Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes — Drucksache 8/3298 —, der in der Plenarsitzung am 15. November 1979 dem Haushaltsausschuß — mitberatend — überwiesen wurde, diesem Ausschuß auch gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden.
Ist das Plenum damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 30. November 1979 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
Gesetz über die Verwaltung der Mittel der Träger der Krankenversicherung
Tabaksteuergesetz
Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
Erstes Gesetz zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes 1975.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 30. November 1979 ferner beschlossen, der Bundesregierung wegen der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 1977 aufgrund der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes Entlastung gemäß Artikel 114 des Grundgesetzes und § 114 der Bundeshaushaltsordnung zu erteilen.
Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 20. November 1979 einen Nachtrag zur Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Kiechle, Röhner, Dr. Ritz, Dr. Sprung, Susset, Dr. Früh, Schröder Baron von Wrangel, Sick, Dr. Jobst, Spranger, Klinker, Eymer (Lübeck), Niegel, Besch, Würzbach, Sauter (Epfendorf), Schartz (Trier), von der Heydt Freiherr von Massenbach, Dr. von Wartenberg, Schmitz (Baesweiler), Carstens (Emstek), Dr. Waigel, Dr. von Geldern, Dr. Meyer zu Bentrup, Biechele, Wissmann, Schwarz, Dr. Jenninger und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Europäisches Währungssystem /deutsche Agrarpreise — Drucksachen 8/3184, 8/3246 — übersandt. Der Nachtrag wird als Drucksache 8/3466 verteilt.
Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 26. November 1979 unter Bezugnahme auf § 17 Abs. 5 Postverwaltungsgesetz den 2. Nachtrag zum Voranschlag der Deutschen Bundespost für das Rechnungsjahr 1979 übersandt. Der Nachtrag liegt im Archiv zur Einsichtnahme aus.
Der Staatssekretär im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 6. Dezember 1979 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hasinger, Frau Schleicher, Dr. Hammans, Burger, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Kroll-Schlüter, Frau Karwatzki, Dr. Becker , Dr. Kunz (Weiden), Horstmeier, Dr. Riesenhuber, Dr. Jenninger, Breidbach, Frau Benedix-Engler und der Fraktion der CDU/CSU betr. Gesetz über die Ausübung der Berufe des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten — Drucksache 8/3407 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/3469 verteilt.
Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 10. Dezember 1979 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Jahn , Dr. Schneider, Erpenbeck, Eymer (Lübeck), Francke (Hamburg), Kolb, Link, Metz, Dr. Möller, Niegel, Schmidt (Wuppertal), Dr. George, Hauser (Bonn-Bad Godesberg), Neuhaus und der Fraktion der CDU/CSU betr. Verbesserung der Bausparförderung — Drucksache 8/3304 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/3473 verteilt.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1980
— Drucksachen 8/3100, 8/3354 —
Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses
Wir kommen zuerst zum
Einzelplan 04
Bundeskanzler und Bundeskanzleramt
— Drucksache 8/3374 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Schröder Metz
Dr. Riedl
In der Drucksache 8/3374 ist bei Kap. 04 03 Tit. 422 01 in der Ausschußfassung wegen eines Druckfehlers folgende Berichtigung vorzunehmen: Bei der B-6-Stelle ist der Vermerk „ku" durch „kw” zu ersetzen.
Ich rufe ferner auf:
Einzelplan 05
Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts
— Drucksache 8/3375 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Bußmann Gärtner
Einzelplan 14
Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung
— Drucksache 8/3384 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Hauser Stöckl
Haase
Dr. Riedl
Der Ältestenrat hat verbundene Debatte vereinbart. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
15046 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
Präsident Stücklen
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist der Fall. Das Wort hat Herr Abgeordneter Schröder .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor der Einzelplan 04 in die große allgemeine politische Aussprache führt, gestatten Sie mir als Berichterstatter einige Anmerkungen zum Etat des Bundeskanzleramtes und zum Bundeskanzleramt selber. Wir haben uns als Berichterstatter — und im Haushaltsausschuß — in diesem Jahr mit einigen kritischen Vorgängen im Kanzleramt befassen müssen. Der Haushaltsausschuß hat einen abschließenden Bericht über den Neubau des Bundeskanzleramtes entgegengenommen und mußte in diesem Zusammenhang feststellen, daß dabei eine Fülle von kostenwirksamen Fehlplanungen und Fehlkonstruktionen vorgenommen worden waren.
Allein in der bisherigen Nutzungszeit des Neubaus mußten aus dem Etat des Bundeskanzleramtes 1,8 Millionen DM für notwendige Reparaturen zur Verfügung gestellt werden. Weitere Maßnahmen für eine halbe Million DM stehen noch vor der Tür. Der berühmte Kanzler-Vorplatz mußte, um eine vom Bundeskanzler persönlich gewünschte Plastik ihren ehrwürdigen Platz finden zu lassen, für 1,3 Millionen DM umgebaut werden.
Meine Damen und Herren, damit hat uns der über 100 Millionen DM teure Komplex allein an Folgekosten noch einmal 3,6 Millionen DM aus dem Haushalt gekostet. Auch an diesen Beispielen wird deutlich, insbesondere an den 1,3 Millionen DM für Umbaumaßnahmen am Vorplatz des Bundeskanzleramtes, wie wenig sorgfältig und sparsam mit den Steuergeldern umgegangen wird.
Meine Damen und Herren, es ist auch noch eines deutlich geworden, nämlich daß dieser Neubau des Bundeskanzleramtes sich in hohem Maße als nicht funktionsfähig erwiesen hat. Im Grunde genommen hat sich bestätigt, was wir damals schon an Kritik zum Ausdruck gebracht haben, daß dieser Neubau nichts anderes als ein Ausfluß der damaligen Ehmkeschen Reformgigantomanie war.
Aber nicht nur der äußere Bau, der Neubau des Bundeskanzleramtes, hat sich als fragwürdig und funktionsunfähig erwiesen. Auch das innere Klima — lassen Sie mich damit auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen — in diesem Neubau entspricht offensichtlich nicht dem, was man sich an Betriebsklima in der Leitungszentrale der deutschen Politik vorstellt und wünscht. Ich habe hier das Ergebnis einer Umfrage, die der Personalrat des Bundeskanzleramtes Anfang dieses Jahres durchgeführt hat und in der doch einige bemerkenswerte Ergebnisse zutage kommen, vor mir liegen.
Ich darf hier mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus diesem Ergebnis der Umfrage des Personalrats zum Thema Vertrauensverhältnis und vertrauensvolle Zusammenarbeit im Bundeskanzleramt einmal wörtlich zitieren.
Es heißt dort:
Zur Personalabteilung und zur Leitung des Amtes besteht kein Kontakt. Noch nie hat sich jemand aus der Führungsspitze im Abteilungsbereich sehen lassen. Mangelnde menschliche Anteilnahme seitens der Personalabteilung und der Leitung des Amtes muß beklagt werden.
Übermäßige Geheimniskrämerei zeichnet die Personalpolitik aus. Das Personalreferat bringt bei totaler Überbesetzung nur eine mittelmäßige Leistung.
Jetzt kommt eine sehr bezeichnende Beurteilung: Im Amt herrsche eine Zweiklassengesellschaft, die Genossen seien die anderen. So steht es im Bericht des Personalrats.
Dieses Ergebnis wiederholt sich in bezug auf eine andere Frage, bei der es hieß:
Haben Sie den Eindruck, daß bei personellen Maßnahmen sachfremde Erwägungen eine Rolle spielen?
Lassen Sie mich Ihnen auch hier das Ergebnis zur Kenntnis bringen. Mit einer überwiegenden Mehrheit wird von den Mitarbeitern des Bundeskanzleramtes die Frage bejaht, daß bei personellen Maßnahmen sachfremde Erwägungen eine Rolle spielen.
Lassen Sie uns der Frage nachgehen, welche sachfremden Erwägungen hier eine Rolle spielen. Ich darf wiederum aus dem Bericht des Personalrats zitieren, in dem es wörtlich heißt:
Wiederholt wird die Auffassung geäußert, daß persönliche Beziehungen zu Vorgesetzten oder dem Personalreferat, vor allem aber die Parteizugehörigkeit
— nämlich eine SPD-Patronage — das Weiterkommen erleichtern.
Ich glaube, diese Antworten machen überdeutlich, daß auch der innere Geist in der äußeren Fehlkonstruktion des Neubaus des Bundeskanzleramtes nicht so ist, wie man es von der Leit- und Führungszentrale der deutschen Politik eigentlich erwarten darf, daß hier ganz offensichtlich sachfremde, sprich: vor allen Dingen parteipolitische Erwägungen in der Personalpolitik eine wesentliche Rolle spielen.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15047
Schröder
Lassen Sie mich einen dritten Punkt ansprechen.
— Ich spreche hier nicht als Berichterstatter, aber ich schöpfe sozusagen aus den Kenntnissen des Berichterstatters, Herr Kollege.
Herr Abgeordneter, einen Augenblick! Ich habe auch den Eindruck, Sie sprechen nicht als Berichterstatter, sondern Sie eröffnen die Debatte.
— Einen Moment, Herr Jenninger. Ich habe gefragt, ob einer der Berichterstatter das Wort wünscht.
Da Herr Schröder auch Berichterstatter ist, konnte ich davon ausgehen, daß er als Berichterstatter spricht. Er spricht also nicht als Berichterstatter. Die Aussprache über den Einzelplan 04 ist damit eröffnet. Bitte fahren Sie fort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich komme zu einem dritten Punkt. Wir haben im Bundeskanzleramt ähnlich wie in einigen anderen Ministerien die Funktion eines Parlamentarischen Staatssekretärs, der dort etwas anspruchsvoller als Staatsminister beim Bundeskanzler bezeichnet wird. Nun sehe ich unseren alten Freund Wischnewski hier nicht mehr auf der Regierungsbank, aber ich muß ihm noch ein kurzes Nachwort zu seiner Tätigkeit als Staatsminister beim Bundeskanzler widmen, wobei ich nicht in den Verdacht geraten will, daß ich etwa seine großen — das meine ich durchaus ernst — Verdienste im Zusammenhang mit Mogadischu in Frage stellen möchte.
Aber es hat in der jüngeren Vergangenheit einen Vorfall gegeben, der uns etwas nachdenklich gestimmt hat. Ich meine das Auftreten und die Rolle, die der Herr Staatsminister beim Bundeskanzler im Zusammenhang mit der Entführung auf dem Köln /Bonner Flughafen gespielt hat.
Ich will hier gar nicht im einzelnen untersuchen, in welchem Ausmaß er dabei seine Zuständigkeit gegenüber den zuständigen Organen der Polizei überschritten hat. Was mich und was uns in der Opposition ein wenig verwundert, um nicht zu sagen: irritiert hat, war
jene Bemerkung, die Herr Staatsminister a. D. Wischnewski von sich gegeben hat, nachdem jener kritische Bericht der Kölner Polizei veröffentlicht wurde. Laut „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 27. November — ich zitiere wörtlich — hat Wischnewski zu diesem Bericht, den vier Kölner Polizeibeamte erstellt hatten, erklärt, „er könne sich ja vorstellen, daß an jenem Tag die Kölner Polizei ein bißchen frustriert gewesen sei, weil sie nicht zum Einsatz gekommen sei".
Ich finde, daß diese Äußerung ein bemerkenswerter Ausfluß von Arroganz
gegenüber den notwendigen Aufgaben und Pflichten unserer Polizei darstellt
und daß auch ein Staatsminister beim Bundeskanzler nicht das Recht hat, in dieser Weise in die Kompetenzen der zuständigen Organe einzugreifen und, wenn darauf hingewiesen wird, in dieser arroganten Art und Weise die zuständigen Polizeibeamten abzukanzeln, die nicht anderes als ihre Pflicht getan haben bzw. tun wollten.
Lassen Sie mich nun zu einem weiteren Punkt kommen.
Der Haushaltsausschuß des Bundestages — Herr Kollege Löffler, ich begrüße das — hat dem Bundeskanzleramt in diesem Jahr einstimmig keine neuen Stellen zur Verfügung gestellt. Der Haushaltsausschuß des Bundestages hat damit deutlich gemacht, daß das Bundeskanzleramt nach seiner Auffassung personell überbesetzt ist, was wir hier in den Haushaltsberatungen wiederholt angesprochen und deutlich gemacht haben.
Ich mache darauf aufmerksam, daß zu Zeiten Konrad Adenauers, Ludwig Erhards und Kurt Georg Kiesingers, als in diesem Kanzleramt noch solide Politik gemacht wurde,
die Hälfte der Mitarbeiterzahl ausreichte, um gute Politik zu machen, während heute die doppelte Zahl noch nicht einmal ausreicht um eine halbwegs hinlängliche Politik zu gestalten
Das Bundeskanzleramt muß auch wieder, wenn es seine eigentliche Funktion als Führungs- und Leitzentrale der deutschen Politik wahrnehmen will, ein kleines, aber schlagkräftiges und personell entsprechend besetztes Instrument der Bundesregierung werden, und es darf keine Ansammlung von Nebenministerien sein, wie wir es jetzt verzeichnen müssen.
In diesem Sinne spiegelt das Bundeskanzleramt sinnbildlich jene Entwicklung wider, die sich seit 1969 in allen Bundesministerien, kennzeichnend für die gesamte Politik dieser Bundesregierung, vollzogen hat. Es hat eine gewaltige Personalaufblähung stattgefunden, die Ausgaben haben sich vervielfacht, ohne daß dabei etwas Besseres herausgekommen ist. Das Bundeskanzleramt ist in diesem Sinne
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Schröder
Sinnbild einer Finanzpolitik, die nicht sorgfältig auf das Geld des Steuerzahlers achtet, die es mit vollen Händen ausgibt. Und weil das Bundeskanzleramt auch in diesem Sinn ein schlechtes Vorbild für die gesamte Finanz- und Haushaltspolitik und allgemeine Politik dieser Bundesregierung ist, lehnen wir den Haushalt des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes ab.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Löffler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir vorweg eine persönliche Bemerkung: Eigentlich bin ich mir als Bundestagsabgeordneter zu schade — und Sie, Herr Schröder, sollten sich auch zu schade sein —, eine Krümelgarnierungsdebatte am Anfang zu führen,
weil entweder auch die Opposition die Peinlichkeit einsieht, die darin besteht, daß ein Ministerpräsident in einer der wichtigsten Debatten des Bundestages als erster von seiten der Opposition das Wort ergreift, oder weil Herr Strauß nicht rechtzeitig von München hereingekommen ist. Herr Schröder, bei allem, was uns sachlich trennt, als Lückenfüller sind wir uns beide zu schade.
Da wir uns nun schon einmal mit dem Sortieren von Krümeln beschäftigen, spiele ich aber gerne mit, obwohl es politisch nach meinem Dafürhalten völlig sinnlos ist.
Herr Schröder hat hier eine ganze Reihe von Punkten erwähnt. Zum Teil waren es alte Sachen. Er hat z. B. eine Umfrage unter dem Personal des Bundeskanzleramtes erwähnt. Die Papiere und die Gegenargumente zu dieser Umfrage ruhen seit zwölf Monaten oben in meinem Büro. Ich habe sie nicht mit heruntergebracht, weil ich dachte, auf diesen alten Hut kommt er jetzt nicht mehr zurück.
Der Herr Schröder hat wohlweislich vergessen, daß diese Umfrage nur bei gut einem Drittel aller Angehörigen des Kanzleramtes durchgeführt worden ist.
Vor allen Dingen, Her Schröder, müssen wir natürlich der Opposition bestätigen, daß wir stark davon beeindruckt sind, welch einen hohen Rang und welch eine hohe Bedeutung Sie einem Personalrat
in einer Leitungszentrale einräumen. Das haben wir bisher von Ihnen immer etwas anders gehört.
Herr Abgeordneter Löffler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reuschenbach?
Aber selbstverständlich. Präsident Stücklen: Bitte sehr!
Kollege Löffler, könnte es sein, daß diese Umfrage, die nur bei einem Teil der Mitarbeiter des Bundeskanzleramts durchgeführt worden ist, zufällig nur bei dem Teil des Bundeskanzleramtes durchgeführt worden ist, der der CDU-Betriebsgruppe angehört?
Lieber Herr Kollege Reuschenbach, ich kann Ihre Frage nicht bestätigen. Herr Kollege Schröder sprach selbst von einer Zweiklassengesellschaft. Ich will jetzt nicht sagen, welches die Kriterien dieser Zweiklassengesellschaft im Bundeskanzleramt sind. Es könnte ja aber sein, daß es sich um loyale und um illoyale Beamte handelt.
— Ich will es nur als Hypothese hinstellen. Bitte, beachten Sie, daß ich im Konjunktiv gesprochen habe.
Auf eine Sache ist Herr Schröder überhaupt nicht eingegangen. Der gegenwärtige Kanzler bemüht sich, und zwar mit großem Ernst und mit großem Engagement, um eine Synthese von politischer Leitungsfunktion und Macht einerseits und kultureller Präsentation andererseits. Diese Bemühungen, die im Bundeskanzleramt ihren sichtbaren Ausdruck finden, sind zu begrüßen. Sie vermitteln einen guten Eindruck bei allen Besuchern, insbesondere aber bei den Repräsentanten anderer Staaten, die das Bundeskanzleramt aufsuchen. Die weniger angenehme Seite Deutschlands, nämlich die machtvolle und die kriegerische, haben die Völker dieser Welt in diesem Jahrhundert zweimal kennengelernt. Es ist gut, daß der jetzige Bundeskanzler zeigt, der Welt zeigt, daß Deutschland eben nicht nur Militär ist, nicht nur wirtschaftliche Macht ist, sondern daß wir auch über ein reiches kulturelles, wissenschaftliches und literarisches Leben verfügen, daß es in Deutschland auch andere Geister gab.
Insofern begrüße ich auch ausdrücklich, daß der Bundeskanzler eine Plastik von Henry Moore auf den Kanzleramtsvorplatz gestellt hat, denn durch diese Haltung hat er eindeutig gezeigt, welche echte europäische Gesinnung dahintersteckt. Damit zeigt man mehr europäische Gesinnung als mit hundert
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Löffler
Reden über die kulturelle Einheit des Abendlandes an Sonn- und Festtagen.
Hier wird nämlich europäischer Geist repräsentiert. Das hat der Kanzler gemacht, und meine Fraktion dankt ihm ausdrücklich dafür, daß er das harte Geschäft der Politik durch Geist auflockern will, und zwar durch Geist, der sich in verschiedenen Formen repräsentiert.
— Sehen Sie, Ihre Zwischenrufe beweisen eindeutig, daß diese Passage nun offensichtlich ganz und gar nicht für Sie "berechnet ist, aber das müssen Sie mit sich ausmachen, statt hier durch Zwischenrufe den Ablauf der Verhandlungen zu stören.
Zusammenfassend darf ich folgendes sagen. Die Mängel am Bau sind unbestreitbar. Ich könnte jetzt eine lange Rede darüber halten, wie diese Mängel entstanden sind. Auf jeden Fall hat sie weder der Kanzler noch das Kanzleramt zu verantworten. Nur stimmt das, was der Kollege Schröder gesagt hat, daß nämlich dieser Bau völlig funktionsunfähig sei, nicht. Richtig ist, daß er von der Funktion her besser sein könnte. Aber Sie wissen ja selbst, wie das ist — das fängt ja schon beim Einfamilienhaus an —: Der öffentliche Bauherr hat heutzutage nicht mehr den Mut, dem Architekten zu sagen, so und so will ich das haben, weil er jeder modernen Strömung hinterherrennt; um nur nicht als veraltet zu erscheinen, läßt er sich von den Architekten alles einreden. Wir werden das erleben — wir persönlich werden es wohl nicht mehr erleben —, wenn über die Funktionsfähigkeit des neuen Gebäudes für den Deutschen Bundestag gesprochen werden wird. Da wird das nämlich nicht sehr viel anders aussehen.
Wenn ich einmal von dem Bau absehe, kann ich folgende Feststellungen treffen. Die Regierungszentrale ist in Ordnung, und zwar in jeder Hinsicht, in organisatorischer und in politisch-inhaltlicher Hinsicht. Diese Regierungszentrale wird allen äußeren und inneren Problemen, mit denen die Bundesrepublik Deutschland konfrontiert ist, voll gerecht. Diese Regierungszentrale verdient unser volles Vertrauen und wird auch das volle Vertrauen des deutschen. Volkes erhalten.
Das Wort hat der Ministerpräsident des Freistaates Bayern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Haushaltsdebatte findet zu einem Zeitpunkt statt, der als Einschnitt von zehn Jahren sowohl zum Rückblick wie zur Vorausschau Anlaß gibt. Die Regierungsparteien SPD /FDP haben in der Godesberger Redoute mit einem Staatsbankett besonderer Art den zehnten Jahrestag ihrer Machtübernahme gefeiert; es war ein mehr griesgrämiges Spektakel.
Helmut Schmidt und sein Vorgänger haben in ihrer gemeinsamen Erklärung behauptet, Sicherheit in den 80er Jahren könne es nur dann geben, wenn zur Friedens- und Entspannungspolitik auch wirksame Schritte zur militärischen Abrüstung und zur Rüstungskontrolle hinzukämen — sicherlich kein schlechter Vorschlag —, und meinen, den Frieden sicherer gemacht zu haben. Der normale Bürger fragt sich doch dann: Warum dann seit Wochen dieser Schleiertanz um die Nachrüstung der NATO auf europäischem Boden? Warum erklärt jeder Fünfte in der Bundesrepublik, er halte einen Krieg in den nächsten Jahren für möglich? Noch vor wenigen Jahren sagte das nur jeder Zehnte, jeder Zwanzigste, jeder Fünfzigste. Da stimmt doch etwas nicht!
Helmut Schmidt meint, Sicherheit in den 80er Jahren sei wirtschaftlich und sozial durch seine Politik gewährleistet. Warum dann aber Arbeitslosigkeit im Jahresdurchschnitt 1979 in einer Höhe von fast 900 000, was gleichbedeutend ist mit 15 Milliarden DM an Zahlungen und an Ausfall von Steuern und Beiträgen, bei gleichzeitigem Arbeitskräftemangel in vielen Gegenden und wirtschaftlichen Bereichen? Warum dann Ausbeutung der nächsten Generation durch einen galoppierenden Anstieg der Schulden der öffentlichen Hand, besonders des Bundes, in den letzten fünf Jahren? Warum dann ein drastischer Geburtenrückgang mit falscher Zusammensetzung der Bevölkerungspyramide? Warum dann schwerwiegende Versäumnisse und halbherzige Ja-Nein-Beschlüsse bei der Energieversorgung? Warum dann soviel Angst um den Arbeitsplatz in unserer Bevölkerung als Folge der Energiekrise?
Helmut Schmidt meint, seine Politik verteidige die Bürgerfreiheiten und baue sie aus. Warum dann immer mehr Vorschriften, Regelungen, Eingriffe? Warum eine immer unverständlichere Gesetzes-und Verordnungssprache, immer größere Unlesbarkeit der Gas-, Strom- und Wasserrechnung?
Selbst für den großen Ökonomen Helmut Schmidt unverständlich, der leider nichts, aber auch gar nichts gegen diese Überflutung mit bürokratischen Rechtsnormen in der Zeit seiner Kanzlerschaft getan hat!
Warum dann 12 % mehr Lohn- und Einkommensteuer bei 6 % Einkommenserhöhung? Warum Ansteigen der Drogensucht und der Jugendkriminalität? Warum wächst die Sicherheit der Kriminellen und nimmt gleichzeitig die Sicherheit der Bürger ab?
Helmut Schmidt und sein Vorgänger meinen, Sicherheit in den 80er Jahren sei nur möglich — ich zitiere wörtlich aus der Erklärung —,
wenn wir dem Strukturwandel in der Weltwirtschaft durch eine vorwärts gerichtete Politik der Vollbeschäftigung und der Modernisierung unserer Volkswirtschaft begegnen.
15050 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
Warum dann über viele Jahre hinweg eine investitionsfeindliche Politik, die durch Elberhitzung der Konjunktur, inflationäre Übervollbeschäftigungspolitik, überhöhte Ausgaben der öffentlichen Hand, steuerliche Bestrafung der Investitionen, dauernde Erprobung der Belastbarkeit der Wirtschaft und unternehmerfeindliche Bearbeitung der Offentlichkeit zu der größten Investitionslücke in der Nachkriegswirtschaft geführt und die technische Modernisierung durch Überalterung der Produktionsanlagen verlangsamt und behindert hat?
Erst in jüngster Zeit sind gewisse Fortschritte zur Überwindung dieser Investitionslücke und zur Modernisierung der technischen Ausstattung erfreulicherweise zu verzeichnen, aber die Sünden der Vergangenheit sind nicht mehr auszugleichen. Warum denn dann keine ausreichende steuerliche Begünstigung privatwirtschaftlicher Forschungstätigkeit und eine mehr den Bedürfnissen der Gesellschaftsveränderung als volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten entsprechende Forschungspolitik in vielen Bereichen?
So viel zur Rückschau auf das Regierungsjubiläum. — Ja, ich weiß, man muß eben Feste feiern, wie sie fallen. Oder: In der Not frißt der Teufel Fliegen. So war denn auch das Parteitagsmotto der SPD in Berlin „Sicherheit für die 80er Jahre" mehr eine Geisterbeschwörung als ein Wegführer in die 80er Jahre.
Schon die Vorgeschichte dieses Parteitages zeigte einen Regierungschef, der sich mehr durch Schweigen zu den Problemen, im allgemeinen mit „Nachdenken" bezeichnet, und durch Umschreiben ihres Kerns als durch Wahrheit und Klarheit auszeichnete.
In der Nachrüstungsdebatte sprach er vor dem Parteitag in vielversprechendem Orakelton. Mit Genehmigung des Präsidenten darf ich wenige Sätze zitieren. Er sagte dort, daß
konkrete Maßnahmen zur Nachrüstung um so begrenzter gehalten können, wie es gelingt, eine wirkungsvolle beiderseitige Begrenzung der kontinentalstrategischen Systeme in Ost und West durch diese Rüstungskontrollverhandlungen, SALT III genannt, zu erreichen. Im idealen theoretischen Fall könnte dabei sogar herauskommen, daß auf westlicher Seite nichts nachgerüstet werden muß. Dieser ideale, opti male Fall setzt aber voraus, daß die Sowjetunion vieles von dem wieder abwrackt, was sie produziert hat.
Das sind doch Klimmzüge aus Angst vor der Verantwortung! Das ist doch nicht die Darstellung der Wirklichkeit.
So Helmut Schmidt vor der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion am 13. November 1979.
Er wagt es nicht, den Kern des Problems und die Schlußfolgerungen vor seiner Partei und der Offentlichkeit offen auszusprechen. Denn damit würde auch die Legende, daß der Frieden sicherer geworden sei, nicht weiterhin behauptet werden können. Er wagt es also nicht, die Schlußfolgerung offen auszusprechen, daß die seit zwei Jahren laufende Aufstellung moderner, mobiler russischer Mittelstrekkenraketen SS 20 mit ihrer Reichweite von 5 000 km die NATO zu spalten droht, die Amerikaner in wenigen Jahren mit der Vernichtung ihrer interkontinentalen strategischen Raketen durch die hohe Präzision der russischen rechnen müssen und ihre weniger auf Punktziele treffsicheren U-Boot-Raketen nur gegen Flächenziele einsetzen können, aber dann mit der Zerstörung ihres Mutterlandes rechnen müssen, also nicht in der Lage sind, den in die Rolle von Geiseln geratenen Europäern zu Hilfe zu kommen.
Es ist die Absicht und das Ziel dieser Raketenrüstung, diese Gefahr in Europa heraufzubeschwören, nicht um sie auszulösen, sondern mit ihrer Androhung politische Wirkungen auszuüben, um politische Erfolge zu erzielen. Zusätzliches Ziel dieser Raketenrüstung — gerade im Hinblick auf die jüngsten Ereignisse erkennbar — ist es sicher, die Amerikaner und Europäer von jeder politischen Intervention im Mittleren Osten und in Afrika abzuhalten und der sowjetischen Expansionsstrategie freie Hand zu verschaffen.
In Nr. 28 des Leitantrags des Parteivorstandes der SPD heißt es — das ist für dieses PolitologenKauderwelsch bezeichnend, das hier zum Durchbruch kommt —:
Den Disparitäten bei den nuklearen Mittelstreckenpotentialen muß durch eine Kombination von verteidigungspolitischen und rüstungssteuerungspolitischen Maßnahmen begegnet werden. Dies bedeutet, — rüstungskontrollpolitischen Regelungen den politischen Vorrang zu geben, um Instabilitäten auf diesem Wege abzubauen;
Ich kann mir vorstellen, daß das eine tägliche Lachstunde im Kreml auszulösen in der Lage ist, wenn sonst kein Material für schwarzen Humor zur Verfügung steht.
Es heißt dort weiter:
— gleichzeitig die notwendigen verteidigungspolitischen Optionen festzulegen, damit diese im Falle eines Scheiterns rüstungskontrollpolitischer Bemühungen wirksam werden können. Die Solidarität des Bündnisses muß sich bewähren.
Ein guter Grundsatz.
Wir werden auch künftig unsere Politik fortsetzen, die jederzeit deutlich sichtbar macht, daß wir weder Nuklearmacht sind noch werden. Eine ausschließliche Stationierung nuklearer Mittelstreckenwaffen auf deutschem Boden kommt nicht in Frage. Die nächsten Jahre werden auch darüber entscheiden, ob der nukleare Rüstungswettlauf gebremst werden kann oder
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Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
ob die Gefährdungen für die Welt weiter steigen werden.
Ich dachte, der Frieden sei schon so sicher, immer noch sicherer geworden.
Deshalb darf es keine Automatismen geben, der Gang der Verhandlungen und die erwarteten Ergebnisse müssen es den Politikern der NATO jederzeit möglich machen, Beschlüsse zu überprüfen und, wenn nötig, zu revidieren. Aus diesem Grunde soll die Bundesregierung der Stationierung der von den USA in eigener Verantwortung
— ich betone das Wort: in eigener Verantwortung; nur ja den Amerikanern sagen, wir übernehmen überhaupt keine Verantwortung —
zu entwickelnden Mittelstreckenwaffen in Europa
— ein sehr beruhigendes Datum —
nur unter der auflösenden Bedingung zustimmen, daß auf deren Einführung verzichtet wird, wenn Rüstungskontrollverhandlungen zu befriedigenden Ergebnissen führen.
Nummer 29 heißt:
Es ist zu prüfen, ob bei fortschreitendem Verhandlungsprozeß überprüfbare Vereinbarungen über einen Produktions- und Stationierungsstopp neuer nuklearer Waffensysteme die Erfolgsaussichten von Verhandlungen zwischen NATO und Warschauer Pakt erleichtern würden.
Das ist doch eine schwammige, halbherzige, mehrfach auslegbare, gegenseitig interpretierbare Formulierung, die alles offenhält, alles verschweigt, alles erlaubt, alles verbietet. Lediglich der Kontrast zu dem klaren Nein der Anträge der Naiven und der Linken — manchmal sind ja beide identisch — erlaubt es, darunter ein Bekenntnis zum NATO-Beschluß zu verstehen.
Noch übler liegen die Dinge, noch ablehnender ist der Charakter des Kernenergiebeschlusses! Betrieb bestehender, Fertigstellung in Betrieb befindlicher, Inangriffnahme neuer Kernkraftwerke sind an solche Bedingungen und Einschränkungen gebunden, daß auch dieser Parteitagsbeschluß für die Zukunft nichts Gutes ahnen läßt. Beide dienen doch mehr der Verwässerung der Probleme als der Klärung, sind zu sehr darauf angelegt, über die Runden zu kommen, statt eine feste Richtung erkennen zu lassen, lassen zukünftigen Konflikten freie Spiel. Vor lauter Verwunderung darüber, daß es überhaupt noch zu Mehrheiten für diese Formulierungen kam, sind die Abstimmungen als Sieg Helmut Schmidts gefeiert und bewundert worden. Er selbst weiß, daß er in der Sache keinen Schritt vorwärtsgekommen ist, daß die Hürden lediglich etwas hinausgerückt worden sind.
Der Begriff „Pyrrhussieg". kann im kleindeutschen Maßstab in Zukunft durch die Formel „HelmutSchmidt-Sieg" ersetzt werden.
Man mag darüber streiten, ob die Notwendigkeit oder Entbehrlichkeit von Kernkraftwerken durch Parteitage beschlossen, ob die Friedlichkeit oder Aggressivität der sowjetischen Rüstung und die Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen auf Parteitagen bestimmt werden kann. Ich glaube: nein. Helmut Schmidt meinte, in seiner Lage — etwa auszudrücken mit: Ach, zwei Seelen sind in meiner Brust — den wachsenden Abstand zwischen seinem langsamen Lernprozeß und dem trotzigen Nicht-lernenWollen seiner Partei durch solche Beschlüsse vermindern zu können.
— Damit es auch der Zwischenrufer versteht: Den wachsenden Abstand zwischen seinem langsamen Lernprozeß und dem trotzigen Nicht-lernen-Wollen seiner Partei durch solche Beschlüsse vermindern zu können.
Bei der SPD besteht ja immer die Gefahr, daß Parteitagsbeschlüsse zum imperativen Mandat werden, d. h. zur Bindung von Amts- und Mandatsträgern führen. Aber in einer langfristigen Aufgabe — und darum handelt es sich sowohl bei der militärischen Sicherheit Europas wie bei der Sicherstellung unserer Energieversorgung einschließlich der Kernenergie — nützen hektische, kurzatmige, schaumige, verschwommene Formulierungen nicht sehr viel. Sie helfen wie Morphium über den Schmerz der Gegenwart hinweg bis zum Tellerrand der nächsten Wahlen. Sie helfen, das Publikum zu täuschen. Aber sie tragen nichts zur Lösung des Problems oder zur Heilung des Übels bei.
Sie haben sicherlich gelesen, daß ein Fachmann, dessen Sachkunde und dessen Objektivität hoffentlich von niemandem bestritten werden, Franz-Joseph Spalthoff vom Rheinisch Westfälischen Elektrizitätswerk, die Situation nach dem Berliner SPD-Parteitag in einem Interview mit „Bild am Sonntag" vom 9. Dezember 1979 treffend bezeichnete, als er sagte:
Die Hürden für die Kernkraft sind durch den Berliner Parteitag nicht niedriger geworden.
Er sprach weiter von einer Stromlücke, die das gesamte Wirtschaftsleben in der Bundesrepublik — er meinte die 80er Jahre; das Motto heißt ja „Sicher in die 80er Jahre" — ins Chaos stürzen wird. Zum Einsatz der Kohle sagte er:
Die jährliche Kohleförderung bei uns läßt sich in absehbarer Zeit höchstens um rund dreizehn Millionen Tonnen erhöhen. Das wird aber schon sehr schwer sein. Um auch nur ein einziges Kernkraftwerk zu ersetzen, brauchen wir jedoch bereits mindestens 2,5 Millionen Tonnen Kohle.
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Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
In dem Artikel wird darauf hingewiesen, daß Bundeskanzler Schmidt 1977 noch davon ausging,
daß im Jahr 2000 in der Bundesrepublik Kernkraftwerke mit einer Leistung von 70 000 Megawatt Strom arbeiten. Das heißt: 54 Atommeiler vom Typ Biblis. Nach der Kernkraftblockade der letzten Jahre hofft die Regierung heute, daß wenigstens noch 40 solcher Kernkraftwerke bis zum Jahre 2000 fertig werden.
„Zu optimistisch", wie der Fachmann Spalthoff klar sagt, „es werden allerhöchstens 34 Anlagen sein. Wenn uns nicht wieder neue Schwierigkeiten gemacht werden, wenn wir mit Bau- und Genehmigungszeiten von acht bis zehn Jahren pro Kraftwerk auskommen.
Er bestreitet damit, daß diese Voraussetzungen gegeben sind.
Es ist ja sehr bezeichnend, daß Herr Spalthoff hierin von Herrn Eppler bestätigt worden ist, auch wenn das sicher nicht die Absicht war. Herr Eppler hat in einem Interview im Deutschlandfunk am 7. Dezember 1979 in der Sendung „12 Uhr — Informationen am Mittag" gesagt: „Hier sind eine ganze Menge von Hürden aufgebaut worden." Das ist also genau dasselbe, was Herr Spalthoff sagte und was ich sagte, als ich bemerkte, daß die Hürden nur hinausgerückt worden seien. Er fügte hinzu:
Ich könnte mir vorstellen, daß schon beim nächsten Parteitag das, was dieses Mal eine knappe Minderheit war, vielleicht schon eine knappe Mehrheit ist.
Darum habe ich mir erlaubt, zu sagen: Pyrrhussieg heißt hier Helmut-Schmidt-Sieg. Und das nennen Sie: Sicher in die 80er Jahre gehen.
Daß ich hier richtig liege, haben Sie, Herr Bundeskanzler, selber auf dem Parteitag in Ihrem Diskussionsbeitrag offen ausgesprochen. Sie sagten wörtlich laut dem verteilten Protokoll:
Die Einschränkungen, die der Antrag 500 enthält, gehen mir persönlich zu weit.
Ich hätte ihn nicht so formuliert.
Und in einem weiteren Teil seines Diskussionsbeitrags sagte er:
Der Antrag 500 engt die Sozialdemokraten in der Bundesregierung weiter ein als irgendeine Regierung in der ganzen westlichen Welt mit Ausnahme Österreichs
— aber überall ist ja Zwentendorf, auch für Sie —
und in der ganzen östlichen Welt mit keiner einzigen Ausnahme. Ich bin bereit, diese Einengung zu akzeptieren, aber nicht noch mehr.
Damit geben Sie doch zu, daß Sie von diesem Beschluß gar nichts halten, ihn nicht zu verhindern vermocht haben und ihn deshalb falsch auslegen, damit Sie wenigstens psychologisch über die Hürden kommen für die Bedürfnisse der nächsten Wochen.
Die „Welt" sagt dazu mit Recht, dies mache deutlich, „der Kanzler hat gar nicht den Versuch unternommen, für das zu streiten, was er selbst für notwendig gehalten hat. Seiner Position hat er in seiner Partei keine Durchsetzungschance gegeben. Er ist nicht besiegt worden, nein, viel schlimmer: er hat gleich kapituliert."
„In der Energiepolitik ist Schmidt nicht der Sieger von Berlin, sondern der Gefangene seiner zerstrittenen Partei."
Das dürfte eine wesentlich nüchternere und objektivere Analyse sein gegenüber dem Anfangsbeifall und dem euphorischen Jubel der ersten Stunden.
Dabei scheinen aber noch manche Gegner durch die Phantomformel oder Leerformel gewonnen worden zu sein, die nachträglich in den Antrag eingefügt worden sein soll und die heißt: „Wachsender Energieverbrauch für sich ist kein Zeichen einer wünschenswerten Entwicklung." — Eine Erkenntnis von profunder Aussagekraft.
Wenn schon nur bescheidene Mehrheiten in dieser für uns lebenswichtigen Frage der 80er und 90er Jahre gewonnen werden konnten, dann hätten wenigstens die Formulierungen eindeutig und klar sein müssen.
Damit wollen Sie „Sicher in die 80er Jahre" gehen? Sie singen doch nur, um die Angst vor den 80er Jahren dadurch übertönen zu können.
Es ist doch ein Witz, wenn es hier heißt: „Sicher in die 80er Jahre". Mit diesen durch Rücktrittsdrohungen des Kanzlers mehr als durch Überzeugung zustande gekommenen Loreley-Formulierungen —„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten", oder besser: Ich will es auch gar nicht wissen — ist doch diese minderwertige Formulierung mit einer nicht allzu großen Mehrheit im Hinblick auf die Wahlen 1980 überhaupt nur möglich gewesen. Ein erbärmlicheres Ergebnis in der Substanz gibt es nicht,
vor allen Dingen nicht, wenn man so hohe Ansprüche stellt, wie Sie es tun.
Eines möchte ich aber mit Ironie und etwas Zufriedenheit sagen: was hätten Sie eigentlich auf Ihrem Parteitag ohne mich gemacht?
Es gehört für mich zu den politischen Höhepunkten meines politischen Daseins, beinahe hätte ich gesagt: ein Stück echter politischer Lustgewinn:
Es ist schon eine groteske Tatsache, daß der Kanzler
seine ideologisch zerrissene Partei beschwört, das
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15053
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
tun zu dürfen, was sein Herausforderer von ihm verlangt,
mit Rücktritt droht, wenn er diese Erlaubnis nicht erhält und zum Schluß diese Erlaubnis von der Mehrheit in der Hauptsache deshalb bekommt, weil man sonst glaubt, die Wahlen nicht gewinnen zu können. Allein das ist schon ein historisches Verdienst der Opposition und ihres Kandidaten.
Wohin wären Sie denn ohne mich gekommen? Wohin käme denn überhaupt. diese Regierung ohne diese Opposition?
Die Opposition hat im Bundestag, im Bundesrat und über das Bundesverfassungsgericht entscheidende Verbesserungen erreicht, Verfassungswidrigkeiten verhindert,
beides Dinge, die im Interesse unserer Bevölkerung und unserer Zukunft liegen. - Im Haus des Ge- hängten würde ich nicht vom Strick reden.
Was aber noch viel wichtiger ist: Helmut Schmidt könnte ohne diese Opposition überhaupt nicht regieren. In den zwei wesentlichen politischen Fragen der 80er Jahre — Sicherung unserer Energieversorgung und militärische Sicherheit — gibt die Opposition dem, was die Regierung denkt und nur verschlüsselt gelegentlich ausdrückt, zu 100 % Rückhalt, die SPD zu 30 bis 40 %, die FDP zu 70 bis 80 %. Das ist doch eine Perversion der parlamentarischen Demokratie, eine Perversion, die ein Ende nehmen muß.
Helmut Schmidt sprach in seiner Parteitagsrede von 20 Jahren voller Versäumnisse, 1949 bis 1969. Sie sollten nicht ganz vergessen, daß Sie, Kanzler nach der blamablen Ära Brandt geworden — einem Kanzler, den sich die Bundesrepublik Deutschland wahrlich nie hätte leisten dürfen —,
auf dem Boden der Leistungen stehen, die in jenen zwanzig Jahren geschaffen worden sind. Ihr Verdienst ist es, erkannt zu haben, daß Sie diese Fundamente nicht einreißen dürfen — ein echtes Verdienst, das in Ihren Reihen so gar nicht immer anzutreffen ist —, wenn Sie sich behaupten wollen.. Das geht mit der FDP sicher auch langsamer als mit einer absoluten Mehrheit der SPD. Sie sollten auch einmal daran denken, wo Sie und wo wir alle stehen würden, wenn die SPD die CDU/CSU an der Einführung der Marktwirtschaft und am Eintritt in das westliche Bündnis hätte hindern können, wenn planwirtschaftliche Programmatik und Deutschland-Plan der SPD, ein Konföderationsplan mit der SED, Wirklichkeit geworden wären. Armut und Abhängigkeit von Moskau wären die unvermeidlichen Folgen gewesen,
wenn damals — und auch für heute noch nachwirkend — die Weichen nicht anders gestellt worden wären. Sie können von den Früchten anderer leben; aber Sie können keine Zukunft gestalten, weil Ihnen dafür das Augenmaß fehlt,
Beifall bei der CDU/CSU)
weil Sie in den wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnissen zwischen Ihnen und Ihrer Partei nicht die innere Freiheit und die äußere Unabhängigkeit haben, sachgerecht, rechtzeitig, verantwortungsbewußt das Richtige zu tun, weil Sie unter perspektivischen Verzerrungen leiden, den weltweiten Zusammenhang der Probleme nicht in Ihre politischen Überlegungen einbeziehen wollen; sonst hätten Sie nie das lebensgefährlich falsche Wort gesagt, daß Entspannung geographisch teilbar sei, eine Behauptung, bei der Sie auch Ihr Außenminister im Stich gelassen hat
Sie sprechen von „unkalkulierbar" und „unberechenbar" im Zusammenhang mit mir und treiben damit doch genau dieselbe Hetze wie die Propagandaetagen unter Ihnen, wie die großen und die kleinen Brunnenvergifter, die die CDU/CSU als Sicherheitsrisiko, als Gefahr für inneren Frieden und Bedrohung für den äußeren Frieden verleumden. Was die anderen in der Sprache der Hetze Lieschen Müller einbleuen wollen, sagen Sie, im Sinne gleich, in der Formulierung anders, für Dr. Lieschen Müller. Unser Volk hat einen zu feinen Instinkt für solche Mißklänge und Mißgriffe. Wer so im Glashaus sitzt wie Sie, sollte nicht mit Steinen werfen.
Ich hätte Sie ohne diese Entgleisung auf Ihrem Parteitag heute nicht an einiges erinnert; aber Sie haben mir die erste Fassung Ihres Langzeitprogramms als durchaus rot, nicht als rosa, angepriesen, obwohl Sie Wert darauf legen, in der Offentlichkeit nicht als rot bekannt zu sein. „Die Sozialdemokratie", sagten Sie einmal, „hat niemals das von Erhard verbreitete Schlagwort der sozialen Marktwirtschaft zu ihrem eigenen gemacht". Damit liefern Sie einen Beweis dafür, daß Sie von sozialer Marktwirtschaft leider nichts verstehen, höchstens einige Regeln und Mechanismen der sozialen Marktwirtschaft zu beherrschen vermögen.
Sie haben kurz vor den Bundestagswahlen 1976 gesagt: „Marktwirtschaft ist niemals von sich aus sozial, im Gegenteil, soziale Politik, sozialer Ausgleich können niemals durch Marktwirtschaft herbeigeführt werden."
„Wenn man sozialen Ausgleich will, muß man etwas tun, was gegen den Markt verstößt, man muß intervenieren. Soziale Politik im engeren wie im weiteren Sinne ist immer das krasse Gegenteil von Marktwirtschaft" Diese Aussage sollte Sie eigent-
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Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
lich für jede politische Tätigkeit in der Bundesrepublik disqualifizieren;
sie ist aber im österreichischen Fernsehen im Juli 1976 gemacht worden. Da kann man sagen, der Genius loci mag entschuldigend herangezogen werden.
„Die Gesellschaft der Bundesrepublik", sagten Sie einmal, „ist gewiß durch Klassen und Klassengegensätze geprägt, sie muß verändert werden." Das war wieder das Bonbon für die Linken, die Hoffnungspille.
Sie sagten im Jahre 1976, die Beteiligung von Kommunisten an Regierungen wie in Italien und Frankreich würde nicht zwangsläufig eine Katastrophe bedeuten. Sie sagten im gleichen Jahr zwei Monate später, das Verhältnis zu Frankreich würde sich sicherlich nicht ändern, wenn in Frankreich eine Linksregierung die Regierungsgewalt übernähme, es würde sich nicht einmal bei einer kommunistischen Regierung ändern; so im französischen Fernsehen im Juli 1976. Sie wollten dann allerdings später diese Behauptungen ungeschehen machen. Als Kissinger — damals noch Außenminister der Vereinigten Staaten — vor Beteiligung von Kommunisten an westeuropäischen Regierungen warnte, sagten Sie — jeder Zoll eine Mischung von Feldwebel alter Art und Pädagoge neuer Art —: „Ich finde, man sollte zurückhaltend sein, auch wenn man der Außenminister der größten und wichtigsten Macht der Welt ist."
Herr Kissinger hat einen großen Denk- und Lernprozeß hinter sich; bei Ihnen scheint der nie richtig begonnen zu haben.
„Stabilität", so sagten Sie, „ist ein Modewort. Die Besorgnis um die Stabilität bedrängt mich selbst nicht so sehr wie andere."
Auf der Parteitagsrede erklärte Helmut Schmidt: „Wir sind bei allem als erste der Einsicht gefolgt, daß Inflation Arbeitsplätze vernichtet."
Er sagte in früheren Jahren, als er noch Bundesfinanz- und -wirtschaftsminister war: „Ich lehne es ab, Stabilität oder Wirtschaftswachstum in einem höheren Rang zu sehen als Vollbeschäftigung. Mir scheint, daß das deutsche Volk — zugespitzt — 5 % Preisanstieg eher vertragen kann als 5 % Arbeitslosigkeit."
Damals haben Sie doch selbst, als 5 % Arbeitslosigkeit herrschte, gemeint, schon 3 % Arbeitslosigkeit wären für die Bundesrepublik unerträglich. Damit haben Sie seinerzeit doch Inflation und Instabilität als Mittel gegen Arbeitslosigkeit angepriesen. Sie haben dann allerdings am 26. September desselben Jahres erklärt: „Absoluter Vorrang gebührt heute der Preisstabilität. Das gilt für uns alle."
Sie sagten am 1. April 1977 in Oslo: „Die Inflation hat bei uns zuviel Unheil angerichtet. Ich glaube, daß ohne mehr Preisstabilität und Eindämmung der Inflation es nicht gelingen wird, das Vertrauen von Investoren, Verbrauchern, Arbeitnehmern und Gewerkschaften zu stärken." — Eine richtige Erkenntnis.
Sie sagten am 17. Juli 1978: „Uns allen bleibt die Erkenntnis des Londoner Gipfels gemeinsam, daß Inflation kein Mittel zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit ist, sondern eine. ihrer Ursachen."
Wer ist denn hier unkalkulierbar und unberechenbar?
Am 26. August 1976 sagten Sie: „Die Anhebung der Renten um 10 % wird mit Sicherheit kommen. Die Beiträge werden nicht erhöht. Die Renten sind sicher. Die Bruttolohnbezogenheit bleibt, die regelmäßige Anpassung bleibt."
Am 30. September sagten Sie in der berühmten Fernsehdiskussion: „Ich sehe gar keine ernsten Gefahren. Ich sehe nur kleinere Probleme. Da gibt es ein Problemchen der Liquidität der Rücklagen." Weiter sagten Sie: „Was soll denn diese Angstmacherei, die ich notabene für unchristlich halte?"
In Ihren Wahlversammlungen haben Sie damals sogar erklärt: „Wie lange wollen noch CDU und CSU im Namen Jesu Christi lügen in dieser Frage?'
Sie sagten in Ihrer Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976: „Die Bruttolohnbezogenheit bei der Festsetzung der Neurenten bleibt. Es wird kein Krankenversicherungsbeitrag der Rentner eingeführt. Die Beitragssätze bleiben unverändert."
Am 21. Januar 1978 sagten Sie: „Ich habe keinen Betrug begangen, weil ich die tatsächlichen Zahlen nicht gekannt habe."
So bei der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises am 21. Januar 1978 in München.
Ich war nie der Meinung, daß ein Ressortminister alle Einzelheiten seines Aufgabengebiets, alle Zahlen und Informationen überblicken kann. Ich bin der Meinung, daß ein Bundeskanzler, der für alle Ressorts letzten Endes durch die Richtliniengewalt eine besondere Verantwortung trägt, in noch geringerem Maße alle Informationen und alle Zahlen zu überblicken vermag.
Wenn es aber um die Sicherheit und Erhaltung des Kernstücks unserer Sozialpolitik geht, und ein Bundeskanzler muß zugestehen „Ich bin nur deshalb kein Betrüger, weil mir die Zahlen unbekannt waren", dann — —
— Damit würden Sie ihn der Lüge bezichtigen; ich tue das hier nicht.
Die dynamische Altersrente ist doch das Kernstück, die echte große Sozialreform der Nachkriegs-
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politik gewesen. Wenn ein Bundeskanzler hier sagen muß: „Ich bin kein Betrüger, denn zum Betrug gehört die Kenntnis der Zahlen; da mir aber die Kenntnis der Zahlen fehlte, kann ich auch keinen Betrug begangen haben", dann ist das doch die blamabelste Ausrede. Denn die Wahl, die Sie dann haben, ist sehr unerfreulich: Haben Sie hier bewußt die Unwahrheit gesagt, oder waren Sie so uninformiert und uninteressiert und unwissend, daß Sie in dieser Kernfrage deutscher Politik nicht einmal die primitivsten Zahlengrundlagen gekannt haben?
Und da beschimpfen und verdächtigen Sie andere als „unberechenbar" und „unkalkulierbar" in der Absicht, damit eine unterschwellige Angst zu suggerieren.
In Ihnen müssen merkwürdige Prozesse vor sich gehen; denn Sie geben mir doch in den meisten entscheidenden Problemen nachträglich recht. Für Sie bedeutet es aber eine schwere psychologische Belastung, sich eingestehen zu müssen, daß andere vor Ihnen und gegen Sie recht hatten. Das bedeutet für Sie Identitätskrise, Umstellungsschwierigkeiten, Sprachprobleme gegenüber der eigenen Partei. Und daher die Gegnerbeschimpfung mit den Worten der psychologischen Reizsprache „unberechenbar" und „unkalkulierbar".
Die zehn Jahre von 1969 bis heute waren ein Abschnitt unserer Geschichte voller Irrtümer, voller Versäumnisse und Fehler. Kennzeichnend ist die hohe Verschleißquote in der Spitzenetage dieser Koalition. Mehr als eine komplette Kabinettsmannschaft, ein Bundeskanzler und 19 Minister, wurden in diesen zehn Jahren ausgewechselt. Eine ganze Kompanie von Staatssekretären und eine Legion von Ministerialdirektoren traten außerdem zurück, schieden aus, wurden zum Ausscheiden gezwungen. Wer redet heute noch von den besseren Männern? Namen wie Möller, Leussink, Schiller, Brandt, Arendt symbolisieren doch das Scheitern dessen, was im Überschwang der Gefühle der Aufbruch in die 70er Jahre genannt wurde — so die Überschrift über die Regierungserklärung von 1969. „Neuer Anfang" hieß es, und „Politik der inneren Reformen". Der Schiffbruch der 70er Jahre wird nun verdrängt durch die Formel Aufbruch in die 80er Jahre.
In der Finanzpolitik der vergangenen zehn Jahre wurde kaum ein möglicher Fehler ausgelassen. Es begann mit der Inflation der Versprechungen, es folgte die Inflation der Ansprüche, es mündete ein in die Inflation des Geldwertes, und die Inflation des Geldwertes war die entscheidende Ursache für die jahrelange hohe Dauerarbeitslosigkeit. Als ich seinerzeit im Bundestag mit den Worten warnte, die Politik der Bundesregierung führe zur Stagnation in Richtung Rezession und Rezession bringe Arbeitslosigkeit mit sich, verspotteten Sie, Herr Bundeskanzler — damals noch Finanzminister — das als unbegründete Kassandrarufe und höhnten am 22. September 1972 im Deutschen Bundestag: Herr Kollege Strauß, es ist keine Arbeitslosigkeit zu erkennen. Aber nur zwei Jahre später war sie im Millionenumfang da. Darum werfe ich Ihnen Fehlen an Augenmaß, perspektivische Verzerrung und Hemmungslosigkeit in der Herabsetzung Ihrer politischen Gegner vor.
Ich möchte nur wenige Zahlen anführen. Die Staatsquote ist von 1969 bis 1980 von 38 % auf 46 % angestiegen. Das Bruttosozialprodukt hat in der Periode von 1970 bis 1979 nominal um 105 %, real um 29 % zugenommen, die Anlageninvestitionen — zu jeweiligen Preisen, also nominal — um 81 %, der Staatsverbrauch um 154%, die Personalausgaben des Staates um 142%, die Verschuldung der öffentlichen Haushalte insgesamt um 233 % und die des Bundes um 1500%.
Das ist die Bilanz der 70er Jahre.
Zu den wirtschaftlichen Fehlentwicklungen gehören auch Inflation, Rezession und Arbeitslosigkeit. Sie haben stets einen langen Vorlauf. Wird verspätet, nicht rechtzeitig entgegengehalten, werden sie einmal Wirklichkeit, ist es nur mit großen Opfern möglich, sie wieder zu beseitigen. Das ist die Stabilisierungskrise.
Der von der Regierung eingesetzte Sachverständigenrat hat die Finanzpolitik der letzten zehn Jahre in seinem jüngsten Jahresgutachten — in der Sprache der Wissenschaft — nochmals zusammenfassend scharf kritisiert. Ich bitte, Sie zu fragen, ob zwischen diesem Urteil in der wissenschaftlichen Formulierung und meiner Bewertung ein Unterschied besteht. Bei der Untersuchung des Problems, welcher Zeitraum als Normaljahr Grundlage für die Beantwortung der Frage nach der Höhe der zulässigen Verschuldung sein kann, lehnen es die fünf Weisen ab, den Durchschnitt der 70er Jahre zu nehmen, mit der wörtlichen Begründung — ich bitte um Erlaubnis, kurz zu zitieren —:
In der Finanzpolitik war nichts an den 70er Jahren normal. In den frühen 70er Jahren hat der Staat trotz eines sehr hohen Beschäftigungsstandes eine starke expansive Finanzpolitik getrieben und damit die Inflation angeheizt. Zugleich waren dann scheinbar ständig hohe Defizite nötig, um die Folgen einer Stabilisierungskrise zu bekämpfen.
Schärfer kann man in der nüchternen Sprache der Wissenschaft kaum kritisieren, was alles falsch gemacht worden ist.
Und das heißt, sicher in die 80er Jahre zu gehen? Wer soll denn unserem Volk die Gewähr geben, daß diejenigen, die in den 70er Jahren alles falsch gemacht haben, in den 80er Jahren alles richtig machen werden?
Sie haben doch durch die Fehler und Versäumnisse
der 70er Jahre den Aufbruch in die 80er Jahre entscheidend erschwert und die innere und äußere Si-
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cherheit in den 80er Jahren damit ernsthaft gefährdet.
Von 1950 bis 1969 hatten wir beim Bund — in 20 Jahren zusammen — eine Nettokreditaufnahme von 14 Milliarden DM zur Finanzierung unserer Ausgaben. Seit 1975 — und das sind Ihre Kanzlerjahre — ist in jedem Jahr eineinhalb- bis zweimal so viel an Schulden aufgenommen worden wie in den 20 Jahren von 1950 bis 1969 zusammengenommen. Die zwangsläufige Folge ist: Bereits im nächsten Jahr wird der Schuldendienst — Tilgung und Zinsen — der zweitgrößte Ausgabenblock hinter den Sozialausgaben sein, ebenso hoch wie die Ausgaben für die Landesverteidigung. Nach dem regierungsoffiziellen Finanzplan werden bereits 1983 die Ausgaben allein für Zinsen höher sein als die Nettokreditaufnahme. Der Kredit hat doch damit seine Aufgabe, als Mittel der Finanzierung zusätzlicher Staatsausgaben zu dienen, verloren.
Er hat damit seine Funktionsfähigkeit eingebüßt.
Ich weiß, daß manche die Folgen dieser Entwicklung heute noch nicht erkennen, weil sie sie noch nicht am eigenen Leibe spüren. Aber unsere Kinder und Enkel werden die trügerischen, mit überhöhten Schulden finanzierten angeblichen Wohltaten bezahlen müssen, in deren Glanz sich die jetzt Regierenden, je näher die Wahlen kommen, immer mehr zu sonnen versuchen. Wenn wir dieses immer wieder anprangern, nehmen wir doch nur die Lebensinteressen unserer Jugend, unserer Kinder und Enkel, aber auch die Interessen unserer Generation, an einer auch noch in zehn und zwanzig Jahren zu sichernden Altersversorgung wahr. Es geht doch hier nicht um Parteipolitik, sondern um ganz ernste, harte Sachprobleme.
Die Koalition ist vor zehn Jahren mit dem Ziel angetreten, die angebliche öffentliche Armut durch mehr Investitionen zur Zukunftssicherung zu beseitigen, die öffentlichen Mittel stärker zugunsten der sozial Schwächeren umzuverteilen. Tatsächlich hat diese Koalition die öffentliche Armut eher vergrößert, den Staat in die Überschuldung geführt, den Anteil der Investitionen an den Gesamtausgaben im Gesamtergebnis laufend und wesentlich verkleinert. Durch diese Politik ist die Gemeinschaft nicht reicher, sondern ärmer geworden. Tatsächlich nähern sich jetzt die Ausgaben für Zinsen immer mehr den Ausgaben für Renten und Unterstützungen im Bundeshaushalt. Tatsächlich hat die Schuldenwirtschaft dieser Regierung die zwangsläufige Folge, daß nicht die Umverteilung zugunsten der sozial Schwächeren den absoluten Vorrang hat — wie damals verkündet —, sondern die Umverteilung von Steuern in Form von Zinsen zugunsten derjenigen, die die Mittel haben, sie dem Staat als Kredit zur Verfügung zu stellen. Das ist die Politik einer Partei, die sich die Partei der Arbeitnehmer nennt, in der Praxis.
Aus fiskalpolitischer Sicht nur ein Hinweis: Der Schuldendienst, d. h. Tilgungen und Zinszahlungen, wird 1983 mehr als ein Fünftel der Gesamtausgaben des Bundes ausmachen.
Die Flexibilität auf der Ausgabenseite des Haushalts, die ohnehin durch Gesetzgebung, Verträge, Rechtsprechung auf wenige Prozent des Haushalts eingeschränkt ist, wird damit noch weiter zusammengedrückt werden. Die Flexibilität der Ausgabenseite des Haushaltes wird durch einen solch hohen Anteil des Schuldendienstes bestimmt nicht gefördert.
Herr Kollege Hoppe hat in diesem Hause — bestimmt nicht der CDU/CSU zuliebe — seinerzeit von der „tickenden Zeitbombe" gesprochen. Nur ist es so, daß diejenigen, die die Bombe gelegt haben, von ihren Splittern nicht mehr erreicht werden, weil sie bis dahin längst der Vergessenheit angehören.
Die Regierung wehrt sich gegen den Vorwurf, die Kreditaufnahme des Bundes sei überhöht oder in den letzten Jahren überhöht gewesen. Kollege Matthöfer behauptet in einer Presseerklärung vom 28. November dieses Jahres, diese Kritik widerspreche dem Urteil der überwiegenden Mehrheit der Fachleute. Sachverständigenrat und wirtschaftswissenschaftliche Institute hätten den Kurs der Bundesregierung bestätigt. Ich weiß, daß selektives Zitieren immer allerlei Vorteile bietet, und eine vollkommene Zitierung ist aus Zeitgründen bekanntlich nie möglich. Trotzdem trifft diese Behauptung nicht zu.
Der Sachverständigenrat schreibt in seinem jüngsten Gutachten:
Letztlich erzeugt die expansive Finanzpolitik selbst den Bedarf an einer expansiven Finanzpolitik.
Das heißt doch: Das Unheil nährt das Unheil.
Das mag man zwar Gewöhnung nennen, aber es wäre jedenfalls eine Gewöhnung an Bedingungen, die nicht zur Vollbeschäftigung passen, denn für die Rückkehr zu einem dauerhaft hohen Beschäftigungsstand ist noch eine lange Periode hoher Investitionen nötig, die spannungsfrei zu finanzieren allemal eine starke Reduktion der öffentlichen Defizite fordert.
Es ist also noch eine lange Periode hoher Investitionen nötig, weil Sie mit Ihrer Politik die Investitionslücke zu verantworten haben, die heute jenen Rückstau geschaffen hat und deshalb den Eintritt in die 80er Jahre mit noch mehr Risiken belastet hat, als sie nach der Natur der Umstände ohnehin zu erwarten sind.
Der Bundeskanzler weiß um die Gefahren seiner Defizit- und Schuldenwirtschaft. Zu den Kernzielen seiner Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976, überschrieben mit „Regierungsprogramm 1976 bis 1980", gehört die deutliche Senkung der jährlichen Schuldenzuwächse des Bundes. Er sagte wörtlich:
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Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
Die Neuverschuldung muß deutlich niedriger sein als bisher.
Sie muß also deutlich niedriger als 1976 mit 25,8 Milliarden DM sein. In den vier Jahren, für die diese Erklärung gilt, hat er dieses Ziel aber in keinem einzigen Jahre erreicht, auch nicht im Jahre 1980. Die Neuverschuldung war und ist, mit Ausnahme des Jahres 1977, trotz Einplanung auch der heimlichen Steuererhöhungen und trotz Hochkonjunktur genauso hoch oder nur wenig niedriger als 1976.
Er scheiterte in diesem Punkt an den Forderungen seiner Partei, die es ihm durch Parteitagsbeschluß vom November 1977 — deshalb habe ich vorher vom imperativen Mandat oder seiner Gefahr gesprochen — unmöglich machte, das von ihm und seinem Finanzminister als notwendig Erkannte und auch in einem einstimmigen Parlamentsbeschluß vom 13. April 1978 Geforderte zu tun, nämlich zumindest ab 1979 die Ausgabenzuwächse und damit die Neuverschuldung zu senken. In diesem Punkte erwies sich der sich sonst so stark gebende Kanzler als zu schwach gegenüber den von ihm selbst als unrichtig erkannten Forderungen seiner Partei, nämlich eine expansive Finanzpolitik zu treiben. Er konnte sich somit nicht durchsetzen.
Insgesamt sieht dies in Kurzfassung so aus: Zuerst überhitzt die Bundesregierung nach 1969 das wirtschaftliche Klima durch bewußten oder naiven Verzicht auf Stabilitätspolitik, überfordert die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft, die Finanzkraft des Staates, führt Inflation herbei, ohne zu wissen, daß sie Arbeitslosigkeit bedeuten muß, bekämpft dann die Arbeitslosigkeit mit galoppierender Neuverschuldung und in der Hauptsache durch falsche Maßnahmen, nämlich durch Konjunkturprogramme, d. h. durch Programme, die staatliche Mehrausgaben vorsehen statt durch Steuersenkungen. Steuersenkungen mußten, soweit sie stattgefunden haben, von der Opposition dem Zeitpunkt, dem Umfang und der Zusammensetzung nach über Bundestag und Bundesrat erzwungen werden. Über die Fortsetzung einer wirtschaftsfreundlichen und leistungsfördernden Steuerpolitik wird ohnehin demnächst zu reden sein.
Die Bundesregierung erreicht keinen entscheidenden Abbau der Arbeitslosigkeit, erkennt nicht, daß die Dauerarbeitslosigkeit in dieser Höhe mit vollbeschäftigungsähnlichen Verhältnissen in vielen Regionen und Bereichen einhergehen kann. Das ist ja das Groteske an dieser Arbeitslosigkeit.
Die Bundesregierung droht jetzt mit dem Gespenst der Massenarbeitslosigkeit, wenn ihr die hohe Schuldenaufnahme vorgehalten wird, und beschimpft CDU und CSU der Deflationspolitik a la Brüning und läßt dem Bürger nur mehr die Wahl, angeblich zwischen Massenarbeitslosigkeit und Schuldenchaos zu entscheiden. Später entdeckt sie dann — vielleicht nur verbal — den Segen unternehmerischer Initiative und arbeitnehmerischer Leistung. Es waren beinahe Hölderlinsche Töne, mit denen Kollege Matthöfer den Fleiß der Bürger Baden-Württembergs und die von ihnen erzielte Leistung in diesem Hause bei der ersten Lesung des Bundeshaushalts 1980 gelobt hat. Er zieht aber aus ideologischem Vorurteil und Behinderung durch die eigene Partei nicht die notwendigen Schlußfolgerungen, nämlich von einer nachfrageorientierten künstlichen Wachstumspolitik auf eine angebotsorientierte Wachstums- und Beschäftigungspolitik umzusteigen.
Jetzt droht die Regierung wieder mit einer Stagflation mit Stillstand des Wachstums bei inflationärer Entwicklung. Und das nennen Sie Bilanz der 70er Jahre und sicheren Aufbruch in die 80er Jahre!
Es ist eine Reihe von Versäumnissen der Innenpolitik festzustellen. Darüber ist in diesem Hohen Hause schon gesprochen worden und darüber wird noch zu sprechen sein.
Ich möchte aber trotzdem die Gelegenheit hier nutzen, weil ich in meiner Abwesenheit — das werfe ich Herrn Kollegen Matthöfer nicht vor — unmittelbar angesprochen worden bin. Er hat einmal die Horrorgeschichte erzählt, die Gruselstory zum besten gegeben, daß es die Politik der CDU/CSU und die Politik des bayerischen Ministerpräsidenten sei, 6 % Staatsquote wegzunehmen und damit dem Kreislauf der Finanzwirtschaft 90 Milliarden DM zu entziehen. Herr Kollege Matthöfer, selbst wenn Sie mein politischer Gegner sind, sollten Sie sich selber nicht die Blöße geben, mich für so unintelligent und für so unkundig zu halten, daß ich jemals den Blödsinn vertreten würde, in einem Jahr — das war Ihre Darstellung —, vielleicht gar noch den Finanzen des Bundes und nicht nur der öffentlichen Gebietskörperschaften, auf einmal 90 Milliarden DM entziehen zu wollen. Es ist eines Finanzministers, an den ganz bestimmte Anforderungen sachlicher und fachlicher Qualität gestellt werden, einfach unwürdig, einen solchen Unsinn zu behaupten.
Ich habe in allen meinen Reden das Wirtschaftsprogramm der CDU und der CSU angesprochen, in dem im Entwurf von einer Rückführung der Staatsquote zuerst von 47 auf 40 % die Rede war. Wegen der Schwierigkeiten, das genau zu quantifizieren, ist im Endergebnis nur von einer Rückführung der Staatsquote gesprochen worden. Wir wissen alle, was das bedeutet, und ich habe in allen meinen Reden gesagt — ich kann Ihnen verschiedene Exemplare davon zur Verfügung stellen —, daß das eine Daueraufgabe ist, die sich über eine, nach meiner Überzeugung über zwei Dekaden erstrecken wird. Diese Frage hängt mit dem Begriff der Freiheit des Bürgers, einer größeren Möglichkeit, über sein Arbeitseinkommen zu verfügen, als es nach dem Verlauf der Steuertarif-Kurve bisher zu erwarten ist, untrennbar zusammen.
Ich habe in dem Zusammenhang gesagt, wir müßten erstens dafür das Problembewußtsein in der Bevölkerung schaffen und wir müßten uns zweitens darüber im klaren sein, daß es hier nicht mit einem Donnerschlag, einem Wunderrezept, also auf einen Streich geht. Hier kann man keinen gordischen Knoten durchhauen. Ich habe drittens gesagt: Man muß aber trotzdem den ersten Schritt tun, denn man
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wird bei der längsten Reise nie am Ziel ankommen, wenn man nicht den ersten, auch noch so kleinen, Schritt in der richtigen Richtung getan hat. Das wäre die richtige Darstellung.
Herr Kollege Matthöfer, dann haben Sie hier unglaubliche Äußerungen über mich im Zusammenhang mit einem Interview verbreitet, das ich in meiner Eigenschaft als Vorsitzender der deutschen und der internationalen Airbusgesellschaft getan haben soll. Sie haben hier behauptet, Sie hätten meine Äußerungen ganz genau gelesen und würden sie ganz genau zitieren. Sie haben mir in dem Zusammenhang in den Mund gelegt: „Herr Strauß sagt: Wenn ich Bundeskanzler werde, schenke ich euch die zwei Milliarden DM. Das haben Sie laut Protokoll des Deutschen Bundestages behauptet. Sie haben vorher gesagt:
Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Zur Zeit verhandle ich mit einem Unternehmen — ich will den Namen gar nicht nennen —— man kann ihn ruhig nennen, es sind die zwei Unternehmungen MBB und VFW, und in dem, was ich sage, bin ich mit dem Kollegen Koschnick aus Bremen und dem Kollegen Klose aus Hamburg in jeder Hinsicht einig, wenn sie den Mut haben, ihre wirkliche Meinung zu sagen —
über die Rückzahlung eines bedingt gegebenen Zuschusses.
Darüber brauchen Sie gar nicht zu verhandeln, denn die ist vertraglich festgelegt. Weiter heißt es:
Der Zuschuß war erfolgreich. Das Unternehmen ist in schwarzen Zahlen. Ich
— Herr Matthöfer —
habe dann gesagt: Bitte, zahlt das wieder zurück! Daraufhin sagte man mir: Das geht aber nicht; Herr Strauß hat den Leuten von Airbus auch versprochen, sie brauchten die zwei Milliarden DM Zuschuß nicht zurückzuzahlen, wenn er Bundeskanzler wird.
Ich habe in diesem Interview nach dem Exemplar des Bundespresse- und Informationsamts auf die Frage, ob die Luftfahrtindustrie unterstützt wird, gesagt:
Es handelt sich erstens um die Entwicklungskosten. Ich bin allerdings der Meinung, daß die Entwicklungskosten eines Tages gestrichen werden sollten; denn hier ist ein Vorstoß, ein technisches Neuland, der ist für die Bundesrepublik insgesamt volkswirtschaftlich wertvoll. Man kann die Dinge auch anders handhaben, aber zum Schluß läuft es doch immer wieder auf dasselbe hinaus.
Frage: „Also keine Rückzahlung der Entwicklungskosten?" Antwort von mir:
Keine Rückzahlung der Entwicklungskosten. Das ist meine Vorstellung, die ich auch dann, wenn ich Regierungschef in Bonn würde, für wichtig halten würde. Dann könnte man die übrigen Finanzhilfen um so schneller abbauen.
Wie ist der Sachverhalt in Wirklichkeit? An dieser von Ihnen behaupteten Aussage, Herr Kollege Matthöfer, stimmt nichts. Sie haben dem Bundestag die Unwahrheit gesagt, indem Sie behaupteten, Sie hätten meinen Text genau gelesen und würden ihn genau zitieren. Ich habe kein Wort von zwei Milliarden DM gesagt, wie Sie mir hier unterstellt haben. Ich bin im Gegensatz zu Herrn Matthöfer mit den finanziellen Problemen dieses Projektes wohlvertraut und weiß, daß die Deutsche Airbus GmbH auf Grund der ihr bis heute gewährten Entwicklungskostenzuschüsse und nach Abzug der bereits geleisteten Rückzahlungen noch Rückzahlungsverpflichtungen in Höhe von zirka 870 Millionen DM hat. Sie können zwei und eine Milliarde nicht unterscheiden.
Von zwei Milliarden DM kann also gar keine Rede sein. Wie können Sie mit einem Unternehmen über die Rückzahlung von Zuschüssen verhandeln, wenn Sie nicht einmal wissen, ob es eine Milliarde oder zwei Milliarden DM sind? Herr Matthöfer, wissen Sie, was Sie verwechselt haben: Sie haben das Entwicklungskostendarlehen mit der Bundesbürgschaft für die Serienfertigung verwechselt. Als einmal ein preußischer Handelsminister den Unterschied zwischen Zahlungsbilanz und Handelsbilanz nicht kannte, mußte er nach den damaligen Maßstäben den Hut nehmen. Ein Finanzminister, der ein Darlehen nicht von einer Bürgschaft unterscheiden kann, hat wirklich seinen Beruf verfehlt.
Herr Kollege Matthöfer, ich habe — das wird mir niemand bestreiten — immer Wert darauf gelegt, dieses große technische Projekt, das allein die Flagge der Europäer beim Bau von großräumigen Flugzeugen für die Zivilluftfahrt zeigt und das ein großartiges Exempel internationaler Zusammenarbeit ist — Deutschland, Frankreich, Holland, Spanien, neuerdings auch Belgien, dazu Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika —, nicht in den parteipolitischen Streit hineinzuziehen. Ich habe überall gesagt, so schwer es der Bundesregierung gefallen sei, habe sie immer wieder unter dem Druck der Notwendigkeiten das Notwendige getan. Daß Sie in dieser Weise und dann noch mit der Behauptung, Sie wüßten die Tatsachen und die Äußerung ganz genau, Unwahrheiten verbreiten, ist eines der skandalösesten Stücke, das sich jemals ein Minister in diesem Hause geleistet hat.
Sie wissen doch ganz genau, daß angesichts des Standes der Probleme mehrere tausend Arbeitsplätze, und zwar im norddeutschen, im Bremer und im Hamburger Bereich gefährdet sind. Sie wissen doch ganz genau, 'daß ich mich in Zusammenarbeit mit Herrn Koschnick und Herrn Klose bemüht habe, diese Arbeitsplätze zu retten, zu' erhalten, sogar noch zu vermehren. Sie wissen doch ganz genau, daß der Freistaat Bayern als der derzeit größte Anteilseigner von MBB einer Investitionssumme von 550 Millionen DM im Norden der Bundesrepublik, in Hamburg und Niedersachsen, zugestimmt hat. Leider ist das andere Werk wegen der Versäumnisse der Bundesregierung noch nicht in der Lage, die not-
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wendigen Investitionen rechtzeitig zu leisten. Von diesen Sorgen geleitet, habe ich mich so verhalten, aber auch so geäußert.
Der Sinn meines Vorschlages, die Rückzahlung der Entwicklungskosten zu erlassen oder zu stunden, ist doch nicht der, der Industrie ein Geschenk zu machen, wie es Herr Matthöfer hier zum Ausdruck gebracht hat, sondern der Industrie die Möglichkeit zu geben, die übrigen Finanzhilfen des Bundes schneller abzubauen und eine Normalisierung der Verhältnisse herbeizuführen.
Wissen Sie, wem Sie mit dieser Äußerung dienen?
Ich sage es Ihnen jetzt gleich. 870 Millionen DM Entwicklungskostenzuschüsse sind von der Deutschen Airbus GmbH noch zurückzuzahlen. Um diese 870 Millionen DM zurückzahlen zu können, muß die Deutsche Airbus GmbH einen Kredit aufnehmen und voll verzinsen. Aber auch die Zinsen können wieder nur durch Kreditaufnahme gezahlt werden. Damit wächst der Kredit auf 1,9 Milliarden DM an. Und das nennen Sie „sich in schwarzen Zahlen befinden", und da diffamieren Sie mich, wenn ich durch diesen meinen Vorschlag die Bilanzsituation der Unternehmungen verbessern und die Arbeitsplätze erhalten und vermehren will und wenn ich damit verhindern will, daß Bundeszuschüsse — trotz der angeblich schwarzen Zahlen — mit Krediten zurückgezahlt werden müssen, die Zinsen für die Kredite wiederum nur durch Kredite finanziert werden können und damit allein die beteiligten großen Banken das Geschäft machen. Ich bin nicht hier, um ein Wort gegen die Banken zu sagen, aber Ihre Politik auf diesem Gebiet ist eine Politik für die Banken, nicht eine Politik für die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Dem Kollegen Wehner selbstverständlich.
Herr Ministerpräsident, ist Ihnen hier nicht insofern ein Versehen passiert, als Sie plötzlich von der Diskussion über den Einzelplan 04 in die Diskussion über den Einzelplan 08 hineingeraten sind? In Ihrer schriftlich vorher verbreiteten Rede finde ich diesen Teil nämlich nicht. Es muß also ein Irrtum sein. Ist das so?
Bei mir ist es kein Irrtum, aber bei Ihnen gilt, was ein großer Dichter geschrieben hat: Zuweilen schläft auch Homer.
Denn Sie haben anscheinend geschlafen, als der Kollege Matthöfer seinerzeit diese Vorwürfe hier in meiner Abwesenheit — was ich ihm nicht übelnehmen kann und auch nicht übelnehme — erhoben hat, und deshalb nutze ich im Rahmen einer Haushaltsrede die Diskussion über ein Thema, für das ich jederzeit meinen Kopf hingehalten habe und weiter hinhalten werde, dazu, offenkundige Unwahrheiten, die noch mit der Behauptung, man kenne den Text und die Zahlen ganz genau, hier verbreitet worden sind, richtigzustellen, und das ist doch mein gutes Recht, Herr Kollege Wehner.
Denn ein Bundesminister, obendrein ein Finanzminister, der Darlehen und Bürgschaft nicht voneinander unterscheiden kann, ist doch selbst für Ihre großzügigen Verhältnisse etwas starker Tobak.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt in diesen zehn Jahren eine Reihe von Versäumnissen in der Innenpolitik. Ich darf sie nur stichwortartig erwähnen, zunächst die Familienpolitik und, damit zusammenhängend, die ganze Bevölkerungsentwicklung. Ich bin nicht der Meinung, daß Familienpolitik automatisch Bevölkerungspolitik ist, aber ich halte auch gar nichts davon, wenn der Bundeskanzler es sogar begrüßt, daß die Zahl der Menschen bei uns abnimmt, wenn Mitglieder der Bundesregierung sagen, es sei nicht die Aufgabe der Regierung, die Geburtenrate zu prämiieren, und ähnliche Äußerungen mehr machen.
Sie wissen doch ganz genau, daß mit der Entwicklung unserer Bevölkerungszahl das Stehen oder Fallen, das Überleben oder Zusammenbrechen unseres sozialen Sicherheitssystems und unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit automatisch verbunden sind.
Ich habe doch immer vor dem Aberglauben gewarnt, man könnte das Netz der sozialen Sicherung verselbständigen, aus dem gesamten Funktionszusammenhang herausnehmen und so tun, als ob es aufrechterhalten werden könnte, gleichgültig, wie unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und zugleich unsere finanzielle Ertragskraft sich entwickeln.
Der Herr Bundeskanzler gebrauchte in seiner Rede auf dem Parteitag Ausdrücke, die Ihnen, Herr Schmidt, sicherlich einer aufgesetzt hat, denn Ihnen traue ich sie gar nicht zu. Sie sagten: CDU und CSU wollen in die voremanzipatorische Epoche der Frau zurückkehren. Da kann ich nur sagen: Krampf, laß nach!
Lassen Sie doch diese geschwollene Ausdrucksweise!
Außerdem möchte ich einmal in aller Deutlichkeit sagen, daß die Tätigkeit als Hausfrau und die. Tätigkeit als Familienmutter auch für eine emanzipierte Frau selbstverständlich möglich sind. Das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen!
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Ich habe auf Grund meiner reichhaltigen menschlichen Begegnungen — —
— Ja, Sie sollten das bei jemandem, der im Gegensatz zu Ihnen die Beziehung zum Wähler nie verloren hat, nicht mit Gelächter quittieren! Ich weiß noch, wie es unten aussieht.
Ob ich mit Dienstwagen fahre oder nicht, das ändert nichts an meinem Verhältnis zur Bevölkerung, gerade zu den ärmeren Schichten unserer Bevölkerung.
Bei Ihnen scheint das umgekehrt zu sein.
Ich habe bei dieser Fülle von vielfältigen Begegnungen — auch im Zusammenhang mit der Tätigkeit meiner Frau im Caritas-Verband und in Multiple-Sklerose-Hilfsorganisation — viele tragische Schicksale kennengelernt. Ich habe volles Verständnis für die Notwendigkeiten, Nöte und Bedürfnisse der Alleinstehenden, denen man die Last erleichtern, denen man zu Hilfe kommen muß, aber nicht damit, daß man glaubt, durch Betonung der Emanzipation als Idealziel die Auflösung der Familie und damit die Herabsetzung des Berufs der Hausfrau und Familienmutter erreichen zu können.
Die SPD wirft mir wahrheitswidrig vor, daß von Bayern die Spannung in der deutschen Bildungspolitik, die Spaltung der Kultusministerkonferenz und damit auch die Belastung der zukünftigen Bildungspolitik ausgegangen sei. Sie sollten spätestens nach der großartigen Rede meines Kollegen Hans Maier, des bayerischen Kultusministers, in diesem Hause diese Lüge nicht mehr verbreiten und, wenn Sie Anstand hätten, diese Unwahrheit zurücknehmen.
Der Freistaat Bayern und die bayerische Regierung mit mir an der Spitze stehen hier auf einer gemeinsamen Linien der Kultusminister aller unionsregierten Länder.
Ich darf Ihnen weiter sagen, daß ich überhaupt keine Voreingenommenheit für oder gegen irgendein Schulsystem habe,
weder dafür noch dagegen. Ich bin rein sachbezogen.
Die gegliederte Schule ist schülerfreundlicher, elterngerechter und leistungsgünstiger als jedes andere Schulsystem, insbesondere als die integrierte Gesamtschule in Flächenstaaten.
In Niedersachsen mußte ja die Regierung ein Erbe
übernehmen, mit dem sie zurechtkommen muß. Wir
alle haben die Aufgabe, einen Weg zu finden, daß
die Kinder nicht die Opfer sozialistischer Bildungspolitik und sozialistischer Alleingänge werden.
In der gegliederten Schule ist es leichter möglich, echte Begabungen zu entdecken, nachhaltig zu fördern, zu pflegen und zur vollen Entwicklung und Entfaltung zu bringen.
Herr Bundeskanzler, Sie weisen darauf hin, daß sich die Zahl der Abiturienten vermehrt habe. Mit der Zahl der Abiturzeugnisse können Sie doch nicht die Begabungen vermehren.
Das ist doch der Wahn gewesen, daß der Mensch beim Akademiker beginne, daß die gehobene Berufsausbildung nur mit dem Abitur beginnen könne. Es geht darum, mit Abitur und Universitätsdiplomen die wirklichen Begabungen in unserem Lande, die nicht allzu zahlreiche Schicht der Begabten und Geeigneten, nachhaltig zu fördern.
Ich sage Ihnen auch ganz genau warum: Wir sind ein Land mit wenig Energiequellen, ein Land so gut wie ohne Rohstoffe. Wir leben vom Rohstoff Geist. Wir wären doch nie an diese Stelle in der Industriegesellschaft in der Welt vorgerückt, wenn bei uns nicht in den großen Pionierjahrzehnten der deutschen Vergangenheit und Gegenwart große Wissenschaftler, Techniker und Pioniere der Unternehmerschaft, gestützt auf eine fleißige, leistungsfähige Arbeitnehmerschaft, das zustande gebracht hätten, was man im Ausland leider „das deutsche Wunder" nannte. Dem verdanken wir unseren Lebensstandard, nicht dem Geschwätz und nicht den sozialkritischen Modellentwerfern für eine utopische Heilsgesellschaft des nächsten Jahrhunderts.
Zurück zur Familienpolitik. Zu ihr gehört nicht nur, die Reform des Familienlastenausgleichs vorzunehmen, dazu gehört nicht nur, die wohnungsmäßige Unterversorgung gerade der kinderreichen Familien zu beseitigen. Dazu gehört auch die Beseitigung der ideologischen Blindheit in der Steuerpolitik. In der Steuerpolitik dürfen Sie doch nicht davon ausgehen, daß das erarbeitete Einkommen von vornherein dem Staat gehört und daß der Staat gewisse Abstriche macht, die der einzelne dann als Verfügungseinkommen für sich in Anspruch nehmen kann.
Diese Ideologie steckt doch hinter der Ablehnung der Kinderfreibeträge. Ich habe kein Verständnis — und auch die Offentlichkeit hat es nicht — für eine Regierung, die von Abbau der Bürokratie spricht, von der Unlesbarkeit, wie gesagt, der Rechnungen der öffentlichen Dienstleistungsbetriebe, die aber dann bei einem relativ kleinen Kinderbetreuungsbetrag einen Individualnachweis verlangt, doch damit nur die Ausstellung von Gefälligkeitszertifikaten fördert und damit auch noch gegen den
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Grundsatz handelt: „Und führe uns nicht in Versuchung". Damit beweist sie, daß ihr ideologische Voreingenommenheit wesentlicher ist als die Lösung der Probleme in der Sache.
Hier müssen sie einmal ein Zeichen setzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte Sie erstens bitten, hier in diesem Hause einmal zu erklären, warum Sie die Dinge in der Vergangenheit falsch beurteilt und — wahlkampfbezogen — die deutsche Offentlichkeit falsch informiert haben und sich hernach dann auf Unkenntnis der Tatsachen hinausgeredet haben. Ich möchte Sie zweitens bitten, gerade die Bevölkerungsschicht, die aus dem Arbeitsleben ausgeschieden ist, die Bevölkerungsschicht, die in den nächsten zehn Jahren aus dem Arbeitsleben ausscheidet und deshalb ein legitimes Interesse hat, mit einer kalkulierbaren Rente rechnen zu können, über die Pläne der Regierung — Sie haben die Mehrheit, Sie sind in erster Linie in der Verantwortung, Sie sind aufgerufen, hier vor der Offentlichkeit darzulegen, was Sie vorhaben — zu informieren.
Ich bin hier nicht in der Lage, die einzelnen Vorschläge zu bewerten. Man hört aus dem Regierungslager: Die Renten müssen besteuert werden. Dann hört man: Nein, eine Besteuerung der Renten kommt nicht in Betracht. Dafür hört man dann: Es muß ein Krankenkassenbeitrag eingeführt werden, ein Vorschlag, der im übrigen schon einmal in der Großen Koalition verwirklicht, dann aber leider rückgängig gemacht worden ist — sogar mit einer Rückzahlung —, um zu zeigen, wie böse doch die CDU/CSU war und wie groß das Heil der neuen Zeit ist. Jetzt fehlt Ihnen das Geld an allen Ecken und Enden, auch wenn es im ersten Teil der 80er Jahre sicherlich eine gewisse Liquidität geben wird. Aber auch diese Prophezeiung ist auf wirtschaftlichen Annahmen aufgebaut, auf Wachstum, auf einem entsprechenden Beschäftigungsstand und einer Bevölkerungsentwicklung, die erst durch eine bessere Politik gewährleistet sein müssen. Deshalb bitten wir Sie, daß Sie sich über diese Probleme klipp und klar äußern
Ein besonderes Hätschel-, aber auch Stiefkind ist noch immer der Bereich der Vermögensbildungspolitik gewesen. Die Bundesregierung hat auf dem Gebiet der Vermögensbildung bisher jegliche Initiative vermissen lassen. Die SPD sperrt sich aus ideologischen Gründen gegen den weiteren Ausbau von individuellen betrieblichen Beteiligungen. In Ihrer Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, heißt es noch: „Der Anlagekatalog des Dritten Vermögensbildungsgesetzes soll erweitert werden, um verstärkt auch Beteiligungen in Unternehmen zu ermöglichen. Die bei Anwendung dieses Gesetzes auf Beteiligungsformen entstehenden steuerlichen Hemmnisse sollen beseitigt werden." Nun, Initiativen zur Förderung der Vermögensbeteiligung in Arbeitnehmerhand — ich weiß, wie prekär und brisant das Thema ist — sind bisher lediglich von zwei Gesetzentwürfen der CDU/CSU im Bundesrat und im Bundestag ausgegangen. Schwerpunkt ist es, die Arbeitnehmer am Produktivvermögen stärker zu beteiligen, besonders steuerliche Hemmnisse abzubauen. Beide Gesetzentwürfe werden von der Koalition abgelehnt. Deutlicher kann doch, Herr Bundeskanzler, Ihre Unfähigkeit, auf diesem Gebiet Ihr Wort einzuhalten, nicht bewiesen werden.
Deutlicher kann doch bei Ihnen der Unterschied zwischen Wort und Wahrheit, zwischen Versprechen und Erfüllung nicht unter Beweis gestellt werden. Hier wird er dem Bürger geradezu schlaglichtartig deutlich.
Es war sowohl auf Ihrem Parteitag als auch vorher in diesem Hohen Hause die Rede von der Energiepolitik. Stichwort: Kernenergie. 1973 noch hieß das Ziel: optimaler Ausbau der Kernenergie; 1974: maßvoller, aber verstetigter Ausbau; 1977: begrenzter Ausbau. Sind Sie sich darüber im klaren, daß alle diese Formeln nichts anderes als auf Publikumstäuschung angelegter Unsinn sind, daß alle diese Formeln in der Wirklichkeit überhaupt nichts bedeuten? Sind Sie sich darüber im klaren, daß der Versuch, das heute bereits bestehende Defizit an Kernkraftwerken durch Kohlekraftwerke auszugleichen, unerträgliche Umweltschutzprobleme bedeutet, daß es unmöglich ist, die einheimische Kohleförderung in dem notwendigen Umfange zu erhöhen, daß es unmöglich ist, Importkohle in dem benötigten Umfang zu bekommen? Auch das, was Sie heute vertreten, ist doch nur Augenauswischerei. Ich glaube Ihnen zwar, daß Sie die Probleme kennen, aber Sie haben nicht den Mut und die Offenheit vor Ihrer eigenen Partei, Ihre politische Existenz mit der Lösung der Lebensfragen des deutschen Volkes und der Bundesrepublik zu verbinden; das werfen wir Ihnen vor.
Selbst in dem Leitantrag heißt es:
Beim derzeitigen Stand der Diskussion ist die definitive Entscheidung für oder gegen die weitere Nutzung von Kernenergie nicht reif. Beide Optionen, die weitere Nutzung von Kernenergie wie der Verzicht auf Kernenergie, müssen noch für eine gewisse Zeit nebeneinander bestehen bleiben.
Wie lang ist denn die „gewisse Zeit"? Wann ist denn die „gewisse Zeit" abgeschlossen? Die Zeit ist doch längst abgelaufen. Sie ist Ihnen doch unter den Fingern zerronnen.
Und immer wenn Sie nicht in der Lage sind, sich zu entscheiden,
reden Sie davon, daß Sie über die Probleme nachdenken müssen,
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um damit weiterer Entscheidungen enthoben zu sein.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich bin knapp an Zeit. Bitte nicht.
— Ich hab doch keine Angst vor Herrn Wehner. Wir sind doch alte Bekannte hier in diesem Haus.
Herr Ministerpräsident, ich wollte Sie nur fragen, ob Sie diese Ihre Erklärungen jetzt auch mit der Bereitschaft unterstreichen wollen, Zwischenlager in Bayern einzurichten?
Wir haben dieses Problem im Kreis der Regierungschefs des Bundes und der Länder besprochen. Wir haben eine gemeinsame Lösung nach harten Verhandlungen erarbeitet. Die bayerische Staatsregierung wird sich an die Gemeinschaftslösung des Bundes und der Länder halten.
Sie hat durch ihre Form der Lösung der Zwischenlagerprobleme die Voraussetzungen dafür geschaffen. Alles andere ist doch nur Polemik oder Irreführung der Offentlichkeit.
Es ist doch ein Widersinn, wenn man gleichzeitig für und gegen dieselbe Sache ist.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" stellt mit Recht fest: „Die Energiepolitik der SPD muß auf Grund solcher Beschlüsse noch mehr aus dem Lot kommen.
Ich erspare es Ihnen aus Gründen der Nächstenliebe, die Haltung der bayerischen SPD zu dem Thema Zwischenlager hier darzustellen. Eine Schilderung des Kölner Karnevalszugs wäre im Vergleich damit noch eine nützliche Angelegenheit.
Ich muß diesen Oberblick mit der kurzen Behandlung eines Problems abschließen, das mit den bisherigen Maßnahmen nicht einmal teilgelöst ist, nämlich des Problems — neben der Versorgung mit Energie zu bezahlbaren Preisen und in ausreichender Menge — der Sicherstellung der Rohstoffversorgung unserer Wirtschaft ebenfalls zu bezahlbaren Preisen und in dem benötigten Umfang.
Weite Teile unserer Wirtschaft sind nur dann existenzfähig, wenn die Versorgung mit wichtigen Rohstoffen gesichert ist. Schlüsselrohstoffe wie Aluminium, Kupfer, Zink, Blei, Zinn und Nickel gehen in nahezu alle Industriezweige ein, die Wachstum, Export und Beschäftigungsstand tragen. Die Importabhängigkeit der Bundesrepublik ist nahezu total. Die Versorgungsrisiken haben sich angesichts der labilen politischen Lage in vielen Rohstofflieferländern stark vergrößert.
Es ist besorgniserregend, wie schleppend die längerfristige Planung für eine ausreichende Rohstoffversorgung der Wirtschaft von der Bundesregierung betrieben wird, und wie sorglos sie auf die Ereignisse der jüngsten Zeit reagiert. Die Verhandlungen über die Ausgestaltung der Rohstofflager bei sogenannten sensiblen Rohstoffen und ihre Finanzierung sind leider nicht von der Stelle gekommen. Für einen 30%igen Importausfall an wichtigen Rohstoffen haben die Rohstoffexperten erschreckende Rückwirkungen auf die Gesamtproduktion in unserem Land errechnet. Bei den zehn wichtigsten Rohstoffen gerieten j e Rohstoff mehrere Millionen Arbeitsplätze in Gefahr. Allein eine Verknappung der Jahreseinfuhren an Chrom um 30 % würde einen Rückgang der gesamten bundesdeutschen Produktion um mehr als 25 % auslösen.
In diesem Zusammenhang ist festzustellen — ich sage es nicht, um Probleme an die Wand zu malen, die wir in der Offentlichkeit nicht gern besprechen —: Der Zugriff der Sowjetunion auf die afrikanischen Rohstoffreserven, die Umklammerung und Einschließung des wichtigsten afrikanischen Rohstofflands Zaire mit Rohstoffreserven, die für Europa von lebenswichtiger Bedeutung sind, hätten die wirtschaftliche Abhängigkeit Westeuropas von Moskau zur Folge. Wir können, auch wenn wir Weltmacht weder sind noch jemals werden, die Augen nicht vor den Tatsachen verschließen, daß die Europäer hier eine gemeinsame Aufgabe haben, sie aber aller Voraussicht nach nur gemeinsam mit den Amerikanern lösen können. Erlauben Sie mir nur die Stichworte: Afghanistan, wo ein treuer Satellit durch einen 150%igen ersetzt worden ist. Südjemen, wo ein treuer Satellit durch einen noch treueren ersetzt wurde, Iran, von wo die Auflösung der internationalen Ordnung droht, für die USA eine Herausforderung von tragödienhafter Größe. Der sowjetische Botschafter hat die Resolution des Sicherheitsrates unterstützt, aber gleichzeitig das wachsende Verständnis der Sowjetunion für die revolutionären Vorgänge im Iran bekundet. In der Weltpresse ist von einer zunehmenden Hinneigung Khomeinis zur Sowjetunion die Rede.
Die labile Lage in den anderen erdölerzeugenden Ländern der arabischen Welt und um sie herum hält an und wird eher noch stärker. Siehe die Vorgänge in Saudi-Arabien, der langjährige Sicherheitspakt zwischen der Sowjetunion und Südjemen, vor wenigen Tagen geschlossen, dort, wo sich mindestens 6 000 Russen, Kubaner und DDR-Deutsche als militärische und polizeiliche Hilfskräfte befinden, mit Stoßrichtung gegen Kuweit, Katar, Oman, Bahrein, Vereinigte Emirate, Saudi-Arabien; der feste sowjetische Zugriff auf Äthiopien mit 12 000 Russen, Kubanern und DDR-Deutschen mit Addis Abeba als Hauptquartier für ganz Afrika; der Zugriff auf Sambia mit 6 000 Kubanern und 200 DDR-Deutschen, auf Mozambique mit 2 000 Kubanern und DDR-Deutschen, Angola mit mindestens 25 000 Kubanern und Lieferung modernster sowjetischer Waffen in gro-
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ßer Menge, dazu Waffenlieferungen und Waffendepots in anderen afrikanischen Ländern.
Das Ganze ist eine große strategische Offensive. Gründe: Mitte der 80er Jahre wird die Sowjetunion ein erdölimportierendes Land werden und aufhören, ein erdölexportierendes Land zu sein. Damit kommt ein Druck auf die Europäer und deren Südflanke sowohl militärstrategisch wie auch rohstoffpolitisch und energiepolitisch in immer größerem Maße zustande. Die Kontrolle der Erdöltransportwege um Afrika herum, auch durch die neuen Stützpunkte in Vietnam, die die Reichweite der sowjetischen Pazifikflotte um 4 500 km erhöht haben, nämlich durch Verlegung in diesem Umfange nach dem Süden. Die Nähe zum Indischen Ozean, zum Horn von Afrika. Gewinnung von Einfluß und Abhängigkeit in Westafrika zur Kontrolle des Südatlantik. Isolierung der USA in Verbindung mit dem anderen Krisenherd Lateinamerika, Abhängigkeit der Europäer bei Erdöl und Rohstoffen aus Afrika.
Ich warne — aus eigener Kenntnis der Dinge und vieler führender Persönlichkeiten — vor der wachsenden Einschüchterung der zu den westlichen Demokratien neigenden schwarzen Präsidenten, und das in Verbindung mit der Zerschlagung des Widerstandes, der Widerstandsbewegungen gegen den kommunistischen Zwangsstaat. Was heute in Angola sich vollzieht, wo 40 % des rohstoffreichen Landes sich in den Häden der UNITAD, einer Widerstandsbewegung, befinden, die von Dr. Jonathan Sawimbi geleitet wird, ist doch eine große Tragödie, ein echtes Drama und ist für den Westen ein Armutszeugnis ohnegleichen: seine Freunde im Stich zu lassen und seine Feinde zu honorieren und zu unterstützen.
Ich warne davor, bei den schwarzen Staatsmännern die Überzeugung geradezu systematisch zu züchten, daß Hinneigung zum Westen, Zusammenarbeit mit. Amerika und Europa den sicheren Untergang bedeute, daß Zusammenarbeit mit Moskau Überleben, Sieg und Macht bedeute. Das Ganze wird einen epidemischen Effekt haben. Wir Europäer werden in den 80er Jahren aufhören, über diese Vorgänge zu lachen, wenn wir dann an die Trauerspiele der 70er Jahre denken, wo diese unheilvolle Entwicklung eingeleitet worden ist.
Da sollen wir mit einem Kanzler in die 80er Jahre gehen, der von diesen Dingen entweder nichts versteht oder gar nichts verstehen will, weil er darüber nichts auszusagen wagt und nichts aussagen kann, weil die Ideologievorurteile seiner Partei und seine eigene Unkenntnis der Probleme ihn daran hindern, mit anderen europäischen Freunden und mit Amerika diese Probleme so rechtzeitig aufzugreifen, daß ihr verhängnisvolles Endergebnis uns erspart bleibt.
Warum klären Sie denn das Volk nicht über die Vorgänge in der Welt und ihren Wetterecken auf?
Warum sagen Sie nicht öffentlich, was Sie gelegentlich denken? Welche Ratschläge haben Sie denn Präsident Carter in Guadeloupe oder bei Ihren Telefongesprächen in der jüngsten Zeit gegeben?
Warum haben Sie den chinesischen Ministerpräsidenten unterhalb der Schwelle der internationalen Höflichkeit behandelt?
Warum geben Sie auf Briefe keine ausreichende Antwort, wie auf meinen Brief vom 11. Oktober 1979? Mit der Frage, die in diesem Brief gestellt ist, Herr Bundeskanzler, möchte ich Sie hier in den letzten Sätzen meiner Ausführungen konfrontieren. Ich habe in diesem Hohen Hause im Januar 1973 als erster Abgeordneter der Fraktion der CDU/CSU mit ihrer vollen Ermächtigung das Wort „pacta sunt servanda" als die Haltung der Union gegenüber rechtmäßig zustande gekommenen, wenn auch von ihr nicht begrüßten, in der Formulierung weitgehend von ihr abgelehnten Verträgen verkündet. Ich habe dies bei meinem Besuch in Budapest im Gespräch mit Herrn Kadar wiederholt. Ich habe das nachher auch in der Offentlichkeit in einer Fernsehsendung getan. Daraufhin hat mir die sowjetische Nachrichtenagentur Nowosti vorgehalten, daß mein Bekenntnis „pacta sunt servanda nicht glaubwürdig sei, weil ich die Schlußfolgerung, daß mit diesen Verträgen die Anerkennung der Teilung Deutschlands in zwei Nationen automatisch verbunden sei, abgelehnt hätte. Wer ja sage zu diesen Verträgen, der müsse auch ja sagen zur Anerkennung der Zweiteilung Deutschlands nicht nur in zwei Staaten, sondern in zwei Nationen.
Ich vertrete die Auffassung, daß nicht die vertragschließenden Partner das deutsche Verfassungsrecht verändern können, sondern daß die Verträge nur innerhalb der Grenzen des geltenden Verfassungsrechts ausgelegt werden können.
Es gibt doch nicht den geringsten Zweifel daran, daß nach unserem Grundgesetz — dargelegt in den beiden Urteilen von 1973 und 1975 — jede Erklärung, mit den Verträgen sei auch die Anerkennung der Zweiteilung Deutschlands in zwei Nationen verbunden, einen glatten Verfassungsbruch darstellen würde. Ich habe deshalb sowohl in der Offentlichkeit wie im Gespräch mit sowjetischen und anderen Partnern aus diesem Bereich klargelegt, daß sich „pacta sunt servanda” auf die Erfüllung dieser Verträge bezieht, daß aber daraus nicht weitergehende Schlußfolgerungen für die ewige Teilung Deutschlands oder für die Anerkennung der Teilung Deutschlands in zwei Nationen gezogen werden dürfen.
Ich habe gegenüber Herrn Jury Schukow oder vor wenigen Tagen Kodriaschow und anderen erklärt, daß der Herr Bundeskanzler hier genauso denkt wie wir und daß jeder Versuch, etwa hier die Deutschen in schlechte Deutsche und gute Deutsche, Entspannungsdeutsche und Gegenentspannungsdeutsche, friedliebende Deutsche und nichtfriedliebende
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Deutsche einzuteilen, zum Scheitern verurteilt sei. Aber ich erwarte von Ihnen, daß Sie mir auf diesen Brief antworten, Herr Bundeskanzler, in dem ich Ihnen vor sechs Wochen die Frage gestellt habe: Sind Sie der Meinung, daß das Bekenntnis „pacta sunt servanda" auch die Anerkennung der Teilung unseres Volkes in zwei Nationen einschließe, oder sind Sie mit mir der gegenteiligen Meinung? Warum antworten Sie denn nicht in der Offentlichkeit? Warum geben Sie mir denn keine Antwort darauf? Sagen Sie es doch einmal, damit dieser ewige Auslegungsschwindel ein Ende nimmt, mit dem man den einen gegen den anderen ausspielen kann.
Und was haben Sie denn in Budapest gesagt, als Sie davon sprachen — ich bin ja hier nur auf Zeitungsmeldungen angewiesen —, die Preußen seien keine Deutschen gewesen, sondern ein Volk, die Boruzzen, die eher litauisch gesprochen hätten? Was hat denn das für einen Sinn? Natürlich gehört Preußen zu Deutschland, gehört Preußen zur deutschen Geschichte. Das darf ich als Bayer sagen, als einer, der sich immer zum Zusammenhalt der deutschen Nation bekannt hat.
Warum sagen Sie denn, Sie hören das Wort Wiedervereinigung nicht gerne? Das ist doch aus dem Munde eines Kanzlers eine Belastung. Wir alle wollen den Zusammenschluß der Deutschen in einer freiheitlichen gesamtstaatlichen Ordnung, wie immer man ihn bezeichnet. Hier muß eben langatmige geschichtliche Strategie auf unserer Seite gegenüber hartnäckigem zähem Machtwillen auf der anderen Seite stehen. Wenn wir nicht mehr den Tag erleben, dann dürfen wir nichts, aber nichts verspielen, damit unsere Kinder oder unsere Enkel diesen Tag erleben. Das ist doch deutsche Politik und ist auch langfristige deutsche Politik.
Auf diese Fragen, Herr Bundeskanzler, können nur Sie die Antwort geben. Geben Sie eine Antwort in der Klarheit der Sprache, wie es der Ernst der Sache verlangt!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seitdem der Deutsche Bundestag besteht, habe ich jede Haushaltsplanberatung miterlebt. Die diesjährige wird schwer einzureihen sein in die bisherigen Haushaltsplanberatungen des Deutschen Bundestages.
Sie wurde eröffnet mit einer Art närrischem Vorspiel.
— Nein, bitte sehr, ich meine ja Herrn Schröder und
Herrn Lothar Löffler. Weil der Herr Ministerpräsident noch nicht da sein konnte, stiegen die ein, und so ist das auch von ihnen beiden begriffen worden.
— Wenn Sie sich nicht anders hörbar machen können als durch die Bloßlegung Ihrer inneren Unruhe, tun Sie mir auch leid!
Es geschah erstmals, daß ein Mitglied des Bundesrats als sozusagen erster politischer Redner der parlamentarischen Opposition das Wort nahm. Das hat es in 30 Jahren nicht gegeben. Ich registriere das nur, denn die Rede selbst wird vielen Deutungen unterworfen sein. Meine Sache ist es nicht, Zensuren auszuteilen.
— Das hätten Sie gern, nicht?
Ich werde mir einige Bemerkungen zu einigen Bestandteilen des Erlebnisses dieser Rede erlauben, und zwar zu sachlichen Bestandteilen, denn die gibt es ja in dieser Rede auch.
Der Herr Ministerpräsident hatte zwar gesagt, er wolle sowohl Rückschau als auch Vorausschau in seiner Rede "zu bieten bemüht sein, aber das, was er zunächst unter „Rückschau" geboten hat, war wenig. Es kann sein, daß das eben etwas durcheinanderkam. Es waren ein paar Angaben über die Forschungspolitik enthalten, auf die jedenfalls nicht nur die Kollegen meiner Fraktion, sondern sicher auch andere im Verlauf der Haushaltsdebatte noch werden zurückkommen müssen, die uns bis Freitag hier zusammen erleben wird.
— Seien Sie nicht so unvorsichtig, das kommt sonst in das Protokoll! Dann wird man hinterher sehen: So schlau waren Sie auch nicht.
Der Herr Ministerpräsident hat zunächst einiges zu dem gesagt, was er vom Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in der vorigen Woche zu sagen für wichtig gehalten hat. Das ging natürlich gleich los mit dem Sich-Reiben an dem Motto „Sicherheit für die 80er Jahre". Das hatte ich damals geahnt: Das tut Ihnen allen wenn nicht weh., so juckt es Sie doch. Sicherheit, das ist ja ganz einfach eine Verpflichtung, die jemand übernimmt, in diesem Fall jedenfalls die Sozialdemokratische Partei, was sie zu tun bemüht sein wird, soweit das Sterblichen möglich ist, so lange, wie ihre Kräfte dazu reichen.
Dann kam das Thema der Mittelstreckenraketen. Sehr verehrter Herr Ministerpräsident, Sie haben, wie ich gemerkt habe, den Schlußtext, der angenommen worden ist. Das ist auch ganz in Ordnung. Ich wollte zu diesem Schlußtext, und zwar zu den Teilbereichen, die Sie ein wenig aus dem Zusammen-
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Wehner
hang gerissen zitiert haben, auch noch folgendes wörtlich zitieren. Es ist Auffassung der Sozialdemokraten:
Friedenspolitik, die Politik der sozialen und politischen Entspannung, bleibt vom Rüstungswettlauf in der Welt bedroht. Sozialdemokratische Politik sieht, wie es im Godesberger Programm heißt, die Grundsätze der Landesverteidigung in der Schaffung von Voraussetzungen für eine internationale Entspannung und für eine wirksame kontrollierte Abrüstung. Dieser Auftrag des Godesberger Programms besteht unverändert fort.
Entspannung und Abrüstung setzen Gleichgewicht voraus. Das globale Gleichgewicht darf weder regional noch weltweit durch einseitige Aufrüstung gefährdet werden. Bei der Herstellung des Gleichgewichts haben Rüstungskontrolle und Abrüstung eindeutig die politische Priorität.
Dann wird betont:
Die konkurrierenden Staaten und Bündnisse müssen von der Friedensbereitschaft des anderen ausgehen, diese Auffassung auch aussprechen und aufhören, sich das Gegenteil zu unterstellen. Verteidigungspolitische Maßnahmen dürfen nicht Überreaktionen sein, die aus Mißtrauen und Angst entstehen. Das subjektive Sicherheitsbedürfnis der jeweils anderen Seite muß in Rechnung gestellt werden. Die Art des innenpolitischen Schlagabtausches über die Begriffe „defensiv" und „offensiv' hat gezeigt, wie gering bisher Fähigkeit und Wille sind, in diese schwierigen Zusammenhänge einzudringen.
Sie werden noch manche — auch für Sie, Herr Ministerpräsident, und auch für Ihre Mitwirkenden — interessante Stelle aus diesem Beschluß zur Friedenssicherung, zur Sicherheitspolitik, zur Rüstungsbegrenzung, Rüstungskontrolle finden, wenn Sie anordnen, daß sich Ihre Mitwirkenden Mühe geben.
Jetzt komme ich zu der Stelle, die Sie, wenn auch nicht ganz im Zusammenhang, ebenfalls zitiert haben. Deutlich, Satz für Satz gelesen, heißt das, was da wirklich steht:
Die Solidarität des Bündnisses muß sich bewähren. Wir werden auch künftig unsere Politik fortsetzen, die jederzeit deutlich sichtbar macht, daß wir weder Nuklearmacht sind noch werden. Eine ausschließliche Stationierung nuklearer Mittelstreckenwaffen auf deutschem Boden kommt nicht in Frage. Die nächsten Jahre werden auch darüber entscheiden, ob der nukleare Rüstungswettlauf gebremst werden kann oder die Gefährdungen für die Welt weiter steigen werden. Deshalb darf es keine Automatismen geben. Der Gang der Verhandlungen und die erwarteten Ergebnisse müssen es den Politikern der NATO jederzeit möglich machen, Beschlüsse zu überprüfen und, wenn nötig, zu revidieren.
Aus diesen Gründen soll — so beschloß der Parteikongreß der Sozialdemokraten —
die Bundesregierung der Stationierung der von den USA in eigener Verantwortung zu entwikkelnden Mittelstreckenwaffen in Europa nur unter der auflösenden Bedingung zustimmen, daß auf deren Einführung verzichtet wird, wenn Rüstungskontrollverhandlungen zu befriedigenden Ergebnissen führen.
Ziel der Verhandlungen ist es, durch eine Verringerung der sowjetischen und eine für Ost und West in Europa insgesamt vereinbarte gemeinsame Begrenzung der Mittelstreckenwaffen die Einführung zusätzlicher Mittelstreckenwaffen in Westeuropa überflüssig zu machen.
Da haben Sie jene Sätze aus dem Beschluß des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der in der vergangenen Woche durchgeführt worden ist, genau wiedergegeben, von denen Sie, Herr Ministerpräsident, einige zitiert haben.
Herr Ministerpräsident, worum es den Sozialdemokraten geht und worauf Sie wohl auch hinzielen — Sie haben ja genau an dem Tag, der der Tag vor den NATO-Erörterungen in Brüssel ist, hier das Wort genommen, was auch Ihr gutes Recht ist —, ist das Folgende. Die Entscheidung, die von der NATO im Dezember getroffen wird, und gleichzeitig Verhandlungen mit der UdSSR, dem Warschauer Pakt sind untrennbar verbunden. Dies ist die Voraussetzung für das, was in der unmittelbar vor uns stehenden Zeit von uns, der Bundesrepublik Deutschland, als Bestandteil dieses Bündnisses, aus zu tun ist, zugleich durch die Verträge mit den Nachbarn im Osten, die zwar nicht wesensgleich mit den Verträgen sind, die uns in die westliche Verteidigungsgemeinschaft NATO und in die Wirtschaftsgemeinschaft Europäische Gemeinschaft integrieren, die man aber, weil man auf einem Bein bestenfalls stehen kann, als zweites Bein braucht, um an die Tische gehen zu können, an denen von Gleichberechtigten, wenn auch nicht Gleichmächtigen, über das, was auch unser Interesse ist, verhandelt wird: Sicherung des Friedens.
Das ist es, was wir mit unserem Beschluß wollen.
Da muß ich sagen, Herr Ministerpräsident: Uns Sozialdemokraten erscheint es als im Lebensinteresse unseres Volkes liegend, daß es auch im Zustand der staatlichen Trennung von uns nicht nur angesehen, sondern miterlebt wird als dennoch eine Nation.
Ich komme in dem Zusammenhang wieder darauf zurück: Die Verträge — dazu gehört auch der Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen den beiden Staaten im getrennten Deutschland — sind Verträge, mit deren Hilfe wir, soviel es geht und so durchgreifend es geht, den Menschen,
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die in beiden Teilen des staatlich getrennten Deutschland leben, nicht nur das Gefühl, eine Nation zu sein, zu erhalten suchen, sondern auch die Möglichkeiten zur Begegnung der Menschen in diesen getrennten Staaten, soweit es in unseren Kräften steht, zu verbessern trachten. Das alles muß dabei mit bedacht werden. Darüber zu reden — nehme ich an — ist keine Schande.
Herr Ministerpräsident, Sie haben ein paarmal angespielt auf zwanzig Jahre, zehn Jahre und darauf, worauf diejenigen, die seit zehn Jahren in der Form der Koalition zwischen Sozialdemokraten und Freien Demokraten regieren, eigentlich fußen und woraus sie schöpfen. Herr Ministerpräsident, für mich ist — ich gestehe es ganz offen, auch ein wenig abseits von den Feiern meiner eigenen Parteifreunde — entscheidend: In 30 Jahren Bundesrepublik Deutschland haben die Sozialdemokraten 17 Jahre als Opposition zugebracht, ausgehalten und dies zu einer konstruktiven Opposition entwickelt. Und Sie — Herr Ministerpräsident, Sie sind ja der Kanzlerkandidat für die nächstfällige Bundeskanzlerwahl — halten es noch nicht einmal aus — ich meine jetzt nicht Sie persönlich, sondern ich meine die Kombination CDU/CSU zehn Jahre konstruktive Opposition zu sein.
Es ist kein fremder Text, den ich jetzt zu zitieren mir erlaube. Da wir jetzt am Beginn der zweiten und dritten Lesung des Haushaltsplans 1980 stehen, darf ich wohl in Erinnerung bringen, was Sie im November 1974, vor also etwas wenig mehr als fünf Jahren gesagt haben:
Wir müssen Sie — d. h. uns —
so weit treiben, daß Sie ein Haushaltssicherungsgesetz vorlegen müssen oder den Staatsbankrott erklären müssen.
Es wird Ihnen allmählich klar, Herr Ministerpräsident, daß das nicht reicht, was Sie an Dampf dafür machen und aufbringen können. Das ist das eine
Sie haben damals weiter gesagt:
Ich möchte zur Außenpolitik nur eine Bemerkung machen. Wir müssen sicherlich die europäische Idee am Leben halten, aber wir sind heute von jeder Möglichkeit einer europäischen Union, auch einer echten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft weiter weg, als wir im Jahre 1950 gewesen sind.
Hier schalte ich einmal eine Bemerkung ein, die eine indirekte Frage ist, Herr Ministerpräsident. Da haben Sie sich wirklich geirrt. Ich nehme an, das wissen Sie auch; Sie sind ja intelligent genug, das auch einzusehen. Ob Sie das auch öffentlich sagen werden, ist wieder eine andere Frage. Ich dränge auch nicht darauf, daß Sie es tun. Wir Sozialdemokraten haben doch aber auch als Opposition in jenen 17 Jahren, ehrlich und aufrichtig, wenn auch mit nicht verdeckten kritischen Anmerkungen, Stellung bezogen. Ich denke z. B. an die Zeit, als ich zusammen mit meinem Freund und Bruder 011enhauer Mitglied der — es nannte sich damals nicht Parlament; so anspruchsvoll waren wir nicht — ersten Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl war. Damals war mein Kontrahent der von mir verehrte und bis zu seinem Tode als ein Lehrer und Freund geschätzte Jean Monnet. Sie haben ja auch eine Vorstellung von ihm gehabt, wenn auch Ihre Begegnungen nicht so häufig waren, was ich Ihnen nicht vorwerfe; dies ergab sich vielmehr aus den verschiedenen Verpflichtungen. Ich war nie so sehr verpflichtet wie Sie oder auch wie er. Ich war eben immer ein Abgeordneter.
Ihre damalige Aussage — damit komme ich auf das früher Gesagte zurück —, daß man in der Entwicklung einer europäischen Union weiter zurück sei als im Jahre 1950, ist doch einfach falsch gewesen.
Im Jahre 1955,
— so haben Sie damals betont —
im Jahre 1960, im Jahre 1965 oder wann auch immer ist man in einem fast hoffnungslosen Zustand angelangt, wobei der moralische Zustand Europas schlimmer ist als der materielle oder der politische oder der militärische. Die Europäer sind total degeneriert.
— ich muß schon sagen, Sie waren unvorsichtig, Herr Ministerpräsident —
Sie sind ausgetreten aus der Geschichte, erwarten, daß die Amerikaner wenigstens für sie noch Wache halten, verschließen die Augen vor der sowjetischen Gefahr, begreifen nicht, daß das Kooperationsangebot der Sowjetunion einen Hegemonieanspruch bedeutet. Deutschen Kraftwerken an der Wolga oder in Ostpreußen, die den Strom von den Arabern zu uns hineinbringen — ich kann nur sagen
— haben Sie, Herr Ministerpräsident, damals betont —
man weiß schon bald nicht mehr, welches Land auf der Welt man zur Emigration empfehlen soll.
Ich sage Ihnen — Sie wissen es genau —: Sie brauchen nicht zu emigrieren; wir brauchen alle nicht zu emigrieren.
Aber es macht sich so gut, wenn man auch tragisch sprechen kann. Ich verlange nie, daß einer besonders fröhlich tun muß. Den Mitlebenden, den Mitbürgerinnen und Mitbürgern aber jedenfalls Zuversicht zu vermitteln, sollte man eigentlich auf sich nehmen.
Zwischenzeitlich
um mit dieser Emigrationsphilosophie fortzufahren —
kann man Neuseeland, Australien oder Kanada
vielleicht noch nennen, auch Palästina. Das sind
aber auch nur Übergangsstationen. Summa
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summarum, für uns heißt die Summe: Dieses Europa kann nicht gesund werden, wenn die Bundesrepublik nicht wieder wirtschaftlich, gesellschaftlich, politisch, militärisch ein Stabilitätsfaktor erster Ordnung wird, wenn das von der Bundesrepublik wieder ausgeht. Das kann aber nur ausgehen — da bin ich jetzt wirklich am Ende —,
— so haben Sie damals gesagt; Sie sind es ja heute noch nicht —
wenn die Krise so stark wird, daß aus der Krise ein heilsamer Schock erwächst und damit die Bereitschaft, die Konsequenzen aus dieser Zeit auch tatsächlich auf sich zu nehmen. Sonst läuft sich
— das haben Sie damals schon so gesagt — jeder Kanzlerkandidat tot.
Deshalb hat es auch gar keinen Sinn, wenn wir uns in den nächsten Monaten nun überlegen: Wer ist am telegensten? Wer wirkt am besten? Wer hat nach der Umfrage von Wickert oder Infas — oder wie sie alle heißen — die meisten Chancen?
Es ist alles belanglos oder Cura posterior. Zuerst müssen wir wissen: Was machen wir, wenn wir hinkommen, mit diesem Staat? Das nächste ist dann: Wer ist geeignet, diese Maßnahme glaubhaft an der Spitze einer aktionsfähigen Regierung und Parlamentsgruppe dann auch tatsächlich durchzuführen? Damit wird dann das Karussell der Eitelkeit für eine Zeitlang gestoppt sein.
–Das haben Sie damals im November 1974 so gesehen, und vieles von dem, was Sie damals gesehen, vorausgesehen und geschätzt haben, ist nicht ganz so gekommen. Aber mit dem, was Sie am Ende schließlich gesagt haben, haben Sie selbst einen Fehler gemacht, Herr Ministerpräsident. Sie haben damals gesagt:
... zuerst müssen wir wissen: Was machen wir, wenn wir hinkommen, mit diesem Staat? Das nächste ist dann: Wer ist geeignet ...
Sie haben jetzt schon geraume Zeit vorher darüber abstimmen lassen, wer geeignet ist, und das sind nun Sie. Ich bitte Sie um Entschuldigung: Sie tun mir fast leid;
denn Sie müssen jetzt fortgesetzt treten — ich meine Pedale treten —, obwohl Sie Motore lieber hätten.
Aber da Sie selber einer sind, werden Sie das schon versuchen hinzukriegen. So ist das, Herr Ministerpräsident.
Was die Kernkraftkritik — ich meine Ihre Kritik an dem Verhalten der Sozialdemokraten während ihres Parteikongresses gegenüber der Kernenergieproblematik — betrifft, muß ich einiges wenige hinzufügen. Es ist eine Tatsache, daß für Sozialdemokraten die Problematik der Kernenergie kein Spielmaterial ist.
— Ja, sicher ist das so. Entschuldigen Sie, bei Ihnen ist das anders. Da lacht der mit der seltsamen Nase. Den sehe ich sonst nur in Fragestunden. Er ist einer Ihrer Experten für Fragestunden.
Was soll denn das? Natürlich ist es schwer für eine Partei, wenn sie sowohl so viele Mitglieder hat als auch so viele, die sie ansprechen möchten und die umgekehrt auch die Partei ansprechen möchte, daß sie sich mit vieler Leute Auffassungen befassen und auseinandersetzen muß.
Herr Ministerpräsident, Sie sind sehr unvorsichtig gewesen, als Sie diese Mischung hier darbrachten: Pyrrhussieg heißt Helmut-Schmidt-Sieg. Sie werden das noch erleben. Sie wissen es im Grunde auch, daß es mit dieser Ihrer Prophezeiung so fest nicht ist.
Sie sagen das so in dem Sinne: Man muß mit den eigenen Leuten, jedenfalls denen, auf die man angewiesen ist, in dieser Ihrer Kombination CSU /CDU mit dem Schrägstrich durch die Mitte, wenn auch umgekehrt in der Buchstabierung, natürlich versuchen, das zuwege zu bringen.
Warum haben Sie eigentlich den Bundeskanzler so konzentriert sozusagen unter Feuer genommen, Herr Ministerpräsident? Ich hatte bei dieser Gelegenheit den Eindruck, ich verstünde nun erst ganz richtig, was Sie kürzlich gesagt haben. Ich nehme die Textangabe einer sicher auch für Sie völlig unverdächtigen Zeitung — es ist die „Frankfurter Allgemeine" mit dem Untertitel: „Zeitung für Deutschland" —, und darin steht:
Vor der Fraktion sagte Strauß dann, die CDU befinde sich 1980 in einer historischen Situation.
Sie wissen es besser; die Gefahr kommt nämlich gleich hinterher.
Dies rechtfertige aller Anstrengungen. Falls man 1980 eine Wahlniederlage erleiden sollte, wäre die Union für lange Zeit von der politischen Verantwortung ausgeschlossen. Deshalb müssen sich beide Parteien
— Sie meinen diese CSU /CDU-Parteien —
zu einer Kampfgemeinschaft zusammenfinden.
Meine Damen und Herren, ich habe damals, als ich das las, gedacht: Das ist eine mehrschichtige Begründung. Natürlich will der Mann Impulse geben, natürlich will er vorantreiben — die anderen —, und natürlich tut er auch so, als ziehe er sie mit. Das mag alles sein, ist menschlich ganz verständlich. Nur, das alles unter ständigem Feuer gegen den Bundeskanz-
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ler Helmut Schmidt muß irgendwo einmal zu Asche werden, Herr Ministerpräsident.
Das kann man nicht beliebig perpetuieren. Das kann man nicht!
Noch einmal zurück zu der Kernernergiemäkelei. Ich bin, was dieses Kapitel betrifft, einer, der sagt: Es wäre weder richtig zu sagen „Kernenergie um jeden Preis"
— ich bitte Sie, ich sage doch, was ich denke — noch „Kernenergie um keinen Preis".
— Ich bitte Sie, nehmen Sie sich doch zusammen, falls Sie das können. Irgend etwas bubbelt in Ihnen, und Sie müssen heraus aus der Öffnung mit dem, was bei Ihnen bubbelt.
Es ist sehr einfach: Wir haben zwei Texte, auf die wir uns berufen können. Der eine ist die Regierungserklärung des Bundeskanzlers Schmidt von 1976 mit den Punkten 23 bis 31. Jede Mitbürgerin und jeder Mitbürger können sich darauf berufen, und wo sie finden, daß da etwa in Beziehung auf Sicherheit etwas nicht eingehalten werde, können sie darauf pochen, daß diese Erklärungen eingehalten werden. Ich finde, es tut selbst einer parlamentarischen Opposition auch im außerparlamentarischen Getriebe und Gehabe nicht gut, wenn sie von vornherein davon ausgeht oder so tut, als sei eine Regierungserklärung nichts anderes als ein Stück Papier, das man ganz einfach zurückweisen kann.
Da muß eine Opposition die Regierung, zu der sie in Opposition steht, jeweils darauf ansprechen und festlegen und von ihr Rechenschaft verlangen.
Ich will hier gar nicht zitieren, was mein Lehrmeister — er war es weiß Gott — Kurt Schumacher in der ersten Rede, die hier von einem Oppositionsführer — — Da feixen Sie. Auch ein Gegner von Kurt Schumacher wird angesichts der Nennung seines Namens nicht feixen. Aber über Geschmack läßt sich mit Ihnen nicht streiten. Das ist mir klar. —
Lesen Sie das bitte — das ist ja im Bundestagsprotokoll —, die erste Rede des Oppositionsführers damals gegen den damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer über die Rolle der Opposition. An diese haben wir uns dann auch, soweit wir bei Kräften waren, auch gehalten.
Nochmals zurück zur Kernenergie. Wir haben am 14. Dezember vorigen Jahres — das jährt sich demnächst — mit einer knappen Mehrheit, zugegeben, aber mit einer Mehrheit eine Entschließung gefaßt, die genau die Möglichkeiten — —
— Wenn Sie das wollen: „erzwungen". Im Parlament, Herr Jenninger, ist es üblich: Wer eine Mehrheit
hat, bringt etwas zustande. Wenn dann der Unterlegene sagt: „Erzwungen", dann tut er mir leid, weil er nicht einsieht oder vergessen machen will, daß er nicht gezwungen worden ist, sondern daß er in der Minderheit war. Dort, wo wir Minderheit waren, haben wir auch nicht behauptet, die anderen hätten uns etwas aufgezwungen.
Da gibt es wohl Wesensunterschiede. Befassen Sie sich damit. Über die Feiertage haben Sie genug Gelegenheit dazu, wenn Sie sie nicht nur verfeiern und verfeuern. Befassen Sie sich auch einmal mit solchen Gedanken. Ich verlange ja gar nicht, daß Sie meine Gedanken übernehmen.
Gehen Sie einmal in diese Dinge hinein, dann werden Sie manches finden.
In dieser Entschließung ist die Einsetzung einer Enquetekommission beschlossen worden. Es hat leider lange gedauert, bis sie eingesetzt worden ist, für meinen Geschmack zu lange; sie hätte in Ausführung des Beschlusses schon einige Zeit früher eingesetzt werden können. Aber es ist in Ordnung; sie ist eingesetzt. Wenn wir auf das hinweisen, was diese Enquetekommission prüfen, feststellen und schließlich auch darlegen soll, ist das zusätzlich zu der Regierungserklärung von 1976 die Gewährleistung dessen, daß niemand meinen muß, er sei sozusagen einer Wiederholung von Harrisburg — oder was es sonst noch an Ähnlichem geben kann — einfach hilflos ausgeliefert. Soweit es in den menschlichen Kräften, im menschlichen Ermessen und in den menschlichen Möglichkeiten liegt, sind in dieser Kommission alle vertreten, die Sicherheit vor bloße Wirtschaftlichkeit stellen, und das gehört zu dem, was wir im Zusammenhang mit der Kernenergie sagen wollen.
Nun haben Sie, Herr Ministerpräsident, sich ein wenig mit den Sozialdemokraten und ihrem Verhältnis zur sozialen Marktwirtschaft befaßt. Da haben Ihre Vorbereiter Ihnen einiges nicht gezeigt, was nicht völlig außer acht gelassen werden darf, wenn es sich darum handelt, diese Erörterungen und Auseinandersetzungen um Wirtschaft, um soziale Marktwirtschaft usw. zu entwickeln.
Natürlich gibt es in der Sozialdemokratischen Partei manche unterschiedliche Bewertungen und auch manche gegensätzliche Bewertungen. Aber in unserem Grundsatzprogramm gibt es klare Festlegungen zu stetigem Wirtschaftsaufschwung, zu Eigentum und Macht, zur Einkommens- und Vermögensverteilung, zur Agrarwirtschaft, zu den Gewerkschaften in der Wirtschaft, zur sozialen Verantwortung usw. Da finden wir, daß es z. B. heißt:
Freie Konsumwahl und freie Arbeitsplatzwahl sind entscheidende Grundlagen freier Wettbewerb und freie Unternehmerinitiative sind wichtige Elemente sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik. Die Autonomie der Arbeitneh-
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mer- und Arbeitgeberverbände bei Abschluß von Tarifverträgen ist ein wesentlicher Bestandteil freiheitlicher Ordnung. Totalitäre Zwangswirtschaft zerstört die Freiheit. Deshalb bejaht die Sozialdemokratische Partei den freien Markt, wo immer wirklich Wettbewerb herrscht. Wo aber Märkte unter die Vorherrschaft von einzelnen oder von Gruppen geraten, bedarf es vielfältiger Maßnahmen, um die Freiheit in der Wirtschaft zu erhalten. Wettbewerb so weit wie möglich — Planung so weit wie nötig!
Das ist doch wohl diskutabel, meine Damen und Herren,
oder wollen Sie das einfach verbieten? Dazu wäre noch manches zu sagen, denn Sie haben das, was Sie damit eigentlich gemeint haben, nur etwas schief angeleuchtet.
Sie haben dann übergeleitet — inzwischen ist mir dann der geschriebene, der vorgeschriebene Teil Ihrer Rede auch noch in die Hände geraten, und zwar nicht illegitim, sondern durch den Pressesprecher; die Presseleute hatten ja die Rede vorher — und haben sich dann an des Bundeskanzlers — nicht zitierte, sondern von Ihnen oder, sagen wir besser, von Ihren Mitwirkenden gegebene — Auslegungen der Rentenentwicklung gehalten. Das war nicht nur mit Fehlern behaftet; es war auch müßig, dies noch einmal aufkochen zu wollen. Sie haben ja die Regierungserklärung von 1976. Damals hat der Bundeskanzler ein — wie er sich ausgedrückt hat — Wort zu Beginn gesagt, nämlich:
Der Regierungserklärung soll ein Wort zum Rententhema vorangestellt werden, das in der vorigen Woche die Diskussion beherrscht hat. Kein Zweifel: Es hat zu einer ernsthaften Beunruhigung und zu einer Belastung des Vertrauens in die sozialliberale Koalition und in die Bundesregierung geführt.
Die Verhandlungsdelegationen beider Koalitionsparteien hatten sich an Hand des Gutachtens des Sozialbeirats vom 15. Oktober der ja seit 20 Jahren die Maßstäbe für den Rentengesetzgeber gesetzt hat, und anderer neuerer wirtschaftlicher Daten mit der Gesamtheit der gesetzgeberisch notwendigen Schritte zur finanziellen Konsolidierung der Rentenversicherung und der Krankenversicherung in tiefgreifender Weise befaßt. Sie hatten dabei — unter anderem — auch eine Verschiebung der für den Juli 1977 vorgesehenen Rentenanpassung um sechs Monate ernsthaft in Erwägung gezogen. Ich will dies vor dem Bürger nicht verschleiern, sondern ich will es bestätigen. Wir hatten es uns damit allerdings sehr schwer gemacht.
Die Reaktionen vieler Bundestagsabgeordneter, vieler Bürger und der öffentlichen Meinung waren heftig. So heftig hatten wir diese Ablehnung nicht erwartet,
— das Protokoll verzeichnet hier „Lachen bei der CDU/CSU" —
obwohl klar war, daß es große Kraft brauchen würde, eine solche Entscheidung, wenn wir sie für unausweichlich gehalten hätten, glaubhaft zu machen und sie im Bundestag, in seinen Parteien, Fraktionen und Ausschüssen, zur Annahme zu bringen.
Und dann kommt das, was weiter gesagt wurde, nachdem er erklärte:
Ich will das offen zugeben. Aber ich darf hinzufügen: Eine Regierung ist nicht unfehlbar. Dies behaupten nur totalitäre Regierungen von sich.
Meine Damen und Herren, es wird ja wieder mit diesem Begriff „Rentenbetrug" jongliert. Ich sehe da ziemlich dicht vor mir einen Herrn Kollegen, dessen kürzlich in einer Tageszeitung unter diesem Thema veröffentlichte philosophische Betrachtungen ich bedaure; ich hoffe, es wird einmal Gelegenheit geben, dies zu klären.
— Sagen Sie mal, Sie melden sich ja selber! Ich hatte Sie gar nicht genannt, Herr Blüm.
— Sie haben mir nur leid getan, als ich das las. Denn bei aller politischen Gegnerschaft finde ich immer, Sie treten zwar manchmal daneben bei einem Versuch, nach vorn zu treten, aber Sie sind jedenfalls aufrichtig. Aber da fand ich, da ist irgend etwas nicht ganz in Ordnung, und das wollte ich einmal mit Ihnen besprechen.
Herr Abgeordneter Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke ?
Nicht öffentlich, Herr Blüm, nein.
Herr Kollege Franke, offensichtlich nicht.
Meine Damen und Herren, ich finde, die Erklärung, die der Bundeskanzler seiner Regierungserklärung von 1976 vorangeschickt hat, sehr ehrlich und sehr aufrichtig.
Wir werden noch viele Notwendigkeiten haben, in der Sache miteinander zu diskutieren, zu ringen, zu streiten. Und wenn Sie, Herr Ministerpräsident, dem Bundeskanzler fehlendes Augenmaß und mehr vorwerfen, so wundert mich das. Denn das wissen Sie im Grunde ja selber: Wenn er etwas hat, so hat er Augenmaß und Einschätzungsfähigkeit, sowohl im ökonomischen als auch im finanzpolitischen usw. Bereich.
Herr Abgeordneter Wehner, darf ich noch einmal fragen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herren Abgeordneten Franke?
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Ja, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Wehner, darf ich Sie fragen, ob Sie sich erinnern, daß am 8. April 1976 der Abgeordnete Schmidt , Bundeskanzler, aber von hier unten fragend, folgendes gefragt hat:
Ich muß eine lange Frage formulieren, Herr Kollege, um im Einklang mit der Geschäftsordnung zu bleiben: Unterstellt, daß Sie
— ich sprach von dort oben —
mir unterstellen, daß ich die volkswirtschaftlichen Zahlen richtig zu deuten weiß, können Sie sich erstens vorstellen, daß ich der Meinung bin, daß auch im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt die gegenwärtige Vermögensanhäufung in den Rentenversicherungen voll ausreicht,
Und das führt er dann noch mit weiteren Fragen aus. Können Sie, verehrter Kollege Wehner, sich erinnern, daß der Abgeordnete Schmidt , der Bundeskanzler, diese Fragen gestellt und damit auch die Behauptung aufgestellt hat, die Zahlen in der Rentenversicherung reichten völlig aus, obwohl Gegenteiliges in diesem Hause längst bekannt war?
Sie können das in einer als Frage gestellten Korreferatsbehauptung so ausdrücken. Ich erinnere jetzt nur daran, daß Bundeskanzler Helmut Schmidt in seiner Regierungserklärung 1976 genau diesen Vorgang in Erinnerung brachte, wenn auch nicht unter Nennung der Sitzung, in der es geschah, sondern indem er erklärt hat, was an Hand des Gutachtens des Sozialbeirates zu sehen war und wie man sich dabei dann getäuscht hat.
Das .hat er offen gesagt.
— Ich danke. Es reicht mit dieser einen Frage. Sie werden ja noch Gelegenheit haben, sich bei anderen Möglichkeiten zu rächen.
— Na, Sie werden doch nicht erwarten, daß die Art, die manche von Ihnen der politischen Debatte und Auseinandersetzung meinen unterschieben oder aufdrücken zu können, bei uns etwa Anklang finden wird.
Sie haben das Recht, uns mit Ihrer Meinung zu konfrontieren,
aber es wird Ihnen nicht gelingen,
uns aus dem Stand zu heben, verehrte Herren Leichtgewichtler!
Der Herr Ministerpräsident hat bemerkenswerte Ausführungen zur Nettokreditaufnahme, zum Schuldendienst gemacht. Ich bin dabei, als er das so gesagt hat, an das erinnert worden, was ich vorhin aus dieser bedeutenden Rede vom November 1974 zitiert habe. Das lautete ganz nüchtern, wirklich in jedem Sinne nüchtern:
Wir müssen sie so weit treiben, daß sie ein Haushaltssicherungsgesetz vorlegen müssen oder den Staatsbankrott erklären müssen.
Nun haben wir bisher — ich meine die Regierung — kein Haushaltssicherungsgesetz vorzulegen brauchen und haben auch nicht den Staatsbankrott erklärt. Sie tun etwas Falsches. Das ist so, wie wenn man zur Unzeit jeweils diese berühmten Zeichen . vor ein Gasthaus steckt, als ob da gerade eine Weinzeit oder eine Mostzeit sei, während die längst vorüber oder noch lange nicht gekommen ist; jedenfalls ist Ihre noch lange nicht gekommen.
Es kommt immer wieder auf dasselbe hinaus.
Dann hat es mich, Herr Ministerpräsident, sehr interessiert, daß Sie so eine lange Matthöfer-Einlage gemacht haben. Ich dachte: Nun, das macht er, weil er an dem Tag, an dem Matthöfers Haushaltsplan zur Debatte steht, nicht hier sein kann, was ja dann menschlich verständlich wäre. Oder warum sonst dieses sehr deftige Entrefilet zwischen Schuldendienst und Familienpolitik,
wie es Ihr geschriebener Text darlegt?
Sie sind dann noch einmal auf das sogenannte Rententhema gekommen. Das ist wie beim Stottern oder beim Schluckauf: Es kommt immer wieder — ich kann mir das gut vorstellen —,
genauso wie jetzt mit der „Rentenbesteuerung", mit dieser Erfindung, die Sie uns sozusagen gern unters Hemd kleben möchten.
— Ja, seien Sie doch nicht so prüde und erkundigen Sie sich bei Ihren bayerischen Nachbarn, Sie Baden-Württemberger, ob das schon ein Grund ist, zu sagen: Wo sind wir denn eigentlich?
Das ist unter Erwachsenen doch wohl nicht unvermeidbar, meine Damen und Herren. — Nein, hier sind eben wegen dieser langen Matthöfer-Passage eine ganze Reihe von Dingen plötzlich dem Zwang unterworfen worden, verkürzt wiedergegeben und nur noch wieder genannt zu werden. Ich bin gespannt, ob von Ihren Anhängern im Bundestag gefordert wird, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen. Sie selber können das ja nicht, weil Sie nicht
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15071
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mehr im Bundestag sind; sonst würden Sie das mit anderen sicher überlegen. Aber Sie haben da ja Herrn Althammer und andere, die unter Umständen sagen würden: Untersuchungsausschuß; wie ist das mit dem Matthöfer? Das kann ja ganz interessant werden.
Das hilft uns aber nicht weg von dem, worüber ernsthaft gesprochen und gestritten — ernsthaft prüfend aufeinander eingehend und zugehend — werden muß. Wenn ich solche Listen von Überschriften hier vortragen würde, wie Sie sie in Ihrem Redemanuskript an einer Stelle haben, die vorzulesen Sie aber dann doch unterlassen haben — Sie haben doch irgendwo „Geschmäckle" —, dann würde sich herausstellen, daß wir ganz gut wetteifern könnten, wenn wir uns z. B. berufen auf: Lohnfortzahlungsgesetz, Betriebsverfassungsgesetz, Arbeitssicherheitsgesetz, Bundespersonalvertretungsgesetz, Heimarbeitsänderungsgesetz, Gesetz über das Konkursausfallgeld, Betriebsrentengesetz, Arbeitsstättenverordnung, Arbeitsstoffverordnung, Jugendarbeitsschutzgesetz, Mitbestimmungsgesetz,
Gerätesicherheitsgesetz, Mutterschaftsurlaubsgesetz, Gesetz zur Beschleunigung und Bereinigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, Umweltchemikaliengesetz.
So gibt es noch manches, worum wir wetteifern könnten.
Es wäre ja keine Schande. Man würde allmählich merken: Die politischen Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland wetteifern und streiten miteinander. Aber irgendwo, an manchen Stellen ergänzen sie einander auch.
Damit beschließe ich meine Betrachtungen zu dieser eigentümlichen Rede, Herr Ministerpräsident und verehrte Damen und Herren des Bundestages.
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Herr Genscher.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, die Reflexionen über den Parteitag der Sozialdemokraten fortzusetzen. Da ist eine Menge beschlossen worden, was anders ist als das, was wir wollen. Das macht die Zusammenarbeit unterscheidbarer Parteien möglich. Es ist nichts beschlossen worden, was diese Zusammenarbeit behindern könnte.
Aber ich denke, daß der Herr Kollege Strauß bei der Behandlung dieses sozialdemokratischen Parteitags die Sozialdemokraten eigentlich in einer ungewöhnlich netten, gar nicht erwarteten Form behandelt hat. Er hat in einer längeren Rede die „verfehlte" Politik der Bundesregierung dargestellt, aber die Verantwortung der Sozialdemokraten für diese verfehlte Politik mit 40 bis 50 % — wenn ich das richtig sehe — eingestuft. Wir haben da schon 70 bis 80 % zu tragen, und die Union 100 %.
Ich glaube, daß heute die Möglichkeit für Herrn Kollegen Strauß gegeben gewesen wäre, zu einer Reihe von wichtigen Fragen Stellung zu nehmen. Es bestand z. B. die Chance, die um ihr Steuerpaket ringende Regierungskoalition mit den Vorschlägen der Union für die künftige Steuerpolitik zu überraschen. Es bestand auch die Chance, die Vorstellungen der Unionsparteien für die künftige Sicherung der Rentenfinanzen, und zwar mittel- und langfristig, darzulegen. Ich lese gelegentlich in Zeitungen, wenn Kollegen der Union draußen gesprochen haben, die Freien Demokraten wollten die Renten beschneiden
und von den Renten etwas wegnehmen.
Nein, wir haben den Mut gehabt, der Offentlichkeit und den Rentnern mit einem fundierten Konzept zu sagen, wie wir mittel- und langfristig eine stetige Steigerung der Renten sicherstellen wollen.
Ich denke, es wird höchste Zeit, daß alle Seiten des Hohen Hauses der Rentnergeneration von heute und auch der Rentnergeneration von morgen sagen, wie sie ein stetiges Wachstum der Renten, und zwar mindestens in der Höhe, in der die verfügbaren Arbeitseinkommen steigen, garantieren wollen. Die Rentner von heute sind die Aufbaugeneration nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie haben einen Anspruch darauf, daß vor der Bundestagswahl
alle Parteien sagen, wie sie in Zukunft diese Renten finanzieren wollen.
Ich möchte zu dem innenpolitischen Teil der Ausführungen des Herrn Kollegen Strauß nur auf einen Bereich eingehen, den er aufgenommen hat, nämlich die Frage der Schulpolitik. Ich habe den Eindruck, daß in diesem Land zuviel über Schulformen diskutiert wird und zuwenig über Lehrinhalte, kinderfreundliche Schulen, nahe Schulwege.
— Da brauchen Sie nicht zu lachen. Was wird in den von Ihnen geführten Ländern im Augenblick an Unsicherheit
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Bundesminister Genscher
in Eltern und Kinder hineingetragen,
indem Sie bestreiten wollen, daß über 1981 hinaus Gesamtschulabschlüsse in allen Bundesländern anerkannt werden!
Wissen Sie, was das erzeugt? Das erzeugt Staatsverdrossenheit in heranwachsenden Menschen,
die im Vertrauen darauf, daß sie eine staatlich anerkannte Schule besuchen, jetzt plötzlich zweifeln müssen, ob ihr Abschluß noch im ganzen Bundesgebiet anerkannt wird.
Wir treten dafür ein, daß in unserem Lande ein pluralistisches Bildungssystem vorhanden ist.
Wir treten dafür ein, daß das herkömmliche gegliederte Schulwesen gleichberechtigt mit den Gesamtschulen konkurrieren kann.
Ich bitte Sie, mit uns sicherzustellen, daß der Elternwille entscheidet und nicht linke und rechte Bildungsideologen, welche Schule Kinder zu besuchen haben.
— Sofort, Herr Kollege Haase. — Hier müssen wir verständlich machen, daß es Aufgabe der Schulträger ist, die Verwirklichung des Elternwillens möglich zu machen und nicht mit gesetzlichen, administrativen oder finanziellen Maßnahmen seine Durchführung zu behindern.
Ich bitte Sie, einmal zu überlegen, ob es wirklich richtig ist, daß noch immer Hundertausende von Gesamtschülern und ihre Eltern im Zweifel darüber sein müssen, ob die Abschlüsse nach 1981 anerkannt werden. Kann das nicht auch dazu führen, daß Eltern, die eigentlich ihre Kinder zur Gesamtschule schicken möchten, aus Unsicherheit sagen: Na, dann schicken wir sie doch dorthin!? — Mir geht es um nichts anderes, als daran zu appellieren, daß zu Beginn des kommenden Jahres Klarheit zwischen den Bundesländern geschaffen werden kann, damit die Abschlüsse auch der Gesamtschulen anerkannt werden, damit wir in allen Bundesländern zu einer gleichberechtigten Konkurrenz zwischen gegliedertem Schulsystem, dem herkömmlichen Schulsystem, und den Gesamtschulen kommen. Nur so können wir den Grundsatz der Pluralität behaupten, und nur so können wir den Elternwillen, der doch allein entscheidend sein muß, verwirklichen.
Das können wir nicht, wenn die eine oder die andere Schulform diskriminiert wird.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haase ? — Bitte, Herr Haase.
Herr Bundesminister, ich habe eben mit großem Interesse Ihr Eintreten auch für das dreigliedrige Schulsystem registrieren können. Darf ich fragen, verehrter Herr Bundesminister, gilt dies auch für das hessische Bildungssystem? Darf ich frage, ob Sie registriert haben, daß man in Hessen eben gerade dabei ist, dieses dreigliedrige Schulsystem, das Sie so lobend erwähnt haben und das Sie zu schützen vorgeben, zu liquidiren?
Darf ich fragen, ob Sie das registrieren?
Der Herr Kollege Marx möchte dem Herrn Kollegen Haase insoweit noch Unterstützung geben — ich darf mich zu Ihrem Sprecher machen —, als er fragt, ob wir das politisch mitmachen. Herr Kollege, es kommt darauf an, ob man für Pluralität wirklich offen ist oder ob man in der Herstellung der Chancengleichheit für eine neue Schulform schon den Versuch einer Liquidierung der vorhandenen sieht. Hier unterscheiden sich unsere Ausgangspunkte. Wir wollen auch für eine neue Schulform Chancengleichheit schaffen.
Das bedeutet natürlich, daß man deshalb auch neue Schulen ermöglichen muß. Man muß gleichzeitig garantieren, daß natürlich in zumutbarer Nähe die beiden Schulformen angeboten werden, weil sonst von einer realen Konkurrenz doch gar keine Rede sein kann. Das sollte zwischen uns unbestritten sein.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Bundesminister?
Herr Minister, man könnte Ihnen ja aus unserer Sicht sogar zustimmen.
Tun Sie es doch!
Nur, registrieren Sie denn nicht, daß man in Hessen dabei ist, neben dem Aufbau neuer Schulen die alten zu zerschlagen? Sind Sie geneigt, gegebenenfalls die Verhältnisse in
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Haase
Kassel einmal zu studieren, wo das dreigliedrige Schulsystem liquidiert wird?
Herr Kollege, ich habe mich doch gerade mit großem Nachdruck dafür eingesetzt, daß keine Schulform, weder die herkömmliche noch eine neue, diskriminiert wird,
sondern daß sich jede in Gleichberechtigung mit der anderen entwickeln kann, damit der Elternwille verwirklicht werden kann. Das ist unser Ziel. Bitte, tun Sie etwas, damit die unionsgeführten Länder dafür sorgen, daß auch die Bildungsabschlüsse der Gesamtschulen anerkannt werden.
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Frage eines weiteren Fragestellers? — Nein, keine weiteren Fragen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zu dem außenpolitischen Teil der Ausführungen des Herrn Kollegen Strauß.
Der Kollege Strauß hat mit Recht auf die große Herausforderung hingewiesen, der wir und, wie ich hinzufüge — alle diejenigen Afrikaner, die auf unabhängige und selbständige Entwicklung bedacht sind, in Afrika ausgesetzt sind. Das macht es notwendig, daß die Staaten der westlichen Welt in einer übereinstimmenden und vorwärtsweisenden Konzeption dazu beitragen, daß Afrika nicht in den Vorherrschaftsbereich der Sowjetunion fällt, sondern daß Afrika seine Selbständigkeit und Unabhängigkeit entwickeln kann. Dazu ist aber auch notwendig, daß wir dort eine klare Position beziehen, wo entscheidende Fragen der Überwindung des Kolonialismus und des Rassismus zur Diskussion stehen.
In diesen Wochen und Tagen bemüht sich die konservative englische Regierung mit großem Nachdruck um eine Friedenslösung unter Teilnahme aller Streitparteien in Rhodesien. Ich möchte von dieser Stelle aus sagen: Die Bundesregierung unterstützt diese britischen Bemühungen ohne jeden Vorbehalt.
Wir appellieren an alle Beteiligten, daß sie nicht diese Lösung verzögern, sondern durch konstruktive Mitwirkung dieser Lösung nicht nur zustimmen, sondern diese Lösung auch in ihrer praktischen Durchführung unterstützen.
Ich glaube aber, daß es gut wäre, wenn die Kollegen der CDU/CSU diese Debatte nutzen würden, um ihre Position zu dieser Form der Lösung des Rhodesienkonflikts neu zu überdenken und neu zu formulieren. Wir haben in der Vergangenheit erlebt, daß die Bundesregierung schärfsten Attacken aus den Reihen der Opposition ausgesetzt war. Der Kollege Graf Huyn hat am 25. April dieses Jahres erklärt: Die Bundesregierung muß die schwarze Mehrheitsregierung — das war die Regierung Muzorewa, die eben nicht von den Engländern anerkannt worden ist, weil man der Meinung war, daß die damals abgehaltenen Wahlen nicht eine Grundlage für eine dauerhafte und friedliche Lösung sind — anerkennen und zusammen mit den westlichen Regierungen die Aufhebung aller wirtschaftlichen Boykottmaßnahmen gegen Rhodesien durchsetzen. Kurz danach hat die Fraktion der CDU/CSU erklärt, sie halte es für erforderlich, daß diese Wahl und die Entscheidung des Volkes von Zimbabwe-Rhodesien international respektiert und die neue Regierung von allen Nationen anerkannt wird; deshalb werde sie sich auch dafür einsetzen, daß auch die Regierung der Bundesrepublik Deutschland diesen Schritt unternimmt. Der Herr Kollege Todenhöfer hat noch in den Tagen, in denen sich die britische Regierung in Lusaka mit ihren Commenwealthstaaten darum bemühte, die Zustimmung auch der Frontstaaten zu dieser Rhodesienlösung zu finden, am 5. August, einen Tag, bevor die Einigung dort zustande kam, erklärt: Die Union fordert die Bundesregierung auf, die neue Regierung in Rhodesien anzuerkennen und die Sanktionen gegen das Land aufzuheben, deren Hauptgründe durch die freien Wahlen und den Abbau der Rassendiskriminierung entfallen sind. Er sagte dann noch hinzu: Und ich würde unseren Freunden mehr finanzielle Hilfe gewähren als unseren Feinden, also Kenia mehr als etwa Tansania.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir damals Ihrem Ratschlag gefolgt wären, wären wir den Bemühungen unserer britischen Freunde in den Rücken gefallen.
Ich denke, es wäre gut, wenn heute klar würde, daß die Unionsparteien diese Bemühungen, die von allen westlichen Staaten unterstützt werden, auch unterstützen.
Ich denke, Herr Kollege Todenhöfer, daß wir auch nicht leichtfertig über Staatsoberhäupter afrikanischer Staaten sprechen sollten. Wissen Sie eigentlich nicht, daß der Präsident von Tansania, Herr Nyerere, einer der hauptsächlichen Unterstützer und Befürworter der britischen Bemühungen um eine friedliche Lösung gewesen ist? Ohne ihn wäre die Einigung in London nicht soweit gelangt, wie sie heute ist.
Meine Damen und Herren, ich bin völlig der Meinung des Kollegen Strauß: Wir müssen diejenigen Staaten in Afrika unterstützen, die ihre Unabhängigkeit bewahren wollen, die eine Zusammenarbeit mit den westlichen Staaten wollen. Aber ich frage Sie: Wer war es denn, der auf dem Gipfel der Blockfreien in Havanna die Unabhängigkeit der Bewegung der Blockfreien bewahrt hat, wer sie gegen den Versuch der Sowjetunion, Einfluß in dieser Bewegung zu gewinnen, verteidigt hat? Präsident Nyerere von Tansania, den Sie hier als einen Feind unseres Landes bezeichnen, war einer der Hauptsprecher für die
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Bundesminister Genscher
Unabhängigkeit der Staaten der Dritten Welt gegen sowjetische Bevormundung! Ich bitte Sie: Gehen Sie nicht so mit den Staatsoberhäuptern von Staaten um, die mit unserem Land befreundet sind!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte, bevor ich zu den wichtigen Entscheidungen, die vor uns stehen, komme, noch ein Wort zu der Frage sagen, die Herr Kollege Strauß hier angeschnitten hat, wie der Bundeskanzler und die Bundesregierung es mit der Einheit der Nation halten. Diese Bundesregierung hat im Zusammenhang mit den Verträgen den Brief zur deutschen Einheit zum Bestandteil dieser Verträge gemacht. In diesem Brief heißt es: „Unser Ziel bleibt es, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt." Dazu stehen wir. Ich denke, niemand sollte uns diese Absicht, diesen Willen bestreiten.
Im Gegenteil: Ich finde, daß die Politik, die wir betreiben — Entspannung, Sicherheit, Abrüstung —, darauf gerichtet ist, eben diesen Zustand des Friedens in Europa zu schaffen. Das sind die Herausforderungen, die uns außenpolitisch in dieser Zeit und an der Schwelle des neuen Jahrzehnts gestellt sind. Ich bin der Überzeugung: Der Westen wird diese Herausforderungen nur bestehen, wenn es ihm gelingt, in der internationalen Diskussion, aber auch in der internationalen Politik die wirklichen Alternativen herauszustellen. Sie lauten: Sicherheit auf einem niedrigeren Niveau der Rüstungen durch Gleichgewicht auf einem niedrigen Niveau der Rüstungen und nicht mehr Aufrüstung und Drehen an der Rüstungsschraube.
Die Alternative lautet: Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, nicht Vorherrschaft. Die Alternative lautet: Entwicklung der Dritten Welt durch partnerschaftliche Zusammenarbeit und nicht durch Fortsetzung einer Politik, in der die Industriestaaten nicht in der Lage sind, den Staaten der Dritten Welt ausreichende Hilfe zu geben. Die Alternative lautet schließlich: Entwicklung der Industriestaaten durch Einsparen von Energie und durch Schaffung von Energieunabhängigkeit und Entwicklung aller Energiemöglichkeiten einschließlich der begrenzten Nutzung der Kernenergie oder Energieabhängigkeit.
Die Völker dieser Welt ächzen unter den Lasten der Rüstung. Das müssen wir den Menschen in allen Teilen dieser Welt immer wieder ins Bewußtsein rufen. Ich möchte einmal ein paar Zahlen vortragen, um diese Last deutlich zu machen, aber auch um zu zeigen, wer seinen Völkern die größere Last aufbürdet. Für Rüstung wurden in der NATO im Jahre 1978 4,3 % des Bruttosozialprodukts ausgegeben, im Warschauer Pakt 11,8 % des Bruttosozialprodukts; für Entwicklungshilfe im Bereich der NATO 0,37% des Bruttosozialprodukts, im Bereich des Warschauer Pakts 0,04 %. Das bedeutet: Im Bereich der NATO sind die Aufwendungen für Rüstung das 11,4 fache der Aufwendungen für Entwicklungshilfe; im Bereich des Warschauer Pakts sind die Aufwendungen für Rüstung das 280fache der Aufwendungen für die öffentliche Entwicklungshilfe.
Ich erwähne das, um zu zeigen, daß unsere Bemühungen um Abrüstung in Europa nicht nur eine Möglichkeit sind, den Frieden sicherer zu machen, sondern daß sie vor allem auch die Chance bieten sollen, daß sich auch die Staaten des Warschauer Pakts verstärkt und wir uns noch stärker an der Entwicklung der Dritten Welt beteiligen können.
Vor welchen Entscheidungen steht nun das westliche Verteidigungsbündnis in dieser Woche? Ich mache zu meinem Bedauern die Beobachtung, daß eine bemerkenswerte Übereinstimmung in zwei verschiedenen Lagern in der Bewertung der vorstehenden Entscheidungen vorhanden ist, nämlich in der Überbetonung der Nachrüstung. Die einen sehen nur die Komponente der Nachrüstung, weil sie sie ablehnen, während die anderen die Komponente der Nachrüstung betonen, weil sie sie bejahen. In Wahrheit muß der Doppelcharakter dieser Entscheidung gesehen und betont werden. Es geht darum, im Bereich der Nachrüstung die durch Vorrüstung entstandenen Gefährdungen und Belastungen für das Gleichgewicht abzubauen. Wir sind der Meinung, daß die in diesem Beschluß liegende Doppelstrategie die konsequente Anwendung der Grundsätze des Harmel-Berichts ist: Verbindung zwischen Verteidigungsfähigkeit und Verhandlungsbereitschaft.
Wir sind überzeugt, daß beides nur möglich ist unter Fortsetzung einer konstruktiven Entspannungspolitik. Wir haben es als ein positives Signal aufgenommen, daß die langfristige Fortsetzung dieser Politik sowohl in der Rede des sowjetischen Generalsekretärs, die er am 6. Oktober 1979 in Berlin gehalten hat, wie in dem gemeinsamen Kommuniqué, das wir in Bonn abgegeben haben, und auch in dem Kommuniqué der Außenminister des War- schauer Pakts unterstrichen worden ist.
Die notwendige Modernisierungsentscheidung des Westens ist die Konsequenz aus — ich wiederhole es — den Vorrüstungsentscheidungen des Ostens. Der Westen hat die Erfahrung machen müssen, daß ein einseitiger Verzicht auf westlicher Seite, so z. B. der Verzicht der Vereinigten Staaten auf den Bau des Bombers B i, aber auch die Zurückstellung der Entscheidung über die Neutronenwaffe, ohne Gegenleistungen geblieben ist. Unsere Verbindung der Doppelentscheidung ist die Möglichkeit, die Rüstungsspirale anzuhalten und ihre Bewegung in das Gegenteil zu bewirken. Die Sowjetunion würde uns die Verhandlungen, die wir wollen und die bevorstehen, erleichtern, wenn sie sich bereiterklären könnte, schon jetzt den weiteren Aufwuchs ihrer Mittelstreckenraketen zu stoppen, nicht neue Mittelstreckenraketen zu stationieren, nicht neue zu produzieren. Das würde die Verhandlungen über diese komplexe Frage erheblich erleichtern und damit kürzere Verhandlungen möglich machen.
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Bundesminister Genscher
Wir bieten den Partnern im Sicherheitsdialog, also den Partnern im Osten, als westliche Staaten ein zusätzliches Maß an Sicherheit, weil wir alle, auch Rüstungsentscheidungen in unseren transparenten Gesellschaften und Staaten öffentlich diskutieren, weil wir unsere Politik durch die öffentliche Diskussion berechenbar machen, und zwar nicht nur für uns selbst, nicht nur für unsere Bürger, sondern für alle, die es angeht, vor allen Dingen für diejenigen, die uns auf der anderen Seite, ebenfalls in einem Pakt zusammengeschlossen, gegenüberstehen.
Wir sind der Überzeugung, daß die Entscheidung, die in dieser Woche in Brüssel zu fällen ist, eine Entscheidung darstellt, deren Bedeutung über die militärische Komponente der Nachrüstung und Vorschläge zur Abrüstung weit hinausgeht. Diese Entscheidung wird Auskunft darüber geben — und das ist ihre politische Bedeutung —, ob die westlichen Demokratien, die im westlichen Verteidigungsbündnis zusammengeschlossen sind, in der Lage sind, als notwendig erkannte, für richtig gehaltene Entscheidungen auch wirklich zu treffen und politisch durchzusetzen.
Die Bundesregierung ist entschlossen, um der Solidarität des Bündnisses willen ihre Verantwortung bei dieser Entscheidung zu tragen, um damit den Weg für konstruktive Abrüstungsverhandlungen freizumachen, die wir anbieten werden. Allein die Entscheidung über Nachrüstung, die ja erst in frühestens drei bis vier Jahren zur ersten Stationierung amerikanischer Mittelstreckenwaffen in Westeuropa führen wird, allein schon diese politische Entscheidung wird mit dem Angebot und der Absicht der Vereinigten Staaten verbunden werden, 1000 Sprengköpfe aus Europa zurückzuziehen. Das macht deutlich, daß wir nicht etwa ein atomares Superlager in Westeuropa haben wollen, sondern daß wir uns auch in diesem Bereich der Verteidigung an dem orientieren wollen, was zu unserer Sicherheit unbedingt notwendig ist. Der Bundeskanzler hat mit Recht gesagt, daß das Ausmaß der Nachrüstungsentscheidung und das Ausmaß der Nachrüstung tatsächlich sich an dem orientieren kann, was bei konkreten Abrüstungsverhandlungen an konkreten Ergebnissen erzielt wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird jetzt darauf ankommen, daß wir die Möglichkeiten des Abrüstungsdialogs deutlich sehen. Die Vereinigten Staaten von Amerika werden im SALT-IIIRahmen mit der Sowjetunion über die Mittelstrekkenwaffen verhandeln. Wir werden bei allen NATO-Ratstagungen eine Bewertung der Verhandlungsergebnisse vorzunehmen haben. Eine begleitende Arbeitsgruppe wird sicherstellen, daß die Interessen der Europäer dabei nicht zu kurz kommen.
Wir werden darüber hinaus dafür sorgen, daß die Vertrauensbildung in Europa gestärkt werden kann. Die Bundesregierung war es, die bei den Verhandlungen vor der Helsinki-Konferenz Wert darauf gelegt hat und schließlich durchgesetzt hat, daß vertrauensbildende Maßnahmen Bestandteil des
Schlußdokuments von Helsinki geworden sind. Das war notwendig, weil wir wissen, daß erste Voraussetzung von Sicherheit der Abbau von Mißtrauen ist und daß Maßnahmen zur Vertrauensbildung eine gute Voraussetzung für tatsächliche Abrüstungsentscheidungen sein können.
Wir waren damals recht allein und mußten lange um Unterstützung ringen. Ich denke, daß es auch an dieser Stelle gut wäre, wenn die Kollegen der Opposition, die heute zu Recht unser Bemühen um die Vereinbarung vertrauensbildender Maßnahmen unterstützen, sagten, daß sie nicht nur, weil das Schlußdokument von Helsinki unterzeichnet wurde, zu diesem Schlußdokument stehen, also nicht nur unter dem Gesichtspunkt „pacta sunt servanda , sondern weil es auch richtig war, dieses Schlußdokument zu unterzeichnen. Gäbe es das nicht, würden wir heute nicht über weitere vertrauensbildende Maßnahmen verhandeln können.
Meine Damen und Herren, wir sehen es als ein positives Zeichen an, daß die sowjetische Regierung ebenfalls vertrauensbildende Maßnahmen zum Verhandlungsgegenstand machen will.
Die Bundesregierung unterstützt mit großem Nachdruck die Vorschläge der französischen Regierung für eine europäische Abrüstungskonferenz, weil diese europäische Abrüstungskonferenz in ihrer ersten Phase die Vereinbarung vertrauensbildender Maßnahmen zum Hauptgegenstand machen will. Diese Vorschläge der französischen Regierung beheben einen zugegebenermaßen vorhandenen Mangel des Schlußdokuments von Helsinki. Bekanntlich erstrecken sich dort bestimmte vertrauensbildende Maßnahmen nur auf einen Streifen 250 km östlich der sowjetischen Westgrenze. Der Vorschlag der französischen Regierung will aber das Gebiet für alle vertrauensbildenden Maßnahmen vom Atlantik bis zum Ural erstrecken. Das heißt durch ein Geflecht vertrauensbildender Maßnahmen soll auf dieser großen Kontinentalmasse ein Maß an Vertrauen und Sicherheit vor Überraschungsangriffen, vor Angriffen aus dem Stand geschaffen werden, das es den Beteiligten leichter möglich machen sollte, zu Reduzierungen, z. B. auch im Rahmen der MBFR-Verhandlungen in Wien, zu kommen.
Diese Verhandlungen in Wien wiederum wollen wir durch einen deutschen Vorschlag fördern, bei dem ich davon ausgehe, daß er morgen oder übermorgen beschlossen werden wird. Es handelt sich um den Vorschlag, durch ein Interimsabkommen zunächst eine Reduzierung der amerikanischen und sowjetischen Streitkräfte in Mitteleuropa vorzusehen — eine ungleichgewichtige, um damit dem Ziel gleicher Stärken näher zukommen, allerdings unter der Voraussetzung der Daten-Einigung.
Es geht also bei der Entscheidung, vor der das Bündnis steht, um die Frage, ob die westlichen Mitgliedstaaten in der Lage sein werden, die für notwendig erkannten rüstungspolitischen und abrüstungspolitischen Entscheidungen in ihren Staaten durchzusetzen und gemeinsam im Bündnis zu ver-
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Bundesminister Genscher
wirklichen. Das ist eine Bewährungsprobe auch der Solidarität zwischen den europäischen Partnern und den Vereinigten Staaten von Amerika.
Alle diejenigen, die sich im Schirm amerikanischer Interkontinentalraketen sicher fühlen, aber der Meinung sind, Westeuropa müsse sich hier heraushalten, sollten erkennen: Man kann Sicherheit nicht kaufen, man kann sich Sicherheit nicht schenken lassen; man muß vielmehr bereit sein, selbst dafür einzustehen, wenn man dauerhaft Sicherheit haben will.
Ich denke, daß wir dies unseren amerikanischen Partnern schuldig sind und daß die Bundesrepublik Deutschland, der auf Grund ihrer geographischen Lage und auch auf Grund ihrer wirtschaftlichen und politischen Stabilität und ihres Gewichtes im Bündnis von West und Ost eine wichtige Rolle bei der militärischen Verteidigung eingeräumt wird, diese wichtige Rolle gleichzeitig auch mit ihren Bemühungen um eine konstruktive, breit angelegte Abrüstungspolitik erfüllt. Das heißt Unterstützung der Verhandlungen über Mittelstreckenwaffen mit dem Ziel, Sicherheit auf einem möglichst niedrigen Niveau der Rüstung zu gewährleisten.
Das bedeutet aktives Betreiben der Verhandlungen über vertrauensbildende Maßnahmen in Vorbereitung der Konferenz von Madrid. Hier werden wir alle Begegnungen mit Vertretern osteuropäischer Staaten nutzen, um den Boden für ein gutes Ergebnis in Madrid vorzubereiten: den Besuch des polnischen Außenministers in der nächsten Woche hier, meinen Besuch in Prag, den Besuch des ungarischen Außenministers, die Gespräche des Bundeskanzlers mit der sowjetischen Führungsspitze, die Begegnung des Bundeskanzlers mit Herrn Honekker. Wir dürfen niemanden bei dem Meinungsaustausch zur Vorbereitung der Verhandlungen, die wir im Rahmen des Bündnisses führen, aussparen.
Ich denke, daß man hier die Bedenken gegen Diskussionen über diese Frage auch mit der DDR zurückstellen sollte angesichts der Notwendigkeit, daß wir keinen Gesprächspartner im Osten aus seiner Verpflichtung entlassen, mit uns über die notwendigen Abrüstungsmaßnahmen zu diskutieren.
Ich habe eingangs über die Lasten der Rüstung auf den Schultern der europäischen Staaten gesprochen. Der hohe Anteil am Bruttosozialprodukt in den Staaten Osteuropas ist einer der Gründe für die schwerwiegenden wirtschaftlichen Lasten, die auf diesen Ländern liegen, und für die schwerwiegenden Probleme. Es liegt also sowohl im Interesse des Friedens wie auch im Interesse einer Erleichterung der wirtschaftlichen Lage in den Staaten des Warschauer Pakts wie im Interesse der Förderung der Fähigkeiten der Staaten des Warschauer Pakts, der Dritten Welt zu helfen, wenn sie auch bereit sind, in einem konstruktiven Abrüstungsdialog mit uns dafür zu sorgen, daß wir zu einem Gleichgewicht auf einem niedrigeren Niveau der Rüstungen in Europa kommen. Wir, die Bundesrepublik Deutschland, und unsere Verbündeten sind dazu bereit.
Dieses Gleichgewicht wird unsere Sicherheit hier in Europa garantieren. Es wird aber, wenn es auf dem niedrigeren Niveau erzielt werden kann, auch unsere eigene Fähigkeit erhöhen, den Staaten der Dritten Welt zu helfen, ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Nur eine gesunde wirtschaftliche und soziale Entwicklung in diesen Ländern wird ihren Willen zur Unabhängigkeit stärken und wird Instabilitäten überwinden, die sie gegenüber Versuchen, sie unter Vorherrschaft anderer zu bringen, anfällig macht. Wir stellen einem Konzept der Vorherrschaft das klare Ziel der partnerschaftlichen, gleichberechtigten Zusammenarbeit von Industriestaaten und Staaten der Dritten Welt gegenüber. So haben wir uns für eine Sicherheitspolitik entschieden, die Gleichgewicht verlangt.
Wir sind entschlossen, unsere Sicherheit durch die notwendigen Verteidigungsanstrengungen zu wahren. Wir sind aber ebenso entschlossen, alles zu tun, damit diese Verteidigungsanstrengungen so gering wie möglich sein können: durch Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie durch vertrauensbildende Maßnahmen. Wir sind entschlossen, auch weltpolitisch unsere Verpflichtungen zu erfüllen, nicht indem wir anderen aufdrängen wollen, wie sie zu leben haben, wie sie ihren Staat, ihre Gesellschaft zu organisieren haben, sondern indem wir ihnen die Möglichkeit geben, ihre Selbstbestimmung auf ihre Weise zu verwirklichen, durch gleichberechtigte Zusammenarbeit, durch Hilfe bei ihrer Entwicklung.
Wir bringen in dieser Politik den Vereinten Nationen ein hohes Maß an Verantwortung, Aufgaben und Vertrauen entgegen. Wir gehören nicht zu denjenigen, die sich in einem modischen Skeptizismus und einer modischen Kritik an den Vereinten Nationen erschöpfen. Die Vereinten Nationen sind zunehmend zu einem Forum der politischen Auseinandersetzung über Fragen geworden, die man früher militärisch zu lösen versuchte. Daß sie noch nicht alle Probleme haben lösen können, liegt wahrlich nicht an den Vereinten Nationen, sondern an mangelnder Einsicht vieler Beteiligter. Das gilt auch für die Ignorierung von Entscheidungen des Sicherheitsrates zur Lage im Iran.
Wir haben auf der anderen Seite positive Entwicklungen zu verzeichnen. Wir müssen dankbar anerkennen, daß wir eine weltweite Unterstützung für unsere Initiative gegen die Geiselnahme gewonnen haben. Ich möchte hier ausdrücklich anerkennen, daß sich Staaten, wie der Irak, Jordanien und Libyen, in den letzten Tagen und Wochen mit großem Nachdruck für unsere Initiative eingesetzt haben.
Wir wünschen, daß sich diese Einsicht bei allen Nationen durchsetzen möge und daß das Plenum dieser Initiative zustimmt, damit sich in dieser Welt der Respekt vor dem Völkerrecht und vor der Men-
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Bundesminister Genscher
schenwürde durchsetzt, den wir bei der Behandlung der Geiseln in der amerikanischen Botschaft in Teheran vermissen müssen.
Was dort geschieht, ist ein offener Bruch des Völkerrechts
und eine flagrante Verletzung aller Gesetze der Menschlichkeit. Wir bestreiten dem iranischen Volk nicht, ohne Einfluß von außen in eigener Zuständigkeit und Verantwortung sein künftiges Schicksal zu entscheiden; aber wir fordern mit Nachdruck, daß nicht Menschen eines anderen Landes in diesem Prozeß der Auseinandersetzung zu willkürlichen Opfern gemacht werden.
Ich denke, daß wir uns in diesem Haus auch alle darüber einig sind, daß die Bundesregierung heute dem amerikanischen Außenminister, wenn er zu uns kommt, sagen kann: Die Vereinigten Staaten, die amerikanische Nation, die Menschen, die dort um ihr Leben bangen, können auf die Bundesrepublik Deutschland, sie können auf die Deutschen rechnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Barzel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir verstehen sehr gut, daß sich der Herr Kollege Genscher wegen seiner Verpflichtungen heute, morgen und übermorgen in Brüssel jetzt in die Debatte eingeschaltet hat. Ich nehme an, er wird verstehen, daß wir heute nicht das Bedürfnis haben, auf das Thema, das er in Brüssel verhandelt, jetzt öffentlich einzugehen. Was die Opposition vor Ihrer Reise, die sie mit guten Wünschen begleitet, öffentlich und intern zu sagen hatte, ist bekannt. Ich nehme an, daß die amtliche deutsche Politik dies als hilfreich einstuft. Ich würde es sehr begrüßen, wenn sich das auch bis zum Herrn Kollegen Wehner herumsprechen würde, damit er endlich merkt, daß hier eine konstruktive Opposition tätig ist.
Im übrigen sprechen wir am Freitag, wenn Sie zurückkehren.
Ich möchte mich nun gern dem Haushalt des Bundeskanzlers zuwenden und mit einer Frage an ihn beginnen. Ich will nicht rügen, daß er im Augenblick nicht hier ist; er wird schon kommen, und er wird es ja hören. In Bonn ist eine Menge zu tun, und er wird es schon hören, keine Sorge.
Ich möchte beginnen mit einer Frage, die zugleich eine persönliche Bemerkung ist. Die Frage: Wie fühlt sich ein Bundeskanzler, der den Eid auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung unseres Grundgesetzes geleistet hat, der sich als Sozialdemokrat für diesen Staat ein Leben lang abgerackert hat, der, wie ich weiß, mit uns glaubt, dies sei der beste, der menschenwürdigste, der sozialste und freieste Staat unserer Geschichte, wie fühlt sich der, und wie fühlen sich seine Minister, wenn seine Genossen auf dem Parteitag zu Berlin nach Worten, die ich jetzt zitieren werde, in frenetisch-befreienden Jubel ausbrechen? Hier die Worte, gesprochen auf dem SPD-Parteitag, quittiert mit dem größten Jubel des Parteitags:
In einem Augenblick, da die Grundrechte des einzelnen in diesem Land gefährdet sind wie niemals zuvor seit der Befreiung von nationalsozialistischer Herrschaft, gefährdet durch die Folgen offener und geheimer Zensur und durch bürokratische Einschüchterung: ein „Kursbuch" im Gepäck an der Grenze, ein Amnesty-International-Plakat im Spind, ein Marx-Zitat in der Klausur, ein aufmüpfiges Gedicht im Lesebuch, einerlei ob von Grass oder von Goethe, eine Annonce zugunsten eines entlassenen Kollegen in der örtlichen Zeitung: wie leicht verstößt heute einer gegen jene
— und jetzt kommt das Hämische —
FDGO, die für einen Großteil der kritischen Generation längst zu einer Panzerfaust des Staates geworden ist ...
So sprach Professor Jens unter dem lebhaftesten Beifall der Genossen.
Ob wohl, verehrte Kolleginnen und Kollegen, einer von den dort Wortberauschten daran gedacht hat, diese unsere Ordnung, diese Sozialdemokratie, diesen Kanzler gegen diese Schmähung unseres Staates und seiner Beamten und Institutionen in Schutz zu nehmen?
Ob wohl einer den Mut hat, den Herrn Rhetorikprofessor zu fragen, ob es unter seinem wissenschaftlichen Rang ist, hier Roß und Reiter zu nennen? Denn die Vorwürfe sind ungeheuerlich.
Oder sprach er nur so daher, weil es ihm gerade so paßte, als l'art pour l'art sozusagen?
Ich möchte sagen: Wir machen uns ausdrücklich diesen Vorwurf nicht zu eigen. Ich sage, Herr Bundeskanzler: der Mann im Mond ist ein Zeitzeuge, verglichen mit diesem selbsternannten Mini-Danton, der irgendwo in einem selbsternannten Getto lebt, und diese Kapsel wird ja wohl bald zu röteren Horizonten ins Ungewisse abheben, meine Damen, meine Herren.
— Kollege Ehmke, kommen Sie her, sagen Sie, was Sie davon denken,
sonst treten Sie ab, denn aus diesem Geist sollte die Mehrheit, die Deutschland regiert, nicht bestimmt sein.
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Dr. Barzel
Meine Damen und Herren, die Wählerinnen und Wähler, die uns hierher entsandt haben, erwarten — das schließt an einen anderen Punkt vom Kollegen Genscher an, und ich hoffe, daß der Bundeskanzler darauf zurückkommt —, daß wir — —
— Natürlich, ich habe doch gesagt, er kommt schon.
— Für Sie nicht, Herr Conradi? Sie machen sich also das zu eigen, was Herr Jens gesagt hat? Sie selbst verantworten, Herr Kollege Conradi, als nur Ihrem Gewissen verantwortlicher Abgeordneter, daß hier die Grundrechte verletzt werden? Daß es hier Zensur gibt? Und die bürokratische Einstellung? — Das verantworten Sie dann selbst!
Meine Damen, meine Herren, ich hoffe, daß wir etwas zu den weltpolitischen Erschütterungen hören werden, die unser Volk, die uns alle erschüttern. Da stellen sich natürlich an uns alle Fragen; aber zuerst an die Bundesregierung, die über die Informationen wie über die Instrumente zum Handeln verfügt. Ich will deshalb einige Fragen stellen. Es wäre ja wohl blamabel, wenn sie im Laufe dieser langen Debatte nicht beantwortet würden.
Erstens. Welche Vorkehrungen treffen EG und NATO, der Westen und Japan insgesamt, um uns vor künftiger Erpressung durch Staaten zu sichern? Wir wissen, daß ein Teil der Antwort hierauf nicht wird hier gegeben werden können, aber den allgemeinen und öffentlich möglichen Teil wollen wir, Herr Bundeskanzler, doch schon gerne hier hören; den sollte nicht nur der amerikanische Außenminister hinter verschlossenen Türen hören.
Ich gehöre nicht zu denen, die glauben, das, was heute Teheran und Öl und Washington betrifft, sei auf andere Themen nicht übertragbar. Das kann morgen andere Orte, andere Themen, andere Länder betreffen. Wenn der Westen mit der Schläue, jeder solle sein Schäfchen ins Trockene bringen, arbeiten wollte, würden bald wir alle, jeder für sich, in steigender Flut ertrinken.
Ich glaube nicht, daß Ayatollah Khomeini all das, was er in die Auseinandersetzung gebracht hat, gewagt hätte, wenn es eine Politik und ein Instrumentarium westlicher Solidarität gäbe.
Wir haben in den Ost-West-Fragen aus Erfahrung eine Politik und ein Instrumentarium der Solidarität gelernt. Dieses Instrumentarium reicht von politischen und diplomatischen Schritten über rechtliche Maßnahmen bis hin zu ökonomischen und militärischen Konsequenzen. Dies alles wird so direkt nicht zu übertragen sein. Wenn es etwa um Fragen des Handels geht, haben wir Deutschen dazu, was geht und was nicht geht, etwas beizutragen; wir haben das in den 60er und in den 50er Jahren doch erfahren. Nur ist eines, verehrte Damen und Herren, sicher: Das Zwergenhafte allein nationaler Politik ist hier auch dem einfältigsten Geist unübersehbar.
Die Notwendigkeit der Stunde ist Solidarität. Mir war nicht wohl, als ich im Fernsehen sehen mußte, wie dieselben Männer, die vor der amerikanischen Botschaft in Teheran das tun, was jeder weiß, und dann, auch von ihren Geistlichen geleitet, mit freundlichen Gesichtern Blumen zu anderen westlichen Botschaften brachten. Da war mir nicht wohl, und ich hoffe, es wird in diesen Tagen ganz deutlich: Ohne Solidarität wird dies nicht gehen. Ich hoffe, wir hören etwas dazu.
Das zweite — und das schließt an die letzte Debatte über den Haushalt des Kanzlers an —: Ende Januar habe ich hier für meine Freunde darauf hinweisen dürfen, daß wir glauben, ein Stück der westlichen Politik sei zu oberflächlich und zu materialistisch, und zwar insofern, als wir unsere säkularisierten Erfahrungen auf Länder übertragen, in denen das Geistige, das Geistliche und die entsprechenden eigenen Wertvorstellungen, Erfahrungen und Traditionen eine große Rolle spielen. Wir haben auf den Erfolg hingewiesen, den wir in Deutschland mit dem Gespräch der Konfessionen miteinander hatten. Dieses Gespräch hat nichts abgeschliffen, aber wir wissen nun, was wir aneinander haben. Wir haben auf das Gespräch zwischen Christen und Juden hingewiesen, wir haben angeregt, das zu einem Gespräch zwischen Christen, Juden und dem Islam zu erweitern, und haben gesagt, die Politik möge daran bitte Anteil nehmen.
Diese sicher wichtige Anregung ist — ich sage das zu meiner Freude — auf Ihrer Seite positiv aufgenommen worden. Es gab ein Seminar, und es gibt dazu alle möglichen Planungen, die wir kennen. Nur, Herr Außenminister, nachdem Sie das dankenswerterweise in die Hand genommen haben — notwendig wären ein bißchen mehr Tempo und ein bißchen mehr Elan in diesen Fragen; nicht die Vertröstung auf die Gründung eines Zentrums übermorgen, sondern die Schaffung von Möglichkeiten, wie wir sie im Januar vorgetragen haben, morgen wäre das Wichtige.
Meine Damen und Herren, wir müssen eben einfach erkennen, daß man oft mit vollen Taschen zugleich leere Hände hat, weil der Mensch nicht vom Brot allein lebt. Die Dimension „Geist" in die Politik einzuführen, war der Sinn dieser Initiative christlicher Demokraten. Ich meine, es stünde dem ganzen Hause gut an, dies zu unterstützen.
Das dritte: Ausgerechnet in dieser weltpolitischen Lage leistete sich Europa — es tut mir leid, dies sagen zu müssen — den Luxus der Ratstagung von Dublin. Wäre es nicht an der Zeit — aber das wollen Sie ja nicht, Sie wollen da ja nicht ,,Schrittmacher" werden, Herr Bundeskanzler, obwohl das, wie wir jetzt an der Frage, die morgen in Brüssel behandelt wird, sehen, unser eigenes Interesse wäre —, hier in Europa zu neuen Wirklichkeiten, zu einer anderen Dimenion vorzustoßen? Natürlich wissen wir alle — und wir haben dies doch damals, als es um die Senkung des Getreidepreises ging, getragen —, daß
Dr. Barzel
für Frankreich der gemeinsame Agrarmarkt die Geschäftsgrundlage ist. Aber selbst dann, wenn wir sa- gen, dies muß so bleiben, und dies soll so bleiben, weil wir verläßliche Leute sind, muß doch unter Politikern, die in einem Boot sitzen, die Frage erlaubt sein: Schön, kann man das nicht auch billiger und effektvoller machen?
Ebenso darf dann, wenn für die Briten offenbar bestimmte Dinge — Importe aus Ländern außerhalb der Gemeinschaft. — wichtig sind, dadurch doch nicht die Frage verboten werden: Kann man hier nicht gemeinsam etwas Besseres finden? Ich meine, wir Deutschen sollten in diesem Zusammenhang auch einiges einsehen: nämlich daß es für uns in der EG doch von wachsendem Vorteil ist, dort gleichberechtigt mit zwei Mächten zu arbeiten, die ständige Mitglieder des Weltsicherheitsrates sind und zugleich über die modernsten Waffen verfügen.
Ich glaube, diese drei Punkte gehören in eine Perspektive für die 80er Jahre, denn es geht ja nicht nur um Geld, es geht um die Politik für die 80er Jahre, die dann in Geld ihren Ausdruck findet. Das ist doch die Lage in Europa.
Und das vierte: Die innerdeutschen Fortschritte sind gering, sind sehr teuer — wie ich glaube, zu teuer. Noch schlimmer ist: Sie stellen nicht Normalität her, sondern betonen mehr und mehr das ganz und gar Unnormale, wie gerade das jüngste Abkommen über die Pauschalierung der Straßengebühr zeigt. Oder hält jemand hier Straßenzoll in Deutschland für normal?
Von einem relativ freizügigen Austausch zwischen Polen und Schweden kann man lesen; auch von den Problemen, die das schafft. Auch zwischen der DDR und Polen wie zwischen der DDR und der Tschechoslowakei gibt es, wie zu hören ist, einen visafreien Nachbarschaftsverkehr. Das ist heute normal. Und ich frage: warum gibt es das nicht zwischen beiden Staaten in Deutschland, also von Dresden nach Köln? — Wenn Sie da lachen, verehrter Herr Kollege, möchte ich Sie doch herzlich einladen, einmal zu prüfen, ob die Regierung, die Sie tragen, diese fundamentale Frage des frei von Dresden nach Köln sowie von Dresden nach Warschau und Prag Reisens einmal konkret und nachdrücklich vorgetragen hat. Wenn ja, mit welcher Antwort — das wird das ganze Haus und die Offentlichkeit interessieren —, wenn nein, würde das gegen Sie selber sprechen!
Ich erinnere daran, gerade den künftigen Kandidaten von Bonn — ich weiß nicht, ob er schon aufgestellt ist —, Herrn Kollegen Ehmke, der immer so sagt, es sei früher gar nichts gewesen, daß es schon vor den Ostverträgen — der Bundeskanzler weiß das sehr gut, wie seine Einlassung neulich zeigt — quantitativ und qualitativ bemerkenswerte innerdeutsche Begegnungen gab. Wenn Sie sich die Zahlenreihen einmal ansehen, finden Sie mehr als eine Million Reisen in die DDR und Besuchsreisen in derselben Größenordnung aus der DDR. Das war in den 60er Jahren. 1955 und 1956 kamen mehr als 2 Millionen Besucher aus der DDR hierher, und davon waren viele Tausende Künstler, Wissenschaftler,
Ärzte, z. B. bei gesamtdeutschen Veranstaltungen, die der Bund damals gefördert hat.
Herr Bundeskanzler, ich erinnere an dies beides, an den Nachbarschaftsverkehr aus der DDR, etwa in die Tschechoslowakei und nach Polen, und an die höheren Zahlen von früher, weil Sie sich ja entschlossen haben, erneut zu Herrn Honecker zu fahren. Ich meine, diese Erfahrungen gehören in Ihr Reisegepäck. Denn diese Reise hat doch nur dann einen guten Sinn, wenn sie hilft zur Normalität. Normalität aber ist nicht, daß Sie beide auf dem Fernsehschirm sind, sondern die Normalität ist, daß die Menschen in Deutschland, daß Deutsche in Deutschland normal miteinander umgehen können,.
sich treffen können usw. Es kann doch nicht der Sinn dieser Politik sein, das Unnormale zu zementieren und obendrein noch zu teuer zu bezahlen. Ich habe Ihnen im Januar doch die verschenkte Milliarde vorgerechnet.
Wenn es darum geht, die neueste Abmachung zu erörtern, werden wir Ihnen vorrechnen, welche Beträge da wieder drinstecken, von denen wir glauben, daß sie überflüssigerweise, bezahlt werden.
— Herr Kollege Wehner, warum wollen Sie dem, was jetzt kommt, nicht zustimmen? Sie kennen unsere Konzeption und unsere Vorliebe auf dem Gebiet für Stufenpläne, die wir brauchen, damit man Leistung und Gegenleistung abfragen kann; Stufe zwei tritt in Kraft, wenn Stufe eins erfüllt ist.
Warum, verehrter Herr Bundeskanzler, nehmen Sie in ihrem Reisegepäck nicht etwa einen Zehnjahresplan mit Stufen mit, nach dem innerhalb von jeweils zwei Jahren weitere Jahrgänge von drüben nach hier kommen können?
Das wäre etwas ganz Konkretes, Nachprüfbares. Sie haben ja immer gern konkrete Hinweise von uns.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Möllemann?
Mit großem Vergnügen, Herr Kollege.
Herr Kollege Dr. Barzel, darf ich aus Ihren Ausführungen entnehmen, daß Sie sich von den kritischen Bemerkungen Ihrer Kollegen gegenüber der Ankündigung dieser Begegnung distanzieren, daß Sie also im Gegensatz zu Ihren Kollegen dieses Treffen grundsätzlich für positiv halten?
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Verehrter Herr Kollege Möllemann, jetzt versuchen Sie wieder im Trüben zu fischen, wo gar nichts ist.
Der Kollege Strauß hat, damit dies ganz klar ist — aber ich danke, daß ich das klarstellen darf; vielleicht gelingt es jetzt, auch Sie davon zu überzeugen —, von vornherein gesagt: Solche Begegnungen müssen sein, wenn sie etwas bringen. Unser Parteivorsitzender Kohl hat das gestern in Berlin mit Zustimmung des Bundesparteiausschusses der Union ebenfalls erklärt. So steht es, wenn Sie hören mögen, Herr Möllemann, z. B. in unserem Parteiprogramm: Wir sind für Gespräche, wir sind für Abreden auch mit der DDR, wenn es — das sollten Sie allerdings nicht übersehen — den Menschen
und dem Zusammenhalt der Nation dient. Das ist doch das Entscheidende.
Meine Damen und Herren, ich würde dem Bundeskanzler gern noch mitgeben, auch hinsichtlich der Ausweitung des Sportverkehrs auf örtlicher Ebene und hinsichtlich des vermehrten Jugendaustausches etwas durchzusetzen. Auch ein bißchen Bescheidenheit möchte ich Ihnen mitgeben; denn, verehrter Herr Bundeskanzler, Sie verhandeln das ja nicht alles selber, was da so gelobt wird. Aber da ist auch nichts, was dem Verhandlungsgenie Ihrer Unterhändler etwa anzulasten oder an ihm zu rühmen wäre. Das, was hier gewirkt hat, ist vielmehr die Kraft der Deutschen Mark, die unsere Steuerzahler zahlen. Mit diesem wesentlichen Argument sollten Sie in den innerdeutschen Beziehungen behutsamer und sparsamer umgehen, verehrte Damen und Herren.
Ich meine auch, daß Sie an zwei politischen Fragen — ich will die vielen Unstimmigkeiten, z. B. bei der Post usw., Vertragsbrüche sind dabei, hier nicht aufführen; das kommt später an anderer Stelle — nicht vorbeigehen können. Ich möchte doch gern der Hoffnung Ausdruck geben, daß Sie ohne eine wirklich dingfeste Zusage für die Arbeitsmöglichkeiten unserer Journalisten drüben weder hinnoch zurückreisen. Verehrte Damen und Herren, was soll denn die Nachbarschaft für eine Perspektive haben, wenn man die Nachbarn noch nicht einmal fragen darf und sie weder auf dem Fernsehschirm noch sonstwo ihre Meinung sagen dürfen? Da müßten Sie wirklich mit einer dingfesten Zusage kommen, die unsere Journalisten drüben von den Launen und den Schönwetter- oder Schlechtwettereinbrüchen in der Führung der SED unabhängig macht.
Das letzte hierzu: Herr Bundeskanzler, in Ihr Gepäck gehört, glaube ich — das ist unerläßlich —, die Beleidigung des deutschen Namens zu Sprache zu bringen, die die DDR durch ihre auswärtige Militärpolitik begeht. Die „Waffenbrüderschaft", deren sie sich rühmt, mit afrikanischen Staaten ist schlechterdings unerträglich; sie ist völlig unakzeptabel. Wenn das, was der Bundesaußenminister über Afrika hier heute gesagt hat, in einer Debatte hier wird gewogen werden können, dann wird der Beitrag der DDR zur Unruhe — und ich füge hinzu: auch zum Blutvergießen — auf diesem Kontinent nicht verschwiegen werden können. Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt: Von deutschem Boden dürfen nie mehr Gewalt und Krieg ausgehen. In dieser Frage aber geht von deutschem Boden Gewalt aus. Das muß ein deutscher Bundeskanzler rügen. Ich hoffe, daß Sie dies da drüben dann auch tun werden, meine Damen und Herren.
Ein weiteres steht in diesem Zusammenhang — es richtet sich nicht an den Koalitionspartner der SPD, die FDP, sondern es richtet sich an die Kollegen auf dieser Seite —: In Ihrem Parteitagsabschluß zur Außen-, Friedens- und Sicherheitspolitik verweisen Sie auf die Präambel des Grundgesetzes. Ich frage Sie, verehrte Kollegen: Warum zitieren Sie unvollständig, indem Sie es unterlassen, an dieser Stelle korrekt auch auf die in der Grundgesetz-Präambel als erste genannte Verfassungspflicht hinzuweisen, nämlich „die nationale und staatliche Einheit Deutschlands zu wahren"? Warum fehlt das? Warum fehlt bei der Aufzählung der Fundamente der Deutschlandpolitik, die Sie beschreiben, jeder Hinweis auf die gültigen Westverträge? Warum setzen Sie — entgegen dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts — die innerdeutsche Trennungslinie mit allen anderen Grenzen gleich? Warum fordern Sie in Ihrem Beschluß zur Weltpolitik u. a. den Kampf gegen die Ursachen von Gewalt, die Unterstützung des Selbstbestimmungsrechts, die Eindämmung willkürlicher Macht, den Aufbau sozialer Demokratien überall in der Welt, verschweigen aber eben diese Prinzipien, wenn es in Ihren Papieren und Beschlüssen um Deutschland geht?
Die Spaltung Deutschlands tun Sie ab, Herr Kollege Mattick, und ich gucke Sie einmal an.
— Das sind doch alles Zitate aus Ihren Papieren! Kommen Sie her, und sagen Sie eine andere Meinung! — Die Spaltung Deutschlands ist nach Ihrem Papier ein „Ergebnis des Zweiten Weltkriegs". Die Fortdauer der Spaltung Deutschlands ist doch ein Akt des Unrechts, eine fortwirkende Gewalt und eine gefährliche Spannungsursache. Und nur in Moskau sagt man doch eigentlich, sie sei eine unwiderrufliche Folge des Zweiten Weltkriegs. So können Sie das doch nicht alles stehenlassen. Sonst müssen wir ja annehmen, daß sich in der Tat Ihre Wert- und Zielvorstellungen im Galopp von der gemeinsamen Basis entfernen.
Ich sage Ihnen noch einmal: Friedenspolitik ohne die Substanz der Menschenrechte hält eben nicht. Wir wären doch nicht in dieser vertrackten Lage —
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auch mit westlichen Nachbarn — bei dieser Diskussion, die jetzt hier ansteht und von der Herr Genscher vorhin gesprochen hat, wenn die Friedens- und Entspannungspolitik, wie Sie sie begreifen, unsere Alternative eingerechnet hätte, die wir, Herr Kollege Wehner, am 29. Oktober 1969 dargelegt haben. Sie sprachen vorhin von einer anderen ersten Oppositionsrede. Dies war die erste Oppositionsrede von uns. Da steht unsere Alternative. Ich will - Sie noch einmal mit wenigen Sätzen in Erinnerung rufen.
Auf der Basis der Menschenrechte — so vor zehn Jahren! — auch für alle Deutschen, um deren Anerkennung wir kämpfen, läßt sich über alles reden. Bei Freizügigkeit, bei europäischem Volksgruppenrecht, bei Abbau aller Diskriminierungen nach Herkunft, Stand, Religion und Meinung überall in Europa erscheinen Grenzfragen in einem anderen Licht. Die Bundesregierung wäre gut beraten, allen Ländern Europas den Entwurf einer solchen Charta der Freizügigkeit, des Volksgruppenrechts und der Nichtdiskriminierung vorzulegen.
Eine europäische Sicherheitskonferenz sollte nicht den staatlichen Status quo, sondern die Sicherheit menschenwürdigen Lebens in den Mittelpunkt stellen.
Sie haben das überhört. Das war eine Politik aus der Substanz. Und nun stehen Sie in einer Zerreißprobe zwischen Träumen und geplatzten Erwartungen nach Osten und Realitäten vom Westen.
und sie dürfen für immer weniger immer mehr zahlen. Und Sie empfinden — merken Sie das eigentlich noch — allein die Ankündigung eines Kanzlerbesuchs bei Herrn Honecker als einen Fortschritt, ohne sich um die Substanz dieser Sache zu kümmern.
— Sie schreiten fort, Herr Kollege Wehner — ins Ungewisse.
Vor kurzem noch hat der Bundeskanzler selber das gesagt, was Sie hier jetzt als unter Niveau werten. Er hat gesagt, die Reise habe nur dann einen Sinn und er werde sie nur antreten, wenn dabei etwas herauskomme.
Und er hat doch selber die Herabsetzung des Rentenalters hier als ein Beispiel genannt. Das können Sie doch nicht alles leugnen.
— Regen Sie sich doch nicht auf, Herr Kollege Wehner!
Ich erlaube Ihnen gern — ich mache das ja nun im 23. Jahr mit Ihnen —, daß Sie sich erregen, wenn ich spreche. Es ist Ihnen bisher nicht gelungen, mich aus der Ruhe zu bringen. Das soll weiterhin so bleiben.
Ich gehe über — —
— Natürlich; ja. Vielen Dank für den Zuruf. Ich gehe über zu Problemen hier im Innern. Nach zehn Jahren dieser Koalition, von der ja auch zu reden ist, weisen die Zahlen eine wachsende Zahl von Protestwählern aus. „Mehr Demokratie wagen", so war die Verheißung; mehr Entfernung vom Bürger ist die Wirklichkeit für die Koalitionswähler. Die herumstehenden Reformruinen erinnern an die großen früheren Versprechungen und zementieren heutige Enttäuschungen zu Zukunftsfrustrationen. Die anspruchsvollen Horizonte neuer Erwartungen vor zehn Jahren sind dem Grau eines eher kleinkarierten Koalitionsalltags gewichen. Das Anziehen der Zahl der Protestwähler verantworten Sie. Denn Sie versprachen mehr, als irgend jemand halten kann.
Statt zu halten, ist Ihre Reformrealität zum „Offenhalten" von „Optionen" geworden;
„entartet" würde ich sagen, wenn das Wort früher nicht so mißbraucht worden wäre.
Dabei sind Sie nicht einmal imstande, die beiden wesentlichen und wirklichen Reformen unserer Republik, die den Namen verdienen, zu halten: die Rentenreform und die Soziale Marktwirtschaft. Sie waren und sind nicht imstande, unsere Rentenformel — bruttolohnbezogen — durch eine gute Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik zu finanzieren.
Sie verantworten es, daß die Rentner die Zeche zahlen. Denn die Inflation steigt stärker an als die Erhöhung der Renten.
Die Flexibilität der Sozialen Marktwirtschaft — Ihr Herzstück — geht zunehmend unter in der Wanderdüne von Paragraphen, Behörden usw. Die Koalition beklagt es und bewirkt es zugleich. Aber sie tut nichts, das zu ändern, wie der Herr bayerische Ministerpräsident heute morgen schon vorgetragen hat. Im Gegenteil möchte der Parteivorstand der SPD — es ist sehr interessant, daß Sie das auf dem Parteitag nicht beschlossen haben — wenigstens durch zusätzliche Instrumente in der Wirtschaftspolitik, mit
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vorausschauender Planung und allen möglichen Strukturräten, die Übel durch ein zusätzliches Kontrollinstrumentarium noch vermehren, das Sie wie ein Netz über die freie Entfaltung werfen wollen.
Dabei wissen Sie doch ganz genau, Herr Bundeskanzler, daß das Gift ist. Das sind Ihre eigenen Worte. Bevor Sie Bundeskanzler wurden, gab es eine Studie. Ein Teil davon ist — wie kam das wohl? — in der „Zeit" damals, Mai 1974, veröffentlicht worden. Da sagen Sie — ich zitiere —:
Wirtschaftliche Wunder sind nicht möglich, auch nicht mit neuen „Instrumenten". Von ihnen gleichwohl zu reden erzeugt nur Unsicherheit über die Zielklarheit der regierenden Koalition. Unsicherheit ist Gift.
So der Kanzler vor seinem Start. Ich bin sicher, er hat das nicht vergessen. Aber er hält mit seiner besseren Meinung zurück, nimmt es hin, und dies wider seine Einsicht, wider seine guten Vorsätze.
Der Kanzler klagt — auch davon war die Rede —, er könne die Stromrechnung nicht lesen. Wer soll dann aber das mehr als verdoppelte Bundesgesetzblatt verarbeiten? Da ist -ein Institut in Niedersachsen. Es hat ausgerechnet, daß ein Handwerksbetrieb 187 Dienstleistungen für den Staat macht. Es hat das dann geprüft, empirisch korrekt; das liegt auf dem Tisch. Es kommt zu dem Ergebnis, daß die Kosten, die den meisten Handwerksbetrieben aus unentgeltlichen Dienstleistungen für den Staat entstehen, höher sind als der Bruttogewinn der untersuchten Betriebe. Es kommt zu dem Ergebnis, daß fast keiner der untersuchten Betriebe in der Lage war, die heutigen Steuervorschriften für diese Unternehmen zu kennen, geschweige denn zu beherrschen. Da wird doch Vernunft zu Unsinn und Wohltat Plage. Da wird der Rechtsstaat in einem Wald von Paragraphen erstickt.
Herr Bundeskanzler, Ihr Bundeswohnungsbauminister, der zu meiner Freude dort hinten sitzt, klagte unlängst öffentlich, daß sich der Wohnungsmangel in den Brennpunkten für die 80er Jahre eher verstärken werde. Welch heitere Vorausschau! „Sicher in die 80er Jahre" ...
Er klagte, daß Sozialmieten für Wohnungen trotz staatlicher Förderung mitunter höher als die Mieten der frei finanzierten Wohnungen seien. Welch hervorragender Ausweis für jede Form von Sozialismus!
Er hat geklagt, daß die Rentabilität von Neubauten in weite Ferne gerückt und damit unsicherer geworden sei. Welch hervorragender Beitrag zum Vertrauen jetzt!
Herr Bundeskanzler, das ist Ihr Minister. Was tun Sie ganz konkret, um in diesen hier genannten Fragen Abhilfe zu schaffen? Denn das gehört doch zu Ihren Pflichten.
Früher sprach man viel mehr von Bildung und Ausbildung. Jetzt wollen Sie unter den Teppich kehren, daß es Hamburg war, Ihre Mehrheit dort, die die Gemeinsamkeit der Länder durch einen vorschnellen, übereilten ideologischen Beschluß durcheinandergebracht hat.
Herr Bundeskanzler, Sie stehen doch vor der Pflicht, dem Verfassungsgebot der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse Rechnung zu tragen; dies nicht nur so, weil es in der Verfassung steht, sondern auch, weil es sonst Vollbeschäftigung und Wachstum in unserer modernen Zeit gar nicht geben kann.
Nun laufen Sie Gefahr — Sie gucken dabei zu —, daß Abiturzeugnisse aus dem einen Land beim Nachbarn nicht mehr anerkannt werden, und zwar nicht aus irgendwelchen törichten Gründen, sondern wegen des Leistungsnachweises, den doch ein Abiturzeugnis auch heute und morgen noch darbringen soll.
Herr Bundeskanzler, was tun Sie, um diese Mängel zu beseitigen?
Meine Damen, meine Herren, eine Koalition, die zu Fragen der friedlichen Nutzung der Atomkernenergie mehr Fragen als Antworten produziert, braucht sich nicht zu wundern, wenn sie plötzlich zum Patenonkel des rotgrünen Protestes wird, von Glombig zu Duve — Kommentar überflüssig. Politik duldet eben keine weißen Flecke. Man sagt manchmal, die Revolution fresse ihre Kinder. Ich füge hinzu: Die Entschlußlosigkeit frißt die Entschlußlosen, Herr Kollege Wolfram.
Aber die Zeche zahlen die Unschuldigen und der kleine Mann.
Wie soll denn der Bürger einer politischen Führung vertrauen und folgen und glauben, die gerade in dieser Frage mit der Prinzipienfestigkeit einer Wetterfahne arbeitet, die im Jahre 1973 — Herr Kollege Brandt ist leider nicht da; er war damals der Kanzler, und der Kollege Eppler ist nicht mehr unter uns; er war Mitglied der Bundesregierung — als ihre amtliche Energiepolitik — nachzulesen in der Bundestagsdrucksache 7/1057 — erklärte — und dieses Zitat muß nun hier voll in die Debatte —:
Kernenergie
— so damals die Regierung Brandt —
ist ein in hohem Maße umweltfreundlicher Energieträger,
der überdies den Vorzug hat, vom Standpunkt des Angebots von Primärenergieträgern besonders versorgungssicher zu sein. Die Elektrizitätserzeugung in Kraftwerken mit Leichtwasserreaktoren ist heute gegenüber konventionellen Kraftwerken im Grundlastbereich bereits kostengünstiger. Die Bundesregierung hält des-
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halb die optimale Nutzung der Kernenergie für die Sicherung der langfristigen Energieversorgung für notwendig und energiepolitisch für dringend erforderlich. Berücksichtigt man,
— immer noch die Regierung Brandt —
daß spätestens ab 1980 Erdgas und Braunkohle ihre Kapazitäten im Elektrizitätsbereich nicht mehr erweitern können und daß Mineralöl und Steinkohle nur für den Einsatz im Mittellastbereich in Betracht kommen, so wird deutlich, wie dringlich die Bundesrepublik auf einen schnellen Ausbau von Kernkraftkapazitäten angewiesen ist.
Die Bundesregierung ist deshalb der Auffassung, daß die Kernkraftkapazität so zügig wie möglich ausgebaut werden muß.
Sehen Sie, Herr Kollege Wehner, das wurde dann amtlich zweimal fortgeschrieben. Und dann kommen Sie her und sagen, wir dürften doch nicht Regierungserklärungen als Papier in den Papierkorb werfen. Wer hat das denn getan? Doch nicht wir, sondern Sie.
Herr Bundeskanzler, das war eine politische Führung, die in diesen Papieren amtlich erklärte, und zwar klipp und klar: Wir brauchen diese Energie, a) um den künftigen Bedarf zu decken und b) um wirtschaftlich, sozial und politisch unabhängiger zu sein. Der letztere Gesichtspunkt, derjenige der Unabhängigkeit, ist der Koalition abhanden gekommen.
Man spricht nur noch von „Restbedarf und will „Optionen" offenhalten. Von Unabhängiger-Werden ist — bei wachsender Bedrohung und Gefahr von Erpressung — nun nicht mehr die Rede. Das nenne ich Schlichtweg eine unverantwortliche Kapitulation wider die bessere Einsicht.
Wir sind hier weitgehend einig mit der Position des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Ich frage, Herr Kollege Wehner, und ich klage, Herr Kollege Wolfram — und jetzt kommt ein harter Satz —:
Sind Sie lieber abhängig von den Khomeinis heute und denen, die da morgen kommen, als vom Sachverstand und der Leistung deutscher Ingenieure, deutscher Techniker, deutscher Arbeiter und deutscher Wertarbeit?
Im Volksmund sagt man, der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Herr Kollege Wehner,
ich glaube, der Weg in Dunkelheit und Kälte aus Energie- und Stromgründen ist hier gepflastert mit dem, was Sie „Optionen" und was manche andere „Strategien" zu nennen sich angewöhnt haben.
So wie mancher vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht, so sehen manche nicht mehr den Weg und die Entscheidung, um die es hier geht. Hier müssen doch Entscheidungen getroffen werden; sie müssen schrittweise verwirklicht werden; das ist doch Regieren. Politik heißt doch nicht nur Fragen stellen und in Frage stellen.
Politik heißt doch, Antworten wissen. Herr Kollege Wehner, die wissen Sie; aber Antworten wagen und Antworten verantworten, da zittern Sie.
Da zittern Sie, weil Sie selbst — der Kreis schließt sich — durch Ihre Unentschlossenheit den Protest der rot-grünen Protestwähler erzeugt haben.
„Politique c'est choisir", so sagt man in Frankreich, also entscheiden durch Auswählen. Das andere, das Offenhalten von Optionen, degradiert Politik, das Vor-sich-Herschieben fälliger Entscheidungen, das Ausweichen vor dem Unbequemen, der opportunistische Kniefall vor der lautstarken Minorität —
das ist, verehrte Damen und Herren der Koalition, der Weg in die Unregierbarkeit moderner Staaten und Städte.
Herr Bundeskanzler, ich kenne Sie mit Ja und mit Nein. Ich kenne Ihre Einlassungen auf dem Parteitag, in denen Sie um klare Beschlüsse baten. Ich sage: Nicht Ihr Amt, nicht Ihre Neigung und Ihre Person, auch nicht Ihr Partner, aber Ihre eigene Partei hat Sie zum Meister des entschiedenen Vielleicht gemacht. Das ist eine besonders höfliche Wertung des Energiebeschlusses Ihres Parteitags. Das mag reichen zum parteipolitischen Überwintern; zum Gestalten und zur politisch verantwortlichen Führung in die 80er Jahre langt das nicht.
Die Menschen tragen ihre Ängste und Fragezeichen und Sorgen mit sich herum; das spüren wir alle. Sie suchen nach Wegweisern. Verzeihen Sie, Herr Bundskanzler: Welchen Weg weisen Sie, der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, aus der berechtigten Sorge unserer Mitbürger, daß es 1983, 1984, 1985 hier dunkel oder kalt werden könnte? Welchen Weg weisen Sie konkret? Sie wollen herangehen mit der Kohle. Wie wollen Sie das ma-
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chen? Haben wir genug heimische Kohle? Wie sind dann die Umweltprobleme zu beantworten?
-- Ich sehe schon, daß der Kollege Lambsdorff hier ein bißchen skeptisch guckt zu dem, was Sie hier vorhaben.
Deshalb will ich Sie auch folgendes fragen: Wir freuen uns alle, daß Sie öffentlich zum Sieger Ihres Parteitags ernannt worden sind; das ist doch ganz prima. Nur darf ich Sie ganz bescheiden fragen: Sieger eigentlich wozu? Wozu in der Energiefrage? Zum Vielleicht? Zum „Offenhalten" für „Optionen"?
Das, meine Damen, meine Herren, ist eigentlich gar nichts. Wenn ich mir den Beschluß anucke, von dem der Kollege Roth sagte, bevor dieser Beschluß gefaßt wurde, er bedeute praktisch den Stopp für die Atomenergie, von dem der Vorstandskollege Koschnick beteuert, eben dieser Beschluß erlaube eigentlich den behutsamen Ausbau, dann frage ich mich: Was ist denn nun eigentlich beschlossen, ja und nein zugleich, ein Vielleicht?
— Ich lese Ihnen das gleich vor, Herr Kollege Ehmke, weil es ein ungeheures Vergnügen ist, das zu lesen.
Sie baten Ihren Parteitag — Herr Kollege Ehmke, schnell, wie er ist, ahnt natürlich, daß ich jetzt das Zitat bringe — um einen eindeutigen, nicht um einen „schwammigen" Beschluß. Den haben Sie — ich zitiere das — mühsam bekommen: „Der Hamburger Parteitag hat beschlossen, daß die Option für Kernenergie — —
— Ich lese den Beschluß, der unter Ihrem Vorsitz in dem Entwurf zustande gekommen ist, Herr Kollege Ehmke.
— Herr Kollege Ehmke Sie kennen offensichtlich Ihre eigenen Papiere nicht.
— Aber Berlin verweist doch auf Hamburg unter Ihrer Federführung. Haben Sie das schon vergessen?
Ich zitiere noch einmal: „Der Hamburger Parteitag hat beschlossen, daß die Option für Kernenergie offengehalten und die Option, künftig auf Kernenergie verzichten zu können, geöffnet werden soll."
„Die SPD steht vor der Schwierigkeit, ihre Politik an diesen zwei gleichberechtigten Optionen zu orientieren." Das war ein Wegweiser zugleich in zwei Richtungen, Herr Ehmke: Wie hättet ihr es denn gern? — Halb zog es ihn, halb sank er hin!
Wenn in einer Lebensfrage die Menschen wissen möchten, wie es denn weitergehen soll, dann heißt es: Abwarten und Tee trinken.
Wann wollen Sie das denn entscheiden? Wenn es dunkel wird, wenn es kalt wird?
Ich fahre in dem Zitat fort — das sind Ihre Worte, Herr Kollege Ehmke —:
Gegenwärtig ist im Hinblick auf die Versorgungslage ein grundsätzlicher Verzicht auf die Verwendung von Kernenergie und im Hinblick auf die noch offenen Sicherheits- und Entsorgungsprobleme ein forcierter Neubau von Kernkraftwerken nicht zu vertreten.
Beim derzeitigen Stand der Diskussion ist die Zeit für definitive Entscheidungen für oder gegen die weitere Nutzung von Kernenergie nicht reif.
Der demokratische Diskussions- und Entscheidungsprozeß über die Nutzung der Kernenergie ist 1979 weder abgeschlossen noch abzuschließen.
Und damit, Herr Bundeskanzler, wollen Sie leben?
Da weiß doch jeder, woran er ist: Er ist in einem ungewissen Dazwischen und da hinein soll nun jemand seine Arbeit, seinen Geist und sein Geld investieren? Da sollen unsere besten Leute aus dem Ausland wieder zu uns kommen, um hier zu arbeiten und nicht draußen? Um hier für unsere Zukunft das Bestmögliche zu machen? Auf diese Ungewißheit, die es doch gibt, Herr Bundeskanzler, kann man doch Zukunft nicht gründen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehmke?
Sie wissen, Herr Kollege Ehmke, es ist mir ein Vergnügen, von Ihnen eine Frage zu hören.
Herr Kollege Barzel, wenn Sie nun schon wissen, wie die Antworten alle lauten, würden Sie dann so gut sein und unseren Zuhörern einmal erklären, warum Ihre Fraktion mit uns die Einsetzung einer Enquete-Kommission beschlossen hat, die genau diese Fragen klären soll, die Sie jetzt als geklärt ausgeben, obgleich Sie wissen, daß sie es nicht sind, und obwohl sich die CDU/CSU-Landesregierungen in dem Augenblick drücken, in dem sie selber Verantwortung übernehmen sollen?
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Herr Kollege Ehmke, wir sind in unserer nimmermüden Geduld und unserer Verantwortung für die Zukunft immer bereit, jedwedes Instrumentarium zu schaffen, das Ihnen selbst und Ihren Kollegen bessere Einsicht vermittelt.
Aus diesem Grund haben wir damals im Wirtschaftsausschuß — Herr Wolfram, Sie waren sehr aktiv dabei — zwei Tage lang ein Hearing zu den Fragen abgehalten. Ich erinnere mich mit Vergnügen der Einlassungen, die damals der Deutsche Gewerkschaftsbund, die DAG und die Sachverständigen gemacht haben, und auch an die sachkundigen Beiträge der sozialdemokratischen Kollegen, die sich eben noch auf das gegebene Wort von 1973 verlassen zu können glaubten, das ich vorgelesen habe.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich bin etwas in Zeitdruck. Ich sehe, daß die rote Lampe bereits aufleuchtet.
Ich glaube, sicher gehen Sie so, gehen wir alle nicht in die 80er Jahre; denn so steht Unsicherheit, steht zur Ölkrise die Stromkrise ins Haus. Sie wissen, daß der Sachverständigenrat in seinem jüngsten Gutachten eben das befürchtet.
Mit „Optionen" aber ist nicht nur der Weg ins Abschüssige gepflastert, offensichtlich auch mit Parteibeschlüssen, mit denen, so wird gesagt, „die Bundesregierung leben könne". Wie rücksichtsvoll: Man läßt leben.
Man drosselt und lobt sich, nicht zu erdrosseln, statt der Regierung in diesen schweren Zeiten zu helfen und sie zu tragen. Dabei ist es überhaupt nicht wichtig, ob diese oder irgendeine Regierung politisch leben kann. Das ist ganz und gar unwichtig. Wichtig ist, daß unser Volk leben kann. Das ist der Maßstab.
Es tut mir leid: Entweder war es fahrlässig, sich 1973 eindeutig und dringlich für die friedliche Nutzung der Atomkernenergie mit den Worten zu entscheiden, die ich vortrug, oder es ist fahrlässig, nun von Erwägung zu Bedenken, von offengehaltenen Optionen zu ebensolchen Strategien — Heuschrekken tun das — wie von Grashalm zu Grashalm, von Termin zu Termin zu hüpfen. Entweder war das damals oberflächlich, also unseriös, oder man handelt heute wider besseres Wissen, also unaufrichtig. In beiden Fällen ist es unverantwortlich. Wie beim Schuldenmachen leben Sie in den Tag hinein auf Kosten der jungen Menschen. Mit Regieren hat das nichts zu tun; denn das heißt voraussehen und durchsetzen.
Heute stehen da, wie gesagt, nur noch Optionen, wo früher Entscheidungen standen. Und mit dem vielen Papier, das Sie bedrucken, wird keiner die bevorstehende Energielücke schließen können.
Sie haben das zweite Prinzip unserer Energiepolitik, Herr Wehner — unabhängig werden — einfach aufgegeben. Sie haben es zu schnell gewechselt. Und so haben Sie die Maßstäbe, die Ziele auch in anderen Fragen immer wieder gewechselt!
Sie zogen mit den Prinzipien Selbstbestimmungsrecht und Wiedervereinigung aus, und heute wollen Sie — welch weiter Weg nach nur zehn Jahren — die beiden deutschen Staaten „stabilisieren"; so Ihre Worte. Sie wollten ursprünglich alles normalisieren, heute zementieren und bezahlen Sie das ganz und gar Unnormale. Zu Beginn Ihrer Koalition war Deutschland als Ganzes noch der Maßstab für die Entspannung, heute genügt Ihnen die Lage des freien Berlin.
Das ist von der Elle zum Millimeter. Vor zehn Jahren beschworen Sie die politische Union Europas. — Heute weigern Sie sich, „Schrittmacher" Europas zu sein, weil Sie eine Brückenfunktion zwischen Ost und West zu haben wähnen. Am Anfang der Koalition war noch von Abschreckung die Rede und von Lösung von Spannungsursachen. Heute ist das zu „Gleichgewicht und Entspannung" geschrumpft.
Nun ginge es erst richtig los, verkündeten Sie vor zehn Jahren, rühmten sich später des „deutschen Modells", und heute reden Sie sich raus: Regt euch nicht auf, woanders ist es schlimmer.
Vor zehn Jahren mußte sich jeder Angehörige des öffentlichen Dienstes im Dienst wie in der Freizeit zu unserem freiheitlichen und sozialen Rechtsstaat bekennen. — Heute können Kommunisten Lehrer werden.
Wenn das — einschließlich der Finanzen und der Ökonomie, von denen Franz Josef Strauß gesprochen hat —, verehrte Damen und Herren, alles zehn Jahre so weiterginge, dann wären wir sehr rasch in der „anderen Republik", vor der schon Karl Schiller die Genossen gewarnt hat.
Meine Damen und Herren, wir leugnen nicht, daß sich die Koalition und der Kanzler mühen. Wir leugnen nicht, daß die Koalition arbeitet.
— Et respice finem, Herr Kollege Wehner.
Ich glaube, sie schöpfen wirklich die Möglichkeiten aus, die Sie in der Koalition haben. Nur bei diesem Ausschöpfen erschöpfen Sie sich.
Ihre Koalitionsmöglichkeiten sind das eine. Das andere sind die objektiven Notwendigkeiten der deutschen Politik. Hinter denen bleiben Sie weit zu-
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rück. Wo Gewißheit not tut, produzieren Sie Unsicherheit, also „Gift" nach dem Kanzler. Deutschland braucht eine anspruchsvollere Politik. Da genügen die Ihnen möglichen Koalitionskompromisse nicht; denn die geben Steine statt Brot. Wenn 1985 der Strom fehlt und die Freiheit durch staatliche Energiezuteilung verdunkelt und gröblich verletzt wird, dann hilft Ihr heutiger Koalitionskompromiß keinem.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das Ihnen Mögliche in dieser Koalition genügt eben nicht. Wir brauchen nicht das Ihnen Mögliche, wir brauchen das Notwendige. Und so glaube ich: Eine bessere Politik für Deutschland ist nötig, eine bessere Politik für Deutschland ist möglich. Wenn Sie fragen, ob das möglich sei, sage ich: ja. Wir trauen uns das zu.
Vor der Mittagspause hat noch Herr Bundesminister Matthöfer das Wort.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Strauß hat sich in seiner Rede mit einem Diskussionsbeitrag beschäftigt, den ich unvorbereitet und unterbrochen durch Zwischenrufe gegeben habe. Ich habe mich darin auf ein. Interview bezogen, das er am Sonntag, dem 29. Juli 1979 in der ZDF-Sendung Bonner Perspektiven" gegeben hat.
Die Frage lautete damals wie folgt:
Bonner Hilfestellung, noch einmal, Herr Strauß? Es ist bei 300
— damit ist der Airbus 300 gemeint —
die Entwicklungshilfe in der Entwicklungsphase durch den Bund gewährleistet worden und Rückzahlungsverpflichtungen eingegangen. Bei 310 wird es wohl ähnlich verlaufen. Um welche Beträge, um welche Summen handelt es sich, die hier jetzt bei dieser Situation benötigt werden?
Antwort Strauß:
Es handelt sich um die Entwicklungskosten!
Der Herr Ministerpräsident oder — wenn ich das sagen darf — der Herr Aufsichtsratsvorsitzende geht da nicht auf die Summen ein, weil er sie nicht griffbereit hatte. Das ist verständlich. Kein Aufsichtsratsvorsitzender, kein Finanzminister kann immer alle Zahlen richtig im Kopf haben. Das ist ganz klar. Das weiß der Herr Kollege Strauß auch. Ich spreche von ihm mal als von meinem Amtsvorgänger, obwohl das Finanzministerium seitdem größer geworden ist. Wir haben jetzt auch die Verantwortung für
Währung, Banken, für den Internationalen Währungsfonds, für die Bundesunternehmen.
Er kann das nicht wissen. Das kann auch kein Finanzminister wissen. Jetzt geht es weiter. Die Frage lautet:
Also keine Rückzahlung der Entwicklungskosten?
Darauf antwortete der Herr Ministerpräsident Strauß:
Keine Rückzahlung der Entwicklungskosten. Das ist meine Vorstellung, die ich auch dann, wenn ich Regierungschef in Bonn würde, für richtig halten würde.
Am nächsten Morgen, also am 30. Juli, habe ich mich, da ich die Zahlen nicht kannte, gleich im Ministerium erkundigt. Ich habe ein bißchen Schadenfreude empfunden, aber gesagt: Du weißt es selber nicht; frage doch einmal nach! — Es kam dann der Vermerk vom 14. August betreffend meine Weisung vom 30. Juli. Darin stand: Entwicklungskostenzuschüsse für den Airbus A 300 — darauf bezog sich die Frage —: 1200 Millionen DM, zugesagte Entwicklungskostenzuschüsse für den Airbus A 310: 746 Millionen DM; insgesamt bedingt rückzahlbare Entwicklungskostenzuschüsse, die nach Schätzung von Airbus bis 1987 wahrscheinlich erforderlich sein werden: 2,29 Milliarden DM. Herr Kollege Strauß, dies sind die Zahlen, die mir gegeben worden sind und die auch stimmen.
Ich nehme es Ihnen nicht übel, daß Sie mich unterschätzen; das ist anderen auch schon so gegangen. Sie hätten aber nicht die Solidität der Beamten im BMF unterschätzen sollen. Sie kennen sie doch ganz gut. Sie können sich doch auch darauf verlassen, daß ich so eine Zahl nicht einfach aus dem Ärmel schüttele. Was habe ich gemacht? Ich habe einen Monat später reproduziert, was ich in dem Vermerk gelesen habe, und zwar — zugegeben — mit einer gewissen Unterschätzung dessen, was tatsächlich noch an Entwicklungskosten gegeben werden muß — 300 Millionen DM —, aber die genannten 2 Milliarden DM sind in der Größenordnung richtig.
Die maximale Serienbürgschaft für den Airbus, die — wiederum auf der Basis der Modellrechnung — bis 1987 erforderlich sein wird, beträgt 6,2 Milliarden DM, Herr Aufsichtsratsvorsitzender. Als weitere Zahlen sind zu nennen: Produktionshilfe: etwa 520 Millionen DM, Absatzhilfe — geschätzt —: 6 Milliarden DM. Ich sage Ihnen dies nur, falls Sie noch einmal so ein Interview geben möchten.
Ich will keine weiteren Schlußfolgerungen aus den Ausführungen ziehen, die Sie zu meiner Qualifikation gemacht haben. Auch auf das, was Sie sonst noch alles angefügt haben, will ich nicht näher eingehen. Ebenso will ich nichts weiter zu den erwünschten Qualifikationen eines Aufsichtsratsvorsitzenden sagen — denn was sollte dies? Schreiben Sie mir einen
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Bundesminister Matthöfer
Entschuldigungsbrief ; dann ist die Sache wieder in Ordnung.
Meine Damen und Herren, es liegen zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Einzelplan vor. Dies betone ich, damit sie nicht denken, wir stünden schon am Ende der Aussprache.
Wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung ist bis 14 Uhr unterbrochen.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten freuen uns nach unserem erfolgreichen Parteitag in Berlin,
die Haushaltsdebatte zur Gelegenheit nehmen zu können, unsererseits Rückblick und Vorblick zu tun. Nachdem Sie nun schon einen nicht parlamentarischen Redner zum ersten Redner Ihrer Fraktion gemacht haben,
möchte ich noch ein bißchen beim Herrn Kollegen Strauß bleiben. Die Haushaltsdebatte bringt für uns immer die Freude mit sich, wieder Gelegenheit zu bekommen, Herrn ,Strauß zu besichtigen, der, seitdem er Kanzlerkandidat geworden ist, in Bonn noch seltener als früher zu sehen ist. Manchmal hat man den Eindruck, Herr Strauß bliebe am liebsten überhaupt in Bayern, und es täte ihm schon leid, sich überhaupt auf die Kandidatur gegen Helmut Schmidt festgelegt zu haben.
So waren auch seine Kommentare zu dem SPD- Parteitag in Berlin besonders dünn. Ich nehme an, er kommt noch vom Essen und ist nicht schon wieder zurück nach Bayern.
— Ich unterstelle für beide das gleiche. Ich habe etwas ganz Freundliches gesagt.
Ich finde es nicht sehr abendfüllend, wenn der Kanzlerkandidat zehn Jahre sozialliberaler Koalition so darstellt, daß die Probleme aller Industriestaaten aufgezählt werden und dann so getan wird, als ob nur dieses Land diese Probleme dank der SPD hätte, während die übrige Welt weiß, daß es diese
Probleme in allen Ländern gibt, wir aber am besten damit fertig geworden sind.
Wenn man Herrn Strauß hört, könnte man meinen, dies sei ein Land im Elend. Ich frage ihn, wie lange er das den Menschen draußen noch erzählen will. Daß er es in der Krise 1974 mit der Sonthofener Rede versucht hat, ist noch zu verstehen, aber daß er heute die gleiche Arie immer noch singt, läßt nur darauf schließen, daß er auf die nächste Krise hofft.
Nun muß ich etwas Persönliches sagen. Herr Strauß hat heute in sehr ungewöhnlicher Weise den Bundeskanzler angegriffen.
— Für einen Mann, der soviel wie der Bundeskanzler geleistet hat, der dieses Ansehen in der Welt hat, geschah das in einer ungewöhnlichen Weise.
— Ja, meine Damen und Herren von der Opposition, ich frage mich, worauf sich der Anspruch von Franz Josef Strauß stützt, solche Urteile über den Bundeskanzler abgeben zu können; denn wenn ich das erste halbe Jahr Revue passieren lasse, das seit seiner Nominierung vergangen ist, so ist nicht viel Positives zu berichten.
Selbst die Kurve der Unionsparteien geht nach den Meinungsbefragungen nach unten, was manche der von Herrn Strauß früher gebeutelten CDU-Größen natürlich nicht nur mit Trauer erfüllt.
Uns erfüllt es mit Interesse, und wir sind über diesen
negativen Unionstrend auch nicht sehr erstaunt;
denn der Große Kanzlerkandidat — abgekürzt GK
— hat der nicht sonderlich erstaunten Bevölkerung' in diesem halben Jahr nach einer kurz bemessenen Kreidezeit folgendes geboten: erstens einen Auftritt im nordrhein-westfälischen Kommunal-Wahlkampf,
indem er rüpelhaften Störern mit gleicher Münze heimzuzahlen suchte,
zweitens einen Fernsehauftritt im Kreise der Parteivorsitzenden, bei dem man Zweifel daran haben mußte, ob er sich nicht konzentrieren wollte oder nicht konzentrieren konnte,
drittens ein Pressegespräch im Presseclub, das selbst seine treuesten Anhänger in Verzweiflung versetzt hat, viertens eine Konfrontationsstrategie nach Sonthofener Muster in Sachen Gesamtschule auf Kosten des CDU-Kultusministers von Niedersachsen, vor allem aber auf Kosten der Kinder, die in Gesamtschulen gehen,
Dr. Ehmke
fünftens ein Konfrontationsversuch in Sachen § 218, wobei er viel von Menschenwürde geredet, aber die Würde der Andersdenkenden nicht geachtet hat,
und schließlich sechstens ein an Propagandamethoden totalitärer Regime erinnernder Versuch, Sozialisten und Faschisten in einen Topf zu werfen.
Leider ist Herr Strauß nicht da. Ich würde ihn gerne fragen: Herr Strauß, Sie waren doch, kurz bevor Sie diese Platte auflegten, mit einem großen europäischen Sozialisten, mit dem italienischen Staatspräsidenten Pertini, im KZ Flossenbürg, um dort des in diesem KZ umgebrachten Bruders von Herrn Pertini zu gedenken, der auch ein. Sozialist war. Was meinen Sie eigentlich, wie Herr Pertini wohl reagiert hat, als er wenige Tage nach diesem Besuch in deutschen Zeitungen lesen konnte, Sie seien der Meinung, die Schergen des Regimes, die seinen Bruder dort ermordet haben, seien im Grunde mit den Sozialisten identisch?
Das ist die praktische Anwendung dessen, was gesagt worden ist. Ich frage mich, ob sich Herr Strauß einmal überlegt, was er in Europa mit solchen Redensarten anrichtet. Ich frage Sie alle, auch Sie, Herr Kohl, ob Sie nicht selbst darüber nachdenken, was es bedeutet und woher es kommt, daß eine so große Zahl von Menschen in unseren europäischen Nachbarländern an die Idee, Strauß könnte deutscher Bundeskanzler werden, nur mit Entsetzen denken können.
Dann das Trauerspiel mit der Zurückweisung Asylsuchender aus dem Ostblock an den bayerischen Grenzen.
Wir müssen uns alle fragen — da darf keiner Pharisäer sein —, jeder von uns auf allen Seiten des Hauses, ob wir alle noch genügend Empfindsamkeit für das Schicksal von Flüchtlingen und Verfolgten haben. Das sollte man nicht zu einer parteipolitischen Sache machen.
— Einverstanden, aber ich sage dann auch eins: Herr Strauß war für mich bisher in der Frage der Menschenrechte wenig glaubwürdig,
weil er sie immer nur in Richtung Osten vertrat, aber nie in Richtung Südafrika oder Chile.
Da frage ich jetzt: Was soll man nun eigentlich von
einem halten, der Kanzlerkandidat ist, der jedenfalls
in Richtung Osten die Menschenrechte vertritt und
dann nicht einmal seinen Innenminister hinauswirft, dessen Leute Flüchtlinge aus Osteuropa zurück in die Unfreiheit geschickt haben?
Da kann ich nur sagen: Ich weise die sehr überhebliche Kritik von Herrn Strauß am Bundeskanzler zurück. Wer in den ersten sechs Monaten seiner Kandidatenzeit so wenig gezeigt hat wie Herr Strauß, der sollte es eine Nummer kleiner machen, wenn er über den Bundeskanzler und die Koalition redet.
Komme ich auf die Rede von Herrn Strauß zu sprechen, so war ihr bemerkenswertester Aspekt eigentlich ihre Länge. Es war eine bunte Mischung aus Zitatensammlung, Selbstverteidigung, Demagogie in Sachen Familie und Schule und auch manchem Diskussionswerten, und darauf will ich eingehen.
Zunächst einmal zum Haushalt. Warum können Sie eigentlich nicht anerkennen, auch Sie nicht, Herr Barzel, daß dies der erste Haushalt in der Geschichte der Bundesrepublik ist, der vor Beginn des Haushaltsjahres rechtzeitig verabschiedet wird?
— Ich schließe Herrn Windelen dabei gar nicht aus.
Ich schließe das Parlament und seine Ausschüsse dabei ein. — Warum können Sie eigentlich nicht anerkennen — Herr Windelen hat das übrigens in einem Interview anerkannt —, daß dies, obgleich der Wahlkampf kommt, ein Haushalt ohne Wahlgeschenke ist.
Der Bundeshaushalt geht nach Abschluß der Beratungen von einem Zuwachs der Ausgaben von 5,5 % aus. Die Einnahmen werden um gut 7 % steigen. Gleichzeitig werden sich die Nettokreditaufnahmen wegen Steuermehreinnahmen und Ausgabeneinsparungen von ursprünglich 28,7 auf 24,7 Milliarden DM vermindern. Die Bundesregierung hat mit ihren Bemühungen um eine deutliche Begrenzung des Ausgabenzuwachses und der Ankündigung, Steuersenkungen erst nach sorgfältiger Prüfung ab 1. Januar 1981 vorzusehen, der Konsolidierung des Haushalts den Vorrang eingeräumt. Gleichzeitig geht aber wegen der Fortschreibung der hohen Ausgabenbasis der vergangenen Jahre auch 1980 vom Haushalt eine deutliche konjunkturstützende Wirkung aus. Massive Steuersenkungen schon 1980, wie Sie sie gefordert haben, wären aus gesamtwirtschaftlicher und finanzpolitischer Sicht nicht vertretbar.
Und was macht Herr Strauß hier? Das alte Theater! Auf der einen Seite werden massive Steuersenkungen für 1980 gefordert, auf der anderen Seite fordern andere von Ihnen zusätzliche Ausgaben für zusätzliche Programme, und alle zusammen klagen über die Höhe der Verschuldung. Meine Herren, das
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Dr. Ehmke
glaubt Ihnen doch nach Jahren draußen keiner mehr!
Genauso wenig glaubt Ihnen jemand Ihre Forderung nach Abbau der Subventionen, wenn Sie gleichzeitig noch nicht einmal bereit sind, über den Abbau der Steuerprivilegien von Landwirten zu diskutieren.
Der Kurs dieses Haushalts ist demgegenüber klar: Wir geben 1980 der Konsolidierung den Vorrang, wobei ich darauf hinweisen muß, daß im Bereich der gewerblichen Wirtschaft ja ohnehin noch eine Steuerentlastung in Höhe von 3 Milliarden aus dem letzten Paket am 1. Januar 1980 in Kraft treten wird. 1981 soll dann die Änderung der Steuertarife in größerem Rahmen kommen.
Dieser Haushalt paßt in die Wirtschaftsentwicklung, und er wird von einer Wirtschaftspolitik getragen, der auch der Sachverständigenrat ausdrücklich zugestimmt hat, und zwar einschließlich der Schuldenaufnahmen für Konjunkturprogramme, die — trotz der drastischen Ölpreiserhöhung — erfolgreich waren.
Natürlich bleibt die Schuldenlast ein Problem; das ist doch zwischen uns gar nicht strittig. Aber wie würden wir wohl heute dastehen, wenn wir die Konjunktur einfach hätten laufen lassen?
Keiner glaubt doch, daß ohne die Stützungsprogramme der Regierung heute die Wirtschaftslage und damit die Lage der staatlichen Finanzen besser wären als jetzt.
Ich frage mich, warum Sie so kleinkariert sind, daß Sie das nicht anerkennen können. Ich bin doch sicher: Sie freuen sich über den Rückgang der Arbeitslosenzahl, vor allen Dingen über den Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit, genauso wie wir. Und ich stimme auch darin dem Kollegen Strauß zu: Wir sind trotz aller Arbeitsbeschaffungsprogramme, die wir durchführen, mit dem Problem der strukturellen Arbeitslosigkeit noch nicht fertig geworden. Aber warum nicht einmal — auch über Parteigrenzen hinweg — ein Wort der Anerkennung für das, was nun — auch mit Glück — geschafft worden ist?
Meine verehrten Damen und Herren von der Opposition, jahrelang haben Sie uns gesagt, die Tatsache, daß die Unternehmer nicht investieren, sei ein Beweis dafür, daß sie kein Vertrauen in die sozialliberale Koalition hätten; diese habe ihnen die Lust am Investieren genommen. Jetzt haben wir eine ganz starke private Investitionsneigung, von der uns die Sachverständigen sagen, sie werde auch im nächsten Jahr anhalten. Aber hören wir jetzt von Ihnen „Aha, die Wirtschaft hat nun wieder Vertrauen in die sozialliberale Koalition"?
Nein! Wissen Sie, das ist Ihre christdemokratische Logik: Wenn nicht investiert wird, ist das ein Mangel an Vertrauen, und wenn so investiert wird wie heute, waren die Ursache dafür vermutlich irgendwelche Büttenreden, die andere Leute draußen im Lande halten.
Das hat keinen Zweck. Wenn es nicht möglich ist, Tatsachen festzustellen, wenn alles und jedes, was die Regierung erreicht, und zwar gar nicht einmal nur aus eigener Kraft, sondern mit der Hilfe der Unternehmer, mit der Hilfe der Gewerkschaften, mit der Hilfe der Arbeitnehmer, nicht anerkannt werden kann, weil es in ihr Konzept nicht paßt, ist eine Diskussion in diesem Lande kaum noch möglich.
Ich frage mich auch, wann wir denn nun endlich ein völlig klares Wort dazu hören, daß kein wie immer gefärbtes parteipolitisches Interesse Spaltungsversuche gegenüber der Einheitsgewerkschaft rechtfertigen kann.
Die Einheitsgewerkschaft ist, gerade auch im Vergleich mit dem Ausland, eine der wirklichen strukturellen Stützen der zweiten deutschen Demokratie.
Die Angriffe gegen die Einheitsgewerkschaft finden ihre Parallele in den Versuchen, unser öffentlich-rechtliches Rundfunk- und Fernsehsystem zu zerschlagen. Auch die Fernseh- und Rundfunkordnung gehört zu den Grundstrukturen unserer zweiten Demokratie.
Nach meinem Dafürhalten ist sie zumindest verfassungs p o l i t i s c h nicht weniger wichtig als der föderative Aufbau der Bundesrepublik.
Der Angriff von Herrn Albrecht auf den NDR — Herr Strauß, dem durch einen Volksentscheid die Hände gebunden sind, könnte nicht skrupelloser vorgehen ist ein Angriff auf ein Stück gewachsene demokratische Struktur in unserem Lande
und wird von uns entsprechend beantwortet werden.
Ich bin allerdings darüber nicht erstaunt
und halte es nicht für einen Zufall, daß diese Angriffe — genauso wie die die Gemeinsamkeit der Demokraten aufkündigende Gleichsetzung von Sozialisten und Nationalsozialisten —
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geschehen. Bei einer Opposition, die immer noch in dem Wahn lebt, sie sei die geborene Regierungspartei und eigentlich zu fein für die Opposition — seit zehn Jahren vernachlässigen Sie Ihre OppositionsAufgabe, sachliche Alternativen zu entwickeln und die Mehrheit der Bürger für sie zu gewinnen —,
bei einer solchen Opposition wundere ich mich nicht, daß sie schließlich versucht, die Macht auf diesem Wege zu erreichen.
Wenn ich zu dem, was Sie im Bereich des NDR und der Medien machen,
das hinzunehme, was Sie, Herr Barzel, über Walter Jens gesagt haben, dann paßt das ganz gut zusammen. Sehen Sie, wir hatten schon einmal eine Zeit, in der vor lauter politischem Strafrecht die Grundrechte nicht zu sehen waren. Glücklicherweise waren es dann in der Großen Koalition die Liberalen in Ihren Reihen — nicht Richard Jaeger, sondern Max Güde —, die mit uns zusammen wieder für Ordnung gesorgt haben, für demokratische Ordnung. Ein Mann wie Güde dürfte ja heute bei Ihnen gar nicht mehr reden nach dem Rechtsruck, den Sie vollzogen haben.
Sie können doch nicht bestreiten, daß wir in einer Entwicklung, zu der es Anlässe gab, Entwicklung von extremen Parteien und dergleichen, z. B. mit dem Radikalenerlaß einen Weg gegangen sind, der nicht gut war. Als ob Sie nie mit jungen Leuten darüber reden, wie diese zitieren: FDGO!
Und falls Ihnen das nicht reicht: Der Vorsitzende der EKD, Bischof Lohse — Sie waren doch bei dem Empfang dabei, Herr Kohl —, hat neulich vorgetragen, daß sein Sohn, der Nachtwache in einem Krankenhaus machen wollte, zuerst den Eid auf die freie demokratische Grundordnung leisten mußte. Und Bischof Lohse hat gefragt, ob das denn wohl das Vertrauen der Jugend in die Demokratie fördere.
Wenn aber Walter Jens das sagt, glauben Sie, sich das herausnehmen zu können, Herr Barzel, was Sie sich hier diesem Mann gegenüber herausgenommen haben.
Ich sage Ihnen: Als die Terroristen nach der Schleyer-Entführung dabei waren, dieses Land in Hysterie zu versetzen, wobei nicht alle von Ihnen eine gute Rolle gespielt haben, war es Walter Jens mit seinen Freunden, der mit den großartigen „Briefen zur Verteidigung der Republik" dem Kanzler dabei geholfen hat, die Liberalität in diesem Lande gegenüber der durch die Terroristen hervorgerufenen Hysterie zu bewahren.
Und Sie glauben, Sie können diesen Mann hier so herunterputzen, wie Sie das getan haben!
Ich muß Ihnen sagen: Wenn ich das zusammennehme mit dem NDR, dann sage ich meinem Freund Walter Jens und. seinen Freunden:
Ihr habt oft Zweifel an uns, und wir sind oft verschiedener Meinung und streiten miteinander; aber wenn ihr das hier bei der CDU/CSU seht, diese Mischung von Machtgier und Banausentum auf dem Gebiet der Informations- und Geistesfreiheit, dann wißt ihr hoffentlich wieder, wohin ihr gehört.
Was dabei wirklich tröstlich ist, ist die Tatsache, daß uns inzwischen auch viele CDU-Wähler anbieten, uns im Wahlkampf gegen Strauß zu helfen. Nur die Grünen scheinen noch nicht ganz begriffen zu haben, worum es geht.
Hinter dem Haushalt 1980 — um nun zu unserer, d. h. der positiven Seite zu kommen —
steht eine Sachpolitik, die der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom Dezember 1976 dar. gelegt hat und die von Partei und Fraktion mitgetragen wird.
Da Sie ein anderes Parteiverständnis haben als wir
— Sie sind eigentlich erst dabei, eine Mitgliederpartei zu werden; bis jetzt waren Sie nur eine Union und dazu noch eine mühsame —, verstehe ich schon
— Ferdi Breidbach würde das außerhalb des Saales auch zugeben —, daß Sie nicht recht verstehen können, Herr Kohl,
warum das in der SPD so ist, daß erbittert um Sachfragen gestritten werden kann und wir trotzdem handlungs- und regierungsfähig bleiben.
Weil Sie das nicht verstehen, kommt es dann zu diesen komischen Schwankungen.
— Wissen Sie, Herr Franke, vor dem Parteitag war der Schmidt angeblich ein „General ohne Truppen", hatte gar keine Mehrheit, ein armer, isolierter Mensch, der in seiner Partei gar nicht mehr zu Hause ist. Nun ist der Parteitag vorbei, und jetzt kommt die andere Walze. Jetzt sind wir ein „Kanzlerverein". Sie werden nie begreifen, in welchem
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Verhältnis eine wirklich demokratische Volkspartei zu ihrer Regierung steht.
Lassen Sie mich nun zu den beiden Fragen kommen, die auf unserem Parteitag — Herr Strauß hat dazu ja auch etwas gesagt — im Vordergrund gestanden haben. Der Parteitag der SPD hat in großer Nüchternheit und Leidenschaftlichkeit zwei zentrale Fragen behandelt, die des militärischen Gleichgewichts und die der Energiepolitik. Ich bin zwar nicht immer stolz auf meine Partei, aber hier bin ich ein bißchen stolz. Denn das macht uns in der Bundesrepublik niemand nach, Sie schon gar nicht.
Diejenigen im konservativen Lager, die meinen, das Motto „Sicherheit für die 80er Jahre" sei eine Art Wiederholung des Mottos „Keine Experimente", täuschen sich. Wer morgen sicher leben will, muß heute die Voraussetzungen dafür schaffen.
Darum geht es in beiden Fragen.
Ich bin mit dem Kollegen Strauß einer Meinung, daß wir weltpolitisch in einer sehr schwierigen Situation sind und auch noch eine ganze Weile bleiben werden: wegen des Verhältnisses der beiden Großmächte zueinander, wegen der Verhältnisse im Iran und im Nahen Osten. Herr Strauß hat auch völlig recht, wenn er sagt, daß hiervon auch unsere 01-und Rohstoffversorgung betroffen ist. Nur, Herr Kollege Strauß, wenn das so ist, dann wäre dies doch ein Grund mehr, auf diesem Gebiet Polemik abzubauen, statt hier davon zu reden, es sei eine Legende, daß der Frieden durch die Entspannungspolitik sicherer geworden sei. Ja, wollen Sie denn den Kalten Krieg zurück haben? Fragen Sie einmal die Menschen in Berlin, wie das vor zehn Jahren war und wie das jetzt ist!
Was soll das für eine „Legende" sein? Daß wir den Frieden jeden Tag neu sichern müssen, daß es auch für diese Fragen nie eine „Endlösung" gibt, ist doch unbestritten. Aber warum die Bagatellisierung dessen, was für die Menschen in Europa erreicht worden ist?
Herr Strauß, das, was Sie hier zu dem Beschluß
des Parteitages gesagt haben, steht im Widerspruch
zu Ihrer Analyse der weltpolitischen Situation; es
war verantwortungslos. Denn der Beitrag der Bundesregierung, der Beitrag des SPD-Parteitages war,
die Handlungsfähigkeit der NATO in einer schwierigen weltpolitischen Situation zu erhalten. Und was
machen Sie? Sie kommen her und dividieren uns
hier auseinander. Das ist Ihr Beitrag zur Stärkung
der NATO.
Herr Strauß, die Worte, die Sie in diesem Zusammenhang für den Bundeskanzler gefunden haben —
Sie haben gesagt, der Bundeskanzler habe „Angst
vor der Verantwortung" —, sind zugleich dumm und schofel.
Ich komme jetzt auf das Gleichgewicht der Kräfte und will vom Kollegen Wörner und vom Kollegen Marx einmal hören, wo wir denn in dieser Frage stehen. Die Diskussion fing ja im Frühjahr mit der Äußerung von Herr Wörner an — frisch zurückgekehrt aus Amerika —, hier müßten Mittelstreckenraketen hingestellt werden. Dann hat es — ausgelöst von einer Attacke von Herbert Wehner, für die ich Herbert Wehner auch an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich danken möchte —,
eine intensive Diskussion gegeben, was wir denn tun können,
um der Einsicht gerecht zu werden, die am besten von Carl Friedrich von Weizsäcker formuliert worden ist, daß nämlich Sicherheit in der heutigen Welt nicht durch technische, sondern allein durch politische Mittel zu erreichen ist.
Wenn Sie sagen — Herr Strauß hat das nach dem Parteitag gesagt —, die Politik, die Helmut Schmidt verfolgt, sei eigentlich seine, Straußens Politik, so mag das eine besonders dialektische Weise sein, zu versuchen, Wähler von uns abzuschrecken, aber der Wahrheit entspricht das nicht. Am Anfang stand bei Ihnen vielmehr: Raketen hinstellen und dann verhandeln. Noch weit in den Diskussionsprozeß hinein ist gefragt worden: Warum kein deutschamerikanischer Alleingang? Und immer kam da so ein bißchen der alte Traum von der „Politik der Stärke" wieder zum Vorschein. Meine Herren, dies ist doch töricht! Wir können doch nicht mit der Sowjetunion in Verhandlungen eintreten und ihr gleichzeitig sagen: Ganz egal, was aus den Verhandlungen herauskommt, wir stellen ein paar hundert Raketen hin.
Das ist doch nicht ernst zu nehmen, und wir wollen doch ernst genommen werden. Es wäre gut, wenn wir bei aller Kritik an der Sowjetunion auch eine objektive Beobachtung ihrer Sicherheitsinteressen vornehmen würden: aus ihrer Geschichte heraus, nicht zuletzt auf Grund des Hitler-Überfalls auf die Sowjetunion. Es wäre besser, sich einmal zu überlegen, wie in das in den Köpfen dort drüben aussieht,
als immer nur von Aggression zu sprechen.
Wir hatten auf dem Parteitag eine große Diskussion in der anderen Richtung. Viele — Christdemokraten in den Niederlanden, Sozialisten in Belgien, Freunde in unserer Partei — haben gefragt: Ist es nicht doch falsch, zu meinen, daß erst ein solcher Rüstungsbeschluß Voraussetzung für Abrüstung sein kann? Diesen Einwand muß man ernst nehmen. Meine Antwort ist: Der Einwand ist auf den ersten
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Blick verständlich, aber politisch unrichtig und zwar aus drei Gründen:
Erstens können keine Beschlüsse, welcher Art auch immer, die Tatsache ändern, daß wir bei unserer Verteidigung von den Vereinigten Staaten von Amerika abhängig, daß wir auf sie angewiesen sind. Darüber sind wir uns einig. Der amerikanische Senat wird nicht bereit sein, für Rüstungsprogramme Geldmittel zu bewilligen, wenn die Europäer nicht mindestens grundsätzlich gesagt haben, ob sie zur Stationierung bereit sind.
Zweitens würde ein Nichtbeschluß in dieser Hinsicht SALT II weiter gefährden, dessen Schicksal ohnehin ungewiß ist. Wir können nicht sagen: Wir warten, bis die Amerikaner SALT II machen. Drüben sagen die: Wir warten, wie die Europäer sich entscheiden. Es hat keinen Zweck, im Kreis zu laufen. Dabei ist aber eines klar: Wir erwarten tatsächlich, daß SALT II ratifiziert wird. Denn das ist die Voraussetzung, um in SALT-III-Verhandlungen zu gehen.
Eine solche gutgemeinte Direktroute würde auch in der Sowjetunion das Gegenteil bewirken. Auch dort gibt es Falken und Tauben. Wenn wir uns jetzt hier nicht so, wie vorgesehen, entschließen würden, dann würden doch die Falken Herrn Breschnew sagen — dessen Entspannungspolitik ihnen ohnehin zu weit geht —: Du siehst doch, die sind gar nicht in der Lage, sich zu einigen, die NATO ist gar nicht handlungsfähig, sicher ist sicher, laßt uns doch das Übergewicht, das wir in diesem Bereich haben, behalten. — Darum bin ich der Meinung, es ist wichtig, auch dort zu zeigen, daß es eine Alternative gibt, wenn Verhandlungen nicht zu einem Gleichgewicht führen.
Es gibt einen technischen Einwand. Viele haben gesagt: Man kann nur Hardware handeln, also nur verhandeln, wenn man Raketen hat. Das Gegenteil ist bewiesen. Der erste Rüstungskontrollvertrag über ABM-Waffen war bekanntlich ein Vertrag, Optionen, die beide Seiten hatten, nicht zu verwirklichen.
— Ja. Da sind wir uns doch einig. Das war der Auftakt von SALT I. Hier ist es ähnlich.
Ich sage drittens: Nicht nur in Amerika und in der Sowjetunion, auch in der Bundesrepublik würde irgendein Beschluß und irgendeine Politik, die die Handlungsfähigkeit der NATO in Frage stellen, den falschen Leuten dienen. Nämlich Ihnen. Wir sind nun mal der Meinung, daß die Entspannungspolitik bei uns in besten Händen ist. Da wir uns einig sind, daß militärisches Gleichgewicht die Voraussetzung für die Entspannungspolitik ist, tragen wir als Sozialdemokraten auch Verantwortung für die Aufrechterhaltung des militärischen Gleichgewichts. Wir geben der Rüstungskontrolle den Vorrang und machen zur gleichen Zeit klar, was die Rüstungsalternative wäre, wenn wir keinen Erfolg haben. Wir werden dann in einigen Jahren sehen, wie weit wir in Verhandlungen mit der Sowjetunion kommen.
Ich möchte zu den Bekannten im sowjetischen Lager hier zweierlei sagen.
Erstens: Es muß ihnen klar sein, daß es von ihnen selbst abhängen wird — das sagen wir ihnen seit drei Jahren —, auf welchem Niveau das militärische Gleichgewicht in Europa stabilisiert werden kann.
Ich möchte ein zweites Wort sagen: Wir haben eine Reihe von Versuchen der Einmischung in die deutsche Diskussion erlebt. Ich war darüber erstaunt. Ich war der Meinung, man kenne uns besser. Ich will dazu folgendes sagen: Als in der Sowjetunion über die Produktion und Stationierung von SS-20-Raketen und Backfire-Bombern entschieden wurde, da gab es dort keine öffentliche Diskussion, in die wir uns hätten einmischen können.
— Ja, das ist der Unterschied. Das ist in der Demokratie anders. Und weil es in der Demokratie anders ist, gehört es zum Selbstverständnis und zum Selbstrespekt von Demokraten, solche Einmischungsversuche zurückzuweisen.
Lassen Sie mich ein Wort zur Deutschlandpolitik anhängen. Zunächst zu dem angekündigten Besuch des Bundeskanzlers bei Herrn Honecker. Wir freuen uns, daß dieser Besuch zustande kommt, und danken dem Bundeskanzler dafür, daß er sich nicht vom Wahlkampf oder sonstigen Dingen davon abhalten lassen will.
— Herr Marx, Sie sehen daran: Wir denken anders als Sie. Wir denken über solche Dinge nicht nur in Wahlkampf-Schablonen.
Es ist doch gut, daß wir zeigen, daß wir anders denken als Sie. Sie können überhaupt nur noch an Wahlkampf denken.
Als zweites ist die Frage aufgeworfen worden, ob denn Helmut Schmidt mit Herrn Honecker auch über Fragen der Rüstungskontrolle reden soll. Ich bin der Meinung: Reden — ja; verhandeln — nein. Verhandelt wird nur multilateral. Aber die Verantwortung, es nicht wieder von deutschem Boden zu aggressiven Handlungen kommen zu lassen, betrifft nicht nur die Bundesrepublik, sondern beide deutschen Staaten. Das ist ein Erbe unserer gemeinsamen Geschichte.
Herbert Wehner hat vor zehn Jahren zu Recht gesagt: „Das ist die Reifeprüfung der deutschen Nation,
daß wir gespalten miteinander zu leben genötigt
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15093
Dr. Ehmke
sind und dabei doch dem Frieden zu dienen haben.'
Herr Barzel, Sie haben mit großem Pathos — wenn man das Pathos nennen kann — hier über das geredet, was wir alles versäumt haben. Sie haben leider nicht gesagt, was Sie in 20 Jahren fertiggebracht haben. Im Vergleich damit können wir uns sehr wohl sehen lassen.
Ich sage: Eine Partei, die wie die CDU/CSU zusammen mit den italienischen Neofaschisten und den albanischen Kommunisten die einzige Partei war, die in Europa die KSZE-Schlußakte abgelehnt hat, die sollte nicht so mundvoll über Menschenrechte reden.
Herr Kollege Ehmke, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mertes?
Herr Kollege Ehmke, nach diesen unsinnigen Vergleichen folgendes:
Was würden Sie sagen, wenn ich Sie frage: Wie beurteilen Sie die Tatsache, daß die SPD zusammen mit den Kommunistischen Parteien den Eintritt der Bundesrepublik Deutschland in das westliche Bündnis seinerzeit abgelehnt hat? Ich halte Fragestellungen und Vergleiche dieser Art für sinnlos.
Also, Herr Kollege Mertes, dies war so schief, daß ich darauf nicht anworten will.
— Dies war ganz schief, Herr Barzel, sich hier hinstellen und auf die Einhaltung einer Akte pochen, die man in diesem Hause abgelehnt hat, das ist nicht sehr überzeugend für mich.
Lassen Sie mich jetzt noch etwas zur Frage der deutschen Nation sagen. Ich bin ja der Meinung, wir können uns darin noch einig werden. Unser zentrales Anliegen bei der Diskussion über den Begriff der „Wiedervereinigung" — der Bundeskanzler hat das am 17. Mai in der Debatte über den Bericht zur Lage der Nation sehr eingehend vorgetragen — ist der Zusammenhalt der Nation, der wie jeder anderen Nation das Selbstbestimmungsrecht zusteht. Dann müssen wir aber aufhören, diese Frage mit territorialen Forderungen oder mit juristischen Konstruktionen zu belasten, die nur eines bewirken werden: daß nämlich unsere Nachbarn im Osten wie im Westen nicht bereit sein werden, mit uns für Fortschritte in der deutschen Frage einzutreten. Soweit die deutsche Teilung überhaupt überwunden wer- den kann, kann sie nur in dem Maße überwunden werden, in dem die europäische Teilung überwunden werden kann. Dazu brauchen wir unsere Nachbarn in Ost und West. Es wäre sehr gut, im Interesse des Zusammenhalts unserer Nation darüber noch ein bißchen länger und unpolemischer nachzudenken.
Lassen Sie mich damit zu dem innenpolitischen Thema kommen, das für die Sicherheit der 80er Jahre, für Wirtschaft, Arbeitsplätze, Lebensstandard — der nicht unabhängig von der Lebensqualität gesehen werden darf —. wichtig ist, zur Frage der Energieversorgung. Herr Barzel, ich kann nur lachen,
wenn Sie uns hier vorhalten, was 1973 gesagt worden ist. Dann sehen Sie doch mal an, was 1973 die anderen Regierungen gesagt haben, was Sie selbst gesagt haben, was die Wissenschaft gesagt hat. Sie sind offenbar keine lernfähigen Leute.
— Sie sind offenbar keine lernfähigen Leute, die bereit sind, neue Tatsachen und neue Erkenntnisse in ihrer Politik zu verarbeiten. .
In den letzten zwei Jahren hat sich die Ölversorgung drastisch verschlechtert. Keiner von uns hat 1977 gewußt, wie das im Iran aussehen würde.
Dabei ist folgendes interessant: Sie reden viel über Kernenergie. Aber ich glaube, von Harrisburg haben Sie überhaupt noch nichts gehört.
Ich höre das nie in Ihren Diskussionen. Auch Gorleben nicht.
Das heißt, Sie haben noch nichts davon gehört, daß sich auch in dieser Beziehung — Entsorgungsfrage — die Situation erschwert hat.
Daß es bei der Kohle mehr Probleme gibt, das haben Sie gehört, das haben Sie gesagt und das ist auch richtig.
Ich denke immer, das kann doch nicht sein: Da gibt es eine Partei, die spiegelt nicht in einem Millimeter die Diskussion wider, die im Augenblick uns und andere Industriegesellschaften am stärksten schüttelt, nämlich die Kernenergiediskussion. Die gibt es bei Ihnen gar nicht.
— Es gibt sie bei Ihnen überhaupt nicht. Das letzte bißchen schlechtes Gewissen, das Sie dabei hatten, haben Sie in der Person von Herrn Gruhl inzwischen ausgeschieden.
Lassen Sie uns doch einmal überlegen! Sie behandeln immer nur eine Seite. Sie behandeln immer nur die Frage der Sicherheit der Versorgung; dazu komme ich auch gleich. Aber ich möchte doch einmal von Ihnen wissen — und die Leute draußen wollen es wissen —, ob Sie es eigentlich ernst meinen,
15094 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
Dr. Ehmke
wenn Sie von dem Grundsatz sprechen, daß Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit geht, oder ob das nur eine Phrase ist, aus der Sie keine Folgen ziehen. Sehen Sie, wir sagen: weg vom 01. Darin sind wir uns sicher einig. Wir sagen zweitens: Energie sparen. Da sind wir uns schon nicht mehr einig.
— Ich habe ja gelesen, was Herr Narjes gesagt hat: Energie sparen, aber bitte alles nur über den Markt; nicht einmal der Geräteindustrie soll vorgeschrieben werden können — Herr Narjes nickt mir zu —, daß keine energievergeudenden Geräte gebaut werden.
Sie brauchen auch nicht in Richtung zum Wirtschaftsminister zu gucken. Wir sind da auch verschiedener Meinung. Ich sage Ihnen, Herr Narjes, zu diesem ganzen Thema eins:
Wenn wir in den 50er und 60er Jahren den sogenannten Lehren der sogenannten reinen Marktwirtschaft gefolgt wären, dann hätte dieses Land gar keine Energiealternative, weil wir keine Kohle mehr hätten.
Das hat Herr Kollege Barzel vergessen zu sagen. Wenn wir heute keine Kohle mehr hätten, würde es uns wenig trösten,
daß wir sie dem billigen Importöl nach „streng marktwirtschaftlichen" Grundsätzen unter Anführung von Ludwig Erhard geopfert hätten.
Also: Energie sparen, aber in sehr viel drastischerer Weise, als das bisher geschehen ist, weil nämlich auch bei den Alternativenergien wie beim Energiesparen die Zeithorizonte viel länger sind, als das die Kritiker unseres Beschlusses in der eigenen Partei sehen. Das wird als Jahrzehnte dauern, bis wir so weit sind.
Nun komme ich zur Kohle und zur Entsorgung der Kernenergie. Das hängt nämlich miteinander zusammen. Ich muß immer lachen: Bei Ihnen ist Kernenergie so eine Art Mutprobe. Ich habe nachgelesen. Schon vor zwei Jahren hat mir Herr Kohl in der Haushaltsdebatte zugerufen: Nun sagen Sie doch „ja" zur Kernenergie. Das ist so eine bekennerhafte Art, mit Technik umzugehen: Mutprobe.
— Ja, lieber Herr Kohl, die Frage, die Sie beantworten müssen, ist, daß wir heute in der Welt — und da würde ich es doch sehr gerne sehen, daß Sie wenigstens den Eindruck nach draußen zu vermitteln suchen, daß Sie die Sorgen der Bürger ernst nehmen
— über 200 Kernkraftwerke haben und keiner weiß, wo am Ende der Atommüll bleibt. Diesen Kritikpunkt der Umweltschützer und der Kernkraftgegner
hat man ernst zu nehmen, wenn man selbst ernst genommen werden will.
Wir hatten gehofft, das mit dem integrierten Entsorgungszentrum Gorleben schnell über die Bühne zu kriegen.
— Ach, ich bitte Sie doch, verteidigen Sie doch nicht Herrn Albrecht. Ich verstehe ja Herrn Albrecht sehr gut; der schiebt das zwar auf die anderen Parteien ab, aber er hat ein bißchen Angst gekriegt, als da 80 000 Demonstranten in Hannover waren.
— Ich tadle das noch nicht einmal, weil wir doch am Ende Kernenergie nur dann werden bauen können, wenn wir die große Mehrheit unserer Bevölkerung davon überzeugt haben, daß das notwendig ist
und daß alles zur Sicherheit getan worden ist, was geht.
Und was machen Sie? Sie klammern heute hier die Frage der Entsorgung völlig aus. Was heißt denn das, der Parteitag soll „grünes Licht" geben für Atomkraftwerke? „Grünes Licht", das ist eine Frage von Zwischenlagern, das ist eine Frage von Bearbeitung oder Wiederaufbereitung, das ist eine Frage vom Endlager. Sie können doch nicht so tun, als sei das eine reine Frage von „Die Welt als Wille und Vorstellung", Sie wollen, und dann geht das. Das wäre nicht verantwortlich gegenüber den Menschen und gegenüber den Sicherheitsproblemen, die es gibt.
Darum sagen wir folgendes: Wir teilen die Meinung
— und das steht bei uns klipp und klar drin —: weder Energiesparen noch Alternativenergien noch verstärkter Kohleeinsatz — ich stimme darin Herrn Strauß zu — werden in den nächsten Jahrzehnten unseren Bedarf im Strombereich decken können, wir werden auf Kernenergie nicht verzichten können. Das war die Kampfabstimmung in Berlin. Nehmen Sie das Ergebnis zur Kenntnis. Aber bevor wir jetzt einen weiteren Zubau machen, wollen wir doch sehr sorgfältig — die Landesregierungen und die Bundesregierung werden bei der Fortschreibung der Reaktorsicherheits-Richtlinien ja bald vor der Aufgabe stehen — diesen Zubau, wenn er nötig wird, an bestimmte, stufenweise Bedingungen binden. Und um Zeit für die Entsorgung zu gewinnen, befürworten wir nicht generell, sondern — wenn Sie richtig gelesen hätten, würden Sie das wissen — für die nächsten zehn Jahre den Vorrang der Kohle. Wenn Sie sich mal ansehen, wie viele Kohlekraftwerke genehmigt sind und nicht gebaut werden oder im Genehmigungsverfahren sind, dann merken Sie, da ist eine ganze Menge Luft drin. Wir sagen das, obgleich wir die Umweltschutzprobleme der Kohle kennen. Wir sagen: Vorrang der Kohle, die
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Dr. Ehmke
Zeit nutzen, um in der Entsorgung praktisch weiterzukommen, damit auch Herr Albrecht weniger Sorgen haben muß. Wenn es aber notwendig ist, doch schon zu einem bestimmten Zeitpunkt Kernkraftwerke zuzubauen, dann bitte mit Entsorgungsmaßnahmen, die den Grundsatz „Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit" nicht zur Farce werden lassen.
Wir fordern bestimmte Bedingungen für den Bau, der zehn Jahre dauert. Für die Inbetriebnahme fordern wir noch viel härtere Bedingungen, um den Menschen glaubwürdig sagen zu können: Jawohl, hier geht Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit.
Ich finde es wirklich unerhört, wie Sie in dieser Frage mit den Gefühlen und den Ängsten von Menschen umgehen, sich hier in Pose stellen, ohne ein Wort zu den Schwierigkeiten zu sagen, die noch vor uns stehen. Das ist nicht in Ordnung. So kann man nicht mit den Sorgen von Menschen umgehen, auch nicht mit Sorgen, die man selbst nicht teilt.
Ich sage in diesem Zusammenhang aber auch etwas, bei dem Sie mir nun wieder zustimmen werden, aber manche meiner Freunde nicht. Ich bin der Meinung, daß vom Bedarf her die Frage für die Bundesrepublik dahin zu beantworten ist, daß man für die nächsten Jahrzehnte auf Kernenergie nicht verzichten kann. Dieses Argument wird noch wesentlich stärker, wenn man die weltweite Entwicklung sieht. Es ist kein Zufall, daß die Nord-Süd-Kommission von Willy Brandt unabhängig von parteipolitischer Zugehörigkeit, vom Sozialisten Olof Palme über den früheren Chef der britischen Konservativen, Ted Heath, bis hin zu den Vertretern der Entwicklungsländer, gemeinsam zu der Erkenntnis gekommen ist, daß gerade im Interesse der Dritten Welt, wo die Bevölkerung sich explosiv vermehrt und darum der Energieverbrauch besonders drastisch steigt, weltwirtschaftlich in den nächsten Jahrzehnten auf Kernenergie nicht verzichtet werden kann. Aber diese Tatsache heißt nicht, daß wir unsererseits auf das MaB an Sicherheit verzichten könnten, das wir in einem bestimmten zeitlichen Ablauf mit unserer Kapazität, mit unserer Technik, mit unserem Know how auch wirklich erreichen können.
Ich will, weil die Zeit fortgeschritten ist, nicht noch einmal auf den auf dem Parteitag diskutierten Vorschlag für die größte gesellschaftspolitische Reform eingehen, die wir in der nächsten Legislaturperiode zu bewältigen haben werden, nämlich die Reform der Hinterbliebenenversorgung und der Sozialversicherung. Ich bin nur der Meinung: Auch wenn man am Ende anderer Meinung ist als wir, Norbert Blüm, sollte man eigentlich anerkennen können, daß hier die SPD-Arbeitsgruppe „Sozialpolitisches Programm" unter Herbert Wehner eine phantastische Diskussionsgrundlage vorgelegt hat.
— Aber, Kollege Blüm, was heißt denn „Für jeden etwas"? Wir haben, weil Millionen von Menschen davon betroffen sind, statt zu sagen „So ist es, friß, Vogel, oder stirb!", Alternativen aufgezeigt. Bevor
entschieden wird, wollen wir eine breite Diskussion mit den Betroffenen, daß sie nicht das Gefühl haben: Das wird von oben gemacht.
Ich will hier im einzelnen nicht darauf eingehen. Ich habe nur eine Bitte: Ich fände es außerordentlich gut, Herr Kohl, wenn wir dafür sorgen könnten, daß diese Debatte der Rentenreform möglichst nicht — auch aus Ihren Reihen nicht — begleitet wird mit irgendwelchen Forderungen, die Bundestagsdiäten schon wieder zu erhöhen. Das paßt schlecht zueinander.
Ich sage das, weil ich Zeitungsmeldungen gelesen habe und ich der Meinung bin — —
— Augenblick! Ich habe Zeitungsmeldungen gelesen.
— Wenn Sie statt zu schreien zuhören könnten, Herr Jenninger, stünde Ihnen das sehr gut an.
Ich habe Zeitungsmeldungen gelesen, daß aus Ihren Kreisen die Frage aufgeworfen worden ist.
Wenn das falsch ist, dann können Sie das hier richtigstellen. Stellen Sie sich hier nicht an wie so ein Rumpelstilzchen!
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl.
Herr Abgeordneter Ehmke
— ich will in diesem Zusammenhang wirklich nicht sagen „Herr Kollege Ehmke" —, würden Sie dem Hohen Hause mitteilen, wer aus der CDU/CSU-Fraktion den von Ihnen eben beschriebenen Vorschlag zur Diätenerhöhung gemacht hat?
Herr Kollege Kohl, wenn Sie zugehört hätten, wüßten Sie, daß ich gesagt habe: Ich habe in der Zeitung gelesen, daß solche Vorschläge gemacht worden sind. Wenn Sie mir jetzt sagen, daß
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Dr. Ehmke
trifft nicht zu, dann nehme ich das dankbar zur Kenntnis,
weil ich mich freue, wenn das Hohe Haus in diesem Punkt einig ist.
Herr Jenninger, es besteht wirklich kein Grund, zu schreien. Hier werden oft Dinge richtiggestellt.
— Nein, das war nicht unfair. Ich bin sogar froh, daß ich die Frage gestellt habe, damit nach dieser Debatte klar ist, daß auch Sie das nicht wollen.
— Wieder heimgezahlt? — Benehmen Sie sich doch nicht so, als ob Sie in einer Schulklasse wären.
Herr Kollege Ehmke; erlauben Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kohl?
Ja, natürlich.
Herr Abgeordneter Ehmke, haben Sie in der Tat nicht zur Kenntnis genommen, daß die CDU/CSU-Fraktion nach diesen von Ihnen herangezogenen und, wie Sie sehr wohl wissen, lancierten Pressemeldungen
noch am selben Tag erklärt hat, daß sie einen solchen Vorschlag nicht gemacht hat?
Herr Kohl, nein, das weiß ich nicht. Das ist dann mein Fehler. Ich weiß es wirklich nicht; vielleicht, weil ich die Woche in Berlin war.
- Herr Jenninger, ich verstehe Ihre Erregung wirklich nicht.
— Nein. Herr Kollege Jenninger, hören Sie mir doch einmal zu. Sie glauben doch nicht, daß ich Ihnen etwas unterstelle — —
— Es tut mir sehr leid.
Das kommt vielleicht von dem, was Sie aus Ihren eigenen Reihen gewohnt sind. Sie können sich bei mir darauf verlassen:
Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich gesagt: Ich freue mich, daß wir uns darin einig sind.
Ich habe es nicht gewußt. Ich nehme Ihre Klarstellung zur Kenntnis, und zwar freudig zur Kenntnis.
Ich weiß wirklich nicht, warum Sie diesen Zirkus machen müssen, wenn ich einer solchen Pressemeldung aufgesessen bin. Herr Jenninger, nehmen Sie es mir bitte ab: Ich wußte es wirklich nicht.
Ich komme zum Schluß.
Es ist doch sehr schön, daß es sich jetzt beim letzten Punkt heraùsstellt, daß es im Gegensatz zu dem Eindruck, der in der Offentlichkeit entstanden ist
der jedenfalls bei mir entstanden ist, eine Gemeinsamkeit gibt. Wenn Sie mit uns immer so fair umgingen, wären wir in der ganzen demokratischen Diskussion sehr viel weiter.
— Herr Haase, da Sie sicher nicht annehmen, daß ich Sie ernst nehme, erspare ich mir eine Antwort.
Aber um noch einmal auf das zurückzukommen, was Herr Strauß zu den Beschlüssen des Parteitages in den beiden Hauptfragen geäußert hat, sage ich Ihnen eins: Ich glaube nicht, daß die Unionsparteien eine Chance haben werden, wieder an die Regierung zu kommen, solange sie nicht bereit sind, die Aufgabe der Opposition, in der Sache Alternativen zu bieten, innerlich wirklich zu übernehmen und auszufüllen.
Ich glaube nicht, daß es Ihnen gelingen wird — nachdem Sie zehn Jahre lang Ihre Augabe als Opposition nicht erfüllt haben —, wieder in das Regierungsamt zu kommen. Richtig ist allerdings, daß Sie für eine solche Rückbesinnung, nach der auch die Oppositionsaufgaben ernstgenommen werden, 1980 zu-
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Dr. Ehmke
nächst einmal Herrn Strauß wieder loswerden müssen. Wir werden Ihnen dabei helfen.
Ehe ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich Ihnen mitteilen, daß das Präsidium gehört hat, daß Sie, Herr Kollege Jenninger, den Redner einen Verleumder genannt haben.
Ich kann diesen Zuruf mit dem besten Willen nicht als einen parlamentarischen Ausdruck an sehen. Ich rüge Sie deswegen.
Als nächster Redner hat das Wort der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem bayerischen Ministerpräsidenten liegt die sozialliberale Koalition offenbar schwer im Magen. Dafür kann man ja durchaus Verständnis haben. Aber gerade seine heutige Rede hat uns nicht die Überzeugung vermitteln können, daß es falsch war, die Erfolge und den Fortbestand der Koalition aus Anlaß ihres zehnjährigen Bestehens zu feiern. Meine Damen und Herren, eine Alternative zu dieser politischen partnerschaftlichen Gemeinschaft hat die Rede des bayerischen Ministerpräsidenten heute nicht aufgezeigt.
Franz Josef Strauß sprach dann in seiner Kritik von einem Schleiertanz der Regierung und hat dabei die Entscheidung über die Nachrüstung gemeint.
— Meine Damen und Herren, ich kann verstehen, daß Sie die Diätenfrage immer am meisten erregt.
Das muß doch nicht so sein; denn in dieser Frage bestand doch wohl seit langem zwischen den Fraktionsvorsitzenden Einvernehmen,
daß dem Präsidenten des Bundestages empfohlen werden soll, in dieser Legislaturperiode keine Initiative zu ergreifen.
Deshalb braucht dieses Einvernehmen nicht noch einmal so intensiv bekräftigt zu werden.
Ich möchte deshalb zu dem Diskussionsbeitrag zurückkehren, den der Kanzlerkandidat der Opposition hier heute geleistet hat. Er — ich wiederhole es — sprach von einem Schleiertanz der Regierung und hat dabei die Entscheidung über die Nachrüstung gemeint. Wie sich Herr Strauß für seine Philippika ausgerechnet diesen Punkt als Angriffsziel aussuchen konnte, ist allerdings das einzige, was daran wirklich schleierhaft genannt werden kann.
Nun hat bei diesem Thema auch Herr Kollege Barzel vornehme Zurückhaltung geübt und den Beitrag der Opposition auf Freitag vertagt. Aber gerade wegen der anstehenden Entscheidung im Bündnis wäre es für die Bundesregierung sicher wichtig, zu erfahren, wie die Opposition nicht nur zur Frage der Nachrüstung, sondern auch zu den Abrüstungsvorschlägen steht, von denen der Außenminister hier heute gesprochen hat.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Barzel, Herr Kollege Hoppe?
Bitte schön.
Herr Kollege Hoppe, ist Ihnen heute morgen das zustimmende Nicken des Herrn Bundesaußenministers entgangen, als ich hier erklärte, daß das, was v o r seiner Reise, zu der wir ihm Glück und Erfolg wünschen, von der Opposition öffentlich und intern zu sagen sei, bisher schon als hilfreich und konstruktiv anerkannt worden ist? Haben Sie wirklich überhört und übersehen, was Herr Genscher hier gemacht hat?
Nein, Herr Barzel. Dennoch
kann diese Zustimmung des Außenministers doch wohl nur für den Beitrag gedeutet werden, den Sie bisher zu dieser Frage öffentlich und intern geleistet haben, den zum Thema Nachrüstung. Was fehlt, ist Ihr klares Wort zum Thema Abrüstung.
Der Zugriff in den Zettelkasten hat beim Kollegen Strauß den Blick zurück im Zorn diesmal nicht blitzend gemacht. Da war die Rede des Kollegen Barzel schon zeitnäher und energiegeladener.
Herr Kollege Hoppe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes ?
Meine Damen und Herren, Franz Josef Strauß hat allenfalls eine Aphorismen- und Pointen-Show geliefert. Der Blick in die Vergangenheit hat keine Lösungsmodelle für die Zukunft hervorgebracht.
Die Finanzpolitik mit ihrer Verschuldensproblematik ist in der Tat ein ernstes Thema. Aber die von Franz Josef Strauß aufgestellte Behauptung, diese Regierung habe auf Stabilitätspolitik überhaupt verzichtet, ist einfach absurd. Auf diesen Punkt werde ich noch eingehend zurückkommen.
Der Kollege Barzel hat dann einen Ausflug in die Deutschlandpolitik gemacht. Nun, an der Deutsch-
15098 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
Hoppe
landpolitik kann man sich natürlich trefflich reiben. Es liegt in der Sache selbst begründet,
daß wir uns mit unbefriedigenden Verhältnissen herumschlagen müssen, nämlich mit den Folgen der Teilung unseres Landes. Daraus kann naturgemäß niemals Zufriedenheit erwachsen.
Was uns Freie Demokraten allerdings grundsätzlich von der Opposition unterscheidet, ist unsere hartnäckige Bereitschaft, um jeden praktischen Fortschritt im deutsch-deutschen Alltag zu ringen.
Die deutschlandpolitischen Anmerkungen der Opposition aber schwankten wieder einmal zwischen nationaler Akklamation und bedrückender Realitätsferne. Die CDU/CSU, die zur Zeit ihrer Regierungsverantwortung den absoluten Stillstand in der Deutschlandpolitik bevorzugt hat, tritt jetzt im anklagenden Ton vor die Bundesregierung, wenn sich die Machthaber in Ost-Berlin aus Angst vor inneren Erschütterungen auf eine harte Linie zurückziehen, wenn sie Vertragsverstöße riskieren oder von den in Helsinki vereinbarten Prinzipien nichts mehr wissen wollen. Mit unserer Kritik gegenüber einer auf den Freiheitsrechten der Bürger herumtrampelnden DDR-Führung werden wir auch in Zukunft nicht hinter dem Berg halten. Wir wollen aber nicht den Eindruck erwecken, als ob es in der Macht der Bundesregierung läge, das jeweilige Fehlverhalten der DDR unverzüglich aus der Welt zu schaffen. Wir haben nicht die Möglichkeit der unmittelbaren Einflußnahme. So schwer es auch fällt und so mühsam es für uns ist: Nur wenn wir die Grenzen unserer Politik genau beachten, werden wir im deutsch-deutschen Verhältnis zu weiteren Fortschritten kommen. Es werden immer nur kleine Fortschritte sein können, aber ihre Summe macht den Erfolg der Politik aus.
Das hat vor wenigen Wochen auch Bundespräsident Karl Carstens sehr deutlich herausgestellt, als er in Berlin erklärte:
Die Ostverträge, das Viermächteabkommen über Berlin und der Grundlagenvertrag mit der DDR haben eine neue Lage für Berlin geschaffen. Auch für die kommenden Jahre werden wir neben politischer Klugheit und festem Willen ein hohes Maß an Geduld brauchen.
Sein Wort in Ihr Ohr, meine Damen und Herren von der CDU/CSU.
Was der Kollege Barzel zu den Ausführungen zu sagen hatte, die Professor Jens auf dem SPD-Parteitag in Berlin gemacht hat, schien mir auch nicht gerade geglückt. Die Kritik von Professor Jens war zwar maßlos überzogen — der Rhetoriker ist da offenbar mit sich selbst durchgegangen —, aber Maßlosigkeit sollte man nicht mit Maßlosigkeit beantworten. Dem Kollegen Barzel ist, wie mir scheint, der Drahtseilakt mißlungen, den er hier an dieser Stelle gewagt hat.
So wirkt denn vieles bei der Opposition krampfhaft und aufgesetzt. Manches davon erklärt sich wohl als eine Reaktion auf die hauseigenen Probleme. Monatelang war die Opposition einem Prozeß der Zerfaserung ausgesetzt. Nun, nachdem sie die drohende Katastrophe der Auflösung dadurch abgewehrt hat, daß sie sich dem Druck der CSU beugte, hat sie offenbar das verständliche Bedürfnis, irgendwo Pflöcke einzuschlagen. Dieser Aktionismus, zunächst von der CSU gegen die CDU inszeniert, hat nun die ganze Union ergriffen.
Am Anfang stand die nackte Drohung mit der Veränderung der Parteienstruktur. Dann folgte der Angriff gegen die Einheitsgewerkschaft. Schließlich kam es zu jener Kampagne zur Vergiftung des politischen Klimas durch die versuchte Gleichsetzung von Sozialdemokratie und Nationalsozialismus. Danach wurde zum Kulturkampf um die Schule geblasen. Jede Verständigung in der Schulpolitik wurde von Bayern fast unmöglich gemacht.
Auch darauf ging die CDU mit Ausnahme des Kultusministers Remmers, der dafür seinen Preis gezahlt hat, ergeben ein.
Herr Kollege Hoppe, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haase?
Bitte sehr, Herr Kollege Haase.
Herr Kollege Hoppe, bei Ihnen möchte ich zumindest um Klarstellung bitten. Sie stellen hier auf die schulpolitischen Aktionen des Freistaates Bayern in den letzten Wochen ab. Sind Sie bereit, mir zuzugestehen, daß diese Kümmernisse, die sich in unserem Land entwickeln, durch den Alleingang des Landes Hamburg ausgelöst worden sind und damit die Absprache der Bundesländer untereinander erstmals von Hamburg gebrochen worden ist?
Herr Kollege Haase, ich habe hier auf eine bedenkliche innenpolitische Tendenz abgezielt, die sich leider in Ihren Reihen breitgemacht hat. Ich muß auf Ihre Frage noch einmal feststellen, daß der Kollege Remmers in Niedersachsen nicht wegen der Entscheidung des Hamburger Senats von seiner Funktion in der Kultusministerkonferenz zurückgetreten ist.
Das war der Grund dafür, Herr Kollege Haase, daß ich diese Kette hier ausgebreitet habe. Die permanente Unterwerfungsgeste der CDU kann die politische Auseinandersetzung in unserem Land insgesamt um ihre rationale und kalkulierbare Komponente bringen. Ich weiß nicht, ob man erschrocken oder amüsiert sein soll, wenn sich der Kanzlerkandidat, die neue Leitgestalt der Opposition, auf dem Zu-
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kunftskongreß Mitte November in München berufen fühlte, ausgerechnet für Wahrhaftigkeit, Zuverlässigkeit, Partnerschaft und Disziplin zu plädieren. Das sind genau jene Eigenschaften, für die Franz Josef Strauß auf Grund seiner politischen Vita einfach nicht steht.
Von seiner speziellen Form des Partnerschaftsgedankens, verehrter Herr Kollege Jäger, kann doch wohl gerade die gebeutelte CDU ein und ihr Klagelied laut oder leise singen.
Es steht nicht nur die Glaubwürdigkeit der Union auf dem Spiel. Ich appelliere deshalb an alle Besonnenen, sich wieder auf einen fairen Wettstreit der Meinungen einzulassen.
Die meisten Bürger haben die Nase voll von einem maßlosen Hauen und Stechen, das sich fast täglich auf unserer politischen Bühne abspielt. Sie wollen nicht nur Verdächtigungen.
Reden wir deshalb zur Sache! Wir werden uns auch weiterhin um eine klare Zielansprache bemühen und um vernünftige Lösungen ringen. Dabei gilt es, sich von Panikstimmung frei- und von Schönfärberei fernzuhalten. Für uns sind Fakten entscheidend; für die Bürger unseres Landes sind sie alles andere als bedrückend.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat eine durchaus positiv geprägte Lagebeschreibung veröffentlicht. Zwar ist die Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht ohne Risiken, und bei der Haushaltspolitik sind sogar einige grobe Schönheitsfehler zu verzeichnen, aber das Jahresgutachten belegt, daß unsere Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik auf dem richtigen Kurs ist. Bemerkenswert und erfreulich ist es dabei, daß die Sachverständigen nicht nur über die Konjunktur orakelt haben. Ihre nüchterne Bilanz in der Energie- und Entwicklungspolitik kann dazu beitragen, die politische Auseinandersetzung auf diesen so wichtigen Gebieten zu versachlichen. Die Analyse und die Empfehlung stehen verständlicherweise unter dem Vorbehalt, daß sich die internationalen Rahmenbedingungen nicht dramatisch verändern.
Bei der Konzentration auf den in der eigenen Verantwortung liegenden Bereich rückt die Eindämmung des Preisanstiegs in den Mittelpunkt. Die Sachverständigen erhoffen sich von einer die inflatorischen Tendenzen brechenden Politik des knappen Geldes eine Entlastung an der Tariffront. Gleichzeitig erklären sie die Konsolidierung der Staatsfinanzen zu der Aufgabe mit absoluter Priorität.
Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Tarifabschlüsse ganz entscheidend Einfluß auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung des kommenden Jahres haben werden. Hoffnungsvoll stimmt die Tatsache, daß die Gewerkschaften in den Tarifrunden 1978/79 gesamtpolitisches Verantwortungsbewußtsein bewiesen und daß sie bei der Diskussion über den Nachschlag das richtige Augenmaß bewahrt haben. Hier wird deutlich, daß alle aus bitteren Erfahrungen gelernt haben. Die böse These „höhere Löhne bedeuten niedrigere Beschäftigung" ist nicht vergessen worden. Insofern hat sich einiges von dem geändert, was Konrad Adenauer noch so ausgedrückt hat: „Wir leben zwar alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont:
Andererseits kann man sich auch nur schwer vorstellen, daß sich gerade Gewerkschaftler in der Rolle des tarifpolitischen Musterknaben besonders wohlfühlen. Maßhalteapostel zu sein, muß ihnen aber besonders dann schwer erträglich werden, wenn gleichzeitig der Eindruck zu gewinnen ist, daß die Entwicklung auf der Unternehmerseite trotz der Energiekostenproblematik ganz anders verläuft. Wenn dort der Kostendruck immer flugs auf die Verbraucher abgewälzt wird, dann kann es prekär werden. In der Tat stehen wir, wie es der Bundesbankpräsident vor dem Haushaltsausschuß formuliert hat, vor einer Preis-Lohn-Spirale und nicht umgekehrt. Diese Situation gebietet äußerste Disziplin auf dem Unternehmenssektor. Bei einer exzessiven Preisgestaltung werden die Dämme brechen, weil dann der Unmut über die schon vorhandene Energiebelastung überschäumen würde. Gewerkschaften und Unternehmer sollten die guten Erfahrungen der letzten Tarifrunde aktivieren. Nur mit vernunftbetonten Entscheidungen kommen Abschlüsse zustande, die die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft nicht in Frage stellen und die die Arbeitsplätze sichern.
Meine Damen und Herren, natürlich ist es für die Tarifpartner ein Ärgernis, wenn ausgerechnet der Staat durch die überproportional steigenden Steuern zum lachenden Dritten und Hauptnutznießer von Tarifanhebungen wird. Genau an dieser Stelle setzt dann auch die Opposition mit ihrer Forderung nach Steuerentlastungen schon für 1980 an. Sie erhält dabei allerdings nur spärlichen Zuspruch. Verständlich, daß die Gewerkschaften Sympathie empfinden.
Sie würden damit von dem Druck befreit, für Geldentwertung, Heizkostenbelastung und Progressionswirkung einen Ausgleich erstreiten zu müssen. Wo der Vorstoß der Opposition sonst noch auf Zustimmung trifft, geschieht dies kaum nach einer objektiven Bilanzierung der gesamtwirtschaftlichen Fakten, sondern immer nur bei einer Reduzierung auf die Preis-Lohn-Problematik. Gegen diese Einengung aber müssen wir uns mit aller Macht wehren, weil damit selbst der Ansatz einer Sanierung der Staatsfinanzen zuerstört würde.
Die Bundesbank, der Sachverständigenrat, die Konjunkturforschungsinstitute, der Deutsche Industrie- und Handelstag, die Banken, der Bundesverband der Deutschen Industrie, sie alle plädieren gemeinsam mit der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen dafür, im Jahre 1980 der Konsolidierung der Staatsfinanzen den Vorrang einzuräumen
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und erst im darauffolgenden Jahr den Steuerabbau zu betreiben.
Meine Damen und Herren, weil das inzwischen eine so einhellige Meinung ist und weil man einer Konsolidierung gar nicht mehr ausweichen kann, hat sich offenbar auch der bayerische Ministerpräsident, obwohl er sehr viel über Staatsfinanzen, Verschuldung und Verschuldungsproblematik geredet hat, bei dem Thema „Steuersenkungen für 1980" ausgesprochen vornehm zurückgehalten; er hat zu diesem Thema nämlich geschwiegen.
Meine Damen und Herren, Professor Neumark hat in seinem Beitrag in der „Wirtschaftswoche" das Verlangen nach einer umgehenden Steuersenkung zwar auch als verständlich bezeichnet, aber für außerordentlich bedenklich erklärt. Er sieht selbst 1981 noch nicht die Zeit für größere Steuerentlastungen gekommen und erinnert gerade die Opposition daran, daß sie seit Jahren die Konsolidierung gefordert habe und daß nun kein Weg daran vorbeigehe.
Meine Damen und Herren, an der jetzt zu treffenden Prioritätenentscheidung darf nicht mehr gewackelt werden. Für ein bißchen Steuerentlastung, ein bißchen Arbeitsmarktpolitik, ein bißchen Regionalförderung und ein bißchen Konsolidierung ist einfach kein Raum mehr.
Es muß klar sein, daß die Konsolidierung den absoluten Vorrang hat, und zwar ohne Wenn und Aber. Wir müssen jetzt das Konto der Schuldenhöhe und der Zinslast abtragen, das sich beim Bund als Konjunkturlokomotive der letzten Jahre angesammelt hat. Die Sachverständigen haben uns noch einmal gemahnt, jenes Haushaltsstrukturdefizit von 20 bis 25 Milliarden DM abzutragen, an dem die Haushalte seit Jahren kranken und mit dem sich der konjunkturell gebotene Verschuldungsprozeß kumuliert hat. Vernachlässigen wir die Absenkung der Finanzierungsdefizite in konjunkturell guten Zeiten, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die politische Gestaltungsfähigkeit leidet und die „Manövriermasse" kleiner wird.
Meine Damen und Herren, diese Feststellung steht in einem Papier des Bundesministeriums der Finanzen, und ich bin sehr froh darüber, daß der Finanzminister diese Position jetzt eingenommen hat. Bei den Haushaltsberatungen 1979 war das zunächst noch nicht so eindeutig.
Das hat uns seitens der Sachverständigen den Tadel eingetragen, daß der Konsolidierungsspielraum im Jahre 1979 nicht ehrgeizig genug genutzt worden ist.
Die Finanzpolitik muß sich tatsächlich von dem Verdacht befreien, das verführerische Hexen-Einmaleins anwenden zu wollen. Beherzigen wir den Rat, uns an das übliche „zweimal zwei ist vier" zu halten; es ist zwar weniger attraktiv, hat aber den Vorteil der Rationalität.
Über den beklagenswerten Zustand der Staatsfinanzen ist lange genug geredet worden. Jetzt muß gehandelt werden. Ich kann deshalb einfach nicht verstehen, daß sich die Opposition ausgerechnet in diesem Augenblick der Aufgabe der Sanierung der Staatsfinanzen entziehen will. Wir sollten uns dennoch von der Konsolidierung nicht abbringen lassen. Der Zielkonflikt zwischen überfälliger Steuerreform und Zwang zur Konsolidierung hat allerdings auch 1981 noch keine so völlig andere Dimension.
Die Konsolidierung ist jedenfalls keine Aufgabe nur für ein Jahr und darf deshalb nicht zur Eintagsfliege werden.
Die erschreckend imposante Zahlenkette für 1983 aus der mittelfristigen Finanzplanung zwingt einfach dazu, mit der Konsolidierung weiterzumachen. Die Zahlen sehen so aus: Schulden des Bundes über 300 Milliarden, Zinsbelastung rund 22 Milliarden, Nettoneuverschuldung rund 21 Milliarden DM. Wir können uns deshalb mit dem bescheidenen Erfolg dieses Haushalts nicht zufriedengeben; die Tendenzwende muß verstetigt werden. Allein die Tilgungsraten, die 1981 und 1982 mit jeweils mehr als 35 Milliarden DM zu Buche stehen, sollten die Steuerentlastungsdiskussion dämpfen.
1981 können wir allerdings bei den Steuern nicht untätig bleiben. Durch die Progressionswirkung des Steuertarifs verschärft sich die Situation so, daß Korrekturen unausweichlich sind, denn .der Staat darf gegenüber seinen Bürgern nicht zum Inflationsgewinnler werden.
Ob es sich dabei angesichts des Zustandes unserer Staatsfinanzen um drastische oder eher um maßvolle Steuererleichterungen handeln wird, möchte ich in diesem Augenblick noch dahingestellt sein lassen. Man kann jedenfalls nicht gut damit argumentieren, daß ja schließlich immer mehr Steuern in die Staatskassen fließen, als vom Bundesfinanzminister vorhergesagt und im Haushalt etatisiert wurden. Das ist zwar im Prinzip richtig, auch wenn diese Regel mit ein paar schlimmen Ausnahmen durch-broche• wurde. Entscheidend ist aber letztlich, daß wir trotz der Steuermehreinnahmen genau bei dem jetzigen Schuldenstand gelandet sind. Die für 1981 in Aussicht genommenen Steuerkorrekturen sollten daher nicht zu einem Konsolidierungskontrastprogramm werden.
Unter gar keinen Umständen darf die Steuergesetzgebung außer Kontrolle geraten, weil die Parteien sich gegenseitig überbieten wollen.
Eine Steuerauktion darf nicht stattfinden. Daher kann ich nur die dringende Warnung aussprechen, die Kirche im Dorf zu lassen.
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Die Opposition wird aber wohl weiterhin schon für 1980 Steuererleicherungen fordern und gleichzeitig Konsolidierung predigen.
Um an dieser widersprüchlichen Haltung nicht zu scheitern, versucht sie, Konsolidierungsspielräume vorzugaukeln, die in Wirklichkeit wenig ergiebig sind. Bevorzugt wird hierbei über Kürzungen der Subventionen und Verzicht auf Kapitalzuführungen bei staatlichen Unternehmen gesprochen. Die Forderungen und Absichtserklärungen, endlich auch auf diesem Feld zu Einsparungen zu kommen, sind immer allseitigen Beifalls sicher. Und natürlich beißt auch keine Maus einen Faden von der Erkenntnis ab, daß eine Konsolidierung der Staatsfinanzen, die diesen Namen wirklich verdient, eine völlige Umstrukturierung des Haushalts voraussetzt. Und dies bedeutet z, B. die Rodung des Subventionsdickichts.
Richtig ist auch, daß der Subventionsbericht der Bundesregierung mehr und mehr zu einer Leistungsbilanz geworden ist und von seinem eigentlichen Zweck, Leitlinie für Sparbeschlüsse zu werden, vieles eingebüßt hat. Eine Umkehr wäre also dringend geboten. Wann immer Haushaltsberatungen das einmal erreichen sollten, es könnte zu einer großen Stunde und zu einem Meilenstein in der Finanzpolitik unseres Landes werden. Aber wer vermag daran schon so recht zu glauben?
Wenn es nämlich ans Eingemachte geht, d. h., wenn die Subventionen auf Streichungsmöglichkeiten abgeklopft werden, dann stehen wir immer wieder vor unüberwindlichen Schwierigkeiten, die die Spezialisten, die Fürsorger und die Mentoren aus allen Fraktionen vor uns auftürmen. So ist es doch, meine Damen und Herren, traurige Wirklichkeit, daß es leichter ist, eine neue Subvention zu beschließen, als eine alte abzuschaffen.
Für die Steuern gilt leider genau dasselbe. Auch der Vorstoß der Kollegen Pieroth und Dr. Langner lief nach der Devise ab: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß! Sie kündigten zwar eine Initiative zur Streichung von wenigstens 5 % der direkten Finanzhilfe des Bundes von über 13 Milliarden DM an, aber sie wollten es der Bundesregierung überlassen, festzulegen, welche Summen denn im einzelnen zu beseitigen oder zu kürzen seien. Nach der Methode „Hannemann, geh du voran" werden wir aber in dieser Frage nicht weiterkommen. Hier muß solidarisch gehandelt werden.
Bei den Subventionen sind wir davon jedoch noch genauso weit entfernt wie bei den Kapitalausstattungen von Unternehmen der öffentlichen Hand. Es ist ja richtig, daß die Opposition fordert, hier sehr kritisch mit Steuermitteln umzugehen. Denn angesichts der hohen Staatsverschuldung muß jede Mark, die in ein öffentliches Unternehmen geht, zweimal umgedreht werden. Aber, meine Damen und Herren, im Gegensatz zur Opposition fordern wir dies nicht nur, sondern handeln auch danach und sind bereit, für unser Handeln die Verantwortung zu übernehmen.
Die Koalition hat deshalb auf Antrag der FDP die Kapitalzuführung für die Salzgitter AG gegenüber dem im Entwurf der Bundesregierung vorgesehenen Ansatz gekürzt. Dies war vertretbar und im Interesse der Haushaltskonsolidierung auch unabweisbar geboten. Ich begreife, daß der Betriebsrat des Konzerns dagegen demonstriert. Aber ich verstehe überhaupt nicht, daß sich die CDU/CSU-Fraktion, die bei den Bundesbeteiligungen ebenfalls kürzen wollte — allerdings in Form einer globalen Kürzung bei der ganzen Titel-Gruppe —, dann wieder aus der Verantwortung für diese Kürzungsmaßnahme stahl. Jedenfalls wird im Schreiben des Parlamentarischen Geschäftsführers Jenniger an den Konzernbetriebsrat vom 7. Oktober 1979 dazu festgestellt, daß die CDU/CSU-Fraktion keinen konkreten Kürzungsantrag gestellt habe und die vom Betriebsrat gefürchtete Initiative zur Kürzung nicht von der Opposition ergriffen worden sei.
Gleichzeitig wird dann mit einem freundlichen Dank des Herrn Kohl für das Schreiben der Petenten die Versicherung übermittelt, daß sich die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion auch in Zukunft bei allen die Salzgitter AG betreffenden Fragen ihrer besonderen Verantwortung für die Arbeitnehmer und die gesamte Bevölkerung im Zonenrandgebiet bewußt sei.
Meine Damen und Herren, der Vorgang spricht Bände. Ich habe ihn hier aber nicht aus erzieherischen Gründen vorgetragen. Denn die Opposition wird sich in ihrem Verhalten so lange nicht ändern, wie der Meinungsstreit über Inhalt der Politik, Strategie und Taktik andauert. Angesichts dieser Situation dürfte es ja dann wohl auch schwierig sein, in der Subventionspolitik zu neuen Ufern zu gelangen; ich sehe hier jedenfalls schwarz.
Meine Damen und Herren, was die Konsolidierung des Haushalts angeht, so werden wir diese Aufgabe wohl in der Regierung und Koalition allein bewältigen müssen.
Die Mitwirkung der Opposition wird sich gewiß auf den Beitrag des einen oder anderen Haushaltspolitikers beschränken. Ich will hier keineswegs leugnen, daß es bei den Haushaltsberatungen in einigen Bereichen eine solche erfreuliche Zusammenarbeit gegeben hat. Dieses kann mit großer Befriedigung von den Beratungen der Personalkommission gesagt werden. Hier ist von den Kollegen des Haushaltsausschusses ein bemerkenswertes Ergebnis erzielt worden: Statt der 3 310 beantragten neuen Stellen wurden nur 1 989 bewilligt; von den 1 320 geforderten Stellenhebungen wurden 575 abgelehnt.
Auch bei den Sachtiteln hat der Haushaltsauschuß ordentlich zugegriffen und gegenüber dem Etatentwurf der Bundesregierung die Tendenz „Stoppt die Neuverschuldung!" verstärkt. Partiell hat es dabei eine gute Gemeinschaftsarbeit im Haus-
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haltsausschuß gegeben. Die Beratung der Einzelpläne 11, 13 und 30 mag da besonders beispielhaft gewesen sein. Auf der anderen Seite hat die Opposition bei haushaltspolitisch brisanten Fragen so erstaunlich inkonsequent reagiert, daß das Ganze nur mit totaler Konfusion zu erklären ist. Wie anders soll man es sonst bezeichnen, daß die Opposition die Kürzung von Straßenbaumitteln ablehnte, obwohl die auf Stabilität bedachte Bundesbank gerade hier eine Komponente der hausgemachten Inflation geortet und deshalb die Versäumnisse der öffentlichen Finanzpolitik auf diesem Gebiet getadelt hat?
Genauso wenig gibt die einhellige Ablehnung der Aufstockung der Haushaltsmittel für die Entwicklungshilfe durch die Opposition einen Sinn. Nicht nur, daß sich der Kollege Todenhöfer sonst gern zum entwicklungspolitischen Gewissen der Nation aufschwingt und die Opposition sonst gern hier eine Vorreiterrolle beansprucht, nein, auch der Sachverständigenrat drängt uns in diesem Augenblick zu einer finanziellen Ausweitung der Entwicklungshilfe. Selten, scheint mir, hat die Opposition so verworren reagiert und so kreuz und quer dahergeredet. Klare und überzeugende Antworten au f die wirtschaftsfinanz- und haushaltspolitischen Fragen des Tages sind von dort nicht zu bekommen.
Dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses gebührt Dank dafür, daß er die Beratung so sachlich und zügig geleitet hat. Das Riesenprogramm wurde so rechtzeitig abgewickelt, daß ein Bundeshaushalt zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland vor Beginn des Etatjahrs verabschiedet werden kann. Es enttäuscht aber sehr, daß der Kollege Windelen als Oppositionspolitiker in diesem Ereignis das einzig Positive der Haushaltsberatungen zu erblicken vermag.
Die Sprüche von der unsoliden Finanzierung und dem süßen Gift des Schuldenmachens
klingen aber doch hohl angesichts der absoluten Konzeptionslosigkeit der Opposition.
Der Abschluß des Haushalts 1980 ist sicher besser, als es die Opposition wahrhaben will. Das Haushaltsvolumen konnte auf 214,5 Milliarden DM beschränkt werden und liegt um 820 Millionen DM unter dem Regierungsentwurf, und dies, obwohl während der Beratungen unabweisbare Mehrausgaben von über 1 Milliarde DM für energiepolitische Maßnahmen und humanitäre Hilfeleistungen zusätzlich berücksichtigt werden mußten. Das war nur möglich, weil dafür die Deckung durch Kürzungen an anderer Stelle beschafft wurde.
Bei Streichungen auf der Ausgabeseite von über 2 Milliarden DM kann die Opposition nicht ernsthaft behaupten, daß wir auf unsere Ankündigung keine Taten folgen ließen. Der einschneidende Zugriff auf der Ausgabeseite ist evident. Zusammen mit der Verbesserung der Einnahmeseite durch Steuermehreinnahmen ergab das die Voraussetzung dafür, daß wir die Nettokreditaufnahme um rund 4 Milliarden DM gegenüber dem Entwurf senken konnten. Dies ist ein beachtliches Ergebnis. Mit Fug und Recht darf im Zusammenhang mit dem Haushalt 1980 deshalb von einer Kehrtwendung in der Finanzpolitik gesprochen werden.
Natürlich stellt sich dabei nicht gleich eitel Freude ein. Wir drosseln schließlich nur die Nettoneuverschuldung. Von Schuldenabbau kann noch nicht die Rede sein, wird aber, wie mir scheint, die Rede sein müssen. Der Weg dahin ist noch dornig. Die Risiken und Gefahren sind unübersehbar. Die Verführer, die uns von diesem Pfad weglocken wollen, sitzen mitten unter uns, und sie sitzen nicht nur in der Opposition.
Schließlich gilt es ja auch wichtige und drängende Aufgaben in der Familien-, in der Energiesicherungs-, Entwicklungs- und Steuerpolitik zu lösen. Aber die erreichten Verbesserungen einfach leugnen zu wollen, setzt schon ein unerhörtes Maß an Ignoranz voraus. Noch im Finanzplan 1978-1982 stand für die Nettokreditaufnahme eine Zahlenkette, die einfach schockieren mußte: 1979 = 35,5 Milliarden DM, 1980 = 33,5 Milliarden DM, 1981 = 32,5 Milliarden DM. Demgegenüber ist es gelungen, für 1979 unter Berücksichtigung der Steuermehreinnahmen auf 26 Milliarden DM herunterzukommen. Für 1980 schreiben wir 24 Milliarden DM in den Haushalt. Wenn die Konjunktur so weiterläuft, wie es uns die Sachverständigen prognostiziert haben, dann müßte es mit dem Teufel zugehen, wenn das Haushaltsdefizit nicht noch weiter verringert werden könnte. Ich bin jedenfalls zuversichtlich, daß wir für 1980 mehr Steuern in die Kassen bekommen, als wir es auf Grund der vorliegenden Daten der Steuerschätzer jetzt veranschlagen konnten. Wichtig ist, daß die Mehreinnahmen dann auch ausschließlich zur Sanierung des Kreditbedarfs verwendet werden, wie dies erfreulicherweise im laufenden Haushaltsjahr 1979 geschehen ist.
Wenn wir in unserer Haushaltswirtschaft so verfahren, dann könnte es gelingen, daß wir unseren Kreditbedarf für die Finanzierung des Bundeshaushalts 1980 auf einen Betrag zurückführen, der sich jener Marge nähert, die von der Bundesbank mit 2 % des Bruttosozialprodukts als normal angesehen wird. Für 1981 werden wir uns alle darauf zu konzentrieren haben, daß es bei der beharrlichen Ansteuerung des Konsolidierungszieles keine allzu starken Kursabweichungen durch die „Steuerfrauen" und „Steuermänner" geben wird.
Mit dem Haushalt 1980 in seiner jetzigen Fassung schaffen wir auf alle Fälle eine gute Grundlage für die Fortsetzung der erfolgreichen Politik der Regierung Schmidt /Genscher. Wir haben uns selbst beim Wort genommen und jeden Spielraum genutzt, um die Konsolidierungsabsichten der Bundesregierung nachhaltig zu unterstützen. Dabei ist es uns gelungen, das Finanzierungsdefizit spürbar zu senken. Auch wenn es für den einen oder anderen schmerzlich sein mag, es mußte sein, um in der Zukunft die notwendigen gesellschaftspolitischen Vorhaben auf gesichertem Terrain finanzieren zu können.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15103
Hoppe
Die Opposition redet zwar von Taten. Aber letztlich wird sie zur Untat schreiten, wenn sie zur Unzeit die Steuern senken will.
Die Opposition ist offenbar für jedes Vorhaben zu gewinnen, mit dem das dümpelnde Finanzboot unter Wasser gedrückt werden kann. Das allerdings ist eine abschreckende Alternative zur Regierungspolitik. Freude daran kann wohl nur der entdecken, der Lust am Untergang verspürt.
Der Faktor Verantwortung gilt dann ohnehin nicht mehr.
Regierung und Koalition stehen in der Verantwortung. Wir glauben, daß wir mit dem vorgelegten. Haushalt 1980 unserer Verantwortung gegenüber den Bürgern auch gerecht geworden sind.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Keine große Rede, sondern ein paar Anmerkungen zu Einlassungen, die wir bisher heute gehört haben.
Der Herr bayerische Ministerpräsident hat sich an einer Bemerkung gerieben, die ich vor ein paar Jahren einmal im österreichischen Fernsehen gemacht habe. Da war von Sozialer Marktwirtschaft die Rede und davon, daß nach meiner Auffassung Sozialpolitik sich nicht aus dem Markt ergibt, sondern veranstaltet werden muß. Wenn Sie das Zitat vollständig vorgelesen hätten, Herr Strauß, hätten Sie allerdings keine Möglichkeiten gehabt, Polemik daran anzuschließen. Ich bin dieser Meinung; ich meine, daß Sozialpolitik und soziale Gerechtigkeit sich nicht aus dem Markt ergeben, sondern daß sie veranstaltet werden müssen.
Das gilt seit der Fabrikgesetzgebung der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und seit Bismarcks Sozialversicherungsgesetzgebung bis auf den heutigen Tag.
Sozialpolitik und soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit haben, institutionell gesehen, zwei Wurzeln. Die eine Wurzel ist die Gesetzgebung, und die andere Wurzel sind die Verträge, die zwischen den autonomen Tarifpartnern zustande gebracht werden. Beides ist von gleichem Range. Es wäre gut, Herr Ministerpräsident, falls Sie noch einmal das Wort nähmen, wenn Sie die Gelegenheit ergriffen, um sich klar und deutlich von Ihrem famosen Generalsekretär abzusetzen, der die Einheitsgewerkschaft und ihre Autonomie in Deutschland unterminieren will.
Ich bin in der Tat der Meinung, daß einer der Hauptgründe für das relativ gute Abschneiden in puncto sozialer Sicherheit, in puncto wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und internationaler Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft, vielleicht der allerwichtigste Grund in dem erfolgreichen Zusammenspiel von staatlicher sozialer Gesetzgebung einerseits und autonomem Handeln der beiden Tarifpartner andererseits liegt, und ich möchte daran nicht gerüttelt wissen.
Wenn ich von Herrn Barzel zugerufen bekomme, sie auch nicht, so hätte ich es lieber von Herrn Strauß und von Herrn Stoiber gehört, Herr Barzel.
Daß der Kollege Barzel innerlich ein klares und eindeutiges Verhältnis zur Einheitsgewerkschaft hat, habe ich in vielen Jahren erlebt. Bei Herrn Strauß fehlt bisher dieses Erlebnis.
Herr Strauß hat dann Bemerkungen zur Schulpolitik gemacht, die ebenfalls Anlaß zu einer Anmerkung geben. Ich bin persönlich — das darf ich vielleicht hier einflechten, nicht für die Koalition sprechend und nicht für die Regierung, sondern in einem einzigen Satz nur für mich sprechend — nicht immer begeistert gewesen von der Tendenz in den letzten Jahrzehnten in Deutschland, Schulorganisationspolitik zu betreiben, statt die Pädagogen auf den modernsten Stand zu bringen.
Dies vorweggeschickt, muß ich aber, für die Bundesregierung sprechend, den Auftrag des Grundgesetzes — ich nehme Ihr Wort auf — hinsichtlich der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse ernst nehmen. Unter diesem Aspekt, Herr Kollege Barzel, hat die Bundesregierung im letzten Jahr einen Bericht über Probleme des föderativen Schul- und Bildungswesens vorgelegt. Die Länder hatten zugesagt, Verbesserungen herbeizuführen. Bisher hat es auf diesem Felde ein Ergebnis nicht gegeben.
Die Gesamtschule ist eine international anerkannte Schulorganisationsform. Ich nenne die Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, England. Wohin Sie sehen, es gibt kein westliches demokratisches Land, wo Sie diese Schulform nicht finden. Ich habe nichts dagegen, wenn die Bürgerinnen und Bürger Bayerns mit Mehrheit dies bei sich nicht haben wollen, aber ich habe alles dagegen, uns von dem bayerischen Ministerpräsidenten eine bildungspolitische Kleinstaaterei vorschreiben zu lassen.
— Kleinstaaterei ist es ja wohl, wenn man Hunderttausende von Schülern und Eltern im Ungewissen darüber lassen will, ob ihre Abgangszeugnisse woanders in Deutschland anerkannt werden.
— Den Zuruf des Kollegen, der hinter Herrn Zimmermann sitzt, nehme ich gerne auf. Er ruft mir das Stichwort Hamburg zu. Dort hat die Notwendigkeit bestanden, für die Gesamtschule eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, nachdem sich 21 % der in Betracht kommenden Eltern entschieden hatten, ihre Kinder auf eine Gesamtschule zu schicken.
— Die Gesamtschule ist auch in Hamburg keine Monopolschule, Herr Zwischenrufer, sondern eine Schulform, die neben anderen angeboten wird, und die Eltern haben zu entscheiden, wohin ihre Kinder gehen sollen.
Ein Wort zu den steuer-, finanz- und wirtschaftspolitischen Ausführungen des bayerischen Ministerpräsidenten. Er hat ja so gesprochen, als ob es uns Deutschen schlecht ginge. Ich will darauf nicht allzu viel Zeit verwenden. Aber ich lese Ihnen einmal vor, was ich vor ein paar Tagen in einer der großen bedeutenden amerikanischen Zeitungen fand, nämlich in „Christian Science Monitor" vom 2. November. Da ist zu lesen, daß in den Vereinigten Staaten von Amerika viele Leute den Blick auf das Ausland richten, um Alternativen ausfindig zu machen. Sie schauen z. B. auf Westdeutschland: „Die Deutschen haben ihre Inflationsrate bemerkenswert niedrig gehalten, die Beschäftigungslage ist gut. Zum erstenmal seit dem Zweiten Weltkrieg wird Westdeutschland und nicht die USA in diesem Jahr die Spitzenleistung aller Länder im Export erreichen"; und so fort. Manchmal hat man das Gefühl, wenn man Ihren wirtschaftspolitischen Ausführungen zuhört, Sie redeten über ein fremdes Land, Herr Ministerpräsident.
Das gilt auch für Ihre finanzpolitischen Ausführungen. Auch im amerikanischen Kongreß wird natürlich über die Finanzpolitik gestritten. Dort sagte ein Kongreßabgeordneter vor ganz wenigen Wochen: „Unsere Staatsverschuldung" — er redet von den Vereinigten Staaten von Amerika — „beläuft sich auf 38,2 % des Volkseinkommens. In Deutschland sind es nur 13,8%". Seine Schlußfolgerung lautet — ich zitiere wörtlich —: „Westdeutschland ist in seiner Sozialpolitik großzügiger als wir, in seiner Finanz- und Steuerpolitik hingegen vorsichtiger. Vielleicht würde ein solches System bei uns nicht funktionieren, aber drüben scheint es gut zu klappen. Ich gebe dem Mann recht, und ich finde, Sie sollten sich Ihre Schwarzmalereien sparen.
Sie haben hier dargetan, Herr Ministerpräsident, daß die Schulden der öffentlichen Hände zu groß seien. Dieser Meinung kann man sein. Sie haben eben die etwas abgestufteren und ausgewogeneren Ausführungen des Abgeordneten Hoppe zu diesem Thema gehört. Deshalb wundert es mich, daß Sie gleichzeitig dafür eintreten, daß in diesem Jahr die
Einnahmen in Milliardenhöhe gekürzt und infolgedessen die Kreditaufnahmen vergrößert werden.
Ich habe es als besonders bemerkenswert empfunden, daß Sie diesem Hause heute Ihre steuerpolitischen Pläne nicht vorgetragen haben, statt dessen wird uns angekündigt, daß Sie das morgen in einer Pressekonferenz täten. Ich habe nichts dagegen, wenn jemand, der für das Amt kandidiert, das gegenwärtig ich ausübe, hier im Bundestag alles darlegt, was er denkt. Warum legen Sie wohl nicht dar, was Sie hier denken? — Weil Sie wissen, daß Sie sofort als jemand angenagelt werden, der mit zwei verschiedenen Zungen redet.
Herr Ministerpräsident, man kann nicht am Dienstag im Bundestag dafür eintreten, daß der Staat weniger Kredite aufnimmt, und am Mittwoch dafür eintreten, daß er weniger Steuern einnimmt. Dann muß er nämlich mehr Kredite aufnehmen. Beides zusammen geht nicht. Dieser Vorgang ist typisch für Ihre Art der wirtschafts- und finanzpolitischen Argumentation.
Der bayerische Ministerpräsident hat Ausführungen zur Lage unseres Rentenversicherungswesens gemacht. Ich darf einmal = und hier durchaus mit einem gewissen Unterton des inneren Stolzes — darauf hinweisen, daß es den Rentnern heute in Deutschland besser geht, als es ihnen jemals gegangen ist,
auch sehr viel besser, als zu der Zeit, als der Herr bayerische Ministerpräsident noch Bundesminister der Finanzen war. Wir haben heute 45 % höhere Realeinkommen der Rentner als vor zehn Jahren.
Daß das so ist, ist das Ergebnis der wirtschaftlichen Gesamtleistung unserer Gesellschaft, unserer Volkswirtschaft.
Das Stichwort Rentenbesteuerung, das Sie hier eingebracht haben, Herr Strauß, sollten Sie einmal mit Ihrem Kabinettskollegen Dr. Hans Maier besprechen. Unter dessen Vorsitz hat nämlich das Zentralkomitee Deutscher Katholiken das Stichwort in die öffentliche Debatte geworfen.
Vielleicht darf ich diese wenigen Bemerkungen zu Ihren finanzpolitischen Ausführungen mit einem Zitat aus einer ausländischen Finanzzeitung beenden, der „Financial Times" vom 7. Dezember 1979, weiß Gott kein Blatt der Freien Demokraten oder der Sozialdemokraten. Es gibt dort einen langen Aufsatz über die Lage in Deutschland. Die Schlußsätze heißen:
In der Zwischenzeit hat die Regierung — gemeint ist also die Bundesregierung —
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15105
Bundeskanzler Schmidt
ihren Einfluß auf die öffentliche Meinung durch eine Kombination von ökonomischem Wachsturn und sozialer Reform aufrechterhalten. Es ist kein schlechter Rekord, von dem man lernen und auf dem man aufbauen kann.
So ein `Engländer, nicht jemand aus diesem Hause.
Übrigens gibt es zehn Zeilen vorher noch eine Bemerkung, die Sie angeht, Herr Ministerpräsident:
Man muß jedenfalls zugeben, daß der Bundeskanzler einen Punkt hat, wenn er sagt, Herr Strauß sei unkalkulierbar und vielleicht unzuverlässig. Jedenfalls gibt es viele, die das ähnlich sehen wie er.
Das steht auch in der „Financial Times".
Nun, es ist das gute Recht des bayerischen' Ministerpräsidenten, sich gegen solche Feststellungen zu wehren, ob sie in der „Financial Times" stehen oder ob sie von einem Politiker der Koalition vorgebracht werden. Am besten würden Sie Ihre Kalkulierbarkeit herstellen, Herr Ministerpräsident, wenn Sie im Rahmen einer nicht kurzen Rede — fast eineinhalb Stunden — nicht nur kritisch, herabziehend, herabsetzend über die Vergangenheit reden würden, sondern wenigstens zehn Minuten über das, was Sie in der Zukunft zu tun beabsichtigen.
Auch bei dem Thema Familienpolitik, über das Sie geredet haben, haben wir nicht erkennen können, was Ihre Pläne unter einer Regierung Strauß wären. Vielleicht erfahren wir das morgen auf der Pressekonferenz.
Ich muß Ihnen sagen — da spreche ich für die ganze Koalition —: Unsere Familienpolitik ist nicht Bevölkerungspolitik. Es ist alleine Sache von Mann und Frau, zu entscheiden, ob sie und wie viele Kinder sie haben wollen.
Es kommt mir sehr unehrlich vor, wenn Kollegen, die früher in diesem Saale das Subsidiaritätsprinzip viele Male mit Nachdruck und Verve verfochten haben, heute mit einem Male mit Hilfe staatlicher Finanzen eine staatliche Geburtenpolitik anfangen wollen.
Hinzufügen muß ich noch, daß es nach meiner Auffassung durchaus zulässig erscheint, über die Frage der demographischen Entwicklung, der Zahl der auf deutschem Boden lebenden Menschen, der Bevölkerungsentwicklung, wie man auch sagt, miteinander zu streiten und nachzudenken. Man denkt ein zweites, drittes und viertes Mal darüber nach. Bei alledem bitte ich, auch mit in den Blick zu ziehen, daß gegenwärtig über 4 Milliarden Menschen auf der Welt leben. In 20 Jahren werden es über 6 Milliarden Menschen sein. Als Herr Strauß und ich zur Schule kamen, waren es noch 2 Milliarden. Es findet eine große Bevölkerungsexplosion auf der ganzen Welt statt. Es lohnt sich wohl, darüber nachzudenken, ob wir uns daran durch staatliche Maßnahmen auch noch fördernd beteiligen sollten.
— Ich wiederhole, daß es sich lohnt, darüber nachzudenken. Wenn Sie Ihre Antworten ohne Nachdenken parat haben, will ich dazu weiter nichts sagen.
Sie müssen das selbst wissen.
Wir haben zur Energiepolitik von Herrn Ministerpräsident Strauß und vom Abgeordneten Barzel Ausführungen gehört. Beide haben beklagt, daß innerhalb der sozialliberalen Koalition die Besorgnisse, die Menschen gegenüber der Kernenergie haben, eine zu große und vielleicht auch zu verzögerliche Rolle spielten. Lassen Sie mich dazu sagen, Herr Ministerpräsident: In der Tat, die Kernenergie hat bei vielen Menschen in der Welt, nicht nur in Deutschland, Ängste ausgelöst. Ich bin dafür, daß wir solche Ängste und Besorgnisse ernst nehmen.
Wir müssen jedes Menschen Angst ernst nehmen, ganz gleich, ob es sich darum handelt, daß junge Menschen aus Angst vor dem Zeugnis oder aus Angst, mit dem Zeugnis nach Hause zu kommen, Selbstmord begehen, oder. ob Menschen Angst haben vor einer Operation oder ob sie Angst haben
vor anderen Zufällen des Lebens, die ihnen vor Augen stehen, oder ob sie Angst haben vor dieser Form von Energie.
Einer der Gründe für die unbedingte Betonung des Vorrangs der Sicherheit in der Kernkraft liegt darin, daß wir solche Beängstigungen ernst nehmen. Wir haben übrigens im internationalen Vergleich einen hohen Standard an Sicherheit unserer Kernkraftwerke erreicht. Wir haben internationale Zusammenarbeit erreicht — durch unsere Initiative hinsichtlich der Sicherheit von Kernkraftwerken. Diese internationale Zusammenarbeit ist jetzt in Gang gekommen.
Ich muß aber auch sagen, daß nur der, der die Beängstigung mancher ernsthaft verstehen will, nur jemand, der sich Mühe gibt, diese Beängstigungen zu verstehen,
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Bundeskanzler Schmidt
in der Lage sein wird, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen, das durch allzu bravouröse öffentliche Darlegungen zum Teil vertan worden ist.
Ich habe mehrfach gesagt — und will es gerne hier wiederholen —: Die Wissenschaftler unseres Landes, die Ingenieure, die Unternehmensleitungen, wir, die Politiker, wir alle zusammen haben, was Kernkraft angeht, gegenüber dem Bürger eine Informationsbringschuld. Ich füge in Klammern ein: ich fühle mich dabei durch einen Aufsatz aus der Feder von Professor Maier-Leibnitz bestätigt. Er ist einer der hervorragenden Naturwissenschaftler, der in der Organisation naturwissenschaftlicher Forschungen in unserem Lande eine herausgehobene Rolle spielt. Wir können diese Bringschuld nur in dem Maße abtragen, in dem wir uns zur Diskussion stellen. Wenn einige nicht diskutieren wollen, Herr Ministerpräsident Strauß, dann müssen andere stellvertretend die Diskussion öffentlich vornehmen. Das haben wir auf unserem Berliner Parteitag getan.
Diese Bringschuld ist nur abzutragen, wenn die Sprache gemeinverständlich bleibt, wenn man sich nicht auf das Fachchinesisch der Experten einläßt, wenn man jede ernstgemeinte Frage auch ernsthaft beantwortet. Nur dann kann man hoffen, daß es in unserer auf Mitwirkung angelegten Demokratie auf die Dauer eine ausreichend breite Zustimmung zur Nutzung der Kernkraft geben wird. Die Nutzung der Kernkraft halte ich allerdings für unerläßlich; das wissen Sie auch.
Ich glaube nicht, daß es mit naßforschen Reden getan ist. Ich glaube auch nicht, daß es dem Verständnis der großen Mehrheit der hier interessierten Bürger unseres Landes dient, wenn auf Parteitagen nur Reden zu diesem Thema gehalten werden und anschließend alle Anträge in 30 Minuten abgestimmt werden.
Dazu bedarf es einer breiten öffentlichen Darlegung des Pro-et-Contra. Jeder hier im Bundestag weiß, daß ich persönlich pro bin — und nicht erst seit der Zeit, aus der Herr Kollege Barzel vorhin eine Erklärung eines früheren Bundeskanzlers vorgelesen hat.
Der Ministerpräsident stößt sich daran, daß die deutschen Sozialdemokraten vor einigen Tagen in Berlin in ihrem Beschluß formuliert haben, daß die Option Kernkraft — Option heißt auf deutsch Wahlmöglichkeit -- offenbleiben muß und nicht verschüttet werden darf. Dies war Herrn Strauß nicht genug. Ich möchte ihm deshalb folgendes sagen. Herr Ministerpräsident, wir befinden uns in sehr guter Gesellschaft. Ich habe eine Rede vor mir, die der amerikanische Präsident Jimmy Carter vor wenigen Tagen in Washington D. C. zum Thema der Sicherheit von Kernkraftwerken gehalten hat. Er verkündete einige neue Schritte, die die amerikanische Regierung auf diesem Felde — nach dem Harrisburg-Bericht — zwecks Erhöhung der Sicherheit amerikanischer Kernkraftwerke tun will. Am Schluß seiner Rede sagte er:
Die Schritte, die ich heute ankündige, werden dazu helfen, meinem Lande, unserem Lande die Sicherheit der Kernkraftwerke zu gewährleisten. Kernkraft hat in den Vereinigten Staaten von Amerika eine Zukunft. Es ist eine Option, die wir offenhalten müssen.
Genau das ist mein Standpunkt auch: eine Option, die man nicht verschütten darf.
Jede Polemik gegen das Wort „Option" ist legitim und mir auch verständlich. Jede Polemik zeigt aber zugleich, daß der Polemisierende nicht ganz so viel über die Sicherheitsfragen in Sachen Kernkraft nachgedacht hat wie der amerikanische Präsident oder wie die deutsche Sozialdemokratische Partei.
Herr Strauß hat dann auch seine häufig gehörte, meist in Latein vorgebrachte These wiederholt, daß er bereit sei, geschlossene Verträge einzuhalten. Er sagt dies meistens mit dem Wort „pacta sunt servanda". Er hält es für eine große Leistung, daß er bereit ist, Verträge zu halten. Ich halte das nicht für eine Leistung; ich halte das für selbstverständlich, Herr Ministerpräsident.
Herr Bundeskanzler, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Narjes?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte um Entschuldigung, ich bin schon beim nächsten Thema. Ich bin schon bei der Ostpolitik und nicht mehr bei der Energiepolitik.
Herr Strauß, wenn Sie Ihre Bereitschaft erklären, Verträge einzuhalten, so ist dies für mich nicht nur selbstverständlich, sondern meines Erachtens noch zu wenig. Daß Sie Verträge einhalten wollen, habe ich unterstellt, genauso wie ich unterstelle, daß jeder von uns sich Mühe gibt, das Grundgesetz und die Gesetze einzuhalten. Gleiches hat für Verträge zu gelten. Darum bemühen wir uns alle.
— Man kann damit einmal hereinfallen. Ich erinnere mich an das Fernsehurteil gegenüber dem Bundeskanzler Adenauer heute vor 18 Jahren.
Das kann vorkommen.
Was die Verträge angeht, so kommt es darauf an, sie mit innerem Leben zu erfüllen, auf ihnen aufzubauen und mehr daraus zu machen, als dem bloßen Buchstaben, der im Gesetzblatt steht, zu entnehmen ist.
Der Herr Ministerpräsident hat in diesem Zusammenhang auf einen Brief abgehoben, den er mir ge-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15107
Bundeskanzler Schmidt
schrieben hat. Ich gebe Ihnen recht, Herr Ministerpräsident: Ich hatte diesen Brief bisher nicht beantwortet, weil Ihr Brief eine Antwort auf meinen Brief gewesen ist. Ich wußte nicht, daß Sie den Briefwechsel noch fortsetzen wollten. Ich gebe die Antwort aber gern jetzt.
— Ja, diese Fragen will ich gern beantworten.
— Wenn Sie so gut sind, mir das Wort zu lassen, will ich die Frage jetzt gern beantworten. Der Briefwechsel bezog sich übrigens auf die Umsatzsteuerreform, auf den Inlands- und Auslandsbegriff und nicht auf anderes. Herr Strauß hat heute vormittag die in jenem Brief enthaltenen Fragen so wiederholt, als sei an mich die Frage zu richten, ob ich mit einer östlichen Interpretation übereinstimme, nach der jemand, der den Grundlagenvertrag oder den Warschauer Vertrag oder den Moskauer Vertrag bejaht, damit gleichzeitig auch bejahe, daß es zwei deutsche Nationen gebe. Herr Strauß weiß ganz genau, daß diese Frage ganz eindeutig mit Nein zu beantworten ist. Dazu braucht er keine schriftliche Antwort.
Er kann im Ernst jedenfalls nicht jemandem wie mir, den er seit 20 oder 25 Jahren kennt, der hier viele Male in Debatten zur Lage der Nation — doch nicht der beiden Nationen, Herr Strauß, sondern der einen deutschen Nation — mitgeredet hat,
unterstellen, und sei es auch nur in Form einer rhetorischen Frage, daß er bereit sei, in Zukunft von zwei deutschen Nationen zu reden. Ich finde diese Art der Debattenführung ausschließlich polemisch und ohne jede gedankliche Substanz, Herr Ministerpräsident.
In dem gleichen Zusammenhang hat der Ministerpräsident mir die Frage vorgelegt, ob ich mit Äußerungen, die er aus dem Zusammenhang gerissen hat, gemeint habe, daß Preußen nicht zur deutschen Geschichte gehöre.
Er hat die Bayern aufmarschieren lassen, um Preußen gegen Schmidt in Schutz zu nehmen.
Preußen ist nicht nur hinsichtlich des ehemaligen preußischen Staats und der Geschichte dieses Staates politisch-historisch ein wichtiger Teil der deutschen Geschichte, ein wichtiger Teil des deutschen Erbes. Preußen ist auch geistig — ich denke zum Beispiel an Immanuel Kant — ein ganz wichtiger Bestandteil des deutschen geistigen Erbes.
Die Äußerung, die Ihnen wahrscheinlich mißverständlich übermittelt worden war, bezog sich auf die Pruzzen oder auf die Prußen, die ursprünglich in dem Gebiet gesessen haben, das bis 1945 Ostpreußen genannt worden ist.
— Ganz früher hieß es nicht Ostpreußen, sondern Preußen, wenn ich Ihre Geschichtskenntnisse auffrischen darf. Das ist doch der eigentliche Kern Preußens gewesen.
Herr Barzel ist in der Frage der deutschen Nation dem bayerischen Ministerpräsidenten etwas zur Hilfe gekommen. Er hat ihn noch übertroffen und eine Reihe von Fragen gestellt.
Eine Frage möchte ich nicht beantworten, Herr Barzel. Es ist die Frage, welche Vorkehrungen der Westen — Sie haben gesagt: einschließlich unserer japanischen Freunde — gegenüber der Möglichkeit treffe, als Staaten durch andere erpreßt zu werden. Ich denke nicht, daß das im Augenblick angesichts der Krise, mit der wir es — die Amerikaner noch mehr als wir, aber wir mit ihnen — zu tun haben, geschehen sollte.
— Einverstanden. Ich glaube nicht, daß das im Augenblick öffentlich geschehen sollte.
Ich habe mit Befriedigung gesehen, daß das ganze Haus ohne Unterschied der Fraktionen Herrn Kollegen Genscher zugestimmt hat, als er, für die Bundesregierung und für die Bundesrepublik Deutschland als Ganze sprechend, unseren amerikanischen Freunden unsere Solidarität bekundet hat. Sie wissen, daß der amerikanische Außenminister wegen dieser Dinge heute hier zu Besuch ist, und ich benutze die Gelegenheit, um das Haus um Entschuldigung dafür zu bitten, daß ich heute nachmittag wegen dieses amerikanischen Besuchs ein oder zwei Stunden weggehen muß.
Eine andere Frage will ich gern beantworten; sie bezog sich auf die Sitzung des Europäischen Rates in Dublin vor knapp 14 Tagen. Wenn der Abgeordnete Barzel das Ergebnis beklagt, so stimme ich ihm ausdrücklich zu. Aber das Ergebnis hätte noch schlechter sein können. Das konnte vermieden werden.
Ich möchte dem Hause sagen, was Ihnen, Herr Kollege Barzel, bei Ihren Ausführungen offenbar nicht ganz klar gewesen ist. Die Bundesregierung ist zu dem Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs nicht ohne sehr sorgfältige Vorbereitung gefahren. In diese Vorbereitung waren die Spitzenpolitiker aller drei Bundestagsfraktionen eingeschlossen. Wir haben unsere Kollegen im Bundestag, einschließlich der Opposition, ausdrücklich gefragt, ob sie meinten, daß wir weitergehende Ange-
Bundeskanzler Schmidt
bote machen sollten. Das war zu dem Zeitpunkt nicht der Fall.
Ich glaube auch, daß unser Angebot sehr großzügig war. Die Bundesrepublik Deutschland hat es nach Vorverständigung mit den drei Bundestagsfraktionen auf sich genommen, in Zukunft pro Jahr über 600 Millionen DM zusätzlich zu zahlen, damit England entlastet werden kann — jedes Jahr. Das ist kein Pappenstiel.
Die entsprechenden Beschlüsse hätten anschließend noch hier im Bundestag gefaßt werden müssen. Vielleicht müssen sie noch gefaßt werden, weil in dieser Verhandlung noch nicht aller Tage Abend ist.
Ich will deutlich sagen, daß ich allerdings überzeugt bin, daß das Vereinigte Königreich, daß England durch seine wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung einerseits und andererseits durch die Verträge, so wie England sie ausgehandelt hat — es ist einmal Anfang der 60er Jahre verhandelt worden, dann am Anfang der 70er Jahre ein zweites Mal, dann ist Mitte der 70er Jahre nachverhandelt worden —, gegenwärtig in eine finanzwirtschaftlich sehr unglückliche Lage geraten ist. Ich bin der Meinung, Großbritannien müßte entlastet werden. Deswegen die deutsche Bereitschaft, über 600 Millionen DM jedes Jahr dazu beizutragen.
Dies hat der englischen Ministerpräsidentin in keiner Weise ausgereicht. Ihr hat auch nicht gereicht, was andere EG-Partner ihrerseits dazulegen wollten. Wir waren Gott sei Dank in der Lage, uns am Schluß in der allseits bekundeten Auffassung zu vertagen, daß ein Kompromiß gefunden werden muß.
Ich bitte dies Haus, davon auszugehen, daß die deutsche Bundesregierung in dieser Frage kompromißbereit und kompromißwillig ist. Ich bitte aber, sich auch vorzustellen, daß vermutlich ein die englischen finanzwirtschaftlichen Nöte ausreichend befriedigender Kompromiß nicht ohne einen erheblichen und wahrscheinlich für alle Beteiligten sehr empfindlichen Schnitt in die Ausgabenpolitik der gemeinsamen Agrarpolitik möglich sein wird.
Das ist nicht einfach. Das wird für alle sehr empfindlichund sehr schwierig sein, für die deutschen Landwirte, für die Franzosen ohnehin — ich glaube, Herr Barzel hatte angedeutet, daß es für Frankreich noch empfindlicher wäre als für uns —, aber für Holland auch, für Dänemark auch. Auf dem Felde hat sich einiges entwickelt, was in absehbarer Zukunft vielleicht sowieso redressiert werden müßte. Wenn man jedenfalls, stärker als bisher von uns angeboten, den englischen Entlastungswünschen entgegenkommen will, dann geht das wohl nur so, daß man gleichzeitig in die großen Ausgaben der Europäischen Gemeinschaft hineinschneidet. Das könnte zu einem Konflikt mit dem Europäischen Parlament führen, bei dem ich die Tendenz erkenne, auf dem Felde der Agrarausgaben zurückhaltender zu sein,
insgesamt aber mehr Geld auszugeben als im letzten Jahre.
Alles das macht die Sache überaus kompliziert. Vielleicht wäre es innerhalb der EG für die Kollegialität mit den anderen acht Staaten ganz gut, wenn der eine oder andere — die Debatte dauert ja heute noch lange -- noch eine konstruktive Bemerkung machen könnte, die über das hinausgeht, was wir uns bisher ausgedacht haben. Die Regierung jedenfalls ist interessiert daran, daß eine Lösung zustande kommt, mit der sich auch Großbritannien zufrieden erklären kann.
Herr Kollege Barzel hat eine Reihe von Anregungen für die Stoffe gegeben, die zu besprechen sein werden, wenn der Staatsratsvorsitzende Honecker und ich zusammentreffen. Ich nehme das gerne auf. Ich glaube nicht, daß irgendeines dieser Themen ausgeklammert werden könnte.
Man darf allerdings, Herr Kollege Barzel, ein solches Gespräch in seiner Bedeutung auch nicht von vornherein mit überhöhten Erwartungen belasten. Ich kann mich nicht erinnern, daß bei Gesprächen, wie sie der bayerische Ministerpräsident mit dem Ersten Sekretär Kadar in Budapest geführt hat oder wie ich sie mit Herrn Kadar oder mit Herrn Gierek oder mit anderen geführt habe, im Vorwege große Bedingungs- oder Erwartungsgebäude aufgebaut worden wären. Das nützte einem solchen Gespräch nichts.
Wenn es Ihnen mit dem Zehnjahresplan mit fünf Stufen ernst sein sollte, wäre die Regierung gern bereit, diesen Plan kennenzulernen, ihn zu studieren und mit Ihnen darüber zu sprechen.
Der bayerische Ministerpräsident hat nicht viel Zeit auf die Frage verwandt, die im Augenblick die westeuropäische öffentliche Meinung, aber auch die osteuropäische veröffentlichte Meinung außerordentlich beschäftigt. Ich rede von dem in dieser Woche bevorstehenden Doppelbeschluß des nordatlantischen Bündnisses. Wir gehören dem nordatlantischen Bündnis an. Wir wollen ihm angehören. Wir wissen, daß unsere eigene Sicherheit und unsere zukünftige Politik der Zusammenarbeit z. B. mit der Deutschen Demokratischen Republik, z. B. mit der Volksrepublik Polen, z. B. mit der Sowjetunion und mit anderen Staaten in Osteuropa nur dann möglich gemacht werden kann, wenn sie auf die Solidität dieses Bündnisses und auf die Solidarität dieses Bündnisses gestützt ist.
Ich will in diesem Zusammenhang eine Bemerkung nicht unterdrücken, die sich an die Adresse des Kollegen Wörner richtet, nicht an die des Herrn Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern. Herr Wörner ist, wenn die „Stuttgarter Zeitung" vom 8. Dezember sorgfältig berichtet, zu einer Meinung zurückgekehrt, die er Anfang dieses Jahres in einem Vortrag — ich glaube, in Kalifornien — schon einmal öffentlich geäußert hat. Der entscheidende Satz lautet ausweislich der „Stuttgarter Zeitung":
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15109
Bundeskanzler Schmidt
Obwohl wir
— das ist wohl für die CDU/CSU gesagt —
wie die Regierung wünschen, daß sich andere Staaten daran beteiligen, wären wir auch notfalls bereit, allein auf deutschem Boden solche Waffen zu stationieren.
Ich habe ähnliches, Herr Ministerpräsident, auch aus Ihrem Munde schon gehört und will hier deutlich sagen: Dies ist nicht die Meinung der Bundesregierung; es wird auch nicht die Meinung der Bundesregierung sein.
Herr Bundeskanzler, gestatten sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wörner?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr, Herr Wörner.
Herr Bundeskanzler, sind Sie dann bereit, hier auf die Frage zu antworten, ob Sie es für ratsam und für verantwortlich halten, die Beantwortung einer für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland entscheidenden Frage von der Entscheidung des niederländischen oder des italienischen oder des belgischen Parlaments abhängig zu machen, oder ob Sie der Meinung sind, daß der Deutsche Bundestag in einer solchen Frage den Mut haben muß, ein klares und deutliches Wort — auch an unsere amerikanischen Freunde — zu sprechen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin nicht ganz sicher, Herr Kollege Wörner, ob das nicht zwei verschiedene Fragen waren; jedenfalls möchte ich in zwei Teilen antworten.
Selbstverständlich muß die Bundesregierung — und ich entnehme ja der Einstellung der Redner aller drei Fraktionen, daß sie darin die volle Unterstützung dieses Hauses hat —, für die Bundesrepublik Deutschland sprechend, ihre Haltung gegenüber allen Bündnispartnern, insonderheit den Vereinigten Staaten von Amerika, klar und über jeden Zweifel erhaben zum Ausdruck bringen. Das hat sie auch getan. Daran zweifeln Sie auch nicht.
Es ist eine andere Sache, daß natürlich die Parlamente unserer Bündnispartner, ob in Rom oder in Den Haag oder in Kopenhagen, nach der Verfassung dieser Staaten — demokratisch verfaßter Staaten — in Italien oder Holland oder Dänemark genau dasselbe Gewicht haben wie der Deutsche Bundestag innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Es kommt mir darauf an, keine Lage eintreten zu lassen, in der bei einem solchen Beschluß das eine Land, das eine Mitglied unseres Bündnisses, sich anders entscheidet als das andere. Ich möchte dergleichen auch nicht an die Wand malen. Die Solidarität und die Solidität dieses Bündnisses ist der Kern unserer Sicherheit, der Sicherheit Berlins und der Sicherheit aller europäischen Staaten.
Gestatten Sie noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Wörner?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr.
Sie wissen, daß dies zwischen uns völlig unstreitig ist. Es steht auch in meinem Interview, daß wir genauso wie Sie wünschen, daß die Allianz solidarisch entscheidet. Aber ich stelle an Sie die Frage, ob Sie, wenn sich andere, nichtnukleare europäische Staaten einer Stationierung verweigern würden, dann . als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland sagen würden: Weil andere Staaten mit Nein entschieden haben, entscheide auch ich mit Nein, obwohl ich eine andere Entscheidung für richtig hielte. Das ist die Kernfrage, der auch Sie nicht ausweichen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Wörner, ich verstehe, Sie wollen nicht polemisieren. Ich will in meiner Antwort auch nicht polemisieren. Wir sind bei einem ganz wichtigen Thema. Das, was Sie als Kernfrage bezeichnen, ist eine hypothetische Frage. Sie fing an mit der Einleitung „wenn andere". Ich möchte dieser hypothetischen Frage gegenwärtig keinen Raum geben.
Ich habe zwei Gründe, dieser Art von Diskussion gegenwärtig keinen Raum zu geben. Zum einen stehe ich im vertrauensvollen Gespräch mit einer Reihe von Regierungschefs des Nordatlantischen Bündnisses, die sich in dieser Frage persönlich engagiert haben. Das fängt an mit Jimmy Carter und seinem Außenminister Cyrus Vance, es gilt für Margaret Thatcher und Peter Carrington, für den französischen Präsidenten und seinen Außenminister, es gilt für den italienischen Ministerpräsidenten, für den norwegischen, für den holländischen, Dries van Agt, und seinen Außenminister, van der Klaauw, es gilt für den dänischen Ministerpräsidenten. Das ist der eine Grund, weswegen ich mich hier gegenwärtig zurückhalten möchte. Denn man darf solche vertrauensvollen Gespräche nicht durch öffentliche Diskussionen fortsetzen wollen. Das wäre dann keine Fortsetzung, sondern eine Störung.
Der andere Grund ist, daß ich mich sehr darum bemühe — und ich denke, auch darin sind wir beide wahrscheinlich einig —, daß wir Deutschen in Sachen dieses Doppelbeschlusses — Abrüstungs- und Rüstungskontrollangebot, Begrenzungsangebot auf der einen Seite, Nachrüsten für den Fall, daß die Verhandlungen darüber nicht zu einem ausreichenden Erfolg führen, auf der anderen Seite — nicht so erscheinen, als seien wir in dieser Sache die Wortführer. Wir sollten auch durch unsere eigene öffentliche Selbstdarstellung nicht diesen Eindruck erwecken.
Es handelt sich um eine amerikanische Antwort auf einen sowjetischen Vorgang. Unsere amerikanischen Bündnispartner haben um unsere Zustimmung gebeten. Wir haben ein Jahr lang miteinander über viele Details gesprochen. Sie haben diese Zustimmung bekommen. Das wird in den allernächsten
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Bundeskanzler Schmidt
Tagen formalisiert. Dabei hat unser Schwergewicht ganz besonders auf den Details des Verhandlungsangebots an die sowjetische Seite. gelegen. Es ist doch klar, daß es keine Nation in Europa gibt, die stärker daran interessiert ist, daß das Gleichgewicht der Kräfte in Europa gewahrt werde, daß man auf der Basis des Gleichgewichts beiderseitig Rüstungen verringert, limitiert, auf niedrigere Ebene des Gleichgewichts herunterbringt, keine Nation in Europa, die dringlicher an Zusammenarbeit zwischen Ost und West auf der Basis solchen Gleichgewichts interessiert ist, als die eine geteilte deutsche Nation in der DDR, in der Bundesrepublik, in beiden Teilen Berlins.
Deswegen bitte ich Sie um Verständnis, daß jedenfalls die Bundesregierung kein Interesse daran haben kann und nach pflichtgemäßem Ermessen auch nicht zulassen darf, daß andere uns so hinstellen, als hätten wir ein Interesse daran, in einer solchen Sache innerhalb des westlichen Bündnisses Bündnispartner von verschiedenem Rang einzurichten. Es gibt schon verschiedene Ränge. Es gibt die Vormacht, die Vereinigten Staaten von Amerika, und es gibt außerdem zwei nukleare Mächte, Frankreich und England. Wir möchten nicht auf irgendeine Weise noch zusätzliche Rangabstufungen, die uns betreffen könnten, in das Bündnis einführen.
Gestatten Sie, Herr Bundeskanzler, noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wörner?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte um Entschuldigung, aber ich habe schon zwei Zwischenfragen von Herrn Kollegen Wörner beantwortet.
Lassen Sie mich hinzufügen, daß ich fest überzeugt bin, daß die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika — oder, wie man dort sagt: die Administration — an die Frage der Verhandlungen mit der Sowjetunion über die beiderseitige Begrenzung der eurostrategischen Waffen mit vollem Ernst herangeht. Ich darf Ihnen zitieren, was Cyrus Vance, der amerikanische Außenminister, der entgegen seiner Absicht nicht selber nach Berlin hat fliegen können, gestern dazu hat vortragen lassen: Er hat geschrieben:
Während dieses ganzen Prozesses
— es ist vom SALT-Prozeß die Rede — haben wir
— also die Amerikaner —
von Beratungen mit unseren europäischen Verbündeten profitiert. Wir haben streng darauf geachtet, daß die europäischen Sicherheitsinteressen und Optionen voll gewahrt bleiben. In der nächsten Phase, SALT III, werden diese Konsultationen noch intensiver sein. Die Rolle der Verbündeten bei der Festlegung unseres Vorgehens wird noch direkter sein, wenn die Verhandlungen sowohl Fragen der Mittelstreckenwaffen als auch strategischen Streitkräfte behandeln.
Ich selbst denke — bei all den Geräuschen, die wir in den letzten Wochen und Monaten aus verschiedenen Himmelsrichtungen gehört haben —, daß die 80er Jahre eine breitangelegte Aktivität auf dem Felde der, Rüstungsbegrenzung oder, wie es in der Schlußakte von Helsinki hieß, der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sehen werden. Das wird schon mit dem kommenden Jahr, 1980, beginnen. Sie werden es in den nächsten drei Tagen sehen, wenn die Beschlüsse der Verteidigungs- und der Außenminister in Brüssel gegen Ende der Woche veröffentlicht werden. Das bezieht sich auf den SALT-Prozeß, auf die beiderseitige Begrenzung der strategischen Rüstung in West und Ost. Es wird sich auf den MBFR-Prozeß beziehen, d. h. auf die beiderseitige, gleichgewichtige Verringerung der konventionellen Streitkräfte, über die nun seit mehr als sechs Jahren in Wien verhandelt wird.
Sie werden sehen: So wie die Sowjetunion angefangen hat, einen Teil dessen, was dort bisher — ohne Ergebnis — gegenseitig angeboten und gefordert wurde, zu verwirklichen, so wie die Sowjetunion mit der Verringerung ihrer Truppen in der DDR um bis zu 20 000 Mann und mit der Verringerung der Zahl der Panzer um 1000 angefangen hat, einen kleinen, aber einen wichtigen Teil, so wird auch der Westen bereit sein, einen Teil — wie ich denke: einen ziemlich wichtigen — auf westlicher Seite zu verwirklichen: nämlich die Verringerung nuklearer Sprengköpfe um 1000 Stück in Europa.
Gleichzeitig werden wir bei den Wiener Verhandlungen eine westliche Initiative für einen Zwischenvertrag, für ein vereinbartes MBFR-Zwischenergebnis zwischen Russen und Amerikanern vorlegen; das geht sehr wesentlich auf deutsche Initiative zurück. Gleichzeitig sind wir dabei, im Rahmen der Fortsetzung der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im kommenden Herbst in Madrid vertrauensbildende Maßnahmen zwischen West und Ost vorzubereiten. Ich halte die Chance dafür nicht für klein. Gleichzeitig unterstützen wir — Herr Genscher hat es schon gesagt — die französische gesamteuropäische Abrüstungsinitiative.
Ich bin in all diesen Fragen durchaus zuversichtlich. Ich wiederhole hier, daß es in ganz Europa niemanden gibt, der ein dringlicheres Interesse an der Zusammenarbeit mit dem Osten sowohl auf diesem Felde hat als auch auf anderen Feldern, dem wirtschaftlichen, energiepolitischen, kulturellen, politischen Feld, als wir Deutsche, die wir in zwei Teile geteilt sind.
Damit diese Zusammenarbeit möglich wird, muß unser eigenes Bündnis intakt bleiben, müssen wir uns auf das Bündnis verlassen können, müssen sich unsere Bündnispartner auf die Berechenbarkeit unseres deutschen Handelns verlassen können. Niemand muß Sorge haben, daß wir unsere Pflichten nicht erfüllten. Niemand muß Sorge haben, daß wir mehr wollen, als wir sollen.
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Bundeskanzler Schmidt
In diesem Zusammenhang hat es mich mit einer gewissen Befriedigung erfüllt, daß der amerikanische Außenminister im Zusammenhang mit dem sozialdemokratischen Parteitag gestern gesagt hat, daß die feste Haltung der deutschen Bundesregierung in dieser Frage und die in Berlin angenommene Entschließung „weitsichtige Beiträge sind, die die Einheit und Entschlossenheit der Allianz bei ihrem Treffen diese Woche in Brüssel stärken werden".
Ich gebe zu, Herr Ministerpräsident, ich habe mich am Schluß weit von Ihrer Rede entfernt. Aber es war eben in Ihrer Rede nicht viel an Politik für die Gegenwart und die Zukunft drin. Es war eine Zettelkastenauseinandersetzung mit vielen Zitaten aus der Vergangenheit. Um 9.30 Uhr, um 9.45 Uhr, um 10 Uhr, um Viertel nach zehn Uhr habe ich mich immer wieder gefragt: Wann kommt es denn nun?
Um 10.25 Uhr haben Sie von Ihren „reichhaltigen menschlichen Begegnungen, gerade mit den ärmeren Schichten der Bevölkerung" gesprochen. Das war lobenswert.
Ich will das ausdrücklich anerkennen.
Am Schluß, Herr Kollege Strauß: Dies war eine im Ton und in der Polemik offensive, in der Substanz völlig defensive Darbietung, die wir gehört haben.
Ich will keine Ratschläge geben, aber doch sagen:
Wenn die öffentliche Meinung unseres Landes von Ihnen den Eindruck gewinnen soll — und das ist doch Ihre legitime Absicht —, daß die Regierung in Ihren Händen gut aufgehoben sei, dann müssen Sie sich mit der Frage auseinandersetzen, wie das denn in Zukunft gehen soll, ob „pacta sunt servanda" ausreicht, wenn jemand gegen alle lebenswichtigen Verträge gestimmt hat, auf denen unsere heutige Außen- und Sicherheitspolitik aufgebaut ist.
Bitte, keine Zwischenfrage!
— Ich rede ja nicht mit Herrn Mertes. Er hat auch nicht polemisiert. Ich rede mit jemandem, der hier nun weiß Gott deftig polemisiert hat. Da werdet Ihr ja wohl aushalten, daß der eine Antwort bekommt!
Ich glaube, Sie müssen sich auch
mit der Frage auseinandersetzen, wie es denn Ihre Zuhörer vereinbaren sollen, daß Sie auf der einen Seite den italiensichen Staatspräsidenten, den Sozialisten Pertini, an die Stelle eines ehemaligen Konzentrationslagers begleiten, wo dessen Bruder umgekommen ist, um anschließend andere Sozialisten wegen ihrer angeblichen Gemeinsamkeiten mit den Nazis zu diffamieren.
Ich gebe zu, meine Herren Zwischenrufer und Herr Kollege Mertes: Das waren zwei polemische Bemerkungen an die Adresse des bayerischen Ministerpräsidenten.
Ich habe hier sechs weitere. Ich erspare sie mir, weil ich erwarte, nicht nur daß er polemisch antwortet — das haben wir von ihm schon eine Stunde 26 Minuten gehört —, sondern daß er zur Sache spricht: was er meint, in Deutschland anders machen zu sollen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, ich habe jetzt nicht die Länge Ihrer Rede gestoppt. Aber ich bewundere einmal mehr Ihre Fähigkeit,
das, was eigentlich heute — — Meine Damen und Herren, wenn ich Sie so sitzen und akklamieren sehe, dann denke ich an die 40% Nein-Stimmen in wichtigen Fragen auf dem SPD-Parteitag, die Herr Schmidt erhalten hat.
Herr Bundeskanzler, ich wiederhole es: Ich muß bewundern, wie Sie hier den Versuch unternehmen, die Funktionen in diesem Haus, wenn es Ihnen günstig erscheint, zu verändern. Wenn ich diese Debatte richtig verstehe, ist das die Debatte über den Haushalt der Bundesregierung 1980.
Heute ist der Tag, an dem aus Anlaß der Beratung des Haushalts des Bundeskanzlers über die Generallinien der deutschen Politik gesprochen wird. Herr Bundeskanzler, um es gleich in einem Satz zu sagen: Sie, der Regierungschef, der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, haben hier Rechenschaft zu geben und sonst niemand anderes.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter Dr. Kohl. — Ich bitte, daß die Damen und Herren entweder Platz nehmen oder sich außerhalb des Plenarsaales aufhalten. Das gilt für alle Seiten.
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Herr Bundeskanzler, Sie haben hier Rechenschaft zu geben, auch am Ende dieses Jahres 1979. Es bildet das Ende eines Jahrzehnts, das von Ihnen und Ihren politischen Freunden — von der Koalition von SPD und FDP — mit so hohen Erwartungen und Versprechungen eingeleitet wurde. Rainer Barzel hat heute mittag mit gutem Grund jenes Wort von Willy Brandt zitiert, das man nicht oft genug wiederholen kann, jetzt eigentlich beginne die deutsche Demokratie: „Wir wollen mehr Demokratie wagen."
Zehn Jahre Machtübernahme durch SPD und FDP haben dazu geführt, daß die einfachste parlamentarische Kritik irgendeines Redners in diesem Hause von Ihnen überhaupt nur noch als Majestätsbeleidigung aufgefaßt werden kann.
Das, Herr Bundeskanzler, haben ja auch Ihre politischen Freunde in Berlin verspürt. Sie haben sich von der Wirklichkeit, Sie haben sich von den Sorgen und den Nöten unseres Volkes weit entfernt. Sie halten hier vor uns eine Plauderstunde über diesen oder jenen in der Welt, mit dem Sie gesprochen haben. Aber die Antworten auf die Zukunft sind Sie uns schuldig geblieben. Es ist wohl das bestürzendste Ergebnis dieser zehnjährigen Regierungstätigkeit — vor allem auch der deutschen Sozialdemokraten —: Wer anderer Meinung ist, wird von vornherein diffamiert. Wir haben es heute — ich will sonst zu dieser Rede nichts sagen, sie hat sich selbst gerichtet — in der Äußerung des Herrn Abgeordneten Ehmke gehört, als er im Zusammenhang mit der Frage eines Regierungswechsels das Wort von der Macht und dem Banausentum in den Mund genommen hat. Die Sprache ist verräterisch. Hier wird nicht mehr Demokratie gewagt. Hier wird schlicht und einfach der Versuch unternommen, um jeden Preis — ich sage: um jeden Preis — an der Macht zu bleiben.
Dabei ist es Ihnen völlig gleichgültig, ob der innere Frieden unseres Landes zerstört wird. Dabei ist es Ihnen — —
— Nun, Herr Kollege Wehner, für Sie ist der Begriff „innerer Friede" ein Fremdwort. Sie sollten sich hier nicht zu Wort melden.
Dabei ist es Ihnen völlig gleichgültig — ich wiederhole es —, ob der innere Frieden unseres Landes zerstört wird. Herr Bundeskanzler, wie wollen Sie dem äußeren Frieden Europas, unseres Volkes, der Welt dienen, wenn Sie nicht fähig sind, Ihr Amt wahrzunehmen und dem inneren Frieden unserer Bundesrepublik Deutschland zu dienen?
Weil dies so ist, werden vor einer solchen Wahl Feindbilder — anders kann man es nicht nennen — beliebiger Zahl und ohne jede Hemmung entwikkelt. Es ist völlig gleich, ob dabei die Wahrheit gebeugt wird. Es ist völlig gleich, ob dabei menschliche Beziehungen, die auch in diesem Parlament von größter Bedeutung sind, Herr Ehmke, wenn es arbeitsfähig bleiben soll, zerstört werden. Sie haben nur ein Ziel: den Oktober 1980 zu überleben.
Herr Bundeskanzler, ich kann in der Kürze der Zeit hier nur ein paar Ihrer Legenden ansprechen, beispielsweise das, was Sie hier zum Thema Gesamtschule gesagt haben. Ich frage mich, wenn Ihnen dieses Thema so am Herzen liegt: Warum waren Sie nicht vor ein paar Tagen hier im Hause präsent und haben gesprochen, als die führenden Repräsentanten der deutschen Bildungspolitik aus allen Lagern Rechenschaft gaben?
Damals, als Ihr Ressortminister Schmude so jämmerlich unterging,
haben wir Sie in dieser Debatte vermißt. In Wahrheit ist es ja auch gar nicht Ihr Thema. Sie haben sich in diesen ganzen Jahren nie um die Bildungspolitik gekümmert. In Wahrheit war Ihre Strategie immer die — und das ist auch heute noch so —, daß Sie die Bildungspolitik gern den linken Ideologen in Ihrer Partei zuschieben, wenn sie dabei den Preis zu zahlen bereit sind, Sie an der Macht zu belassen. Das ist doch der Ausgangspunkt der ganzen Entwicklung.
Herr Bundeskanzler, Sie waren damals noch in einem anderen Ressort, aber wir saßen zusammen in der Ministerpräsidentenkonferenz. Sie wissen doch so gut wie ich, daß es ganz anders mit der Gesamtschule war, daß damals die deutschen Bundesländer gemeinsam — die einen mehr widerstrebend, die anderen von der Sache mehr überzeugt — in vernünftig abgestimmten Schulversuchen den pädagogischen Ertrag dieser Versuche wirklich ausprobieren wollten. Wir haben damals Sie und Ihre Freunde leidenschaftlich davor gewarnt, in die Bildungspolitik eine Ideologisierungstendenz hineinzubringen, die sich zu Lasten der Kinder auswirken wird. Was soll das jetzt, wenn Sie heute von diesem Pult aus an das Schicksal der betroffenen Kinder erinnern? Wo haben Sie denn in diesen fünfzehn Jahren, als diese Politik ideologisch immer mehr umstritten wurde, jemals an die betroffenen Kinder gedacht?
Sie haben es hingenommen, daß eine ganze Schülergeneration mit ihren Eltern in der Bundesrepublik durch politische Mehrheitsentscheidung in diese Lage gekommen ist. Sie haben niemals nach dem Elternwillen gefragt. Sie haben niemals nach der Zukunftsperspektive der Schüler gefragt. Sie haben diesen Kindern ein ideologisches System aufgezwungen. Das ist doch die Erfahrung, die wir gemacht haben.
Sie haben doch in Wahrheit aus Ihrem verworrenen Klassenbewußtsein, das nicht mehr in unsere Zeit paßt, immer das Ziel gehabt, das auf Erfahrungen beruhende, bewährte, wenn auch durchaus re-
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Dr. Kohl
formbedürftige differenzierte System der deutschen Schulen zu zerstören. Das war doch der Ausgangspunkt Ihrer Politik.
Herr Bundeskanzler, dies alles hat — um es klar auszusprechen — mit dem Kanzlerkandidaten der CDU/CSU Franz Josef Strauß nun wirklich nichts zu tun. Diese Vorgänge, die ich hier eben angesprochen habe, spielen lange vor seiner Amtszeit als bayerischer Ministerpräsident. Nein, hier geht es einfach darum, daß ein Buhmann gefunden werden muß; ganz gleich, wie das Thema lautet, er muß dazu herhalten. Sie haben ein weiteres Beispiel — —
Herr Abgeordneter Dr. Kohl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Löffler?
Ja, bitte schön.
Herr Kohl, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß in den Ländern, in denen die Gesamtschule alternativ angeboten wird, die Wartelisten so lang sind, daß ein großer Teil der Schüler keine Chance hat, auf diese Schulen zu kommen, und wie können Sie in diesem Zusammenhang von „aufzwingen" sprechen?
Das sollten Sie mir nicht sagen, verehrter Herr Kollege. Ich war einige Jahre hindurch, wie Sie wissen, Ministerpräsident des Bundeslandes Rheinland-Pfalz. Die Landeshauptstadt dieses Bundeslandes Rheinland-Pfalz ist Mainz. Für die Bürger von Mainz müßte das Land Rheinland-Pfalz ungefähr die Hälfte der Gymnasialplätze vorbehalten. Die andere Hälfte der sehr zahlreichen Gymnasialplätze in Mainz wird von hessischen Vätern und Müttern für ihre Kinder in Anspruch genommen, die jeden Morgen mit ihren Füßen gegen das hessische Schulsystem abstimmen.
Herr Kollege, wenn Sie das Thema intensivieren wollen, kann ich Ihnen noch einen weiteren Hinweis geben. Schauen Sie doch einmal nach, welche Ihrer hessischen Genossen und Kollegen, die so leichtfertig für dieses System streiten, privatim gern ihre Kinder nach Rheinland-Pfalz in die Schule schicken!
Sie werden sich wundern; Sie finden dort Namen von Rang und Klang in der deutschen Sozialdemokratie.
Aber wissen Sie, Herr Kollege, das ist ja eine alte Sache: auf der Unterbezirkskonferenz für etwas streiten und abstimmen und zu Hause bei der eigenen Frau beweisen zu müssen, daß das richtig war, worüber man gerade abgestimmt hat.
Meine Damen und Herren, ein zweiter Punkt. Herr Bundeskanzler, Sie haben Franz Josef Strauß mit der Ihnen eigenen Gabe der dramatischen Formulierung auf die Frage der Gewerkschaft angesprochen. Schauen Sie doch ganz einfach in die Grundsatzprogramme von CDU und CSU. Ich lese
Ihnen einmal, weil Ihnen das natürlich eine besondere Freude macht, das Programm der CSU vor. Hier heißt es ganz einfach:
Die Christlich-Soziale Union verteidigt die Tarifautonomie und bekennt sich zur gewerkschaftlichen Pluralität als wesentlichen Bestandteil einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was haben Sie denn an diesem Satz auszusetzen? Es gehört doch schon eine erhebliche Begabung und ein beachtliches Maß an politischer Unterstellungskraft und Böswilligkeit dazu, wenn man angesichts eines solchen Sachverhalts eine derartige Frage in unsere Debatte einführt.
In diesem Zusammenhang ein dritter Punkt. Herr Bundeskanzler, Sie haben immer wieder dem Kollegen Franz Josef Strauß und übrigens auch uns süffisant den Satz vorgehalten — das Lateinische haben Sie noch besonders betont —: „Pacta sunt servanda." Was haben Sie eigentlich gegen diesen Satz einzuwenden? Ich bin ehrlich darüber erstaunt. Eigentlich müßte es doch so sein, daß der amtierende Regierungschef ans Pult tritt und voller Freude sagt: Wie immer auch die Kämpfe in der Vergangenheit waren, an diesem Punkt sind wir uns heute einig. Das wäre eine klare, saubere Politik für das Ganze der Bundesrepublik Deutschland.
Alle unsere ausländischen Gesprächspartner haben das längst begriffen. Herr Breschnew war in dieser Frage sehr viel deutlicher, als er in Bonn war. Sie waren ja dabei, als er sagte, er freue sich, daß die Verträge — ich zitiere es ungefähr —, wie immer sie auch in ihrer Vorgeschichte umstritten gewesen seien, jetzt von allen Parteien getragen würden. Er sagte dann ein kluges Wort — Sie sollten hier nicht versuchen, billige innenpolitische Münze daraus zu schlagen —: Wir wollen mit allen Deutschen und nicht nur mit 50 % der Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland gute Beziehungen haben.
Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, wer wirklich dem Frieden dienen will, im Inneren wie im Äußeren — ich sage es noch einmal —, sollte klugerweise darauf hinwirken, daß wir in den nationalen Grundfragen der Bundesrepublik Deutschland, in den Grundfragen unserer Existenz, mit einer Zunge sprechen können und dies nicht zerstören.
Man muß wirklich die Auffassung teilen, daß Sie ein begrenztes Verständnis für die Mitbürger oder mangelnde Achtung oder mangelnden Respekt vor ihnen haben, wenn man sich noch einmal einen Satz vergegenwärtigt wie den, die CDU/CSU habe gegen alle Verträge gestimmt.
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Dr. Kohl
Herr Bundeskanzler, damit es klar ist: Ohne die eindeutige Vertragspolitik der CDU/CSU-Mehrheit in diesem Hause — damals natürlich auch von der FDP unterstützt — wäre der Beitritt der Bundesrepublik zur NATO nicht möglich gewesen.
Damals haben Sie und Ihre Freunde sich diesem Gemeinwesen verweigert. Das ist doch die Erfahrung, die wir gemacht haben.
Nun ein Wort zu der Regie für das Szenario 80 im Blick auf die Dämonisierung, auf die Verteufelung des politisch Andersdenkenden. Herr Bundeskanzler, wir lassen es Ihnen nicht durchgehen, wenn Sie hier im Hause hobeln oder schimpfen lassen. Heute ist dieser Part dem dafür bestens geeigneten Abgeordneten Ehmke zugefallen. Sie müssen sich auch schon nach dem fragen lassen, was Sie hinsichtlich des Atmosphärischen und Klimatischen in der Bundesrepublik in den letzten Wochen mit zu vertreten und zu verantworten haben. Das will ich der deutschen Offentlichkeit in diesem Zusammenhang auch an einem Beispiel zeigen. Es kommt Ihnen überhaupt nicht darauf an, wer nun gerade Ihr Gegner ist. Jetzt versuchen Sie es mit Franz Josef Strauß, weil Ihnen das gerade in den Kram paßt. Aber Sie machen es mit jedem anderen genauso.
Ich bringe Ihnen ein Zitat aus den letzten Tagen, das man förmlich langsam auf sich wirken lassen muß. Im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion über die Medienpolitik in der Bundesrepublik haben Sie am 22. November 1979 — weniger als vier Wochen zurück — erklärt:
Nun hat der niedersächsische Ministerpräsident mit seinen Äußerungen zum Thema Medienpolitik eine neue Dimension eingeführt, eine Dimension der Kaltschnäuzigkeit, um nicht zu sagen des Zynismus. Es hat selten zuvor jemand so kaltschnäuzig deutlich gemacht, daß es ihm um eine Systemveränderung mit dem Ziel einer politischen Gleichschaltung aller elektronischen Medien geht.
— Es war mir klar, daß Sie an dieser Stelle klatschen.
Daß Helmut Schmidt von Kaltschnäuzigkeit spricht, ist beachtlich. Bisher war ich der Meinung, in der deutschen Nachkriegspolitik seien die Begriffe „Zynismus" und „kaltschnäuzig" durchaus ein Synonym für Ihre Haltung, Herr Bundeskanzler.
Das, was Sie in Ihrer eigenen Partei an menschlicher Ausstrahlung verbreiten, ähnelt mehr der Funktion einer Tiefgefriertruhe als dem, was Sie bisweilen darstellen wollen.
Einem Manne, der in einer politischen Sachfrage anderer Meinung ist, schlicht und einfach Systemveränderung, Gleichschaltung, Zynismus vorzuwerfen, ist Ihr Stil, Herr Bundeskanzler. So gehen Sie mit Ihren Mitbürgern um.
Was hat Ernst Albrecht eigentlich getan? Er hat im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Zuständigkeiten im Blick auf medienpolitische Entscheidungen bestimmte Überlegungen angestellt und eingeleitet. Es ist selbstverständlich Ihr Recht, Herr Bundeskanzler, hier anderer Meinung zu sein. Aber es ist nicht Ihr Recht, in dieser Form die öffentliche Atmosphäre, das vernünftige Miteinander von verantwortlichen Politikern in der Bundesrepublik Deutschland in solch einer Weise zu zerstören, wie Sie es fortdauernd tun.
Der Kollege Brandt fehlt heute. Herr Bundeskanzler, er hat ja auf dem Parteitag den Part gehabt, zu holzen. Das ist für ihn keine neue Situation.
Willy Brandt hat auf dem Parteitag mit einfachen Worten gesagt, ein Wahlsieg der CDU/CSU sei gleichbedeutend mit innerem Unfrieden, mit einer Radikalisierung der Politik, mit einer Rückkehr nach Weimar. Lassen Sie uns einmal einen Moment innehalten und überlegen, was das heißt. Hier wird das, was ein entscheidendes Stück politischer Kultur ausmacht, unter den Bedingungen einer Wahl, in der Bürger die Entscheidung haben, einen Regierungswechsel vorzunehmen oder auch nicht, von vornherein damit abgeblockt, daß man den Bürgern mit innerem Unfrieden droht. Das ist nur der Auftakt für das Wahljahr. Es wird mit einer Radikalisierung der "Republik gedroht. Ich frage mich: Wo nimmt eigentlich Herr Brandt nach 30 Jahren Bundesrepublik, die wir gemeinsam gebaut haben, das Recht her, so aus der Laune dessen, der vor einer Wahl Angst hat, dieses mühsam aufgerichtete Gebäude unserer Republik so zu zerstören?
Meine Damen und Herren, zur Rückkehr nach Weimar: Nicht die Tatsache, daß es die Opposition gibt, signalisiert die Rückkehr nach Weimar, sondern die Art und Weise, wie Sie Regierungsgeschäfte und Parteigeschäfte miteinander verbinden, signalisiert die Rückkehr nach Weimar.
Wenn ich den Aufgalopp dieses Parteitages betrachte und das, was Sie alles tun mußten, um wenigstens zu diesen zwei lendenlahmen Erklärungen in Sachen Nachrüstung und Energiepolitik zu kommen, dann erinnert mich das schon sehr an den Reichskanzler Hermann Müller und an den Panzerkreuzer A. Sie sind nach Weimar zurückgekehrt, Herr Bundeskanzler, weil Sie nicht mehr der Gefolgschaft Ihrer eigenen Partei sicher sind. Das ist ein Symptom von Weimar.
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Dr. Kohl
Dann haben Sie sich eben — wie andere — bitter über die Art und Weise beschwert, wie in den letzten Monaten oder Wochen über geschichtliche Themen diskutiert wurde. Meine Damen und Herren, ich bin sehr damit einverstanden — und das sollte man hier als ein Datum zur Kenntnis nehmen —,
daß in einer wichtigen Erklärung am 12. Oktober, also vor wenigen Wochen, Franz Josef Strauß, Fritz Zimmermann und Edmund Stoiber zu der Diskussion über Nationalsozialismus und Sozialismus klipp und klar erklärt haben: Niemand hat behauptet, daß die SPD dem Nationalsozialismus nahegestanden habe.
Meine Damen und Herren, ich lege Wert darauf, daß Sie hier im Hause dies zur Kenntnis nehmen, damit diese Art, einen Feldzug zu führen, so, wie Sie ihn auch heute wieder geführt haben, ein Ende hat. Niemand in der CDU/CSU denkt daran, gerade im Deutschen Bundestag einem Manne wie Otto Wels den Respekt zu versagen. Niemand von uns denkt daran, der Sozialdemokratischen Partei und der Fraktion im Deutschen Reichstag wegen ihrer Haltung zum Ermächtigungsgesetz den Respekt zu versagen. Das ist für uns ganz und gar selbstverständlich. Nur, meine Damen und Herren, wer hat denn diese Debatte im Blick auf die jüngste deutsche Geschichte eröffnet?
Es waren doch die bitteren Erfahrungen der letzten Monate. Denken Sie an die Vorgänge um die Bundespräsidentenwahl,
in der Sie, die Sozialdemokratische Partei, maßgebliche Ihrer Sprecher, an der Spitze der Bundeskanzler, jede Gelegenheit wahrgenommen haben, um Mitbürger, die sich ums Vaterland verdient gemacht haben, zu verleumden und in der Offentlichkeit herabzusetzen.
Ich denke an die Kürzel, die jetzt im Blick auf die Bundestagswahl wiederkommen: „Rechtskonservative" oder — wie der Herr Bundeskanzler es in der ihm eigenen Sprache formuliert hat — „die, die vom äußersten rechten Rand kommen".
Andere sprachen von der „Harzburger Front" und vielem anderen mehr. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben diese Kampagne bewußt in einem Augenblick inszeniert, in dem die Mehrheit der Wähler des Jahres 1980, nach Hitler aufgewachsen, gar keine eigenen Erfahrungen und kein Bewußtsein mehr aus jener Zeit hat. Sie haben, statt daß wir gemeinsam unsere Geschichte tragen, daß wir gemeinsam die Erfahrungen aus unserer Geschichte ziehen, mit billiger Münze eine Art von neuer Entnazifizierung im Psychologischen begonnen. Wir können das sehr gut aushalten, Herr Bundeskanzler,
damit wir uns hier ganz klar verstehen. Wir können das sehr gut aushalten. Ich frage mich nur, woher Sie die moralische Kraft und vor allem das moralische Recht nehmen,
so über andere zu reden.
Auch dies will ich heute hier sagen. Ich habe in diesen Monaten mit Betroffenheit erfahren müssen, daß Sie offensichtlich im Bereich dessen, was unser Volk gemeinsam geschichtlich durchlitten hat, wobei auch manche in Schuld geraten sind, manche aber auch gute Gründe für ihr Verhalten anführen können, im Blick zurück auf Ihre Generation jede Spur von Sensibilität vermissen lassen. Herr Bundeskanzler, ich will es deutlich ansprechen: Ich war mehr als betroffen, als am 20. Juli, am Abend der Erinnerung an den Aufstand der Männer und Frauen des 20. Juli, ein beachtlicher Film im Deutschen Fernsehen zu sehen war, der in jenen Tagen gedreht wurde, und ausgerechnet Sie die Einführung gegeben haben. Herr Bundeskanzler, Sie müssen selbst wissen, was Sie tun. Sie haben der Sache des 20. Juli damit keinen guten Dienst geleistet.
Herr Bundeskanzler, wenn dieser Fernsehabend nur dazu gedient hat, Ihre eigene Biographie öffentlich entsprechend darzustellen, so ist mir dies nicht ausreichend dafür, daß Sie als Bundeskanzler in dieser Situation so wenig Gespür dafür hatten,, daß Sie an diesem Abend nicht ins Fernsehen gehört haben.
Sie, Herr Bundeskanzler Helmut Schmidt, haben diese Debatte eröffnet. Ich nehme heute die Gelegenheit noch einmal wahr, Sie warnend darauf hinzuweisen: Setzen Sie diesen Weg im Wahljahr 1980 nicht fort! Wenn Sie den Lebensweg des Kanzlerkandidaten der Union, Franz Josef Strauß, betrachten, ergibt sich in der Tat nicht jenes Problem, das andere vielleicht haben könnten.
Herr Bundeskanzler, Sie haben sich in Ihrer Rede heute aus Anlaß des Jubiläums der Koalition von SPD und FDP selbst sehr gefeiert. Rainer Barzel hat Ihnen heute aus gutem Grund — ich komme darauf zurück — die Frage gestellt, was Sie sich eigentlich vorstellen, wenn auf dem Parteitag der SPD vor wenigen Tagen in Berlin Walter Jens unter dem stürmischen Beifall Ihrer Genossen sagte: .
In einem Augenblick, da die Grundrechte des einzelnen in diesem Land vielleicht so gefährdet sind wie niemals zuvor seit der Befreiung von nationalsozialistischer Herrschaft ...
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Dr. Kohl
Sie hätten dort aufstehen und Herrn Jens sagen müssen: Genosse, in welcher Republik lebst du eigentlich?
Meine Damen und Herren, damit auch das klargestellt ist: Heute ist hier Herr Ehmke an das Pult getreten und hat auf die Anfrage von Rainer Barzel betreffend die Äußerungen von Walter Jens gesagt, solche Äußerungen müßten in der intellektuellen Auseinandersetzung möglich sein. Hier geht es nicht um intellektuelle Auseinandersetzungen. Hier geht es schlicht und einfach darum, daß ein Bild der Bundesrepublik Deutschland entworfen wird, das in nichts stimmt, das in sich unwahr ist, das verlogen ist. Dies ist das freiheitlichste Land, die freiheitlichste Republik, die die Deutschen in ihrer Geschichte je hatten.
Herr Bundeskanzler, in welch einem Zustand muß Ihre Partei sein, daß sie solche Äußerungen mit frenetischem Beifall bedenkt? In welch einem Zustand muß auch Ihre eigene Position auf diesem Parteitag sein,
daß Sie nicht aufstehen, an das Pult gehen und sagen: Genossen, ich bin der Kanzler dieser Republik; dies ist der freiheitlichste Staat, den die Deutschen je hatten. Hier sagen Sie das, Herr Bundeskanzler; warum haben Sie es dort nicht getan?
Herr Bundeskanzler, ich will ein anderes Zitat von Walter Jens nehmen, das mich persönlich eigentlich noch mehr betrifft, weil ich mich in einer bestimmten Stunde während der letzten Jahre in diesem Sinne engagiert hatte. Er sagte:
Um mehr Engagement der Bürger zu erreichen, ist zweierlei nötig: zum ersten die Aufhebung aller Gesetze, Vorschriften und Verordnungen, die, erlassen, um den Staat und seine Bürger vor den Feinden der Verfassung zu schützen, in den letzten Jahren dazu geführt haben, daß in reaktionärer Gebotsauslegung der Staat und die Verfassung als Feinde der Bürger erschienen.
Herr Bundeskanzler, ist das unsere Bundesrepublik? Waren Sie es nicht, die im Krisenstab zusammen mit anderen bei der Entführung unseres Freundes Hanns Martin Schleyer das Parlament und die Landesregierungen, den Bundestag und den Bundesrat beschworen haben, diese Gesetze in der Stunde der Not zu erlassen?
Was hat sich denn nun in der Tat seit jenen Tagen geändert? Warum sind Sie nicht aufgestanden und haben zu Jens gesagt: Ich bin einer von denen, die diese Gesetze mitzuverantworten haben. Warum ist auch das mit frenetischem Beifall bedacht worden?
Meine Damen und Herren, wir sind dabei — es macht keine Freude, dies festzustellen —, uns in den wichtigsten Grundfragen unseres Landes immer mehr auseinanderzuleben. Herr Bundeskanzler, Sie mögen von Berlin — das ist ein Tageserfolg — für die Woche als Sieger heimgekehrt sein; in fast allen wesentlichen Abstimmungen standen zwischen 30 und 40 % Ihrer politischen Freunde gegen Sie. Nur die Angst vor dem nahen Wahltermin hat es überhaupt zugelassen, daß Sie dann diese knappen Mehrheiten erhalten haben. Sie wissen so gut wie ich, Herr Bundeskanzler, daß die Zeit rasch vorübergeht und Sie für Ihren Mangel an Mut, wirklich für die Grundfragen zu kämpfen, bitter bezahlen müssen.
Sie haben Franz Josef Strauß soeben auf seine Äußerungen zur Familienpolitik angesprochen. Ich bin auch hier erstaunt. Eigentlich haben Sie bei dieser Debatte zu sagen, was Sie in diesem Jahrzehnt für Familienpolitik getan haben. Wir- haben hier kürzlich eine Debatte gehabt. Dort erklärte die Bundesregierung in der Antwort auf eine Große Anfrage meiner Fraktion:
Noch immer bejaht unsere Bevölkerung uneingeschränkt die Familie. Sie hält sie für unersetzbar im mitmenschlichem Zusammenleben.
Wir stimmen dieser These voll und ganz zu. Aber es heißt ja: „Noch immer bejaht unsere Bevölkerung uneingeschränkt die Familie. Es ist doch dann bedrückend, wenn die Familie in diesem Jahrzehnt nicht zuletzt durch Ihre Politik ins Abseits gedrängt wurde.
So einfach, Herr Bundeskanzler, können Sie sich das nicht machen. Niemand von uns denkt im Traum daran, eine Gleichung aufzumachen, die besagt, Familienpolitik ist gleich Bevölkerungspolitik. Aber so viel sollten Sie aus der normalen Erfahrung des Lebens wissen, daß Familienpolitik auch etwas mit Bevölkerungspolitik zu tun hat.
Meine Damen und Herren, niemand von uns — Strauß hat das hier heute deutlich dargelegt — hat je dem Traum nachgehangen, daß etwa eine ausschließlich materielle, finanzielle Verbesserung auf dem Sektor der Familienpolitik eine Wende herbeiführen kann. Was wir brauchen, ist die Rückkehr zu dem durchaus vernünftigen Satz der Gründungsväter unserer Republik, daß eine gesunde Familie die Voraussetzung eines gesunden Staates ist. Das ist das Prinzip, das wieder gelten muß.
Aber es ist doch nicht zu übersehen, Herr Bundeskanzler, daß wir die niedrigste Geburtenrate haben. Sie haben uns in diesem Jahr zwei unglaubliche Antworten gegeben. Im Mai meinten Sie im Zusammenhang mit diesem Problem, wenn wir einige Millionen weniger Einwohner hätten, dann hätten wir mehr Platz auf unseren Straßen.
Ich kann Ihnen natürlich nur zustimmen; das entspricht durchaus der Logik. Wenn es allerdings das
Ziel Ihrer Politik ist, daß wir auf diese Art mehr
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn,. Dienstag, den 11. Dezember 1979 15117
Dr. Kohl
Parkplätze bekommen, dann sollten Sie das noch hinzufügen.
Heute sagen Sie — und das ist noch beachtlicher — als ein Argument zu diesem Thema, daß wir eine Überbevölkerung in der Welt haben; auch das stimmt. Aber ist das wirklich der Ausweg, den die deutsche Bundesregierung unter Ihrer Kanzlerschaft unseren Mitbürgern in dieser konkreten Frage rät? Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie sagen — was unstreitig ist —, daß es die persönliche und private Entscheidung der Eltern ist, ob sie Kinder haben oder nicht. Niemand von uns denkt doch daran, ins Elternhaus hineinzuregieren. Sie sind es doch mit Ihrer Politik der einseitigen Bevorzugung der berufstätigen Frau, der diesen Trend hineingebracht hat.
Wenn Sie wirklich liberal wären, müßten Sie doch sagen: ob eine Frau berufstätig ist oder nicht, ist ausschließlich ihre Privatsache.
Das ist unsere Position. Aber wenn sie sich entscheidet, zu Hause zu bleiben, und für sich und ihren Mann in ihrer Familie die Kinder großzuziehen, dann hat sie Anspruch auf die gleiche rechtliche und soziale Stellung wie die berufstätige Frau.
Das ist das Erstaunliche an dieser Äußerung: Das sagen Sozialdemokraten, die doch sonst bei jeder Gelegenheit für alles und jedes im Leben die gesellschaftspolitischen Umwelteinflüsse verantwortlich machen. Jetzt, wo das Großklima in unserer Republik durch Ihr Tun und Ihre Politik nicht eben familienfreundlich ist, stellen Sie sich blind und taub für diese Fragen.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben kein Recht, auf die Familie mit Fingern zu zeigen. Sie haben jahrelang eine Politik betrieben, durch die die Familien rechtlich immer stärker unter staatliche Vormundschaft gestellt, moralisch und psychologisch verunsichert und materiell ins soziale Abseits gedrängt wurden.
Herr Bundeskanzler, Sie haben gefragt: „Was werdet ihr tun?" Ja, waren Sie in diesen Jahren nicht in diesem Haus? Ich glaube, es gibt ein rundes Dutzend Anträge der verschiedensten Art, mit denen wir von Grund auf bereit sind — und wir werden das nach 1980 tun —, die Familienpolitik auf gesunde Füße zu stellen.
Heute wollen Sie Ihren zweiten Familienbericht gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen; das ist jetzt ein Betriebsunfall. Es war doch die Bundesregierung, die die Familie als eine Sozialisationsagentur der Gesellschaft ansah.
Sie setzen doch diese Politik fort. — Meine Damen und Herren von der FDP, die Sie hier Zwischenrufe machen, wie haben Sie sich denn bei der Neuregelung des elterlichen Sorgerechts verhalten, als die Rede war von gewaltbesessenen Eltern, von Kindern als Objekten elterlicher Fremdbestimmung? Das war doch Geist aus Ihrem Geiste, den wir hier erlebt haben!
Aus diesem Grunde, weil Sie ausschließlich von einem sozialistischen Familien- und Emanzipationsmodell ausgehen, werden Sie — —
— Herr Kollege Wehner, es mag sein, daß Ihnen das wehtut. Aber wir sagen das, was wir für richtig halten. Was Sie dazwischenrufen, ist uns völlig gleichgültig.
Im übrigen möchte ich den Zwischenrufern von der FDP sagen: da es jetzt darum geht, für die Hausfrau und Mutter etwas zu tun, hat sich Ihr Vorsitzender, Herr Genscher, zu Wort gemeldet. Ich bin sehr gespannt, Herr Kollege — weil Sie doch immer so gern zitieren —, ob das Interview vom vergangenen Sonntag seinen Niederschlag im Abstimmungsverhalten der FDP findet. Aber ich fürchte, es wird so sein: Sie werden einmal mehr auch in dieser Sache umfallen, und Sie werden uns allein lassen — und damit auch die Hausfrauen und die Mütter.
Wir brauchen eine Politik, die zu einer politischmoralischen Offensive für die Familie fähig ist. Wir müssen eine familien- und kinderfreundliche Umwelt schaffen. Wir brauchen eine Politik, meine Damen und Herren, für die die Familie mehr als der Ort ist, wo die Menschen ihren Elternurlaub zubringen.
Wir wollen für die Familie den gebührenden Rang als wichtigster Ort individueller Geborgenheit. Das ist unser Ziel, und das werden wir auch in der Politik der Bundesrepublik durchsetzen.
Herr Bundeskanzler, zu einem Thema haben Sie gar nichts gesagt, nämlich zu dem Thema, daß am zehnten Jahrestag Ihrer Koalition so viele junge Mitbürger wie nie zuvor in der Nachkriegszeit vor Problemen stehen. Wir haben oft genug in diesen Wochen darüber gesprochen: über die wachsende Sucht nach Drogen und Alkohol, das Anwachsen der Jugendkriminalität. Alle diese Anzeichen einer Desorientierung der jungen Generation haben sich doch während Ihrer Regierungszeit dramatisch verstärkt.
Natürlich weiß ich, daß diese Entwicklung viele Ursachen hat;
aber Tatsache ist, daß es sich gerade, Herr Wehner, in jener Amtszeit verstärkt hat,
Dr. Kohl
für die Sie die Verantwortung tragen. Dafür steht ja stellvertretend jener falsche Pathos,
mit dem Sie vor zehn Jahren angetreten sind.
Wer genau hinschaut, weiß: Es ist dies kein zufälliges zeitliches Zusammentreffen.
Herr Bundeskanzler, ein Mann, der mit Pate stand für Ihre Koalition, der noch in 1972 Ihre Wählerinitiativen mit unterschrieben hat — ganz und gar unverdächtig, ein Helfer der Union zu sein —, Jürgen Habermas, sagte zu diesem Problem — ich darf zitieren —:
Die wachsende Zahl der Fälle, die psychiatrischer Behandlung bedürfen, epidemisch um sich greifender Verhaltensstörungen, Alkoholismus, Suchtphänomene, überhaupt steigende Raten von Selbstmord und Jugendkriminalität sind Anzeichen für mißlungene Integrations-, für fehlgeschlagene Sozialisationsprozesse.
Und nun hören Sie seine Erklärung an!
Viele modernistische Reformen führen zu einer zweideutigen Verrechtlichung von Lebensverhältnissen. Die Zweideutigkeit des reformerischen Eingriffs in die Beziehung zwischen Eltern und Kindern, Lehrern und Schülern, zwischen Arbeitskollegen, Nachbarn und anderen liegt darin, daß sie gleichzeitig eine Abkoppelung von traditionell eingelebter Norm, aber eben auch von Wertorientierungen überhaupt bedeutet.
Herr Bundeskanzler, das ist aus dem Munde eines Mannes, der Ihr Weggenosse zu Beginn dieses Jahrzehnts war, ein vernichtendes Urteil über Ihre Familien- und Jugendpolitik.
Vor zehn Jahren hatten die jungen Bürger unseres Lande allen Grund, an eine bessere Zukunft zu glauben. Das Fundament, das wir in diesen ersten 20 Jahren in der Geschichte der Bundesrepublik gebaut hatten, war fest. Auf diesem Fundament schien der Aufbruch zu Neuem gerechtfertigt, die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft möglich. Sie, SPD und FDP, haben ja von diesen Hoffnungen profitiert; aber Sie haben die Jugend restlos enttäuscht — bis weit hinein in Ihre eigenen Reihen.
Es ist Ihr Abgesang, Herr Bundeskanzler — auch wenn Sie es heute noch nicht glauben —, wenn Erhard Eppler in diesen Tagen dazu feststellte: „Die Partei weiß nicht mehr, wohin das alles läuft.
Wir können nicht jahrelang von Mogadischu leben."
Das ist eine Bilanz im Blick auf Familie und junge Generation, die Sie eben nicht vom Tisch bringen.
Eine letzte Bemerkung zu einem wichtigen Feld, Herr Bundeskanzler, zu dem Sie uns ebenfalls die
Antwort schuldig geblieben sind, nämlich zur Energiepolitik.
Wir hatten hier eine — wie jedermann feststellen konnte, der anwesend war — beachtliche Debatte in der Woche vor Ihrem Parteitag. Sie sind damals ans Pult gegangen und sprachen von einer „beachtlichen" Rede des Kollegen Stoltenberg, und Sie sagten, Sie werden demnächst in einem anderen Raum Ihre Antwort geben. War das, was wir auf dem Berliner Parteitag der SPD gehört haben, wirklich Ihre Antwort, die Antwort des Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland, in Sachen Energiepolitik? Sie selbst haben zu Jahresbeginn die Apokalypse eines drohenden Weltkrieges im Verteilungskampf um das 01 an die Wand gemalt.
Übrigens, Herr Bundeskanzler, in diesem Zusammenhang ist es selbstverständlich, daß wir alles, was denkbar ist, unterstützen, damit wir in dieser Stunde der auch moralischen Not unseren amerikanischen Freunden helfen. Sie sind auch hier einmal mehr in der Lage, daß die Opposition Sie Mann für Mann unterstützt. Daß jener dümmliche, tumbe Antiamerikanismus in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gepflegt wird, ist doch eine Erfahrung, die wir in diesem Zusammenhang gemacht haben.
Sie haben auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Bonn erklärt — und sich dazu verpflichtet —, die weitere Entwicklung der Kernenergie sei unerläßlich und die bei der Durchführung der Kernkraftprogramme eingetretenen rückläufigen Entwicklungen müßten umgekehrt werden. Meine Damen und Herren, was haben Sie denn getan? Wenn Sie genau hinschauen, was in der Bundesrepublik passiert, müssen Sie doch schlicht und einfach feststellen: Es herrscht Stillstand. Seit Jahren beklagen wir das Moratorium, so, wie es die Linken in der SPD und FDP immer gefordert haben. Sie sind, Herr Bundeskanzler, immer weiter zurückgewichen, wie Sie ja immer zurückweichen, wenn Sie wirklich in der Sache gestellt werden.
Sie sind in eine Defensivrolle zurückgewichen. Sie haben jetzt auf dem Parteitag der SPD formuliert, wie ich das von Ihnen in keiner Sitzung des Kernkraftbeirats der Bundesregierung oder sonstwo je gehört habe. Sie kommen jetzt mit der sogenannten Lückenbüßerfunktion der Kernenergie. Sie schließen den weiteren Bau von Kernkraftwerken nicht aus, aber Sie sagen nicht, ob das zum energiepolitischen Überleben unseres Landes gehört. Sie sind uns bis zur Stunde — Franz Josef Strauß und Rainer Barzel haben Sie darauf angesprochen — in dieser Frage eine wirklich ganz eindeutige Antwort schuldig geblieben. Sie werden polemisch, Sie werfen uns vor, daß wir in dieser Frage einig sind. Herr Bundeskanzler, Sie sollten froh sein, daß es in diesem Hause
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noch eine Fraktion gibt, die in einer solchen Grundfrage ganz einig ist und Sie unterstützt.
Das ist jenes „Zurück nach Weimar", von dem ich sprach. Das ist die Erinnerung an den Reichskanzler Hermann Müller, wenn Sie in Berlin zum Vorstandsantrag Ihrer Partei sagen, daß
dieser Antrag mit den Einschränkungen mir persönlich zu weit geht. Ich hätte das nicht so formuliert. Ich bin aber bereit, diese Einengungen zu akzeptieren, aber nicht noch mehr.
Schon einige Tage zuvor haben Sie im zweiten Fernsehen gesagt:
Ich selbst glaube, daß im späten Verlauf der 90er Jahre und zu Beginn des nächsten Jahrhunderts wir deutlicher sehen werden, ob wir auf Dauer Kernkraft wirklich benötigen.
Da fehlt doch der erste Satz. Sie müssen doch zuerst an das Ende der 90er Jahre gelangen. Das sind noch zwanzig Jahre. Was wollen Sie in den nächsten zwanzig Jahren tun?
Das ist doch die Frage, die die Bürger unseres Staates an Sie stellen.
Sie haben dann in Berlin formuliert:
Jeder hat bemerkt, daß ich weder gesagt habe, wir brauchen Kernkraft um jeden Preis, noch habe ich mit Zahlen über künftigen Stromverbrauch hantiert.
Herr Bundeskanzler, das ist doch wiederum vom Thema abgelenkt. Sie wissen so gut wie ich, daß wir — eingedenk, Herr Ehmke, alle Dinge, die hier zu nennen sind: Einsparung, neue Technologien, Ausbau der konventionellen Energien — um das klare, uneingeschränkte Ja zur Kernkraft jetzt nicht herumkommen. Herr Bundeskanzler, warum sprechen. Sie das hier nicht so aus, ohne Wenn und Aber, damit es die Bürger draußen hören?
Jetzt wird beklagt, daß die Politik — auch im Blick auf die Grünen — in ein diffuses Licht geraten ist. Das ist doch deswegen geschehen, weil Sie nicht den Mut haben, gerade diesem Teil der jungen Generation die Wahrheit zu sagen, weil Sie sich nicht an dem Versuch beteiligen, junge Leute zu überzeugen, sondern sich mit einer Wischiwaschi-Politik durchmogeln wollen. In dieser Frage gibt es kein Durchmogeln.
— Ich weiß nicht, Herr Kollege Wehner, was hier unerhört ist. Ich spreche über einen SPD-Antrag, über den abgestimmt worden ist und von dem das Mitglied Ihrer Fraktion — —
— Aber lieber Herr Kollege Wehner, warum? Sie sind wirklich nicht alptraumhaft.
Hier überschätzen Sie sich völlig, meine Damen und Herren. — Die Art und Weise, in der Sie reagieren,
zeigt doch, wie schwer es Ihnen fällt, Herr Bundeskanzler, sich mit Ihren Vorstellungen durchzusetzen. Von diesem Antrag in Berlin sagt ein Mitglied Ihrer Fraktion, Herr Roth: Wenn man diesen Antrag ernst nimmt, dann gilt, daß in den nächsten vier bis fünf Jahren kein neues Kernkraftwerk gebaut werden kann. Das ist doch genau der Punkt, um den es hier geht. Wir müssen die Antwort von Ihnen bekommen — Sie sind sie uns bis zur Stunde schuldig géblieben —, wie Sie Ihre unbestreitbar guten Absichten realisieren wollen, ob und wie Sie Rechtsklarheit herstellen wollen, wie Sie den Vorrang für die Kohle durchsetzen wollen, wieviel Kernkraftwerke Sie in welcher Zeit heute für erforderlich halten, wie Sie die Entsorgung auch nach der Übereinkunft mit den Ministerpräsidenten sicherstellen wollen und wie Sie, Herr Bundeskanzler — das ist eine wichtige Frage —, die Offenhaltung der Option „Ausstieg aus der Kernenergie" praktisch realisieren wollen. In Berlin haben Sie dazu lapidar erklärt: „Dieser Antrag schließt nicht aus, daß irgendwann doch noch einmal ein Kernkraftwerk gebaut wird. Sie sagen dann weiter: „Das möchte ich auch nicht ausschließen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben vor dem deutschen Volk geschworen, Schaden von ihm abzuwenden. Heute, wo wir befürchten müssen, daß die 80er Jahre für uns zu einem Öl-Alptraum werden, sind Sie in der Ausübung Ihrer Richtlinienkompetenz durch Parteitagsbeschlüsse der SPD eingebunden, die es Ihnen nicht möglich machen, in Tat und Wahrheit den richtigen Weg zu beschreiten. Ich wiederhole, worauf besonders der Sachverständigenrat Wert gelegt hat:
Die Entscheidung für eine ausreichende Energieversorgung für die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland haben Regierungen und Parlamente zu treffen und nicht Experten und nicht Gerichte.
Das ist genau auch unsere Position.
Wir haben Ihnen oft — wie auch jetzt hinsichtlich der Nachrüstungsfrage — die volle Unterstützung unserer Fraktion angeboten und Sie aufgefordert, diese Möglichkeit zur Wohlfahrt unseres Volkes zu nutzen. Warum, Herr Bundeskanzler, haben Sie heute — ich sage es abschließend noch einmal — nicht den Mut gehabt, jene Energiepolitik, die Sie uns gegenüber im Energierat selbstverständlich und zu Recht vertreten, im Bundestag einmal zur Abstimmung zu stellen? Ich lade Sie ein, ein klares Votum herbeizuführen. Stellen Sie die entsprechenden
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Anträge, und Sie werden feststellen, daß Sie in diesem Hause eine riesige Mehrheit haben. Es muß doch möglich sein, diese Mehrheit in dieser Schicksalsfrage für das allgemeine Wohl zu nutzen!
Unser Freund Gerhard Stoltenberg
hat von dieser Stelle aus vor wenigen Tagen gesagt, eine politische Partei müsse unter dem unerhörten Problemdruck, unter dem sie stehe und den wir gemeinsam sehen, entscheidungsfähig sein. Wenn sie das auf die Dauer nicht ist, dann muß sie auf den Anspruch verzichten, dieses Land zu regieren.
Ich teile diese Einschätzung.
Herr Bundeskanzler, ich will mit einem Rat schließen, den Sie einem anderen gegeben haben.
Auf der Heimreise aus den USA im Juni dieses Jahres haben Sie zu Journalisten gesagt:
Wenn ich, Helmut Schmidt, Jimmy Carter wäre, dann würde ich dem amerikanischen Volke sagen: Die Sache liegt so und so, und so wird's gemacht. Und wenn ihr das nicht wollt, dann müßt ihr mich zum Teufel jagen.
Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Ich komme an dieses Pult noch einmal wegen einer Bemerkung, die der Abgeordnete Kohl am Beginn seiner Rede einfließen ließ, nachdem zunächst die Rede davon war, daß menschliche Verhältnisse in diesem Haus nicht zerstört werden dürfen.
Herr Abgeordneter Kohl, Sie haben über den 20. Juli 1944 und über mich gesprochen. Ich war am 20. Juli 1944 Soldat; übrigens damals schon seit sieben Jahren. Ich bin 1937 der Wehrpflicht wegen eingezogen worden.
— Ich war kurz vorher, Ende 1936, aus der hamburgischen Marine-Hitlerjugend rausgeflogen. Ich war weder vorher noch nachher Mitglied einer NS-Organisation. Ich hatte nicht so viel Glück wie Sie, der
Sie zwölf Jahre später geboren worden sind und nicht Soldat werden mußten.
Ich möchte Sie fragen, ob Sie an meinem Lebenslauf etwas auszusetzen haben. Dann bitte ich Sie, das hier vorzutragen und ehrabschneiderische Andeutungen zu unterlassen.
Einen Moment! Es hat sich der bayerische Ministerpräsident gemeldet. Ich kann nur — —
— Nein! Ich werde genau nach der Geschäftsordnung verfahren.
Das Wort hat der Ministerpräsident des Freistaates Bayern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand von uns, Herr Bundeskanzler, hat die Absicht, offen oder versteckt über Sie ehrabschneidende Erklärungen, sei es auf den Zeilen,
sei es zwischen den Zeilen, abzugeben. Ich bitte Sie, Herr Kollege Wehner, mich nicht zu unterbrechen, auch wenn Sie auf diesem Gebiet, das ich eben erwähnt habe, eine größere Erfahrung haben als wir alle.
Ich möchte auch von mir aus auf diese Fragestellung hier deshalb nicht eingehen, weil man sie sonst sehr umfassend behandeln müßte. Aber ich schließe mich einer Aufforderung des Kollegen Helmut Kohl an — und der könnte sich jedes Mitglied dieses Hauses anschließen — daß endlich einmal mit der geschichtsfälschenden, die geistesgeschichtliche Klärung verhindernden Lüge oder Legende aufgeräumt werden muß, daß die bürgerliche Rechte, die Konservativen die Vorläufer des Dritten Reichs und die Christlichen Demokraten und die Christlich-Sozialen die Traditionswahrer dieser Vergangenheit seien. Ich möchte dazu hier nicht Stellung nehmen. Ich könnte es aber sehr wohl tun und werde es im Zusammenhang mit einer Bemerkung, Herr Bundeskanzler, die Sie über mich bzw. meine Rede gemacht haben, kurz tun.
Sie haben mir vorgehalten, ich hätte Ihr Interview im Zusammenhang mit der Sozialen Marktwirtschaft heute nicht vollständig zitiert und deshalb falsch zitiert. Ich habe mir dieses Interview jetzt in seiner Gesamtheit besorgen lassen. Bis heute morgen verfügte ich nur über den seinerzeit vom
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Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
Presse- und Informationsamt — das ja wohl von Ihnen nicht als Fälscherzentrale bezeichnet wird —
— ich meinte: vom Herrn Bundeskanzler nicht — zur Verfügung gestellten Teiltext. Es ist auch völlig unmöglich, Herr Bundeskanzler, das ganze Interview zu zitieren. Es umfaßt an die zwölf eng beschriebene, eng bedruckte Seiten.
Der Text, bei dem Sie mir selektive Zitierung und damit Entstellung des Sinns vorgeworfen haben, heißt nach dem vom Bundespresseamt verteilten offiziellen Text folgendermaßen. Da steht: Sperrfrist Sonntag, 4. Juli 1976, 22 Uhr usw.; Interview mit dem österreichischen Fernsehen. Ich habe sogar einen Satz ausgelassen, der diesen Teil des Interviews einleitet. Ich hole das gerne nach. Der Satz heißt:
Soziale Marktwirtschaft ist ein politisches Schlagwort.
Dann kommt das Zitat so, wie ich es heute morgen gebracht habe:
Marktwirtschaft ist von sich aus niemals sozial, im Gegenteil, soziale Politik, sozialer Ausgleich kann niemals durch Marktwirtschaft herbeigeführt werden. Wenn Sie sozialen Ausgleich wollen, dann müssen Sie etwas tun, was gegen den Markt verstößt: Sie müssen intervenieren. Die Sozialpolitik im engeren Sinne wie im weiteren Sinne ist immer das krasse Gegenteil von Marktwirtschaft.
Das ist das Zitat. Ich habe zusammenhängend zitiert. Ich war dazu heute morgen nicht in der Lage. Ich möchte es auch heute nachmittag niemandem zumuten, etwa die zwölf Seiten des Gesamttextes des Interviews zum besten zu geben, obwohl es ganz nette Einblicke vermittelt.
Nur, Herr Bundeskanzler, wenn Sie im Zusammenhang damit die Frage stellen, ob mir nicht bekannt war, daß schon seit der ersten Fabrikgesetzgebung des 19. Jahrhunderts „Markt" und „sozial" in Gegensatz zueinander gestanden haben, dann beweist das wirklich, daß auch Sie sich von dem Schlagschatten des Steinzeitsozialisten noch nicht ganz befreit haben.
Niemand von uns — von uns christlich demokratischen oder christlich-sozialen Politikern — behauptet, daß die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in der Pionierzeit der Industrialisierung, in der Zeit des sogenannten Manchester-Kapitalismus unseren Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit, von sozialem Ausgleich und von menschlicher Würde entsprochen haben.
Ich weiß nicht, wie viele Hunderte Reden es allein von mir gibt, in denen ich darauf hinweise, daß gerade die Verhältnisse des 19. Jahrhunderts zu den sozialistischen Reformvorstellungen, die sich bis zur kommunistischen Revolutionspropaganda entwikkelt haben, und zu den christlich-sozialen Reformvorstellungen der beiden Kirchen — der katholischen Kirche in der Enzyklika „Rerum novarum" — geführt haben. Deshalb ist es ein erschütterndes Zeichen der geistigen Armut, aber auch der geschichtlichen Bildungslosigkeit eines Bundeskanzlers,
wenn er Soziale Marktwirtschaft in dem Verständnis von heute, von Eucken, Müller-Armack, von Franz Böhm, in die politische Wirklichkeit umgesetzt durch Ludwig Erhard, mit der Fabrikgesetzgebung des 19. Jahrhunderts und mit den Verhältnissen in der Gründerzeit, der Pionierzeit der Industrialisierung und der Zeit des Manchester-Kapitalismus hier in diesem Bundestag in einen inneren Zusammenhang bringt.
Es ist doch selbstverständlich, daß die Gesetzgebung und die Verträge zwischen den Tarifparteien — das eine, Aufgabe der Regierungen und der Parlamente, das andere durch verantwortungsbewußte Nutzung des freien Spielraums durch die beiden Tarifparteien zustande kommend — den Begriff der sozialen Sicherheit weitgehend prägen. Aber die Wirklichkeit der sozialen Sicherheit ist durch die von Ihnen bekämpfte Soziale Marktwirtschaft begründet worden. Da ist die Substanz geschaffen worden. Da ist die Masse geschaffen worden. Da sind die Grundlagen gelegt worden, auf denen aus einem Proleten der moderne Arbeiter geworden ist. Für mich war es immer ein Anlaß des politischen Stolzes und auch meiner persönlichen Zufriedenheit, daß es unsere Politik gewesen ist, aus dem Arbeiter, aus dem Proleten des 19. Jahrhunderts durch eine Politik der Sozialen Marktwirtschaft den Bürger zu machen, der Partner in der Wirtschaft ist, volle Gleichberechtigung im Staate und seinen Anteil am Sozialprodukt hat.
Soziale Marktwirtschaft bedeutet doch, daß die Freiheit des Marktes durch soziale Gesetzgebung eingeschränkt und unter Kontrolle gebracht wird, ohne daß aber deshalb die Grundsätze der freien Marktwirtschaft dadurch aufgehoben oder ausgehöhlt werden. Wie können Sie behaupten, daß Soziale Marktwirtschaft ein reines Schlagwort sei und daß Markt und sozial unvereinbare Gegensätze bedeuteten? In wessen Hirn findet denn der Spaltungsprozeß statt? Doch in Ihrem Hirn findet er statt!
Ich gehöre zu der kleinen Zahl von heute noch lebenden Abgeordneten der kleinen Mehrheit des damaligen Wirtschaftsrates, die in den dramatischen Juni-Debatten des Jahres 1948 — SPD, KPD waren dagegen, CDU, CSU, FDP und DP dafür — den Ausschlag gegeben hat, daß in einer Zeit größter materieller Not, scheinbar oder anscheinend größter Hoffnungslosigkeit gegen einen großen Teil der veröffentlichten Meinung, gegen die Gewerkschaften, gegen den Rat und die Warnungen der Besetzungsmächte und gegen eine breite Strömung auch in der öffentlichen Meinung Ludwig Erhard und wir — ein
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Häuflein der kleinen Mehrheit — damals den Sprung ins kalte Wasser gewagt haben. Wer damals vorausgesagt hätte, wie es materiell für den einzelnen wie hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der Gemeinschaft 15 oder 20 Jahre später in der Bundesrepublik Deutschland aussehen würde, der wäre damals Gefahr gelaufen, für geisteskrank oder größenwahnsinnig erklärt zu werden.
Der Aufstieg der breiten Masse in den Bereich der gehobenen Konsumgüter, über die Sphäre der Dekkung des primitiven Lebensbedarfs hinaus, war eben nur durch die Soziale Marktwirtschaft möglich und wäre durch keine andere Ordnungsform der Wirtschaft möglich geworden.
Ein Zwischenruf — ich habe das Stichwort Gewerkschaften gehört —
gibt mir Anlaß, auch wenige Worte über dieses Thema zu sagen. Niemand hat jemals bestritten, sondern im Gegenteil, jeder hier in diesem Hause und von meinen politischen Freunden hat den Anteil der Gewerkschaften in dieser Zeit des harten Aufbaus und der folgenden Jahre an der Gesamtleistung ohne Wenn und Aber anerkannt.
Das heißt noch lange nicht, daß man deshalb mit allen Vorstellungen, Meinungen, Forderungen und Standpunkten der Gewerkschaften — der großen Gewerkschaft oder anderer kleiner Gewerkschaften — in jedem Falle einverstanden sein muß.
Wenn man in diesem Hause einmal die Frage stellt: „Freund oder Feind der Arbeitnehmer?", so halte ich das Ganze für eine törichte Kampfparole der psychologischen Kriegführung. Ich halte das für eine Agitation und Aufhetzung.
Denn in wesentlichen Fragen, die die Lebensgrundlagen, die persönliche Freiheit, die Verfügungsgewalt über das erworbene Arbeitseinkommen, die Sicherung des Arbeitsplatzes in den 80er und 90er Jahren betreffen, haben CDU und CSU — ich darf das für mich auch und sehr wohl und nicht an letzter Stelle in Anspruch nehmen — eine Politik getrieben, die im Interesse der Arbeitnehmer, kurz-, mittel- und langfristig gesehen, jedenfalls besser fundiert war als die hektische krampfartige und kurzatmige Politik, die die Regierungsparteien und die Bundesregierungen in dieser Zeit getrieben haben.
Wenn wir für das Jahr 1980 schon auf Grund der eingetretenen und der zu erwartenden Steuermehreinnahmen eine Korrektur des Einkommensteuertarifs — ich rede noch nicht von der großen Tarifreform — gefordert haben, dann doch nicht wegen der großen Einkommen, wegen des großen Geldes; denn die Bezieher dieser Einkommen haben mit den von uns angestrebten Tarifkorrekturen überhaupt nichts zu tun; die zahlen deshalb keinen Pfennig weniger Steuern. Es handelt sich für uns um den Bereich von heute 20 000 DM bei Ledigen und 40 000 DM bei Verheirateten und in einigen Jahren von 30 000 DM bei Ledigen und 60000 DM bei Verheirateten, für die der Verlauf der Tarifkurve erheblich abgemildert werden muß, damit nicht von jeder mehr verdienten Mark an die 50 Pfennig an die öffentlichen Kassen abgeführt werden müssen. Das nenne ich eine arbeitnehmerfreundliche, aber gleichzeitig auch eine der Steigerung der Leistung dienende Politik.
Wenn wir, sicherlich nicht ohne Denkprozeß, unser Ja zur Kernenergie rechtzeitig sagen, dann dient auch das in erster Linie nicht dem Ziel, der Wirtschaft größere Gewinne zu verschaffen oder höhere Erträge zuzuschanzen oder bessere Profite zu ermöglichen, sondern dann dient das der ohne ausreichende Belieferung mit bezahlbarer Energie nicht möglichen, nicht zu erhaltenden heutigen Beschäftigung, dann ist das eine Voraussetzung für die Wiederherstellung des vor zehn Jahren, als wir die Regierung abgaben, bestehenden Standes der Vollbeschäftigung.
Für uns ist die Versorgung mit Energie und mit Rohstoffen in ausreichender Menge und zu bezahlbaren, wettbewerbsfähigen Preisen die durch nichts zu ersetzende Voraussetzung für eine Erhaltung des hohen Beschäftigungsstands und die Wiederherstellung der für soziales Gleichgewicht, für echte Familienpolitik und für die Finanzierung der künftigen Rentenaufgaben notwendigen Vollbeschäftigung.
Darum sollte man aufhören, in Kategorien von „Freund" und „Feind" von Arbeitnehmern zu denken.
Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß ich kein Anhänger der paritätischen Mitbestimmung bin. Es gibt Parteifreunde in unseren Reihen, die anderer Meinung sind und sein mögen. Mit denen set- zen wir uns genauso auseinander wie mit den Anhängern der paritätischen Mitbestimmung in gewerkschaftlichen Organisationen. Aber es wäre ein ganz schlechtes Zeichen der Geistes- und Meinungsfreiheit in unserem Lande, wenn jemand, der aus Gründen der Funktionsfähigkeit unserer Wirtschaft die paritätische Mitbestimmung nicht bejaht, gleich zu einem Arbeitnehmerfeind abgestempelt werden könnte.
In den Lebensfragen unserer Nation — und dazu gehören hoher Beschäftigungsstand oder Vollbeschäftigung — lassen wir uns an Sachkunde, an Erfahrungsnähe, an Wirklichkeitsorientierung und an Zielorientierung von niemandem in diesem Hause übertreffen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben ein böses Wort gebraucht. Wenn Sie an der Stelle von Herrn Wehner
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säßen, würde ich nicht darauf eingehen. Da Sie aber hier sitzen — ich hoffe, sagen zu können: noch hier sitzen —, sage ich: Sie dürfen nicht davon reden, daß eine demokratische Partei — ich meine die Christlich-Soziale Union und ihre Führungsorgane — die Einheitsgewerkschaft unterminiert. Wenn Gefahr besteht, daß eine ideologische Richtung, wenn Gefahr besteht, daß eine totalitäre Richtung versucht, die Einheitsgewerkschaften zu unterwandern, zu unterminieren, dann sind es die Kommunisten der verschiedenen Schattierungen.
In dem Parteiprogramm der CSU ist die Rede vom gewerkschaftlichen Pluralismus. Ich habe kein Verständnis dafür, daß, wenn ich das richtig im Gedächtnis habe, Herr Loderer sagte: Wer für den gewerkschaftlichen Pluralismus eintritt, ist ein Feind der Einheitsgewerkschaft.
Lassen Sie mich hier verbindlich — ich führe diese Partei seit nunmehr fast 19 Jahren — sagen, was unser Glaubensgut auf diesem Gebiet vom ersten Tage an ist: Wir stehen ohne Wenn und Aber zu der im Grundgesetz verbürgten Koalitionsfreiheit, zum Zusammenschluß der Bürger für legale Zwecke. Wir bejahen die Aufgabe der Gewerkschaften ohne Wenn und Aber, aber selbstverständlich mit der Maßgabe, daß das Gesetz des Gleichgewichts der Macht der gesellschaftlichen Kräfte in einer Demokratie nicht umgestoßen werden darf. Auch dazu haben wir uns immer bekannt.
Die zweite Bemerkung in diesem Zusammenhang: Wie sich die Arbeitnehmer organisieren, ist ihre eigene Sache.
Es ist nicht die Aufgabe des Staates, ihnen hier durch Gesetze Vorschriften zu machen. Es ist nicht die Aufgabe der Parteien, die Rolle von Gewerkschaften ersatzweise wahrzunehmen.
Wenn die Arbeitnehmer der Bundesrepublik freiwillig überhaupt nur eine einzige Gewerkschaft wünschen, wäre es ihre freie Entscheidung. Wenn sie es nicht wünschen, ist es auch ihre freie Entscheidung. Man darf aber auf dem Wege der sprachlichen Naivität oder der bewußten Verwirrung der sprachlichen Begriffe Einheitsgewerkschaft nicht mit Eingewerkschaft verwechseln.
Wir erkennen selbstverständlich die große Organisation des DGB als die stärkste gewerkschaftliche Macht in der Bundesrepublik .an.
Als ich als . bayerischer Ministerpräsident nach dem Beispiel meines Vorgängers im April dieses Jahres aus Anlaß des 1. Mai alle Gewerkschaften zu dem Empfang der Staatsregierung eingeladen hatte, ereignete sich wieder einmal dasselbe, was sich unter meinem Vorgänger schon viele Male zugetragen hatte. Der DGB-Landesbezirk Bayern erklärte:
Wenn der Ministerpräsident gesprochen hat, darf nur eine einzige Organisation antworten; wenn andere antworten wollen, nehmen wir an der Feier nicht teil, bzw. wir sprechen auf dieser Feier nicht.
Es war eine Übung geworden, daß nur der Sprecher des DGB-Landesbezirks Bayern die Antwort auf die Rede des Ministerpräsidenten gibt, mit der Maßgabe, daß kein anderer Vorsitzender einer in Bayern arbeitenden Gewerkschaft — weder der DAG noch des Beamtenbundes noch des Bundeswehrverbandes noch des CGB — das Wort ergreifen darf. Die anderen Gewerkschaften haben das, um den Frieden nicht zu stören, murrend anerkannt, haben aber von mir verlangt, ich solle diesen Zustand ändern. Ich habe erklärt, ich bin außerstande, diesen Zustand zu ändern; denn es ist Aufgabe der Gewerkschaften, im Gespräch miteinander festzulegen, wer bei diesem Empfang den gewerkschaftlichen Standpunkt gegenüber bzw. an die Adresse der bayerischen Staatsregierung vertreten soll. Ist das eine nicht liberale Haltung, weil ich nicht die Reden aller erzwungen habe, oder ist das eine nicht liberale Haltung, weil ich mich mit diesem Monopolanspruch abgefunden habe?
Ich bin auch heute noch der Meinung, daß es nicht Aufgabe des Regierungschefs eines. Landes ist, in diesem Bereich Vorschriften zu machen. Das sollen diese gesellschaftlichen Gruppen unter sich vereinbaren. So werde ich es auch in Zukunft halten.
Nur eines kann man von uns nicht verlangen: daß man unter gewerkschaftlichem Pluralismus eine Feindschaft zur Einheitsgewerkschaft versteht. Ich lehne Richtungsgewerkschaften ab, weil die Weichen nach dem Zweiten Weltkrieg anders gestellt worden sind. Wenn es deshalb eine Einheitsgewerkschaft nach dem Industrieprinzip gibt, wie der DGB das vertritt, ist es sein gutes Recht. Die Tarifpartner müssen dem Rechnung tragen ebenso wie auch der Staat. Aber der Begriff Einheitsgewerkschaft steht doch nicht im Widerspruch zu einem gewerkschaftlichen Pluralismus; denn das hieße ja, daß wir als Vertreter des Staates oder als Parlamentarier nicht mit der Deutschen Angestelltengewerkschaft, nicht mit dem Deutschen Beamtenbund, nicht mit anderen gewerkschaftlichen Organisationen verhandeln oder mit ihnen Abschlüsse erzielen dürften.
Ich glaube, die liberalstmögliche Einstellung gegenüber der Gewerkschaftsbewegung — und auch die einzig sozial denkbare — ist die: Freiheit der Koalitionsbildung. Die Arbeitnehmer sollen selbst entscheiden, wie. Wollen sie eine einzige Gewerkschaft, ist es ihre Sache. Organisieren sie sich in mehreren Gewerkschaften, ist es auch ihre Sache. Aber wir haben alle vorhandenen gewerkschaftlichen Organisationen als grundsätzlich gleichberechtigt — und im übrigen selbstverständlich als unterschiedlich gewichtig — zu behandeln. So habe ich es immer gehalten, und so mache ich es auch heute.
Wenn es in einer Materialsammlung, die der Generalsekretär der CSU auf Grund der unzähligen
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aus dem Lande zugegangenen Zuschriften angefertigt hat, in einem Dokument von Hunderten von Seiten, einen Vorschlag gab — ich kenne den Urheber nicht einmal —, die CSU solle eine Gewerkschaft gründen — mein Gott, wenn alles, was auf Parteitagen der SPD — nicht nur von Herrn Jens — einmal gesagt worden ist, als Standpunkt der SPD ausgelegt würde, könnte man nur noch gute Nacht in unserem Lande sagen.
Wir haben drei Fragen an den Gewerkschaftsbund gerichtet. Das ist unser legitimes Recht als Partei, so wie er das Recht hat, an uns als Parteien vor Wahlen Prüfsteine zu versenden. Erste Frage: Was versteht ihr unter gewerkschaftlichem Pluralismus? Damit habe ich mich eben befaßt. Zweite Frage: Gibt es für den Deutschen Gewerkschaftsbund ein wirtschaftspolitisches Leitziel oder eine wirtschaftspolitische Endvorstellung? Da gibt es ja sehr widersprüchliche Meinungen, von einem verbalradikalen Vulgärmarxismus bis zu sehr vernünftigen Vorstellungen über das Zusammenwirken von Arbeitnehmern und Unternehmern in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Die dritte Frage war die nach dem Stand der kommunistischen Unterwanderung. Der Erfolg unserer Bemühungen war, daß die Gewerkschaften zugegeben haben, es gebe für sie ein Problem der kommunistischen Unterwanderung, besonders im Jugendbereich, sie hätten aber nach den Erfahrungen der Vergangenheit einen geschärften Blick, um mit diesem Problem fertig zu werden. Auch diese Diskussion gehört zu den Rechten und Ansprüchen einer freien, toleranten und liberalen Gesellschaft. Das ist unser Verhältnis zum Gewerkschaftsbund.
Lassen Sie mich noch etwas zurückweisen, Herr Bundeskanzler, das mich auch veranlaßt hat, mich noch einmal zu Wort zu melden. Wie kommen denn Sie dazu, dem Freistaat Bayern — ich muß schon sagen — in Ihrer unglaublichen Kaltschnäuzigkeit und Naßforschheit, die Sie anderen vorgeworfen haben, davon zu sprechen, daß man es dem bayerischen Ministerpräsidenten nicht erlauben dürfe, eine bildungspolitische Kleinstaaterei einzuführen?
Das bayerische Schulwesen ist ein sehr leistungsfähiges, elterngerechtes, kinderfreundliches und von der überwältigenden Mehrheit der Eltern angenommenes Schulwesen. Ich möchte mich hier im einzelnen darüber nicht verbreiten, weil schon sehr viel gesagt worden ist. Ich bin auch nicht der Meinung, daß wir in Bayern allein im Besitz der blauen Blume, des Schlüssels zur allein seligmachenden Wahrheit seien und daß deshalb unser Schulsystem untadelig, unfehlbar und das beste aller möglichen Schulsysteme in der Welt sei. Nur die Qualität der bayerischen Abschlüsse in der mittleren Reife, die Qualität der Abschlüsse des bayerischen Abiturs und die von bayerischen Abiturienten in vielen naturwissenschaftlichen Wettbewerben erworbenen Siege sprechen dafür, daß unser gegliedertes Schulsystem, das von der bayerischen Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit — gerade in diesem Flächenstaat
— gewünscht wird, das unseren Lebensverhältnissen am besten entsprechende, leistungsfähige und trotzdem humanste Schulsystem ist.
Ich verwahre mich einfach dagegen, daß Sie hier Geschichtsfälschung treiben. Ich habe doch dieses Problem nicht in die Welt .gerufen. Wir haben doch nicht, abweichend von den bisherigen Beschlüssen und Vereinbarungen, etwa ein anderes Schulsystem eingeführt, wie es in Hamburg mit der Gesamtschule als Regelschule gemacht worden ist. Ich habe das übernommen, was mein Vorgänger in 16 Amtsjahren aufgebaut hat. Ich habe das übernommen, was Hans Maier und seine Vorgänger an bayerischer Kulturpolitik aufgebaut haben. Daß sich aber seit meiner Amtsübernahme als Ministerpräsident unter dem Druck Bayerns eine Änderung in der Linie der Unionspolitik ergeben habe, das ist eine Unwahrheit. Wer die Wirklichkeit kennt und das noch aufrechterhalten würde, macht sich sogar einer Lüge schuldig.
Ich habe auch in allen meinen bildungspolitischen Äußerungen der letzten Wochen, als diese Frage immer wieder aus rein wahlkampfpolitischer Hetze und aus keinem anderen Grunde auf Bayern zugeschoben wurde,
erklärt, daß wir selbstverständlich das Schicksal und die Zukunft der Kinder berücksichtigen müssen, die, ad personam, völlig unschuldig, einen Schulabschluß haben, der den Qualitätsanforderungen anderer Schulabschlüsse nicht ohne weiteres gleichzusetzen ist. Dafür müssen wir und werden wir eine Lösung finden. Aber aus diesem Grunde von der besseren Schulform abzuweichen und zur schlechteren Schulform überzugehen — hier geht es nicht nur um Schulorganisationsformen, hier geht es auch um Lehrpläne und Lehrinhalte — kann doch nicht sinnvoll sein. Ich habe nie aus meiner Meinung einen Hehl gemacht, daß der Konflikt nicht die einzige geschichtliche Wahrheit ist.
Ich habe nie einen Zweifel daran gelassen, daß die Erziehung der Kinder im Konfliktdenken — Konflikt zum Elternhaus, Konflikt zur Schule, Konflikt zur Kirche, Konflikt zur Berufsausbildung, Konflikt zur Arbeitswelt — keine jungen, frohen, lebensaufgeschlossenen, der Zukunft gewachsenen Menschen, sondern verformte, verbildete und oft leider auch geistig-seelisch verkrüppelte Bürger schafft, die dann mit ihrem Leben nicht mehr fertig werden.
Ein weiterer Punkt. Herr Bundeskanzler, bitte üben Sie sich doch auch nicht in der Kunst — überlassen Sie das doch Ihren Parteifunktionären —, anderen Rednern Behauptungen in den Mund zu legen, die sie gar nicht erhoben haben, um dann dazu mit zum Teil halbgebildeter Überheblichkeit auf gewissen Gebieten Stellung zu nehmen. Wenn Sie sagen, Sie hätten amerikanische Zeugen, die mich als
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Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß unkalkulierbar und unberechenbar bezeichnet hätten, dann berufe auch ich mich auf Zeugen, nämlich auf eine große französische Zeitung, die Ihnen vor kurzem den Feldwebelstil vorgehalten hat. Lassen wir dies lieber beide sein, weil es doch zu nichts führt.
Ich habe in meiner Rede heute morgen doch nicht gesagt, daß es uns Deutschen heute schlecht geht.
Ich habe vielmehr gesagt, daß die gegenwärtige Generation und Ihre der Verantwortung nicht gewachsene politische Führung bereits Eigentum, Arbeitsergebnisse, Rechte und Freiheiten der zukünftigen Generation durch übermäßige Inanspruchnahme der Kredite und durch eine überhöhte Staatsverschuldung sowie durch andere Leistungen gleicher Art in Anspruch nehmen.
Das heißt, daß ein Teil der Lebensrechte und Lebensansprüche der zukünftigen Generationen durch uns heute schon verbraucht wird. Bei dieser Behauptung bleibe ich auch. Ich habe keinen Grund, von ihr abzuweichen.
Ich komme auf einen nächsten Punkt zu sprechen. Herr Bundeskanzler, Sie haben einen Finanzbericht des amerikanischen Kongresses zitiert. Sie vertreten ja auch Argumente, wie manche Leute sich die Füße vertreten.
Sie sprachen davon, daß in diesem Kongreßbericht von 38,2 % Verschuldung der Vereinigten Staaten von Amerika die Rede sei. Ich habe von Ihnen nicht erfahren, ob es sich hier um die Bundesverschuldung handelt oder ob auch die Verschuldungen des states, der Länder, und die Verschuldung der untergeordneten Gebietskörperschaften dazukommen.
Diese Angabe haben Sie unterlassen. Sie wäre aber wesentlich, damit man überhaupt vergleichsfähige Zahlen gewinnt. Sie sagten, der Finanzbericht des amerikanischen Kongresses besage, daß der Schuldenstand in den USA 38,2 % des Volkseinkommens ausmache, während er sich in der Bundesrepublik nur auf 13% belaufe.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt zwei mögliche Berechnungen. Erstens: Es ist nicht das Bruttosozialprodukt, sondern es ist das Volkseinkommen. Wenn wir davon ausgehen, daß das Bruttosozialprodukt im Jahre 1979 voraussichtlich maximal 1,4 Billionen DM erbringen wird, so heißt das, daß das Volkseinkommen ungefähr zwischen 1,05 und 1,10 Billionen DM liegt. Zieht man zum Vergleich die Verschuldung der drei Arten von Gebietskörperschaften heran, die rund 420 Milliarden DM betragen wird, so müssen Sie den Prozentsatz, den diese 420 Milliarden DM am Volkseinkommen von 1,05 Billionen DM ausmachen, zugrunde legen. Dann sind Sie hoch in den 30er Prozenten drin. Wo ist dann noch der Unterschied?
Es könnte aber sein, daß der Vergleich nur auf die Bundesschuld bezogen ist. Dann wäre aber immerhin folgende Rechnung aufzumachen: Die Bundesschuld beträgt rd. 200 Milliarden DM, das Volkseinkommen etwa 1 Billion DM; 200 Milliarden DM sind 20 % von einer Billion. Wie hier ein Anteil von 13 % zustande kommt, ist mir schleierhaft. Wenn Sie schon Vergleiche bringen, müssen Sie doch als wissenschaftlich gebildeter und gelegentlich auf Ihre akademische Bildung auch pochender Bundeskanzler klar die Vergleichsbedingungen nennen. Sie vergleichen zwei Dinge, die nicht miteinander vergleichbar sind. Aber Ihre Zahl für die Bundesrepublik ist in jedem Fall falsch. Das muß ich Ihnen hier leider sagen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben recht, ich werde morgen die von den Finanzpolitikern der Union, der Fraktion, den Ministerpräsidenten der unionsregierten Länder und den Finanzministern der unionsregierten Länder ausgearbeiteten und gebilligten steuerpolitischen Pläne vorlegen. Ich bin mir natürlich der gegensätzlichen Probleme, einerseits Steuersenkung und weniger Einnahmen, andererseits der Notwendigkeit, den Schuldenzuwachs abzubauen, bewußt, und deshalb bin ich nicht der Meinung — das sage ich gerade den Damen und Herren der „Opposition" auf beiden Seiten des Hauses —, daß man etwa die normalen, sich aus dem Wachstum des Sozialprodukts ergebenden Steuermehreinnahmen — —
— Für mich ist das hier die „Opposition".
Mich freut immer sehr, wie man einfache Gemüter durch kleine Dinge erheitern kann. Auch das trägt zur Belebung des Geschäftes bei.
Ich bin nicht der Meinung — das sage ich den beiden Regierungsparteien —, daß man normale Steuermehreinnahmen, die sich aus dem Wachstum des Bruttosozialproduktes ergeben, für den Abbau von Steuern verwenden kann.
Ich bin aber der Meinung, daß die heimlichen Steuererhöhungen — Stichwort 6% mehr Einkommen, 12 % mehr Lohn- und Einkommensteuer — dem Bürger erspart bleiben müssen.
In einem Einkommensbereich — ich kann hier nicht
in Einzelheiten gehen, ich habe ihn vorher genannt:
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20 000/40 000 DM , in einigen Jahren 30 000/60 000 (Ledig/Verheiratet) — sollten auf 6 % mehr Einkommen im großen und ganzen nicht mehr als 6 % Lohn- und Einkommensteuer zusätzlich gezahlt werden.
Die Schätzungen des Arbeitskreises Steuerschätzung sind mehrmals nach oben korrigiert worden. Der heute vorliegende und zur Behandlung stehende Haushalt ist noch auf Schätzungen aufgebaut, die längst überholt worden sind. Schon kurz vor der Vorlage des Haushaltes mußten die Zahlen nach oben korrigiert werden. Während der Verhandlungen im Haushaltsausschuß hat es sich ergeben, daß ohne Änderung der Steuerrechtslage im Jahre 1979 5,2 Milliarden DM mehr an Steuern und im Jahre 1980 7,7 Milliarden DM mehr an Steuern hereinkommen. Das sind also in den beiden Jahren fast 14 Milliarden DM mehr Steuereinnahmen, als es bei der letzten Steuerschätzung im Sommer 1979 geschätzt wurde. Halten Sie es für gerecht, diese Steuermehreinnahmen dem Bürger, der sie bezahlt, vorzuenthalten, und halten Sie es nicht hier für ein Gebot der Gerechtigkeit, aber auch der politischen Vernunft, auf diese Steuereinnahmen zu verzichten?
Wenn Sie es im Jahre 1980 nicht machen, sollten wir das wenigstens im Jahre 1980 beschließen, damit es im Jahre 1981 stattfinden kann: Aber es wäre eine gewisse Korrektur auch bereits im Jahre 1980 möglich gewesen, wenn Sie den guten Willen dazu gehabt hätten. Das ist meine Meinung dazu.
Wenn Sie sagen, Herr Bundeskanzler, die Rentner hätten jetzt 45 % mehr reales Einkommen als vor 10 Jahren, dann können Sie genauso gut sagen, daß wir jetzt das Jahr 1979 schreiben und der Fortschritt darin bestehe, daß jetzt eine 7 an dritter Stelle stehe statt damals eine 6. Denn dieses Mehreinkommen der Rentner ist nicht ein Verdienst der Bundesregierung oder ihrer Politik. Das ist das Ergebnis der im Jahre 1957 von der Union eingeführten, im Jahre 1958 zum erstenmal praktizierten Formel der dynamischen Rente. Es bleibt Ihnen aber der traurige Ruf anhängen, daß Sie die erste Regierung geführt haben, die dieses berechenbare, der sozialen Gerechtigkeit entsprechende Rentenprinzip abgeschafft und durch willkürliche Bemessungsmaßstäbe ersetzt hat.
Selbstverständlich, Herr Bundeskanzler, ist es die Sache von Mann und Frau, ob und wie viele Kinder sie wollen. Niemand von uns denkt doch hier an eine Art behördliches Aufzuchtprogramm, oder wie immer man es nennen mag. Es ist doch aber bemerkenswert, daß sich in der Zeit Ihrer Regierungspolitik immer weniger Paare entschieden haben zu heiraten und sich immer weniger Paare entschieden haben, Kinder in die Welt zu setzen oder mehr Kinder in die Welt zu setzen. Das ist doch kein Zufall. Das ist auch keine Folge der Emanzipation, wenn
Emanzipation richtig verstanden wird. Das ist eine Folge Ihrer armseligen und in jeder Hinsicht flickwerkartigen Familienpolitik, die Sie in dieser Zeit getrieben haben.
Natürlich ist Familienpolitik nicht Bevölkerungspolitik. Herr Bundeskanzler, jeder in diesem Hause hat es als peinlich empfunden, Ihre politischen Freunde mit verlegenem Grinsen und ablenkendem Beifall und die CDU/CSU mit offenem Entsetzen und mit nicht gespielter Empörung, wenn Sie angesichts der Geburtenentwicklung bei uns von der Bevölkerungsexplosion in der Welt reden und meinen, daß durch Rückgang der Geburten bei uns dieses Problem, das Länder wie Indien, wie Pakistan, wie China oder afrikanische Länder betrifft, teilweise gelöst werden könnte.
Wenn Sie dann noch einer ungehemmten Politik der Einwanderung das Wort sprechen, um die eigenen Bevölkerungsverluste auszugleichen, dann schließt sich der Circulus vitiosus —_Sie mögen es übersetzen, wie Sie wollen — hier aber wirklich.
Ich bin 1915 geboren, Sie einige Jahre später. Damals gab es noch kaum zwei Milliarden Menschen. Heute sind es drei Milliarden, und es werden vier und es werden sechs Milliarden sein. Das wirft ungeheure Probleme auf. Man denke hier nur an die unglaublich harten Maßnahmen in der Volksrepublik China gegen mehr Kinder. Aber hier bei uns hängt doch die Stabilität und Funktionsfähigkeit unseres wirtschaftlichen und sozialen Sicherungssystems von einer ausreichenden Bevölkerungsgrundlage ab, sonst kann es doch nicht erhalten werden. Allein um das Problem geht es doch.
Lassen Sie mich zum Schluß noch eine Bemerkung von Ihnen zur Kernenergie aufgreifen, Herr Bundeskanzler. Wir haben — und ich darf das für mich im besonderen in Aspruch nehmen — Mitte der fünfziger Jahre über das Problem Kernenergie nachzudenken begonnen. Es waren diese Jahre, in denen ich der erste Atomminister war, und nach mir kam eine Reihe von verdienten Politikern der CDU/ CSU — der letzte in der Großen Koalition war meines Wissens der heutige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Gerhard Stoltenberg —, die mit den vom Parlament zur Verfügung gestellten Mitteln eine konsequente Forschungs- und Entwicklungspolitik getrieben haben.
Die Kernforschung war bei uns während des Krieges eingestellt. Sie war zehn Jahre nach dem Krieg durch die Rechtslage und die Besetzungssituation verboten und wurde erst freigegeben mit den Pariser Verträgen, die im übrigen von der SPD abgelehnt worden sind. Soll ich Ihnen vorwerfen, daß Sie wahrscheinlich doch nicht vertragstreu sind, weil Sie damals gegen die Pariser Verträge waren? Soll ich dieselbe unglaubliche Logik anwenden, die
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der Bundeskanzler hier mir und uns gegenüber angewandt hat?
Ob man die Pariser Verträge besser hätte formulieren können, kann ich nicht entscheiden. Ob man sie viel besser hätte formulieren können, möchte ich aus Überzeugung auf Grund meiner damaligen Kenntnisse und Einsichten. in die Probleme bestreiten. Daß die Ostverträge hätten besser formuliert, dem Zweifel der Interpretation entzogen und nicht zu ambitiösen Spielräumen der Vertragsausleger hätten degradiert werden können, das scheint mir sicher zu sein.
Henry Kissinger gehört, Herr Bundeskanzler, genauso zu Ihren Freunden wie zu meinen. Fragen Sie ihn einmal nach diesem Thema. Ich kann von Ihnen nicht verlangen, daß Sie sich durch 1500 Seiten Memoiren quälen — Sie pflegen ja auch kürzere Dokumente nicht zu lesen —,
aber ich empfehle Ihnen, lesen Sie die zwei Erinnerungsbände des ehemaligen deutschen Botschafters in Moskau, immerhin eines hochverdienten, hocherfahrenen und hochangesehenen deutschen Diplomaten, des Herrn Allardt, der ja von sich bekennt, die Notwendigkeit von Verträgen vertreten zu haben, der aber an den primitiven, ungekonnten, beinahe hätte ich gesagt, simpelhaften Methoden der Vertragsaushandlungen damals in seinen Werken keinen Zweifel gelassen hat.
Deshalb, Herr Bundeskanzler, möchte ich aus gutem Grund sagen: Wer in der politischen Verantwortung ist, darf nicht mit dem Denken anfangen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Gerade Sie als politisch Verantwortlicher hätten die Pflicht gehabt, den Denkprozeß rechtzeitig zu beginnen und abzuschließen, damit Sie handeln können. Wenn sich schon jetzt für die 80er Jahre eine immer größere Verknappung, ein immer größerer Engpaß abzeichnet und Sie von der Notwendigkeit reden, sich jetzt sämtliche Optionen offenzuhalten und den Denkprozeß fortzusetzen, so ist das nicht demokratische Offenheit, sondern Unfähigkeit zur demokratischen Verantwortung.
Denn die demokratische Verantwortung gebietet es, zur rechten Zeit dem Volke das Ergebnis des eigenen Denkprozesses mitzuteilen, auch wenn es politisch unpopulär ist.
Herr Bundeskanzler, Sie sagen auch noch, Herr Carter habe ja empfohlen, die Optionen offenzuhalten. Darf ich Sie schüchtern darauf hinweisen, daß die ernergiepolitische Lage der Vereinigten Staaten von Amerika von der Lage der Bundesrepublik grundverschieden ist. Falls es im Mittleren Osten zu einer großen Drosselung der Lieferungen oder gar auf Grund irgendwelcher Ereignisse zu einem Lieferstopp kommen sollte, haben die Vereinigten Staaten von Amerika selbst ungeheure Reserven. Sie können noch in Alaska und in anderen Teilen Amerikas auch dann, wenn dadurch der Treibstoff teurer wird, die Ölschieferreserven erschließen. Ihnen steht das Öl aus Venezuela eher zur Verfügung, als es uns zur Verfügung stünde, das aus Mexico allerdings vielleicht nicht. Die Amerikaner sind insgesamt viel weniger von diesen Lieferungen abhängig. Für die Amerikaner ist das Gebot der gleichzeitigen Entwicklung von Kohle und Kernkraft bei weitem nicht so zwingend, so notwendig und so brennend wie für uns. Und Sie sollten in Ihrer allwissenden Kenntnis der Weltumstände doch auch wissen, welche ungeheuren Kohlereserven, zum Teil im Tagebau, die Amerikaner haben, wie billig der Abbau dort ist, wie niedrig der Kohleeinstandspreis dort ist und in welchem Umfange man aus amerikanischer Kohle — im Gegensatz zur deutschen Kohle mit ihren begrenzten Förderungsmöglichkeiten — billige Energie machen kann.
Herr Bundeskanzler, es ist doch eines Kanzlers unwürdig, den amerikanischen Präsidenten mit einem Satz zu zitieren und dabei das Publikum darüber hinwegzutäuschen, daß die Umstände, unter denen dieser Satz anwendungsfähig ist, in den USA doch grundlegend anders sind als in der Bundesrepublik Deutschland.
Lassen Sie mich ein Letztes aufgreifen, zu dem Sie gesprochen haben, Herr Bundeskanzler. Sie haben die Diskussion „Sozialismus /Nationalsozialismus" angesprochen. Ich wundere mich eigentlich, warum Sie sich darüber hier empören. Haben Sie eigentlich einmal gegen den von Willy Brandt in den 30er Jahren geschriebenen Artikel Stellung genommen, in dem er die vergleichbaren Züge von Sozialismus und Nationalsozialismus herausgestellt und davor gewarnt hat, den revolutionären Elan der nationalsozialistischen Bewegung zu unterschätzen? Gut, das mögen Jugendsünden gewesen sein. Was aber hier gesagt werden muß, damit eine vergiftende Legende ein Ende nimmt: Niemand hat jemals — —
— Das war etwa Mitte der 30er Jahre.
— Ja, das war aber doch unmittelbares Erleben jener Zeit. Ich hänge ja auch nicht an diesem Artikel. Ich wollte nur fragen, ob das innerhalb der SPD einmal besprochen worden ist. Sie ist doch so diskussionsfreudig, und das muß doch auch einmal ausdiskutiert werden.
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Es müßte manches ausdiskutiert werden, was in jener Zeit geschrieben und berichtet worden ist.
Ich will hier darauf nicht zu sprechen kommen. Niemand von uns — das gilt für mich nicht mehr und nicht weniger — hat jemals die deutsche Sozialdemokratie oder deutsche Sozialdemokraten in die Nähe des Nationalsozialismus gebracht. Ich darf das einmal in aller Eindeutigkeit feststellen.
Ich bedaure es, daß mangelnde Kenntnis der geistigen Abläufe, der historischen Zusammenhänge und der mit sprachlichen Begriffen verbundenen Inhalte leider hier zu einer oberflächlichen demagogischen Behandlung der ganzen Problematik geführt hat.
Ich möchte fragen: Warum haben Sie sich eigentlich nicht, wenn Sie sich zum demokratischen Sozialismus bekennen — ohne sagen zu können, was er genau bedeutet; das ist ja die große Rätselfrage —, mit derselben Heftigkeit — eigentlich hätten Sie es wegen der Gefährlichkeit mit noch größerer Heftigkeit tun müssen — gegen den Mißbrauch gewandt, daß die kommunistischen Zwangssysteme den für Sie so heiligen Begriff Sozialismus als „realen Sozialismus" seit Jahrzehnten für die scheußlichsten Verbrechen an der Menschheit, ebenbürtig denen der Nazis, mißbraucht haben?
Um keinen Zweifel daran zu lassen, was ich meine: Ich bin davon überzeugt, daß zwei essentielle Fragen alle hier in diesem Hause mitarbeitenden Parteien und ihre Fraktionen, die Anhänger der Demokratie, und die Feinde der Demokratie, gleichgültig welche Farbe sie haben, trennen wie Feuer und Wasser. Ich könnte Ihnen eine lange Liste von Kriterien aufzählen; ich habe nicht die Zeit dafür. Aber was uns eint, ist und sollte die Verneinung eines absoluten Feindbildes innerhalb der demokratischen Gemeinschaft sein.
Wer einen Rasse-Gegner oder einen Klasse-Gegner aufstellt —
einen Rasse-Gegner als Nationalsozialist, einen Klasse-Gegner als Marxist —, der lebt im Grunde aus denselben ungeistigen Wurzeln,
der lebt im Grunde aus der Verneinung der freiheitlichen gewaltenteilenden repräsentativen liberalen Demokratie. Ich bin überzeugt, daß sich soziale Demokraten — das Wort wäre ehrlicher als „demokratische Sozialisten" — genauso wie die Liberalen und genauso wie die Christlichen Demokraten und die Christlich-Sozialen zur freiheitlichen gewaltenteilenden repräsentativen und liberalen Demokratie
bekennen. Wer diese Ordnungsformen bekämpft, gehört dem kollektivistischen Lager an. Auf welcher Seite er steht, in welcher Farbe er es tut und mit welchen Parolen er es vertritt, ist geistesgeschichtlich und moralphilosophisch gleichgültig. Es ist in beiden Fällen derselbe ungeistige Nährboden freiheitswidriger Denkweise.
Darum sollten auch Sie einen Beitrag zur Klärung leisten, indem Sie einmal klipp und klar sagen, definieren, analysieren: Wie stehen Sie zu Marx?
Einerseits werden Sie Marx nicht los, andererseits verstecken Sie ihn immer wieder, weil Sie sonst nicht mehrheitsfähig oder koalitionsfähig sind. Das ist doch der Prozeß, der sich auf dem Parteitag der SPD mit dem stürmischen Beifall zur Rede von Walter Jens abgezeichnet hat. Das ist doch der Prozeß, der sich zwischen den radikal Linken, die sich mit den Kommunisten auf den Straßen gegen uns verbünden — ich habe das soundso oft erlebt —, und denen, die sich als ehrliche, alte, gestandene Sozialdemokraten dieser Gemeinschaften schämen, abspielt. Das ist doch die Trennungslinie.
Schließlich, Herr Bundeskanzler, wenn es Ihnen eine Belastung bedeutet haben sollte, kann ich Ihnen nur sagen, daß ich den italienischen Staatspräsidenten nicht nur für einen liebenswürdigen, alten, erfahrenen, im Gegensatz zu Ihnen sich über seine Partei jedesmal auch hinwegsetzenden Staatsmann halte, einen Staatsmann, der sich ruhig zu seinem demokratischen Sozialismus bekennen kann, den ich nie in die Nähe des Kollektivs rücken würde, Ihn, den ich hoch schätze, den ich als Freund gewonnen habe, in das ehemalige KZ Flossenbürg begleitet habe, wo uns beide dieselben Gefühle in Erinnerung an jene Zeit erfüllt haben, auch das gehört zu den angenehmen und ehrenvollen Seiten meiner Amtstätigkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Bundeskanzler, Sie haben mich unmittelbar vor der Rede des Kollegen Strauß in einer kurzen persönlichen Intervention angesprochen; ich will ebenso kurz darauf antworten.
Ich finde es bemerkenswert, daß Sie bei der Diskussion darüber, ob Sie der geeignete Moderator für eine Sendung zum 20. Juli sind, das Wort „Ehrabschneidung" verwenden. Ich frage mich, Herr Bundeskanzler: Wieweit haben Sie eigentlich jedes Gefühl für die Gefühle anderer verloren, wenn Sie in dieser Debatte so auf diese Frage reagieren? Haben Sie nicht den Eindruck, daß an diesem Abend bei dem Vorspann zu diesem bemerkenswerten Film einer der Akteure des 20. Juli oder jemand aus der Familie der unmittelbar Betroffenen die richtige Ein-
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Dr. Kohl
leitung hätte geben können und geben müssen? Das war nicht nur mein Eindruck, das war der Eindruck vieler, vieler Mitbürger.
Was ich Ihnen nicht vorwerfe - insofern ist das, was Sie hier gesagt haben, wiederum am Thema vorbei —, ist das Schicksal Ihrer Generation. Herr Bundeskanzler, ich war derjenige, der von dieser Stelle und anderswo seine und die nachgeborene Generation immer zum Frieden zwischen den Generationen aufgerufen hat.
Ich war derjenige, der immer warnend darauf hingewiesen hat, wohin es führen muß, wenn die Enkelgeneration, schlecht ausgerüstet mit Kenntnissen und Erfahrungen aus jener Zeit, über die Generation ihrer Großväter womöglich letztendlich zu Gericht sitzt. Ich war derjenige, der darauf hingewiesen hat, daß wir im geteilten deutschen Vaterland aus den Erfahrungen jener Zeit sorglich mit unserem Urteil gegenüber dem umgehen müssen, was manche unserer Mitbürger im anderen Teil Deutschlands tun, um dort zu überleben.
Alle diese Argumente habe ich Ihnen und anderen immer wieder vorgetragen. Sie haben nichts davon zur Kenntnis genommen. Sie und Ihre Freunde — das muß festgestellt werden — haben diese gänzlich unnötige, schädliche Debatte über die jüngste deutsche Geschichte in Form einer Abrechnung, einer Belastungskampagne gegen einzelne aus dem Lager der CDU/CSU vom Zaum gebrochen. Sie haben dies fahrlässig getan, weil Sie dabei sich selbst und das Schicksal derer, die mit Ihnen auf der Regierungsbank sitzen, vielleicht zuwenig bedacht haben. Das habe ich vorhin deutlich machen wollen. Ich denke gar nicht daran, hier etwas anderes zu sagen.
Wir wollen gemeinsam aus der Geschichte lernen, Herr Bundeskanzler. Aber dazu gehört auch Redlichkeit, und zur Redlichkeit gehört, daß Sie nicht am Abend des 20. Juli — nicht in gesprochener Form, aber in dem, wie Sie es darstellten — einen Eindruck erweckten, der Ihnen an diesem Abend nicht zukam.
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kohl, Sie haben heute erneut so etwas wie Vergangenheitsbewältigung angesprochen. Ich halte es für notwendig, daß wir das in der Sache immer wieder tun. Aber ich bezweifele, daß es richtig ist, Vergangenheitsbewältigung immer personenbezogen durchführen zu wollen und damit gar nicht an die sachliche Auseinandersetzung, was die Ursachen für diese Zeit waren, heranzukommen — das hilft uns nicht weiter! —, wie das immer wieder geschieht.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter Mischnick! — Darf ich die Damen und Herren Abgeordneten bitten, entweder Platz zu nehmen oder den Saal zu verlassen, aber nicht ihre Unterhaltung im Stehen zwischen den Bänken fortzusetzen. Einen Augenblick bitte!
Darf ich auf allen Seiten des Hauses bitten, Platz zu nehmen oder den Saal zu verlassen!
Bitte, fahren Sie fort.
Sehen Sie, Herr Kollege Kohl, Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß nicht eine unnötige Kluft zwischen den Generationen entstehen darf. Ich bin völlig Ihrer Meinung. Aber glauben Sie wirklich, daß — ganz gleich von welcher Seite das geschieht —, wenn hier immer wieder versucht wird, personenbezogen Verdächtigungen auszusprechen, das überzeugend für die junge Generation ist? Ich glaube es nicht. Es wäre deshalb besser, wenn wir uns in diesen Fragen in der Sache richtig und sorgfältig auseinandersetzen. Die Zeit dazu ist jetzt nicht gegeben.
Ich will jetzt ein paar Bemerkungen zu den verschiedenen Reden machen, die — wenn ich so sagen darf — von Kanzlerkandidaten gehalten worden sind, von Kanzlerkandidaten, die im Ausstand oder — wie es in anderen Landesteilen heißt — auf dem Altenteil sitzen. Deren Darstellung war interessanterweise oft etwas pointierter und überzeugender als die, die jeweils von den Kanzlerkandidaten im Wartestand gegeben worden ist.
Ich hatte bei der zweiten Rede des Kollegen Strauß den Eindruck: Er bereitet sich in der Art, wie er reagierte, schon darauf vor, ab 1981 ebenfalls als Kanzlerkandidat im Ausstand hier tätig zu werden.
Herr Kollege Strauß hat mehrfach beklagt, daß der Herr Bundeskanzler oft nicht die volle Unterstützung seiner Partei habe, und hat daran politische Schlußfolgerungen geknüpft. Eines ist doch wohl unbestreitbar — und die zehn Jahre der sozialliberalen Zusammenarbeit haben das bewiesen —: Abstimmungen in diesem Hause hat dieser Bundeskanzler zu keinem Zeitpunkt verloren — weil eben die Koalition geschlossen hinter ihm stand.
Daß es einem gewordenen Kanzlerkandidaten Strauß genauso gelänge, möchte ich bezweifeln. Das Experiment deshalb zu machen, um den Nachweis zu führen, daß es ihm nicht gelingt, halte ich allerdings nicht für richtig.
Denn schon in den Sachfragen, die in dieser Diskussion eigentlich eine Rolle spielen sollten, haben wir erlebt, daß wie in dem Slalomlauf, der vor wenigen Minuten übertragen worden ist, die Redner der Opposition um die Sachpunkte herumgefahren sind, um sich mit ihnen gar nicht erst auseinandersetzen
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Mischnick
zu müssen. Das zeigt, wie wenig Übereinstimmung hier besteht.
Ich will nur einige wenige Beispiele herausnehmen.
Herr Strauß sprach davon, daß der Schleier gelüftet werden müsse. Ich will einmal den Schleier von der Steuerpolitik der Opposition des Spitzenkandidaten der Union ein wenig hinwegziehen. Wenn ich daran denke, wie wir in diesem Hause gemeinsam um die letzten Steuerbeschlüsse gerungen haben, wie wir gemeinsam beschlossen haben, daß die Lohnsummensteuer abgeschafft wird, und wenn ich nun sehe, wie wenig Durchsetzungsvermögen der bayerische Ministerpräsident als Landesvorsitzender der CSU hat, in seinem Land durchzusetzen, dort, wo es keine Lohnsummensteuer gab, die Gewerbesteuer zu senken, dann habe ich damit ein Beispiel dafür, wie wenig Durchsetzungsvermögen er auch hier hätte, wenn er Kanzler wäre.
Deshalb wollen wir das lieber erst gar nicht probieren. Hier wird beklagt, daß die Wirtschaft nicht entlastet wird, dort ist er nicht fähig, diese Wirtschaftsentlastung in seinem eigenen Bereich durchzusetzen.
Ich denke auch daran, daß von anderen Rednern der Union davon gesprochen worden ist, im Steuerpaket seien Vorschläge der Freien Demokraten für die Besserstellung der Kinder, der Familien enthalten, die dem entsprächen, was die Union vorschlage. Dazu kann ich nur feststellen: Dies ist schlicht falsch. Das Familiengeld der Opposition setzt ganz anders an als das, was mein Freund Hans-Dietrich Genscher gesagt hat. Auch hier hat sich gezeigt, wie unterschiedlich die Meinungen in den Unionsparteien waren und wie der Kandidat der Union gegen seine eigenen Freunde finanzpolitische Bedenken vorbringen mußte.
Wenn ich nun höre, daß wir von der Union in einem Papier Entbürokratisierungsvorschläge serviert bekommen — was ich für ein verdienstvolles Unternehmen halte —, dann bin ich einmal sehr gespannt, wie die Union nicht nur hier im Deutschen Bundestag, sondern auch im Bundesrat reagieren wird, wenn wir die leider vom Bundesrat aufgezwungene Kindergeldlösung über die Arbeitsämter in die Finanzamtslösung umwandeln wollen, die ja entbürokratisierend wirken würde.
Hier haben Sie Gelegenheit, zu beweisen, daß Sie nicht nur in Broschüren von Entbürokratisierung reden, sondern sich auch in der praktischen Politik dafür einsetzen. Nichts war darüber vom bayerischen Ministerpräsidenten zu hören.
Ich darf auch daran erinnern, daß wir seit langer Zeit den Gedanken verfolgen, die Kraftfahrzeugsteuer in die Mineralölsteuer zu überführen, um auch hier für die Zukunft entbürokratisierend zu wirken. Da gab es keine positive Reaktion aus dem Lager der Union. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie hier praktische Politik und Versprechungen weit auseinanderklaffen.
Der Ministerpräsident Strauß hat in seiner Rede auch davon gesprochen — ich kann es leider nicht im Wortlaut zitieren, weil es in der schriftlich verteilten Rede nicht enthalten war; aber dem Sinn nach —, daß man eigentlich dem Bundeskanzler, so hat er es formuliert, die politische Befähigung absprechen müsse. Das war interessanterweise wenige Sätze nach seiner Bemerkung, daß eigentlich die Union in bestimmten Fragen zu 100 % hinter ihm ' stehe. Merkt er denn gar nicht, wie er hier mit seinem eigenen Formulieren sich selber ständig widerspricht? Genau das ist es doch, was wir als das politische Risiko ansehen: wenn ein Mann Kanzler wird, der sich selber ständig widerspricht und in der Sachpolitik nicht zu klaren Aussagen kommt, sondern nur ständig Vergangenheit bewältigen will.
Von mehreren Rednern ist über die Schulpolitik einiges gesagt und dabei der Eindruck erweckt worden, als sei da, wo die Gesamtschule errichtet wurde — hier gab es ja einige Zwischenfragen dazu —, die Möglichkeit des gegliederten Schulsystems beseitigt worden. Dies ist schlicht falsch. Wogegen wir uns allerdings wehren, ist, daß man sagt: Da, wo eine Minderheit Gymnasien will, muß das zugestanden werden, aber da, wo eine Minderheit Gesamtschulen will, darf das natürlich nicht zugestanden werden. Diese unterschiedliche Behandlung lehnen wir ab. Die Gleichberechtigung beider Möglichkeiten wollen wir im ganzen Bundesgebiet sichergestellt wissen. Dafür setzen wir uns ein.
Dies wollen wir durchgesetzt wissen.
Wenn man dann hört, da sei von Bayern aus überhaupt nichts passiert, da habe der Ministerpräsident überhaupt keinen Einfluß genommen, dann frage ich mich, ob etwa der Kollege Remmers einem Phantom erlegen ist, als er den Vorsitz niedergelegt hat. Der muß sich doch völlig getäuscht haben. Nur, soweit ich den Kollegen Remmers kenne, ist er ein sehr realitätsbezogener Mensch. Das beweist mir, daß das jetzt billige Ausflüchte sind, um nachträglich von der Verantwortung dafür loszukommen, hier Unruhe in die Eltern durch diese Erklärung getragen zu haben, ab 1981 die Abschlüsse nicht mehr gemeinsam anerkennen zu wollen.
Von verschiedenen Rednern der Union sind ein paar Bemerkungen zur Rentenversicherung gemacht worden. Vielleicht wird es der nachfolgende Redner, der Kollege Blüm, etwas konkreter tun.
Es sind dabei auch nur Klagen vorgebracht worden, aber es ist nicht gesagt worden, wie man konstruktiv die Probleme der nächsten vier Jahre lösen will. Ich finde es allerdings schon an der Grenze des Erträglichen, wenn aus den Reihen der Opposition immer davon gesprochen wird, diese 10-%-Zusage vor der Bundestagswahl 1976 sei ein Wahlbetrug gewesen, ohne sich dabei daran zu erinnern, daß der erste, der
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Mischnick
von der Erhöhung um 10 % sprach, der damalige Kanzlerkandidat im Wartestand Kohl gewesen ist, niemand anders. Wenn man dies damals trotz Kenntnis der Zahlen, wie es der Kollege Franke hier gesagt hat, für richtig hielt, dann wäre es doch mal an der Zeit, nun genau zu sagen, wie man sich die Finanzierungsgestaltung wenigstens für die Zukunft vorstellt, nachdem man schon nicht nachweisen konnte, wie man die Erfüllung der damaligen Versprechungen finanzieren wollte.
Der Ministerpräsident Strauß sprach von dem Krankenversicherungsbeitrag der Rentner von 2 % und beklagte, daß das wieder abgeschafft worden ist. Dazu kann ich doch nur sagen, daß dieser Krankenversicherungsbeitrag von 2 % bei den Rentnern doch ein Etikettenschwindel war; das war doch kein Krankenversicherungsbeitrag der Rentner, sondern war ein Abzug von der Rente um 2 %, die bei der Rentenversicherung blieben, sonst gar nichts.
Wenn man das wieder will, dann soll man den Mut haben zu sagen: Wir wollen unter der Firma „Krankenversicherungsbeitrag" die Renten kürzen. Gut, in Ordnung, darüber kann man diskutieren. Aber dann soll man nicht so tun, als wenn dieser Krankenversicherungsbeitrag etwas anderes wäre als ein Abzug von den Renten, der damals geschehen und von uns verändert worden ist.
— Ja, wenn Sie etwas von Renten verstünden, wäre ich sehr froh; dann wundert es mich aber, daß Sie immer so bedenkenlos solchen Erklärungen zustimmen. Wenn Sie was davon verstünden, hätten Sie sich dagegen gewehrt.
Von Herrn Strauß ist davon gesprochen worden, nicht jeden Punkt, der auf einem Parteitag im Zusammenhang mit der Frage CDU /Gewerkschaft gebracht wird, könne man der gesamten Partei anlasten. Da kann ich nur eines sagen: Eben! Nur das ist der wahre Stil: Dann, wenn in der FDP oder in der SPD irgend jemand einen Antrag stellt, der gar keine Mehrheit findet, ziehen Sie durch die Lande und unterstellen, das sei die Meinung der Partei. Aber wenn es bei Ihnen passiert, muß natürlich Generalpardon erteilt werden und ist es selbstverständlich, daß das von den anderen eben als eine Nebenerscheinung betrachtet wird.
Sehen Sie, dieses Messen mit zweierlei Maß ist es, was wir nicht für gut halten und was dann mit dazu führt, daß am Ende das aufkommt, was wir gemeinsam beklagen, nämlich Staatsverdrossenheit.
Von dem Kollegen Strauß ist auch beklagt worden, daß oft ein Absolutheitsdenken vorhanden sei. Er meinte, daß man nicht von einem absoluten Feindbild ausgehen sollte. Ich teile diese Meinung. Wir Freien Demokraten haben uns ja oft in diesem Hause bemüht, wenn hier gegeseitig absolute Feindbilder aufgestellt worden sind, dies eben nicht zum Maßstab des politischen Handelns zu machen.
Nur, Herr Strauß, wenn Sie dieser Meinung sind, daß man nicht vom absoluten Feindbild ausgehen sollte — ich unterstelle, daß es so ist —, dann, bitte, halten auch Sie sich endlich an Ihre eigene Maxime und verlangen Sie das nicht immer nur von anderen, wie das geschehen ist!
Herr Kollege Barzel hat die Rede von Herrn Professor Jens angesprochen. Ich verschweige hier nicht, daß ich viele Schlußfolgerungen, die er gezogen hat, in ihrer Pauschalität für falsch halte. Die Grundrechte als solche in ihrer Gesamtheit sind in dieser Bundesrepublik Deutschland nicht gefährdet.
Es ist richtig, daß wir immer wieder prüfen müssen: Ist ihre Wirkung für den einzelnen durch gesetzgeberische Maßnahmen, die wir getroffen haben oder treffen wollen, gefährdet? Müssen wir nicht immer aufpassen, daß für den einzelnen daraus nicht ein Schaden entstehen kann? So verstanden ist es eine ständige, für uns alle gültige Bewährungsprobe und eine ständige Überprüfung unseres eigenen Handelns.
Herr Kollege Kohl — um dies noch aufzugreifen — hat in seinen Bemerkungen noch einmal ein paar außenpolitische Fragen aufgegriffen. Herr Kollege Mertes, Sie haben sich vorhin über eine Bemerkung des Kollegen Hoppe alteriert.
— Ich kann es auch so sagen: Sie sind wütend gewesen. Ich kann es auch so sagen.
— Nein, er hat gar nicht die Unwahrheit gesagt. Herr Kollege Hoppe hat davon gesprochen, daß zu den Bemühungen der Bundesregierung und zu den Vorschlägen bei MBFR und im Zusammenhang mit dem französischen Vorschlag hier heute nicht Stellung genommen worden ist. Möglicherweise tun Sie das noch. Er hat Ihnen nicht unterstellt, daß Sie etwa gegen die Abrüstung seien, sondern er hat bemängelt, daß zu den konkreten Punkten, die von der Bundesregierung eingebracht worden sind, nicht Stellung genommen wurde. Nun, wir müssen uns daran gewöhnen, daß zu dem, was wir an konkreter Politik treiben, von Ihnen kaum Stellung genommen wird, weil es dazu eben keine Alternativen gibt.
Deshalb ist es möglicherweise verständlich, daß dazu nichts gesagt wurde. Deswegen braucht man darüber nicht wütend zu sein, wenn er dies anmahnt. Vielleicht geschieht es in einer der nächsten Reden, die noch kommen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
15132 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
Herr Kollege Mischnick, ist Ihnen entgangen, daß sich alle führenden Gremien der Unionsparteien und diese Fraktion im Laufe des letzten Jahres beispielsweise immer wieder positiv geäußert haben zu der Doppelentscheidung des Bündnisses, die jetzt zu fällen ist? Daß das heute im Laufe der Debatte noch nicht zur Sprache gekommen ist, ist ein anderer Punkt. Aber Sie können doch nicht von heute aus die Haltung der CDU/CSU beurteilen.
Herr Kollege Mertes, ich habe eben ausdrücklich gesagt, daß es nicht um diese Frage geht, sondern um die zusätzlichen Bemühungen der Bundesregierung für MBFR, um die Vorschläge der französischen Regierung zu einer Sicherheitskonferenz. Das ist eine zusätzliche Bemühung. Wir hätten erwartet, daß Sie dazu sagen, daß Sie das unterstützen oder ablehnen oder anderer Meinung sind. Das konnten Sie beispielsweise vor einem halben Jahr, vor einem Jahr noch gar nicht beschließen, denn das ist erst in den letzten Tagen geschehen.
Um diese Frage ging es. Daß auch Sie vom Grundsatz her für die Abrüstung sind, haben wir nicht bezweifelt. Es wäre eine sehr schlimme Sache, wenn dieses Haus nicht geschlossen Bemühungen zur Abrüstung unterstützte.
Eine zweite Zwischenfrage des Abgeordneten Mertes.
Herr Kollege Mischnick, sind Ihnen die Erklärungen der CDU/ CSU-Fraktion zum' neuen deutschen Interimsvorschlag zu MBFR und unsere Forderung, die französischen Abrüstungsvorschläge zu berücksichtigen, völlig entgangen?
Nein. Aber dann wundert es mich, warum es heute hier nicht gesagt worden ist. Wir haben ja leider die Erfahrung gemacht, daß manche Dinge von Ihnen draußen in Erklärungen, in Parteitagsbeschlüssen gebracht werden, aber hier dann nicht mehr gebracht oder vertreten werden. Ich denke z. B. an die Grundgesetzänderung zum Gewässerschutz. Das haben Sie draußen beschlossen, aber hier haben Sie dagegen gestimmt. Ich denke auch an den bildungspolitischen Bereich. Da haben Sie außerhalb des Bundestages beschlossen, aber hier dagegen gestimmt. Ich nehme zur Kenntnis, daß Sie das, was Sie draußen gesagt haben, auch als gültig für die praktische Politik hier angesehen wissen wollen. Ich wäre dankbar, wenn vielleicht der Redner, der zum Verteidigungshaushalt oder zum Haushalt des Auswärtigen Amts spricht, hierzu eine kurze Bemerkung machte.
Meine Damen und Herren, da nach der Redeeinteilung jene Redner, die in der dritten oder vierten Position sprechen — unabhängig von den Regierungs- und Bundesratsmitgliedern —, einer größeren Begrenzung unterworfen sind, will ich hier zum Abschluß nur noch einen Punkt kurz ansprechen. Der Vorsitzende der CDU/CSU hat davon gesprochen, es gehe nicht darum, daß die Opposition sage, was sie wolle, sondern hier gehe es darum, daß Rechenschaft abgelegt werde. Der Bundeshaushalt 1980 ist, wenn Sie so wollen, der in Zahlen gefaßte Rechenschaftsbericht unserer Politik. Wenn Sie damit einverstanden sind, stimmen Sie zu. Wenn Sie ablehnen, erwarten wir allerdings, daß Sie dann nicht nur in der Vergangenheit herumstochern, sondern auch konkret sagen: Da und dort sind wir dieser oder jener anderen Meinung. Das ist in den bisherigen Reden leider kaum der Fall gewesen.
Deshalb komme ich zum Fazit. Wer nur in der Vergangenheit kramt, kann nach meiner Überzeugung nicht die Zukunft bewältigen. Deshalb werden Sie Opposition bleiben.
Das Wort hat der Abgeordnete Blüm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst ein paar Punkte aus der Nachmittagsdebatte abhandeln, die noch nicht ausreichend angesprochen worden sind. Herr Abgeordneter Ehmke hat es für nötig befunden, die CDU/CSU-Fraktion so darzustellen, als seien wir diejenigen, die für eine Diätenerhöhung einträten.
Ich empfinde das als einen versuchten Rufmord. Hier wird das alte Schema angewandt: Eine Partei ist geldgierig — das ist die CDU/CSU —, und auf der anderen Seite sitzt der uneigennützige Herr Ehmke.
Ich denke schon, wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.
Ich will das noch erweitern! Ihr Vorsitzender hat auf Ihrem Parteitag unseren Kanzlerkandidaten als einen Mann bezeichnet, der die Rückkehr nach Weimar bedeuten würde. Nein, Franz Josef Strauß ist nicht die Rückkehr nach Weimar, die Verteufelung des politischen Gegners ist Rückkehr nach Weimar.
Der zweite Punkt. Die Medienpolitik ist angesprochen worden. Herr Fraktionsvorsitzender, ich empfehle: Geben Sie Ihrer Fraktion nach den Vorgängen um die „Hamburger Morgenpost" zunächst einmal eine Redepause in Sachen Medienpolitik.
Wenn die Jungsozialisten einmal ein Buch schreiben sollten, in dem sie darstellen, wie böse der böse Kapitalismus ist, dann sollten sie sich beim Betriebsrat der „Hamburger Morgenpost" das Material abholen, aus dem hervorgeht, wie die SPD die Belegschaft behandelt hat.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15133
Dr. Blüm
Herr Halstenberg, der Schatzmeister, der Kapitalgeber, hat noch am 14. November 1979 auf der Betriebsversammlung gesagt: Daß diese Zeitung weiter existiert, nehme ich als derjenige, der die Verhandlungen führt, auf meine Kappe. Es muß eine Tarnkappe gewesen sein, die er da benutzt hat.
Die Belegschaft, Redakteure und Mitarbeiter der „Morgenpost" hat von der Stillegung ihres Betriebes über die Ticker von Nachrichtenagenturen erfahren. Erst einmal wurde die Partei unterrichtet, dann die Betroffenen. Das sind erst die Kapitalgeber und dann die Arbeitnehmer. Anscheinend ist das Ihre Mitbestimmungsphilosophie.
Ich muß auch bekennen, daß ich heute nachmittag zeitweise ganz verängstigt und verschreckt war angesichts der Art und Weise, mit der man mit dem Herrn Bundeskanzler sprechen darf. Herr Ehmke hat, wenn ich mich nicht verzählt habe, dreimal gesagt, es sei ungewöhnlich, ungehörig, wie wir mit dem Bundeskanzler umgingen, der doch eine so große Leistung vollbringen müsse. Ich kann nur fragen: Sollen wir ihn jetzt mit Exzellenz ansprechen?
Der Herr Bundeskanzler selber hat davon gesprochen, ihm fehle „das Erlebnis", wie die CDU/CSU auf die Gewerkschaftsfrage antworte. Dann hat er gesagt, dem „Mann gebe er recht", und „Herr Barzel habe Herrn Strauß übertroffen". Ich fand, das war wie in der Schule. Zu guter Letzt hat er noch gesagt, der Ton der Opposition sei offensiv, die Substanz defensiv. Ich fühlte mich tatsächlich an die Schule erinnert. Es hätte nur noch gefehlt: Schönschrift gut, Inhalt mangelhaft. Ich finde, in dieser Weise sollten Sie nicht mit uns umgehen. Was Sie in Ihrer eigenen Partei machen, ist Ihre Sache.
Ich habe in der Tat den Eindruck, daß Sie auf dem Berliner Parteitag versucht haben, noch einmal das Märchen „Des Kaisers neue Kleider" aufzuführen. Jeder in der SPD, der etwas gelten oder werden will, muß sagen, daß der Kanzler der Größte sei. Zu diesem Märchen fehlt nur noch der kleine Junge vom Straßenrand, der sagt: Der Kaiser hat doch nur die Unterhosen an. Ich bin sicher, dieser Ruf wird vor der Bundestagswahl nicht ertönen. Vor der Bundestagswahl werden Sie durch nichts anderes zusammengehalten als durch die panische Angst vor dem Machtwechsel, meine Damen und Herren.
— Ich komme auch noch zum Thema Wirtschaftspolitik, Herr Roth.
Wenn aus der großen Sozialdemokratischen Partei, vor hundert Jahren angetreten gegen die Mächtigen, nichts anderes als ein Machterhaltungskartell geworden ist, dann haben Sie bereits Ihr Gesicht verloren.
Meine Damen und Herren, Identität einer Partei ist
einfach die Funktion des politischen Managements,
und die Legitimität ist nicht das gleiche wie Effektivität.
— Verehrte Frau Kollegin, in der Tat, Ihr Unternehmen erinnerte mich schon mehrfach an einen großen Konzern: Herr Schmidt ist der Konzernchef, Willy Brandt ist für die Sozialabteilung zuständig, und Herbert Wehner leitet den Werkschutz.
Ich frage mich, ob nicht Erhard Eppler doch mit seinem Satz „Nicht jeder Sieg ist ein Gewinn", den er dem Bundeskanzler entgegengerufen hat, mehr formuliert hat als nur eine Pointe. Vielleicht war es auch das Menetekel der Regierung Schmidt.
Meine Damen und Herren, wir wollen uns hier nicht an einer Olympiade der Beschimpfungen beteiligen. Es geht um Politik und um politische Richtungen. Ich bin heute mehrfach aufgefordert worden, hier doch einmal unsere Antwort auf die Leistungen der Regierung im sozialen Bereich vorzutragen. Ich glaube, es ist aus zwei Gründen wichtig, daß wir Bilanz ziehen, einmal, um Anspruch und Wirklichkeit miteinander zu vergleichen, also Reklame und Ware, und zweitens auch, um aus Erfahrung klüger zu werden, um einer neuen Politik eine Chance zu geben.
Ich zitiere den Herrn Bundeskanzler aus seiner Rede anläßlich der Arbeitnehmerkonferenz seiner Partei am 26. Mai 1976 in Dortmund:
Nach ein paar Jahren wird keiner mehr von uns sagen können: Das waren die anderen, die das alles so und so gemacht haben. Nach ein paar Jahren wird man uns sagen: Jetzt hattet ihr aber so und so viel Zeit. Jetzt ist es eure Verantwortung.
In der Tat: Sie konnten jahrelang von der Ausrede leben, Sie hätten 20 finstere CDU-Jahre zu bewältigen. Nach zehn Jahren sozialliberaler Koalition hilft dieses Ausweichmanöver nicht. Da stehen Sie nackt und bloß mit Ihren Leistungen da.
— Ich habe als Sozialausschußmitglied lange Zeit ertragen müssen, als Badehose — und Sie haben da eine ganze Kleidersammlung —, als Feigenblatt der CDU bezeichnet zu werden. Angesichts der sozialpolitischen Leistungen dieser Koalition ist ein Bikini noch ein Wintermantel, kann ich Ihnen dazu nur sagen.
— Sie werden es doch noch ertragen, daß ich vortrage. — Lassen Sie mich zur Bilanz kommen.
— Verehrter Herr Kollege Rohde, ich bin nicht sicher, ob Sie es als Feuilleton bezeichnen, wenn ich als erstes feststelle: Die von Ihnen getragene Regie-
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Dr. Blüm
rung hat die 1957 von der CDU eingeführte bruttolohnbezogene Rente außer Betrieb gesetzt.
Diese dynamische, bruttolohnbezogene Rente wird sich von diesem Rammstoß, den Sie ihr versetzt haben, nicht erholen. Die Delle wird mitgeschleppt, selbst wenn Ihre Versprechung, 1982 wieder zur bruttolohnbezogenen Anpassung zurückkehren zu wollen, eintreten sollte. Die Rentner sind abgehängt. Herr Rohde, ist das Feuilleton? 4,5 % Rentenanstieg, 5,7 % Preisanstieg — ist das Feuilleton? Das ist eine nackte Tatsache!
Sie sind ausgezogen, das soziale Sicherungssystem zu verbessern. Reformen sollten vorgenommen werden. Sie könnten heilfroh sein, wenn Sie uns dieses System so zurückgeben können, wie Sie es aus den Händen der CDU/CSU empfangen haben, nämlich unbeschädigt.
Reformieren wollten Sie. Sie waren zur Sanierung des Sozialsystems nicht in der Lage.
Zweitens. Wir befinden uns im fünften Jahr der Dauerarbeitslosigkeit. Noch immer gibt es mehr Arbeitnehmer ohne Arbeit als zu jener Zeit, zu der Sie wegen 600 000 Arbeitslosen den Rücktritt der Regierung Erhard verlangt haben. Der Aufschwung, mit dem Sie landauf, landab den Wahlkampf bestreiten wollen, hat die älteren Arbeitnehmer und auch die behinderten Arbeitnehmer nicht erreicht. Die Zahl der Arbeitslosen unter den Arbeitnehmern über 55 Jahre nahm im letzten Jahr um 6,6 % zu. Der Anteil der Schwerbeschädigten ohne Arbeit stieg um 12,7 %. Die Dauerarbeitslosigkeit ist das Sieb, durch das sie Schwächsten aussortiert werden.
Die Paradoxie dieses Vorgangs besteht darin, daß diejenigen, die einst gegen die Leistungsgesellschaft angetreten sind, eine Hochleistungsgesellschaft zurücklassen, die in ihrer Härte alle ihre Vorgänger übertrifft. Das ist das Ergebnis.
Drittens. Herr Kollege Rohde, auch hier frage ich wieder: Ist das Feuilleton oder Wirklichkeit? Nie wurden die Arbeitnehmer in der Geschichte dieser Bundesrepublik mehr zur staatlichen Kasse gebeten als von dieser Bundesregierung. Die Bruttolohn-und Gehaltssumme soll von 1979 auf 1980 um 7,2 % steigen, die Lohnsteuereinnahmen dagegen um 12,8 %. Mit anderen Worten: Der Staat ist bei jeder Tarifverhandlung der lachende Dritte, und er lacht immer besser. Die Lohnsteuereinnahmen wachsen doppelt so schnell wie die Löhne. 1970 betrugen die Einnahmen des Staates aus Lohnsteuern 35,1 Milliarden DM, 1980 werden es 116,3 Milliarden DM sein. Das ist eine Steigerung um 231 %. 47 Pfennige jeder Mark gehen durch die öffentliche Hand.
Wenn an der Belastungsschraube noch ein bißchen gedreht wird, ist es günstiger, die Arbeitnehmer geben ihren Lohn dem Staat und lassen sich die
Lohnsteuer und die Sozialabgaben auszahlen. In der Tat, so weit sind wir bald. Dann können die Arbeitnehmer sozusagen das Taschengeld beim Finanzamt abholen. Herr Finanzminister, wir sind auf dem Weg in die Taschengeldgesellschaft.
Ein vierter Punkt. Es gibt Wohlstand; das sei zugegeben. Niemand will bestreiten, daß es vielerorts Wohlstand gibt — Gott sei Dank! Aber auch die Not nimmt zu. Von 1970 bis 1976 hat sich der Anteil derjenigen, die Hilfen zum Lebensunterhalt bekommen, fast verdoppelt. Wenn die Entwicklung so weitergeht, werden wir 1982 doppelt soviel Sozialhilfeausgaben haben wie 1975. Wir haben 500 000 Witwen mit einer Rente unter 250 DM. Angesichts dessen sollten Sie nicht so den allgemeinen Wohlstand ausrufen. Für die Betroffenen ist es relativ belanglos, ob sie zusammen mit 2 Millionen oder nur 500 000 in Not sind. Eine Sozialpolitik, die nur wach wird, wenn die Großkolonnen in Bewegung gesetzt werden, verdient nicht die Bezeichnung „sozial".
Ich glaube nicht, daß wir nur mit Jammern die Welt verändern. Selbsterkenntnis ist aber der erste Weg zur Besserung. Dazu wollte ich hier einen Beitrag leisten. Die Beschreibung der Probleme ist natürlich noch nicht ihre Lösung.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß die Besinnung auf prinzipielle Sozialpolitik nie wichtiger war als zu dieser Zeit. Mit der hechelnden Reformhektik verschwinden aus der sozialen Sicherheit Berechenbarkeit, Verläßlichkeit und Vertrauen. Deshalb ist eine prinzipielle Sozialpolitik der Damm gegen staatliche Willkür und die Voraussetzung für Kontinuität. Ich nenne drei für unsere Sozialpolitik wichtige Prinzipien: die Leistungsgerechtigkeit, die Solidarität und die Subsidiarität.
Ich möchte gerade diese drei Prinzipien am Beispiel der Rentenversicherung und der Familienpolitik deutlich machen.
Wo immer sich Spielräume ,der Leistungsgerechtigkeit im Sozialsystem eröffnen, müssen sie genutzt werden; denn die Leistungsgerechtigkeit basiert auf dem Prinzip der Äquivalenz, Leistung gegen Gegenleistung. Insofern ist die Leistungsgerechtigkeit sogar Ausdruck eines Gleichheitssatzes: Leistung für Gegenleistung ist besser als Zuwendung bei Bedarf. Unsere Rentner wollen eine leistungsbezogene Rente, sie wollen kein Geschenk des Staates. Sie wollen ihre Rente, die sie sich durch eine lebenslange Leistung erarbeitet haben.
— Bei Ihnen geht noch immer der Virus der Sockelrente, der Bedarfsrente um. Im Godesberger Programm steht es noch so:
Jeder Bürger hat im Alter, bei Berufs- und Erwerbsunfähigkeit oder bei Tod des Ernährers Anspruch auf staatliche Mindestrente.
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Dr. Blüm
Die Christlich Demokratische Union will keine Almosenversicherung, auch wenn sie im Mantel der Großzügigkeit daherkommt, sie will die leistungs- und lohnbezogene Rente.
— Das können wir nicht kurz machen; denn Sie wollen doch was ganz anderes. Wenn ich die FDP hinsichtlich der Rentenversicherung sehe, so stelle ich fest, daß Sie auch in der Sozialpolitik im Beiwagen der SPD sitzen, und Sie bedienen den Haltegriff, als sei es die Lenkstange. Das ist das einzige, was ich bei Ihnen in der Sozialpolitik entdecke.
Alles, was von der bruttolohnbezogenen Rente wegführt, ist ein Angriff auf die Leistungsgerechtigkeit und die Hintertür der Manipulateure. Ins Abseits führt auch der Ehrenbergsche Vorschlag, eine Maschinensteuer an die Stelle des lohnbezogenen Arbeitgeberanteils zu setzen.
— Doch, das führt ins Abseits, weil das von der Lohnbezogenheit wegführt. Herr Ehrenberg, wenn Sie das sogar noch mit arbeitsmarktpolitischen Überlegungen begründen, so führt dieser Vorschlag logisch weiter dazu, daß Sie die Maschinen ganz abschaffen, damit alle Arbeit haben. Dann würden wir bald im Neandertal existieren und unsere Haushaltsdebatte vielleicht als Stammesthing abhalten.
Gestatten sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehrenberg?
Bitte schön.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich in all meinen Vorschlägen zu diesem Thema immer betont habe, daß es für die Arbeitnehmer selbstverständlich bei der Bruttolohnsumme als Bemessungsgrundlage bleibt und damit sowohl die Lohnbezogenheit als auch die Rentenformel von diesem Vorschlag, der ausschließlich eine Veränderung auf der Arbeitgeberseite zum Ziel hat, völlig unberührt bleiben?
Ich bin Anhänger der alten Bauernregel: Wer die Musik bezahlt, bestimmt auch, wie gespielt wird. Wenn der Arbeitgeberbeitrag von der Lohnbezogenheit abgekoppelt wird, dann wird langfristig auch die Rentenbemessung von den Löhnen abgekoppelt.
Es ist doch so, daß Sie an Stelle des lohnbezogenen Arbeitgeberanteils eine Bemessungsgrundlage finden wollen, die an der Wertschöpfung — eine im übrigen nicht genau faßbare Größe — orientiert ist. Das mag wehtun; aber wir halten am solidarischen Risikoausgleich der Sozialversicherten fest, wir wollen nicht das Tischlein-deck-dich der Staatsversorgung, wie immer sie organisiert ist.
Lassen Sie mich auch zur Frage der Belastung etwas sagen. Die Frage ist heute mittag zu Recht gestellt worden, wie wir über schwierige Jahre hinwegkommen, wie wir die Lasten solidarisch verteilen. Der CDU/CSU muß dazu nichts Neues einfallen. Wir halten an der bruttolohnbezogenen Rente fest, glauben allerdings, daß die Rentner, die eine ausreichende Rente haben, schon einen Solidaritätsbeitrag zu ihrer Krankenversicherung zahlen können.
Das gilt natürlich nicht für diejenigen, deren Rente so gering ist, daß wir sie mit einem solchen Solidaritätsopfer nur zur Sozialhilfe abdrängen. Sagen Sie nicht „aha'; denn das haben Sie 1969 mit uns beschlossen. Sie haben anschließend nur den Mut verloren und wollten 1970 den Geschenkonkel spielen, und Sie haben alles zurückgezahlt. Sie haben den Krankenversicherungsbeitrag mit uns schon einmal beschlossen.
Was die SPD /FDP jetzt als Krankenversicherungsbeitrag will, meine Damen und Herren, das ist doch nur ein Rechentrick. Sie wollen das, was die Rentenversicherung bisher global an die Krankenversicherung gezahlt hat, jetzt auf die Rente draufschlagen — 11,7 % —, und dann soll das jeder Rentner seiner Krankenversicherung selbst zahlen. Das ist der berühmte sozialdemokratische Verschiebebahnhof: nichts anderes als ein Kontotrick. Entlastung findet auf diese Weise überhaupt nicht statt.
— Herr Cronenberg, lassen Sie mich gerade noch etwas zur nettolohnbezogenen Rente sagen. In den Nettolohndurchschnitt gehen die hohen Einkommen mit den hohen Abzügen ebenso ein wie die kleinen Einkommen mit den kleinen Abzügen. Deshalb ist dieser Durchschnitt eine Rentenbemessung, die überproportinal die kleinen Renten trifft, und deshalb ist sie asozial.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Cronenberg?
Bitte schön!
Herr Kollege Blüm, würden Sie dem Hohen Hause bestätigen, daß der von Ihnen vorgeschlagene Krankenversicherungsbeitrag von der Rente abgezogen wird und daß die so ersparten Beträge nicht den Krankenversicherungen zugewiesen werden sollen, sondern zur Konsolidierung des Rentensystems dienen sollen?
Aber würden Sie, Herr Cronenberg, die Güte haben, sich noch einmal daran zu erinnern, daß die Rentenversicherung global eine
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Dr. Blüm
Summe an die Krankenversicherung überweist. Wenn sich die Beitragszahler an dieser Überweisung beteiligen, ist das auch eine Entlastung für die Rentenversicherung.
— Es ist aber zum Unterschied von dem, was Sie als Rentenkürzung bezeichnen, keine, die alle über den gleichen Kamm schert, sondern eine sozial so empfindliche Lösung, daß sie die Rentner mit kleinen Renten ungeschoren läßt. Das ist der Unterschied zu Ihrer Nettolohnbezogenheit.
Bitte, wenn Sie noch eine Frage haben.
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hölscher.
Herr Kollege Dr. Blüm, könnten Sie mir erklären, wo denn noch die Leistungsorientierung einer Rente ist, wenn Sie bei einer höheren Rente durch einen Krankenversicherungsbeitrag möglicherweise die Rentenerhöhung völlig abziehen, während Sie bei einer kleineren Rente durch die soziale Komponente eben auf einen Krankenversicherungsbeitrag verzichten? Ist dies nicht eine Nivellierung, die denjenigen, der viele Jahre gezahlt hat und der hohe Beiträge gezahlt hat, zu der Frage veranlassen wird, ob er hier nicht für Leistung bestraft wird?
Brechen Sie hier nicht mit dem Solidarprinzip, und verwechseln Sie hier nicht das Steuersystem mit dem Auftrag des sozialen Ausgleichs mit einem Rentenversicherungssystem?
Herr Hölscher, es kann nicht im Sinne des Leistungsprinzips sein, wenn wir die kleinen Renten so kürzen, daß sich die Rentner das Geld von der Sozialhilfe abholen müssen. Das kann wohl nicht Sinn des Leistungsprinzips sein. Meine Damen und Herren, eine solche Reform, auch die Ihrer nettolohnbezogenen Rentenformel, würde dazu führen, daß immer mehr die Sozialhilfe einspringen muß. Das ist auch wieder nach dem Motto: „Heiliger Sankt Florian, schütz unser Haus, steck das des Nachbarn an!" Hauptsache der Bund ist aus dem Schneider; die Kommunen sollen sehen, wie sie zurechtkommen. Das ist Ihre Philosophie.
Lassen Sie mich noch etwas zur Besteuerung sagen. Herr Wehner, Sie haben das sehr energisch dementiert, sogar das Wort Lüge gebraucht in bezug auf denjenigen, der das den Sozialdemokraten unterstellen würde.
Am 4. September hat das Frau Anke Fuchs der SPD- Fraktion vorgetragen. Wenn Sie sagen, sie hätten es nicht gehört, dann haben Sie weniger gehört als das Tonband. Darf ich Ihnen das Zitat vorlesen, Herr Wehner?
Würden Sie bitte, wenn mir die Frage erlaubt ist, das Protokoll einsehen, aus dem Sie jetzt etwas zu verlesen behaupten, und würden Sie bitte die Aussagen sowohl von Frau Fuchs als auch von Wehner als auch von Ehrenberg zur Kenntnis nehmen, wenn wir sie Ihnen schriftlich geben, und aufhören mit Ihren Behauptungen, Unterstellungen und weiterem Geschwätz?
So ganz ist das ja nicht aus der Luft gegriffen. Darf ich Ihnen jenes Papier überreichen, Herr Wehner - das können wir im Austauschverkehr machen —, in dem Ihre Kommission die Möglichkeiten der Rentenversicherung vorgestellt hat? Auch darin befindet sich die Rentenbesteuerung.
Herr Abgeordneter Blüm, fahren Sie bitte fort.
Herr Wehner, ich meine, Sie sollten nicht stolz darauf sein, daß sich Ihre Kommission nicht festgelegt hat, um so unsicherer sind ja die Rentner, was mit ihnen passieren soll.
Ich muß Ihnen in der Tat völlig recht geben, das Papier, das Sie vorgelegt haben, gleicht dem Prospekt einer großen Reisefirma: für jeden etwas. Sie können sich immer auf etwas berufen, was in diesem Papier steht. Insofern scheint der Rentenbetrug 1980 auf viele Köpfe verteilt zu werden; das ist eine neue Variante.
— Ich schäme mich gar nicht.
— Darauf komme ich auch noch. Sie haben in Berlin fünf Tage diskutiert. Die große Arbeiterpartei SPD hat fünf Tage diskutiert, aber sie konnte sich in Sachen Sozialpolitik nicht entscheiden. Die Sozialpolitik haben Sie vertagt.
Die Rentenversicherung haben Sie vertagt.
— Dann darf ich zitieren; vielleicht ist der Abgeordnete Gansel für Sie glaubwürdiger als ich. Der Abgeordnete Gansel hat gesagt: Mit solchen Unklarhei-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15137
Dr. Blüm
ten kann man nicht in den Wahlkampf gehen. Stimmt das oder stimmt das nicht? Es ist in Ihrem Protokoll nachzulesen.
Herr Abgeordneter Blüm, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber bitte. Vizepräsident Dr. von Weizsäcker: Bitte schön.
Herr Kollege Blüm, da Sie hier den Anschein erwecken, über die Beratungen des Berliner Parteitages der SPD informiert zu sein, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß dort über das Papier, auf das Sie sich hier eingelassen haben, im Wege einer Einführung kurz diskutiert worden ist und daß die Sozialdemokraten daraufhin verabredet haben, über die verschiedenen Möglichkeiten und Alternativen zunächst in der eigenen Partei zu diskutieren,
daß der Parteivorstand der SPD darüber im Februar einen Beschluß fassen wird und daß die Sozialdemokraten auf ihrem Parteitag am 8. und 9. Juni nächsten Jahres der Öffentlichkeit sagen werden, für welche Lösungsform sie sich entscheiden werden?
Sehr geehrter Herr Kollege, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie meine Behauptung bestätigen, daß Sie sich auf dem Parteitag nicht festgelegt haben.
Sie bestätigen genau das, was ich behauptet habe: Sie haben in fünf Tagen für alles Zeit gehabt, nur nicht für die Rentenversicherung.
Sie wissen nicht, was Sie wollen, oder Sie wollen nicht, was Sie wissen. Das ist die Alternative.
— Gott sei Dank bin ich kein Roter, und ich bin auch kein Gelber.
Herr Wehner, auf der Ebene, so Diskussionen auszutragen, bekenne ich mich Ihnen unterlegen. Ich hätte es lieber mit Argumenten gehabt. Offensichtlich bin ich doch an eine wunde Stelle der Sozialdemokraten gekommen.
Ich wiederhole es: Sockelrente, Mindestrente, Besteuerung der Rente, Nettorente — das ist das große Versandhaus sozialliberaler Rentenpolitik, vor dem die Rentner stehen.
Sie können ja auch noch die Rentenversicherung als Wettgemeinschaft aufziehen. Wir bleiben beim bruttolohnbezogenen Rentensystem.
Sie dürften eigentlich auch nicht so erregt sein, denn in der Tat haben wir doch Grund, in der Rentenfrage an den Wahlkampf 1976 zu erinnern.
Das ist doch nicht aus der Luft gegriffen.
Ich frage mich, wo der so wortgewaltige und lautstarke Bundeskanzler in Sachen Rentenversicherung ist. Offensichtlich auf dem Meeresboden. Ich höre nämlich zu dieser Frage nichts von ihm.
Die Rentenpolitik der Bundesregierung — —
Herr Abgeordneter Blüm, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuhlwein?
Sehr gern, wenn mir das auf die Redezeit nicht angerechnet wird. — Wenn es angerechnet wird, werden Sie Verständnis dafür haben, daß ich meine Gedankenführung zu Ende bringen will.
Ich stelle nur fest, daß am 30. September 1976, ein paar Tage vor der Wahl, der Herr Bundeskanzler von der Rentenversicherung gesagt hat: Da gibt es ein Problemchen. Ein paar Tage danach hat er davon gesprochen, daß sei das dickste Problem, und dabei gehe es — ich zitiere ihn — „nicht ohne harte Schritte ab". Sie haben ein paar Tage vor der Regierungsbildung gesagt, der — von mir respektierte und verehrte — Kollege Arendt würde in der Regierung bleiben. Sie waren kaum gewählt, da war er — wegen der Rentenversicherung — nicht mehr in der Regierung. Meine Damen und Herren, daran wird man doch erinnern dürfen!
Ich kann für meine Person nur feststellen: Der Standpunkt des Bundeskanzlers wechselt offenbar mit dem Zeitpunkt, und der wichtigste Zeitpunkt ist der Wahltag. Daran sollten wir uns bei den nächsten Wahlen erinnern.
Meine Damen und Herren, ich wollte dann hier noch die Familienpolitik ansprechen, und zwar auch nur als ein Exempel für eine prinzipielle Sozialpolitik, die die Subsidiarität beachtet.
15138 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
Dr. Blüm
Ob wir in die plattgewalzte Ebene einer nivellierten Einheitsgesellschaft marschieren oder an der Vielheit einer offenen Gesellschaft teilnehmen, ob wir in ein total veröffentlichtes Leben eingefügt werden oder die Chance des Rückzugs hinter die vier Wände privater Räume möglich bleibt, das entscheidet sich mehr als durch alle politische Großwetterlage am Schicksal der Familie. Ich bin davon überzeugt, daß der Ton in der Familie die Musik bestimmt, die morgen in der Gesellschaft gespielt wird.
Der eigentliche Widerpart gegen den Einheitsbrei des Kollektivismus ist eine gegliederte Gesellschaft, in der die jeweils kleinere Gemeinschaft den Vortritt hat und die Bürger so vor der Überwältigung durch die Großapparate geschützt werden.
Vor den Versuchungen der wohltemperierten und perfekt reglementierten Gesellschaft werden uns nicht die Macher schützen, sondern nur eine Politik, die nicht alles in den Griff nehmen will. Deshalb könnte die Familie so etwas leisten wie Widerstand gegen einen neuen Imperialismus staatlicher Allzuständigkeit.
Die Herrschsucht kommt ja nicht immer mit Fanfaren und Kanonen einher. Der neue Imperialismus schleicht auf Filzpantoffeln. Und wenn diese Variante der Herrschaft ein Sozialismus technokratischer Herkunft ist, so ist er doch ein Ausdruck des obrigkeitsstaatlichen Denkens.
Seine Parole heißt: Der Staat ist besser, die Familie muß erst einmal beweisen, daß sie gut ist.
Und in der Tat, Sie haben ja versucht, die Familienpolitik mit den Kategorien des öffentlichen Lebens zu ordnen. Da heißt es in Ihrem Programm, es müsse vor allen Dingen darauf geachtet werden, die Familienpolitik „gesellschaftliche Konflikte bewußt zu machen" und die Bedingungen zu verändern, aus denen solche Konflikte entstehen.
Meine Damen und Herren, wenn wir in dieser Sprache von der Familie sprechen, dann reduzieren wir die Ehe zur Tarifgemeinschaft, die Familie zur Interessenkoalition und die Kinder zu Unterdrückten, die von elterlicher Fremdbestimmung und aus elterlichen Gewaltverhältnissen befreit werden müssen. Ich muß schon sagen: Wenn meine Kinder mal anfangen, die elterlichen Gewaltverhältnisse des Vaters zu kontrollieren — bei uns ist nicht die „Gartenlaube" —, aber wenn die in dieser Sprache die Bindungen zu ihrem Vater beschreiben, dann beginne ich mit der Aussperrung, damit sie es nur wissen!
— Ja, in der Tat, wenn Sie so weitermachen, werden
Sie noch die Tarifverhandlungen über das Sonntags-
geld in das Familienrecht einführen oder das konstruktive Mißtrauensvotum gegen den Vater.
Das ist nicht nur witzig gemeint, sondern ich will damit deutlich machen: Wer den Unterschied zwischen politischer Öffentlichkeit und privater Intimität nicht begreift, der walzt die Gesellschaft platt und hat keinen Sinn für Freiheit.
Wenn Sie Vater und Mutter sezieren und wie Maschinen auseinandernehmen, wenn Vater und Mutter zu bloßen Rädchen- in einem Getriebe werden, das staatlich bedient wird, dann schrumpfen eben Vater und Mutter auf die Größe von Bezugspersonen, Rollen- und Funktionsträgern zusammen. — Ich bekenne, ich habe meine Mutter nie ,,Bezugsperson" genannt und auch nie so empfunden.
Die kalte Sprache der Macher, meine Damen und Herren, mag soziologisch genauer, politisch handhabbarer sein; ich entdecke in ihr einen Verlust an Lebensnähe. Wie armselig wäre das Kinderlied, wenn wir einst gesungen hätten: „Schlaf, Kindchen, schlaf, deine Bezugsperson hütet die Schaf"!
— Ich glaube schon, daß Ihre Sprache verräterisch ist,
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daß Ihre Sprache eine Gesellschaftsgesinnung ausdrückt, in der Sie die Menschen wie Bestandteile eines Märklin-Baukastens behandeln wollen, weil Sie offenbar alle für austauschbar halten.
Sie haben die Ehe zu einem Zweckbündnis mit relativ niedrigem Kündigungsschutz zurückgeschraubt, und jetzt entpuppt sich dieser Fortschritt als ein Rückschritt des sozialen Schutzes; die Schuldlosen werden die Schwächeren.
— Hören Sie gut zu, hören Sie einen Moment noch gut zu! — Sie haben auch dem ungeborenen Kind armer Eltern Lebensschutz genommen. 70 % der Schwangerschaftsabbrüche werden mit sozialer Notlage begründet. Soll jetzt gelten: Weil du arm bist, wirst du nicht mehr geboren? Das wäre der Offenbarungseid des Sozialstaates oder der Vorwand der Bequemlichkeit.
— Das ist nicht zu billig! Wenn 70% der Schwangerschaftsabbrüche mit sozialer Notlage begründet werden, so halte ich das in der Tat für einen Fausthieb ins Gesicht des Sozialstaates, oder es ist der Vorwand der Bequemlichkeit. Zwischen diesen zwei Alternativen können Sie aus meiner Sicht wählen.
Unter dem Gesichtspunkt der Kosten-Nutzen- Analyse ist die Ehe inzwischen eine Dummheit geworden. Ich will ein Beispiel nennen: Ein doppelverdienendes Ehepaar mit einem Kind und einem Ein-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15139
Dr. Blum
kommen von 3 000 DM verfügte 1975 über ein Nettoeinkommen von 2 529 DM. Zwei Partner, die in einer Onkelehe leben — der eine mit einem Einkommen von 1200 DM, der andere mit einem Einkommen von 1 800 DM; auch das ergibt ein Gesamteinkommen von 3 000 DM; ein Kind ist auch vorhanden, das ist also völlig vergleichbar —, haben ein Nettoeinkommen von 2 831 DM. Mit anderen Worten: Die Eheverweigerung wird in unserem Staat steuerrechtlich prämiiert.
Rund 300 DM also haben die Eheleute weniger. Sie schreiben in Ihren familienpolitischen Leitsätzen: „Die Benachteiligungen nicht anerkannter Lebensgemeinschaften sollen abgebaut werden." Ich kann nur fragen: Wo leben Sie eigentlich? Sie müssen die Diskriminierung der Ehe abbauen! Ihre Familienpolitik ist seitenverkehrt.
Lassen Sie mich zum Thema „Gleichberechtigung der Frau" folgendes sagen: Sie ist unverzichtbar. Aber in der sozialistischen Übersetzung hört sich das so an, als gebe es für die Befreiung der Frau nur einen Weg, nämlich den Weg über die Erwerbsarbeit.
Schon für August Bebel — ich darf Bebel in Ihre Erinnerung rufen — vollzog sich die Emanzipation allein über die Einbahnstraße — ich zitiere — „der Einbeziehung in die öffentliche Industrie"..
– Ja, dann würden Sie Bebel dementieren; das steht mir natürlich nicht zu.
Ich kann mich nur auf die Texte berufen, die uns Ihr großer geistiger Ziehvater hinterlassen hat.
Ein so angesehener Psychologe wie Horst Eberhard Richter -- weit über den Verdacht erhaben, der CDU nahezustehen oder gar rechts zu sein — hat festgestellt — ich zitiere ihn
Das Den-Männern-nicht-mehr-Nachstehen ist die große Errungenschaft. Der dafür gezahlte Preis ist aber eine neue und radikale Variante von Unterdrückung, nämlich der auferlegte Verzicht, die Welt weiblich zu sehen und das Zusammenleben nach weiblichen Kriterien mitzubestimmen.
Ich glaube, meine Damen und Herren, daß die Aufwertung der Mutter der Beginn einer Politik sein könnte, in der wir wieder für mehr menschliche Zuwendung, für mehr Mitmenschlichkeit sorgen. Nicht alles kann reglementiert, nicht alles kann durch den Gesetzgeber bewerkstelligt werden.
Ich habe mir schon manchmal überlegt: Was ware eigentlich passiert, wenn der arme Mann, der auf dem Weg von Jerusalem nach Jericho unter die Räuber gefallen ist, nicht an einen Samariter gekommen, sondern einem Sozialisten in die Hände gefallen wäre?
Der Jungsozialist hätte ihm den Überfall als Ausdruck des Monopolkapitalismus erklärt und gesagt: Das ist die Voraussetzung für die Revolution.
Ein bürokratischer Sozialist hätte dem blutenden Mann wahrscheinlich gesagt, er solle erst einmal einen Antrag beim Reichsversicherungsamt
in Jerusalem stellen; dann könne nach Vorlage mehrerer Gutachten über sein Gesuch entschieden werden.
Und sollten sich weitere Überfälle an der Stelle ereignen, dann würde auch noch ein Bundesbeauftragter für das Un- und Überfallwesen eingesetzt.
Vielleicht würde auch ein Strukturrat gebildet, der die Gefahrenquelle dadurch entschärfen würde, daß er die Unfälle gleichmäßig über das Land verteilt; auch das wäre möglich.
Ich meine schon, daß wir in der Sozialpolitik einerseits eine große Verantwortung dafür haben, eine prinzipielle Sozialpolitik zu betreiben, aber andererseits in der Lage sein müssen, empfindlich auf neue soziale Fragen neue Antworten zu geben.
Die letzte Runde der Wahlperiode ist eingeläutet. Wahlkampf steht vor der Tür. Aber wir sollten den Wahlkampf ja nicht zur Kopflosigkeit degenerieren. Lassen Sie uns doch den Versuch unternehmen, auch diese Haushaltsdebatte einmal zu benutzen, gemeinsam darüber nachzudenken, ob denn alle guten Absichten des sozialen Fortschritts und der Reformen Wirklichkeit geworden sind, ob alle guten Vorsätze angekommen sind, ob die Mittel von gestern heute noch ihren Zweck erreichen.
Eine wichtige Erkenntnis scheint mir zu sein, daß wir jenen Wortfetischismus in der Sozialpolitik und im sozialen Fortschritt verabschieden. Ein Problem ist noch nicht gelöst, wenn wir einen neuen Namen gefunden haben. Den Lehrlingen geht es noch nicht besser, wenn sie mit dem Kunstwort „Auszubildende" belegt sind.
Ich nenne das den sozialdemokratischen Rumpelstilzchen-Effekt:
15140 Deutscher Bundestag -- 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
Dr. Blüm
Wenn der Name bekannt ist, ist das Problem gelöst.
Nur, die Wirklichkeit ist dadurch nicht verändert.
Wir sollten auch mal darüber nachdenken, ob wir allein durch die Ausdehnung des Berechtigtenkreises wirklich mehr sozialen Fortschritt haben. Die Ausdehnung des Schwerbehinderten-Begriffs war mit großen Hoffnungen verbunden. Aber solange die Arbeitsplätze nicht mitwachsen, vergrößert diese Begriffsausweitung lediglich den Konkurrenzkampf unter den Schwerbehinderten, und benachteiligt sind die Schwerstbehinderten.
Oder denken Sie an den sozialen Wohnungsbau. Solange das Verhältnis 3 : 1 ist, also auf drei Berechtigte eine Sozialwohnung kommt, wird in diesem Konkurrenzkampf der Familienvater mit vielen Kin dern unter den zwei sein, die die Sozialwohnung nicht erhalten. Sie sehen an dem Beispiel: Ausdehnung auf dem Papier heißt noch nicht, daß wir mehr soziale Gerechtigkeit in der Wirklichkeit geschaffen haben.
Denken wir auch darüber nach, ob die Ausweitung materieller Verbesserungen tatsächlich eine treffsichere Umverteilung war. Je größer der Kreis der Personen ist, die durch staatliche Maßnahmen begünstigt werden, um so mehr finanzieren die Begünstigten ihre Begünstigungen selber.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling?
Bitte, ich habe nur noch fünf Minuten Zeit.
— Haben Sie Verständnis dafür, daß ich diesen Gedankengang zusammenhängend darstellen will
Die Selbstfinanzierung des sozialen Fortschritts nimmt in der Form zu, daß die Beschenkten ihre Geschenke selber bezahlen. Das ist so nach dem Motto organisiert: Absender und Empfänger sind die gleichen. Nur, im Unterschied zum Briefträger spielt der Staat dann auch noch den Spender. Und das wäre eine Tat von Umverteilungsillusion, die auch auf Kosten der Arbeiter geht. Die Arbeiter sind an diesem Umverteilungskarussell überproportional beteiligt Sie erhalten Leistungen im Gesamtwert von 31,5 Milliarden, und sie leisten für diese Umverteilungsmaschine 135,4 Milliarden DM. Sie sehen, daß wir auf dem Weg sind, eine Umverteilung — —
— Ich kann darüber nicht lachen. Ich kann darüber nicht lachen, daß die Arbeitnehmer weniger aus diesem System erhalten, als sie hineingeben, und zwar durch die ganz einfache Form, daß wir den Teil der Begünstigten, die Hilfe erfahren, so groß gefaßt haben, daß alle, die Hilfe erfahren, diese Hilfe auch
selbst finanzieren. 26 % der verfügbaren Einkommen privater Haushalte stammen inzwischen aus der staatlichen Umverteilung Da wird man doch fragen dürfen, wer die denn finanziert. Natürlich die Steuerzahler selber, die Begünstigten selber.
Darüber nachzudenken, heißt nicht, soziale Gerechtigkeit abzubauen, sondern heißt, sie treffsicher zu machen.
Ich verbinde das doch zunächst einmal gar nicht mit Vorwürfen, sondern mit dem Appell, gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir unsere soziale Politik effizient und gerecht erhalten können.
Lassen Sie mich abschließen. Sie können das Thema ja auch noch mal an Hand der Einkommensgrenze im Sozialrecht prüfen. Das ist ja inzwischen eine Geheimwissenschaft geworden. So kann es ja passieren, daß ein höheres Bruttoeinkommen zu einem niedrigeren Nettoeinkommen führt. Der Fall ist bekannt, wo ein Vier-Personen-Haushalt mit 26 000 DM Bruttoeinkommen am Schluß weniger hatte als der Vier-Personen-Haushalt mit 14 000 DM Bruttoeinkommen.
Meinen Sie, das wäre der Staat, der Leistung honoriert? Im Sinne eines solchen Systems liegt, daß der Arbeitnehmer zu seinem Chef geht und ihn bittet, auf die nächste Lohnerhöhung zu verzichten, weil er nach der Lohnerhöhung weniger im Portemonnaie hat als vorher. Das stellt die Verhältnisse auf den Kopf. Wenn das einmal Allgemeingut wird, dann ist unsere Gesellschaft endgültig übergeschnappt; dann können wir unsere Gesellschaft mit Bezugsscheinen organisieren.
Ich wollte noch ein paar Sätze zur Wirtschaftsordnung sagen. Die Zeit steht mir dafür nicht zur Verfügung. Deshalb sage ich: Die Produktion von Gerechtigkeit mit Hilfe von Bürokratie erweist sich auch hier als Illusion. Ich bin und bleibe Anhänger der Mitbestimmungsidee, aber ebenso energischer Gegner aller planwirtschaftlichen Ziele. Wo Investitionszentralen entscheiden, entscheiden auch bald Preis- und Lohnzentralen. Investitionslenkung und Lohnlenkung sind Geschwister und bedeuten einen Angriff auf die Tarifautonomie und auf die Mitbestimmung. Wo Strukturräte entscheiden, haben Aufsichtsräte nichts mehr zu sagen, und dort hat auch die Mitbestimmung den Boden unter den Füßen verloren.
Meine Damen und Herren, es war der Anspruch dieser Koalition, Liberalismus und Sozialismus miteinander zu versöhnen, Bürgertum und Arbeiterschaft in eine Koalition zu bringen. Das war der große historische Atem, von dem das sozialliberale Bündnis getragen schien. Zehn Jahre sind genug. Wir können prüfen, ob die Erwartungen eingeholt werden. Ich zitiere:
In der säkularen Dialektik von Freiheit und Gleichheit ist die Stunde der Freiheit, nämlich die ihrer Bedrohung, durch falschen Egalitarismus gekommen. Die Allianz von Liberalismus
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Dr. Blüm
und Sozialismus hat insoweit ihren Sinn erschöpft.
Derjenige, der dies gesagt hat, war ein Vordenker des sozialliberalen Bündnisses: Ralf Dahrendorf. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Das Wort hat der Abgeordnete Rohde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich nicht die Absicht, in die heutige Debatte einzugreifen. Was jedoch der Herr Kollege Blüm hier erklärt hat, bleibt nicht ohne Antwort.
Nun will ich mich nicht seinem familienpolitischen „Imperialismus auf Filzsohlen" zuwenden. Ich will es dem Haus überlassen, was daran Marx oder Murks ist. Aber ich sage in allem Ernst: Das, was heute vom Kollegen Blüm zu den Erfahrungen, zur Geschichte und zu den Empfindungen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung gesagt worden ist — auch in der Art, in der es erklärt worden ist —, haben wir bisher nur aus der rechten Ecke der deutschen Politik gehört.
Da kann ich nur sagen: Strauß färbt ab! Der Beitrag von Blüm hat das deutlich gemacht.
So respektlos und so ohne jedes Verständnis ist bisher noch niemand, der für sich in Anspruch nahm, ein Arbeiterfunktionär zu sein, mit der Geschichte der Arbeiterbewegung umgegangen.
Sie können, Herr Blüm, anderer Meinung sein, aber sich nicht so gehen lassen.
Wenn er von Kinderliedern und der Familie gesprochen hat, dann können wir ja vielleicht auch darüber sprechen, welche Lieder in diesem Lande und in anderen Industrieländern gesungen worden sind, als noch Kinderarbeit geleistet werden mußte.
Damals hat die Arbeiterbewegung begonnen, den Staat auf seine Verantwortung zu stoßen. Die Arbeiter haben sich solidarisch zusammengeschlossen und sich auch an den Staat gewandt, nicht um die Familie und den Menschen zu verstaatlichen — nein! —, sondern um Staat und Gesellschaft zu vermenschlichen, weil sie die Erfahrung gemacht hatten, daß sie allein mit Familienphilosophie nicht aus ihrer bedrückenden Lage herausfinden konnten.
Was die Berufstätigkeit angeht, so hat Bebel das in einer Zeit geschrieben, in der es das Los der arbeitenden Frauen gewesen ist, auf den Feldern als Landarbeiterinnen und in den Fabriksälen als Textilarbeiterinnen zu arbeiten. Bebel hatte eine Vision davon, daß auch die Frau ein Recht auf Bildung und berufliche Entfaltung in dieser Gesellschaft hat.
Damit komme ich zu einer Bemerkung von Herrn Kohl in seinem Debattebeitrag. Ich finde es herausfordernd und bedrückend, wie in den Reden der Opposition mit den Rechten, den Erwartungen und der Lage der berufstätigen Frauen umgegangen wird. Da wird immer wieder der Eindruck erweckt, als sei das, was wir hier beschlossen haben, nämlich das Mutterschaftsgeld für die berufstätigen Frauen eine Sache, die man nur als eine Art ungerechtfertigter Sonderregelung einordnen könnte, so, als hätten sie das nicht verdient. Sie haben das verdient.
Sie haben gearbeitet. Die arbeitenden Frauen haben Beiträge und Steuern gezahlt. Aus dem gesellschaftlichen Ertrag ihrer Berufsarbeit den Frauen wenigstens zu ermöglichen, daß sie sechs Monate nach der Geburt eines Kindes zu Hause bleiben können und nicht zur Arbeitsstelle brauchen, ist nicht mehr als recht und billig.
— Nein, hier werde ich jetzt keine Zwischenfrage gestatten, weil ich die Absicht habe, diesen Gedankengang zu Ende zu führen; dann gebe ich Ihnen das Wort.
— Die Art und Weise, wie Sie mit den berufstätigen Frauen umgegangen sind, finde ich nicht korrekt und verantwortungsbewußt. Herr Kohl sagt, Berufsarbeit ist Privatsache.
Meine Damen und Herren, ich erinnere mich an eine Zeit, an die ersten Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg, in denen fast kein Monat vergangen ist, keine große Debatte in diesem Hause stattgefunden hat, in der nicht der Anspruch zum Ausdruck kam, daß auch die Frauen ihren Beitrag zum wirtschaftlichen Aufbau leisten müßten. Es gab eine Zeit, in der auch von diesem Pult anerkannt worden ist, wie die Frauen zum Aufbau unseres Landes nach dem Kriege beigetragen haben. Das einfach unter dem dünnen Begriff der Privatsache abzubuchen, ist für mein Empfinden unerträglich.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
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Herr Kollege, ich gebe Ihnen gern die Gelegenheit zu . einer Zwischenfrage; aber ich will diese Sache erst noch zu Ende führen.
Die Frage der Berufstätigkeit ist auch mit dem Blick auf die Zukunft anders zu beantworten als das in vielen Debattereden der Opposition in den letzten Wochen, so z. B. bei der Auseinandersetzung über das EG-Anpassungsgesetz, zum Ausdruck gekommen ist. Können wir — wie ich hoffe — wenigstens in der Grundüberzeugung einig sein, daß Frauen eine qualifizierte Bildung, eine Berufsqualifikation erhalten und aus diesem Sachverhalt logischerweise der Anspruch erwächst, auch im Berufsleben Chancen persönlicher Entwicklung und Entfaltung finden zu können?
Ehe Sie Ihre Zwischenfrage stellen, verehrter Herr Kollege, möchter ich jemand anderen aus den Reihen der Union zu Wort kommen lassen. Ich zitiere — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — aus der „Sozialen Ordnung", dem Blatt der Sozialausschüsse.
Da wird über eine Arbeitnehmerin berichtet, die auf eurer Konferenz der Sozialausschüsse einen Debattebeitrag geleistet hat;
Darin heißt es:
Es ist gut, daß die CDA und die CDU in der Familienpolitik initiativ geworden sind. Wer aber Familienpolitik verkürzt und unter neuem Motto das alte „Zurück an den Herd!" verkaufen will, handelt unfair gegenüber den Frauen und unvernünftig gegenüber dieser Gesellschaft.
Wir als CDA haben Familienpolitik weiter gefaßt als viele andere, und daran sollten wir festhalten.
Gewitzt durch viele Erfahrung führt diese Kollegin weiter aus:
Aber was bisweilen übrigbleibt, wenn die sorgfältigen Überlegungen durch die Siebe von Vorstandsbeschlüssen und Pressemitteilungen fallen, ist weniger. Zurück bleibt die gute alte Politik für die Frau, eine Lückenbüßerpolitik, wenn alle anderen Stricke gerissen sind.
Auf diese Kollegin sollten Sie hören, Herr Abgeordneter Blüm.
Bitte schön!
Herr Kollege Rohde, darf ich fragen, ob Sie sich nicht daran erinnern können, daß die Opposition dem Mutterschaftsgeld für Erwerbstätige zugestimmt hat, daß sich aber die Kritik der Opposition darauf bezog, daß SPD und FDP die Mütter in verschiedene Gruppen einteilen: in die einen, denen etwas gegeben wird, und die anderen, denen etwas vorenthalten wird?
Hier wird niemand eingeteilt Ich erinnere mich auf das allerlebhafteste nicht nur an die eine Debatte über Mutterschaftsregelungen und Muttergeldleistungen, sondern auch an die Debatte über die Gleichstellung der Frau im Arbeitsleben im Rahmen der EG. Der Eindruck, der sich mir aus den Reden der Opposition aufgedrängt hat, ist eindeutig und kann mich nicht veranlassen, auch nur ein Wort von dem hier Gesagten zurückzunehmen.
Mir fällt auf — das sage ich in Erinnerung an einen anderen Beitrag im Bundestag —, wie sehr Arbeit, Arbeitsbedingungen, Arbeitsumstände in der Familienpolitik der Union — manchmal ist es mehr eine Familienphilosophie — ausgeklammert werden. Die Union unterschlägt, wie durch Schichtarbeit und andere inhumane Arbeitszeitregelungen, wie durch die Bedingungen der Arbeitswelt und der Produktion Familienleben und Familienwirklichkeit in Mitleidenschaft gezogen werden.
Es ist meine feste Überzeugung, daß allein mit Elterngeld und ähnlichen Mitteln diese Auswirkungen der Arbeitswelt und der Produktion auf die Lage der Familie nicht aus. der Welt geschafft werden können. Das gilt für Männer und Frauen in gleicher Weise.
Wer allein drauf aus ist, Frauen den Zugang zu qualifizierter Berufsarbeit zu erschweren und sie wieder in Küche und Heim abzudrängen, anstatt sich zu fragen, wie künftig z. B. die Arbeitszeit für Männer und Frauen so geregelt und gestaltet werden kann, daß sie partnerschaftlich zusammenleben und ihre Kinder erziehen können, der hat keine Antwort für die Zukunft; denn diese Fragen werden Ihnen mit Sicherheit gestellt werden.
Nun noch eine Bemerkung zu Herrn Strauß und zu seinen Vorstellungen über deutsche Geschichte sowie seine Ansichten und Einstellungen zu den deutschen Gewerkschaften. Hier ist von ihm der Versuch gemacht worden — wenn man das auf den Punkt führt, was wir von ihm heute abend gehört haben —, all das mit einer sogenannten staatsmännischen Attitüde beiseite zu schieben oder zu verstekken, was in den letzten Monaten vom „Bayernkurier" über die CSU-Zentrale bis hin zur bayerischen Staatskanzlei in die deutsche Offentlichkeit transportiert worden ist,
Dies war, meine Damen und Herren, als Testfall gedacht, wie es ankommt — wie das heute heißt —, wie es sich auf den Wahlkampf auswirken würde. Als dann diejenigen, die diese Kampagnen veranlaßt haben, feststellen mußten, daß Sie weit über die Reihen der deutschen Sozialdemokratie und der Gewerkschaften hinaus in unserer Gesellschaft auf Wi-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15143
Rohde
derstand gestoßen sind, wurde der rhetorische Rückzug angetreten.
Aber wir glauben ihnen nicht — um das deutlich zu sagen —; wir glauben Strauß nicht!
Was in den letzten Monaten über die Geschichte der Arbeitergewegung, über ihre Erfahrungen und auch über ihre Opfer in die Welt gesetzt worden ist, ist so schlimm, daß es unvergessen bleibt. Das zeigt mehr als alles andere das Verhältnis, das Strauß zu der deutschen Arbeiterbewegung und der Arbeiterschaft hat, nämlich überhaupt keines, wenn man es einmal auf den entscheidenden Punkt führt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rapp?
Herr Kollege Rohde, sind Sie bitte bereit, zu akzeptieren, daß ich mich nach der Rede des Herrn Kollegen Blüm als ein vom Sozialkatholizismus herkommender Sozialdemokrat für Herrn Blüm schäme? Und sind Sie bitte bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
daß man sich im Sozialkatholizismus längst eine andere Würdigung der historischen Verdienste und der Arbeit der Sozialdemokratie erarbeitet hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich verstehe Ihre Empfindungen.
Der Kollege Blüm hat — damit komme ich zur Sozialpolitik — ein Bild von der sozialen Sicherung in den 70er Jahren gezeichnet, das, wenn ich meine Erfahrung zugrunde lege — ich darf wohl in Anspruch nehmen, auf diesem Felde Erfahrungen gemacht zu haben —, im völligen Widerspruch zu der tatsächlichen Entwicklung dieses Jahrzehnts steht. Er hat den Eindruck vermittelt, als ob alles auf die schiefe Ebene geraten sei. Deshalb scheint es mir sinnvoll zu sein, bei dieser Bilanz über ein Jahrzehnt zunächst einmal den Eröffnungszug zu machen, sich die Frage vorzulegen, wie es denn am Anfang dieses Jahrzehnts — konkret: im November 1969 — ausgesehen hat.
— Darauf komme ich zu sprechen.
Ich werde nicht vergessen, welchen Eindruck wir hatten, als wir uns damals im Bundesarbeitsministerium mit dem vertraut machten, was von den vorher Regierenden als „Konzept" für die 70er Jahre hinterlassen worden war. Darin befand sich kein Wort über die Reform der Betriebsverfassung, kein Wort über die Mitbestimmung,
nichts über die Reform des Jugendarbeitsschutzes, kein Betriebsärtzegesetz als sozialpolitische Aufgabe im Hinblick auf die Gesundheit am Arbeitsplatz. Bezogen auf die soziale Sicherung lasen wir damals den bemerkenswerten Satz, es bestehe kein „besonderer Handlungsbedarf". Hinsichtlich der flexiblen Altersgrenze wurde an Hand von scheinbar unumstößlichen Zahlen erklärt, sie sei zwar wünschenswert, aber nicht durchzuführen, weil einfach nicht zu finanzieren. Und mit den damals noch restriktiven Bedingungen in der Krankenversicherung hatte man sich vollends abgefunden. Man muß sich einmal vorstellen, daß damals, als wir unsere Arbeit begannen, über die Hälfte der deutschen Angestellten keinen vollen Schutz in der Krankenversicherung gehabt haben. Dann wird sofort klar, was das für die 70er Jahre bedeutet hätte. So also war die Ausgangsposition, die wir vorgefunden haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rawe?
Bitte.
Herr Kollege Rohde, nachdem. Sie nun mehrfach heute abend die Geschichte der Arbeiterbewegung strapaziert haben: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es das traurigste Beispiel in der Geschichte der Arbeiterbewegung ist
— ich habe eine Frage gestellt; Sie können sich also Ihren Zwischenruf ersparen —, wenn man feststellen muß, daß sich ausgerechnet die Sozialdemokratische Partei des Rentenbetruges, über den wir heute abend auch mehrfach gesprochen haben, schuldig gemacht hat?
Zunächst einmal habe ich die Geschichte der Arbeiterbewegung nicht strapaziert. Man wird über einen so beachtlichen Teil der deutschen Geschichte im Bundestag wohl noch ein Wort im gesellschaftspolitischen Zusammenhang sagen dürfen. Was die 70er Jahre und die Renten angeht, Herr Kollege, stellt man bei der Rentenbilanz zunächst einmal fest, daß es ein Jahrzehnt gewesen ist, in dem zum erstenmal in unserer Sozialgeschichte die Rentenbezüge im Durchschnitt stärker angestiegen sind als die Nettoeinkommen der Arbeiter und der Angestellten.
So war das niemals zuvor in unserem Lande der Fall.
Nun habe ich nie bestritten — weder im Bundestag noch in der öffentlichen Diskussion —, daß bei einem so hohen Niveau unserer Renten, mit dem wir eine Spitzenstellung im internationalen Vergleich einnehmen, auch Probleme entstehen, wenn weltwirtschaftliche Krisen, wirtschaftliche Rezes-
15144 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
Rohde
sinnen und Inflationsprozesse die Industrieländer überziehen.
Dazu habe ich vor einiger Zeit im Bundestag gesagt: Das wird uns dann zum Handeln veranlassen müssen, und niemand kann sich der Sache entziehen, für dieses Niveau der Renten auch in Krisenzeiten sichere Finanzgrundlagen zu schaffen. Ich habe hinzugefügt: „Die Opposition kann es vielleicht noch. Ob sie dabei gut beraten ist, wenn sie es tut, ... " Dabei hat Herr Kohl eingeworfen: Das kann die Opposition auch nicht. Aber zwischen dieser Erkenntnis, daß sich auch die Opposition der Konsolidierung der Rentenversicherung nicht entziehen kann, und dem demagogischen Gebrauch des Wortes „Rentenbetrug", gibt es eine Riesenspanne. Sie zeigt, wie bei der Union Politik aufgefaßt wird.
Herr Abgeordneter, gestatten sie eine Zwischenfrage von Frau Eilers?
Bitte sehr.
Herr Kollege Rohde, würden Sie bitte Herrn Blüm daran erinnern, daß in den 50er und 60er Jahren Hunderttausende von Kriegsopfern demonstrieren mußten, um vielleicht 20 DM auf ihre Renten aufgelegt zu bekommen, während sie in der sozialliberalen Koalition 1970 zum erstenmal eine dynamische Rente bekamen?
Das trifft zu, Frau Kollegin. Es hat, insgesamt gesehen — über den Kreis der Kriegsopfer hinaus —, noch niemals so viele Leistungen der sozialen Sicherung gegeben, die dynamisiert, d. h. an die Entwicklung der Löhne und Gehälter angepaßt worden sind, wie seit der Regierungsübernahme durch die sozialliberale Koalition.
Es lohnt sich, sich in diesem Zusammenhang — wenn man nicht nur in billige Demagogie abgleiten will — ein Bild von der sozialen Entwicklung im Ganzen zu machen. Dabei muß ich einige Zahlen nennen, die nicht abstrakt sind, sondern konkreter Ausdruck für Politik in unserem Lande in den hinter uns liegenden zehn Jahren. Es geht zunächst um die Frage, wie sich in der Bundesrepublik Deutschland das Sozialbudget entwickelt hat, also die Gesamtheit der sozialen Leistungen. In dieses Budget fließen nicht nur die Leistungen des Staates ein, sondern auch die der Sozialversicherungsträger, der Länder, der Gemeinden und auch die betrieblichen Leistungen. Wie ist das politische Klima dieses Jahrzehnts gewesen — das steht doch hinter dieser Bilanz —, aus dem heraus sich dieses Sozialbudget in all seinen Teilen letztlich entwickelt und gestaltet hat? Hierbei stoßen wir auf den Tatbestand, daß dieses Sozialbudget im Jahre 1969 einen Betrag von rund gerechnet 160 Milliarden DM umfaßte, während es in diesem Jahr 425 Milliarden DM ausmacht, somit der Anteil der sozialen Leistungen am Bruttosozialprodukt sichtbar zugenommen hat.
Im Hinblick auf diesen Sachverhalt finde ich die Diskussion in den Reihen der Union doppelbödig. Die einen sagen: Das ist immer noch zu wenig — deuten das jedenfalls an —, und die anderen meinen, die „Grenzen des sozialen Rechtsstaates" seien erreicht. Jene nehmen diese Zahlen zum Anlaß, von der „sozialen Hängematte" und von ähnlichen diffamierenden Begriffen zu reden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Blühm?
Nein, jetzt würde ich gern fortfahren.
Herr Kollege Blüm, Sie haben zwar nicht heute — weil Sie wußten, daß Sie mit uns zusammentreffen würden —, aber in den letzten Monaten in der Offentlichkeit immer wieder den Eindruck zu erwekken versucht, als seien die Zuschüsse des Bundes an die Sozialversicherung insgesamt zurückgegangen. Es hat zwar Strukturveränderungen innerhalb dieser Zuschüsse gegeben. Aber Sie müssen sich einmal klarmachen, was es bedeutet, daß von den rund 48 Milliarden DM, die der Sozialhaushalt des Bundes für 1980 umfaßt, rund 31 Milliarden DM Zuschüsse an die Sozialversicherung sind. Das ist ein Betrag, der fast doppelt so hochliegt wie der gesamte Etat des Bundesarbeitsministeriums im Jahre 1969.
Ich will hiermit deutlich machen, daß all das, was Sie über Zuschüsse, über die Gesamtentwicklung der Sozialpolitik und über Ausgaben im Zusammenhang mit der sozialen Sicherung erklärt haben, durch die Zahlen des Haushaltes, mit denen wir es hier zu tun haben, nicht gedeckt ist. Ehe Sie sich mit den Vokabeln „Betrug" und „Demontage" an die Koalition wenden, haben Sie doch — so denke ich jedenfalls — zunächst selbst kritische Fragen im Hinblick auf Ihre eigenen Vorstellungen über die Zukunft der Rentenversicherung und der sozialen Sicherung zu stellen. Es gibt einige — z. B. den Herrn Kollegen Blüm —, die eine Erhöhung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung fordern, und dann gibt es den, der letztlich entscheidet, und dieser heißt nicht Blüm, sondern Strauß. Herr Strauß aber hat gesagt, daß die Staatsquote auf 40 % gesenkt werden soll. Angesichts dieses Sachverhalts müssen Sie sich mit der Frage auseinandersetzen — daran können Sie sich nicht vorbeidrücken —, wie sich eine solche Senkung der Staatsquote auf das Gesamtsystem der sozialen Sicherung auswirken würde.
Eine Zeitung, die unverdächtig ist, besondere Sympathien für uns zu besitzen, hat darüber geschrieben — ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten —:
Die Durchsetzung einer Staatsquote von 40 % verlangt nicht nur politischen Mut; sie ist zur Zeit ohne den Bruch von Versprechen nicht möglich. Beispielsweise wäre die versprochene Rückkehr zur dynamischen Rentenformel unvereinbar mit dem vorgegebenen Ziel. Eine Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung, wie sie das Verfassungsgericht vom Gesetzge-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15145
Rohde
ber bis 1984 verlangt, wäre ebenfalls nicht finanzierbar.
Das ist mehr als eine deutliche Antwort auf Strauß und eine Herausforderung an die Union, endlich nicht nur Thesen, sondern ein konkretes Konzept für die Entwicklung der Rentenversicherung
in den 80er Jahren vorzulegen. Ein solches Konzept haben Sie nicht. Uber allgemeine Thesen, daß die bruttolohnbezogene Rente wiederhergestellt werden soll, daß die Renten angepaßt werden sollen, daß auf der anderen Seite die Hinterbliebenenversorgung neu geordnet werden soll und die finanzpolitischen Grundlagen sichergestellt werden müssen, kann man sich schnell einigen, jedenfalls in den Grundzügen. Die Frage ist aber, mit welchen Mitteln und auf welchen Wegen das bewerkstelligt werden soll.
Ich finde es bemerkenswert, wie hier mit einer Vorlage der SPD umgegangen worden ist, nämlich mit dem Kommissionsbericht über die Zukunft der Rentenversicherung. Er ist nach meiner Meinung die umfassendste, ehrlichste, sauberste Vorlage zu den Problemen der Rentenpolitik und der Sozialversicherung in den 80er Jahren, die sich heute auf dem politischen Markt befindet.
Damit wird von einer politischen Routine abgewichen, von der auch wir in den vergangenen Jahren in mancherlei Zusammenhängen nicht frei waren. Unser Bericht weicht deshalb davon ab, weil darauf verzichtet worden ist, nur Thesen aufzustellen. Wir wissen doch alle, wie sonst verfahren wird: Es werden Thesen aufgestellt, auf das Allervorteilhafteste von allen Seiten beleuchtet, wobei aber die Widerhaken und die Probleme, die mit diesen Thesen verbunden sind, möglichst hinter semantischem Lack versteckt werden.
Dies hat zu einer öffentlichen Reaktion geführt, die die Parteien selbstkritisch machen muß. Die öffentliche Reaktion darauf war, wir sollten mehr argumentieren und nicht manipulieren. Wir sollten ehrlicher sein. Dem Bürger sei es durchaus zuzumuten, daß man ihm auch Probleme und Schwierigkeiten einer Sache erklärt. Das haben wir nun gemacht. In jedem einzelnen Punkt des Leistungsrechts und der Finanzgrundlagen haben wir mehrere Varianten — aus der öffentlichen Diskussion und aus unserem eigenen Nachdenken kommend — dokumentiert und haben beschrieben, wo die Vorzüge, aber auch die Probleme liegen. Damit haben wir im Grunde genommen auf diesem schwierigen, aber auch wichtigen Felde eine ehrliche Diskusion eröffnet. Damit wurde ein Anspruch gesetzt, dem sich — davon bin ich überzeugt — auf Dauer keine andere politische Kraft in diesem Lande entziehen kann.
Nun werden wir — das ist hier schon in einer Zwischenbemerkung deutlich geworden — in unserer
Partei und mit der Öffentlichkeit, d. h. mit den Betroffenen, den Rentnern und den Gewerkschaften, die Vor- und Nachteile in allen Bereichen, angefangen bei der Besteuerung über den Krankenversiche- rungsbeitrag bis hin zur Hinterbliebenenversorgung, diskutieren, insofern ist es unredlich, uns pauschal zu unterstellen, Herr Kollege Blüm, wir konzentrierten uns auf die Besteuerung der Renten. Ich habe mich zu einem sehr frühen Zeitpunkt kritisch zu den Besteuerungsproblemen geäußert. Auf dem Parteitag der SPD haben wir in Anwesenheit der Presse offen diskutiert, was bei einer Besteuerung der Renten kritisch zu bedenken ist, und zwar hinsichtlich der Auswirkungen auf den einzelnen, auf die Sozialversicherungsträger und auf den sozialökonomischen Kreislauf. Das ist öffentlich gemacht worden und findet zunehmend öffentliches Interesse. Nachdem der Schock einseitiger Berichterstattung vorüber ist, setzt eine interessante und differenzierte Betrachtung in den Medien und eine bemerkenswerte Diskussion mit den Betroffenen ein. Die aus dieser Diskussion erwachsenden Ergebnisse — also nicht von oben den Menschen aufgestülpt, sondern mit den Betroffenen zusammen entwickelt — halten besser als Ihre feuilletonistischen Thesen, Herr Kollege Blüm.
Sie sagten in diesem Zusammenhang ein Wort, das mich sehr getroffen hat. Dem Sinne nach hieß es bei Ihnen, es sei nicht gerechtfertigt und könne keinesfalls verantwortet werden, den allgemeinen Wohlstand auszurufen. Das haben Sie überflüssigerweise an unsere Adresse gerichtet. Das hätten Sie aber an die Adresse vieler in Ihren eigenen Reihen richten sollen! Wir reden nicht undifferenziert von allgemeinem Wohlstand. Wir kennen die sozialen Probleme unseres Landes. Im Zusammenhang mit den von Ihnen zitierten Verhältnissen bestimmter Gruppen von Rentnerinnen und Rentnern möchte ich Ihnen aus meiner Erfahrung von zwei Jahrzehnten Bundestagsarbeit dafür einige Beispiele nennen.
Das erste Beispiel: Als wir zusammen mit Ernst Schellenberg in den 50er und 60er Jahren die Frage aufgeworfen haben, ob nicht auch die Selbständigen ein Recht hätten, an der solidarischen Sicherung im Rahmen der Rentenversicherung teilzunehmen, wurden wir damals — ich kann das nicht anders bezeichnen; Herr Kollege Barzel, Sie haben es miterlebt — von diesem Podium als die „Apostel des Wohlfahrtsstaates" heruntergeputzt, als solche hingestellt, die den Menschen ein allumfassendes System überstülpen wollten. Das Wort vom „omnipotenten Staat" ging der CDU/CSU damals genauso wie heute das Wort von dem „Filzlatschenimperialismus" über die Lippen. Das also ist die Erfahrung: Ein beachtlicher Teil unzulänglicher Renten in dieser Gesellschaft ist auf die mangelnde Bereitschaft der damals Regierenden zurückzuführen, auch den Selbständigen mit kleinem Einkommen den Zugang zur sozialen Sicherheit zu öffnen.
Ich komme zum zweiten Beispiel, Herr Kollege Blüm. Als ich mir erlaubt hatte, entgegen dem damaligen Zeitgeist von diesem Podium in den 60er Jah-
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ren ein Wort über Mindestsicherung und Grundsicherung zu sagen, wurde ich als einer verdächtigt, der nichts anderes im Auge habe als die Schaffung einer Einheitsversicherung. Heute. wissen wir — an manchen Stellen haben wir es sogar schon gemeinsam praktiziert, Sie mußten insofern Ihre früheren Auffassungen revidieren —, daß es ohne Mindestsicherungen für Menschen nicht geht, wenn man nicht unzulängliche Renten beklagen will.
—Sicher haben wir das gemacht. Aber wie lange hat das gedauert? Es dauerte nahezu zehn Jahre, und das geschah auch erst, nachdem sich die Regierungsverhältnisse geändert hatten.
Dann haben wir als ersten Schritt durchsetzen können, daß diejenigen, die viele Jahre gearbeitet haben,
aber eine unzulängliche Rente bekommen, weil ihr Verdienst früher unter dem allgemeinen Einkommensniveau gelegen hat, ihre Rente wenigstens in der Höhe erhalten, als hätten sie mindestens den Durchschnitt der Arbeitsverdienste erworben. Ich will Ihnen nur sagen: bitte weniger Selbstgerechtigkeit, Herr Kollege Blüm, und mehr selbstkritische Rückbesinnung auf die Positionen,
die die Union gerade im Blick auf Konsequenzen für niedrige Renten in den 50er und 60er Jahren im Deutschen Bundestag eingenommen hat.
Damit komme ich zur Frage niedriger Löhne. Herr Kollege Blüm, aus Ihren Reihen wurde die Neue Soziale Frage aufgeworfen, allerdings mit einer, wie ich meine, sehr hinterhältigen Variante, indem nämlich gesagt wurde, die Gewerkschaften kümmerten sich nicht um die Menschen am Rande der Gesellschaft. Um Gottes willen, wenn nicht durch die Solidarität der Arbeiterbewegung Alterssicherung und viele andere soziale Leistungen geschaffen worden wären, wie denn eigentlich sonst?!
Als die „Neue Soziale Frage" aufgeworfen wurde, wurde darin auch der Hinweis auf niedrige Arbeitsverdienste einbezogen. Wenige Monate später habe ich dann eine Studie aus dem Konrad-AdenauerHaus gelesen, von Geißler verfaßt oder verantwortet, in der eine „Analyse" stand, nach der die zu „hohen Löhne" der Hilfsarbeiter zur Arbeitslosigkeit unter den Ungelernten in dieser Gesellschaft geführt hätten. Wenn man sich einmal fragt, wo bei niedrigen und unzulänglichen Einkommen Ursache und Wirkung liegen, wird deutlich, daß man zu ganz anderen Ergebnissen kommt, als Sie sie in Ihrem Debattenbeitrag ausgearbeitet haben.
Zum Schluß noch zwei Anmerkungen zur Arbeitsmarktpolitik, und zwar zu zwei wichtigen Bereichen, nämlich zu dem, was im arbeitsmarktpolitischen Jargon der „Einstieg" in das und der „Ausstieg" aus dem Arbeitsleben genannt wird. Einstieg bedeutet, daß die Frage beantwortet werden muß, wie es mit den Bildungsvoraussetzungen und mit der Berufsqualifikation steht, die der Arbeitsaufnahme vorausgehen. Bei allem, was heute von der Union mit ätzender Rhetorik über die Bildungspolitik gesagt worden ist, ist ein bedeutsamer Sachverhalt völlig aus den Augen geraten, daß wir es nämlich ermöglicht haben, durch die Politik der Öffnung des Bildungswesens und der Vermehrung der Bildungsangebote Ergebnisse zu erreichen, deren Bedeutung und Gewicht für die Arbeitsmarktpolitik und die Wirtschaft erst in den 80er Jahren voll bewußt werden.
Ich darf Sie an eine Erfahrung erinnern, die mich seinerzeit sehr bedrückt hat: Als ich 1974 mein Amt als Bildungsminister übernahm, stellte ich an Hand der Verlaufsstatistiken der Generationen und des Bildungswesens fest, daß noch in der Hochkonjunktur die Bildungsangebote rückläufig waren. Die Lehrstellen gingen zurück, der Numerus clausus nahm zu. Diesem rückläufigen Bildungsangebot stand die Tatsache gegenüber, daß spätestens ab der zweiten Hälfte der 70er Jahre geburtenstarke Jahrgänge in die Zeit der Berufsqualifikation und des späteren Arbeitslebens eintreten würden. Die Frage war: Wie kann man das, was sich da Anfang der 70er Jahre nahezu festgefressen hatte, Numerus clausus und Rückgang von Lehrstellen, aufbrechen? Wenn ich an die Auseinandersetzungen zurückdenke, die wir damals führen mußten, um eine Trendwende, um den Abbau des Numerus clausus, um die Kurskorrektur in der Berufsbildung zu erreichen, dann muß ich Ihnen sagen, auch auf diesem Felde stünde der Union weniger Selbstgerechtigkeit und mehr selbstkritische Rückschau wohl zu Gesicht.
Von diesem Podium herab ist zum Abbau des Numerus clausus erklärt worden, dies sei „Rattenfängerei”. Heute sagen selbst konservativ eingestimmte Professoren, daß dieser Prozeß an den Hochschulen nicht zu einem alles überwuchernden „Studentenberg" geführt habe, eher zu einem „Maulwurfshügel".
Im ganzen zeigt sich — und insofern ist die ätzende Kritik der Union ungerechtfertigt —, daß die Bundesrepublik in den vergangenen Jahren mehr als viele andere Industrieländer die Angebote für berufsqualifizierende Ausbildung — von den Lehrstellen über die Fachschulen bis zu den Hochschulen und Universitäten — vermehrt hat. Deutlich wird auch, daß überall dort, wo eine solche Entwicklung an konservativen Hürden gescheitert ist — das läßt sich an der Erfahrung einiger europäischer Länder ablesen—, Jugendarbeitslosigkeit zugenommen hat und in den 80er Jahren angesichts neuer Technologien Integrationsprobleme am Arbeitsmarkt zunehmen werden.
Bei allen — manchmal den einen oder den anderen
auch herausfordernden — Begleiterscheinungen einer solchen Expansion des Bildungswesens, eines
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solchen enormen Ausbaus der Bildungsinstitutionen darf man allerdings nicht aus den Augen verlieren, was es bedeutet, daß bei uns rund 60 bis 65% eines Jahrgangs eine berufsqualifizierende Ausbildung in der Berufsbildung oder in Fachschulen und rund 20 % eine Ausbildung an Fachhochschulen und Hochschulen erhalten. Das wird einem vollends deutlich, wenn man sich ein anderes Land vor Augen führt, in dem 701)/0 der Jugendlichen nach Verlassen der allgemeinbildenden Pflichtschulen kein berufsqualifizierendes Angebot mehr erhalten.
Deshalb bedrückt es mich — das will ich offen sagen —, daß mit denselben Tricks, mit demselben Gezerre, wie wir es in den vergangen Jahren bei der Öffnung des Bildungswesens und der Vermehrung der Bildungsangebote erlebt haben, nunmehr vorerst wiederum von der Union in der Bund-LänderKommission die Bildungsplanung für die 80er Jahre zu Fall gebracht worden ist. Die Fortschreibung des Bildungsgesamtplans für das neue Jahrzehnt wäre im Grunde genommen eine hervorragende Aufgabe der deutschen Politik gewesen. Sie könnte bedeuten, den Betroffenen — den Jugendlichen, den Eltern, den im Bildungswesen Tätigen — begründete Hoffnung darauf zu machen, daß angesichts eines enorm ausgebauten Bildungswesens und begrenzterer Jahrgangsstärken die Möglichkeit bestünde, von der Berufsausbildung bis hin zur Weiterbildung zu qualitativen, zu inhaltlichen Verbesserungen zu kommen. Daß diese große Chance in der Grauzone zwischen Bund und Ländern vertan worden ist, daß wir die 70er Jahre ohne einen Ausblick auf die großen Chancen und Hoffnungen des kommenden Jahrzehnts beschließen, empfinde ich, meine Damen und Herren, bedrückend.
Eine letzte Bemerkung zum Übergang aus dem Arbeitsleben in die Rente, also in die spätere soziale Sicherung: Wir haben in den 70er Jahren mit der Einführung der flexiblen Altersgrenze einen wichtigen Schritt getan. Aber meine Meinung ist: Dabei können wir nicht stehenbleiben.
Die Probleme haben heute an Gewicht und Bedeutung gewonnen. Das Zusammentreffen jüngerer und älterer geburtenstarker Jahrgänge im Arbeitsleben, die Auswirkungen der Mikroelektronik auf die Dienstleistungsberufe und auch die ständig wachsende Zahl älterer Arbeitsloser müssen uns veranlassen, einen Übergang aus dem Arbeitsleben in die soziale Sicherung zu finden, der gleitender, der flexibler, der sanfter, ja, der — so darf ich es nennen — menschlicher ist.
Damit meine ich, daß wir uns einer Politik zuwenden, die an die Stelle der wachsenden Gefahr der Arbeitslosigkeit im letzten Abschnitt des Arbeitslebens die Humanisierung der Arbeitsbedingungen setzt. Dazu ist — dessen bin ich mir wohl bewußt — ein Zusammenspiel von Tarifpolitik und Staatspolitik erforderlich.
Eine letzte Bemerkung, Kollege Blüm: Das mit dem Feuilleton erhalte ich aufrecht; denn so allgemein und so alle Ressentiments aus der Ecke kehrend und gegen die Arbeiterbewegung und ihre Forderungen wendend kann und darf man hier nicht auftreten, wenn man gleichzeitig meint, für die arbeitenden Menschen zu sprechen.
Um das deutlich zu machen und zur Sprache zu bringen, habe ich mich gemeldet.
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Frau Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Blüm, auf den Teil Ihrer Ausführungen, die ich mal als „Blümsche Märchenstunde" bezeichnen möchte,
will ich im Detail nicht eingehen. Aber ich möchte Ihren Vergleich der Parteien mit Konzernen aufgreifen, verehrter Herr Kollege Blüm, wobei mir deucht, daß, wenn die SPD ein Konzern ist, Sie einem Unternehmen angehören, das möglicherweise ein Großkonzern mit einem Vorstandsvorsitzenden ist, der weder den Betriebsrat hört noch Arbeitsdirektoren kennt.
Unter diesem Vergleich fühle ich mich als Vertreter eines selbständigen mittelständischen Unternehmens und hoffe, daß ich mit der gebührenden Seriösität auf einen Teil Ihrer Vorstellungen eingehen kann, wobei ich, mindestens was die Renten anbelangt, das Dialogangebot des Kollegen Rohde dankbar aufnehme.
Bevor ich dies tue, möchte ich aber zwei Feststellungen treffen, die einfach um der Korrektheit willen notwendig sind.
Erstens. Herr Kollege Höpfinger, Ihre Zwischenfrage in der Sache Mutterschaftsgeld — über diese Fragen wird sich der Kollege Eimer am Donnerstag noch im Detail äußern — läßt vermuten, wir hätten, wie Sie sagen, die Absicht gehabt, die Frauen sozusagen in zwei Gruppen einzuteilen. Ich möchte nochmals wie schon in der damaligen Debatte und wie auch Frau Ingrid Matthäus das sehr deutlich getan hat, hier klarmachen: Uns ging es um die Kinder, uns ging es darum, daß die berufstätigen Mütter bei ihren Kindern sein können. Wir waren der Meinung, das zur Verfügung gestellte Geld, 900 Millionen DM, wäre am besten eingesetzt worden, wenn die Mütter 750 DM bekommen hätten, statt allen, auch den nicht berufstätigen Müttern in gut verdienenden Familien, 300 DM zu geben und die Mütter dadurch zu zwingen weiterzuarbeiten. Denn die arbeiten, wie ich damals schon ausgeführt habe, nicht zum Vergnügen, sondern um ihren Familien einen angemessenen Lebensstandard zu vermitteln.
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Herr Kollege Blüm, auch Ihnen möchte ich — mit Ihrer Erlaubnis — eine kleine Nachhilfestunde erteilen. Der Preisindex, den Sie hier genannt haben, ist schlicht und ergreifend falsch.
— Der Vergleich mit den Rentnern. 4,5 % betrug die Rentensteigerung netto. Im Vergleichszeitraum lagen die Preissteigerungen knapp unter 4 %. Das ist weniger und nicht mehr. Lassen Sie sich dies bitte einmal, notfalls vom Arbeitsministerium, vorrechnen! Glauben Sie es mir. Um der intellektuellen Redlichkeit willen bitte ich, dies zu akzeptieren.
— Er will nicht? Das ist möglich. Aber das wollen wir nicht unterstellen. Nein, wir wollen ihm keine Boshaftigkeit unterstellen.
Beachtenswert ist aber in Ihren widersprüchlichen Feststellungen, daß Sie auf die Finanzierbarkeit dieses ganzen Systems unserer sozialen Leistungen nur am Rande eingegangen sind. Die Frage nach der Finanzierbarkeit unseres so viel gelobten sozialen Netzes stellen, heißt aber, den Zusammenhang zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik aufstellen. Gestatten Sie mir, hier ein Zitat des Grafen Lambsdorff zu bringen, der, wie ich meine, in hervorragender Weise diese Interdependenz aufgezeigt hat.
Eigentlich sollte es eine Banalität sein, — so hat er gesagt —
daß zwischen Wirtschaftlichem und Sozialem Interdependenzen bestehen. Daß es nicht ganz so banal ist, zeigt die tägliche Wirklichkeit. Trotz dieser Erkenntnis haben wir uns immer wieder gerade in den letzten Jahren mit Forderungen ohne Rücksicht auf wirtschaftlich Machbares auseinandersetzen müssen.
Bestes Beispiel: Sie heute.
Manche scheinen zu glauben, daß in der Sozialpolitik im Himmel gefüttert und auf Erden gemolken werden kann und daß jedenfalls Wirtschaftsunternehmen beliebig belastbar sind. Es gibt aber umgekehrt auch Wirtschaftler, die glauben, daß soziale Sicherung eigentlich ein Luxus sei, den man bei wachsendem Wohlstand immer weiter abbauen könne. Die Erkenntnis, daß nur in einer florierenden Wirtschaft auch eine gute Sozialpolitik betrieben werden kann, daß nur in einer florierenden Wirtschaft alle jene Leistungen finanziert werden können, die wir heute für notwendig und sinnvoll halten, diese Erkenntnis hat sich trotz ihrer Evidenz noch nicht überall durchgesetzt.
Wie Sie aus diesem Zitat des Grafen Lambsdorff sehen, ist, Herr Kollege Blüm, der Zusammenhang von Wirtschafts- und Sozialpolitik
für uns selbstverständliche Voraussetzung für unsere Überlegungen und Entscheidungen. Ihre übliche Behauptung „Laßt uns das einmal machen, dann
läuft der Karren, und wir können die wachsenden Ausgaben etwa auf dem Sektor Gesundheit ebenso bezahlen wie die bruttolohnbezogene Rentenanpassung" ist schlicht falsch.
Professor Biedenkopf hat in der ersten Lesung dieses Haushalts einige, wie ich meine, interessante Ausführungen über die Möglichkeit und den Sinn von Wachstum gemacht, Ausführungen, die ich in Ihr Gedächtnis zurückholen möchte.
Von dem in den letzten Jahren erreichten Wachstum
— so hat Professor Biedenkopf ausgeführt —
ist ein erheblicher Teil — ich glaube, 2 bis 2,5 % -- natürliches Wachstum, der Rest ist künstlich durch Staatsverschuldung, also auf Kosten der nächsten Generationen, angeregt worden, erzeugt worden.
Er hat also die Frage gestellt, wie wir es in Zukunft mit dem Wachstum halten wollen und welches Wachstum wir erreichen können. Die Antworten und Konsequenzen, die sich aus dieser Fragestellung ergeben, hat er nicht aufgezeigt. Wenn man sich in diesem Zusammenhang klar macht, daß wir — unbestritten — Rationalisierung und Modernisierung unserer Industrie brauchen, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer exportorientierten Wirtschaft zu erhalten und somit die notwendigen Arbeitsplätze zu sichern, dann muß man die Frage stellen dürfen: Welche Wachstumsrate brauchen wir denn eigentlich, um die Beschäftigung für unsere Arbeitswilligen und Arbeitsfähigen langfristig herzustellen? 4 oder 4,5 % Wachstum, so sagen uns die Wissenschaftler, seien für die Beschäftigung auf dem jetzigen Niveau erforderlich.
Sie, Herr Kollege Blüm, haben an anderer Stelle eine andere Antwort auf diese Wachstumsfrage gegeben: Arbeitszeitverkürzung, Sabbat-Jahr, so war es in der „Wirtschaftswoche" zu lesen. Die Finanzierung unserer Sozialetats, Herr Kollege Blüm, und anderer Verpflichtungen, z. B. der Entwicklungshilfe, ist aber nach meiner Überzeugung nicht mit weniger Arbeit, mit weniger Beschäftigten, mit weniger Arbeitszeit und damit mit weniger Sozialbeiträgen zu erreichen. Stabile Sozialbeiträge sind bei wachsenden Ausgaben und Leistungen für unsere Sozialversicherungsträger nicht zu erhalten. Dies ist unmöglich, das ist die Quadratur des Kreises; dies ist nicht seriös. Dies ist eine politische Forderung, die nicht gerechtfertigt ist und die nicht einmal christdemokratische Sozialausschuß-Optimisten erfüllen können.
Lassen Sie mich in dem Zusammenhang auf eine Bemerkung des Ministerpräsidenten Strauß eingehen, die er heute morgen hier gemacht hat. Er hat erklärt, daß die Sozialbeiträge, die Leistungen für die Sozialversicherungen, der Staatsquote zuzurechnen seien. Ich halte dies für schlicht und ergreifend falsch. Beiträge zur Sozialversicherung dürfen der Staatsquote nicht zugerechnet werden. Für sie erhält man Ansprüche, die nach unserer Vorstellung Eigentumswert haben, wie das z. B. auch bei den Renten der Fall ist. Deswegen ist es intellektuell un-
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redlich, unzulässig, dies der Staatsquote zuzurechnen.
Dies wäre der erste Schritt zu einer von uns nicht gewünschten Staatsversicherung, Staatsrente.
Wer wie ich beklagt, daß dem einzelnen Arbeitnehmer vom erarbeiteten Brutto netto zu wenig übrigbleibt — auch Sie taten dies hier heute, Herr Blüm —, muß auf die Belastungen durch die Sozialbeiträge hinweisen. Soziale Gerechtigkeit müssen wir auch für diejenigen erhalten, die die Beiträge zahlen und erwirtschaften, nämlich für die aktiv Tätigen. Zu hohe Belastungen durch Beiträge zur Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung schränken das frei verfügbare Einkommen der Aktiven ein, beschränken die individuelle Freiheit. Es muß in diesem Zusammenhang erlaubt sein, daran zu erinnern, daß die letzten massiven Einschränkungen der Freiheit durch Beitragserhöhungen in der Rentenversicherung von einer Regierung beschlossen worden sind, in der Franz Josef Strauß, der jetzige Kanzlerkandidat der Union, Finanzminister war. Die Rentenversicherungsbeiträge wurden zu jener Zeit von 14 auf 18 % erhöht,
Nicht zuletzt das Bemühen um Beitragsstabilität war Grundlage unserer Überlegungen hinsichtlich einer langfristigen Konsolidierung unseres Rentensystems, die in den 32 Thesen der Liberalen zur Alterssicherung in Bremen niedergelegt worden sind. Wer über die Vorschläge der FDP zur Rentenpolitik so diskutiert, wie Sie das gelegentlich tun, muß sich vorhalten lassen, daß dies unseriös ist.
Vordergründig verspricht es natürlich Erfolg, vor der Wahl uneingeschränkt bruttolohnbezogene Rentenerhöhungen zu versprechen und erst nach der Wahl über die Finanzierung nachzudenken. Wir Freien Demokraten geben der Renten- und Beitragsehrlichkeit den Vorzug. Wir sagen vor dieser Wahl klipp und klar: Wegen des verlangsamten Wirtschaftswachstums und wegen unserer Bevölkerungsentwicklung ist nach unserer Auffassung eine Bruttoanpassungsautomatik nicht mehr durchzuhalten.
Wir sind für die gleichberechtigte Teilhabe von Rentnern und Arbeitnehmern am allgemeinen Einkommenszuwachs. Das ist sachgemäß, das ist vernünftig, und das ist ehrlich.
Wir brauchen auch keine Rentenbesteuerung mit schwer lösbaren Steuer- und Finanzverfassungsproblemen. Eine steuerrechtliche Korrektur der Bruttoanpassung würde die Abhängigkeit der Rentenversicherung vom Staatshaushalt vergrößern. Das kann nach unserer Auffassung nicht im Interesse der Rentner liegen. Wir möchten eine durch Beiträge finanzierte Rentenversicherung und keine Staatsrenten. Wir werden uns nachhaltig hierfür einsetzen.
Wir flüchten auch nicht verschämt und versteckt wie die CDU/CSU zu dem Kunstgriff, Abzüge von den Bruttorenten als sogenannten Krankenkassenbeitrag der Rentner zu deklarieren, einen Krankenkassenbeitrag, von dem die Krankenversicherungen im übrigen keinen Pfennig erhalten, wie ich soeben durch meine Zwischenfrage schon deutlich machte.
Nun weist die CDU, angeführt von ihrem Generalsekretär, aber auch von Ihnen, Herr Kollege Höpfinger, auf die Sozialkomponente beim sogenannten Krankenkassenbeitrag der Union hin. Danach soll für die Rentner mit niedriger Rente eine Freigrenze bei diesem Krankenkassenbeitrag eingeführt werden. Die Freigrenze bedeutet aber im praktischen Ergebnis: Rentner mit geringeren Beitragsleistungen erhalten einen höheren Rentenanpassungssatz.
Ich habe Verständnis dafür, daß man dies politisch will. Man muß aber dann ehrlich sagen, Herr Kollege Blüm — und das haben Sie eben vermissen lassen —, daß dies im Ergebnis Rentennivellierung ist. Wir Freien Demokraten wollen keine Rentennivellierung. Nach unserer Auffassung richtet sich der Rentenanspruch in unserem bestehenden Rentensystem, dem Umlagesystem, auf Zahlung eines bestimmten Anteils vom jeweiligen Beitragsaufkommen. Dieser Anteil soll ausschließlich durch die Höhe und die Dauer der Beitragsleistung, aber nicht durch irgendwelche Sozialkomponenten bestimmt werden. So haben wir es in unseren Thesen zur Alterssicherung beschlossen. Wir wollen offen und ehrlich und fair mit Ihnen allen auf beiden Seiten des Hauses diskutieren.
Wir halten es aber für zutiefst unredlich, wie die Union das Leistungsprinzip in der Rentenversicherung zu beschwören und tatsächlich mit konkreten Vorstellungen nichts anderes als Rentennivellierung zu betreiben. Ich darf in diesem Zusammenhang den Kollegen Franke von der CDU/CSU-Fraktion zitieren, der am 29. November folgendes erklärte:
Es wird deutlich, daß die SPD eine Nivellierung der Renten über stärkere Anpassung der niedrigeren Renten und Besteuerung der hohen Renten anstrebt. Die Leistungsbezogenheit der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung würde damit aufgegeben.
So Kollege Franke. Soweit, gut.
Aber hier drängt sich doch der Schluß auf: Wenn die SPD höhere Renten anders behandeln will, ist das Nivellierung und ist aus Ihrer Sicht abzulehnen. Wenn die Unionsparteien mit anderen Methoden, aber im Ergebnis das gleiche tun, ist dies keine Nivellierung, sondern das wird hübsch als Sozialkomponente verkauft.
Und dies halte ich nun einmal für unredlich.
Herr Kollege Höpfinger, ich befürchte, mit dem Krankenkassenbeitrag der Rentner sind Sie den Minnesängern und Troubadouren — um einen Ausdruck Ihres Parteivorsitzenden Strauß aufzugreifen-
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der CDU auf den Leim gekrochen. Bei der Partnerrente haben Sie zwar richtig erkannt, daß der CDU- Vorschlag von 1975 utopisch ist. Sie sollten sich aber auch bei der Rentenanpassung gelegentlich Orientierungshilfen bei uns holen. Das würde mindestens Ihre politische Glaubwürdigkeit ein wenig erhöhen.
In den 60er Jahren waren Sie nicht in der Lage, die von den Gesellschaftspolitikern betriebene Expansion der Sozialausgaben mit den wirtschaftlichen Realitäten in Einklang zu bringen. Eine Folge dieses Fiaskos ist, daß Sie eine Koalition mit den Sozialdemokraten eingegangen sind. Dabei haben Sie die Versicherungspflichtgrenze in der Renten- und Arbeitslosenversicherung aufgehoben und alle Arbeitnehmer in die Versicherungspflicht einbezogen, den Rentenversicherungsbeitrag von 14 auf 18 % erhöht, die arbeitsrechtliche Lohnfortzahlung eingeführt und dadurch die Klein- und Mittelbetriebe ganz besonders belastet und das Sachleistungssystem der Krankenversicherung mit seiner Nivellierung weiter verfestigt.
Ich werfe den Sozialdemokraten von hier aus nicht vor, daß sie sozialdemokratische Politik machen. Nur haben Sie, die Unionsparteien, diese Politik mitgemacht, ermöglicht, und zwar in einer Koalitionsregierung, in der der Kanzler von der Union gestellt wurde, der Arbeitsminister und der Finanzminister der Union angehört haben. Sie wissen, daß nun jener Finanzminister Ihr neuer Kanzlerkandidat ist. Diese verfehlte Weichenstellung in der Gesellschaftspolitik ist möglicherweise nicht widerrufbar. Mit diesen Fehlentscheidungen haben Sie aber, welche Ironie des Schicksals, Hindernisse aus dem Weg geräumt, die einer Zusammenarbeit von Freien Demokraten und Sozialdemokraten in der Gesellschaftspolitik bis dahin entgegenstanden, weil Sie eben lieber Strategiekommissionen bilden, als wirklich langfristig strategisch zu handeln.
Dies alles hat dazu geführt, daß Sie nun seit 1969 in der Opposition sitzen. Man sollte meinen, daß das Ursache gewesen wäre, ein wenig dazuzulernen. Dies war aber, wenn man die Ausführungen des Kollegen Blüm hier heute gehört hat, überhaupt nicht der Fall, jedenfalls nicht auf dem Gebiet, das er hier angesprochen hat, nämlich dem der Gesellschaftspolitik. Sie haben sich darauf beschränkt, die Gesetzesvorlagen der Koalition als unzureichend zu kritisieren und durch kostentreibende Änderungsanträge zu überbieten. Beispielhaft möchte ich hier nur folgendes erwähnen: Ihre unredliche Kampagne in der Rentenpolitik, von der Sie eben wiederum ein Musterbeispiel geliefert haben, Ihre Forderung zum Bildungsurlaub, Ihre Forderung zur Zwangsdynamisierung der betrieblichen Altersversorgung, Ihre Forderung zur Erhöhung von Arbeitslosengeld, Sozialhilfe und Kindergeld.
1975, auf dem Höhepunkt der Rezession, propagierte die CDU die neue soziale Frage mit Milliardenkosten, die Einführung von Erziehungsgeld und Partnerrente. Die CSU, als selbsternannte Vorkämpferin gegen den Sozialismus, steht dem in überhaupt nichts nach. Ich nenne in diesem Zusammenhang den Änderungsantrag der CSU zum Kostendämpfungsgesetz, mit dem die Versicherungspflichtgrenze der Krankenversicherung zu Lasten des gegliederten Systems und der Wahlfreiheit der Bürger heraufgesetzt werden sollte. Ich nenne in diesem Zusammenhang den unglaublichen Gesetzesvorschlag, den die CSU im Bundesrat eingebracht hat, nämlich den Entwiirf zur Änderung des Maschinenschutzgesetzes, durch den über 300000 Einzelhandelsbetriebe in diesem Lande der staatlichen Uberwachung unterzogen werden sollten. Wenn ich dieses Musterbeispiel an Bürokratisierung draußen in Versammlungen darlege, dann glaubt mir niemand, daß dies ein Vorschlag der bayerischen Landesregierung gewesen ist. Ich kann nur wiederholen: Es ist in der Tat so und nicht anders gewesen.
Ober Ihre verfehlte Rentenpolitik habe ich schon gesprochen. Beide, CDU und CSU, haben bis heute nicht den Mut, von ihrer Rentenpolitik der Illusionen Abschied zu nehmen. Sie sind nach wie vor nichts anderes als bruttolohnbezogene Anpassungsfetischisten.
Mein guter Rat an Sie, Herr Kollege Blüm: Pilgern Sie doch einmal nach Frankfurt zu Professor von Nell-Breuning; nicht um dort zu beichten, sondern vielleicht um dort Exerzitien abzuleisten, um sich dort einmal von Professor von Nell-Breuning sagen zu lassen, was er zu diesem Fragenkomplex denkt. Ich darf an die Frage erinnern, damit ich keinen Fehler begehe, die Professor von Nell-Breuning am 22. September 1979 im WDR beantwortet hat. Die Frage lautete: In welcher Richtung würden Sie die Weichen stellen, was die Renten angeht? Darauf Professor von Nell-Breuning: „Ich würde ganz eindeutig dafür eintreten, daß das Geschwätz von bruttolohnbezogenen Renten endlich mal aufhört. Mal ganz ehrlich und klar gesagt, mit bruttolohnbezogener Rente kann man nur das System ruinieren, aber nicht dem Rentenbezieher helfen." Herr Professor von Nell-Breuning wird ja wohl als Kronzeuge für eine sinnvolle Politik erlaubt sein. Ich empfehle Ihnen diesen Nachhilfeunterricht sehr gerne.
Ihre angeblichen politischen Alternativen zu den Konsolidierungsmaßnahmen des 21. Rentenanpassungsgesetzes hätten bereits in diesem Jahr eine Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge erfordert, was mit zusätzlichen Risiken für Arbeitsplätze, Stabilität und damit für das notwendige Wachstum verbunden gewesen wäre. Die Sachverständigenanhörung zum 21. Rentenanpassungsgesetz hat das eindrucksvoll bestätigt. Sie sollten in dieser Frage wirklich nicht nachkarten; es kann sich nicht zu Ihrem Vorteil auswirken.
Wir Freien Demokraten haben zusammen mit der SPD-Fraktion gegen den Widerstand der Union eine Sozialpolitik durchgesetzt, die den wirtschaftlichen Notwendigkeiten Rechnung trägt. Wir reden nicht von der Einheit von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, wir praktizieren sie. Die Union ist offensichtlich nicht dazu in der Lage und wohl auch nicht gewillt, solches zu tun, jedenfalls nicht, Herr Kollege Blüm, nach dem Anschauungsunterricht, den Sie uns heute hier in diesem Hause geboten haben; er lief unter dem Motto: Das Richtige, was Sie gesagt
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haben, schnell widerrufen, das Neue, was Sie gesagt haben, war falsch.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Marx.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Am Vorabend der Entscheidung in Brüssel hat eine Reihe Kollegen der Regierungskoalition — z. B. Sie, Herr Kollege Mischnick — wiederholt Fragen an uns gerichtet, wie wir eigentlich zu dem Thema der Nachrüstung in der NATO stünden und wie wir die Vorschläge zu Abrüstungsverhandlungen oder einer Abrüstungskonferenz aufnähmen.
Ich möchte in aller Kürze darauf antworten, obwohl ich mich, Herr Kollege Mischnick, ein wenig darüber wundere. Denn im Gegensatz zu anderen Fraktionen in diesem Hause können Sie bei uns doch davon ausgehen, daß wir vom ersten Tage an hinsichtlich der Verteidigungsfähigkeit, hinsichtlich der Bereitstellung eigener Truppen und Waffen, hinsichtlich unserer eigenen Bündnispolitik ohne Schwanken eine klare Linie durchgehalten haben. Gehen Sie bitte davon aus, daß diese Linie auch heute unsere Überlegungen leitet. Wir haben — der Herr Kollege Barzel hat es zu Beginn seiner Rede getan — der Regierung für die morgigen Verhandlungen, die, wenn wir in andere NATO-Länder sehen, ja einigermaßen diffizil sein werden, Erfolg gewünscht, nicht daß allein die Regierung einen Erfolg hat, sondern einen Erfolg für uns alle, für das gemeinsame Bündnis, daß wir nämlich in der Lage sein werden, die notwendigen Nachrüstungen in Europa auch tatsächlich durchzuführen.
Meine Damen und Herren, es war und ist die Politik der Union, darauf hinzuwirken, daß das militärische Gleichgewicht in Europa gehalten oder, wenn sich, wie es gegenwärtig der Fall ist, dieses Gleichgewicht zum Nachteil des Westens verändert hat, wiederhergestellt wird. Deshalb werden wir natürlich jetzt auch, wenn wir aufgefordert sind, versuchen, in aller Kürze die Frage zu beantworten: Warum ist eigentlich Nachrüstung notwendig?
Der Bundesverteidigungsminister hat ja bei einer bestimmten Gelegenheit erklärt — wir kennen das alle —, wir hätten hinsichtlich der Fähigkeit, Waffen, die jetzt produziert werden sollen, nach Europa zu bringen, eine gewisse Lücke, eine Hungerstrecke zu überwinden. ;,Hungerstrecke" ist mein Ausdruck. Lassen Sie mich bitte, Herr Verteidigungsminister, doch auch die Frage stellen — und ich wäre dankbar, daß Sie sie beantworten, wenn Sie nachher sprechen —: Was ist eigentlich diese Lücke? Wer trägt die Verantwortung dafür, daß es diese Lücke in der westlichen Verteidigungsbereitschaft gibt? Wer hat untätig seit 1973 zugesehen, daß z. B. neue Raketenwaffen, Raketen ohne Beispiel, von großer Fähigkeit, die das Gleichgewicht in Europa bedeutend verändert haben, eingeführt werden? Wer hat eigentlich auf Anträge, auf Bemerkungen meiner Fraktion, auf Forderungen, doch darauf zu achten, und dieses sehr zerbrechliche Gleichgewicht nicht kaputtgehen zu lassen, immer wieder geantwortet, dies sei eben typisch CDU/CSU, die immer nur darauf bedacht sei, bei uns selbst weiter und weiter zu rüsten? Wer hat uns immer wieder vorgeworfen, wir seien eigentlich isoliert, in keinem anderen NATO-Land denke man daran, Nachrüstungen vorzunehmen?
Jetzt hören wir seit etwa einem Jahr von vielen Stellen der NATO, aus den NATO-Staaten selbst, sorgenvolle Stimmen, die auf das wachsende Übergewicht des Ostens hinweisen und die mahnen, man sollte endlich aus vielen Träumen und Hoffnungen — falschen Hoffnungen, wie ich sage — erwachen und dafür sorgen, daß der Westen das Notwendige zu seiner eigenen Verteidigung tut.
Ich muß hier, meine Damen und Herren, für die Union sagen, daß die Verantwortung für die Lücke, die festgestellt wird, der Bundesregierung zuzumessen ist. Sie hat, obwohl sie die Dinge ja noch besser kennen muß als die Opposition, bisher in all den Jahren nicht für die Erfüllung der zusätzlichen notwendigen militärischen Aufgaben gesorgt, sondern. sie verharrte unter der Überschrift „Stört uns die Entspannungspolitik nicht!" in der Fiktion, daß beide Seiten unter Entspannung das gleiche verstünden.
— Herr Löffler, damit das klar ist: Wir müssen uns darüber sicher noch weiter unterhalten. Wenn wir, der Westen, von Entspannung gesprochen haben, dann haben wir tatsächlich immer eine Minderung der Spannungsursachen gemeint und gewollt. Aber Sie können nicht abstreiten, daß wir, die Union, zur gleichen Zeit darauf hingewiesen haben, daß die Sowjetunion die Formulierung „Entspannung" immer ganz anders versteht, nämlich als eine neue Möglichkeit, einen weiten Schritt in Richtung auf die Erreichung ihrer eigenen Ziele zu machen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jung?
Frau Präsidentin, ich mache das immer gern, besonders, da der Herr Kollege Jung fast mein pfälzischer Nachbar ist.
Herr Kollege Marx, wegen Ihres Vorwurfs darf ich Sie doch fragen, ob Sie vergessen haben, daß die ausschließliche Verfügungsgewalt über nukleare Systeme, insbesondere über diese nuklearen strategischen Systeme, ausschließlich bei den Vereinigten Staaten liegt und liegen wird und dies gilt auch für die morgige Entscheidung; denn wir haben ja feierlich auf die Produktion und auf den Besitz solcher Waffen verzichtet. Oder darf ich nach Ihren Äußerungen unterstellen, daß ein Sinneswandel stattgefunden hat?
Lieber Herr Kollege Jung, Sie dürfen so etwas natürlich nicht unterstellen. Auf Ihre erste Frage möchte ich klar antworten: Nichts
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Dr. Marx
von alledem haben wir vergessen. Wir denken auch gar nicht daran, das zu ändern. Wir haben der Regierung, die von Ihnen getragen wird, vorzuwerfen, daß sie bei dem bedeutenden Einfluß, den sie nach Ihren eigenen Angaben in der NATO hat, die notwendigen politischen Maßnahmen nicht angeregt hat. Es ist immer wieder gesagt worden, daß wir an der vorderen Linie die Probleme am besten sähen und das, was für unsere eigene Sicherheit, zur Wahrung des Friedens am notwendigsten ist, am besten kennten.
Deshalb habe ich den Vorwurf erhoben und bleibe dabei, daß die Regierung das Notwendige in den letzten Jahren nicht getan hat, daß sie es jetzt sehr spät tut. Wir unterstützen sie trotzdem. Aber wir lassen uns natürlich die Kritik hinsichtlich der Untätigkeit in der letzten Zeit nicht nehmen.
Herr Kollege Jung, wir werden das Thema noch einmal, so denke ich, vielleicht auch am Freitag, diskutieren. Lassen Sie mir die ohnehin zusammengeschrumpfte Zeit. Ich möchte noch eine Reihe anderer Ausführungen machen.
Ich darf mich noch einmal dem Kollegen Löffler zuwenden — ich war noch gar nicht fertig — und sagen: Niemand unter uns sollte vergessen, daß in jener Zeit, die man als „Zeit der Entspannung" bezeichnet, die Sowjetunion diese besondere Hochrüstung betrieben hat und daß die Formulierung „Entspannung" als ein Element der Täuschung und der Einlullung der westlichen Welt verwendet worden ist.
Wir haben leider bei vielen feststellen müsen, daß sie in ihrem eigenen Denken hofften, diese Entspannung sei bereits Wirklichkeit, und sie sich dadurch entsprechend verhalten haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte eine weitere Bemerkung anfügen. Die Bundesregierung hat immer gesagt, daß sich durch ihre Politik der Verträge die Politik der guten Nachbarschaft, die Verhältnisse zu den Staaten Ost-Mitteleuropas und das Verhältnis zur Sowjetunion kontinuierlich verbessert hätten. Wenn ich mir den Besuch des sowjetischen Außenministers in Bonn genau ansehe, kann ich der These, es sei eine Verbesserung des Verhältnisses eingetreten, nicht zustimmen, sondern ich kann den sowjetischen Außenminister nur zitieren, der bei seiner Tischrede anläßlich eines Abendessens, zu dem Herr Genscher eingeladen hatte, ausdrücklich darauf hinwies, daß es in wichtigen Fragen zwischen der sowjetischen und der bundesdeutschen Position wichtige Unterschiede und nicht nur Unterschiede, sondern auch Gegensätzlichkeiten gebe.
Es ist mir gerade eine dpa-Meldung auf den Tisch gekommen, die TASS von heute mittag zitiert. In dieser Meldung gibt sich die sowjetische Seite nach altbekanntem Schema noch einmal Mühe — das war früher bei internationalen Verhandlungen, wenn bestimmte Beschlüsse bevorstanden, immer der Fall —, am Vorabend der Brüsseler Konferenz wiederum darauf hinzuweisen, daß eine Grundlage für weitere Gespräche nicht bestehen würde.
Deshalb, Herr Kollege Mischnick, gebe ich Ihnen meine Antwort auf die Frage: Wie haltet Ihr von der CDU/CSU es eigentlich hinsichtlich der Vorschläge für Abrüstungsgespräche? Ich muß diese Frage noch einmal beantworten, obwohl wir sie schon sehr oft beantwortet haben. Wir haben immer gesagt: Wenn die Voraussetzung der Verteidigungsfähigkeit gegeben ist, sind wir bereit, das Unsere dazu beizutragen, um in sorgfältigen Diskussionen, in klar umgrenzten Abrüstungsgesprächen dafür zu sorgen, daß eine beiderseitige kontrollierte Abrüstung möglich ist,
und zwar eine Abrüstung auf der Grundlage — wie Sie wissen, gibt es darüber eine Reihe Studien — der gegenwärtigen militärischen Machtverhältnisse in Ost und West. Deshalb haben wir auch immer, z. B. was MBFR anlangt, ermuntert, die Sache zäh zu machen, Geduld zu haben, bis man sich z. B. in der Frage der Zahl der Truppen geeinigt hat, denn wir können nicht bereit sein — wir werden die Bundesregierung unterstützen, wenn auch sie nicht bereit ist —, uns darauf einzulassen, daß die sowjetische Seite 150 000 oder 160 000 Mann einfach unter den Tisch fallen läßt und uns zumutet — steter Tropfen ihrer Propaganda höhlt den Stein — eines Tages ihre Zahlen als die richtigen, wahren Zahlen zu schlucken, um auf dieser Grundlage dann eine Abrüstung miteinander zu vereinbaren, die allemal ein großer Nachteil des Westens sein würde.
Lassen Sie mich ein zweites sagen. Ich bin ganz davon überzeugt, daß es morgen, in den nächsten Tagen und auch in den nächsten Wochen und Monaten eine wichtige Aufgabe sein wird, diesen Gedanken festzuhalten und nicht jenen Leuten nach dem Mund zu reden oder sich mit ihren Thesen abzufinden, die wir z. B. jetzt beim Parteitag der SPD ja nicht in geringer Zahl gehört haben und die der Meinung waren, man könne den Amerikanern zumuten, zunächst einmal — —
— Nein, aber wir haben den Nachteil, Herr Kollege Löffler, nicht den Vorteil, gelesen zu haben, was an vielen absurden Gedanken von Ihnen dort vorgetragen worden ist.
Wenn Sie hinterher Formelkompromisse zum Gegenstand gemeinsamer Abstimmungen machen, sehen wir, daß Sie nicht mehr an die Sache, sondern nur an ein einziges gedacht haben, nämlich wie Sie bei der nächsten Bundestagswahl die Wahlen gewinnen können.
— Herr Kollege Horn, wissen Sie, ich habe Ihrem Fraktionsvorsitzenden die Steigerung von „Quatsch" zu verdanken, nämlich Quatsch und Quätscher. Deshalb gebe ich Ihnen diesen Zuruf so zurück.
Meine Damen und Herrn, wir sollten denen nicht zustimmen, die erklären: Wir sind jetzt bereit, den Amerikanern zu sagen: „Produziert die Waffen.
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Dr. Marx
Wenn die Waffen produziert sind, dann werden wir eines Tages eine neue Konferenz einberufen. Die lassen wir dann so lange laufen, bis wir sehen, ob wir nicht doch Chancen haben, uns mit der sowjetischen Seite zu einigen. Wir werden erst darnach bereit sein, Waffen in Europa zu stationieren."
Ich vermute, daß die sowjetische Propaganda ohnehin weitergehen wird, und daß man eines Tages neue Verhandlungsangebote macht, aber unter der Überschrift der mittlerweile für den Westen noch weiter negativ veränderten militärischen Situation in Europa. Wenn es stimmt, was uns auch von der Regierung mitgeteilt wird, daß — bleiben wir mal bei der SS-20 — von diesem Waffensystem in fünf Wochen vier Raketen hergestellt werden, etwa jeden zweiten bis dritten Tag ein Atomkopf, daß innerhalb von zwei Monaten ein System, das die Raketen verschießt, hergestellt wird, und wir rechnen dies weiter hoch — denn die Sowjetunion hat nirgendwo ein Anzeichen hinterlassen, daß sie bereit sei, jetzt sozusagen als ein Beispiel, als ein Zeichen für ihre eigene Abrüstungsbereitschaft die Produktion der SS-20 einzustellen —, dann werden wir etwa im Jahre 1982 eine so formidable Überlegenheit der sowjetischen Seite haben, daß sie mit ruhigem Rücken sagen kann: „Jetzt, auf dieser neu erreichten Grundlage, sind wir bereit, mit euch zu verhandeln." Dann werden die Europäer nicht in der Lage sein, die US-Waffensysteme nach Europa zu holen. Jene Überlegenheit, die heute schon eine Erpressungs- und Drohkulisse aufzubauen in der Lage ist, wird dann noch stärker sein, und das Gefühl, einer solchen Erpressung ausgeliefert zu sein, wird weiterhin wachsen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch zu zwei anderen Themen kurz äußern. Ich möchte, da heute der amerikanische Außenminister Vance in Bonn ist und Bundeskanzler und Außenminister aus diesen Gründen nicht da sein können, sehr wünschen, daß im Zusammenhang mit den schrecklichen, irritierenden und erschütternden Ereignissen im Iran in unserem eigenen Land unsere Bereitschaft, an der Seite unseres amerikanischen Bündnispartners zu stehen, deutlicher, stärker und auch ehrlicher als bisher gemacht wird.
Es wird der Tag kommen, wenn die gegenwärtigen Wirrnisse vorbei sind, da die Amerikaner fragen werden: „Wer hat eigentlich in Augenblicken, in denen wir sehr bedrängt waren, in denen wir vieles tun mußten, um das Leben der Geiseln zu retten, von unseren Bündnispartnern in Europa wirklich an unserer Seite gestanden?" Es geht dabei nicht nur darum, Telefongespräche zu führen; das halte ich für selbstverständlich. Es geht nicht nur darum, daß jeder von uns seine eigenen Bekannten und Freunde in Amerika anspricht und ihnen, soweit er das vermag, den Eindruck vermittelt, daß eine Bündnispartnerschaft nicht eine Einbahnstraße ist, sondern es geht darum, daß man dies auch unserer eigenen Offentlichkeit sagt.
Ich beklage sehr — Herr Löffler, ich komme schon wieder darauf zurück —, daß beim SPD-Parteitag Stimmen — wenn das auch nicht Leute von besonderem politischem Kaliber waren, aber immerhin — laut geworden sind, die einen latent vorhandenen Antiamerikanismus pflegten und die eine antiamerikanische Stimmung zu verbreiten suchten.
Der Bundeskanzler hat sich dem entgegengesetzt, was ich zur Steuer der Wahrheit sagen will. Aber er kann nicht überdecken, daß die Leute, die dort so gesprochen haben, nicht nur aus seiner Partei kommen, sondern Beifall bekommen haben und daß sie eine Situation benutzten, die für uns alle höchst gefährlich sein kann.
Deshalb möchte ich noch einmal sagen dürfen: Unsere Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten ist eine Sache von vitaler Priorität. Wie können wir erwarten, daß die Amerikaner in Europa sind und bleiben, daß die Amerikaner die Bundesrepublik Deutschland verteidigen, daß sie weiter in Berlin stehen und daß sie ihr gegebenes Wort einlösen, wenn sie den Eindruck haben müssen, sie verteidigen europäische Verbündete, die ihrerseits aber schamhaft den Kopf zur Seite rücken, wenn es darum geht, zunächst überhaupt nur einmal verbal und dann vielleicht auch mit der einen oder anderen Maßnahme zu reagieren und Solidarität deutlich zu machen?
Lassen Sie mich ein drittes Thema, weil am späten Abend eines Debattentages nicht eine umfangreiche außenpolitische Aussprache geführt werden kann, noch kurz ansprechen.
Der Bundeskanzler fährt zu Herrn Honnecker. Wenn der Bundeskanzler vorhat, bei Herrn Honnecker unsere Meinung über die Politik der DDR, über die Abkapselung nach außen und die Abtötung des freien Wortes nach innen zu sagen, so ermuntern wir ihn zu fahren. Herr Barzel hat ihm heute schon sozusagen einiges ins Reisegepäck gegeben; der Bundeskanzler hat sehr kulant geantwortet, er versuche, über alle diese Dinge zu sprechen. Dann denke ich aber auch daran, daß er mit einem Mann redet, der vor kurzem in Äthiopien und im Süd-Jemen war.
Wenn Sie sich bitte die Ausschnitte des „Neuen Deutschland" oder die Rundfunkkommentare oder die direkten Berichte der „Stimme der DDR" — wie das Ding heißt — angehört haben, dann werden Sie festgestellt haben, daß die alte Formel, von deutschem Boden — Herr Kollege Barzel, ich nehme das noch einmal auf — darf kein Krieg mehr ausgehen, offensichtlich von Herrn Honnecker nicht nur nicht ernst genommen, sondern gar durch Handlung und Tat verneint wird.
Unser Vorschlag, unsere Bitte, unsere Forderung an den Bundeskanzler aber ist, daß er sich alle Mühe gibt, seinem DDR-Gesprächspartner klarzumachen, wie schändlich es in der ganzen Welt wirkt, wenn erneut von einem totalitären deutschen Staat der deutsche Name mit Krieg und Bürgerkrieg befleckt wird, und was es bedeutet, daß heute wieder
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Dr. Marx
7 000 bis 8 000 Soldaten aus der DDR an der Seite von etwa 48 000 Kubanern, an der Seite von etwa 5 000 Russen in etwa 18 afrikanischen Staaten die Polizei ausbilden, an Waffen und Gerät ausbilden, in der Einrichtung von Konzentrationslagern und leider auch ausbilden im Foltern — und sich sogar selbst daran beteiligen.
Meine Damen und Herren, wenn ich das sagen darf: Mir ist das sehr ernst; denn das Thema, von deutschem Boden darf kein Krieg mehr ausgehen, kann ja nicht nur der Boden der Bundesrepublik Deutschland sein! Das ist der Boden des ganzen Deutschlands!
Deshalb ist es eine heilige Pflicht von uns selbst, darauf hinzuwirken, daß der Name unseres Landes, bei dem wir uns, alle auf allen Seiten dieses Hauses, Mühe gegeben haben, ihn Stück um Stück durch demokratisches, rechtsstaatliches Handeln von den entsetzlichen Verzerrungen zu reinigen, der Name Deutschland und der Name Deutsche nicht wieder aufs Neue befleckt werden.
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung — Frau Präsidentin, wenn ich die eine Minute noch haben darf — zu den Ausführungen, die der Bundesaußenminister heute hinsichtlich der Entwicklung im südlichen Afrika brachte, machen.
Meine Fraktion — damit es darüber keine Täuschung gibt! — hat begrüßt und begrüßt die Ergebnisse der Commonwealth-Konferenz in Lusaka. Wir haben gesehen, daß die konservative Regierung dort etwas zustande brachte, weil sie Phantasie hatte, weil sie über politische Möglichkeiten verfügt, die ihre Vorgängerin, nämlich die Labour-Party unter Herrn Callaghan, nicht hatte.
Wir haben ebenfalls die London-Konferenz begrüßt. Wir haben mit großer Genauigkeit betrachtet, was sich dort in den letzten Wochen abgespielt hat. Wir hoffen nur sehr, daß es dem diplomatischen Geschick von Maggi Thatcher und von Außenminister Carrington gelingt, wirklich friedliche Entwicklungen einzuleiten, und daß nach der internen Wahl, von der viele sich überzeugt haben, daß es eine faire und eine freie Wahl gewesen war,
eine zweite Wahl stattfinden wird, die auch dieses Land in friedliche Zeiten führen wird. Dann ist es natürlich auch unsere Aufgabe, einer solchen Entwicklung durch eine konkrete, projektgerichtete Entwicklungspolitik aufzuhelfen.
Meine Damen und Herren, ich denke, wir werden zu Beginn des nächsten Jahres — und wir warten noch auf die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zur Afrika-Politik — die Gelegenheit haben, zu diesem Thema auf der Grundlage vieler anderer Überlegungen miteinander zu diskutieren, wobei ich mir wünsche, daß das Hohe Haus einem so wichtigen Thema gegenüber ebensoviel Aufmerksamkeit wie heute bei der Debatte um den Haushalt unseres Landes zeigt.
Den Hauhalt des Auswärtigen Amtes, meine Damen und Herren, wird die Opposition ablehnen.
Meine Damen und Herren, ich darf vielleicht einmal auf die Geschäftslage hinweisen. Es gibt noch eine Reihe von Rednern.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Geschäftsordnung verweisen. Vielleicht wäre es möglich, daß sich die nächsten Redner an den § 39 halten, der 15 Minuten Redezeit vorschreibt. Ich wäre sehr dankbar, wenn die nächsten Redner sich daran hielten.
Herr Dr. Corterier, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte gehofft, der letzte Redner zu sein. Da dies offensichtlich nicht der Fall ist, möchte ich natürlich um so lieber diesem Hinweis entsprechen und mich darauf beschränken, einige Antworten auf Ihre Ausführungen, Herr Kollege Marx, zu geben zu versuchen.
Zunächst einmal sagten Sie, daß die Regierung in den letzten Jahren das Notwendige im Bereich unserer Verteidigung nicht getan habe, daß sie vor allem auch ihrer • Pflicht nicht genügt habe, in einem besonders exponierten Land auf gewisse Entwicklungen rechtzeitig hinzuweisen. Sie hatten gerade auch im Zusammenhang mit dem TNF-Bereich davon gesprochem, daß sie dieser Pflicht nicht entsprochen habe.
Ich glaube, Herr Marx, wenn Sie in die Geschichte gehen, können Sie diesen Vorwurf kaum ernsthaft aufrechterhalten; denn ich darf daran erinnern, daß der erste Politiker von internationalem Gewicht der Bundeskanzler gewesen ist, der 1977 in seiner bekannten Rede vor dem Institut für Strategische Studien in London auf die Probleme, die sich in diesem Bereich ergeben haben, hingewiesen hat. Ich habe immer wieder von maßgeblichen Amerikanern, aber auch von Europäern den Hinweis gehört, daß das für sie der erste ernst zu nehmende Hinweis — jedenfalls in der Offentlichkeit — auf diese Problematik gewesen sei.
Ich darf auch daran erinnern, Herr Kollege Marx, daß wir bereits seit 1976 das Verteidigungsverbesserungsprogranun der NATO haben. Auch dieses ist nicht eine Sache, die plötzlich übers Knie gebrochen worden ist, sondern eine, die seit längerer Zeit in Gang ist.
Sie hatten weiterhin gesagt, daß seit 1969 diese Periode der Illusionen über die Entspannungspolitik ausgebrochen sei, daß man die Ziele der Entspannung schon für Realität genommen habe usw. Sie haben leider vergessen, darauf hinzuweisen, mit welchen Problemen wir es gerade 1969 im Verteidigungsbereich zu tun hatten, auch wenn wir an die Beziehungen zu den amerikanischen Verbündeten denken, etwa mit der Mansfield-Resolution. Welcher Erfolg ist es gewesen, daß gerade auch diese Regierung wesentlich mit dazu beitragen konnte, solche Bestrebungen zu verhindern!
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Dr. Corterier
Sie haben sich dann mit der Frage auseinandergesetzt, die von einigen Rednern der Koalition an Sie gerichtet worden war: wie es denn die Opposition mit den NATO-Beschlüssen, die in den nächsten Tagen zu fassen sind, halte. Ich glaube, Sie haben diese Frage — das schließe ich jedenfalls aus Ihren Ausführungen — ziemlich mißverstanden; denn Sie haben bezeichnenderweise eigentlich nur über die Rüstungsmaßnahmen, die zu treffen sind, gesprochen, aber nur sehr wenig — und sehr kursorisch über die rüstungskontrollpolitischen Ansätze. Im Grunde konnte doch die Frage an Sie kaum lauten: Wie halten Sie es mit dem Rüstungsansatz? Denn dafür war die Opposition ja immer, von der Wörner-Rede angefangen. Die Frage war doch: Sind Sie bereit, ernsthaft auch den rüstungskontrollpolitischen Ansatz mit zu tragen?
In diesem Zusammenhang, muß ich sagen, habe ich manchmal — oder sogar sehr oft — den Eindruck, daß die Sicherheitspolitik der CDU/CSU vor allem darin besteht, nach allen Waffen zu verlangen, die verfügbar sind, und die rüstungskontrollpolitischen Notwendigkeiten zu vernachlässigen.
Ich glaube, die Opposition ist nicht bereit, genügend auf der Basis des Harmel-Berichtes zu arbeiten, der eben beides vorsieht, nämlich die Aufrechterhaltung der Verteidigungsfähigkeit der Allianz, kombiniert mit der Entspannungspolitik.
Ich meine, wenn wir von Rüstungskontrollpolitik sprechen, dann wäre doch zum Beispiel die Frage an Sie: Wie halten Sie es eigentlich mit dem SALT-IIVertragl Dazu haben wir bisher immer nur Äußerungen gehört, die ich nur als Ausflüchte ansehen kann.
— Ja, ich kenne das Standardargument, lieber Carl Damm; nur überzeugt mich das nicht. Mich überzeugt das keinen Augenblick. Denn wenn dieser SALT-Vertrag — darüber sind wir uns doch einig — für uns alle von sehr hoher Bedeutung ist, wenn er unsere Sicherheitsinteressen in elementarer Weise berührt, dann muß es doch wohl unser aller Pflicht sein, zu sagen, wie wir zu diesem Vertrag stehen und was wir von ihm erwarten.
Sie haben sich bisher auf Ausflüchte beschränkt, mit wenigen Ausnahmen. Es gibt die eine Ausnahme aus den letzten Tagen, nämlich Herrn Habsburg aus dem Europäischen Parlament, der Briefe an amerikanische Kongreßabgeordnete schreibt, in denen er sie auffordert, den SALT-Vertrag abzulehnen. Es wäre interessant zu hören, wie Sie zu dieser Aktion des Herrn Habsburg stehen.
Wir meinen, daß die Ratifikation des SALT-IIVertrages gerade hinsichtlich der weiteren Rüstungskontrollverhandlungen im TNF-Bereich notwendig ist; denn ohne SALT II wird es kein SALT III geben. Wir meinen aber auch, daß dieser Vertrag und seine Ratifikation für den Zusammenhalt des Bündnisses wichtig sind.
Sie haben, Herr Marx, erneut gegen die Berliner Beschlüsse meiner Partei hinsichtlich dessen, was die NATO in den nächsten Tagen tun soll, polemisiert. Ich muß Ihnen sagen, ich verstehe nicht recht, daß Sie erstens nicht zur Kenntnis nehmen, mit welch überwältigender Mehrheit diese Beschlüsse gefaßt worden sind. Daran können sie wirklich nicht mehr herumdeuteln.
Sie nehmen zweitens nicht zur Kenntnis, daß der amerikanische Außenminister in einer Rede, die er gestern in Berlin hat halten lassen, nicht nur der Bundesregierung ausdrücklich für ihre Haltung zu den NATO-Beschlüssen gedankt, sondern auch gesagt hat, daß die Beschlüsse des SPD-Parteitags wichtig und hilfreich für die Allianz seien. Warum muß es eigentlich der amerikanische Außenminister so sehr viel anders sehen als sie? Warum ist es nicht möglich, einmal in diesem einen Punkt zu sagen: „Hier habt ihr recht, und hier sind wir einer Meinung"?
Wäre es nicht schön, wenn wir diese Beschlüsse wirklich alle miteinander trügen, anstatt uns weiter gegenseitig zu kritisieren?
Sie haben dann etwas zum Iran und zu dem gesagt, was sich aus dieser schlimmen Geiselaffäre möglicherweise für unsere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten ergeben könnte. Hier können wir mit wohlfeilen Erklärungen und mit strammen Forderungen nicht allzuviel erreichen. Wir haben am eigenen Leibe erfahren, wieviel Nervenkraft und Umsicht nötig sind, um mit einer solchen Krise wie der im Iran fertig zu werden. Gerade deshalb fühlen wir uns mit dem amerikanischen Präsidenten Carter und mit unseren amerikanischen Freunden so solidarisch, weil sie diese Krise bisher mit einem bewunderswerten Maß an Disziplin und Zurückhaltung durchgestanden haben. Ich glaube, bei der amerikanischen Regierung gibt es überhaupt keinen Zweifel an unserer Solidarität. Aber Sie haben recht, wenn Sie darauf hinweisen wollten, daß es drüben in der öffentlichen Meinung Probleme gibt. Wenn ein so guter Freund wie Senator Javits Kritik geübt hat, dann müssen wir das ernst nehmen. Deswegen begrüße ich es, daß gerade heute die Bundesregierung ihre Anstrengungen auch mehr im Detail erläutert hat. Ich glaube, wir müssen alle miteinander davon ausgehen, daß es bei den Gesprächen, die der Bundeskanzler und der Außenminister heute mit dem amerikanischen Außenminister geführt haben, auch nach außen keinerlei Zweifel an unserer Solidarität mit den Amerikanern geben kann.
Sie haben dann, wiederum Kritik an unserem Parteitag übend, von angeblichem Antiamerikanismus gesprochen, der dort zum Vorschein gekommen sei, Herr Kollege Marx. Ich nehme an, daß Sie damit auf Ausführungen des Vorsitzenden der Jungsozialisten, Schröder, anspielen wollten. Ich darf Ihnen ganz klar sagen, daß ich diese Ausführungen — —
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Dr. Corterier
— Na, gut. Die von Herrn Coppik sind mir im Augenblick nicht gegenwärtig. Ich kann Ihnen jedenfalls sagen, die Ausführungen des Herrn Schröder haben mir überhaupt nicht gefallen.
Nur, Herr Schröder ist Vorsitzender der Jungsozialisten. Denken Sie einmal daran, Herr Marx, was noch vor gar nicht langer Zeit ein Mann wie Herr Strauß, dessen Einfluß in Ihrer Partei sehr viel größer sein dürfte als der von Herrn Schröder in meiner, über den amerikanischen Präsidenten im Zusammenhang mit der Debatte über die Neutronenwaffe gesagt hat. Ich darf daran erinnern, daß er damals sagte:
In meiner Kenntnis der amerikanischen Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg ist dies der erste Fall, wo ein amerikanischer Präsident offen und erkennbar vor einem russischen Zaren gekuscht hat.
Das waren wörtlich die Äußerungen des Herrn Strauß. Ich glaube, daß noch niemals ein verantwortlicher Politiker der SPD in einer ähnlich herausragenden Position etwas Ähnliches über einen amerikanischen Präsidenten gesagt hat. Ich meine, diese Äußerung des Herrn Strauß verdient es durchaus, als Antiamerikanismus von rechts qualifiziert zu werden.
Herr Kollege Marx, Sie haben zum Schluß Ihrer Ausführungen auf die Aktivitäten der DDR in Afrika hingewiesen. Ich darf Ihnen dazu sagen, daß auch wir diese Aktivitäten keineswegs billigen, daß sie uns mit Sorgen erfüllen. Wenn Sie sich aber in der zugegeben sehr kurzen Zeit, die zur Verfügung stand — Sie haben verhältnismäßig viel davon auf das Thema Afrika verwandt —, fast ausschließlich auf die Aktivität der DDR konzentriert haben, dann meine ich, ist das dem Thema einfach nicht angemessen.
— Ja, gut, das ist ein aktueller Anlaß, aber es gibt sehr viel gewichtigere aktuelle Anlässe wie z. B. den Höhepunkt der Rhodesien-Konferenz und andere Dinge mehr. Ich meine, das ist wirklich einer der Punkte, wo wir uns unterscheiden. Wir dürfen dieses Problem Afrika nicht auf den Ost-West-Konflikt reduzieren, nicht in erster Linie unter diesem Aspekt sehen, sondern müssen sehr sorgfältig analysieren, welche Ursachen für die dort zur Zeit stattfindenden Konflikte letztlich maßgebend sind. Dabei mögen auch Probleme des Ost-West-Verhältnisses eine Rolle spielen. Ich nehme an, wir werden in der Afrika-Debatte, die irgendwann stattfinden muß — ich hoffe es mit Ihnen —, auf die Einzelheiten eingehen können.
Ein letztes Wort zu dem, was Sie über Rhodesien gesagt haben. Es war erfreulich, daß Sie so klar die Position der britischen Regierung, die auch unsere Position ist, unterstützt haben und daß Sie den Briten Erfolg gewünscht haben. Hoffentlich tritt er noch in dieser Woche endgültig ein.
— Ja, wenn es zum Friedensvertrag und zum Waffenstillstand kommt, dann ist selbstverständlich die Aufhebung des Embargos eine Folge einer solchen Entwicklung.
Ich darf aber daran erinnern, daß es noch am Vorabend der Konferenz von Ihrer Seite ganz anders geklungen hat, nicht von Ihnen, Herr Marx. Herr Todenhöfer hat uns aber noch wenige Tage vor der Konferenz aufgefordert, einseitig die aus den Frühjahrswahlen, die wir nicht anerkennen konnten, hervorgegangene Regierung anzuerkennen. Das war damals die Politik. Im Frühjahr gab es noch sehr viel mehr Stimmen aus der Opposition, die das gleiche gefordert haben. Mit anderen Worten, wir hätten Ihrer Meinung nach eine Politik akzeptieren sollen, die auf die Hinnahme der internen Lösung hinaus- gelaufen wäre, die aber unserer Meinung nach nicht geeignet gewesen wäre, den Konflikt beizulegen, sondern im Gegenteil dazu gedient hätte, ihn weiter zu verschärfen. Sie hätte uns zusätzlich in einen schweren Gegensatz zu den meisten schwarzafrikanischen Staaten bringen müssen.
Ich hoffe also, daß Sie in Zukunft eher bereit sein werden, vernünftige Lösungen in Afrika mitzutragen, statt die Konfrontation um möglicher innenpolitischer Vorteile willen zu suchen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möllemann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige wenige kurze Ausführungen zu den außen- und sicherheitspolitischen Themen, die hier bislang angesprochen worden sind. Ich möchte zunächst der Aufforderung des jetzt nicht mehr anwesenden — verständlicherweise bei hohen Würdenträgern — bayerischen Ministerpräsidenten folgen, der gesagt hat: „Erklären Sie mal, was halten Sie von Marx?" Dem will ich jetzt folgen, Kollege Marx, und mich zu Ihren Bemerkungen äußern.
— Nun hören Sie erst einmal zu.
Sie, Herr Kollege Marx, haben sich auf die Bitte meines Fraktionsvorsitzenden Mischnick hin erneut nur zu einem Teilaspekt der bevorstehenden Entscheidungen geäußert. Sie haben darauf hingewiesen, daß Sie Teil 1 des geplanten Beschlusses, betreffend die Nachrüstung im Mittelstreckenbereich, unterstützen. Sie haben, vielleicht aus Zeitmangel oder warum auch immer, vermieden, genauso eindeutig zu erklären, daß Sie auch Teil 2 des Beschlusses, der ein ausdrückliches rüstungskon-
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Möllemann
trollpolitisches Angebot beinhalten wird, unterstützen,
ein Angebot, das besagen wird, daß man in dem gleichen Umfang wie die Gegenseite bereit ist, ihrerseits Reduzierungen in Richtung auf eine annähernde Parität vorzunehmen, bereit sein wird, unsere geplanten und jetzt zu produzierenden Systeme zu reduzieren.
— Nein, ich habe sehr sorgfältig zugehört.
— Herr Kollege Czaja, vielleicht lassen Sie sich das von Ihren Experten in der Fraktion erläutern. Wir verwenden den Begriff „annähernde Parität" einvernehmlich unter allen Kollegen, die in diesem Bereich tätig sind, weil wir nicht anfangen wollen, etwa auf eine einzelne Zahl hin aufzurechnen, sondern einen ungefähren Kräftegleichstand erreichen wollen. Wollten wir nämlich diese engen Definitionen praktizieren, wie manche sie von uns verlangen, wäre jede Rüstungskontrollpolitik zum Scheitern verurteilt.
Herr Kollege Marx, ich wollte zweitens auf eine Frage antworten, die Sie fast in Gestalt eines Vorwurfs geäußert haben. Sie haben gefragt: Konnten die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien nicht eigentlich schon frühzeitiger reagieren?
Mein Kollege Jung hat in einer kurzen Intervention deutlich gemacht, daß nicht nur formal, sondern auch faktisch für Entscheidungen betreffend die Aufrüstung oder die Zusatzausstattung mit Atomwaffen wirklich nicht die Bundesrepublik Deutschland zuständig ist. Dies ist, ob Sie es wollen oder nicht, ein Vorwurf an die Vereinigten Staaten von Amerika.
— Sie haben ihn ja erhoben.
Aber man muß noch ein zweites sagen. Wir haben doch mehrfach deutlich gemacht — darüber gab es einen Konsens —, daß sich die Notwendigkeit einer Nachrüstung in diesem Bereich erst neuerlich zeigt, da das frühere Übergewicht im strategischen Bereich durch den SALT-II-Vertrag abgebaut worden ist. Damit werden Ungleichgewichte in anderen Bereichen destabilisierend und gefährlich. Das ist doch der Hauptgrund für die jetzige Entscheidung oder jedenfalls einer der Hauptgründe neben den Überlegungen hinsichtlich der Abkopplung.
Eine dritte Bemerkung, Herr Kollege Marx, betrifft die Verträge. Hierzu möchte ich auch auf das eingehen, was einige der übrigen Kollegen gesagt haben. Wir bestreiten es Ihnen überhaupt nicht, daß Sie es ernst meinen, wenn Sie sagen, Sie hätten zwar alle Ostverträge bekämpft, stellten sich aber nunmehr auf den Boden dieser Verträge. Man wundert sich bei Ihren offiziellen Einlassungen nur — das sage ich jetzt an die Adresse der Kollegen der Union ganz allgemein —, daß sich bei allem, was Sie in Richtung Entspannungspolitik, in Richtung Kooperation, in Richtung Sicherheit durch Zusammenarbeit sagen, das, was wir als Geist der Verträge empfinden, bei Ihnen überhaupt nicht artikuliert. Man kann nicht sagen, man sei für diese Verträge, aber im übrigen so handeln, als gäbe es die Vereinbarungen nicht.
Sie haben dies im übrigen an einem besonderen Beispiel plastisch gemacht. Im Blick auf die MBFRVerhandlungen erklären Sie zwar, insbesondere durch den Kollegen Mertes, Sie stünden hinter unserer Verhandlungsstrategie, aber Sie haben sowohl im Auswärtigen wie im Verteidigungsausschuß eine Forderung eingebracht, die dem entgegensteht. Sie haben verlangt, wir sollten die existierenden Betriebskampfgruppen in der DDR in die Verhandlungen in Wien faktisch stärker einbeziehen, als das bisher geschehen ist.
— Herr Kollege Damm, Sie wissen, daß ich recht habe; deswegen haben Sie den Antrag ja nicht unterschrieben. — Was ist das anderes als der Versuch, die jetzt laufenden, sich ohnehin schon schwierig genug gestaltenden Verhandlungen zu gefährden?
— Sie werden verstehen, Herr Kollege Damm, daß ich hier meine Art der Argumentation praktiziere. Ihre Bewertung, sie sei billig, möchte ich zurückweisen.
Ich möchte nun zu einigen außenpolitischen Überlegungen kommen, die insbesondere der Kollege Marx, aber auch einige andere Kollegen angesprochen haben. Ich habe nicht ganz verstanden, Herr Kollege Marx, was der Unterton der Kritik sollte, als Sie unsere Reaktion auf die Vorgänge in Teheran ansprachen. Der Kollege Weizsäcker und ich waren gerade in den Vereinigten Staaten und haben dort gemeinsam deutlich gemacht, daß wir, d. h. die Bundesregierung und alle im Parlament vertretenen Parteien, die Vorgänge in Teheran mit allem Nachdruck schärfstens verurteilen und mit allem Nachdruck unsere Solidarität mit unserem Bündnispartner bekunden. Daß wir bei einem bewußt vorsichtigen und umsichtigen Vorgehen des amerikanischen Präsidenten nun nicht päpstlicher sein werden als der Papst — in einer Art Verbalradikalismus oder was auch immer —, ist doch vernünftig. Ich glaube, es wird in der Tat darauf ankommen, auch bei einer Zuspitzung die jetzt proklamierte, sich in Resolutionen niederschlagende und in stiller Hilfe in Teheran praktizierte Solidarität vielleicht tatkräftiger zu beweisen. Aber dies sollte kein Streitpunkt sein.
Sie haben, was den Nahen Osten angeht, den eigentlich engeren Nahostkonflikt nicht angesprochen. Ich möchte diese Gelegenheit nur nutzen, eine
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Möllemann
Verlautbarung anzusprechen, die ich für ein hoffnungsvolles Zeichen halte für diese Region, in der ja ein viel breiter angelegter Konflikt als der, den wir gerade vorher angesprochen haben, den Frieden nicht nur dieser Region, sondern vielleicht der ganzen Welt gefährdet. Über die hier schon des öfteren angesprochenen Ticker lief die Meldung, die ich einfach einmal zitieren darf:
Für ein neutrales Israel in den Vorkriegsgrenzen von 1967 hat sich der frühere Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Nahum Goldmann, ausgesprochen. Die Grenzen sollten von den Vereinigten Staaten, der Sowjetunion und von UNO-Truppen garantiert werden, schreibt Goldmann in einem Buch, das jetzt in der Schriftenreihe der amerikanischen Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden erschienen ist. Nach den Vorstellungen Goldmanns sollte Jerusalem von einer einheitlichen Behörde — unter voller Mitwirkung der arabischen Bevölkerung im Ostteil der Stadt — verwaltet werden. Die Stadt sollte einen Sonderstatus erhalten, der dem des Vatikans in Rom gleichen könnte.
Da auch ich diese Meldung erst neuerlich kennengelernt habe, weiß ich nicht, ob dies in vollem Umfang eine Schlüssellösung sein kann. Aber ich möchte die Hoffnung ausdrücken, daß ein solcher Beitrag aus dem Munde eines israelischen Diskussionsteilnehmers hilft, die Tabus abzubauen, die alle am Nahost-Konflikt Beteiligten bisher ganz offenkundig hindern, die tatsächlichen Konfliktursachen auszuräumen.
Eine weitere Bemerkung zur Arbeit in den Vereinten Nationen. Hier möchte ich der Bundesregierung für die erfolgreiche Initiative zur Ächtung der Geiselnahme ausdrücklich danken. Ich weiß noch sehr genau, wie skeptisch wir alle waren, als diese Initiative vor drei Jahren ergriffen wurde. Wir haben gesagt: Das läßt sich niemals durchsetzen. Heute haben sich die in den Vereinten Nationen organisierten Staaten gemeinsam — gemeinsam mit den arabischen Partnerstaaten — durchgerungen und beschlossen, Geiselnahme künftig zu ahnden. Daß dies in der Situation, von der wir vorhin sprachen, eine politische Aussage ist, die vielleicht auch insoweit — sicherlich aber für den Umgang der Völker miteinander — sehr hilfreich ist, ist, glaube ich, unbestritten.
Weil dies für viele von uns überraschend, aber doch positiv verlaufen ist, möchte ich die Bundesregierung bitten, in einem anderen Bereich, in dem es ebenfalls schwierig sein wird, in dem es aber genauso dringlich ist, ebenso eine UNO-Initiative einzubringen. Ich meine einen Vorstoß gegen die Todesstrafe. Wir erleben — Amnesty International belegt es in seinem neuesten Jahresbericht erneut —die zunehmende Verwendung der Todesstrafe als bewußt willkürliches Mittel bei der Bereinigung politischer Auseinandersetzungen. Ich meine, wir dürften uns mit dieser Provokation nicht abfinden. Von daher sollten wir diese — von Bundesaußenminister Genscher in Bremen im übrigen bereits angekündigte — Initiative unterstützen. Ich weiß, wie schwierig das ist, da es ja noch nicht einmal in Europa einen völligen Konsens hierüber gibt.
— Ich weiß das, aber wir sollten dennoch versuchen, aus unserer — wenn ich das richtig sehe — ja wohl gemeinsamen Überzeugung hier eine Initiative abzuleiten.
— Mir ist das Thema zu ernst, um hier in Albernheiten zu machen; das bleibt Ihnen vorbehalten.
Eine weitere Bemerkung zu einem Thema, das ähnlich ernst ist, bei dem wir uns im übrigen ebenfalls in allen Fraktionen gemeinsam bemühen, der Lage in Kambodscha. Wir haben uns mit der Tatsache konfrontiert gesehen, daß das öffentliche Gewissen oder Bewußtsein offenbar immer nur ein Thema schwerpunktmäßig aufnehmen kann. Wir haben mehrere Wochen lang den sich dort abspielenden Massenmord diskutiert. Im übrigen: Wo sich ein Massenmord abspielt, gibt es immer auch Massenmörder;
und die sind ja wohl auch klar beim Namen zu nennen. Das heißt: Es ist gerechtfertigt, die UdSSR und China aufzufordern, auf ihre dortigen Freunde und Partner einzuwirken, diesem Massensterben ein Ende zu bereiten. Wir reden neuerlich über 50 oder 60 Geiseln, wobei wir wissen, daß in Kambodscha jeden Tag Tausende von Menschen sterben. Irgenwo verschieben sich da plötzlich eigenartigerweise die Relationen!
— Es ist ganz gleich, Herr Kollege Marx, ob Sie jetzt die Verantwortung der Sowjetunion und ihrer Freunde bei den Vietnamesen in der Unterstützung des Henk-Samrin-Regimes oder die Verantwortung der Chinesen in der Unterstützung von Pol Pot sehen. Beide jedenfalls verhindern, daß die von den westlichen Staaten — auch von der Bundesregierung — sehr massiv gegebene Hilfe zu den Betroffenen, zu den Opfern kommen kann, und das ist Massenmord; das können wir nicht — bagatellisierend
— anders bezeichnen.
Eine letzte Bemerkung, Herr Kollege Marx, zu Ihren Ausführungen zur Afrika-Politik. Ich verstehe ja, daß Sie den Kollegen Todenhöfer, ohne den Namen zu erwähnen, sozusagen pflichtübungsmäßig verteidigen, nachdem Sie ihn zuvor in einer Strafaktion aus Ihrem Landesverband abgeschoben haben.
Nur, ich möchte hier nachdrücklich unterstreichen, daß das, was an Äußerungen vom Kollegen Todenhöfer, zum Teil auch vom Kollegen Graf Huyn zu bestimmten Schwerpunkten der Afrika-Politik bisher gekommen ist, unsere Aktionsmöglichkeiten, die
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15159
Möllemann
deutschen Aktionsmöglichkeiten in Afrika, insbesondere in Schwarzafrika, massiv beeinträchtigt hat.
Es muß doch für Sie beschämend sein, daß niemand anders als die von Ihnen ansonsten ja sicherlich verehrte Frau Thatcher Ihren Parteivorsitzenden faktisch widerlegt hat. Ihr Parteivorsitzender hat in einem Brief an den Bischof Musorewa geschrieben — ich zitiere aus Ihrem eigenen Pressedienst —:
Ich halte es für erforderlich, daß diese Wahl — das war die frühere Wahl —
und die Entscheidung international respektiert und eine neue Regierung von allen Nationen anerkannt wird.
Ich bin froh darüber, daß sich die Europäische Gemeinschaft zu diesem Trugschluß nicht hat verleiten lassen. Dies hätte das Verhältnis zu den übrigen Staaten, insbesondere zu den Frontstaaten, in Afrika erheblich belastet.
— Nein, nein. Ich meine, daß alle Überlegungen, die wir unter Abwägung der Interessen sowohl der Menschen in Rhodesien wie der in den übrigen schwarzafrikanischen Staaten angestellt haben, zu der berechtigten Schlußfolgerung geführt haben, hier müßten faire Wahlen unter Beteiligung aller dort Beteiligten stattfinden. Lassen Sie sich, wenn schon nicht von mir — was ich verstehe —, so doch von Ihrer konservativen britischen Parteifreundin überzeugen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauser.
Hauser (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe zum Einzelplan 14 zu sprechen. Der Verteidungshaushalt 1980 weist in der Vorlage des Haushaltsausschusses einschließlich der Personal-verstärkungsmittel ein Volumen von ca. 38,46 Milliarden auf. Das ist zweifellos eine große Summe. Sie muß jedoch an den Aufgaben gemessen werden, die der Verteidigungshaushalt angesichts der wachsenden Bedrohung durch die ständige Aufrüstung seitens des Warschauer Pakts zu erfüllen hat.
Gegenüber 1979 weist der Verteidigungshaushalt eine Zunahme um ca. 4,8 % auf. Dem steht jedoch eine Preissteigerungsrate gegenüber, die bei zahlreichen Verbrauchsgütern, Dienstleistungen und Investitionsgütern diesen Prozentsatz deutlich übersteigt. Dies gilt z. B. für Heizöl und Treibstoffe in exorbitanter Weise. Es gilt aber auch für Bauleistungen und für zahlreiche besonders wichtige Beschaffungsvorhaben. Mag auch auf vielen Sektoren die Preissteigerungsrate für 1980 noch nicht erkennbar sein, eines ist jedenfalls sicher: die der NATO zugesagte reale Steigerung der Verteidigungsausgaben um 3 % wird auf keinen Fall erreicht.
Der Bruch dieses der NATO gegebenen Versprechens ist mehr als bedauerlich.
Einerseits bedarf das Bündnis angesichts des wachsenden Übergewichts des Warschauer Paktes dringend einer Verstärkung der konventionellen Rüstung in Mitteleuropa.
Andererseits muß alles vermieden werden, was den Eindruck erwecken könnte, auch die Bundesrepublik Deutschland betrete nunmehr den bequemen Weg, ihre eigenen Haushaltsprobleme durch Abstriche am Verteidigungshaushalt respektive durch dessen allmähliches Einfrieren zu mildern.
Ohnehin ist festzustellen, daß auch in diesem Jahr die Steigerungsrate des Verteidigungshaushalts unter der Steigerungsrate des Gesamthaushalts liegt, daß also der Anteil der Verteidigungsausgaben am Gesamthaushalt wie in den letzten Jahren ständig weiter sinkt, nämlich von 18 % auf 17,5 % der Bundesausgaben und von 2,7 % des Bruttosozialprodukts auf 2,6 %. Diese Entwicklung fügt sich nahtlos in die Entwicklung der gesamten letzten Dekade ein. Trotz unbestritten steigender Bedrohung sank der Anteil der Verteidigungsausgaben am Gesamthaushalt im letzten Jahrzehnt laufend.
So nahm der Verteidigungshaushalt in. den Jahren 1970 bis 1979 um 89% brutto zu, der Gesamthaushalt dagegen um 132 %. Nun mochte dies angehen, solange wir einerseits einen starken Zuwachs beim Bruttosozialprodukt und mehr noch beim Bundeshaushalt hatten und andererseits für die notwendige Unterhaltung und laufende Modernisierung ausreichender Streitkräfte genügend Mittel bereitstanden. Wir sind ja keine Fetischisten des Verteidigungshaushalts, die sich an möglichst hohen Beständen an immer neuen Kriegsgeräten ergötzen wollen. Wir sind selbstverständlich für kontrollierte Abrüstung, im Osten und im Westen. Darüber ist heute bereits ausführlich gesprochen worden. Wir sehen aber auf der anderen Seite, wie die zwingenden Anforderungen an unsere Sicherheit immer weniger erfüllt werden. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die mittelfristige Finanzplanung, die für 1981 mit 2,1 %, für 1982 mit 1,6% und 1983 ebenfalls mit 1,6% — immer unter Ausklammerung der Personalverstärkungsmittel —, einen weiter sinkenden Nominalzuwachs des Verteidigungshaushalts vorsieht.
Gerade heute meldet dpa von der NATO-Konferenz in Brüssel, .die Sowjetunion sei nach einer neuen Untersuchung kurz davor, die früher wenigstens qualitativ gegebene Überlegenheit des Westens bei den konventionellen Waffen völlig zu egalisieren, ja in Teilbereichen zu überholen, wobei die zahlenmäßige Überlegenheit ohnehin immer weiter ausgebaut wird.
15160 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
Hauser
Im Haushalt 1980 bleibt das bisherige Verhältnis der Ausgaben im investiven Bereich mit ca. 31 % gegenüber ca. 69% Betriebsausgaben in etwa erhalten. Obwohl die Ausgaben für militärische Beschaffungen um ca. 560 Millionen DM oder 7 % gesteigert werden, reicht dieser Anstieg bei wichtigen Waffensystemen kaum oder nicht aus, um allein die ständig steigenden Preissteigerungen zu kompensieren. Man könnte dazu eine Fülle eindrucksvoller Beispiele vortragen; die gekürzte Zeit läßt dies nicht zu.
Fest steht aber, daß das Zurückbleiben der verfügbaren Mittel hinter den Preissteigerungen dazu beiträgt, daß wichtige Beschaffungsvorhaben gestreckt oder gekürzt werden müssen, obwohl der jeweilige Zeitpunkt ihrer Einführung in die Truppe unter dem Gesichtspunkt der Effizienz und ihre Beschaffungszahlen unter dem Gesichtspunkt der Bedrohung ohnehin kaum rechtzeitig und ausreichend vorgesehen waren.
Um so beklagenswerter ist es deshalb, wenn der Verteidigungshaushalt durch Maßnahmen, die wirtschaftspolitisch und arbeitsmarktpolitisch durchaus interessant und erwägenswert sein mögen, mit zusätzlichen Kosten belastet wird. Ich greife als Beispiel den Bau der Fregatten der Klasse 122 auf. Als vor mehreren Jahren das erste Los von sechs derartigen Fregatten zur dringend erforderlichen Ablösung der veralteten Kampfschiffe in Auftrag ging, sah man eine Möglichkeit, durch Aufteilung auf fünf verschiedene Werften der notleidenden Werftindustrie unter die Arme zu greifen und Arbeitsplätze zu sichern. Dafür waren alle Fraktionen dieses Hauses. Wir haben jedoch damals in einer im Bundestag eingebrachten Entschließung verlangt, daß die damit unvermeidbar verbundenen Mehrkosten nicht zu Lasten des ohnehin notleidenden Verteidigungshaushalts gehen, sondern als Kosten der Wirtschaftsförderung, der Werfthilfe oder der Arbeitsbeschaffung aufgebracht werden müßten.
Heute stellt sich heraus, daß diese Arbeitsbeschaffungsmaßnahme Mehrkosten von 111 Millionen DM verlangt, die dem Einzelplan 14 Kap. 1418 entnommen werden. An die Stelle einer gebotenen Aufstockung dieser Mittel tritt die Einigung der Ressortchefs des Finanzministeriums und des Verteidigungsministeriums — eine bloße Fiktion, für die sich niemand etwas kaufen kann —, in dem Plafond des Haushaltsplans 1980 und des Dritten Finanzplans seien diese Mehrkosten enthalten.
Andererseits muß dann der Plan, die zweiten sechs Fregatten in Anschluß an das erste Los zu bauen, um auch die veralteten Fregatten der Köln-Klasse und die Zerstörer der Klassen 101 und 103 abzulösen, aus Geldmangel revidiert werden. Fraglich ist noch, ob wenigstens ein Anschlußauftrag über zwei Schiffe erteilt werden kann, um die Köln-Klasse voll abzulösen, was wiederum wegen der Möglichkeit des Anschlußauftrages mit Einsparungen, im anderen Fall mit Mehrkosten in Millionenhöhe verbunden wäre. Hoffen wir, daß wenigstens dieser Anschlußauftrag rechtzeitig erteilt wird. Aber Geschäfte zu Lasten des Verteidigungshaushalts wird man mit uns auf Grund der gemachten negativen Erfahrungen in Zukunft nicht mehr machen können.
Während die Mittel für Beschaffungsvorhaben, wie dargelegt, um ca. 7 % ansteigen, nehmen die Mittel für militärische Forschung, Entwicklung und Erprobung im Vergleich zum Haushalt 1979 im Haushalt 1980 bereits im Regierungsentwurf um 4,4 % ab. Die Regierung begründet dies in erster Linie damit, die Entwicklungsarbeiten für den eingeleiteten Generationswechsel bei einer Reihe von Waffensystemen näherten sich dem Ende. Die ständige Verbesserung der Waffensysteme des Warschauer Pakts zwingt jedoch dazu, Forschung und Entwicklung auch unserer Wehrtechnik ständig weiterzuführen. In diesem Zusammenhang haben die Koalitionsfraktionen gegen den massiven Widerstand und gegen die Warnungen ihrer eigenen Regierung bei den Entwicklungskosten für das neue taktische Kampfflugzeug mit 40 Millionen DM mehr als die Hälfte des Ansatzes gestrichen; ein Vorgang, mit dem sich der Kollege Haase noch beschäftigen wird.
Ebenfalls um 2,8 % unter den Ansatz des Vorjahres hat die Bundesregierung die Mittel für militärische Anlagen gesenkt, insbesondere für Bauten. In der Praxis bedeutet das angesichts des starken Anstiegs der Baupreise eine wesentliche Reduzierung der Bautätigkeit, und dies, obwohl sich zahlreiche Truppenunterkünfte keineswegs in einem guten oder auch nur annehmbaren Zustand befinden. Nun mag es bei einer überschäumenden Baukonjunktur sinnvoll sein, einmal in einem Jahr kürzerzutreten. Bei der Gesamtsituation des Haushaltes kann ich mir aber nicht vorstellen, wo angesichts der sinkenden Zuwachsraten der mittelfristigen Finanzplanung in den Folgejahren mehr Mittel herkommen sollen, um wieder stärker in den Baubereich übergehen zu können.
Die Betriebsausgaben der Bundeswehr steigen ohne Personalverstärkungsmittel um ca. 2,7 % und einschließlich Personalverstärkungsmittel um ca. 5%.
Im Bereich der Verbrauchsausgaben sehen wir mit großer Sorge die Entwicklung bei Heizöl und Betriebsstoffen. Das Heizöl war im Regierungsentwurf mit 350 Millionen DM veranschlagt. Da wußte man noch nicht, daß es im Laufe des Jahres um 80 % teurer werden würde. Während der Haushaltsberatung ist eine Aufstockung um 50 Millionen DM vorgenommen worden, also um ein Siebtel. Das bedeutet, daß die Heizmittel im kommenden Winter kaum ausreichen werden. Genauso sieht es mit den Betriebsstoffen aus. Hier waren 510 Millionen DM eingesetzt. Es sind 125 Millionen DM aufgestockt worden; aber die Verteuerung beträgt 60 %. Das bedeutet, es kann insbesondere weniger geflogen werden, oder aber es entstehen überplanmäßige Ausgaben.
Der wesentliche Teil des Mehrbedarfs an den Verbrauchskosten liegt im Bereich der Personalkosten. Ein Teil davon entspringt militärischen Notwendigkeiten, z. B. den Anforderungen an die
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15161
Hauser
neue Heeresstruktur. Ein anderer Teil entfällt auf Forderungen zur sozialen Gerechtigkeit. Zu den Notwendigkeiten zur Erhaltung der Einsatzfähigkeit gehört die endgültige Wiedereinführung der Regelung, daß alle Soldaten auf Zeit oder Berufssoldaten vom ersten Dienstmonat an volles Gehalt beziehen. Wir stimmen dem zu; aber es handelt sich dabei nicht, wie ursprünglich von der Regierung dargestellt wurde, um eine Sozialmaßnahme, sondern um eine Notwendigkeit zur Erhaltung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, nachdem sich beim ersten Experimentieren mit diesem vollen Gehalt ab dem ersten Monat herausgestellt hatte, daß nach dessen Streichung die Zahl der Freiwilligen zu sehr zurückging.
Ein wesentlicher Erhöhungsbetrag — 150 Millionen DM jährlich — entfällt auf den sogenannten Dienstzeitausgleich. Seit Jahren wird — zu Recht — festgestellt, daß bei der Bundeswehr in erheblichem Umfange Dienstzeiten gefordert und geleistet werden, die weit über das hinausgehen, was in der Regel im allgemeinen Arbeitsleben verlangt wird. In einzelnen Bereichen sind Dienstzeiten von weit über 50, ja mehr als 60 Stunden die Woche nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Zu den Ursachen gehören nicht nur die bundeswehrspezifischen Aufgaben; es gehört dazu leider in erheblichem Umfange, wie bei der Debatte um den Bericht des Wehrbeauftragten deutlich geworden ist, ein Übermaß an bürokratischen Vorgängen und Erschwernissen.
Auch Die de-Maizière-Kommission stellt in ihrem Bericht vom 31. Oktober dieses Jahres fest, daß der für alle Großorganisationen typische Trend zur Überbürokratisierung in der Bundeswehr in der Form des Trends zur Zentralisierung und Reglementierung verschärft worden ist. Dadurch ist ein allgemeiner Abbau der Auftragstaktik festzustellen. Dieser bedauerlichen Fehlentwicklung muß entschlossener als bisher entgegengewirkt werden.
Neben dem Hang zur Bürokratisierung stellt die de-Maizière-Kommission jedoch ein erhebliches Mißverhältnis auch zwischen zunehmenden Aufgaben und verfügbaren Mitteln und in bezug auf Personal, Zeit und Material fest. Neue und zusätzliche Aufgaben in der Bundeswehr, z. B. die Einführung neuer Waffensysteme, oder die Auswirkungen von Strukturänderungen müssen in der Regel mit dem im Haushalt bewilligten Gesamtpersonalumfang erfüllt werden. Deshalb werden vielfach Planstellen zu Lasten bestehender Verbände und ihrer Aufgaben verlagert.
Wir begrüßen die Zahlung einer steuerpflichtigen Pauschale von 90 DM für den Berufs- und den Zeitsoldaten und von 54 DM für den Wehrpflichtigen bei einer Belastung von 56 Stunden in der Woche ab 1980. Sie schafft wenigstens einen teilweisen Dienstzeitausgleich. Das ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit. Sie löst jedoch nicht das Problem, Herr Minister.
Bei zunehmenden Aufgaben kann eine untragbare Dienstzeitüberlastung vieler Soldaten nur vermieden werden, wenn durch den Abbau überflüssiger Vorschriften und bürokratischer Hemmnisse unnötige Zeit- und Reibungsverluste vermieden werden. Anderenfalls muß auf die Dauer der Umfang des verfügbaren Personals zur Diskussion gestellt werden. Dies müßte jedoch nicht unbedingt zu einer Verstärkung der Bundeswehr über die jetzt festgesetzte Höchstzahl von 495 000 Soldaten hinaus führen. In einem gewissen Umfang könnte eine Uberprüfung ergeben, daß im Bereich der Bundeswehrverwaltung in noch stärkerem Maße als bisher Zivilbeamte bzw. -angestellte Aufgaben übernehmen könnten, die derzeit noch von Soldaten wahrgenommen werden. So könnten eventuell zusätzliche Zivilbedienstete die Soldaten entlasten.
Wenn aber alle anderen Möglichkeiten erschöpft sind, kann auch der Umfang der Streitkräfte selbst nicht auf ewig tabu bleiben.
Den vom Verteidigungsausschuß vorgeschlagenen und von der Bundesregierung aufgenommenen weiteren sozialen Verbesserungen, nämlich der Hebung des Planstellenanteils der Hauptfeldwebel in der Besoldungsgruppe A 9 auf 200/0 in 1980 als einem ersten Schritt, der Einführung einer zusätzlichen Erschwerniszulage für U-Boot-Besatzungen, Bordpersonal und Waffentaucher der Marine und der Einbeziehung der Feldjäger in die allgemeine Polizeizulage haben wir im Haushaltsausschuß zugestimmt.
Durch Haushaltsumschichtungen haben wir es darüber hinaus zuwege gebracht, die Stellenzulagen für fliegendes Personal, soweit sie nicht ab 1. Januar 1978 erhöht worden waren, sowie für sonstige ständige Luftfahrzeugbesatzungsangehörige anzuheben und damit gerechter zu gestalten, eine Stellenzulage für Prüfer von Luftfahrtgeräten einzuführen, die Kompaniefeldwebelzulage zu erhöhen und die Eloka-Zulage in eine Stellenzulage für das gesamte in der Nachrichtengewinnung eingesetzte Personal umzuwandeln.
Dies gilt auch für die Hebung von 21 Planstellen für Fahrer im Panzer- und Kraftfahrzeugerprobungsdienst der Bundeswehr über die Regierungsvorlage hinaus.
Mit diesen Beschlüssen sind einige der dringendsten sozialen Probleme der Streitkräfte behoben oder gelindert. Der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit ist damit noch nicht entsprochen. So muß — um einiges zu nennen — der Anteil der A-9-Stellen bei Hauptfeldwebeln im kommenden Jahr weiter aufgestockt werden, der Wehrsold bedarf der Anpassung an die Einkommens- und Preisentwicklung. Vor allem aber wird die Lösung des Problems des Beförderungs- und Verwendungsstaus immer drängender.
Die CDU/CSU war und ist stets bereit, ihren Beitrag zu leisten, den in der Bundeswehr tätigen Soldaten und Zivilbeamten, denen sie auch bei dieser Gelegenheit Anerkennung und Dank für stete Einsatzbereitschaft im Interesse der Erhaltung des Friedens und gesicherter Freiheit ausspricht, Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen.
15162 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
Hauser
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluß. Die CDU/CSU lehnt auch in diesem Jahr den Verteidigungshaushalt ab,
und zwar deshalb, weil Sie, die Regierung, die Maßstäbe der deutschen Verteidigungspolitik zum Nachteil unserer Verteidigung fortlaufend verändern,
weil Sie den Schwerpunkt Ihrer Politik von der Verteidigung weg zur Entspannung verlagern, obwohl die internationale Lage dies nicht erlaubt, weil Sie die Verteidigungsbereitschaft in unserer Bevölkerung mehr und mehr verkümmern lassen,
weil Sie wesentlichen internationalen Sicherheitsverpflichtungen nicht nachkommen und weniger für die Verteidigung aufwenden, als die wachsende Bedrohung dies erfordert.
Herr Kollege, ich glaube, jetzt müssen Sie wirklich zum Ende kommen. Ich habe schon mehrmals geklingelt. Seien Sie so freundlich, schließen Sie Ihre Rede.
Hauser (CDU/CSU): Meine Damen und Herren, Sie geben der Truppe nicht die Mittel, die die Truppe braucht.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist wirklich zu Ende. Ich muß Sie bitten, das Rednerpult zu verlassen.
Hauser (CDU/CSU): Sie geben der Truppe nicht die Mittel, die sie braucht. Solange Sie dies nicht tun, erhalten Sie nicht unsere Zustimmung.
Das Wort hat der Abgeordnete Würtz. Die Redezeit beträgt 15 Minuten.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Hauser, im Gegensatz zu Ihrer sehr pessimistischen Darstellung, die Sie vom Verteidigungshaushalt gegeben haben, möchte ich von diesem Platz aus ganz deutlich feststellen: Die Sicherheitspolitik der sozialliberalen Koalition hat eine solide finanzielle Basis.
Sie wissen ganz genau, daß die Beratungen im Haushaltsausschuß das auch gezeigt haben.
— Der Verteidigungshaushalt 1980, Herr Kollege Damm, ist sichtbarer finanzielller Ausdruck des politischen Wollens, uns von niemandem fremden Willen aufzwingen zu lassen.
Entgegen den Unkenrufen, die soeben auch der Kollege Hauser vorgetragen hat — und ich gehe davon aus, daß der Kollege Haase das anschließend auch noch tun wird --, besteht bei dieser erheblichen finanziellen Leistung, die wir erbringen, die Gewißheit, daß wir unseren Beitrag im Rahmen des westlichen Verteidigungsbündnisses erfüllen, dabei jedoch nicht überziehen. Zum einen bleibt die Bundeswehr fähig, zusammen mit den Bündnispartnern unsere Freiheit vor äußerer Bedrohung zu schützen. Zum anderen gibt uns das funktionierende Konzept der NATO die Chance, die Verhandlungen über Rüstungskontrollmaßnahmen und Rüstungsbegrenzungen fortzuführen.
Aber auch der Verteidigungshaushalt muß sich im Jahr 1980, wenn der Gesamthaushalt konsolidiert wird, den Notwendigkeiten fügen.
Nur im Rahmen eines ausgewogenen Gesamthaushaltes kann die Erfüllung aller Staatsausgaben gewährleistet werden.
Meine Damen und Herren von der Opposition, die ständige Beschwörung noch höherer Verteidigungsausgaben ist nach meiner Auffassung schädlich, selbst wenn sie, wie soeben durch Sie, Herr Hauser, erneut geschehen, mit vermeintlich guten Argumenten vorgetragen wird.
Erstens wird der Überschätzung der Wirtschaftskraft unseres Landes durch unsere Partner Vorschub geleistet. Zweitens wird den Soldaten und zivilen Mitarbeitern der Bundeswehr unterschwellig eingeredet, nur wegen der mangelnden Bereitschaft der Bundesregierung werde die personelle und materielle Ausrüstung der Bundeswehr vernachlässigt.
Sicherheitspolitik hat eben nicht nur die eine Dimension „mehr Waffen durch mehr Geld"; wir müssen auch die ökonomische Dimension sehen, d. h. die Erhaltung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unseres Landes, die erst die Grundlage für eine wirksame Verteidigungsfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft der Menschen schafft. Und die sollten wir nicht aus dem Auge verlieren.
Herr Kollege Hauser, Sie haben die Problematik der 3 % angesprochen. Ich will nur noch einmal die Zahlen wiederholen. Im Bundeshaushalt 1980 sind rund 48 Milliarden DM für Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien vorgesehen. Das sind 2 Milliarden DM oder 4,8 % mehr als in diesem Jahr. Dieser Aufwuchs in einem Bundeshaushalt, der im Zeichen
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15163
Würtz
der Konsolidierung steht, ist nach meiner Auffassung beträchtlich.
Selbstverständlich — das muß man ehrlicherweise zugeben — deckt ein bestimmter Teil nur die Preissteigerungsrate ab. Aber — das sollten wir auch sagen — Sinn des NATO-Beschlusses — eine reale Steigerung der Verteidigungsausgaben im Bereich von jährlich 3 % anzustreben — ist es, mit mehr Geld mehr Verteidigungskraft zu erreichen.
Der Indikator von plus 3 % führt rein rechnerisch und zahlenmäßig bei den NATO-Mitgliedsländern natürlich zu ganz unterschiedlichen Entwicklungen. Ich will Ihnen noch einmal deutlich machen, welche Gefahren darin bestehen, das rechnerisch, buchhalterisch zu sehen.
Es besteht nämlich erstens die Gefahr, daß die Ausgaben um ihrer selbst willen geleistet werden, ohne daß dadurch die Verteidigungsfähigkeit erhöht wird.
— Natürlich, verehrter Herr Kollege Wörner. Ich glaube das einfach deshalb, weil wir es ja in einigen NATO-Partnerländern immer wieder erleben, daß dort Gehaltssteigerungen vorgenommen werden, die mit der Steigerung der Verteidigungsfähigkeit überhaupt nichts zu tun haben.
Zum zweiten. Die Länder, die in der Vergangenheit besonders geringe Leistungen erbracht haben, können ihren Aufwuchs natürlich leichter erfüllen. Zum dritten. Je höher bereits das Niveau der Verteidigungsausgaben ist, desto schwieriger werden weitere Steigerungen.
Ich meine, wir sollten aufpassen, daß die 3 %, die man nicht so sehen darf, als seien sie in einem speziellen Jahr zu erreichen, in der vor uns liegenden Zeit erfüllt werden.
Wenn wir zurückschauen, sehen wir, daß wir dieses Ziel in den letzten zehn Jahren erfüllt haben. Die Verteidigungsausgaben sind in den letzten Jahren real um 29 %, durchschnittlich pro Jahr um 3 %, gestiegen. Ich sage hier: Nicht alle Bündnispartner können von sich Gleiches behaupten.
Wer meint, unsere Verteidigungsleistungen seien zu niedrig, weil wir rein rechnerisch, nach heutiger Schätzung, das 3 %-Ziel nicht erreichen, muß sich fragen lassen, ob er bereit ist, eine Milliarde DM zu den Verteidigungsausgaben zuzulegen. Dann muß er auch ganz konkret sagen, woher dieser Betrag kommen soll.
Meine Damen und Herren, da von Ihnen, Herr Kollege Hauser, das taktische Kampfflugzeug der 90er Jahre angesprochen worden ist und der Kollege Haase sicher dazu noch etwas sagen will, darf ich hier einmal feststellen, daß wir, sollten wir uns für ein derartiges Flugzeug entscheiden, auch die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen müssen. Die Zahlen, die uns in diesem Zusammenhang vom Verteidigungsministerium genannt worden sind, bewegen sich innerhalb einer Bandbreite von 14 Milliarden DM bis 17 Milliarden DM. Planung und Entwicklung erfordern sicherlich einen Zeitraum von zehn Jahren.
Es ist deshalb zu begrüßen, daß die Bundeswehr frühzeitig damit beginnt, die technischen Möglichkeiten zu erkunden. Auch das kostet Geld. Wir haben im Haushalt des Jahres 1979 dafür schon 25 Millionen DM eingesetzt. Es ist für uns keine Frage, daß dieses Geld bereitgestellt werden muß. Aber es ist sehr wohl eine Frage, in welchem Umfang zu Beginn einer solchen Entwicklung dafür Finanzmittel verwendet werden sollen.
Im Regierungsentwurf waren 71 Millionen DM für 1980 vorgeschlagen. Wir haben für 1980 31 Millionen DM vorgesehen.
Bei langfristigen Entwicklungen, die naturgemäß schwer überschaubar sind, besteht immer die Gefahr, durch zu hohe Mittelansätze über das Ziel der ersten Erkundung hinauszuschießen.
Zu früh werden Optionen aufgegeben. Damit besteht dann auch die Gefahr, daß man sich auf eine einzige Möglichkeit festlegt und später Fehler nicht mehr korrigieren kann.
Sie wissen alle, daß wir uns das eine oder andere Mal schon etwas zu weit vorgewagt haben. Das Parlament wird in solchen Fällen vor vollendete Tatsachen gestellt.
Deshalb sind wir der Meinung, daß zunächst ein weiterer, behutsamer Schritt mit einem Ansatz von 31 Millionen DM angemessen ist. Wir werden, wenn diese Summe ausgegeben ist, die Ergebnisse prüfen. Mit einem solchen Vorgeben werden keine Möglichkeiten verbaut. Es kann auch keine Rede davon sein, daß wir damit die deutsche Luftfahrtindustrie und ihre Arbeitsplätze in Schwierigkeiten bringen.
Wir wollen, daß das Parlament die Möglichkeit hat, jeweils nach überschaubaren finanziellen Teilschritten über den Fortgang des Gesamtprogramms zu entscheiden. Ich füge hier hinzu: Nur so kann das
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Risiko finanzieller Fehlentwicklungen eingegrenzt werden.
Herr Kollege Hauser, wie uns das Haus erklärt hat, ist es richtig, daß die Gesamtsumme des Ansatzes „Forschung und Entwicklung" zurückgeht. Der erste große Generationswechsel in der Bundeswehr ist vollzogen. Wir brauchen in diesem Jahr in dem Bereich etwas weniger Geld.
Im Betriebsbereich muß leider auch die Bundeswehr die Preissteigerungen im Energiesektor hinnehmen. Wir haben im Haushaltsausschuß einvernehmlich 175 Millionen DM für Betriebsstoffe und Heizöl dazugelegt. Dieser Betrag stammt aus dem Gesamthaushalt.
Im Personalbereich wird der erste Schritt zur Realisierung der neuen Heeresstruktur mit der Schaffung von 488 neuen Soldatenstellen und 1 000 Wehrübungsplätzen getan. Es ist sicher nur ein erster Schritt, aber ein Schritt in die richtige Richtung.
Ich will hier noch ganz kurz die Besoldungsverbesserung für Soldaten ansprechen, die von besonderer Bedeutung ist. Ich halte es für eine gute Sache, daß die Konsolidierung des Haushalts nicht zu Lasten der Menschen geht, die in der Bundeswehr dienen.
Denn die Sicherheit hat vor allem auch eine im weitesten Sinne soziale Dimension — nicht im Sinne von sozialen Geschenken, sondern im Sinne der materiellen Anerkennung von Leistungen, die unsere Soldaten und die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr Tag für Tag erbringen.
Im Hinblick auf die Fürsorge und Betreuung in den Streitkräften möchte ich feststellen, daß wir einen außerordentlich hohen Stand erreicht haben. Wir müssen aber immer wieder feststellen, daß in einzelnen Bereichen noch Mängel und Lücken im Gesamtsystem vorherrschen. Deshalb haben wir die Absicht, auch in den künftigen Jahren entsprechende Verbesserungen vorzusehen.
Ich halte es für ganz wesentlich, daß wir in den nächsten Jahren folgende Prioritäten setzen: Wir müssen zum einen das Problem der beschwerlichen Konsequenzen von Versetzungen lösen, die es im Bereich der Bundeswehr gibt. Eine großzügigere Trennungsgeldpraxis kann zur Lösung beitragen. — Wir müssen bei den Zulagen etwas tun. — Wir müssen bei der Unterbringung der Soldaten in den einzelnen Standorten noch mehr tun, obwohl wir dort in den letzten Jahren für die Verbesserung der Unterkünfte sehr viel Geld investiert haben. — Wir müssen aber auch, ähnlich wie wir es im Haushaltsausschuß diskutiert haben, spätestens im Jahre 1981 den Wehrsold anpassen.
Zum Schluß ein sehr wesentliches Problem: Der Verwendungs- und Beförderungsstau muß beseitigt werden.
Ich darf an dieser Stelle noch einmal die Bitte an die Bundesregierung äußern, daß die sozialen Maßnahmen, die wir im Haushaltsausschuß einvernehmlich beschlossen haben, durch entsprechende Gesetzesvorlagen im kommenden Jahr frühzeitig und rechtzeitig hier ins Parlament eingebracht werden, damit die Betroffenen im kommenden Jahr auch noch etwas davon haben.
Meine Damen und Herren von der Opposition, mich schockiert besonders Ihre Aussage, daß Sie diesem Verteidigungshaushalt erneut Ihre Zustimmung versagen.
— Lieber Herr Kollege Damm, ich habe mir einmal sagen lassen, wie sie am 10. Oktober im Verteidigungsausschuß abgestimmt haben. Sie haben von den 17 Kapiteln 11 einstimmig angenommen, bei vier Kapiteln mit jeweils einer Stimmenthaltung und bei einem Kapitel mit einer Gegenstimme votiert.
— Im Haushaltsausschuß — um dies hinzuzufügen
— haben sich die Kollegen Hauser und Haase letztlich nicht anders verhalten, wenn ich das richtig sehe. Sie haben keine größeren Erhöhungsanträge gestellt. Deshalb verstehe ich Ihre Haltung hier im Plenum nicht und sage: Die Opposition hat sich im Verteidigungsbereich jedenfalls schlicht abgemeldet.
— Lieber Herr Kollege Haase, wir werden uns im Jahre 1980 im Land umsehen, wie Sie Ihr Verhalten den Bürgern mit und ohne Uniform erklären.
Lassen Sie mich für die SPD-Bundestagsfraktion feststellen: Unsere Verteidigungsausgaben sind angemessen und zugleich solide finanziert. Wir geben das Geld dort aus, wo wir es unmittelbar und dringend für unsere Verteidigungskraft benötigen. Damit können wir unsere Aufgaben im Bündnis erfüllen. Die Sozialdemokraten stimmen dem Einzelplan 14 vollinhaltlich zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zywietz.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hält man im Rahmen des gesamten Etats mit einem Volumen von 215 Milliarden DM nach den Schwerpunkten Ausschau, wie sie sich auch in den Einzeletats niederschlagen, so kann
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Zywietz
man ganz einfach feststellen, daß der erste Platz vom Arbeits- und Sozialbereich eingenommen wird, daß aber gleich danach auf Platz 2 das Verteidigungsressort mit einem Ausgabevolumen von 38 Milliarden DM rangiert. Wenn man nach NATO-Kriterien rechnet, ist der Verteidigungsetat mit 47,5 Milliarden DM mit dem Arbeits- und Sozialetat fast gleichauf.
— Nicht so voreilig, Herr Kollege Würzbach. Wir haben noch einen Moment Zeit für die Aussprache.
Es folgen dann der Verkehrsetat und der Etat für Jugend, Familie und Gesundheit. Gewichtet man, so kann man sagen, daß der Verteidigungsetat auf Platz 2 20 % des Gesamtetats ausmacht. Die ersten beiden Etats nehmen 45 %, die ersten vier Etats zusammen 60 % des Finanzvolumens, über das wir hier im Rahmen unserer Haushaltsberatungen sprechen, ein.
Mit diesen 20 % liegen wir bei einem Vergleich mit den Beiträgen der anderen NATO-Staaten an zweiter Stelle.
Ich meine, diese Zahlen sind ausreichender Beleg dafür, daß wir für die notwendige Verteidigungsfähigkeit in diesem Haushalt auch die notwendigen Finanzmittel bereitstellen.
Wir haben mit diesem Einzelplan in Umfang und Struktur einen richtig bemessenen Beitrag für die Sicherheit unserer Bundesrepublik im NATO- System erbracht.
Ich möchte hinzufügen, daß jeder Einzeletat in diesem Haushalt seinen Beitrag zur notwendigen Konsolidierung erbringen muß. Wer, Herr Kollege Hauser, diese Zahlen zur Kenntnis nimmt, der muß doch wohl sagen, daß wir die notwendige Verteidigung in keiner Weise vernachlässigen. Wie man zu der Formel: Bedrohung stärker, Ausgaben geringer, und als Schlußfolgerung daraus zur Ablehnung dieses Haushalts kommen kann, ist mir eigentlich unbegreiflich.
Wie die Verteidigungspolitik die notwendigen Aufgaben erfüllt, läßt sich am Zahlenspiegel des Etats ablesen. Über 23 Kapitel des Einzelplans oder, wenn man so will, über zwei Schwerpunktbereiche besteht ja Einigkeit, nämlich den Betriebs- und Personalkostenblock mit etwa 68 % — diese Relation besteht schon über einem längeren Zeitraum — und über den investiven Anteil mit etwa 30 bis 31 %, ebenfalls gemessen über einen längeren Zeitraum. In diesen beiden Schwerpunktbereichen haben wir ein Paket in Höhe von 276 Millionen DM geschnürt, das zur Verbesserung der Situation der Soldaten in der Bundeswehr beitragen soll.
— Auch „Päckchen" können schwer sein. Auf jeden Fall lohnt es sich, sie zu öffnen; es ist eine ganze Menge darin: der Zeitausgleich, Zulagen und für die Zeitsoldaten eine Gahaltszahlung von Anfang an, um in der Kürze der Zeit nur die wesentlichen Punkte zu nennen, Kollege Würzbach. Ich glaube, das ist schon sehr ansehnliches „Päckchen", insbesondere für diese Jahreszeit.
Aber viel wichtiger ist vielleicht der Blick auf die Ausgaben für die Ausrüstung und auf die Aufwendungen der Streitkräfte für moderne Waffen. Hierfür sollen 8,6 Milliarden DM aufgewendet werden; das ist eine Steigerung von 7 %. Wir halten das für eine sehr aussagekräftige Steigerungsrate. Man sollte das Ganze nicht so sehr auf die Absichtsbekundung verengen, einen Zuwachs von 3 % sicherzustellen. Das ist eine hilfreiche Leitidee, aber machen wir daraus doch keine Ideologie und keinen Zahlenfetischismus.
— Denen, die an der Erstellung dieser Zahlen mitgewirkt haben, kann nur der Rat erteilt werden, über ihren Bereich einmal sehr solide Rechenschaft zu geben. Ich glaube, da können wir bestehen. Ein Aufstocken von Verteidigungsetats, wie das in einigen Ländern geschieht, durch einen gesteigerten Personalaufwand, d. h. durch Gehaltsaufwendungen, die in der Vergangenheit verweigert worden sind und die jetzt sprunghaft nachgeholt werden, stellt keine adäquate Steigerung der Verteidigungsfähigkeit dar. Das muß doch wohl in diesem Zusammenhang modifiziert betrachtet werden.
Ich möchte noch ganz kurz auf einige Einzelthemen eingehen, die hier schon zum Teil angesprochen worden sind, die vielleicht aber auch noch aus grundsätzlichen Erwägungen heraus der einen oder anderen Ergänzung bedürfen.
Da stellt sich einmal die Frage der Energiekosten im Zusammenhang mit diesem Etat. Hierbei handelt es sich um ein Grundsatzproblem, das sich durch alle Einzeletats hindurchzieht und das nicht nur den öffentlichen Bereich insgesamt, sondern auch den privaten Bereich belastet. Wir meinen, daß kein Etat grundsätzlich davon ausgenommen sein kann, einen Beitrag zur rationellen Energieverwendung zu erbringen. Sicher haben wir auch Besonderheiten, die im Rahmen der einzelnen Ansätze berücksichtigt wurden. Wir begrüßen aber den Einsatz eines Energiebeauftragten, von dem wir viel erhoffen. Die einfache Formel — die in der Vergangenheit benötigte Energiemenge multipliziert mit den neuen Preisen ergibt den Haushaltsansatz — ist auch für den Verteidigungsetat nicht akzeptabel, weil damit die Vorbildfunktion für den öffentlichen Bereich insgesamt nicht erfüllt wird. Ich möchte aber im Gegensatz zu dem, was der Sprecher der Opposition gesagt hat, unterstreichen und damit unserer Überzeugung Ausdruck verleihen, daß die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr durch den vorliegenden Haushaltsansatz in diesem Bereich voll gewährleistet ist.
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Zywietz
Noch ein kurzes Wort zu dem in den Ausschußberatungen und in den Berichterstattergesprächen intensiv erörterten Thema des Flugzeugs der 90er Jahre. Im Etat 1979 waren dafür 25 Millionen DM vorgesehen. In der Tat haben wir im Etat eine Kürzung von 71 Millionen DM auf 31 Millionen DM vorgenommen. Wir meinen allerdings auch, daß uns schon eine kursorische Betrachtung der Erfahrungen mit der Behandlung von Entwicklungsaufwand, von Forschungsaufwand bei anderen Projekten — Stichwort MRCA — zu einer solchen Vorsicht im Zeitablauf und einer größeren parlamentarischen Transparenz und Kontrolle kommen läßt.
— Wir wissen sehr wohl, daß sich am Ende aus dem, was im Etat in einzelnen Punkten ausgewiesen wird, sehr schnell eine selbst nach vorn entwickelnde Sachzwangabfolge ergibt, an deren Ende nachher Größenordnungen von 15 Milliarden DM für dieses Anschaffungsprogramm stehen. Allein diese Größenordnungen und die bisherigen Erfahrungen mit dem parlamentarischen Verfahren raten hier zur Vorsicht und Umsicht.
Davon sind wir überzeugt, Herr Kollege Haase. Sie können nachher Ihre 15 Minuten verwenden, um die Meinung der Opposition zu diesem Thema darzulegen.
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— Das ist überhaupt kein Lottospiel, sondern darüber ist in verschiedenen Ausschüssen mehr als ausführlich gesprochen worden. Ich hatte das Vergnügen, an einigen Ausschußsitzungen teilzunehmen. Auf Grund meines Kenntnisstandes wage ich zu sagen, es sollte mit etwas mehr Vorsicht und Umsicht vorgegangen werden. Wir werden das Ziel erreichen, das uns vor Augen steht.
Vielleicht können wir dieses Ziel etwas direkter, mit weniger finanziellem Verschnitt und nicht unter solchen eklatanten Sachzwängen erreichen.
Im übrigen findet sich auch im Haushalt wieder, daß wir im Baubereich — der Kollege Haase hat die besonders im Baubereich stark steigenden Preise angesprochen — etwas zur Streckung raten.
Zwei Sätze noch zur angesprochenen Bürokratisierung. Ich bin relativ neu in der Aufgabe des Berichterstatters und Mitrevisors,
aber ich hoffe, ich bin von der fachlichen Betrachtung her nicht so verengt wie Sie manchmal, Herr Kollege Damm, was ich aus Ihren Zwischenrufen entnehme. Ein bißchen ökonomische Betrachtung ist für jeden großen Etat, auch für den Verteidigungsetat, gut. Ein Stück mehr Ökonomie und ein Stück mehr Betrachtung durch Innenrevisore, wie sie die Maizière-Kommission auf den Weg gebracht hat, was vielleicht mit Beratern von außen anzureichern wäre, wäre für jede große Organisation und auch für diese förderlich.
Wir alle respektieren den guten Einstieg in die Thematik, möchten aber ermuntern, die Initiativen in diesem Sinne zu verlängern.
Die Beratungen haben im einzelnen deutlich gemacht, daß durch gute Ansätze durch noch ökonomischere Verhandlungen, beispielsweise hinsichtlich der Informationsträger mit Datenverarbeitungsfirmen, manches noch genauer zu kalkulieren ist. Wir würden dann für die Summe, die hier ausgewiesen ist, mehr Leistung erhalten und damit mehr Verteidigungsbereitschaft haben. Damit würden wir genau Ihrem Petitum entgegenkommen. Aus Ihrer Argumentation müßten Sie das unterstützen, was ich gesagt habe.
Es ist deutlich geworden, daß mit den Geldbeträgen für Ausrüstung, für die Soldaten, für die Mitarbeiter schlechthin, von seiten der FDP-Fraktion die große Bedeutung der Verteidigungsfähigkeit und der hohe Stellenwert dieses Etats eindeutig unterstrichen worden ist. Wir sehen diesen Einzeletat immer in Parallelität mit unseren politischen Bemühungen um Entspannung und Abrüstung.
Als dritten Punkt möchte ich hinzufügen, daß der Gesamteindruck für den Berichterstatter ist, daß die Ansätze, wirtschaftlichem Denken noch stärker zum Durchbruch zu verhelfen, intensiv weitergeführt und weitergepflegt werden müssen. Ich meine, man sollte auch manchmal überlegen — ich scheue mich nicht, das zu sagen —, und zwar vielleicht nicht nur bei diesem Etat, sondern insgesamt, ob wir von dieser ungleichgewichtigen Ausgangsposition parlamentarischer Einzelkämpfer oder kleiner Gruppenkämpfer gegenüber Bataillonen von Referenten und Argumenteuren seitens der Exekutive nicht ein wenig abkommen können, damit es nicht drei Berichterstatter in diesen Gesprächen mit 100 Personen zu tun haben.
Ich würde das als einen kleinen Schritt zu mehr Gleichgewicht zwischen Legislative und Exekutive betrachten.
Abschließend möchte ich aber hinzufügen, daß dieser Etatentwurf nach unserem Eindruck sehr genau kalkuliert worden ist und daß sich die Handschrift eines früheren Finanzministers und Staatsse-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15167
Zywietz
kretärs aus dem Finanzbereich hier sehr wohltuend ausdrückt.
Wir möchten dies ausdrücklich unterstreichen und auch Dank für die in jeder Hinsicht große Auskunftsbereitschaft und Kooperation des Hauses sagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Haase .
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der verehrte Herr Abgeordnete Würtz beliebte hier soeben zu bemerken, die Unionsparteien hätten sich aus der Verteidigungspolitik abgemeldet.
Lieber Herr Würtz, Sie haben sicher eine gewisse Affinität zur bewaffneten Macht, aber Ihre Vorstellungen vom militärischen Meldewesen sind doch etwas eigenartig.
Ich möchte anregen, daß Sie sich einmal beim Herrn Minister auf der Hardthöhe melden und daß der mit Ihnen wegen der Angelegenheit, die ich jetzt vortragen werde, einmal nach alter Väter Sitte die Hardthöhe herauf und herunter ..., damit Sie auf vernünftige Gedanken kommen. Soweit zum Meldewesen.
Meine Damen und Herren, die Zeit ist fortgeschritten, daher kurze Bemerkungen: Wenn unsere Luft- und Raumfahrtindustrie — und ich muß über ein Bubenstück aus dem Haushaltsausschuß berichten —
trotz des schweren Starts nach dem vergangenen Kriege heute wieder Anschluß an das luftfahrttechnische Weltniveau gewonnen hat, ist dieser Umstand nicht nur auf Initiativen im Zivilbereich wie beispielsweise auf den Airbus zurückzuführen, sondern auch und in erster Linie auf die Teilhabe am Bau von Hochleistungsflugzeugen wie Senkrechtstarter Alpha-Jet und Tornado.
Es ist kein Geheimnis, daß die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Luftfahrtindustrie vor allem gegenüber den Vereinigten Staaten nur durch die Kombination von militärischen und zivilen Projekten gesichert werden kann.
Um einen Verlust des mühsam erworbenen Knowhow zu vermeiden, müssen wir in diesem Land technologisch anspruchsvolle Programme kontinuierlich durchführen.
In diesem Zusammenhang wäre ein Verzicht auf die Fortführung der Entwicklungsprogramme für Kampfflugzeuge gleichbedeutend mit der Aufgabe wichtigster flugtechnischer Kapazitäten, die seinerzeit erhebliche Investitionen bedingten, welche als verloren angesehen werden müßten, was bedeutete, daß volkswirtschaftlich wichtige Arbeitsplätze verlorengingen und in weiten Bereichen ein negativer Einfluß auf unsere Arbeitsmarktsituation bewirkt würde.
All diese Überlegungen veranlaßten die Bundesregierung, nicht nur im Etat des Wirtschaftsministers und des Forschungsministers, sondern auch im Verteidigungsetat Mittel für die Luftfahrtindustrie auszuweisen.
Noch sind nicht alle Entwicklungsvorhaben für den Tornado abgeschlossen, und schon müssen die ersten Untersuchungen für das taktische Kampfflugzeug der 90er Jahre angestellt werden, denn es dauert — die meisten in diesem Raum wissen das — mehr als zehn Jahre, bis aus einem Konzept ein einsatzfähiges Flugzeug geworden ist.
Es gibt — auch darüber sind sich die meisten Verteidigungspolitiker einig — für die operative Flexibilität einer bemannten Luftverteidigungskomponente derzeit und in absehbarer Zukunft keine glaubhafte Alternative. In Kap. 14 20 des Einzelplans 14 — Forschung und Entwicklung — sind im laufenden Haushaltsjahr 25 Millionen DM als erste Rate für die Konzeptphase des TKF vorgesehen.
Entschuldigen Sie, Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Löffler, gern, natürlich. — Machen Sie jetzt auch Verteidigung?
Sehr geehrter Herr Kollege Haase, haben Sie nicht auch den Eindruck, daß Sie unsere Verteidigungsbereitschaft durch Ihren Beitrag stark schwächen, da Sie nämlich mit dem, was Sie hier sagen; an den Bereich des Vertraulichen herankommen? Sie fügen, glaube ich, dieser Republik einen großen Schaden zu.
Herr Kollege Löffler, ich wiederhole nur die Zahlen, die Herr Zywietz eben hier genannt hat. Ich habe die Vertraulichkeit nicht gebrochen.
— Herr Zywietz, darf ich fragen: Haben Sie die Zahlen genannt? — Er weiß es schon nicht mehr. Er hat sie genannt.
Wir können im Protokoll nachlesen, wer hier gegen die Geheimvorschriften verstoßen hat. Nichts mehr geheim!
15168 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? — Bitte!
Herr Kollege Haase, steht nicht zu befürchten, daß Sie die Vertraulichkeit gar nicht brechen können, weil wegen des hohen Geräuschpegels kein Mensch mehr zuhört?
Herr Dr. Jaeger, wahrscheinlich hören jetzt doch ein paar mehr zu.
Für 1980 sollte, wie uns Herr Zywietz hier in epischer Breite dargetan hat, nach dem Antrag der Bundesregierung die Bewilligung weiterer 71 Millionen DM herbeigeführt werden. Unsere Luftfahrtindustrie sollte mit Hilfe dieser Mittel in den Stand gesetzt werden, herauszufinden, was technisch möglich und sinnvoll ist, als Nachfolgemuster für die demnächst veralteten Phantom-Kampfflugzeuge für Missionen im Jagdbereich und in der Aufklärung entwickelt zu werden. Der Verteidigungsausschuß hat diesem Ausgabenvorhaben der Bundesregierung positiv gegenübergestanden.
— Einstimmig, wie ich eben höre. Im Haushaltsausschuß dagegen, meine Damen und Herren, sind Kollegen der Koalition hiergegen angegangen mit dem Argument — hier hat sich der Kollege Grobecker besonders ausgezeichnet —,
man wolle nicht noch einmal ein Fiasko wie beim MRCA erleben.
Dabei müssen Sie der Regierung auseinandersetzen, was es mit dem Fiasko beim MRCA auf sich hatte. Mit dem Argument, man wolle nicht noch einmal das Gleiche erleben wie beim MRCA, hat man bei diesem Ansatz um 40 Millionen DM gekürzt. Nach dieser Streichung stehen für die genannten Zwecke nunmehr noch 31 Millionen DM zur Verfügung.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Wer ist es denn jetzt? — Herr Würtz, ja, bitte.
Verehrter Herr Kollege Haase, ist Ihnen als Haushaltsberichterstatter entgangen, daß 'außer diesen 31 Millionen DM noch 13 Millionen DM in der Komponentenentwicklung für dieses Flugzeug enthalten sind?
Herr Kollege Würtz, es macht die Ungeheuerlichkeit, die Sie sich hier herausgenommen haben, keineswegs besser, daß da zufällig noch 13 Millionen DM stehen.
Meine Damen und Herren, daß die Parlamentsmehrheit in diesem Falle in einer wichtigen Frage die Bundesregierung im Stich gelassen hat, ihre eigene Regierung, ist ihre Sache, Sache der Koalition. Für die Allgemeinheit allerdings erheischt die Sache aber deswegen besondere Aufmerksamkeit, weil durch diesen sachlich ungerechtfertigten Akt die Anstrengungen des Wirtschaftsministers und seines Staatssekretärs beeinträchtigt werden, die deutsche Luftfahrtindustrie langfristig zu einem lebensfähigen und ernst zu nehmenden Partner in der europäischen Luftfahrtindustrie zu machen.
Wie stehen nach dieser törichten Streichung die deutschen Luftstreitkräfte da, die Ende kommenden Jahres zusammen mit den englischen und französischen Waffenkameraden entscheiden sollen, ob es eine gemeinsame technologische Konzeption für dieses Flugzeug der 90er Jahre gibt! Es läßt sich schon heute absehen: Die Verweigerung der Mittel verhindert die Beschaffung beweiskräftiger Argumente für eine wirklich moderne Konzeption.
Mir scheint, daß diese Verweigerung der Mittel ein erstes Signal bedeutet, überhaupt ein eigenes deutsches Flugzeug zu bauen.
Das bedeutet, daß die Luftwaffe zur Ablösung der Phantom bestenfalls ein Nachfolgemuster in der Bundesrepublik bauen oder im Ausland kaufen müßte. F 15, F 16 und F 18 sind jedoch Ende der 80er Jahre veraltet und können die gesteigerten Leistungsanforderungen nur mit höheren Kosten bzw. höheren Stückzahlen ausgleichen. Eine glaubwürdige Verteidigungspolitik sowohl gegenüber dem potentiellen Gegner als auch den NATO-Partnern gegenüber ist nur möglich, wenn unsere Luftwaffe mit an Stückzahl ausreichendem und an Kampfkraft überlegenem Material ausgerüstet ist.
Ihre Mittelverweigerung ist geeignet, nicht nur unsere Zurüstung zu beeinträchtigen. Vielmehr gefährdet sie auch qualifizierte Arbeitsplätze und läßt den deutschen Abwehrwillen geschwächt erscheinen, und zwar in einem Augenblick, in dem wir den Vereinigten Staaten die Modernisierung ihrer atomaren Komponenten ebenso abverlangen wie eine Verstärkung der konventionellen Verteidigungskräfte in. Europa.
Herr Kollege Haase, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Grobecker?
Meine Zeit ist schon um. Sie kriegen bei anderer Gelegenheit noch das Wort.
Meine Damen und Herren, Ihre törichte und un-sachgerechte Kürzung der Ausgaben für die Landesverteidigung erscheint mir als die schädlichste Maßnahme im Zusammenhang mit diesem Haushalt.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15169
Herr Abgeordneter Haase, ich bitte, zum Ende zu kommen.
Meine Damen und Herren, der Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten - lassen Sie mich noch zwei Sätze sagen — hat heute nachmittag in Brüssel in einer dramatischen Rede die Bundesgenossep des Wortbruchs bezichtigt,
des Wortbruchs nämlich, ihre finanziellen Verpflichtungen nicht eingehalten zu haben.
Meine Damen und Herren, Sie haben mit dieser Ihrer Kürzung zu diesem Desaster nach Kräften beigetragen.
Herr Kollege Würtz, ein guter Rat an Sie - —
Herr Abgeordneter Haase, ich bitte, zum Ende zu kommen; Ihre Zeit ist abgelaufen.
Ich komme sofort zum Ende, Herr Präsident.
Nicht bei den Betriebsräten zu Hause den strammen Max spielen und den Kraftmann mimen, sondern hier, wo Sie für die Unternehmen tatsächlich etwas tun können, ihren Mann stehen!
Damit ist den Leuten geholfen.
Und eine Empfehlung an die Regierung.
Herr Kollege Haase, ich bitte, zum Schluß zu kommen; sonst entziehe ich Ihnen das Wort.
Herr Minister, Sie sollten beim nächsten Nachtrag möglichst sehen, daß dieser Unfug aus der Welt geschaffen wird.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir können am Ende des Jahres 1979 feststellen, daß wir für dieses Haushaltsjahr, das nun in wenigen Wochen zu Ende sein wird, nach NATO-Kriterien die 3 % real deutlich erreicht haben. Wir werden in diesem Jahr eine nominale Steigerung der Verteidigungsausgaben gegenüber 1978 um 6,6 % haben. Dies gibt nach Abzug des Deflators deutlich mehr als 3 % real.
Ich sage das deswegen, weil die Opposition im Januar dieses Jahres mit ähnlichen Argumenten, wie Herr Hauser sie vorgetragen hat, die Zustimmung zum Verteidigungsetat verweigert hat. Ich frage mich nun für 1980: Wieso erneut diese Verweigerung, wenngleich Sie in diesem Falle wirklich recht haben? Denn wir werden im Jahre 1980 die 3 % real sicherlich nicht erreichen. Dafür sind wir aber einer anderen Forderung nachgekommen, die auch für Sie wie für uns alle eine große Rolle gespielt hat. Zum erstenmal werden wir in diesem Etat einen deutlichen Einstieg in die soziale Komponente, in die Verbesserung der sozialen Lage der Angehörigen der Bundeswehr haben.
Ich meine also, wir sollten die Argumente nicht an den Haaren herbeiziehen: Sie haben gegen den Etat 1979 gestimmt, obwohl er den NATO-Kriterien deutlich entsprochen hat. Sie werden gegen den Etat 1980 stimmen, obwohl er eine deutliche soziale Komponente hat. Ich nehme das zur Kenntnis. Sie sollten das nur nicht ideologisch überhöhen und davon reden, wir hätten die Schwerpunkte von der Verteidigung auf die Entspannung verlagert.
Ich frage Sie: Woher nehmen Sie eigentlich diese sehr kühne Behauptung? Sie wissen doch genau so gut wie wir, daß, als die sozialliberale Koalition 1969 die Bundesregierung übernahm, die NATO in einem Auflösungszustand war und die Mansfield-Doktrin dahin führen mußte, daß die Amerikaner einseitig Truppen abziehen würden. Wir haben in dieser Zeit die NATO gefestigt. Es kann also überhaupt nicht die Rede davon sein, daß wir die Schwerpunkte verlagert hätten. Wir haben allerdings im Gegensatz zu Ihnen begriffen, daß es darauf ankommt, Verteidigung und Entspannung als die beiden Elemente der Sicherheitspolitik zu verstehen.
Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu dem Etat machen, wie er jetzt vor uns liegt, und auch zu den Problemen, die dabei gegeben sind.
Erstens. Ich höre mit Freude, Herr Abgeordneter Würtz, daß Sie in einem sehr kühnen Satz gesagt haben: Der Beförderungs- und Verwendungsstau muß gelöst werden. Ich höre das mit großem Vergnügen. Denn Sie als Mitglied des Haushaltsausschusses haben — im übrigen mit allen Fraktionen; da waren Sie ja nicht allein, sondern die CDU/CSU hat mitgemacht; Herr Haase hat sich hier besondere Verdienste, ich meine negative Verdienste, erworben — —
— Sie haben uns bei der Verwirklichung des Heeresmodells 4 die Personalanhebungen so zusammengestrichen, daß wir nur noch in einem Kraftakt mit Hilfe der sozialliberalen Koalition wieder einigermaßen zurechtkommen konnten.
Und nun bitte schön also nicht so leichtfüßig von Beförderungs- und Verwendungsstau reden, wenn wir schon in dieser Frage einige Probleme hatten, berechtigte Personalwünsche die wir hatten, um das Heeresmodell 4 umzusetzen, wobei das ein Beitrag zur Auflockerung des Beförderungs- und Verwendungsstaus ist und wir dies nur mit Mühe erreichen konnten. Ich bin Ihnen also sehr dankbar, meine Herren Abgeordneten vom Haushaltsausschuß,
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Bundesminister Dr. Apel
wenn Sie sagen: Es muß gelöst werden. Ich komme auf Ihr Angebot sehr gern zurück.
— Ich merke schon: Es war wahrscheinlich eine Bemerkung, die noch einiger Reflexion bedarf.
Ich komme zu dem zweiten Punkt. Ich finde, Herr Kollege Hauser, Sie können uns eigentlich keine Vorwürfe über die Ansätze im Bereich der Infrastruktur machen. Wir haben heute morgen in der Tageszeitung gelesen, daß derzeit die Bauindustrie so weit ist, daß sie mit überhöhten Angeboten bei den öffentlichen Nachfragern Aufträge abwehren will, weil sie sich nicht mehr in der Lage sieht, Aufträge aufzunehmen. Eine Tageszeitung hat ihren Artikel überschrieben: Schutz vor Aufträgen durch Abgabe überhöhter Angebote.
— Augenblick! Ich komme darauf gern zurück. Nur, wenn das die Situation ist, dann muß der Haushalt 1980 bei der Infrastruktur kurztreten.
Im übrigen müssen wir natürlich bereit sein — der Verteidigungsminister wie die Bundesregierung —, daß wir, wenn sich die Konjunktur ändert, umsteuern können. Wir sind darauf vorbereitet.
Lassen Sie mich zu der dritten Bemerkung kommen. Zweifelsohne hätten wir gern die volle Summe zur Deckung der zusätzlichen Kosten für die erhöhten Treibstoff- und Heizölkosten bekommen. Der Haushaltsausschuß hat nur eine Steigerung um 175 Millionen vorgesehen.
Daraus kann ich zwei Folgerungen ziehen. Nummer 1: Wir werden damit zum Sparen von Energie aufgefordert. Dies werden wir versuchen. Nummer 2: Da die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr nicht leiden darf, werden wir im nächsten Jahr gegebenenfalls nachfordern müssen, wenn die Treibstoffmittel nicht reichen. Ich gehe davon aus, daß das allseitig verabredet ist. Denn wir können die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr nicht einschränken.
Viertens: Was die militärischen Ausrüstungsgüter anbelangt, so können wir mit der Steigerungsrate von 7% nominal alles leisten, was wir an Beschaffungsvorhaben leisten müssen. Es stimmt eben nicht, wenn der Abgeordnete Hauser sagt, daß eine ganze Reihe von Beschaffungsvorhaben deswegen gestreckt worden ist. Sie sind wegen technischer Schwierigkeiten gestreckt worden. Sicher gehen auch nicht alle Wünsche der Streitkräfte in Erfüllung. Die Marine wünscht sich sicher die Fregatten 7 und 8. Wir haben darüber geredet. Auch die Küstenländer wünschen sich diese Fregatten. Aber wir können nur das leisten, was geboten und finanzierbar ist.
Letzter Punkt. Herr Kollege Haase, Sie haben natürlich die Kürzung der 40 Millionen DM bei der Entwicklung des neuen Kampfflugzeuges ein bißchen übertrieben. Herr Damm, wollen wir uns mal so verständigen, daß ich die 40 Millionen DM lieber gehabt hätte. Das muß ich hier nicht bestreiten. Daß uns diese Kürzung auch ein paar Probleme aufgibt, will ich auch nicht bestreiten. Aber daß nun Herr
Haase daraus die Krise der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie oder gar die Krise der Verteidigungsfähigkeit oder gar die Krise der deutschen Luftwaffe macht, ist doch, Herr Haase, um 22.30 Uhr wirklich mehr Kabarett als Realität.
Nehmen wir doch im übrigen Herrn Würtz und Herrn Grobecker, der neben ihm sitzt, ganz fest beim Wort. Herr Würtz hat hier zu Protokoll gegeben:
Nun wollen wir doch mal sehen, wie es weitergeht. Wenn mehr Geld gebraucht wird,
— ich füge hinzu: auch im Haushaltsjahr 1980 —
lassen die Koalitionsabgeordneten darüber mit sich reden.
Ich bitte Sie, dann ist doch alles in Ordnung. Dann nimmt das Parlament seine Kontrollrechte wahr. Dafür ist das Parlament da. Ansonsten müssen wir in dem Haushalt 1980, der sparsam angelegt ist, mit den Mitteln auskommen, die wir bekommen. Die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr und unser Beitrag zum NATO-Bündnis können mit diesem Verteidigungsetat und seinen Ansätzen gewährleistet werden.
Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Ruhe. Ich bitte doch Platz zu nehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Picard.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Innerhalb von fünf Minuten soll ich Ihnen etwas zum Haushalt des Herrn Außenministers sagen. Das ist fast unmöglich. Ich will den Versuch wagen.
Ich habe in diesen Haushalt ein Kuriosum entdeckt, das auch ein Ärgernis ist, nämlich einen Geheimfonds von 8 Millionen DM. So etwas gibt es im ganzen Haushalt nicht mehr. Da diese Koalition vor zehn Jahren mit dem Versprechen angetreten ist, Offenheit und Kritikbereitschaft zu beweisen, bin ich der Meinung, dieser Geheimfonds müßte wenigstens einem Vertreter des Parlaments im nachhinein offengelegt werden,
um die Gefahr zu beseitigen, die darin besteht, daß man Vermutungen hegen könnte, die vielleicht nicht wahr sind, vielleicht aber auch doch.
Ich habe eine zweite Bemerkung zur besseren Koordinierung von humanitärer Hilfe und Entwicklungshilfe zu machen. Ich persönlich hätte ja nichts dagegen, wenn „Die Zeit" mit einem Artikel recht gehabt hätte, den sie kürzlich veröffentlicht hat, in dem die Befürchtung oder die Hoffnung geäußert wurde, daß der Entwicklungshilfeminister sein Ministerium überflüssig mache. Dann hätten wir vielleicht etwas mehr außenpolitische Gesichtspunkte bei der Entwicklungshilfe und würden unter Um-
Deutscher Bundestag -- 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15171
Picard
ständen auch die humanitäre Hilfe zweckentsprechender verwenden.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter. Meine Damen und Herren, ich bitte doch, mehr Ruhe zu bewahren. Es ist unmöglich, den Redner zu verstehen.
Herr Präsident, ich habe eh den Eindruck, daß ich fürs Protokoll rede und nicht, damit mich jemand hört. Es wird nachher im Protokoll geschrieben, und deshalb stört es mich nicht.
Ich möchte eine Bemerkung zur Ausrüstungshilfe machen. Meine Fraktion hält die Ausrüstungshilfe für ein hochwirkungsvolles politisches Instrument. Wir bedauern es, daß die Ausrüstungshilfe hin und wieder als Ersatz für notwendige und zweckentsprechende Entwicklungshilfe eingesetzt werden muß. Wir sind dafür, daß wir die Ausrüstungshilfe dort, wo es angezeigt ist, auch in Zukunft noch verstärken.
Ich möchte eine Bemerkung zur deutsch-britischen Stiftung machen, die wie begrüßen, deren Zweck wir allerdings mit der Einschränkung gutheißen, daß auch die Partnerseite, Großbritannien, ihren entsprechenden Beitrag leistet. Im Zusammenhang mit dieser Stiftung möchte ich zu einem Titel, den wir im Haushaltsausschuß etwas verändert haben, eine Befürchtung aussprechen. Das ist der Titel 686' 36, Leistungen im Interesse der deutsch-französischen Verständigung. Wer in den jüngsten Tagen in der deutschen Presse und auch in der niederländischen Presse die betrübliche Nachricht vernehmen nußte, daß die französische Regierung zum wiederholten Male eine Konvention zum Schutze des Rheins dem Parlament nicht zugeleitet hat, kann nur die größten Befürchtungen hegen, wenn wir in diesem Haushalt einen Titel mit 250 Millionen DM ausgestattet haben, der eine ähnliche Zweckbestimmung haben sollte, nämlich die deutsch-französische Verständigung zu verbessern. Wir können die Warnungen, die wir im Haushaltsausschuß vorgetragen haben, nur ganz nachdrücklich in Erinnerung rufen.
Eine Bemerkung zur Kriegsgräberfürsorge. Meine Damen und Herren, wir haben in den westlichen Ländern das Problem gelöst, soweit es zu lösen war, nämlich die Pflege deutscher Kriegsgräberstätten. Wir fordern die Regierung auf, bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf Grund der Konvention von Helsinki und nach allgemeinen Gesichtspunkten der Humanität auch in den Ostblockländern die Pflege deutscher Kriegsgräber zu erreichen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte jetzt keine Zwischenfrage zulassen.
Meine Damen und Herren, ich bitte doch um Ruhe.
Eine höchst „wirkungsvolle" Verwendung der deutschen öffentlichen Steuermittel im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik möchte ich nur an einem Beispiel ansprechen. Ich halte es für einen Luxus, den wir uns nicht erlauben können, wenn wir Redner durch die Lande schicken, die Reisekosten, Tagegelder und Übernachtungsgelder und Honorar bekommen und dann mehrmals — ich habe das selber festgestellt — nur eine Zuhörerschaft zwischen drei und fünf Personen haben. Ich habe das einmal pro Kopf ausgerechnet. Das ist nicht zu vertreten.
Wenn wir Spezialitäten anzubieten haben, dann sollten wir das auf andere Weise machen, aber nicht über die Goethe-Institute an jedermann. Die Eröffnung des Goethe-Instituts in Bukarest war für die Regierung Anlaß, dies sozusagen als Erfolg der Entspannungspolitik zu bezeichnen. Ich habe nur die Frage: Wo sind eigentlich die Goethe-Institute oder Kulturinstitute in anderen Ostblockländern? Wie sieht das eigentlich mit dem Austausch aus? Abschließend die Frage: Wo gibt es eine deutsche Zeitschrift, die man heute als Gegenstück zu „Sowjetunion heute" bezeichnen könnte und die man überall in der Sowjetunion auslegen könnte?
Und wo ist es dem deutschen Kulturattaché oder dem deutschen Botschafter in der Sowjetunion oder in einem anderen Ostblockland möglich, frei herumzureisen, zu jedermann zu gehen, der ihn einlädt, und dort seine Ideen zu vertreten? Das wäre Gleichberechtigung, das wäre Offenheit, das wäre Entspannungspolitik, meine Damen und Herren.
Ich bitte, zum Schluß zu kommen.
Lassen Sie mich abschließend eine Bemerkung zu den Personalentscheidungen machen. Die Tatsache, daß meine Fraktion an dieser berühmten oder berüchtigten Personalkommission beteiligt war, kann die Mehrheit dieses Hauses nicht von ihrer Verantwortung entbinden. Ich wehre mich gegen die beginnende Legendenbildung, als ob es die Opposition gewesen sei, die vielleicht notwendige oder geliebte Stellen gestrichen hätte. Es war die Mehrheit dieses Hauses. Es ist die Pflicht der Opposition, soweit das irgend geht, das Volumen dieses Haushalts zu reduzieren, dabei mitzuarbeiten; aber die Verantwortung haben leider vorläufig noch die anderen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Einzelpläne. Ich rufe zunächst den Einzelplan 04 auf: Bundeskanzler und Bundeskanzleramt. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3474 unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich
15172 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
Vizepräsident Wurbs
um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe nunmehr den Einzelplan 04 in der Ausschußfassung zur Abstimmung auf. Es wird namentliche Abstimmung verlangt. Der Antrag ist ausreichend unterstützt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. —
Ist noch ein Abgeordneter im Saal, der seine Stimme nicht abgegeben hat? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung.
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen. —
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt: Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 482 ihre Stimme abgegeben. Ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 249, mit Nein haben 233 Mitglieder des Hauses gestimmt. Enthaltungen: keine.
21 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Mit Ja haben 10, mit Nein 11 von ihnen gestimmt.
Ergebnis
Abgegebene Stimmen 482 und 21 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 249 und 10 Berliner Abgeordnete,
nein: 233 und 11 Berliner Abgeordnete
Ja
SPD
Adams
Ahlers
Dr. Ahrens
Amling
Dr. Apel
Arendt
Augstein
Baack
Bahr
Frau Dr. Balser
Dr. Bardens
Batz
Dr. Bayerl
Becker Biermann
Bindig
Dr. Böhme Frau von Bothmer Brandt (Grolsheim) Brück
Büchler
Büchner Dr. von Bülow
Buschfort
Dr. Bußmann
Collet
Conradi
Coppik
Dr. Corterier
Curdt
Frau Dr. Czempiel
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Dr. von Dohnanyi Dürr
Dr. Ehmke
Dr. Ehrenberg Eickmeyer
Frau Eilers Dr. Emmerlich
Dr. Enders
Engholm
Frau Erler
Esters Ewen
Fellermaier
Fiebig
Dr. Fischer
Flämig
Frau Dr. Focke
Franke Friedrich (Würzburg) Gansel
Gerstl
Gertzen
Dr. Geßner
Glombig
Gobrecht
Grobecker
Grunenberg
Gscheidle
Dr. Haack
Haar
Haase
Haehser
Hansen
Frau Dr. Hartenstein Hauck
Dr. Hauff
Henke Heyenn
Hoffmann Hofmann (Kronach)
Dr. Holtz
Horn
Frau Huber
Huonker Ibrügger
Immer Jahn (Marburg)
Jaunich
Dr. Jens Junghans Jungmann Junker
Kaffka
Kirschner
Klein
Konrad
Kratz
Kretkowski
Dr. Kreutzmann Krockert Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lattmann
Dr. Lauritzen
Leber
Lemp
Lenders
Frau Dr. Lepsius Liedtke
Dr. Linde Lutz
Mahne
Marquardt Marschall
Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer
Dr. Meinecke Meinike (Oberhausen) Meininghaus
Menzel
Möhring
Müller Müller (Mülheim) Müller (Nordenham) Müller (Schweinfurt)
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Nehm
Neumann Neumann (Stelle)
Dr. Nöbel Offergeld Oostergetelo
Paterna
Pawelczyk Peiter
Dr. Penner Pensky
Peter
Polkehn
Porzner
Rapp Rappe (Hildesheim) Frau Renger Reuschenbach
Rohde
Rosenthal Roth
Sander
Saxowski
Dr. Schachtschabel Schäfer
Dr. Schäfer Scheffler
Schirmer Schlaga
Schluckebier
Dr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmidt (München) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf)
Dr. Schmude Dr. Schöfberger
Schreiber
Schulte
Dr. Schwencke Dr. Schwenk (Stade) Seefeld
Sieler
Frau Simonis Simpfendörfer Dr. Sperling Dr. Spöri
Stahl
Dr. Steger
Frau Steinhauer Stockleben Stöckl
Sybertz
Thüsing
Frau Dr. Timm Tönjes
Topmann
Frau Traupe Ueberhorst Urbaniak
Dr. Vogel Vogelsang
Voigt
Vosen
Walkhoff
Waltemathe Walther
Dr. Weber
Wehner
Weisskirchen Wendt
Dr. Wernitz Westphal
Wiefel
Wilhelm
Wimmer Wischnewski
Dr. de With Wittmann
Wolfram Wrede
Würtz
Wüster
Wuttke
Wuwer
Zander
Zebisch
Zeitler
Berliner Abgeordnete
Bühling
Dr. Diederich Dr. Dübber
Löffler
Männing
Mattick
Frau Schlei
Schulze Sieglerschmidt
FDP
Angermeyer Baum
Cronenberg Eimer Engelhard Ertl
Gärtner
Gallus
Gattermann Genscher
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15173
Vizepräsident Wurbs Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Hölscher
Hoffie
Jung
Kleinert
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Ludewig
Dr. Dr. h. c. Maihofer Frau Matthäus-Maier Merker
Mischnick Möllemann Paintner
Schäfer Schleifenbaum
Schmidt
von Schoeler Frau Schuchardt Spitzmüller
Dr. Vohrer Dr. Wendig
Wolfgramm Wurbs
Dr. Zumpfort Zywietz
Berliner Abgeordnete Hoppe
Nein
1 CDU/CSU
Dr. Abelein
Dr. van Aerssen
Dr. Aigner Alber
Dr. Althammer
Dr. Arnold Dr. Barzel Bayha
Dr. Becher
Dr. Becker Frau Benedix-Engler Benz
Berger
Berger
Besch
Biechele
Biehle
Blügel
Dr. Blüm
Böhm
Dr. Bötsch Braun
Breidbach Broll
Bühler
Burger
Carstens Conrad (Riegelsberg)
Dr. Czaja Damm
Daweke
Dr. Dollinger
Dr. Dregger Dreyer
Engelsberger
Erhard Ernesti
Erpenbeck Dr. Evers
Ey
Eymer Feinendegen Frau Fischer
Francke Franke
Dr. Friedmann
Dr. Früh
Dr. Fuchs Frau Geier Geisenhofer
Dr. von Geldern
Dr. George Gerlach Gerstein
Gerster Gierenstein Glos
Haase
Haberl
Dr. Häfele Dr. Hammans
Handlos
Hanz
Hartmann Hasinger von Hassel Hauser Hauser (Krefeld) Helmrich
Dr. Hennig
von der Heydt Freiherr
von Massenbach Höffkes
Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann Dr. Hornhues Horstmeier
Dr. Hubrig Frau Hürland
Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Dr. Jaeger Jäger
Dr. Jahn Dr. Jahn (Münster)
Dr. Jenninger
Dr. Jentsch Dr. Jobst
Josten
Frau Karwatzki
Kiechle
Dr. Klein Klein (München) Klinker
Dr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) Köster
Dr. Kohl
Kolb
Krampe
Dr. Kraske Kraus
Dr. Kreile Krey
Kroll-Schlüter
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kunz Lagershausen Lampersbach
Landré
Dr. Langguth
Dr. Langner Dr. Laufs Lemmrich
Dr. Lenz Lenzer
Link
Lintner
Löher
Frau Männle
Dr. Marx Dr. Mende
Dr. Mertes Metz
Dr. Meyer zu Bentrup
Dr. Mikat Dr. Miltner Dr. Möller Dr. Müller Müller
Müller
Dr. Müller-Hermann
Dr. Narjes Neuhaus
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Frau Pack Petersen
Pfeffermann Pfeifer
Picard
Pieroth
Dr. Pinger Pohlmann Prangenberg Dr. Probst Rainer
Rawe
Reddemann Regenspurger
Dr. Reimers
Frau Dr. Riede Dr. Riedl (München)
Dr. Riesenhuber
Dr. Ritz
Röhner
Dr. Rose
Rühe
Russe
Sauer
Sauter
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Dr. Schäuble
Schartz
Schedl
Schetter
Frau Schleicher
Schmidt Schmitz (Baesweiler) Schmöle
Dr. Schneider
Dr. Schröder Schröder (Lüneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Dr. Schulte (Schwäbisch
Gmünd) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer
Seiters
Sick
Dr. Freiherr Spies von Büllesheim
Spilker
Spranger Dr. Sprung Stahlberg Dr. Stark
Graf Stauffenberg
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken
Stommel Stücklen Stutzer
Susset
de Terra Tillmann Dr. Todenhöfer
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel
Vogt
Voigt
Volmer Dr. Voss Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Frau Dr. Walz
Dr. Warnke
Dr. von Wartenberg
Wawrzik
Weber Weiskirch (Olpe)
Dr. von Weizsäcker
Werner
Frau Dr. Wex
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wimmer
Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissebach
Wissmann
Dr. Wittmann
Dr. Wörner
Baron von Wrangel Würzbach
Dr. Wulff Dr. Zeitel Ziegler
Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Amrehn
Bahner
Frau Berger
Dr. Gradl
Kittelmann Kunz Luster
Müller
Dr. Pfennig Frau Pieser Straßmeir
Der Einzelplan 04 ist damit in der Ausschußfassung angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05. Zu dem Einzelplan 05 liegt auf Drucksache 8/3474 unter Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
fraktionslos Dr. Gruhl
15174 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
Vizepräsident Wurbs
Das zweite war die Mehrheit. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Einzelplan 05 in der Ausschußfassung zur Abstimmung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Einzelplan 05 ist damit angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14. Wer dem Einzelplan 14 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um- das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Einzelplan 14 ist angenommen.
Ich rufe nunmehr auf:
Einzelplan 35
Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte
— Drucksache 8/3395 —
Berichterstatter: Abgeordneter Würtz
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 35. Wer dem Einzelplan 35 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Einzelplan 35 ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 27
Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen
— Drucksache 8/3390 —
Berichterstatter: Abgeordneter Augstein
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig begehrt? — Das ist auch nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Zu dem Einzelplan 27 liegt auf Drucksache 8/3474 unter Ziffer 13 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Einzelplan 27 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 27 ist angenommen.
Meine Damen und Herren, wir stehen damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, den 12. Dezember 1979, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.