Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Haushaltsdebatte findet zu einem Zeitpunkt statt, der als Einschnitt von zehn Jahren sowohl zum Rückblick wie zur Vorausschau Anlaß gibt. Die Regierungsparteien SPD /FDP haben in der Godesberger Redoute mit einem Staatsbankett besonderer Art den zehnten Jahrestag ihrer Machtübernahme gefeiert; es war ein mehr griesgrämiges Spektakel.
Helmut Schmidt und sein Vorgänger haben in ihrer gemeinsamen Erklärung behauptet, Sicherheit in den 80er Jahren könne es nur dann geben, wenn zur Friedens- und Entspannungspolitik auch wirksame Schritte zur militärischen Abrüstung und zur Rüstungskontrolle hinzukämen — sicherlich kein schlechter Vorschlag —, und meinen, den Frieden sicherer gemacht zu haben. Der normale Bürger fragt sich doch dann: Warum dann seit Wochen dieser Schleiertanz um die Nachrüstung der NATO auf europäischem Boden? Warum erklärt jeder Fünfte in der Bundesrepublik, er halte einen Krieg in den nächsten Jahren für möglich? Noch vor wenigen Jahren sagte das nur jeder Zehnte, jeder Zwanzigste, jeder Fünfzigste. Da stimmt doch etwas nicht!
Helmut Schmidt meint, Sicherheit in den 80er Jahren sei wirtschaftlich und sozial durch seine Politik gewährleistet. Warum dann aber Arbeitslosigkeit im Jahresdurchschnitt 1979 in einer Höhe von fast 900 000, was gleichbedeutend ist mit 15 Milliarden DM an Zahlungen und an Ausfall von Steuern und Beiträgen, bei gleichzeitigem Arbeitskräftemangel in vielen Gegenden und wirtschaftlichen Bereichen? Warum dann Ausbeutung der nächsten Generation durch einen galoppierenden Anstieg der Schulden der öffentlichen Hand, besonders des Bundes, in den letzten fünf Jahren? Warum dann ein drastischer Geburtenrückgang mit falscher Zusammensetzung der Bevölkerungspyramide? Warum dann schwerwiegende Versäumnisse und halbherzige Ja-Nein-Beschlüsse bei der Energieversorgung? Warum dann soviel Angst um den Arbeitsplatz in unserer Bevölkerung als Folge der Energiekrise?
Helmut Schmidt meint, seine Politik verteidige die Bürgerfreiheiten und baue sie aus. Warum dann immer mehr Vorschriften, Regelungen, Eingriffe? Warum eine immer unverständlichere Gesetzes-und Verordnungssprache, immer größere Unlesbarkeit der Gas-, Strom- und Wasserrechnung?
Selbst für den großen Ökonomen Helmut Schmidt unverständlich, der leider nichts, aber auch gar nichts gegen diese Überflutung mit bürokratischen Rechtsnormen in der Zeit seiner Kanzlerschaft getan hat!
Warum dann 12 % mehr Lohn- und Einkommensteuer bei 6 % Einkommenserhöhung? Warum Ansteigen der Drogensucht und der Jugendkriminalität? Warum wächst die Sicherheit der Kriminellen und nimmt gleichzeitig die Sicherheit der Bürger ab?
Helmut Schmidt und sein Vorgänger meinen, Sicherheit in den 80er Jahren sei nur möglich — ich zitiere wörtlich aus der Erklärung —,
wenn wir dem Strukturwandel in der Weltwirtschaft durch eine vorwärts gerichtete Politik der Vollbeschäftigung und der Modernisierung unserer Volkswirtschaft begegnen.
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Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
Warum dann über viele Jahre hinweg eine investitionsfeindliche Politik, die durch Elberhitzung der Konjunktur, inflationäre Übervollbeschäftigungspolitik, überhöhte Ausgaben der öffentlichen Hand, steuerliche Bestrafung der Investitionen, dauernde Erprobung der Belastbarkeit der Wirtschaft und unternehmerfeindliche Bearbeitung der Offentlichkeit zu der größten Investitionslücke in der Nachkriegswirtschaft geführt und die technische Modernisierung durch Überalterung der Produktionsanlagen verlangsamt und behindert hat?
Erst in jüngster Zeit sind gewisse Fortschritte zur Überwindung dieser Investitionslücke und zur Modernisierung der technischen Ausstattung erfreulicherweise zu verzeichnen, aber die Sünden der Vergangenheit sind nicht mehr auszugleichen. Warum denn dann keine ausreichende steuerliche Begünstigung privatwirtschaftlicher Forschungstätigkeit und eine mehr den Bedürfnissen der Gesellschaftsveränderung als volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten entsprechende Forschungspolitik in vielen Bereichen?
So viel zur Rückschau auf das Regierungsjubiläum. — Ja, ich weiß, man muß eben Feste feiern, wie sie fallen. Oder: In der Not frißt der Teufel Fliegen. So war denn auch das Parteitagsmotto der SPD in Berlin „Sicherheit für die 80er Jahre" mehr eine Geisterbeschwörung als ein Wegführer in die 80er Jahre.
Schon die Vorgeschichte dieses Parteitages zeigte einen Regierungschef, der sich mehr durch Schweigen zu den Problemen, im allgemeinen mit „Nachdenken" bezeichnet, und durch Umschreiben ihres Kerns als durch Wahrheit und Klarheit auszeichnete.
In der Nachrüstungsdebatte sprach er vor dem Parteitag in vielversprechendem Orakelton. Mit Genehmigung des Präsidenten darf ich wenige Sätze zitieren. Er sagte dort, daß
konkrete Maßnahmen zur Nachrüstung um so begrenzter gehalten können, wie es gelingt, eine wirkungsvolle beiderseitige Begrenzung der kontinentalstrategischen Systeme in Ost und West durch diese Rüstungskontrollverhandlungen, SALT III genannt, zu erreichen. Im idealen theoretischen Fall könnte dabei sogar herauskommen, daß auf westlicher Seite nichts nachgerüstet werden muß. Dieser ideale, opti male Fall setzt aber voraus, daß die Sowjetunion vieles von dem wieder abwrackt, was sie produziert hat.
Das sind doch Klimmzüge aus Angst vor der Verantwortung! Das ist doch nicht die Darstellung der Wirklichkeit.
So Helmut Schmidt vor der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion am 13. November 1979.
Er wagt es nicht, den Kern des Problems und die Schlußfolgerungen vor seiner Partei und der Offentlichkeit offen auszusprechen. Denn damit würde auch die Legende, daß der Frieden sicherer geworden sei, nicht weiterhin behauptet werden können. Er wagt es also nicht, die Schlußfolgerung offen auszusprechen, daß die seit zwei Jahren laufende Aufstellung moderner, mobiler russischer Mittelstrekkenraketen SS 20 mit ihrer Reichweite von 5 000 km die NATO zu spalten droht, die Amerikaner in wenigen Jahren mit der Vernichtung ihrer interkontinentalen strategischen Raketen durch die hohe Präzision der russischen rechnen müssen und ihre weniger auf Punktziele treffsicheren U-Boot-Raketen nur gegen Flächenziele einsetzen können, aber dann mit der Zerstörung ihres Mutterlandes rechnen müssen, also nicht in der Lage sind, den in die Rolle von Geiseln geratenen Europäern zu Hilfe zu kommen.
Es ist die Absicht und das Ziel dieser Raketenrüstung, diese Gefahr in Europa heraufzubeschwören, nicht um sie auszulösen, sondern mit ihrer Androhung politische Wirkungen auszuüben, um politische Erfolge zu erzielen. Zusätzliches Ziel dieser Raketenrüstung — gerade im Hinblick auf die jüngsten Ereignisse erkennbar — ist es sicher, die Amerikaner und Europäer von jeder politischen Intervention im Mittleren Osten und in Afrika abzuhalten und der sowjetischen Expansionsstrategie freie Hand zu verschaffen.
In Nr. 28 des Leitantrags des Parteivorstandes der SPD heißt es — das ist für dieses PolitologenKauderwelsch bezeichnend, das hier zum Durchbruch kommt —:
Den Disparitäten bei den nuklearen Mittelstreckenpotentialen muß durch eine Kombination von verteidigungspolitischen und rüstungssteuerungspolitischen Maßnahmen begegnet werden. Dies bedeutet, — rüstungskontrollpolitischen Regelungen den politischen Vorrang zu geben, um Instabilitäten auf diesem Wege abzubauen;
Ich kann mir vorstellen, daß das eine tägliche Lachstunde im Kreml auszulösen in der Lage ist, wenn sonst kein Material für schwarzen Humor zur Verfügung steht.
Es heißt dort weiter:
— gleichzeitig die notwendigen verteidigungspolitischen Optionen festzulegen, damit diese im Falle eines Scheiterns rüstungskontrollpolitischer Bemühungen wirksam werden können. Die Solidarität des Bündnisses muß sich bewähren.
Ein guter Grundsatz.
Wir werden auch künftig unsere Politik fortsetzen, die jederzeit deutlich sichtbar macht, daß wir weder Nuklearmacht sind noch werden. Eine ausschließliche Stationierung nuklearer Mittelstreckenwaffen auf deutschem Boden kommt nicht in Frage. Die nächsten Jahre werden auch darüber entscheiden, ob der nukleare Rüstungswettlauf gebremst werden kann oder
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ob die Gefährdungen für die Welt weiter steigen werden.
Ich dachte, der Frieden sei schon so sicher, immer noch sicherer geworden.
Deshalb darf es keine Automatismen geben, der Gang der Verhandlungen und die erwarteten Ergebnisse müssen es den Politikern der NATO jederzeit möglich machen, Beschlüsse zu überprüfen und, wenn nötig, zu revidieren. Aus diesem Grunde soll die Bundesregierung der Stationierung der von den USA in eigener Verantwortung
— ich betone das Wort: in eigener Verantwortung; nur ja den Amerikanern sagen, wir übernehmen überhaupt keine Verantwortung —
zu entwickelnden Mittelstreckenwaffen in Europa
— ein sehr beruhigendes Datum —
nur unter der auflösenden Bedingung zustimmen, daß auf deren Einführung verzichtet wird, wenn Rüstungskontrollverhandlungen zu befriedigenden Ergebnissen führen.
Nummer 29 heißt:
Es ist zu prüfen, ob bei fortschreitendem Verhandlungsprozeß überprüfbare Vereinbarungen über einen Produktions- und Stationierungsstopp neuer nuklearer Waffensysteme die Erfolgsaussichten von Verhandlungen zwischen NATO und Warschauer Pakt erleichtern würden.
Das ist doch eine schwammige, halbherzige, mehrfach auslegbare, gegenseitig interpretierbare Formulierung, die alles offenhält, alles verschweigt, alles erlaubt, alles verbietet. Lediglich der Kontrast zu dem klaren Nein der Anträge der Naiven und der Linken — manchmal sind ja beide identisch — erlaubt es, darunter ein Bekenntnis zum NATO-Beschluß zu verstehen.
Noch übler liegen die Dinge, noch ablehnender ist der Charakter des Kernenergiebeschlusses! Betrieb bestehender, Fertigstellung in Betrieb befindlicher, Inangriffnahme neuer Kernkraftwerke sind an solche Bedingungen und Einschränkungen gebunden, daß auch dieser Parteitagsbeschluß für die Zukunft nichts Gutes ahnen läßt. Beide dienen doch mehr der Verwässerung der Probleme als der Klärung, sind zu sehr darauf angelegt, über die Runden zu kommen, statt eine feste Richtung erkennen zu lassen, lassen zukünftigen Konflikten freie Spiel. Vor lauter Verwunderung darüber, daß es überhaupt noch zu Mehrheiten für diese Formulierungen kam, sind die Abstimmungen als Sieg Helmut Schmidts gefeiert und bewundert worden. Er selbst weiß, daß er in der Sache keinen Schritt vorwärtsgekommen ist, daß die Hürden lediglich etwas hinausgerückt worden sind.
Der Begriff „Pyrrhussieg". kann im kleindeutschen Maßstab in Zukunft durch die Formel „HelmutSchmidt-Sieg" ersetzt werden.
Man mag darüber streiten, ob die Notwendigkeit oder Entbehrlichkeit von Kernkraftwerken durch Parteitage beschlossen, ob die Friedlichkeit oder Aggressivität der sowjetischen Rüstung und die Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen auf Parteitagen bestimmt werden kann. Ich glaube: nein. Helmut Schmidt meinte, in seiner Lage — etwa auszudrücken mit: Ach, zwei Seelen sind in meiner Brust — den wachsenden Abstand zwischen seinem langsamen Lernprozeß und dem trotzigen Nicht-lernenWollen seiner Partei durch solche Beschlüsse vermindern zu können.
— Damit es auch der Zwischenrufer versteht: Den wachsenden Abstand zwischen seinem langsamen Lernprozeß und dem trotzigen Nicht-lernen-Wollen seiner Partei durch solche Beschlüsse vermindern zu können.
Bei der SPD besteht ja immer die Gefahr, daß Parteitagsbeschlüsse zum imperativen Mandat werden, d. h. zur Bindung von Amts- und Mandatsträgern führen. Aber in einer langfristigen Aufgabe — und darum handelt es sich sowohl bei der militärischen Sicherheit Europas wie bei der Sicherstellung unserer Energieversorgung einschließlich der Kernenergie — nützen hektische, kurzatmige, schaumige, verschwommene Formulierungen nicht sehr viel. Sie helfen wie Morphium über den Schmerz der Gegenwart hinweg bis zum Tellerrand der nächsten Wahlen. Sie helfen, das Publikum zu täuschen. Aber sie tragen nichts zur Lösung des Problems oder zur Heilung des Übels bei.
Sie haben sicherlich gelesen, daß ein Fachmann, dessen Sachkunde und dessen Objektivität hoffentlich von niemandem bestritten werden, Franz-Joseph Spalthoff vom Rheinisch Westfälischen Elektrizitätswerk, die Situation nach dem Berliner SPD-Parteitag in einem Interview mit „Bild am Sonntag" vom 9. Dezember 1979 treffend bezeichnete, als er sagte:
Die Hürden für die Kernkraft sind durch den Berliner Parteitag nicht niedriger geworden.
Er sprach weiter von einer Stromlücke, die das gesamte Wirtschaftsleben in der Bundesrepublik — er meinte die 80er Jahre; das Motto heißt ja „Sicher in die 80er Jahre" — ins Chaos stürzen wird. Zum Einsatz der Kohle sagte er:
Die jährliche Kohleförderung bei uns läßt sich in absehbarer Zeit höchstens um rund dreizehn Millionen Tonnen erhöhen. Das wird aber schon sehr schwer sein. Um auch nur ein einziges Kernkraftwerk zu ersetzen, brauchen wir jedoch bereits mindestens 2,5 Millionen Tonnen Kohle.
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In dem Artikel wird darauf hingewiesen, daß Bundeskanzler Schmidt 1977 noch davon ausging,
daß im Jahr 2000 in der Bundesrepublik Kernkraftwerke mit einer Leistung von 70 000 Megawatt Strom arbeiten. Das heißt: 54 Atommeiler vom Typ Biblis. Nach der Kernkraftblockade der letzten Jahre hofft die Regierung heute, daß wenigstens noch 40 solcher Kernkraftwerke bis zum Jahre 2000 fertig werden.
„Zu optimistisch", wie der Fachmann Spalthoff klar sagt, „es werden allerhöchstens 34 Anlagen sein. Wenn uns nicht wieder neue Schwierigkeiten gemacht werden, wenn wir mit Bau- und Genehmigungszeiten von acht bis zehn Jahren pro Kraftwerk auskommen.
Er bestreitet damit, daß diese Voraussetzungen gegeben sind.
Es ist ja sehr bezeichnend, daß Herr Spalthoff hierin von Herrn Eppler bestätigt worden ist, auch wenn das sicher nicht die Absicht war. Herr Eppler hat in einem Interview im Deutschlandfunk am 7. Dezember 1979 in der Sendung „12 Uhr — Informationen am Mittag" gesagt: „Hier sind eine ganze Menge von Hürden aufgebaut worden." Das ist also genau dasselbe, was Herr Spalthoff sagte und was ich sagte, als ich bemerkte, daß die Hürden nur hinausgerückt worden seien. Er fügte hinzu:
Ich könnte mir vorstellen, daß schon beim nächsten Parteitag das, was dieses Mal eine knappe Minderheit war, vielleicht schon eine knappe Mehrheit ist.
Darum habe ich mir erlaubt, zu sagen: Pyrrhussieg heißt hier Helmut-Schmidt-Sieg. Und das nennen Sie: Sicher in die 80er Jahre gehen.
Daß ich hier richtig liege, haben Sie, Herr Bundeskanzler, selber auf dem Parteitag in Ihrem Diskussionsbeitrag offen ausgesprochen. Sie sagten wörtlich laut dem verteilten Protokoll:
Die Einschränkungen, die der Antrag 500 enthält, gehen mir persönlich zu weit.
Ich hätte ihn nicht so formuliert.
Und in einem weiteren Teil seines Diskussionsbeitrags sagte er:
Der Antrag 500 engt die Sozialdemokraten in der Bundesregierung weiter ein als irgendeine Regierung in der ganzen westlichen Welt mit Ausnahme Österreichs
— aber überall ist ja Zwentendorf, auch für Sie —
und in der ganzen östlichen Welt mit keiner einzigen Ausnahme. Ich bin bereit, diese Einengung zu akzeptieren, aber nicht noch mehr.
Damit geben Sie doch zu, daß Sie von diesem Beschluß gar nichts halten, ihn nicht zu verhindern vermocht haben und ihn deshalb falsch auslegen, damit Sie wenigstens psychologisch über die Hürden kommen für die Bedürfnisse der nächsten Wochen.
Die „Welt" sagt dazu mit Recht, dies mache deutlich, „der Kanzler hat gar nicht den Versuch unternommen, für das zu streiten, was er selbst für notwendig gehalten hat. Seiner Position hat er in seiner Partei keine Durchsetzungschance gegeben. Er ist nicht besiegt worden, nein, viel schlimmer: er hat gleich kapituliert."
„In der Energiepolitik ist Schmidt nicht der Sieger von Berlin, sondern der Gefangene seiner zerstrittenen Partei."
Das dürfte eine wesentlich nüchternere und objektivere Analyse sein gegenüber dem Anfangsbeifall und dem euphorischen Jubel der ersten Stunden.
Dabei scheinen aber noch manche Gegner durch die Phantomformel oder Leerformel gewonnen worden zu sein, die nachträglich in den Antrag eingefügt worden sein soll und die heißt: „Wachsender Energieverbrauch für sich ist kein Zeichen einer wünschenswerten Entwicklung." — Eine Erkenntnis von profunder Aussagekraft.
Wenn schon nur bescheidene Mehrheiten in dieser für uns lebenswichtigen Frage der 80er und 90er Jahre gewonnen werden konnten, dann hätten wenigstens die Formulierungen eindeutig und klar sein müssen.
Damit wollen Sie „Sicher in die 80er Jahre" gehen? Sie singen doch nur, um die Angst vor den 80er Jahren dadurch übertönen zu können.
Es ist doch ein Witz, wenn es hier heißt: „Sicher in die 80er Jahre". Mit diesen durch Rücktrittsdrohungen des Kanzlers mehr als durch Überzeugung zustande gekommenen Loreley-Formulierungen —„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten", oder besser: Ich will es auch gar nicht wissen — ist doch diese minderwertige Formulierung mit einer nicht allzu großen Mehrheit im Hinblick auf die Wahlen 1980 überhaupt nur möglich gewesen. Ein erbärmlicheres Ergebnis in der Substanz gibt es nicht,
vor allen Dingen nicht, wenn man so hohe Ansprüche stellt, wie Sie es tun.
Eines möchte ich aber mit Ironie und etwas Zufriedenheit sagen: was hätten Sie eigentlich auf Ihrem Parteitag ohne mich gemacht?
Es gehört für mich zu den politischen Höhepunkten meines politischen Daseins, beinahe hätte ich gesagt: ein Stück echter politischer Lustgewinn:
Es ist schon eine groteske Tatsache, daß der Kanzler
seine ideologisch zerrissene Partei beschwört, das
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tun zu dürfen, was sein Herausforderer von ihm verlangt,
mit Rücktritt droht, wenn er diese Erlaubnis nicht erhält und zum Schluß diese Erlaubnis von der Mehrheit in der Hauptsache deshalb bekommt, weil man sonst glaubt, die Wahlen nicht gewinnen zu können. Allein das ist schon ein historisches Verdienst der Opposition und ihres Kandidaten.
Wohin wären Sie denn ohne mich gekommen? Wohin käme denn überhaupt. diese Regierung ohne diese Opposition?
Die Opposition hat im Bundestag, im Bundesrat und über das Bundesverfassungsgericht entscheidende Verbesserungen erreicht, Verfassungswidrigkeiten verhindert,
beides Dinge, die im Interesse unserer Bevölkerung und unserer Zukunft liegen. - Im Haus des Ge- hängten würde ich nicht vom Strick reden.
Was aber noch viel wichtiger ist: Helmut Schmidt könnte ohne diese Opposition überhaupt nicht regieren. In den zwei wesentlichen politischen Fragen der 80er Jahre — Sicherung unserer Energieversorgung und militärische Sicherheit — gibt die Opposition dem, was die Regierung denkt und nur verschlüsselt gelegentlich ausdrückt, zu 100 % Rückhalt, die SPD zu 30 bis 40 %, die FDP zu 70 bis 80 %. Das ist doch eine Perversion der parlamentarischen Demokratie, eine Perversion, die ein Ende nehmen muß.
Helmut Schmidt sprach in seiner Parteitagsrede von 20 Jahren voller Versäumnisse, 1949 bis 1969. Sie sollten nicht ganz vergessen, daß Sie, Kanzler nach der blamablen Ära Brandt geworden — einem Kanzler, den sich die Bundesrepublik Deutschland wahrlich nie hätte leisten dürfen —,
auf dem Boden der Leistungen stehen, die in jenen zwanzig Jahren geschaffen worden sind. Ihr Verdienst ist es, erkannt zu haben, daß Sie diese Fundamente nicht einreißen dürfen — ein echtes Verdienst, das in Ihren Reihen so gar nicht immer anzutreffen ist —, wenn Sie sich behaupten wollen.. Das geht mit der FDP sicher auch langsamer als mit einer absoluten Mehrheit der SPD. Sie sollten auch einmal daran denken, wo Sie und wo wir alle stehen würden, wenn die SPD die CDU/CSU an der Einführung der Marktwirtschaft und am Eintritt in das westliche Bündnis hätte hindern können, wenn planwirtschaftliche Programmatik und Deutschland-Plan der SPD, ein Konföderationsplan mit der SED, Wirklichkeit geworden wären. Armut und Abhängigkeit von Moskau wären die unvermeidlichen Folgen gewesen,
wenn damals — und auch für heute noch nachwirkend — die Weichen nicht anders gestellt worden wären. Sie können von den Früchten anderer leben; aber Sie können keine Zukunft gestalten, weil Ihnen dafür das Augenmaß fehlt,
Beifall bei der CDU/CSU)
weil Sie in den wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnissen zwischen Ihnen und Ihrer Partei nicht die innere Freiheit und die äußere Unabhängigkeit haben, sachgerecht, rechtzeitig, verantwortungsbewußt das Richtige zu tun, weil Sie unter perspektivischen Verzerrungen leiden, den weltweiten Zusammenhang der Probleme nicht in Ihre politischen Überlegungen einbeziehen wollen; sonst hätten Sie nie das lebensgefährlich falsche Wort gesagt, daß Entspannung geographisch teilbar sei, eine Behauptung, bei der Sie auch Ihr Außenminister im Stich gelassen hat
Sie sprechen von „unkalkulierbar" und „unberechenbar" im Zusammenhang mit mir und treiben damit doch genau dieselbe Hetze wie die Propagandaetagen unter Ihnen, wie die großen und die kleinen Brunnenvergifter, die die CDU/CSU als Sicherheitsrisiko, als Gefahr für inneren Frieden und Bedrohung für den äußeren Frieden verleumden. Was die anderen in der Sprache der Hetze Lieschen Müller einbleuen wollen, sagen Sie, im Sinne gleich, in der Formulierung anders, für Dr. Lieschen Müller. Unser Volk hat einen zu feinen Instinkt für solche Mißklänge und Mißgriffe. Wer so im Glashaus sitzt wie Sie, sollte nicht mit Steinen werfen.
Ich hätte Sie ohne diese Entgleisung auf Ihrem Parteitag heute nicht an einiges erinnert; aber Sie haben mir die erste Fassung Ihres Langzeitprogramms als durchaus rot, nicht als rosa, angepriesen, obwohl Sie Wert darauf legen, in der Offentlichkeit nicht als rot bekannt zu sein. „Die Sozialdemokratie", sagten Sie einmal, „hat niemals das von Erhard verbreitete Schlagwort der sozialen Marktwirtschaft zu ihrem eigenen gemacht". Damit liefern Sie einen Beweis dafür, daß Sie von sozialer Marktwirtschaft leider nichts verstehen, höchstens einige Regeln und Mechanismen der sozialen Marktwirtschaft zu beherrschen vermögen.
Sie haben kurz vor den Bundestagswahlen 1976 gesagt: „Marktwirtschaft ist niemals von sich aus sozial, im Gegenteil, soziale Politik, sozialer Ausgleich können niemals durch Marktwirtschaft herbeigeführt werden."
„Wenn man sozialen Ausgleich will, muß man etwas tun, was gegen den Markt verstößt, man muß intervenieren. Soziale Politik im engeren wie im weiteren Sinne ist immer das krasse Gegenteil von Marktwirtschaft" Diese Aussage sollte Sie eigent-
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lich für jede politische Tätigkeit in der Bundesrepublik disqualifizieren;
sie ist aber im österreichischen Fernsehen im Juli 1976 gemacht worden. Da kann man sagen, der Genius loci mag entschuldigend herangezogen werden.
„Die Gesellschaft der Bundesrepublik", sagten Sie einmal, „ist gewiß durch Klassen und Klassengegensätze geprägt, sie muß verändert werden." Das war wieder das Bonbon für die Linken, die Hoffnungspille.
Sie sagten im Jahre 1976, die Beteiligung von Kommunisten an Regierungen wie in Italien und Frankreich würde nicht zwangsläufig eine Katastrophe bedeuten. Sie sagten im gleichen Jahr zwei Monate später, das Verhältnis zu Frankreich würde sich sicherlich nicht ändern, wenn in Frankreich eine Linksregierung die Regierungsgewalt übernähme, es würde sich nicht einmal bei einer kommunistischen Regierung ändern; so im französischen Fernsehen im Juli 1976. Sie wollten dann allerdings später diese Behauptungen ungeschehen machen. Als Kissinger — damals noch Außenminister der Vereinigten Staaten — vor Beteiligung von Kommunisten an westeuropäischen Regierungen warnte, sagten Sie — jeder Zoll eine Mischung von Feldwebel alter Art und Pädagoge neuer Art —: „Ich finde, man sollte zurückhaltend sein, auch wenn man der Außenminister der größten und wichtigsten Macht der Welt ist."
Herr Kissinger hat einen großen Denk- und Lernprozeß hinter sich; bei Ihnen scheint der nie richtig begonnen zu haben.
„Stabilität", so sagten Sie, „ist ein Modewort. Die Besorgnis um die Stabilität bedrängt mich selbst nicht so sehr wie andere."
Auf der Parteitagsrede erklärte Helmut Schmidt: „Wir sind bei allem als erste der Einsicht gefolgt, daß Inflation Arbeitsplätze vernichtet."
Er sagte in früheren Jahren, als er noch Bundesfinanz- und -wirtschaftsminister war: „Ich lehne es ab, Stabilität oder Wirtschaftswachstum in einem höheren Rang zu sehen als Vollbeschäftigung. Mir scheint, daß das deutsche Volk — zugespitzt — 5 % Preisanstieg eher vertragen kann als 5 % Arbeitslosigkeit."
Damals haben Sie doch selbst, als 5 % Arbeitslosigkeit herrschte, gemeint, schon 3 % Arbeitslosigkeit wären für die Bundesrepublik unerträglich. Damit haben Sie seinerzeit doch Inflation und Instabilität als Mittel gegen Arbeitslosigkeit angepriesen. Sie haben dann allerdings am 26. September desselben Jahres erklärt: „Absoluter Vorrang gebührt heute der Preisstabilität. Das gilt für uns alle."
Sie sagten am 1. April 1977 in Oslo: „Die Inflation hat bei uns zuviel Unheil angerichtet. Ich glaube, daß ohne mehr Preisstabilität und Eindämmung der Inflation es nicht gelingen wird, das Vertrauen von Investoren, Verbrauchern, Arbeitnehmern und Gewerkschaften zu stärken." — Eine richtige Erkenntnis.
Sie sagten am 17. Juli 1978: „Uns allen bleibt die Erkenntnis des Londoner Gipfels gemeinsam, daß Inflation kein Mittel zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit ist, sondern eine. ihrer Ursachen."
Wer ist denn hier unkalkulierbar und unberechenbar?
Am 26. August 1976 sagten Sie: „Die Anhebung der Renten um 10 % wird mit Sicherheit kommen. Die Beiträge werden nicht erhöht. Die Renten sind sicher. Die Bruttolohnbezogenheit bleibt, die regelmäßige Anpassung bleibt."
Am 30. September sagten Sie in der berühmten Fernsehdiskussion: „Ich sehe gar keine ernsten Gefahren. Ich sehe nur kleinere Probleme. Da gibt es ein Problemchen der Liquidität der Rücklagen." Weiter sagten Sie: „Was soll denn diese Angstmacherei, die ich notabene für unchristlich halte?"
In Ihren Wahlversammlungen haben Sie damals sogar erklärt: „Wie lange wollen noch CDU und CSU im Namen Jesu Christi lügen in dieser Frage?'
Sie sagten in Ihrer Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976: „Die Bruttolohnbezogenheit bei der Festsetzung der Neurenten bleibt. Es wird kein Krankenversicherungsbeitrag der Rentner eingeführt. Die Beitragssätze bleiben unverändert."
Am 21. Januar 1978 sagten Sie: „Ich habe keinen Betrug begangen, weil ich die tatsächlichen Zahlen nicht gekannt habe."
So bei der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises am 21. Januar 1978 in München.
Ich war nie der Meinung, daß ein Ressortminister alle Einzelheiten seines Aufgabengebiets, alle Zahlen und Informationen überblicken kann. Ich bin der Meinung, daß ein Bundeskanzler, der für alle Ressorts letzten Endes durch die Richtliniengewalt eine besondere Verantwortung trägt, in noch geringerem Maße alle Informationen und alle Zahlen zu überblicken vermag.
Wenn es aber um die Sicherheit und Erhaltung des Kernstücks unserer Sozialpolitik geht, und ein Bundeskanzler muß zugestehen „Ich bin nur deshalb kein Betrüger, weil mir die Zahlen unbekannt waren", dann — —
— Damit würden Sie ihn der Lüge bezichtigen; ich tue das hier nicht.
Die dynamische Altersrente ist doch das Kernstück, die echte große Sozialreform der Nachkriegs-
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politik gewesen. Wenn ein Bundeskanzler hier sagen muß: „Ich bin kein Betrüger, denn zum Betrug gehört die Kenntnis der Zahlen; da mir aber die Kenntnis der Zahlen fehlte, kann ich auch keinen Betrug begangen haben", dann ist das doch die blamabelste Ausrede. Denn die Wahl, die Sie dann haben, ist sehr unerfreulich: Haben Sie hier bewußt die Unwahrheit gesagt, oder waren Sie so uninformiert und uninteressiert und unwissend, daß Sie in dieser Kernfrage deutscher Politik nicht einmal die primitivsten Zahlengrundlagen gekannt haben?
Und da beschimpfen und verdächtigen Sie andere als „unberechenbar" und „unkalkulierbar" in der Absicht, damit eine unterschwellige Angst zu suggerieren.
In Ihnen müssen merkwürdige Prozesse vor sich gehen; denn Sie geben mir doch in den meisten entscheidenden Problemen nachträglich recht. Für Sie bedeutet es aber eine schwere psychologische Belastung, sich eingestehen zu müssen, daß andere vor Ihnen und gegen Sie recht hatten. Das bedeutet für Sie Identitätskrise, Umstellungsschwierigkeiten, Sprachprobleme gegenüber der eigenen Partei. Und daher die Gegnerbeschimpfung mit den Worten der psychologischen Reizsprache „unberechenbar" und „unkalkulierbar".
Die zehn Jahre von 1969 bis heute waren ein Abschnitt unserer Geschichte voller Irrtümer, voller Versäumnisse und Fehler. Kennzeichnend ist die hohe Verschleißquote in der Spitzenetage dieser Koalition. Mehr als eine komplette Kabinettsmannschaft, ein Bundeskanzler und 19 Minister, wurden in diesen zehn Jahren ausgewechselt. Eine ganze Kompanie von Staatssekretären und eine Legion von Ministerialdirektoren traten außerdem zurück, schieden aus, wurden zum Ausscheiden gezwungen. Wer redet heute noch von den besseren Männern? Namen wie Möller, Leussink, Schiller, Brandt, Arendt symbolisieren doch das Scheitern dessen, was im Überschwang der Gefühle der Aufbruch in die 70er Jahre genannt wurde — so die Überschrift über die Regierungserklärung von 1969. „Neuer Anfang" hieß es, und „Politik der inneren Reformen". Der Schiffbruch der 70er Jahre wird nun verdrängt durch die Formel Aufbruch in die 80er Jahre.
In der Finanzpolitik der vergangenen zehn Jahre wurde kaum ein möglicher Fehler ausgelassen. Es begann mit der Inflation der Versprechungen, es folgte die Inflation der Ansprüche, es mündete ein in die Inflation des Geldwertes, und die Inflation des Geldwertes war die entscheidende Ursache für die jahrelange hohe Dauerarbeitslosigkeit. Als ich seinerzeit im Bundestag mit den Worten warnte, die Politik der Bundesregierung führe zur Stagnation in Richtung Rezession und Rezession bringe Arbeitslosigkeit mit sich, verspotteten Sie, Herr Bundeskanzler — damals noch Finanzminister — das als unbegründete Kassandrarufe und höhnten am 22. September 1972 im Deutschen Bundestag: Herr Kollege Strauß, es ist keine Arbeitslosigkeit zu erkennen. Aber nur zwei Jahre später war sie im Millionenumfang da. Darum werfe ich Ihnen Fehlen an Augenmaß, perspektivische Verzerrung und Hemmungslosigkeit in der Herabsetzung Ihrer politischen Gegner vor.
Ich möchte nur wenige Zahlen anführen. Die Staatsquote ist von 1969 bis 1980 von 38 % auf 46 % angestiegen. Das Bruttosozialprodukt hat in der Periode von 1970 bis 1979 nominal um 105 %, real um 29 % zugenommen, die Anlageninvestitionen — zu jeweiligen Preisen, also nominal — um 81 %, der Staatsverbrauch um 154%, die Personalausgaben des Staates um 142%, die Verschuldung der öffentlichen Haushalte insgesamt um 233 % und die des Bundes um 1500%.
Das ist die Bilanz der 70er Jahre.
Zu den wirtschaftlichen Fehlentwicklungen gehören auch Inflation, Rezession und Arbeitslosigkeit. Sie haben stets einen langen Vorlauf. Wird verspätet, nicht rechtzeitig entgegengehalten, werden sie einmal Wirklichkeit, ist es nur mit großen Opfern möglich, sie wieder zu beseitigen. Das ist die Stabilisierungskrise.
Der von der Regierung eingesetzte Sachverständigenrat hat die Finanzpolitik der letzten zehn Jahre in seinem jüngsten Jahresgutachten — in der Sprache der Wissenschaft — nochmals zusammenfassend scharf kritisiert. Ich bitte, Sie zu fragen, ob zwischen diesem Urteil in der wissenschaftlichen Formulierung und meiner Bewertung ein Unterschied besteht. Bei der Untersuchung des Problems, welcher Zeitraum als Normaljahr Grundlage für die Beantwortung der Frage nach der Höhe der zulässigen Verschuldung sein kann, lehnen es die fünf Weisen ab, den Durchschnitt der 70er Jahre zu nehmen, mit der wörtlichen Begründung — ich bitte um Erlaubnis, kurz zu zitieren —:
In der Finanzpolitik war nichts an den 70er Jahren normal. In den frühen 70er Jahren hat der Staat trotz eines sehr hohen Beschäftigungsstandes eine starke expansive Finanzpolitik getrieben und damit die Inflation angeheizt. Zugleich waren dann scheinbar ständig hohe Defizite nötig, um die Folgen einer Stabilisierungskrise zu bekämpfen.
Schärfer kann man in der nüchternen Sprache der Wissenschaft kaum kritisieren, was alles falsch gemacht worden ist.
Und das heißt, sicher in die 80er Jahre zu gehen? Wer soll denn unserem Volk die Gewähr geben, daß diejenigen, die in den 70er Jahren alles falsch gemacht haben, in den 80er Jahren alles richtig machen werden?
Sie haben doch durch die Fehler und Versäumnisse
der 70er Jahre den Aufbruch in die 80er Jahre entscheidend erschwert und die innere und äußere Si-
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cherheit in den 80er Jahren damit ernsthaft gefährdet.
Von 1950 bis 1969 hatten wir beim Bund — in 20 Jahren zusammen — eine Nettokreditaufnahme von 14 Milliarden DM zur Finanzierung unserer Ausgaben. Seit 1975 — und das sind Ihre Kanzlerjahre — ist in jedem Jahr eineinhalb- bis zweimal so viel an Schulden aufgenommen worden wie in den 20 Jahren von 1950 bis 1969 zusammengenommen. Die zwangsläufige Folge ist: Bereits im nächsten Jahr wird der Schuldendienst — Tilgung und Zinsen — der zweitgrößte Ausgabenblock hinter den Sozialausgaben sein, ebenso hoch wie die Ausgaben für die Landesverteidigung. Nach dem regierungsoffiziellen Finanzplan werden bereits 1983 die Ausgaben allein für Zinsen höher sein als die Nettokreditaufnahme. Der Kredit hat doch damit seine Aufgabe, als Mittel der Finanzierung zusätzlicher Staatsausgaben zu dienen, verloren.
Er hat damit seine Funktionsfähigkeit eingebüßt.
Ich weiß, daß manche die Folgen dieser Entwicklung heute noch nicht erkennen, weil sie sie noch nicht am eigenen Leibe spüren. Aber unsere Kinder und Enkel werden die trügerischen, mit überhöhten Schulden finanzierten angeblichen Wohltaten bezahlen müssen, in deren Glanz sich die jetzt Regierenden, je näher die Wahlen kommen, immer mehr zu sonnen versuchen. Wenn wir dieses immer wieder anprangern, nehmen wir doch nur die Lebensinteressen unserer Jugend, unserer Kinder und Enkel, aber auch die Interessen unserer Generation, an einer auch noch in zehn und zwanzig Jahren zu sichernden Altersversorgung wahr. Es geht doch hier nicht um Parteipolitik, sondern um ganz ernste, harte Sachprobleme.
Die Koalition ist vor zehn Jahren mit dem Ziel angetreten, die angebliche öffentliche Armut durch mehr Investitionen zur Zukunftssicherung zu beseitigen, die öffentlichen Mittel stärker zugunsten der sozial Schwächeren umzuverteilen. Tatsächlich hat diese Koalition die öffentliche Armut eher vergrößert, den Staat in die Überschuldung geführt, den Anteil der Investitionen an den Gesamtausgaben im Gesamtergebnis laufend und wesentlich verkleinert. Durch diese Politik ist die Gemeinschaft nicht reicher, sondern ärmer geworden. Tatsächlich nähern sich jetzt die Ausgaben für Zinsen immer mehr den Ausgaben für Renten und Unterstützungen im Bundeshaushalt. Tatsächlich hat die Schuldenwirtschaft dieser Regierung die zwangsläufige Folge, daß nicht die Umverteilung zugunsten der sozial Schwächeren den absoluten Vorrang hat — wie damals verkündet —, sondern die Umverteilung von Steuern in Form von Zinsen zugunsten derjenigen, die die Mittel haben, sie dem Staat als Kredit zur Verfügung zu stellen. Das ist die Politik einer Partei, die sich die Partei der Arbeitnehmer nennt, in der Praxis.
Aus fiskalpolitischer Sicht nur ein Hinweis: Der Schuldendienst, d. h. Tilgungen und Zinszahlungen, wird 1983 mehr als ein Fünftel der Gesamtausgaben des Bundes ausmachen.
Die Flexibilität auf der Ausgabenseite des Haushalts, die ohnehin durch Gesetzgebung, Verträge, Rechtsprechung auf wenige Prozent des Haushalts eingeschränkt ist, wird damit noch weiter zusammengedrückt werden. Die Flexibilität der Ausgabenseite des Haushaltes wird durch einen solch hohen Anteil des Schuldendienstes bestimmt nicht gefördert.
Herr Kollege Hoppe hat in diesem Hause — bestimmt nicht der CDU/CSU zuliebe — seinerzeit von der „tickenden Zeitbombe" gesprochen. Nur ist es so, daß diejenigen, die die Bombe gelegt haben, von ihren Splittern nicht mehr erreicht werden, weil sie bis dahin längst der Vergessenheit angehören.
Die Regierung wehrt sich gegen den Vorwurf, die Kreditaufnahme des Bundes sei überhöht oder in den letzten Jahren überhöht gewesen. Kollege Matthöfer behauptet in einer Presseerklärung vom 28. November dieses Jahres, diese Kritik widerspreche dem Urteil der überwiegenden Mehrheit der Fachleute. Sachverständigenrat und wirtschaftswissenschaftliche Institute hätten den Kurs der Bundesregierung bestätigt. Ich weiß, daß selektives Zitieren immer allerlei Vorteile bietet, und eine vollkommene Zitierung ist aus Zeitgründen bekanntlich nie möglich. Trotzdem trifft diese Behauptung nicht zu.
Der Sachverständigenrat schreibt in seinem jüngsten Gutachten:
Letztlich erzeugt die expansive Finanzpolitik selbst den Bedarf an einer expansiven Finanzpolitik.
Das heißt doch: Das Unheil nährt das Unheil.
Das mag man zwar Gewöhnung nennen, aber es wäre jedenfalls eine Gewöhnung an Bedingungen, die nicht zur Vollbeschäftigung passen, denn für die Rückkehr zu einem dauerhaft hohen Beschäftigungsstand ist noch eine lange Periode hoher Investitionen nötig, die spannungsfrei zu finanzieren allemal eine starke Reduktion der öffentlichen Defizite fordert.
Es ist also noch eine lange Periode hoher Investitionen nötig, weil Sie mit Ihrer Politik die Investitionslücke zu verantworten haben, die heute jenen Rückstau geschaffen hat und deshalb den Eintritt in die 80er Jahre mit noch mehr Risiken belastet hat, als sie nach der Natur der Umstände ohnehin zu erwarten sind.
Der Bundeskanzler weiß um die Gefahren seiner Defizit- und Schuldenwirtschaft. Zu den Kernzielen seiner Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976, überschrieben mit „Regierungsprogramm 1976 bis 1980", gehört die deutliche Senkung der jährlichen Schuldenzuwächse des Bundes. Er sagte wörtlich:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15057
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
Die Neuverschuldung muß deutlich niedriger sein als bisher.
Sie muß also deutlich niedriger als 1976 mit 25,8 Milliarden DM sein. In den vier Jahren, für die diese Erklärung gilt, hat er dieses Ziel aber in keinem einzigen Jahre erreicht, auch nicht im Jahre 1980. Die Neuverschuldung war und ist, mit Ausnahme des Jahres 1977, trotz Einplanung auch der heimlichen Steuererhöhungen und trotz Hochkonjunktur genauso hoch oder nur wenig niedriger als 1976.
Er scheiterte in diesem Punkt an den Forderungen seiner Partei, die es ihm durch Parteitagsbeschluß vom November 1977 — deshalb habe ich vorher vom imperativen Mandat oder seiner Gefahr gesprochen — unmöglich machte, das von ihm und seinem Finanzminister als notwendig Erkannte und auch in einem einstimmigen Parlamentsbeschluß vom 13. April 1978 Geforderte zu tun, nämlich zumindest ab 1979 die Ausgabenzuwächse und damit die Neuverschuldung zu senken. In diesem Punkte erwies sich der sich sonst so stark gebende Kanzler als zu schwach gegenüber den von ihm selbst als unrichtig erkannten Forderungen seiner Partei, nämlich eine expansive Finanzpolitik zu treiben. Er konnte sich somit nicht durchsetzen.
Insgesamt sieht dies in Kurzfassung so aus: Zuerst überhitzt die Bundesregierung nach 1969 das wirtschaftliche Klima durch bewußten oder naiven Verzicht auf Stabilitätspolitik, überfordert die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft, die Finanzkraft des Staates, führt Inflation herbei, ohne zu wissen, daß sie Arbeitslosigkeit bedeuten muß, bekämpft dann die Arbeitslosigkeit mit galoppierender Neuverschuldung und in der Hauptsache durch falsche Maßnahmen, nämlich durch Konjunkturprogramme, d. h. durch Programme, die staatliche Mehrausgaben vorsehen statt durch Steuersenkungen. Steuersenkungen mußten, soweit sie stattgefunden haben, von der Opposition dem Zeitpunkt, dem Umfang und der Zusammensetzung nach über Bundestag und Bundesrat erzwungen werden. Über die Fortsetzung einer wirtschaftsfreundlichen und leistungsfördernden Steuerpolitik wird ohnehin demnächst zu reden sein.
Die Bundesregierung erreicht keinen entscheidenden Abbau der Arbeitslosigkeit, erkennt nicht, daß die Dauerarbeitslosigkeit in dieser Höhe mit vollbeschäftigungsähnlichen Verhältnissen in vielen Regionen und Bereichen einhergehen kann. Das ist ja das Groteske an dieser Arbeitslosigkeit.
Die Bundesregierung droht jetzt mit dem Gespenst der Massenarbeitslosigkeit, wenn ihr die hohe Schuldenaufnahme vorgehalten wird, und beschimpft CDU und CSU der Deflationspolitik a la Brüning und läßt dem Bürger nur mehr die Wahl, angeblich zwischen Massenarbeitslosigkeit und Schuldenchaos zu entscheiden. Später entdeckt sie dann — vielleicht nur verbal — den Segen unternehmerischer Initiative und arbeitnehmerischer Leistung. Es waren beinahe Hölderlinsche Töne, mit denen Kollege Matthöfer den Fleiß der Bürger Baden-Württembergs und die von ihnen erzielte Leistung in diesem Hause bei der ersten Lesung des Bundeshaushalts 1980 gelobt hat. Er zieht aber aus ideologischem Vorurteil und Behinderung durch die eigene Partei nicht die notwendigen Schlußfolgerungen, nämlich von einer nachfrageorientierten künstlichen Wachstumspolitik auf eine angebotsorientierte Wachstums- und Beschäftigungspolitik umzusteigen.
Jetzt droht die Regierung wieder mit einer Stagflation mit Stillstand des Wachstums bei inflationärer Entwicklung. Und das nennen Sie Bilanz der 70er Jahre und sicheren Aufbruch in die 80er Jahre!
Es ist eine Reihe von Versäumnissen der Innenpolitik festzustellen. Darüber ist in diesem Hohen Hause schon gesprochen worden und darüber wird noch zu sprechen sein.
Ich möchte aber trotzdem die Gelegenheit hier nutzen, weil ich in meiner Abwesenheit — das werfe ich Herrn Kollegen Matthöfer nicht vor — unmittelbar angesprochen worden bin. Er hat einmal die Horrorgeschichte erzählt, die Gruselstory zum besten gegeben, daß es die Politik der CDU/CSU und die Politik des bayerischen Ministerpräsidenten sei, 6 % Staatsquote wegzunehmen und damit dem Kreislauf der Finanzwirtschaft 90 Milliarden DM zu entziehen. Herr Kollege Matthöfer, selbst wenn Sie mein politischer Gegner sind, sollten Sie sich selber nicht die Blöße geben, mich für so unintelligent und für so unkundig zu halten, daß ich jemals den Blödsinn vertreten würde, in einem Jahr — das war Ihre Darstellung —, vielleicht gar noch den Finanzen des Bundes und nicht nur der öffentlichen Gebietskörperschaften, auf einmal 90 Milliarden DM entziehen zu wollen. Es ist eines Finanzministers, an den ganz bestimmte Anforderungen sachlicher und fachlicher Qualität gestellt werden, einfach unwürdig, einen solchen Unsinn zu behaupten.
Ich habe in allen meinen Reden das Wirtschaftsprogramm der CDU und der CSU angesprochen, in dem im Entwurf von einer Rückführung der Staatsquote zuerst von 47 auf 40 % die Rede war. Wegen der Schwierigkeiten, das genau zu quantifizieren, ist im Endergebnis nur von einer Rückführung der Staatsquote gesprochen worden. Wir wissen alle, was das bedeutet, und ich habe in allen meinen Reden gesagt — ich kann Ihnen verschiedene Exemplare davon zur Verfügung stellen —, daß das eine Daueraufgabe ist, die sich über eine, nach meiner Überzeugung über zwei Dekaden erstrecken wird. Diese Frage hängt mit dem Begriff der Freiheit des Bürgers, einer größeren Möglichkeit, über sein Arbeitseinkommen zu verfügen, als es nach dem Verlauf der Steuertarif-Kurve bisher zu erwarten ist, untrennbar zusammen.
Ich habe in dem Zusammenhang gesagt, wir müßten erstens dafür das Problembewußtsein in der Bevölkerung schaffen und wir müßten uns zweitens darüber im klaren sein, daß es hier nicht mit einem Donnerschlag, einem Wunderrezept, also auf einen Streich geht. Hier kann man keinen gordischen Knoten durchhauen. Ich habe drittens gesagt: Man muß aber trotzdem den ersten Schritt tun, denn man
15058 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
wird bei der längsten Reise nie am Ziel ankommen, wenn man nicht den ersten, auch noch so kleinen, Schritt in der richtigen Richtung getan hat. Das wäre die richtige Darstellung.
Herr Kollege Matthöfer, dann haben Sie hier unglaubliche Äußerungen über mich im Zusammenhang mit einem Interview verbreitet, das ich in meiner Eigenschaft als Vorsitzender der deutschen und der internationalen Airbusgesellschaft getan haben soll. Sie haben hier behauptet, Sie hätten meine Äußerungen ganz genau gelesen und würden sie ganz genau zitieren. Sie haben mir in dem Zusammenhang in den Mund gelegt: „Herr Strauß sagt: Wenn ich Bundeskanzler werde, schenke ich euch die zwei Milliarden DM. Das haben Sie laut Protokoll des Deutschen Bundestages behauptet. Sie haben vorher gesagt:
Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Zur Zeit verhandle ich mit einem Unternehmen — ich will den Namen gar nicht nennen —— man kann ihn ruhig nennen, es sind die zwei Unternehmungen MBB und VFW, und in dem, was ich sage, bin ich mit dem Kollegen Koschnick aus Bremen und dem Kollegen Klose aus Hamburg in jeder Hinsicht einig, wenn sie den Mut haben, ihre wirkliche Meinung zu sagen —
über die Rückzahlung eines bedingt gegebenen Zuschusses.
Darüber brauchen Sie gar nicht zu verhandeln, denn die ist vertraglich festgelegt. Weiter heißt es:
Der Zuschuß war erfolgreich. Das Unternehmen ist in schwarzen Zahlen. Ich
— Herr Matthöfer —
habe dann gesagt: Bitte, zahlt das wieder zurück! Daraufhin sagte man mir: Das geht aber nicht; Herr Strauß hat den Leuten von Airbus auch versprochen, sie brauchten die zwei Milliarden DM Zuschuß nicht zurückzuzahlen, wenn er Bundeskanzler wird.
Ich habe in diesem Interview nach dem Exemplar des Bundespresse- und Informationsamts auf die Frage, ob die Luftfahrtindustrie unterstützt wird, gesagt:
Es handelt sich erstens um die Entwicklungskosten. Ich bin allerdings der Meinung, daß die Entwicklungskosten eines Tages gestrichen werden sollten; denn hier ist ein Vorstoß, ein technisches Neuland, der ist für die Bundesrepublik insgesamt volkswirtschaftlich wertvoll. Man kann die Dinge auch anders handhaben, aber zum Schluß läuft es doch immer wieder auf dasselbe hinaus.
Frage: „Also keine Rückzahlung der Entwicklungskosten?" Antwort von mir:
Keine Rückzahlung der Entwicklungskosten. Das ist meine Vorstellung, die ich auch dann, wenn ich Regierungschef in Bonn würde, für wichtig halten würde. Dann könnte man die übrigen Finanzhilfen um so schneller abbauen.
Wie ist der Sachverhalt in Wirklichkeit? An dieser von Ihnen behaupteten Aussage, Herr Kollege Matthöfer, stimmt nichts. Sie haben dem Bundestag die Unwahrheit gesagt, indem Sie behaupteten, Sie hätten meinen Text genau gelesen und würden ihn genau zitieren. Ich habe kein Wort von zwei Milliarden DM gesagt, wie Sie mir hier unterstellt haben. Ich bin im Gegensatz zu Herrn Matthöfer mit den finanziellen Problemen dieses Projektes wohlvertraut und weiß, daß die Deutsche Airbus GmbH auf Grund der ihr bis heute gewährten Entwicklungskostenzuschüsse und nach Abzug der bereits geleisteten Rückzahlungen noch Rückzahlungsverpflichtungen in Höhe von zirka 870 Millionen DM hat. Sie können zwei und eine Milliarde nicht unterscheiden.
Von zwei Milliarden DM kann also gar keine Rede sein. Wie können Sie mit einem Unternehmen über die Rückzahlung von Zuschüssen verhandeln, wenn Sie nicht einmal wissen, ob es eine Milliarde oder zwei Milliarden DM sind? Herr Matthöfer, wissen Sie, was Sie verwechselt haben: Sie haben das Entwicklungskostendarlehen mit der Bundesbürgschaft für die Serienfertigung verwechselt. Als einmal ein preußischer Handelsminister den Unterschied zwischen Zahlungsbilanz und Handelsbilanz nicht kannte, mußte er nach den damaligen Maßstäben den Hut nehmen. Ein Finanzminister, der ein Darlehen nicht von einer Bürgschaft unterscheiden kann, hat wirklich seinen Beruf verfehlt.
Herr Kollege Matthöfer, ich habe — das wird mir niemand bestreiten — immer Wert darauf gelegt, dieses große technische Projekt, das allein die Flagge der Europäer beim Bau von großräumigen Flugzeugen für die Zivilluftfahrt zeigt und das ein großartiges Exempel internationaler Zusammenarbeit ist — Deutschland, Frankreich, Holland, Spanien, neuerdings auch Belgien, dazu Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika —, nicht in den parteipolitischen Streit hineinzuziehen. Ich habe überall gesagt, so schwer es der Bundesregierung gefallen sei, habe sie immer wieder unter dem Druck der Notwendigkeiten das Notwendige getan. Daß Sie in dieser Weise und dann noch mit der Behauptung, Sie wüßten die Tatsachen und die Äußerung ganz genau, Unwahrheiten verbreiten, ist eines der skandalösesten Stücke, das sich jemals ein Minister in diesem Hause geleistet hat.
Sie wissen doch ganz genau, daß angesichts des Standes der Probleme mehrere tausend Arbeitsplätze, und zwar im norddeutschen, im Bremer und im Hamburger Bereich gefährdet sind. Sie wissen doch ganz genau, 'daß ich mich in Zusammenarbeit mit Herrn Koschnick und Herrn Klose bemüht habe, diese Arbeitsplätze zu retten, zu' erhalten, sogar noch zu vermehren. Sie wissen doch ganz genau, daß der Freistaat Bayern als der derzeit größte Anteilseigner von MBB einer Investitionssumme von 550 Millionen DM im Norden der Bundesrepublik, in Hamburg und Niedersachsen, zugestimmt hat. Leider ist das andere Werk wegen der Versäumnisse der Bundesregierung noch nicht in der Lage, die not-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den i 1. Dezember 1979 15059
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
wendigen Investitionen rechtzeitig zu leisten. Von diesen Sorgen geleitet, habe ich mich so verhalten, aber auch so geäußert.
Der Sinn meines Vorschlages, die Rückzahlung der Entwicklungskosten zu erlassen oder zu stunden, ist doch nicht der, der Industrie ein Geschenk zu machen, wie es Herr Matthöfer hier zum Ausdruck gebracht hat, sondern der Industrie die Möglichkeit zu geben, die übrigen Finanzhilfen des Bundes schneller abzubauen und eine Normalisierung der Verhältnisse herbeizuführen.
Wissen Sie, wem Sie mit dieser Äußerung dienen?
Ich sage es Ihnen jetzt gleich. 870 Millionen DM Entwicklungskostenzuschüsse sind von der Deutschen Airbus GmbH noch zurückzuzahlen. Um diese 870 Millionen DM zurückzahlen zu können, muß die Deutsche Airbus GmbH einen Kredit aufnehmen und voll verzinsen. Aber auch die Zinsen können wieder nur durch Kreditaufnahme gezahlt werden. Damit wächst der Kredit auf 1,9 Milliarden DM an. Und das nennen Sie „sich in schwarzen Zahlen befinden", und da diffamieren Sie mich, wenn ich durch diesen meinen Vorschlag die Bilanzsituation der Unternehmungen verbessern und die Arbeitsplätze erhalten und vermehren will und wenn ich damit verhindern will, daß Bundeszuschüsse — trotz der angeblich schwarzen Zahlen — mit Krediten zurückgezahlt werden müssen, die Zinsen für die Kredite wiederum nur durch Kredite finanziert werden können und damit allein die beteiligten großen Banken das Geschäft machen. Ich bin nicht hier, um ein Wort gegen die Banken zu sagen, aber Ihre Politik auf diesem Gebiet ist eine Politik für die Banken, nicht eine Politik für die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie.