, mit der ichsehr freundschaftlich und vertrauensvoll zusammenar-beite, gestern Abend, nachdem ich Entsprechendes gele-sen habe, gesagt: Christine, ich bin Anhänger von Bay-ern München. Als in der Gruppenphase der ChampionsLeague Bayern München zweimal gegen OlympiqueLyon ziemlich schlecht ausgesehen hat, habe ich mir ge-dacht, wenn Lyon nur etwas schlechter spielen würde,hätten es die Bayern etwas leichter. – Aber auf dieserBasis können wir keine Wettbewerbsordnung aufbauen.Vielmehr müssen wir die Wettbewerbsfähigkeit von Eur-opa insgesamt stärken. Von diesem Ziel werden wir unsauch nicht abbringen lassen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kuhn, in der er wahrscheinlich das Thema
Champions League vertiefen möchte?
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
zen:
Bitte sehr, Herr Kollege Kuhn.
In der Frage Bayern München könnten wir unsschneller treffen als bei anderen Fragen. Aber deswegenhabe ich mich nicht gemeldet.Sie, Herr Finanzminister, haben gerade einige Maß-nahmen, die EU-weit im Zusammenhang mit der Fi-nanzmarktkrise auf den Weg gebracht wurden, angespro-chen und auch das Thema Spekulationen angerissen.Meine konkrete Frage ist: Warum treten Sie als Bun-desregierung nicht dafür ein, dass die sogenannten Leer-verkäufe verboten werden und dass Credit DefaultSwaps, die nicht direkt der Versicherung von Risikendienen, sondern rein spekulativ sind, ebenfalls unterblei-ben müssen? Dies sind die beiden Hauptinstrumente, mitdenen auch gegen Währungen spekuliert wird. Ich findees immer etwas untergenau, wenn man hergeht und sagt:„Wir verbessern die Finanzaufsicht“, aber zu den Maß-nahmen gegen spekulative Finanzinstrumente sagt,das gehe so nicht, oder gar nichts dazu sagt. Meine Frageist daher: Wie ist da die Haltung der Bundesregierung?Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-zen:Herr Kollege Kuhn, Sie haben wahrscheinlich mitver-folgt, dass die Bundeskanzlerin zusammen mit dem grie-chischen Ministerpräsidenten, dem französischen Staats-präsidenten und dem Präsidenten der Euro-Gruppe – dasist der luxemburgische Premierminister – einen Brief anden Kommissionspräsidenten Barroso geschrieben hat,in dem zu den CDS genau das gefordert wird, was auchSie hier vorschlagen, nämlich eine Initiative der Kom-mission. Das heißt, wir stimmen hier überein. Es ist diePosition der Bundesregierung. Das können wir abernicht national machen, sondern das müssen wir europä-isch machen.Was das Verbot der Leerverkäufe anbetrifft: Ich habevorhin gesagt, Herr Kollege Kuhn – Herr Steinbrück er-innert sich besser daran als ich –, dass sie zeitweilig aus-
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Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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gesetzt waren. Es war vereinbart, dass diese Regelung inEuropa auslaufen soll. Daran haben sich nicht alle gehal-ten. Wir haben sie aber auslaufen lassen. Ich habe dannfestgestellt, dass wir das korrigieren müssen.
Ich habe vorhin gesagt: Wir haben schon Anfang Märzein Eckpunktepapier herausgegeben. Wir werden nochim Laufe des Frühjahrs einen Gesetzentwurf vorlegen,mit dem das Verbot ungedeckter Leerverkäufe auf natio-naler Ebene erreicht werden soll. Wir werden das brau-chen. Auch insofern stimmen wir also überein, Herr Kol-lege Kuhn.
Weil sich in diesen Tagen und Wochen die Spekula-tionen wieder und wieder gegen den Euro richten, wasden Europäischen Rat am 11. Februar in Brüssel sehr be-schäftigt hat, möchte ich die Gelegenheit nutzen, im Zu-sammenhang mit Griechenland ein paar Sätze zu einerGerüchtelandschaft zu sagen, die ganz offensichtlich ge-zielt in Mitgliedstaaten – auch in Brüssel; das sage ichmit großer Klarheit – geschürt wird. Es bleibt dabei:Griechenland hat nicht um Hilfe nachgefragt. Deswegengibt es darüber keine Entscheidung, und es ist auch keineEntscheidung getroffen worden. Es bleibt auch dabei:Wenn eine unmittelbare Zahlungsunfähigkeit bevorste-hen würde, dann müssten wir – das ist klar – im Falle ei-ner unmittelbar bevorstehenden Notsituation darauf rea-gieren, wie es der Europäische Rat gesagt hat. Er hat am11. Februar entschieden: Die Mitgliedstaaten der Euro-Zone werden, wenn notwendig, entschlossene und koor-dinierte Maßnahmen ergreifen, um die finanzielle Stabi-lität der Euro-Area als Ganzes sicherzustellen. – Nichtmehr und nicht weniger. Diese Lage ist nicht eingetreten.Natürlich wird auf technischer Ebene daran gearbeitet –das ist nicht neu, das geht seit Jahren so –, was man tunwürde, wenn die Lage eintreten würde. Sie ist aber nichtda, und deswegen gibt es keine politischen Entscheidun-gen.Bitte nehmen Sie das – aus der gestrigen Euro-Grup-pen-Sitzung wurde zum Teil Verfälschendes über dieNachrichtenlage gestreut –, was wir tatsächlich be-schlossen haben. Wir haben einen Text, den der Präsi-dent der Euro-Gruppe veröffentlicht hat, miteinanderverabredet und beschlossen. Da steht nichts anderes drin,als dass diese Lage nicht eingetreten ist, dass keine Ent-scheidungen getroffen worden sind und dass wir vorbe-reitet sind, wenn die Lage eintreten würde. Daraus kannaber nicht der Schluss gezogen werden, dass irgendeineEntscheidung getroffen worden ist. Wir haben ausdrück-lich noch einmal das bestätigt, was der Europäische Ratam 11. Februar beschlossen hat.Man muss auch mit großem Respekt die Maßnahmenerwähnen, die Griechenland nicht nur angekündigt, son-dern zum Teil schon gesetzgeberisch umgesetzt hat.Wenn ich es richtig weiß, ist die Erhöhung der Mehr-wertsteuer in Griechenland bereits in Kraft getreten. Ichbin übrigens derjenige gewesen, der in der vorletztenEuro-Gruppen-Sitzung vor vier Wochen – das war dieSitzung, nach der ich ins Krankenhaus gegangen bin –vorgeschlagen hat, dass Griechenland seine Mehrwert-steuer erhöhen möge. Griechenland hat also Maßnahmenergriffen, die die Märkte bisher auch überzeugt haben.Die griechische Anleihe vor 14 Tagen ist gut von denMärkten aufgenommen worden. Deswegen besteht keinEntscheidungsbedarf; es ist auch keine Entscheidung ge-troffen worden. Wir müssen aber im Sinne einer UltimaRatio vorbereitet sein.Ich möchte dazu noch eine Bemerkung machen: NachAuffassung aller anderen – ich glaube, alle Zahlen bele-gen das – gehört Deutschland zu den Ländern, die seitüber zehn Jahren wirtschaftlich am meisten von der ge-meinsamen europäischen Währung profitieren. Wir tra-gen also die nachhaltige Stabilität der gemeinsameneuropäischen Währung nicht anderen großzügig nach,sondern müssen sie im wohlverstandenen eigenen Inter-esse auch in Zukunft gewährleisten. Natürlich gibt es da-bei in Europa unterschiedliche Interessen; hier wird anverschiedenen Stellen Druck aufgebaut. Ich glaube, füruns ist wichtig – der Haushalt 2010, den wir in dieserWoche beraten und den ich Ihnen zur Annahme emp-fehle, trägt dem Rechnung –, dass wir auf europäischerEbene und weltweit unseren Beitrag zu nachhaltigemWachstum und nachhaltiger finanzieller Stabilität leis-ten.
Ich bitte um Ihre Zustimmung.Herzlichen Dank.
Die Kollegin Nicolette Kressl ist die nächste Redne-
rin für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-nächst einmal darf ich Ihnen, Herr Minister Schäuble, imNamen der gesamten SPD-Fraktion alles Gute für dieweitere Genesung wünschen.
Zugleich möchte ich aber deutlich machen: Die Bür-gerinnen und Bürger hätten ein halbes Jahr nach derBundestagswahl zu Recht erwarten können, dass Sie einabgestimmtes Gesamtkonzept – wir sind in der allgemei-nen Finanzdebatte – für die Haushalts-, Steuer- undFinanzmarktpolitik auf den Weg bringen. Davon habenwir nichts gehört.
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Nicolette Kressl
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Es ist aber auch klar: Wie sollen drei Themen – Steuer-politik, Haushaltspolitik, Finanzmarktpolitik – aufeinan-der abgestimmt werden, wenn Sie sich innerhalb derFraktionen nicht einmal bei den einzelnen Themen einigsind!
Herr Minister Schäuble, wie sollen wir es beispiels-weise verstehen, dass hier noch kein Wort zum ThemaSteuerpolitik gefallen ist? Die Menschen haben einRecht darauf, dass Sie ihnen deutlich machen, wohin diezukünftige Entwicklung gehen soll. Dazu haben Sienichts gesagt. Entlang welcher Grundlinie wollen Sie inZukunft dafür sorgen, dass die Städte und Gemeinden,die Länder und der Bund die Aufgaben, die sie haben,auch wirklich meistern können? Dazu haben wir heutenichts gehört.
Sie haben auch nichts dazu gesagt, wie Sie gewährleis-ten wollen, dass die Gemeinden auch in Zukunft für Kin-derbetreuung, Kinder- und Jugendschutz und sozialeFürsorge genügend finanzielle Mittel haben. Das betrifftdoch die Menschen in ihrem Alltagsleben. Da brauchenwir Vorschläge und Konzepte. Die haben heute aber völ-lig gefehlt.
Bleiben wir einmal beim Thema Steuerpolitik. In denletzten Tagen wurden wieder die Steuerklassen III und Vhin- und hergeschoben; zu einzelnen Bereichen gibt esEckpunktepapiere. Sie haben aber heute mit keinem ein-zigen Wort gesagt, wie die angekündigten Steuerminder-einnahmen in Höhe von 20 Milliarden Euro bei denKommunen, den Ländern und beim Bund ausgeglichenwerden sollen, ohne dass Sie massive Eingriffe im So-zialbereich oder bei den Bildungsinvestitionen auf denWeg bringen. Davon haben wir heute nichts gehört.
Stattdessen gibt es die große babylonische Sprach-verwirrung. Das zeigt schon der Blick auf eine Ticker-meldung vom Sonntag: „Uneinigkeit in FDP über Zeit-punkt von Steuersenkungen“. Herr Lindner sagt, mangehe erst 2012 von Steuersenkungen aus, während FrauHomburger in der gleichen Tickermeldung von 2011spricht. Andere sagen: Es sei gar nicht die FDP gewesen,die über diesen Zeitpunkt gesprochen hat. Von derUnion, von der Kanzlerin und vom Finanzminister ha-ben wir dazu auch heute nichts gehört. Was soll das fürein Konzept sein? Das ist kein Konzept.
Die Linie der babylonischen Sprachverwirrung wirdauch im Finanzmarktbereich verfolgt. Einiges von dem,was Sie ausgeführt haben, Herr Minister Schäuble, teilenwir ausdrücklich, zum Beispiel was die Regulierung an-geht. Aber wir sagen Ihnen: Wer blinkt, muss auchirgendwann mal abbiegen. – Was wir derzeit erleben, istetwas anderes. Sie kündigen ein Eckpunktepapier fürden Bereich Finanzmarktregulierung an, währendHerr Solms von der FDP fast gleichzeitig ausführt, dassim Zuge der Krisenbewältigung eine Sonderabgabe fürBanken nicht infrage kommt.
Zum gleichen Zeitpunkt kündigt Herr Brüderle ein Eck-punktepapier zum Thema Finanzmarktregulierung an.Aber Sie stellen nicht beide das gleiche Papier vor, son-dern jeweils ein anderes.
Glauben Sie ernsthaft, dass die deutsche Regierung aufinternationaler Ebene ernst genommen wird, wenn siesich nicht einmal auf ein Konzept einigen kann? Daskann doch nicht wahr sein!
Das ist beim Thema Finanztransaktionsteuer genaudas Gleiche. Die Kanzlerin nennt die Finanztrans-aktionsteuer eine charmante Idee.
Die FDP legt sofort ihr Veto ein. Ich frage mich: Wersoll die deutsche Bundesregierung bei internationalenVerhandlungen ernst nehmen? Auch im Ausland liestman doch Zeitung.
Das ist nicht der Weg, wie wir das, was notwendig ist,gemeinsam erfolgreich umsetzen können. Sehen Sie zu,dass Sie gemeinsame Konzepte auf den Weg bringen.Vertreten Sie diese auf internationaler Ebene. Dann kön-nen wir über Unterstützung reden. Das Ankündigen vonverschiedenen Konzepten ersetzt keine solide Politik.
Wir fordern Sie auf: Verzichten Sie auf weitere Steu-ergeschenke. Was Herr Fricke eben ausgeführt hat, warvöllig absurd. Er hat behauptet, Sie würden auf Mehr-ausgaben in Teilbereichen verzichten. Wer durch Steuer-geschenke für Hotels 1 Milliarde Euro Steuerminder-einnahmen in Kauf nimmt und wer im Bereich derUnternehmensteuerreform wieder Schlupflöcher öffnet,was nach Aussage der kommunalen Spitzenverbändeinsgesamt 1,7 Milliarden Euro kostet, der kann das nichternsthaft behaupten. Das ist doch auch eine Form derMehrausgabe. Ganz so blöd sind die Menschen inDeutschland nicht, dass Sie ihnen das ernsthaft verkau-fen könnten.
Wir wollen, dass Sie Konzepte vorlegen, um dieHandlungsfähigkeit der Kommunen, der Länder und des
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Nicolette Kressl
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Bundes sicherzustellen. Wir wollen nicht, dass Sie dieGemeinden weiterhin für teure Steuergeschenke ausblu-ten lassen, die im Übrigen nachgewiesenermaßen keinenWachstumseffekt haben. Wir wollen, dass Sie sich aufgemeinsame Konzepte zur internationalen Finanzmarkt-regulierung und auf eine Finanztransaktionsteuer eini-gen. Ehrlich gesagt: Wenn das schon nicht in allen Be-reichen funktioniert, dann einigen Sie sich wenigstensauf einige wenige Bereiche. Lieber für einige Punkte ge-meinsam eintreten und international Erfolg haben, als inallen Punkten auseinanderzudriften! Das ist für unserAnsehen wichtig.
Um es zusammenzufassen: Nur wenn endlich klareKonzepte erkennbar werden, wird der faktische Still-stand der Politik, den wir im Moment erleben, aufhören.Nur so kommen wir ein Stück voran. Wir Sozialdemo-kraten finden: Zeit dafür wäre es allemal.Vielen Dank.
Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Dr. Volker Wissing.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Frau Kollegin Kressl, Sie wollen Kon-zepte. Ich sage Ihnen klar: Es gibt ein Konzept, auf dassich die Koalitionspartner verständigt haben, und das istder Koalitionsvertrag.
Wir werden Ihnen konkrete Gesetzentwürfe vorlegen.
Wenn Sie diesen zustimmen wollen, sind Sie herzlichdazu eingeladen.
Es war doch so: Ihr sozialdemokratischer Finanz-minister hat vor etwa drei Jahren angekündigt, im Jahr2010 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorzulegen.Um das Ziel zu erreichen, haben Sie die Steuern auf Re-kordhöhe getrieben: Mehrwertsteuer rauf, Versicherung-steuer rauf, Sparerfreibetrag gekürzt. Ihnen war allesrecht, Hauptsache, die Bürger wurden zur Kasse gebe-ten. Die Liste Ihrer Steuergrausamkeiten war lang unddick. Das Ergebnis im Bundeshaushalt war mehr alsdürftig.
Spätestens jetzt, nachdem Sie mit Ihrer Politik und denKonsolidierungsversuchen gescheitert sind, sollten Sieeines verstanden haben: Mit Steuererhöhungen gelingtHaushaltskonsolidierung nicht.
Sie haben die Steuerlast für die Menschen drastisch nachoben getrieben, haben den Bürgern mehr und mehr Geldgenommen, und dann haben Sie es im Bundeshaushaltversickern lassen.Heute kritisiert die Opposition unsere Forderung nachmehr Steuergerechtigkeit und nach Entlastung. Dabeiwaren es doch Sozialdemokraten, die es trotz Rekord-steuererhöhung nicht geschafft haben, auch nur ein ein-ziges finanzpolitisches Problem dieses Landes nachhal-tig zu lösen.
Sie üben lauthals Kritik. Aber was haben Sie zustandegebracht in elf Jahren SPD-Finanzpolitik? Sie haben esnicht geschafft, den Haushalt zu konsolidieren. Sie ha-ben es nicht geschafft, das Steuersystem einfacher, nied-riger oder gerechter zu gestalten. Und Sie haben esschon gar nicht geschafft – das sage ich, weil Sie das solautstark erwähnt haben –, eine funktionierende präven-tive Aufsicht der Finanzmärkte sicherzustellen.
Was Sie heute im Bereich der Finanzmarktkontrolle for-dern, ist all das, was Ihnen in elf Jahren Regierungsver-antwortung nicht gelungen ist. Wir stellen uns dieserHerausforderung; der Bundesfinanzminister hat das an-gekündigt. Wenn Sie sich heute hier hinstellen und sichgerieren als eine Art Jeanne d’Arc der Bürger gegen dieMacht der Banken, sage ich Ihnen: Die Wahrheit ist,dass die SPD in elf Jahren Regierungsverantwortungvielleicht das Schoßhündchen, aber nicht die Bändigerinder Finanzmärkte war.
Sie haben gemeinsam mit den Grünen die Finanzaufsichtin Deutschland zersplittert. Sie haben an genau den fal-schen Stellen dereguliert, und jetzt
sind wir es, CDU/CSU und FDP, die gemeinsam daranarbeiten, eine schlagkräftige und effiziente Aufsichts-struktur in Deutschland zu errichten.Um noch einmal zur Steuerpolitik zurückzukommen:Sie finden es offenbar vollkommen in Ordnung, wennGehaltserhöhungen der Beschäftigten im unteren Ein-kommensbereich vor allem beim Finanzminister landen.Eine Partei wie die SPD, die die kalte Progression elfJahre achselzuckend hinnahm, kann doch nicht ernsthaft
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Dr. Volker Wissing
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behaupten, Politik für Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer zu machen. Das ist doch unglaubwürdig.
Unter den Augen der Sozialdemokraten hat sich der Spit-zensteuersatz in Deutschland zu einem Regelsteuersatzfür die Mitte entwickelt. Der Höchststeuersatz, der einstnur für Manager und Geschäftsführer galt, ist unter Ihnenzum Regelsteuersatz für Facharbeiter geworden. Nun sa-gen Sie vielleicht: Elf Jahre SPD-Finanzpolitik sind Ge-schichte, wir müssen jetzt in die Zukunft blicken. – Mankönnte sagen: Schwamm über all Ihre finanzpolitischenFehler von gestern, blicken wir nach vorn. – Aber dasSchlimme ist: Sie haben Ihre Meinung bis heute nichtgeändert. Das ist doch das Verheerende.
Die Koalitionspartner haben vereinbart, die kalte Pro-gression abzumildern und den Mittelstandsbauch abzu-bauen. Was rufen die Sozialdemokraten? „Nein!“, rufensie. Sie rufen: Nein, steuert den unteren Einkommen dieÜberstunden weg! Kassiert den Facharbeiter mit Spit-zensteuersätzen ab! Besteuert Handwerksmeister wieSpitzenmanager! – Das rufen Sozialdemokraten.
Gleichzeitig stellen Sie sich hin und sagen, dass Sie dieHartz-IV-Reformen korrigieren und unabhängig vomVermögen Sozialtransferleistungen bezahlen wollen.
Was ist denn das für eine Politik für Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer? Ich glaube, bei Ihnen geht einigesdurcheinander.
Sie haben leistungsbereite Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer jahrelang im Stich gelassen. Die FDPwird das nicht tun. Wir werden die Abschaffung der kal-ten Progression in Angriff nehmen. Wir werden dasSteuersystem einfacher und gerechter gestalten, indemwir den Mittelstandsbauch abbauen und für eine ge-rechte Steuerlastverteilung in diesem Land sorgen. Einermuss sich schließlich um all die fleißigen Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer in diesem Land kümmern.
Wir haben mit einer gerechten Familienbesteuerungangefangen. Jetzt sind die Bezieher und Bezieherinnenniedriger und mittlerer Einkommen an der Reihe. Um siewerden wir uns kümmern. Auf dem Weg zur Entlastunggibt es eine ganze Reihe von Ballast, zum Beispiel vonbürokratischem Ballast, den Sie zum Teil aufgebaut ha-ben und den wir beseitigen müssen. Auch diesen Wegwerden wir in dieser Koalition entschlossen gemeinsamgehen.
Wir sind und bleiben der Auffassung, dass sich Leis-tung für alle Einkommen lohnen muss und dass sich so-ziale Gerechtigkeit nicht auf das Umverteilen von Steu-ergeldern beschränken darf. Nein, soziale Gerechtigkeitist immer auch eine Frage der gerechten Besteuerung.Das alles ist kein Widerspruch zur Haushaltskonsolidie-rungspolitik. Im Gegenteil: Ein gerechtes Steuersystemmacht solide Haushalte überhaupt erst möglich.Ich danke Ihnen.
Das Wort erhält der Kollege Axel Troost für die Frak-
tion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Bisher ist mit keinem Wort die katastrophale Finanzlageder Kommunen angesprochen worden.
Aber auch dies gehört dringend zur allgemeinen Finanz-diskussion über den Bundeshaushalt. Die Zahlen sindalarmierend. Allein in diesem Jahr stehen die Kommunenvor einem Rekorddefizit von schätzungsweise 12 Milliar-den Euro. Auch in den Jahren 2011 bis 2013 werden injedem Fall zweistellige Milliardendefizite erwartet.Angesichts der klammen Haushaltslage ist die thürin-gische Gemeinde Niederzimmern dazu übergegangen,die infolge des harten Winters entstandenen Schlaglö-cher in den Straßen zu verkaufen. Da fragt man sich:Wie lange reicht der Zynismus, dass wir über derartigein der Not geborene Lösungsmöglichkeiten überhauptnoch schmunzeln können?Die Wirklichkeit ist bitterernst. Viele Städte und Ge-meinden können aufgrund der schwierigen Finanzlageihre öffentlichen Ausgaben kaum noch bewerkstelligen.Dabei ist die Finanznot der Kommunen keineswegshausgemacht. Im Gegenteil: Hauptursache der prekärenLage der Kommunalfinanzen sind die massiven Steuer-senkungen in den letzten zehn Jahren von verschiede-nen Bundeskoalitionen. Meine lieben Kolleginnen undKollegen, an diesen Koalitionen waren alle hier vertrete-nen Fraktionen außer der Fraktion Die Linke beteiligt.
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Dr. Axel Troost
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Die Folgen sind eine gigantische Umverteilung vonunten nach oben und Einnahmeverluste in Milliarden-höhe für die öffentlichen Haushalte. Auch die jüngstenSteuergeschenke der Bundesregierung – das ist schonangesprochen worden – werden zu einem erheblichenTeil die Kommunen aufbringen müssen. Zugleich wäl-zen Bund und Länder immer mehr Aufgaben und Lastenauf die Kommunen ab.Die Kommunen brauchen dringend verbindliche Zu-sagen statt sporadischer Kaffeekränzchen ihrer Ver-bandspräsidentinnen und -präsidenten auf Einladung derBundeskanzlerin. Die Schlaglöcher in den kommunalenHaushalten sind zu groß, um sich im unverbindlichenMiteinander darüber auszutauschen oder die Problemesogar auf die lange Bank zu schieben.
Die Bundesregierung muss endlich, und zwar auch indiesem Haushalt, kurzfristig wirksame Maßnahmen zurWiederherstellung der finanziellen Leistungsfähigkeitund Handlungsfähigkeit der Städte, Gemeinden undLandkreise ergreifen. Hierzu gehört, die Gewerbesteuerzu einer Gemeindewirtschaftsteuer weiterzuentwickelnund als Sofortmaßnahme die Gewerbesteuerumlage anden Bund abzuschaffen.In der letzten Sitzungswoche hat sich die im Koaliti-onsvertrag vorgesehene Gemeindefinanzkommissionkonstituiert. Die Bundeskanzlerin und die Regierungspar-teien tun nun so, als würden sie sich um die Belange derKommunen kümmern. Liest man aber den Kabinettsbe-schluss zur Einsetzung der Kommission, findet man denfolgenden Satz – ich zitiere –:Dabei hat die Kommission auf die Vermeidung vonAufkommens- und Lastenverschiebungen insbe-sondere zwischen dem Bund auf der einen und Län-dern und Kommunen auf der anderen Seite zu ach-ten.Zu Deutsch: Alles soll beim Alten bleiben, und die Ge-meinden erhalten am Schluss unter dem Strich keinenCent mehr. Das alles ist billiges Wahlkampfgetöse vorder NRW-Wahl.Es wundert auch nicht, wenn im Protokoll – wohlge-merkt im offiziellen Protokoll – dieser konstituierendenSitzung der Satz zu finden ist – ich zitiere –:Es könnte befürchtet werden, dass der Bund bereitseinen Entwurf des Abschlussberichts verfasst, wäh-rend sich die Länder- und Kommunalvertreter inden Arbeitsgruppen abarbeiten.
Das heißt, es ist überhaupt nicht vorgesehen, hier überwirkliche Veränderungen zu diskutieren. Deswegen rufeich an dieser Stelle die Kommunalpolitikerinnen undKommunalpolitiker aus allen Parteien auf: Lassen Sieuns dafür sorgen, dass der gebildete UnterausschussKommunalpolitik schnellstmöglich tagt
und dass den Kommunen spätestens mit dem Haushalt2011 auch vom Bund wirklich geholfen wird.Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Bartholomäus Kalb
für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Bundeshaushalt 2010 steht im Zeichen ei-ner bewusst antizyklischen Finanzpolitik. Die historischeinmalige Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise machteund macht es erforderlich, die sogenannten automati-schen Stabilisatoren wirksam werden zu lassen.
Zudem mussten wir seit dem Herbst 2008, lieber Kol-lege Bonde, eine Vielzahl von Maßnahmen zur Abwen-dung der größten Gefahren der weltweiten Finanz- undWirtschaftskrise ergreifen. Die finanziellen Dimensio-nen, die diese Maßnahmen erreicht haben, waren bis da-hin unvorstellbar.Heute können wir feststellen, dass diese Maßnahmenihre Wirkung nicht verfehlt haben. Ohne sie hätte eskonjunkturelle Einbrüche ganz anderer Art gegeben, mitverheerenden Folgen für die Bürger, insbesondere fürdie Beschäftigten.
Heute bescheinigen Fachleute aus Wirtschaft und Wis-senschaft übereinstimmend, dass diese Maßnahmen unddas koordinierte Vorgehen der Regierungen und Noten-banken absolut richtig und im Grunde alternativlos wa-ren.Dass damit einhergehend die Verschuldung drama-tisch angestiegen ist, wird nicht bestritten. Eigentlichwollten wir entsprechend der früheren Finanzplanungbereits im Jahre 2010 bei einer Nettoneuverschuldungvon nahe null sein. Stattdessen weist der Bundeshaushaltfür das Jahr 2010, wie schon erwähnt, nach den Beratun-gen eine Nettokreditaufnahme in Höhe von 80,2 Milliar-den Euro aus.
Jetzt, am Ende der Krise, kommt es darauf an, dass be-hutsam, aber konsequent umgesteuert wird.Der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt und– noch mehr – die Vorgaben unseres Grundgesetzes ver-pflichten uns zu einem strikten Kurs der Haushaltskon-solidierung. Die Haushaltspolitiker der Koalition habenbereits im Rahmen der Ausschussberatungen ein wichti-ges Signal für einen strikten Konsolidierungskurs gesetzt.So ist es gelungen, die im Entwurf vorgesehene Nettokre-
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Bartholomäus Kalb
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ditaufnahme um 5,9 Milliarden Euro auf 80,2 MilliardenEuro zu senken.
Gewaltige Konsolidierungsschritte, insbesondere imHinblick auf den Abbau des sogenannten strukturellenDefizits, müssen in den nächsten Jahren folgen.
Wir sind Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäublesehr dankbar, dass er in Brüssel keinen Zweifel daran ge-lassen hat, dass Deutschland die Stabilitätskriterien spä-testens im Jahre 2013 in vollem Umfang erfüllen wird.
Im Übrigen ist die Einhaltung des Stabilitätspaktesund der Vorgaben der Schuldenbremse kein Selbst-zweck. Vielmehr geht es darum, dass wir nicht immermehr Lasten in die Zukunft verschieben dürfen. Die Zahlder sogenannten erwerbsfähigen Personen in Deutsch-land wird in den nächsten Jahren dramatisch abnehmen.Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sinkt dieZahl der 20- bis 64-Jährigen innerhalb von drei Jahr-zehnten – das ist eine kurze Zeit – von derzeit 49,8 Milli-onen auf 38,4 Millionen. Diese Personen, die unserenWohlstand und unsere soziale Sicherung erwirtschaftenmüssen, werden in der Zukunft die ganze Last zu tragenhaben.Auch global gesehen hat Deutschland eine große Ver-antwortung. Deutschland muss der währungspolitischeStabilitätsanker im Euroraum sein – die währungspoli-tischen Spannungen sind bekannt; ich brauche nur dasStichwort „Griechenland“ zu nennen –; das allein wirdaber nicht reichen, um künftigen Fehlentwicklungenvorzubeugen. Das heißt, einerseits müssen die Staatenselbst ihre Hausaufgaben machen, und andererseits müs-sen, natürlich im internationalen Geleitzug, entspre-chende Maßnahmen ergriffen werden. Es ist darüber hin-aus wichtig, dass wir an die internationalen Märktegerichtet das deutliche Signal aussenden, dass Europaaus eigener Kraft und in eigener Verantwortung handelt.Alle Bemühungen werden nichts nützen, wenn es aufder internationalen Ebene nicht gelingt, dem Fehlverhal-ten und der Fehlentwicklung auf den internationalenFinanzmärkten einen Riegel vorzuschieben. Es kannnicht sein, dass Akteure mit Produkten und Transaktio-nen außerhalb des geregelten Marktes, meistens mitfremdem Geld und ohne eigenes Risiko, in der Lagesind, ganze Volkswirtschaften an den Rand des Ruins zutreiben.
Es müssen hier Regeln aufgestellt werden, es mussTransparenz geschaffen werden. Das gilt für die Aktivi-täten der Hedgefonds, das gilt für die Aktivitäten derPrivate-Equity-Fonds, das gilt für Leerverkäufe, für Kre-ditabsicherungen und auch für die Rohstoff- und Ener-giemärkte. Dankenswerterweise hat BundesministerSchäuble auf die Zwischenfrage von Herr Kuhn hin be-reits die entsprechenden Initiativen erläutert.Es kann nicht richtig sein, dass Kreditabsicherungen– die sogenannten Credit Default Swaps – in einem Vo-lumen des 30- bis 40-Fachen dessen gehandelt werden,wie es zur Ausfallabsicherung eigentlich notwendigwäre. Es kann auch nicht richtig sein, wenn, wie derChef von Air France es kürzlich öffentlich dargestellthat, an einem Handelstag 40-mal so viel Rohöl gehan-delt wird, wie physisch vorhanden ist. Das ist eine dra-matische Fehlentwicklung.
Wenn es der internationalen Staatengemeinschaft undinsbesondere den führenden Industriestaaten nicht ge-lingt, diesem Treiben ein Ende zu bereiten, könnte manin Abwandlung des Spruches „Der nächste Winterkommt bestimmt“ sagen: Die nächste Krise kommt be-stimmt. – So viel sollten wir aus der jetzigen Krise ge-lernt haben, dass wir in der Lage sind, eine nächste Kriseabzuwenden.Ich danke Ihnen.
Letzter Redner zu diesem Einzelhaushalt ist der Kol-
lege Norbert Brackmann für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wenn ich mir die heutigen Beiträge der Oppo-sition anschaue, muss ich feststellen, dass es drei Kon-stanten gibt.
– Auf Sie kommen wir gleich noch zurück, Herr Bonde. –Erstens: Wir wollen wissen …! Zweitens: Ihr habt zuwenig gekürzt! Drittens: Ihr gebt zu wenig aus!
– Herr Bonde, rufen Sie ruhig dazwischen! – Das wirddann auch noch garniert damit, dass Sie der Kanzlerinhier vorwerfen, wir würden internationale Verträge nichteinhalten,
von „Wortbruch“ und von „Verlogenheit“ sprechen.
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2606 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Norbert Brackmann
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– Hätten Sie lieber in den Haushalt geschaut, HerrBonde, statt Donald Duck zu lesen! Dann wären Ihnennicht nur die 70 Millionen Euro aufgefallen, sondernauch die 350 Millionen Euro, die aus dem Ressort er-wirtschaftet werden sollen – da sind die 420 MillionenEuro, die wir, wie auf der Klimakonferenz zugesagt, zu-sätzlich ausgeben. – Ihr Tun, meine Damen und Herren,ist wenig verantwortungsvoll.
Schon Otto von Bismarck hat einmal gesagt:Die Scheu vor Verantwortung ist die Krankheit un-serer Zeit.Mein Eindruck ist: Das ist auch heute so.Die christlich-liberale Koalition hat sich ihrer Ver-antwortung gestellt. Konsolidierung in Verantwortungkann aber nicht heißen, den Staat kaputtzusparen. Ver-antwortungsvoll ist vielmehr eine generationengerechtePolitik, die sich an der Zukunft orientiert.
Genau das ist die Politik der christlich-liberalen Koali-tion. Diese Verantwortung trifft nicht nur die Regierung,nicht nur die Koalition, sondern uns alle, all diejenigen,die den Anspruch erheben, für die Gemeinschaft unsererBürgerinnen und Bürger hier aktiv zu werden.Der Bundeshaushalt 2010 ist der erste Haushalt, dendiese christlich-liberale Koalition vorlegt.
Dieser Haushalt ist ein Haushalt, der die Übergangszeitzwischen Krisenbewältigung und Sparzwang markiert.
Wir haben deshalb den Rotstift in ersten Schritten imPersonal- und Verwaltungsbereich angesetzt. Im Inter-esse einer weiteren Erholung der Wirtschaft haben wirdie Investitionen für die Zukunft gesichert. Das, meinesehr verehrten Damen und Herren, nennen wir Verant-wortung. Die Nettokreditaufnahme haben wir in denHaushaltsberatungen im Ergebnis um 5,6 MilliardenEuro auf 80,2 Milliarden Euro senken können. 5,6 Milli-arden Euro weniger!
Nun werfen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen vonder Opposition, uns vor, dass wir lediglich von der bes-seren Konjunktur profitieren.
Sollten Sie sich nicht vielmehr darüber freuen, dass esmit der Konjunktur wieder besser geht?
Sollten Sie sich nicht darüber freuen, dass weniger Mit-menschen ihren Arbeitsplatz verloren haben, als das vorwenigen Monaten noch zu erwarten war? Können oderwollen Sie diese Erfolge nur deshalb schlechtreden, weildies erste sichtbare Ergebnisse der erfolgreichen Politikder christlich-liberalen Koalition in der Krisenbewälti-gung sind?
Die Verantwortung, die wir gegenüber unseren Bür-gern und Bürgerinnen haben, bleibt. Sie löst sich nicht,indem gute Ergebnisse von Ihnen ins Schlechte geredetwerden.
Die christlich-liberale Koalition hat in den Beratun-gen drei Akzente gesetzt:
die Wirtschaftsbelebung, die soziale Sicherung zur Kri-senbewältigung und auch den Sparwillen. Um weitereImpulse zur Überwindung der Wirtschaftskrise ins-besondere für den Mittelstand zu geben, haben wir imparlamentarischen Verfahren zum Beispiel zusätzlich400 Millionen Euro für die Fortführung des CO2-Gebäu-desanierungsprogramms zur Verfügung gestellt und da-mit Wirtschaft, Mittelstand, Wachstum und Ökologie ge-fördert.
Die soziale Sicherung ist in der Geschichte der Bun-desrepublik noch nie mit so viel Geld unterfüttert wor-den wie von der christlich-liberalen Koalition.
Über 54 Prozent des Gesamthaushalts werden für sozialeLeistungen aufgewendet, angefangen bei Arbeitsmarkt-ausgaben und Leistungen an die Renten- und Kranken-versicherung über das Elterngeld bis hin zur landwirt-schaftlichen Sozialpolitik. Soziale Wärme und nichtsoziale Kälte ist daher die Wahrheit dieses Bundeshaus-halts.
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Norbert Brackmann
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Lob von der Opposition dafür? Fehlanzeige!
Im Gegenteil: Herr Bonde spricht von blinder Schulden-macherei.
Das ist doch die von Ihnen gelebte Solidarität mit denje-nigen in der Bevölkerung, die auf Transferleistungen an-gewiesen sind und für die wir diese besagten 54 Prozentaufbringen.
Sie werfen uns vor, dass wir 900 Millionen Euro fürdie arbeitsuchenden Bürgerinnen und Bürger, die durchFortbildungs- und Eingliederungsmaßnahmen am Ar-beitsmarkt wieder Fuß fassen wollen, und für die Durch-führung der Grundsicherung für Arbeitslose gesperrt ha-ben.
Keiner von Ihnen erklärt den Bürgern aber, was eigent-lich dahintersteckt. Das tun Sie aus gutem Grund nicht,weil diese Sperre nämlich keine Kürzung ist.
In 2009 hatten wir für diese Zwecke insgesamt10,6 Milliarden Euro im Haushalt eingeplant, tatsächlichaber nur 10,1 Milliarden Euro gebraucht. 2010 habenwir jetzt insgesamt 11 Milliarden Euro zur Verfügunggestellt, also 900 Millionen Euro mehr, als wir im ver-gangenen Jahr tatsächlich gebraucht haben.
Wir wollen natürlich sicherstellen, dass dieses zusätzli-che Geld auch zweckentsprechend eingesetzt und zielge-richtet und ökonomisch verwandt wird.
Dass eine Sperre keine Kürzung ist, sollten Sie als Haus-hälter wissen.
Sobald das Arbeitsministerium nachgewiesen hat, dassmit diesem Geld tatsächlich mehr Menschen in den ers-ten Arbeitsmarkt kommen, werden wir diese Sperre auchwieder aufheben.
Das ist ein verantwortungsvoller Umgang mit demGeld; denn jeder vierte Euro, den wir heute ausgeben,müssen wir uns von kommenden Generationen leihen.Deswegen ist das der erste Schritt hin zu einem vernünf-tigen finanziellen Verhalten.
Der Etat des Finanzministers ist eine gute Wegmarke.Er ist zudem ein erstes Zeichen dafür, dass wir in einenKonsolidierungsprozess eingeschwenkt sind. In 310 Än-derungsanträgen der Koalition sind die Ausgabenansätzeum insgesamt 5,9 Milliarden Euro nach unten korrigiertworden. Jedes Ressort wird im Verwaltungsbereich sei-nen eigenen Konsolidierungsbeitrag zu leisten haben.Alleine die Personal- und die Sachkosten haben wirum 500 Millionen Euro gekürzt. Insgesamt werden ge-genüber dem Regierungsentwurf brutto circa 2 600 Stel-len eingespart. Trotz dieser Leistung heulen Sie auf undkritisieren Presseberichten zufolge unter anderem, dasswir auch neue Stellen schaffen. Das ist richtig: Wirschaffen dort neue Stellen, wo es notwendig ist, und wirstreichen Stellen dort, wo es möglich ist.Ich möchte ein Beispiel nennen: Die Bekämpfung derSchwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung hat füruns eine hohe Priorität. Circa 3 Prozent des Brutto-inlandsprodukts – das sind mehrere Hundert MilliardenEuro – werden schwarz geleistet. Im Jahr 2008 ermitteltedie Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltungeine Schadenssumme von rund 550 Millionen Euro, un-ter anderem wegen nicht gezahlter Steuern, Sozialversi-cherungsabgaben und Mindestlöhnen. Dabei handelt essich nur um die in Ermittlungsverfahren nachweisbarenSchäden. Das sind Schäden für unseren Sozialstaat, demdadurch Einnahmen entzogen werden. Das ist eineSchelte für die hart arbeitenden Arbeitnehmer und Ar-beitgeber, die ihre Steuern und Sozialabgaben ehrlichzahlen. Wir werden deshalb in diesem Jahr das Personalder Finanzkontrolle um 150 Stellen aufstocken. In dennächsten Jahren werden jeweils 100 weitere Stellen fol-gen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, am besten gestaltetman die Zukunft, indem man heute die richtigen Ent-scheidungen trifft.
Deshalb ist dieser Haushalt der erste Schritt auf demWeg in eine Zukunft mit einer geringeren Nettoneuver-schuldung. Es ist ein Haushalt, der Wachstum fördertund soziale Sicherheit gewährleistet. Es ist der ersteHaushalt dieser christlich-liberalen Koalition, ein Haus-halt der Verantwortung.
Damit schließe ich die Aussprache.
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2608 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst überden Einzelplan 08, Bundesministerium der Finanzen, inder Ausschussfassung.Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DieLinke vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt fürden Änderungsantrag auf Drucksache 17/1010? – Gegen-stimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Änderungsan-trag bei Zustimmung durch die einbringende Fraktionabgelehnt. Dagegen hat die Koalition gestimmt. Enthal-ten haben sich SPD und Bündnis 90/Die Grünen.Wir kommen jetzt zu Einzelplan 08, Bundesministe-rium der Finanzen, in der Ausschussfassung. Wer stimmtdafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit istder Einzelplan 08 bei Zustimmung durch die Koalitions-fraktionen und bei Ablehnung durch die Oppositionsfrak-tionen angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 20, Bundesrechnungshof, in der Ausschussfassung.Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-gen? – Dieser Einzelplan ist einstimmig angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.5 auf:Einzelplan 11Bundesministerium für Arbeit und Soziales– Drucksachen 17/611, 17/623 –Berichterstattung:Abgeordnete Axel E. Fischer
Bettina HagedornDr. Claudia WintersteinDr. Gesine LötzschAlexander BondeZum Einzelplan 11 liegen ein Änderungsantrag derFraktion der SPD und ein Änderungsantrag der FraktionDie Linke sowie drei Änderungsanträge der FraktionBündnis 90/Die Grünen vor.Wir werden insgesamt drei namentliche Abstimmun-gen durchführen, wobei über zwei inhaltsgleiche Ände-rungsanträge der Fraktion der SPD und der FraktionBündnis 90/Die Grünen zusammen in einer namentli-chen Abstimmung abgestimmt werden soll. Weiterhinliegt ein Entschließungsantrag der SPD vor, über den wiram Freitag im Anschluss an die Schlussabstimmung ab-stimmen werden.Interfraktionell ist verabredet, zu diesem Einzelplaneineinhalb Stunden zu debattieren. – Dazu höre ich kei-nen Widerspruch.Als erster Rednerin gebe ich das Wort der KolleginBettina Hagedorn für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Als zuständige Hauptberichterstatterin im Haushaltsaus-schuss für den größten Etat des Bundes, nämlich den desBundesministeriums für Arbeit und Soziales, der für2010 mit rund 143 Milliarden Euro über 45 Prozent derGesamtausgaben umfasst, möchte ich mich nach hartenVerhandlungswochen zunächst bei den Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern des Ministeriums und Frau von derLeyen für die zügige Beantwortung von circa 50 Be-richtsanfragen herzlich bedanken, die uns die parlamen-tarische Arbeit erleichtert hat. In diesen Dank für dieprompte Zuarbeit schließe ich ausdrücklich die Kolle-ginnen und Kollegen bei der Bundesagentur für Arbeit,beim Finanzministerium, im Bundesrechnungshof undim Haushaltsausschusssekretariat mit ein.
Mir würde dieser Dank allerdings heute noch erheb-lich fröhlicher über die Lippen kommen, wenn das Er-gebnis der Schlussabstimmung im Haushaltsausschussfür die Menschen, für die wir gemeinsam Verantwortungtragen, Grund zu Freude und Zuversicht bieten würde.Aber dem ist leider nicht so.Was Schwarz-Gelb uns heute vorlegt, ist ein Haushaltder verpassten Chancen. Insbesondere gegenüber derjüngeren Generation ist es unverantwortlich, ohne Notden vorhandenen Schuldenberg in dieser Größenord-nung, um über 80 Milliarden Euro, zu erhöhen.
Das ist eine Verdoppelung der bisherigen Rekordmarkevon Theo Waigel von 1996, und es ist unverantwortlich,was Sie damit der künftigen Generation hinterlassen.Diese Koalition hat – das werden wir diese Wochenoch an vielen Stellen sehen – leider kein Konzept undversucht, sich mit Hinweis auf die Finanz- und Wirt-schaftskrise herauszureden und um eine stärkere Spar-anstrengung herumzumogeln. In Wahrheit spannen Siein diesem Haushalt einen Schutzschirm auf – ja, das tunSie, aber nur für die eigene gut betuchte Klientel. DieArbeitsuchenden, die Familien mit Kindern und auch dieKommunen lassen Sie schutzlos im Regen stehen.
Die SPD hat in diesen Haushaltsberatungen solide ge-rechnete Sparvorschläge gemacht und dennoch klareSchwerpunkte zugunsten der Kommunen und der Bil-dung gesetzt. Wir Sozialdemokraten haben in diesenHaushaltsberatungen entgegen dem, was wir gerade vonHerrn Brackmann gehört haben, bewiesen, dass wir auchin der Opposition verantwortungsbewusste Vorschlägemachen und Populismus anderen überlassen.
Unbestreitbarer Fakt ist: Schwarz-Gelb spart bei wei-tem nicht genug, und da, wo Sie es dann tun, machen Siees auch noch am falschen Ende und sägen an dem Ast,auf dem wir alle sitzen. Sie sparen zulasten von Kindernin sozialer Not. Die Kindergelderhöhung, die gerade beiden Kindern von Hartz-IV-Empfängern nicht ankommt,ist bereits erwähnt worden. Sie haben sich ohne Not ent-schieden, in einer gewaltigen Rückrufaktion über 1 Mil-lion Bescheide zu korrigieren. Das hat die schwarz-roteRegierung vor einem Jahr anders gehandhabt, und das warangemessen gegenüber der Zielgruppe, den Hartz-IV-Empfängern und ihren Kindern, um die es hier geht.
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Bettina Hagedorn
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Sie haben sich ohne Not an dieser Stelle für Bürokratie-aufbau entschieden und mit dieser Rückrechnerei vieleMitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Argen völlig un-nötig beschäftigt. Damit haben Sie im Endeffekt Büro-kratiekosten verursacht, die weit über die 20 Euro proKind, um die es bei der Rückrufaktion ging, hinausge-gangen sind.Sie sparen aber auch zulasten von Qualifizierung undWeiterbildung am Arbeitsmarkt bei steigenden Arbeits-losenzahlen und einem Fachkräftemangel in wichtigenZukunftsbranchen für unser Land, der auf uns zukommt.Die 900-Millionen-Euro-Sperre, auf die ich noch zusprechen komme, ist ein Indiz dafür.Sie sparen aber auch zulasten der Städte undGemeinden, deren leere Kassen die Bildungschancenunserer Kinder ebenso wie die bitter nötigen Investitio-nen in die Infrastruktur und damit unser aller Lebensqua-lität und Zukunft in Gefahr bringen. Die Kosten für Un-terkunft und Heizung, KdU, sind ein wichtiges Indizdafür. Sie haben in dem Haushalt von Herrn Schäublegegenüber dem Haushalt von Peer Steinbrück die KdUum 600 Millionen Euro abgesenkt, und Sie haben dieMittel jetzt nicht erhöht, obwohl Sie mit Ihrem soge-nannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz – ich würdees eher Schuldenaufbaugesetz nennen – sehr wohl Sig-nale an die Kommunen gesandt haben. Aber diesen Sig-nalen an die Kommunen ist bisher außer heißer Luftnichts gefolgt.
Die SPD spannt einen Schutzschirm zur Rettung derKommunen auf, den wir in diesem Haushalt auch eins zueins abgebildet haben. Er bedeutet allein in diesem Etateinen Aufwuchs um 400 Millionen Euro für die Kom-munen. Sie sind diesem Vorschlag nicht gefolgt. Das istbitter für die Kommunen.Das Schlimme daran ist: Wenn es den Kommunenschlecht geht, dann spürt das jeder Mann, jede Frau undjedes Kind in diesem Land, nämlich durch Gebühren-erhöhungen, fehlende Kita-Plätze, steigende Elternbei-träge, geschlossene Schwimmbäder, Kürzungen beiTheatern und Museen und Schlaglochpisten in den Städ-ten und Gemeinden. An dieser Stelle haben Sie komplettversagt.
Das größte Drama spielt sich aber bei den Agenturenfür Arbeit ab. Es geht darum, dass Sie, Frau Ministerinvon der Leyen, in diesem Jahr mit der notwendigen Um-strukturierung der Argen, die das Bundesverfassungsge-richt dem Bundestag aufgegeben hat, noch eine harteNuss zu knacken haben. Das Schlimme daran ist, dassdie CDU/CSU hier in den letzten zwei Jahren einen bei-spiellosen Zickzackkurs vorgelegt hat.Den von Olaf Scholz schon vor zwei Jahren vorgeleg-ten Gesetzentwurf für ein kooperatives Jobcenter, dasohne eine Verfassungsänderung möglich gewesenwäre, haben Sie abgelehnt. Den Gesetzentwurf, der eineVerfassungsänderung vorsah und den wir schon im letz-ten Jahr vorgelegt haben und der im November von denArbeits- und Sozialministern aller Länder auf der Ar-beits- und Sozialministerkonferenz befürwortet wordenist, haben Sie vor einem Jahr ebenfalls abgelehnt. ImKoalitionsvertrag haben Sie festgelegt, ohne eine Verfas-sungsänderung auskommen zu wollen. Jetzt wollen Siedoch wieder eine Verfassungsänderung. Allerdings weißman nicht genau, wie.Ich will Ihnen dazu Folgendes sagen. Sie haben damitdie Menschen massiv verunsichert, und zwar nicht nurdie Arbeitsuchenden, die auf funktionierende und be-währte Strukturen angewiesen sind, sondern Sie habenvor allen Dingen die Verunsicherung bei den 66 000Mitarbeitern in den Argen, in den Jobcentern und in denOptionskommunen auf die Spitze getrieben,
davon über 22 000 Mitarbeiter, die aus den Kommunenkommen. Das ist in dieser Situation unverantwortlich.
Die SPD steht weiter dafür ein, dass wir Ihnen imSinne der Menschen für eine Verfassungsänderung dieHand reichen wollen, allerdings nicht bedingungslos. Inden Eckpunkten, die wir dafür gesetzt haben, geht es ins-besondere darum, dass für die Integration von Lang-zeitarbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt genug Mit-tel bereitstehen. In diesem Punkt hat unsere Hoffnungauf Ihre Einsicht mit der 900-Millionen-Euro-Sperre lei-der einen herben Rückschlag erlitten.Als Optimistin wünsche ich mir, dass bei CDU/CSUbei dem Thema Arge-Reform endlich Vernunft einkeh-ren möge, dass wir gemeinsam für über 7 Millionen Ar-beitsuchende eine gute Lösung erreichen und dass die246 Argen sowie die 69 Optionskommunen ihre be-währte Arbeit verfassungskonform auf Dauer fortsetzenkönnen. Aber als Realistin fürchte ich natürlich: Werschon zwei Jahre lang einen derartigen Zickzackkursfährt, der hat entweder den Kompass verloren oder dasRuder nicht fest in der Hand. Da diese Koalition im Mo-ment nicht so wirkt, als hätte sie den Kompass wiederge-funden, wird es, Frau Ministerin, an Ihnen sein, das Ru-der fest in die Hand zu nehmen und diesen unsäglichenZickzackkurs im Sinne der Arbeitsuchenden zu beenden.Aber die Zeit läuft.
Die Zeit wird auch bei einem anderen Thema knapp.Ich komme nun zu der 900-Millionen-Euro-Sperre. Esist sicherlich purer Zufall, dass ausgerechnet heute dieDortmunder Ruhr-Nachrichten – nun kann man sichzwar fragen, wieso ausgerechnet Dortmund, aber dieNRW-Wahl lässt grüßen – schreiben, dass Sie eingese-hen hätten – das ist wunderbar –, dass Ihre Sperre dasfalsche Signal sei.
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2610 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Bettina Hagedorn
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Dazu kann ich Ihnen sagen: Dabei können wir Ihnenhelfen. Es liegen je ein Änderungsantrag der SPD undauch der Grünen vor, denen Sie in namentlicher Abstim-mung zustimmen können.
Wenn Sie unserem Antrag zustimmen, dann wird dieseSperre gar nicht mehr in den Haushalt aufgenommen.
Damit wäre doch das Ziel erreicht. Aber bei Ihnen wirdes so laufen, dass Sie erst einmal diese Sperre ausbrin-gen. Dann kann sie erst im April wieder aufgehobenwerden, nämlich dann, wenn das Haushaltsgesetz im Ge-setzblatt steht. Die Ministerin hat dazu im Haushaltsaus-schuss gesagt, dass sie eine Aufhebung der Sperre imApril als letzten Zeitpunkt für notwendig hält,
weil sonst das Geld gar nicht mehr ausgegeben werdenkann.An dieser Stelle sage ich Ihnen, Frau Ministerin: Siewerden von uns daran gemessen, ob es Ihnen gelingt, zu-sammen mit Herrn Schäuble am 15. April im Haushalts-ausschuss einen Entsperrungsantrag vorzulegen, und obes Ihnen gelingt, dass Sie gemeinsam mit der FDP dieseSperre wieder aufheben. Schauen wir mal.
In Wahrheit ist es so, dass diese Sperre wie eine fakti-sche Kürzung wirkt, wenn sie nicht aufgehoben wird.
– Herr Kollege Fischer, Sie sollten vielleicht öfter in dieArbeitsagenturen vor Ort gehen. Die Arbeitsagenturenim ganzen Land wissen schon jetzt, dass ihnen900 Millionen Euro weniger zugeteilt werden.
Die Jobcenter und die Argen vor Ort sind schon heutebei der langfristigen Planung von Maßnahmen vorsich-tig, die dazu dienen, Arbeitslose in den ersten Arbeits-markt zu integrieren.Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-tion, Sie haben wohl die Information, die wir Haushälterbekommen haben, vergessen, dass Ende 2009 4,9 Milli-onen Erwerbsfähige im Arbeitslosengeld-II-Bezug wa-ren und dass 835 000 von diesen 4,9 Millionen Arbeitsu-chenden in Maßnahmen waren. Das bedeutet: Wenn Siediese Maßnahmen nicht fortführen, haben nicht nur diebetroffenen Menschen keine Chance auf Integration,sondern dann wird sich auch die Zahl der Arbeitslosendrastisch erhöhen. Mit anderen Worten: Sie ziehen esvor, Arbeitslosigkeit anstatt Arbeit zu bezahlen. Das istdas falsche Signal. Sie fahren mit Ihrer Sperre dieInstrumente zur Integration in den Arbeitsmarkt,von der JobPerspektive bis zur Initiative „50 plus“, andie Wand. Halten Sie ein, und stimmen Sie unserem Än-derungsantrag zu! Nur dann können wir davon ausge-hen, dass alles vor Ort ankommt.Ein letztes Wort zu den Trägern der beruflichen Wei-terbildung in diesem Land. Sie sind es, die den Men-schen neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt eröffnen.Nicht nur bei mir, sondern wahrscheinlich auch bei Ih-nen dürften die Telefonleitungen heiß gelaufen sein.Selbstverständlich sind die Träger der beruflichen Wei-terbildung in größter Sorge, dass sie in den nächsten Wo-chen und Monaten ihre wertvolle Arbeit – auch zulastenihrer eigenen Beschäftigten – nicht fortsetzen können.Das ist ein Haushalt der Kälte, den Sie hier vorlegen.Das ist ein Haushalt der Kurzsichtigkeit. Kehren Sie um!Wir würden uns freuen.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort derKollege Axel Fischer.
Axel E. Fischer (CDU/CSU):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Den Wortenmeiner Vorrednerin Hagedorn schließe ich mich an, zu-mindest was den Dank an das Ministerium angeht. Ichmöchte neben der Ministerin Frau von der Leyen beson-ders dem Staatssekretär Fuchtel für die gute Zusammen-arbeit danken.
Für die Beantwortung von Fragen und Anregungen stander quasi Tag und Nacht zur Verfügung. So stellt man sicheine gute Zusammenarbeit vor!
Der Haushalt 2010 orientiert sich noch an dem Ent-wurf der Großen Koalition. Der ehemalige Arbeitsminis-ter Olaf Scholz hat diese Zahlen im Wesentlichen hierhineingeschrieben. Insofern – ich will das gleich deut-lich sagen – relativieren sich viele Äußerungen, FrauHagedorn, die Sie gemacht haben. Es ist uns gelungen,einen geeigneten Mittelweg zwischen dem Sparsam-keitsgebot und den Erfordernissen, die unsere wirt-schaftliche Schieflage mit sich bringt, zu finden. Es kannletztlich nur verteilt werden, was auch erwirtschaftetwird. Ich sage es noch einmal: Der Etat „Arbeit und So-ziales“ trägt die Handschrift von Olaf Scholz. Umsoüberraschter war ich über die Flut von Kürzungsanträ-gen der SPD im Haushaltsausschuss, beispielsweise beider Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizinin Dortmund. Bei den Bezügen der Beamten und Ange-stellten, ja sogar die Forschungsmittel wollte Ihre Parteikürzen, Frau Hagedorn.
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Axel E. Fischer
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Liebe Frau Hagedorn, solche Anträge sind nicht glaub-würdig, wenn man sie nur in Zeiten der Oppositionstellt, in der Hoffnung, dass die christlich-liberale Koali-tion sie dann schon ablehnt.Im Wesentlichen setzt die christlich-liberale Koalitiondie erfolgreiche Politik der Vorgängerregierung fort. Wirwollen die Selbstheilungskräfte des Marktes kurzfris-tig nutzen. Wir setzen auf eine anspringende Wirtschaftmit erhöhten Erträgen, und das mit Erfolg. Der Bundes-zuschuss an die Bundesagentur für Arbeit, für den imHaushaltsentwurf noch 16 Milliarden Euro vorgesehenwaren, kann aufgrund besserer wirtschaftlicher Rahmen-bedingungen auf 12,8 Milliarden Euro reduziert werden.Weniger Arbeitslose als erwartet, damit mehr Einnah-men aus den Arbeitslosenversicherungsbeiträgen für dieBundesagentur für Arbeit, das ist ein Erfolg unserer Po-litik.
Der Haushalt ist kein Sparhaushalt. Er steht voll im Zei-chen von Wachstumsbeschleunigung und zielt auf dieAnkurbelung unserer Wirtschaft. Deshalb konnten wirdank Einsparungen im Sozialhaushalt die Neuverschul-dung nur etwas drücken. Wir müssen uns aber vor Au-gen führen, dass 80 Milliarden Euro in diesem Haushaltgeliehenes Geld sind.Ganz kurz zu den Eckdaten des Haushalts für Ar-beit und Soziales. Das Volumen beträgt 143 MilliardenEuro, davon sind knapp 81 Milliarden Euro Leistungenan die Rentenversicherung, 23,9 Milliarden Euro sindfür das Arbeitslosengeld II, knapp 7 Milliarden Eurosind Leistungen zur Eingliederung von Hartz-IV-Bezie-hern in Arbeit, und 8 Milliarden Euro stehen für die Be-teiligung an den Kosten der Arbeitsförderung zur Verfü-gung, um nur einige Hausnummern zu nennen. Das istfast der halbe Bundeshaushalt und weit mehr als dieHälfte der Steuereinnahmen des Bundes. Es kommtnicht von ungefähr, dass wir dieses Jahr eine Rekordver-schuldung in Kauf nehmen. Auch in der derzeitigenwirtschaftlichen Krise tragen die Aktiven von heute undmorgen weiter den Sozialstaat auf ihrem Rücken. DieserHaushalt belegt eindrucksvoll das enorme Ausmaß undden großen Umfang, in dem unser Gemeinwesen für dieErfüllung und den Fortbestand des Generationenvertragszwischen den aktiven und passiven Jahrgängen Sorgeträgt. Er zeigt eindrucksvoll die enormen Anstrengun-gen, die für erwerbsfähige Hilfsbedürftige gemacht wer-den. Hartz-IV-Beziehern wird nicht nur materiell gehol-fen, nein, mit der Eingliederungshilfe wird auch nocheine milliardenschwere Hilfe zur Selbsthilfe für die Wie-dereingliederung in den Arbeitsmarkt vom Steuerzahlerfinanziert.
Dieser Sozialhaushalt ist ein Beispiel gelebter Solida-rität,
der Solidarität zwischen den Generationen und der Soli-darität zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen. Ausgutem Grund haben wir die Überprüfung von Leistungender Eingliederungshilfe gefordert. Immerhin sind6,6 Milliarden Euro im Bundeshaushalt dafür vorgese-hen. Ein Kernelement der christlichen Soziallehre ist derHinweis, dass es nicht immer am besten ist, alles zentralzu regeln; denn es muss nicht unbedingt in Berlin ent-schieden werden, welche Maßnahmen für einen Bürgerin Emden, Mannheim oder Greifswald sinnvoll seinkönnten.
Aber wenn dann vermehrt Meldungen durch den Me-diendschungel rauschen, dass diese Mittel der Steuerzah-ler falsch eingesetzt und das Geld verdummbeutelt wird,dann haben die Steuerzahler einen Anspruch darauf, dassvor Ort genau nachgeschaut wird, was schiefgelaufen ist,dann haben sie einen Anspruch darauf, dass diese Miss-stände umgehend abgestellt werden.
Wir haben in diesem Haushalt einen deutlichen Auf-wuchs der Mittel für die Eingliederungshilfe gegenüberden Ausgaben im letzten Jahr. Dieses Geld soll arbeits-willigen Hartz-IV-Beziehern helfen, sich für eine Arbeitzu qualifizieren. Diese Menschen haben Hoffnungen, diesie in die Ergebnisse der Maßnahmen setzen. Umgekehrthat auch der Steuerzahler Hoffnungen und Erwartungen,was die erfolgreiche Verwendung seines Geldes angeht.All diese Menschen dürfen wir nicht enttäuschen.
Wir dürfen sie nicht dadurch enttäuschen, dass mit derEingliederungshilfe Dinge finanziert werden, mit denensich die Chancen für die Eingliederung in den Arbeits-markt nicht verbessern. Wir wollen Maßnahmen fördern,die effektiv sind. Aber es stellt sich natürlich die Frage,wie sichergestellt werden kann, dass diese Mittel auchnutzbringend verwendet werden. Das Geld darf nicht innutzloser Beschäftigung versanden, sonst haben wir ei-nen doppelten Schaden. Der Steuerzahler muss auf seinGeld verzichten, und der Hilfsbedürftige ist frustriert.Das kann und darf nicht unser Ziel sein. Wir müssen er-reichen, dass die knappen staatlichen Mittel effektiv ein-gesetzt werden. Deshalb haben wir im Haushalt die Mit-tel für den Eingliederungshilfetitel teilweise gesperrt.Sie dürfen erst dann ausgegeben werden, wenn ein Kon-zept zur besseren Integration von Arbeitslosengeld-II-Empfängern in den Arbeitsmarkt vorgelegt wird; dennletztlich sind diese Mittel Geld, das wir mit Schulden fi-nanzieren. Die 80 Milliarden Euro Neuverschuldung zurFinanzierung des Bundeshaushalts belasten die Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer der Zukunft. Das sinddie nachfolgenden Generationen. Wir können nicht vonNachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit reden,wenn wir nicht sorgsam mit diesem Geld umgehen. Das
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Axel E. Fischer
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ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, wie auch derLeiter der Bundesagentur für Arbeit, Herr Weise, ver-gangene Woche betont hat.
Frau Kollegin Hagedorn, wir würden das zu Hause,wenn wir ehrlich sind, doch genauso machen. Bevor wirmehr Geld in die Nachhilfe unserer Kinder stecken,schauen wir erst einmal nach, was die Nachhilfe bislangbewirkt hat und wie man vielleicht bessere Ergebnisseerzielen kann. Warum soll das bei öffentlichen Mittelnnicht genauso sein? Wir halten das für einen ganz natür-lichen Vorgang. Wir wollen eine Überprüfung und einenBericht, der uns zeigt, was gut läuft und wo man verbes-sern kann und muss, damit die Eingliederung optimiertwird.Vor Wahlen ist es üblich, staatliche Programme undBeglückungen für alle und jeden zu fordern. Ganz be-sonders locker geht man damit auf Oppositionsbänkenum, nicht zuletzt in der Erwartung, diese Versprechennie einhalten zu müssen. Ich kann mich noch gut erin-nern: In der letzten Legislaturperiode waren es vor allemSPD-Minister, die die Realitätsferne der Linken geißel-ten.
Kaum sind sie auf den Oppositionsbänken angekommen,schlagen sie ähnliche Töne an: Sie fordern nun die Ver-doppelung der Bezugszeit für Arbeitslosengeld I und neuestaatliche Beschäftigungsprogramme für mehr als 3 Milli-arden Euro. Auf eine Vermögensprüfung bei Hartz IVwollen sie offensichtlich ganz verzichten. Heißt dasetwa, der hart arbeitende Steuerzahler bezahlt dem Ban-ker, der schon mit 40 genügend auf der Bank hat undnicht mehr arbeiten will, die Warmmiete für seine Woh-nung und dazu noch den Regelsatz als Taschengeld?
Da fragt sich doch jeder, was das mit sozialer Gerechtig-keit zu tun hat.
Das ist mit heißer Nadel gestricktes Wahlkampfmaterial,das nach der Wahl den üblichen Weg gehen wird.
Meine Damen und Herren, mit dem vorliegendenBundeshaushalt spannt die christlich-liberale Koalitionunter Führung von Angela Merkel einen Schutzschirmfür Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Wir halten durch den Einsatz von Steuermitteln dieLohnnebenkosten stabil. Das sichert Arbeitsplätze undhält die Gesellschaft zusammen. Die christlich-liberaleKoalition und auch Frau Ministerin von der Leyen sindsich ihrer Verantwortung bewusst, ihrer Verantwortungfür soziale Gerechtigkeit und ihrer Verantwortung fürden sparsamen Umgang mit Steuermitteln. Beides ge-hört zusammen. Das zeigt der von Wolfgang Schäublevorgelegte Bundeshaushalt, den wir in dieser Woche be-raten.Herzlichen Dank.
Der Kollege Matthias W. Birkwald ist der nächste
Redner für die Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Sozial ist, was Würde schafft. UmWürde geht es auch beim Umgang mit Rentnerinnenund Rentnern. Die Angleichung der Rente in den neuenBundesländern an das Niveau im Westen ist ein Trauer-spiel. 20 Jahre sind ins Land gegangen, bevor Sie, liebeKolleginnen und Kollegen von CDU/CSU, nun ein ein-heitliches Rentenrecht für Ost und West ankündigen.Das fordern wir Linken schon lange. Es muss gelten:gleicher Lohn für gleiche Arbeit und gleiche Rente fürgleiche Lebensleistung – in Ost und West.
Die Lebensleistung einer Rentnerin in Frankfurt
verdient genauso viel Respekt wie die Lebensleistung ei-nes Rentners in Frankfurt am Main. Ich weiß: Die Ren-tenwerte anzuheben, geht nicht über Nacht. Aber fangenSie jetzt damit an!
Meine Damen und Herren, sozial ist, was Würdeschafft. Erwerbsarbeit kann, muss aber nicht dazuzäh-len. Eine mies bezahlte Arbeit für 3 oder 4 Euro in derStunde, befristet, ohne Perspektive, eine Arbeit, in diedas Jobcenter Erwerbslose drängt, solch ein Job er-scheint den Betroffenen sinnlos. Solch eine Arbeitschafft keine Würde, solch eine Arbeit beseitigt Würde.Das Gleiche gilt für Sozialleistungen: Hartz IV ent-würdigt, Hartz IV demütigt und Hartz IV verformt dieMenschen zu willigen und billigen Verkäuferinnen undVerkäufern ihrer Arbeitskraft. Statt „Fördern und For-dern“ hätte das Motto von Hartz IV eigentlich „Zwingenund Schubsen“ heißen müssen. Das ist würdelos, und da-rum muss Hartz IV überwunden werden.
Stattdessen brauchen wir „gute Arbeit“, die nieman-den zum seelenlosen Verkäufer herabstuft, und gute So-zialleistungen, die keine und keinen zum Bittsteller undzur Verschiebemasse am Arbeitsmarkt herabwürdigen.Darum schlagen wir Linken ein Zukunftsprogrammvor, mit dem massenhaft neue, anständig bezahlte Ar-beitsplätze entstehen könnten, zum Beispiel durch denAusbau der Kinderbetreuung, durch die Ausbildung vonErzieherinnen und Erziehern, von denen wir viele und
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Matthias W. Birkwald
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gut qualifizierte brauchen, im Bereich der Gesundheits-förderung und der Prävention, in der Erwachsenenbil-dung und durch die Förderung der Integration von Zu-wanderinnen und Zuwanderern.Von Arbeit muss man leben können. Deswegen for-dert die Linke einen flächendeckenden gesetzlichenMindestlohn, Herr Kolb, von 10 Euro brutto die Stunde.
Mit 10 Euro brutto wären auf einen Schlag bis zu400 000 Aufstockerinnen und Aufstocker aus Hartz IVraus, die heute, obwohl sie den ganzen Tag arbeiten,nicht genug zum Leben haben, und eine weitere halbeMillion Menschen, die Vollzeit zu Hungerlöhnen arbei-ten, aber Hartz IV nicht in Anspruch nehmen, obwohl sieaufstocken dürften, wären keine arbeitenden Armenmehr.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, seitgestern schlagen Sie nun vor, die Bezugsdauer vonArbeitslosengeld I auf bis zu 24 Monate zu verlängern.Das findet die Linke gut, weil man auch damit das Ab-rutschen in Hartz IV zeitweise verhindern kann.
Das finden wir auch deshalb gut, weil wir Linken schonim Juni 2009 gefordert haben, die Bezugsdauer vonArbeitslosengeld I auf 24 Monate zu verlängern.
Aber mit Ihrem neuen Hartz-IV-Light-Konzept springenSie viel zu kurz. Sie scheuen den klaren Bruch mit derHartz-Logik. Machen Sie doch endlich Nägel mit Köp-fen, und verabschieden Sie sich endgültig von HerrnHartz und seinen Untaten!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sozial ist, wasWürde schafft. Das gilt auch für Familien: Erstens. Kin-der müssen frei von Armut aufwachsen können. Undzweitens. Elternschaft darf kein Grund für Armut sein.Darum muss der Kinderzuschlag deutlich angehobenwerden.
Die Würde von Kindern ist der Ausgangspunkt desUrteils des Bundesverfassungsgerichts. Kinder sindkeine kleinen Erwachsenen, und – das fügte das Gerichthinzu – Erwachsene sind keine Bittstellerinnen und Bitt-steller, deren Existenz vom Wohlwollen der Familie, derNachbarschaft oder von gemeinnützigen Einrichtungenabhängen darf. Jeder Mensch in unserem Land hat einRecht auf die Sicherung seines grundlegenden Bedarfs.
Dieses Recht darf nicht mit dem Verweis auf Pflichtenhintenherum wieder einkassiert werden. Darum tretenwir Linken für eine sanktionsfreie und für eine armuts-feste soziale Mindestsicherung ein. Darum darf der Re-gelsatz für Hartz-IV-Betroffene nicht zu niedrig ange-setzt werden.
Bildung, Bildung, Bildung schallt es aus allen Ecken,wenn Lösungsvorschläge gefragt sind. Aber wie vieleEuro sind im Regelsatz für Hartz-IV-Betroffene für Bil-dung vorgesehen? Nichts, nullkommanull, zero, nada,niente. Ändern Sie das, und zwar sofort!
Meine Damen und Herren, wir alle sollten uns einigsein, dass sich auch Hartz-IV-Betroffene gesund ernäh-ren können müssen. Auch das ist eine Frage der Würde.Auch darum ist die Anhebung des Regelsatzes dringendnotwendig, und zwar nicht nur auf 420 Euro, nicht nurauf 440 Euro, sondern auf mindestens 500 Euro im Mo-nat.
Sozial ist, was Würde schafft. Hartz IV ist bereits Ar-mut per Gesetz. Flüchtlinge jedoch erhalten nach demAsylbewerberleistungsgesetz noch ein Drittel weniger.Das ist reine Willkür, und – lassen Sie mich das hierauch sagen – das ist verfassungswidrig. Menschenwürdezweiter Klasse darf es nicht geben.
Für uns Linke ist selbstverständlich: Würde ist keineFrage der Staatsangehörigkeit. Das folgt auch aus demUrteil des Bundesverfassungsgerichts. Darum, liebeKolleginnen und Kollegen von der Koalition: SchaffenSie dieses Sondergesetz für Flüchtlinge endlich ab!Ich danke Ihnen.
Die Kollegin Dr. Claudia Winterstein hat das Wort für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Haushalt des Arbeitsministeriums ist, wiehier schon gesagt wurde, der größte Einzeletat im Bun-deshaushalt. Er macht 45 Prozent des Gesamtetats aus,nämlich 143,2 Milliarden Euro. Das ist eine gewaltigeSumme. Dieser Etat verbraucht zwei Drittel der gesam-ten Steuereinnahmen des Bundes. Er ist im Laufe derJahre immer weiter angewachsen. 2006 lagen die Ausga-ben noch bei 119,8 Milliarden Euro. Für dieses Jahr, für2010, sollen sie, wie gesagt, bei 143,2 Milliarden Euroliegen. Dass das so nicht weitergehen kann, muss uns al-len aufgrund der immens hohen Neuverschuldung klarsein. Auch dieser Etat muss seinen Beitrag bringen. Dasist klar.Wir haben in den Beratungen dieses Haushaltsplansmit ersten Einsparungen ein richtiges Signal gesetzt.Der Ansatz für diesen Haushalt liegt jetzt um 9,9 Milli-
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Dr. Claudia Winterstein
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arden Euro niedriger als der des ersten Entwurfs, dernoch von Herrn Steinbrück stammte.
Er liegt auch 3,6 Milliarden Euro niedriger als der An-satz des zweiten Entwurfs, den Minister Schäuble vorge-legt hat.
Aufgrund der besseren Arbeitsmarktzahlen gegenü-ber der Herbstprognose – jetzt spreche ich das an, wasSie vorhin erwähnt haben – ist es so, dass die Bundesa-gentur für Arbeit 3,2 Milliarden Euro weniger benötigtund dass wir für das Arbeitslosengeld II 400 MillionenEuro weniger ansetzen können. Über diese Entwicklungkönnen wir uns freuen. Wir haben aber noch weitere An-träge gestellt, die zu Kürzungen von 26,2 MillionenEuro geführt haben. Sie hätten gerne für diese Anträgestimmen können, Frau Hagedorn. Ich kann mich sehr gutdaran erinnern, dass Sie das nicht getan haben.
Als deutliches Signal für einen sorgfältigen Umgangmit Steuergeldern hat die Koalition außerdem beim Etat-posten „Eingliederungsbudget“ eine Sperre von 900 Mil-lionen Euro verfügt. Das ist schon vielfach erwähnt wor-den. Wir haben im letzten Jahr 10,1 Milliarden Euro indiesem Bereich ausgegeben. Genau diese Summe kannohne Weiteres auch dieses Jahr ausgegeben werden.
Ich verstehe die Panikmache überhaupt nicht. Dieser Be-trag steht ohne Wenn und Aber zur Verfügung. Es gehtlediglich um den Aufwuchs. Sie wollen hoffentlich nichtbehaupten, dass der Aufwuchs, der noch gar nicht be-schlossen worden ist, im Prinzip schon ausgegeben wor-den ist.
Diese 900 Millionen Euro, die oben draufgesatteltworden sind – das ist eine ganz beträchtliche Summe –,werden mit einer Sperre versehen. Wenn Herr Schneider,der leider nicht mehr anwesend ist und der schon seit elfJahren Mitglied im Haushaltsausschuss ist, den Unter-schied zwischen einer Sperre und einer Kürzung nichtkennt,
dann muss ich sagen, dass er im Haushaltsausschuss ander falschen Stelle ist.
Frau Hagedorn, ich kann nur hoffen, dass Sie den Fehlervon Herrn Schneider nicht ebenfalls begehen, sondernetwas klüger und ehrlicher sind und hier keine Verhet-zungspolitik betreiben.
Sie sollten klar sagen, dass diese Sperre aufgehobenwird, wenn wir vom Ministerium entsprechende Infor-mationen bekommen und wenn ein Konzept vorgelegtwird, durch das deutlich wird, dass wir die Mittel sorg-fältig einsetzen.
Ich will an dieser Stelle Herrn Weise zitieren, der ge-sagt hat, er widerspreche Berichten, demzufolge die BAim Zusammenhang mit der Haushaltssperre vor steigen-der Langzeitarbeitslosigkeit warne. Er unterstütze dieAuffassung des Haushaltsausschusses, wonach die Wirk-samkeit von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen erhöhtwerden könne.
Das ist genau unser Ziel. Deswegen werden wir wartenund schauen, wie das Konzept aussehen wird. Dann kön-nen wir diese Sperre aufheben. Es besteht also keinGrund zur Panik. 10,1 Milliarden Euro stehen ohne Wei-teres zur Verfügung.Meine Damen und Herren, es gibt noch einen weite-ren Punkt, der uns alle sehr beschäftigt. Es geht um dieFrage, was eigentlich aus dem Eingliederungstitel be-zahlt wird. Frau Hagedorn, Sie haben von Qualifizie-rungsmaßnahmen gesprochen. Schauen Sie einmalgenau hin: Qualifizierungsmaßnahmen machten nur18,2 Prozent der Leistungen zur Eingliederung aus. Dergrößte Posten im gesamten Instrumentenkasten warenmit fast 37 Prozent die Ein-Euro-Jobs. Diese stehen nunüberall, auch bei der Opposition, in der Kritik. Das sollteuns in der ganzen Debatte etwas vorsichtiger werden las-sen.Über Äußerungen aus der SPD zur gemeinnützigenArbeit bei Hartz IV ist ja in der vergangenen Wocheviel berichtet worden.
Herr Heil hat davon gesprochen, für deutlich mehr als100 000 Langzeitarbeitslose mit schweren Beschäfti-gungshemmnissen müsse eine öffentlich bezahlte Be-schäftigung außerhalb des regulären Arbeitsmarktesgeschaffen werden. Das haben wir schon, allerdingsziemlich erfolglos. So hat Herr Müntefering 2008 einBeschäftigungsprogramm für Langzeitarbeitslose mit
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Dr. Claudia Winterstein
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dem Titel „Kommunal-Kombi“ aufgelegt. Da hieß esebenfalls, es sollten 100 000 Jobs für Langzeitarbeitslosegeschaffen werden. Tatsächlich hat dieses Programm dieErwartungen bei weitem nicht erfüllt.
Auch bei der JobPerspektive, die Ende 2007 aufgelegtwurde, waren 100 000 Personen angepeilt. Auch hier istdas Ziel bei weitem nicht erreicht worden.Das gestern vorgestellte SPD-Konzept spricht jetztdavon, mit Mehrausgaben von 3 Milliarden Euro200 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze fürArbeitslose zu schaffen. 3 Milliarden Euro Mehrausga-ben! Ich möchte nur daran erinnern: Noch vor einer Wo-che hat Frau Kraft behauptet,
man werde eine Lösung ohne Mehrkosten für den Staatfinden. Diese Äußerung hatte also eine sehr kurze Halb-wertszeit.
Im Übrigen hat die Bundesagentur zu Recht daraufhingewiesen, dass es schon jetzt in erheblichem Umfanggemeinnützige Jobs für Langzeitarbeitslose gibt, näm-lich im Rahmen der sogenannten Ein-Euro-Jobs. Im Fe-bruar 2010 befanden sich 288 300 Personen in solchenArbeitsgelegenheiten. Natürlich muss man sagen: Beidiesen Ein-Euro-Jobs gibt es erhebliche Probleme. Ichwill aus dem jüngsten Prüfbericht zitieren:In etwa der Hälfte der geprüften Fälle konnte dasöffentliche Interesse und in zwei Drittel der Fälledie Zusätzlichkeit und Wettbewerbsneutralität nichtfestgestellt werden.
Das Handwerk hat im Zuge dieser Debatte deutlich dar-auf hingewiesen, dass es schon lange schlechte Erfah-rungen mit diesem Instrument sammelt. Herr Heil, Siereden hier über einen steuerfinanzierten Schattenarbeits-markt, über nichts anderes. Wir wollen in der Regierunghingegen alles dafür tun, dass Menschen wieder im ers-ten Arbeitsmarkt Fuß fassen können.
Das einzige, was hier hilft, ist wirtschaftlicher Auf-schwung mit neuen Arbeitsplätzen,
die von den Unternehmen geschaffen werden.
Genau das ist unser Ziel.
Vielen Dank.
Brigitte Pothmer hat jetzt das Wort für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Vor-lage des Haushalts ist immer auch die materielle Ant-wort auf die Frage: In welcher Gesellschaft wollen wireigentlich leben? Dieser Haushaltsentwurf spiegelt eineGesellschaft wider, die große soziale Ungleichheiten för-dert und erhält. Sie fördern mit diesem Haushaltsentwurfund Ihrer Politik die soziale Spaltung. Sie tun leidernichts, um – hier hat Deutschland das größte Problem –die Möglichkeiten zum sozialen Aufstieg zu verbessern.
Die Stärke eines Volkes misst sich am Wohle derSchwachen: Das wäre die richtige Ausgangsthese für diein den letzten Wochen vor allen Dingen von der FDP soohrenbetäubend herbeigebrüllte Sozialstaatsdebatte ge-wesen. Was für eine Gesellschaft wünschen sich eigent-lich diejenigen, die das Credo „Leistung muss sich wie-der lohnen“ vor sich hertragen? Was bedeutet dieseThese für die Arbeitslosen?
Was bedeutet das für die Behinderten und Flüchtlinge?Das sind für Sie im Wesentlichen Kostenfaktoren. Wasbedeutet das zum Beispiel für die Friseurin in Sachsenmit 3,06 Euro die Stunde? Bei Ihnen fangen Leistungs-träger erst ab einer bestimmten Gehaltsgruppe an. Egalob sich die Menschen von morgens bis abends abplagen,bei Ihnen kommen sie jedenfalls nicht in den Status ei-nes Leistungsträgers.Ich sage Ihnen: Wenn Sie für diese Leute etwas tunund zugleich den Haushalt entlasten wollen, dann führenSie einen gesetzlichen Mindestlohn ein!
Das IAB hat vorgerechnet: Schon bei einem Mindest-lohn von 7,50 Euro könnten im Aufstockerbereich1,5 Milliarden Euro eingespart werden. So weit zu derThese, die Opposition mache nur Vorschläge, die denHaushalt belasten. Das Gegenteil ist der Fall.
Ihre ideologische Bockbeinigkeit verhindert, dass wir indiesem Haushalt Einsparungen erreichen.
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Brigitte Pothmer
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Wenn eine freie Gesellschaft nicht den vielen hel-fen kann, die arm sind, kann sie auch nicht die we-nigen retten, die reich sind.Das hat John F. Kennedy gesagt; er war bekanntermaßenkein Kommunistenführer. Vielleicht führt das dazu, dassSie ins Nachdenken kommen. Bis jetzt sieht das aller-dings nicht so aus.Ich komme zu Ihnen, Frau von der Leyen. Die Frage,wie das mit den Regelsätzen weitergeht, wird irgend-wann beantwortet werden müssen. Ich hatte mir – dasmuss ich Ihnen sagen – allerdings erhofft, dass Sie dieSituation der Kinder im Härtefallkatalog deutlich ver-bessern. Aber Schulmaterialien und Schulverpflegungsind von Ihrem Härtefallkatalog explizit ausgenommen.Sie sagen, Sie wollen auf Infrastruktur setzen. Ich sageIhnen: Hier hätten Sie die Chance gehabt, einen Beitragdazu zu leisten und an dieser Stelle entsprechende Maß-nahmen zu realisieren. Ich fürchte, dass die Kinderlängst aus der Schule raus sind, bis Ihren Worten Tatenfolgen. Aber es ist so: Den Kindern knurrt heute der Ma-gen. Die Kinder brauchen heute Unterstützung bei denSchulmaterialien.
Frau Kollegin Pothmer, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Weiß?
Ja, Herr Weiß. Ich dachte schon, es sei der Kollege
Kolb. Aber der hat sein Deputat an Fragen für diese Le-
gislaturperiode schon erschöpft.
Bitte schön.
Frau Kollegin Pothmer, Sie reden sich so in Rage. Ich
habe eine kurze Frage: Können Sie mir aus der Regie-
rungszeit von Rot-Grün einen Bundeshaushalt nennen,
in dem die Sozialausgaben sowohl in absoluten Zahlen
als auch in Prozent höher waren als im Bundeshaushalt
2010, den wir in dieser Woche beschließen?
Geschätzter Herr Weiß, die Frage ist nicht, welche ab-solute Summe für Sozialausgaben vorgesehen ist.
In den Sozialetat wird zum Beispiel auch hineingerech-net, was Sie für den Gesundheitsfonds, den wir über-haupt nicht brauchen und der teuer und schlecht ist, aus-geben wollen. Das macht den Sozialetat teurer. Es gehtdoch darum, wie wir das Geld ausgeben und für wen wirdas Geld ausgeben. In dieser Hinsicht ist der vorliegendeHaushalt ein schlechtes Beispiel, deutlich schlechter alses ein rot-grüner Haushalt jemals war.
Ich komme zu den 900 Milliarden – –
Ich komme zu den 900 Millionen Euro, die bei der För-derung von Arbeitslosen eingespart werden sollen.
Herr Fischer, ich würde gerne von Ihnen wissen, ob Sieeigentlich zu den Vorschlägen, die aus Ihrer eigenenFraktion kommen, nämlich diese Sperrung zurückzuneh-men, stehen? Ich frage Sie: Weiß bei Ihnen eigentlich dierechte Hand, was die linke tut?
Eines ist jedenfalls klar:
Wenn Sie diese Sperre nicht zurücknehmen, dann wirdeine große Zahl der Jobcenter ab Mitte des Jahres hand-lungsunfähig sein. Das ist Ihre Antwort auf das Krisen-jahr 2010, Herr Fischer, aber das ist die falsche Antwort.Diese Kürzung muss weg.
Sie haben nachher die Gelegenheit, diese Kürzung zu-rückzunehmen
und unserem Antrag zuzustimmen.
Zur JobPerspektive. Auch in diesem Bereich arbeitenSie mit List und Tücke. Sie sprechen sich zwar für dieJobPerspektive aus, aber Sie deckeln die Mittel für dieJobcenter insbesondere in den Kommunen, in denen esam besten läuft. Ein Beispiel: Ein Berliner Jobcenterhatte hier in Planung, 500 Arbeitsplätze über die JobPers-pektive zu schaffen. Jetzt haben Sie die Mittel für dieBerliner gedeckelt, und so wird es 290 Arbeitsplätzenicht geben. Allein in einem Berliner Jobcenter werden290 Menschen ohne Arbeit und ohne Perspektive sein.Sie treten nicht für das Credo „mehr Gerechtigkeit“ein, sondern Ihr Credo umfasst einen kruden Leistungs-begriff. Ihre Aufgabe wäre es, an anderer Stelle durchzu-
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Brigitte Pothmer
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greifen, nämlich dort, wo Schamlosigkeit, Gier und kor-ruptes Verhalten bei den Eliten herrscht. In diesemBereich tun Sie nichts. Es wäre Ihr Auftrag gewesen,hier mehr Gerechtigkeit zu schaffen.
Indem Sie diesen Haushalt vorlegen, machen Sie offengestanden eine anstrengungslose Regierungspolitik. Dasist nahe an spätrömischer Dekadenz.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Bundesministerin Ursula von derLeyen.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin fürArbeit und Soziales:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu-nächst einmal möchte ich dem Hohen Haus, aber auchdem Haushaltsausschuss sowie den Berichterstatterinnenund Berichterstattern für ausgesprochen konstruktiveBeratungen danken.Noch ein Wort vorweg, weil mir die Themen „Bil-dung“ und „bedürftige Kinder“ am Herzen liegen: FrauPothmer, Sie wissen, dass wir das in diesem Jahr beratenund abschließen müssen, weil das Urteil des Bundesver-fassungsgerichts das ganz klar sagt. Insofern wird dieseDebatte geführt werden, wenn auch nicht heute. ImLaufe dieses Jahres wird dieses Thema aber abgeschlos-sen sein.
Das zeigt, dass die Arbeits- und Sozialpolitik denBlick vor allem nach vorne richten muss. Sie kann ge-stalten, sie kann bewegen, sie ist entscheidend, wenn esdarum geht – zumindest werden diese Fragen durch siebeantwortet –, wie offen, wie stark, wie engagiert, wiezukunftsgewandt, wie kommunikativ, wie optimistischeine Gesellschaft ist.Nehmen wir ein Beispiel: Für das Umändern vonArbeits- und Sozialpolitik in Zeiten der Krise ist dasKurzarbeitergeld vielleicht ein Synonym. Das ist einarbeitsmarktpolitisches Instrument, das lange ein Schat-tendasein geführt hat.
Der beherzte Ausbau und Einsatz dieses Instruments hatdazu geführt, dass Hunderttausende Arbeitsplätze in derKrise gerettet worden sind, dass die Entstehung vonLangzeitarbeitslosigkeit verhindert worden ist, dassKaufkraft und Zuversicht erhalten worden sind. Deshalbist Deutschland im Augenblick wohl das einzige Land,in dem die Krise auf dem Arbeitsmarkt emotional undreal nicht so stark durchschlägt wie in anderen Ländern.
Wir werden, wenn wir das weiter so gut machen, stärkeraus der Krise herauskommen als viele andere Länder.
Ich weiß, dass das Geld kostet. Aber es ist günstiger,frühzeitig in die Vermeidung von Arbeitslosigkeit zu in-vestieren, als nachträglich Arbeitslosigkeit finanzierenzu müssen und mit all ihren langwierigen materiellenund psychologischen Folgen umgehen und diese kurie-ren zu müssen.
Deshalb möchte ich an dieser Stelle klarstellen: DasVorurteil, dass das Kurzarbeitergeld Großkonzernen aufKosten des Mittelstandes geholfen hätte, stimmt nicht.Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben jetzt die Zahlen fürdas letzte Jahr. Die Daten, die vorliegen, zeigen, dass56 Prozent der Kurzarbeiterinnen und Kurzarbeiter inmittelständischen Betrieben arbeiten, in Betrieben mitzwischen 20 und 500 Beschäftigten. 15 Prozent arbeitenin Betrieben mit weniger als 20 Beschäftigten. Somitzeigt sich ganz deutlich, dass sich dieses Kurzarbeiter-geld ausgezahlt hat. Es ist beherzt investiert worden, undes ist frühzeitig gehandelt worden. Wir haben vertrautePfade verlassen. Deshalb möchte ich an dieser Stelledem gesamten Hohen Haus danken; denn das ist ein Zei-chen für den Zusammenhalt in der Krise gewesen. DieFrüchte davon ernten wir heute in hohem Maße.
Das zeigt sich auch beim Haushalt des Bundesminis-teriums für Arbeit und Soziales: 143,2 Milliarden Euro.Das sind 3,6 Milliarden Euro weniger, als ursprünglichveranschlagt. Diese positive Entwicklung ist im Wesent-lichen auf einen einzigen Faktor zurückzuführen, aufden eben beschriebenen Erfolg, darauf, dass sich der Ar-beitsmarkt in Deutschland besser gehalten hat, als dies inanderen Ländern der Fall gewesen ist.Ich möchte aber auch ganz deutlich sagen: Wir gehenzwar mit einer relativ starken Position in das Jahr 2010– wir haben in Europa gewissermaßen die Pole Positioninne –, aber wir sollten uns nichts vormachen. Die größteWucht der Krise ist durch betriebsinterne Flexibilitätabgefedert worden. Das bedeutet für den Arbeitsmarkt:Es wird noch lange dauern, bis Betriebe wieder einstel-len werden. Wir sind noch lange nicht aus der Krise her-aus. Wir müssen dies bei all den Diskussionen, die imAugenblick laufen, gewissermaßen als Warnlampe in-nerlich mitführen.Gerade angesichts der aktuellen Diskussion über dieArbeitsmarktpolitik möchte ich klarstellen, dass fürmich in der Arbeitsmarktpolitik der Dreisatz gilt: Ersteinmal auf die Stärken der Menschen schauen. Dieses
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Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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Land braucht jeden und das, was er oder sie kann. Um-gekehrt gilt: Jeder muss sich nach seinen Fähigkeitenund Möglichkeiten einbringen, muss sich erst selbst an-strengen; denn erst dann hilft ihm der Staat und nichtumgekehrt. Schlussendlich justiert Politik den Rahmen,in dem dann die richtigen Anreize gesetzt werden. Des-halb ist es bei der Diskussion über die Haushaltsmittel sowichtig, dass nicht nur die Höhe, sondern auch Zweckund Ziel der Ausgaben debattiert werden.Ganz entscheidend sind eine schnelle passgenaue Ak-tivierung und Arbeitsvermittlung. Das spart dem Sozial-staat Geld, weil Langzeitarbeitslosigkeit verhindert wirdund all die Folgen für die Familien nicht zu tragen sind.Die Frage ist also immer: Wo können wir besser wer-den? Das beziehe ich auch ganz bewusst auf die Sperrevon 900 Millionen Euro im Eingliederungs- und Verwal-tungsetat für Grundsicherung. Die Freigabe der Mittel istan die Vorlage eines Konzepts geknüpft. Ich nehme die-sen Auftrag ernst und nehme ihn selbstverständlich an.Kernziel ist und bleibt die Vermittlung in den erstenArbeitsmarkt.
Diesen Prozess, die schnelle Vermittlung, müssen wirstringenter und systematischer organisieren. Die Men-schen wollen arbeiten. Sie brauchen dazu passgenaueAngebote. Keine Seite darf sich an die Arbeitslosigkeitgewöhnen, weder die Arbeitslosen noch die Verwaltung.Mit anderen Worten: Wo können wir besser werden?Es gibt drei Felder, die mir wichtig sind.Erstens die Passgenauigkeit und schnelle Taktungder Angebote. Man muss von Anfang an klären: Wie istder Standort? Welche Stärken hat jemand? Wo sind dieDefizite? Wo gibt es Vermittlungshindernisse? Es mussSofortangebote und Termine in schneller Taktung geben,damit sich klärt, wer wirklich arbeiten will und wer viel-leicht vergessen hat, dass er woanders mehr Arbeit hat.
Es geht um die konsequente Bereitschaft zum Mitma-chen, das konsequente Anbieten von Angeboten undQualifizierung sowie die Vermittlungsbemühungen; dieszeigt sich in allen Daten. Das führt zum Erfolg, und zwarfür die Arbeitslosen, für die Arbeitgeber, für die Jobcen-ter und damit auch für den Sozialstaat.
Das zweite Feld, bei dem wir besser werden könnenund müssen, betrifft die Alleinerziehenden. Arbeitslo-sigkeit hat immer eine Ursache. Aber wir können dochnicht akzeptieren, dass die Ursache für Arbeitslosigkeitein Kind ist. Das ist die Kausalkette bei den Alleinerzie-henden. 40 Prozent aller Alleinerziehenden sind inLangzeitarbeitslosigkeit. Sie sind jünger und qualifizier-ter als der Durchschnitt der Langzeitarbeitslosen. Siebleiben länger in der Langzeitarbeitslosigkeit als alle an-deren Langzeitarbeitslosen. Warum? Weil ihnen die An-gebote für Kinderbetreuung oder Ganztagsschulplätzefehlen. Da müssen wir besser werden. Es ist ein Armuts-zeugnis für ein Land, wenn ein Kind die Ursache fürLangzeitarbeitslosigkeit ist. Dies muss sich ändern.
Das dritte Feld, das mir wichtig ist, betrifft Jugendli-che. Wir müssen neue Akzente bei der Vermittlung vonJugendlichen setzen, indem wir den Blick auf Kontinui-tät und Verlässlichkeit schärfen. Es gibt gerade bei denJugendlichen viel zu viele Bruchstellen in der Kette derMaßnahmen. Es gibt Berufsberatung in der Schule, dieArbeitsvermittlung, die Berufsvorbereitung und dieMatching-Beauftragten bei den IHKs. Jeder ist vielleichtan seiner Stelle richtig, aber zum Schluss ist es eineKette von Erlebnissen des Scheiterns für die Jugendli-chen, wenn sie von einer Hand zur nächsten gereichtwerden. Wenn wir dieses große Wort „Hilfe aus einerHand“ ernst nehmen wollen, dann muss es vor allem beiden jungen Menschen gelten, die einen Anker, einenMentor brauchen. Es ist der richtige Moment, das Kon-zept „Hilfe aus einer Hand“ in einer Person neu umzu-setzen.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal sagen, dassich nach wie vor der Überzeugung bin – das habe ich inder kurzen Zeit in diesem Amt immer wieder betont –,dass die Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre in dierichtige Richtung gegangen sind. Sie hatten den Grund-satz, Menschen durch Aktivierung eine reelle Chance zugeben, weil jeder Monat länger in Arbeitslosigkeit dasRisiko erhöht, dass sich Langzeitarbeitslosigkeit verfes-tigt. Ich nenne zwei Zahlen. 2005 waren 37 Prozent derMenschen, die arbeitslos waren, länger als ein Jahr ohneArbeit. Dann kamen die Arbeitsmarktreformen. 2009,mitten im Krisenjahr, waren es nur noch 29 Prozent, dielänger als ein Jahr arbeitslos waren. Das heißt, es warenweniger. Jetzt können wir doch nicht die Rolle rückwärtsmachen, indem wir wieder in die alten Fehler verfallen.
Deshalb, liebe SPD, ich hätte bezüglich des Konzeptsgestern mehr erwartet.
Dazu muss ich an dieser Stelle ein paar kritische Wortesagen. Ich lese: länger Arbeitslosengeld bei Qualifizie-rung.
Ein Blick ins Gesetz genügt, um zu sehen: Das stehtschon drin. Das ist nichts Neues. Das ist ungefähr so pri-ckelnd wie ein abgekautes Kaugummi.
Die Regelung, dass das Arbeitslosengeld I bei Qualifi-zierung länger bezogen werden kann, gibt es schonheute. Im Extremfall geht das bis zu 36 Monate.
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Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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An einer anderen Stelle habe ich mir die Augen gerie-ben: Sie beklagen, dass es zu viel Teilzeit gibt. Wer hatdenn das Recht auf Teilzeit – übrigens vernünftiger-weise, weil es kaum eine reelle Chance auf Vereinbarkeitvon Beruf und Familie gab – eingeführt?
Es war die SPD bzw. es war, um es korrekt zu sagen,Rot-Grün. Jetzt läuft das. Die Menschen nehmen sichdas Recht auf Teilzeit. Die unbefristete Teilzeit – ich be-tone: die unbefristete – expandiert, nicht als Verdrän-gung der Vollzeit, sondern als Ergänzung der Vollzeit.An den entsprechenden Arbeitsmarktzahlen lässt sichablesen: Oft ist die Teilzeit ein Übergang in die Vollzeit.Nachdem sich der Erfolg nach einigen Jahren eingestellthat, kann es jetzt doch nicht heißen: Rein in die Kartof-feln und wieder raus aus den Kartoffeln. Das kann keinKonzept für die Zukunft sein.
Mir ist wirklich an diesem Thema gelegen.Ich weiß, dass wir in der Vergangenheit Fehler ge-macht haben. Diese Fehler muss man in der Zukunft kor-rigieren; das akzeptiere ich immer. Aber den Blick zu-rück zu werfen, wie Sie es bei den beiden Punkten, dieich gerade exemplarisch genannt habe, vorschlagen,kann keine Antwort sein. Wir leben in einer sozialenMarktwirtschaft. Wir alle sind der festen Überzeugung:Sie ist das Richtige. Sie zeichnet sich aus durch Wettbe-werb und durch Freiheitlichkeit, aber mit Maß undMitte, mit Leitplanken. Unsere Aufgabe muss es sein,diese richtigen Grundprinzipien heute in eine moderne,in eine globalisierte Arbeitswelt zu übersetzen. Daranmöchte ich mit Ihnen gemeinsam arbeiten.Vielen Dank.
Der Kollege Hubertus Heil hat das Wort für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Frau von der Leyen, die Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer und die arbeitsuchenden Menschen in die-sem Land brauchen mehr als Ihre warmen Worte. Diebrauchen Taten. Sie sind Ministerin.
Sie beschreiben schön die Zusammenhänge.
Sie kritisieren, was andere wollen. Sie sagen aber nicht,was Sie selbst wollen. Das ist für eine Bundesministerinfür Arbeit und Soziales ungenügend.
Gehen wir die einzelnen Punkte einmal durch. Es warviel die Rede von Fördern und von Fordern. Auf einmalheißt es wieder: Hilfe aus einer Hand. Herzlich willkom-men im Klub! Vor ein paar Wochen haben Sie noch vonHilfe unter einem Dach gesprochen. Es ist sehr vernünf-tig, dass Sie wieder auf sozialdemokratische Positioneneinschwenken, zumindest verbal. Bemühen wir uns, dasswir das hinkriegen.
Aber was nützt die Hilfe aus einer Hand, wenn es eineleere Hand ist? Herr Barthle, so einfach können Sie sichdas nicht machen. Sie haben im Bereich der aktiven Ar-beitsmarktpolitik ohne Not 900 Millionen Euro gesperrt.
Es ist zynisch, wenn die FDP so etwas beantragt und imgleichen Zuge über die Arbeitsunwilligkeit von Lang-zeitarbeitslosen räsoniert. Wer denen die Chancen raubt,der darf nicht über vermeintliche Arbeitsunwilligkeit rä-sonieren. Das wäre zynisch. Deshalb ist unser Antragheute klar: Heben Sie diese Sperre auf! Sie nimmt denMenschen Chancen auf Arbeit. Den Menschen Chancenzu geben, muss aber unser Ziel sein.
– Herr Barthle, es ist interessant, dass die Ministerin, so-zusagen aus Ärger über die eigenen Haushälter, wiederbeim Haushaltsausschuss angekrochen kommen muss,um die Aufhebung dieser Sperre zu beantragen. Aberdie Folgen in der Praxis – schauen Sie sie sich in den Ar-gen an – sind frappierend.
Da Sie Herrn Weise zitiert haben, sage ich Ihnen: Ichkann mir vorstellen, wie das gelaufen ist. Die Folgen derKürzungen, die Sie planen, sind in der Bundesagenturfür Arbeit berechnet worden. Vor Ort wird es 100 Argen,100 Jobcenter geben, die in der zweiten Jahreshälftekeine aktive Arbeitsmarktpolitik mehr machen können.Das ist die Folge Ihrer Politik.
Frau von der Leyen hat wahrscheinlich Wut bekom-men, dass die Bundesagentur die Wahrheit beschriebenhat. Dann hat sie Herrn Weise angerufen, ihn zurückge-
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2620 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Hubertus Heil
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pfiffen und ihn aufgefordert, sich freundlicher zu äußern,da sie ja beantragen werde, dass die Sperre wieder auf-gehoben wird.
Aber bis dahin herrscht in den Jobcentern Attentismus.Die Maßnahmen für die zweite Jahreshälfte müssen be-antragt werden, damit die Leute Chancen haben. Dasscheitert im Moment an Ihnen.
Ich will Ihnen eines sagen: Ich befürchte, das, was Siemit dieser Sperre versuchen, ist nur ein Wetterleuchtenfür das, was Sie in der zweiten Jahreshälfte, vor allenDingen nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl,im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik tatsächlichvorhaben. Sie wollen für Ihre verfehlte Steuer- undKlientelpolitik die aktive Arbeitsmarktpolitik zu einemSteinbruch machen. Das heißt nichts anderes, als dassSie, um FDP- und CDU/CSU-Klientel zu bedienen, be-reit sind, den Schwächsten der Schwachen die Chancenzu rauben. Das geht so nicht, und wir werden das atta-ckieren.
Frau von der Leyen, gänzlich geschwiegen haben Sieheute wie so oft zum Thema „Recht und Ordnung aufdem Arbeitsmarkt“. Es ist vollkommen in Ordnung,wenn Sie davon sprechen, dass unser Ziel nach wie vorsein muss, wo immer es geht Menschen in den ersten Ar-beitsmarkt zu bringen.Aber Sie verschließen die Augen davor, dass in vielenBereichen die Arbeit prekär geworden ist und dass es po-litische Maßnahmen braucht, um dafür zu sorgen, dassMenschen in ordentliche Arbeit kommen, in anständigeArbeit, in Arbeit, von der sie leben können. Es ist einZynismus sondergleichen, wenn FDP und CDU/CSUMenschen, die Vollzeit arbeiten, Leistungsträger, zuLeistungsempfängern machen, indem sie den Menscheneinen Mindestlohn nach wie vor vorenthalten und siedazu zwingen, zum Amt zu gehen und ergänzendArbeitslosengeld II zu beziehen. Machen Sie Schluss mitder Aufstockerei! Sorgen Sie für Mindestlöhne, für an-ständige Löhne, für Löhne, von denen die Menschen le-ben können! Das ist die Aufgabe einer Arbeitsministe-rin.
Herr Kollege Heil, Ihr Kollege Schaaf würde Ihnen
gerne eine Zwischenfrage stellen.
Gerne; herzlichen Dank!
Ich stelle normalerweise keine solche Zwischenfrage.
Aber die Ministerin hat in ihrer Rede zu den zentralen
Fragen, zum Beispiel zur Aufstockerproblematik – die
Sie, Kollege Heil, zu Recht angesprochen haben –, vor
allen Dingen aber zum Thema „Zeit- und Leiharbeit“,
insbesondere vor dem Hintergrund der Freizügigkeit,
nun wirklich überhaupt kein Wort gesagt.
Herr Kollege Heil, Sie haben vielleicht die Äußerun-
gen des Arbeits- und Sozialministers von Nordrhein-
Westfalen, Karl-Josef Laumann, CDU, wahrgenommen.
Herr Laumann hat am Wochenende gesagt: Wir müssen
gerade in diesem Bereich unbedingt handeln. Herr Heil,
stimmen Sie mit mir überein, dass Herr Laumann recht
hat? Würden Sie mir recht geben, dass wir in diesem Be-
reich unbedingt einen Mindestlohn brauchen?
Würden Sie mir darüber hinaus recht geben, dass es
die Unionsfraktion war, dass es Volker Kauder war, dass
es Staatssekretär Brauksiepe war, die in der letzten Le-
gislatur verhindert haben, dass im Bereich der Zeit- und
Leiharbeit für Recht und Ordnung gesorgt wird?
Herr Kollege Schaaf, ich bin Ihnen sehr dankbar fürdiese Frage.
– Ja; aber ich werde sie jetzt beantworten. Das ist meingutes Recht. – Dieses Thema spielt bei Frau von derLeyen gar keine Rolle; aber es beschäftigt die Menschen –da können Sie aus der Unionsfraktion noch so zurufen.Es ist tatsächlich so, dass es ein System von derLeyen gibt: Man informiert sich aus Umfragen, was dieMenschen wichtig finden, nimmt das als Aufreißer – undwendet sich dann gleich dem nächsten Thema zu. So wares auch im Fall Schlecker. Frau von der Leyen hat sichgroß aufgeblasen, die Zustände bei Schlecker seien einUnding XXL. Es geht aber nicht darum, moralischeAppelle vom Stapel zu lassen, es geht darum, für Rechtund Ordnung zu sorgen und gegen den Missbrauch vonZeit- und Leiharbeit vorzugehen. Dafür muss man ers-tens den Mindestlohn für die Zeitarbeitsbranche, denCDU/CSU und FDP verhindern, durchsetzen.
Zweitens muss man dafür sorgen, dass für Zeit- undLeiharbeitnehmer wie für Stammarbeitnehmer derGrundsatz gilt: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Dasschafft Sicherheit, das sorgt für Recht und Ordnung aufdem Arbeitsmarkt.In Nordrhein-Westfalen, Herr Schaaf, läuft das glei-che System von der Leyen ab, nur dass da das ExemplarLaumann heißt. In einem Interview für die aktuelle Aus-gabe des Spiegel hat er sich gegen den Missbrauch vonZeit- und Leiharbeit gewendet. Doch was machen seineParteifreunde in Berlin? Wir müssen Tatenlosigkeit fest-stellen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2621
Hubertus Heil
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Frau von der Leyen, wo ist Ihr Konzept für denKampf gegen den Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit,gegen Scheintarifverträge, gegen Entwicklungen, die an-ständige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als Be-drohung auf sich zukommen sehen, weil sie feststellenmüssen, dass ihre Rechte und ihre Löhne untertunneltwerden durch den Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit?Sorgen Sie endlich für Recht und Ordnung auf dem Ar-beitsmarkt!Herzlichen Dank, Herr Schaaf, für die Gelegenheit,über diesen Punkt zu sprechen.
Herr Kollege Heil, auch Frau Winterstein hätte noch
eine Frage an Sie.
Ja, gerne.
Bitte schön.
Herr Heil, Sie haben gerade gesagt, dass die Argen
zur Jahresmitte hin keine Gelder mehr hätten, um dafür
Sorge zu tragen, dass ihre Mitarbeiter weiter beschäftigt
werden können.
Das habe ich nicht gesagt.
Meine Frage an Sie ist: Wollen Sie damit behaupten,
dass für die zweite Jahreshälfte nur noch 900 Millionen
Euro gebraucht werden
und in der ersten Jahreshälfte quasi 10,1 Milliarden Euro
schon ausgegeben worden sind?
Das wäre eine sehr seltsame Art des Wirtschaftens. Ich
glaube kaum, dass man in der zweiten Jahreshälfte mit
900 Millionen Euro auskommen kann.
Meine zweite Frage ist: Kennen Sie eigentlich den
Unterschied zwischen einer Sperre und einer Kürzung?
Wenn nicht, können Sie sich gerne bei uns erkundigen.
Frau Winterstein, danke für die Gelegenheit, diesebeiden Fragen zu beantworten; auch wenn Sie mir Sätzeunterstellt haben, die ich ausweislich des Protokollsnicht gesagt habe.Aber fassen wir es zusammen: Erstens. Sie haben eineHaushaltssperre für zwei Bereiche beantragt, nämlichfür 300 Millionen Euro im Bereich der Arbeitsvermittlerund für 600 Millionen Euro im Bereich der aktiven Ar-beitsmarktpolitik.Es gibt einen schönen Vermerk der Bundesagentur fürArbeit, in dem die Folgen Ihres Tuns beschrieben wer-den; darin wird ausgeführt, was passiert, wenn dieSperre nicht aufgehoben wird. Es wird beschrieben, dassin der zweiten Jahreshälfte in über 100 Jobcentern inDeutschland – das habe ich gesagt, und ich bleibe dabei –keine zusätzliche Bestellung von aktiver Arbeits-marktpolitik mehr möglich ist.
Sie wissen vielleicht – ich hoffe, Sie wissen es, ichhoffe, dass Sie zumindest einmal in der Bundesagenturin Nürnberg nachgefragt haben; es wäre ganz gut, wennsich Haushälter, die zuständig sind, in einem Jobcenterauch einmal umschauen und mit Praktikern reden wür-den –,
dass die Maßnahmen für Langzeitarbeitslose in derzweiten Jahreshälfte, die notwendig sind, um sie mit be-gleitenden Hilfen wieder in Arbeit zu bringen, jetzt be-stellt werden müssen.Frau von der Leyen hat vorhin davon gesprochen,dass wir einen guten Service für Langzeitarbeitslosebrauchen und dass sie eine Betreuung aus einer Hand be-nötigen. Wir erreichen das nur, wenn die Relation zwi-schen der Zahl der Jobvermittler und der Zahl der Lang-zeitarbeitslosen besser wird. Auch hier setzen Sie mitIhrem Sparversuch die Axt an.
Ich sage Ihnen: Das, was Sie da gemacht haben, hatsich schon jetzt als Unsinn herausgestellt. Deshalb habeneinige in der Union ein schlechtes Gewissen. Ich sageIhnen auch: Das ist nur das Wetterleuchten für das, wasSie und Ihre Fraktion nach der NRW-Wahl vorhaben.Wenn man Frau Homburger fragt, wo nach der Wahl ge-kürzt werden soll, dann sagt sie immer: in der Arbeits-marktpolitik. Ich sage Ihnen, was Sie vorhaben: beiHoteliers Geschenke verteilen und in der Arbeitsmarkt-politik kürzen. Das nenne ich unanständig und verirrt,diesen Vorwurf müssen Sie sich auch gefallen lassen.
Frau Winterstein, den Unterschied zwischen einerSperre und einer Haushaltskürzung kenne ich übrigenssehr wohl, ich weiß aber auch, was an dieser Stelle da-hintersteckt. Sie haben insgesamt ein Misstrauen gegenaktive Arbeitsmarktpolitik.
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Hubertus Heil
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In Ihrer Fraktion laufen ja auch Debatten gegen dieKurzarbeit. Das gilt auch für Teile des Wirtschaftsflü-gels der Union. Sie haben die Regeln für die Kurzarbeitin diesem Bereich verschlechtert. Das hat Frau von derLeyen ja verschwiegen. Die Kurzarbeit wurde gelobt.Dieses Lob verdient Olaf Scholz. Sie haben sie zwarfortgesetzt, aber die Dauer verkürzt, und Sie haben nichtdafür gesorgt, dass die Remanenzkosten, also die Sozial-versicherungsbeiträge, auch über den 1. Januar 2011 hi-naus übernommen werden können.Sie sagen nichts zu dem, was in der Metall- und Elek-troindustrie vereinbart wurde, also zu der kleinen Kurz-arbeit. Das bedeutet ein Stück Arbeitszeitverkürzungund ein Stück Brücke in einer Zeit, in der wir Menschenin Beschäftigung halten wollen. Auch hier versagen Sie,weil Sie mit der Ideologie der FDP nicht zurechtkom-men.Dieser Koalitionspartner ist Ihr Problem, Frau Minis-terin. Sie haben in früherer Funktion viel Richtigesmachen können, weil Sie die Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion hatte. Jetzt haben Sie die falsche Un-terstützung. Deshalb kommen Sie nicht voran.
Frau Winterstein, habe ich das richtig mitbekommen,dass Sie noch eine Frage stellen wollten?
– Okay, dann machen wir das das nächste Mal.Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Voraus-setzung für die Erreichung des Ziels, Menschen inordentliche Arbeit zu bringen, ist, dass es eine Bundes-regierung gibt, die eine Konzeption in der Wirtschafts-und in der Arbeitsmarktpolitik hat. Wir werden gleichüber den Haushalt von Herrn Brüderle zu sprechen ha-ben und dabei feststellen müssen: Es gibt keine Wachs-tumsstrategie dieser Bundesregierung in der Krise, esgibt warme Worte und in vielen Bereichen mehr Mittel-maß als Mittelstandspolitik, und es gibt kein Konzept inder Industriepolitik und kein Konzept in der Dienstleis-tungspolitik.Die Beantwortung der Frage, wo die Arbeit von mor-gen entsteht, müsste das zentrale Projekt dieser Bundes-regierung sein – mit einer aktiven Wirtschaftspolitik. DieBeantwortung der Frage, wie wir die Menschen in dieArbeit von morgen bringen, wäre eine Aufgabe der Bun-desarbeitsministerin. Dies geschieht durch eine Beschäf-tigungspolitik, mit der Menschen qualifiziert werdenund mit der dafür gesorgt wird, dass sie Chancen im Le-ben haben – vor allen Dingen diejenigen, die lange keineChance hatten.Frau von der Leyen, Sie sind vorhin auf billigste Artund Weise über die Vorschläge der SPD zur Arbeits-marktpolitik hergefallen.
Wir sagen ganz deutlich: Wir hatten den Mut zuArbeitsmarktreformen, die bitter waren. Wir habenauch den Mut, weiterzudenken, wo ein Weiterdenkennotwendig ist. Ich glaube, beides unterscheidet uns vonIhnen. Sie haben keine Ideen, und Sie haben keinen Mut,Neues zu wagen.
Über Konzepte von anderen herzuziehen und hier keinezu liefern, nenne ich billig, Frau von der Leyen.Jetzt will ich Ihnen noch zu einem Punkt etwas sagen.Ich habe gelesen, dass Ihre Kanzlerin – schönen Gruß ansie – gestern behauptet hat, unser Vorschlag, keine Ver-mögensprüfung mehr durchzuführen, führe dazu, dassLangzeitarbeitslose ihre sechs, sieben, acht Häuser be-halten können. Ich will Sie eines fragen: In welcherWelt, in der Langzeitarbeitslose sechs, sieben, acht Häu-ser haben, leben Sie eigentlich? Die Wahrheit ist doch:Wir wollen gerade, dass diese entwürdigende Prüfungnicht mehr stattfindet, weil sie in der Praxis, in derRealität keine Rolle spielt und weil die Leute nicht wol-len, dass sie die Hosen herunterlassen müssen, wenn sieunverschuldet in Not geraten sind.Ich sage Ihnen: Bauen Sie diese Bürokratie ab! Es istfalsch, diesen Weg weiter zu beschreiten. Sie haben jaschon mit dem Schritt beim Schonvermögen gezeigt,dass Sie begriffen haben, dass es dort ein Problem gibt.Seien Sie konsequent und kritisieren Sie nicht, was an-dere machen!Konzeptionslosigkeit ist das eine, aber Ihr Prinzip,Frau von der Leyen, ist das Prinzip einer Kängurupolitik.Sie wollen mit leerem Beutel große Sprünge machen.Das wird nicht funktionieren. Deshalb sage ich Ihnen:Nachsitzen und Nachdenken ist das Mindeste, was wirvon Ihnen erwarten können.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Kollege Heil, es hätte mich gefreut, wenn Sie auchzur Konzeption der FDP, die wir in der letzten Wochevorgelegt haben, etwas gesagt hätten. Denn dabei han-delt es sich um einen wirklich modernen Ansatz für dieÜberarbeitung der von Ihnen zu verantwortenden Hartz-Gesetze. Wir glauben nicht, dass es richtig wäre, denAnsatz der Vergangenheit vollkommen über Bord zuwerfen. Man muss ihn aber weiterentwickeln. Dazu ha-ben wir konkrete Vorschläge vorgelegt. Das hätte eineErwähnung Ihrerseits zumindest verdient.
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Dr. Heinrich L. Kolb
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Wir reden heute über den Einzelplan 11, der für sichgenommen mit 143 Milliarden Euro schon eine beein-druckende Größe hat. Ich möchte aber Folgendes ins Be-wusstsein rufen: Der Einzelplan 11 ist nur ein Teil des-sen, was wir in Deutschland insgesamt für sozialeZwecke aufwenden. Im Jahr 2009 waren es – für alle öf-fentlichen Haushalte und die Sozialversicherungen –750 Milliarden Euro. Zum Vergleich: 1991, dem erstenJahr nach der deutschen Einheit, waren es 423 Milliar-den Euro. Das ist ein Aufwuchs von 77 Prozent in knapp20 Jahren. Es spricht viel dafür, dass wir in diesem Jahrzusätzlich zu diesen 750 Milliarden Euro noch 20 bis22 Milliarden Euro aufwenden müssen. Das kann manallein an der Entwicklung des Einzelplans 11 erkennen,der einen ganz erheblichen Teil dieses Gesamtansatzesdarstellt.Das Paradoxe, Wundersame und Widersprüchlicheist: Obwohl von Jahr zu Jahr mehr Geld ausgegebenwurde – eine Ausnahme bildet das Jahr 2004; da han-delte es sich allerdings nicht um einen echten Rückgang,sondern eher um eine Stagnation –, gibt es in unsererGesellschaft das weit verbreitete Gefühl des Sozialab-baus. Jedenfalls besteht bei vielen Menschen der Ein-druck, dass es in unserem Land trotz des erheblichen unddeutlich ausgeweiteten Mitteleinsatzes nicht gerechterzugeht. Das gilt auch für den Bereich Hartz IV, der imMoment besonders intensiv diskutiert wird. Im Rahmender Gesamtausgaben von rund 50 Milliarden Euro wer-den aktuell mindestens 8 Milliarden Euro mehr ausgege-ben, als je für Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe aufge-wendet wurde, als es noch getrennte Systeme waren. Indieser Situation kommt es nicht darauf an – das hat FrauPothmer völlig zu Recht gesagt –, um wie viel Geld essich handelt, sondern darauf, was man damit macht.Das SPD-Präsidium hat gestern beschlossen, nocheine Schippe draufzulegen. Herr Heil, allein für dieSchaffung von 200 000 Beschäftigungsverhältnissen aufdem sozialen Arbeitsmarkt sollen pro Jahr zusätzliche3 Milliarden Euro aufgewendet werden. Herr Gabriel,der Erzengel der Sozialdemokratie, hat noch hinzuge-fügt, dies sei sehr bescheiden. Es ist wohl so zu verste-hen, dass das erst der Anfang ist und später noch nachBelieben gesteigert werden kann. Wir halten das Kon-zept, das die SPD gestern vorgelegt hat, für falsch undfür rückwärtsgewandt. Herr Heil, das ist die perfekteRolle rückwärts, die Sie gestern, sieben Jahre nach derAgenda-Rede des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder, hiervorgeführt haben.Mühelos wickelt die neue SPD-Führung dieAgenda 2010 ab. Allein das Prinzip der Zusammenle-gung der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe halten Sienoch als Monstranz hoch. In Bezug auf die Agenda 2010bleibt aber kein Stein auf dem anderen, frei nach demMotto von Konrad Adenauer: Was kümmert mich meindummes Gesetz von gestern? So empfinden Sie es ganzoffensichtlich.
Wo bisher gefordert wurde oder gefordert werdensollte, da wird künftig kräftig gepampert. Der anstren-gungslose Wohlstand in sozialen Arbeitsverhältnissen– natürlich mit einer Bezahlung, die Hilfebedürftigkeitausschließt; wenn ich Ihr Konzept richtig gelesen habe –führt zu Kosten von 3 Milliarden Euro; ich habe dasnachgerechnet. Ich finde Ihr Konzept insgesamt sehrenttäuschend. Ich frage mich wirklich, was eigentlich IhrFraktionsvorsitzender Frank-Walter Steinmeier, der da-mals in seiner Funktion als Kanzleramtsminister einerder Architekten der Agenda 2010 war, zu diesem Kurs-wechsel sagt.
Die Reaktion in den Medien heute ist jedenfalls verhee-rend. Die Welt nennt Sie zynisch; Sie hätten die Arbeits-losen nicht mehr im Blick. Es ist völlig richtig, was dortgeschrieben wurde. Die Rheinische Post schreibt überden Abschied von der Regierungsfähigkeit. Sie sind ge-meint, Herr Kollege Heil.
„Arbeitsmarktpolitik als Kuschelecke“, wie das Han-delsblatt schreibt, und Retro-SPD: Das sind Urteile, dieheute über Sie gefällt worden sind. Sie hätten bessernoch einige Wochen nachgedacht, wie es offensichtlichdie Kollegen von der Union tun, um dann mit einemneuen und besseren Vorschlag auf den Markt zu kom-men.Im Einzelnen will ich zunächst Ihr Mindestlohn-Mantra ansprechen. Sie sind jetzt bei 8,50 Euro. DieKollegen von den Linken sind schon bei 10 Euro ange-langt. Sie sollten einmal das alte Märchen von WilhelmSchröder nachlesen: Der Wettlauf von Hase und Igel aufder Buxtehuder Heide. Das Rennen werden Sie nicht ge-winnen, Herr Heil. Nach Untersuchungen der FU Berlinund dem Ifo-Institut in Dresden kostet das 1,2 MillionenArbeitsplätze in Deutschland.
Wenn Sie wirklich das Ziel der Vollbeschäftigung ver-folgten, Herr Kollege Heil, dann müssten Sie schnellst-möglich von Ihren Plänen eines gesetzlichen Mindest-lohnes Abstand nehmen.
Ihr Konzept der Leih- und Zeitarbeit ist falsch. Esist auch falsch, Herr Kollege Heil, wenn Sie uns unter-stellen, wir würden die Augen verschließen. Wir habenAnfang des Jahres, als klar wurde, worum es beiSchlecker ging, sofort deutlich gesagt, dass wir das nichtmitmachen werden. Wir arbeiten derzeit in Zusammen-arbeit mit dem Ministerium an einem Konzept, um ge-nau das zu ändern. Ich freue mich, dass es mittlerweile inDeutschland auch Tarifverträge gibt – dabei sind näm-lich zunächst einmal die Tarifpartner gefordert –, die den
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Dr. Heinrich L. Kolb
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Anwendungsbereich des jeweiligen Tarifvertrags klarbegrenzen und besagen, dass im Falle einer systemati-schen Umgehung durch Zeitarbeit ein Abweichen vomPrinzip des Equal Pay nicht vom Tarifvertrag gedecktist.Die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I bei Bil-dungsmaßnahmen in Ihrer Intonierung halte ich fürfalsch. Denn ich glaube, es ist wichtig und richtig, dieMenschen vom ersten Tag der Arbeitslosigkeit an opti-mal zu fördern
und von Anfang an darauf hinzuwirken, dass die Rück-kehr in den ersten Arbeitsmarkt möglichst unverzüglichgelingt.Ihre sehr großzügige Qualifizierung auf Kosten derBeitragszahler, die Sie offensichtlich vorhaben, lässtsich so nicht machen. Es ist zwar schön, wenn auch ein40- oder 50-Jähriger noch einen Universitätsabschlusserreichen kann.
– Das haben Sie in Ihrem Papier geschrieben, Frau Kol-legin Mast. Lesen Sie es doch einmal! – Wenn das aberauf Kosten der Beitragszahler erfolgen soll, dann weiseich darauf hin, dass es wirklich nicht Aufgabe der Ar-beitnehmerinnen und Arbeitgeber in Deutschland ist,Defizite in der Gesellschaft zu heilen, die schon früherentstanden sind.
Insgesamt ist das, was Sie vorlegen, Herr Heil, einKessel Buntes. „Wünsch dir was“ ist nichts gegen das,was Sie präsentieren. Sie sind von allen guten sozialpoli-tischen Geistern verlassen. Deswegen ist es gut, dass Siebis auf Weiteres – ich wünsche Ihnen eine sehr lange Re-generationszeit – auf den Oppositionsbänken sitzen.
Den Wettlauf mit der Linken – das will ich abschließendsagen – werden Sie mit solchen Konzepten allerdings niegewinnen können. Denn die sind immer einen Schrittweiter, als Sie es sein können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Sabine Zimmermann für
die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! EinenMonat lang hat die FDP gegen Erwerbslose gehetzt undVorurteile verbreitet, und das mit wohlwollender Tole-rierung der CDU/CSU und sogar unserer Bundeskanzle-rin. Herr Fischer, wenn Sie von einem Haushalt des soli-darischen Ausgleichs sprechen, dann haben Sie, denkeich, ein falsches Verständnis von Solidarität.
Darüber sollten Sie sich einmal sachkundig machen.Herr Barthle, Sie haben von einem Kunstwerk ge-sprochen. Die Kürzungen in der Arbeitsmarktpolitik beiden Schwächsten der Gesellschaft sind in der Tat einKunstwerk von Ihnen.
Was Sie mit diesem Haushalt vorlegen, ist eine bei-spiellose Frechheit gegenüber den Menschen in diesemLand. Das werden wir als Linke nicht mitmachen.
Ich will mit dem Wichtigsten anfangen. Sie sperrenmal eben 900 Millionen Euro bei den Arbeitsmarktmit-teln. Das ist Geld, das eigentlich für Fortbildungen, Um-schulungen oder öffentlich geförderte Arbeitsplätze vor-gesehen ist. Mit diesem Geld sollen nun dieHaushaltslöcher gestopft werden, die Ihre Steuersen-kungspolitik für die oberen Zehntausend verursacht hat,meine Damen und Herren der FDP und der Union.
Mit dieser Haushaltssperre machen Sie noch vor derNordrhein-Westfalen-Wahl deutlich, wohin die Reisemit Ihnen gehen wird. Sie wollen die Arbeitslosenversi-cherung und die Arbeitsmarktpolitik nachhaltig schwä-chen, aber nicht mit der Linken.
– Hören Sie mir bitte zu, dann können Sie vielleicht et-was lernen.
Die Linke hat klare Alternativen. Erstens. Wir wol-len den Bezug von Arbeitslosengeld I auf 24 Monateverlängern, um den schnellen Absturz in Hartz IV zuverhindern. Angesichts des gestrigen Vorschlags derSPD wundere ich mich nur, dass Sie letztens gegen unse-ren Vorschlag gestimmt haben und jetzt auf einmal ge-nau diesen Vorschlag auf die Tagesordnung setzten.Zweitens. Wir wollen die Mittel für die aktive Ar-beitsmarktpolitik erhöhen und damit auf die steigendeZahl von Arbeitslosen reagieren. Sie sprechen immer da-von, die Steigerung sei nicht so hoch. Aber die Arbeits-
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Sabine Zimmermann
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losigkeit steigt und die Langzeitarbeitslosigkeit nochmehr.
Schauen Sie sich dazu einmal die Statistik an.Drittens. Wir wollen mehr öffentlich geförderte, regu-läre Arbeitsplätze statt dieser unsäglichen Ein-Euro-Jobs.
Gute Ansätze in einzelnen Bundesländern wie in Ber-lin werden derzeit von Ihrer Politik total torpediert.Ein Beispiel: André ist 52 Jahre alt und arbeitet seitetwa zwei Jahren in Berlin-Kreuzberg in einem Treff-punkt für Senioren und Flüchtlinge. Seine und die Stelleanderer werden durch öffentliche Arbeitsmarktgelder fi-nanziert. Die rot-rote Landesregierung hat im Rahmeneines öffentlichen Beschäftigungssektors Tausende sol-cher Stellen eingerichtet: als reguläre Arbeitsplätze, ta-riflich bezahlt und armutsfest.
André ist stolz auf das Geschaffene und auch stolz aufsich selbst. 1997 verlor er seinen Job als Betriebsschlos-ser. Damit begann für ihn der soziale Abstieg. Er sagt,mit der Stelle habe sich sein Leben grundlegend geän-dert. Er hat eine neue Wohnung. Er hat eine Lebensge-fährtin. Er konnte sogar den Führerschein machen. Erkann in eine Zukunft blicken. Aber Sie sperren einfachdas Geld. Nun muss André Angst haben, dass er wiederabsteigt, weil seine Stelle im öffentlichen Beschäfti-gungssektor nicht weiter finanziert werden kann.Es geht heute nicht nur um den Haushalt für das Jahr2010. Es geht hier auch um eine grundlegende Neuaus-richtung der Arbeitsmarktpolitik. Auch das ist ein Re-sultat der Agenda-2010-Politik der Schröder’schen Re-gierung. Herr Heil, hören Sie mir kurz zu. Sie sprachenvon prekären Arbeitsverhältnissen, daher frage ich Sie:Wer hat denn das Tor dafür geöffnet? Das sind nämlichSie als SPD gewesen.
Ganz genau so war es. Lesen Sie das einmal nach.
Ich komme zum Schluss. Jeder, der in einem Betriebarbeitet, weiß: Die Farben Schwarz und Gelb sind einHinweis für eine drohende Gefahr. Spätestens mit die-sem Haushalt weiß jeder in diesem Land: Schwarz-Gelbist eine Gefahr für den sozialen Frieden.Danke schön.
Der nächste Redner ist Markus Kurth für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Die bisherige Debatte, insbesondere so, wie sie vonder Regierung geführt wird, beweist doch eine erhebli-che konzeptionelle Armseligkeit; das muss ich schon sa-gen.
Was insbesondere die Ministerin hier zu bieten hatte,waren, mit Verlaub, nur Allgemeinplätze. Da war vonder Stärkung der Menschen die Rede, davon, dass sichdie Menschen erst einmal selber anstrengen sollen,
von passgenauen Hilfen und enger Termintaktung.
Ich bitte Sie. Wenn man hier in diesem Hause einigeJahre Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gemacht hat, dannweiß man, dass diese Dinge Selbstverständlichkeitensind.
Es wird doch erst dann interessant, wenn man dieseAnsprüche der Stärkung der Menschen und der Pass-genauigkeit mit den konkreten Vorhaben und der PraxisIhrer Politik vergleicht.
Ist denn etwa eine Stärkung der Menschen möglich,wenn Förderprogramme unter dem Damoklesschwertder Kürzung des Eingliederungstitels stehen? Ist es dennmöglich, die Eigenverantwortung der Menschen zu för-dern, wenn Programme wie die JobPerspektive, durchdie Menschen neue Hoffnung geschöpft haben, mirnichts, dir nichts über Nacht eingestellt werden und dieMenschen systematisch enttäuscht werden?
Sind denn mehr Eigenverantwortung und die Stärkungder Menschen möglich, wenn geplant wird – dazu habenwir heute nichts gehört –, die Erhöhung des Regelsatzesso umzusetzen, dass man den Menschen Gutscheinheftein die Hand drückt und nur noch Sachleistungen bewil-ligt? Ist denn eine passgenaue Förderung angesichts ei-ner Ausschreibungspraxis der Bundesagentur für Arbeitmöglich, die nach wie vor in den allermeisten Fällendazu führt, dass die Weiterbildungsträger und die Be-schäftigungsgesellschaften Dumpinglöhne zahlen?
Angesichts des Auftrittes von Ihnen, Herr Heil – daskann ich mir nicht verkneifen –, kann ich auch die SPDnicht aus der Verantwortung entlassen. Sie haben elfJahre lang die Rechts- und Fachaufsicht über die Bun-desagentur für Arbeit gehabt. Sie haben gegen unserenfortwährenden Widerstand, solange wir in der Koalitionwaren, es zugelassen und sogar gefördert, dass ein Nied-
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riglohnsektor in der Weiterbildungsbranche und bei denBeschäftigungsgesellschaften entstanden ist.
Es machte Sie ein Stück weit glaubwürdiger, Herr Heil,wenn Sie hier nicht nur selbstgerecht aufträten, sonderndafür auch die politische Verantwortung übernähmen.
Das musste gesagt werden. Ich selbst habe das drei Jahremit Ihnen erlebt.
Es ist allerdings genauso wenig glaubhaft, verehrteKolleginnen und Kollegen von den Freien Demokraten,wenn Ihr Generalsekretär Lindner bei einem sozialpoliti-schen Symposium, das in der letzten Woche stattgefun-den hat,
die Resignation von Hauptschülern beklagt, die sagen,ihre Perspektive sei nur Hartz IV, und Sie zugleich indiesem Bundeshaushalt die Mittel für die Förderung kür-zen. Es muss für diese jungen Menschen, die auf Förde-rung angewiesen sind, und auch für die Langzeitarbeits-losen, die arbeitswillig sind, sehr schal klingen, wenn IhrGeneralsekretär davon spricht, die Menschen müsstenzwischen Lebensentwürfen wählen können oder – dashabe ich mir heute morgen noch im Internet angesehen –sollten Autoren der eigenen Biografie werden. Dannempfehlen Sie als Autorenschaft der eigenen Biografie,Schneeschipper zu werden. Das ist paternalistisch, wasSie den Menschen anbieten.
Sie reden von Eigenverantwortung. Aber in Wirklichkeitkujonieren Sie sie.Wir als Bündnis 90/Die Grünen haben Vorschläge zurRegelleistung und zu einer intelligenten Förderung öffent-licher Beschäftigung gemacht. Wir halten einen Kombi-lohn, einen gezielten Lohnkostenzuschuss, der Produktivi-tätsnachteile ausgleicht und so Wettbewerbsverzerrungenvermeiden hilft, für eine kluge Lösung. Wir wollen diepassiven Mittel in aktive Mittel überführen. Die Blau-pause dafür gibt es bereits mit dem Programm „JobPer-spektive“. Herr Schiewerling, Sie von der CDU/CSUkönnten als nachfolgender Redner erklären, warum Siefaktisch die Mittel für die im Grundsatz in die richtigeRichtung weisende Koppelung von Transferleistungenund Eigenleistungen kürzen, sich hinter der Aussage ver-stecken, Sie wollten eine gerechtere Mittelverteilung, undgleichzeitig in einer Stadt wie Dortmund dafür sorgen,dass nun 700 Menschen ihren Platz in der JobPerspektiveverlieren werden. So kommen Sie nicht weiter. Ichmöchte gerne hören, was Sie diesen Menschen sagen.Setzen Sie Fördermittel intelligent ein! Folgen Sie un-serem Konzept eines Progressivmodells sowie eines in-telligenten Transfers passiver Mittel in aktive Mittel!Dann wären Sie erheblich weiter.Vielen Dank.
Der Kollege Karl Schiewerling hat das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kurth, wennich mir die heutige Diskussion vor Augen führe, dannhabe ich den Eindruck, dass wir in unterschiedlichenWelten leben. Der Einzeletat der Bundesarbeitsministe-rin ist, gemessen sowohl am absoluten Umfang als aucham prozentualen Anteil am Gesamthaushalt, der größteEtat eines Arbeitsministeriums, den es in der Geschichteder Bundesrepublik Deutschland jemals gab.
In dieser Situation von Kahlschlag und sozialem Endezu sprechen, ist nach meinem Dafürhalten – das sage ichIhnen frank und frei – unverantwortlich.
Wir geben, um das in aller Deutlichkeit zu sagen,81 Milliarden Euro für die Sicherung der Rente aus, wirgeben 12,5 Milliarden Euro für die Bundesagentur fürArbeit aus, und wir geben 38 bis 39 Milliarden Euro fürdie Grundsicherung aus, um nur einige wenige Punktezu nennen. Die 12,5 Milliarden Euro für die Bundesa-gentur für Arbeit – das sei der Wahrheit geschuldet, unddarauf können die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerund die Betriebe stolz sein – sind erst in diesem Jahr fäl-lig; denn das wichtige Instrument der Kurzarbeit wurdeim vergangenen Jahr komplett aus Beitragsmitteln finan-ziert. Wir wollen den Beitrag für die Arbeitslosenversi-cherung in der Größenordnung von 2,8 Prozent halten.Wir geben in diesem Jahr zwar über 3 Milliarden Euroweniger Zuschuss als geplant, weil er nicht notwendigist, aber wir geben den Zuschuss an die Bundesagenturfür Arbeit, damit wir das Instrument der Kurzarbeit indiesem Jahr fortführen können. In dieser Situation vonKahlschlag zu reden und den Eindruck zu vermitteln, alswäre alles sozialpolitisch am Ende, halte ich schlicht undeinfach für unverantwortlich und an der Realität dieserWelt vorbei.
Um auf die 900 Millionen Euro zu sprechen zu kom-men: Die sind mit einer Haushaltssperre versehen.
Wir haben in vielen Beiträgen deutlich dargestellt, dasswir in der Koalition in der internen Diskussion Klarheit
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haben. Dass die Bundesarbeitsministerin ein gutes Kon-zept vorlegen wird, hat sie vorhin überzeugend skizziert.Ich bin ganz sicher, dass wir in kürzester Zeit erlebenwerden, dass die Sperrung aufgehoben wird.
Dazu bedarf es keiner namentlichen Abstimmung, dazubedarf es keines Tamtams. Diese Koalition ist intelligentgenug, die richtigen Schritte zu gehen.
Herr Kollege Kurth, um Ihnen die Antwort auf dieFrage nach der „JobPerspektive“ zu geben: Das betrifftnicht nur Dortmund, sondern das betrifft viele Regionenin Nordrhein-Westfalen. Wir werden die Arbeitsmarkt-politik auch nach der Entfristung und selbst dann, wennes keine Entfristung gäbe – aber es wird eine Entfristunggeben; davon bin ich fest überzeugt –, aktiv weiter fort-führen, und wir werden erleben, dass in Dortmund, Bie-lefeld und in vielen anderen Städten eine erfolgreicheArbeitsmarktpolitik, auch mit Unterstützung der Landes-regierung von Nordrhein-Westfalen, fortgesetzt werdenwird. Das Programm „JobPerspektive“ wird weiterent-wickelt, und wir werden erleben, dass die Instrumentegreifen.
Die Finanzkrise und in deren Folge die Wirtschafts-krise, die sich bislang Gott sei Dank in glimpflicherWeise entwickelt hat, ist eine Herausforderung für dieArbeitsmarktpolitik und die Finanzpolitik gewesen, wiewir sie in den vergangenen Jahren in der Bundesrepubliknoch nicht erlebt haben. Ich sage sehr deutlich: Wir ste-cken noch mitten in dieser Krise. Von dieser Krise sindalle betroffen: Betriebe, Arbeitnehmer, Staat und Gesell-schaft. Die Krise ist so lange nicht vorbei, wie nicht dieBetriebe, die davon betroffen sind, wieder Tritt gefassthaben, und Arbeitnehmer, die in Kurzarbeit sind oder ih-ren Arbeitsplatz zu verlieren drohen, nicht wieder gesi-cherte Arbeitsplätze und gesicherte Perspektiven haben.Deswegen haben wir den Schutzschirm nicht nur überBanken und Betriebe gespannt, sondern auch über dieArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir haben in die-ser Koalition auch beschlossen, dass dieser Schutz-schirm bis Ende 2010 gespannt bleiben wird. Nach mei-ner festen Überzeugung ist es notwendig, dann, wennwir feststellen, dass die Wirtschaftskrise, die aufgrundder Finanzkrise entstanden ist, noch nicht vorbei ist undsie bestimmte Branchen noch fest im Griff hat, für dieseBranchen den Einsatz des Instruments der Kurzarbeitauch über das Jahr 2010 hinaus zu verlängern. Ich sageIhnen: In dieser Koalition werden wir unsere Aufgabewahrnehmen. Der Staat steht diesen Menschen, aberauch der Wirtschaft, den Unternehmen und den mittel-ständischen Betrieben bei, um die Krise gemeinsam füreine gute Zukunft zu überwinden.Der Sozialstaat hat durch seine Strukturen und durchseine Hilfesysteme – auch das sei in der Debatte heuteMorgen noch einmal deutlich betont – wesentlich dazubeigetragen, dass wir besser als andere Länder dastehenund dass wir vor allem im Ausland bewundert werden.Ich kann mich nur darüber wundern, wie wir hier imdeutschen Parlament diskutieren, während der Begriff„Kurzarbeit“ mittlerweile als feststehender Begriff wiedas Wort „Kindergarten“ in den Wortschatz der Ameri-kaner übergegangen ist. Wir machen uns den Erfolg, denwir miteinander erwirtschaftet haben, selbst kaputt, unddas Ausland kann nur staunend auf unsere Mentalitätschauen.
Ich sage allerdings auch in aller Klarheit: Was michsehr wurmt, ist, dass wir für die Überwindung dieserKrise viel Geld in die Hand nehmen müssen. Ich bedau-ere sehr, dass wir das Geld leider nicht von denen zu-rückbekommen, die uns die Krise eingebrockt haben,mit deren schlimmen Konsequenzen wir es jetzt zu tunhaben.
Wahr ist aber auch: Der Sozialstaat muss finanzierbarbleiben. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Solidarität,das bedeutet auch, dass man erwarten kann, dass jedertut, was er kann. Der Staat ist kein Selbstbedienungsla-den. Er ist kein Selbstbedienungsladen für diejenigen,die Steuern hinterziehen
und so ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, und er istkein Selbstbedienungsladen für diejenigen, die glauben,sie könnten sich Sozialleistungen erschleichen.
Tragen muss die gesamte Last hinterher die breite Mit-telschicht unseres Landes. Sie zu stärken, das ist unsereAufgabe. Ich bezeichne das in aller Deutlichkeit als ei-nen wichtigen Teil unserer Arbeitsmarktpolitik.Wir stehen vor der Aufgabe, jetzt das zu tun, was not-wendig ist, um einen bestimmten Teil der Sozialpolitikwieder auf ordentliche organisatorische Grundlagen zustellen: das im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch veran-kerte Arbeitslosengeld II. Die Bund-Länder-Kom-mission ist dabei, dies zu tun. Ich erlebe dort sehr vielkonstruktive Zusammenarbeit. Ich bin in dieser Fragehoffnungsfroh. Darüber hinaus müssen wir, wie vomBundesverfassungsgericht gefordert, die Bedarfssätzeüberprüfen. Wir werden uns zügig an diese Aufgabe ma-chen. Das betrifft übrigens auch das in der Öffentlichkeitsehr intensiv diskutierte Geld für die Kinder, die durchFerienjobs Geld erwirtschaftet haben.
Wenn ich mir diese Debatte anhöre, dann habe ichden Eindruck, dass 2002, 2003, 2004 bis Mitte 2005Herr Bundeskanzler Schröder allein regiert hat.
Man tut so, als hätte er hier im Parlament allein gesessenund sämtliche Gesetze allein verabschiedet. Die Grünen
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machen sich vom Acker, die SPD macht sich vomAcker.
Keiner will’s gewesen sein. Herr Schröder habe sie alleunter Druck gesetzt und an die Kandare genommen; erhabe ihnen Entscheidungsfreiheit genommen. Ich habedas Gefühl, in einer anderen Republik zu sein. Ich sagemit Blick auf die SPD, auf die Grünen und ausdrücklichauch mit Blick auf den Teil, der die CDU/CSU und dieFDP betrifft: Bekennen wir uns zu dem, was mit den Än-derungen im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch erreichtwurde. Die Arbeitsmarktreform war eine gute, zwin-gend notwendige Entscheidung. Nachdem ich Ihr Papiergelesen habe,
rate ich Ihnen, den Erfolg Ihrer Arbeit nicht durch funda-mentale Strukturveränderungen, zum Beispiel durch dieNichtanrechnung der Vermögensgrenzen, zu konterka-rieren und so kaputtzumachen.
Ich rate Ihnen: Lassen Sie nicht die Vernunft aus wahl-taktischen Gründen hintenan! Bleiben Sie bei dem, wasSie gemacht haben!
Meine Damen und Herren, die Koalition wird die gro-ßen Herausforderungen anpacken, gemeinsam mit unse-rer Bundesarbeitsministerin, Frau Dr. Ursula von derLeyen, die an die Dinge auf ihre eigene Art mit Verveund Engagement herangeht. Ich sage ihr unsere Unter-stützung zu. Sie ist übrigens in einem von Männern do-minierten Arbeitsministerium diejenige, die durch ihreArt zwar harte Themen anpackt, diese aber leicht ver-daulich macht.Ich hoffe, dass wir miteinander die Herausforderun-gen anpacken werden. Darauf freue ich mich und dankeIhnen für Ihre Unterstützung.
Die Kollegin Katja Mast hat jetzt das Wort für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Lieber Kollege Karl Schiewerling, es istja schon bemerkenswert, dass Sie in Ihrer Rede geradeeben in der Debatte über den Bundeshaushalt zu demThema Lohnnebenkosten, die wir gemeinsam erfolg-reich zum Beispiel bei der Arbeitslosenversicherung von6,5 Prozent auf 2,8 Prozent abgesenkt haben, nichts dar-über gesagt haben, was denn nächstes Jahr mit demBundeszuschuss an die Bundesagentur für Arbeitpassiert und ob Sie auch im nächsten Jahr den Satz von2,8 Prozent bei der Arbeitslosenversicherung halten wer-den.
Dieser Haushalt ist nämlich nur Stückwerk. Er regeltnichts über den Tag hinaus. In ihm wird vor allen Dingendas verschwiegen, was nach der Landtagswahl in Nor-drhein-Westfalen am 9. Mai kommen wird. Ich sage Ih-nen schon jetzt auf den Kopf zu, Frau von der Leyen –auch Sie haben sich ja heute zu diesem Thema ausge-schwiegen –: Sie werden gemeinsam mit der ganzen Re-gierung die Lohnnebenkosten erhöhen, und zwar deut-lich. Das wird Arbeitsplätze vernichten; das sorgt nichtdafür, dass Menschen in Arbeit kommen. Deswegenkann ich Ihnen heute schon sagen: In dieser Frage wer-den wir nicht an Ihrer Seite sein.
Dieser Haushalt, der Stückwerk ist, nichts über denTag hinaus regelt und all das verschweigt, was nach derWahl in Nordrhein-Westfalen kommt, bringt dann auchnoch Kürzungen für diejenigen mit sich, die auf unsereSolidarität angewiesen sind, bzw. genauer: Die Kürzun-gen werden durch eine Haushaltssperre in Höhe von900 Millionen Euro, die hier ja schon angesprochenwurde, auf die Zeit nach April vertagt. Damit werdenMittel für diejenigen, die unsere besondere Aufmerk-samkeit brauchen und denen unser besonderes Engage-ment gelten sollte, damit sie in Arbeit vermittelt werden,weggenommen.Ich will das noch einmal am Bundesprogramm„JobPerspektive“ klarmachen. Ein gemeinsamer Erfolgder rot-schwarzen Regierung war es, dass Langzeitar-beitslose mit vielfachen Vermittlungshemmnissen, dieganz am Rand des Arbeitsmarktes stehen und die schonvon vielen aufgegeben worden waren, durch die JobPer-spektive mithilfe eines Beschäftigungszuschusses in Ar-beit gebracht wurden und dass ihnen Teilhabe an der Ge-sellschaft ermöglicht wurde. Was machen Sie heute? Siemachen einen ganz billigen Haushaltstrick. Sie erhöhenformal die Mittel von 540 Millionen auf 700 MillionenEuro, verteilen die Mittel aber so, dass nicht nur zumBeispiel entsprechende Projekte in Bielefeld und Dort-mund nicht fortgeführt werden können und damit auchentsprechende Arbeitsverträge nicht verlängert werden,sondern dass auch dieser zusätzliche Arbeitsmarkt fürLangzeitarbeitslose vernichtet wird. Damit nehmen SieMenschen mit vielfachen Vermittlungshemmnissen diePerspektive.Als Sozialpolitikerin und Sozialdemokratin kann ichIhnen sagen: Wir werden dafür sorgen, dass die Men-schen in der Republik das erfahren. Es geht nicht, dasswir uns nur um diejenigen kümmern, die einfach in Ar-beit vermittelt werden können – dass wir uns um siekümmern, ist gut; denn wir möchten, dass jeder gute Ar-beit hat –, sondern wir als Sozialdemokratische Partei
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Katja Mast
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wollen, dass auch Langzeitarbeitslose mit vielfachenVermittlungshemmnissen gute Arbeit erhalten.
An der Stelle geht es aber noch weiter: Wie werdenSie mit dem im Ausschuss für Arbeit und Soziales kon-trovers diskutierten Thema der Härtefallregelung fürArbeitslosengeld-II-Empfängerinnen und -Empfängerumgehen? Wir wollen, dass das Thema Härtefallrege-lung federführend im Fachausschuss von den Sozialpoli-tikern mit Vertretern des Sozialministeriums diskutiertwird. Wenn es einen Punkt gibt, den uns das Bundesver-fassungsgericht klar mit auf den Weg gegeben hat, dannist es doch der, dass es um das kulturelle und sozialeExistenzminimum geht, das notwendig ist, um in Würdein Deutschland leben zu können. Mit diesem Thema dür-fen wir nicht einfach buchhalterisch umgehen und es denFinanzpolitikern überlassen, sondern hier ist unseresozialpolitische Kompetenz gefragt. Da erwarte ich vonIhnen, Frau von der Leyen, von Ihrem Ministerium, vonder CDU/CSU-Fraktion und von der FDP-Fraktion, dassSie mit einem eigenen Gesetzentwurf dafür sorgen, dasswir als fachpolitisch zuständige Sozialpolitiker diesesThema diskutieren.
Ich sage dies auch deswegen, weil heute schon klarist, dass das, was Sie mit einem Volumen von 100 Milli-onen Euro vorgelegt haben, zu kurz gesprungen ist. Wirbrauchen mindestens 125 Millionen Euro. In Ihrem Vor-schlag, den alle Fachverbände stark kritisieren, beden-ken Sie von den Regierungsfraktionen nicht, dass nebenMenschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind,auch Menschen mit einem Rollator eine Hilfe für denHaushalt brauchen. Deshalb müssen wir Sozialpolitikerselber eine Diskussion darüber führen.Ich bleibe dabei: Mit dem Haushalt, den Sie vorgelegthaben, kürzen Sie bei denen, die auf Solidarität angewie-sen sind. Er ist Stückwerk und enthält keine Regelungenüber den Tag hinaus. Sie verschweigen, was nach derLandtagswahl in Nordrhein-Westfalen passieren wird.Sie werden die Lohnnebenkosten erhöhen, indem Sieden Beitrag für die Arbeitslosenversicherung anhebenwerden. Aber Sie sagen heute nichts dazu. Ich fordereSie daher auf: Bestätigen Sie das, was ich gesagt habe,oder dementieren Sie es einfach durch Ihren nächstenRedner in dieser Debatte! Ich bin gespannt auf das, wasder Kollege, der nach mir sprechen wird, zu sagen hat.
Max Straubinger spricht für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Als letzter Redner zu dem Haushalt für Arbeit und Sozi-ales möchte ich zusammenfassend sagen, dass die Bun-desregierung mit diesem Haushalt ihrer sozialen Ver-antwortung besonders gerecht wird.
Der Kollege Karl Schiewerling hat bereits darauf hin-gewiesen, dass es mit einem Volumen von 143,2 Milli-arden Euro der größte Haushalt für Arbeit und Sozialesist, den es in der Bundesrepublik jemals gegeben hat.Das bringt zum Ausdruck, dass die Bundesregierung ih-rer sozialen Verantwortung gerecht wird und die Men-schen unterstützt, die Hilfe bedürfen. Wenn wir noch dieAusgaben für Gesundheit und Familien hinzurechnen,dann kommen wir zu dem Ergebnis, dass weit über50 Prozent des gesamten Bundeshaushaltes für sozialeMaßnahmen ausgegeben werden.
Dies zeigt sehr deutlich, dass wir unserer sozialen Ver-antwortung gegenüber den Menschen gerecht werden.
Dies wird insbesondere bei den Maßnahmen im Be-reich Arbeit und Soziales deutlich. Für die gesetzlicheRentenversicherung, für die Knappschaft und für dielandwirtschaftliche Alterskasse gibt es einen Zuschuss inHöhe von 81 Milliarden Euro. Auch die Arbeitsmarkt-maßnahmen, die letztendlich Ausdruck einer aktivenArbeitsmarktpolitik sind, zeigen, dass sich diese Bun-desregierung unter Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkelund mit der neuen Bundesarbeitsministerin Frau Dr. vonder Leyen hier besonders verantwortlich fühlt. Trotzdemversucht die Opposition heute, an diesem Haushalt Kri-tik zu üben.Diese vielfältigen Maßnahmen, die wir hier durchfüh-ren werden, sind für Menschen gedacht, die der Hilfe be-dürfen. Das Beste, was wir für die Menschen in unseremLand machen können, ist jedoch, zusätzliche Arbeits-plätze zu schaffen. Deshalb war es goldrichtig, zum1. Januar dieses Jahres das Wachstumsbeschleuni-gungsgesetz in Kraft zu setzen. Außerdem werden dieBürgerinnen und Bürger entlastet, indem sie ihre Kran-kenversicherungsbeiträge von der Steuer absetzen kön-nen. Diese Gesamtentlastung der Bürgerinnen und Bür-ger in Höhe von über 20 Milliarden Euro ist Grundlagefür den wirtschaftlichen Aufschwung in unserem Land.
Damit schaffen wir mehr Arbeitsplätze. Das wiederumversetzt die Menschen in die Lage, ihr Leben eigenver-antwortlich zu gestalten. Diesem Ziel hat sich die Bun-desregierung verschrieben.Wo sind die Alternativen der Opposition?
Angesichts der Anträge, über die wir noch namentlichabstimmen werden, kann man sich nur die Augen reiben.Frau Kollegin Hagedorn hat der Bundesregierung insge-samt vorgeworfen, eine unverantwortliche Haushalts-politik zu betreiben und vor allen Dingen eine viel zuhohe Nettoneuverschuldung einzugehen. Frau KolleginHagedorn, auch uns stört die Nettoneuverschuldung inihrer Gesamtheit; aber die Ausgaben sind eine Antwortauf die Herausforderungen der Finanzkrise, deren
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2630 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Max Straubinger
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wirtschaftliche Auswirkungen wir abzufedern haben,mit der Verlängerung des Bezugs von Kurzarbeitergeld,vor allem aber mit der Unterstützung der Wirtschaft, da-mit zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Damitbetreiben wir eine verantwortbare Politik, der Krise ent-gegenzuwirken. Frau Kollegin Hagedorn, es ist alsokeine unverantwortliche, sondern eine angemesseneHaushaltspolitik, mit der wir die Herausforderungen po-sitiv in Angriff nehmen können.
Werte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,es geht nicht, auf der einen Seite die Verschuldung zu be-klagen, auf der anderen Seite aber Anträge in den Bun-destag einzubringen, die die Erhöhung des Arbeitslo-sengeldes II fordern. Die Grünen fordern eine Erhöhungauf 420 Euro, die Linken auf 500 Euro; bei der SPD ist esnoch undefiniert.
Dabei geht es um Mehrausgaben, die den Bundeshaus-halt mit bis zu 16 Milliarden Euro belasten würden, ohnedass ein Finanzierungsvorschlag unterbreitet würde.
Das Beispiel zeigt sehr deutlich: SPD und Linke glei-chen sich an, auch mit dem neuen Programm, dem sichdie SPD jetzt augenscheinlich verschrieben hat. Es istschon bezeichnend: Offensichtlich nimmt weder derFraktionsvorsitzende, Kollege Steinmeier, noch der ehe-malige Bundesminister Franz Müntefering an der De-batte teil,
weil sie merken, dass dies eine Abkehr von der früherenPolitik ist, die dazu beigetragen hat, Langzeitarbeitslo-sigkeit und Arbeitslosigkeit überhaupt zu bekämpfen.Am Ende der rot-grünen Regierungszeit hatten wir inunserem Land 5 Millionen Arbeitslose; jetzt sind wir bei3,4 Millionen Arbeitslosen.
Das ist der Erfolg der bisherigen Politik. Wir werdendiese Politik fortsetzen, damit die Arbeitslosigkeit in un-serem Land weiterhin bekämpft wird. Wir wissen näm-lich, dass das die beste Fürsorge für die Menschen in un-serem Land ist.
In diesem Sinne kann ich Ihnen nur empfehlen, die-sem Bundeshaushalt die Zustimmung zu erteilen unduns, die Bundeskanzlerin und die Bundesarbeitsministe-rin tatkräftig bei der Arbeit zu unterstützen, damit es denLeuten besser geht. Wir von der CDU/CSU-Bundestags-fraktion werden in dieser Koalition gemeinsam mit derFDP nichts unversucht lassen, um mehr Arbeitsplätze inunserem Land zu schaffen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Damit schließe ich die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 11, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, inder Ausschussfassung. Dazu liegen fünf Änderungsan-träge vor; über drei dieser Anträge werden wir nament-lich abstimmen.Wir kommen zur ersten namentlichen Abstimmung.Hier geht es um die beiden inhaltsgleichen Änderungs-anträge der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1017und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-che 17/1018. Wir werden jetzt über beide Anträge ge-meinsam abstimmen; dies ist interfraktionell so verabre-det. – Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dannverfahren wir so.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihrePlätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Dasscheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Abstim-mung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schrift-führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zubeginnen.1)Wir kommen direkt zur zweiten namentlichen Ab-stimmung, nämlich zum Änderungsantrag der FraktionDie Linke auf Drucksache 17/1011. Ich bitte die Schrift-führerinnen und Schriftführer wiederum, die vorgesehe-nen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? – Dasist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme noch nicht abgegeben hat? – Das scheint nichtder Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung undbitte die Schriftführerinnen und Schriftführer wiederum,mit der Auszählung zu beginnen.2)Ich möchte darauf hinweisen, dass wir im Anschlussan die jetzt folgende namentliche Abstimmung weitereAbstimmungen durchführen.Jetzt kommen wir aber zunächst zur dritten nament-lichen Abstimmung, und zwar über den Änderungsan-trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-che 17/1020. Ich bitte die Schriftführerinnen undSchriftführer wiederum, die Plätze einzunehmen. – Sindalle Plätze an den Urnen besetzt? – Das scheint der Fallzu sein. Dann ist die Abstimmung eröffnet.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme noch nicht abgegeben hat? – Ja, es gibt noch ei-nige. – Ich frage ein zweites Mal: Ist ein Mitglied desHauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgege-ben hat? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die1) Ergebnis Seite 2631 C2) Ergebnis Seite 2633 B
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2631
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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(B)
Heinz-Joachim Barchmann Wolfgang Gunkel Ullrich Meßmer Kerstin TackSören BartolBärbel BasSabine BätzingDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Gerd BollmannKlaus BrandnerWilli BraseBernhard Brinkmann
Edelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertPetra CroneDr. Peter DanckertMartin DörmannElvira Drobinski-WeißGarrelt DuinSebastian EdathySiegmund EhrmannDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerKlaus HagemannMichael Hartmann
Hubertus Heil
Rolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Frank Hofmann
Dr. Eva HöglChristel HummeJosip JuratovicOliver KaczmarekJohannes KahrsDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberLars KlingbeilHans-Ulrich KloseDr. Bärbel KoflerDaniela Kolbe
Fritz Rudolf KörperAnette KrammeNicolette KresslDr. Rolf MützenichDietmar NietanManfred NinkThomas OppermannHolger OrtelAydan ÖzoğuzHeinz PaulaJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeGerold ReichenbachDr. Carola ReimannSönke RixDr. Ernst Dieter RossmannMarlene Rupprecht
Anton SchaafAxel Schäfer
Bernd ScheelenMarianne Schieder
Werner Schieder
Ulla Schmidt
Rüdiger VeitUte VogtDr. Marlies VolkmerAndrea WickleinWaltraud Wolff
Uta ZapfDagmar ZieglerManfred ZöllmerBrigitte ZypriesDIE LINKEJan van AkenAgnes AlpersDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmSteffen BockhahnChristine BuchholzEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeKlaus BarthelBettina Hagedorn Franz Müntefering Franz ThönnesWolfgang TiefenseeDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsHans-Joachim Hacker Dr. Matthias Miersch Dr. h. c. Wolfgang ThierseAbstimmung. Ich bitte diSchriftführer, mit der AuszähWir setzen jetzt die Abstimzu einem weiteren ÄndeBündnis 90/Die Grünen.Abstimmung über den ÄnBündnis 90/Die Grünen aufstimmt für diesen ÄnderungsEnthaltungen? – Damit ist dlehnt bei Zustimmung durchDagegen haben die KoalitioEnthalten hat sich die FraktioIch unterbreche jetzt dieder Ergebnisse der namentlicwir dann gemeinsam über deänderten Einzelplan 11 abstim1) Ergebnis Seite 2636 AEndgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 581;davonja: 265nein: 316JaSPDIngrid Arndt-BrauerRainer Arnolde Schriftführerinnen undlung zu beginnen.1)mungen fort und kommenrungsantrag der Fraktionderungsantrag der FraktionDrucksache 17/1019. Werantrag? – Gegenstimmen? –er Änderungsantrag abge- die einbringende Fraktion.n und die SPD gestimmt.n Die Linke.Sitzung bis zum Vorliegenhen Abstimmungen, damitn geänderten oder nicht ge-men können.Karin Evers-MeyerElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeDagmar FreitagPeter FriedrichMartin GersterIris GleickeGünter GloserUlrike GottschalckAngelika Graf
Michael GroschekMichael Groß
olfgang Thierse:hene Sitzung wieder undei namentlichen Abstim- den Schriftführerinnen undebnis der gemeinsamen na-r die Änderungsanträge derraktion des Bündnisses 90/tung des von der Bundesre-rfs eines Gesetzes über dieshaltsplans für das Haus-lplan 11, Geschäftsbereichrbeit und Soziales, diverseegebene Stimmen 581. MitNein haben gestimmt 316,derungsanträge sind abge-Silvia Schmidt
Carsten Schneider
Olaf ScholzOttmar SchreinerSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeDr. Angelica Schwall-DürenDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzStefan SchwartzeDr. Carsten SielingPeer Steinbrück
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2632 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
(C)
(B)
Roland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmHeidrun DittrichWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerDr. Barbara HöllAndrej Konstantin HunkoUlla JelpkeDr. Lukrezia JochimsenKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichUlla LötzerDr. Gesine LötzschThomas LutzeUlrich MaurerDorothée MenznerCornelia MöhringNiema MovassatWolfgang NeškovićThomas NordPetra PauJens PetermannRichard PitterleYvonne PloetzIngrid RemmersPaul Schäfer
Michael SchlechtDr. Herbert SchuiKathrin Senger-SchäferRaju SharmaDr. Petra SitteKersten SteinkeSabine StüberAlexander SüßmairDr. Kirsten TackmannFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerSahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergJörn WunderlichSabine ZimmermannBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderAlexander BondeEkin DeligözKatja DörnerHans-Josef FellDr. Thomas GambkeKai GehringKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannBettina HerlitziusWinfried HermannUlrike HöfkenDr. Anton HofreiterBärbel HöhnIngrid HönlingerUwe KekeritzKatja KeulMemet KilicSven-Christian KindlerMaria Anna Klein-SchmeinkUte KoczyTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerAgnes KrumwiedeFritz KuhnStephan KühnRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth
Monika LazarNicole MaischAgnes MalczakJerzy MontagKerstin Müller
Beate Müller-GemmekeIngrid NestleDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffDr. Hermann OttLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Krista SagerManuel SarrazinChristine ScheelDr. Frithjof SchmidtDorothea SteinerDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselDaniela WagnerWolfgang WielandDr. Valerie WilmsJosef Philip WinklerNeinCDU/CSUIlse AignerPeter AltmaierPeter AumerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Veronika BellmannDr. Christoph BergnerPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerGitta ConnemannLeo DautzenbergAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserErich G. FritzDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerJosef GöppelUte GranoldReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersDr. Karl-Theodor Freiherr zuGuttenbergOlav GuttingFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtDr. Matthias HeiderMechthild HeilUrsula Heinen-EsserFrank HeinrichRudolf HenkeMichael HennrichJürgen HerrmannAnsgar HevelingErnst HinskenPeter HintzeRobert HochbaumKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerThomas JarzombekDr. Dieter JasperDr. Franz Josef JungAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerBartholomäus KalbSteffen KampeterAlois KarlBernhard KasterVolker Kauder
Dr. Stefan KaufmannEckart von KlaedenVolkmar KleinJürgen KlimkeJulia KlöcknerAxel KnoerigJens KoeppenManfred KolbeDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykThomas KossendeyMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsDr. Martina KrogmannRüdiger KruseBettina KudlaDr. Hermann KuesGünter LachDr. Karl A. Lamers
Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeDr. Max LehmerPaul LehriederDr. Ursula von der LeyenIngbert LiebingMatthias LietzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsDr. Jan-Marco LuczakDr. Michael LutherKarin MaagDr. Thomas de MaizièreHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Dr. Michael MeisterDr. Angela MerkelMaria Michalk
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2633
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
(C)
(B)
Dr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Nadine Müller
Dr. Philipp MurmannUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferDr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Detlef SeifJohannes SelleErika SteinbachDieter StierGero StorjohannFDPJens AckermannChristian AhrendtChristine Aschenberg-DugnusDaniel Bahr
Florian BernschneiderSebastian BlumenthalNicole Bracht-BendtReiner DeutschmannDr. Bijan Djir-SaraiSabine Leutheusser-SchnarrenbergerLars LindemannChristian LindnerDr. Martin Lindner
Michael Link
Dr. Erwin LotterOliver LuksicHorst MeierhoferHans-Joachim Otto
Sibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaChristoph PolandRuprecht PolenzEckhard PolsLucia PuttrichDaniela RaabThomas RachelDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckErwin RüddelAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffWir kommen zu dem vonSchriftführern ermittelten EAbstimmung über den ÄndDie Linke zur zweiten BeratuBundesregierung, HaushaltsgStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Peter TauberAntje TillmannArnold VaatzVolkmar Vogel
Stefanie VogelsangAndrea Astrid VoßhoffDr. Johann WadephulMarco WanderwitzKai WegnerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannPeter WichtelAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar WöhrlDr. Matthias ZimmerWolfgang ZöllerWilli Zylajewden Schriftführerinnen undrgebnis der namentlichenerungsantrag der Fraktionng des Gesetzentwurfs deresetz 2010 – Geschäftsbe-Patrick DöringMechthild DyckmansRainer ErdelJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickePaul K. FriedhoffDr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannHeinz GolombeckMiriam GrußJoachim Günther
Dr. Christel Happach-KasanHeinz-Peter HausteinManuel HöferlinHeiner KampMichael KauchDr. Lutz KnopekPascal KoberDr. Heinrich L. KolbHellmut KönigshausGudrun KoppDr. h. c. Jürgen KoppelinSebastian KörberPatrick Kurth
Heinz LanfermannSibylle LaurischkHarald Leibrechtreich des Bundesministeriumabgegebene Stimmen 572. Mmit Nein haben gestimmt 50damit abgelehnt.Cornelia PieperGisela PiltzDr. Birgit ReinemundDr. Peter RöhlingerDr. Stefan RuppertBjörn SängerFrank SchäfflerChristoph SchnurrJimmy SchulzDr. Erik SchweickertWerner SimmlingJudith SkudelnyDr. Hermann Otto SolmsJoachim SpatzDr. Max StadlerTorsten Heiko StaffeldtDr. Rainer StinnerCarl-Ludwig ThieleStephan ThomaeFlorian ToncarSerkan TörenJohannes Vogel
Dr. Daniel VolkDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff
s für Arbeit und Soziales –:it Ja haben gestimmt 70,2. Der Änderungsantrag istBernd Neumann
Michaela NollDr. Georg NüßleinFranz ObermeierEduard OswaldHenning OtteDr. Michael PaulRita PawelskiReinhold SendkerDr. Patrick SensburgThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelKlaus BreilRainer BrüderleAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherMarco BuschmannSylvia CanelHelga DaubPatrick MeinhardtGabriele MolitorJan MückePetra Müller
Burkhardt Müller-SönksenDr. Martin Neumann
Dirk Niebel
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2634 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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(B)
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 572;davonja: 70nein: 502JaDIE LINKEJan van AkenAgnes AlpersDr. Dietmar BartschKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmSteffen BockhahnChristine BuchholzEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmHeidrun DittrichWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerDr. Barbara HöllAndrej Konstantin HunkoUlla JelpkeDr. Lukrezia JochimsenKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichUlla LötzerDr. Gesine LötzschThomas LutzeUlrich MaurerDorothée MenznerCornelia MöhringNiema MovassatWolfgang NeškovićPetra PauJens PetermannRichard PitterleYvonne PloetzIngrid RemmersPaul Schäfer
Michael SchlechtDr. Herbert SchuiKathrin Senger-SchäferRaju SharmaDr. Petra SitteKersten SteinkeSabine StüberAlexander SüßmairDr. Kirsten TackmannFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerSahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergJörn WunderlichSabine ZimmermannNeinCDU/CSUIlse AignerPeter AumerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Veronika BellmannDr. Christoph BergnerPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerGitta ConnemannLeo DautzenbergAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserErich G. FritzDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerJosef GöppelUte GranoldReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersDr. Karl-Theodor Freiherr zuGuttenbergOlav GuttingFlorian HahnHolger HaibachDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtDr. Matthias HeiderMechthild HeilUrsula Heinen-EsserFrank HeinrichRudolf HenkeMichael HennrichJürgen HerrmannAnsgar HevelingErnst HinskenPeter HintzeRobert HochbaumKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerDr. Dieter JasperDr. Franz Josef JungAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerBartholomäus KalbSteffen KampeterAlois KarlBernhard KasterVolker Kauder
Dr. Stefan KaufmannEckart von KlaedenVolkmar KleinJürgen KlimkeJulia KlöcknerAxel KnoerigJens KoeppenManfred KolbeDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykThomas KossendeyMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsDr. Martina KrogmannRüdiger KruseBettina KudlaDr. Hermann KuesGünter LachDr. Karl A. Lamers
Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeDr. Max LehmerPaul LehriederDr. Ursula von der LeyenIngbert LiebingMatthias LietzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsDr. Jan-Marco LuczakDr. Michael LutherKarin MaagDr. Thomas de MaizièreHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Dr. Michael MeisterDr. Angela MerkelMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Nadine Müller
Dr. Philipp MurmannBernd Neumann
Michaela NollDr. Georg NüßleinFranz ObermeierEduard OswaldHenning OtteDr. Michael PaulRita PawelskiUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaChristoph PolandRuprecht PolenzEckhard PolsLucia PuttrichDaniela RaabThomas RachelDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckErwin RüddelAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Patrick Schnieder
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2635
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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Dr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Detlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelErika SteinbachDieter StierGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Peter TauberAntje TillmannArnold VaatzVolkmar Vogel
Stefanie VogelsangAndrea Astrid VoßhoffDr. Johann WadephulMarco WanderwitzMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannPeter WichtelAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar WöhrlDr. Matthias ZimmerWolfgang ZöllerWilli ZylajewSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelSören BartolBärbel BasSabine BätzingDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Gerd BollmannKlaus BrandnerWilli BraseBernhard Brinkmann
Edelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertPetra CroneDr. Peter DanckertMartin DörmannElvira Drobinski-WeißGarrelt DuinSebastian EdathySiegmund EhrmannDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeDagmar FreitagPeter FriedrichMartin GersterIris GleickeGünter GloserUlrike GottschalckAngelika Graf
Michael GroschekMichael GroßWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannMichael Hartmann
Hubertus Heil
Rolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Frank Hofmann
Dr. Eva HöglChristel HummeJosip JuratovicOliver KaczmarekJohannes KahrsDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberLars KlingbeilHans-Ulrich KloseDr. Bärbel KoflerDaniela Kolbe
Fritz Rudolf KörperAnette KrammeNicolette KresslAngelika Krüger-LeißnerUte KumpfChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisPetra Merkel
Ullrich MeßmerDr. Matthias MierschFranz MünteferingDr. Rolf MützenichDietmar NietanManfred NinkThomas OppermannHolger OrtelAydan ÖzoğuzHeinz PaulaJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldGerold ReichenbachDr. Carola ReimannSönke RixDr. Ernst Dieter RossmannMarlene Rupprecht
Anton SchaafAxel Schäfer
Bernd ScheelenMarianne Schieder
Werner Schieder
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Carsten Schneider
Olaf ScholzOttmar SchreinerSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeDr. Angelica Schwall-DürenDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzStefan SchwartzeDr. Carsten SielingPeer SteinbrückKerstin TackDr. h. c. Wolfgang ThierseFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitUte VogtDr. Marlies VolkmerAndrea WickleinWaltraud Wolff
Uta ZapfDagmar ZieglerManfred ZöllmerBrigitte ZypriesFDPJens AckermannChristian AhrendtChristine Aschenberg-DugnusDaniel Bahr
Florian BernschneiderSebastian BlumenthalNicole Bracht-BendtAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherMarco BuschmannSylvia CanelHelga DaubReiner DeutschmannDr. Bijan Djir-SaraiPatrick DöringMechthild DyckmansRainer ErdelJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickePaul K. FriedhoffDr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannHeinz GolombeckMiriam GrußJoachim Günther
Dr. Christel Happach-KasanManuel HöferlinHeiner KampMichael KauchDr. Lutz KnopekPascal KoberDr. Heinrich L. KolbHellmut KönigshausGudrun KoppDr. h. c. Jürgen KoppelinSebastian KörberPatrick Kurth
Heinz LanfermannSibylle LaurischkHarald LeibrechtSabine Leutheusser-SchnarrenbergerLars LindemannChristian LindnerDr. Martin Lindner
Michael Link
Dr. Erwin LotterOliver LuksicHorst MeierhoferPatrick MeinhardtGabriele MolitorJan MückePetra Müller
Burkhardt Müller-SönksenDr. Martin Neumann
Dirk NiebelHans-Joachim Otto
Cornelia PieperGisela PiltzDr. Birgit ReinemundDr. Peter RöhlingerDr. Stefan RuppertBjörn SängerFrank SchäfflerChristoph SchnurrJimmy SchulzDr. Erik SchweickertWerner SimmlingJudith SkudelnyDr. Hermann Otto SolmsJoachim SpatzDr. Max StadlerTorsten Heiko StaffeldtDr. Rainer StinnerCarl-Ludwig ThieleStephan ThomaeFlorian ToncarSerkan TörenJohannes Vogel
Metadaten/Kopzeile:
2636 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
(C)
(B)
Dr. Dietmar BartschDr. Martina BungeThomas LutzeUlrich MaurerJens PetermannEkin DeligözWinfried HermannBrigitte PothmerTabea RößnerDr. Wolfgang Strengmann-Roland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmHeidrun DittrichWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerDr. Barbara HöllAndrej Konstantin HunkoUlla JelpkeRichard PitterleYvonne PloetzIngrid RemmersPaul Schäfer
Michael SchlechtDr. Herbert SchuiKathrin Senger-SchäferRaju SharmaDr. Petra SitteKersten SteinkeSabine StüberAlexander SüßmairDr. Kirsten TackmannFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerSahra WagenknechtHalina WawzyniakUlrike HöfkenDr. Anton HofreiterBärbel HöhnIngrid HönlingerUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Anna Klein-SchmeinkUte KoczyTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerAgnes KrumwiedeFritz KuhnStephan KühnRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth
KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselDaniela WagnerWolfgang WielandDr. Valerie WilmsJosef Philip WinklerNeinCDU/CSUIlse AignerPeter AltmaierPeter AumerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmSteffen BockhahnChristine BuchholzEva Bulling-SchröterDorothée MenznerCornelia MöhringNiema MovassatWolfgang NeškovićThomas NordPetra PauKatja DörnerHans-Josef FellDr. Thomas GambkeKai GehringKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannBettina HerlitziusClaudia Roth
Krista SagerManuel SarrazinChristine ScheelDr. Frithjof SchmidtDorothea SteinerDr. Daniel VolkDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderAlexander BondeEkin DeligözKatja DörnerHans-Josef FellWir kommen zu dem vonSchriftführern ermittelten EAbstimmung über den ÄndBündnis 90/Die Grünen zurEndgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 577;davonja: 133nein: 444JaDIE LINKEJan van AkenAgnes AlpersDr. Thomas GambkeKai GehringKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannBettina HerlitziusWinfried HermannUlrike HöfkenDr. Anton HofreiterBärbel HöhnIngrid HönlingerUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Anna Klein-SchmeinkUte KoczyTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver Krischerden Schriftführerinnen undrgebnis der namentlichenerungsantrag der Fraktionzweiten Beratung des Ge-Dr. Lukrezia JochimsenKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichUlla LötzerDr. Gesine LötzschAgnes KrumwiedeFritz KuhnStephan KühnRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth
Monika LazarNicole MaischAgnes MalczakJerzy MontagKerstin Müller
Beate Müller-GemmekeIngrid NestleDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffDr. Hermann OttLisa Paussetzentwurfs der Bundesregierebenfalls Einzelplan 11 –: abgJa haben gestimmt 133. MitDer Änderungsantrag ist damHarald WeinbergJörn WunderlichSabine ZimmermannBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderAlexander BondeBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Krista SagerManuel SarrazinChristine ScheelDr. Frithjof SchmidtDorothea SteinerDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselDaniela WagnerWolfgang WielandDr. Valerie WilmsJosef Philip Winklerung, Haushaltsgesetz 2010 –egebene Stimmen 579. MitNein haben gestimmt 446.it abgelehnt.Monika LazarNicole MaischAgnes MalczakJerzy MontagKerstin Müller
Beate Müller-GemmekeIngrid NestleDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffDr. Hermann OttLisa Paus
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2637
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
(C)
(B)
Günter BaumannErnst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Veronika BellmannDr. Christoph BergnerPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerGitta ConnemannLeo DautzenbergAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserMichael FrieserErich G. FritzDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerJosef GöppelUte GranoldReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersDr. Karl-Theodor Freiherr zuGuttenbergOlav GuttingFlorian HahnHolger HaibachDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtDr. Matthias HeiderMechthild HeilUrsula Heinen-EsserFrank HeinrichRudolf HenkeMichael HennrichJürgen HerrmannAnsgar HevelingErnst HinskenPeter HintzeRobert HochbaumKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerThomas JarzombekDr. Dieter JasperDr. Franz Josef JungAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerBartholomäus KalbSteffen KampeterAlois KarlBernhard KasterVolker Kauder
Dr. Stefan KaufmannEckart von KlaedenVolkmar KleinJürgen KlimkeJulia KlöcknerAxel KnoerigJens KoeppenManfred KolbeDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykThomas KossendeyMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsDr. Martina KrogmannRüdiger KruseBettina KudlaDr. Hermann KuesGünter LachDr. Karl A. Lamers
Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeDr. Max LehmerPaul LehriederDr. Ursula von der LeyenIngbert LiebingMatthias LietzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsDr. Jan-Marco LuczakDr. Michael LutherKarin MaagDr. Thomas de MaizièreHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Dr. Michael MeisterDr. Angela MerkelMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Nadine Müller
Dr. Philipp MurmannBernd Neumann
Michaela NollDr. Georg NüßleinFranz ObermeierEduard OswaldHenning OtteDr. Michael PaulRita PawelskiUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaChristoph PolandRuprecht PolenzEckhard PolsLucia PuttrichDaniela RaabThomas RachelDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckErwin RüddelAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Detlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnDr. Frank SteffelErika SteinbachDieter StierGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Peter TauberAntje TillmannArnold VaatzVolkmar Vogel
Stefanie VogelsangAndrea Astrid VoßhoffDr. Johann WadephulMarco WanderwitzMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannPeter WichtelAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar WöhrlDr. Matthias ZimmerWolfgang ZöllerWilli ZylajewSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelSören BartolBärbel BasSabine BätzingDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Gerd BollmannKlaus BrandnerWilli BraseBernhard Brinkmann
Edelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertPetra CroneDr. Peter DanckertMartin DörmannElvira Drobinski-WeißGarrelt DuinSebastian EdathySiegmund EhrmannDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeDagmar FreitagPeter FriedrichMartin GersterIris GleickeGünter GloserUlrike GottschalckAngelika Graf
Michael Groschek
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2638 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
(C)
(B)
Johannes KahrsDr. h. c. Susanne KastnerWerner Schieder
Ulla Schmidt
Patrick Döring
Cornelia PieperUlrich KelberLars KlingbeilHans-Ulrich KloseDr. Bärbel KoflerDaniela Kolbe
Fritz Rudolf KörperAnette KrammeNicolette KresslAngelika Krüger-LeißnerUte KumpfChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisPetra Merkel
Ullrich MeßmerDr. Matthias MierschFranz MünteferingDr. Rolf MützenichDietmar NietanManfred NinkDamit kommen wir zur Abplan 11 in der AusschussfasWer stimmt dagegen? – Enthalist mit den Stimmen der beidgen die Stimmen der drei Onommen.Liebe Kolleginnen und Knungspunkt I.6 auf:Einzelplan 09Bundesministeriumnologie– Drucksachen 17/609Silvia Schmidt
Carsten Schneider
Olaf ScholzOttmar SchreinerSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeDr. Angelica Schwall-DürenDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzStefan SchwartzeDr. Carsten SielingPeer SteinbrückKerstin TackDr. h. c. Wolfgang ThierseFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitUte VogtDr. Marlies VolkmerAndrea WickleinWaltraud Wolff
Uta ZapfDagmar ZieglerManfred ZöllmerBrigitte Zypriesstimmung über den Einzel-sung. Wer stimmt dafür? –tungen? – Der Einzelplan 11en Koalitionsfraktionen ge-ppositionsfraktionen ange-ollegen, ich rufe Tagesord-für Wirtschaft und Tech-, 17/623 –Mechthild DyckmansRainer ErdelJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickePaul K. FriedhoffDr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannHeinz GolombeckMiriam GrußJoachim Günther
Dr. Christel Happach-KasanHeinz-Peter HausteinManuel HöferlinHeiner KampMichael KauchDr. Lutz KnopekPascal KoberDr. Heinrich L. KolbHellmut KönigshausGudrun KoppDr. h. c. Jürgen KoppelinSebastian KörberPatrick Kurth
Heinz LanfermannSibylle LaurischkHarald LeibrechtBerichterstattung:Abgeordnete Dr. Mich
llen Vereinbarung sind fürtunden vorgesehen. – Ichnn ist das so beschlossen.e und erteile dem Kollegen-Fraktion das Wort. der SPD)Michael GroßWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannMichael Hartmann
Hubertus Heil
Rolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Frank Hofmann
Dr. Eva HöglChristel HummeJosip JuratovicOliver KaczmarekThomas OppermannHolger OrtelAydan ÖzoğuzHeinz PaulaJoachim PoßFlorian PronoldDr. Sascha RaabeGerold ReichenbachDr. Carola ReimannSönke RixDr. Ernst Dieter RossmannMarlene Rupprecht
Anton SchaafAxel Schäfer
Bernd ScheelenMarianne Schieder
FDPJens AckermannChristian AhrendtChristine Aschenberg-DugnusDaniel Bahr
Florian BernschneiderSebastian BlumenthalNicole Bracht-BendtKlaus BreilRainer BrüderleAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherMarco BuschmannSylvia CanelHelga DaubReiner DeutschmannDr. Bijan Djir-SaraiSabine Leutheusser-SchnarrenbergerLars LindemannChristian LindnerDr. Martin Lindner
Michael Link
Dr. Erwin LotterOliver LuksicHorst MeierhoferPatrick MeinhardtGabriele MolitorJan MückePetra Müller
Burkhardt Müller-SönksenDr. Martin Neumann
Dirk NiebelHans-Joachim Otto
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2639
(C)
(B)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieDebatte über den Haushalt des Wirtschaftsministeriumsknüpft nahtlos an die Debatte über den Arbeitsmarkt an,weil Wirtschaft und Arbeitsmarkt natürlich zusammen-hängen.Man fragt sich: Was hat diese Koalition, was hat die-ser Minister in die Haushaltsberatungen eingebrachtoder getan, um die wirtschaftliche Situation in Deutsch-land zu verbessern? Wenn man sich den Etat anschaut,muss man sagen: Die Antwort „gar nichts“ wäre nochgut. Es ist aber viel schlimmer: Sie haben in Ihrem Etatbei den Investitionen gekürzt. Sie haben Maßnahmen,die Sie mit Ihrem „Möchtegern-Wachstumsbeschleuni-gungsgesetz“ eingeführt haben, also Einzelsubventio-nen für Branchen wie die Landwirtschaft, aber auch dasHotelgewerbe, ausgeweitet. Dabei hat die Koalition auchnoch einen Antrag zugunsten von Campingplätzen ein-gebracht. Campingplätze sind ein ganz wichtiger Wirt-schaftsfaktor.
Sie haben kein industriepolitisches Konzept. Für denMittelstand haben Sie nur warme Worte. Im Hinblick aufdie Kreditklemme, die die deutschen Unternehmen be-lastet und die Wachstumsentwicklung in diesem Jahrwahrscheinlich frappierend beeinträchtigen wird, habenSie gar keine Ideen.Die Mittel für die Gemeinschaftsaufgaben „Verbesse-rung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ – dasbetrifft nicht Ihren Etat; es geht um 25 Millionen EuroInvestitionen – und „Verbesserung der regionalen Wirt-schaftsstruktur“ – diese Gemeinschaftsaufgabe hat inden vergangenen Jahren enorm dazu beitragen, dass wireinen Beschäftigungsaufbau und eine Erneuerung der In-dustrieproduktion hatten und dass die deutsche Wirt-schaft ihre Wettbewerbsposition verbessern konnte –werden mit diesem Haushalt um 10 Millionen Euro ge-kürzt. Dadurch fallen auch die Kofinanzierungsmittelder Länder in Höhe von 10 Millionen Euro weg. Manmuss auch bedenken, dass dadurch die entsprechendenprivaten Investitionen verlorengehen. Das ist ein klaresZeichen, dass Sie nicht verstanden haben, in welcher Si-tuation sich Deutschland gerade befindet.
Sie haben sich den Bürokratieabbau auf die Fahnengeschrieben. Gesehen hat man davon noch nichts.
Wenn ich mir die Erläuterungen des Finanzministeriumszur Umsatzsteuerrichtlinie anschaue, insbesondere wiedas mit den Aufwendungen für Essen und Frühstückfunktionieren soll, muss ich sagen: Das ist eher eine Be-lastung, eher ein Aufbau von Bürokratie. Auch da, HerrMinister Brüderle, sind Sie gescheitert.
Sie sagen nichts zum Thema Opel. Man hat den Ein-druck, Sie würden dieses Thema am liebsten schnell be-erdigt sehen. Wie ich schon gesagt habe: Industriepolitikscheint nicht Ihr Thema zu sein.Die Interessen der Solarindustrie, einer der Wachs-tumsmärkte gerade in Ostdeutschland, werden durch Ih-ren Partner in der Regierungskoalition mit Füßen getre-ten. Im Zusammenhang mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz werden extreme Kürzungen vorge-nommen, was dazu führt, dass hier bis zu 5 000 Arbeits-plätze und viele Investitionen auf der Kippe stehen.Diese Kürzungen betreffen nicht nur die Einspeisevergü-tung, sondern auch die direkten Maßnahmen hinsichtlichder Absatzförderung. Auch die Mittel für das Marktan-reizprogramm – auch das müsste Sie als Wirtschaftsmi-nister interessieren – sind gekürzt bzw. gesperrt worden.Das führt dazu, dass kein Umstieg erfolgt. Wir werdenkeinen Energiemix bekommen, und Arbeitsplätze unddamit natürlich auch Exportanteile gehen verloren.
Herr Minister, das ist der Funktion eines Bundeswirt-schaftsministers, so wie zumindest ich sie bisher inter-pretiert habe, nicht würdig.Sie haben als Mitglied der FDP-Fraktion in den ver-gangenen Jahren viele Anträge eingebracht, was Kür-zungen betrifft. Dabei ging es insbesondere auch um denBereich der Staatssekretäre. Wir haben Ihnen entspre-chende Änderungsanträge vorgelegt. Sie haben keinemeinzigen dieser Änderungsanträge zugestimmt, ge-schweige denn dafür gesorgt, dass das, was Sie vor derWahl gesagt haben, auch nach der Wahl gilt. Bei dieserTatenlosigkeit, die von diesem Haus ausgeht, sollte maneher den Minister als die Staatssekretäre abschaffen;denn für die Unterschrift sind auch sie gut.
Stattdessen erhöhen Sie die Exportsubventionen bzw.die Kreditermächtigungen für den Bau von Atomkraft-werken. Es ist eine Hermesbürgschaft im Umfang vonüber 1 Milliarde Euro für ein nicht sicheres, unmodernesAtomkraftwerk in Brasilien vorgesehen. Dafür haben Siesofort Unterstützung bereitgestellt. Zukunftstechnolo-gien haben aber keine Chance. Die Atomwirtschaft istIhre Klientel; das ist Ihr wirtschaftspolitisches Pro-gramm.
– Das ist eine strahlende Zukunft für Deutschland.Dann fragt man sich, was Sie eigentlich im Bereichder Kreditwirtschaft tun. Sie haben einen Kreditmedia-tor eingesetzt. Die Lage am deutschen Bankenmarkt istprekär. Aufgrund der allgemeinen Eigenkapitalschwächehatten wir allein im letzten Jahr mit einem Zuwachs anUnternehmensinsolvenzen von 11 Prozent zu kämpfen.
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2640 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Carsten Schneider
(C)
(B)
Darauf gibt es bisher keine Antwort aus Ihrem Haus. Sieführen einen Gipfel nach dem anderen durch. Das Ein-zige, was bisher daraus geboren wurde, war ein Kredit-mediator, der nun seine Arbeit aufnehmen soll.Er hat sieben Mitarbeiter und ist außergewöhnlich gutbezahlt. Das an sich ist schon genug Anlass zur Kritik.Er wird der Aufgabe aber überhaupt nicht gerecht. Ichhabe heute Morgen ein Interview dazu gehört, was ermachen will. Bis zu 10 000 Unternehmen, die Problemehaben, sollen sich an ihn wenden können – und das beisieben Mitarbeitern. Schon das geht überhaupt nicht.Die Unternehmen sollen darauf hingewiesen werden,dass es im Zweifel bei der KfW eine 90-prozentigeBürgschaft oder Absicherung gibt. Diese Informationsteht im Internet; man kann sie dort ganz einfach erhal-ten.Die Einsetzung eines Kreditmediators ist nichts wei-ter als ein Feigenblatt für einen Aktionismus, der zunichts führt, weil Sie nicht die Traute haben, den Bankenim Hinblick auf die Finanzierung auf die Finger zuhauen und letztendlich dafür zu sorgen, dass sie ihrerAufgabe, der Kreditversorgung nachzukommen, auchtatsächlich gerecht werden.
Hierzu höre ich nichts. Sie setzen auf Freiwilligkeit. Dasist der falsche Weg.
Noch eine kleine Anekdote zum Schluss, um zu zei-gen, womit sich Ihr Haus beschäftigt. Ich habe im Inter-net nachgeschaut, was Sie in den letzten Tagen allesgemacht haben, und eine Pressemitteilung des Parlamen-tarischen Staatssekretärs Burgbacher über den Camping-tourismus in Deutschland gefunden.
Ich habe ja nichts gegen den Campingtourismus; aberdas darf nicht alles sein, womit Sie sich beschäftigen. Ichzitiere:Die Campingwirtschaft steht vor der Herausforde-rung, gleichzeitig der steigenden Nachfrage im In-land gerecht zu werden und für den dynamischeneuropäischen Wettbewerb vorbereitet zu sein.Umso wichtiger sind zuverlässige und gesicherteDaten und Fakten für die zukunftsgerichtete undnachhaltige Weiterentwicklung des deutschen Cam-pingangebotes.
Das ist ein Armutszeugnis für das Wirtschaftsministe-rium der größten Volkswirtschaft Europas. So wird dasnichts. Deswegen werden wir diesen Haushalt auch ab-lehnen.
Das Wort hat nun Ulrike Flach für die FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Lieber Kollege Schneider, das war ein Sammel-surium von wilden Anschuldigungen, mit denen maneigentlich nicht ernsthaft in die Beratung eines so wichti-gen Haushalts gehen kann.
Als ein sozialdemokratischer Wirtschaftsminister die-sen Einzelplan aufgegeben hatte und die Große Koali-tion anfing, dort aufzuräumen, wurden uns allen – daranerinnere ich mich als Haushälterin; damals begleitete ichSie noch aus der Opposition heraus – Unmengen ankleinsten und winzigen Klientelprogrammen präsen-tiert. Diese sind schon damals unter der Großen Koali-tion wieder eingesammelt worden. Was Sie als durch-gängige Industriepolitik bezeichnen, ist über die vielenJahre hinweg nichts anderes als Kleinstklientelpolitikgewesen.Sie muss jetzt endlich auf solide Füße gestellt werden.Das heißt, wir fassen die einzelnen Programme zusam-men. Im Mittelstand werden ganz bewusst neue Techno-logien gefördert, zum Beispiel Breitbandverbindungen.Wir fördern übrigens auch einen der zukunftsträchtigs-ten Bereiche der nächsten Jahrzehnte: die Gesundheits-wirtschaft. Es sind also völlig neue Projekte auf den Weggebracht worden, von denen Sie bei den Haushaltsbera-tungen aber offensichtlich nichts mitbekommen haben.
Ich möchte darauf eingehen, dass Sie sagen, es seinicht erkennbar, dass sich in diesem Haushalt überhauptirgendetwas ändere. Was haben wir gemacht? Wir habendie schwierige Aufgabe, dass wir, aus einer wilden Kriseherauskommend, versuchen müssen, haushalterisch eineSenkung der Ausgaben zu erreichen. Das versuchenwir zurzeit.
Der Umfang des Einzelplans des BMWi ist mit6 Milliarden Euro immerhin um 161 Millionen Euro ge-ringer als der im Haushaltsentwurf und sogar niedrigerals das Soll im Jahr 2009. Die erste Aufgabe ist also er-füllt. Dies war in all den Jahren unter Ihrer Ägide nichtder Fall. Es ist endlich einmal gespart worden, und zwarüberall, und nicht, wie Sie meinen, an wichtigen Stellen.
Ich möchte auf das Thema Investitionen zu sprechenkommen. Lassen Sie mich ein paar Zahlen nennen. ImJahr 2008 – einem normalen Haushaltsjahr vor der Wirt-schaftskrise – lagen die Ausgaben für Investitionen bei24,7 Milliarden Euro. Im Krisenjahr 2009 wurden die
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2641
Ulrike Flach
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Ausgaben durch die Konjunkturpakete auf 32,8 Milliar-den Euro gesteigert. Hierzu gehört ein Darlehen in Höhevon 4 Milliarden Euro für den Gesundheitsfonds, dasaber nicht abgerufen wurde. Im Entwurf 2010 sind dieAusgaben für Investitionen immer noch 3,6 MilliardenEuro höher als im Nichtkrisenjahr 2008, lieber KollegeSchneider. Ein Teil der verbleibenden Kürzungen hat mitrein technischen Veränderungen zu tun. Fast 400 Millio-nen Euro werden allein bei den Investitionen abgezogen,weil Entschädigungszahlungen für Kreditausfälle imRahmen des Bürgschaftsfonds nicht gebraucht wurden.Das, lieber Kollege Schneider, ist ein gutes und keinschlechtes Zeichen.Zudem hat die alte Bundesregierung, der bekanntlichauch die SPD angehörte, über 2 Milliarden Euro anInvestitionsmitteln im Rahmen des Investitions- und Til-gungsfonds bereitgestellt. Diese Summe taucht im Haus-halt nicht auf, wird aber 2010 zu großen Teilen in Inves-titionen abfließen. Das heißt, Ende des Jahres werden dieAusgaben für Investitionen sogar höher sein als 2009.Lieber Kollege Schneider, das, was Sie behauptet ha-ben, nenne ich Verdrängung von Fakten. Das sind Mär-chen, die an keiner Stelle stimmen. Diese Regierungsteht für Investitionen und wird dafür sorgen, dass wireinen soliden Weg aus der Krise in eine nachhaltige Zu-kunft einschlagen.
Das Wort hat nun Herbert Schui für die Fraktion Die
Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Wirt-schaftspolitik muss sich unter den gegebenen Bedingun-gen vor allen Dingen darum kümmern, die Arbeitslosig-keit in den Griff zu bekommen. Mit Arbeitsmarktpolitikallein lässt sich das aber nun wirklich nicht realisieren.
Unser Problem besteht darin, dass das Bruttoinlands-produkt im vergangenen Jahr um 5 Prozent gesunken ist.Dafür bewundert uns das Ausland nicht, weder die Ver-einigten Staaten – dort schrumpfte das Bruttoinlandspro-dukt nicht so stark – noch Frankreich. Wenn das Sinkendes Bruttoinlandsprodukts aber voll auf den Arbeits-markt durchgeschlagen wäre, dann hätten wir nun1,8 Millionen Arbeitslose mehr.Warum sind wir glimpflich davongekommen? Warumist die Beschäftigung einigermaßen stabil geblieben?
– Das ist nicht das Ergebnis irgendeiner klugen Politik. –Der wesentliche Grund ist, dass die Arbeitsproduktivitätim vergangenen Jahr um 2,2 Prozent gesunken ist. Nunkönnte man natürlich denken, dass das daran liegt, dassdie Leistungsträger aufgrund lausiger Arbeitsbedingun-gen und niedriger Löhne pro Stunde weniger arbeiten.Das stimmt aber nicht: Aufgrund der technischen Aus-lastung der Kapazitäten ist die Produktivität gesunken.Das Arbeitsvolumen ist um 2,8 Prozent gesunken.Das haben Sie weggeschoben, und zwar vor allen Din-gen dadurch, dass im vergangenen Jahr aufgrund derZunahme von Teilzeitarbeit die durchschnittliche wö-chentliche Arbeitszeit von 26 auf 25 Stunden pro Wochegesenkt worden ist. Auch das ist nicht weiter bewun-dernswert.All das hat sich aufgrund der Hartz-Gesetzgebungund durch den Umstand ergeben, dass die Produk-tionstechnik bei solchen Konjunkturabschwüngen zwin-gend zu einer Senkung der Produktivität der Arbeitführt. Es ist also weder Ihr Verdienst noch ein politischesVerdienst. Es hat sich nun einmal so durchgesetzt, aberes ist nicht viel dabei.Das einzige Vernünftige im vergangenen Jahr war dieKurzarbeitergeldregelung. Wir sind dafür, dass diese Re-gelung fortgeführt und ausgebaut wird und dass der Be-zug des ALG I verlängert wird. Auf diese Art und Weisekann man spontan das Schlimmste abfedern.
Mehr kann man damit aber nicht erreichen. Notwen-dig ist eine Politik, die den Arbeitsmarkt aufgrund einergesteigerten Produktion wieder in Schwung bringt. Des-wegen fordern wir ein Zukunftsprogramm mit einemUmfang von 100 Milliarden Euro. Das kommt Ihnenentsetzlich viel vor, aber damit könnte man im öffentli-chen Dienst 2 Millionen Menschen zusätzlich beschäfti-gen. Zudem schaffen alle zusätzlichen öffentlichen Aus-gaben durch die zusätzliche Staatsnachfrage mehrBeschäftigung.Die Frage ist, wie das finanziert werden soll. Dazufindet sich in allen Haushaltsentwürfen nichts. DasGanze lässt sich durch eine Millionärsabgabe finanzie-ren, die locker 80 Milliarden Euro einbringen würde.
– Nun gut, es ist hart, als Grüner gegen einen Millionäranzugehen. Das kann ich verstehen. Aber wir haben we-niger Hemmungen als Sie. Das sollten Sie uns überlas-sen.
– Nein, warum sollten wir auch.Eine weitere Möglichkeit wäre eine Erhöhung derSteuern auf Gewinneinkommen. In Deutschland werdendie Gewinneinkommen nach Eurostat gegenwärtig mit25 Prozent besteuert. In Frankreich sind es 40 Prozent.Würde man die Steuer auf den französischen Satz anhe-ben, würden die Steuereinnahmen um 100 Milliardensteigen. So lassen sich Arbeitsmarktpolitik und Beschäf-tigungspolitik finanzieren.
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2642 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Dr. Herbert Schui
(C)
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Sie setzen dagegen einzig auf den Export. Das ist IhrProblem. Wie viel müsste aber zusätzlich exportiert wer-den, um in diesem und im nächsten Jahr wenigstens einWachstum von 1,5 Prozent zu erzielen? Wer soll das al-les kaufen? Sollen die Chinesen doppelt so viel von unskaufen, wie es jetzt schon der Fall ist? Daran glauben Siedoch selber nicht.
– Die Exporte steigen zwar um 2 Milliarden bis3 Milliarden Euro pro Jahr, aber nicht um den Betrag,der notwendig ist, um das Wachstum um 1 Prozent oder1,5 Prozent zu erhöhen.
– Das reicht nicht aus. Bedenken Sie eines: Die Linkehat immer wieder vorgetragen, dass wir eine verstärkteBinnennachfrage brauchen.
– Sie sagen doch wohl nicht, dass die französische Wirt-schaftsministerin, Frau Lagarde, ein IM gewesen ist. Dasglaube ich nicht. Sie hat diese Geschichte ausgegrabenund verlangt, dass Deutschland mehr importiert, damitdie Handelsbilanzungleichgewichte vor allen Dingen in-nerhalb der EU verschwinden.
Deutschland kann nur dann mehr importieren, wenndie Löhne, Gehälter und Staatsausgaben insgesamt stei-gen. Das geht nur bei einer anderen Steuerlast und mithöheren Löhnen. Anders ist das nicht zu schaffen.
Wenn wir das nicht hinbekommen, dann bringen wirnicht nur unsere Konjunktur in Gefahr; dann ist die ge-samte EU gefährdet. Das müssen Sie bedenken.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Michael Luther für die CDU/CSU-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter Herr Minister Brüderle! Seltenwaren Haushaltsberatungen so kurz wie in diesem Jahr.Aber noch seltener ist, unter welchen Vorzeichen wirden Haushalt beraten mussten. Es muss noch einmal klarerwähnt werden: Wir haben es nach wie vor mit den Fol-gen einer Wirtschafts- und Finanzkrise zu tun. Das hatnatürlich die Beratungen beeinflusst. Wir hatten einensehr engen Zeitplan. Aber wir haben den Haushalt trotz-dem sehr intensiv und gut beraten und an vielen Punktenüberarbeitet und verändert.Das Ziel, das wir uns als Koalition am Beginn derHaushaltsberatungen gesetzt haben, war: Wir wollen vonder hohen Neuverschuldung etwas herunterkommen.Das ist uns gelungen. Wir haben 5,6 Milliarden Euroeingespart. Es hätte mehr sein können, aber das ist schonetwas. Ich habe mir einmal ausgerechnet, was das bedeu-tet. Bei dem momentan geltenden Zinssatz bedeutet eineErsparnis von 5,6 Milliarden Euro 140 Millionen Euroweniger Zinsen im nächsten Jahr. Das ist ungefähr soviel, wie die Physikalisch-Technische Bundesanstaltkostet. An dieser Stelle wird sehr deutlich, dass das Zieldieser Legislaturperiode für den Haushalt ganz klar seinmuss: Wir müssen von der Neuverschuldung herunter-kommen, damit wir auch in Zukunft einen beherrschba-ren Haushalt haben.
Dieses Ziel haben wir auch im Einzelplan des Bundes-wirtschaftsministeriums verfolgt. Es ist schon gesagtworden: Der Umfang des Haushalts beträgt 6,1 Milliar-den Euro, 160 Millionen Euro oder 2,6 Prozent wenigerals im Regierungsentwurf. Das sind rund 40 MillionenEuro weniger als im Haushalt 2009. Ich denke, das istein gutes Ergebnis.Wie ist es zustande gekommen? Sicher, dazu habendie sinkenden Ausgaben bei den Kohlebeihilfen beige-tragen. Aber wir haben auch richtig gespart: zum einenbei den Verwaltungs- und Personalausgaben und zumanderen bei den Programmtiteln. Wir müssen in diesenZeiten – auch das muss gesagt werden – den Mut haben,zu gucken: Ist das, was in unserem Programmhaushaltsteht, alles richtig, oder können wir in Zeiten knapperKassen den Umfang des einen oder anderen Programmsverringern und immer noch das erreichen, was wir errei-chen wollen? Ich denke, gerade in den Zeiten knapperKassen ist diese Art der Prioritätensetzung sehr wichtig.Trotzdem haben wir mit dem Haushalt 2010 Impulsegesetzt. Es gibt ein durchgehendes Prinzip: Wir wollenweg von alten, lediglich bestandserhaltenden Subventio-nen, und wir wollen hin zur Förderung von Innovationund Technologie. Manchmal muss man es in diesemHause noch einmal sagen – auch ich verteile gerne undwürde gerne verteilen, wenn genügend Geld da wäre –:Es gilt die Binsenweisheit: Bevor ich verteile, muss ichmich erst einmal darum kümmern, etwas zu verdienen,was ich verteilen kann.
Vor genau diesem Hintergrund sehe ich mir die vielenProgrammtitel im Haushalt des Bundeswirtschaftsminis-teriums an und stelle fest, dass hier tatsächlich etwas fürunsere Zukunft, für Wachstum und Beschäftigung getanwird.
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Dr. Michael Luther
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Ich will hier ein paar Punkte nennen.Erstens. Wir verstärken die Investitionen in neueTechnologien. Ich nenne hier zum Beispiel Luft- undRaumfahrt, Energieforschung, Schifffahrts- und Meeres-technik. In diesen Hightechbereichen wollen und müs-sen wir in der Zukunft gut aufgestellt sein. Genau hierwollen wir Wachstum generieren. Wir wollen weiter ander Weltspitze mitspielen.Zweitens. Auch in 2010 bildet die Förderung von In-novations- und Zukunftstechnologien ein wichtigesKernstück des Einzelplanes. 2,3 Milliarden Euro stehendafür im Haushalt. Entsprechend unserem Koalitions-vertrag werden als erste Tranche aus dem 12-Milliarden-Euro-Paket 84 Millionen Euro für Forschung und Ent-wicklung aus dem Einzelplan zur Verfügung gestellt.Hiermit wollen wir die Bildungs- und Forschungsland-schaft in Deutschland stärken und für die Herausforde-rungen der Zukunft fit machen.Drittens. Im Zuge unserer Beratung haben wir in wei-teren zukunftsgerichteten Bereichen zusätzliche Akzentegesetzt. Ich nenne hier nur zwei: Breitbandtechnologiebei Internetanschlüssen und das Thema Gesundheits-wirtschaft. In diesen Bereichen wird das Geld zukünftiggut angelegt sein.
– Danke. Frau Flach weiß wahrscheinlich noch besser,was ich meine,
weil wir über diesen Etatentwurf sehr intensiv beratenhaben.
Viertens. Wichtig für unsere Volkswirtschaft ist derMittelstand. Hier leistet der Haushalt einen wichtigenBeitrag. Es ist doch klar, dass sich gerade der Mittelstandgroße Forschungs- und Entwicklungsabteilungen in derRegel nicht leisten kann. Deshalb muss hier die Zusam-menarbeit mit den Forschungseinrichtungen und denHochschulen organisiert werden. Dafür steht Geld zurVerfügung, nämlich 2010 fast 620 Millionen Euro. Ichwill an dieser Stelle erwähnen: Das wichtigste Programmin diesem Zusammenhang ist das Zentrale Innovations-programm Mittelstand, ZIM. Das ist das Basisprogrammfür die Förderung der mittelständischen FuE-Projekte. Eswird von den Unternehmen angenommen. Es wird starknachgefragt. Es genießt hohe Wertschätzung. Ich sageganz klar: Ich werde mich dafür einsetzen, dass das auchin Zukunft ein wichtiges Programm im Haushalt des Bun-deswirtschaftsministers sein wird.
Ganz besonders freue ich mich, dass es gelungen ist,die Mittel für den Aufbau Ost zu verstetigen. Ich will eswie folgt formulieren: Aufbau Ost heißt für mich zuneh-mend, den wirtschaftlichen Aufbau Ost zu forcieren undnoch besser zu organisieren. Gesamtwirtschaftlich wärees am besten, wenn die neuen Bundesländer genausoleistungsfähig würden wie die alten. Hier ist in den letz-ten 20 Jahren wirklich viel erreicht worden. Wir habenam Donnerstag die Feierstunde „20. Jahrestag der freienWahl zur Volkskammer der DDR“. Ich bin seit der Zeitin der Politik und weiß, was alles in diesem Zeitraumpassiert ist. Aber wir sind noch nicht am Ziel.
Es ist wichtig, dass wir alle Möglichkeiten nutzen, umden Aufholprozess zu unterstützen. Es ist klar: Es wirdnicht mehr um Großansiedlungen gehen. Thema wirdvielmehr sein, dass wir den mittlerweile entstandenenund etablierten Klein- und Mittelstand wachsen lassen,damit er größer wird. Genau das ist das Ziel des ZIMund der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regio-nalen Wirtschaftsstruktur“.
Dieser Titel, dessen Mittel zu sechs Siebteln den neuenBundesländern zustehen, bleibt auf etwa gleichem Ni-veau erhalten.
– Es ist wahr, dass dort auch gekürzt wird.
Wenn man aber nirgendwo kürzt, dann kann man dieHaushaltskonsolidierung nicht bewältigen. Ich denke,was wir hier gemacht haben, ist erträglich und erlaubttrotzdem die von mir formulierte Schwerpunktsetzung.
Sechstens. Von 2003 bis 2008 war Deutschland Ex-portweltmeister. Letztes Jahr hat uns China überholt. Ge-nau hier sehe ich die Herausforderungen für die Zukunft.Deutschland ist die führende Exportnation in Europa.Wir müssen mit der Konkurrenz aus den USA und Chinaauf Augenhöhe bleiben. Deshalb ist gerade die Außen-wirtschaftsförderung so wichtig. Sie hat nun ein Volu-men von rund einer Viertelmilliarde Euro. Das sind20 Prozent mehr als im letzten Jahr. Es ist wichtig, dasswir unsere Player in diesem Spiel, die Auslandshandels-kammern und die Germany Trade & Invest, stärken. Ge-nau das tun wir mit diesem Haushalt, um dem Ziel, au-ßenwirtschaftlich besser aufgestellt zu sein, gerecht zuwerden.Siebtens. Vorgestern, am vergangenen Sonntag, ist dieITB, die größte Tourismusmesse der Welt, in Berlin zuEnde gegangen.
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Dr. Michael Luther
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Gerade diese Messe hat wieder gezeigt, wie wichtig derTourismussektor ist, und zwar auch unter wirtschaftspo-litischen Gesichtspunkten. Herr Schneider, ich kann nurein kleines Detail herausgreifen. Ich bräuchte einen gan-zen Tag, wenn ich alle wirtschaftlichen Bereiche aufzäh-len wollte, um ein Gesamtbild zu malen. Auf jeden Fallist der Tourismus ein wichtiger Baustein. Deshalb ist esrichtig, ihn weiter in vernünftigem Maße zu fördern.Ich wäre kein Abgeordneter meiner Region, wenn ichnicht ein Thema, das mir besonders am Herzen liegt, er-wähnen würde, und zwar das Thema Wismut-Sanie-rung. Die Botschaft lautet: Für die weitere kontinuierli-che Sanierung und Rekultivierung der ehemaligenUranerzbergbau-Flächen in Sachsen und Thüringendurch die Wismut haben wir für das laufende Jahr dasGeld eingeplant, das wir brauchen. Ich will es an dieserStelle klar formulieren: Diese Sanierung, die über vieleJahre geht, ist wirklich ein Erfolg. Sie kann sich sehenlassen, und auf sie können wir stolz sein. Wir sollten das,was in den nächsten Jahren noch geleistet werden muss,fortsetzen.Ich komme zum Schluss. Ich möchte mich bei all de-nen bedanken, die mitgeholfen haben, dass wir bei denHaushaltsberatungen in der letzten Woche zu diesem Er-gebnis gekommen sind. Ich möchte mich auch bei denMitarbeitern des Ministeriums und den Mitarbeitern desHaushaltsausschusses bedanken, die uns – so sage ich eseinmal – zum Teil haben ertragen müssen. Solche Haus-haltsberatungen sind ziemlich turbulent, und es mussziemlich viel möglichst gleichzeitig gemacht werden.Sie haben Großes geleistet. Dafür recht herzlichen Dank.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Alexander Bonde für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirreden über einen Wirtschaftsetat in schwierigen Zeiten.Wir sind in einer Situation, in der viele kleine und mittel-ständische Unternehmen noch immer schwer zu kämp-fen haben. Wir wissen, dass der Arbeitsmarkt erheblichunter der konjunkturellen Lage leidet und noch leidenwird, wenn sich die wirtschaftliche Situation so weiter-entwickeln wird. Umso erstaunlicher ist es, dass derWirtschaftsminister in der öffentlichen Diskussionnicht auftaucht, dass die ordnungspolitische Linie, die erund seine Partei noch im Wahlkampf vertreten haben,abgemeldet ist. Außer dem fortlaufenden Steuersen-kungsmantra und Wachstumsträumen gibt es von diesemMinister keinerlei Beitrag zur wirtschaftspolitischenDiskussion.
Jetzt sind wir zum Glück in der Situation, dass sichdie Wachstumserwartungen auf 1,4 Prozent verbesserthaben. Diese Erholung der Konjunktur tritt aber nichtwegen dieser Koalition, sondern trotz dieser Koalitionein. Die Wirtschaftsentwicklung beruht nicht auf derLeistung des Wirtschaftsministers, sondern sie findettrotz eines Wirtschaftsministers statt, der mit letzterKraft in dieses Amt gerobbt ist.
Wir haben in den Debatten während der Haushaltsbera-tungen erlebt, dass diese Bundesregierung gar keine Vor-stellung hat, wo eigentlich in Zukunft Wertschöpfung alsBasis unseres Wohlstands entstehen soll. Sie hat keineVorstellung, wo eigentlich die Jobs von morgen mit denProdukten von morgen geschaffen werden sollen. DerEinzelplan ist ein wilder Bauchladen von Subventiön-chen hier und Unterstützungen da, für alle ein bisschen,aber es ist keine Linie darin.
Es fehlt eine Analyse, was man für eine Volkswirtschaftwie unsere mit ihrem großen Exportanteil, mit Leitbran-chen wie Automobil- und Maschinenbau, die von demKonjunktureinbruch, aber auch von strukturellen Proble-men massiv betroffen sind, tun kann. Mobilität wird inZukunft andere Produkte als die erfordern, die die deut-schen Automobilbauer produzieren. Die Branchen wer-den von den Veränderungen des Klimas und dem Res-sourcenmangel massiv betroffen sein, wenn die Politiknicht in der Lage ist, einen ordnungspolitischen Rahmenzu entwickeln, mit dem eine ökologische Modernisie-rung unserer Wirtschaft erreicht werden kann.
Wir alle wissen, dass wir schon heute daran arbeitenmüssen, um Produkte für die Märkte von morgen zu ent-wickeln. Damit werden Arbeitsplätze schon heute erhal-ten. In dieser Hinsicht ist beim Wirtschaftsminister Fehl-anzeige, es ist Fehlanzeige bei diesem Einzelplan, denwir hier beraten.Man hört von der Koalition, dass die erneuerbarenEnergien wichtig seien, aber Reden und Handeln passennicht zusammen. Überall dort, wo es um die Rahmenbe-dingungen geht, damit wir an der Spitze bleiben, machenSie mit Sperren, Kürzungen, Verzetteln und Umwidmengenau diese Zukunftsbereiche kaputt, anstatt auf sie zusetzen.
Ihre ordnungspolitische Verwirrung ist mit Händen zugreifen. Wer von der FDP sich noch einmal traut, vomRednerpult aus von Bürokratieabbau zu sprechen, dersollte eigentlich sagen, was das Resultat der Hotelketten-subventionsbeschleunigungsnummer ist. Ich nehme an,Sie bekommen die gleichen Briefe wie ich von Mittel-ständlern und Steuerberatern, in denen geschildert wird,welche Auswirkungen Ihre Politik hat. Ich verweise aufeinen dreiseitigen, klein geschriebenen Text. Einen sol-chen Umfang braucht es schon, um diese Auswirkungen
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Alexander Bonde
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deutlich zu machen. Das Resultat für die Inhaber kleinerund mittelständischer Unternehmen ist: Sie fahren steu-erlich und abrechnungstechnisch besser, wenn sie Sorgetragen, dass eine Hotelbuchung nicht von dem Mitarbei-ter erfolgt, der später auf einer Dienstreise in diesem Ho-tel übernachtet. Steuerliche Subventionen wie Ihre Mö-venpick-Nummer haben derartige Detailregelungen zurFolge.
Das ist Bürokratiewahnsinn. Diesen Schuh müssen Siesich anziehen. Sie schaffen ein Privileg für wenige undmassive, unproduktive Bürokratie für viele. Das Ganzegeht auf den Staatssekretär dieses Wirtschaftsministerszurück. Man kann nur sagen: ordnungspolitische Hel-den, bezüglich Bürokratieabbau Maulhelden. ZumSchluss hat nämlich niemand etwas von Ihren Klientel-geschenken, die Sie hier machen.
Stichwort „Kreditmediator“: Sie trauen sich nicht, inder Frage der Finanzierung deutlich zu machen, dass dieBanken, die durch die öffentliche Hand gerettet wordensind, jetzt Verantwortung dafür tragen, mit Nachdruckdas Ziel zu verfolgen, die Realwirtschaft mit Krediten zuversorgen. Stattdessen machen sie eine Alibinummer: Ir-gendein Kumpel aus Rheinland-Pfalz wird gut bedacht.5 Millionen Euro werden aus dem Steuersäckel zur Ver-fügung gestellt. Herrn Metternich finanziert man dieGründung einer GmbH, die dem Bund nicht gehört, aufdie er keinen Einfluss hat und bei der er nicht weiß, wasin ihr passiert. Das alles ist doch eine Wurstelei, die indieser Krise keinem Menschen hilft. Da hat sich die FDPübernommen. Geben Sie es endlich zu, und lassen Sie soeinen Unfug!
Ein weiteres aktuelles Beispiel: A400M. Herr Minis-ter, Sie stellen sich vor die Kameras, geißeln das ameri-kanische Handeln, da mit Protektionismus die amerika-nische Luftfahrtindustrie gegenüber der europäischenKonkurrenz bevorzugt werde. Wenn der Verteidigungs-minister exakt das Gleiche macht, wenn EADS in Sa-chen A400M für unternehmerisches Versagen Steuermil-liarden hinterhergeworfen werden, dann stellt sich dieFrage: Wo ist da der große Ordnungspolitiker? Wo ist dader Wettbewerbshüter Brüderle? Abgetaucht, abge-taucht, abgetaucht! Herr Minister, es ist eine Schande fürein Land wie die Bundesrepublik, einen Wirtschafts-minister zu haben, der in so einer Situation keine Rollespielt, nicht auftaucht und nicht seinen Job macht.
Ich finde, Sie müssen schnell Ihre Haltung ablegen,dass Wirtschaftspolitik das Subventionsgießkännchenfür Bereiche ist, die einem besonders wichtig sind. Siemüssen aus der Falle herauskommen, zu glauben, mankönne immer mehr Geld in alte Strukturen pumpen. Waswir heute brauchen, ist ein Neuanfang. Die Politik hatdie wichtige Rolle, umzusteuern. Wer wie Sie, HerrLindner, Rüstungsexporte für einen guten deutschenBeitrag zur Weltwirtschaft hält, der sollte lieber ruhigsein. Wir glauben, dass man da auf einen neuen Wegmuss,
dass die Ökologisierung der Wirtschaft der richtige Wegist und nicht die Unterstützung der Buddys in der Rüs-tungsindustrie, die Ihnen so am Herzen liegen.
Das Wort hat nun Eduard Oswald von der CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Kollege Alexander Bonde, unser Bundeswirt-schaftsminister Rainer Brüderle macht einen guten Job.Er zeigt Perspektiven auf. Er macht seine Sache sehr gut,und er hat unser Vertrauen.
Drei Fragen sind es, die sich uns stellen:Erstens. Wie machen wir unser Finanzsystem krisen-fest, damit sich das, was sich ereignet hat, nicht nocheinmal ereignet? Dabei ist klar: Die Welt braucht Regelnfür das globale Wirtschaften, Regeln, deren Einhaltungsichergestellt sein muss. Hier gilt es, das richtige Maßvon Freiheit und Reglementierung zu finden.Zweitens. Gerade in einer Situation, in der die Unsi-cherheit über die weitere Entwicklung der Lage der öf-fentlichen Haushalte in Europa und in der Eurozone zu-nimmt, ist es wichtig, dass wir als großes Mitgliedslandbei der Haushaltskonsolidierung mit gutem Beispiel vo-rangehen und mit unserer Haushaltspolitik als Stabili-tätsanker dienen.Drittens. Wie erhöhen wir die Dynamik der Realwirt-schaft, weil sich ohne mehr Wachstum alle anderen Pro-bleme erst recht nicht lösen lassen? Gerade hier, liebeKolleginnen und Kollegen, ist Optimismus angesagt.Tatsache ist, dass die Zuversicht in der deutschen Wirt-schaft wächst, wie auch die heutigen Meldungen in derWirtschaftspresse deutlich machen.Nur wenn das Finanzsystem stabil ist, kann sich dieWirtschaft positiv entwickeln. Die Banken haben sichzu weit von der übrigen Wirtschaft entfernt. Wenn die
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Eduard Oswald
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Banken den Bezug zur Realwirtschaft einbüßen, dannbekommen wir ein Ergebnis wie gehabt. Banken müssenverinnerlichen, in welch erheblichem Maße der Steuer-zahler für ihre Rettung geradestehen musste. Deshalbsind die Banken, die von den Maßnahmen des Staatesprofitiert haben, an den Kosten des Staates, der Steuer-zahler also, zu beteiligen.
– An der Stelle hätte eigentlich meine Fraktion auch mit-klatschen müssen.
– Die holen das jetzt nach.Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist notwendig,dass der Staat einen Ordnungsrahmen bietet, um Freiheitzu lassen und Leben ohne staatliche Bevormundung zugestalten. Für uns ist Wirtschaft nicht Selbstzweck, son-dern sie hat immer und in jeder Phase dem Menschen zunutzen. Ohne leistungsfähige Betriebe, ohne einen stabi-len Mittelstand, ohne florierendes Handwerk, ohne inno-vative Forschung und Entwicklung gibt es keine stabileSituation auf dem Arbeitsmarkt. Die Fähigkeit, Innovati-onen zu entwickeln und erfolgreich auf den Weltmärktenzu vermarkten, entscheidet mehr denn je über den Wohl-stand und die wirtschaftliche Dynamik. Nur mit hoch-modernen Eigenentwicklungen wird die deutsche Wirt-schaft auf den Weltmärkten Erfolg haben.Wir brauchen in vielen Bereichen einen Mentalitäts-wandel. Wir müssen wieder mehr Mut zum Risiko zei-gen. Wir müssen Neues wagen, an unsere Ideen glaubenund auch stärker auf die Chancen des Fortschritts setzen.Wir brauchen für viele Bereiche eine neue Begeisterung.
Diese Begeisterung braucht man auch in den Bereichender Bildung und auch, um neue Zukunftstechnologienumzusetzen.
– Das ist die Meinung dieser Koalition. Deshalb geradeeben auch der Beifall.Neue Technologien dürfen also nicht als Bedrohungverstanden werden, sondern als Chance.
Deutschland muss wieder zum Gründerland werden. Un-ser Ziel ist es, jungen und innovativen Unternehmen alleStartmöglichkeiten zu geben. Dazu zählt auch, sie vonunnötigen Bürokratielasten zu befreien.
Selbstständigkeit muss wieder attraktiver gemacht wer-den.
Eine neue Gründerdynamik muss angestoßen werden.
Das ist unser Auftrag, und der Bundeswirtschaftsminis-ter ist dabei, dies auch zu entwickeln.
Wir haben die Bereitstellung von zusätzlichen Mittelnfür Bildung, Forschung und Innovation vereinbart. Inno-vationen und Investitionen in Forschung und Entwick-lung sind treibende Kräfte und die zentralen Triebfedernunseres gesamten wirtschaftlichen Wachstums. Ich per-sönlich werbe für eine steuerliche Förderung in For-schung und Entwicklung.
Die themenspezifische Projektförderung ist unverzicht-bar. Sie muss aber durch das themenoffene, breitenwirk-samere, branchenoffene und leicht darstellbare Instru-ment der steuerlichen Forschungsförderung ergänztwerden. Nur wenn wir in Forschung und Technologie in-vestieren, können wir unser Wohlstandsniveau erhalten.Wir müssen alte Dinge beiseite legen und uns neuenDingen zuwenden.
Wir müssen auch junge Menschen hin zur Technik füh-ren. Begeisterungsfähigkeit für technische Vorgängeführt dann auch zum Ergreifen technischer Berufe.
– Ich freue mich, dass Sie bei all den Dingen dann auchzustimmen.So wie die Forschung für die Wirtschaft der Schlüsselfür eine bessere Anpassungsfähigkeit an den technischenFortschritt ist, ist Bildung für den Menschen der Schlüs-sel zum gesellschaftlichen Aufstieg. Die Chancen unse-rer deutschen Volkswirtschaft hängen in hohem Maßevon gut ausgebildeten Fachkräften ab. Nur hervorragendqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter könnendeutsche Spitzenpositionen bei Technologie und Innova-tion sichern. Die Qualität der Bildung entscheidet überunsere Zukunft.Unser Schulsystem muss in der Lage sein, Qualifika-tionen, Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln, diedann auch Grundlage für eine gute Ausbildung sind. DerBetrieb und das berufliche Schulwesen können nicht derReparaturbetrieb für das sein, was im Pflichtschulbe-reich versäumt wurde. Hier haben die Länder durchausnoch Hausaufgaben zu machen.
Wenn wir von Bildung reden, müssen wir auch si-cherstellen, dass unser Bildungssystem mehr als bisherwirtschaftliche Zusammenhänge vermittelt. Es mussauch die Erkenntnis vermittelt werden, dass unsere Zu-
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Eduard Oswald
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kunft ganz davon abhängt, ob wir es schaffen, eineChancengesellschaft zu sein, in der sich Leistung undAnstrengung lohnen. Ich möchte, dass die Informations-und Kommunikationstechnologie zum Markenzeichender deutschen Wirtschaft gehört. Auch hier hat der Wirt-schaftsminister Akzente gesetzt.Bis Ende des Jahres soll eine flächendeckende Breit-bandversorgung in ganz Deutschland sichergestellt wer-den.
Auch für meine Fraktion sage ich deutlich: Eine Zweitei-lung von Räumen und damit von Chancen der Menschendürfen und werden wir nicht zulassen. Ländliche Räumedürfen nicht vom technischen Fortschritt abgeschnittenwerden.
Wir werden mit großer Aufmerksamkeit darauf achten,dass diese Möglichkeiten flächendeckend vorhandensind.So wie der Mittelstand eine verlässliche und stabileSäule der deutschen Wirtschaft ist, so ist in keinem ande-ren führenden Industrieland die Bedeutung der Indus-trie so hoch wie in Deutschland. Auch in Zukunft mussDeutschland seinen Platz in der internationalen Arbeits-teilung über die Industrie definieren. Ziel muss es sein,die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie auszu-bauen und so das Industrieland Deutschland als Ganzeszu stärken. Übrigens: Die deutsche Exportquote ist dasErgebnis von Innovation, Qualität und eines fairen Wett-bewerbs.Die Industrie ist nicht nur ein fester Bestandteil unse-rer kulturellen Prägung. Sie steht auch für knapp8 Millionen Beschäftigte und bildet Hunderttausendejunge Menschen aus. Wir müssen deutlich sagen: Wirhaben die Krise so gut überstanden, weil sich die Indus-trie in unserem Lande als robust erwiesen hat.
Der heutige Haushalt baut auf dem soliden Funda-ment auf, den die beiden vorherigen Wirtschaftsministerder Großen Koalition mit erarbeitet haben.
– Es gibt keinen Beifall aus den Reihen der Sozialdemo-kraten. Schade! – Dieser Haushalt ist eine gute Basis, da-mit unsere Unternehmen ihre Spitzenplätze auf denWeltmärkten behaupten und neue Positionen erringenkönnen. Mit diesem Haushalt stärken wir das Wachstumder Wirtschaft und damit den Standort Deutschland, umArbeitsplätze in Deutschland – darum geht es – zu si-chern und zu schaffen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Garrelt Duin für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Lieber Kollege Oswald, durch unsere gemein-same Arbeit im Ausschuss habe ich Sie als einen CSU-Politiker mit einem hohen Maß an Glaubwürdigkeit ken-nengelernt. Aber der erste Satz in Ihrer Rede lässt Zwei-fel daran aufkommen.
Denn für Ihre Behauptung, dass der Bundeswirtschafts-minister Brüderle einen Superjob mache, führen Sie inden knapp 10 Minuten, in denen Sie geredet haben, kei-nen einzigen Beweis an. Das zeigt nur, dass Sie selbstnicht daran glauben, was Sie am Anfang Ihrer Rede ge-sagt haben, nämlich dass Brüderle ein guter Minister sei.
Natürlich muss man jedem Minister 100 Tage als Ein-arbeitungszeit zugestehen.
Inzwischen sind wir einen Monat weiter, Herr Brüderle.Aber klare Ziele und wirkungsvolle Maßnahmen könnenwir nicht zur Kenntnis nehmen. Nichts ist passiert. Beimir in Ostfriesland würde man dazu sagen: abwarten undTee trinken. Das ist, wenn man seinen Altersruhesitz aufeinem Gehöft hat, sicherlich auch ein probates Motto,aber nicht für den Wirtschaftsminister einer der größtenVolkswirtschaften der Welt.
Sie lassen in Ihrem Ministerium Berichte erstellen,Kommissionen einsetzen, Untersuchungen einleiten undFragen stellen. Aber nichts Konkretes passiert. Ich habemehrfach darauf gedrängt – der Ausschussvorsitzendeund die Kollegen im Ausschuss können das bestätigen –,dass wir eine Arbeitsplanung des Ministeriums erhalten.Diese haben wir durch das Ausschusssekretariat zugelei-tet bekommen. Ich will Ihnen diese Arbeitsplanung op-tisch nicht vorenthalten.
Diese beiden Seiten sind die Arbeitsplanung des Bundes-wirtschaftsministeriums. Sie beginnt mit dem wichtigenPunkt „Gesetz zu den Änderungsurkunden vom 24. No-vember 2006 zur Konstitution … der InternationalenFernmeldeunion vom 22. Dezember 1992“.
Mit ähnlich bedeutungsvollen Punkten geht es in dieserArbeitsplanung weiter. Herr Brüderle, ich weiß nicht, ob
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Garrelt Duin
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Sie in diese Arbeitsplanung involviert sind und ob Ihnenbekannt ist, was Ihr Ministerium da vorhat.
Es spottet jeder Beschreibung. Es ist ein Dokument derUntätigkeit und der Ideenlosigkeit. Das darf man diesemMinister und seinem Ministerium nicht durchgehen las-sen.
Wir werden es gleich in der Rede wahrscheinlich zumwiederholten Male feststellen – wir haben das schon beider Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht, in der erstenLesung und an anderer Stelle erlebt –: Es wird angekün-digt; aber die Ankündigungen werden durch nichts hin-terlegt; im Zweifel wird noch einmal vertagt.Die großen Fragen bleiben unbeantwortet. Wie krie-gen wir es zum Beispiel hin, eine neue Balance zwischendem erfolgreichen Export und der zu schwachen Binnen-nachfrage zu schaffen? Da erwarte ich Antworten desBundeswirtschaftsministers. Wie kriegen wir es hin, inDeutschland eine neue Investitionskultur zu schaffen?Welche Instrumente brauchen wir – zum Beispiel bes-sere Abschreibungsbedingungen und Investitionszula-gen –, damit wir, um nur ein Beispiel zu nennen, dieökologische Modernisierung des Maschinenparks inDeutschland effektiv voranbringen? Wo sind die Jobsvon morgen? Mit welchen Leitmärkten wollen wir agie-ren? In welche Leitmärkte soll investiert werden? Wiekönnen wir die Förderung so punktgenau anbringen,dass wir zum Beispiel die Gesundheitswirtschaft, dieLuftfahrt, die Mobilitätswirtschaft und die Chemie, aberauch die Bio- und Nanotechnologie – ich erwähne sieausdrücklich, weil sie gerade in die Diskussion einge-bracht wurde – entscheidend fördern? Nicht zuletzt stelltsich die Frage: Wie kann eine Forschungsförderung aus-sehen, die sich – da gebe ich dem Kollegen Oswald aus-drücklich recht – nicht allein auf die Projektfinanzierungkonzentriert, sondern auch – Kollege Riesenhuber, wirhaben inzwischen mehrfach darüber gesprochen – mitSteuergutschriften hantiert?Ich wage, es vorauszusagen: Herr Brüderle wird hiergleich in seiner Rede sagen, dass er dem Instrument derSteuergutschrift grundsätzlich offen gegenübersteht. Erist jetzt aber lange genug im Amt, um endlich einmal ei-nen konkreten Vorschlag auf den Tisch zu legen, damitwir die Forschungsförderung gerade auch für kleine undmittelständische Unternehmen in Deutschland tatsäch-lich voranbringen und uns nicht nur in Ankündigungenergehen.
Sie sind ein „Man-müsste-mal“-Minister. Der „Man-müsste-mal“-Minister sagt: Man müsste mal dem Hand-werk helfen. Aber das Einzige, was kommt, ist derVorschlag einer Nullrunde – Zurückhaltung in den Tarif-verhandlungen – und Ähnliches. Durch Ihre kommunal-feindliche Politik würgen Sie die Beschäftigungsmög-lichkeiten im Handwerk ab. Herr Fuchs und andere, Siewerden sich erinnern: Wir haben das Konjunkturpaket IIin der Großen Koalition gerade mit Blick auf das Hand-werk auf den Weg gebracht. Das, was Sie jetzt machen– Sie drehen den Kommunen den Hahn zu –, schadetdieser Gruppe von Unternehmen, nämlich dem Mittel-stand und dem Handwerk vor Ort, das bestimmte Auf-träge künftig nicht mehr bekommen kann. Drehen Sieauf diesem völlig falschen Weg um!
Der „Man-müsste-mal“-Minister sagt: Im Bereich derEnergie müsste man mal neue Dinge voranbringen. Espassiert aber nichts. Ihr Konzept soll irgendwann imSommer vorgelegt werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hinsken?
Aber immer.
Herr Kollege Duin, Sie haben eben auf das Handwerk
verwiesen und verschiedene Dinge angemahnt. Sind Sie
bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich der Präsident
des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks letzte
Woche im Rahmen der Internationalen Handwerksmesse
in München sehr positiv über das geäußert hat, was die
Bundesregierung für das Handwerk und für die Wirt-
schaft im Allgemeinen leistet?
Sehr geehrter Kollege Hinsken, ich habe nicht nurwahrgenommen, was er in München gesagt hat. Ich warselbst in München und habe dort verschiedene Gesprä-che mit verschiedenen Vertretern geführt. In der abge-laufenen Woche war der Präsident des Zentralverbandesdes Deutschen Handwerks zufällig bei mir im Wahlkreis,anlässlich der Verabschiedung des dortigen Präsidentender Handwerkskammer. Weil er dort wiederholte, dasspolitisch manches zugunsten des Handwerks auf denWeg gebracht worden sei, nutzte ich die Gelegenheit, ihnkonkret darauf anzusprechen und nachzufragen. Er hatbestätigt, dass insbesondere das Konjunkturprogrammder Großen Koalition dem Handwerk vor Ort, den klei-nen und mittelständischen Unternehmen mit drei odervier Beschäftigten, genutzt hat und dass auch er mit gro-ßer Skepsis sieht, was jetzt veranstaltet wird. Das Hand-werk hat nämlich überhaupt nichts von der Klientelpoli-tik, die Sie hier in den letzten Monaten auf den Weggebracht haben. Ich nehme also sehr wohl zur Kenntnis,was der Präsident des Zentralverbandes des DeutschenHandwerks sagt, und bin mit ihm vollkommen einerMeinung, dass es längst nicht ausreicht, zu sagen, wasSie für den Mittelstand tun könnten. Herr Kollege Hin-sken, „man müsste mal“ reicht dort eben nicht aus.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2649
Garrelt Duin
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Ich war beim Thema Energie. – Herr UmweltministerRöttgen ist auch da. – Er freut sich natürlich ein Loch inden Bauch, dass das Wirtschaftsministerium in dieserFrage nicht zu Potte kommt und sein energiepolitischesKonzept erst im Sommer oder im Herbst vorlegen will,weil er nun einige Eckpunkte vorgeben kann: zurück indas Atomzeitalter und extreme Schwächung der Unter-nehmen im Bereich der erneuerbaren Energien. Er gibtkeine Antwort auf die Frage, wie es mit den Netzen wei-tergehen soll. Wie soll die Steuerungsfähigkeit des Staa-tes dabei sichergestellt sein? Das Einzige, was in der Ar-beitsplanung dazu vorgesehen ist, ist ein großer Nebel.Es lässt sich fast täglich nachlesen, dass auch in der Ko-alition das Thema Entflechtungsgesetz längst nicht zuEnde diskutiert ist.
Ich will einen weiteren Punkt des „Man-müsste-mal“-Ministers ausdrücklich ansprechen. Es geht um dieFrage, wie man mit Opel umgeht. Sie haben 36 Fragen– nach anderer Zählweise, wenn man die übrigen Punktemitzählt, sind es 53 Fragen – gestellt. Natürlich ist esrichtig, dass man GM Fragen zur Zukunft des Unterneh-mens stellt. Aber es kann doch nicht sein, dass Sie sichWoche für Woche hinter diesen Fragen verstecken, ob-wohl Sie schon einige Antworten haben. Es ist ja nichtso, dass sie en bloc beantwortet werden, sondern sie wer-den Punkt für Punkt abgearbeitet.
Sie verstecken sich dahinter, dass die Europäische Uniondoch bitte ex ante eine Prüfung vornehmen solle, obwohldie Europäische Union Ihnen klipp und klar gesagt hat,dass sie dazu nicht bereit ist.Vier Ministerpräsidenten aus verschiedenen Bundes-ländern haben darum gebeten, endlich zu einem Spitzen-gespräch zusammenzukommen, damit klar wird, welcheStrategie die Bundesregierung gemeinsam, am bestenHand in Hand mit den betroffenen Bundesländern ver-folgt. Nichts tun sie! Sie verfolgen eine Hinhaltetaktikauf dem Rücken der dort Beschäftigten. Die Unsicher-heit wächst jede Woche. Sie müssten sich als Bundes-wirtschaftsminister endlich einmal an die Spitze derBewegung setzen und sagen: Ich versuche, die Dinge zuregeln.
Ich versuche, um die Arbeitsplätze in Deutschland zukämpfen.
Ich will verhindern, dass Subventionen dazu verwendetwerden, dass Arbeitsplätze in Deutschland abgebaut undan anderer Stelle wieder aufgebaut werden. – Das wäreIhre Aufgabe. Stattdessen tun Sie nichts, nicht nur in die-sem Bereich, sondern leider in viel zu vielen Bereichen.
Lassen Sie mich abschließend zu diesem Haushalt sa-gen: Als „Man-müsste-mal“-Minister wollten Sie in ei-nigen Bereichen aufstocken. Das ist alles wieder weg.Ob es die Beratung zum Energieeinsparen ist, ob es dieInnovationsberatung Mittelstand oder die von den Be-richterstattern hoch gelobten Wirtschaftsbeziehungenzum Ausland sind – alles ist weniger geworden. Deswe-gen gebe ich einem Vertreter aus der Wirtschaft recht, indiesem Fall dem Präsidenten des Bundesverbandes fürGroßhandel, Außenhandel, Dienstleistungen, BGA,Herrn Anton Börner, der sagt:Die Koalition sollte sich endlich an die Arbeit ma-chen, statt sich mit weiteren Kindereien aufzuhal-ten.Genau das ist es, was wir von Ihnen, Herr Wirtschafts-minister, verlangen: Machen Sie endlich Ihre Arbeit!Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Bundesminister Rainer Brüderle.
Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft undTechnologie:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Früh-jahr kommt, es vertreibt den Winter, und zwar auch denKonjunkturwinter. Die Politik hat das Ihrige getan.
Wir sorgen für konjunkturelle Frühlingswärme.
Unsere Entlastungen haben der Wirtschaft geholfen. DieVerbraucher, vor allem Familien und Mittelstand, habenmehr Geld zur Verfügung. Das stützt die Binnennach-frage. Wir sorgen für Wachstum. Wir sind auf dem rich-tigen Weg. Im Januar haben sich die Auftragseingängeund die Produktion wieder belebt. Der Arbeitsmarkt hatdem strengen Winter getrotzt. Wir müssen diesen Wegbeherzt weitergehen. In der Sozialpolitik heißt das: DerStatus quo gehört auf den Prüfstand.Die SPD wollte zuerst keine Debatte; jetzt zieht siemit einem Papier nach. Sieben Jahre nach der Agenda2010 wollen Sie davon nichts mehr wissen. Jetzt wollenSie eine Agenda 1970,
als hätte es die Wiedervereinigung, die Europäisierungund die Globalisierung nicht gegeben. Sie setzen auf dieKonzepte der 70er-Jahre, die von massiver Umvertei-lung geprägt waren. In wenigen Wochen streifen Sie elfJahre Regierungsverantwortung ab. Sie rechnen auchnicht so schnell damit, in die Regierungsverantwortungzurückzukommen; sonst hätten Sie deutlich gesagt, was
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2650 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Bundesminister Rainer Brüderle
(C)
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Ihre Vorschläge kosten. Das Wirtschaftsministerium hateinen groben Kostenvoranschlag gemacht: Die Kostenfür die Realisierung Ihrer Vorschläge belaufen sich aufmindestens 10 Milliarden Euro für die öffentlichen Haus-halte; das ist eher der untere Rand.
Sie versuchen offensichtlich gerade, oppositionsfähig zuwerden. Regierungsfähig sind Sie derzeit nicht.
Die Null-Euro-Jobs der nordrhein-westfälischen Spit-zenkandidatin werden jetzt „Programm für soziale Ar-beit“ genannt. Im Klartext: Sie schreiben mindestens200 000 Menschen als arbeitsunfähig ab. Das ist nichtder Ansatz der Bundesregierung. Die Bundesregierungwill allen eine Chance auf Arbeit geben. Wir wollen nie-manden ausgrenzen. Wir wollen Menschen aus ihrer Ab-hängigkeit vom Sozialstaat befreien. Das geht nur durcheffektive Betreuung der Arbeitslosen vor Ort und durchbessere Hinzuverdienstmöglichkeiten.
So können auch Langzeitarbeitslose Schritt für Schritt inden ersten Arbeitsmarkt kommen. Es geht um eine Ba-lance zwischen denen, die Leistung beziehen, weil siebedürftig sind, und denen, die Leistung erbringen. DieseBalance haben Teile der Opposition offenbar aus demBlick verloren.
Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang eine per-sönliche Anmerkung: Der Vorsitzende der SPD hat mei-ner Partei Verfassungsfeindlichkeit vorgeworfen.
Diesen Vorwurf halte ich für total daneben. Demokratensollten nicht auf diese Weise miteinander umgehen.
Ich bin der Letzte, der nicht weiß, dass man im Eifer desGefechts zugespitzt formuliert. Ich hoffe aber, Herr Gab-riel findet die Kraft, sich für diese Äußerung zu ent-schuldigen.Meine Damen und Herren, der deutsche Aufschwunglebt vom Export. Fast die Hälfte unserer Wirtschaftsleis-tung hängt vom Export ab; das wissen Sie alle. Das magdem einen oder anderen Land in Europa nicht passen.Ich persönlich freue mich über die Wettbewerbsfähigkeitdeutscher Produkte. Deshalb werde ich demnächst eineAußenwirtschaftsoffensive vorstellen.
Nicht nur die internationalen Märkte für Güter undDienstleistungen müssen wir erschließen.
– Herr Duin, wir unterscheiden uns von Ihnen: Wir den-ken zuerst nach und handeln dann. Sie haben ja schon re-signiert, wie Ihr Parteivorsitzender aus Niedersachsen.
Es geht dabei auch um den Zugang zu wichtigen Roh-stoff- und Energiequellen. Die Schwellenländer holenauf. Wenn wir nicht zurückfallen wollen, müssen wir ak-tiv bleiben.Der Schwerpunkt wird natürlich auf Delegationsrei-sen liegen. Nichts ersetzt Kontakte vor Ort.
Ich finde es schädlich, wie Teile der Opposition Delega-tionsreisen für durchsichtige innenpolitische Kampag-nen missbrauchen.
Ihnen ist offenbar gar nicht bewusst, welchen SchadenSie Deutschland und der deutschen Wirtschaft damit zu-fügen. Delegationsreisen werden weiterhin so zusam-mengesetzt, dass sie Deutschland nützen.
Firmen, die sich von Außenminister a. D. Dr. Joseph Fi-scher beraten lassen, werden genauso berücksichtigt wieandere Mitbewerber.
Ich werde weiterhin im Ausland Unternehmen besuchen,die sich von Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder ver-treten lassen.
Nur gegen einen Rat von Frau Künast habe ich Vorbe-halte. Sie hat empfohlen, Toyota zu fahren. Da klemmtoffenbar irgendwo ein Gaspedal.
Der Bundesregierung geht es darum, deutsche Pro-dukte und Dienstleistungen im Ausland zu fördern.
Teile der Opposition mögen da Beklemmungen bekom-men. Für mich ist Wirtschaftspatriotismus kein Schimpf-wort.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2651
Bundesminister Rainer Brüderle
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Deutschland lebt vom Freihandel, von offenen Märkten.Das kann man nicht vom Schreibtisch aus unterstützen.Im Bundeswirtschaftsministerium sind 144 Millionen Eurofür die Exportförderung eingestellt. Jeder Cent davon istgut angelegt.
Die Bundesregierung wird aber auch Maßnahmen zurStärkung der Binnenkonjunktur ergreifen. Wir sorgendafür, dass Energie bezahlbar bleibt. Als Brücke in dasregenerative Zeitalter brauchen wir die Kernenergie.
Wir brauchen Strom aus sauberer Kohle. CCS ist fürmich eine Zukunftstechnologie.
Sie darf aber nicht das gleiche Schicksal erleiden wie derTransrapid oder Teile der Biotechnologie. Wenn wirüberall die Technologieführerschaft abgeben, dann wer-den wir unseren Wohlstand auf Dauer nicht halten kön-nen, dann werden wir Arbeitsplätze nicht erhalten undneue Arbeitsplätze nicht schaffen können.
Gerade bei der Energieerzeugung darf es keine Denkver-bote geben. Wir werden den Energiemix in Richtung er-neuerbare Energien umbauen. Wir werden das aber nichtauf Kosten des Industriestandortes und der Verbrauchertun.Ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kollegenim Ausschuss für die zum großen Teil konstruktivenHaushaltsberatungen. Insgesamt ist der Einzelplan imzweiten Regierungsentwurf um 160 Millionen Euro re-duziert worden. Sie sehen, dass wir schon in diesem Jahrein kleines Sparsignal setzen. Die Konsolidierungs-anstrengungen werden natürlich zunehmen und zuneh-men müssen.
Wir haben einen klaren Wachstumskurs eingeschlagen.Wenn es uns aber nicht gelingt, mehr Wachstum zu be-wirken, werden wir die Haushalte nicht konsolidierenkönnen. Deshalb ist die Zwei-Schritt-Konzeption derBundesregierung richtig:
Wir müssen erst das Wachstum stärken, indem wir ent-lasten, und dann den Haushalt konsolidieren, damit esnachhaltig wirkt.Wenn die ausländische Presse heute in Überschriftenkritisiert, die deutsche Wirtschaft sei zu stark,
dann ist das ein Kompliment für die Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer, die Unternehmen und den Mittel-stand, die die Restrukturierung in der deutschen Wirt-schaft bewerkstelligt haben,
aber auch für die Bundesregierung, die die Weichen rich-tig gestellt hat. Wenn Sie das alles runtermachen, dannwerden Sie das Konjunkturpflänzchen, das wir haben– es ist noch kein selbsttragender Aufschwung –, gefähr-den. Wenn Sie das alles zerreden, wenn Sie sagen, waswir machen, sei Mist und verkehrt, dann ist das kein Bei-trag, um den Aufschwung, den wir stärken müssen, zustärken. Sie sollten sich hinter die Konzeption der Bun-desregierung stellen und ruhig einmal anerkennen, dasswir etwas Vernünftiges machen.
Obwohl wir die Bürgerinnen und Bürger zum 1. Ja-nuar dieses Jahres bereits steuerlich entlastet haben – wirstreben insgesamt eine Entlastung um 24 MilliardenEuro an –, legen wir einen Haushalt vor, der wichtigeEntscheidungen enthält, um die Verschuldung ein Stückabzubauen. Damit setzen wir das Signal: Wir meinen esernst damit, einerseits das Wachstum zu stärken und an-dererseits zu konsolidieren. Das ist eine Doppelstrategie,die genau das bewirkt, was Deutschland stark macht, of-fenbar so stark, dass selbst unsere französischen Freundesagen, wir seien zu stark. Wir sind auf dem richtigenKurs. Wir sollten das nicht zerreden. Wir sollten denKurs konsequent beibehalten.Meine Kolleginnen und Kollegen von den Sozial-demokraten, dass Sie sich nach den miserablen Wahl-ergebnissen in einem Suchprozess befinden, versteheich. Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich wieder finden.Aber Sie sollten das nicht zulasten der Chancen für mehrBeschäftigung in Deutschland tun.
Das Wort hat nun Roland Claus für die Fraktion Die
Linke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Bundesminister, warmen Wind haben Sieangekündigt, warmen Wind haben Sie abgeliefert, aberIhrer Verantwortung als Bundesminister sind Sie mit derRede nicht nachgekommen. Das will ich Ihnen deutlichsagen.
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2652 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Roland Claus
(C)
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Wir haben bei der Debatte zum vorherigen Tagesord-nungspunkt von der Koalition sehr oft erzählt bekom-men, welch unendlich große Dimension der Sozialetathat. Was die Zahlen anbetrifft, stimmt das. Aber lassenSie uns das einmal anders betrachten. Wir brauchen sounendlich viel Geld für den Sozialetat, weil es sich umeinen gigantischen wirtschafts- und sozialpolitischenReparaturbetrieb handelt. Wir betreiben hier sozialeNachsorge. Sie haben die Gesellschaft mit Ihrer Politikso kaputt gemacht, dass man hinterher so viel Nachsorgebraucht. In der Tat bringen Sie Wirtschafts-, Finanz- undSozialpolitik nicht zusammen. Das ist doch das Problem,mit dem wir es hier zu tun haben.
Hätten wir armutsfeste Renten, hätten wir auskömmlicheLöhne und Gehälter und hätten wir Arbeit für alle, diearbeiten wollen, bräuchten wir den Etat in dieser Grö-ßenordnung überhaupt nicht einzustellen.
Die Linke will eine Wirtschaftspolitik, die dem Mit-telstand und Existenzgründern Zukunftschancen eröffnetund nicht verbaut, die Arbeit schafft, von der Beschäf-tigte sorgenfrei leben können, und zu mehr wirtschaftli-cher Stabilität und sozialer Gerechtigkeit gleichermaßenbeiträgt. Kleiner geht es in der Tat nicht.Die Realität des Jahres 2010 sieht völlig anders aus.Wir haben es inzwischen mit einer doppelten Zukunfts-angst zu tun. Da sind auf der einen Seite Existenzgrün-der und kleine Unternehmen, die nicht wissen, wie sieihren Betrieb in die nächsten Jahre führen sollen, und aufder anderen Seite Beschäftigte, die zum Teil mit Armuts-löhnen auskommen müssen. Heute hören wir, dass ins-besondere Berufseinsteiger befristete Verträge inzwi-schen als Realität akzeptieren müssen.Die Wahrheit in der Krise ist doch: Unsicherheit re-giert die Arbeitswelt. Für den Erhalt der Jobs wird na-hezu alles in Kauf genommen. Hier greift nicht nur diestaatliche Kurzarbeitsregelung – lügen wir uns dochnicht in die Tasche –; in sehr vielen Betrieben, insbeson-dere im Osten, werden auch noch betriebliche Kurz-arbeitsregelungen mit Lohnverzicht vereinbart, denendie Belegschaften sogar zustimmen. Gleichzeitig ist jedeMenge Selbstausbeutung zu beobachten, gerade im Mit-telstand, bei Geschäftsführern, bei leitenden Angestell-ten, die den Banken machtlos gegenüberstehen. Deshalbist richtig: Erst wenn die Dominanz der sogenanntenFinanzwirtschaft über die sogenannte Realwirtschaft ge-brochen ist, kann man überhaupt erst wieder von sozialerMarktwirtschaft reden.
Schlimm genug, dass Ihnen das ein Sozialist erklärenmuss! Zwar habe ich dieser Tage gelesen, dass auch An-gela Merkel dies in Luxemburg gesagt hat; aber in derpraktischen Politik erlebe ich genau das Gegenteil.Vor diesem Hintergrund bewerten wir auch Ihren Etatund damit die Politik Ihres Ministeriums. Im Grunde be-inhaltet dieser Etat die Verwaltung Ihrer Behörden undeinen gehörigen Lobbyismus. Gegen eine gute Behör-denverwaltung ist nichts einzuwenden. Beim Bundes-kartellamt würden wir sogar eine noch bessere Ausstat-tung befürworten, weil das Geld dort allemal wiederhereinkommt. Der unverhohlene Subventionismus vonstaatsnahen Monopolisten in der Flugzeugindustrie hin-gegen ist alles Mögliche; aber liberale Politik kann dasnicht sein.
Die Zeit, in der wir leben, ruft regelrecht nach einembeherzten Wirtschaftsminister; aber die Koalition hatuns mit Rainer Brüderle gesegnet. Herr Minister, mankann Sie auch als Grußwortminister bezeichnen.
Egal von welchen Verbänden man eingeladen wird oderob man sich auf ein vernünftiges Gespräch bei einerKonferenz oder am Abend freut, vorher wurde leider im-mer erst eine Brüderle-Rede auf die Tagesordnung ge-setzt.
Herr Minister, ich muss Sie fragen: Wann machen Sie ei-gentlich Ihren Job?Besonders fatal wirkt sich die unterlassene Wirt-schaftspolitik in Ostdeutschland aus. In diesen Tagenwurde eine Analyse der Wirtschaftsmedien unterbreitet,und siehe da: Gerade einmal 1,5 Prozent der Unterneh-men, die darin erwähnt werden, stammen aus Ostdeutsch-land. Im Osten gibt es nicht eine einzige Firmenzentrale.Es ist nach wie vor so, dass die 100 leistungsstärksten ost-deutschen Unternehmen zusammen nicht einmal dieHälfte der Leistungskraft von Daimler erreichen.Um es an einem markanten Beispiel deutlich zu ma-chen: Der Osten hat bei der Einführung erneuerbarerTechnologien einen Erfahrungsvorsprung. Das hat damitzu tun, dass neue technologische Schritte immer auchgesellschaftspolitische Veränderungen nach sich ziehenund dabei auch Chancen im Osten genutzt wurden; ichpersönlich unterstütze das ausdrücklich in Sachsen-An-halt. Obwohl der Osten in diesem Bereich vorn dabei ist,werden ihm durch die Kürzungen im Bereich der erneu-erbaren Energien die Zukunftschancen verbaut. DieProteste der ostdeutschen Landesregierungen haben Siebislang genauso ignoriert wie die Proteste der Opposi-tion. Ich sage Ihnen: Hinnehmen werden wir das deshalbnoch lange nicht!
Besonders perfide ist, wie Sie so etwas begleiten. Sie ha-ben einen neuen Begriff erfunden: Überförderung. Werwill denn etwas überfördern? Sie haben diesen Begrifferfunden, um einer modernen, zukunftsfähigen Branchedie Chancen zu nehmen.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2653
Roland Claus
(C)
(B)
Die wirtschaftspolitischen Vorschläge der Koalition sindfür uns nicht tragbar. Wir lehnen den Etat ab. Die wirt-schafts- und sozialpolitische Initiative in diesem Landhat einen Namen: die Linke in Ost und West.
Das Wort hat nun Ingrid Nestle für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Brüderle, Sie
wollen Weltmeister sein bei der Energieeffizienz – zu
Recht; denn die Energieeffizienz ist ein zentraler Bau-
stein für Klimaschutz und Energiewende. Aber wo bleibt
der große Wurf in Sachen Energieeffizienz?
Ja, Sie haben in Ihrem Haushaltsplan verstreut ein paar
kleine Programme für Energieeffizienz; aber Sie haben
nichts, was der Größe dieser Herausforderung auch nur
annähernd gerecht werden könnte, nichts, was ausrei-
chen würde, um die Ziele bei der Energieeffizienz, die
die Bundesregierungen seit Jahren verfehlen, zu errei-
chen.
Energieeffizienz unterstützt auch den Mittelstand. Wo
ist eigentlich Ihre Mittelstandspolitik? Erst letzten Frei-
tag haben 150 Stadtwerke laut um Hilfe gerufen, weil
Sie, indem Sie die Laufzeit von Atomkraftwerken ver-
längern wollen, die Investitionssicherheit hinwegfegen
und neue Investitionen erschweren.
Manchmal, Herr Minister, haben Sie durchaus recht.
Desertec und das Nordseenetz sind gute Ideen. Große
Netze, die verschiedene Regionen mit erneuerbaren En-
ergien vernetzen, können dazu beitragen, dass Strom aus
erneuerbaren Energien immer zur Verfügung steht, nicht
nur dann, wenn bei uns der Wind weht oder die Sonne
scheint. In Ihrem Haushaltsplan findet man allerdings
keinen einzigen Euro für diese guten Ideen.
Ein lapidares „Private sollen das finanzieren“ reicht
nicht. Nein, Sie müssen auch öffentliche Gelder in die
Hand nehmen für Planung und Bau dieser Netze. Ich
will Ihnen drei Gründe dafür nennen.
Erstens. Bei allen Projekten für die Energiewende,
bei denen man auf das Geld der vier großen Energiever-
sorger gesetzt hat, ging die Entwicklung entweder in die
falsche Richtung oder vollzog sich viel zu langsam. In
die falsche Richtung ging es zum Beispiel mit dem Bau
neuer Kohlekraftwerke, die auf Jahrzehnte viel zu viel
CO2 in die Atmosphäre entlassen werden.
Viel zu langsam vollzieht sich die Entwicklung zum Bei-
spiel bei Offshore-Windparks. Die Bundesregierung hat
sich von den großen Energieversorgungsunternehmen
einen viel schnelleren Ausbau der Offshore-Anlagen er-
hofft. Ohne Subventionen des BMU wäre der erste Park
noch immer nicht am Netz. Wir können uns also nicht
darauf verlassen, dass die Supernetze ausgerechnet von
den Konzernen ausgebaut werden, die die Märkte lieber
abschotten, um für den Strom, den sie in ihren eigenen
Kraftwerken erzeugen, hohe Preise durchzusetzen.
Der zweite Grund, warum es sich lohnt, hierfür auch
öffentliche Gelder in die Hand zu nehmen: Wettbewerb.
Monopole gehören nicht in private Hand.
Der Aufbau neuer Netze ist eine Chance für den Staat,
Teile des Netzes wieder selbst in die Hand zu nehmen
und zu kontrollieren. Einen privaten Monopolisten, der
einem nie die vollständigen Daten und Fakten rechtzeitig
zur Verfügung stellt, zu regulieren, ist immer ineffizien-
ter, als selbst den Betrieb zu übernehmen.
Der dritte Grund, warum es sich lohnt, hierfür staatli-
che Gelder in die Hand zu nehmen: Das ist endlich ein-
mal eine Investition, die Gewinne für den Bundeshaus-
halt einspielen kann; denn die Renditen aus dem Betrieb
der Supernetze werden deutlich höher sein als die Zin-
sen, die wir zahlen müssen für das Geld, das wir aufneh-
men, um diese Netze zu bauen. Endlich einmal haben
wir eine Investition, die künftige Haushalte entlastet.
Sie stocken die Mittel für die Luftfahrt um
50 Millionen Euro auf. Anstatt abzuheben, sollten Sie
lieber in den Ausbau der Stromnetze investieren. Nur so
können Sie die Energiewende voranbringen; nur so ga-
rantieren Sie Wettbewerb. Darüber hinaus können Sie
Gewinne für den Bundeshaushalt generieren.
Reden Sie nicht nur von nachhaltiger Energiepolitik,
sondern handeln Sie auch! Investieren Sie in den Ausbau
der Netze und in Energieeffizienz, und sorgen Sie für In-
vestitionssicherheit, anstatt sie durch die Verlängerung
der Laufzeit von Atomkraftwerken zu verhindern.
Danke.
Frau Kollegin Nestle, dies war Ihre erste Rede imDeutschen Bundestag. Herzliche Gratulation und alleguten Wünsche für die weitere Arbeit!
Das Wort hat nun Michael Fuchs für die CDU/CSU-Fraktion.
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2654 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
(C)
(B)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Leider ist derKollege Schneider schon gegangen, obwohl man in einersolchen Debatte üblicherweise dableibt.
Herr Duin, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie ihm aus-richten würden: Erstens habe ich heute den Eindruck ge-winnen müssen, dass zwei Reden an einem Tag zu vielfür ihn sind. Zweitens habe ich den Eindruck gewinnenmüssen, dass er des Lesens nicht kundig ist; denn ersprach von der Kreditklemme. Auf diese Kreditklemmehat der Bundeswirtschaftsminister in der letzten Wochefokussiert und ist sie richtig angegangen.Ich habe mir das gerade einmal herausgesucht: So-wohl von den Spitzenverbänden der deutschen Wirt-schaft als auch von den Spitzenverbänden der Bankenwurde gemäß dem Bundesfinanzministerium festgestellt– Lesen bildet, Herr Duin; das sollte man vielleicht gele-sen haben –, dass es keine flächendeckende Kredit-klemme gibt.
Dies steht in dem Abschlusskommuniqué; das ist Ihnengenauso zugänglich, wie es mir zugänglich ist. Deswe-gen ärgert es mich, wenn etwas dann einfach so behaup-tet wird. Das sollte man nicht tun.Meine Damen und Herren, ich halte es für sehr wich-tig, dass wir hier im Deutschen Bundestag nicht ausdurchsichtigen Gründen so tun, als gäbe es diese flä-chendeckende Kreditklemme; denn es ist natürlich nichtin Ordnung, dass wir die Banken jetzt dafür beschimp-fen, dass sie nicht genügend Risiko eingehen, währendwir sie vorher dafür beschimpft haben, dass sie zu vielRisiko eingegangen sind. Hier sollten wir also genauwissen, was wir tun.Basel II ist richtig. Die Banken müssen die Kredite,die sie an bestimmte Unternehmen vergeben, in dem ei-nen oder anderen Fall nun mit mehr Eigenkapital unter-legen. Das ist von uns so gewollt; das haben wir hier ge-meinsam so beschlossen. Deshalb sollten wir bitte dazustehen.Nun aber zu einem anderen Thema. Gestern habe ichzwei Dinge von Frankreich gelernt:Erstens. Frankreich beschäftigt in der Exportförde-rung doppelt so viele Beamte wie Deutschland, doch derUmfang der französischen Exporte beträgt gerade ein-mal die Hälfte.Zweitens. Präsident Sarkozy hat am 4. März 2010eine Conclusion des Etats Généraux de l’Industrie he-rausgegeben und dabei zusätzlich die Förderung derfranzösischen Exporte durch die EU gefordert. Außer-dem habe ich die Worte von Frau Lagarde, der Finanz-ministerin, gehört, dass wir unseren Exportüberschussjetzt einmal zurückfahren müssten.Das weise ich mit Nachdruck zurück.
Es ist absurd, dass Deutschland schwächer werden soll,damit die Schwäche der Franzosen nicht auffällt. Anderskann man das ja wohl nicht sagen.
Da die Franzosen in diesem Jahr ein Staatsdefizitbzw. eine Nettoneuverschuldung von 8,2 Prozent habenwerden – wir haben mit unseren rund 5,5 Prozent auchnoch immer viel zu viel –, sollten sie sich erst einmal da-mit beschäftigen. Die Gewerkschaften, die Unternehmenund die Arbeitgeberverbände in Deutschland haben inden letzten Jahren eine vernünftige Tarifpolitik gemacht,die dazu geführt hat, dass unsere Wettbewerbsfähigkeitinternational gestiegen ist. Wir haben unsere Hausaufga-ben Gott sei Dank richtig gemacht. Das lasse ich mir vonniemandem verbieten. Das war eine krisenangepasstePolitik für die deutsche Wirtschaft, und das war auch gutso. Dass wir dadurch exportfähig sind, muss so bleiben;das brauchen wir.
Ich will sehr deutlich sagen: Das zeigt, dass wir keineeuropäische Wirtschaftspolitik brauchen, wenn diese eu-ropäische Politik bedeutet, dass die stärkeren Länderschwächer werden müssen, weil die schwächeren Län-der keine Lust haben, stärker zu werden. Das kann esnicht sein; das kann keine europäische Wirtschaftspolitiksein. Das müssen wir verhindern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Exportwirt-schaft war in den letzten Jahren die stützende, die tra-gende Säule unseres Wirtschaftswachstums. Wenn wirsie nicht gehabt hätten, dann würde nicht rund ein Drittelder Arbeitsplätze mittlerweile im Bereich des Exports zufinden sein. Genau das brauchen wir. Deutschland kannnicht ohne den Export leben. Wir haben hochinteressanteund spezialisierte Produkte, die wir nicht alleine inDeutschland verkaufen können. Wir müssen sie auch aufden Weltmärkten verkaufen.Deswegen finde ich es richtig, dass der Haushalt starkexportorientiert ist. In diesem Haushalt werden insge-samt 255 Millionen Euro für die Exportförderung veran-schlagt. Ich bin froh, dass wir Hermesbürgschaften,Außenhandelskammern, Auslandsmessen etc. fördern.Diese Außenwirtschaftsförderung – dafür bin ich demWirtschaftsminister ausgesprochen dankbar – muss soweiterlaufen.Ich halte es auch für dringend notwendig, dass derWirtschaftsminister mit Delegationen ins Ausland reist.Ich selber habe an einer solchen Reise mit Herrn Brü-derle teilgenommen. Sie war sehr erfolgreich, und zwarauch in Ihrem Sinne, im grünen Sinne. Wir waren zu-sammen mit Siemens in China. Siemens baut in China
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2655
Dr. Michael Fuchs
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jetzt die erste Hochspannungs-Gleichstrom-Übertra-gungs-Leitung – HGÜ; das ist ein kompliziertes Wort –,eine Technologie, die vollkommen neu ist und dazuführt, dass vom Drei-Schluchten-Damm, wo aus Wasser-kraft Strom hergestellt wird, Strom in Richtung Shang-hai übertragen wird.Nebenbei: Die Chinesen haben sich vorgenommen,das innerhalb von zwei Jahren umzusetzen. Das mussauch unsere Aufgabe in diesem Hause sein. Herr Minis-ter, wir müssen dafür sorgen, dass so etwas auch inDeutschland innerhalb von zwei Jahren möglich ist.Auch bei uns muss die neue Schnellbauweise von Net-zen möglich sein. Es kann nicht sein, dass es hier auf-grund von Planfeststellungs- und Baugenehmigungsver-fahren zig Jahre dauert.Wenn wir mit erneuerbaren Energien erfolgreich seinwollen, dann müssen Transportmöglichkeiten ins Landes-innere vorhanden sein. Es muss selbstverständlich wer-den, dass Offshore-Energie aus der Nord- oder Ostseenach Bayern oder Baden-Württemberg transportiertwird, sonst kann das mit den erneuerbaren Energiennicht funktionieren.
Wir müssen uns eine Scheibe von dem, was die Chi-nesen machen, abschneiden. Denn sie sind im Hinblickauf die Energieversorgung vorbildlich. Sie haben er-kannt, dass die Wirtschaftspolitik nur dann richtig funk-tionieren kann, wenn die Energiepolitik ebenfalls funkti-oniert.Dies ist aber nur bei Preisen realisierbar, die es ermög-lichen, dass die Wirtschaft funktioniert. Darauf müssenwir uns auch hier verständigen. Ich bin absolut dafür, dasswir eine Energiepolitik betreiben, die sich immer daranorientiert, dass Deutschland ein Industrieland ist. MeineVorstellung von Deutschland ist die eines Industrielands.Nur wenn Deutschland das bleibt, macht es Spaß, hier zuleben. Wir brauchen die deutsche Wirtschaft und die deut-sche Industrie. Dafür werden wir kämpfen, und dazugehören Energiepreise, die in Deutschland die Schwer-metallindustrie, die Zinkverhüttung oder die Aluminium-und die Papierindustrie nach wie vor ermöglichen undauch für den Verbraucher bezahlbar sind.
Kollege Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hempelmann?
Wenn es denn sein muss.
– Sicher. Ich war aber fast fertig.
Bitte.
Vielleicht mache ich Ihnen eine Freude mit der Zwi-
schenfrage.
Sie haben sich eben darüber ausgelassen, was in China
alles geht und in Deutschland nicht. Als Beispiel haben
Sie die HGÜ-Leitung genannt. Daher meine Frage: Hat
es einen Mentalitätswandel in Ihrer Fraktion gegeben?
Wir haben nämlich im letzten Jahr über das Energielei-
tungsausbaugesetz verhandelt. Unser Vorschlag war,
auch in Deutschland die Türen für ein erstes Referenz-
projekt in Sachen HGÜ zu öffnen. Das ist damals von Ih-
rer Seite abgelehnt worden. Meine Frage ist also: Hat ein
Mentalitätswandel stattgefunden? Gehen Sie davon aus,
dass wir in nächster Zeit etwas auf den Tisch bekommen?
Wir sind durchaus der Meinung, dass es, wenn wir ein
komplettes Netzwerk aufbauen müssen, notwendig ist,
Strom, der beispielsweise in Offshore-Parks entsteht, in
die Region zu bringen, in der er verbraucht wird; das
habe ich eben bereits gesagt. Anders macht es keinen
Sinn. Denn wir werden diesen Strom wahrscheinlich
nicht auf Norderney oder auf Sylt brauchen. Ich gehe
also davon aus, dass es notwendig ist, den Strom in die
Regionen zu bringen, in denen er auch wirklich benötigt
wird. Deswegen müssen diese Leitungen gebaut werden.
Wenn wir mit HGÜ mittlerweile eine Technologie ha-
ben, durch die es auf einer Strecke von 1 000 Kilometern
zu einem Stromverlust von nur 2 bis 3 Prozent kommt,
dann kann ich sagen: Das macht Sinn.
Deshalb sollten wir dafür sorgen, dass das ermöglicht
wird.
Weiter zu den Energiepreisen. Die Energiepreise in
Deutschland müssen konkurrenz- und wettbewerbsfähig
sein. Es kann nicht sein, dass wir aufgrund des Einsatzes
von erneuerbaren Energien so hohe Preise haben, dass in
Deutschland Arbeitsplätze wegfallen. Ich möchte das an
einem Beispiel aus meinem Wahlkreis verdeutlichen. In
Koblenz gibt es eine Firma, die Kimberly-Clark heißt.
Sie ist besser bekannt unter dem Namen Kleenex und
stellt Papier im großen Stil her. Sie hat in ganz Europa
baugleiche Papiermaschinen. In Koblenz verbrauchen
diese Maschinen bei einer Laufzeit von 365 Tagen rund
26 Millionen pro Jahr. In Frankreich steht eine bauglei-
che Maschine, die nur 17 Millionen verbraucht. Irgend-
wann einmal wird unter Umständen der amerikanische
Mutterkonzern beschließen: Wir packen die Maschine
und schieben sie dahin, wo der Strom billiger ist. Das
kann nicht unser Ziel sein. Daran müssen wir arbeiten.
Ich betone noch einmal: Ich möchte, dass Deutschland
ein Industriestandort bleibt.
Herr Kollege, wollen Sie Ihre Redezeit noch ein biss-chen verlängern? Die Kollegin Höhn möchte eine Zwi-schenfrage stellen.
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2656 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
(C)
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Ich habe bis heute Abend Zeit.
Bitte schön.
Herr Kollege Fuchs, wenn Sie den Standort in Ihrem
Wahlkreis erhalten wollen und über zu hohe Energie-
preise klagen, frage ich Sie: Sind Sie mit uns der Mei-
nung, dass die hohen Energiepreise daher rühren, dass
wir keinen Wettbewerb haben, sondern dass es vier
große Energiekonzerne gibt, die in den letzten fünf Jah-
ren zulasten der Bevölkerung ihren Gewinn von
12 Milliarden auf 18 Milliarden Euro gesteigert haben,
und dass die viel zu hohen Energiepreise den Standort
des von Ihnen genannten Unternehmens gefährden?
Wollen Sie mit uns zusammen mehr Wettbewerb einfüh-
ren und damit die Macht der vier großen Energiekon-
zerne kappen, statt die Laufzeiten für Atomkraftwerke
zu verlängern? Denn genau damit verlängern Sie die
Monopole, steigern die Energiepreise und belasten damit
das Unternehmen in Ihrem Wahlkreis.
Frau Kollegin, ich bin gerade nicht Ihrer Meinung. Wir
haben vier Energiekonzerne, aber es war beispielsweise
Rot-Grün, die zu einer Verstärkung der Monopolisierung
beigetragen haben. Ich sage nur Ruhrgas, STEAG etc.
Das haben Sie damals mit einer Ministererlaubnis er-
möglicht. Ich verstehe nicht, warum Sie sich über etwas
beschweren, was Sie selbst gemacht haben.
Wir sollten uns aber auch um die Binnennachfrage
kümmern. Wir haben mit den Gesetzen, die zum
1. Januar 2010 in Kraft getreten sind, die Binnennach-
frage gesteigert. Wir haben das Wachstumsbeschleuni-
gungsgesetz gemacht, und wir haben noch mit Ihnen zu-
sammen das Bürgerentlastungsgesetz gemacht. Das war
auch sinnvoll. Seit dem 1. Januar 2010 ist den Bürgern
ein Entlastungsvolumen von rund 22 Milliarden Euro
zugutegekommen. Wir haben den Kinderfreibetrag auf
7 008 Euro erhöht. Wir haben das Kindergeld erhöht,
worüber sich der eine oder andere beschwert hat. Ich
halte es für richtig, dass wir kinderreiche Familien unter-
stützen.
Ein Vier-Personen-Haushalt zahlt erst ab einem Ein-
kommen von rund 30 000 Euro Steuern. Wir haben etli-
ches für die Unternehmen getan. Wir haben den Fehler
bei den geringwertigen Wirtschaftsgütern, den wir ge-
meinsam gemacht haben, wieder bereinigt. Das war
schon ein Ansatz zum Bürokratieabbau. Wir müssen
selbstverständlich auf diesem Sektor noch weiterma-
chen.
Etliche Punkte müssen noch verstärkt werden. Das
wissen wir, und das weiß der Bundeswirtschaftsminister.
Das werden wir gemeinsam machen. Vor allen Dingen
auf dem Sektor Bürokratieabbau wird sich auch in die-
sem Jahr noch etliches tun.
Ich bin relativ optimistisch. Der Bundeswirtschafts-
minister hat ein Wachstum von 1,4 Prozent prognosti-
ziert. Lieber Herr Brüderle, ich glaube, es wird mehr.
Denn mittlerweile gehen sämtliche Banken von rund
2 Prozent aus. Wir sind auf einem guten Weg. Lassen Sie
uns diesen Weg verstetigen und verstärken. Dann wer-
den wir allesamt erfreut auf die Wirtschaftsleistung die-
ses Landes blicken können.
Das Wort hat nun Wolfgang Tiefensee für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr verehrte Gäste! Sehr geehrter Herr Minister Brü-derle! Wir diskutieren den Haushalt des Wirtschaftsmi-nisteriums in schwieriger Zeit. Er besteht zu einem Teilaus der Fortschreibung dessen, was die vorherige Bun-desregierung auf den Weg gebracht hat, und er ist er-gänzt um etwas, das Sie in diesen Haushalt eingebrachthaben.Ich fasse für mich zusammen: Das Gute in diesemHaushalt ist nicht neu, weil es fortgeschrieben ist, unddas Neue, das Sie einbringen, ist nicht gut. Ich möchtedas an einigen Beispielen belegen.Aber zuvor, sehr verehrter Herr Minister, möchte ichIhnen nicht durchgehen lassen, was Sie in Ihrer Rede,die sich zum Teil auch mit der Wirtschaft beschäftigt hat,über die Vorhaben der SPD und über die Erfolge der ge-genwärtigen Regierung gesagt haben. Herr Minister, esgeht nicht an, dass Sie sich mit fremden Federn schmü-cken, dass Sie sich die Erfolge, zum Beispiel die Erfolgeeiner starken Wirtschaftspolitik seit 1998, an den Hutheften und gleichzeitig die SPD für neue Vorschläge dif-famieren. Das geht nicht. Das lassen wir Ihnen nichtdurchgehen.
Wenn Sie über die Agenda 1970 sprechen – ichmöchte mich eigentlich nicht mit der Vergangenheit auf-halten – und unsere Vorschläge als rückwärtsgewandtbezeichnen, dann nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass al-les das, was Sie jetzt an Erfolgen aufführen und was ausFrankreich zu uns herüberschwappt, nicht der Erfolg derFDP-Politik, sondern der Erfolg der vorhergehenden Re-gierung unter starker Beteiligung der SPD ist.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2657
Wolfgang Tiefensee
(C)
(B)
Jetzt schauen wir uns den Haushalt im Einzelnen an!Das Neue ist nicht gut.Erstes Thema: Wie ist es um die Wirtschaftsförderungim Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung derregionalen Wirtschaftstruktur“ bestellt? Herr Dr. Luther,Sie haben dieses Thema angesprochen. Ich verstehenicht, wie Sie sagen können: „Wir bleiben auf dem glei-chen Niveau; wir tun etwas für die Ost-Förderung“,wenn Sie im gleichen Atemzuge sagen müssen: Es wer-den 10 Millionen Euro dieser Sonderförderung einge-spart.
Das Fazit: Die Ost-Förderung wird zurückgefahren. Dasist kein guter Weg. Wir können Ihnen dafür nicht unsereZustimmung geben.
Die SPD würde das anders machen. Wir müssen hierweiter investieren.
Zweites Thema: Opel. Ich weiß nicht, ob Ihnen dieNamen „Lewald“ und „Lieske“ etwas sagen, Herr Brü-derle. Herr Lewald ist der Geschäftsführer des Opel-Werks in Eisenach, Herr Lieske der Betriebsratschef. Siesind noch nie dort gewesen; anderswo sind Sie gewesen.
Machen Sie einmal eine Reise dorthin und schauen Siesich an, wie mit den Arbeitern und Arbeiterinnen dortumgegangen wird, auch nach Ihrem Motto: „Leistungmuss sich lohnen“! Was können Sie diesen Arbeiternheute bieten? Sie ducken sich weg, wenn es darum geht,einen Vorschlag aufzugreifen, der besagt: Wir müssendringend einen runden Tisch einberufen, an dem dieLänder, die Gewerkschaften, die Unternehmen, der Mi-nister und Vertreter von GM sitzen. – Sie dürfen dasnicht auf die Beamten abschieben. Sie dürfen den Fra-genkatalog nicht ständig erweitern. Sie dürfen nicht dieEuropäische Union mit der Ex-ante-Regelung vorschie-ben, sondern Sie müssen endlich handeln. Ducken Siesich nicht weg, sondern kümmern Sie sich persönlich umdieses Problem! Berufen Sie noch in diesem Monat ei-nen runden Tisch ein und fahren Sie dorthin, um einmalzu sehen, worum es in einem solchen Werk wie Eisenachgeht!
Kollege Tiefensee, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Luther?
Selbstverständlich.
Lieber Kollege Tiefensee, ich möchte auf das Thema
Gemeinschaftsaufgabe zurückkommen und nur etwas
zur Klarstellung sagen. Die 10 Millionen Euro werden
nicht bei dem 81er-Titel – das ist der mit den 670 Millio-
nen Euro – gekürzt,
sondern bei dem 82er-Titel. Das betrifft also das Kon-
junkturpaket. Dort ist die Verteilung wie folgt: Hälfte
West und Hälfte Ost. Es ist also kein reiner Ost-Titel.
Das ist für meine Begriffe möglich, weil genau dort noch
Luft ist. Geben Sie mir also in dem Punkt recht, dass das
keine Reduzierung ist, die rein den Osten betrifft?
Herr Dr. Luther, ich halte erstens fest, dass bei der GAgekürzt worden ist, nämlich bei dem Sonderprogrammum 10 Millionen Euro. Das muss man so deutlich sagen,weil Sie in Ihrer Rede vorhin den Anschein erweckt ha-ben, als bliebe das gleich.
Der zweite Punkt. Es ist ein Teil des Konjunktur-pakets, übrigens des Konjunkturpakets, das nicht vondieser Regierung auf den Weg gebracht worden ist. Die-ses Konjunkturpaket hat gerade den Sinn, Investitionendort auszulösen, wo ein Vervielfacher – mal sieben odermal acht – wirkt, der die Wirtschaft anspringen lässt, woes darum geht, sie zu stabilisieren, vorwiegend in Ost-deutschland, nämlich zu sechs Siebteln in Ostdeutsch-land und zu einem Siebtel in Westdeutschland. An dieserStelle zu kürzen, ist kontraproduktiv. Deshalb sage ich:Das Konjunkturprogramm in Gang zu setzen, sich dar-auf auszuruhen, sich mit diesen Federn zu schmücken,ist das eine; das andere ist, einen neuen Aspekt hinzuzu-fügen, nämlich den der Kürzung, und das Konjunktur-paket damit zu konterkarieren. Das halten wir nicht fürrichtig.
Nächstes Thema ist die Solarförderung. Auch hier,sehr verehrter Herr Minister, ist wieder ein Wegduckenzu erkennen. Wenn Sie sich anschauen, wie die Industrieauf die kurzatmigen und plötzlich unterbreiteten Vor-schläge reagiert, müssen Sie doch zur Besinnung kom-men und einsehen: Wir müssen zunächst einmal eineAnhörung durchführen, um genau zu erfahren, ob nichtArbeitsplätze wegfallen, die wir dringend benötigen. –Eine solche Anhörung haben wir vorgeschlagen.Was soll das allgemeine Gerede von der Förderungdes Mittelstands, wenn Sie durch die Kürzung bei derGA den Mittelstand schwächen, wenn Sie – StichwortOpel – einen mittelgroßen Mittelständler in Eisenach– und anderswo – gefährden? Was soll das Gerede vomMittelstand, wenn Sie bei der Solarförderung plötzlicheine über die beschlossene degressive Senkung hinaus-
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Wolfgang Tiefensee
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gehende Kürzung in Ihrem Etat vorsehen? Das ist genaudas Gegenteil von dem, was Sie postulieren.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Flach?
Selbstverständlich.
Danke schön. – Herr Tiefensee, Sie sind ja kein Haus-
hälter. Deshalb möchte ich Sie auf einen Umstand hin-
weisen und Sie fragen, ob Ihnen dieser Umstand bei Ih-
rer Behauptung, dass bei der GA ein Schaden erzeugt
würde, vielleicht nicht bekannt gewesen ist: Der Mittel-
abfluss im Jahre 2009 betrug 86,33 Millionen Euro von
immerhin 100 Millionen Euro. Das heißt, der Mittelab-
fluss war deutlich geringer als das, was wir angesetzt
hatten. Dass in einem solchen Fall die Haushälter dafür
sorgen – wir alle in diesem Land sind aufgefordert, auch
im Hinblick auf die Schuldenbremse zu sparen –, dass
hier entsprechend zurückgefahren wird, ist ein ganz na-
türliches Verfahren im Haushaltsprozess. War Ihnen das
nicht bekannt?
Mir ist der Vergleich zwischen Soll und Ist durchaus
bekannt, Frau Kollegin Flach. Es gibt zwei Wege, auf so
etwas zu reagieren. Sie haben den einen gewählt. Sie
schauen sich das Ist an, vergleichen es mit dem Soll und
kürzen, wenn eine Differenz vorhanden ist. Wie wäre es,
wenn Sie den zweiten Weg gingen? Sie sollten sich fra-
gen: Warum ist der Mittelabfluss gerade im Jahre 2009
so schlecht? Warum klappt die Kofinanzierung der Län-
der nicht? Wie Sie wissen, ist die Gemeinschaftsauf-
gabe eine Angelegenheit der Wirtschaftsfördergesell-
schaften der Länder. Hier besteht kein Rechtsanspruch
wie bei der Investitionszulage. Das heißt, hier ist ein Me-
chanismus in Gang zu setzen. Sie wissen genauso gut
wie ich, dass das Jahr 2009 alles andere als günstig für
Investitionen der Unternehmen gewesen ist. Der erste
Weg, zu kürzen, weil es eine Differenz zwischen Soll
und Ist gibt, ist falsch. Der richtige ist, ab 2010 dafür zu
sorgen, dass die Gelder abgerufen werden; denn dieses
Geld hat – ich habe es bereits angesprochen – mindes-
tens den achtfachen Nutzen.
Frau Flach, ich darf Sie darüber hinaus daran erin-
nern, dass die Investitionszulage abgeschmolzen wird.
Meine Frage an Sie und den Herrn Minister lautet: Wie
wollen Sie die Investitionszulage, die das Pendant zur
Gemeinschaftsaufgabe bildet, kompensieren, wenn Sie
die Mittel für diesen Titel in Zukunft kürzen?
Denken Sie darüber nach, damit wir in Zukunft darüber
diskutieren können.
Ich komme zu einem anderen, konkreten Thema, der
Elektromobilität; auch darüber haben wir schon disku-
tiert. Herr Oswald, ich kann vielen Ihrer allgemeinen
Äußerungen zustimmen, nicht aber, wenn es konkret
wird. Deutschland ist bei der Elektromobilität nicht ge-
rade der Vorreiter. Was erleben wir? Es wird ein kleiner
Zirkel von Beamten, eine Geschäftsstelle gebildet, die es
richten soll. Der Minister kümmert sich nicht darum. –
Da Sie auf der Regierungsbank murmeln, das sei
Quatsch, bitte ich Sie, die Unternehmen, die in den Be-
reichen Elektromobilität sowie Wasserstoff- und Brenn-
stoffzellenforschung tätig sind, zu fragen, wie diese über
eine solche Geschäftsstelle denken, die seit Ewigkeiten
auf sich warten lässt und ihre Arbeit nicht aufnimmt.
Summa summarum – sehr verehrter Herr Brüderle,
ich rede Ihnen ins Gewissen –: Kümmern Sie sich selbst
um die Sachen! Schauen Sie sich das genau an, und ma-
chen Sie es zur Chefsache, damit hier nicht Stillstand
herrscht! Hoffen Sie nicht auf einen allgemeinen Früh-
lingswind, sondern nutzen Sie die Zeit, die Wirtschaft
voranzubringen! Ansonsten läuft Ihnen die Zeit davon.
Vielen Dank.
Als letzter Redner in dieser Debatte hat nun das Wort
Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Ich möchte am Ende der Debatte über den Einzel-plan 09 auf den Sinn dieser Debatte zurückkommen. Esgeht um den Haushalt 2010. Manche Dinge sind offen-bar etwas durcheinandergekommen.Wir sind noch immer mitten in der größten Wirt-schafts- und Finanzkrise. Es geht darum, mit diesemHaushalt zu stabilisieren und neue Impulse für die Zu-kunft zu setzen. Damit haben wir 2008/2009 gemeinsambegonnen. Das führen wir in diesem Jahr in neuer Kon-stellation fort, um die Voraussetzungen für ein selbsttra-gendes Wachstum zu schaffen. Es geht darum, mit die-sem Haushalt gerade im Wirtschaftsbereich zu säen,sodass wir in den nächsten Jahren die Früchte erntenkönnen. Wir haben bereits konkrete Schritte unternom-men. Weitere sind vorgesehen.Nehmen wir als Beispiel den Wettbewerb. DurchWettbewerb werden neue Dienstleistungen und Arbeits-plätze im Postbereich generiert. In der Großen Koalitionist es nicht gelungen – weil Sie sich leider verweigert ha-ben, meine Damen und Herren von der SPD –, für eineGleichbehandlung bei der Umsatzsteuer zu sorgen. Dashätten wir eigentlich schon im letzten Jahr machen kön-nen. Es war bisher so – das haben wir erst in der letztenSitzungswoche geändert –, dass nur die Post AG von der
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Dr. Joachim Pfeiffer
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Umsatzsteuer für Universaldienstleistungen befreit war,die anderen Postdienstleister aber nicht. Es gab sogarden Postmindestlohn – der wurde jetzt per Gerichtsbe-schluss aufgehoben –, der zu Entlassungen und Arbeits-platzabbau geführt hat. Das ist ein Sektor, in dem wirjetzt die Grundlagen für Wachstum und Beschäftigunggelegt haben. Wir machen dasselbe auch im Telekom-munikationsbereich. Das Stichwort „Breitband“ ist be-reits angesprochen worden. Auch im Bahnbereich wirdmit der Einführung einer Anreizregulierung in dieser Le-gislaturperiode die Saat dafür gesät, dass wir später Ar-beitsplätze ernten können.Das ZIM-Programm ist schon angesprochen wor-den. Es ist auf den Mittelstand, die KMU, zugeschnitten,einfach in der Handhabung und ermöglicht Kooperati-onsmodelle zwischen mittelständischen Unternehmenund einzelbetriebliche FuE-Projekte. Wir haben jetztmehr als doppelt so viele Anträge wie zuvor, nämlich8 400. 775 Millionen Euro sind bewilligt, die direkt indie Innovationskraft unserer mittelständischen Unter-nehmen fließen und damit Arbeitsplätze schaffen.Die steuerliche Forschungsförderung ist angespro-chen worden. Wir bereiten gerade konkrete Modelle vor,wie wir sowohl den Mittelstand als auch die Großunter-nehmen einbeziehen können und Standortnachteile, diewir gegenüber anderen Ländern haben – vorhin wurdeFrankreich erwähnt –, abbauen können. Das ist die bestePolitik, um zukünftig Forschung und Entwicklung zustärken und damit Arbeitsplätze und Wachstum zu gene-rieren.Ich möchte noch auf einen anderen Punkt hinweisen,der mir heute Morgen in der Debatte und in der letztenWoche aufgefallen ist. Ich wende mich an die Kollegin-nen und Kollegen der SPD. Ich habe wirklich den Ein-druck, als ob Ihr Motto lautet: Vorwärts, zurück in dieVergangenheit!Wie Sie sich in der letzten Woche von der Gesund-heitspolitik der letzten Legislaturperiode distanziert undin Anwesenheit Ihrer früheren Ministerin das Gegenteildessen propagiert haben, was Sie noch vor einem halbenJahr selber beschlossen haben, war schon atemberau-bend.
Wenn ich den Kollegen Heil heute Morgen und dieVorschläge zum Arbeitsmarkt richtig verstanden habe,dann stellen Sie die erfolgreichen Reformen derAgenda 2010 auf den Kopf. Sie wollen die Bezugsdauerdes Arbeitslosengeldes I von zwölf auf 24 Monate ver-längern.
Dabei ist die bisherige Regelung nun nachweislich in derSache und auch politisch – das dachte ich jedenfalls –unstrittig eine der erfolgreichsten Komponenten derAgenda 2010. Der Anteil der Menschen, die über einJahr arbeitslos sind, betrug im Jahr 2005 37,4 Prozent,aber im Jahr 2009, mitten in der größten Wirtschafts-und Finanzkrise, die wir jemals hatten, 29,7 Prozent.Jetzt wollen Sie diese erfolgreiche Hauptkomponenteder Agenda 2010 wieder rückgängig machen. Ich mussIhnen dazu sagen: Das ist nicht nur in der Sache falsch,sondern ich frage mich auch, welche politische Bot-schaft sich dahinter verbirgt. Ist das jetzt eine Generalab-rechnung der SPD mit elf Jahren Regierungsverantwor-tung,
mit sich selbst, mit Gerhard Schröder, mit Wolfgang Cle-ment und wem auch immer, der diese Politik vertretenhat?
Der Kollege Schneider, der jetzt wieder da ist, hat inseiner Rede das Thema Industriepolitik angesprochen.Die Industriepolitik von Rot-Grün haben wir am Bei-spiel von Holzmann erlebt. Es wurden Steuergelder ein-gesetzt, aber nachher war das Unternehmen pleite, dasGeld war weg, und die Arbeitsplätze waren weg.So etwas werden wir bei Opel nicht machen.
Wir haben gemeinsam eine Überbrückungsfinanzierungermöglicht. Dieses Geld wurde zurückgezahlt. Jetzt be-ginnen die Verhandlungen von neuem. Es sind nochZweifelsfragen offen.
Opel hat bisher nicht nachgewiesen, wie die Abgrenzungzum Mutterkonzern in den USA abschließend geregeltwird. Es ist nicht nachvollziehbar, dass Opel durch dieLizenzen und die Gebühren, die dann anfallen, schlech-tergestellt werden soll als zu dem Zeitpunkt, als Magnanoch im Spiel war. Wir werden für solche Dinge nichtleichtfertig deutsches Steuergeld hinauswerfen.
Wir werden das Ganze also sehr genau prüfen. Wenn dieoffenen Fragen geklärt sind, werden wir dieses Unter-nehmen so wie die anderen Unternehmen behandeln. Siefordern hier Industriepolitik zugunsten von Opel ein; sohabe ich Sie vorher verstanden.
Erneuerbare Energien wurden angesprochen. Ichkann nur wenige Punkte streifen. Das CO2-Gebäude-sanierungsprogramm war ein Kernbestandteil unsererPolitik seit 2005. Wir haben dieses Programm verlän-gert, verstetigt, ausgebaut, und zwar so erfolgreich, dasswir es im letzten Jahr zum ersten Mal erreicht haben,dass an mehr als 5 Prozent – 5,8 Prozent – der Gebäudeeine energetische Gebäudesanierung vorgenommen wor-den war. Dennoch haben Sie im Haushaltsausschuss derAufstockung der Mittel für die CO2-Gebäudesanierung
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Dr. Joachim Pfeiffer
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nicht zugestimmt. Da frage ich mich, wie das zu erklärenist.
Ich muss sagen: Ich verstehe es weder politisch noch inder Sache. Herr Brüderle, Sie haben vorhin auf dieAgenda 1970 hingewiesen. Angesichts der Geschwin-digkeit, mit der es bei der SPD vorangeht, habe ich denEindruck, dass wir bald über den Austritt aus der NATOoder über die Vergesellschaftung von Schlüsselindus-trien sprechen.
Jetzt sind wir bald bei der Agenda 1957; das ist so lang-sam mein Eindruck.
Herr Pfeiffer, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Aber es gab noch den Wunsch nach einer Zwischen-
frage.
Nein, den nehmen wir nicht mehr entgegen.
Das ist aber ausgesprochen schade.
Sie haben Ihre Redezeit schon länger überschritten.
Insofern kann ich nur sagen: Man ist bei uns gut auf-
gehoben. Deutschland ist mit einer christlich-liberalen
Koalition in guter Hand. Wir werden noch Gas geben,
damit all das, was wir gesät haben, im nächsten Jahr ge-
erntet werden kann.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 09, Bundesministerium für Wirtschaft und Techno-
logie, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Einzelplan 09 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen ange-
nommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.7 auf:
Einzelplan 12
Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung
– Drucksachen 17/612, 17/623 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Johannes Kahrs
Dr. Claudia Winterstein
Roland Claus
Stephan Kühn
Zum Einzelplan 12 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor. Außerdem liegt ein Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der SPD vor, über den wir am
Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen wer-
den.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Johannes Kahrs von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir diskutieren jetzt den Einzelplan des Bun-desministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.Mit 26 Milliarden Euro ist er der viertgrößte Einzelhaus-halt und der größte Investitionshaushalt des Bundes.Mein Vorredner hat zum Einzelplan Wirtschaft einenHaufen Unsinn erzählt, auch was das CO2-Gebäudesa-nierungsprogramm angeht. An dieser Stelle will ichdas einmal richtigstellen: Wir Sozialdemokraten habenim Haushaltsausschuss selbstverständlich dagegenge-stimmt, weil die Koalition dieses Programm weder so-lide durchfinanziert hat noch einen vernünftigen Wegaufgezeigt hat, wie es mit diesem Programm in der Zu-kunft weitergehen soll.Wie ist denn die Realität? Alle Titel zusammenge-rechnet, beträgt der Umfang dieses Programms jetztknapp 1,5 Milliarden Euro. Im letzten Jahr gab es einenAusgabenblock von deutlich über 2 Milliarden Euro.Jetzt überlegt man sich: Woher kommt das Geld, das dieKoalition gefunden hat? Es ist nicht so, dass sie frischesGeld genommen hat, um dieses wirklich wegweisendeund gute rot-grüne Programm fortzusetzen, nein, sie hatMittel aus dem Jahre 2011 vorgezogen.
Das heißt, im Jahre 2011, Herr Kollege, wird es so sein,dass Ihnen nicht diese 1,5 Milliarden Euro zur Verfü-gung stehen, sondern deutlich weniger als 1 MilliardeEuro, und dann müssen Sie frisches Geld zur Verfügungstellen. Dann hat der Minister nur das Problem, dass erim nächsten Jahr erstens keine Konjunkturmittel mehr indem Umfang hat und zweitens der Bundesfinanzminister
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Johannes Kahrs
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ihm Geld nehmen wird und, wenn es so weiterläuft imHaushaltsausschuss, die Kollegen der Koalition ihmnoch mehr Geld klauen werden, nachdem sie es in die-sem Jahr schon fleißig getan haben.
Das alles ist eine Zwickmühle. Im Ausschuss befragt,wie er dazu stehe, hat der Minister gesagt: Na ja, dannläuft die Programmförderung eben im April aus.Wenn man so mit einem Programm umgeht, das wiralle für richtig, wichtig und gut halten, dann darf mansich nicht wundern, dass wir als Koalition dem nicht zu-stimmen.
Wir haben einen Änderungsantrag vorgelegt, in dem wirgefordert haben, deutlich mehr Geld hierfür vorzusehen.Wir haben auch gesagt, woher es kommen soll.
– Aber aus nichtgenutzten Mitteln.
– Lesen bildet, Denken hilft. Ich helfe Ihnen immergerne dabei.
Das heißt also, dass man in diesem Fall vernünftig undsolide vorgehen sollte.Wenn man sich den Haushalt anschaut, stellt man fest,dass er sich gegenüber dem, den wir in der ersten Lesungberaten haben, etwas verändert hat. Das liegt daran, dassdie Koalition den Haushaltsansatz gekürzt hat. Kürzenist immer eine feine Geschichte für Haushälter, es mussaber auch Sinn machen. Schauen wir uns einmal an, wogekürzt worden ist. Daran kann man klarmachen, wo dieUnterschiede liegen:Zunächst einmal wurde beim Denkmalschutzpro-gramm Ost und beim Denkmalschutzprogramm Westgekürzt. Als Mitglied des Deutschen Nationalkomiteesfür Denkmalschutz kann ich das nicht gut finden. Wennman sich, jeder in seinem Wahlkreis, einmal anschaut,welche Aufgabe in Deutschland dem Denkmalschutz zu-kommt und wie wichtig er für die Kommunen und dieGemeinden ist, dann kommt man zu dem Schluss: Dasist garantiert der falsche Ort; das ist Unsinn.
Weiterhin wurden beim Programm „Soziale Stadt“20 Millionen Euro gestrichen. Das ist auch nicht wirk-lich toll.Außerdem stellt man fest, dass die Etats der Pro-gramme für den kombinierten Verkehr um mehr als dieHälfte gekürzt worden sind.
Das muss man sich einmal genauer anschauen. Der Mi-nister – er sitzt ja dankenswerterweise da, obwohl ernicht zuhört –
hat hier beim letzten Mal groß verkündet, dass seinSchwerpunkt die Schiene ist. Diesen SchwerpunktSchiene findet man im Haushalt allerdings nicht wieder.„Schwerpunkt Schiene“ heißt doch, dass man dafür sor-gen muss, dass es viele Möglichkeiten gibt, vom Lkwauf die Schiene umzuladen, also kombinierten Verkehrzu ermöglichen. Die Programme hierfür hat die Koali-tion um 65 Millionen Euro gekürzt. Es sind jetzt nochknapp 50 Millionen Euro im entsprechenden Topf.
Das ist doch blanker Unsinn.Die Kollegin von der FDP kommt ja immer und er-zählt, dass für die Verwendung der Einnahmen aus derLkw-Maut gilt: Straße finanziert Straße. Das Geld ausder Lkw-Maut soll also beim Verkehrsträger Straße blei-ben. Was heißt denn das im Ergebnis? Im Ergebnis,werte Frau Kollegin Winterstein, heißt das, dass für dieWasserstraßen und für die Bahn weniger Geld da seinwird.
Nun hat uns der Minister erzählt – wir haben das jaalle erlebt –, dass es keine Streichlisten bei der Bahngibt.
Wir haben dann rauf und runter nachgefragt; auf einmalist der Bahnchef, nicht der Minister, nicht seine Staatsse-kretäre, sondern der Bahnchef, damit man gleich weiß,wer in diesem Bereich die Hosen anhat, gekommen undist im Verkehrsausschuss die Streichliste mit uns durch-gegangen und hat erklärt, was kommt, was vielleichtkommt und was gar nicht kommt.
Dabei konnte man feststellen, dass zum Beispiel dieY-Trasse nicht gebaut werden soll.
Uns allen jedoch hat der Minister erzählt, er möchte ei-nen Großteil des Zuwachses beim Güterverkehr auf dieSchiene bringen. Der Bahnchef dagegen erzählt uns,dass eine der wichtigsten Strecken, die genau für diesenZweck gebaut werden sollte, nämlich die Y-Trasse, nichtkommt.
Was ist denn das für eine Wirtschaftspolitik?! Es gehthier um einen Etat, der für die Infrastruktur und damit
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Johannes Kahrs
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für die Wirtschaftskraft Deutschlands wesentlich ist.Aber genau bei diesem Etat wird gestrichen.
Das, worum es hier geht, nennt sich – das sei allenSüddeutschen gesagt – Hinterlandverkehr. Dass die In-frastruktur hierfür vorhanden ist, ist für die Häfen wich-tig, ist für Deutschland wichtig, nur sie wird nicht ge-baut.Wenn man sich die Lage nun genauer anschaut, wirdman feststellen, dass in 2011 und 2012 dem Ministersehr viel Geld fehlen wird. Aus welchem Grunde? DasFinanzministerium wird höchstwahrscheinlich seinenEtat nicht weiter erhöhen, sondern weiter streichen; au-ßerdem laufen Konjunkturmittel aus. Verzweifelte Ver-suche, an Geld zu kommen – derer gibt es viele –, wer-den wir nicht durchgehen lassen, weil dafür in der RegelSchattenhaushalte eingerichtet werden.Ich habe hier schon einmal etwas zum Thema Pkw-Maut gesagt. Der Minister hat sich dazu leider nochnicht abschließend geäußert, obwohl das ganz schönwäre. Wir jedenfalls sind dagegen.Über ÖPP-Projekte kann man reden. Sie müssensich am Ende nur als kostenneutral für den Haushalt er-weisen; denn, wie gesagt, Schattenhaushalte wollen wirnicht. Wir wollen auch keine Finanzierungsmodelle fi-nanzieren. Wir kennen das schon: Dabei werden häufigGewinne privatisiert und Verluste sozialisiert.
Das wollen die Menschen nicht mehr. Davon haben siedie Schnauze voll.Die VIFG, die Verkehrsinfrastrukturfinanzie-rungsgesellschaft, ist ein weiterer Schattenhaushalt.Wenn man in Zukunft am Finanzministerium und amHaushaltsausschuss vorbei Geld aufnimmt, um mit die-sem Geld bestimmte Dinge zu machen, dann baut manweitere Schuldenberge auf. Wer wird das zahlen?
– Lesen bildet, Denken hilft. – Das heißt also, am Endebrauchen wir das alles nicht. Wir müssen vielmehrschauen, dass das, was wir machen, solide finanziertwird.
Die Kameralistik wirkt manchmal langweilig. Abersie ist ehrlich. Das kann man von Ihrer Haushaltspolitiknicht behaupten.
Bei der Kameralistik weiß man nämlich genau, was manhat und wie es in der Zukunft aussieht. Deswegen sollteman sich daran halten. Das ist alles wichtig, richtig undgut.Da meine Zeit an diesem Rednerpult ihrem Ende ent-gegengeht, will ich Ihnen noch kurz Folgendes mitge-ben: Wenn man über Infrastruktur redet, dann muss mansich über den Ausbau von Wasserstraßen, über die Elb-vertiefung von Hamburg bis Magdeburg – Otterndorfnicht zu vergessen, Herr Staatssekretär – unterhalten.Wir müssen uns auch über die Zukunft der Wasser- undSchifffahrtsdirektionen unterhalten, weil sie wichtigsind. Man muss schauen, dass in diesem Bereich nichttotgespart wird, sondern dass investiert wird, damit sieihre Arbeit vernünftig machen können.Vielen Dank, viel Spaß und Glück auf.
Das Wort hat der Kollege Bartholomäus Kalb von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Herr Kollege Kahrs, letzte Woche hatten Sienoch Fieber, heute sind Sie quicklebendig. Aber nicht al-les, was Sie gesagt haben, war richtig.
Der Etat des Bundesministers für Verkehr, Bau undStadtentwicklung ist mit 26,3 Milliarden Euro einer dergrößten Einzeletats und mit rund 14,7 Milliarden Euroan Investitionen der Investitionshaushalt schlechthin.Der größte Anteil davon ist wiederum für Infrastruktur-maßnahmen vorgesehen.Eine moderne Gesellschaft, eine arbeitsteilige Wirt-schaft und eine leistungsfähige Volkswirtschaft erfor-dern ein immer höheres Maß an Mobilität. Mobilität isteinerseits Voraussetzung für die Sicherung des Wohl-standes, andererseits auch Ausdruck von Freiheit undder Möglichkeit individueller Lebensgestaltung. Erfreu-licherweise zählt die Verkehrsinfrastruktur in Deutsch-land noch immer zu den positiven Standortfaktoren die-ses Landes. Wir müssen aber alles unternehmen, um dieQualität und die Leistungsfähigkeit dieser Infrastrukturzu erhalten und weiter zu verbessern. Nicht ausreichendeErhaltungsinvestitionen wären nichts anderes als eineverdeckte Verschuldung und eine Lastenverschiebung indie Zukunft.Trotz des selbst auferlegten Zieles der Haushaltspoli-tiker der Koalition, schon im Haushalt 2010 den Spar-kurs einzuleiten und ein deutliches Signal für den Kon-solidierungskurs der nächsten Jahre zu setzen, haben wirentschieden, keine Sparmaßnahmen zulasten von Inves-titionen insbesondere im Infrastrukturbereich zu täti-gen. Mit den Ansätzen im Einzelplan 12 in Verbindungmit den noch zur Verfügung stehenden Mitteln aus demKonjunkturprogramm wollen wir die Investitionen in die
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Bartholomäus Kalb
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Bundesverkehrswege, also Schiene, Straße, Wasser-straße, auf hohem Niveau fortsetzen.Ich weiß, dass die Erwartungen und Forderungen ausdem einen oder anderen Bereich sogar noch weit überdie Möglichkeiten des Bundeshaushaltes hinausgehen.Deswegen wird es notwendig sein, alle Möglichkeiten,die uns zur Finanzierung von Verkehrsinfrastruktur zurVerfügung stehen, optimal zu nutzen. Wir erwarten des-halb auch, dass nach Abschluss des Maut-Schiedsver-fahrens die dem Bund zustehenden bzw. zufließendenMittel zusätzlich für die Verkehrsinfrastruktur bereitge-stellt werden. Wir wissen, wie schwierig das Verfahrenim Moment ist und dass es von der gegnerischen Seiteoffensichtlich in die Länge gezogen wird.Wir haben nach langen und intensiven Beratungen da-für Sorge getragen, dass die Transrapidversuchsanlageim Emsland nicht am 30. April dieses Jahres den Betriebeinstellt und stillgelegt werden muss. Wir wollen damitsicherstellen, dass noch erforderliche Tests und Zertifi-zierungen durchgeführt werden können, um damit einerin Deutschland mit 1,3 Milliarden Euro Forschungsgel-dern entwickelten Technologie Vermarktungschancen zueröffnen.Wir haben uns diese Beratungen und die Ent-scheidungen darüber wirklich nicht leichtgemacht.Es ist für mich sowieso unbegreiflich – ich sage dasmit Ironie –, dass wir Deutsche es immer wieder fertig-bringen, mit viel Forschungsaufwand neue Produkteund Technologien zu entwickeln, uns dann aber der Mutverlässt und wir die Markteinführung, die Anwendungund den Nutzen daraus anderen überlassen. Das giltnicht nur für die Magnetschwebebahntechnologie, son-dern gleichermaßen für viele Bereiche der Luft- undRaumfahrt, der Elektronik, der Datenkommunikation,der Energie, der Kernenergie, der Kernfusion und derBio- und Gentechnologie.Früher führte das Ministerium für Verkehr, Bau undStadtentwicklung auch den Begriff Raumordnung inseiner Bezeichnung. Damit war deutlich umschrieben,dass der Bundesminister für Verkehr und Bau eben nichtnur für diese Bereiche und den Bereich der Stadtent-wicklung zuständig ist, sondern für die gute Entwick-lung des ganzen Landes Verantwortung trägt. Früher gabes heftige Diskussionen, ob man bei Investitionen in dieInfrastruktur mehr dem Bedarfsdeckungsprinzip oderdem Erschließungsprinzip folgen sollte. Heute kann manfeststellen – ich sage das auch mit Blick auf die neuenBundesländer; denn ich komme selbst aus einem ehe-mals strukturschwachen Gebiet –, dass die Bereitstel-lung einer guten Infrastruktur die Voraussetzung für einegute Entwicklung auch dünner besiedelter Regionen, derländlichen Räume und der peripheren Gebiete ist.
Neben der Verkehrsinfrastruktur gewinnt auch dieVerfügbarkeit hochleistungsfähiger Datenkommunika-tionsnetze eine immer größere Bedeutung; wir habenuns vorhin, bei den Beratungen zum Wirtschaftsetat,darüber ausgetauscht. Ich mache keinen Hehl daraus,dass die bisherigen Entscheidungen der Bundesnetza-gentur nach meiner Ansicht dem Ziel einer flächende-ckenden Versorgung mit einem hochleistungsfähigenDSL-Netz zuwiderlaufen.Ich wäre dem Bundesminister sehr dankbar, wenn ersich in der Bundesregierung, gerade im Interesse derländlichen Räume – er hat seine Verantwortung für dieländlichen Räume besonders hervorgehoben – und derRandregionen unserer Republik, dafür einsetzen könnte,dass hier die erforderlichen Entscheidungen herbeige-führt werden. Wir können einer Abwanderung aus die-sen Räumen und ihrer Entleerung nur durch die Bereit-stellung dieser Infrastruktur entgegenwirken. Wenn wirdas nicht hinkriegen, werden gerade die qualifiziertenMenschen gezwungen sein, aus technischen Gründen dienicht versorgten Gemeinden zu verlassen und in Sied-lungsschwerpunkte abzuwandern. Das würde die Pro-bleme, die sich für diese Regionen aufgrund der demo-grafischen Entwicklung ohnehin ergeben, dramatischverschärfen. Dem Ziel folgend, ländliche Regionen zustärken, haben wir den Wunsch des Ministers aufgegrif-fen und ein Programm zur Förderung von kleinerenStädten und Gemeinden – Kollegin Raab hat sich in derersten Lesung in besonderer Weise dafür ausgespro-chen – in die Tat umgesetzt, das wir neu in den Haushaltaufgenommen haben.Die Maßnahmen im Bereich der Städtebauförde-rung und des CO2-Minderungsprogrammes sind indiesem Haushalt von besonderer Bedeutung. Durch Um-schichtungen bzw. durch das Vorziehen von Verpflich-tungsermächtigungen konnten wir sicherstellen, dass dasCO2-Minderungsprogramm der KfW auch in diesemJahr mit einem großen Bewilligungsrahmen ausgestattetist. Es gibt keinen Zweifel, dass dieses Programm einenwichtigen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzzieleleistet und auch konjunkturell sehr positive Wirkungenentfaltet, insbesondere für die Bereiche des Handwerkssowie des Bau- und Baunebengewerbes.Lieber Kollege Barthle, wir Haushälter dürfen ande-rerseits die Vorbelastungen künftiger Haushalte nicht ausden Augen verlieren.
Die Lösung, die wir hier gefunden haben, scheint mirvertretbar zu sein. Ich danke den Kolleginnen und Kolle-gen der Koalitionsfraktionen, dass sie in dieser Fragedem Vorschlag, den Frau Kollegin Dr. Winterstein undich der Arbeitsgruppe vorgelegt haben, gefolgt sind. Ichsage dazu: Hätte uns etwas veranlassen können, dieseMaßnahmen nicht zu ergreifen, dann wären es die unge-heuer vielen Mails gewesen, die uns zu diesem Thema er-reicht haben. Mir schreibt jemand – ich nenne den Namenbewusst nicht, sonst fühlt er sich auch noch geehrt –, dassmich nach seiner Zählung 19 335 E-Mails zum CO2-Minderungsprogramm hätten erreichen müssen. Wermich und meine Mentalität kennt, der weiß, dass ich beisolchen Versuchen, Druck auszuüben, eher auf sturschalte und gar nicht mehr will. Wir haben uns der Sacheverpflichtet gefühlt und Vorschläge unterbreitet. Wirkonnten diese in der Koalition vereinbaren.
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Bartholomäus Kalb
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Zu Ihnen, Herr Kollege Kahrs, will ich eines sagen:Die VIFG stellt bis jetzt keinen Schattenhaushalt dar.
Was wir tun müssen, haben wir in der Koalition verein-bart. Entweder müssen wir die VIFG zum Laufen brin-gen, sodass sie Effizienzreserven heben kann, oder wirmüssen eine andere Entscheidung treffen.Auch beim kombinierten Verkehr haben wir nichtmehr und nicht weniger getan, als die Mittel so umzu-schichten, dass sie in anderen Bereichen verfügbar sind,weil gerade das Jahr 2009 gezeigt hat, dass die Mittelaus diesen Bereichen nicht abgeflossen sind.
– Weil es die konjunkturelle Situation nicht hergegebenhat, dass die privaten Investoren die Mittel hätten abru-fen können. Das ist der Sachverhalt. Wenn sich dieDinge im nächsten Jahr bei den Haushaltsberatungenwieder anders darstellen, dann werden wir alles daran-setzen, dass die erforderlichen Mittel für den kombinier-ten Verkehr wieder bereitgestellt werden können.
Ich danke Ihnen sehr.
Das Wort hat der Kollege Roland Claus von der Frak-
tion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir redenüber den Etat mit dem größten Einfluss auf Investitionenund Infrastruktur, und ich füge hinzu: nicht nur auf derEbene des Bundes. Es gibt keinen einzigen Bundestags-wahlkreis, der nicht in der einen oder anderen Weise mitdiesem Etat verbunden wäre. Das war der Grund, warumdie Fraktion Die Linke diesem Etat gerne zugestimmthätte. Wir haben viele Vorschläge gemacht, aber wir sinddaran gescheitert, dass Sie in der Koalition die falschenSignale setzen. Deshalb werden Sie heute unsere Zu-stimmung nicht bekommen.Die Linke steht für eine Verkehrs-, Bau- und Stadtent-wicklungspolitik, die stets von sozialer Verantwortungund demokratischer Teilhabe aller an den Gütern der öf-fentlichen Daseinsvorsorge ausgeht. Kurz gesagt: Wasalle brauchen, muss öffentlich zugänglich sein. Mobilitätund urbanes Leben müssen bezahlbar sein. Einem sol-chen Maßstab entspricht der uns vorliegende Plan jedochnicht.Ich will das an wenigen Beispielen kenntlich machen.Herr Bundesminister Ramsauer, Sie werden nicht müde,der Öffentlichkeit zu erklären, dass Sie das Verkehrs-wachstum bewältigen wollen. In Ihrem ganzen Denken– wir haben das den Beiträgen der Koalition entnommen –gehen Sie offenbar davon aus, dass ein solches Wachs-tum ungebrochen hingenommen und irgendwie bewäl-tigt werden soll. Verkehrsvermeidung wäre die Lösung.Verkehrswachstum ist das Problem. Lassen Sie sich dasgesagt sein.
Es ist völlig undenkbar, sich die Zukunft des interna-tionalen Welthandels weiterhin als eine Expansion desGüterverkehrs vorzustellen. Wir brauchen neue interna-tionale Regeln des Welthandels, in denen festgelegtwird, wie wir vom Güterhandel weg hin zu einem Han-del mit Know-how und Brain kommen können und wiewir die Bedingungen dafür schaffen.Stichwort Deutsche Bahn. Trotz einiger lautstarkerund launiger Bekundungen gegen schnelle Privatisierun-gen haben Sie nicht die Courage aufgebracht, den Mehr-heitsbeschluss des Bundestages aus dem Jahre 2008, derder Regierung die Möglichkeit eröffnet, die Bahn teilzu-privatisieren, aufzuheben. Mit einem Antrag im Aus-schuss haben wir von der Linken Ihnen einen solchenWeg geebnet. Sie hätten die Möglichkeit gehabt, diesenWeg zu gehen. Es hilft uns nichts, Herr Minister, wenn Siesich in Ihrer schönen Heimat gegen den – so wörtlich –Privatisierungswahn aussprechen, aber keine prakti-schen Schritte erfolgen. Es wäre an der Zeit, die Lehrenaus einer verfehlten Bundes- und Bahnpolitik zu ziehenund zu sagen: Die Bahn soll in staatlicher Hand bleiben.Das ist zumindest unsere Position.
Währenddessen hätschelt die Bahn ihre Prestigepro-jekte mithilfe des Bundes weiter, und zwar zulasten flä-chendeckender Bahnverbindungen. Ich will gar nichtüber die Berliner S-Bahn reden, aber schon sagen, dasswir eine Reihe von Lehren daraus zu ziehen haben. Zu-gleich ist es inzwischen so, dass viele ostdeutsche Groß-städte vom Schnellverkehr, vom Intercityverkehr fak-tisch abgeschnitten sind.Ich will Ihnen noch ein Beispiel aus dem BereichBahn nennen: Es gibt eine Vielzahl kleinerer Bahnsiche-rungsunternehmen. Das sind Firmen, die auf Baustel-len der Bahn die Sicherungen vornehmen. Wenn wirBahn fahren, sehen wir das alles. Inzwischen ist die Situ-ation so, dass es im Großraum München solche Siche-rungsfirmen faktisch nicht mehr gibt, diese aber aus Re-gionen wie Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern oderaus Brandenburg bis München fahren, um dort für einDrittel des in München üblichen Lohnes diese Aufgabezu erfüllen. Ich nenne das volkswirtschaftlich und be-triebswirtschaftlich absurd. Das ist das Ergebnis IhrerPolitik. Das müssen Sie sich hier von uns so sagen las-sen.
Wir finden es auch nicht in Ordnung, dass Sie dieFlüsse im Osten offenbar auf Westniveau betonierenwollen. Nach einer Reihe von Naturereignissen mussman auch einmal die Frage stellen: Haben Sie denn garnichts dazugelernt? Nun weiß ich natürlich, dass manmir da immer Vorwürfe machen kann, aber ich will den-noch sagen: In der DDR haben wir einige ökologischeSünden nicht begangen, weil wir ökonomisch nicht dazu
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Roland Claus
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in der Lage waren. Das muss faktisch aber nicht bedeu-ten, dass man jetzt, wo man ökonomisch dazu in derLage ist, ökologischen Unsinn betreibt und die Flüsse ineiner Weise zu betonieren versucht, wie das derzeit ge-schieht.
Ich sage deshalb: Der Saale-Ausbau für zig MillionenEuro ist Unsinn. Es gäbe Alternativen. Sie liegen aufdem Tisch und werden angeboten. Die Schubbootver-bände wären eine solche Option. Sie sind nicht in derLage, auf diese Dinge einzugehen. Deshalb muss manIhnen immer wieder die alte Erkenntnis ins Stammbuchschreiben: Es ist richtig, die Schiffe den Flüssen anzu-passen und nicht die Flüsse den Schiffen.
Das würde aber bedeuten, in der Tat einmal etwas vomOsten zu lernen.Ich habe mich gefreut, dass mein Vorredner dasMaut-Schiedsverfahren angesprochen hat. Ich merkeeine gewisse Hoffnung, dass große deutsche Firmen, diedem Steuerzahler ganz offenkundig noch eine MengeGeld schulden, demnächst vielleicht doch noch zurKasse gebeten werden. Mein Vorschlag ist immer: So-lange dieses Schiedsverfahren noch läuft, dürfen wirnicht die gleichen Firmen subventionieren, was wir überden Bundeshaushalt aber tun. Ich verspreche Ihnen:Wenn wir dieses Verfahren anwenden würden, wäre dasSchiedsverfahren sehr viel schneller zu Ende.
Die Linke wird den Finanzplan des Bundesministersbesonders sorgfältig im Auge behalten. Es geht um einengroßen Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge. Be-reits in wenigen Monaten reden wir über den Haushaltvon 2011. Das ist eine Chance für die Koalition und dasMinisterium, ihre heutigen Fehler zu korrigieren. Ichsage das nicht leichtfertig daher. Ich bin voller Hoffnung,weil ich das Verfahren kenne. Hier im Plenarsaal lehnenSie Anträge der Opposition ab, um sie im Gesetzgebungs-verfahren wieder aufzugreifen. Deshalb hoffe ich, dasswir bei der Beratung für den Haushaltsplan 2011 einStück weiter sind.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Claudia Winter-
stein von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zunächst einmal können wir positiv festhalten:
Im Einzelplan 12 ist der Koalition eine gute Kombina-
tion aus wichtigen Wachstumsimpulsen und nötigen
Sparmaßnahmen gelungen.
Wir haben es geschafft, die Investitionen in die Ver-
kehrswege auf einem hohen Niveau zu halten. Fast
15 Milliarden Euro können wir 2010 ebenso in den Aus-
und Neubau unserer Schienen, Straßen und Wasserwege
investieren wie in die Entwicklung unserer Städte und in
Zukunftstechnologien. Wir schaffen damit wichtige Im-
pulse zur Überwindung der Wirtschaftskrise und stärken
Mobilität und Wachstum in Deutschland. Auf der ande-
ren Seite konnten wir durch maßvolles Einsparen ein
erstes Zeichen für die notwendigen Konsolidierungs-
maßnahmen der nächsten Jahre setzen; denn die Schul-
denbremse fordert eine deutliche Rückführung der Neu-
verschuldung bis zum Jahr 2016. Das wissen wir alle.
Deswegen brauchen wir Impulse für mehr Wachstum.
Wir leisten einen wichtigen Impuls zur Stützung des
Aufschwungs, indem wir in diesem Jahr 400 Millionen
Euro mehr für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm
zur Verfügung stellen. Damit stehen für 2010 insgesamt
1,5 Milliarden Euro für die Förderung der energetischen
Sanierung zur Verfügung. Wir leisten damit einen wich-
tigen Beitrag für Energieeinsparung und Klimaschutz im
Gebäudebereich.
Herr Kahrs – es wäre nett, wenn Sie mir ganz kurz zu-
hören würden –, ich verstehe ja, dass Sie sich noch nicht
so gut auskennen, weil Sie im Verkehrsbereich neu sind.
Ansonsten müsste Ihnen, wenn Sie kritisieren, dass wir
für dieses Jahr eine Summe aus dem Haushalt 2011 vor-
gezogen haben, klar sein, dass Ihre Fraktion genau das
im Jahr zuvor in der alten Legislaturperiode gemacht
hat. Sonst hätten wir in diesem Jahr sowieso 1,5 Milliar-
den Euro gehabt. Genau aus diesem Grund sind wir in
diesem Jahr gezwungen, aus dem Jahr 2011 etwas in das
Jahr 2010 vorzuziehen. Daher haben wir in diesem Jahr
überhaupt 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Im nächs-
ten Jahr werden es etwa 900 Millionen Euro sein. Wir
werden dann sehen, wie viele Anträge vorliegen und in-
wieweit es notwendig sein wird, im nächsten Jahr noch
einmal zu handeln. Es war dieses Jahr wichtig, um den
Wachstumsschub zu nutzen, um möglich zu machen,
dass hier Investitionen getätigt werden.
Frau Kollegin Winterstein, erlauben Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Kahrs?
Ja, bitte.
Bitte, Herr Kahrs.
Frau Kollegin, Sie haben am Anfang gesagt, dass Sie400 Millionen Euro draufgetan haben.
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Vorgezogen.
So eng wollen wir das alles nicht sehen; Ihre Formu-
lierung war eine andere. Wichtig ist die Feststellung: Im
letzten Jahr hatten wir 1,5 Milliarden Euro und sind auf
über 2 Milliarden Euro gekommen, weil der Bedarf so
war. Dass der Bedarf weiter ansteigt, wissen Sie und
weiß ich; das ist bekannt.
Das weiß keiner.
So sind jedenfalls die Prognosen. Das heißt, dass wir
für dieses Jahr mit einem Bedarf von über 2 Milliarden
Euro rechnen können. Jetzt sind Sie mit Ihren 400 Mil-
lionen Euro, die Sie aus 2011 genommen haben, wieder
knapp an 1,5 Milliarden Euro gekommen. Wie Sie auf
die 2,1 oder 2,2 Milliarden Euro, die gebraucht werden,
auffüllen, wissen Sie bis heute nicht. Das heißt, spätes-
tens ab September oder Oktober ist sowieso Schluss. Im
nächsten Jahr – das haben Sie eben selber gesagt – haben
Sie noch maximal 900 Millionen Euro. Wie Sie das bei
knapper werdendem Geld bewältigen wollen, wissen Sie
nicht. So sieht Perspektivlosigkeit aus und nicht die Ab-
sicherung eines gut laufenden Programms. Das ist die
Tragik, oder sehen Sie das anders?
Selbstverständlich sehe ich das anders. Ich habe vor-
hin gesagt, dass wir in diesem Jahr 1,5 Milliarden Euro
zur Verfügung stellen und dass wir diese Mittel aus dem
Jahr 2011 in das Jahr 2010 vorziehen.
Wir wissen, dass zurzeit viele Anträge vorliegen. Darauf
reagieren wir. Wir wissen nicht, wie sich das in Zukunft
entwickeln wird. Wir warten erst einmal ab.
Mit den 1,5 Milliarden Euro in diesem Jahr sind wir in
der Lage, alle Anträge, die uns vorliegen, zu erfüllen
und die Menschen dazu zu bringen, dass sie in diesem
Jahr Investitionen tätigen. Wie viele Anträge dazukom-
men werden, wissen weder Sie noch weiß ich das. Das
wird sich im Laufe dieses Jahres oder zu Beginn des
nächsten Jahres zeigen. Wichtig ist, dass wir für das Jahr
2011 noch knapp 900 Millionen Euro zur Verfügung ha-
ben. Ich denke, das ist eine gute Summe, mit der man im
Jahr 2011 erst einmal arbeiten kann.
Kollege Kahrs hat noch eine Nachfrage; aber danach
sollte er bitte keine mehr stellen.
– Dann lasse ich keine Zwischenfragen mehr zu. – Bitte
schön, Herr Kahrs.
Sie haben eben dankenswerterweise gesagt, dass Sie
vorhaben, alle Anträge zu erfüllen, die in diesem Jahr
gestellt werden. Das begrüße ich natürlich, weil es ein
gutes rot-grünes Programm ist. Wenn Sie das fortführen
wollen, ist das schön. Wir hatten im letzten Jahr Anträge
mit einem Volumen von circa 2,1 Milliarden Euro. Alle
Anzeichen deuten darauf hin, dass wir in diesem Jahr
wieder über 2 Milliarden Euro benötigen werden. Eben
haben Sie gesagt, dass Sie maximal 1,5 Milliarden Euro
für das Programm zur Verfügung haben. Wo wollen Sie
die 600 oder 700 Millionen Euro hernehmen, für die Sie
keine Vorsorge getroffen haben?
Wir haben im Moment noch nicht mehr Anträge vor-liegen. Wir haben Anträge für genau diese Summe vorlie-gen. Sie haben vorhin den kombinierten Verkehr ange-sprochen und gesagt, wir hätten da gekürzt, das sei eineganz große Unverschämtheit.
Wenn Sie dieses Beispiel nennen, kann ich nur einesdazu sagen: Im letzten Jahr sind lediglich 35 Millio-nen Euro abgerufen worden,
obwohl mehr Geld zur Verfügung stand.
In diesem Jahr stehen 54 Millionen Euro zur Verfügung,also weitaus mehr als im letzten Jahr. Insofern sage ich:Warten wir auch hier erst einmal ab. Vielleicht werdenauch in diesem Jahr nur 35 Millionen Euro abgerufen,obwohl wir 54 Millionen Euro zur Verfügung gestellthaben.
Wir müssen abwarten, welche Entwicklung sich zeigt.Das können wir nicht von vornherein festlegen.
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Dr. Claudia Winterstein
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– Da Sie sich hingesetzt haben, muss ich jetzt mit meinerRede weitermachen.
Ich möchte die Wichtigkeit des Gebäudesanierungs-programms deutlich machen. Da Sie gesagt haben, essei ein rot-grünes Projekt, stelle ich fest: Wir führen esweiter, weil wir es für sinnvoll halten.
Bisher sind durch das Programm etwa 550 000 Wohnun-gen saniert bzw. energieeffizient gebaut worden – dasfinden wir gut –, es wurden Investitionen in Höhe von20 Milliarden Euro auf den Weg gebracht, und es wur-den 250 000 Arbeitsplätze geschaffen. Es ist ein wunder-bares Programm. Insofern freuen wir uns, dass wir dafür1,5 Milliarden Euro zur Verfügung haben.Weil Sie es so dargestellt haben, als hätten wir nur ge-kürzt, will ich deutlich machen: Auch in anderen Berei-chen haben wir etwas getan. Bei der Stadtentwicklungzum Beispiel haben wir 20 Millionen Euro zusätzlichzur Verfügung gestellt.
Auch für den ländlichen Bereich haben wir 20 Mil-lionen Euro zur Verfügung gestellt. Gegen die geplanteHalbierung der Zuschüsse im Hinblick auf den Finanz-beitrag an die Seeschifffahrt haben wir uns gewehrt.
Wir haben diese Kürzung nicht mitgetragen und auchdiese 57 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.Es ist also nicht so, dass wir eine Kürzung nach deranderen vollziehen. Vielmehr haben wir genau das ge-tan, was ich zu Beginn dargelegt habe: Wir haben dafürSorge getragen, dass Wachstumsimpulse gegeben wer-den. Dort, wo es sich angeboten hat, haben wir Kürzun-gen vorgenommen.
– Beim kombinierten Verkehr stehen jetzt statt 35 Mil-lionen Euro 54 Millionen Euro zur Verfügung, um daseinmal deutlich zu sagen.
– Es waren im Soll 110 Millionen Euro. Ich kenne dieZahlen; denn ich bin Haushälterin.
Insofern ist festzustellen, dass wir in diesem Jahr mehrGeld zur Verfügung haben, als im letzten Jahr verbrauchtworden ist. Das ist eine Tatsache.
Jetzt würde ich gerne fortfahren, statt immer auf IhreZwischenrufe zu reagieren.
Ich will auf das Programm „Aktive Stadt- und Ortsteil-zentren“ zu sprechen kommen. Ich habe bereits gesagt:Hier haben wir die Mittel um 20 Millionen Euro aufge-stockt; insgesamt stehen jetzt 95 Millionen Euro zur Ver-fügung. Diese Mittel können von den Städten und Ge-meinden genutzt werden. Ich denke, das ist sinnvoll.Ich möchte auf ein weiteres Thema zu sprechen kom-men. In den Haushaltsplanberatungen gab es auch Dis-kussionen über die Zukunft der Magnetschwebetechnikund die Weiterführung der Transrapidversuchsstreckeim Emsland. Wir bedauern sehr, dass es trotz so vielerJahre der Forschung und Entwicklung nicht zu einemEinsatz des Transrapids in Deutschland gekommen ist.Wir haben die Finanzierung der Teststrecke noch einmal,und zwar bis zum Jahresende, verlängert, um die Chanceneiner Vermarktung zu wahren, da es gewisse Interessen-ten gibt. Brasilien zum Beispiel arbeitet zurzeit an einerAusschreibung. Diese Chance wollen wir wahrnehmen.Denn im Erfolgsfall würde das bedeuten, dass wir eineeinmalige Einnahme in Höhe von 100 Millionen Euro er-halten. Das würde dem Bundeshaushalt natürlich sehrguttun.In dieser Beziehung kann ich nur eines sagen: HerrMinister Ramsauer, ich setze alle meine Hoffnungen aufSie, dass die Verhandlungen mit Brasilien ein Erfolgwerden, sodass wir dann sagen können: Es hat sich ge-lohnt, die Finanzierung der Teststrecke noch einmal umein Jahr zu verlängern. Allerdings müssen wir uns auchüberlegen: Was wird aus dieser Teststrecke? Ich erwarte,dass Sie uns ein klares Konzept vorlegen, was mit dieserVersuchsstrecke geschehen soll.
Es gibt sicher auch andere Gebiete, zum Beispiel denBereich der Elektromobilität, wo es sich lohnt, die For-schung fortzusetzen. Ich setze auf Sie, dass Sie entspre-chende Konzepte entwickeln.Wir Haushaltspolitiker haben uns das Ziel gesetzt, dieNeuverschuldung zurückzuführen. Insofern müssen wirnatürlich auch überlegen, wo es Einsparmöglichkeitengibt. Wir haben im Koalitionsvertrag verankert, dass dieVerkehrsinvestitionen unabhängiger von den Schwan-kungen des Bundeshaushaltes getätigt werden sollen;das gilt sowohl für die Straße als auch für die Schiene.Zum Thema Straße. Wir wollen – das haben Sie rich-tig gesagt – erreichen, dass die Einnahmen aus der Lkw-Maut vollständig in die Straße investiert werden.
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2668 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Dr. Claudia Winterstein
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Zudem soll die Verkehrsinfrastrukturgesellschaft kre-ditfähig werden,
damit sie bei der Ausfinanzierung von Autobahnprojek-ten mehr Spielraum erhält.
Ein Wort noch zur Bahn. Es ist eine Tatsache, dassfür den Ausbau wichtiger Strecken nicht genügend Mit-tel im Haushalt vorhanden sind.
Wir reden über eine Summe von etwa 500 MillionenEuro. Es ist auch eine Tatsache, dass diese Unterfinan-zierung eine Erblast aus elf Jahren SPD-Führung im Ver-kehrsministerium ist.
Frau Kollegin Winterstein, bedenken Sie die Zeit!
Ja. – Exminister Tiefensee hat internationale Zusagen
gegeben, ohne die Ausfinanzierung zu überdenken.
Die neue Regierung muss jetzt mit dieser Situation zu-
rechtkommen. Forderungen nach mehr Steuergeldern
verbieten sich. Insofern gehen wir davon aus, dass die
DB Netz AG, die für die Nutzung ihrer Trassen von an-
deren Unternehmen Gebühren erhebt und diese Gelder
bisher an den Mutterkonzern abgeführt hat – –
Frau Winterstein, bitte!
Ja, ich komme gleich zum Schluss.
Nein, nicht gleich – sofort bitte!
Sie sind beinahe zwei Minuten drüber.
Ich weiß.
Ich hätte ganz gern eine weitere Minute gesprochen;
aber der Präsident ist sehr streng.
Vielleicht hätte mir Herr Döring sonst noch die eine oder
andere Minute geschenkt, wie es sonst Usus ist. Ich wün-
sche uns allen, dass wir hier zu guten Lösungen kom-
men. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich daran kon-
struktiv beteiligen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Stephan Kühn von Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Eine Bemerkung vorab: Wer sich das An-tragsvolumen beim CO2-Gebäudesanierungsprogrammim ersten Quartal anschaut und rechnen kann, weiß ge-nau, dass wir mit den Mitteln, die im Haushalt einge-stellt sind, bis zum viertel Quartal nicht hinkommenwerden.
Herr Minister Ramsauer, ich habe am Wochenende inder taz ein interessantes Interview gelesen. Sie wurdenzitiert mit den Worten:Auch die Grünen werden mich nicht davon abhal-ten, die Attraktivität der Schiene zu erhöhen.Ich glaube, ich bin im falschen Film. Sie stehen sichdoch selber im Weg, haben kein Konzept, es bleibt beiAnkündigungen.Damit kommen wir zu dem Thema, um das es geradeschon ging: kombinierter Verkehr. Im Ausschuss ha-ben Sie gesagt, Sie seien überzeugter Verfechter deskombinierten Verkehrs. Keine zwei Stunden hat es ge-dauert, da wurden – der Kollege Kahrs hat es angespro-chen – über 50 Prozent der Mittel zusammengestrichen.Jetzt wird argumentiert, die Gelder seien 2009 nicht ab-gerufen worden. Warum das 2009 so war, kann sich an-gesichts der konjunkturellen Situation jeder denken.
Aber ausgerechnet jetzt, wo wir eine konjunkturelle Er-holung haben, wo es ein Potenzial für neue Arbeitsplätzeund neue Investitionen gibt, den Ausbau des kombinier-ten Verkehrs auszubremsen, das ist verkehrspolitischund wirtschaftspolitisch der falsche Weg.
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Stephan Kühn
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Stattdessen stecken Sie Geld in den Weiterbetrieb desTransrapids – in der naiven Annahme, dieses Jahr wür-den die Brasilianer kaufen. Ich denke, es wird eher sosein, dass den Zug die Chinesen bauen und sie ihn denBrasilianern verkaufen.Dazu experimentieren Sie mit den sogenannten Long-linern herum. Herr Minister, sieht so Ihre Strategie aus,mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verla-gern? Ich glaube, Sie sind uns die Antwort schuldig ge-blieben.Wir brauchen mehr Investitionen in den kombiniertenVerkehr, auf dem Niveau, wie es im Haushaltsentwurfursprünglich stand. Wir brauchen mehr Geld für die Re-aktivierung von Gleisanschlüssen für den Güterverkehr,mehr Investitionen in die Schiene insgesamt, insbeson-dere für nichtbundeseigene Bahnen. Im Moment ist esso, dass notwendige Investitionen in Schienenwege ent-weder verschoben zu werden drohen oder ihre Realisie-rung ganz offen ist.Wir Grünen haben zum Abarbeitungsstand der Kon-junkturprogramme eine Kleine Anfrage gestellt. In derAntwort ist noch einmal deutlich geworden, dass dieGelder, wenn sie nicht verfallen sollen, bis Ende 2010abgerufen sein müssen. Schaut man sich die Liste derProjekte an, muss man feststellen: Die Straßenprojektesind alle schön im Bau, während von den Schienenpro-jekten viele noch in Planung sind, noch kein Baurechthaben. Ich möchte eine Strecke nennen, die für den Gü-terverkehr wichtig ist: die Verbindung Horka–Hoyers-werda–Polen. Wichtige Investitionen im Güterverkehrstehen also auf der Kippe. Ein anderes Beispiel ist dieElektrifizierung der Stecke von Reichenbach nach Hof.Wir haben eine Liste der Deutschen Bahn, die Sie allein der Zeitung sicherlich schon nachvollziehen konnten,in der 47 Projekte benannt sind, die bei Fortschreibungdes derzeitigen Ausbau- und Neubauetats von 1,2 Milliar-den Euro – ohne die Konjunkturpaketmittel – bis 2025nicht realisiert werden können, wenn wir nicht 500 bis600 Millionen Euro pro Jahr mehr investieren. 2025:Das sind zehn Jahre, nachdem das gemäß dem Bundesver-kehrswegeplan eigentlich hätte realisiert werden sollen.Herr Minister, Sie sind uns in den Haushaltsberatungenbisher völlig schuldig geblieben, wo diese 600 MillionenEuro, die mehr gebraucht werden, nach Ablauf der Kon-junkturpakete herkommen sollen.
Während die Straßenbauinvestitionen sozusagen introckenen Tüchern sind, bestens ausgestattet sind, ist dasbei der Schiene nicht der Fall. Hier ist Deutschland euro-paweit Schlusslicht. Wir geben 47 Euro pro Kopf für dieSchiene aus. In Italien sind es 60 Euro, in Frankreichsind es 80 Euro, in Großbritannien, das lange Zeit keinEisenbahnland gewesen ist, sind es 136 Euro, und in derSchweiz – sicherlich das Vorbild – sind es 284 Euro proEinwohner. Deutschland ist europaweit Schlusslicht.Angesichts dessen, dass 32 Prozent der CO2-Emissio-nen in Europa im Transportbereich verursacht werden– mit wachsender Tendenz –, frage ich mich, wie Sie dieKlimaschutzziele, die die Bundesregierung insbesonderefür den Bereich Verkehr ausgeschrieben hat, erfüllenwollen, wenn Sie nicht mehr in die Schiene investierenund die Mittel entsprechend effektiv einsetzen. KeinKonzept!
Notwendig wäre, dass wir auf Prestigeprojekte ver-zichten, dass wir Höchstbetragsvereinbarungen für Pro-jekte abschließen und dass wir vor allen Dingen einenintegrierten Planungsansatz wählen, ein Gesamtkonzeptfür Fahrplan und Infrastruktur, das, was wir Deutsch-landtakt nennen. Wir müssen nahtlose Reiseketten,Zughäufigkeiten und Qualität definieren und dannbauen. Jetzt wird erst gebaut, und danach werden Linienund Fahrpläne festgelegt. Dann wundern wir uns auchnoch, dass es mit den Anschlüssen und den Zielsetzun-gen in Bezug auf die Qualität hinten und vorne nichtfunktioniert!Herr Minister, bei Ihnen hat die Straße weiterhin Prio-rität. Sie haben gesagt: Wir bauen keine Straßen mehr,wenn das volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Verhält-nis nicht mindestens vier beträgt. Das haben Sie gegenü-ber der Financial Times Deutschland geäußert. Bei40 Prozent aller Maßnahmen gemäß dem Bundesver-kehrswegeplan erreichen Sie diese Zielstellung nicht.Wir bauen weiterhin Autobahnanbindungen in Regio-nen, in denen sich die Einwohnerzahl in den nächsten30 Jahren halbieren wird, und wir bauen Bundesstraßenin Regionen, wo sich sozusagen heute schon Hase undIgel Gute Nacht sagen. Das ist die Realität
in vielen Teilen, beispielsweise im Osten der Republik.In Bezug auf die Verkehrsinfrastrukturfinanzie-rungsgesellschaft ist schon einiges gesagt worden. Un-abhängig davon, dass Sie aus haushalterischer SichtSchattenhaushalte produzieren: Sie sichern damit die In-vestitionslinie für die Straße, und die Schiene und alleanderen Verkehrsträger werden je nach Haushaltslagebedient. Angesichts dessen, was wir im Bereich derSchuldenbremse tun müssen, wird das kein Vergnügenwerden.Ein anderes Thema ist ÖPP. Alle Präsidenten derLandesrechnungshöfe sagen: Hier werden die Finanzie-rungslasten in die Zukunft verschoben. Wenn die Inves-titionslast in Bezug auf die Instandhaltung nach 30 Jah-ren besonders groß ist, laufen diese ÖPP-Verträge aus.Dann ist es wieder die Aufgabe der öffentlichen Hand,für die Instandhaltung zu sorgen.Herr Minister, Sie haben zwar eine UnterabteilungKlima- und Umweltschutzpolitik im Ministerium einbe-rufen, aber leider haben Sie vergessen, ein Konzept fürmehr Klimaschutz im Verkehrsbereich aufzulegen. Siebleiben weiterhin ein Ankündigungsminister, wenn esdarum geht, mehr in die Schiene zu investieren.
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2670 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Stephan Kühn
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Herr Kollege Kühn, ich gratuliere Ihnen im Namendes ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im DeutschenBundestag.
Jetzt hat der Bundesminister Dr. Peter Ramsauer dasWort.Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung:Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich leide aufgrund der kurzen Redezeit unterdemselben Zeitmangel, unter dem alle Bundesministerwährend der Etatberatung leiden. Ich weise darauf hin– vielen Dank für das Nicken, lieber Herr Kahrs –, damithinterher nicht die Vorhaltungen kommen: Dazu habenSie nichts gesagt, zu diesem haben Sie nichts gesagt undzu jenem auch nichts. Wir als Minister können nichtmehr tun, als diese neun, zehn oder elf Minuten so gut esgeht zu nutzen.Lieber Herr Kollege Kahrs, Ihnen kann man imGrunde genommen ganz gut zuhören. Wenn man mit Ih-nen unter vier Augen spricht, sind viele Dinge wirklichklar, und man freut sich. Wenn Sie dann aber hier reden,sieht die Welt ganz anders aus.
Dann sind Sie wie ausgetauscht. Ihre eben gehalteneRede kam mir vor, als würden Sie ein Grußwort beiVerdi in Cuxhaven halten.
– Ja. Genau so kam mir das eben vor.Ich danke Ihnen auch dafür, dass Sie die deutscheWissensgesellschaft heute Nachmittag mit einem gran-diosen Satz bereichert haben, der da lautete: Der jetztvorliegende Haushalt ist ein anderer als derjenige, derbei der ersten Lesung vorlag. Das ist ein großartigerSatz. Ich kann nur sagen: Klar ist das ein anderer. Gottsei Dank ist das ein anderer. In der ersten Lesung hattenwir nämlich aus Zeitgründen in etwa den Entwurf vorge-legt, den wir von der Vorgängerregierung, der GroßenKoalition, übernommen hatten,
und zwar von einem SPD-Finanzminister, im Falle desEinzelplans 12 von einem SPD-Bundesverkehrs- und-bauminister. Wir waren es uns als christlich-liberaleKoalition aber schuldig,
diesen Entwurf zum Besseren zu verändern. Genau dashaben wir auch getan.
Lieber Herr Kollege Kühn, dass Sie mir vorhalten, ichwürde mich dem Thema Bahn zu wenig zuwenden, istkurios. Wie ist es denn dann zu verstehen, dass Ihre Kol-legin Künast mir vor wenigen Monaten vorgehalten hat,ich würde mich über die Möglichkeiten und Perspekti-ven der Eisenbahnen in Deutschland besoffen reden?Lieber Herr Kühn, das passt beides nicht zusammen.Von Ihnen lasse ich mir eine solche Vorhaltung gewissnicht gefallen.
Sie haben Stuttgart 21 angesprochen und gesagt,dass wir uns bei solch großen Projekten auf einen festenZuschuss beschränken sollten. Genau das haben wir beiStuttgart 21 aber praktiziert. Dass Sie auch einmal dar-auf kommen, finde ich großartig.
Was Ihre Vorhaltungen anbelangt, wir würden – ichformuliere es mit meinen Worten – Bundesfernstraßenins Nirwana bauen: Lieber Herr Kühn, Autobahnen undBundesfernstraßen haben nicht nur die Funktion, Metro-polen und Städte miteinander zu verbinden, sondernganz klar auch die Funktion der Erschließung. DieseErschließungsfunktion gilt für jene Räume, bei denenSie beklagen, die Bevölkerung würde abwandern.
Unsereins hat einen anderen Bezug zu ländlichen Räu-men. Wir brauchen die Metropolregionen. Wir müssensie verbinden und an die Netze anbinden. Wir müssenaber auch die Erschließungsfunktion der Bundesfernstra-ßen für die strukturschwächeren Räume nutzen.
Wir legen mit diesem Haushalt ein klares Bekenntniszur Stärkung der Wachstumskräfte in unserem Land abund tragen damit zur Sicherung und Schaffung von Ar-beitsplätzen bei. Deshalb ist Verkehrs- und Baupolitikauch ganz klar angewandte und praktizierte Wirtschafts-politik.
Ich bin stolz darauf, dass wir in diesem Jahr auf einemRekordniveau investieren.
Ich bin auch stolz darauf – das sollten wir Verkehrs- undBaupolitiker alle miteinander sein, die Fachpolitiker ge-nauso wie die Haushaltspolitiker in diesem Bereich –,dass wir mit diesem Einzelplan 12 den größten Investiv-etat aller Ressorts haben. 52 Prozent der gesamten In-vestitionen in diesem Bundeshaushalt entfallen auf die-sen Einzelplan.Von den 26,3 Milliarden Euro, die dieser Etat birgt,fließen 14,7 Milliarden Euro und damit rund 56 Prozent
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2671
Bundesminister Dr. Peter Ramsauer
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in Investitionen. Ich habe in meiner allerersten Rede alsBundesminister an dieser Stelle gesagt, dass ich keinVerwaltungsminister, sondern ein Investitionsministersein will. Das gelingt mit diesem Haushalt.
Von diesem Haushalt geht eine kraftvolle Lokomotiv-wirkung aus. Ich war in den Vieraugengesprächen auchmit den Politikern der Opposition einig, dass dies so istund dass umgekehrt auch gilt, dass bei Einsparungen ander falschen Stelle keine Lokomotivwirkung entfaltetwird, sondern das krasse Gegenteil, nämlich Bremswir-kungen.
Dessen müssen wir uns in der künftigen Planung diesesHaushalts bewusst sein.Der Kollege Schäuble hat heute in seiner Rede klarge-macht, dass trotz allen Konsolidierungsdrucks das zartePflänzlein konjunktureller Entfaltung, wie er es formu-liert hat – der Kollege Brüderle hat es wiederholt, nichtdurch falsches Sparen kaputtgetreten werden darf
und dass die Haushaltspolitik in unserem Bereich eineschwierige Gratwanderung ist. Insofern ein ausdrückli-ches Dankeschön an den Haushaltsausschuss, dass mansich dieser Einsicht nicht verschlossen hat.
Ich folge dem Grundsatz, dass Mobilität bestmöglichzu organisieren ist, weil sie eine unverzichtbare Voraus-setzung für die persönliche Freiheit unserer Bürgerinnenund Bürger und die Entwicklung unserer Volkswirtschaftist. Das heißt, eine bestmöglich ausgebaute verkehrlicheInfrastruktur ist das Fundament wirtschaftlichen Erfolgs.Wenn wir alle Möglichkeiten in der Binnenwirtschaftund alle Möglichkeiten, die wir als exportorientierte Na-tion in der Weltwirtschaft haben können, entfalten wol-len, dann müssen wir schlicht und einfach die dazu er-forderlichen Verkehrsinfrastrukturinvestitionen tätigen.
Erhalten, Ertüchtigen und Ausbauen: Das sind diedrei Elemente, die wir brauchen, um den prognostizier-ten Anstieg aller Verkehrsarten verkraften zu können.Lieber Herr Kollege Claus, Sie wissen aus langjährigerguter Zusammenarbeit in vielerlei Funktionen, dass wirim Vieraugengespräch immer gut zusammenkommen.Sie wissen auch, dass man Verkehre, beispielsweiseFrachtverkehre, nicht beliebig manipulieren kann. Dasist nicht möglich, wenn man nicht dem umgekehrtenGrundsatz wie dem meinen folgt, Mobilität zu ermögli-chen. Es mag ein Stück Ihrer Ideologie sein, Mobilität zubeschränken oder zu verhindern. Aber das kann nicht derAnsatz einer freiheitlichen Wirtschafts- und Verkehrs-politik sein.
Wir werden also alles daransetzen, dem Anstieg derTransportleistung Rechnung zu tragen. Wenn argumen-tiert wird, dass sich angeblich nur ein Teil des ansteigen-den Güterverkehrs für die Schiene eignet, dann darf unsdas nicht resignieren lassen; das darf uns nicht ruhen las-sen. Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, denZuwachs beim Güterverkehr schienentauglich zu gestal-ten und Verkehrssysteme auch für die Schiene zu entwi-ckeln, damit wir den größtmöglichen Zuwachs auf dieSchiene bekommen – ich bleibe dabei und lasse michnicht beirren –, wenn wir keine Verkehrsinfarkte auf derStraße erleben wollen.
Dazu gehört natürlich auch das Erschließen neuer Fi-nanzierungsinstrumente. Ich sage klipp und klar: Mitden herkömmlichen Finanzierungsmöglichkeiten unseresBudgets werden wir das alles miteinander nicht schaffen.Ich bedanke mich beim Kollegen Bartholomäus Kalb da-für, dass er auf diese Dinge und auf einige sehr zentraleBegriffe hingewiesen hat. Dazu gehört der Begriff der öf-fentlich-privaten Partnerschaft. Dazu gehört natürlichauch das Gängigmachen – so habe ich das verstanden –der VIFG, der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesell-schaft. Ich schlage vor, dass wir uns bereits im Zusam-menhang mit der Beratung des Bundeshaushalts 2011daranmachen – im Dienste einer innovativeren Verkehrs-infrastrukturfinanzierung.Das Thema Transrapid ist von der Kollegin Winter-stein und vom Kollegen Kalb angesprochen worden. Ichbedanke mich beim Haushaltsausschuss noch einmalausdrücklich dafür, dass die Möglichkeit geschaffenworden ist, die Versuchsstrecke bis zum Jahresende wei-terzubetreiben.
Herr Minister, darf ich unterbrechen?
Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:
Ich weiß um die Knappheit des Gutes Zeit.
Darum geht es jetzt nicht. Ich will Sie darauf auf-
merksam machen, dass die Kollegin Hagedorn Ihnen
gern eine Zwischenfrage stellen würde. Ich frage Sie
jetzt, ob Sie eine solche Frage zulassen.
Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:
Ja, gern.
Bitte schön.
Ich habe Ihren Hilferuf, dass Sie mit der kurzen Rede-zeit so unzufrieden sind, wahrgenommen, und darumkomme ich Ihnen an dieser Stelle zu Hilfe.
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2672 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
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Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung:Auf Sie ist Verlass, Frau Kollegin Hagedorn.
Herr Minister, Sie haben gerade die ÖPP-Projekte
als ein Hilfsmittel im Hinblick auf die dramatisch unter-
finanzierten Vorhaben im Verkehrsbereich erwähnt. Ich
möchte Sie auf ein Verkehrsprojekt ansprechen, das auch
auf der Streichliste der Bahn steht, von der Sie immer
gesagt haben, dass es sie gar nicht gäbe. Dabei handelt es
sich um das Projekt der festen Fehmarnbelt-Querung.
Das ist zwar in meinem Wahlkreis, aber ich bin keine
Freundin dieses Projekts und habe ihm auch nicht zuge-
stimmt.
Ich bitte Sie aber, kein Koreferat zu halten, sondern
eine Frage zu stellen.
Ich werde schon zu meiner Frage kommen, Herr Prä-
sident; machen Sie sich keine Sorgen.
Es geht um ein Projekt, das nicht finanziert ist, min-
destens 1 Milliarde Euro kosten wird – der Bundesrech-
nungshof spricht von 1,7 Milliarden Euro – und das ur-
sprünglich, nämlich im Koalitionsvertrag der vorherigen
Koalition, als PPP-Projekt vorgesehen war. Es ist des-
halb nicht als PPP-Projekt umgesetzt worden, weil es
keine Investoren gab, die bereit waren, ihr Geld in dieses
Projekt hineinzustecken. Das könnte dem Vernehmen
nach auch bei anderen Projekten so kommen.
Welche weiteren Vorstellungen haben Sie also im Hin-
blick auf die Streichliste und die Projekte, die finanziert
werden müssen, weil ein Staatsvertrag vorhanden ist?
Wie wollen Sie all das finanzieren – angesichts der Schul-
denbremse und angesichts dessen, was Herr Minister
Schäuble Ihnen in den nächsten Haushaltsjahren weniger
wird zur Verfügung stellen können?
Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:
Sehr geehrte liebe Frau Kollegin Hagedorn, nicht nur
die gleiche, sondern genau dieselbe Frage haben Sie mir
bei den Beratungen der Ausschüsse in den letzten Wo-
chen zweimal gestellt. Ich habe sie ausführlich beant-
wortet. Ich bitte Sie insofern, die Ausschussprotokolle
nachzulesen. Aber ich komme gern Ihrer Bitte nach und
antworte noch einmal darauf, um Ihre Befürchtung auf-
zunehmen, ich könnte mit meiner Redezeit nicht zu-
rechtkommen.
Sie können sich aber gern setzen, Frau Hagedorn.
Die Redezeit ist ja jetzt angehalten, Herr Minister.
Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:
Zu diesem Zweck muss Frau Kollegin Hagedorn al-
lerdings stehen bleiben. Wenn sie sich setzt, läuft die
Uhr weiter.
Solange Sie antworten, halte ich die Uhr an. Das ist
meine Sache.
Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:
Spaß beiseite! – Die feste Fehmarnbelt-Querung ist
ein Projekt, zu dem wir erst am 14. Januar, also ziemlich
genau vor zwei Monaten, den Staatsvertrag in Kraft ge-
setzt haben. Als verantwortlicher Fachminister – im Üb-
rigen auch als Parlamentarier und als vertragstreuer
Mensch – halte ich nichts davon, wenn man einen sol-
chen Staatsvertrag zwischen den beteiligten Staaten hier
im Parlament zwei Monate später infrage stellt.
Anstatt herumzunörgeln, würde ich mich lieber darauf
verlegen, nach Möglichkeiten zu suchen, wie das Ziel zu
erreichen ist, bis 2018 dieses Infrastrukturprojekt ein-
schließlich der Hinterlandanbindungen bis Puttgarden
fertigzustellen. Da Sie die PPP und den Zeitpunkt ange-
sprochen haben: Wir werden alles tun, dass sich anlage-
suchende Kapitalgeber, die in den letzten Jahren schlechte
Erfahrungen gemacht haben, guten Investitionsoptionen
in Deutschland zuwenden. Ich halte Investitionen in deut-
sche Verkehrsinfrastrukturprojekte, in die Straße oder die
Bahn, noch immer für rentabler und kaufmännisch solider
als irgendwelche spekulative Anlagen in Übersee, die
sich in der Vergangenheit als massive, verlustreiche Fehl-
investitionen erwiesen haben.
Jetzt bitte ich, allmählich zum Schluss zu kommen.Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung:Bevor Frau Hagedorn ihre Zwischenfrage gestellt hat,habe ich über das Emsland und den Transrapid gespro-chen. Wir dürfen einem weiteren Export von technologi-schem Basiswissen aus Deutschland keinen Vorschubleisten. Die Transrapid-, die Magnetschwebebahntech-nologie, ist eine deutsche Basistechnologie. Wir dürfensie nicht billig exportieren. Das muss uns allen hier imHause klar sein. Ich glaube, das ist es auch.
Ich halte mit aller Unbeirrbarkeit und Entschlossen-heit daran fest, allen Wünschen, die Sie an mich richten– egal von welcher Fraktion –, im Bereich der Verkehrs-infrastruktur auf bestmögliche Weise nachzukommen.Deswegen bitte ich das Parlament, genauso unbeirrbarmeinem Etat dafür die notwendigen Mittel zur Verfü-gung zu stellen.
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Bundesminister Dr. Peter Ramsauer
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Vielen herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Sören Bartol von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter Herr Minister Ramsauer, einkleiner Tipp vorweg: Wenn Sie mir jetzt zuhören, sindSie das nächste Mal nicht wieder bei Harald Schmidt zusehen. – Das hat offenbar niemand verstanden. Es istwichtig, die Sendung von Harald Schmidt zu schauen.Herr Ramsauer, Sie können sehr froh sein, dass Sie mitder nationalen Stadtentwicklungspolitik, den Program-men der Städtebauförderung, dem Investitionspakt unddem Programm zur energetischen Gebäudesanierung einwirkungsvolles Instrumentarium für die Gestaltung derZukunftsaufgaben in unseren Städten und Gemeindenvon Ihrem Vorgänger übernehmen konnten. Ich hoffenoch immer, dass Sie dies zu schätzen wissen. Immerhinhaben Sie den Haushaltsentwurf von Wolfgang Tiefenseebei der Städtebauförderung fast – leider nur fast – unver-ändert übernommen. Es fehlt Ihrem Haushalt aber anneuen Impulsen und – das sage ich hier ganz deutlich –Ihnen als Minister an Durchsetzungskraft in den Haus-haltsberatungen.Ein Programm für die ländlichen Räume ist gut unddie folgerichtige Fortführung dessen, was wir mit denModellvorhaben und Forschungsprojekten zum demo-grafischen Wandel im Rahmen von MORO, der Modell-vorhaben der Raumordnung, begonnen haben. Schadenur, dass Ihnen die erhoffte Aufstockung der Städte-bauförderungsmittel um 20 Millionen bis 30 MillionenEuro nicht gelungen ist, um dieses Programm zu finan-zieren! Auch die Aufstockung der Mittel für das Pro-gramm „Soziale Stadt“, die Ihr Staatssekretär Mücke imAusschuss noch im Januar zugesagt hatte und die auchso im Haushaltsentwurf stand, haben Sie wieder kassiert.Sie haben sich eine globale Minderausgabe in Höhe von100 Millionen Euro zur Finanzierung der gestiegenenWohngeldkosten in Ihren Haushalt schreiben lassen,statt, wie es richtig gewesen wäre, durchzusetzen, dassdiese Folgekosten der Wirtschaftskrise voll vom Ge-samthaushalt getragen werden.Liebe Frau Winterstein und Kollege Kalb, die pau-schale Kürzung aller Verpflichtungsermächtigungenfür die kommenden Jahre um 10 Prozent trifft sowohldie Städtebauförderung als auch die energetische Gebäu-desanierung. Deswegen kann ich es auch nicht mehr hö-ren, wenn hier so getan wird, als ob die CO2-Gebäudesa-nierungsprogramme auf gleichem Niveau fortgeführtwürden.
Ich hoffe, dass Sie bei der Aufstellung des Haushalts2011 stärkeren Einsatz für die Bau-, Wohnungs- undStadtentwicklungspolitik zeigen; denn wir alle wissen:Dann geht es wirklich ans Eingemachte. Investitionspaktund Konjunkturprogramme laufen aus, die Kommunenbekommen die volle Wucht der Wirtschaftskrise und vorallen Dingen Ihrer Steuerpolitik zu spüren, der abseh-bare drastische Einbruch bei den öffentlichen Investitio-nen schwebt als Damoklesschwert über der Branche.Statt an einer verlässlichen finanziellen Basis für dieKommunen zu arbeiten, bekommt die Gewerbesteuermit Ihrer Gemeindefinanzkommission ein Begräbnis ers-ter Klasse. Sie und Ihre Regierung sind gefordert: HelfenSie den Kommunen schnell mit einem Rettungsschirm,der die jährlichen Einnahmeausfälle von 1,6 MilliardenEuro aufgrund des Wachstumsbeschleunigungsgesetzeskompensiert! Stellen Sie die Kommunalfinanzen aufeine verlässliche Grundlage stabiler Gewerbesteuerein-nahmen und einer reformierten Grundsteuer! BringenSie eine Neuauflage des dieses Jahr auslaufenden Inves-titionspaktes zwischen Bund, Ländern und Kommunenzur energetischen Sanierung von Kitas, Schulen undSportstätten auf den Weg!
Geben Sie den Kommunen auch bei der Städtebauförde-rung Sicherheit, dass sie 2011 und danach mindestensauf gleichem Niveau fortgeführt wird!
Das Prinzip der Drittelfinanzierung – Bund, Län-der, Kommunen – in der Städtebauförderung hat sichprinzipiell bewährt. Dennoch muss mit der Verwaltungs-vereinbarung besser als bisher sichergestellt werden,dass finanzschwache Kommunen nicht aus der Städte-bauförderung herausfallen, weil sie ihren Eigenanteilnicht aufbringen können; denn gerade dies sind dieStädte und Gemeinden mit geringer Wirtschaftskraft,meist auch mit hoher Arbeitslosigkeit und vor allen Din-gen hohem Investitionsbedarf. Auch die verbleibenden10 Prozent Eigenanteil sind für manche Kommune inHaushaltsnotlage zu viel. Eine gestaffelte Regelung, jenach Leistungsfähigkeit der Kommune, kann uns dieKommunen auch in strukturschwachen Gebieten alsPartner in der Städtebauförderung erhalten. Dazu gehörtdie stärkere Einbeziehung nicht nur privaten Kapitals,sondern vor allen Dingen auch der Potenziale zivilge-sellschaftlicher Organisationen.Ich freue mich, dass es insbesondere beim Stadtum-bau großen Konsens darüber gibt, dieses Programm bis2016 fortzuführen. Trotz der Erfolge der kombiniertenStrategie aus Rückbau und Aufwertung ist der Bedarfnicht kleiner, sondern aufgrund der demografischen Ent-wicklung noch größer geworden. Heute haben wir1 Million leer stehende Wohnungen, die im Schnitt miteiner Restschuld aus DDR-Zeiten von je 4 000 Euro be-lastet sind. Bis 2020 werden weitere 430 000 Wohnun-gen leer stehen. Wichtige Erfolgsbedingung für denStadtumbau Ost war die ergänzende Altschuldenrege-lung. Nur wenn Sie, Herr Minister Ramsauer, hier zügigeine Anschlussregelung vorlegen, werden sich die Woh-
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2674 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Sören Bartol
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nungsunternehmen auch weiterhin am Stadtumbaupro-gramm beteiligen können. Sie haben angekündigt, sichin Zukunft auch bei Ihren Kabinettskollegen für Ver-kehrsinfrastruktur einzusetzen. Herr Minister, tun Siedas bitte auch für die Zukunft der Städte und Gemein-den. Es geht hier nicht nur um Investitionen in Gebäude,sondern auch um Investitionen in den gesellschaftlichenZusammenhalt. Nur in einem lebenswerten Umfeld ge-lingt Integration, entstehen Kreativität und damit amEnde auch Wirtschaftskraft. Herr Minister, ich bitte Sie,das auch in Zukunft zu beachten.Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Döring von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
fand es im Anschluss an die Debatte über den Etat des
Kollegen Brüderle schon bemerkenswert, wie wenig ins-
besondere in der ersten Runde der Zusammenhang zwi-
schen dem, was wirtschaftspolitisch erforderlich ist, und
dem, was verkehrs- und baupolitisch erforderlich ist,
hervorgehoben wurde. Sehr geschätzter Herr Kollege
Claus – den hat es schon zerrissen –, wo immer Sie jetzt
sind: Wer glaubt, die Arbeitsmarktprobleme und die
wirtschaftspolitischen Herausforderungen in den neuen
Ländern durch Verkehrsvermeidung lösen zu können,
gehört nun wirklich nicht mehr in diese Welt. So werden
wir es nicht schaffen, nicht in den neuen Ländern und
nicht in den alten Ländern, wenn wir Exportnation blei-
ben wollen.
– Er hat Verkehrsvermeidung angesprochen, unabhängig
vom Verkehrsträger. Sie, geschätzte Kolleginnen und
Kollegen von der Opposition, versuchen schon die ganze
Debatte, uns das Etikett der Schienenfeindlichkeit anzu-
hängen. Als ob diese Koalition schienenfeindlich sei!
Das Gegenteil ist der Fall.
Wenn Sie hier zu Recht die sogenannte Streichliste
ansprechen, dann halte ich für die Koalition fest: Es ist
Herrn Grube und dem Bundesministerium für Verkehr
zu danken, dass aufgeschrieben wurde, welche Ver-
pflichtungen die konzeptionslose Planungsmittelverspre-
chungspolitik der Vorgängerregierungen ausgelöst hat.
Das ist der Dank, den wir denjenigen, die diese Liste
aufgestellt haben, schulden. Ihr Minister Tiefensee hat
doch Planungsmittel versprochen, ohne auch nur einen
Hauch von Anschlussfinanzierung sicherzustellen. Ihr
Minister Tiefensee ist zehnmal irgendwo in Europa Ver-
pflichtungen eingegangen, die nicht finanzierbar sind.
Uns jetzt vorzuhalten, dass wir das wenigstens auf-
schreiben und darüber diskutieren, ist doch wohl wirk-
lich abenteuerlich.
Lassen Sie uns über die 500 Millionen Euro, die feh-
len, reden – gar kein Problem! Das einfache Vorgehen,
über Steuermittel zu steuern, Herr Kühn, ist nicht ausrei-
chend; das steht übrigens im Koalitionsvertrag. Wir sa-
gen ganz offensiv: Wenn die DB Netz AG in diesem
Jahr zum wiederholten Male mehr als 600 Millionen
Euro Ertrag für den Konzern erwirtschaftet, dann ist es
die Aufgabe des Eigentümers Bundesrepublik Deutsch-
land, das Unternehmen DB AG dazu zu verpflichten, die
Erträge der DB Netz AG in das Netz zu reinvestieren.
Dann haben wir in den nächsten zehn Jahren die fehlen-
den Investitionsmittel für diese Projekte. Das ist der
Weg, den wir gehen wollen.
Herr Kollege Döring, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Kahrs?
Unbedingt.
Herr Kollege Döring, Sie haben eben gesagt, dass die
Bahn dringend mehr Geld braucht. Sie gehören der FDP
an. Die Kollegin Winterstein hat bei der ersten Lesung
hier gesagt, sie möchte gerne, dass Straße Straße finan-
ziert, dass die Lkw-Maut-Mittel für die Straße ausgege-
ben werden. Wenn Sie so großartige Befürworter von
mehr Geld für die Schiene sind, dann verraten Sie uns
doch, wo die für die Schiene fehlenden Mittel herkom-
men sollen?
Gleichzeitig haben Sie eben gesagt, dass der Eigentü-
mer damit entsprechend umgehen soll. Das ist richtig.
Aber die Frage ist: Woher kommen die Gewinne der
Bahn? Natürlich müssen sie in die Schiene reinvestiert
werden. Aber das löst doch die Probleme nicht. Das
heißt, das, was Sie hier machen, ist: Sie kürzen beim
kombinierten Verkehr, erzählen uns, was Sie vielleicht
irgendwann einmal machen, aber Sie tun es nicht; dafür
regieren Sie. Gleichzeitig haben Sie sich hierhin gestellt
und klar gesagt, dass die Mautmittel nicht mehr für die
Schiene ausgegeben werden sollen. Das ist doch unlo-
gisch.
Geschätzter Herr Kollege Kahrs, ich bin extrem dank-bar, dass ich Ihnen das außerhalb meiner Redezeit erklä-ren kann, zum wiederholten Male in diesem Hause.Erstens. Selbst wenn man dazu kommt, dass die Lkw-Maut-Einnahmen vollumfänglich der Verkehrsinfra-strukturfinanzierungsgesellschaft zur Finanzierung vonStraßen zur Verfügung gestellt werden, dann bedeutetdas im Umkehrschluss, dass die steuerfinanzierten Mit-
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Patrick Döring
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tel für die Straße in dem Umfang, in dem zusätzlicheMautmittel für die Straße zur Verfügung gestellt werden,sinken und für die Eisenbahn zur Verfügung stehen.Nichts anderes will diese Koalition.
– Ich sage es Ihnen ja. Ich habe es in der ersten Lesunggesagt. Ich habe es bei der Beratung des Antrags zur In-frastrukturfinanzierung gesagt, und ich sage es jetzt hiernoch einmal. Sie können es dann nachlesen.Zweitens. Die Erträge aus dem Netz basieren, wieSie und Ihre Kollegen wissen, auf Einnahmen aus Tras-senentgelten, die alle, die das Schienennetz nutzen, ent-richten. Bei der Schiene gibt es längst einen geschlosse-nen Finanzierungskreislauf, wie wir ihn bei der Straßeeinführen. Wir, diese Koalition, nicht die Vorgängerko-alition, wollen als Eigentümer Bundesrepublik Deutsch-land die Infrastrukturgesellschaft verpflichten, dieseMittel zusätzlich für diese Infrastrukturinvestitionen zurVerfügung zu stellen. Das steht im Koalitionsvertrag:Aufhebung der Gewinnabführungsverträge.
– Wir brauchen keinen Gesetzentwurf. Das entscheidetnämlich der Aufsichtsrat, geschätzter Kollege. Das stehtim Aktiengesetz. Das brauchen wir dafür noch nicht ein-mal zu ändern.Drittens. Dazu, dass hier bei einer 35-Millionen-Euro-Abforderung der Mittel für den kombinierten Ver-kehr die Streichung eines Haushaltstitels, der ohnehin zuhoch war, auf 54 Millionen Euro zu dem zentralen ver-kehrspolitischen Argument der SPD geworden ist, kannich nur sagen: Herr im Himmel, da hätten Sie sich etwasBesseres aussuchen müssen. Nicht einmal die 54 Millio-nen Euro werden abfließen; wir bedauern das. Wir wer-den am Ende sicherstellen: Wenn 1 Euro mehr als54 Millionen Euro beantragt wird, dann wird auch dieseAnlage zum kombinierten Verkehr gebaut. GlaubenSie mir: Wir müssen hier kein verkehrspolitisches Pro-blem lösen.
Überhaupt ist bemerkenswert, dass in dieser Haus-haltsdebatte über diese kleinen Beträge diskutiert wird,während am Ende deutlich wird, dass Sie der ganz kla-ren, ordnenden Strategie dieser Koalition dieses Hausessehr wenig entgegenzusetzen haben.
Der Kollege Bartol hat bisher als einziger Oppositions-redner dankenswerterweise eine sachliche Rede gehaltenund hat das Thema „Soziale Stadt“ angesprochen. Dahaben wir doch die gleiche Situation: Die Mittel aus demvergangenen Jahr sind nicht in dem Umfang abgeflos-sen, wie sie etatisiert waren. Jetzt kann man immer sa-gen: Daran ist die Wirtschaftskrise schuld. Meine Beob-achtung, die Beobachtung meiner Kolleginnen undKollegen in den Wahlkreisen ist, dass viele Kommunenjetzt mit dem Programm durch sind. Das Programm gibtes seit vielen Jahren. Es war ein gutes Programm. Es gibtaber nicht mehr den Bedarf, der hier gelegentlich an dieWand gemalt wird.
Ich sage Ihnen auch – ich habe es schon im Ausschussgesagt, ich sage es hier noch einmal –: Wir wollen unsdarauf konzentrieren, mit dem Programm „SozialeStadt“ Investitionsmaßnahmen zu finanzieren. Die Zeitder nichtinvestiven Maßnahmen, zum Beispiel zur Er-richtung von Bibliotheken für Mädchen mit Migrations-hintergrund, ist vorbei, liebe Kolleginnen und Kollegen!Das gab es zu Zeiten einer anderen Koalition.
Wir wollen Investitionen mit dem Stadtumbaupro-gramm anschieben. Wir wollen, dass es leistungsfähigeInfrastruktur in den Städten gibt, und wir wollen wenigerProjekte fördern, die eigentlich andere aus ihren Haus-halten bezahlen sollten bzw. müssten. Diese gehörennicht in den Investitionshaushalt des Einzelplans 12.
Interessanterweise hat der Kollege Kahrs als enga-gierter Wahlkreisabgeordneter zwei wichtige Dinge ausseinem Bereich angesprochen, nämlich zum einen dasProjekt der Vertiefung der Unterelbe, zu dem diese Koa-lition steht und das durchgeführt wird, und zum anderenhat er einen Satz zu den Wasser- und Schifffahrtsdi-rektionen gesagt. Nun habe ich das sehr genau und auf-merksam verfolgt. Es ist ja schon bemerkenswert, dassSie als einen der wenigen konkreten Haushaltsanträgeden Antrag stellen, in diesem Bereich wie auch in ande-ren Bereichen erhebliche Stellenhebungen vorzuneh-men. Man kann das verstehen, wenn man annimmt, dassSie Ihr notdürftig zusammengehaltene Wählerklientelbei Laune halten wollen.Wir bleiben dabei: Die Wasser- und Schifffahrtsver-waltung in Deutschland ist gut, aber sie ist gemessen andem Verkehrsaufkommen, das bei diesem Verkehrsträ-ger festzustellen ist, zu groß.
Sie kann effizienter werden. Eine Aufgabe dieser Bun-desregierung wird es auch sein, diese Effizienzreservenzu heben, damit wir mehr Mittel für die notwendigen In-vestitionen in die Wasserstraßen erhalten. Das ist dieAufgabe für 2011.Über 2011 ist damit noch nichts gesagt. Die Haushäl-ter, die Verkehrspolitiker, die Baupolitiker und das Haussind in guten Verhandlungen. Sie werden sehen, dass wiretwas Gutes hinbekommen. Wenn Sie uns dabei unter-stützen, werden Sie auch einsehen, dass wir, indem wir
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2676 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Patrick Döring
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vieles, was Ihre Hausleitung in der Vergangenheit falschin die Wege geleitet hat, korrigieren, mehr für die Bürgererreichen, als wenn wir dem Alternativkonzept folgenwürden, das Sie hier in Ihren Reden vorgestellt haben.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Heidrun Bluhm von der
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Döring, Sie haben nicht automatisch recht, nur weilSie so laut in den Wald hineinrufen. An verschiedenenStellen gehe ich nachher noch einmal darauf ein.Aber eines ist hier ganz deutlich geworden – da willich gleich am Anfang ansetzen –: Jetzt haben Sie daswahre Gesicht der FDP in dieser Frage gezeigt.
Ich bin Ihnen sehr sehr dankbar dafür – jetzt werde auchich einmal laut –, dass Sie einfach einmal auf den Punktgebracht haben, was Sie vorhaben, wenn die NRW-Wahlvorbei ist. Herzlichen Dank.Schon mein Kollege Roland Claus machte hier soe-ben deutlich, dass diesem Einzelplan 12 das großePotenzial innewohnt, wirklich gerechte, innovative, öko-logische und damit zukunftsgerichtete Investitionspolitikzu betreiben. Herr Minister, nüchtern analysiert ist das,was Sie hier vorlegen, ein Weiter-so der Großen Koali-tion, nichts Neues, nur ein Verschiebebahnhof innerhalbder einzelnen Haushaltsstellen.
Das, was hier vorliegt, ist alles andere als eine kraftvolleLokomotive, wie Sie es bezeichnet haben. So verpassenwir eine wirkliche Wende bei den VerkehrsträgernStraße und Schiene und vor allem hin zur Einführungneuer Technologien und damit zur Bewältigung der Her-ausforderungen des Klimawandels.Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktio-nen, Sie haben kein Konzept. Es gibt keinen ganzheitli-chen politischen Handlungsansatz. Es gibt keine Idee,wie man mit dem Wohnungswesen und dem StädtebauZukunft für und mit den Menschen gestalten will. Esgibt nicht einmal eine umfassende Bestandsanalyse derdringend zu behebenden Mängel und Schäden auf derGroßbaustelle Wohnungswesen und Städtebau. Hierzuexemplarisch zwei Denkrichtungen:Erstens. Im Einzelplan 12 heißt es zwar „Verkehr,Bau und Stadtentwicklung“, dieser logische Zusammen-hang wird aber offensichtlich nicht hergestellt. Rund80 Prozent der Menschen leben in Städten oder in derenRandgebieten. Ihr kulturelles Leben und ihre Arbeit fin-den sie aber oft an Orten weit außerhalb ihres Wohn-umfeldes. Städtisches Wohnen in seiner heutigen Formerzwingt daher Mobilität, leider auch allzu oft Auto-mobilität mit all ihren wirtschaftlichen, gesundheitlichenund umweltschädigenden Wirkungen.Auch die Förderung von Maßnahmen zur energeti-schen Gebäudesanierung, Stichwort CO2-Gebäudesanie-rungsprogramm, ist ein viel zu kurz geratener Schritt,wenn auch in die richtige Richtung. Ich will also garnicht fragen, ob der jetzt aufgestockte Titel aus Einsichtin die Notwendigkeit oder auf Druck von Hauseigentü-mern oder der Bauwirtschaft zustande gekommen ist.Was Sie, meine Damen und Herren der Regierung, nichtsehen: Die Anstrengungen der energetischen Sanierungwerden relativiert und zum Teil durch das Fehlen von In-vestitionen zur Schaffung einer individualverkehrver-mindernden Wohninfrastruktur konterkariert.
Im Gegenteil: Schulen werden geschlossen, die Schul-wege für die Kinder werden immer länger, Kitas inWohngebieten werden weggeklagt und Supermärkte aufder grünen Wiese vor den Städten gebaut.Bau und Stadtentwicklung beschränkt sich nach unse-rem Verständnis nicht auf die Bereinigung des Woh-nungsmarktes oder auf die finanzielle Begünstigungprivater Interessen. Wirkliche Stadtentwicklungspolitikmuss ihren eigenen Anspruch deutlich höher ansetzen,als Sie es tun. Sie muss, ausgehend von den objektivenökologischen und demografischen Tendenzen und wis-senschaftlich fundierten Prognosen, langfristige städte-bauliche Entwicklungserfordernisse definieren, Zielset-zungen qualifizieren und in haushälterisch verbindlicheZahlen gießen. Das tut dieser Einzelplan an keiner einzi-gen Stelle.Zweitens. Bau- und Stadtentwicklungspolitik ist fürdie Linke zugleich auch immer Sozialpolitik. Nahezuallen hier aufgeführten Titeln sind in ihrer Umsetzungsoziale Komponenten immanent. Damit kann man aller-dings unterschiedlich umgehen. Meines Erachtens mussman zum Beispiel bei der Förderung durch das CO2-Ge-bäudesanierungsprogramm die Kausalität von Sanie-rungsinvestitionen, die daraus folgenden Mietpreisent-wicklungen, mögliche Veränderungen der Mieterstrukturund damit die grundlegende Veränderung des Charakterseines Quartiers, eines ganzen Wohnviertels bedenken.Das wäre vorausschauend und politisch verantwortungs-voll. Das können die Menschen von einer Regierungverlangen. Sie aber begnügen sich mit dem kurzfristigangelegten Reagieren auf die gröbsten städtebaulichenMissstände, blenden die sozialen Zusammenhänge fastimmer aus. Die Folgen eines solchen Handelns werdenoftmals in andere Haushaltsressorts verschoben.Zum Schluss möchte ich noch – meine Redezeit gehtzu Ende – auf das Thema „Soziale Stadt“ zu sprechenkommen. Herr Döring, Sie haben vorhin den Versuchunternommen, uns zu erklären, warum Mittel, die nicht
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2677
Heidrun Bluhm
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abgerufen werden, einfach gestrichen werden. Aber auchHerr Mücke hat im Ausschuss kein Wort dazu gesagt,warum diese Mittel nicht abgerufen werden. Mit demWachstumsbeschleunigungsgesetz haben Sie den Kom-munen die Möglichkeit genommen, die Kofinanzierungüberhaupt erst auf den Weg zu bringen. Insofern findeich es arrogant und unverantwortlich, dass Sie gerade beiden wenigen sozialen Teilen, die im Haushalt noch zufinden sind, 20 Millionen Euro wegnehmen.
Meine Damen und Herren, Verkehr, Bau und Stadt-entwicklung ist eine äußerst komplexe Langfristaufgabe,die man nicht kurzfristig mit kleinen Baustellen erledi-gen kann. So kann man Zukunft nicht bauen, so verbautman sie sich. Der Einzelplan 12 ist, um mit FranzMüntefering zu sprechen, großer Mist.Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Daniela Wagner vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Zwei Dinge fallen beim Einzelplan 12 ins Auge. Zum ei-nen klaffen Anspruch und Wirklichkeit erkennbar aus-einander. Zum anderen bietet kaum ein anderer Einzel-plan des Bundeshaushaltes ein solches Volumen mit derMöglichkeit zum Umschichten und zur Kurskorrektur.Das KfW-Förderprogramm zur energetischen Ge-bäudesanierung ist zum Beispiel ein solches Thema.Man hätte sich vorstellen können, dass sehr viel mehraus anderen Bereichen dorthin hätte umgeschichtet wer-den können.Wir haben schon öfter darüber gesprochen, dass derGebäudebestand für etwa 40 Prozent der CO2-Produk-tion und -Emission verantwortlich ist und damit nebendem Verkehr eine der Schlüsselrollen bei der CO2-Re-duktion spielt. Die energetische Modernisierung des Ge-bäude- und Wohnungsbestandes ist daher unumgänglich,und sie generiert Arbeitsplätze. Auch Sie, Herr Minister,wissen das.Mit dem Tempo, das wir zurzeit vorlegen, und der ak-tuellen Etatentwicklung werden wir – das habe ich neu-lich schon einmal gesagt – etwa 180 Jahre brauchen, umden Gebäudebestand zu sanieren. Deswegen haben wirGrüne in einem Antrag gefordert, die Mittel für dasKfW-Förderprogramm für energetische Sanierung aufmindestens 2,2 Milliarden Euro zu erhöhen, und zwarnicht im Vorgriff auf künftige Haushaltsjahre, sonderndurch tatsächliche Etatisierung.
Gleiches gilt für die Zuschüsse der KfW-Förderbankzu Investitionen in die energetische Gebäudesanierung.Die FDP erklärt: Die Mittel wurden gar nicht abgerufen.Dazu muss ich sagen: Wenn Mittel nicht abgerufen wer-den, ist das in aller Regel ein Zeichen dafür, dass einProgramm nicht gut angelegt ist, dass irgendetwas nichtstimmt; entweder haben die Kommunen nicht mehr dasGeld für die Kofinanzierung oder die Anreizwirkung beiden privaten Hauseigentümern und Wohnungsbaugesell-schaften ist einfach zu gering. Wir sind der Auffassung,dass die Haushaltsmittel für die Zuschüsse deutlich, auf180 Millionen Euro, erhöht werden müssen,
statt sie – das geschieht jetzt – von 170 auf150 Millionen Euro zu senken. Diese Förderung wirktnatürlich auch nebenkostendämpfend; das ist gerade fürMieterinnen und Mieter mit schmalem Geldbeutel ganzwichtig.Die Förderung des ökologischen Bauens und Sanie-rens sowie der Nutzung nachwachsender Baustoffe mussdringend in die KfW-Förderprogrammatik integriertwerden. Man kann das subventionieren, indem man um-weltschädliche Subventionen schlicht und ergreifend ausdem Bundeshaushalt herausstreicht.Beim Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“– ich sagte es schon mehrfach – bedarf es zusätzlicher fi-nanzieller Anstrengungen und vor allem mehr Einfalls-reichtums. Wir müssen zivilgesellschaftliches Engage-ment einbinden. Auf keinen Fall dürfen wir damitaufhören, mit diesem Programm auch personelle Maß-nahmen zu fördern. Wir müssen die Menschen dort, wosie sind, mitnehmen, gerade in den Wohngegenden, indenen Menschen an der Armutsgrenze bzw. einkom-mensschwache Haushalte leben.
Das ist bei diesem Programm das Entscheidende.Sie haben umgeschichtet: 20 Millionen Euro werdenjetzt in die Förderung von aktiven Stadt- und Orts-teilzentren investiert. Ich würde überhaupt nicht sagen,dass es falsch ist, das zu fördern; aber Sie unterlassen imGegenzug an anderer Stelle das viel Wichtigere. Das istein Fehler.
Die Stadteile mit besonderem Entwicklungsbedarf habendie Förderung wesentlich nötiger.Lassen Sie mich zum Schluss ein Wort zum sozialenWohnungsbau sagen. Wir müssen bis spätestens 2013,wenn die Finanzierungsansätze aus dem Bundeshaushaltnach dem Entflechtungsgesetz auslaufen, dringend eineneue Strategie für den sozialen Wohnungsbau entwickelthaben;
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2678 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Daniela Wagner
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denn ohne sozialen Wohnungsbau werden wir dem Weg-fall von Sozialbindungen nicht entgegensteuern können.Dann käme es zu der Situation, dass die Bevölkerungs-gruppe, die sich nicht mehr aus eigener Kraft auf demWohnungsmarkt versorgen kann, immer größer wird.Deswegen brauchen wir dringend neue Strategien fürden sozialen Wohnungsbau.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Reinhold Sendker von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mitdem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in Deutsch-land stärken wir unseren Wirtschaftsstandort; genau dastun wir mit dem vorliegenden Haushalt. Es ist uns gelun-gen, den Verkehrsetat 2010 auf dem gleichen Niveau wieim Vorjahr zu halten. Das ist ohne jeden Zweifel ein Er-folg.
Insgesamt betrachtet, rechnen sich die Investitionenauf den Rekordansatz von 12,6 Milliarden Euro. Das istein starker Beitrag zur Generierung von Wachstum: Je-der im Bereich von Bau und Verkehr investierte Euro istein Impuls für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt; imErgebnis bedeutet dies – das sei hier gesagt – erfolgrei-che Krisenbewältigung.Im Schienenbereich wollen wir weiter ins Netzinvestieren. Dafür stehen 4,3 Milliarden Euro zur Verfü-gung, zuzüglich 700 Millionen Euro aus den Konjunk-turpaketen. Die Maßnahmen reichen von der Bahn-stromversorgung bis hin zu wichtigen Hafenhinter-landanbindungen. Wir wollen die häufig nicht mehr trag-baren Zustände an verschiedenen Bahnhöfen durch einumfangreiches Bahnhofssanierungsprogramm nachhal-tig verbessern. Das heißt im Ergebnis: grünes Licht fürlaufende Bedarfsplanvorhaben. Das heißt: keine Kür-zung, sondern Stärkung des Schienennetzes in Deutsch-land.
Was den Sektor Straße angeht, blicken wir auf eineReihe baureifer Bedarfsplanungen, Erhaltungsmaßnah-men und auf den Ausbau von Parkflächen an Bundes-autobahnen, die wir gemeinsam mit den zuständigenKommunen nach vorne bringen wollen.Die christlich-liberale Koalition fördert die dringendnotwendige Mobilität. Bei dieser Zielsetzung geht esnicht um den Vorrang eines Verkehrsträgers, also nichtum Schiene contra Straße. Vielmehr muss jeder Bereichim Rahmen integrierter Verkehrspolitik das leisten,was geht – so unser Minister. Auch in diesem Zusam-menhang hat er völlig recht, und auch dabei unterstützenwir ihn gerne.Vor dem Hintergrund der exponierten Lage Deutsch-lands in der Mitte Europas und aufgrund der Perspektivewachsender Verkehrsströme muss es unser Ziel sein, Be-darfsplanungen früher zu beginnen und schneller auszu-führen. Genau das ist im Sinne einer zukunftsfähigen In-frastrukturpolitik für unser Land zielführend.
Auch für den Bereich Wasserwege steht im Haushaltinsgesamt über eine 1 Milliarde Euro für Investitionenzur Verfügung. Weitere Entlastungen, auch für das Gü-terkraftverkehrsgewerbe, sind vorgesehen. Für dasHaushaltsjahr 2010 haben wir die laufenden Programmezur Förderung von Umwelt und Sicherheit und zum Aus-bau und zur Weiterbildung verlängert. Wir werden sienoch einmal um 200 Millionen Euro aufstocken.Es ist ebenso erfreulich, dass 2009 die Zahl der Ver-kehrstoten auf Deutschlands Straßen um rund 7 Prozentgesunken ist. Dennoch: Jede im Straßenverkehr verletzteoder getötete Person ist eine zu viel. Es ist uns daher einwichtiges Anliegen, die Sicherheit auf unseren Ver-kehrswegen mit einem neuen nationalen Programm wei-ter zu erhöhen.
Ferner hat die Förderung der Elektromobilität für diechristlich-liberale Koalition eine große Bedeutung. Esgeht vor allem um innovative Batterietechnologie. Bat-terien – platzsparend, gewichtsarm und letztlich mit ak-zeptablem Preis – schaffen Akzeptanz. Im Ergebnis kön-nen wir so den CO2-Ausstoß unserer Fahrzeugflottedeutlich reduzieren. Mobilitätsforschung ist Zukunfts-forschung. Dazu sagen wir ausdrücklich Ja.Mit Blick auf zukünftige Haushaltsjahre verweise ichnochmals auf den Haushaltsbegleitantrag der Koalitions-fraktionen. Gerade was die eben angesprocheneSchuldenbremse und das Auslaufen der Konjunktur-programme angeht, ist es unser Ziel, die Verkehrsinfra-strukturinvestitionen über dieses Jahr hinaus mittelfristigauf hohem Niveau zu verstetigen, beispielsweise durchdie Hinwendung zu den schon diskutierten ÖPP-Projek-ten.Im Zusammenhang mit der Verkehrsinfrastruktur-finanzierungsgesellschaft betone ich nochmals unsereForderung nach Herstellung eines Finanzierungskreis-laufes Straße. Das bedeutet – wie Herr Kollege Döringeben sehr deutlich ausgeführt hat – keine Kürzung desSchienennetzes, und es hat auch nichts mit Schatten-haushalt zu tun. Vielmehr geht es darum, bisherigeSchwächen abzustellen, sprich: die kontinuierliche Un-terfinanzierung, die schwankenden Haushaltslinien unddie Transparenzdefizite abzubauen. Im Übrigen – lassenSie mich das deutlich sagen –: Die VIFG erfreut sichnicht nur bei vielen Verkehrsexperten großer Zustim-mung. Auch wir wollen sie in der heutigen Debatte aus-drücklich gestärkt wissen.Der vorliegende Entschließungsantrag der sozial-demokratischen Fraktion zur Pkw-Maut ist in derMethode nicht neu. In der Koalition gibt es keine ent-sprechenden Pläne. Weder Bundesregierung noch Koali-
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Reinhold Sendker
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tionsfraktionen haben Derartiges vorgeschlagen. Damiterübrigt sich Ihr Antrag. Zu dem, was Sie hier inszenie-ren, kann ich nur sagen: Das ist Populismus pur.
Ich habe auch kein Interesse daran, solche Luftbuchun-gen zu diskutieren.Mein Wahlkreis liegt im Münsterland. Bei uns sagtman: Das ist ein starkes Stück Westfalen. Es freut mich,dass wir jetzt einen Minister haben, der – wie er ebenausgeführt hat – das ganze Land sieht. Dazu gehörenauch die ländlich geprägten Regionen.
Die Verkehrswege sind nun einmal die Lebensadern ei-ner jeden Region. Politik muss daher alle Räume för-dern, sowohl die Metropolregionen als auch die ländli-chen Regionen. Das macht unser Land insgesamtzukunftsfähig und stark. Dafür steht dieser Minister. Wirunterstützen ihn dabei. Wir unterstützen auch den Ver-kehrsetat, der ausgewogen und nicht zuletzt zukunftsfä-hig aufgestellt ist.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Uwe Beckmeyer von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Herr Minister, Sie sprachen vom Zeitmangel einesMinisters. Ich glaube, es ist eher ein Schutz für Sie, dassSie wenig Zeit haben und hier nur kurz reden können.
Denn wer nichts zu sagen hat, spricht eher über Allge-meinplätze, als Konkretes anzukündigen.
Sie sagten, der Entwurf sei zum Besseren verändertworden. Das ist mein zweites Stichwort. Ich frage mich,wo. Beim KV-Terminal? Über den kombinierten Ver-kehr ist vorhin gesprochen worden. Ich muss ganz ehr-lich sagen: Die Argumente, die von Ihnen, liebe FrauWinterstein, und dem lieben Kollegen Kalb hier vorge-bracht worden sind, stimmen nicht.
Sie sagen, dass beim KV-Terminal nicht ordentlich Geldabgeflossen ist und dass Sie deshalb kürzen. – Ich willIhnen Folgendes sagen: Erkundigen Sie sich, bevor Siesolche unglaubwürdigen Behauptungen hier im Bundes-tag aufstellen. Wenn Sie beim EBA nachfragen oderwenn Sie bei der Wasserschifffahrtsdirektion West nach-fragen, wird man Ihnen sagen, dass hinsichtlich derInvestitionen ein Nachfragestau in Höhe von 450 Milli-onen Euro vorliegt, und wir bieten diesen Nachfragernnichts an.Das ist der entscheidende Unterschied zwischen Ih-nen und uns: Wir wissen um diese Belange. Es gibt in-zwischen Firmen, die beim EBA und bei der Wasser-schifffahrtsdirektion West Investitionen in dieserGrößenordnung angemeldet bzw. nachgefragt haben. Sieantworten darauf mit Kürzungen im Haushalt.Meine sehr geehrten Damen und Herren von derCDU/CSU, merken Sie eigentlich gar nicht, dass Sie vonder FDP am Nasenring durch die Arena gezogen wer-den?
Hier wird von Wachstumsimpulsen und ordnendemHandeln gesprochen. Ich denke, dass das, was hier pas-siert, etwas ganz anderes ist: Es ist der Versuch, Ihneneine FDP-ideologisierte Verkehrspolitik aufzuoktroyie-ren. Davor kann ich Sie nur warnen. Passen Sie auf,meine sehr geehrten Damen und Herren von der christ-demokratischen Union!
Herr Döring hat sich in seinem Redebeitrag bei derFrage nach der Einschätzung des Programms „SozialeStadt“ demaskiert. Das, was dort zum Ausdruck gekom-men ist, ist nämlich etwas ganz anderes als das, was vonder Koalition bisher zu hören war.
Herr Döring, ich kann nur sagen: Weiter so! Wir werdenaufmerksam beobachten, was Sie dazu zu erklären ha-ben.Besonders interessant fand ich Ihre Einlassungen zurWasserschifffahrtsverwaltung. „Zu groß“, haben Siegesagt. Wo wollen Sie denn sparen? In Würzburg?
In Hannover? In Münster? Wir werden darauf zurück-kommen. Nein, „zu groß“ ist Ihrer Meinung nach nichtdas Problem. Das wahre Ziel, das Sie haben, ist die Pri-vatisierung. Das ist das Ziel.
Was ist eigentlich seit der ersten Lesung passiert? DieKoalition hat unsere Anträge zur Förderung zusätzlicherVerkehre im kombinierten Bereich abgelehnt. Wir habeneine Anpassung der Finanzierungslinie beim CO2-Ge-bäudesanierungsprogramm an den Bedarf vorgeschla-gen. Sie haben das abgelehnt. Wie hat sich das Haus-
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Uwe Beckmeyer
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haltsvolumen entwickelt? Es ist nicht besser geworden.Herr Minister, Sie ruhen sich auf dem aus, was Ihr Vor-gänger Ihnen hinterlassen hat. Aber es kommen keineneuen Impulse.
Wie hat sich die Personalausstattung dieses Hauses ver-ändert? Unsere Anträge hierzu sind ebenfalls abgelehntworden. Wir hingegen haben den nachdrücklichen Ein-druck, dass es aus sicherheitstechnischen Gründen wich-tig ist, beim EBA etwas zuzulegen, dass wir bei derStellenbewertung der Mitarbeiter des Deutschen Wetter-dienstes Handlungsbedarf haben usw.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von derchristdemokratischen Union, was ist eigentlich aus Ih-rem eigenen Haushaltsbeschluss geworden? Sie habenzum Beispiel gefordert, dass ein zukunftsweisendes undnachhaltiges Gesamtkonzept vorgelegt wird. Haben Siedas eigentlich bekommen? Ich suche noch immer da-nach. Den Beschluss habe ich aber wohlweislich aufmeinem Schreibtisch liegen lassen. Ich habe gedacht: Ir-gendwann kommen Sie damit.Sie haben keine Transparenz. Sie haben keine Klar-heit bei der mittelfristigen Finanzplanung. So etwas gibtes nicht.
Das Problem ist: Ich sehe auch keine weiteren Erfolgebeim Minister. Fehlanzeige!Eines will ich Ihnen sagen: Das, was beim kombinier-ten Verkehr geschieht, ist zwar nur eine Kleinigkeit,macht aber eine Tendenz deutlich. Wir haben 170 Kom-biverkehrsanlagen in Deutschland; aber ein Großteil da-von ist veraltet. Es werden keine neuen Impulse gege-ben, Frau Winterstein. Es gibt keine Impulse für neueVerkehrsanlagen und für neue Logistikkonzepte. Das al-les fehlt. Sie streichen das Geld zusammen, obwohl vonprivaten Unternehmen Investitionen in Höhe von450 Millionen Euro angefordert werden. Das ist schwie-rig.
In der Wirtschaftskrise, in der 25 Prozent des KV-Ver-kehrs wegbrechen, weil weniger transportiert wird, legenSie gleichzeitig ein Gigaliner-Programm auf, das denSchienenverkehr erneut belastet.
Dazu kommt, dass Sie Mittel kürzen. Das nennen Sie dieentsprechende Förderung von Schienenverkehr. Sie ma-chen genau das Gegenteil. Sie demontieren den Güter-verkehr auf der Schiene. Das ist leider die entspre-chende Konsequenz.
Wenn Sie dann auch noch sagen, wir hätten noch eineChance beim Transrapid, frage ich mich, was Sie bauenwollen. Wollen Sie den Starnberger See umrunden miteiner Gedächtnisbahn für Edmund Stoiber mit Halt inWolfratshausen, oder was soll daraus werden?
Es ist merkwürdig, dass Sie Geld für diese Verlängerunghaben.Ich hätte das gern auf Bayrisch gesagt; das wäre einbisschen fröhlicher gewesen. Ich hätte gern auch nochetwas zur DB AG, deren Aufsichtsrat und der Personal-findung dort, gesagt; aber das ist angesichts meiner fort-geschrittenen Redezeit nicht mehr möglich.Unter dem Strich muss ich sagen: Dieser Haushalt istim Volumen geprägt durch den Vorgänger
und hat durch Sie eine Verschlechterung und keine Ver-besserung erfahren. Sie haben wichtige Impulse nichtgesetzt. Aus diesem Grunde kann ich Ihnen nur sagen:Wir werden diesen Haushaltsentwurf, den Sie vorgelegtund verschlechtert haben, ablehnen. Ich hoffe, dass Siebei der Frage der Pkw-Maut konsequent sind. Wir habeneinen entsprechenden Entschließungsantrag vorbereitet,dem Sie zustimmen können. Wir hoffen auf Ihre Unter-stützung.Herzlichen Dank.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
jetzt das Wort der Kollege Patrick Schnieder von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Bun-deshaushalt 2010 legt die Koalition ein Zahlenwerk vor,das einerseits ihren Konsolidierungswillen bezeugt undandererseits deutlich macht, dass wir weiterhin denWachstumspfad beschreiten. Die Folgen der Finanz- undWirtschaftskrise sind noch nicht überwunden. Deshalbist es wichtig, die Investitionen auf hohem Niveau zuhalten. Damit werden wir Wachstumsimpulse setzensowie Arbeitsplätze schaffen und sichern.Deshalb kommt dem Einzelplan 12, der den größtenInvestitionsetat des Bundes darstellt, besondere Bedeu-tung in konjunktur- und wachstumspolitischer Hinsichtzu. Wir setzen das Signal auf Vorfahrt für Investitionen.Wir machen mit diesem Haushalt deutlich: Es werdenwichtige und richtige verkehrs- und baupolitische Ak-
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Patrick Schnieder
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zente gesetzt. Ich sage das deshalb in dieser Deutlich-keit, sehr geehrter Herr Kollege Beckmeyer,
verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, weildas, was Sie hier bisher präsentiert haben, ein Dreiklangist, der äußerst dissonant klingt. Sie lehnen alle Einspar-vorschläge ab. Sie fordern Haushaltssanierung ein, aberSie wollen die Ausgaben ausweiten. Ich frage mich, wiedas zusammenpasst. Das hat mit der Realität nichts mehrzu tun.
Sie können auch beim CO2-Gebäudesanierungspro-gramm diese Kluft in der Argumentation nicht überwin-den. Wir setzen diese Erfolgsgeschichte fort. Deshalb istes richtig, dass wir das Volumen des Programms um400 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden Euro ausweiten.Es ist in der Tat bemerkenswert, dass Sie von der SPDdiese Ausweitung des Programms im Haushaltsaus-schuss abgelehnt haben.
– Das ist eine Ausweitung. 400 Millionen Euro plus isteine Ausweitung und keine Einsparung.
Wir brauchen eine Verstetigung dieser Mittel. Wir ha-ben im Jahre 2009 einen Abfluss von über 2 MilliardenEuro gehabt. Es gibt weiterhin großen Bedarf. Deshalbwerden wir für das Jahr 2010 1,5 Milliarden Euro vorse-hen.
Wenn Sie das Ziel verfolgen würden, den Haushalt zusanieren und gleichzeitig Investitionsanreize zu schaf-fen, dann wären Sie, als es um diese Frage ging, mit da-bei gewesen.
Denn dieses Programm hat sowohl klima- bzw. energie-politisch als auch ökonomisch herausragende Bedeu-tung. In diesem Bereich können wir, jedenfalls nach Ein-schätzung der dena, bis zum Jahr 2020, verglichen mitdem Jahr 2005, Energieeinsparungen in Höhe von etwa19 Prozent generieren. Hier gibt es also erhebliche Kli-maschutzpotenziale. Wenn der Bedarf im Moment großist, dann müssen wir dem nachgehen.Zum Zweiten werden mit diesen 1,5 Milliarden EuroInvestitionen in Höhe mehrerer Milliarden Euro angesto-ßen. Das trägt zur Stabilisierung der Konjunktur bei. Daserhält und schafft Arbeitsplätze im Handwerk und imMittelstand.Nicht zu vernachlässigen ist die Tatsache – auch dassei Ihnen ins Stammbuch geschrieben –, dass geringereEnergiekosten natürlich auch die Kaufkraft und Wirt-schaftsleistung der Eigentümer und Nutzer erhöhen. In-sofern hat dieses Programm durchaus auch eine sozialeNote.Ich persönlich freue mich sehr darüber, dass wir mitdem Städtebauförderprogramm für kleinere Städteund Gemeinden den ländlichen Raum in den Mittel-punkt rücken. Als Abgeordneter eines sehr ländlichstrukturierten Wahlkreises weiß ich zu schätzen, dass wirdamit Defizite im ländlichen Raum ausgleichen undAntworten auf den demografischen Wandel, die Alte-rung der Gesellschaft, den Bevölkerungsrückgang unddie Wanderungsbewegungen geben können.Wir müssen uns vor Augen halten, dass gerade indünn besiedelten Räumen kleinere Städte Ankerpunktesind, in wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hin-sicht. Wir stellen für dieses neue Programm zusätzlicheMittel zur Verfügung, um diese Ankerpunkte in Zukunftzu stärken.Auch im Hinblick auf das Förderprogramm zur Stär-kung der Innenentwicklung in den Städten und Ge-meinden gibt es eine große Nachfrage. Dieses Programmist heute deutlich überzeichnet. Deshalb ist die Aufsto-ckung um 20 Millionen Euro mehr als geboten. Es istauch der ausdrückliche Wunsch der Bundesländer undder kommunalen Spitzenverbände, dass hier zusätzlicheMittel eingestellt werden. Im Übrigen setzen wir damitsehr zügig eine Festlegung des Koalitionsvertrages zurStärkung der Innenentwicklung unserer Kommunen um.Dieser Haushalt setzt unter dem Strich wichtige Ak-zente, sowohl im Verkehrs- als auch im Baubereich. Erfördert Investitionen. Er stimuliert Wachstum. Er sichertArbeitsplätze.
Damit verfolgen wir wichtige Ziele in der Verkehrspoli-tik, sowohl was die Anbindung der Metropolregionenangeht als auch – hier mit einem ganz neuen Akzent –was die Anbindung der ländlichen Räume angeht. Wirverfolgen wichtige Ziele im Bereich des Klimaschutzes.
Mit den Programmen im Bereich der Stadtentwicklungwerden wir dem demografischen Wandel erfolgreich be-gegnen.Insofern sage ich Ihnen, lieber Herr Pronold von derSPD: Die Koalition verfolgt weiter entschlossen ihreZiele in der Verkehrs- und der Baupolitik,
wir verfolgen unsere Ziele beim Klimaschutz
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Patrick Schnieder
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und bei der Bewältigung des demografischen Wandels.Dabei setzen wir auf lebendige Städte und Gemeinden.
– Wenn Sie richtig zugehört hätten, Herr Kahrs, dannhätten Sie das im Laufe dieser Debatte mitbekommen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 12, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung, in der Ausschussfassung.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt
für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/1012? Ich bitte um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ände-
rungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen bei Zustimmung der Fraktion Die Linke
und Enthaltung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen.
Wer stimmt für den Einzelplan 12 in der Ausschuss-
fassung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Einzel-
plan 12 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen an-
genommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt I.8 auf:
Einzelplan 16
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
– Drucksachen 17/615, 17/623 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte
Sören Bartol
Heinz-Peter Haustein
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
Die Linke und ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen vor. Außerdem liegt ein Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor,
über den wir am Freitag nach der Schlussabstimmung
abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es
anderweitige Meinungen, Widerspruch? – Nein. Dann
ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Sören Bartol von der SPD-Fraktion
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In der ersten Lesung des Bundeshaushalts
2010, kurz nach der Klimakonferenz von Kopenhagen,
Jetzt erst rechtmachen wir Klimaschutz.Heute, am 16. März, acht Wochen und die Beratungdes Haushaltsplans später, müssen wir feststellen: ImHaushaltsplan für das Jahr 2010 gibt es keine Anhalts-punkte dafür, dass die Ankündigungen des Herrn Minis-ters mehr sind als leere Worte. Wo sind die 420 Millio-nen Euro, die Deutschland für den internationalenKlimaschutz zur Verfügung stellen wollte? Was ist ausder Zusage der Kanzlerin gegenüber der Welt geworden?Nichts, was unserem eigenen Anspruch an nachhaltigenKlimaschutz entspricht.Am Tag der Bereinigungssitzung kam die Koalitionmit ihrem Vorschlag, wie sie die Zusagen, die in Kopen-hagen gegeben worden sind, umsetzen will: für Klima-schutzmaßnahmen in Entwicklungsländern 35 MillionenEuro im Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung und 35 Millio-nen Euro im Haushalt des Umweltministeriums. Da kannman rechnen, so viel man will: Das ergibt nur 70 Millio-nen Euro, nicht aber 420 Millionen Euro. Das ist also ge-rade einmal ein Sechstel der zugesagten Summe.
Selbst dieses Geld haben Sie an anderer Stelle klamm-heimlich wieder kassieren wollen, und zwar ausgerechnetdort, wo es um unsere weltweite Verantwortung für denKlimaschutz geht: 35 Millionen Euro wollten Sie beimweltweiten Umweltschutz im Entwicklungshaushalt kür-zen, und 35 Millionen Euro wollten Sie bei den Investi-tionen in Klimaschutz und Schutz der Biodiversität imAusland kürzen. Das ist die Methode: Mit der einen Handgeben, mit der anderen Hand nehmen.
Für wie dumm halten Sie die Menschen? Meinen Sie,die würden das nicht merken?
Immerhin ist es dank unseres Einschreitens nicht so weitgekommen.
– Die Sondersitzungen und Unterbrechungen sind mirnoch bewusst. Aber ich bin ja froh, dass die Koalition inden Beratungen schließlich doch unserem Vorschlag ge-folgt ist, wenigstens 70 Millionen Euro zur Verfügung zustellen. Diese 70 Millionen Euro bleiben aber ein Skan-
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dal; denn sie sind weit weniger als die angekündigten420 Millionen Euro, die zusätzlich für den Klimaschutzversprochen worden sind.
Nun aber zu einem weiteren Punkt: Förderung dererneuerbaren Energien. Hier ist das, was Sie vorgeführthaben, zwar bühnenreif, aber leider keine reife Leistung.Zunächst war im Haushaltsentwurf für 130 MillionenEuro zur Förderung erneuerbarer Energien eine Sperrevorgesehen. Nach heftiger Diskussion im Haushaltsaus-schuss wurde diese Sperre mit Zustimmung aller Frak-tionen aufgehoben. Es folgte eine erneute Beratung, inder der Ansatz von der Koalition um 15 Millionen Euroauf 452 Millionen Euro reduziert wurde. Davon habenSie in einem letzten Hauruckverfahren noch einmal115 Millionen Euro mit einem Sperrvermerk versehen.Das ergibt am Ende der Beratungen faktisch 130 Millio-nen Euro weniger als im Vorjahr – trotz all Ihrer Bekun-dungen im Vorfeld, trotz der Erklärungen der Koalition inder ersten Lesung des Haushalts.Der geschätzte Kollege Schulte-Drüggelte aus IhrenReihen hat das in der Sitzung am 21. Januar 2010 scharfkritisiert. Er sagte – ich zitiere ihn –:Wenn man das so wie jetzt geplant machte, würdedarunter das Marktanreizprogramm besonders lei-den.
Das führte wieder zu einer Stop-and-go-Förderung.Das wäre für dieses Programm nicht gut.
Die Sperre führt dazu, dass in diesem Jahr praktischkeine neuen Anträge auf Solarkollektoren, effizientereWärmepumpen oder Pelletkessel angenommen werdenkönnen. Damit wird es einen deutlichen Einbruch beiden erneuerbaren Energien geben, und dieser Einbruchwirkt nach. Dadurch wird das Vertrauen in die Verläss-lichkeit der Förderung untergraben. Hausbesitzer, Unter-nehmer und Kommunen werden künftig wieder ohne er-neuerbare Energien planen, weil sie keine Hilfe bei derÜberwindung der Kostenklippe sehen. Sie, meine Da-men und Herren der Koalition, verspielen mit einer sol-chen Entscheidung die Chance, die auch von Ihnen ge-tragenen Klimaschutzziele zu erreichen.Die Erlöse aus den Emissionszertifikaten sind ausdem Umwelthaushalt in den Einzelplan 60 – AllgemeineFinanzverwaltung – verlagert worden. Diese Entschei-dung ist sachlich durchaus begründet, stellen diese Ein-nahmen doch einen Teil der generellen Einnahmen desBundes dar.Damit war jedoch die Hoffnung verbunden, dass diedirekte Kopplung der Förderung erneuerbarer Energienan die Erlöse aus dem Emissionshandel aufgehoben odergelockert wird. Leider haben sich Union und FDP zudiesem sinnvollen Schritt aber nicht entschließen kön-nen. Die Kopplung an die Emissionshandelserlösebleibt uns erhalten, mit der fatalen Folge, dass mit sin-kenden Erwartungen an die Erlöse auch die Investitionenin die erneuerbaren Energien sinken. Statt ursprünglich915 Millionen Euro erwartet die Regierung nur nochEinnahmen in Höhe von 815 Millionen Euro. Wahr-scheinlich werden es noch weniger. Damit steht auchweniger für die Förderung erneuerbarer Energien zurVerfügung. Eine aktive, vorausschauende Klimaschutz-politik ist mit diesen Fußfesseln nicht möglich.
Meine Damen und Herren der Koalition, dass Sienicht vorhaben, erneuerbare Energien zu fördern, wissenwir ja spätestens seit Ihren Überlegungen zu den Lauf-zeiten von Atomkraftwerken.
Herr Röttgen, Sie versuchen immerhin, den gröbstenAuswüchsen zu begegnen und ganz langsam moderateLaufzeitverlängerungen ins Gespräch zu bringen. Anden Reaktionen der Koalition zeigt sich, dass Sie mitdiesem Standpunkt in Ihren Reihen alleine dastehen.Doch auch Ihre Haltung zur Atomenergie, Herr Rött-gen, ist unverantwortlich; denn selbst für den bisher ent-standenen Atommüll gibt es keine technisch ausgereifteoder finanzierbare Endlagerung. Die Frage, wer die un-weigerlich auf uns zukommenden Kosten für die Endla-gerung tragen wird, ist nicht beantwortet. Sehenden Au-ges in die Katastrophe!
Jeder Tag längere Laufzeit bedeutet jeden Tag neuenstrahlenden Müll für unsere Kinder.
Minister Röttgen, wie soll es denn jetzt eigentlich mitder Asse weitergehen? Experten empfehlen das Zurück-holen des gesamten dort gelagerten Atommülls. In IhremHaushalt zeigen Sie darauf aber keine Reaktion. Sie,Herr Minister Röttgen, haben den Ansatz für die Assenoch einmal um 20 Prozent auf 75 Millionen gekürzt –wider besseres Wissen; denn im Grünbuch geben Sie jaselber an, dass hierfür jährlich 98 Millionen Euro not-wendig wären. Es drängt sich der Verdacht auf, dass Sieauch in dieser Frage, wie bei so vielen anderen, auf Zeitspielen. Machen Sie sich bitte klar, dass die Zeit an die-ser Stelle definitiv gegen Sie arbeitet und dass die Men-schen und vor allen Dingen die Umwelt nicht beliebigauf eine Lösung warten können.
Jetzt wollen Sie Gorleben wieder beleben und denAtommüll ins Wendland kippen. Sie setzen auf ein totesPferd. In diesem Salzstock mit seiner unrühmlichen Ge-schichte sind bereits 1,5 Milliarden Euro verbaut wor-
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den. Für die von Ihnen geplante Erkundung – das sagenSie ja selbst – wird mindestens derselbe Betrag erforder-lich sein. Das Problem der Endlagerung wird aber auchdadurch nicht gelöst. Für dieses Problem gibt es einfachkeine Lösung. Allein schon deshalb können wir dieAtomkraft nicht weiter verantworten.
– So ist es.Zum Abschluss noch eine Bemerkung zu einemscheinbar kleinen Detail des Haushalts. 106 neue Perso-nalstellen werden gefordert. Das ist eine Steigerung derZahl der Stellen um fast 4 Prozent innerhalb eines Jahres.Darunter befinden sich sieben neue Stellen für den Lei-tungsbereich. Ob diese Aufstockung angesichts der Haus-haltslage wirklich nötig ist, sei einmal dahingestellt.Zusätzlich wollen Sie Ihren Leitungsbereich um-bauen. Das kostet – so ist es jetzt beschlossen worden –die Kleinigkeit von 2 Millionen Euro. Das Geld dafürkommt – jetzt frage ich einmal, wen das überrascht – auseiner Kürzung der Mittel für die Förderung von Einzel-maßnahmen zur Nutzung der erneuerbaren Energien.
Das ist von der Größenordnung her vielleicht nicht diebedeutsamste Position, doch sie ist bezeichnend für dieUmwelt- und Haushaltspolitik dieser Regierung und die-ser Koalition: nicht in die gute Sache investieren, son-dern in die eigenen Interessen.Diese Haltung machen wir nicht mit. Deshalb werdenwir dem Haushalt 2010 und vor allen Dingen dem Ein-zelplan 16 unsere Zustimmung verweigern.Vielen Dank.
Der Kollege Bernhard Schulte-Drüggelte spricht nun
für die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Ich möchte mich zu Beginn bei allen bedanken,die intensiv an den Beratungen teilgenommen haben,auch bei Ihnen, Kollege Bartol. Bei den Beratungen ha-ben Sie auch vernünftige Dinge gesagt; ich möchte dasnicht abstreiten. Man konnte das eben aber nicht so ge-nau erkennen; deshalb will ich das einmal sagen.
– Ja.
Ich möchte ganz deutlich sagen, dass die Koalitiontrotz der Wirtschaftskrise an ihren ambitionierten Zielenfesthält. Das bedeutet, dass die Treibhausemissionen bis2020 gegenüber 1990 um 40 Prozent gesenkt werdensollen. Dabei bleibt es bei aller Anstrengung um dieKonsolidierung des Bundeshaushalts.Dass bei den Haushaltsberatungen eine Senkung derNeuverschuldung um über 5 Milliarden Euro erreichtwurde, ist schon eine bemerkenswerte Leistung. Es istschön, zu sehen – als Mitglied des Haushaltsausschussesund als jemand, der an den Beratungen teilnimmt, mussich das sagen –, dass dabei auch einmal etwas Vernünfti-ges herauskommt.
Es wurde bei allen Ressorts gespart. Trotzdem – ichwill das nicht so negativ sehen, wie Sie es gerade vorge-tragen haben – erfährt der Haushalt des Umweltministerseinen leichten Aufwuchs, und zwar um 7,9 MillionenEuro auf insgesamt rund 1,6 Milliarden Euro,
und dies ganz besonders für den Klimaschutz. 1,6 Milli-arden Euro hören sich vielleicht nicht nach einer beson-ders großen Summe an. Alle, die sich mit dem Themabefasst haben, wissen aber, dass Umweltschutz eineQuerschnittsaufgabe ist und andere Ministerien beteiligtsind. Wir haben gerade erst intensiv über die Mittel fürdas Gebäudesanierungsprogramm diskutiert, die eineähnliche Größenordnung haben.Herr Bartol, Sie haben gerade den Titel „Klima-schutzmaßnahmen in Entwicklungsländern“ angespro-chen. Im Haushaltsausschuss wurde darüber wirklichsehr intensiv diskutiert. Dieser Titel wurde neu geschaf-fen. Im Umweltministerium wurden 35 Millionen Eurozur Verfügung gestellt. Gleichzeitig wurden im Ministe-rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-lung noch einmal 35 Millionen Euro zur Verfügung ge-stellt.
– Das sage ich doch gerade. Insgesamt war ein Betragvon 420 Millionen Euro angesetzt. 350 Millionen Eurokönnen aus bestehenden Haushaltstiteln finanziert wer-den.
70 Millionen Euro kommen dazu. Das ist ein erfreuli-ches Ergebnis dieser Haushaltsberatungen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2685
Bernhard Schulte-Drüggelte
(C)
(B)
Das bedeutet, dass diese Koalition, was internationaleVerpflichtungen angeht, eindeutig zu ihren Aussagensteht. Das muss man einmal ganz deutlich sagen.
– Wieso ist das eine Lüge? Ich habe doch gerade erklärt,wie das zusammenhängt.
– Er sollte das mal nachlesen.Gelungen ist eine systematische Veränderung. Dasbetrifft die Einnahmen aus dem Verkauf von CO2-Emissionszertifikaten, die bisher im Einzelplan desUmweltministeriums angesetzt wurden und jetzt zur All-gemeinen Finanzverwaltung gehören. Das war eine sehrrichtige Entscheidung. Dadurch wurde unter anderemdie Forderung aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt,nach der alle Einnahmen dem Gesamthaushalt zur Verfü-gung stehen müssen.Ich möchte eines ganz deutlich sagen: Die Haushalts-titel, die klimaschützende Maßnahmen betreffen, dürfennicht vom Auf und Ab der Börsen beeinflusst werden.Der Handel mit Emissionszertifikaten darf die Investitio-nen in den Klimaschutz nicht beeinträchtigen. Das mussman trennen. Das ist unsere klare Zielsetzung.
Ich zitiere dazu Kanzlerin Merkel:Niemals dürfen wir zulassen, dass die weltweiteFinanz- und Wirtschaftskrise eine billige Ausredefür mangelnden Schutz unserer Umwelt wird. Daswäre einer der größten Fehler, die wir machenkönnten.Das steht in der Regierungserklärung der Bundeskanzle-rin vom November 2009.
Es ist eine klare Ansage, die die Notwendigkeit unter-streicht, dass wir die Investitionen in den Klimaschutzvon den Schwankungen der Börse trennen müssen.
Im Einzelplan des Umweltministeriums wurden des-halb die Forschungsausgaben im Bereich der erneuer-baren Energien gesteigert. Es sind je 5 Millionen Euromehr für Forschung und Entwicklung sowie für Investi-tionszuschüsse vorgesehen. Dieser deutliche Anstieg derForschungsförderung im Bereich der erneuerbaren Ener-gien ist richtig und wichtig für den Schutz des Klimas,aber auch für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt.Ich möchte dem Umweltminister ausdrücklich zu-stimmen, wenn er sagt:Wir brauchen die Innovationen und die Modernisie-rung … Es ist ein Prozess der ökologischen Verän-derung, der Veränderung der Lebensweise und derArt, zu wirtschaften. Am allermeisten ist es aberauch ein Prozess der wirtschaftlichen Modernisie-rung unseres Landes.Die Erzeugung erneuerbarer Energien muss konti-nuierlich weiterentwickelt werden. Nur so können Kos-ten gesenkt und Marktreife und Wettbewerbsfähigkeitmöglichst schnell hergestellt werden. Ein Schlüsselwortin diesem Zusammenhang ist Nachhaltigkeit. Nachhal-tigkeit ist in unserem ureigenen Interesse, auch in unse-rem ureigenen ökonomischen Interesse, um das ganzdeutlich zu sagen.Wie aber auch angesprochen wurde, gibt es im Ein-zelplan 16 auch Einsparungen. Im Verwaltungshaushalthaben alle Ministerien ihren Beitrag geleistet. Betroffenwar aber auch der Programmhaushalt des Umweltminis-teriums; das ist klar. Die Streichungen sind jedoch nichtnach der Rasenmähermethode erfolgt.Ich möchte einen Bereich besonders herausgreifen,und zwar den Titel „Zuschüsse zum Kauf von Partikel-filtern“. Im vergangenen Jahr gab es hier einen Ausgabe-rest von 43 Millionen Euro, der 2010 genutzt werdenkann. Aufgrund dieser hohen Haushaltsreste konnte derAnsatz 2010 gesenkt werden, ohne dass es dabei zu Be-einträchtigungen kommt.Ich möchte aber auf das Problem hinweisen, dassviele zu Beginn des Jahres, als der Haushalt noch nichtverabschiedet war, im Vertrauen auf eine Förderung ihrFahrzeug mit einem Partikelfilter nachgerüstet haben.Ich meine, dass alle diejenigen, die das getan haben,nicht außen vor bleiben dürfen. Ich hoffe, dass zwischendem Umweltministerium und dem Finanzministeriumeine faire Regelung im Interesse derjenigen gefundenwird, die Vertrauen in die Koalition gehabt haben.
– Welcher Minister?
– Ich habe mich gerade gefragt, ob Sie den Finanzminis-ter oder den Umweltminister meinen.Einsparungen wurden auch beim Marktanreizpro-gramm und beim Endlager Morsleben vorgenommen.Aber besonders die neue Veranschlagung der Einnahmenaus dem Verkauf der Emissionszertifikate ist eine guteVorbedingung für nachhaltigen Klimaschutz, unabhän-gig von kurzfristigen Preisschwankungen.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, mit demBundeshaushalt 2010 ist deutlich geworden, dass diechristlich-liberale Koalition langfristig agiert und ver-lässliche Rahmenbedingungen im Bereich Umwelt undKlimaschutz gesetzt hat. Ich setze mich mit meinen Kol-legen dafür ein, dass das 2011 so weitergeht.Danke schön.
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin EvaBulling-Schröter das Wort.
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2686 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Das Fraunhofer-Institut ist gerade in einem Gutachten zueinem interessanten Ergebnis gekommen, nämlich dassin der Bundesrepublik, will man die internationaleMarktfähigkeit der Fotovoltaikunternehmen hierzulandeerhalten, genau das Gegenteil von dem getan werdenmuss, was die Bundesregierung vorhat. Schwarz-Gelbwill die Einspeisevergütung für Solarstrom über dieplanmäßige Degression hinaus einmalig um 16 Prozentkappen. Das aber wäre der GAU für viele heimische So-larunternehmen, gerade in Ostdeutschland, wo diese Be-triebe vielfach über die EEG-Umlage hinaus zu Beginnauch öffentliche Fördergelder der Länder erhalten haben,aber auch in Westdeutschland, zum Beispiel in Bayern,meine Kolleginnen und Kollegen von der CSU. Was fürein wirtschafts- und finanzpolitischer Unsinn; das mussich Ihnen einmal sagen! Denn am Ende gehen durchdiese Politik nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch Steu-ereinnahmen verloren.
Wir sind für eine Absenkung; denn es stimmt, dassdie Produktionskosten deutlich stärker gesunken sind,als das bei der garantierten Vergütung vorgesehen war.Aber das Ausmaß der Minderung muss stimmen; es darfeben nicht die Firmen killen. Das sollte auch die FDPbegreifen, die sich ja gern als Hüterin des Mittelstandsausgibt. Laut Fraunhofer-Institut wären einmalig maxi-mal 6 bis 10 Prozent an zusätzlicher Absenkung gerecht-fertigt und nicht 16 Prozent. Wir unterstützen dies.
In diesem Zusammenhang wäre es im Übrigen sinn-voll, nicht jährlich, sondern quartalsweise abzusenken.Gegen Jahresende drängeln sich die Aufträge für dieHandwerker enorm, nach Silvester ist dann erst einmalmonatelang Schicht im Schacht, und das macht keinenSinn.Laut Fraunhofer-Institut sollte auch die deutsche For-schungs- und Entwicklungsförderung bei erneuerba-ren Energien deutlich ausgebaut werden. Die deutschenHersteller, so heißt es, seien gegenüber den asiatischennur dann konkurrenzfähig, wenn sie die technologischeFührung innehätten. Der Bundeshaushalt sieht hier aberkeinerlei Aufstockung vor. Das wundert mich ein wenig;denn Bundesumweltminister Röttgen verkündete ja ge-rade überall, was nach dem Scheitern von Kopenhagenbesonders wichtig sei, nämlich Umweltpolitik von un-ten. Vielleicht meint er nicht gerade, dass eine Blockadevor einem Kohlekraftwerk organisiert werden sollte;aber wenigstens sollten auf nationaler Ebene erneuerbareEnergien und Energieeffizienz vorangebracht werden,egal was auf UN-Ebene herauskommt – er nickt –; denn– so seine durchaus nachvollziehbare Logik –: Wenn wirdas Geschäft nicht machen, dann machen es die Chine-sen.Dann frage ich mich aber, warum die Mittel für For-schungs- und Entwicklungsvorhaben bei erneuerbarenEnergien nicht angehoben werden, sondern bei 65 Milli-onen Euro verharren. Die Linke fordert hier eine Ver-dreifachung. Dies nutzt langfristig Klimaschutz und Be-schäftigung gleichermaßen.Wenn wir schon bei den verschiedenen Umlagen undZuschüssen zur Förderung erneuerbarer Energien sind,möchte ich eines sagen: Die Linke steht auch bei derBranche der erneuerbaren Energien für gute Arbeit undMitbestimmung. Es kann nicht sein, dass hier mancheFirmen seit Jahren den Belegschaften Betriebsräte ver-weigern und Tarifflüchter sind. Ich sage an dieser Stelleganz deutlich: Wer bei den finanziellen Rahmenbedin-gungen keine FDP-Verhältnisse will, sollte sie auch sei-nen Beschäftigten nicht zumuten.
Das größte umwelt- und entwicklungspolitische De-saster dieses Haushalts findet sich in der Finanzierungdes internationalen Klimaschutzes. BundeskanzlerinMerkel hatte in Kopenhagen für die Schnellstartphase2010 bis 2012 immerhin 420 Millionen Euro jährlich zu-gesagt. Das wäre unserer Ansicht nach zu wenig, aberfür den Anfang schon eine Hausnummer. Mit den Gel-dern sollen globale Klimaschutzprojekte im Süden fi-nanziert werden. Das ist ein Teil des Deals, damit derNorden mit seinen vielfach höheren Emissionen nichtgleich seine Volkswirtschaften abwürgen muss, um das2-Grad-Ziel einzuhalten. Darüber hinaus sollten damitMaßnahmen zur Anpassung an den hauptsächlich vonuns verursachten Klimawandel bezahlt werden, der Bauvon Dämmen gegenüber Überschwemmungen etwa oderdie Entwicklung salzresistenter Getreidesorten.Was ist nun dabei herausgekommen in der Nacht derlangen Messer? Gerade einmal 70 Millionen von den420 Millionen Euro sind frisches Geld. Der Rest sindnichts weiter als Mittel, die längst schon für andere Ver-sprechen verplant waren,
beispielsweise für den internationalen Biodiversitäts-schutz und für Regenwaldprojekte. Hier hat die Kanzle-rin bei der CBD 2008 in Bonn ebenfalls großspurig Zu-sagen gemacht. Das alles wird miteinander verrechnet.Ich meine, dies ist nicht Zahlenakrobatik, sondern Vor-spiegelung falscher Tatsachen.
Kürzen Sie lieber bei solch überflüssigen Posten wie derCDM/JI-Initiative des BMU. Mit Emissionsgutschriftenaus vermeintlichen Klimaschutzprojekten in Entwick-lungsländern wird schon genug Geld verdient, und das,obwohl viele dieser Projekte für keinen zusätzlichen Kli-maschutz sorgen und überdies nicht nachhaltig sind.Mir liegt eine aus Indien stammende Broschüre mitdem Titel „Money for nothing“ zum CDM vor, die in dernächsten Woche bei Misereor vorgestellt wird. Wir allesollten diese Broschüre genau lesen und die Konsequen-zen daraus ziehen; denn wenn Geld für Klimaschutz ein-gesetzt wird, dann sollte es erfolgreich sein und nicht fürCDM ohne irgendwelche Wirkungen verprasst werden.Danke.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2687
Eva Bulling-Schröter
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Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Heinz-Pe-
ter Haustein das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Da-men und Herren! Zuerst möchte ich mich bei Herrn Mi-nister Röttgen und seinem kompetenten Team im Minis-terium sowie bei meinen Kollegen für die Aufstellungdes Haushaltes bedanken. Wir haben hier eine ordentli-che Arbeit geleistet. Ich bin froh und dankbar, dass ich ineinem Land leben darf, in dem Umweltschutz, Natur-schutz und die Achtung vor der Schöpfung einen hohenStellenwert genießen.
Ich kenne das auch anders. In der ehemaligen DDRhat man sich um den Umweltschutz überhaupt nicht ge-schert. Das letzte Mal habe ich Ihnen davon berichtet,dass man Plaste und Teerpappe verfeuert hat. Das Ganzewurde angereichert, und Dampf entstand. Heute möchteich über etwas anderes berichten. Mein damaliger Gal-vanikbetrieb, in dem Metalle veredelt wurden, hat Säu-ren und Spülstoffe einfach in einen Bach geleitet. DieFolge war: Im Umkreis von 50 Kilometern gab es keineneinzigen Fisch. Nur so viel, da sich die Linken immer soüber den Umweltschutz echauffieren.
Wir machen Umweltschutz mit Herz. Die christlich-libe-rale Koalition hat den Umweltschutz zur Herzenssacheerklärt.Ich möchte Ihnen ein paar Zahlen nennen, da wir inden Haushaltsberatungen sind. Der Haushalt des BMUhat ein Volumen von insgesamt 1,59 Milliarden Euro.Davon entfallen 1,222 Milliarden Euro auf den Stamm-haushalt. Für den Endlagerbereich sind 367 MillionenEuro veranschlagt. Der Stammhaushalt gliedert sich inden Verwaltungshaushalt mit einem Volumen von261,9 Millionen Euro und den Programmhaushalt mit ei-nem Volumen von 947,3 Millionen Euro. Hinzu kom-men Querschnittsaufgaben in anderen Ministerien. Ichmöchte Ihnen wenigstens einige aufzählen. Für das Aus-wärtige Amt sind 88 Millionen Euro veranschlagt, fürdas Finanzministerium 299 Millionen Euro – das betrifftvor allem die Sanierung der Braunkohlenbergwerke –,im Forschungstitel des Wirtschaftsministeriums 455 Mil-lionen Euro für die Entwicklung eines Elektroautos, fürdas Landwirtschaftsministerium 330 Millionen Euro, fürdas Verkehrs- und Bauministerium 1,055 MilliardenEuro – 460 Millionen Euro entfallen dabei auf die Ge-bäudesanierung – sowie für das BMZ, das Ministeriumunseres verehrten Herrn Niebel, 1,224 Milliarden Eurofür den Klima- und Umweltschutz. Da soll noch jemandsagen, wir machten nichts.
– Wir machen viel mehr, als vorgegeben war.Wir kämpfen um eine Umweltpolitik mit Herz. Wirmüssen von der grünen Ideologie wegkommen. Ideolo-gie bringt uns nicht vorwärts. Es bedarf vielmehr Ver-nunft und Weitsicht. Dann kann man den Menschen um-weltpolitische Maßnahmen viel besser vermitteln.
Es gibt auch noch den Naturschutz. Er ist immer dannproblematisch, wenn man übertreibt. Wenn man an derA 17 südlich von Dresden eine Brücke für Fledermäuse,die eigentlich fliegen können, baut – das ist passiert –,dann ist der Naturschutz überzogen. Deshalb brauchtman auch dort Augenmaß und die Abwägung zwischenwirtschaftlichem Erfordernis und Naturschutz.Ich möchte in der Kürze der Zeit noch auf einigePunkte eingehen. Für die Rußpartikelfilter gibt es, wiemein verehrter Kollege Schulte-Drüggelte sagte, einenHaushaltsrest von 43 Millionen Euro, 26 Millionen Eurofür dieses Jahr. Insgesamt haben wir 69 Millionen Eurozur Verfügung. Wir werden auch Lkws bis 3,5 Tonnenfördern, voraussichtlich mit 600 Euro. Das ist eine guteSache; das hilft dem Mittelstand und den Handwerkern.
Das Marktanreizprogramm haben wir angepasst.
Wir haben es mit einer Sperre versehen. Das beruht aufunserem Weitblick. Für den Fall, dass wir genug Einnah-men haben, werden wir die Sperre auflösen. Aber vonvornherein Geld ausgeben, das wir nicht haben, gehtnicht. Das ist nicht die Politik der christlich-liberalenKoalition.
Wir wollen nur das Geld ausgeben, das wir haben,Freunde.
Anders geht es nicht. Immer nur Geld heraushauen, abernicht fragen, woher es kommt, damit habt ihr Erfahrung.Ihr von der SPD habt uns 300 Milliarden Euro Schuldenhinterlassen. An eurer Stelle wäre ich ganz ruhig.
Umweltschutz und Naturschutz, das ist die Herzenssa-che unserer christlich-liberalen Koalition.Ich danke mit einem herzlichen Glückauf aus demErzgebirge.
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2688 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
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Das Wort hat der Kollege Sven-Christian Kindler fürdie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Klima-schutz ist in aller Munde, und Klimaschutz ist – das wis-sen wir – ein Zukunftsthema. Wir wissen auch, dass dasnicht nur die größte ökologische Herausforderung unse-rer Zeit ist, sondern vor allen Dingen auch die größte so-ziale und ökonomische Herausforderung des 21. Jahr-hunderts.
Das gilt insbesondere nach den enttäuschenden Ver-handlungen von Kopenhagen. Dass dort kein internatio-nales Klimaschutzabkommen ausgehandelt wurde, darfallerdings kein Grund für uns sein, den nationalen undinternationalen Klimaschutz zu vernachlässigen. Im Ge-genteil: Gerade jetzt muss die Bundesrepublik Vorreite-rin sein und mit einer ambitionierten Klimapolitik dieChancen des sozialökologischen Umbaus von Wirtschaftund Gesellschaft vorantreiben.
– Sie tun es eben nicht.Dieser Tatsache wird die schwarz-gelbe Koalition mitihrem Gesetzentwurf zum Bundeshaushalt 2010 über-haupt nicht gerecht. Gerade wenn man sich den Haushaltin Bezug auf den Klimaschutz anschaut, dann sieht man,wie weit die Ankündigungen einerseits und das Handelnandererseits auseinanderklaffen. Minister Röttgen hat inseiner Regierungserklärung am 11. November 2009 an-gekündigt, dass es für ihn drei wichtige Themen in derUmweltpolitik gibt: erstens Klimaschutz, zweitens Ener-giepolitik und drittens Schutz der biologischen Vielfalt.Wenn man sich die drei Felder konkret anschaut, dannsieht man, dass auf keinem der drei Felder Erfolge er-zielt wurden. Auch im Haushalt spiegelt sich diese Prio-risierung überhaupt nicht wider.
– Ich komme konkret dazu. – Selbst die bescheidenenZusagen von Kopenhagen, die Kanzlerin Merkel undMinister Röttgen gemacht haben, werden nicht eingehal-ten, obwohl gerade Deutschland als Industrieland sichseiner Verantwortung stellen müsste und den armen Län-dern, die besonders vom Klimawandel betroffen sindund die schwersten Folgen zu tragen haben, aber am we-nigsten dafür können, bei der Anpassung an den Klima-wandel und beim Klimaschutz helfen müsste. Das istkeine Frage von Wohltätigkeit, sondern das ist eineFrage von Verantwortung und globaler Gerechtigkeit.
Versprochen hat die Regierung 420 Millionen Euro,doch ursprünglich wollte sie gar kein zusätzliches Geldin den Haushalt einstellen; Kollege Bartol hat das ausge-führt. Nur auf massiven Druck der Opposition in der Be-reinigungssitzung hat sie 70 Millionen Euro eingestellt.Aber auch das ist viel zu wenig, auch das ist ein klarerBruch der Kopenhagener Versprechen, und das ist eineBankrotterklärung für die deutsche Klimapolitik.
Vor allen Dingen ist das international eine totale Bla-mage, gerade für Angela Merkel. Das zeigt ganz deut-lich: Angela Merkel ist die Antiklimakanzlerin, und sieverspielt mit ihren billigen Taschenspielertricks das An-sehen und die Glaubwürdigkeit Deutschlands auf deminternationalen Klimaparkett.
Auch bei der Energiepolitik versagt die Regierung.Minister Röttgen drückt sich bisher, wahrscheinlich biszur NRW-Wahl, um eine eindeutige Stellungnahme proAtomkraft herum. Allerdings dürfen wir nicht vergessen,dass sich Minister Röttgen schon für eine Verlängerungder Laufzeiten der Atomkraftwerke von acht Jahren aus-gesprochen hat.Dieser Pro-Atom-Kurs kommt natürlich auch beimThema erneuerbare Energien zum Ausdruck. Röttgen in-szeniert sich selbst gern als Einstiegsminister in die er-neuerbaren Energien; doch in der Realität blockiert erden Ausbau erneuerbarer Energien und tritt für Laufzeit-verlängerungen ein. Das alles passt nicht zusammen.
Schauen wir uns das Ganze einmal konkret an: An-statt das erfolgreiche Programm zur Förderung von er-neuerbaren Energien fortzusetzen, auszubauen und da-mit Arbeitsplätze bei kleinen und mittelständischenUnternehmen und die Arbeitsplätze im Handwerk zu si-chern, kürzen Sie dieses Programm um fast 20 MillionenEuro. Gut ein Viertel dieser Mittel, 115 Millionen Euro,sind gesperrt, obwohl der Haushaltsausschuss dieseSperre eigentlich schon aufgehoben hat. Auch die FDPund die CDU/CSU haben damals für die Aufhebung derSperre gestimmt.Ihre Prioritäten, Herr Röttgen, erkennt man, wennman sich anschaut, wofür Mittel, zum Beispiel solchezur Förderung von Einzelmaßnahmen für erneuerbareEnergien, gekürzt worden sind: unter anderem für denNeubau des Ministeriums und damit für Ihr neues schi-ckes Ministerbüro. Nur weil sich der Minister eine teureKommunikationsabteilung leistet, wird jetzt bei einer er-folgreichen Klimaschutzinitiative und dem Marktanreiz-programm gekürzt. Das finde ich extrem dreist. Daszeigt endgültig, Minister Röttgen: Sie sind kein Ein-stiegsminister in die erneuerbaren Energien; Sie sind einMinister für die Verlängerung von Laufzeiten von Atom-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2689
Sven-Christian Kindler
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kraftwerken, und Sie sind ein Ausstiegsminister aus denerneuerbaren Energien.
Kommen wir einmal zur biologischen Vielfalt. Waspassiert beim Schutz der biologischen Vielfalt? Man hältschöne Reden – das muss man Ihnen lassen –; aber kon-kret passiert nichts. Seit 2008 hat Deutschland den Vor-sitz der CBD, also der UN-Konvention zur Biodiversität.Noch am 11. Januar 2010 hat Frau Merkel anlässlich derEröffnung des Internationalen Jahres der biologischenVielfalt gesagt:Die Frage der Erhaltung der biologischen Vielfalthat dieselbe Dimension und Bedeutung wie dieFrage des Klimaschutzes.Doch was ist bisher passiert? Gar nichts, also noch weni-ger als beim Klimaschutz. Im Koalitionsvertrag wurdeein Bundesprogramm für biologische Vielfalt angekün-digt. Nichts ist passiert. Die nötigen Mittel wurden nichtin den Haushalt eingestellt. Auch hier konnte sich HerrRöttgen in den Haushaltsverhandlungen nicht durchset-zen. Täglich verschwinden weiterhin bis zu 30 Artenvon der Erde. Damit muss endlich Schluss sein, HerrRöttgen. Reden Sie nicht nur, handeln Sie endlich auch!
Die Zeit drängt. Wir müssen jetzt handeln, und wirmüssen jetzt in die Zukunft investieren. Wir müssenauch klimaschädliche Subventionen und Steuervergüns-tigungen abbauen.Kommen wir zur Gegenfinanzierung: Wir können inunseren Anträgen auf Erhöhung von Mitteln im BereichEnergieeffizienz, im Bereich Klimaschutz eine Gegen-finanzierung präsentieren, indem wir für den Abbau kli-maschädlicher Subventionen eintreten. Das tun Sie nicht.Sie bauen keine Subventionen ab. Sie legen einen Haus-halt vor, durch den der Klimawandel nicht verlangsamt,sondern beschleunigt wird. Immer noch werden Milliar-densummen für schwere Dienstwagen mit hohem CO2-Ausstoß ausgegeben, für Kohlesubventionen oder für dieSteuerbefreiung von Kerosin im Flugverkehr. Damitmuss Schluss sein. Der Klimawandel darf nicht weitermit Milliardensummen gefördert werden. Wir müssenjetzt endlich in den ökologisch-sozialen Umbau von Ge-sellschaft und Wirtschaft investieren.Vielen Dank.
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Norbert Rött-gen.
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit:Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnenund Kollegen! Der Haushalt, den wir in dieser Woche inzweiter und dritter Lesung debattieren, ist geprägt durchdie Finanzmarktkrise – es wird nicht der letzte Haushaltsein, der dadurch geprägt ist –; er ist geprägt durch dieRettungsmaßnahmen, veranlasst durch die Finanzmarkt-krise. Er ist darum, nebenbei gesagt, in seiner Dimen-sion, natürlich nicht in jeder Einzelheit, geprägt und ver-ursacht durch die Entscheidungen, die in der GroßenKoalition von CDU/CSU und SPD ganz maßgeblich ge-troffen worden sind. Darum kann man sich als Opposi-tion den fiskalischen Konsequenzen der getroffenen Ent-scheidungen zur Abwendung der Krise jetzt nichtentziehen.
Es gibt eine sehr wichtige Erkenntnis, die auf demHöhepunkt der Krise hier von diesem Pult immer wiederauch von der Bundeskanzlerin vorgetragen worden istund die immer noch maßgeblich ist, nämlich dass wirmit Entschlossenheit das Ziel verfolgen wollen, aus die-ser Krise, so schlimm und so fundamental sie auch ist,gestärkt herauszukommen.
Das heißt, dass wir diese Krise in ihren Konsequenzen– wir befinden uns ja in den Haushaltsberatungen – nichtnur fiskalisch erleiden dürfen, sondern dass wir sie auchpolitisch zu gestalten haben. Das ist die Aufgabe, vor derwir stehen.Die ordnende Antwort – ich betone das besonders inder Debatte um den Umweltetat; es ist aber genauso inden Debatten über die anderen Haushalte angemessen –auf den Exzess der Kurzfristigkeit, welcher die Finanz-marktkrise ja kennzeichnet, ist eine Politik der Nach-haltigkeit. Das ist die ordnende Antwort.
Diese ordnende Antwort, auf die Erfahrungen mit demExzess der Kurzfristigkeit mit Nachhaltigkeit zu reagie-ren, hat ganz konkrete Konsequenzen für unsere politi-sche Strategie.Der Kollege Schulte-Drüggelte hat zu Recht ausge-führt: Es geht darum, dass wir begreifen, dass durch Kli-maschutz, dass durch Ressourceneffizienz, dass durcheine nachhaltige Nutzung unserer natürlichen Lebens-grundlagen gerade unsere wirtschaftliche Modernisie-rung betrieben wird.
Es geht gar nicht mehr darum, Ökonomie und Ökologiezu versöhnen, es geht schon gar nicht mehr um denscheinbaren Gegensatz von beidem, vielmehr ist daseine die Bedingung des anderen. Das müssen wir verste-
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2690 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
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hen, meine Damen und Herren, und daraus politischeKonsequenzen ableiten.
– Ich komme gleich zu den konkreten Punkten.Der übergreifende Gesichtspunkt lautet von daher:Nachhaltigkeit ist Zukunftsverantwortung. Ich möchteanhand von drei Feldern, über die schon debattiert wor-den ist, zeigen, wie diese Bundesregierung in ihren ers-ten Monaten auf dem Gebiet der Umweltpolitik, der Kli-mapolitik und der Nachhaltigkeitspolitik konkret ihreVerantwortung wahrnimmt. Ich nehme die Punkte ato-mares Endlager, erneuerbare Energien und Klimaschutz.Ich fange mit dem ersten Punkt an, weil es ja hierzueine jüngst von mir verkündete Entscheidung gibt, undmöchte aufzeigen, wie wir aus dem Gesichtspunkt derVerantwortung mit der Frage der atomaren Endlage-rung umgehen. Ich versuche es einmal ganz ruhig undSchritt für Schritt vorzutragen. Ich weiß zwar, dass eszwischen uns durchaus Unterschiede in der grundsätzli-chen und auch aktuellen Einschätzung der Kernenergiegibt – diese darf es geben; das ist völlig legitim –, aberzugleich gibt es auch bestimmte Verantwortungsfolgen,denen wir uns vernünftigerweise nicht entziehen sollten.Deshalb sollten wir uns auch die Frage stellen, inwiefernwir trotz Aufrechterhaltung unserer kontroversen Posi-tionen gemeinsam Verantwortung übernehmen können,weil das im Interesse dieses Landes und insbesondereein Gebot der Verantwortung gegenüber den nächstenGenerationen ist.
Damit komme ich zu der ersten Feststellung, für dieich hoffe, Konsens zu finden, nämlich dass es unabhän-gig von der Frage, wie man inhaltlich zur Kernenergiesteht, eine Verantwortung für atomare Endlagerung gibt,der wir nicht entfliehen können. Bärbel Krauß hat in derStuttgarter Zeitung zu Recht gesagt: Angesichts der Pro-bleme eine „Vogel-Strauß-Politik“ zu betreiben bzw. denKopf in den Sand zu stecken, ist verantwortungslos.
Deshalb müssen wir alles tun, um unserer Verantwor-tung gerecht zu werden.Wir müssen damit aufhören – ich sage bewusst: wir –,die Frage der Endlagerung als taktisches Spiel zwischenden Parteien zu betreiben. Das hat nämlich nur zu demErgebnis geführt, dass wir das Thema ungelöst dernächsten Generation vor die Schuhe kippen, meine Da-men und Herren. Damit muss Schluss sein. Das wider-spricht unserer Auffassung von Verantwortung.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Höhn?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Ja, bitte.
Bitte.
Herr Bundesminister, Sie haben eben ja – –
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Die Technik ist nicht auf Ihrer Seite; aber das wird
sich noch finden.
Sie sind ja jetzt für die Energie zuständig; insofern:
Danke schön.
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Schon funktioniert es, Frau Kollegin.
Ja, genau. Aber Sie sehen, manchmal hakt es bei Ih-
nen auch mit der Energie.
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Ja, aber etwas mehr bei den Grünen.
Momentan wollen wir vielleicht erst einmal bei denFakten bleiben.Herr Bundesminister, Sie haben eben von der Verant-wortung gesprochen. Da haben Sie absolut recht. WirGrüne waren immer gegen Atomkraftwerke. Trotzdemsind wir bereit, die Verantwortung für den Atommüll zuübernehmen.Ich möchte Sie fragen, ob es mit Ihrer Verantwortungund Ihrer Überzeugung von Nachhaltigkeit zusammen-passt, wenn diese Bundesregierung, der Sie als Bundes-minister angehören, dafür plädiert, Atomkraftwerkelänger laufen zu lassen. Denn dadurch wird erheblichmehr Atommüll produziert, der den nachfolgenden Ge-nerationen – um Ihre vorherigen Worte zu benutzen –vor die Füße gekippt wird. Was hat das mit Nachhaltig-keit und Verantwortung zu tun?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2691
Bärbel Höhn
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Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit:Frau Kollegin Höhn, ich möchte folgende Feststellun-gen dazu machen. Als die Grünen und die rot-grüne Re-gierung im Jahr 2002 den Atomausstieg beschlossen ha-ben, waren sie der Meinung, man könne nicht sofort ausder Kernenergie aussteigen, sondern man brauche eineÜbergangszeit von 20 Jahren. Sie selber haben damiteine Laufzeitverlängerung von 20 Jahren beschlossen.
– Natürlich! Es mag Ihnen nicht gefallen, wenn ich sage:Sie sind nicht ausgestiegen, sondern Sie haben damalsgesagt: Wir können bei der Energieversorgung im Mo-ment auf Kernenergie nicht verzichten.
– Natürlich haben Sie das gesagt, ansonsten wären Siedoch ausgestiegen. – Das ist ja auch völlig richtig.
Es ist doch gar nicht zu bestreiten, dass es im Jahre2002 ohne die Kernkraftwerke zu einer Lücke bei derStromversorgung gekommen wäre. Das Gegenteil wol-len Sie doch im Ernst nicht behaupten. Sie haben dahergesagt: Wir brauchen die Kernenergie, um unsere ener-giepolitischen Ziele zu erreichen. – Meine Kritik an die-sem Beschluss ist, dass Sie das Datum 2020 nicht seriösberechnet haben.
Es war vielmehr eine willkürliche Terminsetzung, dieIhnen politisch gepasst hat. Das ist doch der Punkt.
– Frau Präsidentin, ich möchte die Frage noch zu Endebeantworten.
Wenn sich die Kollegin hinsetzt, dann können Sie mit
Ihrer Rede fortfahren. Bis jetzt habe ich die Uhr angehal-
ten.
– Ich mache darauf aufmerksam, dass der Bundesminis-
ter im Moment das Wort zur Beantwortung der Zwi-
schenfrage hat. Wenn Sie, Frau Kollegin Höhn, der Auf-
fassung sind, die Frage sei beantwortet, dann können Sie
sich hinsetzen. Andernfalls bleiben Sie bitte stehen und
lassen den Bundesminister Ihre Frage zu Ende beantwor-
ten.
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Ich will die Antwort abkürzen. Erstens. Die Frage der
Verantwortung für die Laufzeitverlängerung stellt sich
heute unabhängig davon, ob man jemals für oder gegen
Kernenergie war. Zweitens. Als Sie an der Regierung
waren, haben Sie deswegen nicht „Schluss mit Kern-
energie“ gesagt, weil die Kernenergie für unsere Ener-
gieversorgung noch gebraucht wird. Sie haben daher ge-
sagt: noch 20 Jahre Laufzeit.
Was wir jetzt vertreten, basiert auf dem gleichen Me-
chanismus: Wir brauchen die Kernenergie als Brücken-
technologie. Wir haben eine klare Vorstellung von dem
Ziel, das wir erreichen wollen. Das Ziel ist die Versor-
gung mit erneuerbaren Energien. Dahin wollen wir. Die
Kernenergie ist die Brücke dorthin. Die Verantwortung,
die sich aus der Benutzung dieser Brücke für Sie wie für
uns stellt, besteht darin, ein Endlager zu organisieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Bemühen um
Konsens will ich jetzt keine Schärfe in die Debatte brin-
gen. Aber ich glaube, die Feststellung darf erlaubt sein,
dass das zehnjährige Moratorium, das Rot-Grün gegenü-
ber Gorleben verhängt hat, nicht Ausdruck von Ent-
schlossenheit war, diese Verantwortung wahrzunehmen.
Ich möchte es einmal so zurückhaltend formulieren.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwi-
schenfrage, diesmal von der Kollegin Kotting-Uhl?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Bitte sehr.
Machen Sie sich mal keine Sorge um die Antwortfä-higkeit Ihres Ministers. – Herr Minister, zum Morato-rium komme ich später noch. Ich möchte Sie jetzt fra-gen, ob Sie damals, als Rot-Grün die Verhandlungen mitden Energiekonzernen geführt hat, tatsächlich nicht auf-gepasst haben oder ob es einen anderen Grund gibt, dassSie einen Beweggrund für das damalige Handeln vonRot-Grün angeben, der de facto nicht existiert hat. Ent-
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2692 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Sylvia Kotting-Uhl
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spricht es nicht auch Ihrer Erinnerung, dass die Begrün-dung für die lange Ausstiegszeit nicht die Überzeugungwar, man brauche die Kernenergie als Brückentechnolo-gie, um Ihre Formulierung zu benutzen, sondern dass da-hinter das übliche Erpressungspotenzial der Energiekon-zerne stand?Die damaligen Verhandlungen hat Ihr heutiger Abtei-lungsleiter Reaktorsicherheit, Herr Hennenhöfer, für dieEnergiekonzerne geführt. Er hat damals ausgehandelt,dass es eine Übergangszeit von 20 Jahren geben muss, essei denn, die Bundesregierung würde hohe Entschädi-gungsleistungen zahlen, die sie aber aus Nachhaltig-keitsgründen nicht verantworten konnte. Stimmen Siemit mir in dieser Einschätzung überein?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit:Ich hatte die freundlichere Variante versucht. Sie ge-ben gerade zu, dass Sie erpresst worden sind. Ich sageIhnen: In der demokratischen Politik gibt es keine Er-pressung durch Dritte.
Damit Erpressung funktioniert, muss man sich erpressenlassen; dazu hat hier keiner das Recht. Sie sagen hier miteiner Leichtfertigkeit, dass Sie erpresst worden sind; dasmöchte ich, auch zu Ihren Gunsten, nicht akzeptieren.
Ich habe unterstellt, dass Sie so realistisch sind, ein-zusehen, dass es zum damaligen Zeitpunkt nicht möglichwar und zum heutigen Zeitpunkt, zehn Jahre später,nicht möglich ist, sofort aus der Kernenergie auszustei-gen, und zwar nicht nur aus rechtlichen Gründen, son-dern vor allen Dingen, weil es aus energiewirtschaftli-cher Sicht nicht zu verantworten ist. Ich glaube, darüberbraucht man seriöserweise gar nicht zu streiten; das wäreein falscher Streit.
Ich komme zu meinem Punkt. Es ist vielleichtschwierig; aber dennoch besteht eine Verantwortung fürdie Endlagerung. Diese Verantwortung wird nicht durchMoratorien und Blockaden wahrgenommen. Darum istes richtig, diese zu beenden und die Suche nach demEndlager, die Erkundung, zu gestalten.Eine weitere Feststellung, die uns hoffentlich gemein-sam ist – jedenfalls ist es meine Feststellung –: Wenn esin Gorleben zu einem atomaren Endlager kommensollte, dann geschieht dies nur und ausschließlich auf derGrundlage eines atomrechtlichen Zulassungsverfah-rens, mit allen Instrumenten, die dort vorgesehen sind,von der Bürgerbeteiligung über die Umweltverträglich-keitsprüfung bis zum gerichtlichen Rechtsschutz. Selbst-verständlich wird dies nicht ohne ein atomrechtlichesZulassungsverfahren geschehen. Bevor es dazu kommenkann, sind Erkenntnisse und weitere Erkundungen not-wendig, sozusagen zur Vorbereitung eines solchen Ver-fahrens.Ich sichere hier noch einmal zu – damit wende ichmich an die Betroffenen vor Ort, deren Emotionen ichvielleicht nachvollziehen kann; jedenfalls glaube ich,mich in ihre Lage hineinversetzen zu können – –
– Wenn man selbst nicht betroffen ist, fällt es immerleicht, zu sagen: Ich kann mich hineinversetzen. Es gehtaber auch um deren Heimat. – Ich sichere zu, in jedemStadium des Verfahrens auch über das rechtlich Gebo-tene hinaus volle Transparenz, Bürgerbeteiligung undInformation zu gewährleisten. Ich bitte, diese ausge-streckte Hand anzunehmen. Das heißt nicht, dass wir ei-ner Meinung sind; aber das Angebot der Transparenzsteht, und zwar in jeder Phase, voll und uneingeschränkt.
– Wir disponieren nicht: Wir sind in einem Rechtsstaat,in dem die Regierung nicht über die Rechtslage dispo-niert. Vielmehr beschließt das Parlament die Rechtslage,die die Verwaltung anzuwenden hat.
So ist es bei jeder Regierung.Es handelt sich um ein offenes Verfahren mit einemoffenen Ausgang. Es gibt keine Präjudizierung, sondernOffenheit. Ich glaube, dass das eine faire Basis ist; es isteine verantwortungsvolle Grundlage, der sich keiner ent-ziehen sollte. Ich appelliere, die gemeinsame Verantwor-tung zu erkennen und zu versuchen, ihr gerecht zu wer-den.Ich möchte jetzt den zweiten Punkt ansprechen, dieerneuerbaren Energien. Die Entsorgungsfrage, die End-lagerfrage ist mit der Nutzung der Kernenergie untrenn-bar verbunden. Die Kernenergie ist nach dem energiepo-litischen Konzept, das wir in diesem Jahr erarbeitenwerden, eine Brückentechnologie. Sie ist eindeutig da-von geprägt, dass sie die Brücke in das Zeitalter dererneuerbaren Energien ist.
Wir können aus Klimaschutzgründen nicht dauerhaft aufdie fossile Energieversorgung setzen. Darum sind die er-neuerbaren Energien unser Ziel.Sie sind schon heute unser Weg. Vorhin habe ich vonder Krisensituation gesprochen. Erneuerbare Energienleisten in der Krise einen stabilisierenden Beitrag; denn
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Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
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sie bergen ein positives Innovations- und Wachstums-potenzial. Darum ist schon in der Krise merklich fühlbar,dass erneuerbare Energien auch in wirtschaftlicher Hin-sicht einen vernünftigen Weg darstellen, der zudem dienatürlichen Lebensgrundlagen bewahrt.
Gerade weil das so ist, weil wir auf erneuerbare Ener-gien setzen, muss es darum gehen, erneuerbare Techno-logien in den Markt einzuführen.
Die Vorstellung, dass erneuerbare Technologien alsDauersubventionstatbestand zu verstehen sind, ist zumScheitern verurteilt.
Spanien ist ein Beispiel dafür, dass gut gemeint nicht im-mer gut gemacht ist: Wir mussten dort erleben, dass dienicht limitierte Förderung, die nicht der Markteinfüh-rung diente, zu einem Kollaps geführt hat. Markteinfüh-rung ist also das Instrument, das die erneuerbaren Ener-gien für den Markt fit macht; denn dort müssen sie ihreBringschuld einlösen.
Darum ist es kein guter Dienst an erneuerbaren Ener-gien, wenn man sie mehr fördert, als der Markt zulässtund verlangt.
Mein dritter Punkt ist der Klimaschutz. Dieser Etat– das ist doch gar nicht zu bestreiten, jeder Regierungginge es so – findet in dem fiskalischen Umfeld von80 Milliarden Euro neuen Schulden statt. Man kann dieeine oder andere Stelle für falsch halten, aber die Grö-ßenordnung ist rezessions- bzw. finanzmarktkrisenbe-dingt. Das ist gar keine Frage. Dass es im Umfeld einessolchen Haushalts durch den Einsatz der Haushälter – indiesem Punkt sind durchaus Gemeinsamkeit vorhanden –gelungen ist, eine Etatsteigerung von knapp 8 Prozent zurealisieren, ist ein Erfolg.
– Ja, auch das gehört dazu, wobei die Endlager von denVerursachern zu fast 100 Prozent finanziert werden. Dasist ausnahmsweise keine Aufgabe des Bundeshaushaltes.Ich hätte mir auch für andere Positionen gewünscht,mehr Mittel zu bekommen. Das ist keine Frage; auch dasverbindet uns.Bei all dem Streit darüber – das ist völlig in Ordnung,das ist die Aufgabe der Opposition – steht fest: Der Kli-maschutz wird entschlossen vorangetrieben. Wir sind einführendes Land in Sachen Klimaschutz.
Wir haben übrigens viel mehr Einfluss, als es unserergeopolitischen Lage entspricht. Diesen Einfluss nehmenwir wahr, auch durch internationale Kooperation. Wirwerden uns an der französisch-norwegischen Waldschutz-initiative beteiligen.
Wir laden eine repräsentative Gruppe von Experten aufden Petersberg nach Bonn ein, um den Weg zur Errei-chung unserer Ziele zu ebnen. Die Ziele behalten wir imBlick. Wir geben sie nicht auf, aber wir stehen vor derNotwendigkeit, nicht nur abstrakt über Ziele zu diskutie-ren; wir müssen vielmehr konkrete Handlungspläne fürden Klimaschutz entwickeln. Das wird ein neuer Ansatzsein, zu dem auch Deutschland einen besonderen Beitragleisten wird. Wir tun das aus ethischer Verantwortungund der Überzeugung der ökonomischen Richtigkeit,
weil wir im Wettbewerb der globalen Modernisierungweiter vorne liegen wollen.Dafür brauchen wir Haushaltsmittel. Unser Haushaltist mit 1,59 Milliarden Euro einer der kleineren. Das istnicht das Entscheidende in der Umweltpolitik, aber ohneMittel geht es nicht. Darum möchte ich mich für dieKooperation im Berichterstattergespräch und im Aus-schuss, für die Unterstützung der wichtigen Ziele undauch für eine gute Debatte sowie für die Unterstützung,die die Umweltpolitik und auch ich persönlich in diesenBeratungen bekommen haben, sehr herzlich bedanken.Ich freue mich auf eine gute und erfolgreiche Koopera-tion.Danke sehr.
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege
Dr. Matthias Miersch.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Bundesminister Röttgen, das war, glaube ich, diedritte Rede von Ihnen, die ich gehört habe. Ich finde,man muss jemandem immer eine Chance geben, mansollte allerdings prüfen, ob Worte und Taten zusammen-passen. Ich muss feststellen: Ihre Worte passen nicht zuden Taten, die wir in diesem Haushalt feststellen können.
Sie haben vieles, was verhandelt werden sollte, we-gen der Finanzmarktkrise zurückgefahren. Ich sage Ih-nen: Niemand hat Sie, meine sehr verehrten Damen undHerren von CDU/CSU und FDP gezwungen, den Staat
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Dr. Matthias Miersch
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in dieser schwierigen Phase weiter zu schwächen, indemSie Steuergeschenke an Hoteliers und Besserverdie-nende verteilen.
Niemand hat Sie gezwungen, dass Sie Steuererleichte-rungen machen sollten, was die Folge hat, dass Sie ele-mentare Versprechungen, die Sie auf internationalerEbene gemacht haben, nicht einhalten können.
Lieber Herr Bundesminister, Sie haben den Begriff„nachhaltige Entwicklung“ mehrfach benutzt. Ich habevier Jahre als Sprecher meiner Fraktion im DeutschenBundestag gearbeitet. Ich kann Ihnen nur sagen: Nach-haltigkeit ist etwas anderes als das, was Sie im vorlie-genden Haushalt präsentieren. Nachhaltigkeit bedeutet,sich darüber Gedanken zu machen, welche Folgen unter-lassene Klimaschutzmaßnahmen in den nächsten Jahr-zehnten haben werden, Folgen, die weitaus bedeutendersein werden als all das, worüber wir hier in dieser Haus-haltsdebatte sprechen. Das wäre nachhaltige Politik.
Niemand zwingt Sie dazu. Es hat nichts mit der Finanz-krise zu tun, dass Sie den Cheflobbyisten der Atom-industrie zu Ihrem Abteilungsleiter machen,
von dem ich nicht hoffe – Sie haben eben von Erpres-sung gesprochen –, dass er den Atomkonsens mit erpres-serischen Mitteln ausgehandelt hat. Das ist ein völlig fal-sches Signal. Auch hier passen Worte und Taten nichtzusammen. Das ist ein wichtiges Signal; denn Sie zeigenschon durch Ihre Personalpolitik, dass Sie es nicht ernstmeinen.
Niemand zwingt Sie, bei der Suche nach einem End-lager nicht schon jetzt das Atomrecht zugrunde zu legen,den Menschen nicht schon jetzt verbriefte Klage- undEingriffsrechte zu geben. Niemand zwingt Sie dazu, dasAtomrecht beiseitezuschieben und dann so zu tun, als obes wirkliche Bürgerbeteiligung gäbe. Ich rufe Sie dazuauf: Wenden Sie das Atomrecht schon jetzt an. Dann fin-det eine tatsächliche Öffentlichkeitsbeteiligung statt.Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang: Nie-mand zwingt Sie, schon jetzt anzufangen und das Ergeb-nis des Untersuchungsausschusses nicht abzuwarten.
Es gibt doch Hinweise, dass die Entscheidung für Gorle-ben manipuliert worden ist, dass wissenschaftliche Er-kenntnisse übersehen bzw. beiseitegeschoben wurden.
Keiner zwingt Sie dazu, sich schon jetzt einseitig aufGorleben festzulegen.
Niemand zwingt Sie dazu, in dieser Zeit, in der wirwissen, dass andere Gesteinsformationen – Granit undTon – infrage kommen, einseitig auf Salzstöcke zu set-zen und eine Vorfestlegung zu treffen, von der Sie viel-leicht in einigen Jahren sagen werden: Das war falsch!Das wäre dann unverantwortlich, eine Haltung, die Sieuns jetzt unterstellen.
Kollege Miersch, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Grindel?
Gerne.
Herr Kollege, weil Sie wie der jetzige SPD-Vorsit-
zende im Bundestagswahlkampf behaupten, es sei Ein-
fluss genommen worden auf die fachliche Aussage eines
Gutachtens aus dem Jahre 1983, als es um die Frage der
untertägigen Erkundung in Gorleben ging, frage ich:
Können Sie mir bitte erklären, warum sich in der
Anlage 4 des Ausstiegsvertrages der rot-grünen Bundes-
regierung die Erklärung findet, dass man keine Zweifel
an der Eignungshöffigkeit von Gorleben hat?
Wenn Sie das alles, was Sie jetzt hier vortragen, schon
damals in den Akten hatten, wie kann es dann sein, dass
Rot-Grün damals die Eignungshöffigkeit von Gorleben
erklärt hat?
Lieber Herr Kollege Grindel, wir beide sind Juristen.Sie haben sicherlich auch irgendwann einmal die Arbeitdes Rechtsanwalts gelernt. Dann weiß man, wie man an-greifen muss. Ich kann Ihnen nur sagen: Schauen Siesich die Entwicklung ganz genau an. Wir haben dieseHinweise später erhalten. Sie haben uns jetzt dazu veran-lasst, den Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungs-ausschusses zu stellen.
– Jetzt lassen Sie mich ruhig antworten. Das müssen Sieaushalten. – Ich finde, Sie müssen dieses Urrecht derOpposition bzw. des Parlaments jetzt ernst nehmen. EinMinister, der, ohne abzuwarten, was bei der Untersu-chung von solchen Vorwürfen, die im Raum stehen, he-rauskommt, schon jetzt auf das vermeintliche ProjektGorleben setzt, handelt fahrlässig und alles andere alsverantwortlich.
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Dr. Matthias Miersch
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Nun zum Haushalt. Sie haben über den internationa-len Klimaschutz gesprochen. Lieber Herr Kollege Rött-gen, wie wollen Sie in Bonn in diesem Jahr eigentlichglaubwürdig an die internationale Staatengemeinschaftherantreten? 420 Millionen Euro haben Sie zugesagt. Siehaben das nicht eingehalten. Damit haben Sie sehr vielGlaubwürdigkeit in der Welt verspielt. Aus meiner Sichtist das eine wirkliche Katastrophe für den internationa-len Prozess, weil Deutschland diesen Prozess bis jetzt,jedenfalls in den letzten Jahren, progressiv und kon-struktiv begleitet hat. Dieser Wortbruch wird uns – dasglaube ich jedenfalls – im internationalen Prozess nochteuer zu stehen kommen. Das ist ein wirklicher Skandalder Politik der Regierung Merkel.
Ich war in den vergangenen Tagen in Washington. Ichhabe mit progressiven Politikern aus den Reihen der De-mokraten und der Republikaner gesprochen. Sie alle ha-ben gesagt: Bitte, tut uns den Gefallen und löst das, wasihr in Kopenhagen zugesagt habt, ein. Wir warten aufeuch, damit wir die ewigen Verhinderer hier nach vorneschieben und ihnen sagen können: Schaut euch die Euro-päer an. Schaut euch die Deutschen an. – Die Chance,Vorbild im internationalen Prozess zu sein, verspielenSie mit diesem Haushalt, weil Sie Wortbruch begehen.Das ist ein Skandal.
Wenn Sie Klimaschutz und Energiepolitik erwäh-nen, dann erinnere ich Sie an Ihre letzte Haushaltsredevor wenigen Wochen, in der Sie gesagt haben:Die Stellschrauben sind klar: Sie heißen Energie-effizienz, und sie heißen erneuerbare Energien.Lieber Herr Kollege Röttgen, was machen Sie? Genauan diesen Stellschrauben drehen Sie nicht nach vorne,sondern zurück, indem Sie eine Sperre haben und sogarnoch Kürzungen vornehmen. Das kann doch keineglaubwürdige Politik sein. Das muss man, finde ich, alsOpposition hier benennen. Ich hätte mir gewünscht, dassdie Koalitionsfraktionen die Kraft gehabt hätten, hierdeutliche Veränderungen vorzunehmen. Dies ist jeden-falls ein Drehen in genau die andere Richtung; das istrückwärtsgewandt.
Welche Maßnahmen treffen Sie? Wo ist die Sperrehergestellt worden? Herr Schulte-Drüggelte, Sie habendas Fallen der Sperre bei Applaus von Abgeordnetenvon CDU/CSU und FDP vor einigen Wochen ange-mahnt. Sie haben gemeint, dass es um die Mini-KWK-Anlagen geht, um kommunale Klimaschutzmaßnahmen,bei denen es wichtig ist, Sensibilität vor Ort zu schaffen.Sie als Umweltpolitiker haben das gesehen, und Sie ha-ben den Applaus Ihrer Fraktionen bekommen.Ich habe einmal das Struck’sche Gesetz gelernt: Wennetwas schiefläuft in der Regierung, dann kann das Parla-ment gegensteuern. – Was haben Sie in den letzten Wo-chen geleistet? Das Mindeste wäre, dass man hier klippund klar sagt: Wir haben diesen Prozess verloren. Wirwollten mehr, aber haben es nicht bekommen, weil an-dere diese Notwendigkeit nicht gesehen haben. – Siekürzen an den zentralen Punkten. Auch dies ist einSchritt zurück in der deutschen Energie- und Klimapoli-tik.
Bei den Positionen, über die Sie augenblicklich disku-tieren – Stichwort: Emissionshandel –, werden die Haus-haltspositionen mittlerweile vermischt. Die Einnahmenund die Ausgaben sind nicht mehr dem Haushalt desBundesumweltministeriums zugeordnet, sodass aus mei-ner Sicht letztlich eine Trennung zwischen den Einnah-men aus dem Emissionshandel und den Maßnahmenbeim Klimaschutz droht. Auch dies, liebe Kolleginnenund Kollegen von CDU/CSU und FDP, sollten Sie sichsehr genau überlegen. Ich vermute, dass eine organi-sierte Unverantwortlichkeit dahintersteckt, die wir uns inder Klima- und Energiepolitik nicht leisten können.
Wir sehen an diesen Haushaltspositionen, Herr Minis-ter, dass Worte und Taten weit auseinanderliegen. Ichfinde, um glaubwürdig zu sein – das ist wichtig in die-sem Prozess –, müssen Sie tatsächlich Butter bei dieFische geben, müssen Sie den Menschen in diesem Landzeigen, dass diese Regierung es ernst meint. Was in einerRegierungserklärung gesagt wird, Herr Schulte-Drüg-gelte, spielt keine Rolle. Die Menschen verlangen Taten.Damit kann Politik Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.Mit diesem Haushalt kann sie es nicht.
Ich bin mir sicher: Unsere Reden der Opposition hierwerden Sie nicht mehr überzeugen. Das Kind ist zumin-dest für diesen Haushalt im Brunnen. Aber Sie habeneine Chance, das, was die Regierung augenblicklichmacht, an entscheidender Stelle zu korrigieren. Wir ha-ben eine Diskussion über das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Wir werden am 21. April dieses Jahres eine An-hörung durchführen, wenn Sie sich bei der Kürzung derFörderung für Solaranlagen nicht anders besinnen. Ichwill Sie auf einen Antrag des Bundeslandes Bayern hin-weisen – vielleicht überzeugt Sie das mehr als eineStimme aus der Opposition –, der im Bundesrat vorliegtund in dem es heißt – ich darf zitieren –:Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die kurzfris-tige Umsetzung dieser Pläne– Ihrer Pläne –
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Dr. Matthias Miersch
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die Anpassungsfähigkeit der deutschen Solarwirt-schaft an das veränderte Umfeld überfordernkönnte.Eine zu abrupte und drastische Kürzung birgt die Gefahrschwerer Marktverwerfungen und bedeutet den Verlustwertvoller Arbeitsplätze in einer hochmodernen Bran-che.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie sich dieseSätze noch einmal auf der Zunge zergehen und ändernSie, was die Regierung vorhat. – In dem Antrag heißt esweiter:Dies wiederum würde den europäischen Produk-tionsstandort schwächen und zu einer Stärkung derostasiatischen Mitbewerber führen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies macht deutlich– hier gebe ich Ihnen, Herr Bundesumweltminister, voll-kommen recht –: Die Frage, um die es hier geht, ist nichtnur eine ökologische, sie ist eine ursoziale und eine ur-ökonomische. Wenn wir das nicht verstehen, diesenHaushalt weiterhin so strapazieren, wie wir ihn strapa-ziert haben, und die Chancen der Klimapolitik nicht se-hen, dann, so glaube ich, gehen wir in die falsche Rich-tung, auch in ökonomischer und sozialer Hinsicht.Heute werden wir nichts mehr verändern können.Aber ich fordere Sie auf: Lassen Sie den Begriff Nach-haltigkeit bei den nächsten HaushaltsplanberatungenRealität werden. Der Haushaltsentwurf, der uns vorliegt,ist alles andere als nachhaltig.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Michael Kauch für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Op-position sitzt heute wieder auf einem ganz hohen Ross.Herr Miersch hat die Koalition kritisiert, weil sie Geldausgegeben hat, um die Wettbewerbsfähigkeit deutscherHotels zu stärken. Er sagte, es sei kein Geld da, und wirwürden die ostasiatischen Wettbewerber stärken.
Diese Kritik wurde von dem Vertreter einer Partei ge-äußert, die für 5 Milliarden Euro die Abwrackprämie aufden Weg gebracht hat, durch die insbesondere die Markt-anteile ostasiatischer Konkurrenten hochgetrieben wor-den sind und bei der ökologische Fragen keine Rolle ge-spielt haben. Hätten wir das zu verantworten, würden Sieuns wahrscheinlich vorwerfen, wir hätten wegen Spen-den so entschieden. Wir werfen Ihnen nicht vor, dass Siein den Jahren 2005 bis 2009 einen Betrag von 1,8 Milli-onen Euro von der Automobilindustrie bekommen ha-ben. Das ist nicht unser Stil.
Ich denke, Sie sollten endlich damit aufhören, permanentsolche Anschuldigungen in Richtung dieser Koalition zuäußern.
Zurück zu dem hohen Ross, auf dem Sie sitzen. HerrKindler, der Kollege von den Grünen, hat uns vorgewor-fen, wir würden beim Naturschutz nicht genug tun. Dagerade die Artenschutzkonferenz in Doha stattfindet,sollten wir uns einmal anschauen, welche Ziele sichDeutschland in diesem Bereich gesetzt hat. In der Natio-nalen Nachhaltigkeitsstrategie aus dem Jahre 2002wurde das Ziel festgelegt: Stopp des Verlustes der Arten-vielfalt bis 2010. Ich kann nur feststellen: Die SPD warelf Jahre an der Regierung, die Grünen waren siebenJahre an der Regierung, aber passiert ist nichts. Wir ha-ben den Verlust der Artenvielfalt nicht gestoppt. SagenSie also nicht: Wir Grüne sind die, die für den Natur-schutz stehen; ihr Christlich-Liberalen seid die, dienichts tun.
Wir haben dieses Ziel gemeinsam nicht erreicht. Deshalbmüssen wir den Naturschutz jetzt gemeinsam voranbrin-gen. Kommen Sie endlich runter von diesem hohenRoss! Das steht Ihnen nämlich nicht zu.
Mit diesem Haushalt entwickeln wir das Grüne Bandweiter. Diese Koalition hat entschieden, ein Bundespro-gramm „Biologische Vielfalt“ auf den Weg zu bringen.Wir gehen allerdings klug vor. Wir schmeißen das Geldnicht erst aus dem Fenster und überlegen uns dann, wo-für wir es verwenden wollen. Wir haben im Koalitions-vertrag festgelegt: Wir werden dieses Programm zusam-men mit den Naturschutzverbänden und zusammen mitden Nutzern von Natur entwickeln. Wenn wir geeigneteKriterien und eine Konzeption erarbeitet haben, dannwerden wir auch die Haushaltsmittel bereitstellen.
– Es mag ja sein, dass Sie die Probleme der Welt in100 Tagen lösen. Wir machen seriöse Politik.
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Wir schießen nicht aus der Hüfte. Wir haben in100 Tagen eine ganze Menge getan.
Wir haben die rückwirkenden Eingriffe der SPD in dieInvestitionsbedingungen bei den erneuerbaren Energienzurückgenommen, um nur ein Beispiel zu nennen.
Unsere Bilanz ist ganz gut und kann sich sehen lassen.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns fragen:Was ist mit Blick auf den Haushalt 2011 zu tun? Es istrichtig, dass wir, wenn es beispielsweise um den interna-tionalen Waldschutz geht, die Zusammenhänge zwi-schen Klimaschutz und biologischer Vielfalt deutlicherhervorheben müssen. Wir müssen deutlich machen, wel-che Mittel sowohl für den Klimaschutz als auch für denSchutz der biologischen Vielfalt etwas bringen. Wirmüssen Transparenz schaffen bei den Mitteln, die wirden Entwicklungsländern zusagen. Deutschland ist iminternationalen Vergleich ganz vorne, wenn es darumgeht, den Klimaschutz und die biologische Vielfalt inden Entwicklungsländern zu fördern. Wir sollten unseregemeinsamen Leistungen nicht permanent schlechtre-den.
Wenn es um den Artenschutz geht, können wir geradevon Rot und Grün keinen Nachhilfeunterricht gebrau-chen. Heute hat es eine Obleutebesprechung im Europa-ausschuss gegeben; es ging um das weitere Verfahren imHinblick auf den EU-Beitritt Islands. Island will eineAusnahme: Man will weiterhin Wale fangen dürfen. Ichsage ganz klar: Diese Koalition wird es nicht hinneh-men, dass von einem EU-Mitgliedstaat Walfang betrie-ben wird. Ihre Obleute haben heute versucht, uns dieMöglichkeit zu nehmen, im Umweltausschuss über diesewichtige Tierschutzfrage zu beraten. Sie wollten denBeitritt Islands durch den Bundestag prügeln, ohne dassdie Fachausschüsse diese Frage hätten klären können.Das haben wir zu Recht nicht mitgemacht.
Wir sind also diejenigen, die in diesem Haus für dasWalfangverbot streiten.
Meine Damen und Herren, diese Koalition steht fürVerantwortung. Deshalb ist in diesem Haushalt ein Stel-lenaufwuchs vorgesehen. Dieser Stellenaufwuchs istvorhin kritisiert worden. Ich sage nur: Es handelt sichbeispielsweise um Stellen, die wir brauchen, um unab-hängig von einer Laufzeitverlängerung sicherzustellen,dass das Bundesamt für Strahlenschutz auch in Zukunftdie Atomaufsicht seriös ausüben kann. Dann dürfen wiraber nicht sehenden Auges Leute in Pension gehen las-sen, ohne dass wir Nachwuchs haben. Es muss auch inIhrem Interesse sein, dass die Reaktorsicherheit inDeutschland auf Augenhöhe ist mit den Unternehmen,
die die Reaktoren betreiben. Deshalb ist es wichtig, dasshier Stellen geschaffen werden.
Verantwortung zeigt sich auch daran, wie man mit derFrage der Endlagerung umgeht. Die Politik von Rotund Grün war organisierte Verantwortungslosigkeit. Siehaben zehn Jahre lang die Hände in den Schoß gelegt.Herr Miersch kommt jetzt damit an, da seien noch an-dere Gesteinsformationen, die man beobachten und er-forschen müsse. Ich kann nur sagen: Das hätte Herr Gab-riel in den letzten Jahren tun können. Er hat immer nurgeredet, aber nichts getan. Wir handeln, meine Damenund Herren.
In diesem Sinne wird die Koalition ihre Umweltpolitikin diesem Jahr voranbringen – im Interesse der Umweltund der Verantwortung für kommende Generationen.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Dorothée Menzner für die
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Herr Minister! Werte Kolleginnenund Kollegen! Man gibt ja die Hoffnung nicht auf. Folg-lich habe ich mir das Werk die letzten Nächte relativ um-fänglich angeschaut. Man erwartet auch, vielleicht ein-mal positiv überrascht zu werden. Mein Fazit lautetschlussendlich: Das ist eine Geschichte aus einem fernenLand vor unserer Zeit, als das Wünschen offensichtlichnoch geholfen hat.
Ich möchte das an drei Beispielen festmachen. Ers-tens. Wenn man auf Seite 161 nachschlägt, findet manzur Stilllegung kerntechnischer Anlagen den Satz
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2698 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Dorothée Menzner
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– ich finde ihn sehr schön –: Ab 2010 werden sich33 kerntechnische Anlagen im Stilllegungsverfahren be-finden, 19 Leistungs- und Prototypreaktoren, 10 For-schungsreaktoren usw. Jetzt könnte man meinen, Sie hät-ten dazugelernt, und es würde mir gefallen, wenn Siedenn wirklich damit anfangen würden, Atomkraftwerkestillzulegen. Allein, mir fehlt der Glaube. In den letztenWochen haben wir Schwarz-Gelb permanent über Lauf-zeitverlängerungen debattieren hören gegen den Wider-stand von Bürgern und von Initiativen, aber auch von re-gionalen Stromerzeugern wie den Stadtwerken, wie wires gestern vernehmen konnten. Ich habe den Eindruck:Entweder Sie haben schlicht und ergreifend aus demletzten Haushalt abgeschrieben, oder Sie wollen dieKatze vor der NRW-Wahl nicht aus dem Sack lassen.Zweitens, zur Asse. Wenn ich weiter hinten nachlese,kann ich feststellen: Der Haushaltsansatz ist ungefähr inder Höhe wie in den letzten Jahren, und das, obwohl wirseit Monaten hören – auch im Untersuchungsausschussin Niedersachsen; die Öffentlichkeit nimmt das ebensowahr –, dass das Desaster der Asse deutlich größer ist,als wir noch vor Wochen befürchteten, und relativ unab-sehbar ist. Als Grund für dieses Desaster stellt sich im-mer Verantwortungslosigkeit und Profitgier heraus. DieKosten, die daraus folgen, wird der Steuerzahler einesTages zu tragen haben, egal welche Option gewähltwird. Es ist also nichts mit dem billigen Atomstrom!Wir haben den Optionenvergleich vorliegen und inden letzten Wochen immer wieder darüber diskutiert.Vorgeschlagen ist eine Rückholung der Abfälle. Wir allewissen, dass die Zeit drängt und dass das sehr viel Geldkosten wird. Der Ansatz beträgt im Moment rund3 Milliarden Euro. Nach übereinstimmenden Aussagenvon Fachleuten bleiben uns rund zehn Jahre. Wenn dieBundesregierung sagt, dass sie das optimal Sichere fürdie Bevölkerung vor Ort tun und Vertrauen wiederge-winnen will, dann frage ich mich, wieso ich im Haushaltkeinerlei Mittelansatz finde, um diese Rückholung anlei-ern zu können. 3 Milliarden Euro geteilt durch zehnwäre doch schon eine erkleckliche Summe. Die müsstesich ja irgendwo finden lassen.Last, but not least zu Gorleben. Sie haben eben ange-sprochen, dass wir eine Verantwortung für die Endlage-rung haben. Das ist so weit in Ordnung. Aber wieso bitteschön beenden Sie vorzeitig das Moratorium und setzenSie wieder nur auf einen Salzstock, von dem bekannt ist,dass es Probleme gibt und dass er höchstwahrscheinlichungeeignet ist?
Wenn das alles so dringend ist: Wieso kommen Sie nichtzu dem Schluss, dass eine vergleichende Untersuchungnotwendig wäre, und eröffnen Sie nicht dieses Verfah-ren? Vor allem frage ich: Wieso geschieht das nach deralten Rahmenbetriebsordnung, nach dem alten Berg-recht, wodurch die Bürgerbeteiligung eingeschränkt ist?Wenn Sie denn schon weiter erkunden wollen, dannfrage ich mich, wieso die Hinweise, die hier im Textteilzu finden sind, nicht auch im Haushaltsansatz vorhandensind. Im Textteil heißt es, 4 Millionen Euro würde dieWiederaufnahme der Erkundungsarbeiten kosten. Daswären sozusagen die Anlaufkosten. Die Erkundungwürde jährlich 25 Millionen Euro kosten. Das findet sichauch nicht in Ihrem Haushaltsansatz.Von daher kann ich nur sagen: Offensichtlich ist hiernoch eine ganze Menge im Argen. Manches will manvor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen vielleichtnicht benennen. Das macht einen hinsichtlich dessen,was uns hier noch erwartet, wirklich bösgläubig.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Herr Minister Röttgen, der Umwelthaushalt weisttatsächlich einen kleinen Aufwuchs aus. Schaut man ge-nauer hin, stellt man auf den zweiten Blick aber fest,dass sich dieser kleine Aufwuchs ausschließlich bei demAnsatz für die sich jetzt langsam darstellenden Kostender Endlagerung abzeichnet. Die Kosten für die Endla-gerung machen inzwischen fast ein Viertel des gesamtenUmwelthaushaltes aus. Ich denke, dadurch zeigt sichmehr als deutlich, dass die angeblich so billige Atomen-ergie, der billige Atomstrom, zumindest am Ende eineziemlich teure Angelegenheit ist.
Bis auf 75 Millionen Euro sind die Kosten für die Assedabei überhaupt noch nicht in diesen Haushalt einge-stellt.Im Koalitionsvertrag haben Sie, FDP und Union, fest-geschrieben, dass Sie die Energieversorger an den Kos-ten für die Sanierung der Asse beteiligen wollen. Wirwissen bisher nicht, wie; aber ich glaube, es ist nichtallzu weit hergeholt, wenn ich vermute, dass das mit dergewünschten Verlängerung der Laufzeiten „verdealt“werden soll. Ich möchte Sie noch einmal daran erinnern:86 Prozent des radioaktiven Potenzials der Asse stam-men aus Atomkraftwerken, zum größten Teil über denUmweg über die Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe.Die ursprüngliche Betreibergesellschaft der Wiederauf-arbeitungsanlage Karlsruhe war eine Tochter der Ener-gieversorger. Die Energieversorger haben damals mitihrer eigenen Tochter einen Vertrag zulasten des nichtanwesenden Dritten, des Steuerzahlers, geschlossen.Dieser Vertrag sah vor, dass die spätere Last, nämlichder wertlose Müll, neben den Wertstoffen, die an dieEnergieversorger zurückgingen, im Besitz der Wieder-aufarbeitungsanlage und damit in der öffentlichen Handbleibt. So kam dieser Müll in die Asse. 1976 wurdendann auf Betreiben diverser AKW-Betreiber die Einlie-ferungs- und Einlagerungsbedingungen in die Asse ent-schärft. Die Standards wurden abgesenkt. Heute stellen
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Sylvia Kotting-Uhl
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sich diese Energieversorger hin und haben nichts, aberauch gar nichts mit der katastrophalen Situation in derAsse zu tun. Das kann doch wohl nicht wahr sein.
Herr Minister Röttgen, ich sage Ihnen, was Ihre Aufgabein diesem Fall ist: Holen Sie den Müll aus der Assezurück, und beteiligen Sie die Energieversorger in ange-messenem Umfang entsprechend dem Verursacherprin-zip an den Kosten, und zwar ohne weitere Gegenleis-tung.
Lassen Sie mich zu einem aktuellen Thema kommen,den weiteren Erkundungen in Gorleben. Sie nennen esverantwortlich, Gorleben weiter zu erkunden, und zwarergebnisoffen, transparent, unideologisch und verant-wortungsvoll. Im Gegensatz dazu nennen Sie diejenigen,die das Moratorium verhängt haben, feige und verant-wortungslos. Dieses Moratorium war aber zum damali-gen Zeitpunkt bitter notwendig und hat seinen Zweck er-füllt. Niemand hat während dieser zehn Jahre die Händein den Schoß gelegt. Es wurde der AK End eingesetzt,der Kriterien für eine ergebnisoffene und echte Endla-gersuche erarbeitet hat, die die Bevölkerung auf ihrerSeite hat und sie nicht gegen sich aufbringt. Später wur-den Sicherheitskriterien für die Endlagerung erarbeitet.Das ist in dieser Zeit passiert. Als Ergebnis des Morato-riums haben Sie jetzt das Rüstzeug für eine echte Endla-gersuche, mit der ein Standort gefunden werden könnte,der von der Bevölkerung akzeptiert wird, weil er nach-weislich der am besten geeignete ist und nicht aus politi-schen Gründen gewählt wurde. Sie haben es in der Hand,diese Entscheidung zu treffen.
Sie treffen sie aber nicht, sondern sagen: Wir gehenzurück. Wir tun so, als habe es diese zehn Jahre nie ge-geben. Wir gehen zurück auf null. Wir schließen da an,wo die Kohl-Regierung aufgehört hat. – Das ist verant-wortungslos, Herr Minister Röttgen.
Ich möchte Ihnen auch sagen, was feige ist: Feige ist es,den Konflikt mit den Energieversorgern zu scheuen undihnen nicht das Geld für eine echte Endlagersuche abzu-trotzen. Das ist feige und verantwortungslos.
Ich möchte noch einen Satz zum Rahmenbetriebs-plan sagen. Den Rahmenbetriebsplan müssen Sie biszum Jahre 2017, also die nächsten sieben Jahre, anwen-den. Sie wollen ihn nach altem Bergrecht, welches seit20 Jahren außer Kraft ist, verlängern. Selbst das neueBergrecht schreibt eine Öffentlichkeitsbeteiligung vor.
Kollegin Kotting-Uhl, ich bin ein geduldiger Mensch.
Ein Satz war angekündigt. Dieser ist aber nicht endlos
hinauszuzögern.
Ich bin beim letzten Gedanken und versuche, ihn in
einem Satz zu beenden. – Wenn Sie es mit der Transpa-
renz und der Einbindung der Bevölkerung ernst meinen,
dann bieten Sie ihr nicht eine Beteiligungsgruppe, eine
Begleitgruppe an, und definieren Sie oder Herr Hennen-
höfer dann nicht, wie sie informiert wird. Beteiligen Sie
die Öffentlichkeit; wenn schon nicht nach Atomrecht,
dann wenigstens nach neuem Bergrecht. Das ist das
Mindeste, was Transparenz und ehrlich gemeinte Öffent-
lichkeitsarbeit verlangen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren!Liebe Frau Kotting-Uhl, ich schätze Sie persönlich sehr;aber das, was Sie heute in dieser Debatte abgeliefert ha-ben, ist unglaublich.
Die Legendenbildung, die Sie in Bezug auf das Morato-rium in Gorleben an den Tag legen, ist bemerkenswert.Es wäre ehrlich gewesen, wenn Sie zugegeben hätten,dass Sie um die Eignungshöffigkeit Gorlebens gewussthaben und dass Sie deshalb alles getan haben, um zu ver-meiden, dass man irgendwann feststellt, dass Gorlebengeeignet ist. Darum ging es doch letztendlich. Denn Siebrauchen die Legende – die Legende des Fliegers ohneLandebahn –, dass Kernenergie deshalb unverantwort-lich ist, weil es diese Endlagerung letztlich nicht gibt.
Sie geben mir wahrscheinlich an der Stelle wieder recht.Ich frage mich aber – das mache ich ein bisschen weni-ger vornehm als der Bundesumweltminister vorhin –,wie Sie damals dazu gekommen sind, vor der Wahldurch die Lande zu ziehen und den sofortigen Ausstiegaus der Kernenergie zu fordern mit der Begründung,dass sie unverantwortlich ist, dass Kinder an Krebs ster-ben etc. pp., um dann nach der Wahl zu beschließen, dieLaufzeit der aus Ihrer Sicht unverantwortlichen Techno-logie um 20 Jahre zu verlängern.
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2700 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Dr. Georg Nüßlein
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Ich sage Ihnen offen: Das ist scheinheilig.
Wenn Sie heute sagen, Sie seien erpresst worden,dann frage ich Sie, welches empfindliche Übel Ihnen da-mals angedroht worden ist. War es die Nichtbeteiligungan der Bundesregierung, der drohende Verzicht auf einenDienstwagen, oder worum ging es den Grünen? Wennman wie Sie der Auffassung ist, dass diese Technologienicht zu verantworten ist, dann gilt das aber grundsätz-lich und nicht erst nach 20 Jahren.
Sie können diese Frage doch nicht danach entscheiden,ob Sie in der Opposition sitzen oder ob Sie zufällig ander Regierung beteiligt sind, wie wir es von Ihnen ken-nen. Das verstehe ich beim allerbesten Willen nicht.Uns vorzuhalten – das haben Sie vorhin wortwörtlichgemacht –, wir würden den Konflikt mit den Energiever-sorgern scheuen, aber selber vorher zu erklären, manhabe im Konflikt mit den Energieversorgern klein beige-geben
und als Grüne die Kleinigkeit einer 20 Jahre längerenLaufzeit einfach hingenommen, ist für mich beim aller-besten Willen nicht als Politik zu verstehen.
Ich würde mich schämen,
oder ich würde meine Auffassung revidieren und zuge-ben, dass das, was Sie immer über die Kernenergie undihre Risiken behaupten, offenkundig falsch ist und dassSie es selber nicht glauben. Das können Sie auch gernetun.Wenn wir über die Energiepolitik diskutieren, wäre eseigentlich schön, gemeinsam festzuhalten, dass es einenKonsens darüber gibt, dass wir die erneuerbaren Ener-gien nach Kräften ausbauen wollen.
Jetzt kommt aber sofort reflexartig die Frage nach derFotovoltaik.
Ich sage Ihnen offen: Das Thema Fotovoltaik gefährdetdas Erneuerbare-Energien-Gesetz, wenn wir nicht ver-antwortungsvoll mit dieser Thematik umgehen.
5 Prozent des Aufkommens an erneuerbarem Strom und45 Prozent der Differenzkosten hält dieses Gesetz nichtaus. Es wird zerrissen, wenn wir nicht gemeinsam in ei-nem Miteinander der Branche und der Politik einen Wegfinden, relativ schnell zur Netzparität zu kommen, indemdie Bürgerinnen und Bürger für die Fotovoltaik eine Ein-speisevergütung in der Höhe bekommen, wie sie selberfür den Strom aus der Steckdose bezahlen. Das ist einentscheidender Weg.
Darum ringen wir innerhalb der Koalition ernsthaft undauch durchaus kontrovers. Das ist nicht so einfach. Wirbrauchen einerseits Vertrauensschutz, ohne auf der ande-ren Seite einen Anreiz zu bieten, noch schnell mitzuma-chen.Wir wollen weg von der Ackerlandthematik. Auchdas ist übrigens ein Bereich, in dem Sie sich seinerzeitum die Verantwortung gedrückt haben, als Sie das aufbestem Ackerland machen wollten, um nicht mit demNaturschutz in Konflikt zu geraten. Für dieses Wegneh-men des Ackerlands brauchen wir einen adäquaten Er-satz, damit es bei uns noch genügend Freiflächen gibt.Dabei geht es uns auch um den Export.Wir werden selbstverständlich auch über die Fragediskutieren müssen, wie es insgesamt weitergeht.
Vorhin war wieder einmal von der Förderung asiatischerModule etc. die Rede. Das Erneuerbare-Energien-Gesetzist kein Subventionsgesetz, sondern es ist sehr marktnah.Wir steuern nur in einem wichtigen Punkt, nämlich dassmittelständische, dezentrale Anbieter eine Chance ha-ben, in dieses Geschäft hineinzukommen, weil sie einenAnspruch auf Einspeisung und staatliche Vergütung ha-ben. Das ist völlig unumstritten. Es wäre schön, wennSie auch erwähnen würden, dass wir da auf einem gutenWeg sind.
– Ich habe vorhin gesagt, Herr Kelber, dass wir ernsthaftum die Frage ringen, wie mit dieser ganzen Thematikumzugehen ist.Ich habe vorhin auch die Kritik zum Marktanreiz-programm vernommen. Das ist kein Wunschhaushalt,wie die Verschuldung zeigt. Es ist aber auch kein Wün-schehaushalt – das sage ich ganz offen –, in dem mandieses und jenes noch machen könnte; überhaupt nicht.Dieser Haushalt ist der Krise geschuldet. Insbesonderedie SPD weiß das; denn die Grundlagen für diese Situa-tion – nicht für die Krise, sondern für die Bewältigungder Krise – haben wir gemeinsam gelegt.Wer – wie die Grünen – kritisiert, dass jetzt auch dasMarktanreizprogramm von der Haushaltssperre be-troffen ist,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010 2701
Dr. Georg Nüßlein
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der soll bitte einmal in die eigene Regierungszeitschauen. Wer das nämlich tut, wird feststellen, dass dasMarktanreizprogramm im Jahr 2001, in der rot-grünenZeit, den Maximalwert von 136 Millionen Euro hatte.Wenn wir heute bei einer Größenordnung von 300 bis400 Millionen Euro sind, ist das also erheblich mehr.Deshalb wäre ich an Ihrer Stelle ganz ruhig und würdedie Umweltpolitik dieser Regierung mit großem Beifallbedenken.Vielen herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Ulrich Petzold für die
Unionsfraktion.
Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr ge-ehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Bundesminister Röttgen hat seine Haushaltsein-führungsrede unter das Motto „Jetzt erst recht!“ gestelltund sich dabei auf das enttäuschende Ergebnis von Ko-penhagen bezogen. Dieses „Jetzt erst recht!“ kann, ja,muss man auch auf die gegenwärtige Weltwirtschaftssi-tuation beziehen; denn die Sorge vieler ist: Wenn dieWeltwirtschaft und die Sozialsysteme wanken, muss derUmweltschutz darunter leiden. – Wir sagen also: Jetzterst recht!Auch nach einem Haushaltsaufwuchs um 56,3 Pro-zent im letzten Jahr verweilt unser Haushalt im Jahr2010 nicht im Stillstand, sondern legt erneut um gut100 Millionen Euro und damit 7,9 Prozent zu. Der letztevon Herrn Trittin vorgelegte Haushalt des BMU, näm-lich für das Jahr 2005, umfasste – Herr Kindler, Sie wa-ren da vielleicht noch ein bisschen jung –
gerade einmal 769 Millionen Euro und damit nicht ein-mal die Hälfte der 1,58 Milliarden Euro des vorliegen-den Haushalts. Herr Kindler, im Jahr 2005 hatte HerrTrittin den Haushalt des Umweltministeriums um2,6 Prozent zurückgefahren. Wir haben einen Aufwuchsum gut 7 Prozent.
Doch die 1,58 Milliarden Euro – das ist hier auchschon angeklungen – sind beileibe nicht die gesamtenUmweltausgaben dieser Bundesregierung. Zählt man dieAusgaben aller Ressorts für diesen Bereich zusammen,kommt man auf 6,3 Milliarden Euro. Wenn nun aus derOpposition die Kritik kommt, dass von dieser Summeviel zu viel in die Kernenergie fließt, erlaube ich mir, da-ran zu erinnern, dass wir in diesem Haushalt, 20 Jahrenach Herstellung der deutschen Einheit, immer noch300 Millionen Euro für die Altlastensanierung derDDR ausgeben müssen – allein in unserem Haushalt300 Millionen Euro!
Ich würde Ihnen empfehlen, doch einmal nach Ronne-burg zu fahren und sich das anzusehen, was wir dort inden letzten Jahren gemeinsam geleistet haben. Daraufkönnen wir vom Umweltausschuss stolz sein.
Genau solch ungeordnete Hinterlassenschaft wollenwir zukünftigen Generationen nicht aufbürden. Deswe-gen ist es nur richtig, dass sich der Aufwuchs mit127,4 Millionen Euro auf die Herrüstung des SchachtesKonrad als Endlager für schwach radioaktive Abfällekonzentriert. Das sind Mittel, die von den Betreibern vonKernenergieanlagen auch noch refinanziert werden. Esist also nicht so, dass das endgültig aus unserer Taschegeht.Lassen Sie mich bitte noch darauf hinweisen, dass derStand des Umweltschutzes eines Staates nicht alleinnach den Umweltschutzinvestitionen des Staates selbst,sondern in erster Linie nach den Investitionen der Ver-ursacher zu bewerten ist. Hier muss Deutschland in-folge des hohen Umweltschutzbewusstseins seiner Bür-ger, aber auch seiner Unternehmer mit an führenderStelle genannt werden. Deswegen gilt mein Dank heuteim Rahmen der Haushaltsberatung auch allen Bürgernund Unternehmen, die sich in ihrem täglichen Handelndem Umweltschutzgedanken verpflichtet fühlen. Es gilt,gerade dies zu stützen und zu fördern.Deswegen ist ein Schwerpunkt im Umweltschutzhaus-halt, die Anreizförderung, zum Beispiel betreffend denEinbau von Partikelfiltern, weiterzuführen. Es wurde ge-sagt, dass wir dort eine Kürzung vornähmen. Dazu mussich ausführen, dass wir durch den Überhang in Höhe von140 Millionen Euro, die wir aus dem letzten Jahr mitneh-men, in diesem Jahr mehr Mittel für diesen Titel einstel-len als im letzten Jahr.Ein, wenn nicht der Renner im Rahmen der Anreiz-förderung ist das Marktanreizprogramm mit einemVolumen von 468 Millionen Euro für die Förderung vonEinzelmaßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien.Allerdings liegt auf diesem Titel – das ist hier schon an-geklungen – ein Sperrvermerk in Höhe von 130 Millio-nen Euro. Dieser Sperrvermerk ist den nicht sicher ab-schätzbaren Einnahmen aus dem Emissionshandel ge-schuldet. Dass dieses Einnahmerisiko allein auf demBMU-Haushalt und hier wiederum nur auf der Anreiz-förderung lastet, entspricht eigentlich nicht der Haus-haltsgepflogenheit der allgemeinen Deckung. Deswe-gen finde ich es außerordentlich gut, dass sich unserKollege Schulte-Drüggelte mit aller Kraft dafür einge-setzt hat, dass es auch in diesem Titel eine allgemeineDeckung gibt. Herzlichen Dank, Bernhard!
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2702 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 16. März 2010
Ulrich Petzold
(C)
(B)
Durch deinen Einsatz werden wir in Zukunft das Markt-anreizprogramm auf einem hohen Niveau fortführenkönnen.In den letzten Jahren hatte ich immer wieder Pro-bleme beim Personalhaushalt angesprochen. Deswegen
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 16, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit, in der Ausschussfassung. Hierzu
freut es mich, dass doch eine ganze Zahl von befristeten
Stellen in diesem Haushalt zu Dauerstellen umgewandelt
wird. So kann endlich der Wissensverlust bei vielen Um-
besetzungen beendet werden. Ich bin trotzdem etwas ir-
ritiert, dass im refinanzierten Bereich immer wieder
neue Probleme bei der Stellengenehmigung auftreten.
Ob beim Pflanzenschutzgesetz, Biozidgesetz, Batterie-
gesetz oder bei der Einbindung des Luftverkehrs in den
Emissionshandel, es kommt darauf an, dass Unterneh-
men für ihre Gebühren schnelle, kompetente Auskünfte
bekommen. Dienstleister müssen ausreichend mit Perso-
nal ausgestattet sein. Kameralistik und Beamtendenken
haben dort nichts zu suchen.
Sicherheit in der Informations- und Kommunika-
tionstechnik ist ein Feld, das zu Recht unsere ganze
Aufmerksamkeit einfordert. Es ist richtig, dass wir im
Ministerium und in den zugeordneten Behörden dafür
neue Stellen geschaffen haben. Welche kriminelle Ener-
gie auch im Datenbereich „Umwelt“ vorhanden ist,
wurde uns spätestens durch das unbefugte Eindringen in
das Emissionshandelsnetz bewusst. Wir sollten jedoch
für die Zukunft über eine stärkere Bündelung der Kräfte
im Ministerium und in den Behörden auf diesem Gebiet
nachdenken.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich habe immer wieder darauf aufmerksam ge-
macht, dass es im BMU-Haushalt Wirtschaftlichkeits-
reserven gibt. Es gibt den Vorschlag, eine erweiterte Ka-
meralistik einzuführen bzw. die Vor- und Nachteile einer
Doppik zu prüfen. Wenn das UBA die Mittel für einen Er-
weiterungsbau in Dessau aus dem eigenen Haushalt er-
wirtschaftet hat, ist das nicht wegen, sondern trotz der Ka-
meralistik geschehen. Man hätte sich allerdings die vielen
unproduktiven Verhandlungsstunden beim BMF sparen
können. Ich glaube daher, dass wir in den Beratungen
über den Haushalt 2011 noch das eine oder andere Ver-
nünftige aus diesem Haushalt herausholen können.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Ich wün-
sche Ihnen allen noch einen schönen Abend.
liegen drei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst ab-
stimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 17/1013? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit
den Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Antragsteller
bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab-
gelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 17/1014? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit
den Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1021? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungs-
antrag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der
FDP-Fraktion gegen die Stimmen der antragstellenden
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.
Wir stimmen nun über den Einzelplan 16 in der Aus-
schussfassung ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 16 ist mit
den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion
gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Mittwoch, den 17. März 2010,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.