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    Plenarprotokoll 8/191 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 191. Sitzung Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 Inhalt: Zusätzliche Überweisung eines Gesetzentwurfs an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO 15045A Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 15045 A Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1980 (Haushaltsgesetz 1980) — Drucksachen 8/3100, 8/3354 — Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt -- Drucksache 8/3374 — in Verbindung mit Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksache 8/3375 — in Verbindung mit Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksache 8/3384 — Schröder (Luneburg) CDU/CSU 15046A, 15047A Löffler SPD 15048A Dr. h. c. Strauß, Ministerpräsident des Freistaates Bayern 15049B, 15120C Wehner SPD 15064 B Genscher, Bundesminister AA 15071 B Dr. Barzel CDU/CSU 15077 A Matthöfer, Bundesminister BMF . . . 15086A Dr. Ehmke SPD 15087A Hoppe FDP 15097A Schmidt, Bundeskanzler . . . . 15103A, 15120B Dr. Kohl CDU/CSU 15111 D, 15128 D Mischnick FDP . 15129B Dr. Blüm CDU/CSU 15132 C Rohde SPD 15141A Cronenberg FDP 15147 C Dr. Marx CDU/CSU 15151A Dr. Corterier SPD 15154 C II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 Möllemann FDP 15156D Hauser (Bonn-Bad Godesberg) CDU/CSU 15159B Würtz SPD 15162B Zywietz FDP 15164D Haase (Kassel) CDU/CSU 15167A Dr. Apel, Bundesminister BMVg . . . 15169B Picard CDU/CSU 15170D Namentliche Abstimmung 15172A Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 8/3395 — 15174A Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksache 8/3390 — 15174 C Nächste Sitzung 15174 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . .15175* Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15045 191. Sitzung Bonn, den 11. Dezember 1979 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 190. Sitzung, Seite 15019* A, Zeile 10: Statt „Bundesrechtsrahmengesetz" ist „Beamtenrechtsrahmengesetz" zu lesen. Zwei Zeilen weiter muß es statt „Bundesbesoldungsgesetz" „Bundesbeamtengesetz heißen. Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen* 14. 12. Dr. Aigner* 14. 12. Alber* 14. 12. Dr. Bangemann* 14. 12. Blumenfeld* 14. 12. Brandt 11. 12. Egert 14. 12. Fellermaier* 14. 12. Frau Dr. Focke* 14. 12. Friedrich (Würzburg) * 14. 12. Dr. Früh* 14. 12. Dr. Fuchs* 14. 12. von Hassel* 14. 12. Katzer 14. 12. Dr. h. c. Kiesinger 12. 12. Dr. Klepsch* 14. 12. Lange* 14. 12. Lüker* 14. 12. Luster* 14. 12. Milz 14. 12. Dr. Müller-Hermann* 14. 12. Peiter 11. 12. Dr. Pfennig* 14. 12. Frau Schleicher* 14. 12. Dr. Schwarz-Schilling 13. 12. Dr. Schwencke (Nienburg) * 14. 12. Seefeld* 14. 12. Sieglerschmidt* 14. 12. Frau Tübler 14. 12. Frau Dr. Walz* 14. 12. Wawrzik* 14. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
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    Rede von Dr. Franz Josef Strauß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand von uns, Herr Bundeskanzler, hat die Absicht, offen oder versteckt über Sie ehrabschneidende Erklärungen, sei es auf den Zeilen,

    (Wehner [SPD]: Das ist aber gemacht worden!)

    sei es zwischen den Zeilen, abzugeben. Ich bitte Sie, Herr Kollege Wehner, mich nicht zu unterbrechen, auch wenn Sie auf diesem Gebiet, das ich eben erwähnt habe, eine größere Erfahrung haben als wir alle.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich möchte auch von mir aus auf diese Fragestellung hier deshalb nicht eingehen, weil man sie sonst sehr umfassend behandeln müßte. Aber ich schließe mich einer Aufforderung des Kollegen Helmut Kohl an — und der könnte sich jedes Mitglied dieses Hauses anschließen — daß endlich einmal mit der geschichtsfälschenden, die geistesgeschichtliche Klärung verhindernden Lüge oder Legende aufgeräumt werden muß, daß die bürgerliche Rechte, die Konservativen die Vorläufer des Dritten Reichs und die Christlichen Demokraten und die Christlich-Sozialen die Traditionswahrer dieser Vergangenheit seien. Ich möchte dazu hier nicht Stellung nehmen. Ich könnte es aber sehr wohl tun und werde es im Zusammenhang mit einer Bemerkung, Herr Bundeskanzler, die Sie über mich bzw. meine Rede gemacht haben, kurz tun.
    Sie haben mir vorgehalten, ich hätte Ihr Interview im Zusammenhang mit der Sozialen Marktwirtschaft heute nicht vollständig zitiert und deshalb falsch zitiert. Ich habe mir dieses Interview jetzt in seiner Gesamtheit besorgen lassen. Bis heute morgen verfügte ich nur über den seinerzeit vom
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15121
    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    Presse- und Informationsamt — das ja wohl von Ihnen nicht als Fälscherzentrale bezeichnet wird —

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    — ich meinte: vom Herrn Bundeskanzler nicht — zur Verfügung gestellten Teiltext. Es ist auch völlig unmöglich, Herr Bundeskanzler, das ganze Interview zu zitieren. Es umfaßt an die zwölf eng beschriebene, eng bedruckte Seiten.
    Der Text, bei dem Sie mir selektive Zitierung und damit Entstellung des Sinns vorgeworfen haben, heißt nach dem vom Bundespresseamt verteilten offiziellen Text folgendermaßen. Da steht: Sperrfrist Sonntag, 4. Juli 1976, 22 Uhr usw.; Interview mit dem österreichischen Fernsehen. Ich habe sogar einen Satz ausgelassen, der diesen Teil des Interviews einleitet. Ich hole das gerne nach. Der Satz heißt:
    Soziale Marktwirtschaft ist ein politisches Schlagwort.
    Dann kommt das Zitat so, wie ich es heute morgen gebracht habe:
    Marktwirtschaft ist von sich aus niemals sozial, im Gegenteil, soziale Politik, sozialer Ausgleich kann niemals durch Marktwirtschaft herbeigeführt werden. Wenn Sie sozialen Ausgleich wollen, dann müssen Sie etwas tun, was gegen den Markt verstößt: Sie müssen intervenieren. Die Sozialpolitik im engeren Sinne wie im weiteren Sinne ist immer das krasse Gegenteil von Marktwirtschaft.
    Das ist das Zitat. Ich habe zusammenhängend zitiert. Ich war dazu heute morgen nicht in der Lage. Ich möchte es auch heute nachmittag niemandem zumuten, etwa die zwölf Seiten des Gesamttextes des Interviews zum besten zu geben, obwohl es ganz nette Einblicke vermittelt.
    Nur, Herr Bundeskanzler, wenn Sie im Zusammenhang damit die Frage stellen, ob mir nicht bekannt war, daß schon seit der ersten Fabrikgesetzgebung des 19. Jahrhunderts „Markt" und „sozial" in Gegensatz zueinander gestanden haben, dann beweist das wirklich, daß auch Sie sich von dem Schlagschatten des Steinzeitsozialisten noch nicht ganz befreit haben.

    (Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Niemand von uns — von uns christlich demokratischen oder christlich-sozialen Politikern — behauptet, daß die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in der Pionierzeit der Industrialisierung, in der Zeit des sogenannten Manchester-Kapitalismus unseren Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit, von sozialem Ausgleich und von menschlicher Würde entsprochen haben.
    Ich weiß nicht, wie viele Hunderte Reden es allein von mir gibt, in denen ich darauf hinweise, daß gerade die Verhältnisse des 19. Jahrhunderts zu den sozialistischen Reformvorstellungen, die sich bis zur kommunistischen Revolutionspropaganda entwikkelt haben, und zu den christlich-sozialen Reformvorstellungen der beiden Kirchen — der katholischen Kirche in der Enzyklika „Rerum novarum" — geführt haben. Deshalb ist es ein erschütterndes Zeichen der geistigen Armut, aber auch der geschichtlichen Bildungslosigkeit eines Bundeskanzlers,

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Und der Arroganz eines Redners!)

    wenn er Soziale Marktwirtschaft in dem Verständnis von heute, von Eucken, Müller-Armack, von Franz Böhm, in die politische Wirklichkeit umgesetzt durch Ludwig Erhard, mit der Fabrikgesetzgebung des 19. Jahrhunderts und mit den Verhältnissen in der Gründerzeit, der Pionierzeit der Industrialisierung und der Zeit des Manchester-Kapitalismus hier in diesem Bundestag in einen inneren Zusammenhang bringt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es ist doch selbstverständlich, daß die Gesetzgebung und die Verträge zwischen den Tarifparteien — das eine, Aufgabe der Regierungen und der Parlamente, das andere durch verantwortungsbewußte Nutzung des freien Spielraums durch die beiden Tarifparteien zustande kommend — den Begriff der sozialen Sicherheit weitgehend prägen. Aber die Wirklichkeit der sozialen Sicherheit ist durch die von Ihnen bekämpfte Soziale Marktwirtschaft begründet worden. Da ist die Substanz geschaffen worden. Da ist die Masse geschaffen worden. Da sind die Grundlagen gelegt worden, auf denen aus einem Proleten der moderne Arbeiter geworden ist. Für mich war es immer ein Anlaß des politischen Stolzes und auch meiner persönlichen Zufriedenheit, daß es unsere Politik gewesen ist, aus dem Arbeiter, aus dem Proleten des 19. Jahrhunderts durch eine Politik der Sozialen Marktwirtschaft den Bürger zu machen, der Partner in der Wirtschaft ist, volle Gleichberechtigung im Staate und seinen Anteil am Sozialprodukt hat.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Soziale Marktwirtschaft bedeutet doch, daß die Freiheit des Marktes durch soziale Gesetzgebung eingeschränkt und unter Kontrolle gebracht wird, ohne daß aber deshalb die Grundsätze der freien Marktwirtschaft dadurch aufgehoben oder ausgehöhlt werden. Wie können Sie behaupten, daß Soziale Marktwirtschaft ein reines Schlagwort sei und daß Markt und sozial unvereinbare Gegensätze bedeuteten? In wessen Hirn findet denn der Spaltungsprozeß statt? Doch in Ihrem Hirn findet er statt!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich gehöre zu der kleinen Zahl von heute noch lebenden Abgeordneten der kleinen Mehrheit des damaligen Wirtschaftsrates, die in den dramatischen Juni-Debatten des Jahres 1948 — SPD, KPD waren dagegen, CDU, CSU, FDP und DP dafür — den Ausschlag gegeben hat, daß in einer Zeit größter materieller Not, scheinbar oder anscheinend größter Hoffnungslosigkeit gegen einen großen Teil der veröffentlichten Meinung, gegen die Gewerkschaften, gegen den Rat und die Warnungen der Besetzungsmächte und gegen eine breite Strömung auch in der öffentlichen Meinung Ludwig Erhard und wir — ein
    15122 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    Häuflein der kleinen Mehrheit — damals den Sprung ins kalte Wasser gewagt haben. Wer damals vorausgesagt hätte, wie es materiell für den einzelnen wie hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der Gemeinschaft 15 oder 20 Jahre später in der Bundesrepublik Deutschland aussehen würde, der wäre damals Gefahr gelaufen, für geisteskrank oder größenwahnsinnig erklärt zu werden.

    (Zuruf von der SPD: Aber wie ist es mit den Einheitsgewerkschaften?)

    Der Aufstieg der breiten Masse in den Bereich der gehobenen Konsumgüter, über die Sphäre der Dekkung des primitiven Lebensbedarfs hinaus, war eben nur durch die Soziale Marktwirtschaft möglich und wäre durch keine andere Ordnungsform der Wirtschaft möglich geworden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ein Zwischenruf — ich habe das Stichwort Gewerkschaften gehört —

    (Zuruf von der SPD)

    gibt mir Anlaß, auch wenige Worte über dieses Thema zu sagen. Niemand hat jemals bestritten, sondern im Gegenteil, jeder hier in diesem Hause und von meinen politischen Freunden hat den Anteil der Gewerkschaften in dieser Zeit des harten Aufbaus und der folgenden Jahre an der Gesamtleistung ohne Wenn und Aber anerkannt.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Das heißt noch lange nicht, daß man deshalb mit allen Vorstellungen, Meinungen, Forderungen und Standpunkten der Gewerkschaften — der großen Gewerkschaft oder anderer kleiner Gewerkschaften — in jedem Falle einverstanden sein muß.

    (Zurufe von der SPD)

    Wenn man in diesem Hause einmal die Frage stellt: „Freund oder Feind der Arbeitnehmer?", so halte ich das Ganze für eine törichte Kampfparole der psychologischen Kriegführung. Ich halte das für eine Agitation und Aufhetzung.

    (Zuruf von der SPD: Sie Armer!)

    Denn in wesentlichen Fragen, die die Lebensgrundlagen, die persönliche Freiheit, die Verfügungsgewalt über das erworbene Arbeitseinkommen, die Sicherung des Arbeitsplatzes in den 80er und 90er Jahren betreffen, haben CDU und CSU — ich darf das für mich auch und sehr wohl und nicht an letzter Stelle in Anspruch nehmen — eine Politik getrieben, die im Interesse der Arbeitnehmer, kurz-, mittel- und langfristig gesehen, jedenfalls besser fundiert war als die hektische krampfartige und kurzatmige Politik, die die Regierungsparteien und die Bundesregierungen in dieser Zeit getrieben haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn wir für das Jahr 1980 schon auf Grund der eingetretenen und der zu erwartenden Steuermehreinnahmen eine Korrektur des Einkommensteuertarifs — ich rede noch nicht von der großen Tarifreform — gefordert haben, dann doch nicht wegen der großen Einkommen, wegen des großen Geldes; denn die Bezieher dieser Einkommen haben mit den von uns angestrebten Tarifkorrekturen überhaupt nichts zu tun; die zahlen deshalb keinen Pfennig weniger Steuern. Es handelt sich für uns um den Bereich von heute 20 000 DM bei Ledigen und 40 000 DM bei Verheirateten und in einigen Jahren von 30 000 DM bei Ledigen und 60000 DM bei Verheirateten, für die der Verlauf der Tarifkurve erheblich abgemildert werden muß, damit nicht von jeder mehr verdienten Mark an die 50 Pfennig an die öffentlichen Kassen abgeführt werden müssen. Das nenne ich eine arbeitnehmerfreundliche, aber gleichzeitig auch eine der Steigerung der Leistung dienende Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn wir, sicherlich nicht ohne Denkprozeß, unser Ja zur Kernenergie rechtzeitig sagen, dann dient auch das in erster Linie nicht dem Ziel, der Wirtschaft größere Gewinne zu verschaffen oder höhere Erträge zuzuschanzen oder bessere Profite zu ermöglichen, sondern dann dient das der ohne ausreichende Belieferung mit bezahlbarer Energie nicht möglichen, nicht zu erhaltenden heutigen Beschäftigung, dann ist das eine Voraussetzung für die Wiederherstellung des vor zehn Jahren, als wir die Regierung abgaben, bestehenden Standes der Vollbeschäftigung.
    Für uns ist die Versorgung mit Energie und mit Rohstoffen in ausreichender Menge und zu bezahlbaren, wettbewerbsfähigen Preisen die durch nichts zu ersetzende Voraussetzung für eine Erhaltung des hohen Beschäftigungsstands und die Wiederherstellung der für soziales Gleichgewicht, für echte Familienpolitik und für die Finanzierung der künftigen Rentenaufgaben notwendigen Vollbeschäftigung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Darum sollte man aufhören, in Kategorien von „Freund" und „Feind" von Arbeitnehmern zu denken.
    Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß ich kein Anhänger der paritätischen Mitbestimmung bin. Es gibt Parteifreunde in unseren Reihen, die anderer Meinung sind und sein mögen. Mit denen set- zen wir uns genauso auseinander wie mit den Anhängern der paritätischen Mitbestimmung in gewerkschaftlichen Organisationen. Aber es wäre ein ganz schlechtes Zeichen der Geistes- und Meinungsfreiheit in unserem Lande, wenn jemand, der aus Gründen der Funktionsfähigkeit unserer Wirtschaft die paritätische Mitbestimmung nicht bejaht, gleich zu einem Arbeitnehmerfeind abgestempelt werden könnte.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In den Lebensfragen unserer Nation — und dazu gehören hoher Beschäftigungsstand oder Vollbeschäftigung — lassen wir uns an Sachkunde, an Erfahrungsnähe, an Wirklichkeitsorientierung und an Zielorientierung von niemandem in diesem Hause übertreffen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben ein böses Wort gebraucht. Wenn Sie an der Stelle von Herrn Wehner
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15123
    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    säßen, würde ich nicht darauf eingehen. Da Sie aber hier sitzen — ich hoffe, sagen zu können: noch hier sitzen —, sage ich: Sie dürfen nicht davon reden, daß eine demokratische Partei — ich meine die Christlich-Soziale Union und ihre Führungsorgane — die Einheitsgewerkschaft unterminiert. Wenn Gefahr besteht, daß eine ideologische Richtung, wenn Gefahr besteht, daß eine totalitäre Richtung versucht, die Einheitsgewerkschaften zu unterwandern, zu unterminieren, dann sind es die Kommunisten der verschiedenen Schattierungen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In dem Parteiprogramm der CSU ist die Rede vom gewerkschaftlichen Pluralismus. Ich habe kein Verständnis dafür, daß, wenn ich das richtig im Gedächtnis habe, Herr Loderer sagte: Wer für den gewerkschaftlichen Pluralismus eintritt, ist ein Feind der Einheitsgewerkschaft.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Ein Feind der DAG!)

    Lassen Sie mich hier verbindlich — ich führe diese Partei seit nunmehr fast 19 Jahren — sagen, was unser Glaubensgut auf diesem Gebiet vom ersten Tage an ist: Wir stehen ohne Wenn und Aber zu der im Grundgesetz verbürgten Koalitionsfreiheit, zum Zusammenschluß der Bürger für legale Zwecke. Wir bejahen die Aufgabe der Gewerkschaften ohne Wenn und Aber, aber selbstverständlich mit der Maßgabe, daß das Gesetz des Gleichgewichts der Macht der gesellschaftlichen Kräfte in einer Demokratie nicht umgestoßen werden darf. Auch dazu haben wir uns immer bekannt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die zweite Bemerkung in diesem Zusammenhang: Wie sich die Arbeitnehmer organisieren, ist ihre eigene Sache.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Es ist nicht die Aufgabe des Staates, ihnen hier durch Gesetze Vorschriften zu machen. Es ist nicht die Aufgabe der Parteien, die Rolle von Gewerkschaften ersatzweise wahrzunehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn die Arbeitnehmer der Bundesrepublik freiwillig überhaupt nur eine einzige Gewerkschaft wünschen, wäre es ihre freie Entscheidung. Wenn sie es nicht wünschen, ist es auch ihre freie Entscheidung. Man darf aber auf dem Wege der sprachlichen Naivität oder der bewußten Verwirrung der sprachlichen Begriffe Einheitsgewerkschaft nicht mit Eingewerkschaft verwechseln.
    Wir erkennen selbstverständlich die große Organisation des DGB als die stärkste gewerkschaftliche Macht in der Bundesrepublik .an.
    Als ich als . bayerischer Ministerpräsident nach dem Beispiel meines Vorgängers im April dieses Jahres aus Anlaß des 1. Mai alle Gewerkschaften zu dem Empfang der Staatsregierung eingeladen hatte, ereignete sich wieder einmal dasselbe, was sich unter meinem Vorgänger schon viele Male zugetragen hatte. Der DGB-Landesbezirk Bayern erklärte:
    Wenn der Ministerpräsident gesprochen hat, darf nur eine einzige Organisation antworten; wenn andere antworten wollen, nehmen wir an der Feier nicht teil, bzw. wir sprechen auf dieser Feier nicht.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Es war eine Übung geworden, daß nur der Sprecher des DGB-Landesbezirks Bayern die Antwort auf die Rede des Ministerpräsidenten gibt, mit der Maßgabe, daß kein anderer Vorsitzender einer in Bayern arbeitenden Gewerkschaft — weder der DAG noch des Beamtenbundes noch des Bundeswehrverbandes noch des CGB — das Wort ergreifen darf. Die anderen Gewerkschaften haben das, um den Frieden nicht zu stören, murrend anerkannt, haben aber von mir verlangt, ich solle diesen Zustand ändern. Ich habe erklärt, ich bin außerstande, diesen Zustand zu ändern; denn es ist Aufgabe der Gewerkschaften, im Gespräch miteinander festzulegen, wer bei diesem Empfang den gewerkschaftlichen Standpunkt gegenüber bzw. an die Adresse der bayerischen Staatsregierung vertreten soll. Ist das eine nicht liberale Haltung, weil ich nicht die Reden aller erzwungen habe, oder ist das eine nicht liberale Haltung, weil ich mich mit diesem Monopolanspruch abgefunden habe?
    Ich bin auch heute noch der Meinung, daß es nicht Aufgabe des Regierungschefs eines. Landes ist, in diesem Bereich Vorschriften zu machen. Das sollen diese gesellschaftlichen Gruppen unter sich vereinbaren. So werde ich es auch in Zukunft halten.
    Nur eines kann man von uns nicht verlangen: daß man unter gewerkschaftlichem Pluralismus eine Feindschaft zur Einheitsgewerkschaft versteht. Ich lehne Richtungsgewerkschaften ab, weil die Weichen nach dem Zweiten Weltkrieg anders gestellt worden sind. Wenn es deshalb eine Einheitsgewerkschaft nach dem Industrieprinzip gibt, wie der DGB das vertritt, ist es sein gutes Recht. Die Tarifpartner müssen dem Rechnung tragen ebenso wie auch der Staat. Aber der Begriff Einheitsgewerkschaft steht doch nicht im Widerspruch zu einem gewerkschaftlichen Pluralismus; denn das hieße ja, daß wir als Vertreter des Staates oder als Parlamentarier nicht mit der Deutschen Angestelltengewerkschaft, nicht mit dem Deutschen Beamtenbund, nicht mit anderen gewerkschaftlichen Organisationen verhandeln oder mit ihnen Abschlüsse erzielen dürften.
    Ich glaube, die liberalstmögliche Einstellung gegenüber der Gewerkschaftsbewegung — und auch die einzig sozial denkbare — ist die: Freiheit der Koalitionsbildung. Die Arbeitnehmer sollen selbst entscheiden, wie. Wollen sie eine einzige Gewerkschaft, ist es ihre Sache. Organisieren sie sich in mehreren Gewerkschaften, ist es auch ihre Sache. Aber wir haben alle vorhandenen gewerkschaftlichen Organisationen als grundsätzlich gleichberechtigt — und im übrigen selbstverständlich als unterschiedlich gewichtig — zu behandeln. So habe ich es immer gehalten, und so mache ich es auch heute.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn es in einer Materialsammlung, die der Generalsekretär der CSU auf Grund der unzähligen
    15124 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    aus dem Lande zugegangenen Zuschriften angefertigt hat, in einem Dokument von Hunderten von Seiten, einen Vorschlag gab — ich kenne den Urheber nicht einmal —, die CSU solle eine Gewerkschaft gründen — mein Gott, wenn alles, was auf Parteitagen der SPD — nicht nur von Herrn Jens — einmal gesagt worden ist, als Standpunkt der SPD ausgelegt würde, könnte man nur noch gute Nacht in unserem Lande sagen.
    Wir haben drei Fragen an den Gewerkschaftsbund gerichtet. Das ist unser legitimes Recht als Partei, so wie er das Recht hat, an uns als Parteien vor Wahlen Prüfsteine zu versenden. Erste Frage: Was versteht ihr unter gewerkschaftlichem Pluralismus? Damit habe ich mich eben befaßt. Zweite Frage: Gibt es für den Deutschen Gewerkschaftsbund ein wirtschaftspolitisches Leitziel oder eine wirtschaftspolitische Endvorstellung? Da gibt es ja sehr widersprüchliche Meinungen, von einem verbalradikalen Vulgärmarxismus bis zu sehr vernünftigen Vorstellungen über das Zusammenwirken von Arbeitnehmern und Unternehmern in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Die dritte Frage war die nach dem Stand der kommunistischen Unterwanderung. Der Erfolg unserer Bemühungen war, daß die Gewerkschaften zugegeben haben, es gebe für sie ein Problem der kommunistischen Unterwanderung, besonders im Jugendbereich, sie hätten aber nach den Erfahrungen der Vergangenheit einen geschärften Blick, um mit diesem Problem fertig zu werden. Auch diese Diskussion gehört zu den Rechten und Ansprüchen einer freien, toleranten und liberalen Gesellschaft. Das ist unser Verhältnis zum Gewerkschaftsbund.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Lassen Sie mich noch etwas zurückweisen, Herr Bundeskanzler, das mich auch veranlaßt hat, mich noch einmal zu Wort zu melden. Wie kommen denn Sie dazu, dem Freistaat Bayern — ich muß schon sagen — in Ihrer unglaublichen Kaltschnäuzigkeit und Naßforschheit, die Sie anderen vorgeworfen haben, davon zu sprechen, daß man es dem bayerischen Ministerpräsidenten nicht erlauben dürfe, eine bildungspolitische Kleinstaaterei einzuführen?

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Das bayerische Schulwesen ist ein sehr leistungsfähiges, elterngerechtes, kinderfreundliches und von der überwältigenden Mehrheit der Eltern angenommenes Schulwesen. Ich möchte mich hier im einzelnen darüber nicht verbreiten, weil schon sehr viel gesagt worden ist. Ich bin auch nicht der Meinung, daß wir in Bayern allein im Besitz der blauen Blume, des Schlüssels zur allein seligmachenden Wahrheit seien und daß deshalb unser Schulsystem untadelig, unfehlbar und das beste aller möglichen Schulsysteme in der Welt sei. Nur die Qualität der bayerischen Abschlüsse in der mittleren Reife, die Qualität der Abschlüsse des bayerischen Abiturs und die von bayerischen Abiturienten in vielen naturwissenschaftlichen Wettbewerben erworbenen Siege sprechen dafür, daß unser gegliedertes Schulsystem, das von der bayerischen Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit — gerade in diesem Flächenstaat
    — gewünscht wird, das unseren Lebensverhältnissen am besten entsprechende, leistungsfähige und trotzdem humanste Schulsystem ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich verwahre mich einfach dagegen, daß Sie hier Geschichtsfälschung treiben. Ich habe doch dieses Problem nicht in die Welt .gerufen. Wir haben doch nicht, abweichend von den bisherigen Beschlüssen und Vereinbarungen, etwa ein anderes Schulsystem eingeführt, wie es in Hamburg mit der Gesamtschule als Regelschule gemacht worden ist. Ich habe das übernommen, was mein Vorgänger in 16 Amtsjahren aufgebaut hat. Ich habe das übernommen, was Hans Maier und seine Vorgänger an bayerischer Kulturpolitik aufgebaut haben. Daß sich aber seit meiner Amtsübernahme als Ministerpräsident unter dem Druck Bayerns eine Änderung in der Linie der Unionspolitik ergeben habe, das ist eine Unwahrheit. Wer die Wirklichkeit kennt und das noch aufrechterhalten würde, macht sich sogar einer Lüge schuldig.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich habe auch in allen meinen bildungspolitischen Äußerungen der letzten Wochen, als diese Frage immer wieder aus rein wahlkampfpolitischer Hetze und aus keinem anderen Grunde auf Bayern zugeschoben wurde,

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    erklärt, daß wir selbstverständlich das Schicksal und die Zukunft der Kinder berücksichtigen müssen, die, ad personam, völlig unschuldig, einen Schulabschluß haben, der den Qualitätsanforderungen anderer Schulabschlüsse nicht ohne weiteres gleichzusetzen ist. Dafür müssen wir und werden wir eine Lösung finden. Aber aus diesem Grunde von der besseren Schulform abzuweichen und zur schlechteren Schulform überzugehen — hier geht es nicht nur um Schulorganisationsformen, hier geht es auch um Lehrpläne und Lehrinhalte — kann doch nicht sinnvoll sein. Ich habe nie aus meiner Meinung einen Hehl gemacht, daß der Konflikt nicht die einzige geschichtliche Wahrheit ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich habe nie einen Zweifel daran gelassen, daß die Erziehung der Kinder im Konfliktdenken — Konflikt zum Elternhaus, Konflikt zur Schule, Konflikt zur Kirche, Konflikt zur Berufsausbildung, Konflikt zur Arbeitswelt — keine jungen, frohen, lebensaufgeschlossenen, der Zukunft gewachsenen Menschen, sondern verformte, verbildete und oft leider auch geistig-seelisch verkrüppelte Bürger schafft, die dann mit ihrem Leben nicht mehr fertig werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ein weiterer Punkt. Herr Bundeskanzler, bitte üben Sie sich doch auch nicht in der Kunst — überlassen Sie das doch Ihren Parteifunktionären —, anderen Rednern Behauptungen in den Mund zu legen, die sie gar nicht erhoben haben, um dann dazu mit zum Teil halbgebildeter Überheblichkeit auf gewissen Gebieten Stellung zu nehmen. Wenn Sie sagen, Sie hätten amerikanische Zeugen, die mich als
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15125
    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern) unkalkulierbar und unberechenbar bezeichnet hätten, dann berufe auch ich mich auf Zeugen, nämlich auf eine große französische Zeitung, die Ihnen vor kurzem den Feldwebelstil vorgehalten hat. Lassen wir dies lieber beide sein, weil es doch zu nichts führt.
    Ich habe in meiner Rede heute morgen doch nicht gesagt, daß es uns Deutschen heute schlecht geht.

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Aber Sie haben so getan!)

    Ich habe vielmehr gesagt, daß die gegenwärtige Generation und Ihre der Verantwortung nicht gewachsene politische Führung bereits Eigentum, Arbeitsergebnisse, Rechte und Freiheiten der zukünftigen Generation durch übermäßige Inanspruchnahme der Kredite und durch eine überhöhte Staatsverschuldung sowie durch andere Leistungen gleicher Art in Anspruch nehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das heißt, daß ein Teil der Lebensrechte und Lebensansprüche der zukünftigen Generationen durch uns heute schon verbraucht wird. Bei dieser Behauptung bleibe ich auch. Ich habe keinen Grund, von ihr abzuweichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich komme auf einen nächsten Punkt zu sprechen. Herr Bundeskanzler, Sie haben einen Finanzbericht des amerikanischen Kongresses zitiert. Sie vertreten ja auch Argumente, wie manche Leute sich die Füße vertreten.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Sie sprachen davon, daß in diesem Kongreßbericht von 38,2 % Verschuldung der Vereinigten Staaten von Amerika die Rede sei. Ich habe von Ihnen nicht erfahren, ob es sich hier um die Bundesverschuldung handelt oder ob auch die Verschuldungen des states, der Länder, und die Verschuldung der untergeordneten Gebietskörperschaften dazukommen.

    (Dr. Barzel [CDU/CSU]: Und zwei Kriege!)

    Diese Angabe haben Sie unterlassen. Sie wäre aber wesentlich, damit man überhaupt vergleichsfähige Zahlen gewinnt. Sie sagten, der Finanzbericht des amerikanischen Kongresses besage, daß der Schuldenstand in den USA 38,2 % des Volkseinkommens ausmache, während er sich in der Bundesrepublik nur auf 13% belaufe.

    (Dr. Barzel [CDU/CSU]: So war es doch vor zehn Jahren!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt zwei mögliche Berechnungen. Erstens: Es ist nicht das Bruttosozialprodukt, sondern es ist das Volkseinkommen. Wenn wir davon ausgehen, daß das Bruttosozialprodukt im Jahre 1979 voraussichtlich maximal 1,4 Billionen DM erbringen wird, so heißt das, daß das Volkseinkommen ungefähr zwischen 1,05 und 1,10 Billionen DM liegt. Zieht man zum Vergleich die Verschuldung der drei Arten von Gebietskörperschaften heran, die rund 420 Milliarden DM betragen wird, so müssen Sie den Prozentsatz, den diese 420 Milliarden DM am Volkseinkommen von 1,05 Billionen DM ausmachen, zugrunde legen. Dann sind Sie hoch in den 30er Prozenten drin. Wo ist dann noch der Unterschied?
    Es könnte aber sein, daß der Vergleich nur auf die Bundesschuld bezogen ist. Dann wäre aber immerhin folgende Rechnung aufzumachen: Die Bundesschuld beträgt rd. 200 Milliarden DM, das Volkseinkommen etwa 1 Billion DM; 200 Milliarden DM sind 20 % von einer Billion. Wie hier ein Anteil von 13 % zustande kommt, ist mir schleierhaft. Wenn Sie schon Vergleiche bringen, müssen Sie doch als wissenschaftlich gebildeter und gelegentlich auf Ihre akademische Bildung auch pochender Bundeskanzler klar die Vergleichsbedingungen nennen. Sie vergleichen zwei Dinge, die nicht miteinander vergleichbar sind. Aber Ihre Zahl für die Bundesrepublik ist in jedem Fall falsch. Das muß ich Ihnen hier leider sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben recht, ich werde morgen die von den Finanzpolitikern der Union, der Fraktion, den Ministerpräsidenten der unionsregierten Länder und den Finanzministern der unionsregierten Länder ausgearbeiteten und gebilligten steuerpolitischen Pläne vorlegen. Ich bin mir natürlich der gegensätzlichen Probleme, einerseits Steuersenkung und weniger Einnahmen, andererseits der Notwendigkeit, den Schuldenzuwachs abzubauen, bewußt, und deshalb bin ich nicht der Meinung — das sage ich gerade den Damen und Herren der „Opposition" auf beiden Seiten des Hauses —, daß man etwa die normalen, sich aus dem Wachstum des Sozialprodukts ergebenden Steuermehreinnahmen — —

    (Lachen bei der SPD und der FDP — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Sie meinten die Damen und Herren der Koalition! Sie dachten an Bayern! — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/ CSU]: Er dachte an 1981! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Für mich ist das hier die „Opposition".

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Mich freut immer sehr, wie man einfache Gemüter durch kleine Dinge erheitern kann. Auch das trägt zur Belebung des Geschäftes bei.

    (Zurufe von der SPD)

    Ich bin nicht der Meinung — das sage ich den beiden Regierungsparteien —, daß man normale Steuermehreinnahmen, die sich aus dem Wachstum des Bruttosozialproduktes ergeben, für den Abbau von Steuern verwenden kann.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Ich bin aber der Meinung, daß die heimlichen Steuererhöhungen — Stichwort 6% mehr Einkommen, 12 % mehr Lohn- und Einkommensteuer — dem Bürger erspart bleiben müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In einem Einkommensbereich — ich kann hier nicht
    in Einzelheiten gehen, ich habe ihn vorher genannt:
    15126 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    20 000/40 000 DM (Ledig/Verheiratet), in einigen Jahren 30 000/60 000 (Ledig/Verheiratet) — sollten auf 6 % mehr Einkommen im großen und ganzen nicht mehr als 6 % Lohn- und Einkommensteuer zusätzlich gezahlt werden.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Die Schätzungen des Arbeitskreises Steuerschätzung sind mehrmals nach oben korrigiert worden. Der heute vorliegende und zur Behandlung stehende Haushalt ist noch auf Schätzungen aufgebaut, die längst überholt worden sind. Schon kurz vor der Vorlage des Haushaltes mußten die Zahlen nach oben korrigiert werden. Während der Verhandlungen im Haushaltsausschuß hat es sich ergeben, daß ohne Änderung der Steuerrechtslage im Jahre 1979 5,2 Milliarden DM mehr an Steuern und im Jahre 1980 7,7 Milliarden DM mehr an Steuern hereinkommen. Das sind also in den beiden Jahren fast 14 Milliarden DM mehr Steuereinnahmen, als es bei der letzten Steuerschätzung im Sommer 1979 geschätzt wurde. Halten Sie es für gerecht, diese Steuermehreinnahmen dem Bürger, der sie bezahlt, vorzuenthalten, und halten Sie es nicht hier für ein Gebot der Gerechtigkeit, aber auch der politischen Vernunft, auf diese Steuereinnahmen zu verzichten?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn Sie es im Jahre 1980 nicht machen, sollten wir das wenigstens im Jahre 1980 beschließen, damit es im Jahre 1981 stattfinden kann: Aber es wäre eine gewisse Korrektur auch bereits im Jahre 1980 möglich gewesen, wenn Sie den guten Willen dazu gehabt hätten. Das ist meine Meinung dazu.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn Sie sagen, Herr Bundeskanzler, die Rentner hätten jetzt 45 % mehr reales Einkommen als vor 10 Jahren, dann können Sie genauso gut sagen, daß wir jetzt das Jahr 1979 schreiben und der Fortschritt darin bestehe, daß jetzt eine 7 an dritter Stelle stehe statt damals eine 6. Denn dieses Mehreinkommen der Rentner ist nicht ein Verdienst der Bundesregierung oder ihrer Politik. Das ist das Ergebnis der im Jahre 1957 von der Union eingeführten, im Jahre 1958 zum erstenmal praktizierten Formel der dynamischen Rente. Es bleibt Ihnen aber der traurige Ruf anhängen, daß Sie die erste Regierung geführt haben, die dieses berechenbare, der sozialen Gerechtigkeit entsprechende Rentenprinzip abgeschafft und durch willkürliche Bemessungsmaßstäbe ersetzt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Soziale Demontage!)

    Selbstverständlich, Herr Bundeskanzler, ist es die Sache von Mann und Frau, ob und wie viele Kinder sie wollen. Niemand von uns denkt doch hier an eine Art behördliches Aufzuchtprogramm, oder wie immer man es nennen mag. Es ist doch aber bemerkenswert, daß sich in der Zeit Ihrer Regierungspolitik immer weniger Paare entschieden haben zu heiraten und sich immer weniger Paare entschieden haben, Kinder in die Welt zu setzen oder mehr Kinder in die Welt zu setzen. Das ist doch kein Zufall. Das ist auch keine Folge der Emanzipation, wenn
    Emanzipation richtig verstanden wird. Das ist eine Folge Ihrer armseligen und in jeder Hinsicht flickwerkartigen Familienpolitik, die Sie in dieser Zeit getrieben haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Natürlich ist Familienpolitik nicht Bevölkerungspolitik. Herr Bundeskanzler, jeder in diesem Hause hat es als peinlich empfunden, Ihre politischen Freunde mit verlegenem Grinsen und ablenkendem Beifall und die CDU/CSU mit offenem Entsetzen und mit nicht gespielter Empörung, wenn Sie angesichts der Geburtenentwicklung bei uns von der Bevölkerungsexplosion in der Welt reden und meinen, daß durch Rückgang der Geburten bei uns dieses Problem, das Länder wie Indien, wie Pakistan, wie China oder afrikanische Länder betrifft, teilweise gelöst werden könnte.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Peinlich war das!)

    Wenn Sie dann noch einer ungehemmten Politik der Einwanderung das Wort sprechen, um die eigenen Bevölkerungsverluste auszugleichen, dann schließt sich der Circulus vitiosus —_Sie mögen es übersetzen, wie Sie wollen — hier aber wirklich.
    Ich bin 1915 geboren, Sie einige Jahre später. Damals gab es noch kaum zwei Milliarden Menschen. Heute sind es drei Milliarden, und es werden vier und es werden sechs Milliarden sein. Das wirft ungeheure Probleme auf. Man denke hier nur an die unglaublich harten Maßnahmen in der Volksrepublik China gegen mehr Kinder. Aber hier bei uns hängt doch die Stabilität und Funktionsfähigkeit unseres wirtschaftlichen und sozialen Sicherungssystems von einer ausreichenden Bevölkerungsgrundlage ab, sonst kann es doch nicht erhalten werden. Allein um das Problem geht es doch.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Lassen Sie mich zum Schluß noch eine Bemerkung von Ihnen zur Kernenergie aufgreifen, Herr Bundeskanzler. Wir haben — und ich darf das für mich im besonderen in Aspruch nehmen — Mitte der fünfziger Jahre über das Problem Kernenergie nachzudenken begonnen. Es waren diese Jahre, in denen ich der erste Atomminister war, und nach mir kam eine Reihe von verdienten Politikern der CDU/ CSU — der letzte in der Großen Koalition war meines Wissens der heutige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Gerhard Stoltenberg —, die mit den vom Parlament zur Verfügung gestellten Mitteln eine konsequente Forschungs- und Entwicklungspolitik getrieben haben.
    Die Kernforschung war bei uns während des Krieges eingestellt. Sie war zehn Jahre nach dem Krieg durch die Rechtslage und die Besetzungssituation verboten und wurde erst freigegeben mit den Pariser Verträgen, die im übrigen von der SPD abgelehnt worden sind. Soll ich Ihnen vorwerfen, daß Sie wahrscheinlich doch nicht vertragstreu sind, weil Sie damals gegen die Pariser Verträge waren? Soll ich dieselbe unglaubliche Logik anwenden, die
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode --t 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15127
    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    der Bundeskanzler hier mir und uns gegenüber angewandt hat?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ob man die Pariser Verträge besser hätte formulieren können, kann ich nicht entscheiden. Ob man sie viel besser hätte formulieren können, möchte ich aus Überzeugung auf Grund meiner damaligen Kenntnisse und Einsichten. in die Probleme bestreiten. Daß die Ostverträge hätten besser formuliert, dem Zweifel der Interpretation entzogen und nicht zu ambitiösen Spielräumen der Vertragsausleger hätten degradiert werden können, das scheint mir sicher zu sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Henry Kissinger gehört, Herr Bundeskanzler, genauso zu Ihren Freunden wie zu meinen. Fragen Sie ihn einmal nach diesem Thema. Ich kann von Ihnen nicht verlangen, daß Sie sich durch 1500 Seiten Memoiren quälen — Sie pflegen ja auch kürzere Dokumente nicht zu lesen —,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    aber ich empfehle Ihnen, lesen Sie die zwei Erinnerungsbände des ehemaligen deutschen Botschafters in Moskau, immerhin eines hochverdienten, hocherfahrenen und hochangesehenen deutschen Diplomaten, des Herrn Allardt, der ja von sich bekennt, die Notwendigkeit von Verträgen vertreten zu haben, der aber an den primitiven, ungekonnten, beinahe hätte ich gesagt, simpelhaften Methoden der Vertragsaushandlungen damals in seinen Werken keinen Zweifel gelassen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Barzel [CDU/ CDU]: Stümperhaft!)

    Deshalb, Herr Bundeskanzler, möchte ich aus gutem Grund sagen: Wer in der politischen Verantwortung ist, darf nicht mit dem Denken anfangen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Gerade Sie als politisch Verantwortlicher hätten die Pflicht gehabt, den Denkprozeß rechtzeitig zu beginnen und abzuschließen, damit Sie handeln können. Wenn sich schon jetzt für die 80er Jahre eine immer größere Verknappung, ein immer größerer Engpaß abzeichnet und Sie von der Notwendigkeit reden, sich jetzt sämtliche Optionen offenzuhalten und den Denkprozeß fortzusetzen, so ist das nicht demokratische Offenheit, sondern Unfähigkeit zur demokratischen Verantwortung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Denn die demokratische Verantwortung gebietet es, zur rechten Zeit dem Volke das Ergebnis des eigenen Denkprozesses mitzuteilen, auch wenn es politisch unpopulär ist.
    Herr Bundeskanzler, Sie sagen auch noch, Herr Carter habe ja empfohlen, die Optionen offenzuhalten. Darf ich Sie schüchtern darauf hinweisen, daß die ernergiepolitische Lage der Vereinigten Staaten von Amerika von der Lage der Bundesrepublik grundverschieden ist. Falls es im Mittleren Osten zu einer großen Drosselung der Lieferungen oder gar auf Grund irgendwelcher Ereignisse zu einem Lieferstopp kommen sollte, haben die Vereinigten Staaten von Amerika selbst ungeheure Reserven. Sie können noch in Alaska und in anderen Teilen Amerikas auch dann, wenn dadurch der Treibstoff teurer wird, die Ölschieferreserven erschließen. Ihnen steht das Öl aus Venezuela eher zur Verfügung, als es uns zur Verfügung stünde, das aus Mexico allerdings vielleicht nicht. Die Amerikaner sind insgesamt viel weniger von diesen Lieferungen abhängig. Für die Amerikaner ist das Gebot der gleichzeitigen Entwicklung von Kohle und Kernkraft bei weitem nicht so zwingend, so notwendig und so brennend wie für uns. Und Sie sollten in Ihrer allwissenden Kenntnis der Weltumstände doch auch wissen, welche ungeheuren Kohlereserven, zum Teil im Tagebau, die Amerikaner haben, wie billig der Abbau dort ist, wie niedrig der Kohleeinstandspreis dort ist und in welchem Umfange man aus amerikanischer Kohle — im Gegensatz zur deutschen Kohle mit ihren begrenzten Förderungsmöglichkeiten — billige Energie machen kann.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, es ist doch eines Kanzlers unwürdig, den amerikanischen Präsidenten mit einem Satz zu zitieren und dabei das Publikum darüber hinwegzutäuschen, daß die Umstände, unter denen dieser Satz anwendungsfähig ist, in den USA doch grundlegend anders sind als in der Bundesrepublik Deutschland.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Lassen Sie mich ein Letztes aufgreifen, zu dem Sie gesprochen haben, Herr Bundeskanzler. Sie haben die Diskussion „Sozialismus /Nationalsozialismus" angesprochen. Ich wundere mich eigentlich, warum Sie sich darüber hier empören. Haben Sie eigentlich einmal gegen den von Willy Brandt in den 30er Jahren geschriebenen Artikel Stellung genommen, in dem er die vergleichbaren Züge von Sozialismus und Nationalsozialismus herausgestellt und davor gewarnt hat, den revolutionären Elan der nationalsozialistischen Bewegung zu unterschätzen? Gut, das mögen Jugendsünden gewesen sein. Was aber hier gesagt werden muß, damit eine vergiftende Legende ein Ende nimmt: Niemand hat jemals — —

    (Löffler [SPD]: Herr Strauß, haben Sie denn keine Ahnung, welches Jahr wir jetzt schreiben?)

    — Das war etwa Mitte der 30er Jahre.

    (Löffler [SPD]: Aber ich bitte Sie, wir sind jetzt am Ende der 70er Jahre!)

    — Ja, das war aber doch unmittelbares Erleben jener Zeit. Ich hänge ja auch nicht an diesem Artikel. Ich wollte nur fragen, ob das innerhalb der SPD einmal besprochen worden ist. Sie ist doch so diskussionsfreudig, und das muß doch auch einmal ausdiskutiert werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    15128 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979
    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    Es müßte manches ausdiskutiert werden, was in jener Zeit geschrieben und berichtet worden ist.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Herr Wehner weiß das! — Zuruf von der CDU/CSU: Von wem auch immer!)

    Ich will hier darauf nicht zu sprechen kommen. Niemand von uns — das gilt für mich nicht mehr und nicht weniger — hat jemals die deutsche Sozialdemokratie oder deutsche Sozialdemokraten in die Nähe des Nationalsozialismus gebracht. Ich darf das einmal in aller Eindeutigkeit feststellen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Ich bedaure es, daß mangelnde Kenntnis der geistigen Abläufe, der historischen Zusammenhänge und der mit sprachlichen Begriffen verbundenen Inhalte leider hier zu einer oberflächlichen demagogischen Behandlung der ganzen Problematik geführt hat.

    (Zuruf von der SPD: Durch Stoiber und Genossen!)

    Ich möchte fragen: Warum haben Sie sich eigentlich nicht, wenn Sie sich zum demokratischen Sozialismus bekennen — ohne sagen zu können, was er genau bedeutet; das ist ja die große Rätselfrage —, mit derselben Heftigkeit — eigentlich hätten Sie es wegen der Gefährlichkeit mit noch größerer Heftigkeit tun müssen — gegen den Mißbrauch gewandt, daß die kommunistischen Zwangssysteme den für Sie so heiligen Begriff Sozialismus als „realen Sozialismus" seit Jahrzehnten für die scheußlichsten Verbrechen an der Menschheit, ebenbürtig denen der Nazis, mißbraucht haben?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Um keinen Zweifel daran zu lassen, was ich meine: Ich bin davon überzeugt, daß zwei essentielle Fragen alle hier in diesem Hause mitarbeitenden Parteien und ihre Fraktionen, die Anhänger der Demokratie, und die Feinde der Demokratie, gleichgültig welche Farbe sie haben, trennen wie Feuer und Wasser. Ich könnte Ihnen eine lange Liste von Kriterien aufzählen; ich habe nicht die Zeit dafür. Aber was uns eint, ist und sollte die Verneinung eines absoluten Feindbildes innerhalb der demokratischen Gemeinschaft sein.

    (Zuruf von der SPD: Fangen Sie einmal damit an!)

    Wer einen Rasse-Gegner oder einen Klasse-Gegner aufstellt —

    (Zuruf von der SPD: Sonthofen!)

    einen Rasse-Gegner als Nationalsozialist, einen Klasse-Gegner als Marxist —, der lebt im Grunde aus denselben ungeistigen Wurzeln,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    der lebt im Grunde aus der Verneinung der freiheitlichen gewaltenteilenden repräsentativen liberalen Demokratie. Ich bin überzeugt, daß sich soziale Demokraten — das Wort wäre ehrlicher als „demokratische Sozialisten" — genauso wie die Liberalen und genauso wie die Christlichen Demokraten und die Christlich-Sozialen zur freiheitlichen gewaltenteilenden repräsentativen und liberalen Demokratie
    bekennen. Wer diese Ordnungsformen bekämpft, gehört dem kollektivistischen Lager an. Auf welcher Seite er steht, in welcher Farbe er es tut und mit welchen Parolen er es vertritt, ist geistesgeschichtlich und moralphilosophisch gleichgültig. Es ist in beiden Fällen derselbe ungeistige Nährboden freiheitswidriger Denkweise.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Darum sollten auch Sie einen Beitrag zur Klärung leisten, indem Sie einmal klipp und klar sagen, definieren, analysieren: Wie stehen Sie zu Marx?

    (Lachen und Zurufe bei der SPD)

    Einerseits werden Sie Marx nicht los, andererseits verstecken Sie ihn immer wieder, weil Sie sonst nicht mehrheitsfähig oder koalitionsfähig sind. Das ist doch der Prozeß, der sich auf dem Parteitag der SPD mit dem stürmischen Beifall zur Rede von Walter Jens abgezeichnet hat. Das ist doch der Prozeß, der sich zwischen den radikal Linken, die sich mit den Kommunisten auf den Straßen gegen uns verbünden — ich habe das soundso oft erlebt —, und denen, die sich als ehrliche, alte, gestandene Sozialdemokraten dieser Gemeinschaften schämen, abspielt. Das ist doch die Trennungslinie.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Sie sollten endlich zum Schluß kommen!)

    Schließlich, Herr Bundeskanzler, wenn es Ihnen eine Belastung bedeutet haben sollte, kann ich Ihnen nur sagen, daß ich den italienischen Staatspräsidenten nicht nur für einen liebenswürdigen, alten, erfahrenen, im Gegensatz zu Ihnen sich über seine Partei jedesmal auch hinwegsetzenden Staatsmann halte, einen Staatsmann, der sich ruhig zu seinem demokratischen Sozialismus bekennen kann, den ich nie in die Nähe des Kollektivs rücken würde, Ihn, den ich hoch schätze, den ich als Freund gewonnen habe, in das ehemalige KZ Flossenbürg begleitet habe, wo uns beide dieselben Gefühle in Erinnerung an jene Zeit erfüllt haben, auch das gehört zu den angenehmen und ehrenvollen Seiten meiner Amtstätigkeit.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Dr. Richard von Weizsäcker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kohl.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben mich unmittelbar vor der Rede des Kollegen Strauß in einer kurzen persönlichen Intervention angesprochen; ich will ebenso kurz darauf antworten.
    Ich finde es bemerkenswert, daß Sie bei der Diskussion darüber, ob Sie der geeignete Moderator für eine Sendung zum 20. Juli sind, das Wort „Ehrabschneidung" verwenden. Ich frage mich, Herr Bundeskanzler: Wieweit haben Sie eigentlich jedes Gefühl für die Gefühle anderer verloren, wenn Sie in dieser Debatte so auf diese Frage reagieren? Haben Sie nicht den Eindruck, daß an diesem Abend bei dem Vorspann zu diesem bemerkenswerten Film einer der Akteure des 20. Juli oder jemand aus der Familie der unmittelbar Betroffenen die richtige Ein-
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Dezember 1979 15129
    Dr. Kohl
    leitung hätte geben können und geben müssen? Das war nicht nur mein Eindruck, das war der Eindruck vieler, vieler Mitbürger.
    Was ich Ihnen nicht vorwerfe - insofern ist das, was Sie hier gesagt haben, wiederum am Thema vorbei —, ist das Schicksal Ihrer Generation. Herr Bundeskanzler, ich war derjenige, der von dieser Stelle und anderswo seine und die nachgeborene Generation immer zum Frieden zwischen den Generationen aufgerufen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich war derjenige, der immer warnend darauf hingewiesen hat, wohin es führen muß, wenn die Enkelgeneration, schlecht ausgerüstet mit Kenntnissen und Erfahrungen aus jener Zeit, über die Generation ihrer Großväter womöglich letztendlich zu Gericht sitzt. Ich war derjenige, der darauf hingewiesen hat, daß wir im geteilten deutschen Vaterland aus den Erfahrungen jener Zeit sorglich mit unserem Urteil gegenüber dem umgehen müssen, was manche unserer Mitbürger im anderen Teil Deutschlands tun, um dort zu überleben.
    Alle diese Argumente habe ich Ihnen und anderen immer wieder vorgetragen. Sie haben nichts davon zur Kenntnis genommen. Sie und Ihre Freunde — das muß festgestellt werden — haben diese gänzlich unnötige, schädliche Debatte über die jüngste deutsche Geschichte in Form einer Abrechnung, einer Belastungskampagne gegen einzelne aus dem Lager der CDU/CSU vom Zaum gebrochen. Sie haben dies fahrlässig getan, weil Sie dabei sich selbst und das Schicksal derer, die mit Ihnen auf der Regierungsbank sitzen, vielleicht zuwenig bedacht haben. Das habe ich vorhin deutlich machen wollen. Ich denke gar nicht daran, hier etwas anderes zu sagen.
    Wir wollen gemeinsam aus der Geschichte lernen, Herr Bundeskanzler. Aber dazu gehört auch Redlichkeit, und zur Redlichkeit gehört, daß Sie nicht am Abend des 20. Juli — nicht in gesprochener Form, aber in dem, wie Sie es darstellten — einen Eindruck erweckten, der Ihnen an diesem Abend nicht zukam.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)